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Full text of "HANDBUCH DER MUSIKGESCHICHTE"

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780.9    A25h        v.2/        62-256W 


reference 

collectio 

book 


Kansas  city 
public  library 
kansas  city, 
missouri 


ADLER  /  HANDBUCH  DER  MUSIKGESCHICHTE 


HANDBUCH 

DER 

MUSIKGESCHICHTE 

UNTER  MITWIRKUNG  VON  FACHGENOSSEN 
H E R A U S G E G E B E N     VON 

GUIDO   ADLER 


MIT  VIELEN  NOTENBEISPIELEN 

UND   ABBILDUNGEN   ZUR  GESCHICHTE  DER  NOTENS  CH  RIFT, 

DER   MUSIKINSTRUMENTE,  DER  OPERNDARSTE  LLU  NG 

UND   MIT  WIEDERGABEN  VON  AUTOGRAPHEN 


UNVERANDKRTER   NACHDRUCK  DER   ZWEITEN,  VO  LLSTANDIG 
DURCHGESEHENEN  UND  STARK  ERGANZTEN  AUFLAGE 


ZWEITER    TEIL 


VERLEGT  BE1  HANS  SCHNEIDER,  TUTZING  1961 


ZWEITER  TEIL 

MIT  15  ABBILDUNGEN  UND  83  N  Q  TE  N  B  K  IS  PI  ELE  N 

©  1961  BY  VERLAG  HANS  SCHNEIDER,  TUTZING 

DRUCK:  JOSEP  DESCHLER,  MONCHEN  5 


DRITTE  STILPERIODE 

R«**reno,  (Fortsetzung) 


DIE  FRANZOSISCHE  OPER  BIS  1750 

Als  Grundlagen  der  Operngeschichte  treten  in  Frankreich  ahnliche  Erscheinungen  hervor  wie 
in  Italien.  Die  geistlichen  Schauspiele  finden  sich  derart  stark  und  friih  entwickelt  vor,  daB 
die  Franzosen  ihre  Entstehung  lange  als  besonderes  Nationalverdienst  buchten.  Heute  weiB 
man,  daB  auch  die  franzosischen  Anfange  stilistisch  auf  die  St.  Gallener  Tropen-  und  Sequen- 
zenkunst  zuriickgehen.  Die  Musik  lauft  durchwegs  durch  das  ganze  Spiel,  wie  ein  Blick  in 
de  Coussemakers  Sammlung  liturgischer  Dramen  zeigt.  Das  dramatisch  groBartigste  Beispiel 
darin  ist  das  Schuldrama  ,JDaniel"  aus  Beauvais  (ca.  1 140),  das  in  zwei  Teilen  Belsazars  Ende 
und  die  Priifung  in  der  Lowengrube  behandelt.  Die  Musik  verwendet  zahlreiche  Strophen- 
formen,  besonders  in  den  Aufziigen  (Conductus),  z.  B. 

Conductus  referendum  vasa  ante  Danielem 

— r- E=» 


Re  -  gis        va  -   sa         re  -   fe   -    ren  -  tes,     Da  -  ni  -  c   -    li        ap  -  plau  -  den  -  tes, 
quern     Ju    -   dae  -  ae        tre  -  munt    gen  -  tes.  usw. 

Das  ganze  Stuck  durchzieht  eine  stehende  Tonformel  far  den  GruB  vor  dem  Konig. 

c^:r:*i^liii:»!igr:i^rBizzz.  gzmgm^rzr: 
Rex     in       c   -   ter  -  num     vi  -  vcl 

Das  Nikolausspiel  vom  Sohn  Getrons  verwendet  nur  einige  wenige  Melodien,  die  schablonenhaft 
an  die  einzelnen  Figuren  gebunden  sind,  die  Erweckung  des  Lazarus  wird  gar  durchlaufend 
liber  eine  einzige  stehende  Strophe  abgesungen.  Die  groBen  Volkskomodien  der  Eselsfeste, 
Karnevalsfeiern  wie  die  M^re-folies  in  Dijon,  Moralitaten  und  andere  Veranstaltungen  sind 
gleichfalls  von  Musik  getragen,  Trouveres  und  Troubadours  bilden  die  weltlicheKomodie 
mit  reichen  Liedeinlagen,  sowie  halbdramatische  Komodienszenen  (Jeux  parties)  aus,  erhalten 
sind  von  Adam  de  la  Halle,  dem  ,,Schelm  von  Arras"  (ca.  1240—1287)  zwei  Liederspiele, 
doch  handelt  es  sich  hier  um  letzte  Glieder  einer  reich  gepflegten  Kunstgattung.  Zum  ,Jeu 
Adam**  (Arras,  ca.  1262)  fehlen  Noten,  vollstandiger  ist  das  Bild  des  ,Jeu  de  Robin  et  Marion" 
(Neapel,  1285)  bezuglich  der  Musik  iiberliefert.  Zu  diesem  Schaferspiel  gehoren  28  Lied- 
melodien,  die  doch  wohl  nicht  alles  darstellen  diirften,  was  wirklich  gesungen  wurde;  die 
ersten  zwei  Szenen  beanspruchen  schon  fast  alle  Lieder  fiir  sich,  im  ganzen  langen  iibrigen 
Stuck  sind  nur  mehr  ganz  wenige  Satzchcn  eingestreut,  darunter  cines,  das  von  alien  Personen 
gesungen  wird.  Die  Melodien  gehtfren  als  Strophenlieder  und  Dialogteile  solcher  zueinandcr, 
so  daB  nur  15  verschiedene,  teils  ganz  kurze  Weisen  oder  Refrains  zu  unterscheiden  sind. 
Eine  Tanzmelodie  lauft  so  eindringlich  achtmal  abwechselnd  zwischen  dern  Schaferpaar  hin 
und  her. 


£42  Die  franzosische  Oper  bis  1750 


Diese  Lieder  sind  aber  nicht  etwa  von  Adam  komponiert,  sondern  es  ist  Text  und  Musik  alterer 
Volkslieder  iibernommen,  z.  B.  der  Jodler 


Trai       -       ri        de  ~  lu  -  riau,       de  -  hi  -  riau,     de  -  lu  -  rie  -    le. 

Gesprochener  Versdialog  verbindet  sie. 

Mit  Musik  und  Tanz  durchsetzt  waren  dann  vom  14.  Jahrhundert  an  Mummercion  und  Auf- 
zuge  bei  festlichen  Gelagen  der  Hofe  von  Frankreich  und  Burgund  (Entremets),  sowic  die 
gern  ins  Allegorische  und  Romantische  gewendeten  Einleitungen  zu  den  Turnieren  (cartels, 
defis,  caroussels).  Alle  diese  Veranstaltungen  aber  wurden  durch  die  grofien  italicnischcn  Hot- 
festlichkeiten,  die  canti  und  trionfi,  beeinflufit,  bei  denen  aile  Ktinste  sich  virtuos  vereiniglen. 
Besonders  gut  sind  wir  von  den  grandiosen  Festen  des  Jahres  1 454  am  burgundischen  Hoi  durch 
Olivier  de  la  Marche  unterrichtet,  wobei  die  Musik  mehrfach  genau  beschrieben  ist,  so  gelegent- 
lich  des  Fasanengeliibdes. 

Von  1550  an  wurde  die  gesungene  Maskerade  in  Frankreich  besonders  beliebt,  die  erstcn 
Dichter  der  Nation  beteiligtcn  sich  daran,  Ronsard,  Jodelle  u.a,  Ein  Mitglied  tier  Pl^iadc,  der 
DichterundMusiker  J.  A.Bai'f ,  begriindete  1 570  mit  dem  Musi ker  Thibautde  Courvillo  in  Paris 
eine  Academic  de  musique  et  de  poesie  mit  ahnlichen  Absichten,  wie  die  der  spateren  Flo- 
rentiner  Camerata  waren:  Vereinigung  von  Musik  und  Dichtkunst,  Erneuerung  des  Theaters 
nach  der  Antike.  Auch  der  Biihnentanz  gehorte  in  dieses  Re formprogramm,  er  hatte  an  Katha- 
rina  von  Medici  eine  machtvolle  Forderin.  Diese  Furstin  suchte  alle  Pracht  der  Hofhaltung  im 
Stil  der  Florentiner  Heimat  fur  ihre  politischen  Zwecke  zu  entfalten.  Dor  italienische  EinfluB 
in  Kunstdingen  wuchs  unter  ihr,  1548  wird  in  Lyon  Bibbienas  ,,Calandra"  mit  grolien  Inter- 
medien  von  den  Messieurs  des  Nations  aufgefuhrt,  1550  stellt  man  in  Rouen  bcim  Einzug  H<kn- 
rys  II.  nach  italienischem  Muster  den  pythischen  Kampf  Apollos  mit  Musik  dar.  Als  Hem- 
rich  II.  bei  einem  Turnier  todlich  verunglikkte,  loste  das  Ballett  die  ritterlichen  Kanipfspielc 
als  Nationalvergniigen  ab.  Die  Religionskriege  sind  von  Balletten  cingefuhrt  uncl  begltutet- 
Vier  Tage  vor  der  Bartholomausnacht  gab  man  in  den  Tuilerien  ein  grofies  gesungenes  Ballett, 
wobei  das  Paradies  gegen  irrende  Ritter,  die  vergeblich  Einlafi  begehren  (die  Hugcnotten)* v^^** 
teidigt  ist.  Die  Ketzer  werden  in  die  Holle  gestiirzt.  1 573  folgte  das  beriihmte  polnische  Ballett, 
an  dem  Roland  von  Lassus  beteiligt  war,  gelegentlich  des  Abschieds  des  zurn  polnischen 
Konig  erhobenenHerzogs  von  Anjou.Geleitet  wurde  diese  Festlichkeit  schon  von  dem  Picmontcscn 
Baltagerini,  genanntBalthasardeBeau joy eulx,  der  seit  1555  als  Violinspicler in  Frankreich 
weilte  und  1567  Kammerdiener  und  Ballettregisseur  bei  Katharin'a  von  Medici  geworden  war, 

Dieser  Mann  nimmt  das  Verdienst  fur  sich  in  Anspruch,  Plan  und  Leitgcdanken  zu  dern 
Hauptwerk  des  Ballet  de  Cour  ersonnen  und  angeregt  zu  haben,  zum  ,»Ballet  co  mique  d  e  la 
Royne1,  das  an  Stelle  der  friiheren  skizzenhaften  Maskeraden  ein  dramatisch  einheJtHches 
handlungsreiches  Ganzes  setzte  und  alle  Theaterkiinste  grofiziigig  und  schon  durchaus  oj>ern- 
haft  zusammenfafite.  An  der  Ausfiihrung  sind  viele  Hande  beteiligt.  Die  ersten  Dichter  und 
MusiJcer  des  Hofs  waren  allerdings  anderweitig  beschaftigt,  die  Handlung  Jst  der  Circe  des 
Agrippa  d'Aubigne"  entlehnt,  die  Verse  lieferte  der  Almosenier  des  Kdnigs,  Sieur  de  la  Chesnayt% 
die  Musik  dessenLehrer  Lambert  deBeaulieu,  genannt  Arion  de  France,  und  Jacques  Salmon, 


v     -  :' 


v^sppp 


Ahl>.  71     »,!,«  Ballttl  (',<nni(|u<!  <!«'  la  Koyni'.1* 

UiiiMollun^  <l*H'  Saul'.,  intMi«Mil»il<l  isarb  «*ii»«'ui  /«Mtn<'iH».»is<'l«'«  Stifh  <U>s  Texllmdu's,  Pmih  l^B2. 
Im  llmt«'t«tum(l  (!iur  /aultu^aitrn,  links;  \on»r  tlio  f,w»M«'U«'  Wolkr",  rcchfs  clir  I  ,aulw  Pans, 


644 


Die  franzosische  Oper  bis  1750 


die  der  beiden  Ballette  wohl  Baltagerini  selbst,  die  Ausstattung  besorgte  Jacques  Patin.  Die 
Auffuhrung  fand  statt  am  15.  Oktober  1581  im  Louvre,  als  Hohepunkt  der  mehrwochigen  Ver- 
mahlungsfestlichkeiten  der  Stiefschwester  Heinrichs  III.  mit  dessen  Giinstling,  dem  Herzog 
von  Joyeuse.  Konigin  Luise  wirkte  als  Najade,  der  Konig  im  grofien  Ballett  mit.  Circes  Zauber- 
garten  war  mit  allerhand  Tieren  bevolkert,  prachtige  Aufzuge  rollten  als  Intermedien  durch  den 
Saal,  auf  Flugmaschinen  eilten  die  Cotter  zum  Kampf  gegen  die  Zauberin  herbei,  in  der  ,,Voute 
doree"  ahmten  zehn  verschiedene  „ Concerts  de  musique"  dieSpharenmusik  nach,  auch  die  Laube 
Pans  ertonte  von  Gesang  und  Positiven.  Gesprochene  Deklamation  eroffnete  nach  einer  In- 
strumentaleinleitung,  sie  wechselt  auch  spater  mit  Musik  und  Tanz.  Die  dramatisch  belebte 
Handlung,der  nur  die  steten  lakaienhaften  Huldigungen  an  denHof  abtraglich  sind,  zerfallt  in 
zwei,  durch  Ballette  geschlossene  Teile;  die  zehn  Musikstucke,  abgesehen  von  den  beiden 
langen  Balletten,  sind  zumeist  funfstimmige  Chorsatze,  die  durchwegs  Strophenform  haben 
und  vorwiegend  dialogieren,  gern  mit  Echowirkungen,  daneben  stehen  zwei  monodische  Solo- 
gesange,  ejnstimmig  und  ohne  Bafi  notiert,  namlich 
Jupiter  (herabfliegend)  (Y*  verkurzt) 


*=£=$=&= 


ta       fa  -  veur 
sen  -  ke     mich 


je    vlens     i  -    c 
her  -  ab     von    des 


des        ci  -  eux,       je 
Him  -  mels  Hohn,  den 


suis       clu       mon  -  de, 
Wir  -  ren       die  *  »cr 


IP 


o       Pal    -    las, 
Welt     gna  - 


sou  -  ci    -    eux. 
bei  -  zu  -  stehn. 


Das  wird  zur  Laute  gesungen,  ein  ebenso  behandelter  Wechselgesang  (Rezitativ)  geht  voran* 

Glauque  (l/2  verkiirzt) 


ceste       <£ 
die    -  ser 


cail    -    le 
Fcst  -  glanz 


nou   -    vel     -     lc*, 
be     -   deu    *•    ten? 


que     je       suis    d'un      pe  -  cheur     en 
Rings  -  um  -  her     seh       ich     strah  -  len 


dieu     ma  -  rin         for  -  me? 
Mee  -  res  -  got    -   ter  -  pracht, 


Diese  Ballettkomodie  blieb  in  Frankreich  eine  Ausnahmserscheinung,  denn  wenn  sich  auch 
das  Ballet  de  Cour  als  Lieblingsform  dauernd  behauptete,  so  tauchen  doch  groOzOgigere  Ver- 
suche  erst  dreiBig  Jahre  spater,  und  auch  da  nur  vereinzelt  und  in  engen  zeitlichen  Grenzen 
wieder  auf.  Unter  Henry  IV.  und  Lully  herrschen  kleinere  und  meist  komische  Ballette  vor 
(Ballettmaskeraden),  bizarre  Kostiime  sind  beliebt,  Tiirken,  Chinesen,  Janitscharen ;  hauptsHch- 
lich  das  Auge  will  erfreut  sein.  Zu  den  Entries  wird  es  iiblich,  Gedichte  auf  fliegenden  BlSttern  zu 
verteilen,  so  daC  das  Ballett  die  ,,Versu,  die  ,,Entrees'*  und  die  ,,R<kit$44  umfafit,  Letztere  wurdcn 
gesprochen  oder  gesungen.  Von  1 605  an  verschwindet  das  gesprochene  Ricit  im  kdniglichen  Bal  • 
lett,  wahrend  es  sich  in  der  Provinz  erhalt.  Diese  Neigung  zur  Musik,  die  bald  darauf  irnmer  ent* 
schiedener  zur  Geltung  kommt,  scheint  mit  dem  Aufenthalt  Rinuccinis  und  Caccinis  am  franzd* 
sischen  Hofe  zusammenzuhangen,  an  der  Florentiner  Musiktragodie  ging  man  bezeichnender- 


Die  franzosische  Oper  bis  1750  645 


weise,  trotz  der  personlichen  Beziehungen  achtlos  vorbei.  Hingegen  bildete  Rinuccini  dieEin- 
driicke  des  Pariser  Hofballetts  in  Italien  nach,  zuerst  im  ,,Ballo  delle  Ingrate",  worin  aber  natiir- 
lich  der  gesprochene  Vortrag  aufgegeben  ist.  Fur  die  italienische  Ausstattungskunst  hatte  man  in 
Paris  mehr  Anteil  als  fur  die  musikdramatischen  Bestrebungen,  die  Briider  Francini  machten  als 
Theaterarchitekten  Karriere,  sie  sind  bei  den  grofien  romantischen  Ausstattungsballetten  unter 
Ludwig  XIII.  tatig.  Die  Musik  tritt  nun  1610 — 1620  starker  hervor,  sie  wird  auch  vor  dramati- 
schere  Aufgaben  gestellt,  so  im  ,JBallet  d'Alcina"  (1610),  im  ,, Ballet  des  Argonautes"  (1614),  dem 
,, Ballet  de  la  delivrance  de  Renault"  (161 7), dem  ,,BalletdeTancredeenlaforestenchantee"  (1619). 
Prunieres  Rekonstruktion  des  Renault-Balletts  zeigt,  dafi  sich  die  Musik  in  kleinen  Formen  halt, 
ein  fiinfstimmiger  Chor  eroffnet,  spater  folgen  weitere  Chore,  darunter  ein  Chordialog  (Einsied- 
ler  und  Soldaten),  einige  Solostiicke  —  Rolland  hat  eines  nachgetragen  — ,  viele  Tanzstiicke. 
Unter  den  Gesangsnummern  sind  mehrere  Strophenformen,  einiges  hat  einen  Anflug  von 
dramatischer  Kraft,  das  riihrt  von  Pierre  Guedron  her,  daneben  wirken  von  Musikern  noch 
Antoine  Boesset  und  Gabriele  Bataille  mit,  in  der  Tanzmusik  Belleville,  auch  an  der  Dichtung 
sind  mehrere  Autoren  beteiligt,  das  grofie  Konzert  gegen  Ende  erwahnt  92  Sanger  und  45  In- 
strumente.  Ahnlich  kompiliert  waren  alle  Hofballette,  auch  Ludwig  XIII.  komponierte  Ballett- 
arien,  das  ,, Ballet  de  Merlaison"  1635  sogar  hauptsachlich  selbst.  Die  Tanzstiicke  \vurden 
vom  Ballettmeister  beigesteuert,  z.  B.  in  der  Zeit  1587 — 1617  von  Chevallier.  Nach  1620  sank 
das  Ballet  de  cour  wieder  zu  einfachen  Unterhaltungsstticken  herab,  die  Ausstattung  trat  ganz 
in  den  Vordergrund,  Tanzszenen  reihten  sich  ohne  hohere  dramatische  Zwecke  aneinander 
(Ballet  a  entrees),  unter  dem  Due  de  Nemour,  der  die  Ballette  leitete,  verfiel  die  Gattung  ins 
Spielerische  (Bouffonneries,  Boutades)..  Gefallige  Musik  lieferten  Boesset,  Vincent  u.  a.  Die 
Texte  der  Hofballette  sind  in  der  Ausgabe  von  Lacroix  zuganglich,  die  Musik  erhielt  sich 
nur  in  Auswahl,  die  Sammlung  von  Michel  Henry  gilt  als  verloren,  auch  die  Sammlung 
Philidor,  die  die  Tanzmusik  iiberliefert,  hat  starke  Liicken,  von  urspriinglich  59  Banden  sind 
nicht  weniger  als  26  in  Verlust  geraten.  Immerhin  ware  es  an  der  Zeit,  hier  durch  Neudrucke 
den  Blick  zu  offnen,  insbesondere  fur  Lullys  Jugendwerke. 

Das  Hofballctt  kam  unter  Ludwig  XIV.  zu  besonderer  Bliite,  in  seinen  ersten  Regierungs- 
jahren  wird  aber  Paris  unter  Anna  von  Osterreich  und  Mazarin  zunachst  endlich  mit  der  ita- 
li en  is c hen  Oper  bekannt,  allerdings  in  Mischformen  mit  dem  herrschenden  Lokalgeschmack. 
Mazarins  standhaftes  Eintreten  fur  die  Vcnezianer  und  die  romische  Oper  blieb  allerdings  erfolg- 
los,  sie  hat  viel  Widerspruch  entfacht,  aber  das  franzosische  Theater  stark  beeinflufit  und  dem 
franzosischen  Musikdrama  den  Boden  bcreitct.  Die  erste  italienische  Oper  in  Paris  war  nach 
Prunieres  eine  Musikkomodie  des  Ro'mers  M,  Marazzoli  im  Karneval  1645,  ein  halbes  Jahr 
darauf  folgte  Sacratis  ,»La  Finta  Pazza"  (Text  von  Strozzi),  ein  italienisches  Repertoirestiick 
(Venedig  1641,  Piacenza  1644,  Bologna  I647)-uber  den  beliebten  Opernstoff  des  wciblich  ver- 
kleideten  Acliillcs  in  Scyrus.  Vollon  Beifall  fanden  in  Paris  nur  die  Inszenierungskiinste  des  be* 
riihmten  J.  TorolH,  d(kr  das  Textbuch  clieser  Festa  Tcatrale  mit  Kuptern  herausgab.  Der  Ka- 
stratengfsang  wurde  abgelehnt.  Das  Textbuch  besagt,  da(i  mancherlei  gesprochen  vorgetragen 
wurde,  die  Ballette  Balbis  sind  darin  nicht  erwahnt,  denn  sie  wurdem  eigens  gedruckt;  daB  sie 
auffallond  zirkusartig  waren,  ist  mit  Riicksieht  auf  das  Konigskind  zu  deuten.  1646  wurde  noch 
Cavallis  ^Egisto"  gegeben,  1647  folgte  Luigi  Rossis  ,,0rfeo<4  (Text  von  Francesco  Buti), 
den  dor  Koniponist  eigcns  fur  Paris  schrieb  und  zwar  ahnlich  wie  Monteverdi  seinen  ,,0rfeo 


£A£  Die  franzosische  Oper  bis  1750 


am  Totenbett  der  Gattin.  Trotz  des  grofien  Widerstands,  dern  das  Werk  wegen  seines  schwa- 
chen  Textes  bei  den  Franzosen  begegnete,  hat  es  starke  Nachwirkung  erzielt.  Textlich  bot  sich 
fur  Quinault  spater  manches  brauchbare  Theaterrequisit  darin,  die  Musik  kam  mit  ihrer  Be- 
vorzugung  der  weichen,  elegischen  Seiten  dem  Nationalempfinden  sehr  entgegen.  Sie  ist  sti- 
listisch  an  die  von  Monteverdis  ,,11  Ritorno  d'Ulisse"  ausgehende  Liedoper  angeschlossen  und 
weist  in  der  musikalischen  Behandlung  starke  Ahnlichkeiten  mit  Giuseppe  Zamponis,,UHsse 
nell'  isola  di  Circe*'  auf,  der  ersten  Oper,  die  1 650  in Brussel  gegeben  wurde.  Das  Rczitativ 
tritt  zuriick,  hingegen  ist  auf  Ensemblestellen  viel  Sorgfalt  verwendet :  Die  Liedarie  halt  den  Vor- 
dergrund,  Refrainbindungen,  kleine  Da  Capi,  Strophenformen,  Basso  ostinato,  zweiteilige  Arien 
stehen  nebeneinander.  In  vollstimmiger  Begleitung  greift  das  Orchester  ein,  die  komischen  Epi- 
soden  zeigen  musikalischen  Witz.  Auch  bedeutende  Reste  der  romischen  Choropar  fallen  auf, 
insbesondere  im  Prolog,  wo  der  Chor  dreifach  geteilt  ist.  Die  Ballette,  die  diese  Oper  wiedcr 
reich  umrankten,  waren  wohl  von  einem  Franzosen  vertont.  Rossi  iibersiedelte  ganz  von  Rom 
nach  Frankreich,  wo  er  1 653  starb.  Mit  dem  ,,0rfeo"  endet  der  erste  italienische  Opernvorstofi 
in  Paris.  Im  Gefolge  hatte  er  mehrere  Tragodien  mit  reichem  Musik-  und  Maschinenschmuck, 
darunter  Corneilles  ,,Andromeda"  1650,  mit  Musik  von  Dassoucy,  1653  reihte  sich  ein 
zweiter  Versuch  mit  der  italienischen  Oper  an,  Carlo  Caprolis  ,,Lc  Nozze  di  Peleo  c  di  Ted" 
(Text  von  Buti)  mufite  wieder  groCe  Zugestandnisse  an  das  Ballett  machen,  Buti  hat  sie  mit 
einem  Ballet  de  Cour  verquickt,  zu  dem  Benserade  die  Verse  schrieb,  Dern  Dichter  Isaac  de 
Benserade  verdankte  das  Ballet  de  Cour  die  neue  Bliite  als  literarische  Gattung,  die  untor  dem 
Eindruck  der  italienischen  Oper  mit  seinem  Erstling  ,,Cassandre"  (1651)  anhebt,  worm  Lud~ 
wig  XIV.  zum  erstenmal  tanzte.  In  der  Musik  taten  sich  Louis  Molier,  J.  B.  Boesset,  Jean  Cam* 
befort  u.  a.  hervor,  auch  Michel  Lambert,  der  spatere  Schwiegervater  Lullys,  vor  allem  Lully 
selbst,  der  bald  alle  Vorganger  verdrangte. 

Jean  Baptiste  Lully  (1632 — 1687),  der  1646  als  Knabe  nach  Frankreich  gekommen  war,  be- 
trat  1 653  im  ,,Ballet  de  la  nuit"  die  Biihne,  dem  ersten  groBen  Schauballett  nach  Muster  der  ita~ 
lienischen  Vorstellungen,  er  tanzte  und  spielte  an  der  Seite  des  Konigs,  bald  fiigte  er  auch  ita 
lienische  Gesangseinlagen  in  die  Hofballette  ein,  von  1 657 — 1 67 1  schrieb  er  dann  etwa  30  Ballette, 
von  denen  aber  kein  einziges  noch  veroffentlicht  ist.  Die  Musik  versorgt  er  nun  vorwiegend  oder 
ganz  allein.  Der  klassische  Vertreter  der  franzosischen  Musiktragodie  begann  also  —  cine  Aus- 
nahmserscheinung  —  in  burlesken  Szenen,  und  zwar  als  Schauspieler,  Tanzer  und  Komponist. 
Prunieres  hat  einen  travestierenden  Dialog  zwischen  der  franzosischen  und  italienischen  Musik 
aus  dem  ,,Ballet  de  la  raillerie'*  (1 659)  und  einen  ,,R^cit  des  preneurs  de  Tabac"  aus  dem  »,Ballet  de 
1  'impatience"  (1661)  mitgeteilt,  besonders  beriihmt  war  spater  die  tiirkische  Zeremonie  aus  dem 
„ Bourgeois  gentilhomme"  (1670),  wobei  Lully  zu  einer  Zeit  wieder  ins  Italienische  verfiel,  wo  er 
das  Franzosische  schon  ganz  voranstellte  und  sich  urn  einen  franz5sischen  Buffostil  bemOhte. 
Das  ,,Ballet  d'Alcidiane*'  (1658)  ist  bereits  mit  der  bekannten  Ouvertiirenform  Lullys  er6ffnett 
wahrend  die  friiheren  Hofballette  mit  einfachen  Tanzsatzen  eingeleitet  waren.  Der  Ausdruck 
Ouverture  ist  da  bis  etwa  1640  zuriick  zuverfolgen.  Das  Ansehen  Lullys  wird  rasch  gefestigt, 
1660  wirkt  er  bei  der  Hochzeit  Ludwigs  mit  Maria  Therese  von  Osterreich  neben  CavallL 
Dieser  Grofimeister  kommt  personlich  nach  Paris,  um  seinen  beruhmten  MSerse"  herauszu* 
bringen,  1 662  schreibt  er  eine  eigene  Oper  fiir  Paris  (,,L'Ercole  amante**)-  Es  war  das  der  dritte 
und  letzte  Versuch,  die  italienische  Oper  in  Frankreich  einzubiirgern,  er  endete  mit  dem  vollen 


Die  franzosische  Oper  bis  1750  547 


Triumph  der  franzosischen  Musik;  Mazarin  starb  dariiber  (1661).  Der  ,,Serse"  hatte  wieder 
starke  Eingriffe  zu  erleiden,  wesentliche  Bestandteile  bei  der  Auffuhrung,  die  nicht  Torelli,  son- 
dern  schon  Vigarani  ausstattete,  waren  die  Ballette  Lullys,  der  auch  eine  groBe  franzosische 
Ouvertiire  beistellte  und  wohl  den  Prolog  komponierte.  Der  ,,Ercole  amante'*  ist  von  Fr.Buti 
wieder  im  Stil  der  fur  Paris  so  bezeichnenden  Mischung  zwischen  Oper  und  Ballet  de  Cour  ver- 
fafit,  an  der  Buti  selbst  besonderen  Anteil  hat.  Sie  wird  1 661  als  Neuerung  in  Florenz  aufgegriffen 
(,,Ercole  in  Tebe"),  in  Briissel  ist  eine  ahnliche  Verquickung  schon  1650  beim  ,,Ulisse"  zu  be- 
obachten  (mit  dem  ,,BalIet  du  monde").  Ihre  Ausgestaltung  wird  fur  das  Verstandnis  der  Rolle 
des  Balletts  in  Lullys  Tragodien  von  entscheidender  Bedeutung.  Auch  in  der  Verteilung  von 
Duetten,  Trios  und  Chorstellen  hat  Buti  fur  Quinault  Muster  geboten,  wahrend  Lully  wieder 
in  Cavallis  Musik  bleibende  Eindriicke  empfangen  hat,  besonders  in  Rezitativ,  Ensemble  und 
Chor.  Der  Prolog  insbesondere,  die  selbstandigen  Prologe  ,,0rfeos"  und  der  ,,Nozze  di  Ted" 
iiberbietend,  war  die  grofiartigste  Chorleistung  Cavallis.  Aber  auch  die  Maschinentragodien,  die 
im  Schatten  der  italienischen  Oper  hervorsprossen,  insbesondere  die  von  Boyer,  lieferten  Muster 
zum  Lullyschen  Prolog.  Die  Musik  spielte  in  diesen  Dramen  eine  grofie  Rolle  und  war  mit  den 
Stiicken  organisch  verwachsen,  so  daB  man  sie  Opern  ohne  Rezitativ,  das  Theatre  du  Marais 
aber  Wiege  der  Academic  de  Musique  genannt  hat. 

Das  Ballet  de  Cour  erlebt  auch  nach  Cavallis  Opern  wieder  neuen  Aufschwung,  seit  1661 
setzen  Molieres  Plane  einer  Verschmclzung  von  Komodie,  Musik  und  Tanzein,  die  aus  der 
Not  eines  eingeschrankten  Personalstands  die  Tugend  des  genialen  Formgedankens  der 
Com^die-ballets  zu  schopfen  wufiten,  von  1664  an  arbeiten  die  beiden  groBen  Baptiste  mit- 
einander  (,,Le  Mariage  force'*,  1664,  ,,La  Princesse  d 'Elide'*,  1664,  ,,L'Amour  medecin", 
1665).  Musik  und  Tanz  war  aber  doch  nur  Aufputz  der  Komodie,  die  ganz  gesungenen 
und  getanzten  Pastoral-  oder  Buffoszenen  waren  nur  eingefiigt  und  wurden  von  getrenntem 
Personal  bestritten.  Lully  hatte  da  Gelegenheit,  seine  Vorliebe  furs  Ensemble  zu  betatigen. 
Auch  Benserade  spannte  seine  Krafte  an,  so  im  ,,Ballet  des  arts"  ( 1663)  oder  dem  ,,Ballet  de 
la  naissance  de  Venus*4  (1665),  Nebeneinander  traten  beide  Rivalen,  Benserade  und  Moliere, 
im  ,,Ballet  des  Muses**  (1666)  vor  den  Konig.  Dieses  Ballett  bestand  aus  einem  Prolog  — 
Dialog  zwischen  la  Mernoire  und  den  9  Musen  —  und  14  Entrees,  zumeist  von  Benserade 
gedichtet,  Es  sind  Szenen  zwischen  Sternen  und  Planeten,  Pyramus  und  Thisbe,  ein  Kampf 
zwischen  Alexander  und  Porus,  cin  Auftreten  des  Orpheus,  den  Lully  darstellte  —  er  spielte 
ein  Violinkonzert,  ein  Recit  hatte  er  auch  zu  sprechen  — ,  ein  Wettstreit  zwischen  Pieriden 
und  Muaan  u.  a,  m.  Dazwischen  waren  kleine  Komodicn  eingeschaltet,  die  ,,Pastorale  comi- 
que'*  von  Moliire,  zu  der  nur  die  Gesangstexte  erhalten  sind,  ,,Les  poetes"  von  einem  unbe- 
kanntcn  Autor,  mit  eincr  Mascarade  cspagnole,  und,  1667  zugefiigt,  ,,LeSicilien**  von  Moliere, 
in  einer  der  spateren  komJschen  Oper  nahestchenden  Form  mit  gesprochenem  Dialog,  Bense 
rade  zog  sich  1669  zuruck  (,,Ballet  de  Flore"),  Moliere  schrieb  zwar  noch  einige  Hauptwerke 
(,,M,  de  Porceaugnac'*,  1669,  ,,Lcs  amants  rnagnifiques'*,  1670,  ,,Le  bourgeois  gentilhomme*', 
1670),  auch  das  Com^die-ballet  aber  mufite  der  Musiktragodie  weichen,  die  das  Ballett  in  sich 
aufsog*  Molieres  letzte  Arbeit  mit  Lully  war  ,,Psyche*',  1671 ,  unter  Teilnahme  P.  Corneilles,  sie 
wurde  1678  dann  in  eine  Musiktragodie  urngegossen.  Nach  seinem  Bruch  mit  Lully  zog  Mo- 
liire  Charpentier  heran  (f,Le  Malade  Imaginaire*').  Ludwig  XIV.  trat  vom  Ballett  zuruck,  er 
liefi  1681  das  Ballet  de  Cour  noch  einmal  aufleben,  ohne  aber  selbst  mitzutanzen  (,,Le 


Die  franzosische  Oper  bis  1 750 


triomphe  de  i'amour"  von  Benserade  und  Quinault),  erst  damals  wurden  Tanzerinnen  zugelassen. 
Das  selbstandige  Ballett  lebte  nun  nur  mehr  in  Schulkollegien  fort,  insbesondere  bei  den  Je- 
suiten,  wo  Tanzallegorien  weitergepflegt  wurden.  1 720  gab  es  endlich  unter  Ludwig  XV.  ver- 
gebliche  Wiederbelebungsversuche  mit  dem  Ballet  de  cour. 

Die  italienische  Oper  hat  aber  in  Paris  nicht  blofi  auf  das  Ballet  de  cour  und  das  gesprochene 
Drama  bereichernd  eingewirkt,  sie  hat  auch  geradezu  franzosische  Nachahmungen  angeregt.  Erne 
Reihe  von  franzosischen  Pastoralen  verdanken  ihr  die  Entstehung.  Bald  nach  dem  ,,0rfeo" 
schreibt  Dassoucy  die  Comedie  en  musique:  ,,Les  Amours  d'Apollon  et  de  Daphne",  wobei  er 
aber  wieder  gesprochenen  Dialog  benutzt,  spater  folgen  andere  Versuche,  die  ganz  in  Musik  ge- 
setzt  wurden,  wie  die  Idylle  ,,Le  triomphe  de  1*  Amour"  von  Charles  de  Beys,  Musik  von  Michel 
de  la  Guerre  (1654),  oder  Camberts  ,,La  Muette  ingrate"  (1658),  kleine  kantatenhafte  Gebilde, 
deren  Musik  nicht  erhalten  ist.  Im  Zug  dieser  Bestrebungen  liegt  die  vielgenannte  ,,Pastorale 
d'Issy"  von  Perrin  und  Cambert,  die  der  Dichter  selbstgefallig  erste  franzosische  Musik- 
pastorale  nannte.  Auch  ihre  Musik  ist  verloren,  Perrin  liefi  (1660)  mit  Cambert  eine  Musik- 
komodie  ,,Ariadne  et  Bacchus"  und  mit  Boesset  eine  Musiktragodie  ,,La  mort  d 'Adonis"  folgen, 
beide  blieben  unaufgefiihrt.  Ein  Jahrzehnt  spater,  1669,  erlangte  Perrin  endlich  das  konig- 
lichePrivileg,  franzosische  Opern  aufzufiihren,  worauf  er  sich  mit  Cambert  und  zwei  anderen 
Personlichkeiten  zur  Begriindung  eines  Opernunternehmens  vereinigte,  das  1671  mit  der  Pa 
storale  ,,Po mone",  in  fiinf  Akten  und  einem  Prolog,  eroffnet  wurde.  Von  Camberts  Musik  sind 
wieder  nur  Bruchstiicke  erhalten  (Prolog,  erster  Akt,  fiinf  Szenen  des  zweiten),  bei  Ballard  ge- 
druckt;  sie  bleibt  an  Bedeutung  hinter  dem  zuriick,  was  Lully  damals  bereits  an  franzosischen 
Texten  geleistet  hatte,  ist  vielmehr  davon  beeinflufit.  Schon  textlich  ist  das  Stuck  als  zu  breit 
angelegte  Idylle  mifigluckt,  die  Musik  teilt  die  Mangel  an  dramatischem  Leben,  hochstens  das 
weiche  Rezitativ  des  werbenden  Autumne,  das  den  Akt  beschliefit,  hebt  sich  etwas  ab.  Chor  und 
Ensemble  tritt  haufig  hervor,  beliebt  sind  Chansons,  die  vom  Chor  wiederholt  werden,  so  ist 
gleich  die  erste  Szene  durch  eine  solche  Wiederholung  im  Terzett  artig  geschlossen,  auch  im 
Innern  formal  geschickt  und  wirksam  gruppiert,  der  Prolog,  eine  Dialogszene,  wird  thematisch 
an  den  Anfang  der  Ouvertiire  angeschlossen,  die  Lullys  Form  verschmaht  und  eine  vierteilige 
Kanzone  verwendet.  Lullys  Ouvertiire  war  aber  schon  1661  von  Beauchamps  iibernommen 
worden.  Vor  dem  ersten  Akt  folgt  eine  zweite,  zweisatzige  Ouvertiire,  wahrend  Lully  an  dieser 
Stelle  meist  die  Anfangsouvertiire  wiederholen  laBt ;  dem  Ballett  ist  in  dieser  Pastorale  keine 
hervorragende  Beteiligung  vorbehalten.  Die  Notation  zeigt  den  bei  Lully  schon  friiher  iiblichen 
Taktwechsel  nach  der  Deklamation.  Im  Text  der  spateren  Akte  sind  Theatereffekte,  wie  in  der 
Drachenszene,  herangezogen.  Camberts  Begabung  lafit  sich  auch  nach  dem  wieder  allein  er~ 
haltenen  ersten  Akt  der  zweiten  Pastorale  ,,Les  peines  etles  plaisirsdel'amour",  1672,  nicht 
hoher  bewerten,  die  Lullys  Form  nahestehende  Ouvertiire  greift  am  SchluB  direkt  zu  Lullys 
pathetischem  Sprachschatz.  Den  Text  zu  dieser  Oper  schrieb  Gilbert,  denn  der  Abenteurer 
Perrin  safi  in  Schuldhaft,  sein  Unternehmen  krankte  unheilbar  an  inneren  Differenzen.  So  war 
es  nur  selbstverstandlich,  wenn  die  Leitung  an  den  bewahrten  Theaterfachmann  Lully  iibcrging, 
der  Perrin  sein  Privileg  abkaufte  und  die  Academic  Royale  de  Musique,  wie  sich  die  Pariser 
Oper  nannte,  alsbald  zu  unerhortem  Ansehen  brachte.  Im  November  1671  war  zu  Versailles 
ubrigens  noch  eine  Pastorale  ,,Diane  et  Endymion"  von  Guichard  und  Sab  litres  aufgefiihrt 
worden,  deren  Musik  heute  wieder  fehlt. 


Die  franzosische  Oper  bis  1750  649 


Auch  Lully  eroffnete  die  konigliche  Musikakademie  mit  einer  Pastorale  —  ,,Les  fetes  de 
1'Amour  et  de  Bacchus*'  — ,  einem  aus  wirksamen  Hauptszenen  seiner  Ballettkomodien  von  Ver 
sailles,  Chambord  und  St.  Germain  zusammengesetzten  Gelegenheitsstiick,  1673  setzte  sich  die 
Oper  nach  Molieres  Tod  im  koniglichen  Palais  fest,  und  der  Florentiner  schrieb  nun  bis  zu  sei- 
nem  vorzeitigen  Tod  alljahrlich  eine  grofie  Tragodie:  1673  ,,Cadmus  et  Hermione",  1674  ,,A1- 
ceste",  1675  ,,Thesee",  1676  ,,Atys",  1677  ,,Isis",  1678  ..Psyche ',  1679  ,,Bellerophon",  1680 
,,Proserpine",  1682,,Persee",  1683,JPhaeton",  1684,, Amadis",  1685  ..Roland",  1686  flArmide  '. 
Daneben  stehen  einige  Balletteund  Pastoralen:  1681  ,,Le  Triomphe  de  1'Amour",  1685  Racines 
,,Idylle  de  Sceaux"  und  ,,Le  Temple  de  la  Paix",  1686  ,,Acis  et  Galathee".  Alle  liefi  der  Konig 
bei  Ballard  gedruckt  herausgeben.  Lully  wandte  sich  also  von  der  Modegattung  der  Pastorale 
ab,  die  er  schon  1667  gepflegt  hatte,  der  auch  sein  letztes  Werk  gait,  allerdings  in  neuer  Auf- 
fassung,  wahrend  er  1674  La  Fontaines  ,,Daphne"  zuriickwies.  Er  suchte  vielmehr  sein  Vorbild 
im  franzosischen  Nationaldrama  Corneilles  und  Racines  und  er  brachte  die  herrschenden 
asthetischen  Anschauungen  seiner  Umgebung,  die  einseitige  Verstandesnchtung,  den  Rationa- 
lismus  des  Geschmacks  im  Musikdrama  zu  voller  Auswirkung.  Die  Musik  vermeidet  absicht- 
lich  alles  blofi  sinnlich  Schone,  sie  hebt  nur  Wort  und  Dichtung,  stellt  daher  das  Drama  als 
solches  in  den  Vordergrund.  Dieses  folgt  dem  breiten  Pathos  der  Sprechdramas,  auch  seiner 
ganzen  Technik,  der  Teilung  in  fiinf  Akte,  dem  Vertrautensystem,  dem  Versbau  (Alexandriner) 
u.  a.  Die  Venezianer  Einmengung  komischer  Partien  wird  nach  der  ersten  Oper,  Cadmus,  wo 
sie  aufgegriffen  Jst,  vollstandig  beseitigt.  Lullys  Textdichter  Qui nault ,  von  dem  fast  alle  seine 
Opemtextiertsind— mitAusnahme  von  „  Psyche"  und,,  Bellerophon'",  die  Thomas  Corneille  und 
Fontenelle  dichteten,  und  ,,Acis  et  Galathee",  das  Campistron  schrieb — ,  war  gezwungen,  sich 
ganz  Lullys  Ideen  anzupassen.  Den  Stoff  wahlte  der  Konig  mit,  Lully,  die  Verse  wurden  von 
der  Academic  des  belles  lettres  sorgsam  iiberpriift,  dann  aber  von  Lully  nach  f reiem  Ermessen 
gehandhabt.  Quinault  mischte  unter  die  Alexandriner  nach  Muster  der  Recits  im  Ballet  de 
cour,  auch  nach  italienischem  Beispiel,  kiirzere  lyrische  Versmafie,  besonders  vierfiifiige  Jam- 
ben,  Lully  macht  fast  alle  Jamben  unkenntlich  und  giefit  sie  zumeist  in  Anapaste  urn.  Die 
musikalische  Deklamation  halt  sichdabei  eingestandenermafien  an  das  Muster  des  Sprechtheaters, 
insbesondere  an  die  Vortragskunst  der  beriihmten  Marie  Desmares-Champsmesle,  die  von  Lully 
geradezu  studiert  wurde ;  er  schuf  aber  aus  sich  selbst  heraus  etwas  durchaus  Eigenartiges,  was 
friihere  Vers'uche  Lamberts,  Cambeforts  u.  a.  im  Air  de  cour  und  in  Dialogen  weit  hinter 
sich  liefi.  Dieses  realistisch  deklamierende  Rezitativ,  dessen  Streben  nach  Wahrheit  des  Aus- 
drucks  schon  in  der  Aufzeichnung,  im  hauf igen  Taktwechsel  sich  kundtut,  dampft  gleichwohl 
Leidenschaften  und  Personen  gleichmafiig  ab  und  duldet  weder  gefiihlsmafiige  noch  per- 
sonliche  Akzente,  schliefit  sich  aber  andererseits  an  die  altere  Art  der  Durchdringung  mit 
ariosem  Vortrag  an, 

Alccste,  5.  Alct,  Admete 


Je  meurs,  charmante  Al  -  ce  -  ste,  mon  sort     est     as  -  sez  doux,  puis  que  je  meurs  pour  vous, 
Ich     ster  -  be  leicht,  Al  -  ke  -  ste,  und  froh     ist    mir     zu    Mut,    fur  dich  geb'  ich-  mein  Blut. 


Die  franzosische  Oper  bis  1750 


651 


Alceste,  5. 

Akt,  Admete 

S:    *    ^    ^        ^    ^  ~  £  *  ~ 

b 

Quel  - 

Welch 

•  le     dou  -  leur     se  -  ere    -  te      rend  mon  ame     in  -  qui     -     e  -  te,     et    trou-ble,  mon  a- 
ein     ge  -hei  -  mes     Ban  -  gen  macht  das  Herz  mir     be     -    fan  -gen  und  lafit  ihm  kei-ne 

q                                                                                                                   .                                                              £J                                         *            . 

l|      P 

6                                              ?6 

6                                                                                     ,.6          6          7          6 

mour :    Al     -     ce  -  ste  voit    en  -  core  le 
Ruh :     Al     -     ke-sten  seh  -  net    es  sich 


jour,  Mais  c'est  pour    im     au  -  tre  qu'Ad    -    me  -  te. 
zu,  doch  wann  werd  ich     sie  noch  urn     -     fan  -  gen ! 


Mit  ausgesuchter  Kunst  sind  Wiederholungen  einzelner  Partien  und  Refrainbindungen,  auch 
von  Szene  zu  Szene,  eingeflochten,  und  Orchesterbegleitung  beigezogen.  Die  Einheitlichkeit 
der  Behandlung  aber,  die  bis  zur  Einformigkeit  geht,  hat  ebensosehr  Bewunderung  wie  Wider- 
spruch  erregt,  sie  verzichtet  jedenfalls  auf  dramatische  Charakterzeichnung.  Hier  tritt  auch  die 
Arie  nicht  in  die  Bresche,  deren  Ausbildung  als  grofiere  Gesangsform  den  asthetischen  Anschau- 
ungen  Lullys  widersprach.  Das  Air  hebt  sich  in  der  Regel  kaum  vom  Rezitativ  ab  und  bringt  es  nur 
zu  einfachen  kleinen  Gebilden,  ist  zumeist  zweiteilig,  mit  typischer  Wiederholung  des  Anfangs 
(ausgeschrieben),  daneben  auch  dreiteilig  mit  Da  Capo,  hat  also  einfache  Liedformen,  ohne  me- 
lodisch  und  gesangstechnisch  hohere  Anforderungen  zu  stellen.  Die  Melodik  schlieBt  sich  fran- 
zosischen  Vordermannern  an,  weicht  volkstumlichem  Einschlag  aber  aus.  Immerhin  nahert  sich 
mancher  Gesang  dem  Vaudeville,  wie  umgekehrt  das  Vaudeville  gern  zu  Lully  griff.  Kolo- 
raturen  sind  verpont,  schleichen  sich  aber  doch  bei  Wortmalereien  hier  und  da  ein,  nach  dem 
Tod  Lullys  wurden  auch  seine  Opern  mit  Gesangsverzierungen  belebt.  Selten  ist  die  Rondo- 
form  in  der  Arie  (z.  B.  Alceste  III,  Isis  V),  selten  auch  der  ostinate  Bafi  (z.  B.  Atys  I,  Szene  3 
und  4,  Persee  II,  Roland  III).  Freiere  Formen,  Ariosi  und  durchkomponierte  Arien  finden  sich 
gelegentlich  gern  in  bedeutungsvollen  Monologen,  wie  insbesondere  in  dem  beriihmten  Gesang 
Renauds  (Armide  II).  Zumeist  sind  diese  Monologe,  die  Brennpunkte  der  inneren  musikali- 
schen  Dramatik,  durchaus  rezitativisch,  mit  Wiederholungen  markanter  Stellen,  wie: 

Thes^e,  2.  Akt,  Mede-e 


S-OMHH* 

^fe35- 

=*-*-B^ 

:r5f=?Ezzr?n: 

—  "  H  r^  — 

y^= 

•^r-  •  —  *~  *— 

De  -  pit 
Es     sei 

mor  -  tel, 
der  Ei 

trans-port 
-  fer-sucht, 

^     -1"          K           ^ 
ja      -      loux,     Je 
dem          Neid  mein       L 

m'a  -  ban 
e  -  ben 

p     C                                       -1-                                 j 

-H-l-  — 

m  

h-  ~  

vous! 
weiht! 


In  den  spateren  Werken  ist  gern  Orchesterbegleitung  ausgebreitet,  z.  B.  in  Roland  IV.  Das  Rezi 
tativ  wird  auch  von  zweien  oder  vom  Chor  gesungen.  Kleine  Duettstellen  oder Trios  begegnensehr 
haufig,  viel  ofter  als  in  der  Oper  der  Italiener,das  Zusammensingen  erfolgt  aber  regelmafiig  Note 


42     H.  d.  M. 


Die  franzosische  Oper  bis   1750 


gegen  Note.  Grofie  Bedeutung  hat  in  Luilys  Oper  der  Chor,  seine  Teilnahme  geht  iiber  alles 
bisher  dagewesene  Mafi  hinaus.  Lully  kniipfte  hier,  wie  in  der  allgememen  Hochstellung  von 
Wort  und  Dichtung,  an  das  Florentiner  Musikdrama  an  —  Florenz  war  seine  Heimat  — ,  er  lehnt 
sich  aber  zugleich  an  die  Traditionen  des  Ballet  de  cour  und  an  Butis  Mischformen  von  Ballett 
und  Oper  an.  Fur  eine  zwingende  aufiere  Theatralik  ist  die  ganze  Prachtentfaltung  von  Ballet 
de  cour  und  Maschinenoper  derBarberini  aufgeboten,  sie  war  fur  die  nationale  Musiktragodie 
ebenso  wesentlich  wie  das  Seelendrama  selbst.  Ballette,  Aufziige  und  grofier  Chor,  getragen 
von  verschwenderischer  Beteiligung  der  szenischen  Kiinste, — die  Ausstattung  besorgUn  To- 
relli,  Vigarani,  Errard,  Rivani  u.  a.  —  geben  den  glanzenden  Rahmen  ab  zu  der  emheithch  ge- 
fuhrten  Handlung,  deren  Grundgedanken — Ruhm  und  Liebe — sie  mit  grofiem  Schaugeprange 
versinnlichen.  Der  romantische  und  damomsche  Apparat  schneidet  aber  auch  tief  in  die  mnere 
Dramatik  ein.  Die  machtigen,  ganz  selbstandigenProloge  zu  Ehren  des  Konigs,  die  jede  Vor- 
stellung  einleiten,  sind  selbst  kleinere  Ballets  de  cour  und  auf  glanzvolle  Vereinigung  aller 
Theaterkiinste  abgestimmt.  In  dieser  Art  sind  sie  in  der  italienischen  Oper  Seltenheit  (z.  B.  in 
Cestis  ,,Pomo  d'oro"),  Lully  lafit  hier  das  Pastorale  hervortreten,  wodurch  sie  sich  von  den 
kriegerischen,  priesterlichen  oder  damonischen  Massenszenen  der  Oper  selbst  abheben.  In  ty~ 
pischen  Refrain wendungen  ist  der  Zusammenhang  mit  dem  italienischen  Opernprolog,  der  vom 
Strophenlied  ausgmg,  noch  immer  gewahrt. 

Alceste,  Prolog,  NympKe  der  Seine 


Le     He  -    ros      que       j'at  -  tens,        ne        re  -  vien  -  dra  -  t'il       pas? 
Un  -  ser      Held  kehrt       zu  -  ruck,      nach     dem       es       uns       ver  -   langt. 


Die  musikalische  Satzarbeit  des  Chors  ist  dabei  fast  durchwegs  homophon,  die  Form  lied-  oder 
tanzartig,  gern  in  grofieren  Verhaltnissen  rondomafiig  abgerundet.  Die  Ausarbeitung  oblag  zum 
grofien  Teil  der  musikalischen  Kanzlei  Luilys,  der  die  Detailausfuhrung  uberlassen  blieb.  Wir 
finden  Frauen-,  Manner-,  Echochore,  geteilte  Chore,  Chore  hinter  der  Szene  u.  dgl.  In  den 
Tanzen  und  der  sonstigen  Instrumentalmusik  wagt  sich  das  rein  Musikalische  gewohnlich 
am  weitesten  vor.  Die  Tanze  wurden  popular,  die  zahlreichen  kleinen  Ritornelle  aber  sind  drama- 
tisch  von  grofiter  Bedeutung,  zumal  da  von  Lully  ihre  pantomimische  Ausdeutung  streng  durch- 
gearbeitet  wurde.  Sind  sie  so  dramaturgisch  deskriptiv  gedacht,  so  stehen  daneben  viele  Satze 
rein  auBerer  Programmusik,  neben  Schlachtengemalden,  Seestiirmen,  Erdbeben,  Schmiede- 
szenen  Bilder  zarter  Naturpoesie.  Das  Orchester  ist  mit  vielen  Feinheiten  gehandhabt.  Luilys 
Ouvertiire  hat  in  Form  und  Ausdrucksgehalt  lange  Zeit  nachgewirkt,  die  Sorgfalt  in  der  Fiihrung 
der  Mittelstimmen  wurde  mustergiiltig,  die  grofien  Chaconnen  und  Passacaillen  der  Ballette 
iibten  gleichfalls  auf  dem  Theater  und  auCerhalb  desselben  starken  Einflufi  aus,  auch  das  Me- 
nuett  kam  durch  Lully  in  Mode. 

Lully  herrschte  15  Jahre  unumschrankt  in  der  Koniglichen  Musikakademie,  er  war  das  erste 
Beispiel  eines  Theaterdiktators  in  der  Operngeschichte,  der  alle  Zweige  der  vielgliedrigen 
Opernorganisation  unter  einen  eisernen  Willen  zwang,  seine  Personlichkeit  beherrscht  aber 


Die  franzosische  Oper  bis  1750  653 


auch  in  der  Folgezeit  bis  Gluck  die  franzosische  Oper.  Er  hatte  das  Musikdrama  dem  franzo- 
sischen  Zeitempfmden  nahegebracht  und  eine  gesungene  Theaterkunstform  festgelegt,  die  der 
gesprochenen  klassischen  Tragodie  an  die  Seite  trat,  ja  sie  an  Anziehungskraft  uberfliigelte. 
Seine  Biihnenwerke  werden  bis  in  die  siebziger  Jahre  des  1 8.  Jahrhunderts  aufgefuhrt,  sie  leben 
aber  auch  in  der  Opernproduktion  Frankreichs  bis  auf  Rameati  fort.  Seine  Schule  pflegt  die 
lyrische  Tragodie  in  fiinf  Akten  und  Prolog,  dabei  spielen  die  drei  Sohne  des  Meisters  eine 
untergeordnete  Rolle,  bedeutender  wirken  Colasse,  Desmarets,  Marais,  Campra,  Destouches. 
Quinaults  Vorbild  bleibt  fur  dessen  viel  talentlosere  Nachfolger  mustergiiltig.  Griechische  und 
romische  Mythologie  und  Sage  liefern  vorwiegend  den  Stoff,  der  Ubertritt  Quinaults  zur  mittel- 
alterlichen  Heldengeschichte  in  seinen  letzten  Dichtungen  findet  seltener  Nachahmung,  seine 
Texte  werden  bis  in  die  Revolutionszeit  neu  komponiert,  sein  grofies  Wort-  und  Schaugeprange 
wird  nachgemacht,  das  einfache  Schema  der  Handlung:  Trennung  zweier  Liebender  durch 
einen  machtigen  Nebenbuhler,  der  gern  durch  Zauberkrafte  gestiitzt  ist,  bleibt  gewahrt.  Der 
Situationsmusik  ist  schematisch  Gelegenheit  geboten,  besonders  der  Schilderung  von  Gewitter 
und  Sturm.  Die  ersten  solchen  Tempetes  sind  in  Colasses  ,,Thetis  et  Pelee"  (1689),  in  Campras 
,,Hesione"  (1 700)  und  „  Idomenee"  (1 7 1 2),  in  Marais  ,,Alcyone"  ( 1 706)  zu  finden.  UberKaupt  wer 
den  musikalischeStimmungsbildermitentfalteterOrchesterbegleitung  besonders  von  Campra  und 
Destouches  sorgfaltig  entworfen,  Naturgemalde,  Schlummerszenen,  die  Schrecken  der  Unter- 
welt,"Beschworungen,  Orakel  und  ahnliches  eindringlich  gestaltet.  In  all  dem,  wie  im  Formalen, 
ist  Lully  vorbildlich.  Die  Pastorale  tritt  gegeniiber  der  Tragodie  zuriick  (,,Isse"  von  Destouches, 
1697,  u.  a.),  hingegen  nimmt  von  Lullys  ,,Fete  de  1'Amour"  eine  Gegenstromung  gegen  die 
gleichformige  mythologische  grofie  Oper  Ausgang,  die  das  alte  Ballet  de  cour  ohne  Tanz  der 
Hofgesellschaft  im  Rahmen  der  Oper  aufleben  lafit  und  dem  Opernballett  in  alien  Gesellschafts- 
kreisen,  in  Paris  und  in  der  Provinz,  enormen  Anhang  gewinnt.  Die  dramatische  Handlung  wird 
zuriickgedrangt,  ihre  Einheitlichkeit  aufgegeben,  jeder  Akt  selbstandig  gemacht,  es  besteht  nur 
ein  loser  Zusammenhang  allgemeinen  Charakters,  Musik  und  Tanz  ist  die  Hauptsache,  die  Stoffe 
sind  grazios,  galant.  Das  ,,Ballet  desSaisons"  von  Pic  und  Colasse  (1695),  teilweise  mit  Musik 
von  Lully,  oder  die  Pastorale  ,,La  Naissance  de  Venus"  (1 696)  zeigen  schon  JmTitel  den  Anschlufi 
ans  Hofballett.  Pascal  Colasse,  Lullys  Sekretar,  wurde  librigens  zeitlebens  des  Plagiats  an  Lully 
beschuldigt,  er  hat  auch  Lullys  unvollendete  Tragodie  ..Achille  et  Polyxene"  beendet.  Beson- 
cieren  Beifall  hatte  mit  aneinandergereihten  Ballettszenen  Andre  Campra  (1660—1744),  der 
von  der  Kirchenmusik  zur  Oper  iiberging.  Sein  erstes  Werk,  ,,L'Europe  galante"  (1693),  Text 
von  Houdard  de  la  Motte,  das  er  unter  dem  Namen  seines  Bruders  erscheinen  liefi,  war  gleich 
ein  schlagender  Erfolg.  Nach  einem  Prolog  reihen  sich  Liebesszenen  in  vier  Landern  aneman- 
der;  die  Musik  wird  geschmeidiger  und  nimmt  Anlehnung  an  italienische  Art.  Im  Rezitativ 
fallen  Parlandostellen  auf,  die  Arie  gewinnt  grofieres  Ansehen  und  Ausdehnung,  Da-Capo-Arien 
treten  hervor,  Breiter  Raum  ist  dem  Tanz  gegonnt.  Schon  stofflich  wird  Italien  herangezogen, 
noch  mehr  in  spateren  Karnevalsballetten,  wie  in  ,,Carnaval  de  Venise"  (1699)  und  ,}Les  Fetes 
Venitiennes**  (1710),  Text  von  Danchet.  Im  erstgenannten  treffen  wir  drei  Kantaten  nach  der 
italienischen  Mode,  sowie  eine  italienische  Sinfonie  vor  der  eingeschalteten  kleinen  Oper  ,,0rphee 
aux  Enfers",  dann  den  Siziliano.  Die  venezianischen  Feste  vereinigten  Prolog  (,,Carnaval  dans 
Venise")  und  3  bis  4  Entrees,  die  bei  verschiedenen  Auffiihrungen  wechselten.  So  hat  Campra 
nacheinander  folgende  Bilder  komponiert:  ,,Fetes  des  Barqueroles" ,  ,,Les  Serenades  et  les 


£C4  Die  franzosische  Oper  bis  1750 


Joueurs",  ,,L'Amour  Saltimbanque ',  ,,LaFete  marine44,  ,,LeBal  ou  le  Maitre  aDanser  \  ,,Les 
Devins  de  la  place  St.  Marc",  ,,L'Opera  ou  le  Maitre  a  chanter",  ,,Le  Triomphe  de  la  Folie." 
Auch  aus  anderen  Opern  wurden  Prologe  oder  Einlagen  eingemengt.  Hier  sind  schon  geradezu 
italienisch  textierte  Arien  eingeschaltet  —  eine  Koloraturarie  im  ausfiihrlichen  Wettstreit  zwi- 
schenGesangs-und  Tanzmeisterwirdnachdem  Hauptteil  abgebrochen -—,  daneben  zahlreiche 
Da-Capo- undBravour- Arien  mit  franzosischem  Text,  auch  mitDevise,  einmal  mit  ausgeschrie- 
benem  Da  Capo;  haufig  wird  der  Hauptteil  der  Arie  nachtraglich  als  Tanz  wiederholt.  Daneben 
stehen  zweiteilige  Airs  und  mehrere  Rondoformen.  Auch  zwei  Kantaten  sind  ausdriicklich  be- 
zeichnet.  Hervorzuheben  ware  noch  ein  belebender  Zug  im  Rezitativ,  den  Rameau  iibernommen 
hat,  namlich  das  Ankiindigen  folgender  Instrumentalmusik  mit  ihren  erstenTakten  (Annonce). 

Bei  der  Verwendung  italienischer  Einlagen  hatte  Campra  in  Destouches  einen  Vorganger,  der 
1704  in  der  Ballettkomodie  ,,Le  Carnaval  et  la  Folie"  die  beruhmte  Szene  des  Professeur  de  la 
Folie  ganz  in  italienischer  Sprache  eingelegt  hatte.  Andre  Destouches  (1672—1 769),  Campras 
Schiller,  der  auch  in  ,,L'Europe  galante"  mitarbeitete,  ist  in  der  Ubergangszeit  zu  Rameau  neben 
Campra  die  markanteste  Erscheinung.  Nach  abenteuerlichen  Lebensjahren,  erst  Jesuit,  dann 
Soldat,  kam  er  zur  Musik  und  brachte  insbesondere  in  die  lyrischen  Partien  der  franzosischen 
Oper  einen  frischeren  Zug,  wobei  er  gern  reichere  harmonische  Mittel  wahlte.  Die  Form  seiner 
Stimmungsmonologe  entfaltet  Lullys  Anlagen  zu  ausgedehnteren  MaBen,  so  gleich  in  seinem 
(1708  umgearbeiteten)  Erstlingswerk  ,,Isse"  (1697),  wo  die  erste  Szene  Isses  in  ein  Da  Capo, 
die  zweite  rondoartig  zusammengefaBt  ist.  Als  Arienbegleitung  fallen  in  dieser  Oper  Floten  und 
Violinen  allein  auf,  was  auch  von  Rameau  Iibernommen  ist.  Die  ,,0mphale"  (1 701 ),  deren  Wie- 
derholung  1 752  den  Buffonistenstreit  veranlafit  hat,  zieht  neben  dem  Rondo  zweimal  den  Basso 
ostinato  in  wichtigen  Stimmungsmonologen  heran,  so  im  Lamento  der  Omphale.  Auch  das  weist 
auf  italienischen  Einflufi  hin.  Damals  setzten  (1702)  mit  der  Kampfschrift  des  Abbe  Raguenet 
fur  die  italienische  Oper,  die  Freneuse  de  la  Vieuville  (1 704)  als  Anwalt  der  franzosischen  Oper 
leidenschaftlich  beantwortete,  die  asthetischen  Auseinandersetzungen  iiber  die  franzosische 
Musiktragodie  ein,  deren  literarische  Fehde  fast  das  ganze  Jahrhundert  andauerte  und  oft  sehr 
sturmische  ZusammenstoBe  verursachte.  Nach  Art  der  italienischen  Pasticcios  wurden  von 
Campra  die  sogenannten  ,,Fragmente"  in  Mode  gebracht,  wobei  zunachst  Bruchstiicke  von 
Lully  vereinigt  waren  (1702),  dann  in  den  ,,Fragments  modernes  ou  Telemaque"  (1704)  eine 
Reihe  neuerer  franzosischer  Komponisten  zusammengespannt  wurde.  Diese  Einfiihrung  be- 
hielt  grofien  Beifall.  Die  gemeinsame  Arbeit  mehrerer  Tonsetzer  an  einem  Opern werk  war  schon 
friiher  in  Frankreich  etwas  Gewohnliches,  der  Freundschaftsbund  Rebel  und  Francoeur  be- 
scherte  der  Musikakademie  spater  eine  groBe  Zahl  von  erfolgreichen  Opern;  die  beiden  standen 
auch  gemeinsam  1751 — 1767  an  der  Spitze  der  Akademie.  Vor  und  neben  ihnen  wirkten  noch 
Charles  Hubert  Gervais,  Colin  de  Blamont,  Jean  Mouret  u.  a.  Entscheidenden  Eindruck  auf 
Rameau  machte  die  biblische  Oper  ,Jephte"  von  Abbe  Pellegrin  und  Monteclair  (1732),  schon 
im  Stoff  eine  vereinzelte  Erscheinung  in  Frankreich.  Im  folgenden  Jahr  trat  Rameau  mit  der 
ersten  Oper  hervor. 

Jean  Philippe  Rameau  (1683 — 1764),  die  Hauptpersonlichkeit  unter  den  von  Geburt  fran 
zosischen  Musikdramatikern,  wandte  sich  erst  fiinfzigjahrig  der  Oper  zu,  als  seine  theoretischen 
Arbeiten  schon  Ansehen  genossen.  Seit  1723  hatte  ihn  zwar  sein  Landsmann  Piron  an  einem 
Vorstadttheater  bei  Komodienmusiken  beschaftigt  1 727  trat  er  dann  vergeblich  an  den  beriihm- 


Die  franzosische  Oper  bis  1750 


ten  Librettisten  Houdard  de  la  Motte  um  ein  Textbuch  her  an,  1732  begann  Voltaire  eine 
biblische  Oper  ,,Samson"  fur  ihn,  die  an  der  Musikakademie  zuruckgewiesen  wurde.  Von  1733 
bis  1 760  brachte  Rameau  etwa  25  Biihnenwerke  zur  Auffiihrung,  begegnete  anfangs  starkem 
Widerspruch,  wurde  als  Anhanger  der  italienischen  Richtung  heftig  angefeindet,  seit  dem 
Buffonistenstreit  aber  als  Nationalkomponist  gefeiert  und  neben  Lully  gestellt.  Seine  Werke 
umfassen  fiinf  lyrischeTragodien,  namlich  seinen  Erstling  ,,Hippolyte  et  Aricie"  (1733),  nach 
Racines  Phedre,  ,,Castor  et  Pollux"  (1737),  ,,Dardanus"  (1739),  ..Zoroastre"  (1749)  und  ,,Aba~ 
ris  ou  les  Boreades"  (unaufgefiihrt).  Nacb  Lullys  Schema  bestehen  sie  aus  Prolog  und  funf  Ak- 
ten,  doch  hat  der  ,,Zoroastre"  den  Prolog  aufgegeben.  Der  Text  ist  immer  fur  Rameau  Neben- 
sache,  mehr  noch  in  den  Ballettopern  und  Pastoralen,  seine  Librettists  sind  unbedeutend  (Pel- 
legrin,  Gentil  Bernard ,  Cahuzac  u.  a.),  die  Divertissements  uberwuch^rn,  die  Schaulust  wird 
reichlich  bedacht.  An  dramatischer  Einheitlichkeit  sind  Lully  und  Quinault  iiberlegen,  doch  ist 
die  musikalische  Gestaltung  nun  sehr  bereichert,  die  dramatische  Spannkraft  einzelner  Hohe- 
punkte  eine  unmittelbar  packende  und  ganz  gewaltige,  die  technischen  Mittel  werden  sehr  ge- 
steigert  aufgeboten,  der  Orchesterapparat  ist  glanzend  gehandhabt,  das  Formengertisterweitert, 
Kontrapunkt  und  besonders  Harmome  groBziigig  ausgebreitet.  Die  freie  harmonische  Gebah- 
rung  trug,  etwa  gleich  im  Parzentrio  der  ersten  Oper, 


Schema 


manchen  Tadel  ein  (,,Destillateur  barocker  Akkorde").  Im  allgemeinen  gilt  immer  noch  Lullys 
Stilmuster  weiter;  so  fur  die  Ouverture,  die  wieder  nach  dem  Prolog  wiederholt  wird.  Spater 
lost  Rameau  das  Schema  durch  freiere  Mischgebilde  mit  der  italienischen  Symphonie  ab,  in  ,,La 
Princesse  de  Navarra"  und  im  „ Zoroastre".  Der  Hang  der  Franzosen  zur  Programmusik  fiihrt 
zu  mehreren  Programmouverturen,  die  das  Chaos  schildem  oder  einen  Titanenkampf,  ein 
Feuerwerk,  oder  wo  den  Klagen  iiber  Volksunterdruckung  ein  Gemalde  gliicklicher  Zeiten  gegen- 
ubersteht  (Zoroastre).  Auch  sonst  huldigt  das  Orchester  gern  desknptiven  Neigungen,  sowohl 
in  selbstandigen  Satzen  als  auch  bei  der  Untermalung  von  Rezitativ  und  Chorstellen.  Das  Her- 
abgleiten  der  Gottheiten  (Descente),  Ungewitter  und  Donnerschlage  (Tonnerre,  Orage,  Tern  - 
pete),  der  Kampf  mit  Ungeheuern  in  ,,Hippolyte"  und  in  ,,Dardanus",  das  Erdbeben  und  der 
Vulkanausbruch  in  ,,Les  Indes  galantes1'  u.  a.  m.,  sind  symphonisch  breit  ausgesponnen,  auch 
werden  die  Akte  regelmaBig  von  ausdrucksstarken  Ritornellen  eingeleitet,  z.  B. 
Zoroastre,  Anfang  des  3.  Akts.  Chor  hinter  den  Kulissen 


Lent 


doux 


Dieux     0 
Gott  I 


^  N,         ^         \^~JL 


i  * 


656 


Die  franzosische  Oper  bis  1750 


Die  Ritornelle  sind  gern  fugiert  gearbeitet,  wie  in  den  ,,Indes  galantes".  Ein  Hauptgewicht 
legte  Rameau  auf  die  Tanzstiicke,  die  er  auch  selbstandig  zu  ,,Concerts"  far  Klavier  emrichtete  ; 
sie  sind  mit  Gesangspartien  durchsetzt  und  ofters  zu  grofieren  Einheiten  verbunden.  Hier 
zeigt  sich  grofie  Anmut,  z.  B. 

Zoroastre,   1.  Akt,  Chcsui  gradeux 


Doux 


Am  Abschlufi  der  Werke  werden  weite  Chaconnen  gespannt.  Der  Chor  hat  grofie  Aufgaben  zu 
bewaltigen,  ganze  Szenen  sind  von  massiven  Cho'ren  getragen,  von  denen  sich  nicht  selten 
Solostimmen  oder  Soloensembles  loslosen,  wie  in  der  Szene  der  Hohenpriesterin  in  ,,Hippo- 
lyte",  im  Unterweltsakt  von  ,,Castor",  in  Finalesatzen  von  ,,Platee"  oder  ,,Zoroastre".  Trios 
und  Duette  sind  verhaltnismafiig  haufig,  Quartettstellen  seltener.  Die  Monologe  halten  sich 
manchmal  noch  ganz  an  Lully,  mit  Refrainbindung  (,,Hippolyte"  IV  x)  oder  Abrundung  des 
Rezitativs  durch  ein  knappes  Air  (,,  Zoroastre"  V  zweimal),  als  Soloformen  stehen  neben  vielen 
kurzen  Airs  und  dem  seltenen  Rondo  (,,Castor"  IV)  auch  stets  Da-Capo- Arien,  und  zwar 
gern  grofiere  Formen  mit  zweiteiligem  Hauptsatz  und  Koloraturen,  z.  B. 

Zoroastre,  2.  Akt 

Gai,  un  pea  pointe  *  


S= 


£ 


Ai-mez 
Eu-re 


Str.(f) 


vous        a*mez 
Lie     -  be  sei 


vous     sans        ces~se  ra"mour   va   lan-cer    tous    ses    traits, 

oh   -    ne       Gren-zen,  ge  -horcht  ih  -  rer  sanf  -  ten     Ge  -  wait. 


u.  s.  f. 


(•-•  ^  ---  ' 
-  -  " 


m 


Gelegentlich  findet  sich  auch  eine  Dal-Segno-Arie  wie  in  ,,Les  Indes  galantes",  wo  auch  eine  zwei- 
satzigeArie  auftaucht.  Unter den  Ballettopern  ist Rameaus grofiter Versuch  Fuzeliers  ,,Les  Indts 
galantes'*  (1735),  bestehend  aus  Prolog  und  drei  Akten,  zu  denen  spater  ein  vierter  kam,  wobei 
jeder  in  einem  andeten  exotischen  Landstrich  spielt  (,,Le  turc  genereux",  ,,Les  Incas  de  Perou'\ 


Die  franzosische  Oper  bis  1750  657 


,, Fetes  Persanes",  ,,Les  Sauvages").  Die  musikalische  Szenenfiihrung  ist  auch  da  reichhaltig 
und  \veit greif end.  Als  komische  Oper  sei  schliefilich  noch  die  ,,Platee"  von  1745  hervor- 
gehoben,  deren  frische  Ouvertiire  von  allerlei  Naturlauten  wiederhallt;  ihr  Einleitungsteil 
kehrt  dann  notengetreu  im  2.  Akt  beim  Einzug  der  Narrheit  wieder.  Die  Geschichte  der 
gefoppten  Nymphe  ist  auch  sonst  von  Tierstimmen  begleitet  (Eselsgeschrei,  Froschquartett- 
satz  ,,Quoi,  quoi"  u.  a.). 

In  Rameaus  Lebzeiten  f allt  das  Anwachsen  der  komischen  Oper,  vor  der  die  ernste  Oper  und 
die  Ballettoper  rasch  weichen  mufiten.  Mit  Reprisen,  Fragmenten,  Festen  und  Pastoralen  fristet 
die  Musikakademie  eine  diirftige  Zeit  bis  zum  Auftreten  Glucks,  von  Komponisten  kommen  be- 
sonders  in  Betracht  Dauvergne  und  der  Violinist  Mondonville,  dessen  ,,Titon  et  FAurore"  von 
1 753  der  italienischen  Melodienfreude  besonders  nachstrebt.  Die  grofie  Oper  lebt  erst  durch 
Gluck  wieder  auf. 

Literatur 

G.  de  Beauchamps,  Recherches  sur  les  theatres  de  France.  Paris  1735(3.  Bd.). —  G,  Chouquet,  Histoire  de  la 
musique  dramatique  en  France.  Paris  1 873 .  —  J.  B.DureydeNoinville,  Histoire  de {'Academic  Royale  de  Musique 
en  France.  Paris  1754.  —  K.  Dulle,  A.  Destouches,  Diss.  Leipzig  1909.  —  J.Ecorcheville,  De  Lulli  a  Rameau. 
Paris  1906.  —  V.  Fournel,  Les  contemporains  de  Moliere.  Paris  1875.  (Im  2.  Bd.  Histoire  du  ballet  de  cour.)  — 
R.  Haas,  Zamponis  Ulisse,  Z.  f.  M.  III.;  Die  Musik  des  Barocks.  Potsdam  1928.  —  P.  Lacroix,  Ballets  et  mas- 
carades  de  Cour.  Geneve  1868,  3  Bde.  —  L.  Laloy,  Rameau.  Paris  1908.  —  L.  de  la  Laurencie, Lully.  Paris  191 1 ; 
Rameau.  Paris  1908;  Les  Rebels,  S.  I.  M.  G.  VII.;  La  Musique  fran9aisa  de  Lulli  a  Gluck  in  Lavignacs  Encyclopedic 
II.  Paris  1914.  —  F.  Lindemann,  Die  Operntexte  Quinaults.  Diss.,  Leipzig  1904.  —  C.  F.  Menestrier.  TraJte 
des  . . .  spectacles  publics.  Lyon  1669:  Des  representations  en  musique.  Paris  1681 ;  Des  ballets  anciens  et  modernes. 
Paris  1682. —  Ch.  Nuitteret  Fr.  Thoinan,  Les  origines  de  1'opera  francais.  Paris  1886.  —  H.  Prunieres,  Lully. 
Paris  1910;  Notes  sur  1'origine  de  1'Ouverture  francaise  S.  I.M.  G.  XII;  Le  ballet  de  cour  en  France  avant  Lully. 
Paris  1913;  L'opera  italien  en  France  avant  Lully.  Paris  1914.  —  R.  Rolland,  Histoire  de  I'Opera  en  Europe  avant 
Lully  et  Scarlatti.  Paris  1895;  L'Opera  au  17esiecle  en  France  in  Lavignacs  Encyclopedic  I,  Paris  1914.  — 
A.  Sandberger,  R.  Lassos  Beziehungen  zu  Frankreich,  S.  I.  M.  G.  VIII.  —  H.  M  ScHletterer,  Vorgeschichte 
und  erste  Versuche  der  franzosischen  Oper.  Berlin  1885.  —  L.  Striffling,  Esquisse  d'une  histoire  du  gout  musical 
en  France  au  1 8e  siecle.  Paris  1913.  —  J.  Tiersot,  Sur  le  jeude  Robin  et  Marion.  Paris  1897.  —  J.  v.  Wasielewski, 
Die  Collection  Philidor,  V.  f.  M.  I.  —  A.  Wotquenne,  Etude  bibliographique  sur  L.  Rossi.  Bruxelles  1909. 

Neuere  Ausgaben 

E.  de  Coussemaker,  Drames  liturgiques  du  moyen-age.  Rennes  1860.  —  Derselbe:  CEuvres  completes  du 
Ada  m  de  la  Hale.  —  Le  Jeu  de  Robin  et  Marion,  Klav.-Ausg.  v.  E.  Langlois.  Paris  1896.  —  Lully,  Le  Mariage 
force,  Klav.-Ausg.  von  L,.  Celler.  Paris  1867.  Le  Bourgeois  gentilhomme,  Klav.-Ausg.  Paris  1876.  —  Armide, 
Prolog  und  2  Akte  in  Eitners  Publikationen  XIV,  1885.  —  Rameau,  Gesamtausgabe  (C.  Saint-Saens  und 
Ch,  Malherbe)  Bd.  6ff.:  Opern.  —  Chefs  d'oeuvre  classiques  de  1'opera  francais  (Collection  Michaelis),  Klavier- 
au;uuge\om  Ballet comique  de  la  reine(1882);  vonCamberts  Pomone  und  Les  peines  .  .  .;  Lullys  Alceste, 
Armide,  Atys,  Bellerophon,  Cadmus,  Isis,  Persee,  Phaeton,  Proserpine,  Psyche,  Thesee;  Campras  L'Europe 
galante,  Les  festes  Venitiennes,  Tancrede;  Destouches  Isse,  Omphale,  Les  Elements  (mit  Lalande); 
Rameaus  Castor,  Dardanus,  Les  festes  d'Hebe,  Hippolyte,  Les  Indes  galantes,  Platee,  Zoroastre  (Leipzig, 
Breitkopf  &  Hartel).  '  Robert  Haas 


DIE  OPER  IN  ENGLAND  BIS  1740 

Wie  in  Frankreich  das  Hofballett,  so  war  in  England  vor  Einfuhrung  der  Oper  das  Masken- 
s  pi  el  (Masque)  ausgebildet.  Es  wurde  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  aus  Italien,  und  zwar 
wahrscheinlich  liber  Frankreich  ubernommen  und  bildete  den  Mittelpunkt  der  Festlichkeiten 
des  englischen  Hofes,  bestehend  aus  halbdramatischen  Dichtungen  mythologischen  oder  alle- 
gorischen  Inhalts  in  Verbindung  mit  kiihnen  Maschinerien,  Musik  und  Tanz.  Die  Musik  hatte 
schon  in  den  alteren  Disguisings  eine  besondere  Rolle  gespielt,  Tambour  und  Fifer  waren  darin 
bezeichnende  Gestalten  gewesen,  auch  die  Miracle-plays  und  Moral-plays  hatten  die  Musik 
nicht  beiseite  gelassen,  die  grofie  Musikliebe  des  Englands  der  Konigin  Elisabeth  spiegelte  sich 
dann  in  den  Spielen  der  konigl.  Kapellknaben  und  im  Maskenspiel,  wie  in  der  reichen 
musikalischen  Ausstattung  des  gesprochenen  Dramas  wieder.  Die  Stiicke  von  Shakespeare, 
Ben  Jonson,  Beaumont  und  Fletcher  zeichnen  sich  durch  breiten  Musikschmuck  aus. 
Die  Maske  hatte  ihre  BliitezeJt  als  literarische  Gattung  unter  Ben  Jonson,  der  von  1605 
bis  1631  nahezu  allein  die  Dichtungen  verfafite  und  sie  durch  Einschaltung  der  komischen 
Antimasque  urn  groteske  Charakterszenen  bereicherte,  bei  denen  der  Instrumentalmusik 
dankbare  Aufgaben  erwuchsen.  Mit  Jonson  arbeitete  als  Architekt  Inigo  Jones,  die  Musik 
trat  mit  immer  starkeren  Kraften  heraus,  als  die  polyphone  Kunst  abklang  und  die  Rich- 
tung  zum  Sologesang  machtig  wurde.  Die  Monodie  drang  in  Ayrs  und  Dialogues  sehr  rasch 
r.ach  England  ein,  wahrend  der  Chordialog  schon  fruher  eifrig  gepflegt  worden  war.  Der  Dich- 
terkomponist  (und  Arzt)  Thomas  Campion,  Alfonso  Ferrabosco  und  Robert  Johnson  wurden  die 
ersten  beriihmten  Maskenkomponisteri,  ihr  Aufgebot  an  Sangern  und  Instrumentisten  war  dabei 
mitunter  ganz  erheblich.  Die  Maske  zu  Ehren  der  Hochzeit  des  Lord  Hay  (1607)  zum  Beispiel, 
zu  der  Campion  die  Musik  schrieb,beschaftigte  dreiverschiedene,getrennt  aufgestellteOrchester : 
A)  5  Lauten,  1  Bandora,  1  Trombone,  1  Harpsichord,  2Violonen;  B)  9Violinen  und  3  Lauten; 
C)  6  Horner;  aufierdem  beim  Eintritt  des  Konigs  Oboen.  Die  Musik  bestand  aus  Choren, 
Dialogen  und  Einzelgesang  zur  Laute  und  hatte  volkstiimliche  Haltung.  1610  werden  69  Mu- 
siker  genannt.  In  der  ,,Masque  of  Lords"  (1613)  versuchte  Campion  die  Deklamation  mit  Mu 
sik  zu  begleiten,  ,,Mercury  vendicated"  (1 61 5)  und  ,,The  golden  age  restored'*  (1 61 6)  waren  aber 
ganz  gesungen,  ebenso  ,,The  vision  of  delight"  (1617),  wobei  die  Vortragsweise  ausdriicklich 
stylo  recitativo  heifit.  Im  selben  Jahr  wurde  auch  das  Spiel  ,,Lovers  made  men"  nach  italie- 
nischer  Art  im  Rezitativstil  gesungen.  Diese  Versuche,  die  vereinzelt  blieben,  machte  Nicolas 
Laniere,  ein  aus  Greenwich  gebiirtiger  Musiker,  Schauspieler  und  Maler  italienischer  Ab- 
stammung.  Neben  ihm  wirkten  unter  Karl  I.  Coperario  (Cooper),  Coleman,  Ives  und  die  B  ru 
der  Lawes,  Henry  und  William.  Von  Henry  Lawes  riihrt  die  Musik  zu  Miltons  ,,Comus"  her 
(1 634),  ausgebreiteter  ist  die  Musik  in  Shirleys  ,,Triumphe  of  Peace"  beteiligt,  die  William  Lawes 
und  Ives  schrieben  —  sie  ist  unvollstandig  erhalten  und  belegt  die  Fortfuhrung  des  Dekla- 
mationsstils  — ,  oder  in  D'Avenants  ,,The  Prince  d'Amour"  (1636),  von  beiden  Lawes.  1636 
geht  da  die  Musik  nach  einem  kurzen  gesprochenen  Prolog  durch  die  ganze  Maske  hindurch, 
Tanze  und  Gesange  wechseln  miteinander  ab  wie  im  Ballet  de  cour.  Zur  letzten  Maske, 
die  vor  dem  Biirgerkrieg  gegeben  wurde  (D'Avenants  ,,Salmacida  Spolia")  setzte  die  Musik 
ein  Franzose,  Louis  Richard. 


Die  Oper  in  England  bis  1740  659 


Der  politische  Umsturz  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  hatte  fur  die  Theatermusik  ganz  un- 
erwartete  Folgen.  Unter  dem  Commonwealth  waren  zwar  die  Theater  geschlossen,  die  Kirchen- 
musik  wurde  von  den  Puritanern  gliihend  verfolgt,  die  Masken  aber  waren  merit  verhoten,  die 
weltliche  Musik  liefi  man  unbehelligt,  ja  Cromwell  hatte  fur  diese  Musik  sogar  Vorliebe.  1653 
wurde  Shirleys  „ Masque  of  Cupid  and  Death"  mit  Musik  von  Mathias  Locke  und  Christoph 
Gibbons  gegeben  und  spater  wiederholt;  mit  Shirleys  ,,Ajax  and  Ulysses",  Musik  von 
E.  Coleman  (1653),  bezeichnet  sie  das  Ende  der  Maskenperiode.  Auch  die  Musik  zu  „ Cupid 
and  Death"  ist  uns  erhalten,  allerdings  in  einer  1659  datierten  Fassung,  deren  flussiges  Re- 
zitativ  auffallt,  wahrend  von  den  folgenden  Opernversuchen  D'Avenants  leider  kein  einziges 
Notenblatt  mehr  Kunde  gibt.  Der  Dichter  Sir  William  D'Avenant,  der  auf  seiner 
Flucht  in  Paris  Rossis  ,,0rfeo"  und  wohl  auch  Corneilles  ,,Andromeda"  gesehen  hatte,  kam  nach 
seiner  Rlickkehr  nach  London  auf  den  Gedanken,  das  Drama  in  England  auf  dem  Umweg  uber 
d  i  e  0  per  wieder  zur  Geltung  zu  bringen.  Er  brachte  eine  Reihe  opernahnlicher  Stiicke  zur  Auf- 
fiihrung.  ,,The  first  days  entertainment  at  Rutland  house"  (1656)  waren  lose  Szenen,  Dekla- 
mation  und  Musik  ,,nach  Art  der  Alten"  gemengt,  eine  Art  Akademie  unter  Mitwirkung  von 
vier  Komponisten.  Ganz  gesungen  war  dann  ,,The  siege  of  Rhodus",  worm  auch  auf  die 
reiche  Ausstattung  der  Maskenspiele  gegriffen  ist.  Die  Musik  schrieben  Henry  Lawes,  Cook, 
Locke,  Ch.  Coleman  und  G.  Hudson,  die  beiden  letzten  die  Instrumentalmusik,  der  Vater  Purcell 
wirkte  als  Sanger  mit  (Mustapha).  Diese  erste  englische  Oper  wurde  vorbildlich  fur  die  in  der 
Restaurationszeit  modischen  Heroic  plays.  In  ,,The  Cruelties  of  the  Spaniards  in  Peru"  (1658) 
fiihrte  D'Avenant  auch  die  Pantomimen  und  burlesken  Tanze  der  Antimaske  ein,  1659  liefi  er 
noch  ,,The  history  of  Francis  Drake"  und  ,,The  Manage  of  Ocean  and  Britannia"  folgen. 

Die  Maske  wurde  nun  von  der  Oper  verdrangt  und  sank  in  der  Zeit  nach  der  Restauration 
zum  Intermedium  herab,  das  haufig  in  alte  und  neue  Stlicke  eingestreut  ist.  So  war  ernes  der 
popularsten  Werke  Purcells  die  ,,Masque  of  Cupid  and  Bacchus"  in  Shadwells  Bearbeitung  von 
Shakespeares  ,,Timon  of  Athen"  (1694),  zu  der  in  der  ursprunglichen  Fassung  von  1677/78 
Grabu  die  Musik  geliefert  hatte.  Auch  Purcells  ,,Dido  and  Aeneas"  wurde  als  Maske  in  vier 
Zwischenspielen  1700  einer  Bearbeitung  von  Shakespeares  Mafi  fur  Mafi  eingelegt.  Im 
18.  Jahrhundert  taucht  der  Titel  Maske  bei  Opern  wieder  auf,  so  bei  Pepuschs  ,,Venus  and 
Adonis"  oder  ,,Apollo  and  Daphne",  bei  Handels  ,,Acis"  usw.  Unter  Opera  oder  Drammatic 
Opera  verstand  man  in  der  Zeit  nach  D'Avenant  ein  gesprochenes  Theaterstuck  mit  Musikem- 
lagen.  Eine  italienische  Operngesellschaft  gab  allerdings  1660  bei  Hof  Vorstellungen,  1662 
wurde  auch  die  ,,Belagerung  von  Rhodus"  erweitert  wieder  gegeben,  und  seither  blieb  die 
Oper  standig  in  Pflege,  aber  fast  durchaus  mit  gesprochenen  Hauptteilen.  D'Avenant 
bearbeitete  Shakespeare  opernmafiig,  ihm  folgten  Dryden  und  Shadwell,  es  war  Mode,  alle 
Theaterstiicke  in  Opern  umzuwandeln.  Die  Musik  lag  hauptsachlich  in  den  Handen  von 
Mathias  Locke  und  Henry  Purcell.  Die  Tragodie  ,,Psyche"  von  Shadwell  und  Locke, 
die  nach  Molieres  Ballettkomodie  1673  entstand,  heifit  im  Vorwort  des  Musikdrucks  von 
1675  ,,The  english  opera",  wobei  Locke  frei  fur  die  Mischung  von  Musik  und  Sprechtheater 
eintritt,  die  er  seinem  Land  fur  angemessen  erklart.  Neben  Locke  wirkten  G.  B.  Draghi,  der 
Bruder  Antonios,  John  Banister,  Pelham  Humfrey  u.  a.  Daneben  gelangte  bei  Hof  die  franzo- 
sische  Stilrichtung,  dank  der  Matresse  Karls,  in  Gunst,  Lully  schlug  einen  Antrag  Karls  aus,  da- 
fur  liefi  sich  Cambert  gewinnen  und  Louis  Grabu  schrieb  fur  London  u.  a.  Drydens  politische 


660 


Die  Oper  in  England  bis  1740 


Oper  ,,Albion  and  Albanius"  (1685),  die  ganz  durchkomponiert  war.  Dryden  trat  warm 
fur  die  schwachlichen  Produkte  Grabus  ein,  wobei  er  bei  der  Vereinigung  von  Wort  und 
Ton  in  der  Oper  einseitig  der  Musik  das  Vorrecht  zugesteht.  Die  italienische  Musik  behielt 
aber  gegenuber  den  franzosischen  Einflussen  im  Urteil  Englands  die  Oberhand,  die 
englisch-nationalen  Bestrebungen  hielten  sich  einstweilen  lebendig  und  kamen  in  Henry 
Purcell  (1658—1695),  dem  grofiten  englischen  Komponisten,  zu  machtiger,  weithin  leuch- 
tender  Erscheinung. 

Purcell  tritt  in  den  achtziger  Jahren  am  Theater  hervor,  die  zeitliche  Folge  seiner  54  Buhnen- 
werke  ist  durch  BarclaySquire  gegenuber  friiheren  Vorurteilen  einschneidend  berichtigt  worden, 
sodafi  wir  nun  erkennen,  dafi  zunachst  nur  vereinzelte  Versuche  entstanden,  wahrend  sich  Pur 
cells  Haupttatigkeit  in  den  letzten  fiinf  Lebensjahren  des  Meisters  zusammendrangte,  in  Jahren 
von  wunderbarer  Fruchtbarkeit.  Lees  ,,Theodosius"  (1680)  enthalt  ziemlich  viel  Musikein- 
lagen,  in  den  Zwischenakten  Gesang  statt  der  Act-tunes,  dann  erfolgen  nur  einige  Gelegenheits- 
arbeiten,  bis  der  erste  grofie  Wurf ,  zugleich  das  einzige  ganz  durchkomponierte  Werk  die  eigent- 
licheTheaterlaufbahn  Purcells  einleitet.  Das  ist  Nahum  Tates  ,,DidoandAeneas",  aufgefiihrt 
1689  in  der  Pension  des  Tanzmeisters  Josias  Priest  zu  Chelsey.  Es  umfafite  nach  einer 
franzosischen  Ouvertiire  einen  Prolog  —  zu  dem  die  Musik  noch  nicht  gefunden  ist  —  und  drei 
Akte  mit  vier  Bildern.  Durch  die  Vertonung  ist  die  schwachliche  Dichtung  zu  grofier  Wirkung 
gehoben,  besonders  sind  es  die  zahlreichen,  meist  kurzen,  schlagkraftigen  Chorsatze,  die  f risches 
Leben  in  die  Darstellung  bringen.  Sie  folgen  dem  Muster  Lullys,  auch  in  ihrer  gern  homopho- 
nen  Satzweise,  iibertreffen  es  aber  weitaus  in  der  musikalischen  Ausdruckskraft,  die  schon  Han- 
dels  Wucht  atmet,  sowie  in  der  haufigen  Untermengung  kontrapunktischer  Partien,  die  auf  An 
them  und  Oratorium  weist.  Hier  singt  der  gediegene  Kirchenmusiker,  wahrend  andererseits 
wieder  oft  die  englische  Volks-  und  Tanzmusik  vorklingt,  wie  in  den  Synkopen  dpr  dreizeitigen 
Rhythmen. 

Dido  and  Aeneas.   1.  Akt,  Duett  und  Chor 

lill=liNfc£  ' 


.. f _  — J,- _,___.  ____ 


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f-Ff 


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f  r 

Fear      no        dan  -  ger        to     en  -  sue     the     He  -  ro       lo  -  ves  as     well     as  you. 

Gib      dich     ganz  -  der     Freu  -  de      hin,    Ae  -  ne  -  as     liebt      dich,    wie     du  ihn. 

Das  erste  Bild  enthalt  so  fiinf  Chornummern  neben  zwei  Arien,  vierRezitativen  und  abschliefien- 
dem  Tanz  —  es  ist  tonartlich  geschlossen  (c-MolI  —  C-Dur)  — ,  das  zweite  Bild,  die  wieder  to 
nal  geschlossene  Hexenszene  (f-Moll  —  F-Dur)  hat  vier  Chorstellen  neben  fiinf  begleiteten 
Rezitativen,  einem  Duett  und  Schlufitanz.  SchluBchor  und  Furientanz  sind  auf  den  Echoeffekt 
eingestellt,  das  Hohnlachen  der  Hexen  erscheint  zweimal  im  Verlauf  der  Szene,  das  zweitemal 
transponiert,  die  Sorceress  wurdespater  BaBrolle.  Hochdramatisch  ist  Abschieds-  undTodesszene 
im  letzten  Bild  entworfen,  in  England  schreckte  man  vor  dem  tragischen  SchluB  nicht  zuriick. 
Die  beiden  Chore,  die  Didos  Klage  umrahmen,  geben  ihrem  Gesang  den  packenden  Grundton. 
Purcells  Kunst  in  der  technischen  Beherrschung  der  Ostinatoarbeit  ist  in  diesem  beriihmten 
Lamento  mit  seelenvoller  Durchdringung  der  Deklamation  gepaart.  Bekanntlich  liebte  der 
Meister  die  Ostinatovariation  ganz  besonders,  die  in  dieser  Oper  in  den  grofieren  Einzelge- 


Die  Oper  in  England  bis  1740 


661 


sangen  vorherrscht.   Im  ersten  Bild  singt  Dido  schon  eine  Ostinatoarie  —  zweiteilig,  mit  glei- 
chem  RefrainabschluC,  — 

Dido  and  Aeneas,   I .  Akt,  Dido  (Anf  ang) 


Jm  dritten  Bild  folgt  wieder  eine  solche  mit  gehendem  Bafi.  Daneben  steht  im  ersten  Bild  nur 
eine  Da-Capo-Arie  der  Belinda.  Diese  Arie  und  Didos  Lamento  sind  instrumental  begleitet, 
wahrend  alle  anderen  Gesange  Kontinuoarien  sind,  von  Instrumentalritornellen  geschlossen, 
die  die  Arie  oft  sehr  breit  ausklingen  lassen.  Das  Rezitativ  ist  reich  an  ariosen  Partien,  der  Ab- 
schied  zwischen  Dido  und  Aeneas  bloB  rezitativisch  behandelt,  in  einer  kurzen  Duettpartie 
gipfelnd.  Auch  sonst  hat  die  Partitur  mehrere  Duette.  In  Rezitativ  und  Arie  folgt  also  Purcell 
der  venezianischen  Musik,  wahrend  das  Ganze  von  seiner  selbstandigen,  reichen  Personlichkeit 
Zeugnis  gibt,  der  eine  gewisse  Schwermut  ihr  besonderes  Geprage  verleiht. 

Die  Anregung  zu  Purcells  einzigartigem  Stilversuch  der  Didopartitur  bot  ihm  sein  Lehrer 
John  Blow  mit  der  ,,Masque"  ,,Venus  and  Adonis"  (zwischen  1680  und  1687),  die  gleich- 
falls  im  Stil  der  italienischen  Kammerkantaten  durchkomponiert  ist  und  auf  Grund  dieser 
Stilubernahme  zu  echter  englischer  Ausdruckskunst  vortastet. 

In  den  iibrigen  Theatermusiken  Purcells  ist  der  musikalische  Teil  durchwegs  nur  Zutat  zum 
gesprochenen  Drama,  das  also  mit  Lied-  oder  Choreinlagen,  Instrumentalmusik,  Zwischen- 
aktsmusik,  Tanz  und  ganzen  grofien  musikalischen  Szenen  durchsetzt  ist.  Die  grofite  Ausdeh- 
nung  haben  diese  Musikbilder  in  folgenden  drei  Stucken,  die  mit  reicher  Schaupracht  im  Dorset 
Garden  Theatre  (Queens  Theatre)  aufgefiihrt  wurden:  ,,Dioclesian*'  von  Beaumont  und  Flet 
cher,  Einrichtung  von  Betterton  (1 690),  ,,King  Arthur"  von  Dryden  (1 691 ),  ,,The  Fairy  Queen  \ 
eine  anonyme  Bearbeitung  von  Shakespeares  ,,Sommernachtstraum"  (1692).  In  ,,Dioclesian" 
ist  die  Kronung  des  Kaisers  im  2.,  dann  der  Kampf  mit  den  Persern  im  4,  Akt  musikalisch  reich 
untermalt,  mit  vielTrompetenmusik,  auch  eincr  Kontinuoarie  mit  obligaterTrompete,  im  5.  Akt 
bildet  die  grofie  Masque  in  C-Dur  den  Hohepunkt,  ,,King  Arthur"  hat  gleichfalls  mehrere  gro- 


562  Die  Oper  in  England  bis  1740 


Cere  maskenartige  Szenen,  so  die  empragsame  Frostszene  (Cold  Genius,  Cupid  und  Chor),  die 
an  Lullys  Trembleurchor  in  Isis  gemahnt,  oder  den  Sturm  auf  dem  britischen  Ozean ;  Nymphen 
und  Waldgeister  tanzen  und  singen  eine  grofiangelegte  Passacaglia;  Shakespeares  Geist  lebt  im 
Elfendialog,  der  Arthur  bald  hierhin,  bald  dorthin  lockt.  Daneben  wird  vor  Woden  geopfert. 
hort  man  Britons  und  Saxons  kampfen,  erschallt  der  zweistrophige  Siegeschor  der  Bnten.  Die 
,,Fairy  Queen"  teilt  leider  an  Purcell  keinWort  des  Shakespeareschen  Textes  zu,  alle  Einlagen 
sind  neu  zugedichtet.  Sehr  fnsch  und  in  freier  Form  smd  mehrere  heitere  Szenen  entwickelt, 
so  die  „ Scene  of  the  drunken  Poet",  der  ,,Dialogue  between  Coridon  and  Mopsa",  die  lustigc 
Chinesenszene  am  Schlufi  des  Ganzen,  die  den  Basso  ostmato  mehrmals  verwendet  und  mil 
einem  frohlichen  Trumpet  Solo  charakterisiert  ist.  Der  bleibende  Bafi  fiihrt  auch  das  Lamento 
(Plaint)  einer  Da-Capo-Arie.  Echt  romantische  Stimmung  klingt  aus  den  Nacht-  und  Elfen- 
intermezzi,  die  mit  Echos,  Sordinen,  Ostinatobassen,  Fugatosatzen,  Kanons  u.  a.  arbeiten.  Ein- 
mal  leitet  eine  grofie  Symphonic  ein,  vier  Satze  mit  einer  breiten  Canzona  an  zweiter  Stelle. 
Solche  Symphonien  streut  Purcell  auch  sonst  gern  in  seine  Dramenmusiken  ein,  so  gleich  zwei 
in  ,,The  Indian  Queen"  (1695),  eines  seiner  letzten  Werke,  das  sein  Bruder  Daniel  beendigt  hat. 
Vor  dem  ersten  Akt  steht  regelmaBig  eine  franzosische  Ouvertiire,  der  noch  eine  First  Music 
(,,Fairy  Queen"),  eine  First  und  Second  Music  (,,Dioclesian",  „ Indian  Queen")  vorangehen, 
meist  mit  Bezug  auf  den  Prolog,  der  z.  B.  in  der  „  Indian  Queen"  ganz  durchkomponiert  ist 
(Dialog  zwischen  einem  Indianerknaben  und  einem  Indianermadchen). 

Neben  und  nach  Purcell  treten  nur  wenige  Englander  mit  ernsthafter  Theatermusik  mehr  her- 
vor,  z.  B.  John  Eccles,  alsbald  warf  sich  London  der  italienischen  Oper  vollstandig  in  die  Arme 

—  die  franzosische  Richtung  hatte  schon  um  1690  ausgespielt.    1705  fiihrte  Thomas  Clayton, 
ein  vielgereister  Mann,  mit  seiner  ,,Arsinoe,  queen  of  Cyprus"  die  italienische,  ganz  durchge- 
sungene  Manier  ein.  Der  Text  war  englisch,  stellt  aber  nur  die  Ubersetzung  eines  Librettos 
von  Tomas  Stanzani  vor,  die  Musik  war  grofienteils  aus  italienischen  Partituren  zusammenge- 
klaubt.  1 707  folgte  Claytons  ,,Rosamond",  Dichtung  von  Addison,  der  eine  englische  Oper  nach 
italienischem  Muster  versuchte,  dabei  an  der  schwachen  Musik  Claytons  scheiterte.  Inzwischen 
war  1706  Bononcims  ,, Camilla*'  in  Ubersetzung  und  mit  Ersatzarien  1706  aufgefiihrt  worden 

—  Ncapel  1 696,  Wien  1697,  wobei  die  Frage,  welchem  der  beiden  Bruder  diese  Oper  zugehort, 
noch  nicht  einwandfrei  entschieden  ist  — ,  Opern  von  Scarlatti,  Conti  erfreuten  sich  groBen  Bei- 
falls.  Die  italienische  Sprache,  obwohl  nicht  verstanden,  drang  mit  dem  Jtalienischen  Personal 
ein,  zunachst  in  den  Arien,  seit  1710  uberhaupt.  Addison  eiferte  vergeblich  gegen  die  italie 
nische  Opernmode,  1711  feierte  Handel  seinen  ersten  Triumph  (,,Rinaldo").   Nach  1720  ist 
London  unter  Handel  ein  Hauptplatz  der  italienischen  Kunst,  heimische  Krafte  halten  sich  von 
der  grofien  Oper  dauernd  fern,  doch  regt  sich  scharfe  Kritik  in  den  Ballad  operas,  besonders  in 
John  Gays  ,,Beggars  opera"  (1727).  Diese  Gattung,  die  sich,  wie  die  Opera  comique,  auf  volks- 
tumliche  Lieder  stiitzt,  gewinnt  ungeheure  Verbreitung,  hier  und  in  Schauspielmusiken  oder 
Masken  regen  sich  noch  heimische  Krafte  wie  Henry  Carey  oder  Tomas  Arne.  Carey  schrieb 
auch  Texte  zu  englischen  Opern,  die  Deutsche  vertonten  (Lampe  und  Schmidt),  der  Preufie 
Pepusch  pafite  sich  gleichfalls  den  englischen  Verhaltnissen  an,  Arne  wieder  setzte  noch 
1733  Addisons  ,,Rosamond",  1738  Miltons  ,,Comus"  neu  in  Musik,  Mehr  als  ortliche  Be- 
deutung  gewinnen  diese  Stlicke  nicht  mehr. 


Handels  Opern  663 


Literatur 

G.  E.  P.  Arkwright,  Early  Elizabethan  Stage  Music.  The  Musical  Antiquary  I,  IV,  —  W.  Barclay  Squire, 
Purcells  dramatic  Music,  S.  I.  M.  G.  V.  —  R.  Brotanek,  Die  englischen  IVIaskenspiele.  Wien  1902  (Wiener  Beitrage 
zur  englischen  Philologie  15).  —  G.  Calmus,  Die  beggars  opera.  S.  I.  M.  G.  VIII.  —  F.  Chrysander,  Handel. 
Leipzig  1858  (I.  S.251ff.)  ;  H.Carey,  Jahrb.  f.  rnus.  Wiss.  I.  Leipzig  1863.  —  G.  H.  Cowling,  Music  on  the 
Shakespearian  Siage.  Cambridge  1913.  —  E.  J.  Dent,  Foundations  of  English  Opera.  Cambridge  1928. — W.  Nagel, 
Geschichte  der  Musik  in  England,  StraBburg  1894.  —  E.  Naylor,  Shakespeare  et  la  musique.  London  1896.  — 
H.  Parry,  Oxford  History  of  Music  III.  Oxford  1902.  —  E.  F.  Rimbault,  An  historical  sketch  of  the  history  of 
dramatic  music  in  England,  Einleitung  zu  Purcells  Bonduca,  Mus.  Antiqu.  Soc.  1848.  —  P.  Reyher ,  Les  masques 
anglais.  Paris  1909.  —  R.  Roll  and  ,  L'opera  anglais  au  ]7e  siecle  in  Lavignacs  Encyclopedie  II.  Paris  1914. 

Neuere  Ausgaben 

J.  Blow,  Venus  and  Adonis,  hg.  v.  G.  E.  P.  Arkwright  in  The  Old  English  Edition.  —  Th.  Campion, 
Masque  in  honour  of  Lord  Hayes,  Klav.-Ausg.  von  Arkwright.  London  1889  (vgl,  M.  f.  M.  27,  S.  27).  —  Pur  eel  I,  Aus 
gaben  der  Mus.  Ant.  Soc.,  Bd.  3:  Dido,  Bd.  7:  Bonduca,  Bd.  10:  King  Artur  ( 1843).  —  Derselbe:  Gesamtausgabe 
der  Purcell  Society,  gegriindet  1876:  Bd.2:  Timon  (1882),  Bd.  3:  Dido  (1889),  Bd.  9:  Dioclesian  (1900),  Bd  12" 
Fairy  Queen  (1903),  Bd.  16:  Dramatic  Music  I.  (1906),  Bd.  19:  Indian  Queen,  Tempest  (1912),  Bd.  20.  Diamatk 
Music  II.  (1916),  Bd.  21:  Dramatic  Music  III.  (1917).  —  J.  Gay  u.  Pepusch,  The  beggars  opera.  hcrnus<j 
v.  G.  Calmus  Berlin  1912.  Robert  Haa* 


Handels  Opern.  Die  zu  dramatischem  Ausdruck  neigende  Musik  seines  Halhschen 
Lehrers  Friedrich  Wilhelm  Zachow,  Beziehungen  zu  dem  benachbarten  WeiiJenfels,  dessen 
Musikpflege  in  den  deutschen  Opern  Johann  Philipp  Kriegers  gipfelte,  zuletzt  auch  freund- 
schaftlicher  Verkehr  mit  Georg  Philipp  Telemann,  der  im  nahen  Leipzig  als  Leiter  und  Konv 
ponist  der  deutschen  Mefioper  tatig  war,  mogen  die  besondere  Entfaltung  einer  eingeborenen 
Anlage  Handels  gefordert  haben:  die  dramatische  Musik,  zunachst  fur  Jahrzehnte  die  Oper 
wird  das  Kerngebiet  des  Handelschen  Schaffens. 

In  Hamburg,  dem  damals  von  Reinhard  Keiser  beherrschten  Hauptplatz  der  deutschen 
Oper,  sucht  Handel  den  Abschlufi  der  Hallischen  Lehrjahre.  Er  erobert  sich  das  Publikum 
mit  seiner  ersten  Oper  ,,Almira"  (1705),  der  wenige  Wochen  darauf  ,,Nero"  und  spaterhin, 
auf  zwei  Abende  verteilt,  ,,Florindo  und  Daphne"  folgen.  Nur  ,,Almira'4  ist  erhalten.  Ihr 
Text  zeigt  alle  Zersetzungserscheinungen  damaliger  Hamburger  Opernblicher:  das  Durch- 
einander  von  Pathos  und  Posse,  von  angeblicher  Hofluft  und  wirklichem  Gassenduft,  von 
deutscher  und  italienischer  Sprache.  Die  Handelsche  Musik  dagegen  ist  frisch  und  jugendlich. 
Die  vielfaltigen,  doch  meist  knappen  Formen  der  Hamburger  Opern  (vom  ,,trocknen"  und  ,,be~ 
gleiteten"  Rezitativ,  der  steifen  Liedform  des  alteren  Jahrhunderts,  der  lebendigen  volkstiim- 
lichen  Lied-  und  Tanzweise  bis  zu  den  kunstvolleren  dreiteiligen  Formen,  der  freieren  lied- 
haften  deutschen  Arie  und  der  mit  Vorliebe  kolo&turverbramten  italienischen  Da-capo-Arie) 
einheitlich  seelisch  zu  fallen  mit  personlichem  Ausdruck,  dazu  fehlt  es  Handel  noch  an  Kunst- 
und  Lebenserfahrung.  Wo  aber  der  Text  wirklich  an  tragisches  Schicksal  riihrt  oder  an  reines 
Naturgefiihl,  greifen  doch  schon  personlichere,  starke  Klange  ans  Herz.  Und  schon  diese 
Jugendoper  neigt,  der  Grundstimmung  der  Zeit  gemaB,  zu  planvollem  ZusammenschluB  der 
Einzelstiicke  zunachst  zu  Paaren,  aber  auch  dariiber  hinaus  zu  grofjeren,  symmetrisch  ge- 
bildeten  Gruppen,  bestimmt  durch  Gegensatz  und  Verwandtschaft  der  Affekte  und  Tonalitaten 
innerhalb  des  Gesamtablaufs.  Den  Ban  des  klarsten  und  grofizugigsten  3.  Akts  veranschaulicht 


564  Handels  Opern 


lib 

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3         3         4 

444 

Hauptver- 
3  wicklung  3 

Krisis        -<— 
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Duett  Chor 

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1        1 
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folgender  Plan,  jedes  Stuck  durch  Tonart  und  Taktart  (Tempoangabe  fehlt  zumeist),  die 
Paare  der  Handlung  durch  Zahlen,  Bildwechsel  durch  1  bezeichnend : 

Festlicher          Aufzug 
1       2a  2b 

i     i     ;     i     i     i 

g     B    D    d      F     F     ; 

Tanz  Tanz        Tanz 

Wie  jede  Arie  das  Bleibende  (Typische)  einer  Gemiitserregung  aus  der  im  Rezitativ 
vorgetragenen  Handlung  heraushebt,  so  hebt  das  Gefuge  der  Arien  das  Bleibende  des  Ge- 
samtablaufs  empor  zu  reiner  musikalischer  Anschauung.  Wie  ja  auch  die  Philosophic 
dieses  Zeitalters  nicht  nur  das  Bleibende  in  den  veranderlichen  Erscheinungsweisen  der  Dinge 
und  Ereignisse  sucht  (die  essentiae  in  den  modi,  mit  Spinoza  zu  red  en),  sondern  auch  das 
System  der  Formen  und  Gesetze,  welches  das  Bleibende  des  Weltganzen  zu  reiner  philo- 
sophischer  Anschauung  bringt. 

Angesichts  des  Verfalls  der  ersten  Biihne  der  deutschen  Oper  sucht  Handel  seine  Weiter- 
bildung  Jn  dem  klassischen  Opernland  Italien.  Die  Mischung  jugendlichen  uberschwangs 
mit  dem  Einflufi  der  zu  klassischer  Reife  gediehenen  italienischen  Meister  gibt  den  beiden  in 
Italien  entstandenen  Opern  ,,Rodrigo"  (Florenz  1707)  und  ,,Agrippina"  (Venedig  1709)  ihren 
eigentiimlichen  Reiz.  Zwar  nimmt  die  Mannigfaltigkeit  der  Formen  ab,  die  Da-capo-Arie 
Scarlattischer  Pragung  tritt  die  Vorherrschaft  an.  Aber  Handel  gewinnt  dabei  einen  lebens- 
volleren,  flussigeren,  grofizugigeren  Ausdruck  —  eine  Frucht  des  Umgangs  mit  Komponisten 
wie  den  Scarlatti  und  Corelli,  mit  den  Grofien  der  italienischen  Gesangskunst  und  auch  der 
Versenkung  in  die  italienische  Volksmusik.  Mehr  noch  als  dem  ,,Rodrigo"  kommt  das  der 
,,Agrippina"  zugute,  die,  auch  dank  ihres  Textbuchs,  eines  der  starksten  Sturm-  und  Drang- 
werke  der  Opernbiihne  geworden  ist.  Die  zwischen  den  beiden  Opern  meist  in  den  Kreisen 
derArcadiaRoms  undNeapels  zumTeil  geradezuals  Opernersatzgeschriebenen  Kantaten  sind 
nicht  nur  als  Gedankenquelle  fur  spatere  Opern,  sondern  fur  die  Durchgeistigung  des  Handel- 
schen  Opernstils  iiberhaupt  bedeutsam  geworden,  vor  allem  auch  fur  den  Ausdruck  schwe- 
bender,  pastoraler  Stimmungen. 

Bereits  m  Handels  erster  Londoner  Oper  ,,Rmaldo"  (171 1)  ist  der  Sturm-  und  Dranggeist 
zu  mannlich-reiferem  Wesen  erniichtert.  Textlich  und  szenisch  aber  droht  in  diesem  Schau- 
und  Spektakelzauberstlick  dasselbe  Verhangnis,  dem  Hamburg  erlegen  war:  die  Verpobelung 
der  italienischen  Oper,  die,  zumal  aufierhalb  ihres  Mutterlandes,  nur  als  Kunst  einer  europaisch 
gebildeten  Gesellschaftsschicht  moglich,  hier  dennoch  Volksoper  sein  sollte.  Jetzt  steht  der 
Opernkomponist  Handel  vor  der  Aufgabe,  eine  Losung  des  Zwiespalts  Gesellschaftsoper — 
Volksoper  zu  finden.  Er  erprobt  zunachst  das  in  Italien  Erlebte.  Er  tritt,  mehr  in  Erinnerung 
an  die  romische  Arcadia  als  in  Rticksicht  auf  das  Londoner  Publikum,  fur  die  italienische  Opern- 
kultur  ein  mit  dem  ,, Pastor  fido"  (1712)  —  das  Publikum  bleibt  kuhL  Er  packt  es  wieder  mit 
zwei  nach  dem  Vorbild  des  erfolgreichen  ,,Rinaldo"  angelcgten  Zauberopern  ,,Teseo"  (1713) 
und  ,,Amadigi"  (1715).  Aber  er  gibt  dern  ,,Teseo"  mehr  von  der  Kultur  des  Pastorale  mit, 
vor  allem  indem  erden  ublichcn  Kchrausjubel  zu  jencm  erclonthobcMU'n  tiinzerischcn  Schweben 


Handels  Opern  665 


erhoht,  das  von  nun  an  die  Schliisse  seiner  Opern  verklart.  Auch  der  seltsame,  einen  ernsten, 
schweren  Operntext  mit  einer  leichten,  gliicklichen  Kammermusik  umgebende  ,,Silla"  (1714, 
wohl  nie  aufgefiihrt)  ist  diesem  Streben  verwandt.  Und  er  beseelt  endlich  im  ,,Arnadigi"  das 
Zauberwesen:  die  liberlebensgroB-intrigantenhafte  Zauberin  wird  tragische  Heldin.  Doch 
erst  die  Griindung  der  ,,Koniglichen  Akademie  der  Musik",  eines  Opern -Aktienunternehmens, 
fiihrt  Handel  aus  emem  Leben  in  englischen  Adelskreisen,  das  sich  denn  auch  im  Stile  jener 
Opern  spiegelte,  ganz  in  die  Offentlichkeit.  Nun  erst  setzt  er  sich  selbst  ganz  fiir  jene  Aufgabe 
ein.  Der  ,,Radamisto"  (1720)  begniigt  sich  zwar  zunachst  noch,  auf  dem  bisherigen  Wege 
fortzuschreiten  —  vollig  frei  von  Zauberspuk  erscheinen  nunmehr  liber  der  Handlung  die 
sittlichen  Ideen.  Eine  zweite  Fassung  der  Oper  aber  bringt  eine  neue  Wendung,  am  klarsten 
im  letzten  Akt :  dessen  acht  Arien  mit  Schlufichor  sind  aufier  einer  neunten  Arie  noch  ein  be- 
gleitetes  Rezitativ,  ein  Duett  und  ein  Quartett  zugefiigt.  Die  gleichformigeren  Glieder  der 
italienischen  Architektur  werden  von  innen  heraus  bewegt  —  selbst  auf  Kosten  der  Klarheit 
des  Gesamtbaus.  Neben  die  einfachen,  stehenden  Affekte  der  Arien  alter  Art  treten  nun 
haufiger  Ballungen  von  Affekten  in  mehraffektigen  Arien,  in  Ensemblesatzen  (doch  aufier 
dem  schon  eingebiirgerten  Duett  nur  selten),  in  Choren,  ja  selbst  bewegte  Empfindungen,  vor 
allem  in  begleiteten  Rezitativen,  als  Bausteine  der  Architektur.  Der  Handelsche  Orchestersatz, 
von  Haus  aus  kontrapunktisch  reicher  und  feingliedriger  als  der  der  Jtalienischen  Oper,  kommt 
dieser  Entfaltung  entgegen.  Dies  alles  ist  wohl  nicht  nur  Anzeichen  einer  Wandlung  des  Zeit- 
stils,  sondern  hauptsachlich,  wie  auch  jene  zunehmende  Neigung,  das  Ethos  den  Affekten  iiber- 
zuordnen,  Ausdruck  einer  Germanisierung  der  Oper.  Und  ebendeshalb  ist  es  ein  wesentlicher 
Schritt  von  der  italienischen  Gesellschaftsoper  zur  deutsch-englischen  Volksoper. 

Voriibergehend  hemmt  auf  diesem  Wege  das  Erscheinen  Giovanni  Battista  Bononcinis  in 
London,  der  auf  andere  Weise,  durch  kleingliedrige,  leichte,  liedhafte  Formen  zu  einer  volks- 
tiimlichen  Oper  zu  gelangen  schien.  Handel  gibt  zunachst  in  seinem  3.  Akt  der  Wettbewerbs- 
oper  ,,Muzio  Scevola"  (1721)  ein  bis  dahin  unerreichtes  Muster  in  der  Verbindung  seiner 
eigenen  Kunst,  schwierigste  seelische  Probleme  musikalisch  zu  bewaltigen,  mit  italienischer 
Formklarheit.  Der  Plan  dieses  Aktes  kennzeichnet  die  seit  der  ,,Almira  *  erreichte  Vollendung 
des  symmetrischen  Aufbaus.  Als  dessen  charakteristische,  noch  mannigfaltiger  und  zugleich 
gedrangter  als  in  der  ,,Almira"  ausgepragte  musikalische  Ziige  erscheinen  tonale  Nachst- 
verwandtschaft  innerhalb  der  Einzelpaare,  Gegensatzwirkung  durch  Tonalitatsspriinge, 
Spitzenbildung  in  der  Mitte,  Verklammerung  durch  tonale  Beziehungen  iiber  die  Paare  und 
Gruppen  hinweg: 


Ouv.  '         I 

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Entwicklung  der  tra-  gischen  Handlung. 

Die  nachsten  Opern,  ,,Floridante '  (1721),  ,,0ttone '  (1723)  und  ,,Flavio"  (1723)  nahern  sich 
Bononcinis  Art,  mit  gliicklicherem  Ergebnis  nur  der  ,,0ttone",  der  denn  auch  bezeichnender- 


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.(        Idyll        )      .... 

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Handels  Opern 


weise  . 


j  Handels  volkstiimlichste,  aber  nicht  eigenste  Oper  geworden  ist.  Dann  aber  erhebt  sich 
Handel  mit  ,,GJulio  Cesare"  (1724),  der  die  Ergebnisse  der  bisherigen  Entwicklung  kiihn  zu- 
sammenfafit  und  steigert,  mit  dem  noch  strenger  durchgearbeiteten  tragischen  ,,Tamerlano" 
(1724)  und,  nach  den  erregteren  Architekturen  dieser  beiden,  mit  der  klassisch  geklarten 
,,Rodelinda '  (1725)  zu  Gipfelwerken  seines  eigenen  neuen  Stils,  bedeutsam  fortschreitend  zur 
Bildung  grofier,  musikalischer  Szenen  aus  symphonischen,  rezitativischen  und  ariosen  Bestand- 
teilen  oder  auch  in  Verbindung  mit  Arie  und  Chor.  ,,Scipione"  (1726),  ,,Alessandro"  (1726), 
,,Admeto"  (1727)  und  ,,Riccardo  I."  (1727)  folgen  ihnen  darin,  doch  nur  der  durch  besondere 
Innigkeit  ausgezeichnete  ,,Admcto"  stellt  sich  ihnen  an  Kraft  und  Eigenart  zur  Seite.  Not- 
wendige  Rucksicht  auf  zwei  streitbare  Primadonnen  (Cuzzoni  und  Faustina)  mochte  seit  dem 
,,Alessandro"  hemmend  wirken,  doch  ist  andererseits  die  Musik  dieses  ,,Alessandro"  in  aufier- 
gewohnlichem  Mafie  von  der  Schonheit  und  Kunst  der  prachtvollen  Gesangsstimmen  an- 
geregt.  Eine  Art  Gegenstiick  hierzu  ist  der  ,,Tolomeo"  (1 728)  mit  seiner  durch  ganz  besondere 
Frische  und  SuBe  auffallenden  Melodik  —  Handels  Antwort  auf  die  Bettleroper,  jene  volks- 
tiimliche  Opernparodie,  welche  im  Verein  mit  andern,  politischen  und  nationalistischen  Geg- 
nern  die  Akademie  zu  Fall  brachte.  Inzwischen  werden,  seit  1724,  Einflusse  der  neuesten 
italienischen  Opernmusik,  vor  allem  des  dramatischen  Alfrescostiles  Leonardo  Vincis  spiirbar, 
ohne  Handels  Wegrichtung  zu  verandern.  Da  erfolgt  1728  mit  ,,Siroe"  und  ,,Tolomeo" 
plotzlich  ein  Riickschlag  zur  italienischen  Arienoper,  offenbar  veranlafit  durch  den  in  den 
Rezitativen  redseligeren,  in  den  Arien,  zumal  den  Gleichnisarien  abstrakteren  Siroetext  des 
jungen  Metastasio.  Metastasio  aber,  der  an  der  italienischen  Gesellschaftsoper  festhalt,  sie 
nur  in  neuer  Art  empfindsam  literarisiert,  wird  der  Operndichter  Europas  fur  das  nachste 
Menschenalter.  Auch  hier  ist  eine  Gegenkraft,  die  auf  das  weitere  Schicksal  der  Oper  Handels 
entscheidend  einwirkt. 

Unter  den  6  Opern,  die  Handel  fur  die  bald  nach  dem  Zusammenbruch  der  erst  en  ge- 
grundete  zweite  Akademie  schreibt:  ,,Lotario"  (1729),  ,,Partenope"  (1730),  ,,Poro"  (1731), 
,,Ezio"  (1732),  ,,Sosarme*s  (1732)  und  ,,0rlando"  (1733)  sind  zwei  metastasianische:  ,,Poro'* 
und  ,,Ezio".  Ihre  reiche  und  schone  Musik  zeugt  von  der  Anregungskraft  der  poetischen 
Gedanken  und  der  musikalischen  Sprache  des  Dichters.  Die  andern  aber  haben  wieder  die 
reichere  Handelsche  Szenenbildung,  vor  allem  ,,Partenopets  und,  am  kiihnsten,  ,,0rlando*\ 
dessen  Text  Handel  wohl  deshalb  so  stark  anregte,  weil  er  die  Idee  des  aus  dem  Gegensatz 
der  Geschlechter  entspringenden  Kampfes  zwischen  Heldentum  und  Liebe  durch  eine  ins 
Symbolische  erhobene  Zauberhandlung  besonders  rein  darstellt,  wahrend  sie  den  meisten 
andern  Opernblichern  nur  abgeschwacht  oder  verderbt  zugrunde  liegt.  Am  Ende  dieses  Zeit- 
abschnitts  kommt  Handel  wieder  zum  Oratorium,  dort  findet  er  schliefilich  freiere  Rahn  fur 
seinen  Weg.  Noch  aber  flihrt  Handel  den  Kampf  urn  die  Oper  (schon  um  seiner  Ehre  willen) 
weiter,  da  seine  Gegner  ihm  ihre  eigne  Oper  entgegenstellen.  Nach  der  ,,Arianna"  (1734) 
nutzt  er  voriibergehend  in  einer  Neubearbeitung  des  ,,Pastor  fido",  einem  Pasticcio  ,,0reste", 
in  ,,Ariodante*'  (1734)  und  ,,Alcina"  (1735)  die  Anwesenheit  franzosischer  Tanzkiinstler  zur 
Einfiihrung  von  Ballettszenen  nach  franzosischem  Vorbild.  Unter  den  so  bereicherten,  prachtig 
und  breit  angelegten  Opern  ist,,Alcina"  — amstarksten  in  der  Idee  —  wiederum  dem  Problem 
Heldentum  und  Liebe  zugewandt,  wiederum  auch  musikalisch  die  starkste.  Es  folgen,  bis  das 
Unternehmen  fast  gleichzeitig  mit  dem  der  Gegenoper  zusammenbricht,  eine  Reihe  von 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


Werken  wechselnden  Charakters,  meist  in  breiten,  ruhigen  Formen  gehalten :  ,,Atalanta"  (1 736), 
em  festliches,  mit  Choren  ausgestattetes  Schaferspiel,  darauf  in  einem  Jahre  (1737)  der  farb- 
losere  ,,Arminio",  der  grofier  und  tiefer  angelegte  ,,Giustino"  und  ,,Berenice",  die  mitunter 
schon  die  weiche  Schwarmerei  Johann  Christian  Bachs  vorausnimmt.  Und  noch  mehr  als 
diese  laBt  die  letzte  Folge  Handelscher  Opern  erkennen,  dafi  eine  gemeinsame  Zielrichtung 
f lir  die  Opern  fehlt,  da  nun  das  Oratorium  in  den  Vordergrund  des  Handelschen  Schaffens  ge- 
treten  1st.  ,,Faramondo"  (1738)  lauft  nach  einer  vielversprecbenden  Ouvertiire  und  einer 
Eingangsszene  in  gewbhnlichen  Ariengeleisen  weiter.  Z\vei  Pasticcios,  ,,Alessandro  severe" 
(1737)  und  ,Jupiter  in  Argos"  (1739),  folgen.  Dazwischen  stellt  ,,Serse"  (1738)  alte  Ham 
burger  Erinnerungen  neben  jiingste  Romanzenklange  —  eine  Komodie  menschlicher  Liebes- 
wirren,  erhoben  in  den  hohen  Raum  pantheistischer  Geistigkeit.  Dber  dem  kleinen  ,,Imeneo" 
(1740)  liegt  zarte,  glikkliche  Schaferstimmung  —  ein  letztes  Pastorale  auf  der  Opernbuhne. 
,,Deidamia"  endlich  beschliefit  (1741)  das  Opernschaffen  Handels  mit  einer  letzten  reifen 
Gestaltung  seines  Lieblingsproblerns  Heldentum  und  Liebe ;  befruchtet  von  der  Buffooper, 
strebt  sie,  wie  vordem  ,,Serse",  iiber  diese  hinaus,  sucht  Tragik  und  Humor  auf  hoherer 
Ebene  in  einem  wahrhaften  Dram  ma  giocoso  zu  vereinen. 


Literatur 

Samtliche  erhaltenen  Opern  Handels  sind  neugedruckt  in  der  Gesamtausgabe  der  Deutschen  Handelgesellschaft 
Lief.  55 — 94,  davon  ,,Muzio  Scevola"  (64)  und  ,,Alcina"  (86)  mit  deutscher  Ubersetzung  und  Klavierauszug.  Aufier- 
dem  sind  im  Klavierauszug  mit  deutschem  Text  neu  veroffentlicht  von  Victorie  Gervinus  nach  obiger  Ausgabe 
,,Floridante"  (Breitkopf  &  Hartel),  von  OskarHagen  in  moderner  Bearbeitung  ,Julius  Casar",  ,,Rodelinde",  ^Xerxes" 
(Peters)  und  ,,0tto'*  (Chrysander),  von  Herman  Roth  ,,Tamerlan"  (Breitkopf  &  Hartel),  von  Franz  Notholt  ,,Ezio*' 
(Benjamin).  Die  Texte  zu  ,,Rhadamist",  ,,Sosarme"  und  ,,0rlando"  (dieser  auch  in  neuer  Bearbeitung  von 
Hans  Joachim  Moser)  sind  in  deutscher  Ubersetzung  von  G.  G.  Gervinus  erschienen. 

Chrysander,  Fr.:  G.  F.  Handel  I,  II.  —  Abert,  H.:  Handel  als  Dramatiker.  (Mitteil.  des  Universitatsbundes 
Gottingen  III,  17ff.).  —  Steglich,  R.:  Handels  Oper  ,,Rodelinde"  und  ihre  neue  Gottinger  Biihnenfassung 
(Ztschr.  MW.  Ill,  518ff.).  —  Derselbe:  Handels  ,,Xerxes"  und  die  Gottinger  Handel-Opern  Festspiele  1924 
(Ztschr.  MW.  VII,  21  ff). 

Rudolf  Steglich 


DIE  OPER  IN  DEUTSCHLAND  BIS  1750 

Die  deutsche  Schweiz  und  Siiddeutschland  sind  durch  die  umfassenden  Klarstellungen  Wil- 
helm  Meyers  als  Wiege  des  mittelalterlichen  geistlichen  Schauspiels  gekennzeichnet,  das 
auf  der  St.  Gallener  Tropen-  und  Sequenzbewegung  fufit.  Es  war  anfangs  ganz  durcKgesungen 
und  wurde  also  mit  Recht  besser  geistliches  Singspiel  genannt.  Das  WeihnacKtsspiel  geht  von 
Tutilos  Tropus  ,,Hodie  cantandus"  aus,  es  umfafite  die  Hirtenszene,  dann  die  der  drei  Weisen 
bei  Herodes  und  den  Kindermord,  mit  der  an  Notkers  Sequenz  ,,Virgo  plorans*'  angescblossenen 
Rachelklage,  die  Osterfeier  vom  Tropus  ,,Quem  quaeritis",  sie  wurde  zur  umgedichteten  Frauen- 
szene  am  Grab  nebst  Apostellauf  erweitert  und  durch  die  Sequenz  Wipos  ,,Victimae  paschali*' 
43  H.  d.  M. 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


am  Schlufi  gesteigert.    In  Schubigers  ,,Spicilegien"  ist  die  Musik  dieser  Gestaltungen  zugang- 
lich,  z.  B. 


Osterfeier,  Kloster  Engelberg,   13.  Jh. 


chro,         o         chri    -    sti  -     co-lae? 


In  ihrer  dramatischen  Einstimmigkeit  sind  die  genanntenTropen,  dann  Antiphonen  und  Se- 
quenzteile  verbunden.  Ober  Limoges  drang  die  St.  Caller  Kimst  in  Nordfrankreich  em,  iiber 
die  rheinischen  Lande  und  die  Niederlande  breiteten  sich  die  Mysterien  bis  nach  England  aus. 
In  Siiddeutschland  gehen  mit  textlichen  Neuschopfungen  musikalische  frtihzeitig  Hand  in 
Hand,  die  deutschen  Ubersetzungen  werden  die  Hauptsache,  das  Volk  nimmt  mit  ,,KindeI- 
wiegenliedern"  oder  abschliefienden  Gemeindegesangen  teil,  so  ist  das  Lied,, C 'iris t  ist  er- 
standen"  schon  im  12.  Jahrhundert  in  Bayern  und  Osterreich  belegt. 

Die  Osterfeier  f indet  durch  Zusatz der  Magdalenen-  und  Kramerszenen,  sowie  durch  Mantm- 
klagen  ihre  Erweiterung  zum  Osterspiel.  Christus  selbst  erscheint  auf  der  Mysterienbuhnt-, 
die  Holle,  Erde  und  Himmel  gleichzeitig  darstellt,  das  Passionsspiel  greift  auf  deutschem  Boden 
selbstandig  weiter  aus,  das  gesprochene  Theater  dringt  dabei  vor,  die  Musik  behalt  aber  einc 
hervorragendeStellungbei,  die  oft  weit  iiber  das  imTextVerlangte  hinausging,  wie  die  ^Rodel" 
des  Luzerner  Osterspiels  (Auffiihrungsanweisungen)  dartun.  Eigene  Korperschaften  werden 
zu  seiner  Pflege  gegrtindet,  besonders  in  Siiddeutschland  wachsen  ungeheuer  beliebte  Volks- 
schauspiele  grofi,  die  bis  ins  18.  Jahrhundert,  in  Resten  noch  bis  heute  reichen. 

Das  protestantische  Deutschland  nimmt  das  Beispiel  der  geistlichen  Spiele  auf,  Meister- 
singer,  Handwerkergilden,  Lateinschulen,  Kantoreigesellschaften  pflegen  das  Theater,  in  Mo- 
ralitaten,  Fastnachtsspielen,  Schul-  und  Studentenkomodien  ist  der  Musik  mehr  oder  weniger 
breiter  Raum  gegonnt!  Die  liturgische  Choralpassion  selbst  wird  von  Luther  beibehalten,  von 
J.  Walther  musikalisch  festgelegt,  wobei  die  alten  Formeln  in  einfacher  Gestalt  gewahrt  sind, 
die  Turbasatze  unter  Einf  luB  der  Obrechtschen  Motettenpassion  falsobordonoartig  mehrstimmig 
ausgesetzt  werden,  mit  dem  Passionston  als  Cantus  firmus  im  Tenor.  Auch  die  Spuren  der 
protestantischen  Choralpassion  reichen  bis  in  die  Gegenwart.  Im  Humanisten-  und  Schul- 
drama  des  16.  Jahrhunderts  tritt  die  Musik  zuriick,  immerhin  sind  zumindest  Chorsatze  so- 
wohl  nach  antiken  Vorbildern  wie  nach  Muster  der  italienischen  Hoffeste  ein  wichtiger  Be- 
standteil.  Die  metrisch  antikisierende  Satzweise,  die  Celtis  veranlafit,  Tritonius,  Hofhaymer 
und  Senfl  von  Wien  aus  eingefiihrt  haben,  dringt  hier  in  weite  Kreise,  bis  in  die  Schweiz  und 
die  Niederlande.  Der  Chor 'ist  zumeist  in  den  Zwischenakt  gebannt,  daneben  hat  auch  das 
Drama  selbst  musikalische  Einlagen.  Reuchlins  Henno  (,,Scenica  Progymnasmata"),  der  Aus- 
gangspunkt  des  deutschen  Humanistendramas,  hat  bei  der  Erstauffuhrung  in  Heidelberg  1498 
an  vier  Aktschltissen,  also  in  den  Zwischenakten,  einstimmige  Chore  von  Daniel  Megel,  die 
Wiener  Ausgabe  von  1523  dann  drei-  und  vierstimmigen  Satz,  wobei  Megels  Weisen  in  ver- 
schiedenen  Stimmen  durchlaufen,  em  Chor  auch  einen  Proporzteil  (Tanz)  im  dreiteihgenTakt. 
1501  wird  in  Linz  der  ,,Ludus  Dianae*  von  Celtis  vor  Kaiser  Max  gespielt,  em  Festspiel  nach 
italiemschem  Muster;  die  Chore  folgen  Reuchlins  Verwendungsart,  der  Satz  ist  meist  Note 
gegen  Note  im  Anschlufi  an  das  Textmetrum.  1507  gab  Tritonius  seine  Melopoiiae  von  Wien 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


aus  heraus,  1515  ist  seine  Satzart  im  Schulspiel  des  Schottenabts  Benedict  Chelidonius:  ,,Vo- 
luptatis  cum  virtute  disceptatio"  in  Wien  iibernommen.  Liliencron  hat  diese  ersten  Versuche, 
sowie  viele  spatere  Chormusik  des  Schuldramas  mitgeteJlt,  ihre  metrische  Behandlungsweise 
reicht  bis  weit  an  das  1 7.  Jahrhundert ;  auch  Prufer  gibt  Beispiele,  so  die  reichhaltige  Musik  von 
Johann  Cless  zu  ,,Aiax  Lorarius",  Strafiburg  1587.  Das  katholische  Schuldrama  Siiddeutsch- 
lands,  insbesondere  das  Jesuitendrama  nahm  dann  im  17.  Jahrhundert  bald  an  den  Rezitativ- 
stil  Anlehnung.  Auch  die  Schweizer  Volksschauspiele,  die  im  1 6.  Jahrhundert  zunachst  unab- 
hangig  vom  Humanistendrama  starke  Verbreitung  fanden  —  ihre  Darsteller  waren  Burger, 
nicht  Schiller  — ,  batten  viel  musikalische  Ziige,  insbesondere  tat  sich  darin  die  Instrumental- 
musik  hervor. 

Ebenfalls  reichlich  mit  Musik  durchsetzt  waren  die  Stiicke  der  englischen  Komodianten,  denen 
die  englischen  Instrumentisten  vorangingen.  Hier  sind  die  Muster  fur  Jacob  Ayrers  ,,Singet- 
spiel",  das  nach  einer  Melodie  die  ganze  Komodie bankelsangerartig absingen  lafit.  (S.S.641).  Im 
1 7.  Jahrhundert  war  liberhaupt  das  Schauspie  1 ,  wie  in  England,  mit  Musik derart  verquickt, 
dafi  der  Ubergang  zur  Oper  verfliefit,  die  Grenzen  zwischen  Oper  und  musikalischem  Schau- 
spiel  oder  Singekomodie  keine  s chart  gezogenen  sind,  sondern  fur  dasselbe  Stiick  ofters  mehrere 
Bezeichnungen  gelten.  An  Hofen  und  in  Stadten  bleiben  das  ganze  Jahrhundert  hindurch 
nebeneinander  allegorische  Festspiele,  Schaferspiele,  Mischspiele,  Gesangspiele,  Waldkomo- 
dien,  Aufziige,  Ballette,  Tanzspiele,  Wirtschaften,  Konigreiche,  Maskeraden,  Turniere,  Actus 
oratorii  u.  a.  beliebt,  und  zwar  vor  und  neben  der  Oper,  zu  der  sie  iiberleiten. 

Wie  in  Frankreich  und  England  zeigt  sich  auch  in  Deutschland  die  Neigung  eingewurzelt, 
das  Sprechtheater  mit  Musik  zu  iiberbauen,  wahrend  die  ganz  durchmusizierte  Biihnen- 
form  nur  allmahlich  <ius  Italien  einzieht  und  Jmmer  wieder  vor  der  Mischung  mit  gesprochenem 
Vortrag  zuriicktritt.  Andererseits  ist  in  Deutschland  der  musikdramatische  Stil  Italiens  viel 
frtiher  als  sonstwo  in  grofiem  Mafie  anerkannt  und  nachgebildet  worden,  leider  hat  es  das  po- 
litische  Ungliick  des  deutschen  Volkes  mit  sich  gebracht,  dafi  eine  groBe  nationale  Opern- 
bewegung  damals  daraus  nicht  voll  erwachsen  konnte,  wie  sie  in  Frankreich  der  Italiener  Lully 
angeregt  hat.  Vielmehr  wird  der  deutsche  Boden,  dem  so  reiche  instrumentale  und  geistliche 
Kunst  entsproB,  im  Theaterleben  zu  gutem  Teil  Tummelplatz  italienischer  Krafte,  deren  Art 
sich  mancher  deutsche  Kiinstler  wohl  oder  iibel  anschlieBen  mufite.  Unterstiitzt  wurde  dieser 
Verlauf  durch  eine  gewisse  anfangliche  Geringschatzung  der  dramatischen  Monodie  in  der 
Kunstanschauung  des  technisch  hochstrebenden  deutschen  Musikers,  dem  die  geistliche  Vo~ 
kalkunst  und  die  Instrumentalmusik  ungleich  schwierigere  und  reichere  Aufgaben  boten; 
auch  erhielt  sich,  insbesondere  im  protestantischen  Norden,  lange  die  Ansicht  von  der  Musik 
als  einer  vorwiegend  geistlichen  Kunst,  und  diese  Vorliebe  fur  kirchliche  Musik  brachte  denn 
auch  das  geistliche  Musikdrama  in  Deutschland  zu  besonderer  Entfaltung,  das  Oratorium  aber 
zu  seinen  groBen  deutschen  Kunstwerken.  Der  Mangel  einer  einheitlichen  und  ruhigen  Ent- 
wicklung  in  der  deutschen  Operngeschichte  wird  allerdings  reichlich  wettgemacht  durch  ihre 
aufierordentliche  Gestaltenfiille,  sie  umfaBt  ja  auch  hochwichtige  italienische  Partien. 

Die  Wxirdigung  der  deutschen  Kunst  ist  dabei  sehr  erschwert  durcK  den  bedauerlichen  Urn- 
stand,  daB  die  meisten  Partituren  deutscher  Herkunft  des  17.  Jahrhunderts  verschollen  sind, 
so  gleich  die  dramatischen  Arbeiten  von  Heinrich  Schiitz,  die  die  deutsche  Oper  so  be- 
deutungsvoll  eroffnen.  Fiir  eine  sachsische  Hochzeit  in  Torgau  schrieb  Schiitz  1627  mit  dem 

43* 


670  Die  Oper  in  DeutscKland  bis  1750 


Haupt  der  schlesischen  Dichterschule,  Martin  Opitz,  zusammen  die   Oper  ,, Daphne",   die 
Rinuccinis  Dichtung  mit  kleinen  Anderungen  verdeutscht.   Es  war  also  der  Anlage  nach  eine 
Choroper  Florentiner  Art,  wohl  mit  Hauptgewicht  auf  dem  Chorsatz.    Furs  Rezitativ  geben 
allerdings  die  Passionen  des  Meisters  mit  ihren  freien,  unbegleiteten,  ausdruckstiefen  Gestal- 
tungen  ein  vielsagendes  Gegenstiick.    Die  grofien  dramatischen  Fahigkeiten  Schiitzens  be- 
leuchtet  auch  eine  erhaltene  Chorszene  aus  dem  gleichen  Jahr  1627  (Da  pacem),  wo  dem  in 
der  Kirche  urn  Frieden  flehenden  Volk  ein  zweiter  Chor  aufierhalb  der  Kirche  entgegentritt, 
der  den  Jubel  der  Menge  beim  Einzug  der  Kurfiirsten  schildert.  Schon  1617  hatte  sich  Schiitz 
mit  einem  Dialog  ,,Apollo  und  die  neun  Musen"  dramatiscH  versucht,  1 638  folgte  das  Ballett 
,,0rpheus  und  Eurydike",  gedichtet  von  Buchnen    Opitz  schrieb  1635  noch  eine  ,Judith", 
mit  Choren  von  Matheus  Lo  wens  tern,  ein  vorwiegend  gesprochenes  Stiick,  das  an  Schul-  und 
geistliches  Drama  anschliefit.    Auch  ein  anderer  fiihrender  Kopf  der  deutschen  Literatur, 
Philipp  Harsdorfer,  griff  das  italienische  Drama  per  musica  auf,  in  seinen  Gesprachsspielen, 
Niirnberg  1644,  stehen  mehrere  ,,Freudenspiele",  die  sich  an  Moralitat  und  Schulstiick  halten. 
Die  Musik  dazu  setzte  Sigmund  Gottlieb  Staden  (1607 — 1655),  das  Hauptspiel  ist  das  geist- 
liche  Waldgedicht  ,,Seelew£g",  das  durchaus  gesungen  wurde.    Zum  eigentlichen  Rezitativ 
sind  aber  hier  nur  ungelenke  Ansatze  vorhanden,  auch  der  Chor  ist  gemieden,  Strophenlieder, 
Wechselgesange,  durchkomponierte  Stellen  reihen  sich  schwerfallig  aneinander.   Zweimal  sind 
Sonette  zu  bewaltigen,  eine  Nachtigallenarie  wird  gesungen,  Echowirkungen,  Madrigalkoloratu- 
ren,  auch  Choralmelodien  sind  eingestreut.  Ganz  anders  sieht  die  Komposition  des  gleichen,  sehr 
beliebten  allegorischen  Stoffes  aus,  die  ungefahr  gleichzeitig  das  italienische  ,,Dramamusicum" 
des  Kaisers  Ferdinand  III.  in  Wien  zeigt(1649).   Es  stellt  einen  bedeutsamen  selbstandigen 
Versuch  im  Venezianer  Stil  vor,  mit  ariosen  Sekko-  und  Akkompagnatorezitativen,  Strophen- 
arien  mit  vollem  Orchester  oder  mit  Kontinuo  allein,  Sonaten,  Duett-  und  Quartettsatzen. 
Der  osterreichische  Hof  hatte  die  italienische  Oper  auffallend  bald  eingefiihrt,  zur  Zeit,  wo 
der  niederlandische  Musikeinflufi  vom  welschen  abgelost  wurde.    1626  werden  aus  Mantua, 
der  Heimat  der  Kaiserin,  Sanger  verschrieben,  wohl  die  Truppe  der  Fedeli,  die  in  Wien  singen 
und  spielen,  1627  in  Prag  eine  Musikpastorale  auffiihren.  Unter  Ferdinand  III.  (1637—1657) 
lehnt  sich  Wien  alsbald  mit  grofien  Auffuhrungen  im  Tanzsaal  am  Tumblplatz  an  das  Vene 
zianer  Muster  an,  dessen  Grofimeister  zum  kaiserlichen  Hof  in  Beziehung  treten.   Monteverdi 
hat  personliche  Verbindung  mit  dem  Herrscherpaar,  sein  ,,Ritorno  d'Ulisse"  erfahrt  eine  Neu- 
fassung  ftir  Wien,  von  Cavalli  erlebt  man  hier  die  Erstauffiihrung  eines  seiner  fruhen  Werke 
C,L'Egisto"  1642),  Cesti  wird  spater  kaiserlicher  Vizekapellmeister.    1653  erregt  die  Wiener 
Hofoper  am  Reichstag  zu  Regensburg  grofies  Aufsehen,  wo  Giovanni  Burnacini  ein  zerlegbares 
Opernhaus  mitbringt.    Im  gleichen  Jahr  veranlafit  der  Besuch  des  Kaisers  in  Munchen  die 
erste  Opernvorstellung  (,,L'arpa  festante"  von  Maccioni),  an  die  sich  andere  dramatische  Kan- 
taten  und  Ballette  von  Zambonini  und  Wendler,  Opern  von  Johann  Kaspar  Kerll  (1 627—1 693) 
anreihen,  alle  italienisch.  Daneben  waren  hier  die  lateinischen  geistlichen  Spiele  lebendig,  wie 
die  in  Paris  erhaltene  ,,Co media  sacra  Philothea"   von  1643  bezeugt,  die  1658  wiederholt 
wurde,  die  Jesuitendramen  waren  uberhaupt  in  Siiddeutschland  im  1 7.  Jahrhundert  opern- 
mafiig  ausgestaltet,  und  zwar  in  der  Nebenhandlung,  die  neben  dem  gesprochenen  Hauptstiick 
emherlauft.    So  insbesondere  die  Ludi  caesarei  in  Wien,  liber  die  zahlreiche  Partituren  der 
Leopoldinischen  Zeit  Kunde  geben  (von  Staudt,  F.  T.  Richter,  Zacher  u.  a.).  Hierher  gehort 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


671 


auch  das  einzige  dramatische  Produkt  Kerlls,  das  sich  erhalten  hat  —  von  seinen  Miinchner 
Opern  wie  dem  Eroffnungsstiick  des  Opernhauses  ,,1'Oronte"  1657,  .,,rErinto"  1661  u.  a. 
sind  nur  die  Textbiicher  iiberliefert  — :  die  Legende  der  hi.  Natalie  OJPia  et  fortis  mulier", 
Wien  1677).  Hier  spiirt  man  starke  dramatische  Krafte,  besonders  im  5.  Akt,  wo  Aeolus  mit 
einem  Bafiquartett  der  Winde  die  Flucht  der  Heiligen  zu  hemmen  sucht, 


Quatuor  Venti 


1.    U  -  lu  -    la- bo 

2.    Si    -     bi  -  la  -  bo 

tr 


1.  U  -  lu-la-bo 

2.  Si-bi  -  la-bo 

3.  Et  to-na 


4.  bo  -  a -bo.  bo  -    a 


bo 
bo 


et  to- 


oder  in  der  bald  darauffolgenden  Schlummerszene  der  Heldin. 


Cantus  pro  conciliando  somno    (mit  Violen) 


Das  Drama  als  solches  ist  ganz  gesprochen,  die  Musik  betrifft  wieder  nur  allegorische  Zwi- 
schenhandlungen  und  einige  wenige  Einlagen.  Auf  die  opernhafte  Ausbildung  des  Schuldramas 
im  deutschen  Siiden  weist  auch  ein  Seitenblick  nach  Salzburg,  wo  die  Spuren  der  Oper  bis 
1618  zuruckfiihren  und  spater  Manner  wie  Georg  Muffat  und  Franz  Heinrich  Biber  das 
Theaterwesen  der  Benediktineruniversitat  und  des  erzbischoflichen  Hofes  fordern. 

In  Wien  hebt  sich  die  Oper  unter  Leopold  I.  (1658—1705)  zu  vollem  Glanz,  der  unter 
Josef  I.  und  Karl  VI.  sorgsam  gewahrt  wird.  Sie  bleibt  weiter  ganz  in  Handen  der  Italiener, 
es  werden  nur  deutsche  Textiibersetzungen  von  eigenen  deutschen  Hofpoeten  verfertigt.  Die 
ungleich  wohlbestallteren  welschen  Hofpoeten  legen  ihre  Libretti,  die  bald  in  der  ganzen  Welt 
Ansehen  gewinnen,  grofienteils  als  prunkvolle  Ausstattungsstucke  an,  die  Lodovico  Burnacini 
in  glanzende  Biihnenbilder  umsetzt.  Antonio  Bertali,  Felice  Sances  vertonen  sie  auch  unter 
diesem  Kaiser,  der  die  Pracht  des  franzosischen  Hofes  iiberbieten  wollte  und  besonders  seine 
Hochzeiten  mit  grandiosen  Prunkopern  feiern  liefi.  War  nach  Paris  Cavalli  berufen  worden, 
so  sicherte  sich  Leopold  einen  Marc'  Antonio  Cesti ,  der  iiber  Innsbruck  nach  Wien  kam  und 
hier  1666—1669  in  kaiserlichen  Diensten  stand.  1666  schrieb  er  das  Festspiel  ,,Nettuno  e 
Flora"  und  die  Festoper  ,,11  Porno  d  W,  fur  die  ein  riesiges  Holztheater  auf  der  Cortina 
gebaut  wurde.  Sie  wurde  aber  erst  1668  aufgefuhrt.  Schon  der  groCe  Chorprolog,  dessen 
Eingangschor  in  der  Sinfonia  als  Mittelsatz  anklingt,  nimmt  eine  Sonderstellung  in  der 
halienischen  Opernliteratur  ein,  im  iibrigen  ist  die  Part  itur  wieder  vorwiegend  solistisch,  sie 


672  Die  °Per  in  Deutschland  bis  1750 


hat  verhaltnismafiig  wenig  Rezitativ,  viele  kurze  Arien  und  Ariosos,  zahlreiche  Symphonien. 
Die  geschlossenen  Arien  sind  meist  Strophenlieder,  wobei  die  emzelnen  Strophen  an  ver- 
schiedene  Personen  verteilt  sein  und  Veranderungen  erfahren  konnen ;  sie  sind  auch  nicht  immer 
tonal  geschlossen.  Die  Strophe  selbst  folgt  gern  der  bei  Cesti  beliebten  zweiteiligen  Form 
mit  Wiederholung  des  zweiten  Teils,  die  auch  die  grofitangelegte  Arie  beherrscht,  namlich 
den  pathetischen,  instrumental  begleiteten  Eroffnungsgesang  Proserpinas.  Das  Orchester  ist 
nach  der  Stimmung  abgetont,  so  begleiten  die  Infernoszenen  Zinken,  Posaunen,  Fagotte  und 
Regale.  Wie  die  meisten  Opern  seiner  Zeit  enthalt  der  Pomo  d'oro  eine  vom  Kaiser  selbst 
vertonte  Szene. 

Neben  Cesti  stehen  andere  Venezianer,  wie  P.  A.  Ziani  (der  Altere),  von  1669  an  beherrschen 
aber  durch  fast  drei  Jahrzehnte  Antonio  Draghi  aus  Rimini  und  sein  Textdichter  Nicolo 
Minato  das  Hoftheater  nahezu  allein.  Sie  arbeiten  mit  ungeheurer  Leichtigkeit,  so  dafi  Draghi 
liber  200  Biihnenwerke  nachgezahlt  werden,  darunter  mehrere  komische  Opern,  wobei  er  an- 
fangs  auch  Texte  selbst  verfertigte.  Fliichtigkeit  und  eine  gewisse  Trockenheit  kennzeichnen 
die  zumeist  nur  als  Gedachtnisbehelf  hingeworfenen  Partituren,  deren  Skizzen  schon  aufierlich 
eine  streng  konservative  Gesinnung  kundgeben,  die  weit  in  eine  garende  Zeit  hinein  sich  be- 
hauptet.  Wichtig  ist  die  Rolle  der  Blasinstrumente  in  Draghis  Orchester,  sowie  die  eigen- 
artige  solistische  Verwendung  der  Blaser,  die  die  Wiener  Instrumentierungen  bis  in  vicl  spatere 
Zeit  auszeichnet.  Sorgfaltiger  notiert  und  gediegen  wirken  Draghis  Sepolcromusiken,  die  fur 
szenische  Karfreitagsvorstellungen  in  der  Hofkapelle  bestimmt  waren  und  eine  Mittelstellung 
zwischen  Konzert  und  Theater  einnehmen.  Bei  Sepolcro  und  Oratorium  tauchen  in  Wien  auch 
Versuche  in  deutscher  Sprache  auf ,  wahrend  auf  dem  Theater  nur  schwache  Ansatze  zu  deu  tscher 
Textgestaltung  vorkommen,  wie  in  mehreren  Komodienmusiken  des  Kaisers  selbst.  Deutsche 
Komponisten  waren  einstweilen  auf  einen  schmalen  Pflichtteil  im  Ballett  gesetzt,  wo  be- 
sonders  J.  H.  Schmelzer  die  heimische  Volksmusik  nicht  verschmahte,  wahrend  auch  fruV 
zeitig  (1661)  franzosische  Vorbilder  in  Wien  eindrangen. 

Auch  in  Miinchen  entwickelt  sich  die  Oper  nach  Kerll  vollig  italienisch  weiter,  1 674  wird 
der  Romer  Ercole  Bernabei  Hofkapellmeister,  auch  sein  Sohn  tritt  in  bayrische  Dienste,  ganz 
besondere  Bedeutung  gewinnt  aber  Agostino  Stef fani  aus  Venetien  (1654—1728),  der  Schii- 
.  ler  Kerlls,  der  in  Miinchen  aufwuchs.  Seine  18  Biihnenwerke,  die  zwischen  1681  und  1696, 
1 707  und  1 709  entstanden  —  er  wurde  der  Musik  durch  seine  diplomatische  Tatigkeit  lange 
entzogen  — ,  und  zwar  in  Miinchen,  seit  1689  in  Hannover,  endlich  far  Diisseldorf,  haben  in 
der  Operngeschichte  Deutschlands  ein  Gewicht,  das  mit  Lullys  Auftreten  in  Frankreich  ver- 
ghchen  worden  ist.  Seine  kiinstlerische  Verwendung  der  gebundenen  Schreibart  wurde  vor~ 
bildhch,  als  einer  der  ersten  vollgiiltigen  Vertreter  der  ausgesprochenen  Arienoper  riickte  er 
betrachtlich  von  der  alteren  Venezianer  Art  ab;  die  Da~Capo-Arie,  mit  Devise,  herrscht  in 
knappen  Gebilden  vor,  vielfach  mit  ausgearbeiteter  Instrumentalbegleitung,  das  Ritornell  wird 
selbstandig  ausgebaut  vor  oder  nach  der  Arie  abgespielt,  manchmal  trennt  sogar  ein  Sekko 
diese  symphonische  Wiederholung  der  Hauptziige  der  Arie  von  ihr  selbst,  das  Rezitativ  ist 
nun  sinnfallig  von  der  Arie  geschieden.  Dabei  wird  in  Miinchen  besonders  der  ostinate  Bafi 
noch  auffallend  stark  gepflegt,  sowohl  in  eigenen  Arien  als  auch  in  den  Da-Capo-Formen,  aber 
auch  andere  Arienformen  sind  gewahlt,  z.  B.  in  ,,Alcideu  eine  dreisatzige.  Ahnlich  wie  bei  Le- 
'grenzi  werden  stets  mehrere  Duette  eingeflochten,  die  kunstvollen  Satz  entfalten.  Auch 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750  673 


Lullys  Oper  wirkt  auf  Steffani  ein,  die  Ouvertiirenform  iibernimmt  er  sogleich,  nur  da6  1681 
noch  ein  Menuett  angehangt  ist,  aber  auch  im  begleiteten  Rezitativ  zeigt  sich  dieser  Einflufi, 
so  in  den  beiden  instrumental  begleiteten  durchkomponierten  Szenen  Amphions  in  der 
,,Niobe"  (1688).  Die  eine  wird  von  zwei  Orchestern  untermalt,  darunter  einem  Violenquartett 
hinter  dem  Theater,  wahrend  Cembalo  undTheorbe  den  ganzen  Auftritt  hindurch  schweigen 
—  er  gipfelt  in  einer  Da-Capo-Arie  mit  ostinatem  BaB  — ,  die  zweite  Stelle,  die  ins  Sekko 
miindet,  hat  acht  Soloinstrumente  zur  Verfiigung.  Aus  szenischen  Grlinden  lost  Steffani  ge- 
legentlich  die  Form  auf,  so  bricht  eine  Arie  Amphions  jah  ab  oder  das  Einschlafen  wird  in 
,,Alarico"  realistisch  vertont.  Steffanis  Sekko  ist  schon  recht  verarmt,  doch  finden  sich  noch 
ariose  Reste. 

In  Hannover  hatte  man  bereits  ein  Jahrzehnt  vor  Steffani  italienische  und  franzosische  Opern 
und  Ballette  aufgefiihrt,  1682—1688  wirkte  hier  N.  A.  Strungk,  aber  ohne  mit  eigenen  Ar- 
beiten  hervorzutreten.  Immerhin  wahlte  man  wenigstens  gelegentlich  vaterlandische  Stoffe, 
wie  zur  Eroffnung  des  neuen  Opernhauses  1689  bei  Steffanis  ,,Enrico  Leone*',  der  in  deutscher 
Ubersetzung  (Fidlers)  in  Hamburg  1696  und  in  Braunschweig  1697  aufgegriffen  wurde.  Ein 
anderer  groBer  deutscher  Hof,  an  dem  der  italienischen  Oper  Tur  und  Tor  geoffnet  war,  ist 
endlich  der  sachsische.  In  Dresden  lafit  sich  das  Ballett  bis  1 622  zuruckverfolgen,  dazu  brauchte 
man  franzosische  Tanzmeister,  doch  war  die  Dichtung  deutsch,  D.Schirmer,  spater  Chr.  Dede- 
kind  taten  sich  hervor,  Schaferspiele,  Waldkomodien,  zur  Musik  bequemte  geistliche  Schau- 
spiele  liefen  nebenher.  Mit  G.  A.  Bontempis  ,,11  Paride"  halt  dann  1662  die  italienische 
Oper  im  nordlichen  Deutschland  ihren  Einzug,  wobei  die  Partitur  in  Dresden  gedruckt  wurde, 
ein  Ausnahmsfall  in  der  italienischen,  seit  1650  handschriftlich  iiberlieferten  Oper.  Auch  eine 
deutsche  Ubersetzung  des  vom  Komponisten  stammenden  Textes  ist  verlegt  worden,  darm 
sind  die  vielen  Strophenarien  der  Partitur  stets  mit  ,,Lied"  bezeichnet.  Neben  diesen  zwei-  bis 
dreistrophigen  Liedsatzen  wird  nur  ganzselten  eine  Da-Capo-arlige  Arie  gesungen,  so  von  Elena 
im  4.  Akt.  Im  ersten  Akt  treten  lebhafte  Triostellen  der  streitenden  Gottinnen  frisch  heraus. 
Bontempi  schrieb  mit  Peranda  1671  noch  eine  deutsche  Oper  ,,Daphne<4,  die  in  die  ursprung- 
liche  Handlung  zahlreiche  Volksfiguren  eingestreut  hat.  1667  war  ein  neues  Komodien-  und 
Opernhaus  eroffnet  worden,  zur  Pflege  von  Oper  und  Ballett,  1686  schritt  man  endlich  an  die 
Errichtung  einer  standigen  italienischen  Oper  unter  Carlo  Pallavicino,  der  seit  1667  in  sach- 
sischen  Diensten  stand,  aber  schon  1688starb.  Er  schrieb  for  Dresden  1687  ,,La  Gerusalemme 
liberata",  worin  wie  beJ  Steffani  die  kurze  Da-Capo-Arie  vorherrscht.  Auch  ist  die  Ritornell- 
behandlung  mit  Steffani  gemeinsam  im  Bestreben,  das  Ritornell  vor  oder  nach  der  Arie 
breit  ausgefiihrt  zur  Geltung  zu  bringen.  Pallavicinos  ,,Antiope",  von  seinem  Sohn  Stefano 
textiert,  wurde  von  Strungk  (1640— 1700)  beendet,  der  aus  Hannover  nach  Dresden  be- 
rufen  wurde.  Zwischen  Italienern  und  Deutschen  gab  es  ernstliche  Reibereien,  die  Oper 
blieb  weiterhin  italienisch,  wurde  aber 'schon  1694  wieder  aufgegeben;  man  druckte  wie 
in  Wien  deutsche  Obersetzungen.  Hingegen  griindete  Strungk  1692  in  Leipzig  ein  deutsches 
Opernunternehmen,  in  einem  von  Girolamo  Sartorio  errichteten  neuen  Opernhaus.  Die 
Musik  seiner  20  Opern,  die  meist  iiber  Renaissancestoffe  textiert  sind,  ist  wieder  ganz 

verschollen. 

In  den  fiinfziger  Jahren  tritt  Braunschweig  und  Weifienfels  auf  den  Plan  der  Opernbewegung, 
und  zwar  vorwiegend  mit  deutschen  Werken.  Die  Musik  zu  einem  Festspiel  des  Jahres  1652 


£74  Die  Oper  in  Deutsdiland  bis  1750 


in  Braunschweig  von  der  Herzogin  Elisabeth  ist  noch  erhalten,  geistliche  Singspieltexte  wie 
,,Amelinde"  (1657),  ,,]akobs  Heirat"  (1662),  der  ,,Hofmann  Daniel"  (1663)  verfaBte  Herzog 
Anton  Ulrich,  Hauptkomponist  war  Johann  Jakob  Lowe,  den  Schiitz  empfohlen  hatte.  Mit 
Lowes  Abgang  nach  Zeitz  gerieten  die  Singspiele  1663  ins  Stocken  und  wurden  erst  nach 
Teilnahme  Anton  Ulrichs  an  der  Regierung  seit  1 685  in  starkerem  Mafie  wieder  aufgegriffen.  Man 
wetteiferte  mit  Hamburg,  flihrte  aber  auch  Opern  in  italienischer  und  franzosischer  Sprache 
ein,  soLullys  ,,Proserpine"  1685,  psyche"  1686,  Gianettinis  ,,Ermione"  1686,  Draghis  ,,Har- 
pocrate"  1690  u.a.  1690  wurde  ein  grofies  offentliches  Opernhaus  errichtet  und  Johann  Sigis- 
mund  Kusser  (1660  bis  1727),  der  Schiller  Lullys,  berufen,  der  als  Kapellmeister  in  der  Art 
seines  Meisters  ganz  hervorragend  wirkte,  aber  mit  dem  Hofdichter  und  Intendanten  Bressand  in 
Zwiespaltigkeiten  geriet,  die  ihn  schon  1693  nach  Hamburg  trieben.  Kusser  schrieb  7  deutsche 
Opern  und  eine  italienische  Serenade,  doch  sind  nur  38  Arien  aus  der  ,,Ariadne"  von  1692  er 
halten,  in  denen  franzosische  Liedtanze,  coupletartige  Lieder  und  kurze  Da-Capo-Arien  neben- 
einanderstehen.  Von  deutschen  Komponisten  wurden  noch  P.  H.  Erlebach  und  J.  Philipp 
Krieger  aufgefiihrt.  Krieger  hatte  in  WeiBenfels  die  Oper  zu  stiitzen,  die  sich  ganzlich  deutsch 
erhielt.  Der  Hof  lieB  auch  fremdsprachliche  Einlagen  nicht  zu  und  wufite  zugleich  grobe  Ver- 
stofie  gegen  die  Anstandigkeit  zu  vermeiden,  wie  sie  in  Hamburg  vorkamen.  Von  biblischen 
Stoffen  schritt  man  zu  romischer  Sage  und  Geschichte,  liefi  aber  auch  groBen  Fragen  der 
politischen  Gegenwart  in  musikalischen  Vorreden  das  Wort.  Krieger  stammte  aus  Niirnberg, 
wo  Johann  Lohner  mit  deutschen  Opern,  biblischen  und  Renaissancestticken  zu  Ende  des 
Jahrhunderts  wirkte,  dessen  knappe  Arien  sich  teilweise  erhalten  haben. 

Die  grofite  Bedeutung  erlangte  die  deutsche  Oper  in  Hamburg,  wo  einige  Privatpersonen 
1 678  fur  deutsche  Opernspiele  ein  offentliches  Theater  am  Gansemarkt  auftaten  und  das  Ve- 
nezianer  Vorbild  vierzig  Jahre  spater  nachahmten.  Diese  Griindung,  die  also  volkstiimhchen 
Neigungen  entgegenkam,  hielt  sich  sechzig  Jahre  lang  und  stellte  253  Singspiele  heraus,  die 
in  der  ersten  Zeit  ganz,  spater  weitaus  iiberwiegend  deutsche  Geisteserzeugnisse  waren.  Die 
leitenden  Personlichkeiten,  an  der  Spitze  der  Senator  Gerhard  Schott,  machten  mit  der  geist- 
lichen  Oper  den  Anfang,  sie  gewannen  einen  der  tiichtigsten  Musiker  ihrer  Zeit,  den  Schlitz- 
schuler  Johann  Theile,  der  das  Eroffnungsstiick  Richters:  ,,Adam  und  Eva"  vertonte,  sich 
aber  nach  drei  Versuchen  vorri  Unternehmen  wieder  zuriickzog.  Die  Musik  zur  ,,Geburt 
Christi"  (1681)  liegt  in  Upsala.  Den  biblischen  Stoffen  wurden  sogleich  Bearbeitungen  ita 
lienischer  und  franzosischer  Libretti  beigesellt,  insbesondere  nach  Minato  und  Quinault.  Die 
ersten  elf  Jahre  umfaBt  der  Spielplan  nur  deutsche  Werke,  als  Komponisten  wirken  Strungk 
bis  1683,  J.  W.  Franck,  der  1686  nach  England  geht,  und  J.  Ph.  Fortsch,  auch  Dichter,  spater 
Arzt  und  Staatsmann;  1691 — 1693  dann  anschliefiend  Conradi  und  Bronner.  All  ihre  Musik 
ist  mit  Ausnahme  weniger  Arien  ganz  verschollen,  insbesondere  iiber  die  Rezitativkomposition 
fehlt  jegliche  Quelle,  die  Dichter  gehen  da  vom  steifen  Alexandriner,  den  Bressand  noch  langer 
beibehielt,  allmahlich  zu  kurzeren  Versen  iiber,  besonders  C.  H.  Postel  gestaltet  die  Rezitativ- 
verse  in  dieser  Art  aus.  Die  Alexandriner  wurden  auch  in  der  Art  des  franzosischen  Maschinen- 
dramas  gesprochen.  Die  Ausstattung  pflegte  man  mit  grofier  Sorgfalt,  so  dafi  sic  sogar  Parisern 
imponierte.  Zu  Bostels  groBem  Ausstattungssttick  ,,Cara  Mustapha",  das  die  Belagcrung  Wiens 
durch  die  Tiirken  1686  auf  die  Biihne  brachte,  haben  sich  Arien  Francks  in  klcinen  Licdformen 
erhalten,  z.  B. 


Die  Oper  in  DeutscKland  bis  1750 


675 


Adagio  (Va  verkurzt) 


f  lJL*~r     G 

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Das 

Kreuz  so     mir  Gott 

auf     -     ge     -     legt          will 

ich       nicht  mehr         be- 

2-^t—  a—  &• 

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&  i  —  3  —  r  "i  i 

-t^f-*  t  n~i 

nen.     usw. 


Auch  komische  Lieder  im  plattdeutschen  Dialekt  sind  darunter.  Denn  nach  Art  der  Venezianer 
Muster  machen  sich  in  Hamburg  derbe,  possenhafte  Einlagen  sehr  breit.  1 687  kommt  es  wegen 
unf latiger  Auswiichse  zu  einem  ernsten  Konflikt  mit  der  Geistlichkeit,  bei  dem  aber  fur  die  Oper 
auch  begeisterte  Verteidiger  aufstehen.  1 689  dringt  das  erste  fremdsprachige  Stuck  ein,  Lullys 
,,Acis  et  Galathee'*,  zwei  Jahre  nach  der  Urauffiihrung  in  Paris,  es  wird  1 695  deutsch  wiederholt, 
1691  folgt  ..Achilla  et  Polixene"  von  Lully  und  Colasse,  1693  werden  italienische  Opern  in 
der  Originalsprache  gegeben,  Gianettinis  ,,La  Schiavafortunata*4,  Pallavicinos  ,,Gerusalemme", 
1695  wieder  deutsch  wiederholt.  Unter  Sigmund  Kusser  gelangt  die  Hamburger  Oper 
1 693—1695  zur  musikalischen  Hochbllite.  Dieser  geniale  Musiker,  den  Mattheson  als  Vorbild 
seines  vollkommenen  Kapellmeisters  hinstellt,  brachte  Gesangwesen,  Orchester  und  Buhneri- 
betrieb  auf  eine  hohere  Kunststufe  und  holte  aus  den  zusammengewiirfelten,  aber  durchwegs 
deutschen  Kraften  kunstlerische  Glanzleistungen  heraus.  -Dariiber  kam  er  nur  zu  drei  eigenen 
Opern,  aus  ,,Erindo",  1693,  ist  in  Hamburg  eine  Sammlung  von  44  Arien  gedruckt  worden, 
die  Mischung  von  franzosischen  und  Jtalienischen  Eigentumlichkeiten  in  knappen  Formen  be- 
zeugt.  Im  Da  Capo,  Basso  ostinato  und  in  der  obligaten  Instrumentierung  (Tromba,  2  Fagotte, 
Colascione  u.a.)  zeigt  sich  besonders  der  EinfluB  Steffanis,  den  Kusser  in  Hamburg  einfiihrte. 
Die  Duette  folgen  dagegen  Lullys  Art.  1694  taucht  die  erste  Oper  von  Reinhard  Keiser  auf, 
,,Basilius",  die  Kusser  1692  schon  in  Braunschweig  gegeben  hatte  — in  Briissel  liegen  Bruch- 
stiicke  daraus  — ,  ein  Zerwiirfnis  mit  Keiser  trieb  den  unruhigen  Geist  aber  bald  darauf  aus 
Hamburg  weg  —  er  zog  mit  einer  eigenen  Truppe  in  Suddeutschland  herum,  wandte  sich 
dann  nach  Stuttgart  und  endlich  nach  England. 

Nun  ist  Reinhard  Keiser  (1674— 1739)  die  Seele  der  Hamburger  Oper,  der  bis  zum  Tod 
Schotts,  1 702,  eine  weitere  Glanzzeit  beschieden  ist.  Keiser,  von  seinen  Zeitgenossen  der  groBte 
Opernkomponist  der  Welt  genannt,  begleitet  von  nun  an  mit  kurzen  Unterbrechungen  die 
Hamburger  Oper  bis  zu  ihrer  Auflosung,  die  er  kaum  iiberlebt.  Seine  erstaunlich  reiche  Per- 
sonlichkeit,  der  zur  hochsten  Vollendung  nur  strengere  Selbstzucht  fehlte,  bringt  der  deutschen 
Oper  den  Stilumschwung,  der  gleichzeitig  bei  Spatvenezianern,  Steffani  und  Scarlatti  ansetzt. 
Enorme  Fruchtbarkeit,  starke  dramatische  Gestaltungskraft,  bluhende,  empfindungssatte  Er- 
findungsgabe,  stete  Freude  an  formalen  Neubildungen,  innige  Verschmelzung  von  Gesang  und 
Begleitung,personlicherRezitativstilkennzeichnenseinSchaffen,dasnuranUngleichma6igkeiten 
leidet  und  durch  mittelmafiige  oderschwacheTextbiicherbeeintrachtigt  wird.  Da  von  1 1 60pern, 


676 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


die  ihm  nachgesagt  werden,  35  erhalten  sind,  die  meisten aus  seiner  friihen  Zeit,  so  liegt  zur  Beur- 
teilung  umfassender  Stoff  vor,  deraber keinefortschreitende  Stilentwicklung  aufweist,  doch  bis  ins 
hohe  Alter  von  erquickender  Jugendfrische  durchweht  ist.  Die  Partituren  sind  alle  von  grofier 
Buntheit,  beziehungsvolle  Wiederholungen  von  Arienstellen  finden  sich  haufig,  der  Gesang 
wahlt  friihzeitig  an  dramatischen  Hohepunkten  frei  durchkomponierte  Formen,  hier  \vie  im  be- 
gleiteten  Rezitativ  oder  in  dramatisch  frei  gebauten  Duetten  sind  Anfange  grofier  dramatischer 
Musikgestaltung  gegeben.  Von  Paris  ist  manches  iibernommen,  so  auch  die  Chaconne  als  grofie 
Orchesterform.  Schon  die  erste  ganz  tiberlieferte  Oper,  der  ,,Adonis"  Von  1697,  folgt  in  vielen 
Ztigen  franzosischem  EinfluB,  auBer  in  Vortragsbezeichnungen,  in  der  Ouvertiire,  im  ,,Pra- 
ludium"  vor  Rezitativdialogen,  in  gesungenen  Tanzsuiten,  in  der  Szenengliederung  durch  \vie- 
derkehrende  Ariosophrasen  oder  im  SchluB-,,Rondoux".  Doch  schwebt  iiber  dem  Ganzen  der 
Geist  Italians,  Steffanis  Vorbild  tritt  in  der  kunstvollen,  lebendigen  Schreibart,  in  kontra- 
punktischen  Duetten,  in  Da-Capo-Arie  und  Rezitativ  hervor,  mit  Scarlatti  besteht  manche 
gleiche  Richtung.  Dabei  ist  Keisers  Tonsprache  selbstandig,  sein  Rezitativ  wurzelt  im  deut- 
schen  Vortrag,  ist  sorgfaltig  durchgearbeitet  und  oft  geradezu  Vorstufe  zu  Bachs  Rezitativ- 
kunst,  der  Arienbau  hat  viele  eigenartige  Ziige,  so  wenn  hier  die  Da-Capo-Form  durch  erne 
dritte  Wiederkehr  des  Hauptsatzes  nach  Rezitativeinschub  erweitert,  die  Klage  urn  Adonis 
in  Strophen  durchkomponiert  ist;  die  komischen  Partien  sind  frisch  und  volksttimlich 
behandelt. 

Von  1703 — 1 706  ist  Keiser  Packer  des  Hamburger  Theaters,  doch  bricht  die  Unternehmung 
dabei  zusammen.  In  seinem  ,, Claudius"  fiihrt  er  die  Unsitte  italienischer  Arieneinmischung 
ein,  die  ja  auch  in  Paris  und  London  grassierte.  Hamburg  hat  damals  groGes  Ansehen  in  der 
Musikwelt,  so  zieht  es  den  jungen  Handel  an,  den  Keiser  fb'rdert,  indem  er  ihm  1704  den 
Text  der  ,,Almira"  iiberlaBt.  Handel  steht  durchaus  im  Bann  Keisers,  dessen  buntgemischter 
Anlage  er  folgt.  Italienische  Arien  wechseln  mit  deutschen,  die  Rundstrophe  dominiert,  da- 
neben  stehen  zweiteilige  Formen,  Bassi  ostmati,  Tanzlieder,  eine  dreiteilige  Repnsenane  und 
Liedarien  mit  verkiirzter  und  veranderter  Wiederkehr  des  Hauptsatzes  und  stark  kontrastieren- 
dem  Mittelteil.  Die  Melodik  ist  hier  deutlich  liedmaBJg  und  inniger  als  bei  Keiser. 


Almira,    1.  Akt,  Fernando 


Licb     -      li  -  che     Wai  -  der, 


schat      -     ti  -  ge     Fel  -  der 


kiih  -  let     des     Her  -  zcns     un  -  ncnn  -  ba  -  re       Qual. 

Ov"^-7^^11111^-' 
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I 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


677 


Im  Rezitativ  sind  (wie  in  der  ,,Octavia")  Lullys  Ariosowiederholungen  anzutreffen.  Handels 
starker  Erfolg  bewog  Keiser,  die  Oper  selbst  zu  beenden  und  aufzufiihren,  dem  ,,Nero"  Han- 
dels,  dessen  Musik  verloren  ist,  hat  er  1705  die  ,,0ctavia"  entgegengestellt,  worin  B.  Feind 
als  Textdichter  debiitierte.  Die  Spuren  ihrer  pathetischen  Musik  sind  weithin  bei  Handel  zu 
verfolgen.  Die  Da-Capo-Arie  ist  wieder  stark  bevorzugt,  doch  entraten  ihrer  die  schonen  dra- 
matischen  Kraftstellen  ganzlich,  wie  der  befohlene  Selbstmordversuch  der  Heldin,  wo  ein 
leidenschaftliches  Orchesterrezitativ  zu  weicheren  Arientonen  abfallt: 


Octavia,  2.  Akt.  Octavia,  Akkompagntao  (SchluH 


'JjLyUp.           2*  jl 

&-*1        '•;*"•   g^-i  —  "5^ 

s,t 

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r     ' 

Weg  Szep  -  ter,  weg  !  weg,  dor            - 

1     1                                                                         -*- 

2_g__25. 

r 

nen-scawang  -  re     Kro  -  ne 


!*=!= 


rittarra. 


Arietta  con  Unisoni  (VI.  mit  Singstimme) 
Adagio 


- 


Ver  -  letz  -  te       Au     -      gen  *•    lich  -  ter,      ich     schein*  euch      un  -    ge-treu?       ver- 


letz  -    te         Au   -    gen  -    lich  ~  ter,       ich     schein*  euch       un  -  ge  -  treu !  (noch  5  Takte),  spater 


Aria  con  Strom1;  (SchluB) 

Adagio  assai 


J^f 


Treu  -  ge    -    lieb  -  ter,       gu  -  te     Nacht,  Treu  -  ge  -  lieb  -  ter,       gu    -    te 


678 


Die  Oper  in  DeutscKland  bis  1750 


V 

ft            [                                           fe            1 

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y        T 
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Nacht,                 gu    « 

»  —  i  —  p  —  ^  ^  —  L   {  —  2  —  ^     '     5     1  —  LL_ 

-   te     Nachl,               gu    -    te     Nacht. 

^V-7  M  <  J  2_ 

^—  ?—  P—  ?  -J—  T—  ^~T  :  =|.^ 

Neros  Fluchtszene  ist  von  folgendem  Leitgedanken  gefiihrt: 


AcK!  Ne  -  ro  ist  nicKt  Ne  -  ro  mehr,  ach  Ne  -  ro  ist  nicht  Ne  -  ro  mehr! 
Hier  sind  Ausdmcksarien,  Ariosi  und  Akkompagnatorezitative  mit  voller  Steigerung  vereint. 
Das  Orchester  der  Oper  liebt  Fagotte  als  Arienbegleitung,  einmal  im  Quintettsatz,  auch  das 
energische  Unisono  der  Streicher  mit  dem  bewegten  BaB  lauft  durch  mehrere  Arien.  Szenische 
Ritornelle  sind  selten,  eines  malt  Neros  Traum,  ein  Gewitter  wird  ganz  libergangen. 

Neben  Keiser  und  Handel  wirkte  damals  Johann  Mattheson  am  Hamburger  Theater,  der 
SOpern  schrieb  und  z.  B.  seine  ,,Cleopatra"  nach  staunehswertem  Gesang  und  Selbstmord  auf  der 
Buhne  im  Orchester  zuEnde  dirigierte.  Seine  Schriften  spaterer  Zeit  sind  eine  Hauptquelle  der 
Hamburger  Operngeschichte.  Handel  wandte  sich  nach  Italien,  in  Ham  burg  gab  man  noch  eine 
(verloren  gegangene)  Doppeloper  von  mm,  Keiser  floh  in  seine  Heimat,  von  1709 — 1717  ist  er 
aber  wieder  in  Hamburg  und  Hauptstiitze  der  Oper,  wo  neben  ihm  voriibergehend  Graupner  auf- 
taucht,  wo  auch  Handels  Londoner  Opern  alsbald  deutsch  nachgespielt  werden.  Spater  irrt  Keiser 
in  der  Welt  herum,  immer  wieder  nach  Hamburg  zuriickfindend,  wo  er  endlich  komische  Arien 
und  Rezitative  zu  Lully  und  Handel  schreiben  mufi.  Keisers  Musik  zu  Bostels  ,,Krosus"  (nach 
Minato)  von  1710  liegt  in  der  Fassung  von  1 730  neu  veroffentlicht  vor.  Die  italienische  Sinfonia, 
die  Keiser  in  spaterer  Zeit  neben  dem  Konzert  gern  als  Einleitung  wahlt,  wird  durch  den  Eingangs- 
chor  abgeschlossen.  Die  stumme  Rolle  des  Prinzen  Atys,  der  im  Verlauf  des  Stiickes  die  Sprache 
wiederfindet,  gibt  Anlafi  zu  Ritornellen  als  Szenenmusik.  Die  Da-Capo-Arie  ist  jetzt  selten, 
Liedarien,  Strophenlieder,  freie  zweiteilige  Formen,  einmal  ein  kleines  Rondo  (I2)  sind  verwendet. 
Konigs  Schaferspiel  ,,Inganno  fedele"  (1714)  hat  im3.  Akt eine  Kantateeingelegt,  der  ,Jodelet" 
von  Pratorius  (1726)  ist  als  scherzhaftes  Singspiel  mit  breiten  komischen  Partien  versehen, 
die  teilweise  dem  Neapler  Buffostil  vorgreifen,  teilweise  dem  des  deutschen  Singspiels: 
Jodelet 


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Kin  -  der, 
Kin  -  der, 

1 

seht 
acht 

mich 
mich 

an, 
an! 

Die  Sinfonia  hat  freie  suitenhafte  Formung  mit  Da  Capo  des  praambelhaften  Hauptsatzes 
},Burla",  in  den  eine  Galliarde  eingeschaltet  ist.  Der  2.  Akt  beginnt  mit  einer  Fuge,  die 
Lauras  Arie  begleitet,  spater  folgt  eine  ,,Aria  en  Rondeaux" ;  bei  den  meisten  der  Rund- 
strophen  hat  Keiser  eigenhandig  das  Da  Capo  gestrichen. 

Diese  Werke  weisen  schon  in  die  Verfallszeit  der  Hamburger  Oper.  Possenopern,  darunter 
Lokalstiicke  wie  ,,Der  Hamburger  Jahrmarkt",  ,,Die  Hamburger  Schlachtzeit"  von  Keiser, 


Die  Oper  in  Deutschiand  bis  1750  579 


,,Fragmente"  nach  franzosischer  Art  (mit  Sprachgemenge),  Intermezzi,  Marionettenvorstel- 
lungen  u.  a.  spriefien  hervor,  unter  den  italienischen  Opern,  die  reichlich  gegeben  werden, 
begegnet  uns  u.  a.  der  Wiener  Conti,  der  die  Vorliebe  furs  komische  Fach  mit  dem  letzten 
grofien  Meister  der  Hamburger  Unternehmung,  G.  Ph.  Telemann  (1681—1767),  teilt.  Tele- 
manns  Ansehen  war  in  Deutschiand  gewaltig,  seine  Produktivitat  grenzenlos,  unter  den 40  Opern, 
die  an  Keiser  anschlieBen,  sind  die  meisten  an  derbkomische  Texte  gebunden.  Auch  Telemann 
kennt  den  scharf  zugespitzten,  spottischen  Intermezzostil,  in  Konigs  ,,Pimpinone"  ist  zugleich 
der  Stoff  der  ,,Serva  padrona"  vorweggenommen. 

In  Hamburg  bildete  sich  G.  Ch.  Schiirmann  (1672—1751)  heran,  der  seit  1707  in  Braun 
schweig  eine  neue  Bliite  der  deutschen  Oper  heraurfiihrt.  Seine  Stoffe  sucht  Schiirmann  gern 
in  der  deutschen  Vergangenheit,  wie  in  ,,Heinrich  dem  Vogler"  (1718)  oder  in  ,,Ludovicus 
Pius'*  (1726).  Die  franzosische  Ouvertiire  hat  wieder  ein  Menuettanhangsel,  die  grofien  Da- 
Capo-Arien  mit  zweigeteiltem  Hauptsatz  —  einmal  findet  sich  hier  auch  die  dreiteilige  Re- 
pnsenform  im  Hauptsatz  —  herrschen  nahezu  allein,  doch  bringen  dramatische  Spitzenstellen 
mit  dem  Akkompagnatorezitativ,  das  wieder  ariose  Teile  verschrankt,  freie  Formen.  Ballett- 
und  Tafelmusik  (u.  a.  eine  Ouvertiire)  sind  eingestreut.  Hasse  und  Graun  wirken  unter 
Schiirmann  als  Sanger  und  erleben  hier  ihre  ersten  Auffiihrungen.  Hasse,  der  zuvor  in  Ham 
burg  Tenorist  war,  schrieb  1721  eine  italienische  Oper  (,,Antioco"),  vielleicht  mit  deutschem 
Rezitativ,  Graun  kam  1725  nach  Braunschweig  und  brachte  hier  5  deutsche  und  ein  italienisches 
Werk  auf  die  Biihne.  Die  italienische  Oper  nahm  in  Braunschweig  an  Ansehen  zu,  1 735  stellte 
plotzlich  der  Hof  die  Auffiihrungen  ein.  In  den  dreiBiger  Jahren  versiegte  die  deutsche  Oper 
allenthalben.  Zu  Leipzig  war  das  Strungksche  Haus  schon  1727  abgebrochen  worden,  in  Dur- 
lach,  das  sich  von  1 712  als  Stiitze  der  deutschen  Bewegung  hervorgetan  hatte,  wobei  die  Partitur 
von  Schweizelspergs  ,,Lucretia"  sich  erhalten  hat,  horte  die  Oper  1733  auf,  die  WeiBenfelser, 
in  der  nach  Kneger  J.  A.  Kobelius  mit  zahlreichen  Singspielen  vertreten  ist,  1736.  Gottsched, 
der  heftige  Operngegner,  konnte  1742  das  Ende  der  deutschen  Oper  verzeichnen. 

Hingegen  hob  sich  die  Pflege  der  italienischen  Oper  in  Deutschiand.  In  Miinchen,  wo 
die  Akten  zu  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  von  ,,Exhibierung  deutscher  Opern"  sprechen,  trat 
nach  Steffani  Pietro  Torri  (bis  1737)  hervor,  der  u.  a.  drei  franzosische  Werke  in  Frankreich 
schrieb,  in  Dresden  hatte  das  franzosische  Theater  seit  1 694  die  Oberhand,  man  gab  nur  gelegent- 
lich  italienische  Opsrn,  erst  1719 — 20  war  eine  italienische  Operngesellschaft  unter  A.  Lotti 
—  im  neuen  Opernhaus  —  verpflichtet,  deren  beste  Mitglieder  Handel  nach  London  holte, 
1726  und  1727  spielten  italienische  Kiinstler  G.  A.  Ristoris  komische  Opern  ,,Calandro"  und 
,,Don  Chisciotte",  1731  erfolgte  endlich  Hasses  Berufung. 

In  Wien  wurde  man  nach  Draghis  Tod  plotzlich  sehr  fortschrittlich  gesinnt,  Giovanni 
Bononcini  aus  Modena, 'der  von  1691 — 171 1  als  Cellist  und  Komponist  hier  lebte,  brachte 
besonders  als  ein  Hauptvertreter  der  neueren,  leichteren  Stilart  die  Werte,  die  allenthalben  in 
der  Musik  hervordrangen,  rasch  in  Umlauf.  Etwas  zuriickhaltender  stehen  ihm  die  Venezianer 
C.  A.  Badia  und  M.  A.  Ziani  —  der  Neffe  des  alteren  Ziani,  eine  bedeutende  Erscheinung  — 
zur  Seite.  Die  Opernauffiihrungen  fanden  gern  im  Freien  statt,  so  in  der  kaiserlichen  Favorita 
Unter  Josef  I.  wurde  1708  von  Fr.  Galli  Bibiena  ein  grofies  Opernhaus  am  Josefsplatz  her- 
gerichtet,  das  bis  1 744  in  Benutzung  stand,  1 700  trat  mit  einer  Festa  teatrale  zuerst  der  Steier- 
marker  JohannJosefFux  hervor,  der  unter  Karl  VI.  das  Wiener  Musik-  und  Theaterleben 


680 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


beherrschte.  Seine  18  Opern,  deren  letzte  er  1731  schrieb,  nehmen  in  ihrem  hartnackigen 
Festhalten  am  strengen  Stil  und  an  Chorwirkungen  eine  Ausnahmsstellung  in  der  italienischen 
Oper  seiner  Zeit  ein.  Die  Wiener  Musik  erhielt  durch  ihn  iiberhaupt  eine  gediegene,  ernste 
Grundlage,  der  Oper  insbesondere  wurden  Oberflachhchkeiten  und  Nachlassigkeiten  der  all- 
gememen  Geschmacksrichtung  ferngehalten  und  die  Verbindung  mit  der  Vergangenheit  ge- 
wahrt.  In  Wien  bildeten  sich  damals  schon  Sonderbestrebungen  und  selbstandige  Grundsatze 
aus,  die  den  spateren,  von  hier  ausgehenden  Reformen  vorarbeiteten.  Fux  kniipft  an  die  altere 
Wiener  Uberlieferung  an,  in  der  er  aufgewachsen  war,  er  schreibt  fur  einen  ernsten,  pracht- 
liebenden  Monarchen,  der  seine  Festoper  ,,Elisa"  (1719)  in  Amsterdam  stechen  liefi  (1729). 
DerPrunkstil  zeigt  sich  in  der  Entfaltung  reicher  Chormittel,  in  pomphaften,  doppelchorigen 
Einleitungen,  in  besonderen  Orchesteraufgaben,  in  dem  wieder  von  eigenen  Komponisten,  wie 
Nicola  Matheis,  bestrittenem  Ballett.  Durch  ganz  Europa  beriihmt  war  die  Kronungsoper 
,,Costanza  e  fortezza",  Dichtung  von  Pariati,  die  1723  am  Prager  Hradschin  unter  Teilnahme 
glanzender  Personlichkeiten  gegeben  wurde  und  mit  riesigem  Aufwand  den  Kampf  Porsennas  urn 
Rom  vorfuhrte.  Viele  Chore  der  Romer,  der  Etrusker,  von  Nymphen  und  Flufigottern  durch- 
ziehen  das  Werk,  einzelne  Stellen  kehren  ofter  rondomafiig  und  in  Verschrankungen  wieder, 
die  gleichf oimig  wurdige  Haltung  der  Arien  und  mehrerer  Duette  driickt  aber  allerdings  den 
Gesamteindruck.  Die  Da-Capo-Form  ist  starr  durchgehalten,  in  grofienMafien  mitstets  zwei- 
teiligem  Hauptsatz,  meist  zweiteiligem  Mittelsatz,  gebaut.  Die  ,,Devise"  wird  sehr  haufig,  so- 
gar  gelegentlich  noch  im  Mittelsatz  verwendet,  die  Arienbegleitung  geht  manchmal  bis  zur 
Fuge,  Kontinuoarien,  mit  voll  ausgesetztem  SchluBritornell,  sind  selten.  Im  Rezitativ  haben 
sich  mehrstimmige  Partien  erhalten,  das  Akkompagnato  ist  nur  in  der  musikalisch  spannenden 
Episode  der  Verteidigung  der  Tiberbriicke  durch  Horatius  Codes  herangezogen,  deren  musi- 
kalische  Hauptziige  sind :  ein  stolzes  Arioso 

Clarlni  Orazio,  mit 


bt  —  j^~  —  *  —  ~z?*\  —  ?M  —  H  i  i  P  i  P-P  —  ?-p  — 

-m-?-m  f-0— 

5~ji~^  ^           *       al           ^T  2  

FCp  i  /     (    ffJ-—  «L^«U-4^U=:  U—: 
r+              '-*• 

GroBes  Orchester 

-La  —  LM 

=te=b=_^_^_|^_ 

Non        e 
Nicht     al- 

Basso  continuo 


Q£ 


=? 


solo      0    -    ra  -    zio,       no, 
lei  -  ne       steh'     ich      hier, 

em  mehrmals  wiederkehrender  grofier  Chor 

Chor  der  romischcn  Soldaten 


non       e       solo       0    -    ra    -  zio, 
nicht     al    -    lei  -    ne       steh'     ich 


no. 
hier. 


De'     Ro     -     ma  -  ni         la     vir  -  th       o  -  sa       tut    -    to,         tut  -  to,     tut  -  to. 
Ro  -  mer    -    sinn  bleibt     im-mer  -  zu      un  -  be  -  zwun  -  gen,       un  -  be  -  zwun  -gen. 

_*_,_*•_ 


Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


681 


und  ein  Gegenchor 

Chor  der  Etrusker 


El = 4—  *± 0 

ry= — 1« f-  ?  I —  •-•:: 


>        &£: J             I        fc£  ^I            ^             p        ^^       — .     ^-     ~|        L—          — 

$   ff^"     P     vxj  M^     ^)         ^    U^^     P    ^ 

£       fu  -  rore     o       va  -    ni  -    ta,  e       fu  -  rore  o     va  -  ni  -  ta 

Wel-che     Toll-heit,  wel  -  cher  Wahn,  wel  -  che     Tollheit,  wel-cher  Wahn! 


Spater  folgt  Clelias  Klagearie 


Str. 


Non     mi     res  -  ta     da     spe  -  rar, 
Al  -  le    Hoif  -  nung  ist     vor  -  bei, 


ElE 


senza    Cembalo 

Fux  zur  Seite  und  unter  seinem  EinfluB  standen  in  Wien  zwei  Italiener,  der  Venezianer 
Antonio  Caldara  (1670—1736)  und  der  Florentiner  Francesco  Conti  (1682—1732).  Caldara 
schrieb  69Opern,  seit  1716  in  Wien,  er  vereint  gebundene  Schreibweise  mit  starkerem,  melo- 
dischem  ScKwung;  Conti,  ein  weltberiihmter  Theorbenspieler,  wurde  besonders  durch  seine 
Versuche  Jm  charakteristischen  undkomischenStilbekannt.  Beide  Meister  pf legen  den  Chorsatz 
im  Oratorium  weiter,  sie  entfalten  insbesondere  da  groBe  dramatische  Vorziige.  In  der  Opernein- 
leitung  steht  die  italienische  Sinf onia  vor  der  f ranzosischen  Form,  daneben  zeigen sich  Mischungen 
und  Riickverweise  auf  die  Kanzone  (Satzwiederholungen),  wie  schon  bei  Fux,  nach  Draghis 
Muster.  Die  Kontinuoarie  schwindet  nun  ganz,  ausgesprochene  Archaismen  wie  Fuxens  Arien  im 
,,StileMadrigale''  treten  zuriick,  die  textlichen  Reformergebnisse  der  Oper  schranken  die  Auf- 
gaben  des  Musikers  immer  mehrein.  Die  Dichtungen  von  S.Stampiglia  und  Apostolo  Zeno  be- 
deuten  namlich  eine  straff  ere  Zusammenfassung  der  Texte  und  ihre  Reinigung  von  iiberf  lussigem 
Episodenwerkundkomischen  Zutaten,  die  fur  die  italienische  Oper  iiberhaupt  ausschlaggebenden 
Einf  lufi  erlangte.  Z  e  n  o ,  1 7 1 8—  1 729  Hof  poet  und  Historiograph  in  Wien ,  hat  das  Verdienst,  an  der 
Herausarbeitung  des  Dramas  in  der  Oper  mit  vollem  Erfolg  gewirkt  zu  haben,  allerdings  auf 
Kosten  der  musikalischen  Bediirfnisse,  die  im  Sinne.der  Opernentwicklung  iiberhaupt  auf  ein 
Nebengeleise  verwiesen  werden.  Da  die  Musik  immerhin  fur  den  Zeitgeschmack  und  fur  Zenos 
Stellung  unentbehrlich  war,  so  konnte  die  Ausgestaltung  des  Dramas  nur  durch  ein  solches  Konv 
promifi  erreicht  werden,  der  Musiker  ist  dabei  dem  eigentlichen  Drama,  das  im  Rezitativ  ablauf t, 
ferngehalten  und  ganz  an  die  Arien  verbannt,  die  nun  schematisch  den  Szenenausgang  besetzen 
(Ingressi,  Abgangsarien)  und  so  den  Personenverkehr  bestimmen,  indem  die  einzelnen  Personen 
unter  Szenenhaufung  nacheinander  abtreten.  Auch  werden  Handlungsarien  verpont,  Ver- 
gleichsarien  bevorzugt.  Die  dramatische  Fiihrung,  deren  Starke  bei  Zeno  die  Charakterzeich- 
nung  ist,  folgt  der  f  ranzosischen  Tragodie,  so  schon  aufierlich  in  der  Neigung  zu  5  Akten, 


682  Die  Oper  in  Deutschland  bis  1750 


Ziige  der  italienischen  Oper  sind  aber  beibehalten,  besonders  der  gute  Ausgang.  Der  Prolog 
wird  verschmaht,  dafiir  tritt  am  SchluB  eine  ,,Licenza4'  als  Huldigung  vor  dem  Monarchen  ein. 
Die  einzige  Briicke,  die  von  der  Textdichtung  zur  Ausdrucksfiille  der  Musik  fiihrt,  das  begleitete 
Rezitativ,  ist  etwas  ungemein  Seltenes  und  auf  eine,  hochstens  zwei  Stellen  im  Stuck  beschrankt. 
Dieses  Schema  Zenos  wird  von  seinem  Wiener  Nachfolger  Metastasio  getreulich  ubernommen, 
es  legt  durch  die  groBe.Bedeutung  beider  Manner  fur  das  Theater  mehrere  Jahrzehnte  hindurch 
die  italienische  Oper  ganz  an  die  Kette  der  Da-Capo-Ane. 


Literatur 

F.  Berend,  N.  A.  Strungk,  Diss.,  Munchen  1915.  — -  F.  Chrysander,  Geschichte  der  Braunschweig- Wolfen- 
biittelschen  Kapelle  und  Oper,  Jahrb.  I ;  Verschiedene  Aufsatze  zur  Hamburger  Oper  in  der  Allgem.  Musik- Zeitg., 
Leipzig  1877— 1880.  —  M  Fehr,  A.  Zeno  und  seine  Reform  des  Operntextes,  Diss.,  Zurich  1912.  — M.  Fiirstenau, 
Geschichte  der  Musik  und  des  Theaters  am  Hof  zu  Dresden.  Dresden  1861.  — R.  Haas,  Zu  Monteverdis  II  Ritorno 
d'UIisse,  St.  M\v.  IX;  Zu  Walthers  Choralpassion  nach  Matthaus  A.  f .  M.  II;  Wiener  deutsche  Parodieopern  um 
1730.  Z.  f.  M.  VIII.;  Die  Wiener  Oper,  Wien  1926;  Die  Musik  des  Barocks,  Potsdam  1928.  —  W.  Kleefeld, 
Das  Orchester  der  Hamburger  Oper.  S.  I.  M.  G.  L  —  L.  v.  Kochel,  J.  J.  Fux.  Wien  1872.  —  H.  Kretzschmar, 
Das  erste  Jahrhundert  der  deutschen  Oper.  S.  L  M.  G.  III.  —  H.  Leichtentritt,  R.  Keiser  in  seinen  Opern. 
Diss.,  Berlin  1901.  —  R.  v.  Liliencron,  Die  Horazischen  Metren  Jm  16.  Jahrhundert.  V.  M.  Ill;  Die  Chor- 
gesange  des  lateinischen  deutschen  Schuldramas  im  16.  Jahrhundert.  V.  M.  VI. — E.  0.  Lindner,  Die  erste 
stehende  deutsche  Oper.  Berlin  1855.  —  W.  Lott,  Zur  Geschichte  der  Passionskomposition  von  1650 — 1800.  A.  f. 
M.  III.  —  W.  Meye.r,  Fragmenta  Burana,  Festschrift  der  Gottinger  Akademie  der  Wissenschaften  1901.  — 
A.  NeiBer ,  Servio  Tullio,  Leipzig  1902.  —  M.  Neuhaus,  A. Draghi. St.  Mw.  I.  —  J.  O.  Opel,  Das  erste  Jahr- 
zehnt  der  Oper  in  Leipzig.  N.  Arch.  f.  sachs.  Gesch.  V.  —  K.  Ottzenn,  Telemann  als  Opernkomponist.  Diss., 
Berlin  1902.  —  A.  Priifer,  Untersuchungen  iiber  den  Kunstgesang  in  evangelischen  Schulen  des  16.  Jahrhunderts. 
Leipzig  1890.  —  C.  Refardt,  Die  Musik  der  Easier  Volksschauspiele  des  16.  Jahrhunderts.  A.  f.  M.  III.  — 

F.  M.  Rudhart,  Geschichte  der  Oper  am  Hof  zu  Munchen.  Freising  1865.  —  A.  Sandberger,  Zur  Geschichte 
der  Oper  in  Nurnberg.  A.  f.  M.  I.  —  L.  Schiedermair,  Die  Anf  ange  der  Miinchner  Oper.  S.  I.  M.  G.  V.;  Zur 
Gesch.  der  friihdeutschen  Oper.  J.  P.  1910.   —  H.  M.  Schletterer,  Das  deutsche  Singspiel.  Augsburg  1863.  — 

G.  F.  Schmidt,  G.  K.  Schurmann.   Diss.,  Munchen   1913;  Zur  Gesch.  der  friihd.  Oper,  Z.  f.  M.  V,  VI.  — 
E.  Schmitz,  Harsdorfers  Frauenzimmergesprachsspiele.    Liliencron-Festschrift.    — C.  Schneider ,  Biber   als 
Opernkomponist.  A.  f.  M.  III.  —  H.  Scholz,  J.  S.  Kusser.  Diss.,   Leipzig  1901.  —  A.  Schubiger,   Das   litur- 
gische  Drama  des  Mittelalters  und  seine  Musik.  Berlin  1876.  —  0.  Ursprung,  Die  lateinische  Osterfeier.  Z.  f. 
M.  II.  —  H.  Vogl,  Zur  Gesch.  d.  Oratoriums  in  Wien,  St.  Mw.  XIV.  —  A.  v.  Weilen,  Zur  Wiener  Theater- 
geschichte.  Wien  1901 ;  Die  Theater  Wiens,  Bd.  1 ;  Geschichte  der  Stadt  Wien  VI.  —  E.  Wellesz,  Die  Opern  und 
Oratorien  in  Wien  1660—1708.  St.  Mw.  VI.  —  A.  Werner,  Geschichte  der  Musikpflege  in  Weifienfels.  Leipzig 
1912.  —  Fr.  Zelle,Beitr.z.  Gesch.  der  altesten deutschen  Oper. Berlin, Programm  des  Humboldt-Gymnasiums  1 889, 
1891,1893. 

Neuere  Ausgaben 

Cesti,  II  porno  d'oro.  D.  T.  0.  HI/2,  IV/2.  —  Fux,  Costanza  e  Fortezza.  D.  T.  0.  XVII.  —  Handel,  Almira. 
Ges.  A.  61.  —  Keiser,  Krosus  und  Inganno  fedele.  D.  D.  T.  XXXVII— XXXVIII,  —  Jodelet,  Eitners  Publi- 
kationen  XVIII.  —  Octavia,  Supplement  6  zu  Handels  Gesamtausgabe,  1902.  —  Pallavicino,  Gerusalemme  li- 
berata.  D.  D.  T.  LV.  ~  Schurmann,  Lodovicus  Pius.  Eitners  Publikationen  XVII.  —  J.  G.  Staden,  Seelewig. 
M.  f.  M.  XIII.  —  Steffani,  Alarico.  D.  D.  T.  II.  Folge,  XI/2,  Ausgewahlte  Stiicke,  ebenda  XII/2.  —  Torri, 
Ausgewahlte  Werke,  ebenda  XIX/XX. 

Robert  Haas 


DIE  HOCHMEISTER 
DES  MUSIKALISCHEN  BAROCKSTILS 

Anmerk.:  Es  sei  hervorgehoben,  daB  die  Instrumentalwerke  der  beiden  GroBmeister  in  dem  Abschnitt 
,,Instrumentalmusik  von  1600 — 1750"  auf  S,  540,  die  Oratorien  und  iMysterien  in  dem  Abschnitt  ,,Das  Ora- 
torium  im  18.  Jahrhundert"  auf  S.  704,  die  Opem  Handels  in  ,,Die  Oper  in  England  bis  1740"  auf  S.  663, 
die  Chorale  Bachs  sowie  seine  Kantaten  und  Passionen  in  ,,Die  evangelische  Kirchenmusik"  auf  S.  446  ein- 
gehend  behandelt  werden.  D.  Hgb. 

Am  Ausgange  des  musikalischen  Barock  stehen  die  Personlichkeiten  Bach  und  Handel. 
Ehe  die  Entwicklung  eine  neue  Richtung  einschlug,  ballten  sich  die  inneren  Triebe  und  Ge- 
staltungskrafte  des  vergangenen  Zeitalters  noch  einmal  iibermachtig  zusammen,  so  daB  der 
Zuriickblickende  die  Empfindung  hat,  als  sei  die  Arbeit  der  unmittelbaren  Vorganger  ein 
blofies  Vorbereiten  dieser  letzten  und  hochsten  Leistung  gewesen.  Diese  SchluBleistung  er- 
halt  ihre  besondere  Eigenart  nicht  nur  dadurch,  daB  die  dem  gesamten  Zeitalter  eigentiim- 
lichen  Techniken  und  Ausdrucksmittel  in  vollkommenster  Durchbildung  erscheinen,  sondern 
zugleich  dadurch,  dafi  sich  in  ihr  das  Ethos  des  Zeitalters  in  unvergleichlich  gesteigerter  Weise 
verkorpert.  Unsere  Schatzung  Bachs  und  Handels  geht  weit  iiber  die  Bewunderung  ihrer 
einzelnen  Schopfungen  hinaus.  Nachdenklich  verweilen  wir,  je  langer,  je  mehr,  bei  dem  Wesen 
ihrer  schopferischen  Personlichkeit,  bei  dem  Ausdrucke  dessen,  was  in  ihren  Werken  iiber 
allem  Zeitlichen  und  Bedingten  steht,  ohne  doch  je  eine  abschlieBende  Formel  fur  das  Tran- 
szendente  ihrer  Erscheinung  zu  finden. 

Sebastian  Bach,  der  aus  altem  Thiiringer  Protestantengeschlecht  Entsprossene,  gehort 
von  Haus  aus  zu  den  grofien  spekulativ  veranlagten  germanischen  Naturen.  Wie  sich  ihm 
die  Fahigkeit  erschloB,  in  einer  an  die  Universalitat  der  Mittelalterlichen  grenzenden  Viel- 
gestaltigkeit  das  gesarnte  Vorstellungsgebiet  der  christlich-protestantischen  Weltanschauung 
zu  durchdringen,  so  b'ffneten  sich  ihm  in  schier  unbegreiflicher  Weise  auch  die  geheimsten 
Beziehungen  in  der  Elementarwelt  der  Tone.  Seine  Musik  steckt  voll  tiefer  Symbolik.  Sie 
gehort  zu  dem  bisher  erhabensten  Ausdruck  des  rein  Geistigen  in  der  Musik,  eine  lebendige 
Verkorperung  jenes  Urgesetzlichen,  das  sich  das  polyphone  Denken  im  Laufe  von  fiinf  Jahr- 
hunderten  geschaffen  hatte.  Dies  aber  nicht  auf  der  bloBen  Grundlage  theoretisch-spekulativen 
Nachsinnens,  sondern  auf  Grund  einer  sie  Takt  fur  Takt  durchflutenden  unmittelbaren  und 
wirklichen  Anschauung  dieses  Geistigen.  Es  gab  keinen  Gedanken,  keinen  Begriff,  keinen 
Gefiihlskomplex,  zu  dem  sein  nach  innen  gewendetes  Auge  nicht  ein  anschauliches  musika- 
lisches  Symbol  gefunden  hatte.  Viele  seiner  so  bildhaft  wirkenden  Themen  und  Motive  sind 
zwar  alteres  Barockgut  und  entschleiern  ihren  letzten  Sinn  erst  nach  langerer  Beschaftigung 
mit  der  musikalischen  Sprachsymbolik  der  Zeit  iiberhaupt,  aber  sie  tragen  in  ihrer  Formung 
samtlich  den  Stempel  Bachscher  Eigenart.  Dabei  ist  wesentlich,  daB  Bach,  wo  der  Text  es 
erheischte,  das  Bild  nie  um  des  Bildes  wegen  gesetzt  hat,  wie  so  manch^r  geringere  Barock- 
meister.  Vielmehr  fiel  es  fiir  ihn  zusammen  mit  dem  inneren  Ausdruck,  mit  dem  ,,Affekt" 
der  betreffenden  Stelle.  Wahrend  die  Romantik  ihre  Ausdrucksbewegung  auf  intuitiv  gefuhls- 
maBigem  Wege  findet  und  demgemafi  subjektiv  wirkt,  laBt  Bach  sich  iiberall  —  auch  wo  er 
starksten  Ausbriichen  gegeniibersteht  —  durch  mehr  oder  weniger  greifbare  Bild-,  Zustands- 
oder  Begriffsvorstellungen  leiten.  Das  gibt  seiner  Musik  den  groBartigen  Zug  ins  Uberperson- 
liche.  Bei  den  Vokalwerken  ermoglicht  es  der  Text,  gewissen  Bach  haufig  beschaftigenden 
44  H.a,  M, 


Die  Hochmeister  des  musikalischen  Barockstils 


Vorstellungskomplexen  nachzuspuren,  und  da  alles,  was  er  schrieb,  von  einer  beispiellosen 
geistigen  Einheit  beherrscht  ist,  die  keine  Ausnahmen  oder  Willkiirlichkeiten  kennt,  so  konnten 
Alb.  Schweitzer  und  A.  Pirro  es  wagen,  die  Motivsprache  Bachs  und  ihre  Verwendung  im 
Dienste  des  Ausdnicks  geradezu  in  eine  Art  wissenschaftliches  System  zu  bringen.  Freihch, 
was  wir  in  dieser  Beziehung  durch  Vergleich  und  Analyse  nachtraglich  herauslosen  und  dann 
als  objektiv  Gegebenes  auf  uns  wirken  lassen,  lebte  in  Bach  als  unmittelbar  zeugende  Kraft. 
Obersinnliches,  nicht  Anschaubares  sich  anschaulich  zu  vergegenwartigen,  ist  Mystik.  In 
diesem  Sinne  ist  Bachs  Schaffen  mit  der  Mystik  verwandt.  Alles  pragt  sich  durch  die  Klarheit 
und  Helle  des  inneren  Erlebnisses  aus. 

Wo,  wie  in  den  reinen  Instrumentalwerken,  das  richtungangebende  Wort  fehlt,  ist  die 
Deutung  der  Bachschen  Phantasiewelt  allerdings  nur  durch  unmittelbares  Erfassen  moglich. 
Da6  aber  auch  hier,  in  Praludien,  Fugen,  Tokkaten,  Phantasien,  Konzerten  ein  gewisses  Bild- 
hafte,  Zustandliche,  Begriffliche  den  geistigen  Ausgang  bildete  und  die  Symbolik  der  Ton- 
gestalt  beeinfluBte,  steht  wohl  aufier  Zweifel.  Denn  die  ,,Sprache"  Bachs  ist  hier  keine  andere 
als  dort.  Dazu  kommt  aber,  dafi  in  der  Instrumentalmusik  die  Moglichkeit  gegeben  war, 
die  Vorstellungskomplexe  dern  Reiche  der  absoluten  Tonkombinationen  zu  entnehmen,  jener 
Welt  unzahliger  kontrapunktischer  Moglichkeiten  also,  in  der  sich  Bach  von  Anfang  an  zu 
Hause  fiihlte.  Die  Fortspinnungen  vieler  seiner  Fugen  und  Choralvorspiele  ziehen  ihre  Kraft 
wesentlich  aus  solchen  kontrapunktisch-architektonischen  Vorstellungen,  die  damals,  wenig- 
stens  fur  Bach,  noch  denselben  unvergleichlichen  Anreiz  zum  Schopferischen  gaben,  wie 
das  beste  lyrische  Gedicht  far  das  Schaffen  der  spateren  Romantiker.  Wer  in  seinen  Praludien 
und  Fugen  nichts  als  tongewordene  mathematische  Exempel  sieht,  unterschatzt  diese  Tatsache 
und  kommt  mit  dem  Begriff  des  Genies  in  Konflikt. 

Ph.  Spitta  spricht  gelegentlich  von  der  eigentiimlichen  inneren  Erregung,  die  alle  Werke 
Bachs  durchzieht  Sie  ist  als  solche  zwar  mehr  oder  minder  jedem  schopferischen  Geiste 
eigen,  tritt  aber  bei  ihm  in  besonderer  Starke  und  schon  in  den  Jugendwerken  auffallig  ent~ 
gegen.  Die  Vollendung  des  Barockgeistes  zeigt  sich  gerade  darin,  dafi  er  jeweilig  zu  den 
scharfsten  Mitteln  melodischer,  harmonischer,  rhythmischer,  kontrapunktischer  Natur  griff 
und  mit  dem  Moment  der  Oberraschung  arbeitete,  wie  kein  zweiter  Meister  im  barocken 
Zeitalter.  Es  gibt  Rezitative  (etwa  jenes  kurze  von  13  Takten  ,,Sie  lehren  eitel  falsche  List" 
in  der  Kantate  Nr.  2,  ,,Ach  Gott,  vom  Himmel  sieh  darein"),  in  denen  nahezu  jedes  Wort 
durch  ein  musikalisches  Reizmittel  nachdriicklich  gemacht  ist: 

Adagio  *) 

(Tenor)  m  Recit.  bj_ji 

sF^P11  $ —  S^tfrTF  $=^pz^=rv-=$-~ 
?— a — -v — v af— g 4 — -PI- — g — - 


pr^jMMfc*=?=p-E 


Sic     leh  -  ren     ei  -  tel      fal  -  sche  List,  was    wi  -  der  Gott    und    sei  -  ne    Wahi  -heit 

J_ 


^ 


l)  In  den  Takten   I  und  7  symboiisiert  Bach  die  ,»falschen  Lehrer*    im  besonderen  noch  dadurch,  dafi  er 
zwei  Zeilen  der  unmittelbar  vorher  gehorten  Choralweise  in  gespreizt-anmaCendem  Tone  (Adagio)  kanonisch  einfiihrt. 


Die  Hoclimeister  des  musikaliscnen  Barockstils 


685 


ist,      und    was    der    ei-genWitz    er  -  den  -ket,       o      Jam-mer,    der     die    Kir  -  che  schmerzlicfc 


- 


Adagio 


kran-ket,      das  muB     an-statt  der  Bi -  bel  stehn.  Der    Ei  -  ne     wah-let  dies,  der    An-dre    das, 


Retit. 


-*—y — $=$=?= 

die      to-  rich  -  te     Ver-nunft    ist      ihr    Kom-paS,     sie     glei-chen   de  -  nen     to  -  ten 


Gra-Um,  die,      ob        sie       zwarvon     au  -  Ben     schSn,  nur  Stank  und  Mo  -  der     in      sick 


E=£ 


I 


fas  -   sen          und      lau    -  ter      Un  -  flat       se   -  Ken      las    -  sen. 


44* 


Die  Hochmeister  des  musikalischen  Barockstils 


Es  gibt  ebenso  Arien  (etwa  das  ,,Dein  Wetter  zog  sich  auf  *  in  Mr.  46,  ,,Schauet  doch  und 
sehet"),  wo  Singstimme  und  Instrumente  sich  im  Ausspielen  klanglicher  oder  thematischer 
Uberraschungen  formlich  iiberbieten.  Chorrufe  wie  das  ,,Barrabam"  oder  der  Satz  ,,Sind  Blitze, 
sind  Dormer"  der  Matthauspassion  sind  weitere  Beispiele  fur  solche  Geniezuge,  die  Bach  in 
gleicher  Starke  nur  bei  den  grofien  norddeutschen  Orgelmeistern  vorgepragt  fand.  Bleiben  sie 
aber  bei  andern  Zeitgenossen  (Telemann,  Keiser,  Mattheson)  gewohnlich  nur  geistreiche  Ein- 
falle  von  Augenblickswirkung,  so  versteht  Bach  ihnen  kraft  seines  beispiellos  ausgebildeten 
Gefiihls  fur  inneren  Rhythmus  eine  dynamische  Energie  mitzugeben,  die  iiberwaltigt  und  sie 
in  die  Nahe  elementarer  Ereignisse  riickt.  Die  Eingangschore  der  beiden  Passionen,  das  Kyrie 
der  Hohen  Messe,  der  erste  Chor  von  ,,Ein  feste  Burg"  und  viele  andere  gehoren  hierher. 

Das  Barock  der  grofien  Wiener  Meister  zur  Zeit  Bachs,  voran  des  Job.  Jos.  Fux,  ist  ein 
anderes.  Schon  der  konfessionelle  Unterschied  trennte.  Hier  wuchs,  als  Mischung  aus  Kunst- 
elementen  der  klassischen  Polyphonic  der  Altitaliener  und  Stromungen  vom  jungeren  Italien 
her,  ein  Stil  herauf,  dessen  Monumentalitat  keinesfalls  geringer  ist.  Die  fur  ihn  entscheidenden 
Werke  gehoren  der  katholischen  Kirchenmusik,  dem  Oratorium  und  der  Oper  an.  Das  einzelne 
Wort  oder  der  von  ihm  beherrschte  Satzteil  gewinnt  hier  nicht  die  tonsymbolische  Zeugungs- 
kraft  wie  im  Norden,  sondern  ordnet  sich  —  so  war  es  italienische  Uberlieferung  —  dem 
Ausdruck  des  Gesamtaffekts  unter.  Das  wieder  wirkt  auf  den  Charakter  der  Melodik,  die  auf 
ungehemmte  Entfaltung  breiter,  sinnlich  schoner  Linienzuge  hindrangt.  Sie  ist  in  Wien 
durchaus  von  den  grofien  dort  beschaftigten  Italienern  (Caldara,  Conti,  Porsile,  Badia)  be- 
stimmt  worden,  die,  zugleich  Opern-  und  Oratorienkomponisten,  ihr  Talent  in  standigem 
Umgang  mit  bedeutenden  Gesangsvirtuosen  schulten.  Der  deutsche  Einschlag  macht  sich 
bemerkbar  in  der  Hochschatzung  des  kunstvollen  Kontrapunkts  und  seiner  mannigfachen 
Spielarten.  Vielleicht  ist  in  keinem  Zeitalter  und  an  keinem  zweiten  Orte  das  Bediirfnis  und 
die  Fahigkeit,  in  den  strengsten  Formen  der  Polyphonic  (Kanon  und  Fuge)  zu  denken,  so  all- 
gemein  gewesen  wie  damals,  als  Fux,  der  Verfasser  des  Gradus  ad  Parnassum,  an  der  Spitze  der 
Wiener  Hofmusik  stand.  Man  richtet  nicht  nur  ganze  Messen  voll  hochster  Kiinstlichkeit  auf, 
wie  Fux  mit  seiner  Karl  VI.  gewidmeten  Missa  canonica  (1718),  sondern  lafit  Fuge  und  Kanon 
selbst  in  die  verganglichsten  Stiicke  der  Oper,  die  Arien,  emdnngen,  nicht  immer  zum  Vorteil 
der  dramatischen  Wirkung.  Es  tritt  auch  hier  der  dem  gesamten  Barockzeitalter  eigentiimliche 
Zug  in  Erscheinung:  das  heifie  Streben,  die  Materie  restlos  durch  den  Geist  zu  bezwingen. 

Fur  Han  dels  Schaffensrichtung  ist  der  Einflufi  Italiens  entscheidend  gewesen,  des  Italiens 
Scarlattis  und  Corellis.  Wie  diesen,  so  lag  es  auch  ihm  fern,  die  Klinste  des  Kontrapunkts  um 
Jhrer  selbst  wegen  aufzusuchen  oder  gar  zum  Angelpunkt  ganzer  Werke  zu  machen,  so  sicher- 
lich  er  dies  vermocht  hatte.  Seine  ganze  Natur  strebte  dem  Dramatischen  zu.  Ihn  fesselte 
von  Anfang  an  das  Ratselhafte  der  menschlichen  Seele,  und  sein  Trachten  ging  dahin,  Ge- 
stalten  zu  schaffen.  So  verleugnete  er  zunachst  seine  Schulung  im  Geiste  des  Hallenser  Kan- 
tatenmeisters  Zachow  und  schrieb  fur  Florenz,  Rom  und  Venedig  im  reinen,  reifen  Stile  der 
gleichzeitigen  Italiener.  In  der  Oper  ist  Handel  auch  spater  Italiener  geblieben.  Nach  dem 
Ubertritt  auf  englischen  Boden  kam  er  mit  der  grofien  einheimischen  Chormusik  Englands  in 
Beriihrung  und  begann  sofort,  sich  alle  ihre  Mittel  untertan  zu  machen.  Seine  Musik  ge 
winnt  jetzt  neben  der  Tiefe,  die  sie  von  Anfang  an  kennzeichnet,  einen  bemerkenswerten  Zug 
ins  Breite.  So  im  Utrechter  Tedeum  (1713)  und  in  den  wenige  Jahre  spater  entstandenen 


Abb.  75.  Bach,  H-moll-Messe,  Autograph.  Crucifixus,  Takt  5 — 23. 
Original  im  Besitz  <der  preuBischen  Staatsbibliothek,  Berlin 


688 


Die  HochmeisUr  des  musikalischen  Barockstils 


Chandos- Anthems.  Aber  schon  die  urspriingliche  Fassung  des  Oratoriums  ,,Esther"  zeigt, 
welche  Rolle  Handel  dem  Chore  kiinftig  auch  innerhalb  einer  dramatischen  Handlung  zu- 
weisen  wird.  Im  ,,Israel  in  Agypten"  (1739)  erreicht  diese  auch  bei  Erzahlung  und  Schilderung 
von  dramatischem  Schwunge  beseelte  Chortechnik  ihren  Hohepunkt,  aber  auch  ihr  Ende,  da 
es  unmoglich  scheint,  sie  im  Rahmen  eines  einzigen  Werkes  noch  weiter  zu  steigern.  Gegen- 

(Andanle) 


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Die  Hochmeister  des  musikalischen  Barockstils  689 

iiber  Bachschen  Choren,  deren  lebhaftes  organisches  Stimmengeflecht  auch  bei  schwach  be- 
setzten  Sangergruppen  wirksam  bleibt,  rechnen  diejenigen  Handels  auf  Massenbesetzung. 
Daher  die  groBere  Flachenhaftigkeit  in  der  Anlage,  ihre  verhaltnismafiig  schlichte  harmonische 
und  melodische  Struktur,  wie  sie  als  grofiartigstes  Musterbeispiel  das  erste  der  Kronungs- 
anthems,  ,,Zadok,  der  Priester",  verrat  (vgl.  das  Notenbeispiel  S.  688). 

Die  Hinwendung  Handels  zum  Chororatorium  erfolgte  in  England.  Das  Vorbild  dazu  fand 
•er  jedoch  ebenfalls  in  Italien,  in  den  einem  friiheren  Stadium  des  Barock  angehorenden  Ora- 
torien  Carissimis,  die  ihm,  wie  eine  Entlehnung  in  ,,Samson"  beweist,  nicht  nur  dem  Namen 
nach  bekannt  waren.  Es  ergibt  sich  somit  die  merkwurdige  historische  Tatsache,  dafi  eine 
Gattung,  die  im  Kreise  romischer  Jesuiten  ihr  Geprage  empfangen  hatte,  ihre  Vollendung 
•durch  einen  protestantischen  Deutschen  erfahrt,  und  zwar  in  einem  Lande,  das  als  erstes  der 
religiosen  Aufklarung  huldigte.  Die  gewaltige  Vertiefung,  die  Handel  ihr  gibt,  beruht  im 
wesentlichen  in  der  mit  psychologischem  Scharfblick  erfafiten  scharfen  Zeichnung  der  Cha- 
raktere.  Hierftir  hatte  ihn  die  Oper  geschult.  Hier  wie  dort  herrscht  die  Da-capo-Arie  mit 
ihren  dem  barocken  Empfinden  so  einleuchtenden  beiden  gegensatzlichen  Teilen.  So  oft  aber 
Handel  das  iiblich^  Schema  einh'alt,  so  oft  entfernt  er  sich  auch  von  ihm  und  schafft  drama- 
tische  oder  lyrische  Ergiisse  —  in  den  letzten  Oratorien  ,,Theodora",  ,,Susanna"  und  ,Jephta" 
stehen  solche  — ,  die  sich  unter  keine  theoretische  Formel  bringen  lassen,  Auch  bei  Handel 
wtirde  es  moglich  sein,  ein  Verzeichnis  gewisser  bei  gleichen  oder  verwandten  Vorstellungen 
auftretender  Elementarwendungen  aufzustellen.  Aber  sie  tauchen  in  der  Regel  bald  unter  in 
<lem  Strome  rein  gefuhlsmaBigen  Gestaltens  und  verlieren  damit  die  bildhafte  Deutlichkeit, 
•die  ihnen  Bach  zu  erhalten  pflegte.  Bach  war,  da  er  mit  einem  Gymnasiastenchor  zu  rechnen 
hatte,  gezwungen,  den  von  Knabenstimmen  nicht  zu  fordernden  tiefen  seelischen  Ausdruck 
gleichsam  in  die  {Composition  selbst  hineinzuprojizieren  und  kam  auf  diese  Weise  zu  seiner 
50  vielfach  gebrochenen  und  im  wahren  Sinne  oft  barocken  Melodik.  Handel  hatte  iiber- 
wiegend  italienische  oder  italienisch  geschulte  Gesangsgrofien  vor  sich,  deren  Reife  des  Emp- 
findens  und  Vortragskunst  ihn  zur  Bevorzugung  breiter,  schwellender  Kantilene  auffordern 
mufite.  Nahezu  jede  Arie  Handels  ist  daher  von  dem  Zauber  reiner  bel-canto-Kunst  um- 
flossen  und  tritt  abseits  von  dem,  was  Bach  sich  in  heifiem  Ringen  um  Wortsinn  und  iibersinn- 
liche  Bedeutung  an  stilistischer  Selbstandigkeit  erkampfte. 

Auch  in  der  reinen  Instrumentalmusik  ist  Handel  niemals  Problematischem  nachgegangen. 
Als  Instrumentalkomponist  blieb  er,  streng  genommen,  bis  an  sein  Ende  ein  Schuler  Corellis, 
also  abermals  eines  Meisters  romischer  Pragung.  Der  wundersamen  E-dur-Arie  am  Schlusse 
seines  letzten  Oratoriums  ,,Triumph  of  time  and  truth"  (1 757)  belafit  er  dasselbe  nur  wenig 
veranderte  Geigensolo,  das  er  an  der  gleichen  Stelle  (im  ,,Trionfo  del  tempo"  1708)  einst  in 
Rom  for  den  grofien  Geiger  geschrieben  hatte,  und  in  so  manchem  Concerto  grosso,  mancher 
Triosonate  kehrt  Corellisches  Gedankengut,  handelisch  umgeschmolzen  und  vergeistigter, 
wieder.  Selbst  in  der  Klaviermusik  verlafit  Jhn  dessen  Geist  nicht,  obwohl  hier  die  Einfliisse 
Domenico  Scarlattis  und  solche  von  der  deutschen  Heimat  her  iiberwiegen.  Diese  letztere, 
die  Jm  Herzen  Handels  stets  unvergessen  blieb,  hat  ihm  bei  allem  doch  das  Schonste, 
Dauerndste  und  Unverganglichste  verliehen:  den  Blick  in  die  Tiefe  des  Herzens  und  die 
Richtung  aufs  Ewige.  Sie  geben  seinen  Werken  die  GroBe,  Ruhe  und  Klarheit,  an  der  sich 
bis  heute  noch  jede  Generation  erhoben  und  gestarkt  hat.  Arnold  Schermg 


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2 


DAS  DEUTSCHE  LIED 
IM  17.  UND  18.JAHRHUNDERT 

Fur  die  Entwicklung  des  Lieds  ist  das  Aufkommen  des  Generalbasses  von  besonderer  Be- 
deutung.  Kannte  man  bis  dahin  nur  das  mehrstimmige  Lied  der  A-cappella-Periode,  das  zwar 
nach  Bedarf  auch  als  Sololied  mit  Instrumenten  ausgefiihrt  wurde,  so  ermoglichte  doch  erst 
die  Erfindung  des  Generalbasses  leichte  Fixierung  eines  durchgebildeten  Akkompagnements 
auf  Akkordinstnimenten  als  Voraussetzung  jeder  solistischen  Kleinkunst.  Jetzt  erst  kann  sich 
neben  dem  mehrstimmigen  Lied,  das  nun  seinerseits  auch  mit  Generalbafi  versehen  wird 
und  in  dieser  Gestalt  noch  fiir  lange  Zeit  in  Ubung  bleibt,  die  begleitete  Monodie,  inDeutsch- 
land  das  begleitete  Sololied,  herausbilden.  Unter  den  friihesten  Vertretern  dieser  neuen 
Gattung  verdient  Heinrich  Albert  (1604—1651)  besondere  Hervorhebung.  Zwar  hat 
es  auch  vor  ihm  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  die  neue  Kunst  in  Deutschland  einzuburgern, 
aber  diese  Vorganger,  unter  ihnen  in  erster  Linie  Thomas  Selle  in  Hamburg  mit  seinen 
,,Monophoneticis"  (1636),  folgten  fast  ausnahmslos  italienischen  Vorbildern.  Anders  Albert; 
dieser  gebiirtige  Sachse  und  Vetter  des  grofien,  am  neuen  Liede  stark  interessierten 
Heinrich  Schiitz,  kam  als  junger  Student  nach  Konigsberg  und  geriet,  selbst  ein  talen- 
tierter  Poet,  in  einen  Kreis  literarisch  interessierter  Kommilitonen,  dessen  Mittelpunkt 
eines  der  besten  lyrischen  Talente  der  Zeit,  der  noch  heute  gekannte  Simon  Dach, 
war.  Mit  ihm  verband  den  strebsamen  Musiker  bald  innigste  Freundschaft,  und  diesem 
Bunde  in  erster  Linie  ist  Alberts  grofies  Liederwerk,  die  ,,Arien",  die  in  8  Teilen  in 
Konigsberg  von  1638—51  erschienen,  zu  danken.  Im  Gegensatz  zu  seinen  Vorgangern  kniipft 
nun  Albert  in  den  Arien  —  der  Name  bezeichnet  in  dieser  Zeit  noch  keinen  bestimmten  Form- 
typus  —  an  zwei  altbewahrte  Formen  deutscher  Herkunft,  das  Tanzlied  und  den  protestan- 
tischen  Choral  an  und  hat  in  engster  Anlehnung  an  diese  beiden  Grundtypen  eine  Reihe 
reizender  Lieder  geschaffen,  von  denen  das  allbekannte,  immer  wieder  abgedruckte  ,,Vorjahrs~ 
liedchen"  und  das  Herbstlied  ,Jetzund  heben  Feld  und  Wald"  genannt  sein  mogen.  Dariiber 
hinaus  aber  hat  er  in  hochst  bedeutsamer  Weise  und  mit  iiberlegenem  Kunstverstand  diese 
volkstumlichen  Formen  mit  Elementen  der  hoheren  Kunst  zu  durchdringen  vermocht  und 
damit  einen  neuen  Liedtypus  geschaffen,  der  alle  Wandlungen  der  Zeit  tiberdauert  hat  und 
noch  heute  Lebensfahigkeit  besitzt.  Albert  selbst  hat  ihn  in  seinen  Arien  vielfach  erprobt  und 
in  dem  Hauptstikk  der  Gattung,  ,,Auf,meinGeist!  Und  nun  erhebe",  eine  seiner  besten  Lei- 
stungen  geboten: 


mein  Geist !  Und  nun  er  -  he 


be    Gottes  Gut' und  Va     -     ter-treu' 


Daneben  hat  er  denn  freilich  als  Kind  seiner  Zeit  auch  der  italienischen  Richtung  in  einer 
Reihe  schwacherer  Nummern  seinen  Tribut  gezollt.  Albert  ist  nun  aber  keineswegs  uber- 
zeugter  Monodist,  vielmehr  halten  sich  in  seinen  ,,Arien"  Solonummern  und  Lieder  fur  mehrere 


692  ^as  Deutsche  Lied  im  17.  und  18.  Jahrhundert 

Stimmen  fast  die  Wage;  ja,  wir  sehen  sogar,  wie  er  in  den  spateren  Teilen  die  mehrstimmige 
Form  wieder  bevorzugt,  der  beste  Beweis  dafar,  wie  schwer  man  sich  mit  der  neuen  Kunst 
zu  befreunden  vermochte.  Ahnliche  Wahrnehmungen  lassen  sich  auch  bei  anderen  Vertretern 
des  neuen  Stils,  unter  denen  wohl  nicht  zufallig  die  Organisten  dominieren,  machen;  am  aus- 
gepragtesten  lafit  sich  diese  zweideutige  Stellung  dem  neuen  Lied  gegeniiber  in  den  Ristschen 
Sammlungen  und  spater  bei  Johann  Wolfgang  Franck  erkennen. 

Der  Gegensatz  von  hoherer  Kunst  und  Volkskunst,  der,  wie  wir  sahen,  gleich  im  ersten 
wirklich  deutschen  Liederwerk  in  die  Erscheinung  tritt,  und  dem  Albert  in  mehr  vermittelndem 
Sinne  geschickt  begegnete,  bildet  noch  auf  lange  Zeit  hinaus  die  vornehmste  Triebfeder  aller 
Betatigung  im  neuen  Lied. 

Das  volkstiimliche  Prinzip  findet  einen  ebenso  hartnackigen  wie  kurzsichtigen  und  eng- 
herzigen  Verfechter  in  dem  als  fruchtbarer  Kirchenliederdichter  bekannten  Wedeler  Geist- 
lichen  Johann  Rist  (1607 — 67).  Rist,  der  sich  bereits  als  Student  im  weltlichen  Liede  nicht 
unriihmlich  hervorgewagt  hatte,  sah  in  der  Popularisierung  des  neuen  musikalischen  Kunst- 
zweiges  seine  schonste  Aufgabe,  ein  Ziel,  far  das  er,  dank  seiner  ausgedehnten  Beziehungen 
zu  den  besten  Musikern,  mit  Erfolg  einzutreten  sich  wohl  zutrauen  durfte.   Es  gelang  ihm 
auch,  in  seinen  1642  erschienenen  ,,Himmlischen  Liedern"  geistliche  Liedertexte  voll  Kraft 
und  Bilderreichtum  zu  schaffen  und  zu  ihrer  Komposition  den  vortrefflichen  Hamburger 
Musiker  Johann  Schop  zu  bestimmen.    Schops  Melodien,  durchweg  choralartige  Stiicke, 
die  neben  gehaltvoller  Melodik  eine  etwas  freiere  Form  im  Sinne  Alberts,  kleinere  Ansatze 
zu  imitatorischer  Schreibweise  sowie  mafivoll  angewandte  Chromatik  auszeichnen,  hatten 
wohl,  so  mochte  man  meinen,  durchaus  dem  entsprechen  miissen,  was  Rist  als  erstrebens- 
wertes  Liedideal  vorschwebte.  Aber  selbst  das  scheint  diesem  iibereifrigen  Volksfreunde  nicht 
einfach  genug  gewesen  zu  sein,  denn  in  seinen  zahlreichen  spateren  Sammlungen,  die  den 
,,Himmlischen  Liedern"  an  dichterischem  Wert  nicht  gleichkommen,  hat  er  allmahlich  einen 
groBen  Kreis  von  Musikern  an  sich  gezogen,  darunter  Talente  wie  den  Hamburger  Scheide- 
mann,  Hammerschmidt  und  S.Th. Staden,  doch  sinken  hier  die  Melodien  selbst  der 
besten  Kopfe  zu  blutleerer  Schablone  hinab,  von  der  es  nur  selten  Ausnahmen  gibt,  so  etwa 
in  Stadens  ,,Ach,  welch  ein  Ubel  ist  der  Krieg".   InRists  weltlichen  Sammlungen  treten  die 
guten  Seiten  seiner  Tendenz  im  ganzen  erfreulicher  hervor.  Die  ,,Galathea"  (1642)  und  auch 
die  ,,Florabella"  (1651)  bieten  eineReihe  hiibscher,  echt  volkstiimlich  empfundener  Melodien, 
die  wir  wieder  Schop  und  einem  andern  Hamburger  Musiker,  Peter  Meier,  verdanken.  Neben 
Originalmelodien  bringt  nachweisbar  die  ,,Galathea"  auch  Parodien,  d.  h.  Anpassung  instru- 
mentaler  Stiicke  meist  auslandischer  Herkunft  an   die  Texte,  ein  Verfahren,  das  bereits 
Albert  kennt,  und  das  far  die  Geschichte  des  Liedes  noch  von  besonderer  Bedeutung  werden 
sollte.  Schon  gleich  die  nachste  Sammlung,  die  wir  zu  erwahnen  haben,  bestreitet  den  musi 
kalischen  Teil  ganz  mit  derartigen  Parodien:  Gabriel  Voigtlanders   ,,Allerhand  Oden 
und  Lieder",  zu  Sohra  auf  Seeland,  also  in  nachster  Nahe  Hamburgs,  1642  erschienen. 
Nach  der  textlichen  Seite  bedeutet  Voigtlander,  der  als  Trompeter  in  danischen  Diensten 
stand,  insofern  einen  Fortschritt,  als  er  in  diesen  Oden  den  Kampf  gegen  die  allzusehr 
iiberhandnehmenden  mythologischen  Spielereien,  den  Rist  auch  androhte,  mit  Erfolg  auf- 
nimmt.   Voigtlander  sucht  seine  Stoffe   in  alltaglichen  Begebenheiten,  er  behandelt  Tun 
und  Treiben  der  verschiedensten  Stande,  geiBelt  ihre  Schwachen  und  Laster  nicht  ohne 


Das  deutsche  Lied  im  17.  und  1 8.  Jahrhundert  693 

\Vitz  und  Sarkasmus.  Die  Melodien,  durchweg  Stiicke  knappster  Form,  sollen  laut  Titel 
aus  aller  Herren  Lander  stammen;  und  da  eine  Ubereinstimmung  zwischen  Text  und 
Melodie  unserm  Trompeter  offenbar  wenig  Sorge  bereitet  hat,  so  tritt  der  kiinstlerische 
Wert  der  Sammlung  hinter  ihrer  geschichtlichen  Bedeutung  durchaus  zurikk.  Gleichwohl 
hat  sie  Jhren  Erfolg  gehabt,  und  die  Texte  besonders,  aber  auch  die  Melodien  konnten  sich 
noch  lange  groBer  Beliebtheit  erfreuen  und  auch  an  Nachahmern  des  Verfahrens  hat  es 
nicht  gefehlt;  unter  ihnen  steht  Greff linger  mit  seinen  ,,Weltlichen  Liedern"  (Frankfurt  1651) 
an  erster  Stelle. 

Wahrend  in  Hamburg  das  neue  Lied  durch  Rists  iibertriebene  Sucht  nach  Volkstiimlichkeit 
notgedrungen  verkiimmern  muBte,  verfallt  es  in  Sachsen  in  das  andere  Extrem  des  allzu  Ver- 
kiinstelten,  und  auch  hier  kommt  die  Entwicklung  vorzeitig  zum  Stillstand.  Zunachst  be- 
obachten  wir  aber  einen  hochst  erfreulichen  Aufstieg.  Andreas  Hammerschmidt,  be- 
kannt  auch  als  Mitglied  des  Ristschen  Kreises,  nimmt  in  seinen,  1642  und  folgende  Jahre 
zu  Freiberg  erschienenen  ,,Weltlichen  Oden"  den  Hamburger  Stil  nach  Sachsen  hiniiber,  be- 
reichert  ihn  durch  Hinzunahme  von  begleitenden  Streichinstrumenten  und  zeigt  sich  in  den 
besten  Stiicken  (z.  B.  ,,Nirgends  hin  als  auf  den  Mund" ;  Moser  Nr.  5)  als  ein  durchaus  liebens- 
wiirdiges  Liedtalent.  Ungleich  bedeutender  erscheint  Konstantin  Christian  Dedekind 
in  seiner  1657  zu  Dresden  herausgekommenen  ,,Aelbianischen  Musenlust".  In  der  auBeren 
Form  folgt  auch  dieser  sachsische  Hofmusikus  mit  seiner  stattlichen  Sammlung,  die  die  besten 
Dichter  jener  Zeit,  Opitz,  Fleming,  Dach,  Rist  und  noch  manche  kleinere  Talente  vorwiegend 
sachsischer  Herkunft  vereinigt,  dem  anspruchslosen  Hamburger  Vorbilde,  aber  in  der  Be- 
lebung  und  ausdrucksvollen  Gestaltung  dieser  Form,  in  einer  vornehm  gewahlten  Melodik 
zeigt  sich  der  hervorragende  Liedkomponist.  Dedekinds  Leistungen  werden  noch  erheblich 
iibertroffen  von  einem  andern  sachsischen  Liedmeister,  dem  Leipziger  Organisten  und  spa- 
teren  Dresdener  Hofmusikanten  Adam  Krieger,  dessen  bedeutsamem  Wirken  ein  allzu- 
friiher  Tod  vorzeitig  ein  Ziel  setzte.  Seine  ,,Arien",  die  wir  heute,  von  einzelnen  Fragmenten 
der  1657  erstmalig  erschienenen  Sammlung  abgesehen,  nur  noch  in  einer  zweiten,  posthum 
1 667  erschienenen  Ausgabe  kennen,  stehen  formell  in  gleicher  Weise  wie  die  Arbeiten  Hammer- 
schmidts  und  Dedekinds  durchaus  auf  Hamburger  Boden.  Auch  sie  kniipfen  an  Volks-  und 
Tanzlied  an,  halten  sogar  an  dessen  strenger  Symmetric  mit  einer  auffallenden  Zahigkeit 
fest  und  geben  sie  nur  da  einmal  auf,  wo  es  der  Komponist  auf  hochste  Ausdruckssteigerung 
abgesehen  hat.  Durch  derartige  Dehnungen  erzielt  Krieger  ganz  hervorragend  schone  Wir- 
kungen,  so  etwa  in  der  Hauptnummer  der  Sammlung  „ Adonis  Tod*'.  Durch  sein  iiberragendes 
melodisches  Talent  weiB  nun  aber  Krieger  bei  aller  Strenge  und  Geschlossenheit  der  Form 
die  Lieder  so  abwechslungsreich  zu  gestalten,  weifi  die  mannigfachsten  Stimmungen  der 
Texte,  die  ihn  iiberdies  als  recht  sympathischen,  formgewandten  und  anmutigen  Dichter 
zeigen,  voll  auszuschopfen,  so  z.  B.  in  folgendem  elegischen  Lied: 

•-f.   .  D- 


m 


Weicht.  ihr    Ge~  dan  -  ken,  weicht  von  mir!  Wie  konnt  ihr    mich     doch     nur     so    qua-len? 

fe= — r   r    rr~^^= 


i 


Das  deutsche  Lied  im  17.  und  1 8.  Jahrhundert 


Er  weiB  vor  allem  durch  kleine,  aber  hochst  gehaltvolle  Nachspiele  oder  auch  vereinzelte 
Zwischenspiele  fur  fiinfstimmiges  Streichorchester  die  beim  Horer  erweckte  Stimmung  m 
einer  Weise  nachklingen  zu  lassen,  daB  seine  Arien  mit  Recht  als  ein  erster  Hohepunkt  in  der 
Entwicklung  des  neuen  Liedes  gelten  konnen.  Sie  sind  die  erste  Sammlung  im  neuen  Stil, 
welche  auch  heute  noch  Gebrauchswert  besitzt,  was  man  von  alien  bisherigen  Erscheinungen, 
Albert  mit  geringen  Ausnahmen  eingeschlossen,  doch  nicht  sagen  kann.  Stilistisch  nahe  steht 
diesen  Arien  Johann  Jacob  Loewe  von  Eisenach  mit  seiner  1665  erschienenen  ,,Salanischen 
Musenlust",  die  sich  sogar  in  AuBerlichkeiten  (gereimte  Uberschriften)  an  das  Vorbild  anlehnt. 

Mehr  und  mehr  gewinnt  nun  aber  OperneinfluB  als  Folge  des  Einzugs  der  italienischen 
Oper  in  Dresden  im  sachsischen  Liede  die  Oberherrschaft ;  den  volkstiimlichen  kleineren 
Formen  der  eben  Genannten  treten  in  Sammlungen  wie  Johann  Kriigers  ,,Musikalischer 
Ergotzlichkeit"  (1684)  und  Jakob  Krembergs  ,,Musikalischer  Gemiitsergb'tzung"  (1689) 
die  groBeren  von  Kantate  und  Opemarie  entlehnten  Liedformen  gegeniiber,  deren  Ausdrucks- 
mittel  hier  freilich  oft  genug  ohne  jede  innere  Notwendigkeit  zur  Anwendung  gelangen  und 
asthetisch  wenig  befriedigende  Gebilde  zeitigen.  DaB  aber  trotz  dieser  Neigung  zu  einer 
mehr  aufierlichen  Wirkung  auch  dieser  Stilrichtung  hin  und  wieder  Lieder  Jm  besten  Sinne 
gelungen  sind,  zeigt  am  schonsten  Krembergs  heute  wieder  allgemeiner  bekanntes  Meister- 
lied:  ,,Griinet  die  Hoffnung,  halb  hab  ich  gewonnen." 

Von  geringerer  Bedeufung  fur  die  Weiterentwicklung  des  neuen  Stils  ist  Thuringen.  Hier 
bringt  Georg  Neumark  in  seinem  ,,Poetisch  und  musikalischen  Lustwaldchen"  (1652)  und 
dessen  Fortsetzung,  dem  ,,Fortgepflanzten  Lustwald"  (1657)  oft  kleine,  das  eigentliche  Lied 
vorwegnehmende,  musikalisch  gehaltvolle  Geigenritornelle,  so  etwa  in  seinem  beriihmtesten 
und  gekanntesten  Stiick  ,,Wer  nur  den  lieben  Gott  lafit  walten".  AuBer  Neumark  und  seinem 
begabten  Hauptmitarbeiter  AdamDrese  wirken  in  Thuringen  noch  die  beiden  Ahle  recht 
fleiBig  und  erfreulich  als  Vertreter  eines  gemaBigt  volkstiimlichen  Liedstils. 

Wir  wenden  uns  nunmehr  siidwarts  nach  Niirnberg,  wo  durch  das  Wirken  S.  Th.  Stadens 
im  Dienste  Rists  und  ferner  durch  die  liedartigen  Einlagen  in  Stadens  ,,Seelewig"  dem  Liede 
verhaltnismaBig  friih  der  Boden  bereitet  worden  war.  Hier  in  Niirnberg  scheint  Hamburger 
Einflufi  am  nachhaltigsten  gewirkt  zu  haben,  wie  die  Melodien  zu  Dilhers  und  Arnschwangers 
zahlreichen  geistliclien,  ganz  im  Hamburger  Stil  gehaltenen  Sammlungen  zeigen.  Eine  Aus- 
nahme  bildet  Johann  Lohner,  dessen  leider  nur  fragmentarisch  erhaltene  ,,Geistliche  Sing- 
stunde"  (1676)  schon  durch  die  Verwendung  von  Instrumenten  dartut,  daB  sie  iiber  den 
Rahmen  der  iibrigen  Niirnberger  hinausstrebt. 

Nur  sparlich  ist  die  Beteiligung  katholischer  Kreise  an  der  Einbiirgerung  der  neuen  Kunst. 
Fried  rich  Spees,  des  Kolner  Jesuiten  beriihmte  Sammlung  ,,Trutznachtigallt4  (erstmalig 
1649  erschienen),  die  eine  stattliche  Anzahl  zum  Teil  hervorragend  schoner  Melodien  eines 
bisher  noch  nicht  mit  Sicherheit  ermittelten  Komponisten  in  engster  Anlehnung  an  instru- 


Das  deutsche  Lied  im  17.  und  18.  jahrhundert  595 

mentale  Tanztypen  bietet,  bleibt  vorerst  eine  vereinzelte  Erscheinung,  bis  durch  die  fleifiige 
Mitarbeit  des  Laurentius  von  Schniiffis  und  seine  zahlreichen  Sammlungen,  die  seit  den 
60  er  Jahren  in  Konstanz  erscheinen,  auch  irn  aufiersten  Sliden  ein  regeres  Liedinteresse  er- 
wacht,  das  sich  besonders  in  den  gehaltvollen  Melodien  des  Paters  Romanus  Votter  zu 
Schniiffis'  ,,Mirant!scher  Maultrommel"  (1698)  in  schoner  Weise  auswirkt.  Als  der  hervor- 
ragendste  siiddeutsche  Liedmeister  des  1 7 .  Jahrhunderts  ist  vielleicht  der  Mtinchener  Geistliche 
Johannes  Kuen  (1605—1675)  anzusprechen,  von  dem  wir  aus  den  Jahren  1635—1674 
eine  grofiere  Anzahl  Liedersammlungen,  darunter  die  ,,Geistlich  Turteltaub"  (1639),  besitzen, 

Je  mehr  wir  uns  dem  Ende  des  Jahrhunderts  nahern,  urn  so  starker  macht  sich  unter  dem 
EinfluB  des  allenthalben  zunehmenden  Opernmteresses  ein  allgemeiner  Niedergang  in  der 
Liedproduktion  bemerkbar.  Erwahnung  verdient  immerhin  eine  Gruppe  von  Stettiner  Kom- 
ponisten,  ,,die  an  die  altere  Liedtradition  ankniipfte  und  bemiiht  war,  trotz  aller  hoheren 
Kunst  volkstiimlich  zu  bleiben"  (Schwartz).  Aber  nur  zwei  Namen  von  iiberragender  Be- 
deutung  tauchen  noch  auf:  Johann  Wolfgang  Franck,  Opernkapellmeister  in  Ham 
burg  und  Komponist  zahlreicher  Opern,  dokumentiert  mit  seinen  Melodien  zu  Elmen- 
horsts  ,,Geistreichen  Liedern",  die  in  den  Jahren  1681—85  erschienen  und  1700  eine 
durch  Georg  Bohms  Beitrage  auBerlich  wie  auch  innerlich  bereicherte,  nunmehr  100  Num- 
mern  umfassende  Neuausgabe  erlebten,  aufs  neue  das  rege  Interesse  der  groBen  Handels-  und 
Hansestadt  am  Lied.  Sie  beweisen  weiter,  daB  die  Arbeit,  die  Rist  hier  geleistet  hat,  doch 
nicht  vergeblich  gewesen  ist.  Denn  diese  Franckschen  Lieder  konnen  in  der  Tat  das  Ideal 
eines  volkstiimlichen,  gehaltvollen  Liedes  genannt  werden.  Formell  halten  sie  nach  Hamburger 
Art  im  wesentlichen  am  Choral  fest,  verschmahen  auch  einen  groBeren  Begleitapparat  und 
verzichten  auf  Ritornelle,  aber  die  Art  und  Weise,  wie  Franck  selbst  in  diesem  engen  Rahmen 
sich  die  Elemente  der  hoheren  Kunst  dienstbar  macht,  und  nicht  zuletzt  sein  aufierordentliches 
melodisches  Talent  stempeln  diese  Stiicke  zu  klassischen  Mustern  der  Gattung.  Auch  von 
diesen  geistlichen  Liedern  behaupten  viele  noch  heute  ihren  hohen  Wert  und  sind  wie  wenige 
geeignet,  hauslicher  Erbauung  und  Erhebung  zu  dienen,  unbeschadet  ihrer  wenig  erfreulichen 
Texte  des  Hamburger  Geistlichen  und  Librettisten  Elmenhorst. 

Im  Gegensatz  zu  Franck  steht  der  Rudolstadter  Kapellmeister  PhilippHeinrich  Erie- 
bach  mit  seiner  Sammlung  ,,Harmonische  Freude  musikalischer  Freunde"  (in  2  Teilen  1694 
und  1704)  durchaus  auf  dem  Boden  der  groBen  Form.  Die  dreiteilige  Da-capo-Arie  in  erster 
Linie  ist  das  Vorbild,  an  welches  Erlebach  ankniipft,  und  dem  er  auch  mit  den  aufieren  Mitteln 
des  orchestralen  Akkompagnements  nacheifert.  Aber  seine  musikalischen  Gedanken  zeigen 
sich  der  grofien  Form  durchaus  wiirdig,  seine  Gesange  bergen  bei  aller  Unzulanglichkeit  der 
Texte  mit  ihrer  stark  moralisierenden  Tendenz  eine  reiche  Fiille  von  Schonheit  und  tief- 
empfundenem  Ausdruck.  Ein  hochbedeutender  Musiker  steht  hier  vor  uns,  der  mit  Nummern 
wie  ,,Meine  Seufzer"  und  ,,Ihr  Gedanken  qualt  mich  nicht"  wieder  gekannt  zu  werden  ver- 
diente. 

Von  diesen  Einzelerscheinungen  abgesehen,  schwindet  um  die  Jahrhundertwende  mehr  und 
mehr  das  Interesse  der  Komponisten  am  deutschen  Lied,  die  Oper  beherrscht  in  dieser  Zeit 
das  gesangliche  Interesse  aller  Kreise.  Das  bezeugen  die  vielen  Sammlungen  von  Opernarien, 
zu  denen  das  Publikum  mit  Vorliebe  greift.  Wo  aber,  wie  in  erster  Linie  unter  den  Studenten, 
noch  Lust  und  Liebe  am  einfachen  Liedgesang  zutage  tritt,  da  greift  man  auf  die  alten  Lieb- 


696  ^as  Deutsche  Lied  im  17.  und  18.  Jahrhundert 

linge  zuriick,  zu  denen  nach  Ausweis  damals  entstandener  Lieder  hands  chriften  —  die  be- 
merkenswertesten  sind  die  Liederbiicher  des  Clodius  und  des  Johann  Heck  —  in  erster 
Linie  Adam  Kriegers  und  Voigtlanders  Stiicke  gehoren;  der  beste  Beweis,  dafi  in  dem  Zwie- 
spalt  zwischen  Volkskunst  und  hoherer  Kunst  die  volkstiimliche  Richtung  schliefilich  den 
Sieg  davongetragen  hat.  Und  durchaus  volkstiimlich  ist  auch  der  Inhalt  im  Siiden  entstandener 
Handschriften  —  die  Prinnersche  Sammlung  ware  hier  vor  andern  zu  nennen  — ,  die  aber 
im  Gegensatz  zum  Norden  nicht  Sammelgut,  sondern  vorwiegend  Originalbeitrage  bieten. 
Lieddrucke  erscheinen  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  18.  Jahrhunderts  so  gut  wie  gar  nicht, 
eine  Ausnahme  machen  lediglich  einige  zu  kirchlichem  Gebrauch  bestimmte  Gesangbiicher 
mit  Melodien.  Unter  ihnen  beansprucht  dasjenige  des  Zeitzer  Kantors  Schemelli  (Leipzig 
1736)  besonderes  Interesse  wegen  des  Anteils,  den  J.  S.  Bach  an  seiner  Redaktion  hat.  Eine 
Neubelebung  der  Liedproduktion  ist  von  dem  Erscheinen  von  Rathgebers  ,,Augsburgischem 
Tafelkonfekt"  (in  4  ,/TYachten"  wahrend  der  Jahre  1733 — 42  erschienen)  ab  zu  verzeichnen. 
Dieses  Tafelkonfekt,  for  die  Geschichte  des  Quodlibets  von  grofiter  Wichtigkeit,  hat  auch  far 
die  Entwicklung  des  neuen  Liedes  seine  Bedeutung,  einmal  als  Fundgrube  far  alte,  noch  im 
Volksmunde  lebendige  Melodien,  dann  aber  besonders  durch  die  darin  enthaltenen  eigent- 
lichen  Sololieder,  die  uns  Rathgeber,  einen  fleifiig  komponierenden  Benediktinerpater,  als 
durchaus  liebenswiirdiges  Liedtalent  von  stark  volkstiimlicher  Begabung  kennen  lehren.  Die 
Sammlung  aber,  durch  welche  die  Entwicklung  eigentlich  erst  so  recht  wieder  in  Flufi  kommt, 
ist  ,,Sperontes*  Singende  Muse  an  der  Pleifie",  die  1736  und  folgende  Jahre  in  Leipzig 
herauskam.  Das  Erscheinen  dieser  ungewohnlich  prachtig  ausgestatteten  Sammlung,  in  deren 
pseudonymem  Herausgeber  Sperontes  Philipp  Spitta  den  Schlesier  Johann  Sigismund  Scholze 
erkannt  hat,  bedeutet  nach  der  textlichen  Seite  zweifellos  einen  unverkennbaren  Fortschritt; 
bietet  sie  doch  nach  langer  Pause  zum  erstenmal  wieder  wirkliche  Poesie,  und  zwar  von  keinem 
Geringeren  als  dem  auch  von  Goethe  noch  geschatzten  Christian  Giinther,  dem  sich  Scholze 
mit  eigenen  Beitragen  von  ungleichem  Wert  als  Schiiler  anschliefit.  Anders  steht  es  mit 
den  Melodien.  Fiir  sie  greift  Scholze  auf  jenes  Verfahren  der  Parodie  zuriick,  das,  wie  wir 
uns  erinnern,  schon  Voigtlander  zum  Stilprinzip  erhoben  wissen  wollte.  Ahnlich  wie  dieser 
beabsichtigt  Sperontes  mit  seiner  Liedmusik  nicht  Originalbeitrage,  sondern  vielmehr  die 
neuesten  Instrumentalstiicke,  meist  Tanzweisen,  wie  Airs,  Menuetts,  Murkis,  Marsche  und 
vor  allem  Polonaisen  zu  bieten.  Dafi  es  sich  dabei  nicht  um  Liedmusik  im  eigentlichen  Sinne 
handelt,  kann  etwa  folgendes  Beispiel  dartun: 

Air. 


-  zahl~ter    BIu  -  men  Men  -  ge,    Die  durch  al  -  ler    Gar  -  ten  Gan  -  ge 


— T-T-r-**?^ • T 

Aber  wie  bei  Voigtlander,  so  steht  es  auch  hier  um  die  innerliche  Obereinstimmung  zwischen 
Dichterwort  und  Melodic  recht  wenig  erfreulich,  und  dieser  Umstand  macht  auch  Sperontes* 
Sammlung  musikalisch  im  ganzen  wenig  wertvoll.  Und  doch  fehlt  es  nicht  an  Nummern, 
die  als  Lieder  voll  gelten  konnen  und  einen  echt  volkstiimlichen  Ton  anschlagen;  ja  man  hat 


Das  deutsche  Lied  im  17.  und  18.  Jahrhundert 


697 


ob  dieses  erfreulichen  Eindrucks  fiir  eine  Reihe  von  Stiicken  sogar  Bachs  Autorschaft  in  An- 
spruch  nehmen  wollen,  was  aber  bisher  nur  far  das  oftgenannte  Blaustrumpflied  ,,Ihr  Schonen, 
horet  an*'  mit  einiger  Berechtigung  geschehen  ist.  Trotz  ihrer  Mangel  hat  sich  die  Sammlung 
beispielloser  Beliebtheit  erfreut,  und  die  Gefahr,  daB  das  von  Sperontes  erneut  eingeschlagene 
Verfahren  nun  doch  allgemeines  Prinzip  werden  konnte,  lag  nahe  genug  und  ist  auch  keines- 
wegs  immer  umgangen  worden.  Aber  zum  Gliick  waren  doch  auch  Gegenstromungen  vor- 
handen,  die  der  Liedkom position  als  einer  selbstandigen  Kunst  das  Wort  redeten,  und  ihnen 
ist  es  zu  danken,  da6  sich  die  Komponisten  mit  der  Zeit  immer  entschiedener  von  Sperontes' 
Grundsatzen  frei  gemacht  haben.  Der  erste,  der  gegen  Sperontes  auftrat,  war  Friedrich 
Grafe,  ein  hoher  Postbeamter  und  ruhriger  Musikdilettant  in  Braunschweig,  mit  seiner 
,,Sammlung  verschiedener  und  auserlesener  Oden,  zu  welchen  von  den  beriihmtesten  Meistern 
in  der  Music  eigene  Melodeyen  verfertiget  worden",  die  1743  in  Halle  zuerst  erschien  und 
noch  drei  Fortsetzungen  erlebte.  Die  Absage  an  Sperontes,  die  schon  aus  der  Fassung  des 
langatmigen  Titels  zur  Geniige  hervorgeht,  setzt  sich  in  den  Vorreden  in  allerlei  Sticheleien, 
die  selbst  vor  der  aufieren  Ausstattung  der  ,,Singenden  Muse"  nicht  halt  machen,  fort.  Dafi 
Grafe  iiber  ausgedehnte  literarische  Verbindungen  verfagt,  lafit  neben  seinen  Widmungen 
an  Marianne  von  Ziegler  und  die  Gottschedin  die  grofie  Anzahl  der  von  ihm  bemiihten 
Poeten  erkennen,  in  derMehrzahl  hochst  schwachliche  Nachahmer  Giinthers.  Aber  auch  den 
eigens  verfertigten  Melodien,  fiir  die  Grafe  sich  nicht  weniger  als  vier  Musiker  verschrieb, 
lafit  sich  keineswegs  unbedingt  Lobenswertes  nachsagen:  C.  Ph.  E.  Bach,  dem  wir  hier  zum 
erstenmal  als  Liedkomponist  begegnen,  bietet  vereinzelt  erfreuliches  und  auch  C.  PL  Graun 
ist  mit  ein  paar  stimmungsvollen  Stiicken  vertreten.  Ganz  schwach  und  hochst  ungesanglich 
in  der  Schreibweise  ist  der  nicht  weiter  bekannte  Giovannini,  etwas  besser  Grafe  selbst. 
Das  Haupttalent  der  Sammlung  ist  aber  entschieden  Konrad  Friedrich  Hurlebusch:  die 
Mummer  ,,Etwas  lieben  und  entbehren"  gehort  zum  Schonsten  und  Innigsten  der  Zeit,  und 
auch  die  f olgende  steht  ihr  an  Zartheit  der  Empfindung  nicht  nach : 


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Me  -  lin  -  dens    Au  -  ge       seh"     ich     nicht,  doch     horf    ich,     dafi       es       itz  —  und 

*):$—  TO  —  «  /  1  1  f  P  —  =  F—  J  1  1  1  T  f-  —  =  

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weint,                   o    weint  dies   himm-li  -  sche  Ge-sicht,    das   sonst  mit     Son  -  nen    -    blik  -  ken 

9"$~~f  -  ^™*  ^  *"  f-ir~z          ..J—  "i        f      -T*  -4f  —  ?- 

^  1  i^  -^  f  1  1  

J.U,,      i.,,1  """" 

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«chei-net,     das  sonst  mit    Son  -  nen  -  blik  -  ken    schei     -     net,      ich 

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698 


Das  deutsche  Lied  im  17.  und  18.  Jahrhundert 


keit  und      ill   -    res       Schmer-zens      Un   -   ge    -    ber      -      den,        wenn      sie       die 


•$=£ 


^=^ 


hei  -  Ben   Tra  -  nen     streut 


noch    viel     scho  -  ner      ma  -  chen    wer     -     -     den. 


In  erfreulichem  Gegensatz  zu  Sperontes  stehen  welter  noch  zwei  Hamburger  Sammlungen, 
die  zeitlich  zusammenfallen  und  auch  aufierlich  wie  innerlich  mancherlei  Ahnlichkeit  auf- 
weisen.  Die  eine,  G.  Ph.  Telemanns  ,,24  theils  ernsthafte,  theils  scherzende  Oden" 
(1741),  bedeutungsvoll  schon  allein  durch  die  Tatsache,  dafi  hier  ein  Musiker  von  Rang 
sich  dem  Liede  zuwendet,  ist  an  musikalischem  Gehalt  freilich  nicht  so  wertvoll,  wie  der 
Name  Telemann  erwarten  lassen  sollte  —  das  beste,  was  dieser  bedeutende  Meister  im 
neuen  Lied  geleistet  hat,  enthalten  vielmehr  die  Beispiele  seiner  1733/34  erschienenen 
,,Singe-,  Spiel-  und  Generalbafiiibungen",  die  ja  nichts  anderes  sind  als  kleine  Lieder 
der  verschiedensten  Formen;  die  andere  Sammlung,  anonym  unter  dem  Titel  ,,Neue 
Oden  und  Lieder"  in  3  Teilen  1742—52  erschienen,  enthalt  ausschlieClich  Gedichte,  und 
zwar  meistens  vorher  nicht  gedruckte,  von  Hagedorn,  und  als  Komponist  dieser  Lieder, 
die  sich  durch  Feinheit  der  Form,  Anmut  der  Sprache  und  Sinn  fur  musikalische  Wirkung 
auszeichnen  und  daneben  durch  eine  Dosis  franzosischen  Witzes  eine  erfreuliche  Abwechs- 
lung  in  das  ermiidende  Einerlei  der  nachguntherischen  Tugendpoesie  bringen,  gibt  sich 
im  3.  Teil  Valentin  Corner  (1725— 62),  Musikdirektor  am  Hamburger  Dom,  zu  erkennen. 
Ihn  miissen  wir  auf  Grund  dieser  Kompositionen  als  eines  der  ausgezeichnetsten  Lied- 
talente  des  Jahrhunderts  bewerten.  Corner  halt  formell  an  dem  gangbaren,  von  der  Poesie 
entlehnten  Odenschema  Sperontes  *  und  Grafes  fest,  erweist  sich  aber  als  ein  Melodiker  von 
ganz  auBerordentlicher  Begabung  mit  sicherem  Blick  fiir  das  richtige  Verhaltnis  zwischen 
Wort  und  Ton.  Seine  Melodien  halten  sich  frei  von  all  dem  unsangbaren  Zierat  der  Speron- 
tiden  und  zeigen  auch  schopferischen  Formensinn  durch  die  auBerst  gluckliche  Anwendung 
des  Chorrefrains  in  den  geselligen  Stiicken.  Sehr  erfreulich  wirkt  auch  die  gleichmafiige  Giite 
der  Melodien,  unter  denen  eigentliche  Nieten  kaum  zu  finden  sind;  dafiir  aber  zahlreiche 
Treffer  ersten  Ranges,  von  denen  nur  das  eine,  noch  von  Goethe  gekannte  und  fiir  seine 
Sesenheimer  Lieder  benutzte  ,,Uns  lockt  die  Morgenrote"  namentlich  hervorgehoben  sei. 

In  Verbindung  mit  Corner  und  Hagedorn  mogen  zwei  Musiker  genannt  werden,  die  sich 
nicht  ohne  Geschick  an  einen  so  sproden  Stoff  wie  die  Gellertschen  Fabeln  herangewagt  haben. 
Johann  Ernst  Bach,  der  Sohn  eines  Vetters  des  groBen  Sebastian,  bringt  in  seiner  ,, Samm 
lung  auserlesener  Fabeln  mit  dazu  verfertigten  Melodien**  (1749)  an  Stellen,  wo  die  Erzahlung 
eine  unerwartete  Wendung  nimmt,  auch  eine  neue  Melodie  und  tut  so  gleichsam  den  ersten 
Schritt  zur  durchkomponierten  Ballade.  Der  hochbegabte  Valentin  Herbing  (f  1766),  dem 


Pas  deutsche  Lied  im  17.  und  1 8.  Jahrhundert  599 

wir  auch  einige  gute  volkstiimliche  Lieder  verdanken,  iibertragt  in  seinem  ,,Musikalischen 
Versuch  in  Fabeln  und  Erzahlungen  . .  ."  (1759)  die  grofien  Ausdrucksmittel  von  Oper  und 
Kantate  auf  diese  beliebte  Form  der  Dichtung,  bietet  in  seinen  durchkomponierten  Szenen 
viel  fesselnde  Einzelheiten,  ist  aber  im  iibrigen  doch  noch  nicht  fahig,  Wort  und  Ton  zu  einer 
einheitlich  gestalteten  Kunstform  zu  verschmelzen. 

Die  weitere  Entwicklung  des  Liedes  wird  in  der  zweiten  Halfte  des  Jahrhunderts  fast  aus- 
schliefilich  beherrscht  von  dem  Wirken  der  sogenannten  Berliner  Schule.  In  Berlin  lafit 
namlich  der  auch  als  Asthetiker  nicht  unbekannte  Advokat  und  Musikdilettant  Christian 
Gottfried  Krause  im  Jahre  1753  ,,0den  mit  Melodien"  erscheinen  und  legt  im  Vorwort 
zu  dieser  Sammlung  eingehend  seine  Grundsatze  far  die  Liedkomposition  dar.  Seine  etwas 
langatmigen  Ausftihrungen  gipfeln  in  folgendem  Hauptsatze  seines  Programms:  ,,Die  Kom- 
ponisten  sollen  singend  ihre  Lieder  componieren,  ohne  das  Clavier  dabey  zu  gebrauchen  und 
ohne  daran  zu  gedenken,  dafi  noch  ein  Bafi  hinzukommen  soil."  Muster  des  ihm  vorschwe- 
benden  Liedideals  sieht  Krause  nicht,  was  immerhin  nahe  gelegen  hatte,  in  so  meisterhaften 
Stucken  wie  etwa  den  Gornerschen,  vielmehr  ist  ihm  das  wahre  Vorbild  die  franzosische 
Chanson,  erne  Ansicht,  die  nicht  so  sehr  iiberraschen  kann,  wenn  man  bedenkt,  dafi  gerade 
wenig  Jahre  vorher  umfangreiche  franzosische  Chansonsammlungen  durch  hiibsche  Dnicke 
den  Weg  ins  Volk  gefunden  hatten.  Auf  Grund  dieses  Programms,  das  freilich  an  Einseitig- 
keit  nicht  gut  zu  iiberbieten  war,  und  seiner  Verwirklichung  durch  Heranziehung  geeigneter 
musikalischer  Krafte,  darf  Krause  als  eigentlicher  Begrunder  der  Berliner  Schule  angesehen 
werden.  Die  Dichtungen  der  Sammlung  riihren  von  Ramler  her,  und  die  in  ihr  vertretenen 
Musiker  sind  meist  Angehorige  des  Sanssoucier  Kreises,  wie  Quantz,  C.  Ph.  E.  Bach  und 
Graun,  die  beiden  letzten,  wie  wir  wissen,  im  Liede  bereits  bewahrt.  Man  kann  von  ihren 
Leistungen  sagen,  daB  sie  den  von  Krause  aufgestellten  Forderungen  gerecht  werden,  ohne 
jedoch  gerade  besondere  Vorziige  aufzuweisen.  Eine  Fortsetzung  der  Sammlung,  1755  wahr- 
scheinlich  von  Marpurg  redigiert,  lafit  dagegen  die  Durchfuhrung  von  Krauses  Grundsatzen 
fast  ganz  vermissen  und  ist  auch  im  iibrigen  keine  erfreuliche  Erscheinung.  Die  Haupt- 
bedeutung  der  ,,0den  und  Lieder"  liegt  auch  weniger  in  ihrem  musikalischen  Wert,  als  in 
der  durch  sie  hervorgerufenen  Neubelebung  der  volkstumlichen  Liedkomposition,  denn  aufier- 
ordentlich  zahlreich  sind  die  Liedersammlungen,  die  diesen  Oden  folgen;  das  beste  Bild  dieser 
im  Anschlufi  an  Krause  erfolgten  Betatigung  geben  die  vier  Bande  ,,Lieder  der  Teutschen" 
{Berlin  1767/68),  bei  denen  er  selbst  wieder  die  Funktion  des  Herausgebers  ubernommen  hat. 
Daneben  fehlt  es  aber  auch  nicht  an  Komponisten,  die  Krauses  Grundsatzen  weniger  blind- 
lings  gefolgt  sind  und  unter  freier  Entfaltung  ihrer  Krafte  hochst  erfreuliche  Leistungen  im 
Liede  geboten  haben.  Da  ist  an  erster  Stelle  wieder  der  Berliner  Bach  mit  seinen  wertvollen 
Kompositionen  zu  Gellerts  ,,Geistlichen  Oden"  (1758),  in  den  besten  Nummern  in  der  Tat 
,,elementare  Ergiisse  hochgestimmter  Stunden"  (Kretzschmar),  weiter  sind  zu  nennen  Neef  es 
und  Glucks  Klopstockhefte,  wo  namentlich  Clucks  Leistungen  zum  Schonsten  gehoren,  was 
die  Zeit  im  Liede  hervorgebracht  hat.  Endlich  miissen  wir  auf  Rechnung  der  Berliner  Schule 
noch  eine  Erscheinung  wie  Johann  Adam  Hiller  setzen;  mit  seinen  Singspielen  hat  dieser 
sympathische  Musiker  wie  kaum  ein  zweiter  auf  die  breiten  Schichten  des  Volkes  gewirkt; 
durch  seine  Kinderlieder,  die  zunachst  fiir  padagogische  Zwecke  gedacht  waren,  hat  er  eine 
Flut  von  sogenannten  Standesliedern  (genannt  seien  nur  die  zahlreichen  Sammlungen  mit 
45  H.  d.M. 


700 


Das  deutsche  Lied  im  1 7.  und  1 8.  Janrhundert 


Freimaurerliedern,  ,,Lieder  fur  den  Landmann",  ,,Lieder  des  preufiischen  Soldaten",  ,,Akade~ 
mische  Lieder"  u.  a.)  verursacht:  die  Inanspruchnahme  des  neuen  Liedes  im  volkstiimlichen 
Sinne  konnte  nicht  wohl  iiberboten  werden. 

Bei  diesem  blinden  Popularisierungseifer  lief  man  nun  freilich  Gefahr,  die  textliche  Seite 
des  Liedes  zu  sehr  zu  vernachlassigen.  An  der  Bewegung,  die  sich  an  Klopstock  und  den 
Gottinger  Hain,  vor  allem  aber  an  Herders  Eintreten  furs  Volkslied  anschlofi  und  eine  Reform 
der  Lyrik  in  volkstiimlichem  Sinne  erstrebte,  waren  die  Komponisten  geraume  Zeit  achtlos 
voriibergegangen.  Ihr  auch  far  die  Liedkomposition  Geltung  verschafft,  das  Lied  von  der 
Abhangigkeit  fader  Witzeleien  befreit  zu  haben,  ist  das  groBe  Verdienst  von  Johann  Abra 
ham  Peter  Schulz  und  seiner  beriihmten  Sammlung  ,,Lieder  im  Volkston"  (1782  erstmalig 
in  Berlin  erschienen).  Schulz*  Grundsatze  decken  sich  im  wesentlichen  mit  denjenigen  Krauses> 
nur  ist  er  ihnen  ein  ungleich  warmerer,  mit  seiner  schonen  Definition  des  Volkstons  als  ,,Schein 
des  Bekannten"  ein  viel  iiberzeugenderer  Anwalt  geworden,  und  in  seinen  Kompositionen 
hat  er  die  Berechtigung  und  Durchfahrbarkeit  seiner  Ideen  in  einer  in  ihrer  Art  genialen 
Weise  erprobt  und  fur  alle  Zeit  unvergangliche  Muster  echt  volkstiimlicher  Lieder  geschaffen, 
als  deren  bekanntestes  Claudius'  beriihmtes  Abendlied  ,,Der  Mond  ist  aufgegangen"  noch 
heute  in  aller  Munde  fortlebt.  Ein  anderes,  far  Schulz'  anspruchlose  Art  nicht  minder  cha- 
rakteristisches  Beispiel  das  Holtysche  ,,MaiIied",  sei  hier  mitgeteilt: 


Will  -  kom-men,     lie  -  ber     scho  -  ner    Mai,     der      im  -  sre  Flur     ver  -  jungt,  da6  rings- 


jO  $f~)^  }      /j       &  1 

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1  

Es  kann  nun  als  ein  Gliick  far  die  weitere  Entwicklung  bezeichnet  werden,  dafi  in  Johann 
Friedrich  Reichardt  neben  Schulz  und  im  Gegensatz  zu  seiner  stillen,  bescheidenen,  in 
sich  gekehrten  Natur  ein  mehr  weltmannisch  gebildeter,  ungleich  geschaftigerer,  aber  auch 
weniger  in  sich  geschlossener  und  in  seinen  Zielen  haufig  hin  und  her  schwankender  Charakter 
brat,  der  durch  weitschauenden  Blick  und  eine  ungleich  groBere  musikalische  Begabung  einer 
Stagnation  des  von  Schulz  geschaffenen  Liedtypus  vorbeugte.  Zwiefach  sind  die  Verdienste 
Reichardts,  der  zu  den  fruchtbarsten  Liederkomponisten  aller  Zeit  gehort:  In  musikalischer 
Hinsicht  hat  er  das  Lied  ungeheuer  bereichert  sowohl  an  auBeren  Mitteln  (Harmonic  und 
Form;  hier  gibt  er  besonders  der  Begleitung  eine  grofiere  Bedeutung  und  bringt  damit  eine 
Entwicklung  zum  Abschlufi,  die  bei  Sperontes  tastend  einsetzt  und  iiber  Ernst  Bach,  Herbing 
und  C.  Ph.  E.  Bach  die  Ersetzung  des  die  Begleitung  nur  skizzierenden  Generalbasses  durch 


Das  deutsche  Lied  im  17.  und  18.  Jahrhundert  701 

ein  ausgearbeitetes  Akkompagnement  anstrebt)  als  auch  an  innerem  Gehalt.  Das  letztere  hat 
er  besonders  dadurch  erreicht,  daB  er  auch  den  Texten  besondere  Aufmerksamkeit  schenkte, 
sich  nicht,  wie  Schulz,  auf  die  anspruchsloseren  Poesien  des  Gottinger  Kreises  beschrankte, 
sondem  zum  erstenmal  einen  vollen  Griff  tat  in  den  unerschopflichen  Born  Goethescher 
Lyrik,  ja  selbst  vor  Schillers  musikalisch  nicht  leicht  zu  meisternden  Gedichten  nicht  halt 
machte. 

Es  bedarf  kaum  besonderer  Hervorhebung,  dafi  es  den  Berliner  Fiihrern  nicht  an  zahlreichem 
Gefolge  in  Berlin  wie  in  den  verschiedensten  Gegenden  Deutschlands,  ja  selbst  in  der  Schweiz 
gefehlt  hat;  es  mufi  aber  geniigen,  an  Namen  wie  Andre,  Zelter  und  Aemilius  Kunzen 
zu  erinnern.  Nur  auf  Zumsteegs,  des  Schwaben,  Bedeutung  fur  die  Entwicklung  der 
Balladenkomposition,  fiir  die  er  mit  seinen  zahlreichen  Versuchen  in  kleinen  wie  in  grofien 
Balladen  wenn  auch  nicht  eigentlich  Vorbild,  so  doch  der  fruchtbare  Anreger  unserer  grofien 
Meister  Schubert  und  Loewe  geworden  ist,  muB  hier  noch  mit  besonderem  Nachdruck  hin- 
gewiesen  werden. 

Eine  eigene  Betrachtung  verlangt  am  Schlusse  dieses  Abschnittes  die  Wiener  Schule  wegen 
der  ausschlaggebenden  Bedeutung,  die  ihr  spater  durch  Schuberts  Wirken  zukommt.  Wien 
tritt,  ahnlich  wie  die  Schweiz,  erst  spat  unter  die  Pflegestatten  des  neuen  Liedes.  Wenngleich 
zwar  auch  hier  von  jeher  Interesse  nachweisbar  ist,  so  beginnt  die  eigentliche  Entwicklung 
doch  erst  mit  der  Anregung,  die  vom  Wiener  Nationalsingspiel  ausging,  welches  auf  Anord- 
nung  Kaiser  Josefs  II.  im  Jahre  1778  mit  Umlauffs  ,,Bergknappen"  eroffnet  wurde.  Im 
gleichen  Jahr  erscheint  hier  namhch  Johann  Anton  Steffans  ,,Sammlung  deutscher  Lieder 
fiir  das  Klavier",  und  von  ihr  geht,  befruchtet  vom  Singspiellied,  von  italienischer  Melodik 
und  Gesangstechnik,  von  der  hochentwickelten  Wiener  Instrumentalmusik  und  in  formaler 
Hinsicht  doch  wohl  auch  vom  Lied  der  Berliner  Schule  eine  rege  Betatigung  im  neuen  Liede 
aus,  die  sich  weiterhin  an  die  Namen  Hof  mann,  Friberth,  Griinewald,  Holzer  und 
Rupprecht  kniipft,  von  denen  neben  Steffan  vor  allem  Hof  mann,  Holzer  und  Rupprecht 
Erfreuliches  leisten.  Drei  neue  Liedtypen  gehen  aus  dieser  Entwicklung  hervor:  das  senti- 
mentale  Arienlied,  das  spater,  auf  dem  Boden  der  grofien  Opernarie  stehend,  zum  ernsten, 
gehaltvollen  Stimmungslied  fiihrt,  und  die  Ariette.  Steffan,  dessen  Lieder  stark  von  instru- 
mentalen  Elementen  durchsetzt  sind,  wendet  seine  besondere  Aufmerksamkeit  der  Begleitung 
zu;  Holzer,  wahrscheinlich  Schuberts  Lehrer,  ist  ein  hervorragender  Melodiker,  wahrend 
Rupprecht  als  bedeutendes  Talent  im  lyrischen  Stimmungslied  Beachtung  verdient. 

Vorziige  und  Nachteile  der  Schule,  zu  letzteren  gehort  auch  ganzliche  Gleichgiiltigkeit  in 
der  Wahl  der  Texte,  vereinigen  die  zwei  Liederhefte  Josef  Haydns  vom  Jahre  1782  und  1784. 
Sie  zeigen  vor  allem  den  meisterhaften  Beherrscher  instrumentaler  Formen,  doch  iiberwiegt 
die  instrumentale  Technik  allzusehr  und  lafit  allzu  oft  das  richtige  Verhaltnis  zwischen  Sing- 
stimme  und  Begleitung  vermissen.  Die  meisten  seiner  Lieder,  zu  sentimentalen  Texten  von 
oft  recht  fraglichem  Wert,  sind  ganz  von  der  Opernarie  beeinflufit,  so  etwa:  ,,Genugsamkeit*', 
,,Sympathie",  ,,Treue";  die  einfacher  gestalteten  dagegen  kniipfen  mehr  unmittelbar  an  das 
Singspiellied  an,  so:  ,,Zufriedenheit",  ,,Gleichsinn",  ,Jeder  mei'nt,  das  holdeKind".  So  reich 
an  einzelnen  Schonheiten  wohl  mehr  oder  weniger  alle  Haydnschen  Lieder  sind,  als  Lieder 
im  eigentlichen  Sinne  konnen  nach  Form  und  Inhalt  doch  nur  ganz  wenige  befriedigen,  wie 
etwa  das  von  norddeutschen  Grundsatzen  beeinflufite  ,,Standchen",  das  aber  vielleicht  Mo- 
45* 


702  Das  deutscKe  Lied  im  17.  und  18.  Jahrhundert 

zart  zugeschneben  werden  muB,  oder  ,,An  die  Freundschaft"  mit  seiner  fast  iiberirdisch 
schonen  Melodik,  neben  welcher  der  allzu  banale  Text  geradezu  abstofiend  wirkt.  Nicht  seine 
eigentlichen  Lieder  sind  es  demnach,  die  Haydns  Bedeutung  furs  Lied  begriinden,  vielmehr 
mufi  man  sich  der  liedartigen  Nummern  seiner  Oratorien  und  sonstigen  Sitze  mit  Lied- 
charakter  in  seinen  unverganglichen  Instmmentalwerken  und  nicht  zuletzt  einer  so  popularen 
Schopfung  wie  der  osterreichischen  Volkshymne  erinnern,  um  die  Bedeutung  des  grofien  In- 
strumentalklassikers  fur  die  Entwicklung  der  Gattung  ganz  zu  ermessen. 

Zu  voller  Hohe  fiihrt  das  Wiener  Lied  erst  Mozart,  der  zwar,  wie  vor  ihm  Haydn  und 
nach  ihm  Beethoven,  sich  nur  mehr  gelegentlich  dem  Lied  zuwandte,  der  aber  in  den  wenigen 
Werken  so  ziemlich  alle  Entwicklungsstufen  durchlaufen  hat.  Von  ersten  unbedeutenden 
Versuchen  des  Wunderknaben  im  Stile  etwa  der  norddeutschen  Schule,  die  seine  Bekannt- 
schaft  mit  Sperontes  ,,Singender  Muse**  wahrscheinlich  machen,  angefangen,  bietet  er  in  der 
{Composition  des  franztfsischen  Textes  ,,Dans  un  bois  solitaire"  das  Beispiel  einer  empfind- 
samen  Arie,  zugleich  einen  Vorlaufer  seiner  meisterhaften  „  Abendempf  indung" ,  jenes  grofi- 
angelegten  lyrischen  Stimmungsliedes,  in  welchem  Mozart  Schuberts  Stimmungslyrik  schon 
vorausahnen  laBt.  Lustig  charakterisierend  zeigt  ihn  Hagedorns  ,,Alte",  die  vor  ihm  Corner 
bereits  mit  Gliick  vertonte.  Den  grofien  dramatischen  Meister  verrat,  zunachst  noch  andeu- 
tend,  der  in  zierlichem  Rokoko  gehaltene  ,,Zauberer",  auf  der  Hohe  voller  Meisterschaft 
zeigt  ihn  schlieBlich  die  geniale  Komposition  des  Goetheschen  ,,Veilchens" ;  dieses  kleine 
Meisterwerk  laBt  uns  unendlich  bedauern,  daB  auch  Mozarts  liedschopferische  Kraft  nicht 
voll  hat  zur  Entfaltung  kommen  konnen.  Bei  eingehender  Wurdigung  all  dieser  Leistungen 
wiirde  man  aber  auch  Mozarts  Bedeutung  furs  Lied  nicht  erschopfen,  wollte  man  nicht  noch 
auf  die  liedartigen  Nummern  in  seinen  Singspielen,  voran  ,,Entfuhrung"  und  ,,Zauberflote", 
mit  Nachdruck  hinweisen. 

Auch  bei  Beethoven  kehren  im  wesentlichen  die  Haupttypen  des  Wiener  Liedes  in  wenig 
veranderter  Gestalt  wieder.  Seine  ersten  Lieder,  die  wir  bis  1783  —  ,,Schilderung  eines  Mad- 
chens"  ist  bekanntlich  sein  erster  Versuch  —  zuriickdatieren  konnen,  sind  ausnahmslos  Stro- 
phenlieder  und  halten  durchweg  an  der  einfachen,  vorwiegend  zweiteiligen  Liedform,  der 
typischen  Odenform  des  IS.Jahrhunderts  fest:  so  etwa  die  8  Nummern  von  op.  52  —  darunter, 
relativ  am  bedeutendsten,  Goethes  ,,Mailied"  —  die  wohl  alle  noch  in  die  Bonner  Zeit  gehoren 
und  Beethoven  eine  wenig  freundliche  Kritik  eintrugen.  Himmelhoch  iiber  diesen  friihen 
Versuchen  stehen  zwei  reifeWerke  aus  der  ersten  Schaffensperiode :  Matthissons  ,,Adelaide", 
op.  46,  in  den  Jahren  1795/96  entstanden,  und  die  6  Gellertlieder,  op.  48,  vom  Jahre  1803. 
Die  ,,AdeIaide",  formell  eine  zweiteilige  Arie  mit  dem  Gegensatz  langsanvschnell,  von  Beet" 
hoven  selbst  als  Cantata  bezeichnet,  gehort  ihrem  musikalischen  Gehalt  nach  zu  dem  grofien 
Stimmungslied  der  Wiener  Schule,  das  in  Mozarts  „  Abendempf  indung*  *  eins  seiner  schonsten 
Beispiele  zeitigte.  Zweifellos  ist  Beethovens  ,,Adelaide"  von  Mozart  stark  beeinflufit,'  und 
in  dem  Streben,  die  Stimmung  des  schwarmerischen  Textes  bis  in  alle  Einzelheiten  —  man 
denke  an  die  wundervollen  Naturschiiderungen  im  ersten  Teil  —  auszuschopfen,  kiinden  sich 
bereits  Vorboten  der  Romantik  an.  Mit  Beethovens  Gellerthefte  wendet  sich  die  Wiener 
Schule  dem  geistlichen  Liede  zu.  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daB  hier  C.  Ph.  E.  Bach  mit 
seinen  friiher  erwahnten  Gellertliedern  auf  Beethoven  gewirkt  haben  konnte,  mit  dessen  Auf- 
fassung  Beethoven  sicK  wiederholt  beruhrt.  Wie  Bach  halt  auch  Beethoven  an  der  einfachen 


Das  deutsche  Lied  im  1 7.  und  1 8.  Jahrhundert  7Q3 

Liedform  fest,  die  jeweilige  Gmndstimmung  der  Texte  wird  meisterhaft  erfafit,  und  das  Ganze 
klingt  im  ,,Bu81ied"  mit  seinem  wundervoll  durchgefiihrten  Gegensatz  von  demutsvoller  Zer- 
knirschung  und  froher  Hoffnung  auf  Vergebung  in  einem  durch  Figuration  wirksam  ge- 
steigerten,  schwungvollen  Hymnus  aus.  Was  Beethoven  sonst  noch  an  Liedern  geschaffen  hat, 
sind  meistenteils  weniger  bedeutende  Kleinigkeiten,  vorwiegend  wieder  einfache  Strophen- 
lieder  in  der  Form  von  Singspielliedern  und  Arietten.  Seine  groBten  Leistungen  im  Lied, 
die  Kompositionen  zu  Goetheschen  Texten  und  der  ,,Liederkreis  an  die  feme  Geliebte"  ragen 
mit  ihrem  durchaus  subjektiven  Empfindungsgehalt  bereits  in  die  neue  Epoche  hinein,  in 
der  das  Lied,  nicht  zum  letzten  eben  durch  das  Wirken  Beethovens,  mehr  und  mehr  von 
seiner  zuvor  erwahnten  gesellschaftlichen  Gebundenheit  befreit  und  zu  einer  selbstandigen 
subjektivem  Empfinden  Raum  gebenden  Kunstgattung  erhoben  wird.  An  dieser  Entwicklung 
haben  neben  Beethoven  noch  einzelne  Wiener  Kleinmeister  teil:  neben  A.  Eberl,  Heckel, 
M.Graf  Dietrichstein  und  F.  v.  Neukomm  in  besonderem  MaCe  Niklas  Freiherr 
v.  Krufft;  sie  alle  sind  an  der  Weiterbildung  der  alteren  Liedarten  lebhaft  interessiert  und 
fiihren  die  Form  hiniiber  zum  Stimmunglied  der  Romantik,  als  dessen  Vollender  und  grofiter 
Meister  uns  Franz  Schubert  gilt. 

Literatur 

Kretzschmar,  H.:  Geschichte  des  neuen  deutschen  Liedes  von  Albert  bis  Zelter.  Leipzig  1911.  —  Fried- 
laender,  M.:  Das  deutsche  Lied  im  18.  Jahrhundert.  2  Bde.  Stuttgart  u.  Berlin  1902,  —  Mueller,  G.:  Geschichte 
des  deutschen  Liedes.  Vom  Zeitalter  des  Barock  bis  zur  Gegenwart  Miinchen  1925.  —  Krabbe,  W.:  J.  Rist  und  das 
deutsche  Lied.  Berl.  Diss.  1910.  —  Fischer,  Kurt:  Gabriel  Voigtlander.  Berl.  Diss.  1910.  —  Schmitz,  Am.: 
Monodien  der  Kolner  Jesuiten  aus  der  1 .  Halfte  des  1 7.  Jahrhunderts  (ZfMW.  IV,  266).  —  Wallner,  B.  A. :  Johannes 
Kuen  und  die  Altmiinchener  Monodisten.  (Bisher  ungedruckt,  vgl.  Zeitschr.  f.  Musikw.  2,  1919/20,  S.445ff.)  — 
Schwartz,  R.:  Zur  Geschichte  der  liederlosen  Zeit  in  Deutschland.  Jahrb.  Peters  20,  1913,  S.  15ff.  —  Spitta,  Ph.: 
Sperontes  ,,Singende  Muse"  (Musikgesch.  Aufsatze,  Berlin  1894,  S.  175).  —  Seyfert,  B.:  Das  musikalisch-volks- 
tumliche  Lied  von  1770—1800  (VfMW.  1894).  —  Klunger,  C.:  J.  A.  P.  Schulz  in  seinen  volkstiim lichen  Liedern. 
Leipziger  Diss.  1909.  —  Pauli,  W.:  J.  F.  Reichardt,  sein  Leben  und  seine  Stellung  in  der  Geschichte  des  deutschen 
Liedes.  Berlin  1903.  —  Landshoff,  L.:  J.  R.  Zumsteeg.  Berlin  1902.  —  Pollak-Schlaffenberg,  I.:  Die  Wiener 
Liedmusikvon  1778— 1789  (StMW.5  Wien  1918).  —  Alberti-Radanowicz,  E.:  Das  Wiener  Lied  von  1789—1815. 
(StMW.  10.  1923.)  —  Fiir  Mozart  ist  auf  die  Bemerkungen  Aberts  in  der  Mozartbiographie  zu  verweisen.  — 
Boettcher,  H.:  Beethoven  als  Liederkomponist.  Berl.  Diss.  Augsburg  1928. 


Neudrucke  in  den  DDT.  mit  ausfiihrlichen  Monographien 

Albert  (XII/XIII,  Kretzschmar-Bernoulli).  —  Krieger,  A.  (XIX,  Heufi).  —  Franck  W.,  (XXXXV,  Kromo- 
licki-Krabbe).  -  Erlebach  (XXXXVI/XXXXVII,  Kinkeldey).  -  Sperontes  (XXXV/XXXVI,  Buhle).  - 
Telemann- Corner  (LVII,  Krabbe).  -  Bach,  J.  E.  -  Herbing  (XXXXII,  Kretzschmar).  -  Wiener  Lied 
(DTO.  54,  Pollak-Schlaffenberg). 

Sonstige  Neudrucke 

Moser,  H.  J.,  Alte  Meister  des  deutschen  Liedes  (Edition  Peters  3495),  eirie  Auswahl  fur  das  17.  u.  18.  Jahr 
hundert.  —  Friedlaender,  M.,  a.  a.  0.  Bd.  1,2.  —  Lindner,  E.  0.,  Geschichte  des  deutschen  Liedes.  Leipzig 
1871.  Musikbeilagen. 

Wilhelm  Krabbe 


DAS  ORATORIUM  IM  18.  J AHRHUNDERT 

Die  Kunst  der  deutschen  Kantoren  des  17.  Jahrhunderts  ist  ein  in  sich  gerundeter  geistiger 
und  Stilkomplex  mit  vielfachen  Zu-  und  Ausgangen  nach  den  benachbarten  Epochen  und 
nationalen  Kulturen.  Als  Vorstufe  fur  die  Kunst  Handels  und  seines  Jahrhunderts  kommt  sie 
nicht  primar  in  Frage.  Ob  Georg  Friedrich  Handel  (1685 — 1 759)  das  Werk  des  groBen  Schiitz 
gekannt  hat,  ist  ungewiB.   Das  Spezifische  des  Schiitzschen  Stils,  sein  mystisch  tiefes  Welt- 
geftihl  wird  der  Generation,  in  welche  Handel  hineingeboren  war,  und  erst  recht  jener  kri~ 
tischen  Wendezeit,  als  der  junge  Handel  zum  erstenmal  bewuBt  sich  in  seiner  musikalischen 
Umgebung  umsah,  schon  vollig  fremd  gewesen  sein.   Das  geistige  Totalbild  Handels  spannt 
sich  ja  iiber  Flachen,  auf  denen  die  ganze  Erscheinung  der  neapolitanischen  Schule  bequem 
Platz  findet,  wahrend  umgekehrt  die  GroBe  des  deutschen  Meisters  sich  nach  keiner  Seite 
in  den  neapolitanischen  Stilrahmen  fiigen  wiirde.   Man  hat  das  Handelsche  Werk  als  stili- 
stischen  Gesamtkomplex  in  die  emzelnen  Komponenten  zerlegt,  und  es  hat  sich  dabei  iiber- 
raschend  ergeben,  m  wie  vielem  Einzelnen  seine  Kunst  von  anderen  Meistern  und  Landern,  be- 
sonders  dem  Siiden,  profitiert  hat.    Der  Prozefi  seiner  Anpassung,  Anschmiegung  an  Italiens 
reich  konturiertes,  sinnliches  Melos,  die  gluckliche  Verschmelzung  eingewurzelter  italienischer 
Elemente  mit  der  eigenen  Musiksprache,  alles  das,  was  an  der  Musik  dieses  Deutschen  in 
Nietzsches  Ausdrucksweise  ,,mediterranen"  Ursprungs  ist,  kann  nicht  verkannt  werden.  Und 
doch  ist  damit  noch  in  keiner  Weise  an  das  Wesenszentrum  seiner  Kunst  geriihrt.   So  scharf 
in  ihr  die  zeitstilistische  Linie  von  der  individualistischen  gekreuzt  wird,  so  wenig  laBt  Handels 
Werk  es  zu,  in  eine  geistige  Abhangigkeit  von  seiner  oder  einer  friiheren  Zeit  gebracht  zu 
werden.   Der  Idee  nach  ist  Handels  Oratorium  etwas  Individuelles,  Singulares:  Es  iiberholt 
gewissermaBen  den  ganzen  bishengen  Entwicklungsgang  des  Oratoriums  von  einem  andern 
Ausgangspunkt,  namlich  von  einem  ganz  tiefen,  subjektiven  ethischen  Zentrum  aus.  Der  Weg 
bis  zur  klaren  Erfassung  der  Idee  im  ethischen  BewuBtsein  des  eigenen  Ich  fiihrt  durch  eine 
auBerst  harte  Schule  des  Lebens,  durch  beispiellose  aufiere  und  innere  Siege  und  Kampfe; 
fiihrt  an  den  Punkt,  wo  sich  mit  aller  Folgerichtigkeit  die  Wege  der  Zeit  und  des  zeitlosen 
Genies  trennen  mufiten.    Und  endet  in  einer  Einsamkeit  und  tragischen  menschlichen  Ver- 
lassenheit,  die  etwas  Grandioses  hat.  Einem  solchen  Genietum  hatten  Schule  und  Geschrnack 
seiner  Epoche  armselige  Kriicken  bedeuten  miissen:  In  Wahrheit  hat  Handel  keinen  Lehrer 
gehabt  aufier  dem  Leben,  so  wenig  er  selbst  fahig  gewesen  ware,  eine  Schule  zu  fiihren.  Ein 
einziger  hat  sich  noch  als  reifer  Kiinstler  zu  seiner  geistigen  Schiilerschaft  bekannt,  vielleicht 
der  erste  Mensch  iiberhaupt,  der  Handels  Kunst  ihrer  geistigen  Idee  nach  vollstandig  erfaBte : 
Beethoven. 

Handels  Oratorium  ist  nur  von  dem  (iiber  40  Werke  umfassenden)  Grundbau  seiner  Opern 
aus  zu  verstehen.  Es  wachst,  beeinfluBt  durch  auBere  Momente  an  sich  widriger  Art,  organisch 
aus  dies.em  Boden  Handelscher  Kunst.  Griffen  nicht  bei  Handel  die  groBen  Kreise  opern- 
und  oratonenmafiigen  Schaffens  in  den  Jahren  der  keimenden  Oratorienidee  (etwa  in  dem 
Jahrzehnt  von  1730 — 40)  zu  eng  ineinander,  so  konnte  man  wohl  von  einer  mehr  triebhaften, 
vorbereitenden  Peri  ode  und  einer  Periode  der  Erfullung  sprechen.  Dem  steht  aber  andererseits 
entgegen,  dafi  Handel  zu  bedeutende  Opern  und  noch  in  der  letzten  Schaffensperiode  zu 


Das  Oratorium  im  1 8.  JaKrhundert  705 


biihnenmaBig  gedachte,  an  ein  Musikdrama  der  blofien  Idee  nach  angenaherte  Orator!  en 
geschrieben  hat,  als  dafi  sich  elne  derart  einfache  Scheidung  vornehmen  liefie.  An  der  Tatsache, 
dafi  Handels  Oratorien,  soweit  sie  die  Gattung  ganz  rein  vertreten,  einem  inneren  Ungeniigen 
an  der  Oper,  einem  Reformbediirfnis,  ihr  Leben  verdanken,  wird  sich  auch  fiirder  nichts 
andern  lassen. 

Die  tiefste  Wahlverwandtschaft  teilt  Handel  mit  Carissimi,  doch  ware  es  verfehlt,  sie  in 
Ahnlichkeiten  der  musikalischen  Faktur  allein  aufzusuchen.  Handel  hat  Carissimis  Oratorium 
in  seiner  hervorstechendsten  Wesenheit :  der  Zuriickfuhrung  des  Ganzen  auf  ein  ideales  Chor- 
fundament,  mit  genialem  Blick  verstanden.  In  seinem  eigentlichen  Reformwerk  ,,Israel  in 
Agypten"  ist  der  Chor  der  Trager  der  Idee  geworden,  in  einem  MaCe,  wie  es  nicht  nur  den 
Zeitgenossen,  sondern  sogar  unserer  Zeit  noch  unerhort  und  kiihn  erscheinen  mufite.  Dann 
findet  Handel  hier  auch  den  Anschlufi  an  das  reine  Bibelwort  und  verwendet  im  uralten  Sinne 
den  Testo.  Eine  derartig  antik  grofie  Haltung  der  Chore  nehmen  schon  die  Chore  von  Handels 
Chandosanthems  an,  welche  die  neue  Richtung  aufs  Volloratorium  klar  andeuten.  Nur  iiber 
Carissimi,  den  .Jsrael",  die  Anthems,  kann  auch  Handels  anderes  Chororatorium,  der  ,,Mes- 
sias",  gedeutet  werden.  Von  der  extremen  Betonung  des  Chorstandpunkts  ist  Handel  selbst 
wieder  abgekommen.  Und  gerade  hierin  scheint  sich  die  letzte  Falte  seines  Wesens  zu  er- 
schliefien:  wie  er  aus  einem  bewufit  kontraren  Verhaltnis  zu  Carissimi  hergekommen  war, 
wie  er  es  iiberhaupt  unmoglich  darauf  abgesehen  haben  konnte,  den  Carissimi-Oratorientypus 
auf  einer  stilistisch  neuen  Basis  wieder  erstehen  zu  lassen,  so  mufite  seine  Schaffenstendenz 
auch  wieder  kontrar  zu  Carissimi  auslaufen.  Natiirlich  nicht  nach  der  Seite  des  chorlosen 
Oratoriums,  wohl  aber  nach  Seiten  einer  Belebung  durch  Handlung,  nicht  so  sehr  durch 
aufiere,  als  durch  innere  Vorgange.  Wir  sehen  hier  eine  scharfe  geistige  Linie  verlaufen, 
etwa  zwischen  den  zwolf  Jahre  auseinanderliegenden  Oratorien  ,,Deborah"  und  ,,Belsazar". 
Man  steht  bei  beiden,  als  typisch  herausgegriffenen  Werken  hart  vor  dem  Punkt,  wo  die  blofi 
phantasiemafiig  widergespiegelten  Vorgange  korperhaft,  greifbar  werden  oder  vielmehr  von 
adaquaten  optischen,  biihnenwirklichen  Eindrucken  begleitet  werden  wollen.  (Und  doch  war 
bei  gelegentlichen  theatralischen  Darstellungen  die  Gefahr  einer  Verkennung  des  Ideenhaften 
unverkennbarl)  Das  erstarrende  ,,Menetekel"  im  ,,Belsazar",  die  munter  abebbenden  Fluten 
des  Euphrat  ebenda,  die  schleichenden  Baalspriesterchb're  in  der  ,,Deborah",  die  zugleich 
grimme  Trauer  und  schleppende  Bewegung  malen,  also  ein  psychisches  und  bildhaftes 
Moment  in  eins  geben,  oder  die  von  Opferaltaren  aufsteigenden  Rauchwolken,  die  den 
Dankeshymnus  Israels  umspielen  —  alles  das  ist  in  zwingend-plastischen  Symbolen  von 
Handel  ausgedruckt  worden,  vor  deren  seelischer  Eindruckskraft  jede  theatralische  Illusion 
verblassen  mu6.  Oft  auch  losen  sich  aus  unscheinbaren  Textanregungen,  auf  Worte  wie 
Sonnenglanz  oder  Bergeshohen  kosmische  Stimmungen  und  Bilder,  in  denen  der  Mensch 
schlieBlich  nicht  mehr  als  geistiges  Individuum  und  triebhaftes  Wesen,  sondern  nur  noch  als 
abhangiges  Geschopf  der  Natur  Platz  hat. 

Eine  Sondergruppe  in  Handels  Werk  bilden  die  durchweg  undramatischen  und  allegorischen 
Oratorien  ,,Alexanderfest  oder  die  Macht  der  Tonkunst"  (1736),  ,,L'Allegro,  il  Pensieroso 
ed  il  Moderato"  (1739)  und  das  Spatwerk  ,,Salomo"  (1748),  in  denen  die  Chore,  frei  von 
jeglichem  dramatischem  Zwang,  auch  nicht  eigentlich  Trager  einer  Idee,  mehr  als  dekorative 
Prachtstucke  verwendet  sind. 


7Q6  Das  Orator  ium  im  1 8.  Jahrhundert 


Die  GroBzeit  in  Handels  Schaffen  beginnt  mit  der  ,,Deborah"  (1733)  und  ftihrt  liber  den 
einzigen  unermefilichen  Hohenzug :  ,,Athalia"  (1 734),  ,,SauT  (1 739),  ,,Israel  in  Agypten"  (1 739), 
.JVfessias"  (1742),  ,,Samson"  (1743,  nach  Miltons  Dichtung),  ,,Semele"  (1743),  ,,BeIsazar" 
(1744),  ,,Herakles"  (1744),  ,,Judas  Maccabaeus"  (1746),  Joseph  und  seine  Briider"  (1746), 
,,Alexander  Balus"  (1747),  .Josua"  (1747),  ,,Susanna"  (1748),  ..Theodora '  (1748,  ein  Lieb- 
lingswerk  Handels  und  in  seiner  Seelentiefe das  Gegenstiick  zur  Oper  ,,Rodelinde" !),  ,,Jephtha 
(1 752).  Handels  dichterische  Heifer  waren  Samuel  Humphreys,  Pope  und  Arbuthnot,  Hamilton 
und  vor  allem  Thomas  Morell.  Die  biblischen  Stoffe  erscheinen,  mit  Ausnahme  der  original  - 
getreuen  Texte  des  ,,Messias"  und  „ Israel",  in  freier  dramatisieiter  Form  mit  lyrisch-kontem- 
plativen  Elementen  durchsetzt.  Die  italienische  Zweizahl  der  Akte  ist  nach  Operngrundsatzen 
zur  Dreizahl  geworden.  Die  genannten  Werke  umspannen  mit  den  vorher  erwahnten  zusammen 
den  Zeitraum  von  1 732 — 51 ,  also  eine  verhaltnismafiig  kurze  Frist,  wenn  man  bedenkt,  dafi  fast 
jedes  einzelne  im  Kampfe  mit  dem  Schicksal  ertrotzt  war.  So  ist  es  zu  verstehen,  dafi  das  Dai- 
monion  dieses  Menschenlebens  in  Hunderten  von  Ziigen  des  Werks  aufleuchtet.  Und  es  bedarf 
gar  nicht  des  iiberlieferten  Charakterbildes  Handels :  Es  liegt  in  seiner  Musik  beschlossen ;  ebenso 
wie  die  Weite  seines  Blicks,  das  Weltburgertum,  die  Universalitat  dieses  Geistes  aus  ihr  spricht. 

Handel  hat  von  seiner  jugendfrohen  Italienfahrt  (Florenz — Rom — Venedig — Neapel)  auch 
zwei  Werke  mitgebracht,  die  der  Geschichte  des  Oratoriums  angehoren:  die  ,,Resurrezione" 
und  den  ,,Trionfo  del  Tempo* '  vom  Jahre  1708.  Handel  pflichtet  mit  ihnen  dem  Genius 
Italiens  seinen  Tribut,  allerdings  mit  keinem  geringen  schopferischen  Selbstbewufitsein,  wie 
sich  das  nach  den  friihen  Hamburger  Opernerfolgen  gehorte.  Wie  allzeit  gern  Elemente  eines 
alteren  Werks  von  Handel  in  ein  neueres  ubernommen  wurden,  so  sind  schon  in  das  romische 
Allegorieoratorium  (auf  den  Text  des  Kardinals  Panfili)  und  in  das  Auferstehungswerk  Melo- 
dien  der  Hamburger  Agrippina  eingeschliipft,  und  von  da  wandern  sie  weiter.  An  der  ,,Re- 
surrezione"  hat  Handel  zeitlebens  gehangen.  Nicht  lang  vor  seinem  Tode  hat  er  sienoch  zum 
zweiten  Male  bearbeitet.  In  der  Doppel-  und  mehrfachen  Verwendung  eigenen  und  sogar 
fremden  Materials  in  einer  freischaltenden,  genial  unbekiimmerten  Weise  liegt  iiberhaupt  eine 
der  fesselndsten  Erscheinungen  an  Handels  Kunst.  Alle  hieran  boswillig  und  voreilig  ge- 
kniipften  Schliisse  beruhen  auf  einer  wesentlichen  Verkennung  seiner  kunstlerisch-mensch- 
lichen  Eigenschaften.  Gerade  die  ungeheuer  elementare  Seite  von  Handels  Musikertum  kommt 
in  solchen  Fallen  zum  Vorschein,  nicht  kalt  berechnender  Kunst verstand.  Handels  Eigenstil 
beruht  auf  einer  unerhorten  Einfachheit  und  Plastik  des  melodischen  Gedankens  und  einer 
ebenso  einfachen,  sangvpllen  und  man  mochte  manchmal  sagen,  malerischen  Kontrapunktik. 
Uberhaupt  ist  das  bildhafte,  gleichsam  optisch  empfangene  Element  —  man  denke  nur  wieder 
an  das  ,,Menetekelt4  —  in  seiner  ganzen  Musik  vorherrschend.  Entscheidend  aber  bleibt  ihre 
ethische  Kraft,  ihre  betonte  Beziehung  zum  Reinmenschlichen.  Damit  im  Zusammenhang 
steht  Handels  bewunderungswurdige  Kunst  der  Erfassung  und  Zeichnung  menschlicher 
Charaktertypen.  Voraussetzung  eines  solchen  Vermogens  kann  ja  nur  die  Scharfung  des 
Blickes  in  der  unmittelbaren  Schule  des  Lebens  gewesen  sein.  Nichts  ist  dafiir  so  bezeichnend 
wie  die  Seelen-  und  Charakterbilder  Handelscher  Frauengestalten,  einer  Esther,  Nitokris, 
Theodora,  Susanna,  Semele,  Dalila.  Schon  friih  zeigt  sich  in  Handels  Musik  jener  elegische 
Unterton,  ebenso  wie  jener  vielfaltig  abgewandelte  Ton  froher  Ausgelassenheit.  Auch  der 
feinere  Witz  und  kraftige  Satire  gehoren  in  den  Bereich  seiner  Ausdruckskunst.  Gegeniiber 


Das  Oratorium  im  1 8.  Jahrhundert  707 


diesen  Reichtiimern  einer  unermeBlich  bedachten  Natur  wiegen  die  iiberkommenen  und  an- 
geeigneten  Elemente  Handelscher  Kunst  gering.  Am  hochsten  anzuschlagen  ist  vielleicht  die 
musikalische  Erziehung  des,  ahnlich  Mozart,  friihreifen  Knaben  durch  den  Organisten  Friedr. 
Wilh.  Zachow  (1663 — 1712)  in  Halle.  "Der  italienische  Stileinflufi  lafit  sich  spezieller  als 
Einflufi  Carissimis  bezeichnen.  Selbstverstandlich  iibernahm  Handel  aber  auch  voll  die 
Formen  der  neapolitanischen  Schule  (Da-capo- Arie).  Das  Bologneser  Oratorium  wurde  ihm 
mit  seinen  oben  geschilderten  gut  en  Eigenschaften  Vorbild.  Nach  Frankreich  deutet  u.  a.  die 
ungemein  farbige,  differenzierte  Instrumentation.  Wichtige  mafigebende  Einschlage  kamen 
von  dem  Chororatorium  und  der  englischen  Oden-  und  Anthemsliteratur.  In  dieser  Beziehung 
ist  der  geniale  Henry  Purcell  ein  hinreifiendes  Vorbild.  Man  vergleiche  die  Cacilienoden. 
Und  endlich  bestehen  starke  geistige  Beziehungen  zwischen  Handel  und  dem  Wiener  Oratorium. 
Wichtiger  als  die  spezifischen  Stileinfliisse  ist  ein  soziologisches  Moment:  Handels  Oratorium 
ist  in  hohem  Grade  durch  den  Zustand  der  englischen  Gesellschaft  seiner  Zeit  bedingt,  ja 
es  halt  in  dem  ,,auserwahlten  Volk  Gottes"  dem  englischen  Volk  unmittelbar  den  Spiegel 
vor  und  faBt  es  mit  untriiglicher  Sicherheit  an  seinem  nationalen  Eigenbewufitsein.  Natiirlich 
um  es  dann  nach  einer  entgegengesetzten  Seite  ganz  in  den  Bannkreis  einer  ethischen  Ge- 
dankenwelt  hiniiberzuziehen.  Auf  diesem  Wege  folgte  Handel  bemerkenswerterweise  nicht 
die  hohere  Gesellschaft,  sondern  der  gebildete  englische  Mittelstand.  Bezeichnenderweise  auch 
Manner  wie  Hogarth,  Hughes,  Gay,  Pope,  Fielding.  Wir  finden  hierin  zwei  eigentiimliche 
Seiten  Handelscher  Kunst  bestatigt:  ihre  Volkstiimlichkeit  und  ihre  besondere  Geistigkeit. 
Aufierlich  betrachtet  legte  die  erste  offentliche  Auffiihrung  der  ,,Esther"  im  Jahre  1732  im 
Koniglichen  Theater  am  Haymarket  den  Grund  zu  dieser  Schicksalswende  der  englischen 
Kunst.  Ob  dieser  Schritt,  von  Handel  aus  gesehen,  freiwillig  oder  mehr  durch  die  aufieren 
Verhaltnisse  erzwungen  war,  ist  eine  Frage  zweiten  Ranges.  Denn  die  Hauptsache  bleibt: 
die  Idee  des  neuen  volkerumspannenden  Oratoriums  sti<nd  damals  in  Handel  bereits  fest. 
Nur  auf  die  Art  ihrer  Wirkung  konnte  die  Zeit  einen  Einflufi  ausiiben.  Nach  Handels 
entschiedener  Absage  an  die  Oper,  die  zweifellos  mit  verzehrenden  inneren  Kampfen  und 
Zweifeln  verbunden  war,  kommt  in  die  ganze  Oratorienbewegung  System:  Im  Jahre  1739 
wird  das  Haymarket-Theater  gemietet,  und  von  nun  an  erscheinen  alljahrlich  zu  Fasten  die 
grofien  Werke.  Eine  solche  Oratorienauffiihrung  mit  ihrem  komplizierten  kunstlerischen 
Apparat  scheint  eine  regelrechte  Inszenierung  erfahren  zu  haben,  in  der  noch  viel  barocker 
Theatergeist  lebendig  blieb.  Bis  in  die  tragischen  Schicksalstage  der  Erblindung  hinein 
opferte  Handel  seinem  Lebenswerk  seine  bis  zuletzt  ungebrochenen  schopferischen  Krafte. 
So  durch  die  regelmafiigen  Orgelimprovisationen  zwischen  den  Akten  und  Szenen  seiner  Ora- 
torien,  die  aus  dem  Mikrokosmos  seiner  Werke  nicht  herauszudenken  sind. 

Fur  die  Welt  auBerhalb  Englands  entschied  sich  Handels  Sieg  erst  mit  dem  Jahr  des  grofien 
Londoner  Handelfestes  1784.  Zeitweilig  scheint  sein  Name  vergessen  oder  absichtlich  ver- 
schwiegen.  Im  Mutterland  des  Oratoriums  verlauft  sich  seine  Spur  mit  dem  Augenblick,  wo 
der  einst  Bejubelte  seinen  Boden  fur  immer  verlafit.  In  Italien  und  den  deutschkatholischen 
Residenzen,  mit  Ausnahme  von  Wien,  bleibt  das  Oratorium  eine  Pachtung  neapolitanischen 
Kunstgeistes.  Als  solche  mufite  es  mangels  wirklich  fruchtbarer  Ideen  schliefilich  veroden. 
Aber  an  dem  langen  Wege  liegen  eine  Menge  schoner,  charaktervoller,  eindringlicher  Leistungen. 
Und  insofern  bleibt  auch  das  nicht handelsche  Oratorium  des  18.  Jahrhunderts  fiir  die  Musik- 


Das  Oratorium  im  18.  Jahrhundert 


geschichte  wichtig,  als  die  bedeutenden  Komponisten  fast  ohne  Ausnahme  der  Gattung  treu 
blieben  —  treu  bleiben  muBten,  da  das  Oratorium  als  wirksamer  Faktor  im  katholischen 
Geistesleben  der  Zeit  seine  alte  Stellung  wahrte. 

In  den  Anfang  des  Jahrhunderts  fallt  derVersuch  der  Zeno  (1669—1750)  und  Metastasio 
(1698—1782),  das  Oratorium  literarisch  zu  machen.  Pralctisch  haben  diese  Reformen  die 
Wiedererschliefiung  des  reinen  biblischen  Quells  und  die  Uberwindung  der  Heiligenlegende 
und  damit  des  Spagna-Standpunkts  zur  Folge  gehabt.  Unbezweifelbar  ist  auch  die  ethische 
Vertiefung  und  dichterische  Hoheit  dieser  von  Racineschem  Geiste  nicht  unberiihrten  Texte. 
Aber  die  Reform  war  wieder  einmal  von  der  verkehrten  Seite  angefafit,  und  sicher  ist,  da8 
ein  Handel  mit  den  Libretti  der  beiden  Wiener  Hofpoeten  nicht  viel  anzufangen  gewufit  hatte. 
Es  gibt  neben  herrlichen,  dramatischen  Szenen  schlechthin  musikfeindliche  Stellen  in  diesen 
,,Componimenti  sacri"  des  Metastasio  (wie  die  katechetische  Lektion  in  der  ,,Betulia  liberata", 
die  der  junge  Mozart  doch  komponiert  hat!).  Man  mufi  darin  die  alte  lehrhafte  Tendenz  des 
Oratoriums  und  den  ehrlichen  Versuch  eines  Kompromisses  erblicken,  aber  schliefilich  zeigt 
sich  hier  doch  eine  arge  Verkennung  des  Grundwesens  der  Gattung,  deren  Folgen  nur  die 
Komponisten  zu  tragen  hatten.  Kretzschmar  unterscheidet  drei  Formen  dieser  Oratorien- 
dramen:  hierarchische,  romantische  und  Idyllen.  Hier  einige  Titel  der  ersten  Gattung:  ,,Ma- 
nasse",  ,,Gionata',  ,,Nabot",  ..Davidde",  ,,Davidde  umiliato",  ,,Sedecia",  ,,Ezechia".  Die 
zweite  Gattung,  die  sich  urn  das  Heroentum  einer  Frau  dreht,  ist  vertreten  durch  Zenos 
,,Sisera"  (Idel)  und  Metastasios  ,,Betulia  liberata '  Qudith).  Drittens,  zur  Idylle  zahlt:  Zenos 
,,Tobiasu,  eine  Folge  von  Familienszenen,  durch  die  sich  das  Motiv  der  Belohnung  des  Gott- 
vertrauens  mit  irdischen  Gliicksgutern  zieht,  ebenso  Metastasios  ,,Morte  d'Abel"  und  ,,Isacco". 
Einzelne  dieser  Oratorien  kehren  in  immer  neuer  musikalischer  Einkleidung  durchs  ganze 
Jahrhundert  wieder.  Unter  ihren  Vertonern  finden  wir  Alessandro  Scarlatti  mit  einem 
,,Sedecia,  re  di  Gerusalemme"  (1706).  Wirsahen  den  Fiihrer  der  Neapolitaner  bisher  nur 
als  Mitganger  der  venezianischen  Stilschule  (siehe  oben  S.  502 ff.)-  In  seinem  neuen  Werk 
bricht  die  neueStilrichtung  entschiedener  durch :  die  Arie  beginnt  sich  ausschliefilich  nach  dem 
Prinzip  der  Dreiteiligkeit  (Hauptsatz  —  Mittelteil  —  Da  capo)  zu  formen,  das  for  die  ganzen 
kommenden  Komponistengenerationen  —  trotz  Gluck  —  mafigebend  bleibt  (u.  a.  ja  auch  fur 
Handel,  den  wahrscheinlich  nahe  personliche  Beziehungen  mit  Scarlatti  verbanden).  Wenn 
die  Da-capo-Arie  auch  rudimentar  bereits  50  Jahre  f ruher  vorhanden  war  —  sie  soil  auf  Grund 
der  noch  viel  alteren  dreiteiligen  Liedform  von  dem  Sanger  Baldassara  Ferri  (1610—80)  er- 
funden  worden  sein  — ,  so  wird  sie  doch  erst  von  Scarlatti  und  starker  noch  von  seinen  Schiilern 
zu  jenem  Mikroorganismus  gemacht,  um  den  sich  spater  Oratorium  und  Oper  gleichermafien 
drehen.  Das  geschah  vor  allem  durch  Ausbau  im  Innern:  Erweiterung  und  Verwesentlichung 
der  Orchesterritornelle  und  scharfere  Plastik  im  Thematischen  im  Sinne  des  jeweils  zum  Aus- 
druck  zu  bringenden  Affekts.  Ein  weiteres  hervorstechendes,  wenn  auch  durchaus  aus  der 
venezianischen  Praxis  herausgewachsenes  Stilmerkmal  der  neapolitanischen  Richtung  ist  das 
begleitete  Rezitativ  (Recitativo  accompagnato),  d.  h.  die  stimmungsmafiig  und  musikalisch  ge- 
hobene  Form  des  Seccorezitativs,  die  durch  Scarlatti  eine  geniale  Bereicherung  nach  der  in- 
strumentalen  Seite  erfuhr.  Uberhaupt  kniipft  sich  Scarlattis  eigentlichste  Bedeutung  an  die 
Aufstellung  und  glanzende  Losung  instrumentaler  Probleme.  Scarlattis  Orchesterkunst  geht 
nicht  blofi  auf  den  gleifienden  Effekt  und  sinnlich  berauschende  Wirkung,  sondern  sie  ist  eine 


Das  Oratorium  im  18.  Jahrhiindert  709 


eminent  geistige  Kimst,  die  sich  am  Drama  selbst  entfaltet.  Seine  unbestrittene  Meisterschaft 
griindet  sich  ja  in  erster  Lime  auf  seine  Ouvertiiren.  Mit  am  beriihmtesten  war  die  violinkon- 
zertartige  Einleitungssinfonie  zur  ,,Sedecia".  Unter  Scarlattis  beste  Arbeiten  zahlen  die 
Oratorien  ,,S.  Casimiro  re  di  Polonia"  (1713)  und  ,,La  Vergine  addolorata"  (1717). 

Das  herkommliche  abfallige  Urteil  liber  die  neapolitanische  Schule,  an  welchem  in  erster 
Linie  die  deutsche  Romantik  mit  ihrer  oft  iibertriebenen  Feindseligkeit  gegen  alles  Italie- 
nische  Schuld  tragt,  beruht  auf  einer  Verkennung  der  Grundqualitaten  des  italienischen  Volkes 
und  einem  Mifiverstehen  der  Individualpsyche  seiner  herrlichen  Meister.  Daneben  aber  auch, 
und  das  ist  entschuidbar,  auf  mangelnder  Kenntnis  der  umfanghchen  musikahschen  Literatur. 
So  konnte  es  geschehen,  dafi  iiber  die  vielen  unleugbar  unfruchtbaren  Partien  dieses  ganzen 
musikalischen  Komplexes  erhabene  Leistungen  einzelner  Meister  vollstandig  iibersehen 
wurden.  Unzweifelhaft  birgt  die  Oratorienliteratur  der  Neapolitaner  eine  Menge  schopfe- 
rischer  Werte,  die  in  die  lebendige  Praxis  der  Gegenwart  iiberfiihrt  werden  konnten.  Einer 
urspriinglichen  Veranlagung  des  Italieners  entsprechend,  finden  sich  namentlich  im  drama- 
tischen  Rezitativ  Stellen  von  packender  Unmittelbarkeit  und  Impulsivitat  des  Ausdrucks. 
Ebenso  in  mancher  der  Zwischenformen  zwischen  Rezitativ  und  grofier  Arie,  in  den  Ariosi, 
Cavatinen  (Handels  Lieblingsform)  und  liedmaBigen  Arietten.  Entscheidend  fiir  die  durchweg 
geringere  Bewertung  des  neapolitanischen  Oratoriums  bleibt  allein  die  bekannte  Tatsache, 
dafi  mit  der  Grenzvermischung  zwischen  Oratorium  und  Oper  und  mit  der  Vernachlassigung 
des  Chors,  iiberhaupt  mit  der  Lockerung  des  asthetischen  Zwangs  die  strenge  stilistische  Linie 
von  Anerio  und  Carissimi  zu  Handel  verlassen  wird.  Man  kann  diese  Entwicklung  nur  bedauern 
angesichts  bedeutender  Ansatze  zu  einem  Chororatorium,  wie  wir  sie  z.  B.  am  Schlufi  von 
Scarlattis  ,,Sedecia"  finden. 

Um  in  die  Uberfulle  von  Namen  neapolitanischer  Meister  einige  Ordnung  zu  bringen,  sei, 
unter  Beschrankung  auf  die  bekanntesten,  nach  dem  Vorgang  Scherings  folgende  tabellarische 
Obersicht  gegeben.  Danach  schaffen  in  der  Friihgruppe  1700 — 1750:  Fiir  Italien:  Scarlatti, 
Vinci,  Feo,  Leo,  Pergolesi,  Casali,  Jomelli,  Porpora,  G.  B.  Martini;  fiir  Wien 
(z.  T.  noch  in  venezianischer  Stilrichtung) :  Ziani,  Lotti,  Caldara,  Fux,  Ant.  undGiov. 
Bononcini,  Reutter,  Conti,  Porsile,  Predieri,  Bonno;  fiir  Dresden:  Ristori,  Hei- 
nichen,  Hasse,  Zelenka.  In  der  Spatgruppe  1750 — 80:  Fiir  Italien:  Piccini,  Perez, 
Majo,  Fischietti,  Galuppi,  Anfossi,  Sacchini,  Bertoni;  in  Deutschland:  Hasse, 
Schiirer,  Gafimann,  Kozeluch,  Holzbauer,  Wagenseil,  Haydn,  Mozart.  In  der 
Auslaufergruppe  (bis  1802):  Italiener:  Cimarosa,  Guglielmi,  Paisiello,  Salieri,  Mor- 
lacchi,  Paer;  Deutsche:  Naumann,  Seydelmann,  Schuster,  Schlettner,  Himmel, 
Reichardt,  Dittersdorf,  Weigl,  Sim.  Mayr.  Eines  Hinweises  bedarf  es  noch  auf  solche 
Meister,  die  die  Gattung  wohl  gepflegt  haben,  von  denen  aber  keine  Werke  erhalten  sind, 
wie  Durante,  Provenzale,  Greco. 

Der  Schopfer  der  ,,Serva  Padrona '  und  des  ,,Stabat  mater"  ist  auch  fur  das  Oratorium 
hochbedeutend  geworden:  in  Pergolesis  ,,Giuseppe"  begegnen  einem  Machtausdriicke,  die 
an  Handel  erinnern: 


E£E± 


Pel  -  le  -    *rin      d'in     fol  -    to       or  -  ror         <Tin     fol  -  to       or  -  ror 


7| Q  Das  Oratorium  im  1 8.  Jahrhundert 


Leos  Oratorien,  darunter  eine  bedeutende  ,,Sa.  Elena  al  Calvario"  und  ein  ,,Morte  di 
Abele"  (1732),  sind  in  der  schwarmerisch-erhabenen  oder  leidenschaftlichen  Sprache  der 
Scarlatti  und  Vinci  geschrieben.  Mancher  Zug  bei  Hasse  deutet  auf  innige  Vertrautheit  mit 
diesem  neapolitanischen  Meister.  Porporas  ,,David  e  Bersabea",  1734  far  London  ge 
schrieben,  verrat  Handels  Nahe  und  Einflufi  (Chore!)  und  einen  Willen  zur  Grofie, 
wie  ihn  nur  der  Konkurrenzgedanke  auslosen  konnte.  Eine  ,,Betulia  liberata",  ein 
,,Isacco"  und  eine  Passion  des  spateren  Stuttgarter  Kapellmeisters  Jomelli  tragen,  gegen 
die  Mitte  des  Jahrhunderts  geschrieben,  schon  Hasses  Spuren  im  Stil  wie  in  der  ernsten 
Gesamthaltung. 

Eine  eigentumliche  Verbindung  bodenstandiger  und  fremder  Kunsttendenzen  zeigt  das 
Oratorium  in  Wien.  Es  wurde  schon  darauf  hingewiesen,  dafi  einzig  Wien  es  war,  welches  zu 
einer  selbstandigen  Form  des  Oratoriums  kam,  und  dafi  geistige  Bindungen  zwischen  diesem 
und  dem  Handelschen  Oratorium  bestanden.  Es  hatte  vielleicht  nur  der  klaren  Einsicht  in 
die  Wichtigkeit  des  Chorfaktors  bedurft,  und  die  beiden  Gegenpole  London  und  Wien  waren 
viel  enger  zusammengeriickt.  Zum  Oratorium  Handels  bildet  das  Wiener  Oratorium  der 
Badia,  Bononcini,  Fux,  Caldara,  derLotti,  Draghi,  des  jiingeren  Reuther  Gegen- 
satz  und  Erganzung.  Das  Gegensatzliche  riihrt  aus  der  Abstammung  von  verschiedenen  Stil- 
schulen :  die  Mehrzahl  der  Wiener  Meister  kommt  von  Venedig  und  Bologna.  Reine  Neapoli 
tan  er  sind  bis  zur  Mitte  des  Jahrhunderts  fast  ausgeschlossen.  Die  geistigere  Behandlung 
eines  bereits  sehr  klar  erkannten  Oratorien  problems  zeigt  sich  zunachst  in  einer  vertieften 
musikalischen  Arbeit.  Eine  ernste  kontrapunktische  und  fugierte  Schreibweise,  stilistisch  etwas 
uniform,  gibt  den  Arbeiten  der  Bononcini,  Fux,  Caldara  die  Signatur,  und  damit  wird  vor 
allem  ein  Stuck  edlen,  altkirchlichen  Geistes  eingefangen,  wie  er  den  Neapolitanern  fremd  war, 
und  wie  ihn  auch  Handel  nicht  haben  konnte  —  dank  seiner  freieren  Stellung  zum  kirchlichen 
Dogma.  Die  Charaktereinheit  des  Wiener  Oratoriums  ist  wohl  schliefilich  auf  das  ernste  an- 
regende  Beispiel  Joseph  I.  und  Karl  VI.  zuriickzufiihren.  Zweifellos  driickten  diese  musi 
kalischen  Kaiser  allem  damaligen  Wiener  Musikbetrieb  ihr  Wesen  auf.  Eine  betrachtliche 
stilistische  Weiterbildung  zeigen  die  von  rezitativischen  Partien  unterbrochenen  ArienBadias 
und  die  eingefugten  konzertanten  Partien  in  Instrumentalsatzen,  wie  iiberhaupt  in  Badia  sich 
ein  interessanter  Stilwandlungsprozefi  verkorpert.  Der  deutsche  Meister  Jo h.  Jos.  Fux  kommt 
iiber  eine  gewisse  niichterne  Korrektheit  bei  aller  erstaunlichen  Komplizierung  der  Faktur 
nicht  eigentlich  heraus;  dariiber,  dafi  die  Phantasie  ihn  gelegentlich  gerade  in  Momenten 
starkster  dramatischer  Spannung  im  Stich  liefi,  tauschen  auch  meisterhafte  Satzkiinste  und 
reizvolle  Instrumentationseffekte  schwer  hinweg.  Im  Pathos  und  Ausdruck  der  Feierlichkeit 
ist  er  bedeutender  als  in  der  Lyrik,  sein  Rezitativ  ist  matt,  der  Sinn  furs  eigentlich  Drama- 
tische  iiberhaupt  schwach  entwickelt.  Aber  uberall  zwingt  sein  unbegrenztes  Konnen  Achtung 
ab.  Ein  Meister  vom  Konnen  und  der  ernsten  Kunstgesinnung  Fux*,  aber  aufierdem  mit 
einer  echten,  warmen  Leidenschaftlichkeit  begabt,  ist  Caldara,  iibrigens  mit  seinen  31  Ora 
torien  der  produktivste  unter  alien  Wienern.  Am  talentvollsten  gilt  Francesco  Conti  (1682 
bis  1732),  dessen  ,, David"  (1724)  mit  seiner  aufierordentlichen  Charakterentwicklung  und 
Seelenschilderung  von  Schering  an  die  Seite  Handelscher  Oratorien  gestellt  wird.  In  Conti 
ist  die  Synthese  des  Wiener  und  neapolitanischen  Stils  am  gliicklichsten  vollzogen.  Als  wohl 
bedeutendster  Vertreter  der  neapolitanischen  Richtung  hat  G.  Reutterzu  gelten.  Obrigens 


Das  Oratorium  im  1 8.  Jahrhundert 


711 


ist  es  kulturgeschichtlich  von  Interesse,  daB  mit  der  Thronbesteigung  Maria  Theresias  das 
Oratorium  in  Wien  zurticktritt. 

Von  den  beiden  Bononcini  ist  Giovanni  Battista,  der  Londoner  Rivale  Handels,  ziemlich 
reiner  Neapolitaner,  wahrend  Marc*  Antonio  mit  reizvollen  Ubergangsformen  noch  halb  im 
Spatvenezianismus  bzw.  im  Oberitalienischen  steckt  und  an  die  Draghi,  Tosi,  Badia  erinnert. 
Das  folgende  Beispiel  kennzeichnet  den  anmutvollen  Ernst,  der  den  Oratorien  der  Wiener 
Bliitezeit  durchweg  eigen  ist: 


Draghi.    Pianto  der  Maria  aus  ,,L'Esclamar  a  gran  voce"  (1689).     [Wien] 


-•^.       -*     f     ~  -f — j— [ 


Mit  Karls  VI.  Tode  (1740)  stirbt  die  Bliite  des  Wiener  Oratoriums  fast  im  gleichen  Augen- 
blick  ab.  Der  Erbfolgekrieg  lenkte  die  Aufmerksamkeit  von  der  Kultur  im  Innern  ab.  Und 
die  Musikpflege  am  Wiener  Hof  ist  far  die  nachsten  Jahrzehnte  erschiittert.  Das  Burgtheater 
fahrt  interimistisch  die  Tradition  der  Hofburg  fort,  bis  mit  der  Griindung  der  Tonkiinstler- 
sozietat  1771 ,  einem  reinen  Produkt  biirgerlichen  Gemeinsinns,  auch  die  Oratorienbewegung 
neue  Impulse  erfahrt.  Freilich  aus  einem  so  tiefen  Bediirfnis,  aus  einer  solchen  schopferischen 
Tiefe  wie  unter  den  musikalischen  Kaisern  ist  bis  auf  Haydn  kein  Oratorium  in  Wien  mehr 
entsprungen.  In  die  Wiener  Oratorienpflege  des  letzten  Jahrhundertdrittels  werden  in  be- 
trachtlichem  Mafie  auch  nicht-Wiener  Komponisten  einbezogen,  wieHasse.  Die  bedeutendsten 
Kopfe  dieser  Nachbliitezeit  sind  Wagenseil,  Dittersdorf,  Kozeluch.  Damit  greifen  wir 
aber  schon  in  die  neue  Stilepoche  ein  und  in  den  Bereich  Haydns. 

In  Dresden  ist  vor  1730  kein  Oratorium  nachweisbar.  Mit  Caldaras  ,,Morte  e  sepultura 
di  Christo"  setzt  dann  aber,  vermutlich  im  Zusammenhang  mit  Augusts  des  Starken  Ubertritt 
zum  Katholizismus,  eine  bedeutende  Pflege  des  Oratoriums  ein,  deren  beherrschenden  EinfluB 
Joh.  Ad.  Hasse  (1699 — 1783)  verkorperte.  Uber  Masses  Bedeutung  ist  noch  nicht  das  letzte 
Wort  gesprochen.  Zu  den  iiberschwenglichen  Lobeshymnen  der  Zeitgenossen  und  seinem 
einzigartigen  europaischen  Ruhm  steht  der  Eindruck,  den  das  erhaltene  Werk  hervorruft 
—  ein  grofier  Teil  wurde  bei  der  BeschieBung  Dresdens  1 760  vernichtet  —  in  uniiberbriick- 
barem  Kontrast.  Immerhin  ist  zu  verstehen,  warum  eine  Zeit,  die  Bachs  Grofie  zu  fassen  un~ 
fahig  war,  in  Hasse  ihr  Ideal  verkorpert  sah.  Die  steife  Grandezza  seiner  Musik,  der  Mangel 
an  seelischer  und  geistiger  Entschiedenheit  sind  doch  mehr  negative  Qualitaten,  die  von  den 


712  Das  Oratorium  im  18.  Jahrhundert 


positiven  Charakteristika  dieser  Oberflachenkunst :  einem  tadellosen  Satz,  edler,  oft  schwung- 
voll  pathetischer  Melodik,  reicher  Modulation  und  mustergiiltiger  Sprachbehandlung  (nament- 
lich  im  Rezitativ)  nicht  aufgewogen  werderu  Stilistisch  reprasentiert  Hasse  durchaus  kein 
reines  Neapolitanertum,  hier  und  da  stofit  man  auf  iiberraschende  subjektive  Stilmomente.  An 
Wien  ist  dabei  gar  nicht  zu  denken,  denn  von  einer  Hypertrophie  kontrapunktischer  Satz- 
kiinste  ist  Masses  MusJk  denkbar  welt  entfernt.  Sein  Orchester  reicht  gerade  dazu,  den  Gesang 
zustiitzen,  auf  dem  durchaus  der  Schwerakzent  liegt.  Vom  Typus  des  Solooratoriums 
weicht  Hasse  nirgends  ab.  Drei  seiner  bekanntesten  Oratorien  sind:  ,,11  cantico  de'tre 
fanciulli",  ,,Giuseppe  riconosciuto",  ,,La  Conversione  di  Sant'Agostino".  Eins  der 
edelsten,  kraftvollsten  Stiicke  Hasses,  die  ,,Sa.  Elena  al  Calvario"  (1746),  ist  geschichtlich 
bedeutsam  dadurch,  dafi  sie  mit  deutschem  Text  auch  ins  protestantische  Deutschland 
Eingang  fand. 

Um  Hasse  finden  sich  die  talentvollen,  wenn  auch  in  weitem  Abstand  zu  nennenden  Vertreter 
der  Dresdener  Schule:  Joh.  David  Heinichen  (1683—1729),  Dom.  Fischietti  (1729  bis 
ca.  1810),  Joh.  Georg  Schiirer  (1720—86),  der  Bohme  Joh.  Dismas  Zelenka  (1679—1745). 
Nur  Giov.  Alb.  Ristori  (1692 — 1753)  erreicht  Hasse  gelegentlich.  Joh.  Gottl.  Naumann 
(1741—1801),  Schuster  (1748—1812),  Seydelmann  (1748—1806)  stehen  dem  weicheren, 
empfindsameren  Karl  Heinrich  Graun  (1701 — 59)  naher.  Aber  auch  Gluckscher  Einflufi  ist 
bei  letzteren  schon  zu  finden. 

Von  den  Spatneapolitanern  ist  Giov.  Paisiello  (1741 — 1816)  mit  seiner  Passion  vom 
Jahre  1 784  bemerkenswert.  Die  aus  der  Operngeschichte  bekannten  Vertreter  dieser  Gruppe, 
Piccini  (1728—1800),  Majo  (ca.  1740—70),  Perez  (171 1—78),  Sacchini  (1734—86),  haben 
das  Oratorium  mit  keinen  nennenswerten  Beitragen  bereichert.  Bedeutend  ist  der  Bohme 
Joseph  Mysliweczek  (1737—81)  mit  seiner  Passion,  weiter  Ferd.  Paer  (1771—1839).  In 
diesem  Zusammenhang  mufi  Mozarts  gedacht  werden.  Als  Zehnjahriger  hatte  er  an  einem 
Oratorium  ,,Schuldigkeit  des  ersten  Gebots"  mitgeholfen,  dessen  dritter  Teil  von  Ant.  Cajetan 
Adlgasser  war.  Der  Fiinfzehnjahrige  entwirft  dann  nach  Hasseschem  Muster  fur  Padua 
seine  ,,Betulia  liberata",  ein  Werk,  das  doch  schon  die  Jndividuelle  Melodik  des  spateren 
Mozart  zeigt.  Fur  die  obenerwahnte  Wiener  Tonkiinstlersozietat,  die  mit  einer  ,,Betulia  libe 
rata'*  des  Flor.  Gafimann  (1723 — 74)  im  Karntnertortheater  eroffnet  worden  war,  stellt 
Mozart  zwb'lf  Jahre  spater  (1783)  seine  herrliche  Kantate  ,,Davidde  penitente*'  nach  den 
Fragmenten  seiner  C-Moll-Messe  zusammen.  Dieser  eigenartige  Zusammenhang  mit  dem 
unter  Bachschem  und  Handelschem  Einflufi  geschriebenen,  wenig  alteren  Kirchenwerk  erklart 
es,  dafi  Mozarts  ,, David* '-Kantate  einen  viel  strengeren,  an  die  Fux-Tradition  anklingenden 
Stil  zeigt,  als  das  iibrige  Wiener  Oratorium  von  damals.  Mozarts  ,,Schuldigkeit"  war  unter 
dem  EinfluB  des  Salzburger  Kapellmeisters  Joh.  Ernst  Eberlin  (1702 — 62),  des  Lehrers  von 
Adlgasser,  geschrieben  worden.  Eberlin  selbst  vertritt  in  der  Oratoriengeschichte  mit  seinem 
,,Blutschwitzenden  Jesus**  und  einer  Anzahl  weiterer  Oratorien  (,,Augustinus**,  ,,Sedezius**, 
,,Petrus  und  Magdalena**,  ,,Der  verlorene  Sohn")  eine  eigenartige  Stellung:  stilistisch  schliefit 
er  an  die  Neapolitaner,  besonders  Hasse,  an,  aber  seine  schlichte,  zu  packender  Ausdrucks- 
kraft  gesteigerte  Melodik  ist  im  Bodenstandig-Volkstiimlichen  verwurzelt.  Neapolitanisch  ist 
besonders  das  reiche  Instrumentalgewand.  An  der  stilistischen  Haltung  der  Arie  ist  bemerkens 
wert  die  Tendenz  von  der  Da-capo-Form  fort  zur  Sonatenform  hin.  Die  Textanlage  der 


Das  Oratorium  im  1 8.  Jahrhundert  713 


Oratorien  verrat  Wiener  Einschlag  (Metastasio,  Zeno).  Eberlins  gesamtes  Werk,  das  auch  die 
Musik  zu  zahlreichen  Schulspielen  umfafit,  ist  aus  jener  jesuitischen  Barockkultur  ervvachsen, 
die  im  Salzburg  des  18.  Jahrhunderts  ihren  gewaltigsten  Ausdruck  fand. 

In  I  tali  en  scheint  die  Oratorienproduktion  gegen  das  Ende  des  Jahrhunderts  quantitativ 
wieder  stark  gehoben,  ob  auch  qualitativ,  das  laBt  sich  bei  der  heutigen  Uniibersichtlichkeit  des 
gewaltigen  Stoffs  noch  nicht  entscheiden,  ist  aber  kaum  anzunehmen.  Hier  hatte  die  lokal- 
geschichthche  Forschung  naher  Umschau  zu  halten.  Am  meisten  scheint  Bologna  Charakter 
gewahrt  zu  haben.  Die  Symptome  einer  allgemeinen  starken  Dekadenz  sind  aber  unverkennbar. 
Zum  Beweis  fiir  die  heillose  Verwirrung  der  asthetischen  Begriffe  ist  nur  die  erne  Tatsache 
hervorzuheben,  dafi  Oratorien  jetzt  ohne  jedes  Bedenken  in  Operngewandung  vorgefiihrt 
werden.  Goethe  bemerkt  in  seiner  ,,Italienischen  Reise",  dafi  ein  Unterschied  zwischen 
beiden  Gattungen  nur  im  Fehlen  oder  Vorhandensein  des  Balletts  zu  finden  sei.  Trotzdem 
hatte  das  damalige  Italien  eine  hohe  Meinung  von  seinen  Leistungen  und  lag  wieder  emmal 
in  Renaissancetraumen.  Die  Matadore  der  Opernproduktion  dieser  Zeit  sind  Paisiello  und 
Cimarosa.  Italien  eroberte  damals  buchstablich  den  Weltmarkt. 

Im  deutschen  Norden,  namentlich  in  Hamburg,  hatte  sich  eine  eigenartige,  bodenstandige 
Oratorienkultur  auf  kirchlich-protestantischem  Grunde  entwickelt,  deren  Tendenz,  im  Gegen- 
satz  zur  aristokratisch-hofischen  Kultur  Wiens,  demokratisch  war  und  starke,  nicht  selten  be- 
denkliche  Beziehungen  zur  derberen  niederdeutschen  Volkspsyche  hatte.  Das  Gesamtbild  des 
hamburgisch-norddeutschen  Oratoriums  ist  jedoch  ein  durchaus  erfreuliches,  originelles;  und 
woran  es  den  bedeutenderen  Kopfen  unter  den  Komponisten  am  allerwenigsten  gebrach,  war 
Phantasie  und  Begeisterung  fur  die  Sache.  Auch  merkantilistische  Grundsatze  mogen  hier 
tiichtig  mitgesprochen  haben,  denn  mit  dem  Oratorium  bliihte  auch  der  ,,Gotteskasten"  wie 
selten.  Aus  der  Zeit,  da  der  junge  Handel  um  Opernerfolge  rang,  sind  J.  Matthesons(1681 
bis  1 764)  Hamburger  Feiertagsoratorien  zu  nennen.  Zweiteilige  Werke,  die  in  altitalienischer 
Art  mit  der  Predigt  als  geistigem  Mittelpunkt  rechnen  und  stark  von  allegorischem  Wesen 
durchsetzt  sind.  Das  Reformationsfestoratorium  der  ,,Reformierende  Johannes"  vom  Jahre 
1717  scheint  Matthesons  belangreichstes  Werk  gewesen  zu  sein.  Uberall  spricht  der  Chor  ein 
bedeutendes  Wort,  und  der  Choral  spielt  eine  wichtige  Rolle.  Die  folgende  feierliche  Apo 
strophe  des  Engels  in  seinem  Weihnachtsoratorium,  mit  ihrer  edlen,  schwungvollen  Melodik 
der  Gesangsstimme  mag  im  Zusammenhalt  mit  dem  obigen,  dieselbe  poetische  Situation  be- 
tref fenden  Zitat  aus  Schiitz'  Werk  betrachtet  werden : 


J.  Mattheson.   Die  heylsame  Geburth  (1715).     [Hamburg] 
V.V.Vla. 


Angelo 

=s=*=*^^E$=J^^^^^£ 

-=5-±:=:±i=^ii±iE!b=^^ 


Furch-tet  euch  nicht,     sie  -  he,  ich  ver-kun  -  di  -  ge  euch  gro  -  fie  Freu-de,     gro-6ef  gro  -fie 

$  e  ___^_ 


Violoni,  senza  Fagotti 


714 


Das  Oratorium  im  18.  JahrRundert 


=— 

* 


Freu-de,      die  al-  lem  Volk,  die  al-lem  Volk  wi-  de'r-fahren  wird,  denn  euch  ist  heu-te  der  Heiland  ge- 


bo-ren,    wel-cher  ist  CKristus,  derHerr,     welcher  ist  Christus,  derHerr,      in  der  Stadt  Da  -  vids, 


=ESe 


Wichtiger  sindTele  man  ns  (1681  — 1767)  Oratonen,konzertmafiigeVolloratorienimwahren  Sinn 
des  Worts.  Sein  ,,Tag  des  Gerichts"  (1762)  ist  hervorragend  im  Schildern  bildreicher  Szenen, 
hochbedeutend  in  den  Accompagnatopartien,  eigentlich  schwach  nur  im  Ariendurchschnitt.  Das 
Ganze  glanzend  gesteigert,  von  ziindendem  Schwung,  in  der  Stilhaltung,  besonders  der  Chore, 
stark  nach  Frankreich  hiniiberneigend.  Der  Text  von  Alers  ist  einer  der  bestender  Zeit.  Bei  folgen- 
den  Rezitativen  ausTelemanns  Oratorium  ,,DieTageszeiten",  von  dem  weiter  unten  noch  im 
Zusammenhang  mit  Haydns  Oratorium  gesprochen  wird,  beachte  man  die  ungemein  feine 
poetische  Diktion,  die  graziose  Freiheit  im  Vortrag  und  das  vollendete  Begleitwerk  des  Streich- 
quartetts,  insbesondereden  sinnigen  Zusammenhang  zwischen  Text  und  tonmalerischerAbsicht. 


Recitativ 


1 — *~ 


Emp-fan  -  ge  mich,    ehr-wiird'-ger  Ei-chenwald !  Itzt,    da  wir  gantz  vom  Mit  -  tagsmahl  er- 

^  «1  4 


SE 


i 


mat -ten,  sucht  die     Be-trachtung  gern  den  stil-len  Au-fent-halt  in      deinem  kiih-len  Schat-len. 


« 


Das  Oratorium  im  18.  JaKrfiundert 


715 


Recit.  accompagn. 
P 


s-Bz 


BO 


Der         lau  -  te      Bach    rollt       mur-melnd     in       das      TaljderWestwind 


r_    — — -^-•-••- — - a- ^"^  a> ;     '  ' .:  .    "  j • '  ~^" 


^^A  P — »« — ^ M  ft "T T-— -P- -, 


zet  si 


ich 


Wip       -        fel  ho        -        her 


P^-i-H" 
— — 


S3    N       N 


Bu    -    chen,     dicBienen  oh-ne  Zahl         von         Blu  -   tnen  ih     -     ren       Staub        rait 


46    H.  d.M. 


716 


Oas  Oratorium  im  1 8.  Jahrhundert 


-0-0  -0-0 0-0  -  0  -0 


sie        -        tern 


Som 


men          su 


cnen. 


I 


-j-;*-— 2 


^^rJljii^p^^^^^^P^^^^^^g^ 


Die  Her-de     la-gert  sich  im  Klee,    in  dem  der  Hirt  von  ei  -  ner  luft'geriHoh'  sein  Horn  er  -  to  -  nen 


i 


lafit         und        durch  den  West    er    -  fri  -  schet,  den    sii  -  fien  Lob   -   ge     -     sang       zur 


Das  Oratorium   im   18.  Jahrhundert 


717 


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tr 


Liibeck  bleibt  seit  Buxtehudes  Abendmusiken  ein  fruchtbarer  Boden  furs  Oratorium.  Am 
starksten  hat  sich  vorgetan  Adolph  Karl  Kunzen  (1720 — 81),  ein  Meister  in  Choren  groBen 
Formats,  auch  in  Arien  bedeutend  (aus  ,,Absalon",  1761): 

Und     die     Tra     -     nen,     die        ich     wei  -  ne,     will     sie     Ab  -  sa  -  Ion         nicKt     sehn? 

h    rm  \  •  rn  ^ — 1>  i .  n  r^-J3-^-T-i-^--N-^ — h-j— ! 


Bafl  8va  ....... 


Waiter  ist  Joh.  Christoph  Friedr.  (der  Buckeburger)  Bach  (1 732—95)  mit  der  ,,Kindheit  Jesu  * 
und  seinem  Lazarusoratorium  (beide  einsatzig)  zu  erwahnen,  die  schon  darum  bemerkenswert 
sind,  weil  die  Texte  von  Herder  stammen.  Das  protestantische  Kirchenoratorium  auf  der 
Grundlage  des  Chorals  geht  damit  ohne  wesentliche  Vermittlung  in  die  Hande  Mendelssohns 
iiber. 

Johann  Sebastian  Bachs  gesamtes  oratorienartiges  Werk  gehort,  abgesehen  von  den 
wenigen  Gratulations-  und  Gelegenheitskantaten,  friihen  Zeugnissen  eines  weltlichen  Ora- 
toriums,  als  eine  vom  Diesseits  abgekehrte  Welt  subjektiver  Innerlichkeit  in  das  grofie  Buch 
deutscher  Mystik,  aber  kaum  in  die  Geschichte  des  Oratoriums.  Wie  liefie  sich  eine  ,,Mat- 
thaus"-  oder  ,  Johannes* '-Passion  je  auf  eine  Gleichung  bringen  mit  dem  Oratorium  Handels ? 
Mogen  objektiv  noch  so  viele  Beziehungen  zwischen  beiden  Welten  der  Musik  auffindbar  sein, 
subjektiv  bestatigt  jeder  Takt,  dafi  Handel  den  Begriff  Oratorium  ebenso  ideal  verkorpert,  wie 
Bach  ihn  iiberwindet.  Auch  stofflich  bestehen  gewichtige  Bindungen  zwischen  Bachs  Kunst 
und  der  Handels  und  namhafter  Zeitgenossen :  Telemann,  Keiser,  Mattheson,  Stolzel,  Fasch  u. a. 
Bachs  1724  erstmals  aufgefiihrte,  aber  vermutlich  in  die  Kothener  Zeit  zu  datierende 
,Johannes"~Passion  schopft  denselben  Text  des  Hamburger  Ratsherrn  Heinr.  Brockes  ,,Der 
fur  die  Siinde  der  Welt  gemarterte  und  sterbende  Jesus"  (1712)  aus,  den  auch  jene  benutzten. 
Freilich  schon  die  Art  der  Textbereitung  und  die  Auswahl  der  Chorale  beleuchten  die  eigen- 
artige  geistige  Seite  des  Schaffensprozesses  bei  Bach,  aus  dem  endgiiltig  jene  tiefsten  Offen- 
barungen  der  Musik  hervorgehen.  Auch  an  der  textlichen  Anlage  der  ,,Matthaus" -Passion 

46* 


718  Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


(1729)  wird  Bachs  geistiger  Anteil  neben  Picander  grofi  gewesen  sein.  Durch  das  in  den  Volks- 
choren  zu  scharfstem  Realismus  der  Anschauung  zugespitzte  Element  werden  oratorische  Vor- 
stellungen  zwar  bisweilen  wachgerufen,  aber  kein  Glied  der  langen  Entwicklungsreihe  des 
Oratoriums  bietet  ein  reines  Gegenstiick  zu  Bachs  Passionen,  es  sei  denn,  dafi  man  ihre  Idee 
bereits  einmal  im  friihen  Mittelalter,  namlich  in  den  fur  uns  Heutige  von  mystischem  Dammer 
umwobenen  liturgischen  Dramen  verwirklicht  sehen  wolle.  Aber  damit  ist  dann  ja  immer  noch 
keine  emwandfreie  historische  Beziehung  gefunden.  Ahnlich  steht  es  mit  Bachs  unter  dem 
Namen  ,,Weihnachtsoratorium"  bekannten  Kantatenzyklus.  Auch  dies  ist  keine  objektive 
,,Historie"  (als  welche  noch  Schiitz  sein  Werk  auffafite),  sondern  ein  zutiefst  personliches  Be- 
kenntnis,  auf  dessen  Grunde  die  Mystik  des  Bachscheri  Seelentums  durch  alle  fortreifiende, 
freudig  aufgeraumte  und  mitteilsame  Weihnachtsstimmung  hindurchleuchtet.  Es  sei  nur 
an  die  tiefsinnige  Stelle  erinnert,  da  die  Gemeinde  das  ,,Wie  soil  ich  dich  empfangen"  auf  die 
Melodie  ,,0  Haupt  voll  Blut  und  Wunden"  anstimmt.  Mit  solchen  Zugen  tritt  auch  dies 
Werk,  trotz  seines  hellen  religiosen  Optimismus,  in  den  Ideenkreis  der  Passion.  Im  Zu- 
sammenhang  mit  unseren  friiheren  Betrachtungen  mag  noch  hingewiesen  werden  auf  einzelne 
Werke,  wie  die  Kantate  Nr.  60:  ,,0  Ewigkeit,  du  Donnerwort",  welche  die  feme  Zeit  der 
Dialoglauden  zuriickruft.  Auch  die  Oster-  und  Himmelfahrtskantaten :  ,,Kommet,  eilet, 
laufet"  und  ,,Lobet  Gott  in  seinen  Reichen"  konnten  hier  ihren  Platz  finden,  ebenso  von 
weltlichen  oratorienartigen  Arbeiten  etwa  die  Miillerkantate  und  die  durch  Handels  Behandlung 
des  gleichen  Stoffes  bemerkenswerte  Kantate  ,,Herakles  am  Scheideweg". 

Literatur   (siehe  auch  Seite  506) 

CKrysander,  Fr.:  G.  Fr.  Handel  Leipzig  1858,  1860,  1867.  Neudruck  1919.  —  Haas,  R.:  Eberlins  Schuldramen 
und  Oratorien  (Studien  zur  Musikwissenschaft  Heft  8.  1921).  —  Kamienski,  L.:  Die  Oratorien  von  J.  A.  Hasse. 
Leipzig  1912.  —  Kretzschmar,  H.:  Handel.  1882  in  Waldersees  Vortragen  und  separat.  —  Rolland,  R.: 
Handel.  DetitscKe  Ausgabe.  Wien  1923.  -—  Seiffert,  M.:  Handels  Verhaltnis  zu  Tonwerken  alterer  deutscher 
Meister.  Jahrb.  Peters  1.907.  —  Vogl,  H.:  Zur  Geschichte  des  Oratoriums  in  Wien  von  1725—1740,  StudJen  zur 
Musikwissenschaft  Heft  14.  1927. 

Neuausgaben 

,  Bach,  Joh.  Chr.  Fr.:  ,,Die  Kindheit  Jesu",  ,,Die  Auferweckung  des  Lazarus"  in  Dm.  d.  Tk.  I.  Folge,  Bd.  56 
(hrsg.  von  G.  Schumann).  —  Bach,  Joh.  Ernst:  Passionsoratorium  in  Dm.  d.  Tk.  I.  Folge,  Bd.  48  (hrsg.  von 
J.  Kromolicki).  —  Eberlin,  Joh.  E.:  Oratorium  ,,Der  blutschwitzende  Jesus"  u.  a.  in  Dm.  Tk.  Ost.,  28  Jahrg., 
1.  Teil,  Bd.  55  (hrsg.  von  R.  Haas).  —  Gesamtausgaben  der  Werke  von  G.  Friedr.  Handel  -  und  Joh. 
Seb.  Bach.  —  Hasse,  J.  A.:  La  conversione  di  S.  Agostino  in  Dm.  d.  Tk.  Bd.  20  (hrsg.  v.  A.  Schering).  — 
Telemann:  ,,Der  Tag  des  Gerichts",  ,,Ino",  in  Dm.  d.  Tk.  Bd.  18  (hrsg.  von  M.  Schneider). 

Hans  Schnoor 

DIE  OPER  IM  18.  JAHRHUNDERT 

Die  neuen  Stromungen  der  italienischen  Oper  zu  Ende  des  17. Jahrhunderts  fanden 
voile  Auswirkung  in  der  neapolitanischen  Tonschule,  die  den  Siiden  Italiens  mit  einer  Fulie 
reicher  Begabungen  in  die  Opernproduktion  einfiihrt  und  rasch  an  fiihrende  Stelle  bringt.  Mafi- 
gebend  wird  der  Zug  zu  Homophonie  und  Melodie,  die  einseitige  Entwicklung  des  Sologesangs, 
das  Uberwuchern  des  Virtuosentums,  die  Verarmung  in  Form  und  Satztechnik  zugunsten  des 


Die  Oper  im  18.  JaKrhundert  719 


rein  sinnlichen  Klangreizes,  also  auch  die  Verfliichtigung  des  Rezitativs,  die  nachlassige  Text- 
behandlung.  Im  Zusammenhang  damit  steht  das  Vordringen  von  Kritik  und  Gegenbildungen 
zur  ernsten  Oper,  Jnnerhalb  der  selbst  wieder  Reformbestrebungen  rege  werden.  Der  Sizi- 
lianer  Alessandro  Scarlatti  (1659 — 1725),  der  zwar  nebst  Provenzale  als  Haupt  der  Schule 
gilt,  steht  dieser  Entwicklung  noch  fern,  sein  Wirken  in  Neapel  (1684—1702,  1708—18,  1722 
bis  1 725)  blieb  dort  zunachst  ohne  direkten  EinfluB  auf  die  dramatische  Nachfolge,  seine  Werke 
verschwinden  sogar  1719  bereits  von  der  Neapler  Biihne;  dafur  hangt  der  zu  seiner  Zeit  gern 
,,Romano"  genannte  Meister  zeitlebens  an  Rom,  wo  er  seine  Ausbildung  genossen  hatte,  er 
knlipf t  in  den  1 1 4  Oper n ,  unter  denen  Dent  54  groBe  Werke  und  etliche  Pasticcioteile  auf  zahlt,  an 
die  oberitalienische  Stilrichtung  an,  an  Stradella,  Legrenzi,  Pallavicino.  In  vielen  Einzelheiten 
beriihrt  er  sich  mit  Steffani  in  Deutschland,  wo  seine  ernste  Gesinnungsart  besonders  fruchtbar 
wurde,  manche  Anregung  verdankt  er  den  Bononcinis,  von  denen  auch  die  Vorliebe  fur  Siziliano- 
arien  auszugehen  scheint.  Scarlatti  beginnt  1 679  mit  einem  kleinen  Stuck  in  Rom  (,,Gli  Equivoci 
nel  sembiante"),  die  Charakterkomodie  ,,Rosaura"  (Rom  und  Neapel  1690)  liegt  im  Neudruck 
vor,  die  viele  Vorziige  des  Meisters,  seine  sorgfaltige  Schreibweise,  gute  Deklamation,  dra- 
matische  Kraft  und  Feinheit,  melodischen  Reichtum  und  formale  Grofizugigkeit  belegt.  Die 
Sinfonia  ist  noch  eine  Kirchensonate,  erst  seit  1696  entschied  sich  Scarlatti  fur  die  dreisatzige 
Form  nach  dem  Muster  Corellis,  mit  homophonem  ersten  Allegro,  langsamem  Mittelsatz  und 
Tanzform  zum  Schlufi.  Der  Prolog  ist  eine  Solokantate,  deren  Rezitativ,  wie  das  der  Oper 
liberhaupt,  noch  mit  ariosen  Unterbrechungen  oder  auch  mit  Nachahmungen  arbeitet.  Die 
Da-capo-Arie  herrscht  zwar  vor,  aber  keineswegs  allein,  es  finden  sich  sogar  noch  Strophen- 
lieder;  die  ,, Devise"  ist  selten,  manchmal  nur  textlich,  ofters  mit  kontrastlerender  Musik,  die 
Ritornellbehandlung  schlieBt  sich  an  die  der  spateren  Venezianer  an,  die  FormmaBe  der  Arie 
sind  knapp,  das  Da  capo  ist  ausgeschrieben,  die  blofie  Kontinuobegleitung  wird  seltener. 
Typisch  sind  Redikte  der  Kadenzen,  die  Thematik  liebt  kurze  Sequenzen  wie  bei  den 
Venezianern ;  im  Rezitativ  finden  sich  Duostellen,  kleine  geschlossene  Duettsatze  heben  sich 
heraus,  darunter  freie  Dialoge.  Themenbeziehungen  zwischen  Arien  und  Rezitativ,  Wieder- 
kehr  arioser  Teile,  ahnlich  der  Manier  Lullys,  wie  Rosauras, 


pe  no,        ne     son    gra  -  di    -    ta. 

Weh          -  -         mut         ist    mir     be  -schie  -  den. 

dem  die  komische  Figur  ein  vor  sich  hingetrallertes  Volkslied  unmittelbar  gegeniiberhalt, 

Allegro 


—  1 


1 


La     bel  -  la  mar  -  ga  -  ri  -  ta,       la     bel  -  la     mar  -  ga  -  ri  -    ta        e     bian  -  ca  quan  -  to  un  fior. 
Die  wun-derscho  -  ne     Per  -  le,     die  scho  -  ne,  scho  -  ne   Per  -  le        er-glan-zet    blu  -  ten  -  weifi. 


oder  ganzer  Arien  in  verschiedenen  Szenen  und  andere  Formverknupfungen  zeigen  den 
denkenden  Kiinstler,  von  dramatischer  GroBe  zeugen  die  Monologe  Rosauras.  Im  ersten  Akt 
singt  sie  eine  pathetische  Kantate  mit  zwei  Arien 


720 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


Largo 


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e    - 
s 

lit  „    to              e        Fa  -    do    -  rar  -    vi,            io      son       re    -    a,              son 
Un  -  recht,         so      treu       zu       lie   -  ben,       mein    Ver  -  feh  -    len,            ach 

CA- 

f 

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J£fi           •  v.     jj         Vff  0  rt  J!  — 

—  0  — 

read'un  grand'     er  -    ror,                  io       son       re    -    a,           son       rea     dun  grand      er    - 
mei  -ne  Schuld     ist      groB,              mein     Ver  -  feh  -  len,          ach     .mei  -  ne  bcnuld     ist 

P|f  H  —  =  '-      1  1  —  p         IT..    £  £  —  s  —  J  1-  0  1  

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ror. 
grofi. 

L—  -m  P-X^'      '       ^** 

r-^-^^J  .  """^ 

Xwf~           '  

und  ariosem  RezitativabschluB, 
Ardito 


-0  1*            bjff  m               jj                                                    ~$~ 

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^^C  .^  —  =:  H           f  r  —         Y              V                                                                              r               r              r 

fi    -    ni  -  te,     fe    -    ri     -    te       Tin    -    fe  -  del,          Tin  -  fe  -  del,      Tin  -    fe  -  del. 
**;„      T  *~  K^n  v*r  -  wirkt    ihm     der      Ver  -  rat,          der    Ver  -  rat,      der     Ver  -  rat! 

ry    ""L^jT   '     '       '--  +•  -£  ^  *  ^  ""^          ~^*        ^       

b=  tni  j  U 

i^fc  ^  -_          "i 

j^a.  ^  

rH 

r—  =\ 

No, 
doch, 

no, 

nein, 

b:  F  M 
no,       che      Ta  - 
nein,     nein    ich 

—  —          —         ^ 

do    -    ro. 
lieb       ihn. 

___  ,  __ 



2_^--2  —  fi!  —  ^  —  — 

-r  — 

.,,.^_. 

im  zweiten  Akt  steht  eine  groBgespannte  Da-capo-Arie  mit  selbstandigem  Mittelsatz,  die  in 
der  Wiederholung  durch  das  Eintreten  Celindos  abgebrochen  wird.  Ein  begleitetes  Rezitativ 
ubernimmt  im  dritten  Akt  einen  gleichen  Abbruch  und  den  Abschlufi  der  Arie.  Es  ist  nach 
venezianischer  Art  von  gehaltenen  Streichern  getragen.  Spater,  z.  B.  im  ,,Telemaco",  sind 
die  Streicherakkorde  ins  ,,Arpeggio"  aufgelost.  Die  komischen  Partien,  parti  buffe,  bleiben 
in  Scarlattis  Opern  wesentlich,  ahnlich  wie  schon  in  Cirillos  ,,0rontea",  Neapel  1654,  sie  be- 
setzen  gewohnlich  das  Ende  der  ersten  beiden  Akte,  auch  im  dritten  stehen  sie  gegen  Ende, 
das  alte  Weib,  das  darin  zumeist  vorkommt,  war  Tenorrolle,  erst  1700  zeigt  sich  die  erste 
Soubrettenpartie  in  ,,0doardo".  1718  schreibt  Scarlatti  fiir  das  ,,Teatro  de'  Fiorentini"  die 
komische  Oper  ,,11  trionfo  dell'  onore",  aber  nicht  auf  einen  der  dort  iiblichen  Dialekttexte. 
Von  seinen  Biihnenwerken,  in  denen  die  Neigung  zum  Ensemble  bemerkenswert  ist,  ragen 
noch  besonders  hervor  ,,La  Statira"  (1690),  ,,Pirro  e  Demetrio**  (1694,  in  London  1708  ge- 
sungen),  ,,EracW  (1700,  darin  ein  dialogierendes  Septett),  ,,Mitridate  Eupatore"  (Venedig 
1707,  ohne  Liebesszenen),  ,,Ciro"  (1712,  mit  viel  Tanz  und  Ballett),  ,,Tigrane"  (1715,  mit  viel 
Festmusik  und  komischen  Szenen  im  Bologneser  Dialekt),  ,,Telemaco'*  (1718,  doppelchoriges 
Orchester,  ein  Quartett  in  Da-capo-Form),  ,,Griselda<<  (1 721 ,  letzte  Oper,  ein  Trio,  ein  Quartett). 
In  der  letzten  Zeit  wird  die  Instrumentation  immer  voller  und  virtuoser  gehandhabt,  im  Stil 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert  721 


halten  sich  Anklange  an  die  Volksmusik,  die  pathetische  Arie  nimmt  durch  Akkordthematik, 
breite  Rhythmen,  grofie  Intervallspriinge  am  Anfang,  denen  bald  ein  Koloratursturz  folgt, 
einen  eigenen  leidenschaftlichen  Charakter  an,  der  in  der  Folgezeit  schablonenhaft  ausgebildet 
wird,  wahrend  sie  Scarlatti  mit  herbem,  versonnenen  Ernst  meistert. 

Unter  den  Neapolitanern  neben  und  nach  Scarlatti  ist  leicht  fafiliche  Melodik  das  wichtigste 
Erfordernis,  die  Fesseln  des  Kontrapunkts  fallen  rasch  ab,  die  Da-capo-Ane  wird  lynsche 
Hauptform,  wobei  stets  die  Wiederholung  freien  Gesangsvarianten  zugedacht  war,  das  Sekko 
steht  dazu  in  scharfem  Gegensatz,  zudem  sondert  sich  von  der  Opera  seria  die  schnell  auf- 
bluhende  Musikkomodie  (Opera  buff  a)  ab.  Inihrund  in  den  Intermezzi,  den  komischen  Duo- 
szenen  zwischen  den  Akten  der  ernsten  Oper,  zeichnet  sich  besonders  Leonardo  Vinci 
(1690 — 1730)  aus,  der  mit  Leonardo  Leo  (1694 — 1744)  auch  in  der  ernsten  Oper  durch  die 
allerdings  sparliche  Pflege  des  begleiteten  Rezitativs  dramatische  Verdienste  hat.  Leo  befleifiigt 
sich  dabei  eines  solideren  Tonsatzes.  Nicolo  Porpora(1686 — 1767),  ein  klug  berechnender 
Kopf,  dessen  Neapler  Gesangschule  grofien  Ruf  erlangte,  tragt  den  Ruhm  seiner  Vaterstadt  weit 
ins  Ausland,  nach  London,  Dresden,  Wien  und  behauptet  sich  voriibergehend  gegen  Handel 
oderHasse.  In  spaterer  Zeit  entsagt  er  derOpernkomposition.  G.B.  Pergolesi  (1710—36)  end- 
lich,  ein  melodischer  Bahnbrecher,  fiihrt  die  Buffokunst  zu  einem  Hohepunkt,  wahrend  seine 
Tiinf  seriosen  Opern  trotz  weicher  Schonheiten  keineswegs  ahnliche  Bedeutung  bekunden.  Er 
schreibt  vier  voile  Buffoopern  in  der  Gattung,  die  im  Florentiner  Theater  an  Hand  von  Dialekt- 
texten  seit  1 709  grofien  Aufschwung  genommen  hatte.  Das  erste  Erzeugnis  dieser  Art  war  ,,Patro 
Callieno  della  Costa  *  von  Mercotelli,  Musik  von  Oref ice,  1 709,  aus  der  Anfangszeit  sind  nur  die 
Texte  erhalten,  die  aus  dem  Volksleben  schopfen,  stehende  Figuren  verwenden  und  teilweise  auf 
Improvisation  eingestellt  sind,  doch  diirfte  die  Musik  selbstandige  Kunstmusik  gewesen  sein,  wie 
sie  spater  von  Vinci  und  Leo  eigenartig  weitergebildet  wurde ;  im  Text  mufite  nun  die  Mund- 
art  wie  in  Scarlattis  Versuch  —  der  ersten  erhaltenen  Partitur  dieser  Art  —  weichen  und 
ernstere  Gefuhlstone  wurden  laut,  wobei  Metastasios  EinfluB  eindrang.  Vincis  ,,Zite  'n  galera" 
(,,Die  Alte  im  Loch",  1722)  ist  als  ein  wichtiges  Glied  der  Stilentwicklung  zu  Pergolesi  iiber- 
liefert,  auch  von  Leo  mehrere  Partituren,  z.  T.  aus  spaterer  Zeit.  Der  Siziliano  wird  typische 


,,Zite  'n  gaiera."   I.Akt,    1.  Szene  (ohne  Begleitung)  VI.  c.  B. 

=^P^F 
-j— -f=3d 


Vor  -  ri    -    a       de  -  ven  -  ta    -    re         so  -    re  -  cil  -  lo 
Ich  wollt     ich     war     ein  klein  -  win  -    zi    -  ges  Maus  -lein 


pe     met  -  te  -  re     pa    -  u  -  ra  a  la      sla  Anel  -  la,  a    la    sia  A  -  nel    -  la. 
und  brach  -  te      Sia    A  -    nel  -  la      aus  dem  Haus-chen,    aus  dem  Haus-chen. 


komische  Ausdrucksform,  die  Da-capo- Arie  ist  haufig,  doch  treibt  gegenuber  dem  starren 
Formelwesen  der  Opera  seria  bunteres  Leben  in  Gestaltung  und  Ausdruck  ans  Licht.  Neapels 
Volkston  klingt  standig  vor,  bei  Pergolese  z.  B. 


722 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


Flaminio.  3.  Akt,  Polidoro 


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3  —  *  -  •:  u 

Be  -  ne  -  det  -  to       ma  -  le  -  det  -  to,  cLe     trc  -  vast!  aper  -  to       il     tet  -    to. 
e     seen  -  desti    al       buio  al   "let  -  to.    ed      en  -  trasti    in    ques  -  to    pet  -    to. 

Duette,  Terzette,  Quartette,  zunachst  in  Form  der  Da-capo-Arie,  spater  —  besonders  beiPer- 
golesi  —  in  freieren,  dramatisch  belebten  Bildungen  nisten  sich  ein.  Diese  Entwicklungslinien 
fiihren  iiber  Pergolesis  ,,Lo  frate  'nnamorato"  (im  Dialekt)  oder  ,,Maestro  di  musica",  ,,Fla- 
mmio"  weiter  zu  Latilla,  Logroscino,  Rinaldo  da  Capua.  Die  grofie  Oper  ist  schon  im  Stoff 
gern  travestiert,  was  zu  bestimmten  Szenentypen  fiihrte,  die  insbesondere  auch  in  den  Inter 
mezzi  iiblich  wurden,  so  in  Metastasios  Zwischenszenen  vom  ,,Impresario"  zur  ,,Didone  ab- 
bandonata"  (1724).  Diese  Intermezzi  waren  nur  die  Verselbstandigung  der  oben  charakte- 
risierten  Parti  buffe  als  Zwischenspiele  in  den  Aktpausen  der  ernsten  Opern,  aus  denen  sie 
Zenos  Reform  verbannt  hatte.  Einzelne  dieser  Intermezzi,  die  sich'  in  Venedig  bis  1709  zuriick- 
verfolgen  lassen  und  zumeist  bei  zwei  Stimmen  blieben,  hielten  einen  Triumphzug  durch  die 
Welt,  so  die  Farsen  Hasses,  die  Mode  selbst  wurde  allerorts  aufgenommen,  es  schrieben 
z.  B,  Caldara  und  Conti  in  Wien  um  1720  mehrere  Intermezzi.  Pergolesis  Weltruhm  griindet 
sich  auf  dieses  Genre,  von  seinen  drei  Zwischenspielen  zu  eigenen  ernsten  Opern  ist  die 
,,Serva  padrona"  (1733)  von  ungeheurer  Nachwirkung  geworden.  Die  Musik  zu  dieser 
schlichten,  armlichen  Handlung  hat  mit  ihrer  reifen  musikalischen  Charakterzeichnung  und 
ihrer  melodischen  Pragung  von  zwingender  Sicherheit  eine  unverwiistliche  Lebenskraft  be- 
wahrt  Diese  gesunde  Realistik  trug  viel  dazu  bei,  der  geschraubten  Uberstilisierung  der 
Opera  seria  den  Boden  abzugraben,  allerdings  gingen  diese  Keime  erst  spater  voll  auf.  Die 
zugespitzte,  kleingliedrige  Thematik  ist  hier  bezeichnend. 


Ubcrto 


Sempre  in     con  -  tra  -  sto        con       te       si       sta,  con       te      si         sta. 

Ich  mufi  mich     zan  -  ken       den     gan  -  zen    Tag,          den     gan  -  zen      Tag. 

Mit   der    nachsten  Arie  Ubertos    thematisch    verwandt,    man    beachte    die    Pergolesische  Kadenz,    die 
gleich  wiederholt  ist. 

Serpina  (I.  Duett,  Anfang) 


co  -  nosco    a  quelli  oc-chietti,     a     quelli   oc  *  chiet  -  ti. 
er  -  kcnn's  an      sei  -  ncr    Mic  -  ne,     sei  -  ner    Mie  -  ne. 
Ein  Zitat   aus    Pergolesis  ,, Frate  'nnamorato".    auch    hicr    ist    die  WicdcrKoIung   kleincr  Motivgliedcr 
wesentlich. 

Ein  gewisser  riihrseligerZug,  der  in  der  spateren  Opera  buffa  sehr  bedeutungsvoll  wiirde,  ist 
in  ,,Livietta  e  Tracollo4'  angeschlagen,  allerdings  parodistisch. 

TracoIIo  als  Polakin 


Au  -na 
Ach    ein 


po  -   ve    - 

ar  -  mes 


ra       Po    -    lac  -  ca. 

pol  -  scries    Marl  -  chrn. 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert  723 


Nachahmungen  folgten  in  groGer  Zahl,  dabei  werden  spater  dieArien  verschiedener  Originale 
oft  bunt  durcheinander  gemischt,  sodaG  Jhre  Unterscheidung  heute  groBen  Schwierigkeiten  be- 
gegnet.  DerartigePasticcios  sind  z. B .  die meisten  der italienischen  Schwanke  aus  der Pariser Buff o- 
unternehmung  von  1 752/53,  wo  die  Verwicklung  durch  franzosische  Zutaten  noch  gesteigert  ist. 

Die  Opera  seria  sammelte  sich  mit  Johann  Adolf  Hasse  (1699 — 1783)  zu  neuer  Kraft, 
besonders  seit  seiner  Wirksamkeit  in  Dresden.  Hasse,  der  wie  Graun  von  der  deutschen 
Oper  zur  italienischen  iiberging,  brachte  es  dadurch  rasch  zum  Weltruhm,  der  in  Italien, 
Deutschland,  England  (1733)  und  Paris  (1750),  aber  auch  in  Spanien  und  RuGland  seinen 
Namen  selten  popular  machte.  1723  trat  er  in  Neapel  mit  einer  ,,Tigrane"  und  den  Inter 
mezzi  ,,La  serva  scaltra"  heraus,  er  wurde  Scarlattis  Lieblingsschiiler,  1 727  zog  er  nach  Venedig, 
von  1731  beherrschte  er  durch  drei  Jahrzehnte  die  Dresdener  Biihne  nahezu  allein.  Mennicke 
zahlt  ihm  65  Opern,  14  Intermezzi  und  zahlreiche  Pasticcios  nach.  Sein  Opernschaffen  war 
schon  vorwiegend  an  die  Dichtungen  Metastasios  gebunden,  der  der  eigentliche  Mittelpunkt 
der  seriosen  Oper  wurde.  Pietro  Metastasio  (1698 — 1782)  —  sein  biirgerlicher  Name  war 
Trapassi  —  kntipft  an  Zeno  an,  dessen  Amtsnachfolger  er  seit  1729  in  Wien  war.  Von  Zeno 
ubernahm  er  den  formalen  Bau  des  Operntextes  und  die  Grundanschauungen,  die  in  der 
Oper  das  Hauptgewicht  auf  das  Drama  legten  und  die'  Musik  auf  den  knappen  Pflichtteil  der 
Arie  setzten.  Die  Oper  drangte  ja  das  Sprechdrama  in  Italien  wie  in  Deutschland  zuriick. 
Metastasio  hielt  viel  darauf,  daG  seine  Gedichte  auch  als  gesprochene  Tragodien  aufgefuhrt 
wurden.  In  spannenden  Situationen  war  daher  die  Arie  verpont,  und  als  die  Musiker  (Hasse, 
Jomelli)  das  Orchesterrezitativ  starker  ausbildeten,  wachte  der  Poet  eifersiichtig  dariiber,  daG 
hier  moglichst  MaG  gehalten  werde.  Zeno  gegeniiber  ist  die  Handlung  allerdings  menschhch 
vertieft,  sie  bleibt  aber  auf  dem  Kothurn  des  Heroentums  und  des  rationahstischen  Kunst- 
ideals,  die  Sprache  wird  hingegen  von  groGem  Wohllaut  und  eindringlichem  gedanklichem  Ge- 
staltungsvermogen  durchdrungen,  die  Verse  haben  melodischen  FluG,  so  daG  sie  fur  drei  Musiker- 
generationen  als  uniibertreffliche  Unterlage  der  {Composition  Geltung  behielten.  Metastasios 
EinfluG  war  ungeheuer,  seine  etwa  40  groGen  Operndichtungen,  neben  denen  viele  kleinere 
Arbeiten  stehen,  bildeten  das  Entziicken  der  empfindsamen  Zeit.  Aber  an  der  groGen  Weich- 
lichkeit  leiden  sie  ebensosehr,  wie  an  der  Unbestandigkeit  und  Ubertreibung  der  Charaktere, 
die  Handlung  ist  zersplittert,  die  Losung  der  Konflikte  sorglos,  gewohnlich  fiihrt  ein  Deus 
ex  machina  das  gute  Ende  herbei.  Immerhin  enden  die  ,,Dido",  der,,Attilio  Regolo"  tragisch. 
Die  Arien  und  die  der  Arie  wegen  eingeflochtenen  Szenen  halten  den  FluG  der  Handlung  auf, 
die  Arie  ist  selbst  mit  abschweifenden  Betrachtungen,  Allegorien,  Vergleichen  iiberladen,  die 
auch  den  Musiker  ablenken  muGten.  Die  Vergleiche  werden  auf  stehende  Bilder  festgelegt, 
die  Form  ist  schablonenhaft  auf  das  Da-capo  zugemessen,  Duette  sind  selten,  ein  Quartett 
ganz  vereinzelt.  Nur  am  OpernschluG  stehen  kurze  ,,Cori". 

Das  engbegrenzte  Bereich,  das  der  Musik  belassen  blieb,  lieG  dem  Komponisten  wenig  Be- 
wegungsfreiheit,  iiberdies  legten  ihm  noch  die  weitgehenden  Verpflichtungen  der  Gesangs- 
despotie,  dem  Primadonnen-  und  Kastratenunwesen  gegeniiber  weitere  Fesseln  an.  Die  Aus- 
wiichse  dieses  Systems  in  ktinstlerischer  und  sozialer  Beziehung  wurden  vielfach  bemangelt, 
B-nedetto  Marcellos  Satire  ,,11  teatro  alia  moda"  hatte  schon.  1721  gegen  die  Zustande  der 
Venezianeroper  scharf  gemacht,  unter  den  Asthetikern  und  Literaten  entwickelt  in  den  50er 
Jahren  insbesondere  der  Graf  Algarotti  in  Berlin  kuhne,  fortschrittliche  Gedanken,  auch  die 


724 


Die  Oper  im  1 8.  Jahrnundert 


Praxis  aber  lehnt  sich  gegen  die  Einseitigkeit  der  Opera  seria  auf,  das  komische  Theater  schlug 
iiberall  Kapital  aus  ihrer  Verspottung  und  es  tauchen  hauptsachlich  in  Deutschland  Regenera- 
tionsversuche  im  Rahmen  der  Kunstform  Metastasios  auf,  die  der  Musik  grofieren  Anteil  zu 
sichern  trachteten  und  von  Hasse  ausgingen.  Dieser  arbeitet  wohl  im  Einvernehmen  mit  dem 
Wiener  Hofpoeten,  der  sich  mit  ihm  bis  in  Einzelheiten  brieflich  auseinandersetzt,  doch  ist  er 
seit  der  ,,Cleofide"  (1731)  standig  bestrebt,  die  langen  Dialoge  abzukiirzen  und  das  Orchester- 
rezitativ,  dessen  Bedeutung  fur  die  dramatische  Entwicklung  er  voll  erkannt  hat,  sorgsam  aus- 
zubilden  und  zu  verwerten.  ,,La  clemenza  di  Tito"  von  1 738  hat  schon  6  Akkompagnatoszenen, 
wahrend  Metastasio  hochstens  zwei  solche  gelten  lassen  will,  der  ,,Artaserse"  von  1740  ist  durch 
einschneidende  Textanderungen  gekennzeichnet.  Besonders  die  Aktschliisse  werden  gern  mit 
bedeutsamen  Akkompagnatos  besetzt,  die  mit  folgender  Arie  grofie  Seelengemalde  entwerfen, 
wie  die  Klagen  der  Dido  (1742)  oder  die  beriihmten  ,,Ombraszenen"  (meist  in  Es-  oder  As- 
Dur),  wahrend  die  im  Akt  vorkommenden  Obligati  auch  ins  Sekko  auslaufen  oder  vom  Sekko 
unterbrochen  werden.  Manchmal  sind  wichtige  Monologe  nur  im  Orchesterrezitativ  gesetzt, 
so  im  ,,Attilio  Regolo"  : 


Szene  VI.  (Abschlufi  der  Arie  Attilios) 

Szene  VII.  (Verwandlung)  Galena,  Regolo 


1       U?J          4, 


Str. 


staccato 


& 


un  poco  lento 


Tu    pal-pi-ti        o     mio       c 
Wie    zit  -  tert  mir    das       Herz! 
p 


Qual    nuovo  e    questo 
Was  soil  dieses  neu-e, 


I 

moto  in  -  cog  -  ni   -  to       a       te! 
un  -  be     -      kann  -  te     Ge  -  fiihl ! 


sfi  -  dasti    ar  -  di  -  to 
wo  sonst    du    lach-test 


F£ 


Die  Oper  im  1  8.  Jahrhundert 


725 


allegro 


le  tern  -  pes  -  te     del     mar 
al  -  ler     Stiir  -  me    zur     See 


Gern  geht  durch  die  Rezitativbegleitung  ein  scharf  gepragter  Gedanke  hindurch, 
der  immer  wieder  heraustritt,  Gesang  und  Begleitung  wechseln  dabei  stets  ab,  einge- 
streute  Ariosi  sind  selten  („ Antigone/ *,  1743,  ,,Piramo  e  Tisbe",  1768),  die  dramatische 
Charakteristik  wird  immer  hochgehalten,  es  zeigt  sich,  da6  Hasse  von  Keiser  und  Scarlatti 
ausgmg  und  in  Dresden  mit  franzosischen  Neigungen  in  Beriihrung  kam ;  das  Sekko  ist  keines- 
wegs  vernachlassigt,  es  arbeitet  mit  bewegten  Bassen  zu  Ausdruckszwecken,  die  Arie  sucht  mit 
einfachen  Mitteln  zu  packen,  doch  stechen  da  haufig  konventionelle  Ziige  hervor,  insbesondere 
in  den  Vergleichsarien,  die  vom  Ausbruch  der  Leidenschaft  zu  Tonmalereien  abschweifen. 
Immerhin  zielt  Hasse  stets  nach  gleichmafiig  gemessener  GroBe  der  Empfindung,  der  seine 
Nachfolger  mit  starkerem  Aufwand  von  Pathos  (Jomelli)  und  Phantasie  (Traetta)  nachstreben. 
Auch  im  Ausdruck  des  Zarten  und  Lieblichen  dampft  er  entsprechend  ab.  Sehr  dramatisch 
wirkt  eine  Gruppe  von  Arien,  die  ohne  Ritornell  mit  einem  kurzen  Ausruf,  wie  ,,Taci"  u.  a., 
einsetzen,  auch  gern  rezitativische  Ziige  einflechten.  Die  Form  ist  durchwegs  grofigespannt, 
der  Hauptsatz  zweiteilig,  mit  zumeist  drei  Ritornellen,  der  primitiven  Sonatenform  genahert, 
hier  ranken  sich  gewaltige  Koloraturen,  die  meist  tonmalerische,  daneben  auch  oft  dramatische 
Bedeutung  haben,  das  Da  capo  wiederholt  den  vollen  Hauptsatz,  der  Mittelsatz  schopft  ge~ 
wohnlich  aus  dem  thematischen  Material  des  Hauptsatzes,  Kontrastbildungen  mit  Tempo- 
und  Taktwechsel  sind  seltener,  die  Orchesterbegleitung  wird  stets  gemaBigt,  tonal  bleibt  diese 
Partie  manchmal  unbestimmt  gehalten.  Zweiteilige  Arien  (Kavatinen)  setzt  Hasse  nur  ver- 
einzelt. 

Noch  weiter  steigertNicolo  Jomelli  (1714 — 74)  die  von  Hasse  angebahnten  Neuerungen, 
sein  Wirken  in  Deutschland  Jst  dabei  fur  seine  Entwicklung  von  ausschlaggebender  Bedeutung. 
Er  beginnt  1 737  und  1 738  in  Neapel  mit  komischen  Opern,  schreibt  dann  fiir  Rom,  Bologna, 
Venedig  nach  Hasses  Vorbild.  So  hat  der  ,,Ciro  riconosciuto"  (1744)  schon  sechs  Akkom- 
pagnati.  1749  wird  er  an  Ort  und  Stelle  mit  der  Wiener  Opernauffassung  bekannt,  gewinnt 
aus  dem  personlichen  Verkehr  mit  Metastasio  starke  Eindriicke,  wobei  dieser  damals  schon 
Hasses  gesteigerte  Akkompagnatotechnik  vertrat,  wie  seine  mit  Hasses  Werk  vollkommen  iiber- 
einstimmenden  Vorschlage  zum  ,,Attilio  Regolo"  (1750)  zeigen.  Jomelli  mmmt  in  Wien  stren- 
geren  Satz  (vierstimmigen  Streichersatz),  Vorliebe  fiir  Blasereffekte,  furs  Ensemble,  selbstandige 
Orchestersatze  an,  auch  wird  die  Kavatine  von  nun  an  haufiger.  In  Stuttgart  (1753 — 69)  sam- 
melt  er  sich  zu  Werken  von  hohem  dramatischen  Zug.  Die  Verbindung  mit  der  franzosischen 
Oper  Rameaus,  die  der  wiirttembergische  Hof  anregte,  macht  sich  in  selbstandigen  Prologen, 
in  groBen  Chorszenen,  prograrnmatischen  Orchesterschilderungen,  dramatischen  Ensembles 
und  im  Ballett  geltend.  Die  grofie  Soloszene  wird  musikalisch  weiter  ausgepragt.  Schon  der 
,,Pelope"  (1755)  hat  10  Akkompagnatoszenen,  im  ,,Demofonte"  (1764)  kommt  das  Sekko  den 


726 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


ganzen  zweiten  Akt  hindurch  nur  in  zwei  Szenen  zu  Wort,  Texte  Metastasios  werden  nach 
den  neuen  Gesichtspunkten  hin  umgearbeitet,  aus  der  komischen  Oper  her  dringen  finale- 
artige  Bildungen  ein  wie  im  ,,Vologeso"  (1766)  und  besonders  im  ,,Fetonte"  (Phaeton)  von 
1768,  worin  die  freie  dramatische  Szene  stark  ausgebaut  erscheint.  Die  Arienform  zeigt  im 
,,Fetonte"  gleichfalls  den  neueren  Standpunkt,  Hauptform  ist  fiirs  Pathetische  die  Dal-Segno- 
Arie,  die  im  Dacapo  gleich  den  zweiten  Teil  des  Hauptsatzes  aufgreift.  Daneben  treten  drei- 
teilige  Reprisenformen,  wie  in  der  Opera  buffa,  heraus,  die  mit  Kavatinen  und  freieren  zwei- 
teiligen  Gebilden,  auch  doppelsatzigen,  abwechseln.  Das  Stuttgarter  Ballett  nimmt  mit  Noverre, 
dem  die  Kornponisten  Rudolph  und  der  Osterreicher  Deller  zur  Seite  stehen,  seit  1761  in 
der  tragischen  Pantomime  eine  neue  Richtung. 

Noch  mehr  ist  Tomaso  Traetta  (1714 — 79)  mit  franzosischen  Einfliissen  in  Beziehung 
getreten.  In  Parma,  wo  er  1 758 — 63  wirkte,  wurde  die  Verbindung  der  italienischen  und  fran 
zosischen  Oper  tatkraftig  gefordert,  der  Hofdichter  Abt  Frugoni  setzte  sich  voll  daflir  ein, 
Jndem  er  franzosische  Opern  zur  Auffuhrung  iibersetzte  und  einrichtete  (von  Rebel  und 
Francoeur  1757,  Rameaus  „  Castor",  1758,  Mondonvilles  ,,Titon",  1759)  und  Texte  Ra- 
meaus  fiir  Traetta  bearbeitete  (,,Ippblito  ed  Aricia",  1759,  ,,I  Tantaridi",  1760,  nach 
,,Castor").  Das  waren  also  Choropern  mit  Ballett,  wobei  die  Tanzmusik  zum  Teil  aus 
dem  Original  beibehalten  blieb.  Im  Rezitativ  nahert  sich  Traetta  gelegentlich  der  fran 
zosischen  Art  des  ,,Recitatif  mesure"  oder  ,,anime",  wie  in  der  Elysiumsszene  der  „  Tan 
taridi".  Aber  Traettas  dramatisch  kiihnste  Werke  entstanden  trotzdem  fur  deutsche  Zu- 
horer  in  Wien  und  Mannheim,  bzw.  fur  den  deutschen  Kulturkreis  in  St.  Petersburg.  In 
Wien  zwang  den  Neapolitaner  der  Kreis  Glucks  in  seinen  Bann.  Graf  Durazzo  vertraute 
ihm  1761  seine  Bearbeitung' von  Quinaults  ,,Armida",  in  Uberfeilung  des  Metastasioschiilers 
Migliavacca  als  Text  an,  worin  die  Beschworungsszene  orchestral  besonders  stark  bedacht  ist, 
wahrend  der  tragische  SchluB  der  Oper  das  Akkompagnato  zu  grofiem  Schwung  steigert;  es 


Traetta.    Armida  2.  Akt.  VI.  con  Sord. 

£ 


6       6 

2_# 


Viclette  (geteilt)5 
Largo  e  sotto  voce 


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Violette  col.  B. 


Die  Oper  im  \  8.  Jahrhundert 


727 


fr 


—  I—  N 


0     por  -  ten  -  to,        o      stu  -  por 
0    wie     selt  -  sam,    wun  -  der  -  voll 


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umgibt  in  dieser  Soloszene  der  Armida  in  breitem  Flufi  eine  Kavatine.  1763  (keineswegs 
schon  1758!)  eiferte  Marco  Coltellini,  der  1761  mit  der  fur  Majo  nach  einem  englischen  Stuck 
verfaBten  ,,Alrneria"  in  Livorno  debiitiert  hatte,  fiir  Traetta  dem  Muster  seines  Landsmannes 
Calsabigi  gliicklich  nach,  die  ,,Ifigenia  in  Tauride"  entwickelt  eine  einheitlich  gespannte  Hand- 
lung  ohne  storendes  Beiwerk,  wobei  packende  Chorstellen  reichlich  verteilt  sind.  Traettas 
leidenschaftliche  Energie  konnte  sich  voll  entfalten,  besonders  in  der  Furienszene  des  zweiten 
Akts,  wo  die  musikalische  Form  frei  dem  Text  folgt  (Chor  Es— c,  Kavatine  mit  Violoncello- 
solo  B,  Chor  D).  Das  Finale  des  ersten  Akts  ist  gleichfalls  frei  durchkomponiert,  mit  pra- 
gnanten,  kurzen  Choreinwurfen  und  transponierender  Wiederholung  einer  Kantilene  im 
spateren  Verlauf.  Auch  die  ,,Sofonisba",  Mannheim  1762,  ist  schon  von  ganz  erstaunlicher 
dramatischer  Kraft  erfiillt.  Hier  erweist  sich  der  Anschlufi  an  Rameau  iiberaus  stark,  durch- 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


komponierte  Rezitative  nach  franzosischem  Muster  geben  der  musikalischen  Szene  erne  eigene 
Spannkraft,  bis  in  einzelne  Vortragsanweisungen  wie  ,,Espressione  alia  francese"  oder  ,,Urlo 
francese  *  (deklamierter  Schrei)  ist  dem  franzosischen  Stil  nachgestrebt ;  wobei  doch  die  ganze 
Technik  italienisch  bleibt.  Die  grofien  Soloszenen  iibertreffen  in  Mafien  und  Ausdruck  Hasse 
und  Jomelli.  Die  Da-capo-Arie  ist  dabei,  wie  in  der  ,,Armida",  schon  derart  gekiirzt,  dafi  in 
der  Wiederholung  vom  Anfang  in  der  Haupttonart  gleich  in  den  zweiten  Teil  (dal  segno)  ge~ 
sprungen  wird.  In  einem  grofiziigigen  Terzettfinale  fallt  ein  Kanon  auf.  Die  ,,Antigona  „ 
St.  Petersburg  1772,  endlich  folgt  Clucks  Einflufi  und  ist  ein  wichtiges  Bindeglied  zu  den 
Pariser  Opern  des  Reformators. 

Der  jiingste  der  Neapler  Dramatiker,  die  nach  dem  Vorbild  Hasses  hohere  dramatische  Ziele 
suchten,  war  Francesco  di  Majo  (1740—70).  In  jungen  Jahren  waren  ihm  bereits  grofie 
Biihnenerfolge  beschieden,  in  seinem  kurzen  Leben  hat  er  19  Opern  vertont.  Auch  er  pflegt,. 
wie  noch  Perez,  Beziehungen  zu  Wien  und  zu  Durazzo,  seine  Starke  liegt  im  Riihrenden,  wobei 
er  sich  in  der  Tonsprache  haufig  mit  Mozart  beriihrt.  Majo  gehort  iiberhaupt  in  Empfmdung 
und  Formen  der  jiingeren  Generation  an,  wahrend  aus  dem  alteren  Kreise  um  Hasse  noch 
einigeNichtitaliener  zu  nennen  sind,  zwei  Spanier,  die  als  Dramatiker  Hervorragendes  leisteten^ 
David  Perez  (171 1—82),  in  Neapel  von  spanischen  Eltern  geboren,  seit  1752  die  Stiitze  der 
italienischen  Oper  in  Lissabon,  und  Domenico  Terradellas  (1711—51),  in  Barcelona  zu 
Hause,  aber  in  Italien  wirkend;  in  Deutschland  tritt  neben  Hasse  HeinrichGraun(l  701—59) 
hervor,  der  von  Friedrich  dem  Grofien  begunstigt  wurde  und  1740  in  Berlin  die  italienische 
Oper  errichtete.  Der  Konig  beteiligte  sich  auch  an  der  Textdichtung  und  beeinflufite  sogar 
die  musikalische  Formgebung  in  der  Richtung  auf  Bevorzugung  der  Kavatine  (,,Montezuma  , 
1752).  Grauns  deklamatorische  Vorziige  wurzeln  in  der  deutschen  LJberlieferung,  auch  das 
ariose  Orchesterrezitativ  stammt  daher,  die  Symphonien  schliefien  sich  an  die  deutsche  In- 
strumentalkunst  an. 

Zu  Hasses  Nachf  olge  gehort  auch  durch  die  ersten  20  Jahre  seiner  Buhnenlauf  bahn  C  h  r  i  s  t  o  p  h 
Willibald  Gluck  (1714—87),  dessen  friihere  Opern  seinem  Reformwerk  ferner  stehen  als 
die  Hauptwerke  Jomellis  und  Traettas.  1 741  in  Mailand  mit  der  ersten  Opera  seria  ,,Artaserse<4 
hervorgetreten,  schrieb  er  bis  1762  22  italienische  Biihnenwerke,  darunter  Pasticcios  und  Ge- 
legenheitsstiicke,  zumeist  auf  Texte  Metastasios,  wobei  Entlehnungen  aus  eigenen  Werken 
haufig  sind,  wahrend  mit  dem  Akkompagnato  auffallend  sparsam  umgegangen  wird.  Der  Ein 
flufi  Jomellis  ist  greifbar,  auch  deutliche  Spuren  von  Sammartinis  Instrumentaltechnik  wurden 
aufgezeigt,  der  als  Autor  des  ersten  Satzes  der  Sinfonia  zur  Serenade  ,,Le  Nozze  d'Ercole 
e  d'Ebe"  erkannt  wurde.  In  Arien  von  diisterem  und  schmerzlich  erregtem  Ausdruck  kiindet 
sich  die  Eigenart  Glucks  an.  Aus  dieser  seiner  Lehrzeit  in  der  Opera  seria  stammen  die  Opern 
fur  Oberitalien  bis  1745:  ,,Demetrio",  ,,Demofoonte",  1742,  ,,Tigrane",  1743,  ,,Sofonisba", 
,,La finta  Schiava"  (Pasticcio),  ,,Ipermestra",  1744,  ,,Alessandro  nell'  Indie",  Jppolito",  1745, 
dann  aus  Glucks  Wanderjahren  ,,Artamene"  und  das  Pasticcio  ,,La  Caduta  de'  Giganti"  fur 
London  1746,  die  Serenade  ,,Le  Nozze  d'Ercole  e  d'Ebe",  1747  in  Pillnitz  —  aus  der  Zeit  der 
Kapellmeistertatigkeit  neben  Scalabrini  in  Mingottis  Wanderoper  — ,  ,,La  Semiramide  rico- 
nosciuta",  Wien  1748  —  das  Eroffnungsstiick  der  Loprestischen  Kavaliersoper  Jm  neu  um- 
gebauten  Burgtheater — ,  das  Festspiel  ,,La  Contesa  dei  Numi",  Charlottenburg  1749,  ,,Ezio*'r 
Prag  1750,  ,,Issipile",  Prag  1752,  ,,Tito",  Neapel  1752.  Anfangs  der  50er  Jahre  machte  sich 


Die  Oper  im  1 8.  Jahrhundert  729 


Gluck  in  Wien  seBhaft,  wo  der  Gesandte  Genuas,  Graf  Giacomo  Durazzo  (1717 — 94),  den 
Mittelpunkt  der  reformfreundlichen  Qpernbestrebungen  bildete.  Wien  hatte  unter  Maria 
Theresia  seit  1 740  keine  standige  Oper  mehr,  1 744  war  auch  das  Josef inische  Opernhaus  auf- 
gelassen  worden,  1752  wurde  das  franzosische  Schauspiel  und  die  Opera  comique  im  Burg- 
theater  eingefiihrt.  Durazzo  erhielt  1754  die  alleinige  Oberleitung  des  Wiener  Theaterwesens, 
er  verpflichtete  Gluck  an  der  franzosischen  Gesellschaft  Heberts.  So  wurde  dieser  mit  der 
franzosischen  Tragodie  vertraut,  richtete  Pariser  Operetten  fiir  Wien  ein,  schrieb  neue  Arien 
hinzu  und  schliefilich  selbstandige  franzosische  komische  Opern,  womit  er  fiir  die  Ausbildung 
dieser  Gattung  und  auch  fiir  das  deutsche  Singspiel  seine  ganz  hervorragende  Bedeutung  er- 
langte.  Daneben  stehen  itahenische  Gelegenheitsstiicke,  ,,Le  Cinesi",  1754  in  SchloBhof, 
,,La  Danza",  Laxenburg,  ,,L'innocenza  giustificata",  Wien  1755  (Text  der  Rezitative  von 
Durazzo),  ,,11  re  Pastore",  1756,  ,,Tetide",  1760,  und  fiir  Rom  das  Dramma  per  musica 
,,Antigono". 

1761  traf  der  Dichter  und  Finanzpolitiker  Ranieri  di  Calsabigi  als  Beamter  der  Niederlan- 
dischen  Rechnungskammer  in  Wien  ein,  und  im  Herbst  bereits  gelangte  als  Vorbote  des  Reform  ~ 
werks  das  tragische  Ballett  ,,Le  festin  de  pierre"  (Don  Juan)  zur  Auffiihrung,  das  gemeinsame 
Erzeugnis  Clucks  —  er  war  auch  als  Ballettkomponist  angestellt  — ,  des  Ballettmeisters  Gaspero 
Angiolmi,  Calsabigis  und  des  Theaterarchitekten  Quaglio.  Ankniipfend  an  altere  Wiener  Vor- 
laufer  (Hilverding,  fiir  den  Holzbauer  und  Deller  arbeiteten)  wurde  hier  eine  Erneuerung  der 
Ballettpantomime  im  Sinne  voller  tragischer  Verdichtung  unternommen,  die  mit  Noverres 
Bestrebungen  in  Stuttgart  gleichlauft,  sie  aber  zeitlich  iiberholt  und  an  Gedrungenheit  iibertrifft. 
Noverre  selbst  kennzeichnet  diese  Richtung  als  ,,Ballet  sans  danse".  Stofflich  hielten  sich 
spater  Bertati  und  Da  Ponte  an  die  Fassung  von  Angiolini.  Einige  ahnliche  Versuche  von 
Angiolini  und  Gluck  folgten  (,,Semiramis",  1 765,  ,,Alessandro",  1774,  ,,L'orphelin  de  la  Chine", 
1774),  ohne  sich  der  Gunst  des  Publikums,  besonders  gegeniiber  Noverre,  zu  erfreuen.  Man 
empfand  ,,todliche  Kalte"  dabei.  Der  diistere,  schwerbllitige,  ganz  einheitlich  gesammelte 
Geist  dieser  Kunstauffassung  war  im  starken  Widerspruch  mit  den  geltenden  Anschauungen, 
denen  nur  das  Anmutige,  Liebliche  oder  Riihrende  als  Kunstgebiet  gait.  Aber  aus  diesem 
Gegensatz  zur  Asthetik  des  Rokoko  erhob  sich  die  Reform  Clucks.  Sie  vollzog  sich  in  zwei 
Abschnitten,  zunachst  in  Wien  mit  Calsabigi  an  der  italienischen  Oper:  ,,0rfeo  ed  Euridice", 
1762,  ,,Alceste",  1767,  ,,Paride  ed  Elena",  1770  —  in  dieser  Zeit  entstand  auch  mit  Coltellini 
der  ,,Telemacco",  1765,  der,  wie  die  ,,Ifigenia"  Traettas,  schon  des  Librettisten  wegen  keines- 
wegs  vor  1 761  angesetzt  werden  darf,  und  fiir  Bologna  ,,11  trionfo  di  Clelia",  1 763,  nebst  einigen 
Feststiicken :  ,,11  Parnasso  confuso",  1765,  ,,La  Corona",  1765,  ,,Prologo",  Florenz  1767,  ,,Le 
feste  d 'Apollo",  Parma  1769.  —  Dann  von  Wien  aus  in  Paris  an  der  franzosischen  Oper:  ,,Iphi- 
genie  en  Aulide"  nach  Racine  von  du  Rollet  gedichtet,  1772  vollendet,  1774  aufgefiihrt,  ,,0r- 
phee",  1774,  infranzosischerBearbeitung  Molines,  ,,Alceste",  1776,  in  franzosischerBearbeitung 
duRoIlets,  ,,Armide",  1777,  vonQuinault,  ,,Iphigenie  en  Tauride",  1779,  von  Guillard.  Eine 
Pastorale,  ,,Echo  et  Narcisse",  schlofi  Clucks  Werk  ab. 

Die  Neugestaltung  der  italienischen  Oper  durch  Gluck  und  Calsabigi  ist  in  dem  Bestreben 
verwurzelt,  ein  Musikdrama  in  Gehalt  und  Form  zu  erreichen,  das  der  griechischen  Tragodie 
an  die  Seite  treten  konnte.  Sie  ist  also  in  erster  Linie  eine  dramatische  Umwalzung,  die 
dramatische  Dichtung  in  der  Art  der  Florentiner  und  der  Lullyschen  Tragodie  wird  als  ent- 


730  £^e  OPer  im  1 8.  Jahrhundert 


scheidender  Faktor  anerkannt  und  eine  lapidare  Einheitlichkeit  des  dichterischen  Plans,  der  die 
Handlung  nur  auf  ganz  wenige  grofie  Ziige  und  auf  die  gedrungene  Darstellung  grofier  Seelen- 
bewegungen  und  sittlicher  Grundideen  einschrankt,  weit  iiber  Quinault,  ja  iiber  Rinuccini 
hinaus  erreicht.  Gegeniiber  Metastasios  Staatsaktionen  mit  gesellschaftlichen  Liebesintriguen 
bedeutet  das  einen  ganzlichen  Systemwechsel,  der  auch  die  Einzelheiten  der  musikalischen 
Probleme  umfafit,  den  Chor  nach  griechischem  Muster  zum  Sockel  der  Form  macht  und  mit 
der  iiblichen  Trennung  von  Drama  (Sekko)  und  Musik  (Arie)  grundlich  aufraumt,  wahrend 
die  Auswahl  der  treibenden  dramatischen  Krafte  aus  wuchtigen,  schmerzlichen  Vorgangen 
des  individuellen  Seelenlebens  iiberhaupt  einer  neuen  Weltanschauung  entstammt  und  aus 
der  galanten  Gesellschaftskunst  heraustritt.  Die  Musik  Glucks  ist  es,  die  diese  grandiose 
Sammlung  in  einer  bisher  gemiedenen  Empfindungswelt  erst  zur  kiinstlerischen  Tat  werden 
laBt.  Das  Drama,  das  bis  in  jede  Einzelheit  von  Musik  durchdrungen  wird,  erhalt  eine  musi- 
kalische  Architektur  von  monumentaler  Plastik,  in  den  Mitteln  im  emzelnen  herrscht  dagegen 
der  Opera  seria  gegenuber  reiche  Mannigfaltigkeit :  viel  Chor,  bald  handelnd,  bald  betrachtend, 
Ballett,  Ensemble,  Sologesang  in  wechselnden  kleinen  und  grofieren  Formen,  Rezitativ,  alles 
organisch  verbunden,  das  Rezitativ  der  belebende  Atem  des  Ganzen;  Regel  wird  die  durch- 
laufende  Orchesterbegleitung  mit  gemischter  Technik  des  Sekko,  Akkompagnato,  taktmafiigen 
Flusses,  die  geistige  Arbeit  ordnet  und  gestaltet  mit  eiserner  Energie  in  Formen,  Tonarten, 
Instrumentation,  Melodik,  Deklamation,  Harmonik,  Rhythmik.  Der  Hang  nach  Klarheit,  der 
den  Jesuitenzogling  (Komotau  1 726 — 32)  erkennen  lafit,  drangt  alle  ablenkenden,"  rein  musi 
kalischen  Wirkungen  zuriick,  Ziergesang  und  Polyphonic  sind  verpont;  er  fiihrt  auch  zur 
besonderen  Einstellung  im  Problem  der  dramatischen  Charakterzeichnung,  die  in  der  Arie 
nur  den  absoluten  Charakter,  keine  psychologische  Entwicklung  darstellt.  Doch  gesellt  sich 
zur  intensiven  Denktatigkeit  eine  zwingende  Kraft  des  inneren  Erlebens  und  ein  hoher  sitt 
licher  Standpunkt.  Die  Reformgedanken  an  der  Opera  seria  lagen  vor  1762  allenthalben  in 
der  Luf  t,  besonders  in  Wien  war  in  dieser  Beziehung  der  Boden  vorbereitet,  schon  1 750 
steht  in  einer  Mischoper  ,,Euridice"  eine  frei  gefiihrte  Orfeo-Szene  Wagenseils,  die  Glucks 
Technik  vorausnimmt,  auch  die  asthetischen  Forderungen  des  Graf  en  Algarotti  (1755),  des 
Marquis  de  Villeneuve  (1756)  und  der  franzosischen  Enzyklopadisten  waren  da  verarbeitet 
worden,  J.  v.  Sonnenfels  vertrat  sie  bald  darauf  ganz  entschieden.  Auf  Gluck  selbst  hatte 
die  altere  Wiener  Oper,  die  Errungenschaften  der  Hasse-Schule,  die  deutsche  Lied-  und  Oden- 
kunst,  aber  vor  allem  Lully,  Rameau  und  Handel  eingewirkt,  daneben  auch  die  leichte, 
natiirliche  Art  der  Opera  comique  und  der  Produkte  Arnes  in  London. 

Der  ,,0rfeo",  genannt  ,,Azione  teatrale",  steht  der  Praxis  der  Opera  seria  in  Einzelheiten 
noch  am  nachsten.  Die  Einteilung  in  drei  Akte,  die  Besetzung  der  Titelrolle  mit  einem  Ka- 
straten,  die  allegorische  Gestalt  des  Eros,  der  gute  Ausgang,  Szenentypen,  wie  das  Inferno, 
weisen  dahin,  aber  auch  die  sinnliche  Klangschonheit  im  allgemeinen  und  die  Ouvertlire,  die 
nach  Neapolitaner  Brauch  zu  dem  Drama  keine  innere  Beziehung  pflegt,  die  aber  die  all- 
gemein  iibliche  Schablonenarbeit  schon  in  der  ausgefiihrten  Sonatenform  mit  Durchfuhrung 
iiberragt.  Auch  die  einsatzige  Anlage,  die  ans  Schuldrama  und  Oratorium  anschliefit  und 
in  Singspiel  und  Opera  comique  eindringt,  ist  in  der  ernsten  Oper  Ausnahmsfall,  wo  die  Drei- 
satzigkeit  nach  Scarlatti  unvermeidlich  wurde;  Gluck  hat  sie  schon  im  ,,Don-Juantt-Ballett 
aufgegriffen.  Die  dramatische  Einfuhrung  der  Oper  wird  in  der  Klagechorszene  gegeben,  die 


Die  Oper  im  1 8.  Jahrhundert 


731 


wie  die  Furienchore  auf  Rameausche  Vorbilder  deutet,  die  Chorsatze  und  die  pantomimischen 
Tanze  in  Angiolinis  Manier  bewirken  eine  monumentale  Gliederung  des  AuCuaus,  die  durch 
Wiederholungen  abgerundet  und  durch  restlos  durchdachte  tonartliche  Beziehungen  fein  ab~ 
gestuft  wird.  Der  Chor  ist  mit  Orfeo  Haupttrager  der  Handlung,  die  sonst  nur  auf  Eurydike 
und  den  auffallend  galant  behandelten  Liebesgott  gestellt  ist.  Der  Unterschied  zwischen  Re- 
zitativ  und  Arie  hat  an  Scharfe  wesentlich  verloren,  schon  dadurch,  daB  das  Sekko  ganz  ver- 
schmaht  ist  und  das  Orchesterrezitativ  die  symphonische  Beteiligung  bewufit  hervortreten  laCt, 
wahrend  andererseits  die  Deklamation  den  Arienstil  beeinflufit.  Die  Instrumentationskunst 
hat  denn  auch  bleibende  Bewunderung  erregt  und  bis  auf  die  Romantiker  weitergewirkt. 
Zumal  in  dem  frei  durchkomponierten  Rezitativ  ,,Che  puro  ciel"  ist  dem  Orchester  in  neu- 
artiger  Kleinarbeit  die  Zunge  gelost. 


Ob.  Solo 
Co.  Solo 


Fl.  Solo 

Vc.  Solo 


VI. 


Via. 
B. 


pzzc. 


47    H.  d.  M. 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


r._A     '  j  ^ |"~|J.  \~~. _   _'."~Hi Z   A*ZZZZZZir™T  "HZTJ 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert  733 


Arienformen  verschiedener  Mafie  sind  aber  doch  die  Sammelpunkte  des  musikalischen  Flusses, 
kleine  Liedformen  (Strophenheder)  mahnen,  wie  das  SchluBvaudeville,  an  die  Beschaftigung 
des  Meisters  mit  der  franzosischen  Operetta,  Eurydike  singt  erne  kleme  Da-capo-Ane, 
Con  sord. 


:^=h 


(Che   fiero  momento) 

Orpheus  das  vielerorterte  C-Dur-Rondo,  liberhaupt  neigt  der  3.  Akt  zu  grofieren  Solcformen, 
darunter  zahlt  das  einzige  Duett  der  Oper.  Glucks  gedrungene  Melodiebildung,  die  sich  an  Wort 
und  Dichtung  entziindet,  mit  Vorliebe  dreitaktige  Glieder  formt  und  volkstiimliche,  einfache 
Linien  sucht,  hebt  sich  von  der  Thematik  der  Opera  seria  schcirf  ab.  Bei  der  Kaiserkronung 
in  Frankfurt  1764  erhielt  Orfeo  aber  eine  Bravourarie,  die  in  die  franzosische  Fassung  iiber- 
ging  und  lange  fur  eine  fremde  Einlage  Bertonis  gait.  Die  Pariser  Bearbeitung  unterscheidet 
sich  von  der  Urfassung  hauptsachlich  in  der  Partie  des  Titelhelden,  die  nun  einem  Tenor 
angepaBt  wurde,  wahrend  sonst  nur  Eros  im  1 .  Akt  eine  neue  Arie  und  auch  Eurydike  im 
2.  Akt  einen  Zusatz  erhielt;  die  Tanze  wurden  stark  vermehrt.  Berlioz  hat  endlich  1859  eine 
Verquickung  der  beiden  Fassungen  unternommen  mit  Orpheus  als  Altpartie. 

Der  ,, Orfeo"  ist  in  Wien  nicht  so  spurlos  voriibergegangen  wie  man  allgemein  hort;  Traettas 
,,Ifigenia  in  Tauride"  (1763)  steht  unter  seinem  Bann  und  Fl.  L.  GaBmann  schrieb  eine  strenge 
Nachbildung  in  ,,Arnore  e  Psiche"  (1767),  die  in  den  finaleartigen  Ensemblesatzen  an  den  Akt- 
schllissen  nach  Muster  der  Opera  buf fa  weiter  ausgreift,  sonst  aber  im  Stil  vollig  an  Gluck  ange- 
lehnt  ist.  Beide  genannte  Opern  textierte  Marco  Coltellini  im  Sinne  Calsabigis,  er  verfafite  auch 
das  —  zweiaktige  —  Buch  zu  Glucks  ,,Telemacco",  1765,  worin  die  neuen  musikalischen  Grund- 
satze  mit  den  alten  nebeneinander  vertreten  sind.  Coltellini  ist  ferner  der  Autor  des  Intermezzo 
tragico  ,,Piramo  e  Tisbe",  1768,  worin  Hasse  sich  nach  seiner  Art  mit  dem  neuen  Stil  auseinander- 
setzt.  Er  war  ja  in  Wien  Augenzeuge  der  Reformwerke.  Durazzo  liefi  den  ,,Orfeo"  in  Paris  stechen. 

Die  ,,Tragedia  Alceste",  die  in  Wien  gestochen  wurde,  macht  den  entscheidenden  Schritt 
von  der  mythologischen  Pastorale  zur  eigentlichen  Tragodie.  Das  Grundproblem,  Gattenhebe 
im  Kampf  mit  dem  Schicksal,  ist  das  namliche  wie  im  ,,0rfeo",  die  GroBe  der  Auffassung 
und  Empfindung  aber  bedeutend  geweitet.  Nur  versagt  der  Dicker  in  der  Ausspinnung  der 
Handlung,  so  glanzend  er  sie  beginnt;  ihre  Hauptstutzen  sind  wieder  Alceste  und  der  Chor, 
der  Personenkreis  ist  sonst  etwas  grofier  als  im  ,,Orfeo",  der  Ausgang  abermals  kunstlich  ge- 
glattet.  Beruhmt  ist  Glucks  Vorrede  zur  Partitur,  die  von  Coltellini  stilisiert  sein  soil: 

,,Bei  der  Musik  zur  ,Alceste*  war  mein  Vorsatz,  alle  die  Mifibrauche  zu  beseitigen,  die  durch 
Eitelkeit  der  Sanger  und  Nachgiebigkeit  der  Musiker  in  die  italienische  Oper  eingedrungen  sind 
und  aus  dem  prunkvollsten  und  schonsten  aller  Schauspiele  das  lacherlichste  und  langweiligste 
gemacht  haben.  Ich  gedachte  die  Musik  auf  ihre  wahre  Aufgabe  zu  beschranken:  durch  ihren 
Ausdruck  der  Poesie  zu  dienen,  ohne  die  Handlung  zu  unterbrechen  oder  mit  unmitzem  Uber- 
flufi  an  Ornamentik  abzukuhlen  und  glaubte,  daB  sie  —  ahnlich  wie  einer  richtigen,  gut  an- 
gelegten  Zeichnung  gegeniiber  die  Lebhaftigkeit  der  Farben  und  der  Gegensatz  von  Licht 
und  Schatten  —  die  Gestalten  beleben  miisse,  ohne  die  Konturen  zu  verandern  ...  Ich  habe 
versucht,  eben  alle  jene  Auswiichse  zu  bannen,  gegen  die  der  gute  Geschmack  und  die  Ver- 
nunft  langst  ihre  Stimme  erhoben  haben. 

47* 


734 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


Ich  stelle  mir  vor,  dafi  die  Sinfonia  der  folgenden  Handlung  zuvorkommen  und  sozusagen 
die  Inhaltsangabe  dazu  sein  solle;  dafi  das  Orchester  sich  im  Verhaltnis  zum  Interesse  und  zur 
Leidenschaft  (der  Handlung)  entfalten  miisse  und  Jm  Dialog  kein  solch  scharfer  Unterschied 
zwischen  Rezitativ  und  Arie  bleiben  diirfe,  der  widersinnig  den  Verlauf  (der  Handlung)  zer- 
stiickelt  oder  zur  Unzeit  ihre  Kraft  und  ihr  Feuer  unterbindet. 

Ich  habe  ferner  geglaubt,  den  grofiten  Teil  meiner  Arbeit  auf  das  Streben  nach  einer  schonen 
Einfachheit  verlegen  zu  sollen  und  habe  es  vermieden,  auf  Kosten  der  Klarheit  mit  Kunst- 
fertigkeiten  zu  prunken;  es  schien  mir  die  Aufmachung  von  irgend  etwas  Neuem  ohne  Wert, 
wenn  es  nicht  auf  nattirliche  Weise  von  der  Situation  und  vom  Ausdruck  gefordert  ware;  aber 
es  gibt  keine  ordentliche  Regel,  die  ich  nicht  der  Wirkung  zuliebe  mit  gutem  Gewissen  auf- 
opfern  zu  mlissen  iiberzeugt  bin  ..." 

Die  einsatzige  Ouvertiire  —  ,,Intrada"  —  versetzt  sogleich  in  den  Geist  des  Dramas,  das 
in  eindringlichen,  durch  sich  wiederholende  Chorstellen  scharf  gegliederten  Bildern  verlauft, 
von  denen  insbesondere  die  Tempelszene  mit  dem  Orakel 

Oracolo 


* 


1- 


3 


±a=^ 


VI.  Sord. 
Troinboni 


11  re  mor-ra, 
Hin-siecht  Ad-met, 
Tromboni 


s'al  -  tro     per       lui     non     mo     -      re. 
so   sich    kein     an  -  drer       op     -     fert. 


Fg.  Vc.  mit  ganzem  Orchester 

und  die  Unterweltszene  von  zwingender  Gewalt  sind.  Die  musikalische  Form  geht  ganz  aufs 
Grofie,  der  Chor  bindet  sie  im  Sinne  des  Chors  der  griechischen  Tragodie,  die  Einzelarien 
vermeiden  sichtlich  jeden  konventionellen  Zug  zugunsten  freier  Bildungen,  die  aber  kleine 
Da-capo-Gliederungen  und  ausgeschriebene  Wiederholungen  umfassen.  Chorabschlufi,  Ein~ 
schaltung  von  Duettstellen  (der  Kinder)  erweitert  z.  B.  eine  mehrsatzige  Arie  Alcestes,  rein 
deklamierend,  und  zwar  vor  Grauen  stockend,  ist  ihr  Gesang  vor  den  Toren  der  Unterwelt. 

Aria 


Chi    mi 
Wel^che 


par  -  lal 
Lau  -  te! 


che 
Was 


ris  -  pon  -  do  ? 
er-  wi  -  dern? 


Das  Rezitativ  entfaltet  sich  in  vollem  Reichtum,  vom  Sekko  bis  zur  frei  durchkomponierten 
Deklamation.   Stehende  Leitgedanken,  wie  die  des  GroBpriesters, 


schaffen  straffe  Einheit.  Im  Orchester  herrscht  immer  wieder  der  Posaunenklang  vor.  Glucks 
Gepflogenheit  der  Entlehnungen  aus  seinen  friiheren  Werken  ist  in  der  ,,Alceste"  ganz  unter- 
lassen.  Fur  Paris  wurde  diese  Musiktragodie  nahezu  vollstandig  umgearbeitet,  nur  der  1 .  Akt 
blieb  groBtenteils  bewahrt,  unter  Strichen  (die  Kinder,  die  Vertrauten),  Umstellungen  und  Zu>- 
satzen.  So  la'uft  hier  die  Ouvertiire  in  einen  Chorruf  aus,  in  einer  Arienzutat  der  Alceste 
macht  Gluck  vor  der  Lullyschen  Manier  der  Refrainbindungen  seine  Verbeugung. 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


735 


Non!       ce    n'est   point  un     sa  -   en   -    fi    -    ce. 
Oh.    nicht    der    Tod  ist's,  den     ich     scheu  -  e. 

Der  2.  und  3.  Akt  sind  ganzlich  geandert,  schon  textlich,  die  Unterweltszene  fehlt  nun,  aus 
Quinaults  Oper  ist  die  Gestalt  des  Herkules  eingefiigt,  nicht  zum  Vorteil  des  Werkes.  Eine 
Arie  des  Herkules,  die  lange  Gossec  zugeschrieben  wurde,  stammt  aus  Glucks  ,,Ezio". 

In  ,,Paride  ed  Elena",  dem  ,,Dramma  per  musica"  in  5  Akten,  dessen  Partitur  auch  in  Wien 
gestochen  wurde,  stehen  durchwegs  beide  Hauptgestalten  im  Brennpunkt  der  Handlung,  deren 
Bewaltigung  Calsabigi  wieder  nicht  voll  gewachsen  war.  Die  Charaktergegensatze  sind  von 
Gluck  durch  die  Darstellung  von  ganzen  Kulturkreisen  (Phrygier  und  Spartaner)  gigantisch 
verstarkt. 

Paride 


Oh  del   mio  dol-ce  ar  -  dor 
O     mei-ner   hoi-den  Wonnen 


bra-mato  og  -  get 
verlan-gend  Bren 


to. 

nen 


Athletenchor 


1 


| 


It 


Unisono 

Del  -  la    Reg  -  gia     ri  -  hi  -  cen  -  te       seen  -  di  a    no  -  i,     seen  -  di  a  r.oi     bcl     D.'o. 
Dei-nes  Rei  -  ches    ste -tern  Glan-zen,     Gott    von    De  -  los,     sen  -  ke    dich  hernieder. 

Dadurch  gewinnt  die  Ausschmiickung  des  Dramas  mit  Chor  und  Ballett  sehr  an  Ausdehnung. 
Daneben  ist  die  Oper  besonders  reich  an  lyrischen  Ergiissen,  von  einer  Weichheit,  die  bei 
Gluck  selten  ist.  Uberhaupt  weisen  Probleme  und  Stil  hier  wie  in  der  ,,Armida**  auf  die 
Romantik.  Paris  ist  wieder  eine  Kastratenpartie,  auch  der  allegonsche  Amore  singt  Sopran.  In 
Liedformen  —  darunter  ein  Strophenlied  — ,  in  das  kleine  Da  capo  oder  in  Reprisenformen 
sind  die  Arien  gefafit.  Die  Ouvertiire  ist  dreisatzig  und  nimmt  in  alien  drei  Satzen  Themen 
des  letzten  Aktes  voraus.  Auch  diese  Partitur  ist  von  einer  Streitschrift  Glucks  eingeleitet. 

Mit  der  Verlegung  der  Reformarbeit  nach  Paris  wurde  die  lange  erwiinschte  Vereinigung 
der  italienischen  und  franzosischen  Oper  hergestellt,  es  entstand  ein  iibernationales  Musik- 
drama  deutscher  Geistesrichtung,  die  griechische  Antike,  belebt  von  tiefem  Humanismus, 
leuchtet  nochmals  voll  auf,  daneben  erheben  sich  die  Krafte  der  Romantik.  Die  franzo- 
sische  ernste  Oper  war  durch  das  Uberwuchern  des  Balletts  langst  reformbediirftig  ge- 
worden,  die  griindliche  Vernachlassigung  des  Textes  hatte  auch  Rameaus  Werke  in  Mifikredit 
gebracht.  Grimm  definiert  die  franzosische  Oper  als  ein  Schauspiel,  wo  Gluck  und  Unglikk 
der  handelnden  Personen  in  den  Tanzen  liegt,  die  um  sie  herum  zu  sehen  sind. 

Von  Wien  und  von  Calsabigi  nehmen  die  Textdichter  der  beiden  Iphigenien  die  drama- 
tischen  Reformgedanken,  teilweise  auch  die  dreiaktige  Teilung,  doch  ist  die  textliche  Unter- 
lage  nicht  mehr  so  einseitig  starr  wie  in  Wien,  sie  wird  vielmehr,  ahnlich  wie  in  ,,Paride",  bereits 
allgemeiner  und  praktischer  auf  das  Widerspiel  von  Charakteren  und  auf  ein  abwechslungs- 
reiches  Schauspiel  eingestellt.  Die  Ausstattung  mit  Balletten  macht  dem  Pariser  Geschmack  Zu- 
gestandnisse,  die  aber  in  der  taurischen  ,,Iphigenie"  wieder  eingeschrankt  sind.  Die  Divertisse 
ments  werden  nun  auch  nach  franzosischer  Art  teilweise  gesungen,  ohne  dafi  die  Gesangs- 


•7  ox  Die  Oper  im  18.  JahrKundert 


'beteiligung  an  die  bei  Rameau  typische  heranreicht.  Der  in  Paris  altiibliche  Prolog  ist  ganz 
aufgegeben,  auch  die  oft  rein  aufierliche  Programmusik  der  franzosischen  Tragodie  paBte 
merit  zu  Clucks  Anschauungen.  Wo  sich  Ahnliches  findet,  wie  in  der  Ouverture  zur  ,,Taurischen 
Iphigenie",  hat  es  im  dramatischen  Organismus  seine  Bedeutung.  Das  Rezitativ  fiihrt  Gluck 
durchwegs  als  Akkompagnato,  wahrend  noch  Rameau  zumeist  unbegleitete  Basse  schreibt, 
die  freie,  das  Wort  untermalende  Art  und  Weise  der  Rezitativbehandlung  an  dramatischen 
Hohepunkten  der  Pariser  Reformopern  gilt  dann  mit  ihrer  psychologischen  Kleinarbeit  bis 
zur  ,,Euryanthe"  und  zum  ,,Lohengrin".  Wahrend  friiher  bei  Gluck  mit  Ausnahme  einiger 
Stellen  zwischen  Alceste  und  Admet  nur  das  Streichorchester  begleitete,  tritt  nun  die  Be 
teiligung  der  Holzblaser  im  Rezitativ  immer  mehr  hervor.  Der  franzosischen  Opernform  ent- 
lehnt  sind  Ziige  in  der  Arientechnik,  namlich  die  zahlreichen,  vielleicht  manchmal  allzu  zahl- 
reichen  kleinen  Arien  (Airs)  in  knappen,  gelegentlich  nur  einige  Takte  fullenden  Liedformen, 
die  den  deutschen  Volkston  in  der  Melodik  deutlich  verraten,  oder,  seltener,  die  gruppierenden 
Ariosos,  wie  zu  Beginn  der  ,,Aulischen  Iphigenie",  ferner  die  Vorliebe  furs  Ensemble,  m 
Duetten,  Quartetten,  Solo  mit  Chor,  Duett,  Quartett  mit  Chor  u.  a.  Auch  in  den  wichtigen 
Orchesterritornellen  kniipft  Gluck  an  Lully  und  Rameau  an,  wahrend  die  Chorbehandlung 
diesen  gegeniiber  mafiiger,  zuriickhaltender  ist  und  dafiir  in  Chorrezitativen  eine  Schlagfertig- 
keit  gewinnt,  die  mit  der  Wucht  der  Turbasatze  in  der  deutschen  Passion  verglichen  wurde. 
Auch  jetzt  kornmen  Chorwiederholungen  vor,  doch  treten  die  massiven  Refrainszenen  der  italic- 
nischenReformopernzuriick.  Dafur  reckt  sich  Gluck  bei  demRacheschwur  derArmida  zu  einem 
packenden  Ensemblefinale  auf,  das  lange  Zeit  ebenso  vorbildlich  wurde,  wie  die  sons tigen  Bin- 
dungen  zwischen  Chor  und  Einzelgesang.  Auch  seine  getragenen  Chorgebete  wirkten  voll 
nach.  Von  den  Skythenchoren  wieder  ging  Anregung  zur  Schilderung  von  Nationalmusik  aus. 
Die  groBen  Monologe  des  Agamemnon,  der  Klytamnestra,  Charakterschilderungen  voller 
Steigerung,  der  Armida,  des  Orest,  der  Iphigenie  sind  gleichfalls  stehende  Muster  fur  die  dra- 
matische  Komposition  geblieben.  Die  dramatische  Arie  legt  sich  in  der  ,,Iphigenie  in  Auhs" 
besonders  aufs  kleine  Da-capo  fest.  Am  freiesten  sind  die  Formen  in  der  ,,Armida",  die  uber- 
haupt  am  meisten  stilistischen  Entwicklungsstoff  bietet.  Das  Zuriickgehen  auf  ein  Libretto 
Quinaults  war  damals  kein  vereinzelter  Versuch,  er  fiel  aber  eigentlich  aus  Clucks  Programm 
hsraus.  Selbstentlehnungen  sind  in  dieser  Oper  sehr  viele  vorhanden,  die  Ouverture  stammt 
z.  B.  aus  dem  ,,Telemaco",  der  auch  den  Anfang  der  ,,Aulischen  Iphigenie"  versorgt.  Ouverture 
und  erste  Opernszsne  werden  hier  bekanntlich  thematisch  gebunden  (Andante),  wahrend  das 
Allegro  im  Hauptgedanken  auf  spatere  Chorstellen  deutet.  Auch  hier  wieder  hat  die  Sonaten- 
form  eine  deutliche  Durchfuhrung.  Die  Ouverture  der  ,,Taurischen  Iphigenie",  deren  Musik 
im  Kampf  des  4.  Aktes  wiederkehrt,  stammt  aus  einer  franzosischen  Wiener  Operette  (,,L'isle 
de  Merlin"),  schon  Majo  (Mannheim  1764)  und  Jomelli  (Neapel  1771)  haben  in  den  gleich- 
namigen  Opern  die  dreisatzige  Scarlattische  Symphonie  als  Schilderung  von  Seestiirmen  an- 
gelegt:  Sturm,  Ruhe,  Kampf  zwischen  Skythen  und  Griechen  auf  offener  Biihne,  wahrend 
Traettas  ,,Sofonisbe"  (Mannheim  1762)  die  Sinfonia  gleichfalls  in  die  offene  Szene  iiberfuhrt 
(der  3.  Satz  ist  eine  Kampf szene)  und  thematisch  mit  dem  SchluB  der  Oper  verbindet  oder 
Jomelli  im  ,,Fetonte",  1768,  den  Mittelsatz  der  Sinfonia  zu  einer  Chorszene  ausbaut.  1771  hat 
Glucks  Schiller  Salieri  seiner  ,,Arrnida"  eine  voile  Programmouverture  vorangeschickt,  die  er 
selbst  im  Textbuch  eine  Art  Pantomime  nennt,  ohne  Darstellung  natiirlich,  und  in  der  er  die 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert  737 


der  Oper  vorangehende  Handlung  bis  ins  einzelne  zu  malen  sucht.  Glucks  „  Iphigenie  auf 
Tauris"  ist  iibrigens  eine  der  wenigen  Opern,  die  ganz  auf  Erotik  verzichten.  Eine  neue  Be- 
arbeitung  hat  Richard  Straufi  fur  Weimar  1890  unternommen,  wahrend  Richard  Wagner  1845 
die  ,,Iphigenie  in  Aulis"  iiberarbeitet  hat,  wobei  insbesondere  der  Schlufi  eine  neue  Gestalt 
erhielt.  Der  grofie  Unisonochor,  der  eines  der  typisch  Gluckschen  Stilmittel  am  SchluB  des 
Werkes  voll  entfaltet,  war  schon  1775  in  Paris  gefallen.  Eine  Wiederbelebung  der  italienischen 
,,Alceste",  sowie  Auffiihrungen  von  ,, Paris  und  Helena"  und  von  ,,Armida"  gehoren  zur  Ehren- 
pflicht  der  deutschen  Biihnen. 

Glucks  Auftreten  in  Paris  entfachte  heftigen  Widerstand.  Man  versuchte  zunachst  erfolglos, 
ihm  den  Franzosen  E.  J.  Floquet  entgegenzustellen,  sodann  berief  die  italienische  Partei  den 
Neapolitaner  Nicolo  Piccinni  (1728 — 1800)  nach  Paris,  fiir  den  Marmontel  Quinaults 
,,Roland"  —  in  3  Akten  —  einrichtete  (1778).  Die  alte  asthetische  Fehde  urn  den  Wert  der 
italienischen  und  franzosischen  Musik  flammte  wieder  hell  auf,  Piccinm  selbst  aber  bekannte 
sich  in  seinen  Werken  zu  Glucks  Stil.  Er  liefi  bis  1785  mehrere  franzosische  Opern  folgen, 
darunter  Quinaults  ,,Atys",  eine  ,,Iphigenie  enTauride",  1781,  ,,Didone",  1783,  zog  sich  aber 
dann  vom  Theater  und  1791  iiberhaupt  aus  Frankreich  in  seine  Heimat  zuriick.  Seine  Starke 
lag  im  komischen  Fach  und  seine  alteren  Buffoopern  bildeten  auch  in  Paris  den  Mittelpunkt 
der  italienischen  Buffoaufruhrungen  in  der  Musikakademie  1778  und  1779,  die  die  Erstauf- 
fuhrung  von  Glucks  ,,Taurischer  Iphigenie"  umgaben.  In  der  franzosischen  Musiktragodie 
strebte  Piccinni  mit  Szenenfiihrung  und  Chorbehandlung  Gluck  nach,  aber  er  mischte  in 
reicherem  MaBe  grofiere  Arienformen  ein,  wahrend  die  kleineren  Airs  im  ,, Roland"  noch  fast 
ganz  vermieden  und  auch  spater  nur  mit  MaC  eingeschaltet  sind.  Seine  Arien  haben  freie  und 
wechselnde  Formen,  das  kleine  Da-capo,  Reprisenformen,  auch  die  Sonatenform,  sind  beliebt; 
die  erste  Rachearie  Rolands  im  3.  Akt  hat  im  Mittelsatz  der  Sonatenform  Takt  und  Tempo- 
wechsel,  zweiteilig  ist  die  Koloraturarie  der  Medea.  Die  Koloratur  ist  aber  hier  eine  Aus- 
nahmserscheinung.  Das  Rezitativ,  nach  Glucks  Muster  durchwegs  vom  Orchester  gespielt, 
liebt  die  Sekkotechnik  auffallend,  sodafi  Rezitativ  und  Arie  oft  nach  italienischem  Brauch  stark 
getrennt  sind.  Das  Ballett  hat  breiten  Raum,  der  Chor  hingegen  im  ,,Roland"  nur  wenig  Be- 
schaftigung,  eine  starke  Choroper  ist  hingegen  die  ,,Penelope"  (1785).  Die  Ouverttire  des 
,,Roland"  schaltet,  wie  das  Gretry  tut  (,,L'amitie  a  1'epreuve",  1770,  ,,Cephale  et  Procris",  1775) 
zwischen  Hauptsatz  und  Reprise  der  Sonatenform  einen  langsamen  Satz  ein,  die  ,, Pen  elope" 
verfolgt,  wie  die  ,,Aulische  Iphigenie"  oder  wie  spater  Cherubinis  ,,Demophon",  das  alteLul- 
lysche  Schema,  natiirlich  mit  homophonem  Allegro,  die  ,,Didone"  aber  bringt  eine  Scarlattische 
Dreisatzigkeit  mit  sonderbarer  Tonartenfolge  der  3  Satze  (B-Dur,  F-Dur,  F-Dur).  Im  iibrigen 
ist  die  einsatzige  Ouvertiire  bei  den  meisten  Opern  der  Nachfolger  Glucks  die  Regel. 

Der  Einflufi  Glucks  beherrscht  bis  Spontini  die  grofie  franzosische  Oper,  ihre  Vertreter  sind 
nun  mit  wenigen  Ausnahmen  Italiener;  Franzose  ist  J.  B.  Lemoyne,  der  in  Berlin  studiert 
hat(,,Electre",  1782,  ,,Phedre",  1786),  ihmreiht  sich  F.J.Gossec  an,  dessen  ,,Thesee",  1782, 
iiber  das  Textbuch  Quinaults  gesetzt  ist  und  auch  eine  Arie  Lullys  enthalt;  der  Niirnberger 
J.  Chr.  Vogel  (1756—88),  eine  starke  dramatische  Begabung,  sucht  engen  Anschlufi  an  Gluck 
(,,Le  Toison  d  or",  1786,  ,,Demophon",  1789),  die  Ouvertiire  zu  ,,Demophon"  ist  noch  heute 
nicht  ganz  verschollen,  sie  endet,  ahnlich  wie  die  zu  ,,Paride  ed  Elena",  mit  der  Musik  des 
Schlufichors  der  Oper,  wahrend  die  Einleitung,  wie  in  der  ,,Aulischen  Iphigenie",  auch  zu 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


Beginn  des  1.  Aktes  wiederkehrt.  Neapolitaner  ist  noch  Antonio  Sacchini  (1734—86),  der 
von  1781  an  in  Paris  wirkte,  nachdem  er  zuvor  Deutschland  bereist  und  10  Jahre  in  England 
gelebt  hatte.  Er  begann  mit  zwei  Bearbeitungen  alterer  italienischer  Opern  (,,Renaud'\  1783, 
nach  seiner  ,,Armida",  Mailand  1 772,  ,,Chim£ne",  1783,  nach  seinem  ,,Cid",  Rom  1764),  1784 
schrieb  er  seinen  ,,Dardanus",  nach  seinem  Tode  erst  wurde  das  Hauptwerk  ,,0edipe  a  Colone" 
1 787  und  eine  von  Piccinni  beendete  Oper  gegeben.  In  diesen  grofien,  ernst  angelegten  Werken 
sind  Clucks  Ziele  kraftvoll  hochgehalten,  besonders  der  Oedipus  ist  eine  sicher  durchgefiihrte 
Figur.  Die  in  der  ,,Armida"  ausgebildete  thematische  Beziehung  zwischen  Rezitativ  und  Ane 
hat  Sacchini  weiter  verfolgt.  Am  weitesten  geht  aber  der  Venezianer  Antonio  Salieri  (1750 
bis  1825)  mit  dem  Reformator,  ja  iiber  inn  hinaus;  war  er  doch  in  Wien  von  Gafimann  und 
Gluck  selbst  herangebildet  worden  und  iiber  Empfehlung  des  Meisters  nach  Paris  gelangt. 
Schon  in  Wien  hatte  er  in  seiner  ,,Armida"  1771  Clucks  Richtung  angenommen,  in  Paris  ftihrte 
er  sich  mit  den  ,,Danaides"  ein,  die  Gluck  teilweise  mit  seinem  Namen  deckte.  1 786  folgten 
,,Les  Horaces"  und  1787  das  ,,Melodrame"  ,,Tarare",  in  dem  Beaumarchais  seine  Gluck  noch 
uberbietenden  Ideen  von  der  Oper  praktisch  betatigte.  Vollstandige  Unterordnung  der  Musik 
unter  die  Poesie  war  das  Programm,  dem  Salieri  schon  aufierlich  in  der  Partitur  durch  Unter- 
schei'dung  der  langen  Strecken  Sprechgesang  mit  der  Weisung  ,,parle"  und  der  eingestreuten 
kleinen  Arietten  mit  ,,chante"  sich  gefiigig  zeigte.  Arien  und  ausdrucksvolle  Rezitativwen- 
dungen  bezeugen  den  tiichtigen  Musiker,  dessen  reiches  Konnen  die  grofien  Chore  gestaltet. 
Diese  soziale  Oper,  die  die  Gleichberechtigung  aller  Menschen  predigt,  entbehrt  dabei  auch 
nicht  komischer  Partien.  Sowohl  der  phantastische  Prolog,  als  auch  der  1 .  Akt  haben  ein  freies, 
rasch  in  die  Szene  fuhrendes  Orchestervorspiel,  Programm-  und  Szenenmusik.  Das  Werk  er- 
regte  schon  vor  der  Auffiihrung  grofies  Aufsehen,  es  hat  nicht  weniger  als  12  Parodien  ver- 
anlafit  In  diesen  Jahren  debutiert  endlich  auch  Luigi  Cherubini  (1760—1842)  in  der 
Musikakademie  mit  seinem  ,,Demophon",  1788,  der  zweiten  Oper  gleichen  Titels  im  selben 
Jahr.  Florentiner  von  Geburt,  hatte  er  in  Bologna  1778—84  bei  Sarti  studiertund  fur  dessen 
Opern  Sekundarierarien  schreiben  diirfen,  er  versuchte  sich  auch  seit  1779  selbst  in  der 
Opera  seria  und  buffa,  1785  und  1786  in  London.  Nach  Paris  zog  er  1785  und  noch  1788 
brachte  er  in  Turin  eine  italienische  ,,Ifigenia  in  Aulide"  heraus,  deren  Stil  starke  Mischung 
mit  franzosischen  Ziigen  aufweist.  Der  ,,Demophon"  bekundet  trotz  des  geringen  Erfolgs, 
den  er  hatte,  deutlich  die  grofie  Begabung  des  Verfassers,  die  Anlehnung  an  Gluck  ist  offen- 
kundig,  der  Orakelspruch  z.  B.  folgtdem  der  ,,Alceste"  getreu,  das  Rezitativ  unddiegrofien  Chor- 
szenen  weisen  auf  Gluck,  doch  sind  die  Chore  vielstimmig,  das  Ensemble  starker  entwickelt,  mit 
Individualisierung  der  Figuren,  die  Formen  der  Arien  weitgeschwungen,  in  der  Melodik  linden 
sich  neapolitanische  Wendungen.  Die  Ouvertiire  bringt  eine  spater  bei  Cherubini  (,,Elisa'\ 
,,Anacreon")  und  bei  Spohr  iibliche  Manier  auf,  namlich  die  Ubernahme  des  langsamen  Ein- 
leitungssatzes  ins  Allegro.  Trotz  dieser  Talentprobe  war  Cherubini  gezwungen,  sich  der  Dialog- 
oper  zuzuwenden  (Opera  comique),  wahrend  die  grofie  Oper,  ihrer  machtigen  Stiitzen  durch  Tod 
und  Abschied  beraubt,  eine  Zeitlang  ihren  Glanz  vor  den  kleineren  Theatern  nicht  zu  wahren 
wufite.  Franzosische  Bearbeitungen  italienischer  Opern,  wie  Paesiellos  ,,IlreTeodoro"  (1787), 
wurden  aufgegriffen.  Das  Theatre  de  Monsieur  (spater  Theatre  Feydeaux)  fuhrte  1789—92 
italienische  Opern  in  der  Ursprache  auf;  Cherubini  hatte  dabei  eine  leitende  Stellung.  Daneben 
machte  sich  bis  1800  in  Paris  eine  grofie  Vorliebe  for  die  ganz  ernsthafte  Dialogoper  geltend. 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert  739 


Im  Gegensatz  zu  Frankreich  hatte  Glucks  Wirken  far  die  Jtalienische  Oper  fast  gar  keine 
direkte Bedeutung.  Man  ging  daran  ohne Teilnahme  voriiber,  in  derOpera  seria  lebteviel- 
mehr  die  Vorliebe  furs  Konventionelle,  Leichtfafiliche,  rein  Musikalische  damals  neu  auf.  Als 
Jomelli  1769  nach  Neapel  zuriickkehrte,  hatte  er  mit  seinen  letzten  Biihnenwerken  offenkun- 
digen  Mifierfolg.  Der  modische  Geschmack  hielt  sich  an  die  Richtung  Vinci,  Porpora,  mit  der 
fiihrende  Komponisten,  wie  Latilla  und  Lampugnani,  die  Verbindung  hielten,  nur  wurde  in 
Melodik,  Form  und  Klangwirkungen  der  Grundsatz  simjicher  Effekthascherei  breiter  und 
mit  gesteigerten  Mitteln  verfolgt.  Einflufireich  war  dabei  der  Siegeszug  der  Opera  buffa  und 
die  bedeutende  Stellung  einiger  Bahnbrecher  dieser  Gattung,  wie  Galuppi,  Piccinni,  Guglielmi 
u.  a.,  auch  im  ernsten  Fach.  Diese  Einwirkung  aufiert  sich  durch  das  Vordringen  von  En- 
semblesatzen  und  Finalegebilden,  wobei  die  immer  noch  herrschenden  Texte  Metastasios 
ebenso  erweitert  wurden,  wie  sie  in  den  Arien  regelmafiigEingriffe  und  Veranderungen  erfuhren ; 
denn  auch  die  Arienf ormen  nahmen  von  der  Opera  buffa  Einzelheiten  an,  insbesondere  bei  den 
starker  hervortretenden  zweiten  Rollen  (Sekundariern).  Dramatische  Hauptform  bleibt  noch 
eine  Zeitlang  die  Da-capo-Arie,  doch  hat  die  Erweiterung  der  einzelnen  Abschnitte  und  die  Ein- 
fiihrung  gegensatzlicher  Themen  nach  Art  der  Sonatenform  die  Einschrankungen  der  Wieder- 
holung  im  Gefolge,  die  oben  erwahnt  wurden.  Entweder  es  folgt  nach  dem  weiterhin  kurz 
gehaltenen  Mittelsatz  gleich  die  Wiederaufnahme  des  zweiten  Teils  des  Hauptsatzes  (Dal- 
Segno-Arie)  oder  die  Wiederholung  beginnt  wie  der  Hauptsatz  und  springt  dann  in  seinen 
zweiten  Teil  iiber  (verkiirztes  Da-capo).  Die  Ritornelle  sind  gleichfalls  an  Umfang  sehr  an- 
gewachsen,  oft  treten  konzertierende  Instrumente  hervor,  die  sich  dann  mit  mafilosen  Kolora- 
turen  der  Singstimmen  mischen.  Neben  der  Da-capo-Arie  treten  Reprisenf ormen  hervor  (Re 
prise  im  Sinn  der  Sonatenform),  so  die  Sonatenform  selbst,  mit  und  ohne  Mittelteil,  die  Kava- 
tine  und  verschiedene  Mischf ormen,  spater  setzt  sich  das  kleine  Da-capo  (kleines  Rondo)  fest, 
auch  in  seiner  zweisatzigen  Erweiterung  mit  schnellem  zweiten  Satz,  ferner  das  Rondo,  sowie 
zwei-  und  mehrsatzige  Gebilde.  Die  Melodik  halt  far  pathetische  Regungen  starr  an  der 
Akkordthematik,  grofien  Intervallspriingen  und  iiberflutender  Koloratur  fest,  im  Ausdruck 
des  Riihrenden  und  Galanten  gewinnt  sie  eine  eigene  Biegsamkeit  und  weiche  Linie,  die  teil- 
weise  auf  die  Opera  buffa  (Piccinni)  zuriickgeht,  teilweise  nach  Pergolesi  von  Majo  und  Chri 
stian  Bach  ausgebaut  wird.  Hier  spiegelt  sich  die  empfindsame  Zeit  in  Erscheinungen,  deren 
Verklarung  Mozart  bedeutet.  Insbesondere  bei  Johann  Christian  Bach  (1735 — 82),  dem 
jungsten  Sohn  des  Thomaskantors,  der  zuerst  in  Mailand,  seit  1 762  in  London  wirkte,  Jst  der 
melodische  Ausdruck  derart  vertraumt  und  schwarmerisch,  dafi  sich  sein  Stil  dem  jugendlichen 
Mozart  entscheidend  eingepragt  hat.  Am  kraftigsten  dem  Dramatischen  zugewendet  ist  da- 
gegen  in  dieser  sogenannten  neuneapolitanischen  Gruppe  der  Oberitaliener  Giuseppe  Sarti 
(1729—1802),  der  auch  in  Kopenhagen  und  St.  Petersburg  Kapellmeister  war.  Sein  Hauptwerk 
,,Giulio  Sabino"  (Venedig  1 781 ),  das  in  Wien  gestochen  wurde,  ist  reichlich  mit  lebhaftem,  ener- 
gischemOrchesterrezitativdurchsetzt,wahrendesindenAriendasDacapovollstandigaufgibtund 
sie  meist  in  eine  langsame  Einleitung  und  ein  zweiteiliges  Allegro  teilt;  sie  schlagen  kraftigere 
Tone  an,  als  sonst  iiblich  ist.  Sartis  Schaffen  war  fur  Mozarts  ,,Idomeneo"  und  ,,Titus"  von 
Bedeutung,  auch  eine  dramatisch  schwachere  Eigentiimlichkeit,  die  gavottenartige  Rondoarie, 
ist  von  daher  in  den  ,,Titus"  iibergegangen.  Die  oberitalienische  Oper,  insbesondere  die  Ve- 
nezianer,  bedarf  noch  fur  das  ganze  18.  Jahrhundert  einer  naheren  Untersuchung,  die  starken 


740  Die  Oper  im  18  Jahrhundert 


Wechselbeziehungen  mit  Deutschland,  vor  allem  mit  Wien  und  Dresden,  bestehen  wie  im 
17.  Jahrhundert  weiter;  Gafimann  und  Salieri  werden  von  Glucks  Ideen  beriihrt,  die  in  Sa- 
lieris  italienischen  Partituren  schon  an  verschiedenen  eigenhandigen  dramaturgischen  Er- 
orterungen  kenntlich  sind  und  in  der  Wiener  Fassung  seines  ,,Tarare"  als  ,,Axur,  Re  d'Ormo", 
allerdings  mit  Zugestandnissen  an  den  Zeitgeschmack,  anhaltenden  Erfolg  hatten.  Starker 
ausgepragt  ist  der  Ubergang  zur  Romantik  bei  dem  Dresdner  Johann  Gottlieb  Naumann 
(1741—1801),  der  von  Hasse  ausgeht,  1773  mit  Bertatis  ,,Armida"  cine  Wendung  zu  Gluck 
macht,  die  in  den  schwedischen  Opern  ,,Amphion",  1 778,  ,,Cpra",  1 782,  ,,Gustaf  Wasa",  1 786, 
und  dem  danischen  ,,Orpheus",l  786,  zu  selbstandigen  grofien  Versuchen  fiihrt.  Diebesondere 
Bedeutung  dieser  auch  textlich  hochstehenden  Werke  fiir  die  Operngeschichte  hat  kiirzlich 
erst  R.  Englander  eingehend  dargetan.  Sie  liegt  in  der  Verquickung  des  franzosischen  Opern  - 
typus  mit  italienischen  und  deutschen  Ziigen,  in  grofier  Formengestaltung,  starken  Chor- 
wirkungen,  reichem,  frei  abgestuftem  Rezitativ  und  in  der  Ausbildung  der  Technik  des  Er- 
innerungsmotivs,  die  in  ,,Gustaf  Wasa"  systematisch  durchgefiihrt  wird.  In  Kopenhagen  folgt 
L.  A.Kunzen  diesen  Anregungen(,,0beron",  1789).  Die  beiden  Opern  Naumanns  fiir  Berlin 
,,Medea",  1 788,  und  ,,Protesilao" ,  1789, mit Rei char dtgeschrieben,leiten  zum Seriastil Mayrs 
und  Paers  liber.  Ensemble  und  Chor  haben  imposante  Aufgaben,  das  Orchester  stellt  die  Blaser- 
gruppen  stark  hervor,  ist  dabei  von  Haydns  Instrumentalsatz  angeregt,  virtuose  Arienkolosse 
bleiben  am  Ideal  des  Neapolitanertums  haften.  Das  groBe  pantomimische  Ballett  im  3.  Akt  der 
,,Medea"knupft  an  die  alteren  Wiener  und  Stutt garter  Bestrebungen  dieser  Art  an.  Fiir  diespateren 
Dresdner  Opern  (1 78 1  — 1 801 )  mit  Mazzola  ist  schon  die  neuere  Textteilung  in  2  Akte  bezeichnend . 
DieFestoper,,Osiride4M781,behandelt  den  Zauberflotenstoff,  die  Musik  bringt  Freimaurer- 
lieder.  Salt  der  ,,Elisa  *,  1781,  wird  aber  die  eben  imEntstehen  begrif fene  Richtung  der  Opera 
semiseria  dauernd  gepflegt,  die  auf  Verbindung  von  Opera  buffa  und  seria  hinzielt.  Die 
Dresdner  Komponisten  J.  Schuster  und  Fr.  Seydelmann  schliefien  sich  dieser  Mischart  an, 
die  seit  1800  an  Pae'r  den  typischen  Vertreter  in  Dresden  finden  sollte.  Naumanns  Schreib- 
weise  aber  entwickelt  gegen  SchluC  des  Jahrhunderts  immer  entschiedener  Eigentumlich- 
keiten,  die  auf  die  deutsche  romantische  Musik  hinweisen.  Auch  das  Stoffgebiet  einzelner 
Dresdner  Opern  weist  schon  dorthin,  z.  B.  Schusters  ,,Rubezahr'  (,,11  vero  amore")  1789. 

Naumanns  nordische  Opern  gehoren  in  deutscher  Ubersetzung  oder  Neubearbeitung  zu  der 
deutschen  musikdramatischen  Bewegung  ihrer  Zeit,  die  hauptsachlich  in  den  ernsten  deut 
schen  Opern  versuchen  Schweitzers  und  Holzbauers  in  Erscheinung  tritt,  daneben  aber  auch 
dem  ,,musikalischen  Schauspiel"  oder  ,,musikalischen  Drama"  zugute  kommt,  das  ans  Monodram 
(Melodram)  ankniipft  und  die  deutsche  Dichtung  langere  Zeit  in  Atem  hielt.  Die  Bemiihungen 
um  ein  nationales  Musikdrama  waren  iiberhaupt  nach  Gottsched  eine  literarische  Angelegen- 
heit,  wahrend  die  Musiker  dauernd  der  italienischen  Oper  Gefolgschaft  leisteten.  Schon  1749 
schrieb  Scheibe  wohl  einen  Text  ,,Thusnelda",  aber  keine  Musik  dazu,  Klopstock,  Lessing, 
Herder  beschaftigten  sich  mit  dem  Gedanken  der  deutschen  Oper,  der  Maler  Miiller  u.  a. 
versuchten  sich  praktisch,  insbesondere  seit  die  Seylersche  Schauspielergesellschaft  mit  dem 
Melodram  neue  Moglichkeiten  der  Biihnenmusik  eroffnete.  Zu  starken  Ergebnissen  gelangte 
aber  das  Eingreifen  Wielands,  der  sich  mit  Anton  Schweitzer  (1735 — 87)  vereinigte,  dem 
Kapellmeister  der  Seylerschen  Truppe  in  Weimar,  und  nach  Balletten  und  Gelegenheitssing- 
spielen  (,,Aurora")  1773  rasch  zum  grofien  Wurf  des  fiinfaktigen  deutschen  Singspiels  ,,A1~ 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


741 


ceste"  gelangte.  Es  war  ganz  durchgesungen  und  strebte  vollkommene  wechselseitige  Durch- 
dringung  von  Text  und  Musik  —  iiber  Gluck  hinaus  —  an.  Trotz  einer  allzu  lyrischen  An- 
lage  und  Ubertreibungen  des  Ausdrucks,  schon  im  Text,  der  Metastasios  Intriguensystem  ver- 
schmaht,  aber  seine  Arienvergleiche  ubertrumpfen  will,  ist  dieser  Vf  rsuch  zu  einer  deutschen 
Volloper  ein  ganz  bedeutender.  Insbesondere  die  Rezitativbehandlung  spinnt  Keisersche  Faden 
weiter,  das  Orche'sterrezitativ  tritt  stark  in  den  Vordergrund,  die  Deklamation  ist  voll  Gefiihls- 
spannung,  wie  z.  B.  die  von  Mozart  geschatzte  Einleitung  zur  groBen  Ombra-Szene  Ad- 
mets  zeigt. 

Admet.  Str. 

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Die  Vermeidung  von  Kastratengesang  und  Koloratur  weisen  schon  von  der  welschen  Kunst 
ab,  die  aber  in  den  Arien  mit  ihrem  aufierlichen  Pathos  heraustritt.  Doch  sind  sie  formal  voll 
freier  Ziige.  Auch  die  starke  Instrumentation  ist  deutsches  Gut,  die  Ouvertiire  nimmt  die 
franzosische  Form  auf,  die  damals  schon  archaisierend  wirken  mufite.  Der  Chor  hat  eine  grofie 
Opferszene.  Umfangreichere  Choraufgaben  stellt  die  zweite  gemeinsame  Arbeit  der  beiden 
Kiinstler  iiber  einen  englischen  Stoff,  die  dreiaktige  ,,Rosamunde",  die  nach  mannigfachem 


742  &ie  Oper  im  18.  Jahrhundert 


MiBgeschick  erst  1780  in  Mannheim  folgte.  Mozart  tadelt  darin  die  unsangliche  Schreibart 
einzelner  Partien. 

Die  Weimarer  Anfange  hatten  schon  1774  ein  jahes  Ende  gefunden,  auch  in  Mannheim 
war  die  Forderung  der  deutschen  Oper  nur  von  kurzer  Dauer.  Das  Hauptereignis  in 
Mannheim  war  1777  das  dreiaktige  Singspiel  ,,Giinther  von  Schwarzburg"  von  Professor 
Anton  Klein  und  dem  Wiener  Ignaz  Holzbauer  (1711 — 83),  das  aus  der  deutschen  Ge- 
schichte  schopfte  und  das  nationale  Bekenntnis  iibermafiig  betonte.  Trotzdem  ist  der  Text 
mit  seiner  rankevollen  Staatsaktion  nur  ein  AufguB  nach  Metastasio,  die  Charaktere  triefen 
von  Giite  oder  Bosheit,  Asberta  besonders  ist  ein  Theaterbosewicht  von  Vollendung.  Schon 
Mozart  nennt  die  Dichtung  der  zugehorigen  Musik  unwert,  diese  aber  voll  Geist  und  Feuer. 
Die  Flille  bedeutender  begleiteter  Rezitative  mit  ihrer  restlosen  Hingabe  an  den  ausdrucks- 
vollen  Vortrag,  der  Ernst  des  Satzes,  die  voile  poetisierende  Orchestersprache  sind  unverkenn- 
bare  Zeichen  deutscher  Art,  in  die  sich  aber  immer  wieder  Merkmale  des  Stils  der  Opera  seria 
einmengen.  Chor  und  Ensemble  wirken  in  mafiigem  Umfang  mit,  Hauptsache  ist  die  drama- 
tische  Gestaltung  der  Handlung  und  groCer  Soloszenen  mit  Arien,  die  jeder  Schablone  aus- 
weichen  und  von  emer  an  Handel  gemahnenden  ruhigen  Grofie  der  Empfindung  erfullt  sind. 
Von  Holzbauer  gingen  Anregungen  in  die  dramatischen  Arbeiten  der  Folgezeit,  besonders  der 
Danzi  und  Poifil  in  Miinchen,  Mosel  und  Schubert  in  Wien  iiber,  die  in  die  Zeiten  des 
Aufstiegs  der  groBen  deutschen  Oper  weiterleiten. 

Die  ernste  Oper  wurde  aber  in  der  zweiten  Halfte  des  18.  Jahrhunderts  allenthalben  vom 
komischen  Musiktheater  zuriickgedrangt,  das  der  abgebrauchten  Mythologie  das  tagliche 
Leben  erfolgreich  gegeniiberstellte,  die  leichteren,  natiirlicheren  Gattungen  der  Opera  buffa, 
der  Opera  comique,  des  Singspiels  nahmen  seit  etwa  1760  einen  unerhorten  Aufschwung,  ihre 
stets  steigende  Anziehungskraft  bewirkte  eine  ins  Mafilose  gehende  Produktion,  bei  erstaun- 
lichem  Reichtum  gleichzeitiger,  sehr  fruchtbarer  Talente.  In  der  Opera  buffa  waren  es  der 
Venezianer  Baldassare  Galuppi  (1706 — 85),  genannt  il  Buranello,  und  der  obenerwahnte 
Nicolo  Piccinni,  die  an  Hand  der  Texte  Carlo  Goldonis  (1707 — 93)  zwischen  1750  und 
1760  die  Form  neu  festlegten.  Aus  der  friiheren  Zeit  nach  Pergolesi  haben  sich  nur  wenig 
Partituren  erhalten,  von  Rinaldo  da  Capua  aus  Palermo,  einem  der  Wortfiihrer  der  Gattung, 
dem  Liebling  Europas,  der  zwischen  1737  und  1771  hauptsachlich  fur  Rom  arbeitete,  nur  eine 
einzige,  ,,La  Zingara",  und  zwar  in  franzosischer  Fassung  —  darin  die  falschlich  Pergolesi 
zugeschriebene  Kanzonette  ,,Tre  giorni"  — ,  vom  Neapolitaner  Nicolo  Logroscino  (f  1763) 
aber,  einem  Hauptforderer  des  neueren  Buffostils,  ist  in  Miinster  die  kornische  Volloper  ,,11 
Governatore"  (1747)  aufgetaucht,  die  sich  schon  durch  grofien  Formenreichtum,  Einsghran- 
kung  von  Siciliano-  und  Da-capo-Arie  und  besonders  durch  die  Finalebehandlung  in  frei  durch- 
laufenden,  an  Text  und  Situation  angeschlossenen  Satzen  auszeichnet;  der  wichtige  Venezianer 
G.  M.  Buini  (j  1739)  dagegen  kann  iiberhaupt  nur  an  Hand  von  Texten  beurteilt  werden, 
die  besonders  die  Theatersatire  stark  ausgebiidet  zeigen.  Die  Texte  der  Neapler  Volkskomodie 
werden  von  P.  Trinchera  mit  satirischen,  von  Fr.  Cerlone  mit  romantischen  Ziigen  ausgestattet, 
der  romantischen  Richtung  gehoren  auch  G.  B.  Lorenzi,  G.  B.  Casti  und  teilweise  Goldoni 
selbst  an. 

Goldoni  bedeutet  in  der  Buffooper  einen  Wendepunkt,  er  hat  Jhr  den  bleibenden  text- 
lichen  Zuschnittgeliefert  und  die  Volkskunst  zu  veredcln  gcwufit,  ohne  dabei  die  traditionellen 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert  743 


darstellerischen  Aufgaben  fallen  zu  lassen,  hauptsachlich  aber  war  er  von  dem  Bestreben  ge- 
leitet,  die  musikalischen  Riicksichten  frei  zur  Geltung  zu  bringen.  DJalekt  und  Charakter- 
masken  sind  nun  auf  die  Nebenrollen  beschrankt  (Parti  buffe),  denen  ernstere,  sentimentale 
Gestalten,  die  Parti  serie,  gegenliberstehen,  so  daB  das  altvenezianer  Rollensystem,  das  oben 
bei  Scarlatti  gestreift  wurde,  nunmehr  gerade  umgekehrt  ist.  Auf  die  seriosen  Figuren  farbt 
die  Opera  seria  ab,  auch  in  der  Intrigenspinnung,  gelegentlich  sind  sogar  Arien  Metastasios 
zitiert,  sein  Vierzeiler  ist  jedenfalls  die  gegebene  poetische  Form.  Die  Verspottung  der 
Barockoper  liegt  hier  nahe,  sie  dringt  auch  in  den  Aktschliissen  vor,  wo  die  Gegensatze 
zusammenprallen.  Hier  tobt  sich  eine  ungeziigelte  Ausgelassenheit  in  Verkleidungen,  Verwechs- 
lungen,  Streit  und  Priigeleien  toll  aus,  und  zwar  geschieht  dies  am  Ende  des  1 .  und  2.  Aktes, 
wahrend  im  dritten  statt  eines  Finales  zunachst  ein  langeres  Buffoduett  und  ChorabschluB  die 
Regel  ist.  Vieles  bleibt,  oder  wird  bald  in  Anlage,  Figuren,  Situationen  schablonenhaft,  doch 
hat  die  Frische  der  Darstellung,  die  Mannigfaltigkeit  launiger  Einfalle  die  Musiker  immer 
wieder  angezogen.  Gegeniiber  der  gedrangten  Seriaarie  zielt  die  Buffos trophe  auf  breitere 
Textanlage,  die  einzelnen  Verse  sind  dabei  zwanglos  gebunden.  Ist  dort  der  Vergleichsapparat 
Metastasios  aufgegriffen,  so  stellen  sich  hier  andere  Typen  ein,  wie  militarische  Bilder  oder 
solche,  die  auf  Instrumentalscherze  berechnet  sind.  Die  stoffliche  Wendung  zum  Sentimen- 
talen  (biirgerliches  Riihrstiick)  und  zu  den  unteren  sozialen  Schichten  (Standeoper)  lag  im  Sinne 
der  groBen  Geistesstromungen  der  Zeit. 

Die  Musik  der  Opera  buffa,  mit  dem  einzelnen  Stuck  viel  inniger  verwachsen  als  in  der 
seria,  verwendet  ausgiebig  alle  zur  Verfiigung  stehenden  Mittel  und  entwickelt  fur  die  Zwecke 
der  Komik  einen  ausgepragten  Buffostil.  Hier  kommt  die  BaBstimme  zu  neuen  Ehren,  wahrend 
der  ernste  Liebhaber  noch  Kastratenpartie  bleibt ;  die  Parti  serie  halten  auch  an  der  Da-capo-Arie 
mit  groBen  Koloraturen  fest,  wobei  sich  natiirlich  die  Wiederholung  entsprechend  dem  Brauch  in 
der  ernsten  Oper  verhalt.  Auch  das  Akkompagnato,  das  verhaltnismafiig  sparlich  vorkommt,  bleibt 
meist  dem  ernsten  Liebespaar,  Szenen  grofierer  Erregung  oder  Zwecken  der  Travestie  vorbe- 
halten.  Die  Hauptform  der  Buffoarie  ist  aber  zweiteilig,  auch  gern  mit  einem  schnellen  Satz  als 
Anhang  (Stretta),  daneben  treten  in  buntem  Wechsel  andere  zweisatzige  oder  zweimalzweisatzige 
Formen  mit  Kontrastwirkungen,  das  Rondo,  das  Piccinni,  dann  Fischietti,  GaBmann  pflegen, 
Liedformen,  die  Sonatenform  und  freiere  Gebilde.  Schon  seit  Logroscino  sind  Rezitativstellen 
in  der  Arie  zu  verfolgen,  zum  Buffostil  gehort  der  Mangel  geordneter  Melodiebildung,  das 
schnelle  Sprechen  im  Gesang  (Parlando),  gern  auf  einem  Ton  oder  mit  Oktaviiberschlagen, 
starke  Intervallspriinge,  kurzatmige  Orchestergedanken,  die  immer  wieder  auf  fliegen,  Schleifer, 
Walzen,  hiipfende,  kichernde,  lombardische  Rhythmen,  rhythmische  Uberraschungen,  wie 
Drei^,  Fiinftakter,  standige  eigensinnige  Wiederholungen  kurzer  Phrasen  und  Kadenzen.  In 
der  Erfindung  knapper,  drastischer  Buffomotive  liegt  die  besondere  Starke  Galuppis  und 
spater  Paesiellos,  wahrend  Piccinni  in  der  motivischen  Verarbeitung  mit  Paesiello  hervorragt. 
Das  Orchester  hat  dabei  eine  wichtige  Rolle,  bis  gegen  1 760  Jst  es  vorwiegend  Streichorchester, 
spater  werden  die  Blaser  starker  herangezogen,  die  besonders  Paesiello,  aber  auch  die  Wiener 
Gruppe  (Giuseppe  Scarlatti,  Fischietti,  GaBmann)  eingehend  verwerten.  Der  Orchestersatz 
ist  in  Italien  sehr  primitiv,  gern  zweistimmig,  mit  lebhafter,  redseliger  erster  Violine,  die 
Bratsche  fast  stets  vernachlassigt.  Auch  da  hebt  sich  die  Wiener  Oper  mit  gepflegten  Mittel- 
stimmen  vorteilhaft  ab.  Desgleichen  wird  hier  wie  in  Dresden  (Naumann,  Schuster)  die  sorg- 


744  Die  Oper  im  18.  jahrhundert 


faltige  Sekkobehandlung  Galuppis  mit  ihren  belebten  Bafifiguren  nachgeahmt  Wahrend  der 
Chor  meist  nur  der  Abrundung  des  Gesamteindrucks  dient,  hat  die  Freude  am  Ensemble 
(Pezzo  concertato)  reiche  Friichte  getragen.  Im  Innern  des  Aktes  finden  sich  anfangs  Solo- 
ensembles  nur  sparlich,  wahrend  sie  spater,  z.  B.  bei  Guglielmi  und  besonders  in  Wien,  sehr 
beliebt  werden,  sie  sind  teils  lyrisch,  teils  dramatisch,  auch  die  Introduzione  gibt  anfangs  gern 
Stimmungsbilder  in  Da-capo-Form  oder  in  Refraingesangen,  das  Duett  hat  sich  schon  seit  den 
Intermezzozeiten  vom  Da-capo  frei  gemacht  und  dramatische  Gestaltung  gesucht,  das  Finale 
bringt  dann  am  friihesten  grofie  neue  Formen.  Die  altere  arienhafte  Ensemblefiihrung  mit 
Da-capo  (Arienfinale)  macht  der  Teilung  in  einzelne  tonartlich  gebundene  Abschnitte  Platz 
(geteiltes  oder  Kettenfinale),  wobsi  bis  12  Satze  einander  folgen  konnen.  Diese  Art,  der 
fortschreitenden  Handlung  und  dem  Wechsel  der  Situationen  schrittweise  gerecht  zu  werden, 
wurde  seit  1760  allgemein  beliebt,  wobei  wachsendes  Streben  nach  Vereinheitlichung  und 
Steigerung  kenntlich  ist,  das  sich  in  thematischen  Beziehungen  und  Verkniipfungen  der  ein- 
zelnen  Teile  spiegelt.  Solche  Finalereminiszenzen  gibt  es  in  verschiedenen  geistvollen  Kom- 
binationen  bei  Galuppi,  Piccinni,  Paesiello,  Gafimann  u.  a.,  die  stete  Wiederkehr  gleicher  Ge- 
danken  in  einer  Art  freien  Rondos  (mit  Variationen)  wird  Piccinni  gutgeschrieben.  ,,La  buona 
figliuola",  Rom  1760,  teilt  das  erste  Finale  siebenmal  durch  Duettsatze,  dann  viermal  durch 
Quartette  gleichmafiig  ab,  wobei  ganze  Partien  einander  entsprechen  und  Tempo  und  Takt 
mehrmals  wechseln.  Auch  sonst  sucht  Piccinni  motivische  Fiihlung  iiber  ganze  Szenen,  er 
lafit  auch  dieselben  Arien  von  andern  Personen  wiederholen;  an  solchen  witzigen  Form- 
bindungen  ist  die  Gattung  iiberhaupt  reich.  Piccinni,  der  1758 — 75  in  Rom  wirkte,  war  eine 
aufs  Zarte,  Weiche  gerichtete  Natur,  seine  innige  Melodik  hat  starke  Spuren  gezogen.  Ins- 
besondere  sein  gutes  Madchen  war  das  Entziicken  von  ganz  Europa,  es  ist  darin  tatsachlich 
ein  melodischer  Leckerbissen  an  den  andern  gereiht.  Die  Klage  der  Cecchina,  ein  feinstili- 
sierter  Mollsiziliano 


f-r  r  TTT  .      . 

Po  -   ve-ri  -  na,  Po  -  ve  -  ri-na  tutto  il     di       fa-ti-car  deg-gio  co  -  si,      fa-ti-car  degglo  co-si. 

sei  als  Beispiel  angedeutet,  die  prachtige,  lebensvolle  Buffofigur  des  Soldaten  Tagliaferro  war 
benihmt.  Das  Ruhrstuck  hat  Pasquale  Anfossi  (1727—97)  mit  Gliick  weitergepflegt,  Pic- 
cinnis  Schiiler,  der  schliefilich  seinen  Meister  in  der  Gunst  der  Romer  verdrangte.  Zum  vollen 
Glanz  brachten  die  Opera  buffa  Pietro  Guglielmi  (1727—1804),  dessen  Starke  das  Gro- 
teske  war,  der  Sizilianer  Giovanni  Paesiello  (1741 — 1815),  dessen  Opern  reich  an  Cha- 
rakterfigurensind,  und  der  Neapolitaner  DomenicoCi  mar  osa  (1749 — 1801),  der  in  seiner  Zeit 
am  meisten  gefeiert  wurde.  Paesiello  war  1776 — 84  in  Petersburg  angestellt,  wo  ,,11  barbiere 
di  Seviglia"  (nach  Beaumarchais)  entstand,  1787 — 92  war  Cimarosa  dort  sein  Nachrolger,  fur 
Wien  schrieben  Paesiello  ,,11  re  Teodoro"  1784,  Cimarosa  mit  Bertati  1792  seinen  gliick- 
lichsten  Wurf,  ,,11  matrimonio  segreto".  Paesiellos  beriihmtestes  Werk  ist  ,,La  Molinara\ 
Neapel  1788.  Wahrend  in  den  Arien  das  Bestraben  nach  Einfachheit  und  Volkstiimlichkeit 
weitergreift,  werden  die  Ensembles  und  Finales  immer  breiter  und  voller  bedacht.  Dafi  im 


Die  Oper  im  1 8.  Jahrhundert  745 


letzten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts  —  wie  in  der  Opera  comique  und  im  Singspiel  —  die  Ver- 
schmelzung  von  komischer  und  ernster  Oper  Modesache  wird,  wurde  schon  erwahnt. 

Die  italienische  komische  Op-r  entfachte  in  Paris  erne  machtige  gleichgerichtete  Bewegung 
in  der  leichten  Operngattung.  War  in  Italien  die  Musik  die  Seele  der  Gattung,  so  trug  in  der 
alteren  Opera  comique  die  Dichtung  das  Stuck,  denn  die  Musik  bestand  bloB  aus  be- 
kannten  Liedern  und  Gassenhauern,  die  dem  Poeten  den  Rahmen  seiner  Arbeit  aussteckten.  Das 
Verfahren  textlicher  Neubelebung  feststehender  Melodien,  das  ,,Parodieren"  derselben,  war 
in  Frankreich  altiiblich,  darauf  beruhte  der  Reiz  der  beliebten  Vaudevilledichtungen,  auf  dem 
Theater  lafit  sich  die  ,,Comedie  en  chansons'4  bis  1640  zuriick  verfolgen,  der  Kampf  der  Vor- 
stadttheater  um  ihren  Bestand  gegen  die  beiden  groBen  privilegierten  Biihnen  und  die  von  ihnen 
mobilisierte  Polizeigewalt  trieb  die  Vaudevillekomodie  zur  Bltite,  wobei  die  Parodie  grofier 
Opern  aus  der  Musikakademie  erne  hervorragende  Rolle  spielte  und  der  Gattung  den  Namen 
gab.  Le  Sage  war  es,  der  dem  Theatre  de  la  foire  mit  Hilfe  parodierter  ,,Pontneufs"  seit 
1712  liber  gefahrvolle  Lagen  hinweghalf  und  das  System  der  Opera  com ique  scharfsinnig  fest- 
legte.  Es  kam  dabei  zu  Pantomimen,  zu  vollen  Vaudevillespielen,  wo  ununterbrochen  ein  Lied 
das  andere  abloste,  und  spater  zu  gesprochener  Prosaverbindung  der  Lieder,  die  sich  unter 
Piron,  Pannard,  Vade  und  anfangs  auch  unter  Favart  erhielt.  Charles  Favart,  der  das  Genre 
literarisch  veredelte,  schrieb  aber  seit  1744  infolge  einer  Polizeiverordnung  wieder  ganz  in 
Vaudevillen ;  diese  waren  schon  frtiher  mit  Opernmusik  und  gelegentlichen  Originalbeitragen 
durchsetzt  —  so  war  es  Sitte,  dafi  der  Schlufigesang  Originalmusik  brachte,  der  Hauptkom- 
ponist  des  Theatre  de  la  foire  war  Ch.  Gilliers  — ,  nun  schopften  sie  immer  reichlicher  aus 
Ballettarien,  besonders  Rameaus,  dann  aus  der  italienischen  Intermezzokunst.  Im  AnschluC  an 
die  Buffobegeisterung  von  1752,  die  zahlreiche  Ubersetzungen  und  Parodien  zeitigte,  setzen 
selbstandige  franzosische  Nachbildungen  ein,  zunachst  J.  J.Rousseaus',,Le  devin  du  village", 
1752,  von  Favart  in  ,,Bastien  et  Bastienne"  parodiert,  dann  Michel  Blavets  ,,Le  Jaloux  corrige" 
(Colle),  hauptsachlich  mit  italienischen  Arietten  bestritten,  und  A.  d'Auvergnes  ,,Les  Tro- 
queurs"  (Vade)  1753,  alle  drei  mit  gesungenem  Rezitativ.  D'Auvergne  schaltete  zwei  Vaude 
ville  ein  und  auch  Rousseau  liefi  sich  von  Volksmelodien  anregen.  In  diese  Zeit  fallen  noch 
Monsignys  erste  Versuche,  der  ,,Les  aveux  indiscrets",  1754,  mit  Rezitativen  setzte,  diese  aber 
1759  bei  der  Erstauffiihrung  durch  gesprochenen  Dialog  ersetzte.  Auf  diese  franzosischen 
Intermezzi  folgte  eine  mehrjahrige  Pause,  wobei  in  Sedaines  ,,Le  diable  a  quattre"  (1756)  mit 
den  Musikeinlagen  von  Laruette  und  Philidor  Ansatze  in  der  Opera  comique  zu  bemerken 
sind,  das  Vaudeville  zuriickzudrangen. 

In  diesem  Stadium  greiftGluck  in  die  Entwicklung  ein,  der  fern  von  Frankreich,  inWien, 
franzosische  Vaudevillekomodien,  meist  Einakter,  fiir  die  Bediirfnisse  des  Hofes  einrichtet, 
zu  vollen  Vaudevillespielen  ,,Airs  nouveaux4*  schreibt  (,,L'isle  de  Merlin**,  ,,La  fausse  esclave** 
1758,  ,,Cythere  assiegee"  1759 — dieses  Stiick  Favarts  wurde  zuerst  1757  mit  lauter  franzo 
sischen  timbres  gegeben),  oder  zu  Stiicken  mit  gesprochenem  Prosadialog  —  Comedies  meslees 
d'ariettes* —  neue  Arien  hinzufugt,  wobei  wieder  die  Vaudevilles  vorherrschen  (,,L?arbre 
enchante",  ,,Le  Diable  a  quattre* *  1759).  Im  zweiaktigen  ,,L'ivrogne  corrige",  1760,  sind  dann 
die  neuen  Arien  die  Hauptsache,  das  Vaudeville  tritt  stark  zuriick,  der  Dialog  wird  gesprochen, 
und  in  ,,Le  rencontre  imprevue",  1763,liegt  die  Opera  bouffon  ohne  Vaudevillegesang  fertig 
ausgebildet  vor.  Die  dreiaktige  Teilung  ist  hier  etwas  Ungewohnliches. 


746 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


Dieser  Kampf  gegen  das  Vaudeville  beherrscht  auch  die  Pariser  Produktion,  die  wieder 
von  einem  Italiener  gefiihrt  wird,  dem  Neapolitaner  Egidio  R.  Duni  (1709 — 75),  vom 
findigen  Direktor  Monnet  1757  aus  Parma  berufen.  Er  hatte  sich  mit  grofien  Erfolgen 
schon  Pergolesi  gegeniiber  in  der  italienischen  Oper  versucht,  wufite  sich  aber  nun 
dem  franzosischen  Geschmack  rasch  anzupassen.  Es  haben  sich  sogar  Partiturteile  von  ihm 
mit  franzosischem  Rezitativ  erhalten.  1757  leitet  ,,Le  peintre  amoureux"  die  selbstandige 
komische  Oper  mit  gesprochenem  Dialog  ein,  das  Textbuch  Anseaumes  besagt,  dafi  die 
Arietten  iiber  die  Musik  des  italienischen  Intermezzos  ,,11  pittore  innamorato"  von  Duni 
parodiert  sind.  1759  debutieren  Pierre  Al.  Monsigny  (1729 — 1817)  und  Francois  Andre 
Philidor  (1726 — 95),  1768  Gretry.  Duni  lafit  seine  italienische  Schule  gern  durchblicken, 
er  stellt  die  Formenwelt  weitherzig  fest,  fahrt  den  Einzelgesang  vorwiegend  liedformig  in 
Tanzliedern,  Romanzen,  kleinen  Da  capos,  kleinen  Rondos  neben  gro'Beren  Formen,  freien  er- 
zahlenden  Arien,  Bravourarien,  Rondoformen,  regt  Ensemblefmales  an,  wahrt  das  Schlufi- 
vaudeville  am  Werkschlufi,  beginnt  mit  einsatziger  oder  dreisatziger  Sinfonia,  schaltet  pro- 
grammatische  Orchesterstiicke  und  Zwischenaktsmusiken  ein  und  schildert  den  Alltag  mit 
emer  Fiille  von  malerischer  Kleinarbeit,  die  seine  Nachfolger  eifrig  weitergebildet  haben. 
Neben  kleinbiirgerlichen  Komodien  werden  bald,  analog  der  grofien  Oper,  rornantische  Stoffe 
mit  grofiem  Zauberapparat  gewahlt,  wobei  das  Marchen  seine  groBe  Anziehungskraft  entfaltet 
(z.B.  Favarts  ,,La  fee  Urgele",  1765).  Dramatischer  und  derber  packt  Philidor  zu,  dessen  Dar- 
stellung  von  einer  kompakten  Satztechnik  bestimmt  ist.  Das  hat  die  Ausbildung  des  Ensembles 
zur  Folge,  z.  B.  das  Quartett  als  Kanon  in  ,,Bucheron",  1763,  oder  in  ,,Tom  Jones",  1765, 
hier  a  cappella,  in  beiden  Opern  stehen  auch  Septette.  Die  biirgerlichen  Stande,  das  Hand- 
werksleben  liefern  Charaktertypen,  schon  in  ,,Blaise  le  savetier",  1759,  dieNeigung  zur  Kari- 
katur  und  Travestie  ist  stark,  z.  B.  in  ,,Le  sorcier"  (1764)  wird  die  groBe  Oper  parodiert.  Gern 
mischt  Philidor  Akkompagnatos  ein,  sein  Verhaltnis  zur  italienischen  Kunst  zeigt  das  Vor- 
kommen  von  Da-capo  und  Dal  segno  gleich  im  Erstlingswerk.  War  doch  far  d'Auvergne  das 
schwerfallige  Da-capo  noch  Hauptform.  Am  beweglichsten  und  mannigfaltigsten  baut  Mon 
signy  die  komische  Oper  aus,  dessen  Kennzeichen  weiche  melodische  Anmut  und  Schwarmerei 
ist;  so  hat  er  und  sein  Textdichter  Sedaine  am  gliicklichsten  die  Schaferidyllen  in  der  Art 
Favarts  weiterbelebt,  in  denen  die  soziale  Polemik  mit  sentimentaler  Maske  verhiillt  ist  (,,Rose 
et  Colas**,  1764,  ,,Le  Roi  et  le  fermier",  1762),  die  beiden  haben  das  Ruhrstiick  in  die  Mode 
gebracht  (,,Le  deserteur",  1769,  ,,Felix  ou  1'enfant  trouve",  1777)  und  Beitrage  zur  roman- 
tischen  Richtung  geliefert  (,,Aline,  reine  de  Golconde",  1766,  oder  die  Marchenoper  ,,La  belle 
Arsene",  1773).  Auch  Monsigny  liebt  kontrapunktische  Wirkungen  (Fuge  in  ,,Rose"  oder 
,, Deserteur"), 

Rose  et  Colas.  Trio,  Fuga,  Presto 


Mais,  mais     ils     sont    en  -  cour  -  roux :  oui     je       les    crois    en      co  -  le  -  re.   Mon  pe  -  re,  i 
Le  Deserteur.  Trio,  Fuga      Prestissimo 


»= 


pe  -  re     Pier  -  re    le   Roux.  usw.  0  del !  quoi  tu  vas    mou  -  rir.     O    ciel !   quoi  tu    vas  mou  -  rir. 


Die  Oper  im  18.  Jdhrhundert  747 


Tonmalereien,  Programmusik  (Gewitter  in  ,,Roi  et  fermier",  in  ,,La  belle  Arsene"),  die  Pro- 
grammouvertiire  (,,Deserteur",  schon  potpourriartig),  er  fiihrt  auch  das  ,, Vaudeville"  als 
Strophengesang  wieder  in  die  Opera  comique  ein,  aus  der  es  als  Volkslied  immer  energischer 
verbannt  wird. 

1 762  macht  Favart  in  ,,Annette  et  Lubin"  den  letzten  Vorstofi  for  die  Vaudevillekomodie, 
unter  Andre  Ernest  Modeste  Gretry  (1742 — 1813)  ist  das  Vaudeville  endgiiltig 
verabschiedet.  Ein  sehr  beweglicher  Geist,  hat  dieser  in  einer  langen  Reihe  von  Werken  ziel- 
bewufit  die  heitere  und  ernsthaftere  Dialogoper  auf  einer  woblgepflegten  Hohe  erhalten  and 
elastisch  weitergeformt,  wobei  ihn  bis  1778  die  Mitarbeit  Marmontels  unterstutzte.  Epoche- 
machend  war  das  entschiedene  Eintreten  flir  die  Marchen-  und  Zauberoper  in  ,,Zemire  et 
Azor",  1771,  und  der  Ubergang  zur  Rettungsoper  mit  ,,Richard  Coeur  de  lion",  1784,  beides 
Werke,  die  eine  Flut  von  Nachahmungen  zeitigten,  erstere  zum  guten  Teil  in  Deutschland, 
letztere  in  der  sogenannten  ,,Schreckensoper",  die  iiber  Mehul,  Le  Sueur,  Cherubim  zu  Beet 
hoven  fiihrt.  Doch  kommt  der  Belgier,  in  dem  deutsches  Blut  lebte,  nur  zu  Ansatzen  tieferer 
Seelensprache,  die  Eleganz  leichter  Ausdrucksweise  gelingt  ihm  dagegen  vorziiglich.  In  der 
{men,  glanzenden  Technik  des  Ensemblegesangs  mit  ihrer  dramatischen  Schmiegsamkeit  und 
der  vollen  Entfaltung  aller  Mittel  von  Solo-,  Ensemble-  und  Chorstimmen  liegen  seine  beson- 
deren  Verdienste,  aus  denen  die  Spieloper  des  19.  Jahrhunderts  ausgiebig  Nutzen  zog.  Der 
Einzelgesang  erweitert  die  Liedformen,  unter  denen  auch  Strophenlieder  und  Couplets  stehen, 
sowiedie  kleinen  Rondos  mit  ,,Mineur"  oder  ,,Majeur",  gern  urn  reichere  Formen,  zweiteilige 
Arien,  entwickeltere  kleine  Da  capos.  Ballett,  Pantomime,  Situationsmusik  treten  starker  her- 
vor,  die  Musik  umklammert  ganze  Szenenkomplexe,  anfangs  der  80  er  Jahre  wird  der  Dialog 
sogar  eine  Zeitlang  in  einigen  Stiicken  ganz  durchkomponiert.  Gretry  suchte  sich  sogar  mit 
Gluck  zu  messen,  seine  grofien  Opern  gehoren  aber,  wie  die  Philidors,  nicht  zu  seinen  besten 
Werken.  Auch  im  heroischen  Ballett  ist  er  hervorgetreten.  Von  Bedeutung  sind  seine  Be- 
muhungen  urn  die  konsequente  Anwendung  des  Erinnerungsmotivs  in  der  Dialogoper.  Blon- 
dels  Romanze  durchzieht  bekannlich,  auf  der  Solovioline  gespielt,  die  ganze  Oper  ,,Richard 
Lowenherz",  auch  den  Dialog. 

Tendrement 


Die  dramatische  Bedeutung  des  Leitmotivs  wurde  damals  (1785)  von  de  Lacepede  (,,Poetique 
de  la  Musique")  auch  theoretisch  vertreten.  Die  Wiederholung  von  Themen  ist  bei  Gretry 
iiberhaupt  sehr  beliebt.  Aber  auch  Gluck  hat  die  beiden  Iphigenien  durch  einen  Chorsatz 
bedeutungsvoll  gebunden.  Wichtig  ist  ferner  die  Ausbildung  der  Szenenmusik,  in  den  Rettungs- 
opern  vor  allem,  es  sindz.B.  in  ,,RaoulBarbe-Bleu",  1789,  dramatische  Hohepunkte  ganz  von 
pantomimischer  Musik  getragen.  Da8  von  Gretry  auch  die  Programmouverture  weitergepflegt 
wurde,  liegt  auf  der  Hand,  gelegentlich  ist  Programmouverture  und  Szenenmusik  verquickt. 
Neben Gretry  wirken  in  der  komischen  Operu.a.Dezede,  eine  selbstandige Personlichkeit, 
Francois  Josef  Gossec  (1734—1829),  der  komische,  ernste  Opern  und  Ballette  schrieb, 
Nicolaus  d*Alay  rac,  ein  grazioser  Erfinder  von  staunenswerter  Fruchtbarkeit,  und  eine  Reihe 
italienischer  Autoren;  zu  diesen  ist  J.  P.  E.  Martini  nicht  zu  zahlen,  dessen  richtiger  Name 

48    H.  d.  M. 


748 


Die  Oper  im  1 8.  Jahrhundert 


Schwartzendorf  war.  Die  Annaherung  der  Opera  comique  an  die  grofie  Oper  brachte  Etienne 
Nicolas  Mehul  (1763 — 1817)  kraftig  vorwarts,  der  sich  in  seiner  ,,Euphrosyne",  1790,  Gluck 
und  Cherubinis  ,,Demophon"  zu  Mustern  nahm  und  starke  Befahigung  flirs  Leidenschaftliche 
mitbrachte.  Sein  Einakter  ,,Stratonice",  1792,  verzichtet  ganz  auf  das  Komische  und  seither 
bedeutet  die  Bezeichnung  ,,0pera  comique*'  Oper  mit  gesprochenem  Dialog.  In  ,,Melidore 
etPhrosyne",  1795,  wird  dann  auch  das  Melodram  herangezogen.  In  ,,Ariodant",  1798,  fiihren 
von  den  Arien  frei  abbrechende  Orchesteriibergange  in  den  gesprochenen  Dialog.  In  dieser 
Oper  tritt  die  leitmotivische  Technik  voll  ausgebildet  hervor,  sie  wird  als  psycbologische 
Triebkraf t  unter  wechselnder  musikalischer  Einkleidung  gehandhabt,  also  genau  im  Sinne  der 
Verwertung  in  der  deutschen  romantischen  Oper;  das  Rachemotiv  des  getauschten  Lieb- 
habers  Othon 


f     f 


fp 


lauft  in  verschiedener  musikalischer  Bearbeitung  durch  alle  drei  Akte  hindurch.  Catel  und 
Berton  haben  dieses  neue  Stilprinzip  dann  zu  nutzen  versucht.  Das  Hauptstlick  der  Pariser 
Schreckenszeit,  das  spater  Mehul  nochmals  vertonte,  war  1793  die  Rauberoper  ,,La  Caverne" 
(,,Die  Rauberhohle")  von  Jean  Francois  Le  Sueur  (1760 — 1837),  dem  Lehrer  von  Berlioz, 
voll  wilder,  larmender  Ensembles  und  kurzer,  zerrissener  Arien. 

Der  Mittelpunkt  des  neuen,  auf  starke,  restlos  spannende  Wirkungen  ausgehenden  Theater- 
stils  ist  Cherubini,  der  in  der  ,,Lodoi'ska"  schon  1791  die  Dialogoper  zur  grofien  heroischen 
Oper  mit  einer  aus  der  zeitgenossischen  Gegenwart  schopfenden  Handlung  ausbaut.  Weitge- 
spannte  Formen,  kraftige  Akzente,  Vorliebe  fiir  die  Synkope,  reichgewiirzte  Harmonik  und 
Instrumentation,  bescheidene  Chromatik,  kurzgliedrige,  energische  Thematik,  voller  Verzicht 
auf  das  rein  Gesangmafiige,  musikalische  Griindlichkeit  im  Satz,  Belebung  der  Mittelstimmen, 
all  das  kennzeichnet  sein  Schaffen,  das  den  charakteristischen  Ausdruck  in  aliem  und  jedem  vor- 
anstellt.  Von  seinen  Meisteropern  hat  die  eigenartige  ,,Elisa"  in  Text  und  Musik  starke  Be- 
ziehungen  zur  deutschen  romantischen  Oper,  insbesondere  in  den  Partien,  die  reines  Naturge- 
fuhl  ausstromen,  und  zwar  die  erhabene  Stimmung  der  Alpenwelt.  Die  Abendglocke  ertont, 
die  Schalmei  wird  auf  der  Szene  geblasen,  schon  die  Ouvertiire  beginnt  mit  dieser  Musik, 
einer  Art  Kuhreigen,  die  sich  dann,  entsprechend  der  Wendung  in  der  Oper,  zum  plotzlichen 
Unwetter  und  Lawinensturz  jah  verdiistert.  Einen  ahnlichen  direkten  Zusammenhang  mit  den 
Biihnenvorgangen  hat  auch  die  ,,Anacreon** -Ouvertiire  (1803).  In  alien  Opern  sind  machtige 
Ensembles  aufgetiirmt,  besonders  an  den  Aktschliissen.  Als  Mittel  dramatischer  Spannung 
dienen  gern  kleine  Zwischenspiele  far  Blaser  allein,  z.  B. 


1.,  1  Klar. 


1.,  2.  Fag. 
Horn 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


749 


Die  gewaltigste  Schopfung  Cherubinis  ist  seine  von  seltener  diisterer  Grofiartigkeit  erfallte 
,, Medea"  (1797).  Sie  endet  mit  voller  tragischer  Wucht,  wahrend  sonst  die  Gepflogenheit 
eines  guten  Ausgangs  auch  in  der  ,,Schreckensoper"  gewahrt  blieb.  Die  Ouvertiire  ist,  wie  die 
zu  ,,Ali  Baba"  (1833),  einsatzig,  wahrend  sonst  eine  langsame  Einleitung  beginnt.  Vor  dem 
2.  und  3.  Akt  stehen  gleichfalls  Instrumentalvorspiele.  Cherubini  macht  auch  vom  Melodram 
Gebrauch,  reichlicher  noch  in  seiner  berlihmtesten  Oper  ,,Der  Wassertrager"  (,,Les  deux 
journees",  1800).  Hier  sind  auch  friihere  erinnerungsmotivischeBildungen  durch  das  wieder- 
holte  beziehungsvolle  Hervorstellen  der  beiden  Teile  emer  Rornanze  iiberboten. 

Andantino  con  moto 


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yard     er  - 

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blafit  da   - 

fro  id    et     de 
hin    vor  Frost 

—  •-—  r  —  '  

souf  -  fran  -  ce. 
und  Schmer-zen, 

Majeur 


and 


* 


Bon    Fran-?ais,    Dieu     te      re  -  com  -  pen  -  se ! 
Ja      dir     ver  -  gilt  einst  Gott      es      wie -der! 


Das  Mineur  kehrt  im  1 .  Finale,  das  Majeur  im  2.  und  3.  Finale  wieder.  Die  Savoyarden  waren 
damals  beliebte  Biihnenfiguren  (,,Elisa",  d'Alayrac  ,,Les  deux  petits  Savoyardes",  1789).  Fur 
Wien  schrieb  Cherubini  1806  eine  deutsche  Dialogoper  ,,Faniska",  die  sich  stofflich  mit  der 
Lodoiska  beriihrt  (wieder  polnische  Umgebung),  zugleich  auch  mit  Beethovens  ,,Leonore" 
(1805),  deren  Musik  ihre  Spuren  nachgezogen  hat,  z.B.  im  Kanon  des  1 .  Aktes,  in  der  Verwen- 
dung  des  rettenden  Hornrufs  in  der  Ouvertiire  (mit  Trompeten  besetzt).  Auch  Mehuls 
,,Helena"  (1803)  kennt  schon  die  in  der  Rettungsoper  beliebten  Hornrufe  als  Zeichen  der 
Befreiung  in  der  Ouvertiire. 

Die  franzosische  Opera  comique  und  bouffon  hat  wieder  bestimmend  auf  das  deutsche 
Singspiel  eingewirkt,  dessen  Bliitezeit  gegen  Ende  der  60er  Jahre  anhebt.  Nationale  An- 
laufe  treten  schon  friiher  deutlich  in  der  Schulkomodie  heraus,  die  in  Siiddeutschland 
den  Zusammenhang  mit  der  Vergangenheit  standig  wahrte.  In  Sebastian  Sailers  ,,Schopfung" 
(Schussenried  1 743)  ist  die  geistliche  Burleske  aufierordentlich  lebendig,  in  ihren  3  Akten  sind 
zahlreiche  volksmafiige  Lieder  durch  gesprochenen  Versdialog  verbunden,  daneben  werden 
Rezitative  eingestreut  —  sowohl  die  ,,bliizschwabische  spreich",  als  auch  die  Musik  stammen 
von  Sailer  — ,  unter  Johann  Ernst  Eberlins  Salzburger  Schuldramen,  die  bereits  das  Melo 
dram  kennen,  finden  sich  deutsche  Intermezzi  und  mundartliche  Singkomodien  (z.  B.  ,,Konig 
Riepel",  1749,  ,,Die  geadelten  Bauern",  1750),  das  zweiteilige  ,,Zwischenspier  vom  kurierten 
Saufer  Trinkgern  ist  unter  Sekkoverbindung  durchkomponiert,  aus  der  Schweiz  wissen  wir 
von  ahnlichen  Klosterfarsen  Leonti  Meyers  von  Schauensee,  der  spater  (1769)  in  der  deutschen 
,,0pera  buffa"  ,,Hans  Hiittenstock"  Glucks  ,,Ach,  ich  habe  sie  verloren"  mit  einem  ausgelas- 
senen  Text  zitiert  hat  und  so  der  bekannten  Parodie  Traettas  (,,Cavaliere  errante",  1777)zuvor- 
kam.  Von  grofiter  Wichtigkeit  fur  die  Entwicklung  des  Singspiels  war  ferner  die  Wiener 
Stegreifkomodie,  die  der  Musik  in  der  Art  des  Theatre  de  la  foire  seit  den  Tagen  Hans- 
Wursts  besondere  Vorrechte  einraumte.  In  seinen  Haupt-  und  Staatsaktionen  verarbeitete 
48* 


750 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


Stranitzky  andererseits  mit  Vorliebe  groBe  Opern.  Unter  Kurtz-Bernardon  vollzog  sich  dann 
der  Ubertritt  der  Musik  vom  Volkslied  zu  kunstmafiig  ausgearbeiteten  Formen,  die  auf  Josef 
Haydns  Verbindung  mit  der  Bernardoniade  zuruckgehen.  Vom  ,,Neuen  krummen  Teufel" 
(1751)  fehlt  zwar  noch  die  Musik,  dagegen  haben  sich  zwei  Bande  ,,Comedie~Arien"  der  Jahre 
J754 — 58  erhalten,  die  starke  Vorliebe  furs  Ensemble  zeigen  und  es  in  freien  lockeren  Gebilden 
breit  ausfiihren.  In  der  Melodik  sind  sie,  ahnlich  wie  Sailers  oder  Eberlins  Lieder,  deutlich 
lokal  gefarbt,  z.  B. 

Der  aufs  neue  begeisterte  und  belebte  Bernardon,  1754 


:"    f 

Bernardon  als  dummer  Jackerl 

das  Couplet  ist  scharf  umrissen,  travestierende  Absichten  kichern  lustig  hervor,  heftige  Stim- 
mungsumschlage  werden  komischen  Zwecken  dienstbar  gemacht,  wie  in  den  finaleartigen 
Handlungsensembles  oder  auch  im  Theaterlied.  So  ist  eine  ausgelassene  Tanzszene  mit  wech- 
selnden  Nationaltanzen  (,,schwabisch",  ,,hannakisch",  ,,slowakisch",  ,,Walzer")  durch  folgende 
sentimentale  Partie  eingerahmt: 

Der  aufs  neue  begeisterte  und  belebte  Bernardon,  Bernarddn  als  Bruder  des  Democritus 
Adagio 


0    du 


Welt, 


du        nimmst       ja     nicht    in        acht, 


je  -  der      Au-gen    -    blick 


Le  -  ben     kiir  -  zer       macht. 


Haydn  hat  fur  Esterhaza  spater  in  Marionettenopern  Pauersbachs  wohl  an  diese  Karikatur- 
versuche  angekniipft,  in  seinen  Buffaopern  sind  Spuren  davon  erhalten,  wie  in  der  Partie  Pas- 
quales  in  ,, Orlando  Paladino"  (1782).  Haydns  italienische  dramatische  Versuche  im  heitern 
Fach  (1 767 — 82),  auch  seine  beiden  Opere  serie  (,,L'isola  disabitata",  1 779,  und  ,,Armida",  1 784) 
fanden  iibrigens  als  deutsche  Singspiele  in  Ubersetzung  alsbald  Verbreitung  iiber  die  oster- 
reichische  Umgebung  (PreBburg,  Wien,  Graz).  Michael  Haydn  wieder  pflegte  in  den  60  er 
Jahren  das  Singspiel  in  Salzburg  weiter, 

Mit  dem  Abschied  Haydns  (1 759)  und  Bernardons  (1 760)  von  Wien  bricht  die  kunstmafiigere 
Musikbehandlung  der  improvisierten  Komodie  ab,  die  regelmafiigen  Stiicke  Hafners  kehren 
in  den  Liedeinlagen  zur  Parodie  einfacher  Melodien  zuriick,  wie  Proben  aus  ,,Scherz  und 
Ernst  in  Liedern"  (1763,  1764)  dartun.  Von  Hafners  ,,Megara"  (1762)  zweigt  die  bald  iippig 
wuchernde  Zauberposse  ab.  Fiir  die  musikalische  Kunstform  geht  aber  durch  das  Auftreten 


Die  Oper  im  18.  JahrKundert  75] 


Hiller s  das  Ubergewicht  zunachst  auf  Norddeutschland  iiber,  hier  wachst  das  Singspiel  aus 
den  wandernden  Schauspieltruppen  heraus,  die  unter  der  Konkurrenz  der  reisenden  Opern- 
gesellschaften  Mingotti,  Locatelli  u.  a.  schwer  zu  leiden  hatten.  Von  diesen  iibernahmen  sie 
die  Pflege  italienischer  Intermezzi  und  Nachbildungen  solcher,  denen  die  deutschen  Prinzipale 
seit  1 743  mit  Gliick  deutsche  Bearbeitungen  der  englischen  Ballad  opera  Coffeys  ,,Devil  to  pay" 
(1728)  gegeniiberstellten.  Die  Ubersetzung  von  Christian  Felix  WeiBe,  dem  literarischen  Be- 
griinder  des  neueren  Singspiels,  wurde  von  der  Truppe  Kochs  mit  Musik  des  Korrepetitors 
C.  Standfufi  1752  in  Berlin  gegeben  (,,Der  Teufel  ist  los"),  der  zweite  Teil  (,,Der  lustige 
Schuster")  folgte  1759  in  Liibeck.  Die  Begabung  Standfufiens  liegt  in  seiner  derben,  hand- 
festen  Komik,  die  mit  wenigen  Strichen  drastisch  zeichnet. 

Jobsen 
Der  Knie  -  riem     blei  -  bet     mei  -  ner  Treu     die        al  -  ler  -  be  -  ste       Ar  -  ze  -  nei     bei 


ei  -  nem  hals  -  star  -  ri  -  gen 


Nach  dem  Siebenjahrigen  Krieg  baute  WeiBe,  der  1759  und  60  in  Paris  gewesen  war,  mit 
Koch  die  neue  Gattung  nach  Muster  Favarts  eifrig  aus,  der  inzwischen  gestorbene  Standfufi 
wurde  durch  den  grundlich  geschulten  Johann  Adam  Killer  (1728 — 1 804)  ersetzt.  Zu- 
nachst  begann  man  wieder  mit  den  ,,Verwandelten  Weibern*'  (,,Der  Teufel  ist  los")  in  neuer 
Bearbeitung(1766),wobei  einige  Gesange  von  StandfuB  beibehalten  blieben.  Hiller  brachte  als 
ungemein  einschlagende  Einlagen  kleine,  gemiitvolle,  eingangige  Lieder  in  der  Art  der  Berliner 
Liederschule,  aufierdem  eine  deutliche  Neigung  zu  Jtalienischen  Einfliissen  mit,  die  in  der 
,,romantischen  Oper"  ,,Lisuart  und  Dariolette"  (von  Schiebeler,  1766,  iiber  denselben  Stoff 
wie  ,,La  fee  Urgele")  noch  greifbarer  wurden.  Die  Da-capo-Arie,  die  zweiteilige  Buffoarie,  die 
dreisatzige  Sinfonia,  langere  Koloraturen,  melodische  Wendungen  gehoren  zum  italienischen 
Lehngut.  Mit  ,,Lottchen  am  Hofe"  (1767,  nach  Favarts  ..Ninette  a  la  cour)  und  der  ,,Liebe 
auf  dem  Lande"  (1768,  nach  Favarts  ,,Annette  et  Lubin"  und  Anseaumes  ,,La  Clochette") 
drang  der  Anschlufi  ans  franzosische  Vorbild  voll  durch,  wobei  Hiller  das  Da  capo  aufgab  und 
Wortwiederholungen  sowie  Koloraturen  einschrankte.  Den  Hohepunkt  in  seinem  Singspiel- 
schaffen,  das  bis  1782  weiterreicht,  stellt  ,,Die  Jagd"  vor  (1770),  nach  Colle  und  nach  Sedaines 
,,Le  roi  et  le  fermier",  hier  erhebt  er  sich  iiber  seine  sonstige,  etwas  philistrose  Ausdrucksweise 
und  iiber  die  oft  storende  Einmischung  italienischer  Stilmittel  zu  grofierer  Frische  und  Gleich- 
mafiigkeit  der  Faktur.  Das  Hauptgewicht  liegt  wieder  auf  den  volksmafiigen  Liedern,  die  von 
leichten  Strophen-  und  Tanzliedern  —  der  Konig  singt  eine  Pollaka  —  einigemal  zu  weiteren, 
ernsteren  Kunstliedern  iibergehn.  Auch  die  Arien  schliefien  sich  gliicklich  an  den  deutschen 
Liedton  an,  zwei-  und  dreiteilige  Reprisenformen  mit  selbstandigen  Mittelsatzen  und  sorg- 
samen  Variierungen  der  Reprise,  auch  zweisatzige  Gebilde  werden  gebaut,  besondere  Feierlich- 
keit  liegt  iiber  den  beiden  Arien  des  Konigs,  deren  zweite  im  Mittelsatz  der  dreiteiligen  Re- 
prisenform  (Sonatenform)  nach  Muster  der  Arie  Masses  eine  Variation  des  Hauptsatzes  aus- 
breitet. 


752 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


Andante  ma  non  troppo 


Wel  -  che     ko 


nig 


-  li    -    che         Lust, 


1 — (— f — , — -  r 

>ei       -       nen  Thron        auf  Lie     -     be  grunden. 


Mehrere  lockere  Ensembles  beleben  die  Partitur,  ein  Duett  ist  mit  der  folgenden,  vor  offener 
Szene  gespielten  Gewittermusik  motivisch  gebunden,  der  Chor  hat  kleine  Aufgaben,  das  ab~ 
schliefiende  Divertissement  ist  ein  Vaudevillerondo. 

Hillers  Beispiel  fand  reiche  Nachfolge,  die  Operettenfabrikation  ging  bald  in  die  Breite. 
In  Weimar  schrieben  Wolf  und  Schweitzer  —  Goethe  \vurde  bekanntlich  zu  Singspieldich- 
tungen  angeregt  —  ,  in  Dresden  Stegmann,  in  Stuttgart  Dieter  und  Zumsteeg,  in  Offenbach 
Andre,  in  Bonn  Hillers  Schiiler  Neefe.  Neue  Bahnen  wies  Georg  Ben  da  (1722—  95)  in  Gotha, 
der  das  Duodrama  ,,Amdne"  von  Brandes  1775  in  der  Art  des  obligaten  Rezitativs  der  Hasse- 
schule  und  unter  Benutzung  der  Errungenschaften  der  Ballettpantomime  komponierte.  Waren 
schon  friiher  Versuche  im  Melodram  vorangegangen  —  im  deutschen  Schuldrama  war  es  zu 
Haus,  Rousseau  schrieb  1762  seinen  ,,Pygmalion",  um  die  franzosische  Sprache  als  Gesangs- 
text  zu  vermeiden,  die  Musik  setzte  1770  Coignet  dazu,  in  Deutschland  wurde  Rousseaus 
,,Pygmalion"  1772  in  Weimar  mit  Musik  Schweitzers  und  in  Wien  mit  Musik  Aspelmayers 
gegeben  —  ,  so  stellte  Benda  mit  der  ,,Ariadne"  und  im  selben  Jahr  mit  der  ,,Medea"  Cotters 
stark  nachwirkende  Kunstwerke  auf.  Seine  Technik  ist  steter  Wechsel  von  kurzen  gespro- 
chenen  und  kiirzeren  oder  langeren  Musikstellen  wie  im  folgenden  Beispiel: 


Un  poco  grave  e  largo 


Theseus 

Ncx:h  einmal  will 

ich  sie  sehen ;  zum 

letzten  Male! 


nicht,  daB  dies  dein 
Ietzter 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


753 


•  .£ 


*77    l  '  ?*~*  *  «-»—«•  -^*  •  -j               '                                          "  -1       4T1 

-     39      -            '  ~3 

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*               r                                             •*"      <JU   glaubst  dich  noch 

tin                                                                                                                           •                 .                 . 

in   meinen  Armen  — 

RT-17—  J-^  ^  B  S-B  J-^-  j  -j-^- 

—  £    ft-£  -»•  j  ; 

""*""                driickst  mich  noch 
p                      an  deinen  Busen  — 

—  i  =—  i  

^  7-9  —  i  —  j£  ^           J.        r  _  '         /     •         _|                  ...                    J     •- 

---^-^  : 

Gutes,  treues  liebe- 
volles  Geschopf! 


Langer  ausgesponnen  ist  dieser  musikalische  Gedanke  in  der  etwas  zu  vielsagend  ^Ouvertiire" 
genannten  Orchestereinleitung,  er  kehrt  spater  in  der  Szene  der  verlassenen  Ariadne  wieder 
bei  der  Erinnerung  an  die  Flucht  ,,in  die  Wiiste".  Ahnlich  durchziehen  stets  sich  wiederholende 
Wendungen  das  Werk.  Einige  Male  erfolgt  die  Deklamation  auch  ,,unter  der  Musik".  Die 
Tonsprache  hat  Verwandtschaft  mit  Ziigen  bei  Hiller  und  Schweitzer,  die  auf  die  Romantik 
weisen.  Beteiligt  sind  Theseus,  der  durch  ein  dreimaliges  Hornsignal  hinter  der  Biihne  ab~ 
berufen  wird,  Ariadne,  die  erst  nach  seinem  Scheiden  erwacht,  und  die  Stimme  der  Oreade, 
die  ihr  ihr  Schicksal  kiindet. 

Fagott    Solo 


Adagio 


Stimme  der  Oreade : 

Ich    hab*   ihn   im 

Sturme    dir    ent- 

fliehen  sehen  .  .  . 

Ariadne : 
Cotter! 


l±r2~ 


\ 


Mozart  in  der  ,,Zaide"  (1779)  und  Neefe  in  ,,Adelheit  von  Veltheim"  (1781)  iibernahmen  das 
Melodram  ins  Singspiel,  Benda  verfolgte  auch  in  der  Operetta  hohere  Ziele,  er  zog  das  Ak- 
kompagnato  heran  (,,Walder",  1774,  ,,Romeo  und  Julie",  1776),  behandelte  die  Formen  grofi- 
zugigerskettete  ganze  Szenen  aneinander,  griff  Chorwiederholungen  auf,  weitete  die  Reprisen- 


754  Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


formen  und  die  Ensemblesatze.  Die  Ouvertiire  zum  ,,Holzhauer"  (1778,  nach  ,,Le  Bucheron") 
besteht  aus  einem  kurzen  Allegro,  das  spater  in  der  Operetta  vor  dem  Erscheinen  Merkurs 
wiederkehrt,  einem  menuettartigen  Allegro,  das  ein  der  Ouvertiire  folgendes  Lied  der  Wil~ 
helmine  anstimmt,  und  der  Reprise  des  ersten  Allegro,  hat  also  Ahnlichkeit  mit  dem  Bau  der 
Ouvertiire  zur  ,,Entfiihrung"  und  entspricht  sonstigen  Versuchen  in  der  Oper  der  Zeit,  den 
langsameren  Satz  zwischen  die  beiden  Teile  der  Sonatenform  zu  stellen  —  das  tut  auch  Ditters- 
dorf  im  ,,Apotheker  undDoktor",  1786, —  und  thematisch  an  den  Anfang  des  1 .  Aktes  anzu- 
knapfen.  Mit  Benda  arbeitete  Gotter,  der  wie  die  meisten  Singspieldichter  am  Vorbild  Frank- 
reichs  festhielt,  unter  die  Ubersetzer  franzosischer  komischer  Opern  gehoren  auch  Andre  und 
Neefe,  wahrend  Hiller  zu  der  kleineren  Gruppe  mitzahlt,  die  italienische  Buffaopern  dem 
Singspiel  einzuverleiben  suchte  (Eschenburg,  Meifiner,  Bock). 

Die  Anlehnung  an  italienische  Kunst  ist  im  Wiener  Singspiel  besonders  ausgepragt,  das 
mit  der  Begriindung  des  musikalischen,  wieder  an  das  sprechende  gebundenen  Nationaltheaters 
durch  Josef  II. seit  1 778 aufbliihte, aber  als  solches  zunachst  durch  kein  ganzes  Jahrzehnt  bestand. 
Die  Stilmischung,  das  Bestreben,  verschiedene  Gattungen  zu  vereinigen,  tritt  gleich  im  Eroff- 
nungsstiick  (Umlaufs  ,,Die  Bergknappen")  auffallend  hervor,  mit  ziemlicher  Unbekiimmertheit 
sind  Volks couplets,  Kunstlieder,  Koloraturarien,  Buffogebilde  am  Dialog  aufgefadelt,  der  Ton 
wechselt  naiv  zwischen  hoherer  und  niedrigerer  Einstellung.  Der  hohe  und  selbstandige  Stand 
der  Wiener  Opera  buffa  mit  ihrem  starken  heimischen  Einschlag  in  Melodik  und  Instrumental- 
satz  reifit  das  Singspiel  in  der  Folge  immer  mehr  zu  sich,  wahrend  die  Opera  comique  das 
Repertoire  immerhin  stark  besetzt  halt  und  von  friiher  her,  wie  wir  horten,  gut  eingefuhrt  war. 
Insbesondere  Glucks  ,,Rencontre"  ist  gern  (1 776, 1 780 usw.  als  ,,Pilgrimme  von  Mekka")  deutsch 
gespielt  worden  und  hat  auf  Mozarts  ,,Entfiihrung"  (1782)  eingewirkt.  Der  Knabe  Mozart 
brachte  es  aber  schon  1768  mit  ,,Bastien  und  Bastienne"  zu  einem  stilistisch  einheitlichen  Ver- 
such,  der  auch  dem  Hillerschen  Typus  sehr  selbstandig  und  ausgeglichen  gegeniibersteht  — 
der  norddeutsche  Geschmack  wurde  damals  in  Wien  abgelehnt.  Es  haben  sich  iibrigens 
Spuren  einer  spateren  Behandlung  des  Dialogs  als  Sekkorezitativ  erhalten,  die  aber  nur  iiber 
die  erste  Szene  reichen.  In  der  Nationaloper  sperrten  leider  die  kleineren  Talente  einem 
Mozart  den  Weg.  Umlauf  brachte  in  der  ,,Schonen  Schusterin",  1779,  oder  im  ,,Irrlicht", 
1782,  grofiere  Ansatze  zur  komischen  Oper;  er  war  unbestritten  ein  melodisches  Talent 
und  in  alien  Stilarten  erfahren.  GaBmanns  Wiener  italienische  Buffaopern  wie  ,,Die 
Liebe  unter  den  Handwerksleuten"  (1779)  entsprachen  in  deutscher  Einrichtung  ganz 
dem  angestrebten  Nationalsingspiel,  das  denn  auch  von  dem  anpassungsfahigen  Salieri  mit 
dem  ,,Rauchfangkehrer",  1781,  in  vorwiegend  italienischem  Sinn  gehandhabt  und  mit  Wiener 
Liedchen  verbramt  wurde. 

In  dieser Richtung  schlieBt  dasWirken  des  KarlDitters  vonDittersdorf  (1739— 99)  an, 
der  das  Singspiel  zur  komischen  Oper  weiterfiihrte.  In  GroBwardein  und  Johannisberg  an  der 
Opera  buffa  geschult,  legt  er  in  seinen  Meisterwerken  f iir  Wien  (,,Apotheker  und  Doktor  * ,  1 786, 
,,Hieronymus  Knicker*,  1787)  und  fur  Ols  im  Sinne  der  Wiener  Opera  buffa  grofies  Gewicht 
auf  die  Ausgestaltung  beweglicher  Ensemble- und  Finalesatze,  die  er,  ebenso  wie  die  Buffoarie, 
mit  drastischem  Humor  und  glanzendem  Charakterisierungsvermogen  anlegt;  der  Sologesang 
beginnt  zuriickzutreten,  von  schlichten,  volkstiimlichen  Liedern  angefangen  vervyendet  er  Ge- 
sange  in  reicher  Stufenleiter,  iiber  kleine  Rondos,  leichte  Rondoformen,  grofiere  Reprisenarien 


Die  Oper  im  18.  jahrhundert  755 


bis  zu  grofien  Koloraturstiicken,  oft  mit  konzertierender  Begleitung.  Sehr  gern  werden  tra- 
vestierende  Absichten  gepflegt,  die  in  Wien  besonders  gefielen  —  GaBmann  hatte  sich  in 
Calsabigis  ,,L*  opera  seria",  1769,  diesbeziiglich  Ansehnliches  geleistet  — ,  auch  fiir  musikalische 
Witze  war  man  sehr  empfanglich.  Die  Ouvertiire  ist,  wie  bei  Umlauf,  vorwiegend  einsatzig, 
sie  laBt,  wie  iiblich,  gelegentlich  Teile  der  Oper  voraushoren,  in  der  ,,Liebe  im  Narren- 
hause",  1787,  ist  der  Satz  em  Rondo,  das  zur  Sonatenform  in  nahen  Beziehungen  steht. 
Die  Parti  serie  der  Buffaoper  wirken  noch  nach,  urwiichsiger  Humor  und  drastische 
Wirkungen  stehen  aber  im  Vordergrand,  wobei  die  Grenzen  des  feineren  Taktes  gelegent 
lich  iiberschritten  werden.  Handfeste  Zugriffe  kennzeichnen  den  Stil,  wie  z.  B.  das  Ab- 
reiBen  des  melodischen  Fadens  oder  unvermittelteModuIationswirkungen.  Der  Wiener  Volks- 
geschmack  forderte  phantastische  Zutaten,  die  bei  Ulbrich,  Ruprecht,  Umlauf  schon  zu 
absonderlichenAuswiichsengefuhrt  batten,  in  der  ZauberpossebeiWranitzky,WenzelMiiller, 
Ferdinand  Kauer  dann  iippig  in  die  Saatschossen.  DieStandeposseunddasbiirgerlicheFamilien- 
stiick  wurde  daneben  von  Johann  Schenk  (,,Der  Dorfbarbier",  1796)  und  Josef  Weigl 
(,,Die  Schweizerfamilie",  1809)  humor-  und  poesieyoll  weitergepflegt.  Die  ungeheure  Masse 
der  Volksstiicke  und  ,,0peretten",  die  Wien  um  die  Wende  der  Jahrhunderte  zu  einer 
Theaterstadt  von  seltener  Begeisterung  und  Fiille  stempeln,  ist  getragen  und  vergoldet  von 
inniger  Liebe  zur  Musik. 

Von  den  Wiener  Vorstadttheatern  aus  erhob  sich  die  deutsche  Oper  mit  der  ,,Zauberflote"  und 
dem  ,,Fidelio4t  zu  Werken  hochster  kiinstlerischer  Vollendung,  die  in  der  Operngeschichte  eine 
stolze  Sonderstellung  in  der  Auffassung  und  Durchbildung  des  Biihnenstils  einnehmen.  Wolf- 
gangAmadeus  Mozarts  dramatisches  Schaffen  ist  iiberhaupt  von  der  Wiener  Musik-  und 
Theaterkultur  getragen,  wenn  es  auch  seit  den  Wanderjahren  vom  musikalischen  Weltbiirger- 
turn  ausgeht,  dem  der  deutsche  Opernkomponist  der  Zeit  preisgegeben  war.  Die  geschichtliche 
Bedeutung  der  Meisterwerke  liegt  aber  in  der  vollen  Entfaltung  heimischer  Triebkrafte,  einer 
psychologischen  Durchdringimg  des  Opernstils  in  der  Art  Glucks,  nur  von  dem  grundver- 
schiedenen  Standpunkt  einer  aus  dem  vollen  quellenden  Musikernatur  mit  unerschopflicher 
musikalischer  Phantasie  aus,  die  auch  alle  Errungenschaften  des  Wiener  Instrumentalstils  frei 
zu  Gebote  hatte  und  der  Wiener  Volkskunst  mit  dem  Herzen  nahe  stand.  Von  der  durchwegs 
ernsten  Opsr  durch  Glucks  Vortritt  und  durch  aufiere  Umstande  zuriickgedrangt,  entlud  sich 
Mozarts  ungeheure  dramatische  Begabung  in  der  komischen  und  gemischten  Oper  (semiseria), 
sowie  im  Singspiel,  und  zwar  nicht  in  auffallenden  aufieren  Neuerungen  der  Technik,  sondern 
in  einer  unerhorten  Verfeinerung  undBeseelung  der  Charakterschilderung,  sowohl  an  Hand 
der  im  Gesamtwerk  immer  mehr  zuriicktretenden  Arie  als  auch  insbesondere  in  der  auf  voile 
Hohe  geriickten  Kunst  der  Ensemblefiihrung.  Mozarts  Stil  ist  bestimmt  durch  den  voll- 
stromenden  Reichtum  und  die  Kraft  seiner  Melodik,  die  nach  alter  Wiener  Art  in  kunstvollen, 
aber  unendlich  leicht  fliefienden  Satz  gefafit  ist.  Wahrend  die  reife  Dramatik  der  meisten 
fiihrenden  Meister  der  Oper  typische  Alterskunst  ist  (Monteverdi,  Rameau,  Gluck,  Wagner  u. 
v.  a.),  gliiht  hier  verschwenderischer  UberfluB  der  Jugend.  Die  neuere  Forschung  hat  viele  von 
Mozarts  melodischen  Wendungen  in  ahnlichen  oder  gleichen  Umrissen  bei  Vorgangern  belegt. 
J.  Chr.  Bach,  Majo,  Piccinni,  Paesiello,  Anfossi,  GaBmann,  Gretry  liefern  zahlreiche  Parallelen 
melodischer  Art,  doch  ist  das  Ergebnis  dieser  Feststellungen  nur  ein  besseres,  natiirlicheres  Ver- 
standnis  vonEinzelziigen ,  das  zugleich  denBlick  far  die  iiberragendeGesamterscheinung  frei  macht. 


756 


Die  Oper  im  1 8.  Jahrhundert 


Das  Aufsaugen  von  wesensverwandten  Stileigentumlichkeiten  und  bedeutenden  Eindriicken 
kennzeichnet  besonders  die  Jugendwerke,  die  gleicHwohl  an  frappanten  Proben  selbstandiger 
Ausdrucksweise  reich  sind.  So  gleich  die  Versuche  im  Salzburger  Schuldrama  (erster  Teil 
der  ,,Schuldigkeit  des  ersten  Gebots",  1766,  und  ,, Apollo  etHyacinthus",  Nebenhandlung  der 
»,Clementia  Croesi",  1767),  die  dem  eigenartigen  Vorbild  Eberlins  eng  folgen,  und  die  starken 
Talentproben  in  Opera  seria  (,,Mitridate,  Re  di  Ponto",  Mailand  1770  und  ,,Lucio  Silla", 
Mailand  1772),  Gelegenheitsfestspiel  (,,Ascanio  in  Alba",  Serenata,  Mailand  1771,  ,,11  sogno 
di  Scipione",azione  teatrale,  Salzburg  1772,  ,,11  Re  pastore",  Salzburg  1775)  und  Opera  buffa 
(,,La  finta  semplice",  Wien  1768  —  unaufgefiihrt  — ,  ,,La  finta  giardiniera",  Miinchen  1775). 
Die  ,,Schuldigkeit"  kopiert  in  iiberstiegener  Gefiihlssprache,  in  Form  und  Instrumentierung 
(geteilte  Violen,  Posaunenarien)  die  Gepflogenheiten  Eberlins  getreulich,  gelegentlich  greift 
die  Hand  des  Vaters  in  die  Partitur  ein,  doch  gibt  die  Schilderung  des  jiingsten  Gerichts,  das 
u.  a.  im  obligaten  Rezitativ  auf  den  Mittelteil  einer  fruheren  Arie  greift,  Ziige  von  ganz  erstaun- 
licher  dramatischer  Friihreife. 

Allegro  Sir.  con  Sordino 


uO  ....  ,         •                     •  "•"'   :. 

Christgeist 

— 
•^ 
p^ 

T-  i*    -i     *~~E  —  K    hl'tt>  —  ^~^~  ^ 

\          1 

J 

j  Ife    7-  -ft      g      g     ft     rf    ^    _ 

4 

Es  klin-gen    a  -  her    noch 

in  mei-nem  Sinn     die  Wort  :  Er  -  wa-  che  fau  -  ler  Knecht, 

-!*"            '              -                                        ^"*    " 

gv.     P'*~                                                              T^"~ 

-i  —  |  .  1  

0 

u 

IMcd  ' 

Seceo 


du     wirst  von     dei     -    nem 

Trombone 

P 


Le    -     ben__ 


pp  pizz. 


(Die  Posaune  fehlt  in  der  fruheren  Arie) 


r      f      r      r 


Die  Oper  im  18.  JaKrhundert  757 


,,Lucio  Silla"  1st  durch  die  gesteigerte  Akkompagnatotechnik  im  Sinne  Bachs  und  Sartis,  durch 
die  Chorverwendung,  die  den  franzosischen  Neigungen  der  Opera  seria  folgt,  und  dariiber 
hinaus  in  der  ohne  Sekko  durchkomponierten  Graberszene  durch  den  AnschluO  an  Gluck 
ausgezeichnet,  wobei  starke  Tone  tragischer  Leidenschaft  und  damonischer  Gewalten  an- 
klingen.  Auch  die  Festspiele  ziehen  den  Chor  heran,  besonders  der  ,,Ascanio",  wo  einzelne 
Chorsatze  im  Verlauf  der  Handlung  mehrmals  wiederholt  werden.  Ein  Hirtenchor  kehrt  fiinf- 
mal  im  1 .  und  einmal  im  2.  Akt  wieder,  ein  anderer  Chor  im  2.  Akt  dreimal,  der  Chorsatz, 
der  die  dreisatzige  Sinfonia  mit  Tanz  abschliefit  —  auch  das  Andante  wird  getanzt  —  noch 
zweimal,  darunter  am  Schlufi  des  Aktes.  Die  Ouvertiire  der  einaktigen  Kantate  ,,Sogno  di 
Scipione"  geht  in  der  Reprise  des  Allegrosatzes  in  die  Schlummermusik  iiber  —  worauf  die 
Arien  der  Titelfigur  im  Traum  gesungen  werden  — ,  die  zur  Pastorale  Metastasios  ,,Il.Re 
pastore"  ist,  ahnlich  wie  im  Schuldrama,  einsatzig  und  geht  in  die  Szene  iiber.  Die  ,,Finta 
semplice",  eine  bloB  auf  Karikatur  und  Situationskomik  angelegte  Opera  buff  a  Goldonis  und 
Coltellinis,  knlipft  musikalisch  in  Ziigen  feinerer  Komik,  in  der  Ausgestaltung  des  Instrumen- 
talparts,  dem  EinflieBen  der  Wiener  Liedmelodik  und  in  der  durch  BaBgange  belebten  Sekko- 
behandlung  an  Gafimann  an.  Im  obligaten  Rezitativ  kommt  es  zu  langeren  pantomimischen 
Stellen,  das  Ensemble  tritt  auch  zuriick,  nur  die  durch  thematische  Briicken  verbundenen  ge- 
teilten  Finaleteile  sind  reicher  bedacht.  Ein  Einzelfall  bei  Mozart  ist  eine  Arienentlehnung  aus 
der  ,,Schuldigkeit".  Viel  ausgepragtere  Ansatze  zur  Vertiefung  der  Charakterzeichnung  hat 
die  ,,FJnta  giardiniera",  in  der  Calsabigi  und  Coltellini  dem  Riihrstiick  folgen.  Anfossis  Ver- 
tonung  von  1 773  hat  sichtlich  auf  Mozart  eingewirkt,  direkte  Anklange  sind  feststellbar,  auch 
die  Art  der  Verbindung  von  Sinfonia  und  deren  dritten  Satz  vertretender  Introduzione  ist 
Anfossis  Partitur  entnommen.  Ein  starker  Aufwand  hochpathetischer  Ausbriiche  fur  die  Rolle 
der  Sandrina  bringt  ungewohnliche  stilistische  Ungleichheiten  in  das  Werk.  (Die  Rezitative 
zum  1.  Akt  sind  nicht  mehr  vorhanden.)  1779  oder  1780  hat  Mozart  eine  Umarbeitung  der 
Oper  zum  deutschen  Singspiel  unternommen,  der  eine  weitere  Umarbeitung  fur  Frankfurt  1789 
folgte.  Diese  Beschaftigung  mit  der  Partitur  zu  verschiedener  Zeit  hat  ihren  Niederschlag  in 
den  Stilunterschieden  darin  gefunden.  Die  ersten  beiden  Akte  haben  grofie  Finalestrecken, 
wahrend  im  dritten  noch  nach  alterer  Art  ein  ausfuhrliches  Duett  steht. 

In  all  diesen  Werken  steht  die  Arie  ganz  im  Vordergrund,  ihr  Formengehalt  wechselt:  das 
Schuldrama  fiihrt  als  Regel  die  groBe  Da-capo-Arie  mit  zweiteiligem  Hauptsatz  und  vollem 
Da  capo  durch,  auch  in  Duo  und  Terzett,  wahrend  die  zweiteilige  Kavatine,  sowohl  in  zweimal- 
zweisatziger  Gestalt,  wie  als  zweiteilige  Reprisenform,  seltener  danebentritt.  Die  Opera  seria 
und  die  Serenade  niitzen  alsHauptform  die  Dai-segno- Arie,  die  in  der  Wiederholung  auf  den 
zweiten  Teil  des  Hauptsatzes  springt;  dabei  ist  die  Wiederholung  stets  ausgeschrieben,  was 
im  groBen  Da  capo  nur  einmal  vorkommt.  Diese  Dal-segno-Arie,  die  auch  zwei  Gesange  der 
,,Finta  semplice"  ergreift,  regiert  im  ,,Mitridate",  im  Oratorium  ,,Betulia  liberata"  (1771),  im 
,,Sogno"  und  ,,Lucio  Silla",  wobei  die  beiden  letztenOpern  neben  das  Dal  segno  lieber  das 
verkiirzte  (mit  dem  ersten  Teil  des  Hauptsatzes  beginnende  und  dann  in  den  zweiten  Teil 
iibersetzende)  Da  capo  stellen.  Der  ,,Ascanio"  begniigt  sich  mit  zwei  Dai-segno- Arien,  wahrend 
er  der  dreiteiligen  Reprisenform  (Reprise  mit  tonaler  Beantwortung  der  zweiten  Halfte)  den 
Vorzug  gibt,  die  auch  im  ,,Mitridate"  haufig  ist,  in  ,,Lucio  Silla"  nur  zweimal  erscheint,  im 
f,R£  pastore"  dominiert  und  in  der  ,,Finta  giardiniera'*  zahlreiche  Arien  (auch  den  ersten  Satz 


758  Die  Oper  im  18.  JahrKundert 


zweisatziger)  stiitzt.  Seltener  sind  zweiteilige  Arien,  Reprisenformen,  auch  zweimal  zwei- 
satzige,  deren  Hauptgebiet  in  den  beiden  Buffaopern  liegt.  Die  ,,Finta  semplice*'  liebt 
die  Teilung  in  zweimal  zwei  Satze,  einmal  sind  es  auch  zweimal  drei  Satze,  die  ,,Finta 
giardiniera**  hat  diese  Arienart  aufgegeben  zugunsten  freier  Zweisatzigkeit,  wobei  zumeist 
in  einen  kurzen  schnelleren  zweiten  Satz  hineingesteigert  wird.  Der  erste  Satz  verwendet 
zweimal  ein  Rondo,  das  auch  im  ,,Re  pastore*'  durch  zwei  Falle  belegt  ist.  Freiere  Falle 
weisen  die  ,,Finta  semplice**,  der  ,,Ascanio**,  ,,Lucio  Silla**  und  die  ,,Finta  giardiniera** 
vereinzelt  auf. 

Von  den  sieben  Hauptopern  Mozarts  gehoren  zur  ,,0pera  seria*'  der  ,,Idomeneo,  Re  di  Greta** 
(Miinchen  1781)  und  ,,LaClemenza  di  Tito**  (Prag  1791).  Der  ,,Idomeneo'*,  vom  Salzburger 
Hofkaplan  Varesco  nach  der  Oper  Campras  im  Fahrwasser  Metastasios  gedichtet,  ist  Mozarts 
bedeutendster  und  innerlich  gesammeltester  Versuch  in  dieser  damals  schon  absterbenden 
Gattung,  zugleich  iiberhaupt  ein  Marks tein  in  seiner  Entwicklung.  Hochst  bemerkenswert 
sind  die  selbstandigen  Bemiihungen  um  die  textliche  Vorlage,  die  im  Briefwechsel  mit  dem 
Vater  breiten  Raum  einnehmen  und  auf  das  dramatische  Gewissen  des  Meisters  helle  Lichter 
werfen.  Der  musikalische  Stil  hat  Metastasios  Idealschema  schon  durch  die  reiche  Akkom- 
pagnatotechnik  im  Anschlufi  an  Sarti  gesprengt,  die  aber  mit  leuchtenderen  Farben  umgeht 
und  iiberdies  ist  abschnittweise  an  dramatischen  Hohepunkten  die  Behandlung  ganz  nach  Ra- 
meau  und  Gluck  ausgerichtet,  wozu  noch  als  eigenes  Stilmittel  das  Mozartsche  Stimmungs- 
ensemble  hinzutritt,  das,  den  Flufi  der  Handlung  stauend,  eine  kritische  Wendung  seelisch 
voll  ausschopft  (Quartett  des  3.  Aktes).  Eine  ahnliche  poetische und  psychologische  Einstellung 
leuchtet  auch  aus  vielen  Einzelziigen,  leise  zitternden  thematischen  Mahnungen,  die  von  der 
Ouvertiire  aus  durch  das  ganze  Werk  laufen,  deutlichen  motivischen  Bindungen  von  einer  Per 
son  zur  andern,  wie  Idomeneos  Rezitativbeginn  ,,im  Zeitmafi  der  Arie"  Ilias  im  2.  Akt, 
und  in  der  Charakterzeichnung  iiberhaupt,  die  insbesondere  bei  der  mit  besonderer  Liebe  be- 
dachten  Gestalt  der  Ilia  eine  zwingende  Einheitlichkeit  und  Ausdruckskraft  erzielt.  Dazu  steht 
im  scharfen  Gegensatz  der  wilde  Atem  heifier  Leidens chart  in  der  Kontrastfigur  Electra.  Die 
Charaktere  sind  aus  brausender  musikalischer  Fiille  heraus  gestaltet,  auch  Idamante,  der  zwar 
noch  Sopranpartie  ist,  aber  stark  romantische  Tone  anschlagt : 

Streicher  in  SecHzehntefn 


•&- 


r  r 


tuoi        lu    -    mill     leggo        e       vero,     il       leggo       e        ve    -    ro 
den       Au     -    gen      kann       ich's     le    -    sen,    kann       ich*s     le    -    sen 


Idomeneo  ist  als  Seriafigur  etwas  zu  weichlich  gehalten,  auch  in  den  Nebenfiguren  ver- 
schafft  sich  das  System  der  Sekundarier  abschwachend  Geltung.  Die  Form  der  Arien  wechselt 
hauptsachlich  zwischen  zwei-  und  dreiteiligen  Reprisenstiicken.  Mit  der  Arienoper  sind  die 
grofien  freien  Chorszenen  verquickt,  die  sich  an  Glucksche  Typen  anlehnen  (Schiffbruch, 
Opferszene  mit  Orakel,  Auseinanderstieben  des  Chors).  Hier  wird  tiefer  musikalischer  Ernst 
wach,  so  im  geteilten  Chor  des  Seesturms : 


Die  Oper  im  18.  Jahrhunciert 


759 


Coro     Coro  Lontano 


Dieser  Ernst  zeichnet  auch  schon  die  (einsatzige)  Ouvertiire  in  hohem  Mafie  aus.  Das  Orakel,  ein 
Erbgut  Rameaus  und  Glucks,  hat  Mozart  in  drei  Fassungen  iiberliefert;  er  gedachte  iiberhaupt 
die  Oper  fiir  Wien  1781  umzuarbeiten  mit  Idomeneo  als  Bafipartie,  Idamante  als  Tenorrolle, 
dock  scheiterte  das  Projekt.  Bei  einer  Liebhaberauffiihrung  in  Wien  1786  kam  es  dann  zu 
einigen  Anderungen,  Idamante  wurde  von  einem  Tenor  gesungen,  Arbace  gestrichen,  im  3.  Akt 
ein  neues  Duett  eingefiigt.  Von  besonderer  Bedeutung  ist  in  dieser  Oper  die  bliihende  In- 
strumentalbehandlung  mit  der  starken  Vorliebe  fiir  poetische  Blaserwirkungen,  insbesondere 
der  Klarinette.  Auch  die  Ballettmusik  schrieb  Mozart  selbst,  der  1 .  Akt  schlieBt  nach  fran- 
zosischem  Muster  mit  einer  Chorciaconna  (Rondo). 

War  der  ,,Idomeneo"  mit  voller  Begeisterung  geschaffen,  so  ist  der  ,,Titus"  das  in  18  Tagen 
hingeworfene  Gelegenheitswerk  eines  kranken  Mannes  und  voll  von  Zugestandnissen  an  die 
Konvention.  Der  Text  Metastasios  war  vomDresdner  Dichter  Mazzola  eingerichtet,  aus  drei 
Akten  in  zwei  zusammengezogen  und  mit  zahlreichen  Ensemblestiicken  ausgestattetworden;  die 
Besetzung  dieser  Kronungsoper  (Prag  1791)  weist  wieder  zwei  mannliche  Sopranpartien  auf, 
Sextus  wurde  von  einer  Frauenstimme  gesungen,  der  dramatische  Hohepunkt  ist  der  Ausgang 
des  1 .  Aktes,  wo  Terzett,  Soloszene  des  Titus  und  Finale  (Kapitolbrand)  ineinander  iibergehen. 
Hier  gestaltet  Mozart  mit  grofier  Energie  und  ballt  Solisten  und  Chor  machtig  zusammen.  Die 
Arienformen  bevorzugen  das  kleine  Da  capo,  mischen  aber  abwechslungsreich  zwei-  und  drei- 
teilige  Reprisenstiicke  und  Zweisatzigkeit  ein,  wobei  auch  das  grofie  Rondo  vertreten  ist.  Die 
Sekkopartien,  die  in  verschiedenen  Entwiirfen  erhalten  sind,  soil  Siifimayer  geschrieben  haben. 

In  der  komischen  Oper  erhob  sich  Mozart  dagegen  zu  restloser  Vollkommenheit.  Der  echten 
,,Opera  buffa"  iiberlaCt  er  sich  in  ,,Cosi  f  an  tutte"  (Wien  1790)  unbedenklich  mit  genialer 
musikalischerVirtuositat.  FriihereVersuche  (,,L*  oca  del  Cairo*4,  ,,Lo  sposoburlato'*,  1783 — 84) 
waren  unvollendet  geblieben.  Der  ganz  auf  Karikatur  und  marionettenhafte  Konturen 
angelegte  Schwank  Da  Pontes  ist  mit  dem  Zauberstab  beriickenden  Wohllauts  zu  einem 
musikalischen  Kabinettstiick  voll  prickelnden  Humors  und  tiefer  Gefiihlsschwarmerei  ver- 
wandelt.  Das  Ensemble  hat  voiles  Obergewicht  iiber  die  Arie  erlangt  und  zeugt  von  der 
reifen  Kunst  des  Meisters.  Selbst  das  Sekko  ist  mehrstimmig  durchsetzt.  Die  Arien  neigen 
zur  Zweisatzigkeit,  mit  gesteigertem  zweiten  Satz,  die  pathetischen  halten  sich  an  die  zwei- 
teilige  Reprisenform,  auch  mit  Strettaanhang,  einmal  sind  zwei  kleine  Da-capo-Satze  zu- 


760 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


sammengespannt,  wahrend  das  kleine  Da  capo  selbst  nur  zweimal,  darunter  im  Terzett  vor- 
kommt : 


Allegro 


^  sT^  J> 


scherzando 

£      la        fede          delle  fe    -   mi-ne     come 

Gleich     dem     Phonix     aus     A  -  ra  -  bien,        achte 

(Der  Text  ist  ein  Zitat  aus  Metastasio.) 


1'ara      -     ba      fe 
ich     der     Frauen 


nice 
Treue. 


Neben  einem  groBeren  Rondo  stehen  in  zwei  leichten  Arien  rondohafte  (gleich  beglnnende) 
Variationsstrophen.  Die  starre  Wiederkehr  weniger  pragnanter  Wendungen  gibt  dem  So- 
natensatz  der  Ouvertiire  seine  steifbeinige  Bewegung,  wobei  die  Seitengruppe  nach  alterer 
Art  das  Hauptthema  aufgreift  und  die  Durchfiihrung  die  Hauptgedanken  satirisch  von  einer 
Tonart  zur  andern  jagt.  Die  innige  langsame  Einleitung  gipfelt  im  Zitat  der  musikalischen 
Fassung  des  Titels  der  Oper,  wie  sie  gegen  Ende  des  Werkes  vom  Drahtzieher  der  Handlung 
auch  gesungen  wird. 

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Co      - 
So 

si 
sind 

fan           tut       -       -       te! 
sie             al                         le, 

Co      -      si 
so            sind 

fan             tut       -      te. 
sie              al       -        le. 

DaC  Mozart  diese  derbe  Burleske  mit  solcher  Liebe  und  Feinheit  gehegt  hat,  bis  schliefilich 
Scherz  und  Ernst  ineinander  verfliefien,  ist  fur  diesen  liebenswiirdigen  Schelmengeist  unge- 
mein  charakteristisch. 

Ihr  gingen  zeitlich  die  beiden  groBen  Charakterkomodien  voraus,  die  das  Leben  unmittelbar 
und  hochpersonlich  im  Kunstwerk  spiegeln  und  im  Stil  ein  Ineinanderaufgehen  heiteren  und 
ernsten  Wesens  erreichen,  wie  es  noch  nie  versucht  worden  war.  ,,Le  nozze  di  Figaro", 
,,Comedia  per  musica"  (Wien  1 786)  war  schon  durch  die  von  Mozart  ausgehende  Textwahl 
ein  Wagnis,  denn  Beaumarchais'  Lustspiel  (1784)  wurde  —  mit  Ausmerzung  der  politischen 
Satire  und  unter  Kiirzungen  —  von  Lorenzo  da  Ponte  in  einem  vieraktigen  ,,Auszug"  (,,es~ 
tratto")  auf  das  Musiktheater  verpflanzt,  wobei  der  Zusammenhang  mit  Beaumarchais'  ,,Bar- 
bier  von  Sevilla  *  (1775)  durch  Paesiellos  Oper  damals  lebendig  war.  Die  Kunst  lebenswahrer 
Gestaltenschilderung  durch  die  Musik,  die  alle  leisesten  seelischen  Regungen  schwingen  macht, 
erfullt  nicht  nur  die  im  Gesamtwerk  stark  eingeschrankten  Arien,  sondern  vor  allem  die  reichen 
Ensemblestiicke,  die  bei  aller  Vorliebe  fur  symmetrischen,  klaren  Aufbau  in  voller  Freiheit  der 
aufieren  und  inneren  Situation  jedes  einzelnen  gerecht  werden.  Die  leichte  Konversation  und 
das  Ausschopf en  von  Situationskomik  wird  durch  musikalische  Mittel,  Variat Jonskunst,  Themen- 
wiederholung  mit  umdeutendem  Text,  phantasievollste  Orchestersprache  erzielt,  die  lyrischen 
Ruhepunkte  grofier  Stimmvereinigungen  gruppieren  die  Charaktere  plastisch.  Die  Beweglichkeit 
der  Musik  ist  enorm.  In  voller  Spannung  wird  besonders  das  erste  Finale  ausgearbeitet,  das 
bis  heute  den  Hohepunkt  seiner  Gattung  bedeutet.  Die  Figur  der  Grafin  streift  eng  an  das 


Die  Oper  im  18.  JahrHundert  761 


Gebiet  des  Tragischen,  die  des  Grafen  an  das  des  Tragikomischen,  der  Grundton  des  ganzen 
,,tollen  Tags"  ist  aber  buffohaft,  mit  steter  Dampfung  durch  Gefahlsschatten.  Der  Formenztig 
hat  eine  ausnehmende  Mannigfaltigkeit,  bei  strengster  Zusammenfassung  im  einzelnen.  In 
Stimmungsbildern  und  Charakterarien  erscheint  neben  dem  volkstiimlichen  Lied  (Barbchen) 
gern  das  kleine  Da  capo  (Cherubins  Kanzonetten),  in  der  zweiten  Arie  der  Graf  in  ist  es  durch 
einen  zweiten  schnelleren  Satz  erweitert,  Figaros  erste  Kavatine  bringt  es  in  einer  Mischform, 
in  der  ersten  Kavatine  der  Grafin  und  in  Susannas  Gartenarie  sind  frei  durchlaufende  Satze 
gewahlt,  die  grofie  Temperamentsaufierung  des  Grafen  bindet  zwei  Satze,  der  zweite  ist  mit 
freier  Wiederholung  gebaut.  Der  Buffaregion  fallen  freie  Fortfiihrungen  der  Reprisenform  zu, 
die  sich  durch  Refrainwiederholungen,  auch  mit  wechselnder  Tonart  auszeichnen  (Bartolos 
Rachegesang,  Susannas  Ankleidearie).  Die  beiden  Terzette  haben  Reprisenanlage,  wahrend 
die  Duette  gern  Variationsstrophen  oder  rondohafte  Refrainbindungen  bringen.  Der  1 .  Akt 
schliefit  mit  einer  Rondoarie  (Figaro),  wahrend  Figaros  letzte  Arie  in  zwei  Teilen  und  Wieder 
holung  des  zweiten  Teils  fliefit.  In  der  Ouvertiire  wird  die  einsatzige  Form  auch  fur  die  Opera 
buff  a  gewonnen,  doch  plante  Mozart  urspriinglich  einen  langsamen  Mittelsatz  nach  der  Ex 
position.  1789  wurden  zwei  Arien  far  Susanna  und  die  Grafin  nachkomponiert.  Es  ist  fur 
weitere  Kreise  immer  noch  nicht  selbstverstandlich,  dafi  Mozarts  italienische  Opern  mit  Sekko- 
rezitativen  komponiert  sind. 

Viel  entschiedener  geht  das  ,,Dramma  giocoso per musica"  ,,Don  Giovanni*'  (Prag  1 787) 
an  die  Losung  der  Aufgabe,  eine  hohere  Verquickung  von  Freude  und  Ernst  in  Shakespeari- 
scher  Art  zu  finden.  Hier  tritt  die  mystische  Wucht  damonischer  Tragik  unter  die  bunte 
Wirklichkeit  menschlicher  Dinge,  die  in  voller  Sinnlichkeit  aufgerollt  ist.  Der  Meister  scharfer 
Gegensatze  mifit  nun  Diesseits  und  Jenseits  des  menschlichen  Lebens  aneinander  und  packt 
sein  Problem  sogleich  in  der  Ouvertiire.  Die  textliche  Grundlage  wird  von  Da  Ponte  in  der 
Zurichtung  eines  Einakters  von  Bertati  gereicht,  an  der  Mozart,  wie  stets  bei  seinen  Texten, 
mitgewirkt  haben  wird.  Die  Hauptsache  bei  der  Erweiterung  auf  zwei  Akte  war  die  Vertiefung 
der  Partie  Donna  Annas  und  die  ausfahrlichere  Beteiligung  der  Donna  Elvira  auf  Kosten  eines 
weiteren  Opfers  des  Titelhelden,  das  gestrichen  wurde.  Die  Hauptfigur  ist  alles  beherrschend 
in  das  Stuck  gestellt,  was  durch  die  musikalische  Ausarbeitung  die  machtigsten  Wirkungen  er- 
zwingt.  Es  ist  wieder  bei  Verbindung  verschiedener,  auseinanderliegender  stilistischer  An- 
regungen  die  voile  Einheitlichkeit  des  Gusses  erreicht,  Einfliisse  von  Opera  buffa  und  seria,  von 
Gluck,  Handel,  Gretry ,  Gazzaniga  verlieren  sich  in  der  Kraft  des  personlichen  Gestaltens .  Die  Be- 
handlung  des  Stiickes  als  eines  musikalischen  Ganzen  ist  fiir  den  reifen  Mozart  seit  ,,Idomeneo" 
Selbstverstandlichkeit,  abermals  tritt  Ensemble  und  Arie  gleichwertig  nebeneinander,  das  Or- 
chesterrezitativ,  das  Mozart  uberhaupt  sparsam  pflegt,  gewinnt  erhohte  Bedeutung:  die  Formen 
neigen  zu  einer  sichtlichen  Bevorzugung  des  Da  capos,  das  ofters  sehr  frei  gehandhabt  ist,  Mit 
stark  erweiternden  Anhangen  scheint  es  zunachst  dem  Paar  Donna  Anna,  Don  Ottavio  vor- 
behalten  (zweites  Allegro  im  Racheduett,  Rachearie  Annas,  beide  Arien  Ottavios,  auch  die  1 788 
fiir  Wien  komponierte,  mit  schnellerem  zweiten  Satz  verbunden  im  ,,Rondo"  Annas  des  2.  Aktes), 
aber  auch  in  der  Buffosphare  der  Oper  ist  es  verwurzelt  (Zerlinens  beide  Arien,  die  erste  mit 
zweitem  [i~]  Satz,  die  zweite  mit  manchen  Freiheiten,  Masettos  Arie  in  erweiterter  Liedform, 
Don  Juans  Buffoarie  als  Leporello,  der  erste  Satz  des  Verfuhrungsduettinos  in  Liedform). 
Da-capo-Fiihrungen  sind  ferner  im  Ensemble  zu  finden,  das  Standchenterzett  mit  Elvira  ist  ein 


762 


Die  Oper  im  18.  JahrKundert 


Da  capo,  wobei  der  Hauptteil  sogleich  auf  der  Dominanttonart  wiederholt  ist,  das  Sextett  ist 
im  Allegro  molto  aufs  Da  capo  angelegt.  Sonst  lehnt  sich  das  Ensemble  lieber  an  Reprisen- 
formen  an.  Zweisatzige  Gebilde  wurden  erwahnt,  einen  selteneren  Fall  bietet  die  Regis ter- 
arie,  die  vom  Allegro  ins  Andante  iibergeht.  Rondoartig,  mit  Da-capo-Stellen  gemischt,  ist  die 
sehr  freiziigig  gebaute  Champagnerarie,  ein  grofies  Rondo  die  1 788  tor  Wien  nachkomponierte 
Elviraarie.  Sehr  merkwiirdig  lafit  sich  Elvirens  Warnung  an  Zerline  archaisierend  mit  Basso 
ostinato-Spuren  in  Variationsstrophen  an.  Auch  das  folgende  Quartett  ist  durch  das  stete 
Festhalten  an  einer  Refrainfigur  scharf  gekennzeichnet. 


h 


te 
und 


vuol      tra  -    dir       an  -    cor 
er        ver  -  fiihrt    auch   dich 


Sie  ertont  anfangs  zehnmal,  am  SchluB  siebenmal  hintereinander. 

Im  ersten  Finale  bringt  Mozart  drei  Orchester  auf  die  Biihne,  die  gleichzeitig  spielen, 


3.  Orchester  (Walzer) 


2.  Orchester  (Kontertanz) 


D 


Orchester  (Menuett) 


H=fi 


Bf-g— li 


r  r  r 


r 


im  zweiten  Finale  zitiert  er  bei  der  Tafelmusik  zwei  Modeopern  (Martins  ,,Una  cosa  rara" 
und  Sartis  ,,Fra  due  litiganti").  sowie  Figaros  Hochzeit.  Das  Maskenterzett  im  ersten  Finale 
und  das  Andante  beim  Tod  des  Komturs  am  Schlufi  der  gewaltigen  ,,Introduzione**  —  sie 
geht  von  Gazzanigas  Vorbild  aus  —  seien  als  Beispiele  von  Mozartschen  Stimmungsensembles 
genannt.  Im  letztgenannten  Terzett  greift  Don  Giovanni  eine  friihere  Gesangswendung  der 
Donna  Anna  auf,  eine  unter  andern  dramatischen  Bindungen  der  Oper  durch  Themenbeziebung. 
Fur  den  steinernen  Ritter  liefert  Gluck — schon  in  seinem  Ballett  —  die  Grundlage  der  Stilmittel , 
den  Ausdruck  des  Unheimlichen,  Damonischen  steigert  Mozart  aus  Eigenem  gewaltig,  hierher 
gehort  auch  der  plotzliche,  unvermittelte  Umschlag  des  Schlusses  — schon  im  rapiden  Wechsel 
des  Tongeschlechts  —  in  den  Alltag,  der  das  Spukhafte  der  Geisterszene  verstarkt. 

Ein  Lieblingsgedanke  Mozarts  war  der  Ausbau  des  deutschen  Singspiels.  Bereits  1779  hatte 
er  in  Salzburg  diesbeziiglich  auf  eigene  Faust  einen  Versuch  mit  der  ,,Zaide"  unternommen, 
der  aber  unvollendet  blieb;  an  der  Aufnahme  des  Melodrams  ist  die  Nachwirkung  Bendas 
kenntlich,  einzelne  Stiicke  bekunden  in  der  Femfiihligkeit  des  Ausdrucks  einen  durctaus 
deutschen  Stil,  z.  B. 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


763 


Tempo  in  minuetto  grazioso  (Schlufi) 
Zaide 


TiTTr 

Str.  con  sord. 


Ru       -       he  sanft,      mein  hoi       -       des       Le    -    ben,  schla 

da,  mein  Bild          will  ich  dir         ge     -    ben,  schau, 


fe, 


^Tr :g5id±8  =1 


bis  dein     Gliick         er    -     wacht 


-TT- 

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lacht.          usw. 

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~J  :  

Durch  den  Stof  f  ist  dieses  Fragment  andie,,EntfiihrungausdemSerair  gebunden,  die 
im  Rahmen  des  Wiener  Nationalsingspiels  1782  folgte.  Bretzners  Singspieltext  wurde  von  Ste 
phanie  dem  Jiingern  fiir  Wien  zugeschnitten,  wobei  sich  Mozart  vergeblich  bemiihte,  die  drei 
Akte  in  zwei  zusammenzufassen ;  dagegen  setzte  er  das  Quartett  am  zweiten  Aktschlufi  durch, 
das  wie  das  Quartett  der  ,,Zaide"  Stimmungsausldang  ist.  In  der  Art  des  Wiener  Singspiels 
sind  die  musikalischen  Mittel  iiberhaupt  sehr  reich,  die  stilistischen  Bestandteile  dem  ganzen 
weiten  Umkreis  des  Wiener  Musiktheaters  entnommen,  dabei  ist  ihre  Vereinigung  nicht  immer 
durchaus  ausgeglichen.  Die  beiden  Bravourarien  Konstanzes,  Jnsbesondere  die  mit  dem  Quar- 
tettconcertino,  fallen  aus  dem  Rahmen  der  iibrigen  herzenswarmen  Gefiihlssprache  heraus,  die 
vor  allem  Belmontes  Gesange  adeln.  Mit  schlagender  Urspriinglichkeit  ist  die  komische  Pracht- 
figur  Osmins  aufgerichtet,  dessen  iibermiitige  Charakterzeichnung  reichlich  das  Riistzeug  der 
Opera  buffa  und  comique  verwertet.  Die  geplante  musikalische  Ausftihrung  der  Partie  Bassa 
49  H.  d.  M. 


764  £^e  Oper  im  18.  Jahrhundert 


Selims  ist  unterblieben,  sodaB  dieser  nur  Sprechrolle  ist.  Die  Ouvertiire  fiihrt  poetisch  in  die 
Marchenwelt  der  Oper  ein  und  hat  nach  Glucks  Muster  durch  ,,turldsche  Musik"  eine  ent- 
sprechende  Lokalfarbung  erhalten,  ein  freier  dichterischer  Zug  ist  das  Anklingen  der  Eingangsarie 
Belmontes  an  Stelle  der  Durchfiihrung  in  der  Sonatenform,  aber  nach  Moll  gewendet.  Am  Werk- 
schluB  steht  in  der  Art  des  Wiener  Singspiels  ein  „ Vaudeville* '-Rundgesang.  Die  ernsten  Arien 
haben  zumeist  Reprisenform  (Sonatenform),  wobei  Konstanzes  Konzertane  den  Anfang  der 
Reprise  durch  einen  spater  wiederholten  neuen  Abschnitt  in  gesteigertem  Tempo  ersetzt. 
Eine  andere  hat  langsame  Einleitung.  Belmonte  singt  anfangs  zwei  kunstvolle  Liedformen, 
im  2.  Akt  eine  zweisatzige  Arie,  deren  Anfangsadagio  als  Rondo  angelegt  war,  aber  von  Mo 
zart  selbst  gekiirzt  wurde.  Dasselbe  geschah  mit  Blondchens  Lied  zu  Anfang  des  2.  Aktes, 
wahrend  ihr  spater  noch  ein  Rondo  zugeteilt  ist.  Die  letzte  Arie  ist  gleichfalls  ein  Rondo, 
wahrend  die  Buffostiicke  Osmins  und  Pedrillos  sonst  zweiteilige  Reprisenform  beanspruchen. 
Doch  hat  Osmins  F-Dur-Arie  einen  schnelleren  Anhangssatz  —  mit  tiirkischer  Musik  —  in 
a-Moll.  Strophenlieder  sind  Osmins  Siziliano  mit  den  prachtigen  Variationen  und  Pedrillos 
Romanze.  —  Fur  das  Nationalsingspiel  schrieb  Mozart  noch  1785  den  ,,Schauspieldirektor" , 
eine  der  vielen  Farsen  aus  dem  —  itahemsch  orientierten  —  Theaterleben. 

Die  ,,Z  a  u  b  e  r  f  1 6 1  e"  (Wien  1 791 )  war  von  dem  seit  1 789  in  Wien  wirkenden  Theaterdirektor 
Schikaneder  urspriinglich  als  bloBe  Zauberoper  in  einer  Reihe  ahnlicner  Stiicke  geplant,  wie  sie  an 
seinem  Theater  im  Freihaus  und  auf  Marinellis  Leopoldstadter  Biihne  groBe  Anziehungskraft  aus- 
iibten  und  die  Maschinenkomodien  der  Stegreifzeit  f ortsetzten .  Mozart  sollte  Wenzel  Miiller  aus- 
stechen.  Schikaneders  Textbuch  fufite  auf  einem  Marchen  Wielands  und  auf  gleichartigen  Wiener 
Stiicken,  besonders  Giesekes  Bearbeitung  von  Wielands  ,,0beron"  (mit  Wranitzkys  Musik 
1790  gegeben).  Text  und  Musik  waren  bis  an  das  erste  Finale  fertig  gediehen,  als  der  Ge- 
samtplan  der  ,,Zauberflote"  von  Grund  auf  geandert  wurde  und  —  wohl  auf  Mozarts  Ver- 
anlassung  —  durch  Unterordnung  unter  die  sittlichen  Ideale  freimaurerischer  Menschlichkeits- 
gedanken  ein  rehgioses  Geprage  erhielt.  Quellen  dieser  Anderung  waren  besonders  Terassons 
Sethosroman  und  Geblers  Drama  ,,Thamos,  Konig  von  Egypten",  zu  dem  Mozart  1773  und 
1779  programmatische  Zwischenaktsmusiken,  grofie  Chore  und  ein  Melodram  geschrieben 
hatte.  Der  ,,Bruch**  im  Text  der  ,,Zauberflote4*  wurde  nicht  spurlos  geschlossen.  Man  hat 
auch  Schikaneder  als  Autor  des  Librettos  angezweifelt,  doch  ist  der  Nachweis  Giesekes  als  des 
Verfassers  —  er  war  spater  in  Dublin  Professor  der  Mineralogie  —  nicht  einwandfrei  gegliickt. 
Die  Handlung  ist  jedenfalls  von  lebendigstem  dramatischen  FluB  erfiillt,  der  Mozarts  Genius 
in  vollig  neue  kiinstlerische  Regionen  trug.  Die  Verquickung  von  naivem  Volksstiick,  phan- 
tastischem  Marchenspiel  und  feierlicher  Verkundigung  natiirlich-sittlicher  Weltanschauung 
hat  eine  iiberraschend  neue  Musik  gezeitigt,  die  eine  ganze  Fiille  verschiedener  Stilarten  auf- 
bietet  und  im  Dienste  des  Dramas  organisch  zusammenschweiBt.  Der  reiche  musikalische 
Apparat  verarbeitet  Bestandteile  ungleicher  Herkunft,  vom  einfachen  volkstiimlichen  Lied, 
das  den  Lokalton  iiber  Dittersdorf  hinaus  genial  verwertet,  und  von  der  standigen  Fiihlung 
mit  der  Volksmusik  und  Wiener  Eigenheiten,  iiber  Ziige  aus  der  Opera  buffa  bis  zu  grofien 
Koloraturarien,  gewaltigen  Chorszenen  Gluckschen  Geistes  und  strengen  kontrapunktischen 
Satzkiinsten.  Dabei  ist  durch  die  absichtliche  Wiederkehr  melodischer,  rhythmischer  und 
harmonischer  Eigentiimlichkeiten  eine  durchgehende  Zusammengehorigkeit  bewirkt,  wie  schon 
der  maurerischen  Dreiersymbolik  stete  eigenartige  Gruppierungen  und  Wechselbeziehungen 


Die  Oper  im  18.  JaKrKundert 


765 


Abb.  77.  W.A.Mozart:  Szenenbild  zur  ,,Zauberf!ote",  aus  der  Zeit  der  AuffiiHrung  im  Wiener  Freihaus- 
theater.  Kolorierte  Radierung  im  Besitz  des  HistoriscKen  Museums  der  Stadt  Wien. 

entspringen.  Das  Ensemble  hat  wieder  eine  ganz  hervorragende  Stellung,  der  Einzelgesang 
ist  eingeschrankt,  seine  Formen  sagen  der  italienischen  Formenwelt  ganz  auf  und  haben  freien, 
meist  liedmaBigen  Bau,  Introduktion  und  beide  Finale  verlaufen  in  weit  ausgedehnten  Mafien 
mit  leichtgefiigten,  abwechslungsvollen  Teilen.  Ihre  Dramatik  entwickelt  neue  Erscheinungen 
von  besonderer  Bedeutung,  vor  allem  die  Rezitativbehandlung  der  Sprecherszene  weist  neue 
Wege,  der  figurierte  Choral  ,,Ach  Gott  vom  Himmel  sieh  darein"  der  beiden  Geharnischten 
ruft  far  die  hochste  Spannung  der  Handlung  ganz  ungewohnliche  Krafte  heran,  deren  gebundener 
Stil  als  Sinnbild  der  leitenden  Grundidee  auch  der  Ouvertiire  seinen  Stempel  aufdriickt.  Zu- 
gleich  ist  am  Eingang  der  Probeszene  ein  thematischer  Wegweiser  auf  den  Schlufichor  —  aber 
in  Moll  —  aufgerichtet.  Von  der  polyphonen  Ouvertiire  an  "durchzieht  dieOper  jene  durch- 
sichtige  Anmut  und  Frische  des  Stils,  die  ihren  Marchencharakter  in  duftige  Poesie  fafit,  durch 
planvolle  Tonartenbeziehung  ist  sinnige  Ordnung  in  die  bunten,  mannigfachen  Bilder  gebracht, 
deren  Situationen  und  Charaktere  sich  scharf  voneinander  abheben.  Aufierlich  beschreibende 
Musik  ist  weitgehend  vermieden,  hingegen  hat  die  Verdichtung  des  Gefuhlsausdrucks  un- 
geheure  Kraft  gewonnen.  Der  deutschen  Opernkunst  war  die  Bahn  gebrochen.  Die  Roman- 
tiker  traten  Mozarts  Erbe  an. 

Schikaneder  pflegte  nach  dem  Riesenerfolg  der  ,,ZauberfIote"  ahnliche  der  grofien  Oper 
genaherte  Zauberspiele  weiter,  mit  Peter  v.  Winter  schrieb  er  1 792  ,,Das  Labyrinth"  als 


49* 


766  Die  Oper  im  18.  Jahrhundert 


zweiten  Tell  der  ,,Zauberflote" ;  SiiBmayers  ,,Der  Spiegel  aus  Arkadien"  (1794),  ,,Babylons 
Pyramiden"  von  Mederitsch  und  Winter  (1795)  u.  a.  m  folgten.  1801  suchte  er  for  den 
„ Alexander  *  Beethoven  zu  gewinnen,  doch  setzte  schlieBlich  Teyber  die  Oper,  mit  der  das  neue 
Haus  auf  derWieden  eroffnet  wurde.  Beethoven  begann  aber  mit  der  Vertonung  von  Schika- 
neders  ,,Vestas  Feuer",  wie  ein  erhaltenes  Terzett  bezeugt,  er  iiberliefi  das  Buch  dann  Josef 
Weigl  (Auf  fanning  1 805).  Im  Theater  auf  der  Wieden  kam  aber  1 805  Beethovens,,Leonore** 
zur  Auffahrung,  die  an  das  blirgerliche  Singspiel  ankniipft  und  es  der  grofien  Oper  im  An- 
schlufi  an  die  franzosische  Opernrichtung  der  Revolutionszeit  nahe  bringt.  ,,Leonore"  war 
damals  schon  die  vierte  Oper  iiber  den  Stoff ,  den  Bouilly  nach  einem  Erlebnis  der  Schreckens- 
zeit  auf  das  Theater  gebracht  hatte.  Seine  ,,Leonore  ou  1'amour  conjugal**  wurde  mit  Musik 
von  P.  Gaveaux  1798  am  Theatre  Feydeaux  gegeben,  1804  war  in  Dresden  eine  italienische  Be- 
arbeitung  mit  Musik  von  F.  Paer,  1805  in  Padua  eine  Oper  S.  Mayrs  gefolgt.  Letztere  ist 
einaktig,  verwendet  neue  Namen  und  weicht  vom  Original  ab,  wahrend  die  Libretti  Paers  und 
Beethovens  sich  an  Bouilly  anschlieBen.  Nun  teilt  Sonnleithner  die  Handlung  in  3  Akte  ab, 
um  die  Fiihlung  mit  dem  Wiener  Singspiel  zu  wahren  und  in  diesem  Sinne  das  Familienleben, 
sowie  die  Standesschilderung  hervortreten  zu  lassen.  Beethoven  kannte  Gaveauxs  und  Paers 
Partituren,  es  bestehen  Ahnlichkeiten  melodischer  und  formaler  Art,  so  ist  Rokkos  Goldarie 
und  die  Gefangenenszene  von  Gaveaux  beriihrt,  das  Anfangs  duett  hat  Ziige  von  Paer,  der 
Rachechor  hinter  der  Biihne  zu  Beginn  des  zweiten  Finales,  der  schon  bei  Gaveaux  vorkommt, 
ist  eine  Modeerscheinung  der  zeitgenossischen,  franzosischen  und  italienischen  Oper,  das 
Rettungssignal  far  die  Schreckensoper  typisch.  Stark  macht  sich  Cherubinis  Einflufi  geltend, 
der  inshesondere  far  Pizarros  damonische  Leidenschaftlichkeit  mafigebend  geworden  Jst, 
wahrend  Gaveaux  diesen  nur  sprechen,  nicht  singen  lafit;  dem  dramatisch  so  bedeutsamen 
Quartett  im  Kerker  entspricht  im  franzosischen  Original  eine  gesprochene  Szene.  Beethovens 
Werk  hatte  einen  Mifierfolg,  es  wurde  1806  mit  Kiirzungen  und  zweiaktig  wiedergegeben, 
abermals  ohne  Beifall  zu  finden.  Erst  die  Umarbeitung  von  1814  mit  Treitschke  setzte  sich 
durch.  Der  Auffahrungstitel  war  schon  1805  gegen  Beethovens  Willen  ,,Fidelio",  die  Unter- 
schiede  zwischen  der  ersten  und  dritten  Fassung  bestehen  im  Zuriickdrangen  der  singspielhaften 
Partien,  also  im  Wegfall  eines  Terzetts  zwischen  Marzelline,  Jaquino,  Rocco  und  eines  Duetts 
zwischen  Marzelline  und  Leonore  (mit  VI.  und  Vc.-Solo),  am  Eingang  der  Oper  wurden  die 
ersten  beiden  Nummern  umgestellt,  femer  ist  das  Rezitativ  der  Leonore,  der  zweite  Teil 
der  Arie  Florestans,  der  Schlufi  des  ersten  Finales  und  der  Anfang  des  zweiten  Finales  neu 
gesetzt  und  manches  umgearbeitet.  Ob  das  Melodram  1814  neu  geschrieben  wurde,  wie 
aus  der  Anspielung  auf  den  neuen  Arienteil  Florestans  zu  schlieCen  ware,  ist  nicht  ent- 
schieden.  In  der  ersten  Fassung  schlieBt  Florestans  Arie  mit  einer  romantisch  weichen 
F-Moll-Klage: 

Andante  un  poco  agitato 


Die  Oper  im  18.  Jahrhundert  J67 


1805  leitete  die  Leonorenouvertiire  Nr.  2  ein,  1806  die  Leonorenouvertiire  Nr.  3,  1814  wurde 
die  E-Dur-Ouvertiire  geschrieben.  Die  Arie  der  Marzellme  ist  in  drei  verschiedenen  Kom- 
positionen  (Fassungen)  erhalten.  Die  Verbindung  von  Singspielstil  und  hohem  tragischen 
Pathos  kennzeichnet  die  Zugehorigkeit  des  ,,Fidelio"  zur  Wiener  deutschen  Oper,  die  diistere 
Stimmung  des  Kerkeraktes  weist  in  die  romantische  Oper  voraus.  Trotz  grofier  biihnentech- 
nischer  Vorziige  und  plastischer  musikalischer  Sprechbehandlung  des  letzten  ,,Fidelio"  hat 
dieser  durch  die  zeitlichen  Unterschiede  stilistische  Ungleichheiten  aufzuweisen,  Jnsbesondere 
steht  das  grofie  Rezitativ  und  die  Arie  Fidelios  in  fremder  Umgebung.  Die  urspriingliche  ge- 
dampftere  Charakterisierung  schlagt  nun  in  eine  heroische  Extase  um.  Echt  Beethovensch  ist 
die  ungeheure  Steigerung  der  Leidenschaften,  die  unerhorte;  Vertiefung  der  Empfindungen. 
In  der  Apotheose  einer  sittlichen  Grundidee  (Gattenliebe)  nimmt  er  das  Wiener  Vermacht- 
nis  Glucks  und  Mozarts  auf. 

Literatur 

Abert,  H.,  Niccolo  Jcmelli  als  Opernkomponist.  Halle  1908 ;  Piccinni  als  Buffokomponist  J.  P.,  1913; 
J.  Chr.  Bachs  italienische  Opern.  Z.  f.  M.  I;  W.  A.  Mozart.  2  Bde.  Leipzig  1919,  1921  ;  Paesiellos  Buffokunst. 
A.  f.  M.  I ;  Wort  und  Ton  in  der  Musik  des  18.  Jh.  A.  f.  M.  V.  —  d'Arienzo,  N.,  Dell'  opera  comica  dalle  ori- 
eini  a  Pergolesi,  Napoli  1 887,  deutsch  von  F.  Lugscheider.  Leipzig  1 902.  (Musikalische  Studien  X.)  —  B  a  c  h  e  r ,  O., 
Die  Geschichte  der  Frankfurter  Cper  im  18.  Jahrhundert.  Frankfurt  1926.  —  Bruckner,  F.,  G.  Benda  und  das 
deutsche  Singspiel.  S.  I.  M.  G.  V.  —  B  ii  c  ken  ,  E.,  Der  heroische  Stil  in  der  Oper.  Leipzig  1927.  —  Calmus,  G., 
Die  ersten  deutschen  Singspiele  von  StandfuG  und  Hiller.  Leipzig  1908.  (Beihefte  der  I.  M.  G.  II.  Folge,  6.)  — 
Cametti,  A.,  Saggio  cronologico  delle  opere  teatrali  di  N.  Piccinni.  Riv.  mus.  VIII.  —  Dent,  E.,  A.  Scarlatti. 
London  1906. ;  Ensembles  and  Finales  in  18th.  c.  ital.  operas.  S.  I.  M.  G.  XI,  XII ;  G.  M.  Buini.  S.  I.  M.  G.  XIII ; 
Mozarts  operas.  London  1913,  deutsch  Berlin  1922.  —  Dietz,  M.,  Geschichte  des  musikalischen  Dramas  in  Frank- 
reich  (1787—1795).  Wien  1885,  —  Donath  G.,  (mit  R.  Haas),  Gaflmann  als  dramatischer  Komponist. 
St.  MW.  II.  —  Englander,  R.,  G.  Naumann.  Leipzig  1922;  Dom.  Fischietti  als  Buffokomponist  in  Dresden. 
Z.  f.  M.  II;  Dresden  und  die  deutsche  Oper  im  letzten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts.  Z.  f.  M.  Ill;  Die  Oper 
Josef  Schusters.  Z.  f.  M.X.  —  Florimo,  Fr.,La  scuola  musicale  di  Napoli.  Napoli  1 880  —  1 884.  2.  Auf  L  4  Bde. — 
Gerbqr  L.,  Der  Opernty  pus  Masses.  Leipzig  1925. —  Goldschmidt,  H.,  Geschichte  derMusikasthetik  im  18.  Jahr 
hundert.  Zurich  u.  Leipzig  1915.  —  Haas,  R.,  Zum  Wiener  Singspiel.  D.  T.  0.  18;  Beitrage  zur  Geschichte  der 
Oper  in  Prag  und  Dresden.  Neues  Archiv  f.  sachs.  Gesch.  XXXVI. ;  J.  E.  Eberlins  Schuldramen. 
St.  Mw.  VIII;  Die  Wiener  Ballettpantornime.  St.  Mw.  X;  Durazzo  und  Gluck  im  Burgtheater.  Wien  1924;  Die 
Musik  im  Wiener  Stegreifspiel  Bernardons.  St.  Mw.  XIII;  Villeneuves  Brief  tiber  den  Mechanismus  der  it.  Oper 
Z.  f.  M.  VII;  Die  Wiener  Ballettkomodie  um  den  Prometheus.  Beeth.  Jb.  II;  Der  Kanon  im  Fidelio.  Kongrefi- 
bericht  Wien  1927;  2  Arien  aus  Glucks  Poro.  Mozart  Jb.  III.  —  Heufi,  A.,  Das  damonische  Element  in  Mozarts 
Werken.  Z.  I.  M.  G.  VII;  Gluck  als  Musikdramatiker.  Z.  I.  M.  XV.  —  Hohenemser,  R.,  L.  Cherubini.  Leip 
zig  1913.  —  Istel,  E.,  Die  Entstehung  des  deutschen  Melodrams.  Berlin  1906.  —  Kretzschmar,  H.,  Aus 
Deutschlands  ital.  Zeit.  J.  P.  1901 ;  Zum  Verstandnis  Glucks.  J.  P.  1903;  Mozart  in  der  Geschichte  der  Oper.  J.  P. 
1905;  Zwei  Opern  Logroscinos.  J.  P.  1908.  (Alles  in  den  gesammelten  Aufatzen  Bd.  II.)  —  Kurth,  E.,  Die  Jugend- 
opern  Glucks  bis  ,,0rfeo'*.  St.  MW.  I.  —  Lorenz,  A.,  Al.  Scarlattis  Jugendopern.  Augsburg  1927.  — 
Maurer,  J.,  A.  Schweitzer  als  dramatischer  Komponist.  Leipzig  1912  (Beihefte  I.  M.  G.  II.  Folge,  11). — 
Mayer-  Reinach,  A.,  H.  Graun.  S.  I.  M.  G.  I.  —  Mennicke,  C,  J.  A.  Hasse.  S.  I.  M.  G.  V.;  Hasse  und  di 


Die  Wiener  klassiscKe  Schule 


Briider  Graun  als  Symphoniker.  Leipzig  1906.  —  Miiller.  E.t  A.  u.  P.  Mingotti.  Dresden  1917.  —  Piovano, 
P.,  Bald.  Galuppi.  Riv.  mus.  XIII,  XIV.  —  Radiciotti,  G.f  G.  B.  Pergolesi.  Rom  1910.  —  Riedinger,  L., 
C  v.  Dittersdorf  als  Opernkomponist.  St.  MW.  II.  —  Schering,  A.,  2  Singspiele  des  Sperontes.  Z.  f .  M. 
VII.  —  Scherillo,  M.,  Storia  letteraria  dell'  opera  buffa  napolitana.  Napoli  1883.  —  Schieder mair,  L.,  Mozart. 
Miinchen  1922;  Ober  Beethovens  Leonore.  Z.  I.  M.  G.  VII.  —  Schletterer,  H.  M.,  Das  deutsche  Singspiel. 
Augsburg  1863.  -  Spitta,  Ph.,  Rinaldo  di  Capua.  V.  f.  M.  1887.  —  Strobel,  H.,  Die  Opern  v.  Mehul. 
Z.f.  M.  VI.  —  Vetter,  W.,  Clucks  Stellung  zur  tragedie  lyrique  und  opera  comique.  Z.  f.  M.  VII;  Gluck 
id  seine  it.  Zeitgenossen.  Z.  f.  M.  VII;  G.  C.  Wagenseil  als  Vorlaufer  Glucks.  Z.  f.  M.  VIII. 


un< 


Neuere  Ausgaben 

AnnaAmalia  von  Sachsen-Weimar,  Emin  und  Omire  (Goethe)  1 776.  Kl.  A.  (Friedlander).  Leipzig  1921.  — 
Beethoven,  Leonore.  Oper  in  drei  Akten.  Kl.-A.  (Prieger).  Leipzig"  1907.  —  Benda,  Ariadne  auf  Naxos. 
(Einstein.)  Kl.-A.  Miinchen  1920.  —  Deller,  Ausgewahlte  Ballette  Stuttgarter  Meister  (Abert).  D.  D.  T.  II. 
Folge  XLIII,  XLIV.  —  Eberlin,  Beispiele  aus  Schuldramen  (Haas).  D.  T.  0.  XXVIII. -- Gafimann,  La 
Contessina  (Haas).  D.T.  0.  XXI.  —  Gluck,  LeNozze  d'Ercole  e  df  Ebe  (Abert).  D.  D.  T.  II.  Folge XIV/2.  — 
Orfeo  (Abert).  D.T.  0.  XXL  —  Don  Juan  (Haas).  D.T.  0.  XXX.  —  Graun,  Montezuma  (Mayer-Reinach). 
D.  D.  T.  XV.  —  G  re"  try,  Gesamtausgabe.  44  Bde.  —  Holzbauer,  Gunther  von  Schwarzburg  (Kretzschmar). 
D.  D.  T.  VIII,  IX.  —  JomelLi,  Fetonte  (Abert).  D.  D.  T.  XXXII,  XXXIII.  —  Mozart,  Gesamtausgabe, 
Serie  5  (Opern)  — Pergolesi,  La  serva  padrona  Kl.-A.  (Abert).  Munchen  1911.— Part.  (Geiringer)  Wien  1925.— 
Livietta  e  Tracollo.  Kl.-A.  (Radiciotti).  Florenz  1914.  —  Sailer,  Creatio  mundi  (Lach).  Wien  1917.  —  Scarlatti, 
Rosaura.  Eitners  Publikationen  XIV.  —  Schenk,  Dorfbarbier.  D.T.  0.  XXXIV.  (Haas).  —  Traetta,  Aus 
gewahlte  Werke  (Goldschmidt).  D.  D.  T.  II.  Folge  XIV/1,  XVII.  —  Umlauf,  Die  Bergknappen.  D.  T.  0. 
XVIII.  (Haas).  —  Chefs  d'ceuvrede  1'opera  francais  (Collection  Michaelis).  Kl.-A.  von  Gre*trys  La  Caravane 
du  Caire,  Cephale  et  Procris  —  Le  Sueurs  Ossian  —  Philidors  Ernelinde  —  Piccinnis  Didon,  Roland  — 
Sacchinis  Cid,  Renaud  —  Salieris  Danaides,  Tarare.  —  Opernbibliothek(B.  Senff,  jetzt  Universal  Edition), 
Kl.-A.  von  CKerubinis  Der  portugiesische  Gasthof .  Wassertrager. — Cimarosas  Die  heimliche Ehe.  —  D'Alayracs 
Die  beiden  Savoyarden.  —  Dittersdorfs  Doktor  und  Apotheker,  Hieronymus  Knicker.  —  Glucks  Der  be- 
trogene  Kadi.  —  Gretrys  Die  beiden  Geizigen,  Richard  Lowenherz.  —  Hillers  Die  Jagd.  —  Monsignys  Der 
Deserteur.  —  Mozarts  Bastien,  Die  Gartnerin  aus  Liebe.  — W.  Miillers  Die  Schwestern  von  Prag.  —  Paesiellos 
Die  schone  Mullerin.  —  Pergolesis  Magd  als  Herrin.  —  Schenks  Dorfbarbier.  —  Weigls  Schweizerfamilie. 
—  Winters  Das  unterbrochene  Opferfest.—  Deutsche  Komodienarien  1754 — 1758.  D.T.  0.  XXXIII. 
(Haas).  —  Wiener  Komodienlieder  aus  3  Jahrhunderten  (Glossy-Haas),  Wien  1 924. 

Robert  Haas 

DIE  WIENER  KLASSISCHE  SCHULE 

Die  Wiener  klassische  Schule  ist  von  alien  Kulturnationen  in  den  ganzen  musikalischen  Welt 
als  Inbegriff  tonkiinstlerischer  Vollendung  anerkannt;  von  englischen  Forschern  wifd  sie  als 
9,the  classical  school  par  excellence'  und  als  ,,die  reichste  Schule  der  Welt"  bezeichnet.  Ihre 
Wirkung  erstreckt  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  und  wird,  solange  unser  Tonsystem  ver- 
standlich  ist,  diese  ihre  Allgemeingeltung  behaupten.  Die  Griinde  liegen  in  ihrer  Entstehung, 
Entfaltung,  ihrem  Aufbau,  ihrer  Kraft,  ihrer  edlen  Einfalt  und  beredten  Grofie  (wahrend 
Winkelmann  bei  der  antiken  Klassik  von  ,,edler  Einfalt  und  stiller  Grofie"  spricht),  der  Kon- 
gruenz  von  Form  und  Inhalt,  ihrer  Wahrheit  und  Ausdruckstiefe,  vornehmen,  fast  schlichten 
Haltung,  ihrer  Sattigung  an  Schonheit  und  Vollkommenheit,  ihrer  Zuganglichkeit  fur  ,,Lieb- 
haber",  ihrer  Befriedigung  der  ,,Kenner",  ihrer  unvergleichlichen  Mischung  von  tiefem  Ernst 
mit  Heiterkeit  und  Frohsinn,  ihrer  vollendeten  Verbindung  von  Tragik  und  Komik,  ihrer  Er- 
hebung  zum  befreienden  gottlichen  Humor,  der  auf  tiefer  sittlicher  Lebenserfassung  beruht, 
ihrer  Macht,  die  Gemtiter  aus  der  Sorge  und  Miihsal  des  Lebens  zu  befreien,  die  tiefste  Weis- 
heit  in  iiberzeugender  Art  zu  verkiinden,  weltliche  und  geistliche  Strebungen  in  Ausgleich  zu 
bringen  und  zu  edelster  Religion  im  Sinne  Friedrich  Schillers  zu  verklaren. 


Die  Wiener  klassische  Schule  769 


Ihre  Wurzeln  reichen  in  das  ganze  europaische  Musikgebiet,  von  Norden  bis  Siiden,  von 
Osten  bis  Westen.  Ihr  Kern  liegt  in  der  engeren  Heimat,  in  dem  Osterreich,  das  schon  im 
Mittelalter,  zur  Zeit  der  Minnesanger,  die  Pflegestatte  edler  Kunst  war  und  durch  die  Jahr- 
hunderte  blieb.  In  der  Grundbevolkerung,  wie  wohl  nicht  unbestritten  angenommen  wird, 
deutsch,  hat  der  physische  und  psychische  Austausch  mit  den  Randnationen,  den  Tschechen, 
Ungarn,  Slowenen  und  die  alte  Kulturneigung  zu  den  Italienern  Kunstprodukte  gezeitigt,  die 
bei  aller  Beibehaltung  der  Grundqualitaten  der  Stammbevolkerung  ein  Internationales  Ge- 
prage  erhielten,  in  dem  alle  Stadien  der  Beeinflussung  der  jeweilig  in  der  Geschichte  der  Ton- 
kunst  fiihrenden  Nationen,  der  Englander,  Franzosen,  Niederlander,  ihre  Spuren  zuriicklieBen. 
Auch  aus  Spanien  hatten  sich  besonders  im  1 6.  und  1 7.  Jahrhundert  Einfliisse  gelt  end  gemacht. 
Zur  Zeit  der  Entfaltung  der  Wiener  klassischen  Schule  hatten  die  Deutschen  die  Hegemonic 
inne,  aber  die  italienische  Tonkunst  wirkte  virulent,  nach  innen  und  aufien,  so  zwar,  daB  sie 
den  Markt  beherrschte,  begiinstigt  von  den  Dynastien,  von  den  geistlichen  und  weltlichen 
Hofen  mit  ihrer  Pracht  und  Prunkliebe.  Je  intensiver  die  Wiener  Schule  in  die  Bewaltigung 
ihrer  historischen  Mission  eindrang,  desto  mehr  vertiefte  sie  sich  in  deutsches  Grundwesen, 
und  ihre  hochste  Entfaltung  erlangte  sie  durch  die  allmahliche  Resorption  der  Stilelemente 
der  altklassischen  Schule,  die  in  Deutschland  und  England  in  der  ersten  Halfte  des  18.  Jahr- 
hunderts  zur  Bliite  gelangt  und  um  1 750  allmahlich  von  der  Kunstarena  zuriickgetreten  war. 
DreiBig  Jahre  danach  war  die  Wiener  Schule  zu  voller  Selbstandigkeit  entfaltet:  als  Haydn 
50  Jahre,  als  Mozart  27  Jahre  alt  war,  d.  i.  im  Jahre  1782  —  Beethoven  war  ein  vielversprechen- 
der  Knabe  von  12  Jahren,  der  damals  durch  seine  kiihnen  Einfalle  und  Wagnisse  bei  Orgel- 
und  Klavierimprovisationen  auffiel. 

Haydn  hat  1781  Quartette  herausgegeben,  von  denen  er  selbst  sagt,  daB  sie  (nach  etwa 
20jahrigen  Vorarbeiten)  ,,auf  eine  ganz  neue  besondere  Art  geschrieben"  seien  (von  der  wir 
noch  horen  werden).  Mozart  folgte  ihm  mit  der  Widmung  seiner  1782—85  komponierten 
,,6  Quartette"  und  sagt  selbst,  daB  er  von  Haydn  gelernt  habe,  wie  man  Streichquaitette 
schreibt.  Diese  Quartettkomposition  ist  der  abgeklarteste  Teil,  die  reinste  Veredelung  der 
gesamten  Wiener  Produktion,  und  Beethoven  folgte  erst  nach  20  Jahren  (1800)  mit  seinen 
Quartetten  op.  18.  Trotz  der  herrlichsten  und  sich  steigernden  Quartettarbeit  bei  Mozart, 
Beethoven  und  alien  folgenden  Tonsetzern  von  Rang,  blieb  Haydn  bis  heute  das  vollkom- 
menste  Vorbild  des  Quart ettstils.  Mozart  hatte  zudem  in  seiner  in  und  far  Wien  geschriebenen 
und  hier  zum  erstenmal  (12. Juli  1782)  aufgefiihrten  ,,Entftihrung  aus  dem  Serail"  ein,,ko- 
misches  Singspiel"  geschaffen,  das,  wie  Goethe  sagt  (der  sich  selbst  bemiiht  hatte,  das  Singspiel 
auf  ein  hoheres  Niveau  zu  erheben),  ,,alles  niederschlug".  Mit  der  ,,Entfiihrung  *  war  das 
deutsche  Singspiel,  man  kann  sagen,  die  deutsche  Oper  in  die  klassische  Sphare  erhoben. 

Von  den  groBen  Wiener  Kiinstlern  der  damaligen  Zeit  wird  hier  Gluck  nicht  einbezogen. 
Im  Jahre  1782  war  er  68  Jahre  alt  und  starb  5  Jahre  danach.  Seine  Tatigkeit  war  1779  ab- 
geschlossen  und  fallt  somit  schon  zeitlich  aufierhalb  des  Rahmens  der  Wiener  klassischen 
Schule.  Aber  auch  innerlich  gehort  er  ihr  nicht  an:  nur  in  seinen  Instrumentalwerken  und 
deutschen  Liedern  kann  er  als  einer  der  Vor-  und  Ubergangsmeister  zur  Wiener  klassischen 
Schule  angesehen  werden.  In  der  Opernproduktion  wurde  er  in  den  sechziger  Jahren  des 
IS.Jahrhunderts  gerade  durch  drei  fur  Wien  komponierte  Opern  (vgl.S.  728 ff.)  der  Grofi- 
meister,  der  auch  die  italienische  Operntatigkeit  der  Folgezeit  bis  zur  Grofien  Oper  der  Fran- 


770  Die  Wiener  klassische  Schule 


zosen  beeinflufite.  Nur  in  einem  Werke  Mozarts  ist  dieser  Einflufi  deutlich  splirbar  und  nach- 
weisbar  (,,Idomeneo",  1781),  wahrend  in  einzelnen,  besonders  pathetischen  Stellen  anderer 
Werke  eine  Analogic  bemerkbar  ist.  In  den  siebziger  Jahren  wandte  sich  Gluck  der  franzo- 
sischen  Opernkomposition  zu,  dort,  in  den  Wiener  Reformopern,  gefiihrt  und  geleitet  von 
einem  italienischen,  hier  von  franzosischen  Librettisten.  Und  doch  hat  Gluck  als  Osterreicher 
gewisse  Grundziige  mit  denen  der  Wiener  klassischen  Schule  gemein.  Er,  der  fast  nur  ita- 
lienische  und  franzosische  Texte  in  Musik  setzte,  wollte  ,,eine  alien  Nationen  zusagende  Musik 
schaffen",  wie  er  sich  1773  aufierte.  Er  wollte  ,,den  lacherlichen  Unterschied  der  National- 
musiken  verschwinden  lassen",  und  wenn  auch  die  Wiener  GroBmeister  diese  Sentenz  nicht 
ausdriicklich  aussprachen,  so  lag  dies  im  Wesen  ihrer  allumfassenden  Tonsprache.  Mozart  hat 
seine  italienischen  Opern  der  achtziger  Jahre  nicht  mehr  fur  Italiener,  nicht  mehr  im  speziell 
italienischen  Fahrwasser  geschrieben  und  erhob  —  wenngleich  neuerlich  mehrfach  das  Gegen- 
teil  behauptet  wird  —  das  italienische  Musiktheater  zu  universaler  Geltung,  geradeso,  wie  dies 
von  der  Instrumentalmusik  der  Wiener  klassischen  Schule  im  allgemeinen  gilt.  Die  Italiener 
wollten  zwar  auch  im  18.  Jahrhundert  mit  ihren  Opernprodukten  alle  Theater  erobern,  aber 
eben  als  merkantile  Eroberer,  nicht  durch  Umfassen  der  Bedurfnisse,  Erfordernisse,  durch 
Befriedigung  der  seelischen  Neigungen  der  aufieritalienischen  Konsumenten  (im  Sinne  der 
Abnehmer  der  Handelsware).  Gluck  hat  (wie  Sonnenfels  sagt)  den  ,,Akzent  der  Seele"  des 
Menschen  ohne  Zuspitzung  der  Nationalitat,  des  Nationalismus  in  seiner  Musik  zum  Aus- 
druck  zu  bringen  versucht  und  vermocht,  allein  jene  Tiefe,  jenen  Zauber  der  Liebesgesange 
Mozarts,  jene  Gewalt  solcher  Mitteilung  eines  Beethoven  nicht  zu  erreichen  vermocht.  So 
machtvoll  Glucks  musikalisches  Drama  an  sich  ist,  so  hat  dieser  Meister  gegeniiber  den  Wiener 
Klassikern  lediglich  eine  einbegleitende  Stellung.  Weder  Haydn,  noch  Mozart,  noch  Beethoven 
begannen  ihre  operistische  Tatigkeit  mit  Werken  im  Gluckstil,  sondern  mit  Werken  der  hei- 
teren,  leichten  Art:  Haydn  mit  dem  Singspiel  ,,Der  krumme  Teufel",  Mozart  nach  unbedeu- 
tenden  Versuchen  im  deutschen  geistlichen  Singspiel  und  in  der  lateinischen  Komodie  mit 
der  deutschen  ,,0perette"  (Singspiel)  und  der  Opera  buffa.  Von  seinen  in  italienischer  Sprache 
geschriebenen  Werken  stehen  die  ,,Comedia  per  musica",  wie  er  seinen  „  Figaro"  und  das 
,,Dramma  giocoso  per  musica",  wie  er  seinen  ,,Don  Giovanni"  bezeichnet,  obenan  neben 
seiner  ,,Deutschen  Oper"  (Singspiel)  ,,Die  Zauberflote" .  Beethoven  begann  mit  dem  Ritter- 
ballett  und  zwei  komischen  Arien  und  schrieb  ,,Leonore"  als  einzige  Oper,  im  erst  en  Teil 
(bis  zum  Auftreten  Fidelios)  mit  dem  Singspiel  gewohnlicher  Art  beginnend. 

Im  Laufe  des  18.  Jahrhunderts  hatte  sich  ein  Wandel  vorbereitet:  Neben  der  Vorherrschaft 
und  geistigen  Obermacht  der  obligaten  Stimmfiihrung  hatte  sich  eine  leichte,  gefallige,  ein- 
schmeichelnde  Schreibart  eingefuhrt.  Sowohl  die  altklassische  wie  die  neue  Stilart  waren  auf 
dem  Boden  der  Renaissance  erwachsen.  Allerdings  hatte  auch  bei  der  erst  er  en  eine  Stimme 
dem  Ganzen  das  charakteristische  Geprage  gegeben,  nur  erhoben  in  ihren  polyphonen  Satzen 
die  anderen  Stimrnen  den  Anspruch  auf  vollste  Gleichberechtigung,  wahrend  in  der  ,,galanten" 
Schreibart  alle  Stimmen,  auch  wenn  sie  ihreKopfchen  selbstandig  zu  heben  wagten,  der  Haupt- 
stimme  ganzlich  untergeordnet  waren.  Franzosen  gaben  der  letzteren  das  Geprage,  wie  in  der 
bildenden  Kunst  Watteau,  aber  alle  Nationen  hatten  ihre  Vertreter  in  dieser  vorbereitenden 
Bewegung,  die  Englander  besonders  in  den  Komponisten  der  Ballad-opera,  des  Singspieles, 
das  auch  in  Deutschland  Wurzel  schlug,  die  Italiener  in  einer  eigenen  leichtgeschiirzten 


J-J2  Die  Wiener  klassiscKe  ScKule 


Schreibweise,  die  besonders  durch  Neapolitaner  in  Instrumental-  und  Vokalmusik,  in  Kirche, 
Kammer,  Saal  und  Theater  immer  iippiger  sich  ausbreitete,  entsprechend  einem  Grundzuge 
ihrer  Kunst,  derh  Gefallen  an  Ohrenkitzel,  Jintillazione  degli  orecchi\  wie  der  Grunddeutsche 
Heinrich  Schiitz  am  Anfang  des  1 7.  Jahrhunderts  sagte,  dabei  sich  wilHg  in  Venedig  auf  die 
musikalische  Schulbank  gesetzt  hatte.  Das  Repertoire  der  Oper  war  von  Italienern  dieser 
Richtung  beherrscht.  Die  Franzosen  hatten  in  den  verschiedenen  niederen  Arten  drama- 
tischer  Spiele  mit  Musik,  die  zur  Opera  comique  fuhrten,  ein  nationals  Gegengewicht  in  die 
Wagschale  gelegt.  Sie  wollten  erweisen,  da8  die  Behauptung,  ihre  Sprache  sei  nicht  so  ge- 
eignet  fur  musikalische  Verarbeitung  wie  die  italienische,  auf  einem  Irrtum  beruhte.  In 
J.  J.  Rousseau,  der  diese  Ansicht  nicht  teilte,  erstand  ein  geistiger  Fiihrer,  der  die  Natiirlich- 
keit,  die  Riickkehr  zur  Natur  als  eine  unabweisliche  Forderung  wie  far  das  ganze  Leben,  so 
besonders  fiir  die  Kunst  aufstellte  und  in  der  Musik  selbst  mit  gutem  Beispiel  voranging. 
Das  Lebensprinzip  der  Natlirlichkeit  vereinte  sich  in  der  Wiener  klassischen  Schule  mit 
hochster  Kultur  in  Austibung  der  Kunst.  Rousseaus  Angriffe  hatten  sich  gegen  die  falsche 
Zivilisation  gerichtet.  Auch  sein  Eintreten  fiir  Freiheit  fand  Widerhall,  von  den  Wiener 
Klassikern  am  lebhaftesten  bei  Beethoven.  Die  Deutschen  setzten  sich  in  dieser  Richtung  mit 
ihrem  langsam  fortschreitenden  Singspiel,  das  in  Wien  seine  ersten  Auslaufer  hatte,  in  Be- 
wegung.  Der  technische  Hauptangriff  gegen  die  allzu  kunstliche  Stimmfiihrunsr  und  Stimm- 
behandlung  kam  in  Deutschland  von  der  Berliner  Liederschule,  an  derselben  Statte,  wo 
Theoretiker  und  Tonsetzer  sich  als  Siegelbewahrer  der  strengen,  strengsten  Schreibweise  zu 
behaupten  suchten.  Letztere  versandeten  mit  ihren  Fugengerippen  in  einem  oden  Fahrwasser, 
ihre  blutleeren  Schemen  verkamen  in  einem  toten  ausgetrockneten  Wasserarm.  Als  Geleit- 
und  Folgeerscheinung  der  ,,galanten"  Manier  hatte  sich  eine  Vorliebe  fur  Verzierungen  ein- 
gestellt,  die  als  eine  Art  Schonheitspflasterchen  den  weichen  Weisen  angeheftet  wurden. 
Sogar  im  protestantischen  Choral  hatte  diese  Verweichlichung,  begiinstigt  durch  den  Pietis- 
mus,  Raum  gewonnen.  Die  ornament ierten  Rokokomanieren  und  Selbstgefalligkeiten  virtuoser 
Auszierung  gewannen  weiten  Spielraum  in  alien  Kunstgattungen,  besonders  auch  in  der 
katholischen  Kirchenmusik. 

DasVerwendbarealler  dieser  Bestrebungen  wurde  von  der  osterreichischen  Schule  in  gefallig 
anmutiger  und  dabei  vornehmer  Art  aufgenommen  und  in  ihrem  Sinne  verarbeitet.  Das  Volks- 
quellenmaterial  war  nebst  der  deutschen  Urquelle  das  Erbgut  der  verschiedenen  Nationen, 
die  schon  genannt  wurden.  Die  Mischung  all  dieser  Momente  vollzog  sich  in  glucklichster 
und  vielverheifiender  Weise:  bei  Haydn  vermoge  seiner  Allkunst  und  seines  Aufenthaltes  in 
Wien,Niederosterreich,  Bohmen  undUngarn,  spater  infolge  seiner  Reisen  nach  England.  Bei 
Mozart  durch  seine,  man  konnte  sagen,  musikalischen  Weltreiscn,  deren  er,  angefangen  von 
seinem  6.  bis  zu  seinem  24.  Lebensjahre,  sieben  nach  England,  Frankreich,  Holland,  Italien 
(dreimal),  natiirlich  auch  im  weiten  Deutschen  Reich  unternahm.  Die  zweite  Reise  dehnte 
sich  auf  3  Jahre,  die  vierte  und  funfte  (mit  der  sechsten)  auf  ungefahr  2  Jahre  aus.  Nach 
Wien  hatte  ihn  sein  erster  Kunstweg  gefiihrt  (1762),  und  er  kehrte  viermal  dort  ein,  bis  er 
1781  daselbst  seine  kiinstlerische  Heimat  fand,  der  er  bis  zu  seinem  Tode  anhing.  Kleinere 
Abstecher  fuhrten  ihn  in  diesem  Zeitabschnitt  nach  Salzburg,  Prag,  Frankfurt.  Beethovens 
Blick  war  vom  Anfang  an,  da  er  sich  seiner  Kunstmission  bewufit  wurde,  nach  Wien  gerichtet: 
den  Siebzehnjahrigen  zog  es  machtig  zu  Mozart,  der  wohl  nicht  von  dem  Vortrag  einer  fertigen 


Die  Wiener  klassische  Schule  773 


Komposition  des  Jiinglings  gefesselt,  aber  nach  der  Improvisation,  der  freien  Phantasie  von 
der  hohen  Begabung  des  Kunstjiingers  ergriffen  war  und  den  prophetischen  Ausspruch  tat: 
,,Auf  den  gebt  acht,  der  wird  einmal  in  der  Welt  von  sich  reden  machen."  Beethovens 
natiirliches  Verlangen,  Mozarts  Schiller  zu  werden,  konnte  sich  damals  nicht  erfiillen.  Eine 
schwere  Erkrankung  von  Beethovens  Mutter  beschleunigte  die  Heimfahrt  des  Sohnes.  Erst 
im  November  1 792  konnte  sich  sein  heifiester  Wunsch  erfullen,  sich  in  die  Wiener  Schule  zur 
Lehre  zu  begeben:  bei  Joseph  Haydn,  Johann  Schenk,  J.  G.  Albrechtsberger  und  (in  Vokal- 
behandlung)  bei  A.  Salieri.  In  Wien  blieb  Beethoven  bis  zu  semem  Tode,  trotz  mancher 
Lockuns.  Die  kleinen  Unzukommlichkeiten,  die  zum  groBen  Teil  durch  Beethovens  Eigen- 
heiten  hervorgerufen  waren,  konnten  die  innere  Notwendigkeit  seines  Verbleibens  nicht 
lockern.  In  den  letzten  Jahren  seines  Lebens  sah  er  ein  neues  Talent  echt  Wiener  Art  er- 
stehen,  ein  Genie,  das  berufen  war,  die  klassische  Wiener  Schule  in  der  romantischen  Richtung 
weiterzufuhren :  Franz  Schubert  sollte  ihn  nur  ein  Jahr  iiberleben.  Damit  war  der  Glanz  der 
Schule  erloschen.  Er  hatte  schon  seit  1812,  nach  Vollendung  von  Beethovens  8.  Symphonic 
Farbungen  erhalten,  die  sich  von  dem  Lichte,  mit  dem  Haydn,  Mozart  und  Beethoven  bis 
zu  seinem  42.  Jahre  die  Kunstwelt  erhellten,  differenzierten.  Auch  Schubert  hatte  1815  neue 
Wege  eingeschlagen,  die  wohl,  sowie  die  nach  1817  folgenden  Werke  Beethovens  (so  die 
Klaviersonaten  op.  106,  109,  110,  111,  die  33  Variationen  op.  120,  die  9.  Symphonic,  die 
Missa  solemnis,  die  Quartette  op.  127,  130,  131,  132,  135  u.  a.)  in  innigstem  organischen 
Zusammenhang  mit  den  Schopfungen  der  vorangegangenen  Zeit  blieben.  Ausdehnung, 
zyklische  Zusammenstellung  und  thematische  Ausfiihrung  fiihrten  Beethoven  in  ein  Gebiet, 
in  dem  der  Meister  eine  Ausdrucksart  gewann,  die  sich  mehr  dem  Erhabenen,  als  dem  von 
Haydn  und  Mozart  iibernommenen  Schonen  zuwandte.  Schubert  dagegen  glitt  in  das  ro- 
mantische  Fahrwasser  und  brachte  daneben  in  die  klassische  Ausdrucksweise  einen  spezifischen 
Wiener  Lokalton,  wie  ihn  schon  Haydn  etwa  im  2.  Thema  des  ersten  Satzes  seiner  Militar- 
symphonie  angeschlagen  hatte.  Aber  die  Kraft  der  Einigung  der  klassischen  Schule  war  so  grofi, 
dafi  sogar  alles,  was  von  fremdem  Volksgut  ubernommen,  aufgenommen  wurde,  in  ihrer  kiinst- 
lerischen  Machtsphare  restlos  verarbeitet  wurde,  so  z.  B.  das  russische  Thema  im  Schlufisatz 
des  Quartetts  op.  59,  Nr.  1 ,  das  ,,Alla  Turca"  der  A-Moll-Sonate  von  Mozart  und  vieles  andere. 
DemgemaB  konnte  man  nicht  uneben  die  Periode  der  Eigenentfaltung  der  Wiener  Schule  auf 
30  Jahre  beschranken:  von  1782 — 1812  —  ungefahr  ein  Lebcnsalter  und  furwahr,  es  ist  ein  in 
sich  geschlossenes  Kunstleben,  das  diese  Meister  wahrend  dieser  Zeit  zusammenhalt  und  eine 
Kunsteinheit  vollendeter  Art  schafft. 

Neben  den  Heroen  der  Wiener  klassischen  Schule  wirkte  vorbereitend,  begleitend  und 
nachfolgend  eine  grofie  Reihe  kleinerer  Meister.  ,,In  der  Entfernung",  sagt  Goethe,  ,,erfahrt 
man  nur  von  den  ersten  Kiinstlern,  und  oft  begniigt  man  sich  mit  ihrenNamen;  wenn  man 
aber  diesem  Sternenhimmel  naherkommt  und  die  von  der  zweiten  und  dritten  GroBe  nun 
auch  zu  schimmern  anfangen  und  jeder  auch  als  zum  Sternbild  gehorend  hervortritt,  dann 
wird  die  Welt  und  die  Kunst  reich."  So  auch  im  Sternbild  der  Wiener  klassischen  Schule. 
Seitenlang  waren  die  Namen  zu  nennen,  deren  Werke  die  Fortschritte  und  Eigenart  von  der 
alteren  Epoche  iiberfiihren,  in  das  neue  Bett  geleiten,  und  als  zeitgenossische  Produlcte  sogar 
den  grofien  Meistern  unterschoben  wurden,  teilweise  aus  Spekulation,  teilweise  aus  Ehrgeiz. 
Bis  heute  ist  keine  reinliche  Scheidung  dieser  Unterschiebungen  vorgenommen,  sind  die 


774  Die  Wiener  klassische  Schule 


Vertauschungen  nicht  vollig  aufgeklart.  In  der  Gesamtausgabe  der  Werke  von  Mozart  stehen 
Werke,  die  nicht  von  ihm  geschrieben  sind,  andere,  die  als  Be-  und  Verarbeitungen  von  Vor- 
lagen  anderer  Komponisten  aufgedeckt  wurden.  Symphonien  der  Briider  Josef  und  Michael 
Haydn  sind  miteinander  verwechselt  worden,  der  Vorname  anders  beigesetzt,  als  es  die  Ge- 
rechtigkeit  vorschreibt,  den  Tatsachen  widersprechend.  Allerdings,  die  letzten  Haydn 'schen 
Symphonien  der  neunziger  Jahre,  die  Symphonien  Mozarts  aus  den  achtziger  Jahren  lassen 
eine  solche  Unterschiebung  nicht  zu.  Da  sind  die  Eigenziige,  die  geniale  Eigenbehandlung 
untriiglich  erkennbar  und  bestimmbar.  Die  ersten  zwei  Symphonien  von  Beethoven  stehen 
unter  dem  machtvollen  Emflufi  seiner  beiden  Vorbilder  —  untermischt  und  mit  Individual- 
ziigen  des  Jimgeren  ausgestattet.  Und  dann  wurden  von  einem  gewissen  Teil  der  horigen 
Kunstgemeinde  Werke  von  Meistern  zweiter  und  dritter  Ordnung  den  immer  hoher  wachsenden 
Gebilden  der  Beethovenschen  Muse  vorgezogen:  der  ,,Eroica"  eine  Symphonic  von  Anton 
Eberl  in  der  gleichen  Tonart  Es-Dur.  Es  ist  ungerecht,  dies  als  lacherlich  zu  bezeichnen. 
Auf  gleichem  Boden  erstanden,  haben  solche  Werke  niedrigeren  Grades  ein  Recht  auf  Ver- 
breitung  in  ihrer  Zeit  —  sie  gehoren  zum  Zeitbild  und  sind  Zeugnisse  fur  die  Macht  der 
Schule,  wenn  sie  auch  als  Einzelmdividualitaten  nicht  das  ,,ewige"  Leben  haben  wie  die  aller- 
ersten  Meisterwerke.  Und  sind  wir  heute  dem  gebiirtigen  Qberosterreicher  und  Wiener 
Theaterkapellmeister  Franz  Xaver  SiiBmayr,  der  um  10  Jahre  jiinger  als  Mozart  war,  nicht  dank- 
bar,  dafi  er  das  unvollendete  Requiem  von  Mozart  fertiggestellt  hat?  Wie  viele  der  gebildeten  - 
Horer  konnen  die  eingesetzten  Teile  von  den  echten,  wie  viele  Musikhistoriker  die  Mozartschen 
Abschnitte  von  den  SuBmayrschen  stilkritisch  unterscheiden  ?  Solche  Kommunitat  wiederholt 
sich  in  alien  Kunstperioden  und  Stilen,  und  selbst  bei  der  im  Ausdruck  so  vorgeschrittenen 
Wiener  klassischen  Schule  ist  solch  ein  Vorgang  verstandlich.  Es  gibt  Stiicke,  bei  denen  eine 
genaue  Scheidung  Haydnischer  und  Mozartscher  Faktur,  so  verschieden  sie  im  einzelnen  sein 
mogen,  nicht  vorgenommen  werden  kann,  wie  u.  a.  der  feinsinnige  englische  Schriftsteller  und 
Komponist  Hubert  Parry  nachgewiesen  hat.  Untriiglich  bestimmbar  sind,  wie  gesagt,  die 
Werke  aus  der  Vollreife,  der  hochsten  Meisterschaft  der  Heroen.  Und  sogar  in  ihnen  be- 
gegnet  man  Wendungen,  die  Gemeingut  der  Schule  sind  —  abgesehen  von  der  konstanten 
Entwicklung,  die  technisch  und  geistig  nachzuweisen  ist. 

Schon  in  den  Vorbereitungsstadien  dieser  Schule  fiel  den  Sendboten,  die  aus  Wien  und  den 
osterreichischen  Kunststatten  in  verschiedene  auswartige  Pflegestatten  der  Musik  kamen,  die 
Aufgabe  zu,  dort  das  zu  etablieren,  was  dann  in  Wien  zu  hochster  Vollendung  gedeihen  sollte. 
Einer  der  wichtigsten  Vorposten  dieser  Richtung  war  die  Filialschule,  die  sich  in  Mannheim 
um  1 750  etablierte.  Ignaz  Holzbauer  aus  Wien,  die  Bohmen  (in  der  damaligen  Zeit  nicht  als 
Deutsche  oder  Tschechen  geschieden)  Johann  Stamitz,  Anton  Filtz  u.  a.,  waren  die  Exponenten 
der  Schule.  Ihr  geistiger  Fiihrer  wurde  Johann  Stamitz  (s.  S.  800 ff.),  dessen  Produktion  be- 
sonders  in  der  Mischung  ernster  und  heiterer  Stimmungen  schon  im  Themenmaterial  eines 
Satzes  der  zyklischen  Komposition  mitbestimmend  wurde.  Ein  weiterer  Fortschritt  war  die 
dynamische  Steigerung  innerhalb  geschlossener  Phrasen  und  die  Ausfuhrung  dieses  ,,Cre- 
scendo"  wurde  durch  die  treffliche  Schulung  des  Orchesters  vorbildlich.  Nicht  als  ob  es  dort 
zuerst  eingefiihrt  worden  ware,  allein  die  Benutzung  dieser  Nuancierung  als  eines  konstruktiven 
Mittels,  als  Baumittel  ist  ein  Verdienst  der  genannten  Tonsetzer.  Die  Haufung  von  Kraft- 
zeichen  (f ,  sf,  p)  innerhalb  einer  Phrase  war  ein  aufierliches  Reizmittel,  das  vielfach  miBbraucht 


Die  Wiener  klassische  Schule 


wurde.  Einzelne  Wiener  Meister  fanden  daran  zeitweilig  Geschmack  und  der  impressionable 
Mozart  oblag  in  einzelnen  Werken  mit  besonderer  Vorliebe  diesem  Gebrauch,  den  er  sodann 
zur  Klarung  brachte.  Die  den  Mannheimern  zugeschriebene  Neueinfiihrung  der  Manieren 
(vgl.  Abert,  Mozart  1, 337)  beruht  auf  einem  Irrtum.  Sie  finden  sich  schon  in  der  italienischen 
Musik  und  anderwarts.  Nur  wurden  sie  in  Mannheim  in  einem  gewissen  Ubermafi  verwendet. 
Schon  die  auch  nach  1750  fortgesetzte  Benutzung  des  Cembalo  als  begleitendes  Instrument, 
als  Fullinstrument  bei  der  seit  150  Jahren  iiblichen  Ausfiihrung  des  Basso  Continue  zeigt,  dafi 
die  ,,Mannheimer  Schule"  in  den  vorbereitenden  Stadien  steckenblieb ;  ebenso  zeigt  dies  die 
Aufierachtlassung  der  in  Wien  sich  etablierenden  definitiven  Scheidung  von  Kammer-  und 
Orchestermusik,  die  von  grundlegender  Bedeutung  fur  die  klassische  Schule  wurde.  Die 
Mannheimer  Schule  blieb  einer  der  Vorposten  der  Wiener  klassischen  Schule,  fiel  in  aufiere 
Manier  (Mozarts  Vater  spricht  schon  1777  vom  ,,vermanierierten  Mannheimer  gout*'),  well  sie 
dem  Mutterboden  entzogen,  die  natiirlichen  Triebkrafte  verlor.  Ihre  Mission  ist  eigentlich 
schon  1757  abgeschlossen.  Nur  im  Heimatlande  konnte  die  neue  Kunst  gedeihen  und  zur 
voilen  Entfaltung  gelangen.  Alle  Mitstreiter  im  Kampfe,  die  aufierhalb  Wiens  lebten,  schufen 
und  wirkten  wie  in  der  Diaspora  und  blieben  gleichsam  auf  halbem  Wege  stecken.  Dies  gilt 
auch  von  dem  tiichtigsten  und  gewandtesten  Pionier  der  neuen  Richtung,  von  Carl  Philipp 
Emanuel  Bach  (s.S.  801  ff.),  von  dem  eingestandenermafien  Haydn  und  Mozart  viel  gelernt 
hatten,  natiirlich  zu  einer  Zeit,  da  sie  noch  nicht  ihre  und  der  Wiener  Schule  Eigenart  voll 
entwickelt  hatten.  Auch  Beethoven  lernte,  obzwar  er  es  nicht  ausdriicklich  sagt,  mancherlei 
von  C.  P.  E.  Bach,  besonders  in  der  Zeit  seines  Bonner  Aufenthaltes,  und  brachte  das  bild- 
nerische  Steigerungsmittel  der  Mannheimer  zu  voller  ebenmafiiger  Verwendung  und  Aus- 
bildung,  wahrend  sich  Haydn  und  Mozart  mehr  mit  inneren  Steigerungen  begniigten,  \vie 
mehroderweniger  raschen  Folgen  der  Stimmeinsatze  von  unten  nach  oben,  Verdichtung  des 
Stimmgewebes,  sodafi  aus  sich  selbst  heraus,  ohne  eigene  Vorzeichnungen  die  Dynamik  in 
auf-  und  absteigender  Bewegung.  belebt  wurde  oder  sich  abschwachte  —  stets  im  Zusammen- 
hang  mit  dem  Ideen-  und  Ausdrucksgehalt  der  betreffenden  Stellen  oder  ganzer  Satze.  Denn 
auch  auf  letztere,  als  Einheitsgebilde,  konnte  sich  die  dynamische  Anlage  erstrecken.  Dafi  auch 
Beethoven  hierin  seinen  beiden  grofien  Vorbildern  folgte,  bedarf  nicht  erst  der  Hervorhebung. 
So  drangte  und  konzentrierte  sich  alles,  was  zu  einer  Stilhohe  hinfiihren  konnte,  zu  und  um 
Wien.  Die  inneren  und  aufieren  Bedingungen  waren  gegeben  und  giinstig:  die  ortlichen, 
geographischen,  die  sozialen,  die  kulturellen,  die  seelischen  und  die  spezifisch  kiinstlerischen. 
Dazu  kam  ein  negatives  Moment,  die  Strenge  der  literarischen  Zensur,  die  eine  rein  musi- 
kalische  Entladung  der  kiinstlerischen  Krafte  gemafi  der  Uranlage  der  Bevolkerung  und  der 
Lieblingsbeschaftigung  aller  Stande  —  Hof,  Adel,  Biirgertum,  wahrend  die  osterreichische 
Volksmusik  eine  unversiegbare  Quelle  der  Wiener  Kunstmusik  war  —  zur  natiirlichen  Folge 
hatte.  Es  kommt  dann  nicht  darauf  an,  dafi  die  kraftvollsten  Personlichkeiten  ausnahmslos 
innerhalb  der  Stadtmauern  geboren  seien,  sondern  da6  die  Gesamttatigkeit  und  Entfaltung  der 
Schule  ihren  geistigen,  seelischen  und  sozialen  Brennpunkt  in  der  Statte  habe,  von  der  aus 
die  Strahlen  ausgehen  und,  wie  in  diesem  Falle,  sich  auf  die  ganze  Kulturwelt  erstrecken,  ja 
sogar  in  Gegenden  mit  primitiver  Musikbetatigung  eindringen,  wie  die  Schubertlieder  und 
die  Weisen  der  Nachzugler  der  Wiener  Schule,  der  Wiener  Tanzmusik  des  19.  Jahrhunderts, 
nicht  nur  der  spater  verderbten,  sondern  auch  der  alteren  echt  Wienerischen  Art.  Nicht  Leicht- 


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Die  Wiener  klassische  Schule 


sinn  und  Frivolitat  spricht  aus  den  letzteren,  sondern  Lebensfreude,  DaseinsgenuB,  fern  fa- 
cettiert,  geschliffen,  urmusikalisch,  wie  dies  in  der  klassischen  Wiener  Musik  in  edelster  Kla- 
rung  zum  Ausdruck  gelangt  war. 

Der  Glaube  an  die  urspriingliche  Giite  der  menschlichen  Natur,  an  das  kontinuierliche 
Streben  nach  Vollkommenheit,  fand  in  den  fiihrenden  Geistern  dieser  Zeit  Apostel.  Daneben 
erfiillte  Lebensfreude  die  beiden  grofien  deutschen  Klassiker  der  Dichtkunst,  Hoffnungs- 
freudigkeit  fur  die  Zukunft  der  Menschheit  beseelte  Herder.  Die  Emanzipation  des  Indivi- 
duums,  wie  sie  sich  seit  der  Renaissance  (auch  in  der  Musik)  emporrang,  suchte  durchzu- 
clringen  .  .  .  Haydn,  Mozart  und  Beethoven  wollten  in  der  Kunst  ihre  eigenen  Gesetzgeber 
sein,  wie  wir  ihren  klaren,  unumwundenen  Ausspriichen  entnehmen  —  wohlgemerkt :  },Gesetz- 
geber",  nicht  unbeschrankte  Ungebundenheit,  sondern  organische  Fortfiihrung  und  Fest- 
legung  der  iibernommenen  Normen  gemafi  ilirer  Verwendung  und  Fortfiihrung  in  ihrem 
Schaffen.  Denn  sie  standen  alle  unter  der  Lehre  des  Wiener  Erzmusikers  Johann  Josef  Fux 
und  seines  ,,Gradus  ad  Parnassum"  von  1725,  dessen  Normen  Grundpfeiler  des  Lehrgebaudes 
•des  18.  Jahrhunderts  waren.  Und  wenn  sie  es  anders  machten,  als  dort  vorgeschrieben  war, 
so  erwogen  sie  genau  das  MaB  der  Freiheit,  innerhalb  der  sie  sich  bewegten.  Auch  Beet 
hoven  war  sich  genau  bewufit,  wie  weit  er  von  ihr  in  der  Kunst  Gebrauch  machen  konnte 
—  nicht  fessel-  und  regellos,  sondern  konstitutiv  —  konstruktiv  geordnet,  bei  gewissenhaftester 
Wahrung  der  Proportionality  in  Formgebung  und  Anwendung  der  Mittel.  Allein  Regel  und 
Ordnung  konnten  in  der  klassischen  Kunst  nicht  vom  Verstand  vorgeschrieben  werden,  wie 
es  den  Prinzipien  des  Rationalismus  entsprochen  hatte.  Diese  rationalistische  Bewegung  war 
in  der  Musik  eigentlich  schon  uberwunden,  als  Haydn  und  Mozart  an  ihr  Lebenswerk  gingen. 
Die  Wiener  Meister,  bei  denen  nebst  den  ubernommenen  Formen  und  Regeln  der  Satzfiihrung 
<lie  frei  schaffende  Phantasie,  gleichsam  die  Improvisation  der  Ausgangspunkt  ihres  Schaffens 
war,  vermochten  eine  ebenbiirtige  Vereinigung  von  Phantasie  und  Verstand  zu  erzielen,  die 
eine  der  wichtigsten  grundlegendsten  Voraussetzungen  der  Vollendung  ist.  Dies  ersieht  man 
besonders  aus  den  Skizzen  Beethovens,  wahrend  von  den  Entwiirfen  der  andern  uns  fast  gar 
nichts  erhalten  blieb,  sei  es,  dafi  sie  verlorengingen,  sei  es,  daB  sie  iiberhaupt  nicht,  oder 
nur  ausnahmsweise  zu  Papier  gebracht  wurden,  wie  wir  dies  von  Mozart  genau  wissen.  Um 
den  Rationalismus  kummerten  sich  die  groBen  Musiker  der  Zeit  nicht  welter  —  es  waren  wohl 
Ideinere  Geister,  die  sich  daran  klammerten.  Desto  mehr  waren  die  ersteren  erfullt  von  anderen 
treibenden  Machten  der  Zeit:  derHumanitat  und  dem  von  Dichtern  und  Denkern  vertretenen 
Optimismus,  der  erst  bei  Feuerbach  seinen  philosophischen  Ausbau  finden  sollte.  Dieser 
Optimismus  war  ein  Teil  der  allgemeinen  psychischen  und  geistigen  Stromungen  der  zweiten 
Halfte  des  18.  Jahrhunderts  und  fand  den  natiirlichsten  kiinstlerischen  Widerhall  in  der  Wiener 
Musik.  Sowie  sich  im  fruhen  Mittelalter  die  Frommigkeit  und  ihr  klinstlerischer  Ausdruck 
trotz  aller  separatistischen  Bestrebungen  in  den  christianisierten  Landern  und  Einzelgebieten 
allmahlich  auf  Rom  konzentrierten  und  trotz  aller  Widersacher  und  Gegenbewegungen  dort 
ihren  Konzentrationspunktgewannen,  wie  sich  dies  in  der  Liturgie  und  ihrer  tonkiinstlerischen 
Umkleidung  im  Cantus  romanus  zeigte  —  wenngleich  wahrscheinlich  keiner  der  Papste  selbst 
kiinstlerisch  schaffend  war  und  man  von  keinem  gebiirtigen  Romer  weiB,  der  produktiv  ein- 
gegriffen  hatte  —  so  stromte  in  der  Periode  der  klassischen  Wiener  Kunst  der  nattirliche  Zug 
von  alien  Zeiten  in  diese  Musikmetropole.  Gerade  der  Optimismus  der  Wiener  Gesellschaft 


Die  Wiener  klassische  Schule  779 


—  teiis  wahr,  echt  und  tief,  teils  durch  eine  gewisse  auBere  Gemiitlichkeit  begiinstigt  —  war 
vielleicht  die  sozial  und  psychisch  wichtigste  Voraussetzung  fiir  die  Entfaltung  der  klassischen 
Schule  in  Wien.  Allerdings  kamen  Qualitaten  des  Wiener  Kunstlebens  hinzu,  von  denen  be- 
sonders  erwahnenswert  sind  ,,Feuer  und  Begeisterung",  wie  ein  englischer  Musikhistoriker  1 792 
sagt,  ferner  ,,Feinheit,  Sicherheit  des  Urteils,  vielseitige  Empf anglichkeit" ,  wie  Cherubim  sagt. 
Vor  aliem  eine  Musikseligkeit,  die  alle  Kreise  erfullte.  Praktisch  war  besonders  die  Ausiibung 
der  Ka^  imermusik  nicht  blofi  von  Berufsmusikern,  sondern  gerade  in  Kreisen  der  Musikf reunde 
von  klarender  Wirkungskraft:  auch  in  einfachen  Biirgerhausern  wurde  sie  gepflegt  neben  den 
standigen  Quartettveremigungen  in  Palasten  der  Aristokraten,  in  denen  auch  ganze  Orchester 
aus  Berufsmusikern  und  Angestellten  gebildet  wurden,  welch  letztere  in  ihrer  Hauptstellung 
Bedienstete  war  en.  Die  Sparsamkeit  im  Hofhalt  der  Kaiserin  Maria  Theresia  —  die  wie  ihr 
Vater  und  ihr  Sohnmusikalischhochausgebildetwar — hatte  dieEinschrankung  desHofmusiker- 
status  zur  Folge.  Das  tiefe  Interesse  und  Verstandnis  Kaiser  Joseph  II.,  seine  Begriindung  des 
,,Hof-  und  Nationaltheaters",  seine  Forderung  des  ,,Nationalsingspiels"  wirkten  auf  das  ganze 
musikalische  Leben  und  Mozart  mochte  sich  auch  aus  Anhanglichkeit  an  die  Person  des  Kaisers 
nicht  zu  weit  und  nicht  zu  lange  aus  den  Ringmauern  der  Musikstadt  entfernen.  Haydn,  der 
echte  Angehorige  des  Ancien  regime,  mit  seiner  Obodienz  gegeniiber  der  fiirstlichen  Familie 
der  Esterhazy,  der  seine  Brotherren  entstammten,  war  gleichsam  nur  in  einem  Kunstvorort 
Wiens  tatig,  bis  er  seinen  Wohnsitz  ganz  nach  Wien  verlegte.  Der  ,,Papa  Haydn"  war  in 
patriarchalischen  Anschauungen  aufgewachsen,  denen  er  bis  zu  seinem  Tode  anhing.  In  der 
Kunst,  besonders  in  der  Instrumentalmusik  wie  im  Oratorium,  ging  er  seine  Wege,  immer 
in  Koharenz  mit  dem  Obernommenen.  Er  konnte  dem  Alter  nach  gleichsam  als  Vater  gegen 
iiber  Mozart  und  fast  als  GroBvater  gegeniiber  Beethoven  angesehen  werden.  Kiinstlerisch 
war  Haydn  von  noch  groBerer  Bedeutung  fiir  den  Jungling  Mozart,  als  dessen  leiblicher  Vater, 
und  ebenso  fiir  den  heranreifenden  Beethoven  als  dessen  Musikerahnen.  Allein  die  Bezeich- 
nung  Haydns  als  ,, Vater  der  klassischen  Instrumentalmusik"  ist,  wie  alle  solche  Titula- 
turen,  unhaltbar,  weil  historisch  nicht  berechtigt.  Die  geistige  Vaterschaft  verteilt  sich  auf 
eine  weitreichende  Gemeinschaft.  Die  Heroen  der  Wiener  Schule  sind  wie  die  Glieder  einer 
Familie  zusammengehorig,  die  Kunstgemeinschaft  ist  noch  starker  als  Blutsverwandtschaft, 
denn  sie  beruht  wie  auf  den  gleichen  Stilprinzipien  ihrer  Produktion,  so  auf  den  gemeinsamen 
Grundanschauungen,  die  durch  die  Geistes-  und  Gemiitsbewegungen  ihrer  Zeit,  wie  sie  oben 
charakterisiert  wurden,  gebildet  war  en.  Und  dabei  spiegelt  sich  in  ihren  Individualitaten  der 
fortschreitende,  vorriickende  Zeitgeist  auch  kiinstlerisch  wieder.  Sie  sind  im  Zeitalter  der 
Aufklarung  aufgewachsen  und  hielten  zeitlebens  an  ihrer  Durchfiihrung  fest.  Von  Haydn  geht 
iiber  Mozart  zu  Beethoven  eine  sich  steigernde  Linie  des  Freiheitsdranges,  bis  dieser  im  letz- 
teren  auch  kiinstlerisch,  im  musikalischen  Ausdruck  zur  vollsten  Entfaltung  gelangt.  Allen 
gemein  ist  jener  Zug  der  Humanitat,  des  Optimismus,  des  Glaubens  an  die  Giite  der  mensch- 
lichen  Natur.  Der  Selbstloseste,  an  sich  fast  gar  nicht  Denkende  unter  ihnen  ist  Mozart.  Haydn 
zuriickhaltend,  nie  sich  ganz  mitteilend  und  doch  immer  wahr,  Mozart  off  en  bis  zur  Selbst- 
entaufierung,  Beethoven  bis  zur  Riicksichtslosigkeit.  Zu  kampfen  hatten  sie  alle  —  um  ihre 
okonomische  und  kiinstlerische  Existenz  —  das  ist  Menschen-  und  Kiinstlerlos.  Haydn 
brachte  es  mit  29  Jahren  zu  einer  gesicherten  Existenz,  Mozart  hing  immer  gleichsam  in  der 
Luft,  Beethoven  rang  bis  an  sein  Ende  um  Unabhangigkeit.  Alle  drei  sahen  in  der  Ehe  die 

50    H.  d.  M. 


78Q  Die  Wiener  klassische  Schule 


volKvertigste  Erfiillung  der  Menschenliebe.  Haydn  war  unvorsichtig  in  der  Wahl,  Mozarts 
Ehe  war  getrtibt  durch  die  Exist enzsorgen ,  Beethoven  muBte  sich  mit  der  Unsterblichkeit 
seiner  Geliebten  (Briefe  an  die  ,,unsterbliche  Geliebte")  begniigen,  ohne  die  ihm  Angelobte  als 
Frau  heimfiihren  zu  konnen.  Ein  Jahr  vorher  hatte  er  hingebungsvollste  Gattenliebe  in  seinem 
,,Fidelio"  besungen.  Allen  gemein  ist  ferner  die  religiose  Hingabe.  Sie  sind  alle  im  katho- 
lischen  Glauben  erzogen,  in  Stadten  mit  Bischofsitzen  —  Rheinland  und  Donauland  waren 
sowohl  darin  wie  in  mannigfacher  andererBeziehung  analog,  im  Kulturleben  und  imCharakter 
vielfach  identisch.  Vater  Rhein  und  Mutter  Donau  konnten  als  in  bestem  Einvernehmen 
zueinander  stehend  angesehen  werden.  Haydn  und  Mozart  hingen  zeitlebens  trotz  ihrer  Zu- 
gehorigkeit  zurFreimaurerschaft  (der  damals  Pralaten  und  Domherren  angehorten)  der  dog- 
matischen  Glaubigkeit  an,  Es  geht  formlich  auch  da  ein  aufsteigend  befreiender  Zug  von 
Haydn  durch  Mozart  zu  Beethoven  und  Schubert,  der  sogar  im  ,,Credo"  in  einzelnen  seiner 
Messen  das  Glaubensbekenntnis  ,,et  in  unam  sanctam  catholicam  et  apostolicam  ecclesiam" 
fortliefi.  Haydn  und  Mozart  waren  gerade  durch  ihr  Freimaurertum  zu  tieferer  religioser  Er- 
fassung  vorgedrungen.  Die  Kirchenmusik  Haydns,  dessen  ,,Herz  vor  Freude  hiipft,  wenn  er 
an  Gott  denkt",  und  gar,  wenn  er  seine  religiose  Pflicht  als  Musiker  erfullt  —  ist  der  verklarteste 
Ausdruck  siiddeutscher,  richtiger  osterreichischer  Gottesfreudigkeit,  mit  tiefstem  Dankgefiihl, 
innigem  Gebet  und  einer  Beimischung  von  Kirchweihstimmung.  Haydn  und  Mozart  hatten 
den  gleichen  Ausspruch  tun  konnen,  wie  Beethoven  sich  auSerte:  Religion  und  Generalbafi 
sind  abgeschlossene  Dinge,  iiber  die  man  nicht  weiter  nachdenken  soil.  Aber  alle  drei  legten 
sich  die  Generalbafiregeln  in  ihrer  Weise  zurecht,  in  freier,  schopferischer  Betatigung  —  so 
ahnlich  war  es  der  Fall  mit  der  Konfession.  Die  Messen,  die  Mozart  im  Dienst  des  Salzburger 
Kirchenfiirsten  schrieb,  entbehren  sowohl  wegen  der  noch  nicht  volligen  Reife,  als  gerade  be- 
senders  wegen  der  Vorschriften  und  gebotenen  Riicksichten  auf  auBerlichen  Glanz  und  Prunk 
des  erzbischoflichen  Hofes  einer  religiosen  Innigkeit,  wie  er  sie  dann  in  den  letzten  Jahren, 
losgelost  vom  Kirchendienst,  erreichte.  Seine  Auffassung  iiber  Leben  und  Tod  in  ihrem 
Wechselverhaltnis  hatte  sich  gerade  durch  die  Einfliisse  der  freimaurerischen  Gedanken 
und  Strebungen  vertieft  und  gekla'rt.  Beethovens  ,,Freigeistertum",  wie  es  durch  die  Ten- 
denzen  der  franzosischen  Revolution  herangebildet  und  eigentlich  nur  nach  aufien  projiziert 
war,  hatte  vorerst  keine  Wirkung  auf  seine  Kunstbetatigung.  Sein  1800  vollendetes  Oratorium 
,,Christus  am  Olberg**  blieb  in  aufierlicher  Verwertung  der  tiblichen  Formen  stecken,  und  nur 
die  wenigen  instrumentalen  Stellen  zeigen  seine  Eigenart  als  Instrumentalkomponist.  Auch 
er  drang  erst  allmahlich,  und  zwar  mehr  auf  kiinstlerischem  als  religiosem  Weg  zur  Vollendung 
seiner  kirchenmusikalischen  Produktion  vor,  nach  seiner  C-Dur-Messe  von  1807  auf  weitem 
Wege  und  mit  vielen  Miihen  (1818 — 23)  zur  Missa  solemnis.  Sie  steht  abseits  von  der  Heer- 
strafie  der  Kirchenmusik  seiner  Zeit.  Sie  ist  ein  Werk  sui  generis,  das  einzelne  Glaubenssatze 
betend  nacfepricht  und  sich  im  Gebet  und  in  der  Hingabe  an  Gott  iiber  alles  erhebt,  was  Kon~ 
fession  und  Liturgie  erheischt  —  wie  es  oben  von  der  Religion  im  Sinne  Schillers  gesagt  wurde. 
Wie  in  jeder  echten  Kunst  bildet  auch  bei  den  Wiener  Klassikern  das  rein  Menschliche  Aus- 
gang  des  Schaffens.  Und  ,,die  Kunst  vertritt",  wie  Beethoven  sagt,  ,,allemal  die  Gottheit,  und 
das  menschliche  Verhaltnis  zu  ihr  ist  die  Religion",  Diesem  Ausspruch  sowie  seiner  Auf 
fassung  der  Kunst  ,,als  Vermittlung  des  Gottlichen"  hatten  sich  Haydn  wie  Mozart  an- 
schliefien  mogen.  Haydn  beginnt  seine  Werke  handschriftlich  mit  der  Aufschrift  ,,In  Nomine 


Die  Wiener  klassische  ScKule  781 


Domini4*  (,,Im  Namen  des  Herrn44)  und  endet  sie  mit  ,,Laus  Deo"  (,,Lob  sei  Gott";  auch  mit 
dem  Zusatz  ,,et  Beatae  Virgini  Mariae  et  omnibus  Sanctis").  Dies  zeigt,  da8  er,  wie  altere 
Meister,  den  gottlichen  Funken  als  zeugendes,  entfachendes  Moment  ansieht.  Und  dieser 
Oberzeugung  waren,  wenn  sie  es  auch  nicht  in  dieser  Form  hinschrieben,  auch  Mozart  und 
Beethoven.  Letzterer  sah  es  als  Hochstes  an,  ,,sich  der  Gottheit  mehr  als  den  Menschen  zu 
nahern  und  von  hieraus  (d.  i.  seiner  Kunst)  die  Strahlen  der  Gottheit  unter  das  Menschen- 
geschlecht  zu  verbreiten." 

Die  Wiener  Meister  vertraten  nicht  ,,Weltanschauungen",  aber  mit  Beethoven  hielten  sie 
,,die  Musik  als  eine  hohere  Offenbarung,  als  alle  Weisheit  und  Philosophic.'4  Um  letztere 
kiimmerten  sie  sich  eigentlich  nicht.  Sie  offenbarten  in  ihren  Werken  eine  Welt  der  Stim- 
mungen  und  Strebungen  und  den  Vollgehalt  menschlicher  Regungen  —  in  kiinstlerischer  Ver- 
klarung.  Deshalb  sind  gegenliber  den  Grundvesten  ihrer  Anschauungen  und  Charaktereigen- 
schaften  die  Detailziige  des  einzelnen  nicht  von  ausschlaggebender  Bedeutung.  Aber  immerhin 
machen  sie  sich  gerade  bei  den  charakteristischen  Momenten  des  Personalstiles  der  einzelnen 
bemerkbar,  natiirlich  neben  der  individuellen  Anlage,  die  da  im  Vordergrund  steht.  Dieses 
Eigengenie  ist  mit  den  Personalcharakterziigen  untrennbar  verbunden,  und  beides  verscharft 
das  kiinstlerische  Eigenprofil  gegeniiber  den  Gemeinziigen  der  Schule.  Als  dnttes  haupt- 
bestimmendes  Moment  macht  sich  die  zeitliche  Folge  der  Entstehung  der  Kunstwerke  geltend. 
All  das  lafit  sich  klar  in  der  Wiener  Schule  beobachten.  Wie  sich  der  menschliche  und  der  kiinst 
lerische  Charakter  deckten,  ersieht  man  besonders  aus  jenen  Werken,  die  die  Exponent  en  eines 
Personalstilwandels  sind.  In  Haydns  Jugend  die  Sucht,  Experimente  aller  Art  zu  machen; 
er  ist  der  eifrigste  Chercheur  der  Schule  und  wird  in  dem  stillen  Winkel,  in  dem  er  schafft, 
nicht  irre  gemacht  an  sich  selbst,  nicht  durch  kritische  Stimmen.  Er  geht  nach  den  kindlichen 
Streichen  seiner  Knabenzeit  wie  ein  stetig  steigender  Hohenwanderer  seinen  Weg.  Mozart, 
der  Weltreisende,  vermag  sich  mit  seiner  unvergleichlichen  Anpassungsfahigkeit  tiberall  an- 
zuschmiegen.  Beide,  sowie  Beethoven,  arbeiten  in  der  Jugend  nach  Modellen  —  wie's  Brauch 
der  Schule.  Jeder  in  kontinuierlicher  Entfaltung  seiner  Eigenart,  die  am  starksten  sich  bei 
Beethoven  bemerkbar  macht,  als  er  voile  Selbstandigkeit  errungen  hat.  Diese  wurde  auch 
durch  die  Vollkommenheit  der  Faktur,  Textur  der  von  ihm  ubernommenen  Werke  seiner 
beiden  groBen  Vorganger  begiinstigt,  sowie  durch  eine  Grundeigenschaft,  die  ihren  Charak- 
teren  gemein  ist:  Alle  drei,  sowie  Schubert,  freuen  sich  ihres  Lebens  und  Schaffens.  Dies  ist 
bei  Haydn  und  Mozart  allgemein  anerkannt,  bei  Beethoven  bestritten;  bei  Schubert  ist  diese 
Wiener  Lebensfreude  mit  romantischer  Melancholic  untermischt.  Er  ist  der  einzige,  der 
sentimentale  Kunstwerke  im  Sinne  der  Schillerschen  Einteilung  der  Dichtung  (in  Naive  und 
Sentimentale)  schafft.  Beethoven  hat,  ebenso  wie  Haydn  und  Mozart,  Freude  am  Dasein  und 
hochste  Befriedigung  im  Schaffen.  Diese  begliickt  ihn  beim  Ringen  nach  Vervollkommnung 
und  ebenbiirtiger  Durchsetzung  seines  Kunstwollens.  ,,Abgesehen  von  den  Stunden  tiefster 
Niedergeschlagenheit  war  Beethoven"  —  so  sagt  auch  Thayer,  der  als  erster  voile  Wahrheit 
in  die  Lebensschilderung  dieses  Meisters  brachte  —  ,,durchaus  nicht  der  melancholische  und 
diistere  Charakter,  fur  den  man  ihn  gewohnlich  halt.  Im  Gegenteil :  ein  Mann  von  heiterem, 
lebhaftem Temperament,  Liebhaber  von  Scherzen,  hartnackigem,  wenn  auch  nicht  immer  gliick- 
lichem  Aufsuchen  von  Wortspielen,  groBer  Freund  von  Witz  und  Humor4*  (II,  81).  Er  war 
auch  kein  Kostverachter.  Nur  hatte  er  noch  mehr  innere  und  aufiere  Widerstande  zu  besiegen, 

50* 


782 


Die  Wiener  klassische  Schule 


VI 


iel  starkere  physische  und  psychische  Hemmungen  als  Haydn  und  Mozart.  Der  Grund  lag 
teilweise  in  seiner  Naturanlage,  der  korperlichen  und  seelischen,  teilweise  in  seiner  Erziehung, 
richtiger  im  Mangel  einer  solchen.  Beethoven  muBte  diesen  durch  Selbstzucht  ersetzen.  Mozart 
war  von  seiner  Geburt  an  gezugelt  von  seinem  Vater  und  der  Regelung  in  seiner  Famihe. 
Letzteres  war  auch  bei  Haydn  der  Fall.  Bei  Mozart  ein  padagogisch-didaktisch  geiibter  sorg- 
faltiger  Erzieher,  bei  Haydn  ein  patriarchalisch  ehrbarer  Gewerbsmann  —  beide  in  heiliger 
Familientradition.  Dagegen  bei  Beethoven  Willkiirakte  eines  Alkoholikers.  Und  doch  hing 
er  gerade  so  an  seiner  Familie  wie  Haydn  und  Mozart,  verehrte  seine  Mutter,  hielt  das  An- 
denken  seines  Grofivaters  in  hohen  Ehren,  sorgte  fur  seine  Briider  und  brachte  als  Vormund 
fur  seinen  Neffen,  eigentlich  mehr  aus  Schwache  als  aus  Einsicht,  Opfer,  die  sogar  jahrelange 
Unterbrechung  seiner  Produktion  zur  Folge  hatten.  Allerdings  trat  dabei  sein  starrer  Eigen- 
sinn,  gepaart  mit  Ausbriichen  momentanen  Zornes  und  iiberhitzter  Laune  hervor.  Diese 
psychischen  Hemmungen  waren  teilweise  hervorgerufen  durch  physische  Leiden,  so  besonders 
durch  ein  fur  einen  Musiker  doppelt  und  vielfach  hartes  Geschick:  der  Ertaubung,  die,  seit 
etwa  dem  27.  Lebensjahre  einsetzend,  fast  bis  zur  volligen  Taubheit  fuhrte.  In  solch  ver- 
zweifelter  Stimmung  schrieb  er  1802  sein  ,,Heiligenstadter  Testament"  —  das  erhebendste 
Dokument  eines  erhabenen  Charakters,  in  dem  die  Grundgiite,  der  gute  Glaube  an  die  ur- 
spriingliche  Giite  der  menschlichen  Natur,  das  leitende  Motiv  sind.  Und  darin  begegnet  er 
sich  wieder  mit  den  andern  grofien  Wiener  Kunstgenossen.  Seine  Leiden  verstarkten  seine 
Gereiztheit,  Empfindlichkeit  und  konnten  seinen  Eigensinn  nicht  brechen.  So  stark  wie  sein 
Ringen,  seine  Kraft,  sich  vom  Schicksal  nicht  beugen  zu  lassen,  vielmehr  ,,dem  Schicksal  in 
den  Rachen  zu  greifen",  so  eigenwillig  und  eigensinnig  sein  Vorgehen,  auch  in  dem  obstinaten 
Wiederholen  von  Satzfiguren  —  ein  Vorgang,  der  manchen  zartsaitigen  Kiinstler  seiner  Zeit, 
wie  Ludwig  Spohr,  abstieB.  Aber  Beethoven  behielt  Recht,  er,  der  sich  beim  Komponieren 
nicht  so  sehr  um  gewisse  Riicksichten  auf  Ausfiihrbarkeit  von  Stimme  und  Instrument  kiim- 
merte,  sondern  nur  Gedanken  und  Stimmungen  zu  ebenbiirtigem  Ausdruck  bringen  wollte. 
Allein  er  hielt  sich  trotz  der  Geltendmachung  seiner  Personlichkeit  innerhalb  der  Schranken 
der  Tradition,  die  als  die  echt  und  grofi  klassische  erkannt  und  bezeichnet  wurde  und  wird. 
Dafi  dieser  Gehordefekt  sein  Schaffen  beeinflufit  und  destruktiv  gewirkt  habe,  ist  eine  Uber- 
treibung.  Beethovens  inneres  Gehor  konnte  diese  Stoning  geradeso  iiberwinden,  wie  sein 
unbeugsamer  Wille  die  sonstigen  Hemmnisse.  Trotzdem  ist  die  bildnerische  Darstellung 
Beethovens  durch  Max  Klinger  outriert.  Jeder  Kiinstler  hat  Schaffenskampfe  und  ringt  nach 
Durchsetzung  und  ebenmafiiger  Ausfiihrung  seiner  Absichten.  Dafi  dies  bei  Beethoven  be 
sonders  stark  hervortritt,  ist  zweifellos.  Allein  die  ganze  Personlichkeit  nur  unter  diesem  Ge- 
sichtswinkel  des  Ringkampfers  zu  fassen  ist  Uberspannung  bildnerischer  Erfassung  und  er- 
weckt  falsche  Vorstellungen.  Okonomisch  hatte  Mozart  viel  mehr  und  bitterer  zu  kampfen 
und  zu  leiden  und  auch  Schubert.  Beethoven  war  der  einzige  unter  ihnen,  der  seine  Unab- 
hangigkeit  zu  wahren  vermochte,  ohne  Anstellung  sein  Leben  fristen  konnte  —  beengt  genug. 
Haydn  war  Fiirstendiener  in  sicherer  Stellung.  Tiefster  Jammer  ergreift  den  historischen 
Betrachter  und  krampft  ihm  das  Herz  zusammen,  wenn  er  die  Enge  der  Verhaltnisse  wahr- 
nimmt,  in  denen  der  ,,heitere  Lebenskiinstler"  Mozart  lebte,  den  ein  Bildhauer  gleichsam  als 
eine  Art  Tanzmeister  hinstellte.  Fiirwahr,  das  Gegenbild  des  Bildhauers  Edmund  Hellmer  im 
Vestibiil  des  Mozarteums  in  Salzburg  macht  das  wett,  was  andere  und  auch  Schriftsteller  in 


Die  Wiener  klassisctie  Schule  783 


der  Lebensdarstellung  Mozarts  verbrochen  haben:  Da  steht  er  als  Apollo  Musagetes,  mit  dem 
Rokokozopfchen,  und  auch  dieses  Attribut  hat  seine  Berechtigung,  wie  wir  sehen  werden, 
Haydn  und  Mozart  trugen  zeitlebens  die  Periicke,  die  auch  Handel  und  Bach  am  Kopfe  saB, 
Beethovens  wilder  freier  Haarwuchs  ist  das  Symbol  der  sozialen  Umstellung,  wie  sie  sich 
innerhalb  der  zeitlichen  Grenzen  der  Wiener  klassischen  Schule  vollzog.  Auch  kiinstlerisch 
hat  dies  ein  Widerspiel:  Haydn  und  Mozart  ordnen  sich  ein,  Beethoven  ordnet  sich  iiber. 
Und  trotz  der  Einordnung  hatte  das  Genie  Mozarts  Widersacher,  besonders  in  der  italienischen 
Hofmtisikpartei,  die  sich  far  gefahrdet  betrachtete.  Auch  heute  verstummt  nicht  der  Ver- 
dacht  des  gewaltsamen  Todes  des  Meisters,  und  nach  dem  Urteil  eines  angesehenen  Phar- 
makologen  weisen  die  Symptome  seiner  letzten  Krankheit  auf  eine  chronische  Arsenver- 
giftung,  wie  sie  besonders  in  Italien  nicht  selten  ausgeiibt  worden  ist.  Die  musikantischen 
Widersacher  mochten  sich  mit  dem  Gedanken  zufrieden  geben,  daB  Mozart  in  einem  Arme- 
leutgrab,  in  einem  Gemeinschacht  bestattet  wurde  und  daB  seine  Grabstatte  nicht  mehr 
eruierbar  war.  Die  Nachwelt  hat  die  Wiedererstehung  seiner  Muse  in  verschiedenen  Epochen 
gefeiert  und  kann  in  Bewunderung  und  Wiirdigung  der  Leistungen  der  Wiener  Klassiker  da- 
von  absehen,  daB  Mozart,  Beethoven  und  Schubert  in  gewisser  Beziehung  Martyrer  ihrer 
Kunst  waren.  Als  Menschen  waren  sie  nebst  Haydn  die  Reprasentanten  edelster,  hilfreicher 
Giite,  als  Kiinstler  Verkiinder  des  vornehmsten,  geklartesten  Optimismus. 

Ihr  kiinstlerisches  Bestreben  war  geleitet  von  einer  Dreieinigkeit,  die  Tolstoi  als  Grund* 
forderung  echter,  wahrer  Kunst  aufstellt:  Einfachheit,  Klarheit,  Biindigkeit.  Ihre  Kunst  steht 
auf  dem  Boden  der  Volksmusik,  die,  wie  wir  sahen,  in  Innerosterreich  und  im  Rheinland 
gleiche  Grundqualitaten  hatte.  Dies  erkennt  man  schon  aus  der  rhythmischen  Behandlung 
im  kleinen  und  grofien.  Die  Zwei~,  Vier-,  Sechs-,  Acht-,  Zwolf-,  Sechzehn-  und  Zweiund- 
dreifiigteiligkeit  ist  alien  Formen  der  Wiener  Schule  gemein.  Die  Abweichungen  sind  Modi- 
fikationen,  und  Beethoven  ist  gewissenhaft  genug,  gelegentlich  solche  Ausnahmen  ausdriicklich 
zu  bezeichnen:  ,,Ritmo  di  tre  batfute"  (dreitaktige  Gliederung).  Die  Grofiformen  konzentneren 
sich  um  den  Sonatensatz,  der  wie  ein  Transparent  uberall  durchleuchtet,  alles  durchdringt, 
im  Zyklus  den  1.  Satz  ganz  beherrscht  (erste  Satze  ohne  Sonatenform  sind  als  atypische 
zu  bezeichnen),  auch  im  langsamen  Satz  (der  typisch  dreiteilig  ist),  sowie  im  letzten  Satz  (der 
typisch  die  Rondoform  hat)  durchdringt,  neue  Bildungen  hervorruft.  Im  Sonatensatz  Jst  re 
gular  eine  so  iibersichtliche  Proportionality,  dafi  das  mathematische  Verhaltnis  des  ,,Goldenen 
Schnittes"  sich  bemerkbar  macht:  der  kleinere  (1.  Teil)  verhalt  sich  zum  grofieren  (2.  Teil), 
wie  dieser  zum  Ganzen.  Die  Grundzlige  der  Sonatensatzform  findet  man  auch  dort,  wo  man 
sie  nicht  vermuten  wiirde,  wie  im  Adagio  (1.)  Satze  der  Mondscheinsonate.  So  ist  jedes 
Kunstwerk  eigenartig  gestaltet  und  behandelt  —  eine  Individuality,  alle  zusammen  bilden 
eine  Gemeinde.  Immer  mehr  vervollkommnet  sich  die  Geartung  aus  bescheidenen  Anfangen 
zu  stetig  wachsenden  Dimensionen.  Nicht  in  diesen  liegt  der  hohere  Wert,  sondern  in  der 
Steigerung  des  Gehaltes  und  in  der  Vervollkommnung  der  Mittel,  die  nie  Selbstzweck  sind, 
sondern  nur  im  Dienste  des  seelischen,  poetischen  Gehaltes  stehen.  Die  Kiinstler  beniitzen 
Improvisation  und  Modeproduktion,  um  zur  Erfullung  hoherer  Aufgaben  vorzudringen.  Die 
Liedvariation  wird  aus  dem  Niveau  der  Marktware,  wie  sie  Tausende  gelaufiger  Hande  am 
Klavier  dem  unterhaltungssuchtigen  Publikum  vorspielen,  zu  Offenbarungen  seelischer  Wand- 
lungen  einer  Grundstimmung  erhoben  und  im  Zyklus  so  gegliedert,  daB  eine  Analogic  mit 


Die  Wiener  klassische  Schule 


dem  Sonatenzyklus  hergestellt  wird:  mit  einem  Adagio  und  einem  Finale.  Ganze  Serien  von 
Variationen  werden  innerhalb  einer  Variationenreihe  zu  zyklischen  Gebilden  veremt,  die 
einen  seelischen  Verlauf  widerspiegeln.  Konstruktiv  ist  diese  Variationenarbeit  von  grofiter 
Wichtigkeit,  denn  aus  ihr  reift  die  thematische  Behandlung  der  vollendeten  Klassik.  So  wird 
aus  einem  galanten  Modestiick  ein  Baumittel,  das  zur  Erfiillung  ganzer  Symphomesatze  ver 
wendet  wird,  wie  in  Beethovens  ,,Eroica"  und  ,,Neunter"  (SchluBsatze).  Jedes  Mittel  wird  in 
moglichst  einfacher  Weise  verwendet,  wie  rhythmisch,  so  tonal,  harmonisch,  kolonstisch. 
Mozart  verwendet,  seinen  romantischen  Neigungen  folgend,  man  kann  sagen,  als  derjemge 
Klassiker,  von  dem  aus  die  Romantik  Hauptantriebe  erhalten  hat,  drei-  und  fiinfteilige  Rhyth- 
men  nicht  als  Irregularitaten,  sondern  als  Urerzeugnisse,  ebenso  in  der  Melodik  chromatische 
Intervalle,  wahrend  bei  Haydn  und  Beethoven  die  Diatonik  fast  alleinherrschend  ist;  jedoch 
ist  dies  regular  auch  bei  Mozart  der  Fall.  Die  Themen  sind  schlicht  und  eindringlich,  die 
Melodik  ist  klar  und  iiberzeugend,  tiefste  und  hochste  Emanzipation  menschlichen  Geistes  und 
Gemiites  besonders  in  Adagios,  hinreifiend  heiter  in  Schlufisatzen,  ernst  und  gedankentief  in 
ersten  Hauptsatzen.  Diese  letzteren  Eigenschaften  dringen  auch  in  Menuettsatze,  wie  den  der 
G-Moll-Symphonie  von  Mozart,  ein.  Der  Tanz  des  Lebens  wird  vergeistigt  und  verklart.  Die 
Tanze,  die  von  den  Klassikern  fur  den  Zweckgebrauch  geschrieben  sind,  fur  Redouten  und 
Hoffeste,  stehen  wohl  auf  der  untersten  Stufe  ihrer  Leistungen,  diese  ist  aber  an  sich  schon 
auf  ein  solches  Niveau  gehoben,  dafi  es  moglich  war,  einzelne  dieser  Tanzstiicke  zu  Gebilden 
hoherer  und  hochsterArt  zu  verarbeiten,  wie  z.B.  einen  Kontertanz  von  Beethoven,  der  im 
Finale  der  Ballettmusik  zu  den  ,,Geschopfen  des  Prometheus"  (1802)  als  Finale,  ferner  als 
Thema  der  Klaviervariationen  op.  35,  und  sogar  in  gleicher  Art  im  SchluCsatz  der  ,,Eroica*  * 
verwendet  wird.  Dabei  haben  Tanzstiicke  der  Klassiker  manchmal  eine  aufierlich  reichere 
Koloristik,  als  sie  bei  ,,gro6en"  Werken  verwendet  zu  werden  pflegte. 

Das  Streichorchester  mit  den  vier  paarweise  verwendeten  Holzblasern  (Flote,  Oboe,  Kla- 
rinette,  Fagott),  den  2  Hornern,  den  2  Trompeten  und  Pauken  ist  das  Um  und  Auf  der  In 
strumentation.  Selten  eine  Vermehrung  der  Horner  auf  drei  und  vier,  eine  Herubernahme 
der  Posaunen  aus  der  Kirchenmusik,  ein  hohes  (Piklcolo)  oder  ein  tiefes  Holzblasinstrument 
(Kontrafagott).  Mozart  hat  auch  da  romantische  Neigungen  mit  seinen  ausnahmsweise  ver 
wendeten  Bassethornern,  Harmonika,  Schlaginstrumenten  bis  auf  Rute,  und  Haydn  macht 
Versuche  als  jugendlicher  Chercheur  (far  das  Saiteninstrument  Bariton  schrieb  er  im  Dienste 
seines  Brotherrn).  Schubert  tritt  schon  in  einem  Jugendwerk  als  romantischer  Kolorist  auf: 
1813  in  seiner  ,,Kleinen  Trauermusik"  Es-Moll  mit  je  2  Kiarinetten,  Fagotten,  Hornern  und 
Posaunen  und  einem  Kontrafagott.  Dabei  sind  die  Instrumente  in  ihrem  natiirlichen  Umfang 
und  in  ihren  regularen  Lagen  verwendet,  keine  Ausnutzung  irregularer  Lagen  wie  der  tiefen 
Tone  der  Floten  und  Kiarinetten.  Die  Transpositionsinstrumente  werden  nur  im  Zusammen- 
hang  mit  den  Tonarten  gewahlt,  nicht  hinauf  und  hinab  getrieben.  Welch  bescheidenes  Mafi 
bei  der  Wahl  dieser  Tonarten,  regular  bis  zu  4  Kreuz  und  4  Be,  eigentlich  nur  bis  zu  je 
zweien!  Die  Molltonarten,  wie  G-Moll  bei  Mozart,  Cis-Moll  bei  Beethoven,  mit  einem  ge- 
wissen  Sondercharakter  assoziiert,  ohne  bestimmte  Symbolik.  Die  Wahl  der  Tonart  ist 
nattirlich  begrenzt  durch  die  Naturinstrumente  der  Blechblaser  und  eigentlich  unbegrenzt  nur 
beim  Klavier  mit  seiner  temperierten  Stimmung.  Aber  auch  da  gehen  die  Klassiker  iiber  die 
angegebenen  Tonarten  nicht  hinaus  und  mussen  sich  obendrein  mit  der  Klangarmut  der  da- 


Die  Wiener  klassische  Schule  785 


maligen  Instrumente  begniigen.  Was  wiirden  sie  zum  Vortrag  auf  modernen  Konzertfliigeln 
sagen  ?  Der  Tonumfang  war  so  begrenzt  (regular  5  Oktaven  F^ — f3,  in  den  zwanziger  Jahren 
ausnahmsweise  bis  6  Oktaven  erganzt),  dafi  sie  auf  Oktavenverdoppelungen  vielfach  ver- 
zichten,  den  Umkreis  der  Ausdehnung  beschranken  und  die  unbedeutende  Erweiterung  form- 
lich  erkampfen  muftten.  Wie  armlich,  fast  zimperlich  kommen  uns  heute  die  Fliigel  von  Stein 
oder  Broadwood  vor.  Der  starkere  Klang  des  von  diesen  und  andern  Firmen  erzeugten 
Hammerklaviers  bestimmte  die  Meister,  von  den  alteren  Clavichorden  und  Clavicimbeln  ab- 
zusehen  —  auch  hatte  es  gegeniiber  den  letzteren  den  Vorteil  grofierer  Modifizierbarkeit  des 
Anschlages,  wahrend  bei  Clavichorden  dieser  Vorteil  durch  die  Schwache  des  Klanges  ver- 
lorenging.  Und  trotzdem  steht  das  Klavier  fast  im  Mittelpunkt  der  instrumentalen  Betatigung 
der  Klassiker.  Es  war  jedenfalls  der  Ausgangspunkt  ihrer  Versuche  und  diente  zur  Einstim- 
mung  in  die  Kompositionsarbeit,  wie  ihre  Klavierfantasien  und  Variationen  zeigen.  Beet- 
hovens  Klaviersonaten  sind  die  Pioniere ,  die  Aufklarpatrouillen  seiner  jeweilig  wechselnden 
Schreibweisen,  die  Wegbereiter  der  kommenden  Werke  fur  Kammer-  und  Symphoniemusik 
—  weniger  bei  Mozart  und  noch  weniger  bei  Haydn.  Diese  Aufgabe  iibernahm  bei  dem  letz 
teren  mehr  eine  Gruppe,  die  mit  als  eine  der  Uberleitungen  von  der  altklassischen  zur  Wiener 
klassischen  Instrumentalmusik  angesehen  werden  kann :  das  Divertimento. 

Solche  ,,Ergotzlichkeiten"  erfreuten  sich  in  Wien  einer  allgemeinen  Pflege  und  Beliebtheit, 
bei  groB  und  klein,  bei  hoch  und  nieder,  bei  Tag  (ad  diem)  und  Nacht  (ad  noctem)  (Serenaden, 
Notturnen),  im  Saal  und  Zimmer,  in  geschlossenen  Raumen  und  im  Freien  (Kassationen). 
In  Salzburg  als  ,,Finalmusik"  bei  Festlichkeiten.  Als  Nachtmusik  auch  mit  Gesang,  der  dann 
in  der  Gesamtgruppe  der  ,, Divertimenti"  abgestoCen  wurde  und  somit  ganz  den  Instrumenten 
iiberantwortet  wurde,  Blasern  (besonders  den  f  einer  gearteten)  und  Streichern,  auch  gezupften 
Saiteninstrumenten  (Mandolinen  u.  a.),  meist  zu  drei,  vier,  auch  fiinf,  sechs  und  acht  vereint; 
in  besonders  beliebten  Achterzusammenstellungen  bei  Festen  aller  Art  in  Burger-  und  Adels- 
hausern.  Diese  Gattung  ist  aber  nicht,  wie  erst  letzthin  behauptet  wurde,  als  ausschliefiliche 
Kammermusik  anzusehen,  sondern  als  Mittelfeld  von  Kammer-,  Saal-,  Pleinairmusik,  also  mit 
einfacher  oder  starkerer,  mehrfacher  Besetzung.  Schon  vor  Haydn  und  Mozart  mischten  die 
Musiker  hier  leichte,  flotte  Weisen  (wie  im  einleitenden  Marsch)  mit  tieferen  Gemiitstonen 
in  den  langsamen  Satzen.  Manchmal  steckt  der  beste  Teil  der  osterreichischen  Musikanten- 
seele  in  diesen  Divertimenti.  Sie  waren  ein  Versuchsfeld  fur  die  Wiener  Meister  sowohl  in 
koloristischer  wie  in  formaler  und  thematischer  Beziehung.  Hier  wurden  auch  die  Versuche 
der  Vereinigung  eigentlich  polyphoner,  imitatorischer  Arbeit  mit  homophoner  Fiihrung  zu 
einer  neuen  Schreibart  gemacht  (die  wir  kennenlernen  werden),  so  besonders  in  Menu- 
etten  und  ihren  Alternativsatzen.  Hier  vollzieht  sich  auch  langsam  die  Scheidung  der  so- 
listisch  besetzten  von  der  Orchestermusik,  wobei  auch  noch  heute  die  Wahl  der  Besetzung  bei 
einzelnen  Werken  dieser  Art  nicht  fix  bestimmbar  ist,  Divertimenti  der  klassischen  Fnihzeit 
sind  bald  als  ,,Quartetto",  bald  als  ,,Syrnphonia"  bezeichnet.  Je  weiter  die  Klassiker  vor- 
riicken,  desto  mehr  nahern  sich  diese  Divertimenti  den  ausgefiihrteren  Zyklen  in  Form  und 
Ausfiihrung.  Allein  immer  noch  ist  eine  gewisse  Scheidegrenze  eingehalten:  1800  ist  das  Jahr 
der  definitiven  Trennung  in  Beethovens  Quartetten  op.  18  und  dem  Septett  op.  20,  der  Tren- 
nung  und  des  Niederganges  des  Divertimento.  Beethoven  wandte  sich  ganz  ab;  es  geniigte 
nicht  seinen  intensivierten  Absichten,  die  er  nur  im  reinen  Streichquartett  durchfuhren 


786  Die  Wiener  klassische  Schule 


konnte  —  er  hafite  spater  sein  eigenes  Kind,  das  Septett,  das  wegen  seiner  Einganglichkeit  dem 
Einleben  seiner  gereifteren  und  tieferen  Werke  dieser  Art  hinderlich  war  oder,  richtiger  ge- 
sagt,  ihm  hinderlich  schien.  Wenn  aufierlich  die  numerische  Zusammenstellung  der  Satze 
der  letzten  Quartette  Beethovens  nun  Ahnlichkeit  mit  den  Divertimenti  hat,  so  besteht  inner- 
lich  gar  kein  Zusammenhang,  denn  bei  den  Divertimenti  gilt  das  Losungswort  der  Abwechslung 
(Variatio  delectat),  bei  den  Quartetten  der  inneren  tondichterischen  Zusammengehorigkeit,  des 
Ablaufes  eines  einheitlichen  seelischen  Prozesses.  ,,Alla  danza  tedesca"  und  ^Cavatine"  im 
B-Dur-Quartett  op.  130,  ,, Canzone"  und  ,,AHa  marcia"  im  A-Moll-Quartett  op.  132  sind  Be- 
standteile  des  psychischen  Verlaufes,  der  sich  aus  dem  Werke  offenbart. 

Diesen  Weg  hat  die  ganze  Instrumentalmusik  der  Wiener  Klassiker  eingeschlagen,  diese 
tondichterische  Hohe  erreicht.  Die  programmatische  Neigung  Haydns  und  Beethovens  in 
Ausnahmsfallen  andert  nicht  das  Grundprinzip  der  Wiener  klassischen  Schule,  in  der  Instru 
mentalmusik  das  spezifisch  Musikalische  in  der  Konstruktion  als  haupt-  und  wesensbestim- 
mend  anzusehen  und  die  ganze  Arbeit  auf  eine  Reihung,  Ordnung  des  musikalischen  Ge- 
dankenganges  einzustellen  und  die  dichterischen  Assoziationen  der  freien  Einsicht  zuzumessen. 
iMozart  hat  nur  in  eingelegter  instrumentaler  Theatermusik  solche  programmatische  Seiten- 
sprlinge  gewagt  (Entreactes  in  ,,Konig  Thamos"  ,1780).  Im  iibrigen  fafit  er,  sowie  die  andern 
Grofimeister  das  Bild  in  der  Instrumentalmusik  nur  als  ,,Seelengemalde" .  Auch  Haydn  und 
Mozart  konnten,  wie  Beethoven,  ihre  Meisterwerke  als  ,,gedichtet"  bezeichnen,  denn  die 
Ouverture  zur  Namensfeier  von  1814  unterscheidet  sich  in  der  tondichterischen  Anlage  gar 
nicht  von  den  andern  Instrumentalwerken,  die  nicht  ausdriicklich  als  ,,gedichtet"  bezeichnet 
werden.  Schon  Haydn  sah  seine  Symphonien  und  wohl  auch  seine  Quartette  als  ,,moralische 
Charaktere"  an,  d.  i.als  dichterische  Personalitat en,  welche  auf  dem  festen  Boden  ethischer 
Grundanschauungen  stehend,  eine  Eigenart  offenbaren,  die  sich  uns  im  Verlaufe  des  Werkes 
kundgibt,  im  Ablauf  der  musikalischen  Geschehnisse  und  in  Deckung  mit  begleitenden  Asso 
ziationen,  die  dem  dichterischen  Phantasieleben  in  Bindung  an  die  reine  Musik  entnommen 
sind.  Manchmal  sind  bestimmte  dichterische  Vorstellungen  beim  Produzieren  und  Auf- 
nehmen  mafigebend,  und  sie  sind  absolut  bestimmend,  wenn,  wie  dies  ausnahmsweise  bei 
Beethoven  geschieht,  die  Instrumentalmusik  mit  Worten,  d.  h.  mit  Gesang  verbunden  wird, 
wie  in  der  sogenannten  Chorphantasie  fur  Klavier,  Orchester  und  Chor  (op.  80,  komponiert 
1808),  die  als  Vorstudie  fur  den  letzten  Satz  der  Neunten  und  als  Paradigma  fur  alle  nach- 
folgenden  Werke  dieser  Art  angesehen  werden  kann.  Chorfantasie  und  Finalsatz  sind  aufier 
lich  als  Variationen  angelegt.  Sieht  man  naher  zu,  so  sind  im  letzteren  (was  bisher  ganzlich 
iibersehen  wurde)  drei  Konstruktionsmomente  bestimmend :  neben  der  Variationsbehandlung 
der  Text  (in  sorgfaltiger  Auswahl  und  in  Neugruppierung  aus  der  Schillerschen  Hymne  ,,An 
die  Freude"  nebst  einigen  selbsterfundenen  Worten  in  der  Einleitung)  und  der  Sonatensatz. 
Diese  drei  hat  Beethoven  mit  gewaltiger  Hand,  mit  fast  ubermenschlicher  Kratt  zu  einen  ver- 
mocht.  Als  mitbestimmend  fur  die  Gestaltung  sind  Nebenmomente  anzusehen,  wie  das  Ver- 
haltnis  von  Soli  und  Tutti,  aus  dem  Concerto,  speziell  dem  Concerto  grosso  entnommen, 
ferner  der  Wechsel  der  Orchesterbehandlung  und  endlich  Steigerungen  und  Beschleunigungen. 
Die  Detailuntersuchung  kann  hier  nicht  gegeben  werden1).  Der  Satz  bedeutet  eine  Vertonung 

-1)  Nur  die  Analogic  mit  dem  Sonatensatz,  seine  Einarbeitung  in  den  Bau  oder,  wenn  man  will,  die  Einarbeitung 
des  Baues  in  em  Sonatensatzgebilde  mit  gleichzeitiger  vollstandiger  Resorption  der  Rondoform  durch  den  Sonaten- 


Die  Wiener  klassische  Schuie  787 


der  Hauptgefiihlsgedanken  der  Religion,  wie  sie  Schiller  lehrt:  Freude,  Gottesfurcht  und 
Nachstenliebe  —  alles  in  die  musikalische  Form  gegossen,  in  die  Sprache  der  Musik  iiber~ 
tragen  und  assoziiert  mit  den  aus  der  Schillerschen  Hymne  ausgewahlten  Strophen  und  Absatzen. 
Die  Grundstimmungen  menschlichen  Seelenlebens  werden  m  den  Werken  der  Wiener 
Klassiker  in  unendlichen  Variationen  zum  Ausdruck  gebracht.  Dabei  hat  -eder  gleichsam  ein 
in  die  Kunst  iibertragenes  Lebensmotto.  Man  konnte  es  in  knappe  Worte  so  fassen :  bei  Haydn : 
Ernst  und  Heiterkeit,  bei  Mozart:  Leiden,  Meiden,  Freuden,  bei  Beethoven:  Durch  Kampf 
zum  Sieg,  zur  Freiheit,  zum  Frieden  (per  aspera  ad  astra),  bei  Schubert:  Schmerz,  Sehnen, 
,,Hamur"  (Wiener  Dialektbezeichnung  fur  Humor)  —  alles  geeint  durch  erhabene  Liebe,  Hin- 
gebung,  nicht  im  erotischen  Sinne,  wie  es  nachfolgenden  Generationen  vorbehalten  war.  Der 
Gebrauch,  serienweise  Instrumentalzyklen  zu  veroffenthchen,  hat  sich  nicht  etwa  nur  aus  Ver- 
lagsgriinden  eingestellt,  sondern  die  Komponisten  schufen  die  Werke  in  Spiegelung  ihrer 
wechselnden  Stimmungen  und  schlossen  eine  Reihe  von  Kompositionen  aneinander,  die  sich 
im  Stimmungsausdruck  gleichsam  erganzen.  Dies  kann  man  besonders  klar  bei  Quartetten 
von  Haydn,  Mozart  und  Beethoven  beobachten.  Oder  sie  edieren  die  komplementaren  VJorke 
getrennt  nacheinander,  wie  es  bei  Quintetten  von  Mozart,  bei  Symphonien  von  alien  dreien  der 
Fall  ist.  Die  imSommer  1788  von  Mozart  innerhalb  sechs  Wochen  (Ende  Juni  bis  Anfang 
August)  komponierten  Symphonien  in  Es-Dur,  G-Moll,  C-Dur  bilden  gleichsam  ein  Tr iptychon,. 
eine  symphonischeTrilogie;  am  Anfang  und  am  Ende  ein  freudig  bewegtes  Lebensgefiihl,  zum 
SchluB  konzentriert  und  gefaBt,  in  der  Mitte  das  Leiden  und  Meiden  mit  inneren  Kampfen 
fast  ins  Damonische  greifend,  auch  das  Menuett  ergreifend,  doch  auch  da  liebliche  Seitenblicke 
wie  im  Trio  des  Menuetts.  Triibungen  stellen  sich  auch  in  der  1 .  und  3.  ein,  alles  mit  Anmut 
und  Grazie.  Eine  Weltanschauung,  richtiger  eine  Welterfiillung  in  Tonen,  nicht  philosophisch 
gedankenerfullt,  sondern  auf  dem  reinsten  Boden  der  Tonkunst,  ein  Grundgefiihl  edler  Liebe  und 
Hingebung,  Aufierung  der  treibenden  Motive  des  Daseins  mit  dem  Streben  nach  Erfiillung  — 
ernsteste  Arbeitsleistung  im  Finale  der  C-Dur-Symphonie.  Bei  Beethoven  kann  man  regular 
eine  paarweise  Entstehung  der  Symphonien  beobachten,  nur  die  Eroica,  die  Pastorale  und 
Neunte  stehen  gleichsam  fur  sich,  sonst  paaren  sich  1 .  und  2M  4.  und  5,  7.  und  8.,  indessen 
gehen  innere  Verbindungsfaden  auch  von  der  3.  und  der  6.  zu  den  umliegenden,  von  der 
9.  zu  den  vorangegangenen  Symphonien.  Und  so  stehen  auch  alle  in  den  andern  Kunstzweigen 
geschaffenen  Werke  in  Wechselbeziehung  zueinander.  Dies  ist  bisher  nicht  in  entsprechender 
Weise  untersucht  worden.  Die  hier  aufgestellten  Probleme  harren  geradeso  der  naheren  Be- 
handlung,  wie  die  noch  im  folgenden  aufgeworfenen.  Alle  Beleuchtungsversuche  der  For* 
schung  miissen  in  der  Wiener  Klassik,  wie  gesagt,  vom  Fokus  der  Instrumentalmusik  aus- 
gehen.  Am  meisten  bei  Beethoven.  Dieser  Meister  iibertragt  sogar  die  instrumentale  Be- 
handlungsart  auf  die  vokale,  wahrend  Haydn  und  Mozart  die  Forderungen  der  Vokalitat 
strenge  zu  wahren  suchen  und  die  Vokalkompositionen  gesangsmafiig  behandeln.  Bei  Schubert, 
dem  Liedersanger,  ist  diese  Forderung,  eben  von  den  Bedingungen  deutschen  Liedgesanges 
ausgehend,  gleicherweise  erfiillt.  Die  Spezialuntersuchungen  iiber  Oper,  Oratorium,  Kirchen- 

satz  sei  hier  beruhrt :  Nach  der  Einleitung  1 .  Gruppe  D-Dur  220  Takte,  2.  Gruppe  B-Dur  100  Takte,  Durchfuhrung 
(Modulationen)  313  Takte,  sodann  Einstellung  der  Haupttonart  als  Emblem  des  Wiederholungsteiles  mit  der 
Doppelfuge  und  der  Vereinigung  der  Texte  ,,Freude,  schoner  Gotterfunke"  und  ,,Seid  umschlungen,  Millionen"  in 
den  nachfolgenden  Teilen  (zusammen  286  Takte)  und  endlich  die  Coda  (Stretta)  mit  97  Takten.  Der  ganze  Bau 
im  Grundmafi  des  Goldenen  Schnittes:  320  : 696  =  696  :  1016! 


Die  Wiener  klassische  Schule 


musik,  Lied  und  die  kleineren  Kunstarten,  die  in  den  betreffenden  Abschnitten  des  Hand- 
buches  angestellt  sind  (siehe  Index),  brauchen  in  diesem  allgemeinen,  das  Wesen  der  Wiener 
klassischen  Musik  behandelnden  Abschnitte,  soweit  sie  nicht  schon  beriihrt  wurden,  nicht 
welter  verfolgt  zu  werden.  Es  geniige,  hervorzuheben,  daB  neben  der  hohen  Bedeutung  der 
Instrumentalmusik  der  Wiener  Klassiker  bei  Mozart  die  Oper,  bei  Haydn  das  Oratorium,  bei 
Schubert  das  Lied  in  gleiche  Linie  riickt.  Und  uberall  nehmen  wir  die  Grundqualitaten  wahr, 
wie  sie  hier  allgemein  gekennzeichnet  sind:  so  vollzieht  sich  in  der  Oper  Mozarts  (alle  Zweige 
umfassend)  die  Vereinigung  von  Ernst  (seria)  und  Komik  (buff a),  das  deutsche  Singspiel  ge- 
langt  zu  einer  ersten  Hohe,  die  auch  bei  aller  Eigenart  der  folgenden  Etappen  nicht  iiber- 
schritten  wird.  ,,Alles  ist  nach  seiner  Art"  —  die  jeweilig  zur  relativen  Vollkommenheit  ge- 
deihenden  Opernstile  der  Folgezeit  gewinnen  nicht  dadurch  an  Wirkungskraft,  wenn  man 
ihnen  von  vornherein  eine  historische  Uberstellung  einraumen,  zuerkennen  wollte.  Das  gleiche 
gilt  von  den  zwei  deutsch-englischen  Oratorien  von  Josef  Haydn,  die  selbst  bei  cmer  Ver- 
gleichsstellung  mit  den  Werken  Handels  merits  an  ihrer  historischen  Bedeutung  verlieren  — 
trotz  der  teilweise  philistrosen,  in  das  Biedermeiersche  iibergreifenden  Eigenbehandlung  der 
,Jahreszeiten".  Gerade  die  vollige  zeitliche  Einordnung  der  ,,Schopfung"  in  die  Kunst- 
anschauung  und  Kunstbehandlung  der  neunziger  Jahre  des  18.  Jahrhunderts  gewahrt  dem 
Werke  eine  vereinheitlichende  Insichgeschlossenheit.  Wenn  Beethoven  sich  darauf  beschrankte, 
Eine  Oper  zu  schreiben  —  trotz  alles  Suchens  und  Zurechtlegens  anderer  Stoffe  und  Texte 
(auch  der  fur  ihn  ganz  unpassenden  romantischen  ,,Melusine",  von  Grillparzer  vorgeschlagen, 
in  Mifiverkennen  der  hochstpersonlichen  Eigenart  des  Tonmeisters)  und  trotz  der  auch  mehr 
aus  aufieren  Griinden  (selbst  in  der  letzten  Periode)  hervortretenden  Absicht,  Oratorien  zu 
komponieren  —  so  ist  dies  aus  dem  Wesen  seiner  Kunst  zu  erklaren,  wie  Beethoven  selbst 
nach  der  Komposition  der  ,,Leonore"  ausrief:  ,,Nun  zuruck  zu  MEINER  Weise"! 

In  alien  Kunstgattungen,  wie  sie  die  Wiener  Meister  pflegten,  tritt  ein  Grundstil  hervor, 
der  bei  alien  mannigfachen  Modifikationen  auf  dem  Wege  der  Vervollkommnung  und 
bei  der  Verwendung  und  Anpassung  in  den  von  ihnen  gepflegten  Kunstzweigen  klar  und 
deutlich  hervortritt  und  hier  in  seinen  Grundziigen  als  Erganzung  zu  den  oben  erwahnten 
stilistischen  Kriterien  der  Schule  noch  kurz  beleuchtet  werden  soil. 

Jede  Stilperiode  der  Mehrstimmigkeit  hat  ihre  eigenartige  Fiihrung  der  einzelnen  Stimmen 
in  ihrem  Wechselverhaltnis  zueinander.  Innerhalb  der  Stilperioden  scheiden  sich  diesbeztig- 
lich  Schulen  und  Meister  bei  all  ihrer  Zusammengehorigkeit.  So  unterscheidet  sich  auch  die 
Wiener  klassische  Schule  durch  ihre  mehrstimmige  Setzweise.  Nicht  als  ob  sie  nicht  Ana- 
logien  in  der  vorangegangenen  Zeit  gehabt  hatte,  auch  geanderte  Fortfiihrung  in  den  nach- 
folgenden  Zeiten  und  teilweise  manierierte  Nachahmung.  Die  Wiener  Schule  ist  nicht  aus 
dem  altklassischen  Stil  der  vorangehenden  Zeit  hervorgegangen,  sondern  aus  einem  neben 
diesem  sich  mahlich  scheidenden  und  fortschreitenden :  dem  galanten  Stil.  In  ihm  gab  es 
eigentlich  nur  Eine  Hauptstimme,  wahrend  die  andern  begleiteten.  Die  elegante  Bewegung 
der  melodiefiihrenden  Stimmen  war  fur  die  ganze  Behandlung  bestimmend.  Es  wurde  schon 
darauf  hingewiesen,  mit  welch  Jeichter"  Ware  die  Klassiker  begannen.  Die  polyphonen 
Studien  wurden  nebenher  betrieben,  aber  es  fand  sich  lange  keine  richtige  Vereinigung 
zwischen  homophoner  und  polyphoner  Schreibart,  beide  standen  unvermittelt  nebeneinander, 
wie  die  erste  im  1.  Satz,  die  zweite  im  letzten  (Fugen-  oder  fugierten)  Satz  des  Instru- 


Die  Wiener  klassische  Schule  789 


mentalzyklus.  Bis  ungefahr  1750  waren  das  Cembalo  oder  die  Orgel  Fiillinstrumente,  die  die 
Begleitung  gleichsam  improvisiert  auszufiihren  hatte.  Die  Symphonien  von  Haydn  n.  a.  ver- 
tragen  noch  bis  ungefahr  1770  eine  begleitende  Ausfiihrung;  auBerlich  wurde  in  einzelnen 
Fallen  der  Usus  bis  in  die  neunziger  Jahre  beibehalten,  in  der  traditionellen  Kirchenmusik 
noch  weit  iiber  diese  Zeit  hinaus.  Wenn  ausnahmsweise  dieses  Akkompagnement  schriftlich 
ausgearbeitet  worden  war,  wie  in  gewissen  Duos,  Trios  usw.,  dann  wurde  es  als  ,,obligat" 
bezeichnet,  d.  h.  man  sollte  es  so  ausfuhren,  wie  es  niedergeschri eben  ist.  Auf  dem  Titel 
stand  dann:  ,,Mit  obligatem  Klavier".  Diese  Bezeichnung  des  ,,obligat"  wurde  auch  an- 
gewendet,  wenn  in  einem  Ensemblestiick  ein  oder  das  andere  Instrument  als  notwendig  zum 
Ganzen  gehorig  angesehen  wurde,  wahrend  andere  ,,ad  libitum"  verwendet  oder  wcggelassen 
werden  konnten  —  ein  alter  historischer  Brauch.  In  Sonaten  (aller  Art),  in  denen  z.  B.  die 
Bafistimme  gleicherweise  von  Klavier  und  Cello,  oder  die  Oberstimme  von  Klavier  und 
Geige  vorgetragen  wurde,  konnte  Cello  oder  Violine  eventuell  wegbleiben.  Manche  Friih- 
kompositionen  der  Klassiker  haben  solche  Behandlung.  Wenn  dagegen  die  Stimme  als  zum 
Wesen  der  Komposition  gehorend  angesehen  werden  sollte,  wurde  ein  ,,obligato"  beigefiigt, 
wie  z.  B.  Beethoven  noch  1796/97  seiner  Sonate  op.  5  fiir  Klavier  und  Cello  den  Titel  gibt: 
,,Pour  Clavecin  avec  un  Violoncello  oblige"  Dieses  Wort  hatte  und  hat  mcht  die  Bedeutung 
der  Fiihrung  der  betreffenden  Stimme  im  obligaten,  reell  kontrapunktischen  Stile;  sie  kann 
stellenweise  so  gehalten  sein.  In  den  spateren  Violoncellsonaten  hat  Beethoven  diesen  Bei- 
satz  nicht  gemacht  (op.  69  1807/08,  op.  102  1815).  Er  war  ganz  uberflussig  geworden.  In 
den  Divertimenti,  in  Quartetten,  Symphonien  war  dieser  Beisatz  iiberhaupt  gegenstandslos  ge 
worden,  sobald  die  Zusammengehorigkeit  sich  aus  der  Satzfiigung  von  selbst  als  notwendig 
ergab.  Es  entstand  ein  neuartiges  Wechselverhaltnis  der  Stimmen,  in  dem  die  Begleitung 
so  ausgearbeitet  wurde,  dafi  kein  Teil  aus  ihr  ohne  Schadigung,  ohne  Vernichtung  des  Ganzen, 
genommen  werden  durfte.  Die  ganze  Begleitung  wurde  in  dem  neuen  Sinne  obligat  und 
deshalb  riihmt  sich  Beethoven  in  einem  Briefe  von  1803,  dafi  er  ,,mit  einem  obligaten  Ak 
kompagnement  auf  die  Welt  gekommen  sei",  doppelsinnig  zu  deuten;  I.  seine  Kompo- 
sitionsweise,  hervorgegangen  im  Anschlufi  an  diese  Ubung,  zu  deren  Hauptvertretern  die 
beiden  Meister  gehorten,  denen  er  sich  angeschlossen  hatte;  2.  ihm  ist  diese  Schreibweise 
gleichsam  angeboren,  seiner  Uranlage  entsprechend.  In  der  Jugend  schrieb  er  neben  seinen 
doppelbeinigen  fehlerhaften  Ubungsfugen  Stiicke  im  einfach  galanten  Stil  und  suchte  sich 
der  damals  schon  hoch  ausgebildeten  Schreibart  des  obligaten  Akkompagnements  zu  nahern 
—  mit  Miihe  und  Ausdauer  gelang  es  ihm. 

Dieses  obligate  Akkompagnement  war  demnach  nicht  fertig aus  dem  Haupte  des  Zeus 
wie  Minerva  entsprungen,  sondern  in  langer  Entwicklung  herangereift,  mehr  oder  wenigerals 
Kind  der  Renaissance,  zu  deren  weitumfassender  Stilperiode  auch  die  Wiener  klassische  Schule 
mit  einbezogen  werden  kann.  Zu  diesem  Ausbau  hatten  schon  vor  den  Vormeistern  der  Wiener 
Klassiker,  vor  der  norddeutschen  Symphonic,  den  Italienern  der  gleichen  Zeit,  vor  den  Mann- 
heimern  einige  Kiinstler  des  17.  Jahrhunderts  beigetragen,  so  z.  B.  der  hochbegabte  Reinhard 
Keiser,  der  als  ,,Mozart"  des  17.  Jahrhunderts  bezeichnet  wird.  Auch  bei  den  Hochmeistern 
der  Barocke  finden  sich  in  den  auBerpolyphonen  Formen  Ansatze  und  Analogien.  In  der 
Wiener  Schule  wachst  vorziiglich  aus  dem  improvisierten  Akkompagnement  der  ausgearbeitete 
Satz  heraus.  Das  Wesen  des  neuen  obligaten  Akkompagnements  besteht  dann,  dafi  das  Verhaltnis 


Die  Wiener  klassische  Schule 


der  Stimmen  zur  Hauptmelodie  das  des  Akkompagnements  ist.  Die  Begleitung  ist  ,,obligat" 
nick  im  Sinne  einer  ausschliefilich  oder  vorwiegend  obligaten  Fiihrung  der  Stimme,  sondern 
im  Verhaltnis  der  Unter-  resp.  Beiordnung,  Alle  Stimmenverhaltnisse  sind  zugelassen.  Die 
Betonung  des  zusammengesetzten  Wortes  der  beiden  verbundenen  Worte,  Beiwort  und  Haupt- 
wort,  liegt  auf  dem  Hauptwort,  allein  das  ,,obligat"  ist  die  Seele  des  Korpers.  Alle  Stimm- 
vereinigungen  sind  zugelassen  im  Dienste  dieser  Stilbehandlung.  Es  ist  aucK  gleichgiiltig,  ob 
die  Hauptmelodie  in  der  Oberstimme  liegt,  oder  ob  sie  jeweilig  auf  andere  Stimmen  des  Ver- 
bandes  iibergeht,  ob  sie  gar  partikelweise  verteilt  Jst  (durchbrochener  Stil,  vgl.  meinen  ,,Stil 
in  der  Musik"  I,  S.  268 ff.,  Beispiele:  1.  Satz  der  C-Moll-Symphonie  von  Beethoven,  Quartett 
B~Durop.  130,  Andante), 

Die  akkompagnierenden  Stimmen  erheben  sich  von  den  niederen  Graden  der  Begleitung 
bis  zur  fast  ideellen  Gleichstellung  mit  der  Hauptmelodie:  von  den  Trommel-,  Pauken-,  den 
Murki-,  Alberti-,  Gitarrenbassen,  den  Tremoli  und  Akkordschlagen,  den  zerlegten  Akkord- 
figurierungen,  Ornamentierungen  aller  Art,  in  mannigfachsten  Bewegungsarten  auch  mit 
Verwendung  von  rhythmisch  belebenden  Synkopen  und  Pausen,  also  von  Trabanten- 
stimmen  bis  zu  voll  verselbstandigten  Nebenstimmen.  Einerlei  ob  homophon,  ob  poly- 
phonierend,  ob  stellenweise  fugato  oder  fugiert  oder  in  welcher  Nachahmungsart,  ob  in  Ober- 
Mittel-  oder  Unterstimmen.  Obligates  Akkompagnement  ware  mit  deutschen  Worten  als 
,,selbstandig  ausgebildete  Begleitung"  zu  bezeichnen,  da  mit  der  fortschreitenden  Ausbildung 
des  Verfahrens  die  Verselbstandigungen  immer  zunehmen.  Um  1780  (1782)  ist  das  Prinzip 
der  Vereinigung  der  Setzarten  unter  diesem  Begleitschein  gewonnen  und  gefestigt,  die  Wiener 
klassische  Schule  ist  im  bliihenden  Gange,  alle  Stimmen  konnen  sich  mehr  oder  weniger  frei 
ergehen,  ohne  die  Vinkulierung  (Fesselung)  der  Obligatheit  nach  aufien.  Alles  zielt  auf  eine 
von  der  Hauptstimme  verschiedene  Bewegung,  wenngleich  die  Nebenstimmen  in  einer  Art 
Dienstverhaltnis  zu  der  oder  den  Hauptstimmen  stehen.  Ein  fortwahrender  Wechsel  der 
Stimmbeniitzung  und  Ausfiihrungsarten,  ein  Sichumschlingen  in  der  Stimmfuhrung  mit  dem 
eifervollen  Bestreben  nach  Anteilnahme  an  der  Gedankenfuhrung.  Einerlei,  ob  von  oben,  von 
unten,  von  der  Mitte  beginnend,  unendlich  abwechslungsreich  in  der  Verwendung  der  Mittel, 
eine  schier  uniibersehbare  Variability.  Alles  zur  rhythmischen  Belebung.  Wenn  ,,ein  teutscher 
Biedermann"  1779  in  seinen  ,,Wahrheiten,  die  Musik  betreffend"  (zitiert  von  G.  Schunemann 
in  ,,Geschichte  des  Dirigierens",  S.  173)  sagt:  ,,Da  die  Melodie  mit  alien  moglichen  Zieraten 
nichts  weiter  ist,  als  das  ausgezierte  Dach  am  Hause,  die  Zusammenstimmungen  eines  Stiicks 
aber  allemal  die  Gedanken  desselben  ausmachen  und  ein  ganzes  Gebaude  vorstellen  ..,*',  so 
ist  darin  anerkannt,  welche  Wichtigkeit  diese  ,,Zusammenstimmungen"  der  Nebenstimmen 
haben,  indem  eigentlich  sie  als  das  Gebaude  angesehen  werden.  Die  klassische  Wiener  Schule 
hat  das  oberste  Bestimmungsrecht  der  Hauptmelodie  gewahrt,  auch  wenn  sie  partikelweise  in 
den  Verlauf  der  ,,Zusammenstimmungen"  eingeordnet  ist.  Auch  dort,  wo  zwei  oder  drei 
Hauptstimmen  sind,  wie  z.  B.  in  den  Doppel-  und  Tripelkonzerten,  in  Duetten  und  Ensemble- 
satzen  der  Oper,  in  konzertierenden  Stiicken  aller  Art,  wo  sich  die  Stimmen  konzertant  um- 
schlingen,  treten  die  gleichen  Begleiterscheinungen  auf.  Die  konzertante  Stimmfuhrung  fur 
sich  ist  auch  nichts  weniger  als  streng  obligat:  Terzen-  und  Sextengange  wechseln  mit  poly- 
phonierenden,  imitatorischen  und  rein  harmonischen  Stellen.  Diese  Schreibart  wurde  ganz- 
lich  von  dem  ,,obligaten  Akkompagnement"  absorbiert,  um  so  leichter,  weil  sie  auch  ganz  auf 


Die  Wiener  klassische  Schule  79! 


harmonischer  Basis  beruhte,  wie  schon  J.  A.  Scheibe  von  ,,konzertierender  Harmonic"  spricht. 
Wahrend  in  den  ersten  Stadien  der  Wiener  klassischen  Schule  konzertierende  Stimmen  sich, 
bemerkbar  machen  und  die  Meister  manchmal  besonders  aus  personlichen  Riicksichten  solche 
selbstgefallige  Hervorhebung  eines  Vortragenden  begiinstigten,  wie  selbst  noch  in  den  Quar- 
tetten,  die  von  Haydn  (1787)  und  Mozart  (1789/90)  dem  violoncellospielenden  Konig  Friedrich 
Wilhelm  II.  gewidmet  sind,  macht  sich  immer  mehr  auch  in  den  mit  orchestraler  Begleitung 
verbundenen  Solostlicken,  wie  in  den  Konzerten,  eine  innigere  Verbindung  der  Solostimmen 
mit  den  andern  Stimmen  bemerkbar,  die  bei  Mozart  und  gar  bei  Beethoven  zur  volligen  Gleich* 
stellung,  zur  innigen  Verbindung  von  Ripieno  und  Solo  fiihrt  —  auch  eine  Folge  des  konse- 
quenten  Ausbaues  des  obligaten  Akkompagnements. 

Alles  war  erfullt  und  durchleuchtet  von  thematisch-motivischer  Arbeit,  die  im  organischen 
Zusammenhang  mit  der  Variation  die  hochste  Kronung  der  neuen  Stilart  bedeutet.  Deshalb 
ist  es  begreiflich,  da6  die  von  Haydn  1781  betonte  neue  Schreibart  von  der  modernen  For- 
schung  vorerst  auf  diese  Behandlung  eingestellt  wurde,  wahrend  die  motivisch-thematische 
Arbeit  nur  em  Teil,  em  Glied,  ein  Mittel  des  neuen  Stiles  war.  Auch  nicht  der  kontrapunk- 
tischen  Behandlung,  der  imitatorischen  Faktur  kommt  diese  Rolle  zu.  Mit  der  Vertiefung  in 
die  Werke  der  Meister  der  Hochbarocke  gewannen  diese  Mittel  wohl  erhohte  Bedeutung, 
nicht  etwa  nur  als  Einschubglieder  in  den  Verlauf  der  Sonatensatze  oder  Rondos  odcr  der 
sonstigen  Formen,  sondern  gerade  durch  Belebung  der  Stimmbehandlung  im  Rahmen  des 
obligaten  Akkompagnements,  so  wenn  ,,ein  Thema  gleichsam  kontrapunktisch  entsteht,  aus 
mehreren  imitierten  Einsatzen  ein  und  desselben  Motivs,  die  aber  niemals  wirklich  polyphon 
aufzufassen  sind,  sondern  blofi  rhythmisch  oder  harmonisch  ausfiillend",  oder  ,,wenn  sonst 
kanonische  Nachahmungen  in  untergeordneten  Stimmen  als  rhythmische  Belebung  eingesetzt 
werden",  nicht  nur  bei  Beethoven  (Hans  Gal,  Wiener  Dissertation  ,,Die  Stileigentiimlichkeiten 
des  jungen  Beethoven"  in  ,,St.  Mw."  IV),  auch  bei  alien  andern  Wiener  Meistern.  In  dem 
fugierten  Sonatensatz  der  Zauberflotenouvertiire  wird  das  Thema  im  BaB  zu  einer  Begleit- 
stimme  im  Sinne  dieses  Stiles,  der  grazil  leichtschwebend,  leJchtfliissig  behandelt  wird.  Selbst 
dort,  wo  strenger  Kontrapunkt  verwendet  wird,  vermogen  ihm  die  Wiener  Meister  die  Schwere 
zu  nehmen.  Dies  geschieht  unter  der  Einheitsvorstellung  des  obligaten  Akkompagnements. 
Haydn  und  Mozart  haben  den  Kontrapunkt  auch  zu  heiteren  Scherzen  verwendet,  nie  ins  Ba- 
nale  ausartend.  Die  Meister  bereicherten  mit  solchen  Mitteln  den  aufieren  und  inneren  Ver 
lauf.  Mozart  hat  in  diesem  Sinne  sein  Vollendetstes  in  den  Quintetten  erreicht  (nebst 
etwa  im  Schlufisatz  der  grofien  C-Dur-Symphonie).  Er  hat  sich  in  diesen  Quintetten  (wie 
Abert  I,  393  sagt)  an  die  im  Divertimentocharakter  gehaltenen  Quintette  von  Michael  Haydn 
angeschlossen.  Nur  wird  in  der  Literatur  noch  immer  der  ,,kontrapunktische  Stil"  dieser 
Schreibart  von  dem  ,,homophonen"  schroff  geschieden,  wahrend,  wie  hier  erwiesen  wird,  die 
mehrstimmige  Behandlung  unter  einem  Gesichtspunkt  zusammengefafit  werden  mufi.  Es  ge~ 
niigt  nicht,  zusagen:  ,,im  bekannten  kontrapunktischen  Sti!",  denn  mittels  kontrapunktischer 
Mittel  ist  hier  etwas  anderes,  Neues,  Eigenartiges  entstanden.  Wenn  Beethoven  in  den  Quar- 
tetten  seiner  letzten  Periode  innerhalb  der  Wiener  klassischen  Schreibart  den  ausgedehntesten, 
intensivsten  und  kompliziertesten  Gebrauch  von  diesen  Mitteln  macht  und  nebst  ihrer  Ein- 
ordnung  in  die  Hauptformen  kontrapunktische  Gestalten  als  Eigengebilde  in  Uberordnung 
einsetzt,  so  entfernt  er  sich  dadurch  gewissermaBen  von  der  Grundeigenart  der  Wiener  klassi- 


792  Die  Wiener  klassische  Schule 


schen  Schule,  wie  in  der  groBen  B-Dur-Quartettfuge  op.  133,  die  vorerst  als  Schlufisatz  von 
op.  130  gedacht  war  und  so  auch  zum  erstenmal  am  2.  Marz  1826  aufgefuhrt  wurde,  aber 
durch  Zusprechen  von  Leuten,  die  der  Wiener  klassischen  Tradition  anhmgen  (auch  vom  Ge- 
sichtspunkt  des  Verlegers  der  Wiener  Kunstware),  durch  ein  neues  ,, Finale"  ersetzt 
wurde,  das  der  Wiener  Klassik  voll  entsprach.  Bis  heute  ist  die  grofie  Quart ettfuge,  eigentlich 
Fugenvariationen  mit  Sonatensatzeinschlag,  eine  Ausnahmserscheinung  im  praktischen  Kunst- 
leben  und  von  der  Produktion  der  nachfolgenden  Zeit  noch  nicht  verarbeitet.  Sie  gilt  als 
Monstrum  und  findet  trotz  ihrer  Freiheiten  im  Satze  nicht  einmal  die  Wiirdigung  der  Mo- 
derne,  die  sich  noch  ganz  andere  Freiheiten  und  Ungebundenheiten  gestattet. 

Bei  der  Kennzeichnung  des  obligaten  Akkompagnements  der  Wiener  Schule  smd  noch  zwei 
Momente  hervorzuheben :  das  koloristische  und  (das  fur  die  wahre  Kunst  wichtigste)  das 
seelische.  Die  Verteilung  und  das  Zusammenwirken  der  Stimmen  vollzieht  sich  allenthalben 
mit  Riicksicht  und  mit  Hilfe  der  klanglichen  Farbung.  Selbst  bei  Klavierstiicken  sind  Stimm- 
einsatze  verwendet  mit  besonderer  Riicksicht,  mit  besonderer  Absicht  auf  eine  bestimmte 
Klangfarbung.  Dies  gilt  von  alien  Meistern,  am  bestimmtesten  bei  Beethoven.  Die  Begleit^ 
arten  werden  vom  klanglichen  Standpunkt  aus  gewahlt,  eingesetzt  und  gewechselt.  Die  Eman- 
zipation  der  Viola  und  des  Fagotts  von  der  Bafistimme,  wie  sie  in  den  Vorstadien  der  Wiener 
Schule  eingeleitet  wird  und  in  dieser  zu  voller  Entfaltung  gelangt,  die  Verselbstandigung  der 
2.  Violine  gegeniiber  der  ,,Prinzipalstimme"  im  Quartett-  und  Orchestersatz,  die  Eigenstellung 
der  Viola  gegeniiber  Violoncell  und  2.  Violine  vollzieht  sich  im  obligaten  Akkompagnement 
auch  mit  koloristischen  Absicht  en.  Die  Mozartsche  Bevorzugung  zweier  Violen  im  Quint  ett 
gegeniiber  den  2  Cellis  von  Boccherini  wird  sowohl  vom  Standpunkt  der  Stimmfiihrung  wie 
der  Koloristik  getroffen.  Die  Gegeniiberstellung  lustiger,  weicher,  festlicher  Stimmungen  an 
ein  und  derselben  Stelle  vollzieht  sich  in  den  Nebenstimmen  durch  eigenartige  Fuhning  wie 
durch  klangliche  Farbung  (Wahl  der  betreffenden  Instrumente,  z.  B.  lustig  mit  Geige,  weich 
mit  Oboe,  festlich  mit  Trompete).  Klangschattierungen,  wie  Tremolo,  Pizzicato  u.  a.  haben 
die  geeignete  Wahl  der  Stimmbehandlung  und  Stimmfiihrung  innerhalb  des  grofien  Rahmens 
des  obligaten  Akkompagnemets  zur  Folge.  Ein  Musterbeispiel  der  Verteilung  der  Begleitungs- 
arten  aus  klanglichen  Griindcn  zur  Kennzeichnung  der  Situation  ist  das  auf  S.  731  gebrachte 
Beispiel  der  Begleitmusik  des  Gefildes  der  Seligen  in  Glucks  ,,0rfeo"  —  wenn  man  will,  rein 
homophon,  vielleicht  mit  Hinblick  auf  die  seelische  Harmonie,  vielleicht  aus  dem  Unvermogen 
des  Meisters,  kontrapunktische  Mittel  weder  im  Sinne  des  alten  noch  (noch  nicht)  Jm  Sinne 
der  neuen  Schule  verwenden  zu  konnen  —  an  sich  ein  bestrickendes  Stuck.  Und  da  sind  wir 
beim  letzten  Punkt  der  Erorterung  angelangt.  Das  ganze  obligate  Akkompagnement  ware  eine 
taube  Nufi,  wenn  es  nicht  die  seelische  Belebung  bezweckte  und  erfiillte.  Ob  Ruhe  in  alien 
Begleitstimmen  (gehaltene  Akkorde  in  Wechselbeziehung  der  Klanggruppen),  ob  Bewegung 
einzelner  oder  aller  Stimmen,  ob  Ruhe  in  einzelnen  bei  Bewegung  in  andern  Stimmen  —  alle 
Begleitempfindungen  (Ausdrucksarten,  die  sich  in  den  Begleitstimmen  mitteilen)  miissen  in  das 
Bestimmende,  in  das  Gefiihl  der  Hauptmelodie  sich  einordnen,  auch  erganzen  oder  sogar 
die  Konflikte  der  Strebungen  kennzeichnen.  Es  begiinstigt  Mischung  der  Gefiihle  im  Wiener 
klassischen  Sinne  viel  mehr,  als  dies  im  alteren  Stile  moglich  war,  in  dem  jeweilig  vorziiglich 
,,une  tenure",  Eine  Stimmung  vorwaltete,  herrschte,  bestimmend  war.  Wie  sich  in  den 
Themen  diese  Verbindung  vollzieht,  so  m  den  Nebenstimmen.  Die  Untermalung  wird  so 


Die  Wiener  klassische  Schule  793 


bewerkstelligt.  Nebenakzente  warden  zu  den  Hauptakzenten  gesetzt,  Antreibungen,  Aneife- 
rungen,  Beunruhigungen,  Abweisungen,  Abschwachungen  und  Hemmungen,  wiegende  und 
sonstige  Bewegungen  aller  Art  —  ein  Hiniiberwogen,  wie  es  das  bewegte  Seelenleben  wider- 
spiegelt.  In  der  Hauptmelodie  liegt  die  Zentralisation  des  vorherrschenden  Gefuhlswesens, 
in  den  Begleitstimmen  die  Ausfiihrung  und  Auseinandersetzung  des  Gefahlsprozesses.  In 
dieser  Beziehung  hatte  das  obligate  Akkompagnement  einen  guten  Vorlaufer  im  obligaten 
Rezitativ  (richtiger  Recitative  obligate),  bei  dem  die  Begleitung  den  leidenschaftlichen  Gehalt 
des  in  melodischem,  melismatischem  Sinne  gehobenen  Rezitativgesanges  erganzte  und  zu  er- 
fiillen  trachtete.  Bei  voller  Ubereinstimmung  aller  Stimmen  im  mehrstimmigen  Verbande 
(wie  auch  im  obligaten  Rezitativ)  wird  ein  Kunstmittel  verwendet,  das  gleichsam  als  Erganzung, 
als  Supplement,  oder  als  Gegensatz  oder  zur  Kennzeichnung  besonderer  Stimmungsarten 
dient:  das  Unisono,  das  Oktavieren  —  am  meisten  von  Beethoven  begiinstigt.  Wahrend  es 
im  alten  klassischen  Stil  eine  seltene,  sehr  seltene  Ausnahme  ist,  bedient  sich  die  Wiener 
Schule  dieses  Mittels  zu  verschiedenen  Ausdruckszwecken,  sowie  zum  Wechsel  der  Behand- 
lung  im  obligaten  Akkompagnement,  sogar  in  der  Kirchenmusik.  Themen  treten  so  auf,  oder 
es  schliefit  auf  diese  Weise  eine  Gruppe,  gleichsam  die  Stimmen  (und  die  Stimmung)  zu- 
sammenraffend,  dann  wieder,  um  die  Urkraft  und  Uberzeugungsstarke  einer  Weise  zur  vollen 
Geltung  gelangen  zu  lassen  (wie  das  ,,Seid  umschlungen,  Millionen"),  um  sodann  dieselbe 
Weise  mittels  des  obligaten  Akkompagnements  reich  auszustatten  und  erst  recht  zum  Aus- 
druck  gelangen  zu  lassen.  Dieses  Unisono  gehort  als  eine  Art  Gegenmittel  in  die  Gesamt- 
behandlung  der  mehrstimmigen  Stimmfiihrung. 

Noch  manche  Kriterien  waren  bei  dieser  Zusammensetzung  der  Stileigentiimlichkeiten  der 
Wiener  Schule  zu  erortern.  Teilweise  konnen  sie  als  in  zweiter  und  dritterLinie  stehend  hier 
iibergangen  werden,  wenngleich  ein  jedes  von  Wichtigkeit  ist,  teilweise  fehlen  Vorarbeiten, 
wie  dies  auch  bei  dem  oben  behandelten  Problem  der  Fall  ist.  Bisher  hat  die  Forschung 
sich  nur  mit  Untersuchungen  iiber  einzelne  Meister  beschaftigt  und  wie  im  Zufall 
auf  Gemeinsamkeiten  der  Schule  und  auf  kiinstlerische,  technische  Beziehungen  einzelner 
Meister  untereinander  hingewiesen.  Von  dem  wichtigen  methodischen  Mittel  statistischer 
Zusammenstellungen  wurde  bisher  fast  gar  kein  Gebrauch  gemacht.  Allein  die  methodische 
Forschung  ist  in  stetem  Fortschritt  begriffen.  Und  so  wird  die  Synthese  nach  der  Analyse 
mit  erhohter  Sicherheit  eingreifen  konnen.  Manche  intuitive  Erfassung  in  derLiteratur  wird 
in  der  Folge  exakt  begriindet,  fundiert,  mancher  Irrtum  aufgedeckt  werden. 

Zu  den  unsichersten  Partien  der  Forschung  gehort  das  Verhaltnis  von  Klassik  zur  Romantik, 
das  Erstehen  der  Friihromantik  in  der  Tonkunst.  Wie  allenthalben  beim  Hohenzuge  einer 
Stilrichtung  die  Keime  einer  neuen  sich  regen  und  langsam  entfalten  —  wir  sahen,  wie  neben  der 
Hochbarocke  die  galante  Schreibart  Wurzel  schlug  und  sich  ausbreitete  — ,  so  war  es  auch 
bei  Klassik  und  Romantik  der  Fall.  Philipp  Spitta  sagt,  dafi  jede  Musikperiode  ihre  eigene 
Romantik  habe  und  weist  besonders  auf  einzelne  Ziige  bei  Bach  hin.  Die  Grundziige  der 
Romantik  in  Beziehung  auf  Musik  und  das  musikalische  Drama  suchte  ich  im  2.  Kapitel 
meines  Wagnerbuches  zusammenzufassen.  In  jedem  der  Klassiker  steckt  ein  Stiick  Romantik, 
und  darum  haben  Schriftsteller,  die  ihr  Augenmerk  gerade  darauf  gerichtet  hatten,  diese  in 
Pausch  und  Bogen  zur  Romantik  einbezogen.  E.  T.  A.  Hoffmann  tut  dies  mit  Hinweis  auf  das 
Generalargument,  dafi  ,,die  Instrumentalmusik  die  romantischeste  aller  Kiinste"  sei.  Er  selbst 


794  D*e  Wiener  klassische  Schule 


war  in  der  Musik  ein  Adept  Mozarts  und  schaukelte  sachte  in  das  romantische  Fahrwasser. 
Eine  ganze  Reihe  von  Komponisten  schwankte  zwischen  Klassik  und  Romantik.  Von  den 
Klassikern  hat  Mozart  am  starksten  und  nachhaltigsten  auf  die  musikalische  Romantik  ein- 
gewirkt.  Einzelne  Werke  enthalten  Grundeigenschaften  der  Romantik,  so  die  G-Moll-Sym- 
phonie.  Man  iibersehe  aber  nicht,  dafi  sie  zwischen  der  Es-Dur-  und  C-Dur-Symphonie  steht. 
Mozarts  Neigung  zu  Koloristik,  seine  Modulation,  die,  je  weiter  er  fortschreitet,  immer  mehr 
Medianten  beniitzt,  die  Beethoven  wohl  von  ihm  libernimmt,  Mozarts  Begiinstigung  ungerader 
Rhythmen  u.  a.  erklaren  die  Anlehnung  der  Anhanger  und  Vertreter  der  romantischen  Richtung. 
Das  Thema  der  G-Moll-Symphonie  und  das  2.  Thema  des  Klarinettenquintetts  sind  gleichsam 
Heroldsrufe  der  Romantik.  Und  doch  blieb  er  auf  dem  Boden  der  klassischen  Grundveste  in 
Form  undMitteln.  Wenn  Beethoven,  wie  aus  Skizzen  zu  Symphonien  der  Spatzeit  hervorgeht, 
Vermehrung  des  Apparates,  nahere  Verbindung  der  Satze  (,,das  Adagio  in  gewisser  Weise  im 
letzten  Stuck  wiederholt")  anstrebte,  ,,griechischen  Mythos  und  Cantique  ecclesiastique, 
Feier  des  Bacchus",  vertonen  will,  so  sind  darin  entschieden  romu  itische  Elemente  vertreten. 
Allein  auch  er  blieb  bis  zu  seinem  letzten  Werk  auf  klassischem  Boden  stehen,  und  seine  Per- 
sonlichkeit  gehort,  wie  wir  sehen,  der  klassischen  Schule  an,  wenngleich  die  Zeit  sich  gewal- 
tig  geandert  hatte.  Romantische  Stoffe  lagen  ihm,  wie  wir  sahen,  fern,  auch  sein  ,,Erlkonig" 
blieb  Entwiirf.  Um  ihn  herum  erbliihte  die  Ballade,  eine  musikalische  Grundform  der  Ro 
mantik,  erstanden  die  kleinen  instrumentalen  Gebilde,  die  ins  romantische  Fahrwasser  steuerten, 
wahrend  er  mit  seinen  ,,Bagatellen"  auf  klassischem  Boden  blieb,  ebenso  wie  in  seinen  Ouver- 
tiiren,  trotz  einzelner  formaler  Abweichungen.  Die  programmatischen  Seitenspriinge  anderten 
nicht  seine  kiinstlerische  Physiognomic.  Nie  stellte  er  Farbenreiz  iiber  Linienfiihrung.  Wenn 
Schubert  in  kindlichem  Schwarmeifer  fast  grenzenlos  ausgedehnte  Klavierfantasien  schrieb, 
wie  im  14.  Lebensjahre  (1811)  die  ,,Leichenfantasie"  iiber  Schillers  Jugendgedicht,  so  kon- 
zentriert  sich  und  kondensiert  sich  seine  Formgebung  im  Lied  zu  klassischer  Vollendung, 
gerade  geleitet  von  Goethes  Gedichten.  In  Symphonie  und  Kammermusik  sind  die  Klassiker 
seine  Wegweiser,  und  nur  die  Neigung  zur  Redseligkeit  und  zur  Verwendung  von  Liedgebilden 
in  Transposition  lockerten  seine  Formgebung.  Zwei  Seelen  wohnten  in  seiner  Brust.  Bei  den 
drei  grofien  Klassikern  ist  der  romantische  Zug  nur  ein  Nebenzug,  der  das  Grundwesen  nicht 
alterieren  konnte.  Von  den  klassizistischen  Manieristen,  die  die  Klassiker  umgaben,  und 
ihnen  nachfolgten,  verfielen  manche  dem  romantischen  Zauber,  wenngleich  ihnen  versagt 
blieb,  die  blaue  Blume  in  dem  Reiche  der  Tonkunst  zu  finden.  Und  so  lafit  sich  der  Zeitraum 
von  1810  (1815)  bis  1827  (1828)  in  zweifacher  Weise  fassen:  erstens  mit  Riicksicht  auf  die 
Personlichkeit  Beethovens,  zweitens  mit  Hinblick  auf  die  Eigenentfaltung  der  Romantik  in 
Ballade,  Oper,  kleinen  Instrumentalformen  und  auf  die  erwahnten  Stilqualitaten.  Erst  in  einer 
spateren  Zeit  machte  sich  der  EinfluB  Beethovens  voll  geltend.  Seine  letzten  Werke  brauchten 
etwa  zwei  Generationen  zur  ebenbiirtigen  Einbiirgerung  und  Auffiihrung,  zur  Einarbeitung 
in  die  Produktion.  Haydns  Quartett-  und  letzte  Symphoniekompositionen  (aus  den  neunziger 
Jahren)  lebten  sich  am  raschesten  ein.  DieAuswirkungen  der  Wiener  klassischen  Schule  mach- 
ten  sich  in  alien  Landern  geltend.  Kein  musikalisches  Kulturvolk  konnte  sich  ihrem  Einflufi 
entziehen.  Bei  jeder  der  nachfolgenden  Schulen  und  bei  jedem  Kiinstler  aus  spaterer  Zeit 
zeigt  sich  schon  eine  Seite  der  Eigenart  darin,  wie  sie  sich  zur  Wiener  Schule  einstellen.  Das 
reine  Wiener  Licht  bricht  sich  wie  im  Durchgang  durch  ein  Prisma  in  die  verschiedensten 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828  795 


Farben  und  unabsehbaren  Farbennuancen.  Ihre  Grundform  (Sonatensatz)  ist  wohl  erweitert, 
alteriert,  besonders  durch  Einbeziehungen  von  Durchfiihrungen  in  fast  alle  Teile  und  Ab- 
schnitte  modifiziert,  allein  noch  steht  die  Grundveste,  noch  halten  die klassischen  Typen  stand. 
Damit  soil  nicht  die  Behauptung  aufgestellt  werden,  daB  diese  ein  Kanon  far  alle  Zeiten  seien. 
Das  Feldgeschrei  mancher  Modernen,  die  klassische  Schule  mtisse  iiberwunden  werden, 
scheint  zu  verstummen.  Allem  wenn  auch,  was  an  sich  nicht  zu  verwerfen,  sondern  zu  be- 
griiBen  ware,  neueFormen,  neue  Ausdrucksarten  von  Bestand  gewonnen  werden  —  der  Ewig- 
keitswert  der  klassischen  Formen  und  Mittel  bleibt  bestehen.  Der  asthetische,  ethische,  psy- 
chische  Gehalt  ist  in  den  vollendeten  Werken  von  Dauergeltung.  Ihr  rein  Menschliches  ist 
unverganglich. 

Guido  AdleT 


INSTRUMENTALMUSIK  VON  1750-1828 

Im  AnschluB  an  die  von  Guido  Adler  vorgenommene  Festsetzung  der  Wiener  klassischen 
Schule  von  1780—1810  (resp.  1815)  (vgl.  S.  768 ff.)  konnte  der  Zeitraum,  der  die  Entwicklung 
der  Instrumentalmusik  von  1750 — 1828  umfaBt,  in  folgende  4  Gruppen  eingeteilt  werden: 
I.  Die  vorklassische  Ubergangszeit  (bis  zirka  1760),  II.  die  friihklassische  (zirka  1760 — 80), 
III.  die  hochklassische  Zeit  (von  zirka  1780—1810)  und  IV.  die  Friihromantik  (zirka  1810 
bis  1828). 

I.  Wahrend  der  altklassische Stil  in  den  Meisterwerken Bachs  und  Handels  seine  hochste  Voll- 
endung  fand,  arbeitete  in  samtlichen  Musikzentren  Europas  eine  grofie  Zahl  kleinerer  Talente 
bereits  an  der  Schaffung  neuer  Ausdrucksmittel  im  Dienste  neuer  Inhaltsideale.  Mit  Recht 
hat  man  Rousseaus  Parole  ,,retour  a  la  nature"  (Riickkehr  zur  Natur)  als  die  Signatur  dieser 
Bestrebungen  bezeichnet.  Die  polyphone  Schreibweise  und  ihre  Formen,  aber  auch  der  hone 
Stilisierungsgrad  der  homophonen  Formen  der  Barocke,  mit  einem  Wort:  das  hohe  Pathos  der 
alteren  Kunst,  das  bei  kleineren  Meistern  oft  genug  hohl  und  auBerlich  ausfiel,  all  dies  sollte 
einfacherer,  natiirlicher  Empfindung  und  Formgebung  weichen.  Eines  der  wichtigsten  Mittel 
barocker  Stilisierung  war  die  Entwicklung  ausgedehnter  Satze  aus  kurzen  melodischen  Gebilden, 
bei  polyphoner  Schreibweise  mittels  der  Imitation,  bei  homophoner  auf  dem  Wege  der  Se- 
quenzierung ;  anders  ausgedriickt:  die  Festhaltung  eines  Rhythmus  durch  eJnen  ganzen  Satz, 
das  Fehlen  rhythmischer  Kontraste  innerhalb  eines  solchen,  die  Beschrankung  auf  den  Kon- 
trast  zwischen  verschiedenen  Satzen  der  zyklischen  Komposition.  Das  Aufgeben  der  kunst- 
vollen  Weiterfiihrung  des  Kopfthemas  erforderte  demnach  fur  einen  ausgedehnteren  Satz  die 
Einburgerung  von  Kontrasten,  die  wichtigste  Vorbedingung  fiir  die  Entwicklung  der  So- 
natenf  orm.  Die  Geschichte  der  vorklassischen  Ubergangszeit  ist  also,  was  die  Kompositions- 
technik  anbelangt,  die  Geschichte  der  Sonatenform,  die  ja  zur  Leitform  des  Wiener  klassischen 
Stils  wird,  da  sie  auch  auf  Konzert  und  Ouvertiire  iibergreift.  Inhaltlich  herrscht  im  all- 
gemeinen,  wie  begreiflich,  eine  fast  kindliche  Naivitat  vor;  nur  sehr  wenige  Ubergangsmeister 
haben  etwas  vom  Ernst  der  vollendeten  Barockkunst  in  ihre  Werke  hiniibergerettet  oder 
den  ,,Sturm  und  Drang"  der  gleichzeitigen  Poesie  in  Tone  zu  bannen  gewufit. 

51    H.  d.  M. 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


Die  Sonatenform,  die  zyklische  sowie  die  des  Einzelsatzes,  ist  also  das  Ziel  der  kompositions- 
technischen  Entwicklung,  undso  empfiehlt  es  sich,  zwecks  richtiger  Wertung  ihrer  Vorformen 
und  einzelnen  Entwicklungsstadien,  ihre  Struktur  in  den  Grundzugen  vorgreifend  festzustellen. 
Urn  1770  weisen  die  mehrsatzigen  Werke,  vom  Streichquartett  aufwarts,  die  viersatzige  Form 
auf,  Allegro  — Andante  — Menuett  mit  Trio  —  Allegro.  In  den  kleineren  Ensembles  (Kla- 
viersonate  bis  Klavierquartett)  herrscht  fast  ausnahmslos  Dreisatzigkeit,  wobei  das  Menuett  fehlt 
oder  Finale  resp.  Mittelsatz  bildet.  Eine  Sonderstellung  nehmen  die  Divertimenti  (Serenaden, 
Notturni,  Kassationen)  ein,  welche  die  Viersatzigkeit  durch  Aufnahme  von  zwei  oder  mehr 
Menuetten  und  langsamen  Satzen  bedeutend  iiberschreiten.  Das  erste  Allegro  ist  stets  nach 
der  Sonatenform  im  engeren  Sinne  gebaut.  Der  Satz  besteht  aus  3  Teilen:  Exposition, 
Durchfuhrung  und  Reprise,  und  zeigt  ein  festes  Schema  der  melodischen  und  modulatorischen 
Gliederung.  Die  Exposition  (wie  die  der  Fuge  derjenige  Teil,  der  das  melodische  Material 
des  Satzes  aufetellt),  beginnt  mit  dem  Hauptsatz,  einer  mehr  oder  weniger  geschlossenen  Me- 
lodie  in  der  Grundtonart,  dann  ftihrt  die  Uberleitungsgruppe,  eine  Sequenzkette  kleinerer 
oder  grofierer  Ausdehnung,  zur  Seitentonart  (in  Dur  die  Dominant-,  in  Moll  die  Parallel- 
tonart),  in  welcher  der  melodisch  kontrastierende  Seitensatz  erscheint.  Der  Hauptsatz  ist 
meist  energischen,  der  Seitensatz  lyrisch-kantablen  Charakters.  Eine  an  Beweglichkeit  oft  auf 
die  Uberleitung  zuriickgreifende  Schlufigruppe,  der  Epilog,  beendet  die  Exposition  in  der 
Seitentonart.  Nun  folgt  die  Durchfuhrung,  die  ihren  Namen  deshalb  fiihrt,  weil  sie  das  me 
lodische  Material  der  Exposition  in  anderer,  neuerWeise  verarbeitet.  Oft  genug  freilich  liegt 
der  Exposition  gegeniiber  nur  eine  veranderte  Modulationsrichtung  bei  ganz  gleichartiger 
melodischer  Entwicklung  vor;  die  Durchfuhrung  beginnt  dann  mit  dem  Hauptsatz  in  der 
Dominant-  (bei  Moll  in  der  Parallel-)  tonart  und  moduliert  mit  Hilfe  der  Uberleitungsgruppe 
zur  Parallele  der  Grund-,  Dominant-  oder  Subdominanttonart  (bei  Moll  zur  Dominanttonart), 
wo  der  Epilog  der  Exposition  nachdriicklich  abkadenziert.  Nun  setzt  unmittelbar  oder  nach 
einer  aus  der  Uberleitung  entwickelten  Riickleitungsgruppe  die  Reprise  in  der  Grundtonart 
ein.  Diese  gleicht  melodisch  vollig  der  Exposition,  vermeidet  aber  natiirlich  die  Modulation, 
was  zu  einer  Veranderung  der  Oberleitung  fiihren  mufi;  Seitensatz  und  Epilog  treten  also  in 
der  Grundtonart  auf.  Eine  durch  Anfiigung  einer  schlufibekraftigenden  Gruppe,  durch  Er- 
weiterung  des  Epilogs  oder  durch  Wiedereinfiihrung  des  Hauptsatzes  gebildete  Koda  kann 
den  Sonatensatz  abschlieBen.  Die  namliche  Form  kann  auch  in  Andante  und  Finale  herrschen, 
doch  zeigt  das  letztere  oft  Rondoform,  der  langsame  Satz  oft  die  Form  der  Romanze  (Da-capo- 
Form  mit  kontrastierendem  Mittelsatz);  Menuett  und  Trio  werden  dreiteilig  mit  vollstandiger 
Reprise,  aber  ohne  melodische  Kontrastpartien  geschrieben. 

Es  ist  klar,  da6  der  eben  geschilderte  zyklische  und  Einzelsatztypus  seine  Wurzeln  in  zahl- 
reichen  altklassischen  Formen  hat.  Die  zyklische  Anordnung  geht  auf  die  neapolitanische 
Sinfonia  (Allegro — Andante  —  Allegro)  zuriick,  die  allmahliche  Einbiirgerung  des  Menuetts 
ist  spater  zu  behandeln.  Die  ,,Sonatenform"  des  1 .  Satzes  verdankt  ihre  Entstehung  den  ersten 
Allegri  der  neapolitanischen  Symphonien,  den  Tanzformen  und  den  Vivaldischen  Konzert- 
satzen  und  ihre  erste  Entwicklung  erfolgte  auch  tatsachlich  innerhalb  der  neapolitanischen 
Schule.  Der  Aufbau  der  ersten  Symphonieallegri  wurde  schon  gelegentlich  der  Besprechung 
des  Scarlattischen  Vorspieltypus  geschildert:  modulatorische  Dreiteiligkeit  nach  dem  Schema 
T — D — P — T  in  Dur  und  T — P — D — T  in  Moll  bei  gleichartiger  melodischer  Anlage  aller 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


797 


drei  Abschnitte  (Beginn  mit  dem  gleichen  Kopfthema,  sequenzierende  Fortspinnung  und  Ka 
denz).  Damit  sind  Exposition,  Durchfiihrung  und  Reprise  deutlich  vorgebildet,  sowohl  mo- 
dulatorisch,  als  in  ihren  melodischen  Beziehungen.  Ziemlich  gleichzeitig  machen  sich  nun 
(im  1 .  und  2.  Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts)  die  Einfliisse  der  Tanzform  und  des  Konzertes 
geltend.  Dem  Suitensatz  wird  die  (durch  das  Repetitionszeichen  angezeigte)  Wiederholung 
der  Teile  entnommen,  wobei  zweiter  und  dritter  Abschnitt  als  ein  Teil  zu  wiederholen  sind : 
//:T — D  ://:D — P — T  ://;  dies  fiihrt  oft  dazu,  den  dritten  Abschnitt  wie  in  der  Tanzform 
nur  als  rikkmodulierenden  Anhang  des  zweiten  zu  behandeln,  die  Reprise  also  unvollstandig 
anzulegen.  Mit  der  Einfiihrung  der  Teilrepetitionen  geht  die  Erweiterung  der  Dimensionen 
Hand  in  Hand  und  damit  auch  gelegentlich  die  Aufnahme  kleiner  Epiloggruppen  in  Exposition 
und  Reprise,  die  allerdings  nur  in  der  melodischen  Linie,  nicht  rhythmisch  gegen  Kopfthema 
und  Fortspinnung  kontrastieren.  Wirkliche,  auch  rhythmische  und  klangliche  Kontraste  ver- 
dankt  die  Sinfonia  dem  Konzert.  Unter  dem  Einflusse  dieser  Form  wird  den  als  Tutti  in- 
strumentierten  Gruppen  des  Hauptsatzes  (wie  man  das  Kopfthema  vorgreifend  nennen  kann) 
und  der  Fortspinnung  eine  melodisch  neue  Gruppe  in  zarter  Instrumentierung  und  piano  an- 
gehangt,  worauf  sich  der  Schlufi  der  Fortspinnung  wiederholt.  Diese  neue  Episode  ist  also 
von  gleichartigen  Tuttiabschnitten  eingeschlossen,  mithin  nicht  Schlufigruppe,  und  kann  be- 
reits  als  ,,Seitensatz"  bezeichnet  werden.  Die  Fortspinnung  wirkt  unter  diesen  Verhaltnissen 
als  „  Uberleitung",  ihr  nach  dem  Seitensatz  wiederholter  SchluB  als  ,,Epilog".  Aber  auch  der 
zweite  Hauptteil  der  Form,  die  Durchfiihrung,  empfangt  vom  Konzert  wichtige  Anregungen, 
meist  in  der  Weise,  dafi  aus  Hauptsatz  und  andern  Expositionsgruppen  ein  neues  melodisches 
Gebilde  zusammengestellt  und  mehrmals  sequenziert  wird.  Dann  folgt  die  hergebrachte  Ka- 
denz  in  einer  nahverwandten  Molltonart,  worauf  die  Reprise  unmittelbar  oder  nach  einer 
klemen  Riickleitung  zur  Grundtonart  eintritt.  Dieses  Entwicklungsstadium,  welches  bereits 
alle  charakteristischen  Formelemente  aufweist,  ist  schon  um  1 720  erreicht ;  die  Sinfonia  der  1 72 1 
komponierten  Oper  ,,Pallade  trionfante"  von  Francesco  Conti  (1682 — 1732,  Hofkomponist 
in  Wien)  zeigt  alle  eben  behandelten  tormalen  Eigenschaften  des  ersten  Allegro:  Hauptsatz 
(in  B-Dur)  —  Uberleitung  zur  Dominanttonart  F-Dur  mit  Kadenz  darin  —  Seitensatz  — 
Schlufi  der  Uberleitung  als  Epilog  in  F-Dur  —  sequenzierende  Durchfiihrung  iiber  eine  aus 
Haupt-  und  Seitensatz  zusammengestellte  Gruppe  (F-Dur  —  G-Moll  —  D-Moll)  mit  Kadenz 
in  D-Moll  (Dominantparallele)  und  Riickleitung  zur  Grundtonart  —  vollstandige,  wenn  auch 
etwas  zusammengedrangte  Reprise  in  der  Grundtonart. 

Obcrlcitung 


Allegro 


798 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


Seitensatz 

» 


Epilog 


Durchfiihrung 


SEE* 


Ruckleitung 


1  J  J;    .     ,  - 

=&    r    H 

p;-l*—  ^~ 

y-^zuife: 

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-r^^1!— 

"*"^ 

5SL: 

Wie  das  Notenbeispiel  zeigt,  kontrastiert  der  Seitensatz  auch  tonartlich,  da  er  in  der  Moll- 
tonart  der  Dominante  steht;  dieser  Zug  ist  fur  die  alteren  neapolitanischen  Seitensatze  ge- 
radezu  typisch.  Trager  der  geschilderten  Entwicklung  der  Sonatenform  sind  neben  Alessandro 
Scarlatti  selbst  seine  direkten  oder  indirekten  Schiller  Francesco  Feo  (ca.  1685  bis  nach  1740), 
NicolaPorpora(1686— 1766),  Leonardo  Vinci  (1690— 1732),  Leonardo  Leo  (1 694— 1744)  u.  a. 
sowieMeneghetti  (um  1717)  und  Francesco  Maria  Ver acini  (1721)  in  ihren  Violinsonaten. 
Bei  einzelnen  Meistern,  z.  B.  bei  Antonio  Caldara,  wird  der  Einflufi  Vivaldis  so  iibermachtig, 
daB  die  Konzertform  selbst  den  Aufbautypus  fur  den  ersten  Symphoniesatz  abgibt  und  die 
Sonatenform  iiberaus  selten  begegnet.  Das  Finale  der  Sinfonia  tragt  auch  um  1720  noch  den 
rhythmischen  Charakter  eines  Tanzsatzes  (Menuett,  Gigue  usw.),  doch  ist  die  Form  oft  schon 


Instrumentalmusik  von  1750—1828  799 


sonatenmafiig  ausgebaut  (so  z.  B.  in  Contis  oben  angefuhrter  Sinfonia).  Auch  der  langsame 
Mittelsatz,  urspriinglich  kaum  mehr  als  ein  Verbindungsstiick  zwischen  den  beiden  Allegri, 
eine  langere  oder  kiirzere  Sequenzkette  iiber  oft  sarabandenartig  rhythmisierte  Motive,  wird 
vom  Tanz  und  Konzert  beeinflufit ;  er  erscheint  als  Sarabande  oder  Siciliano  oder  als  konzert- 
mafiige,  diirftig  begleitete  Kantilene.  Aber  auch  wo  er  seine  urspriingliche  harmonisch-se- 
quenzierende  Anlage  beibehalt,  wird  diese  melodisch  bereicherfc.  Die  eben  dargelegte  formale 
Ausgestaltung  der  Sinfonia  in  den  zwei  ersten  Jahrzehnten  nach  1 700  bedeutet  natiirlich  auch 
inhaltlich  einen  Fortschritt  iiber  die  primitiven  Vorspiele  der  ersten  Neapolitanerzeit  hmaus, 
die  trotz  der  dreisatzigen  Anlage  an  Ausdrucksbedeutung  ihren  Urahnen,  die  einleitende  Fan 
fare,  kaum  libertrafen.  Freilich  war  der  kiinstlerische  Wert  auch  dieser  hoher  entwickelten 
Symphonien,  verglichen  mit  dem  der  gleichzeitigen  Konzerte  und  Orchestersuiten,  noch  recht 
gering. 

Wie  die  iibrigen  barocken  Orchesterformen  wurde  auch  die  neapolitanische  Sinfonia  oder 
wenigstens  ihr  charakteristischer  I.  Satz  bald  auf  das  Klavier  iibertragen  und  zwar  durch 
den  Sohn  des  Schopfers  der  Form,  Domenico  Scarlatti  (1685 — 1757).  Seine  samtlich  ein- 
satzigen  ,,Sonaten"  oder  ,,Essercizi"  (=  Ubungsstiicke)  sind  in  der  primitiven  Sonatenform 
der  Zeit  geschrieben;  allerdings  ist  die  Reprise  meist  so  unvollstandig,  auf  die  Epiloggruppe 
beschrankt,  dafi  trotz  der  modulatorischen  Dreigliederung  melodisch  nur  Zweiteiligkeit  vor- 
zuliegen  scheint.  Die  starken  melodischen  und  dynamischen  Kontraste  werden  durch  solche 
der  Stimmfuhrung  und  des  Klavi ersatzes,  die  Freistimmigkeit,  verstarkt.  Man  versteht  dar- 
unter  eine  Stimmbehandlung,  wie  sie  vordem  nur  in  den  improvisatorischen  Formen  iiblich 
war:  ungebundenen  Wechsel  verschiedener  Setzweisen  (Polyphonic  und  Homophonie)  und 
im  Rahmen  letzterer  wieder  den  freien  Ubergang  von  realer  Stimmfuhrung  (Festhalten  meh- 
rerer  gesonderter  Stimmen)  zu  einstimmigen  Passagen  resp.  Akkordbrechungen.  Scarlattis 
diesbeziigliches  Vorbild  war  Bernardo  Pasquini  (1637—1710),  der  einzige  namhafte  Nach- 
folger  Frescobaldis  in  Italian.  Schon  Pasquini  hatte  die  Freistimmigkeit  der  Tokkata  auf 
Klaviersuiten  und  kirchensonatenartige  Klaviersonaten  iibertragen  und  war  auf  Entfaltung  von 
technischer  Virtuositat  ausgegangen.  Scarlatti  steigerte  diese  Errungenschaften  bis  an  die 
Grenzen  des  auf  dem  Clavicembalo  Erreichbaren ;  seine  spieltechnischen  Neuerungen,  wie 
Oktaven-,  Terzen-  und  Sextenpassagen  in  schnellem  Tempo,  grofie  Spriinge,  Kreuzen  der 
Hande  u.  a.  m.,  wurden  von  ungefahr  1720  an  Gemeingut  der  internationalen  Klavierliteratur. 

Dank  der  weltweiten  Verbreitung  des  neapolitanischen  Stils  bildeten  die  Schopfungen  der 
beiden  Scarlatti,  Contis  und  der  andern  genannten  Symphoniekomponisten  die  Grundlage  fur 
die  weitere  Entwicklung  der  Instrumentalmusik  in  alien  Musikkulturlandern,  in  Italien, 
Deutschland  und  Osterreich,  Frankreich  und  England.  Wie  schon  gesagt,  stellt  diese  Entwick 
lung,  deren  Kern  das  Durchdringen  der  Sonatenform  und  ihre  Ausbildung  ist,  den 
Hauptinhalt  der  vorklassischen  Ubergangszeit  dar,  die  um  1730  einsetzt  und  mit  1760,  der 
Zeit  der  ersten  Symphonien  Haydns,  als  abgeschlossen  angesehen  werden  kann.  Alle  groBen 
Pflegestatten  der  Barockmusik  sind  auch  Zentren  der  Stilwandlung  geworden:  in  Neapel, 
Rom,  Venedig,  Wien,  Mannheim,  Dresden,  Berlin,  Hamburg,  Paris,  London  und  zahlreichen 
kleineren  Orten  erstanden  mehr  oder  weniger  bedeutende  Schulen  der  neuen  Richtung.  Wie 
schon  in  der  altklassischen  Epoche  blieben  auch  jetzt  die  Italiener  in  der  Kammermusik,  die 
Deutschen  in  der  Klavier-  und  Orchestermusik  tonangebend. 


800  Instnimentalmusik  von  1750 — 1828 


Die  Hauptvertreter  des  Stiliibergangs  in  I  tali  en  sind  die  Komponisten  von  Tnosonaten 
Giovanni  Battista  Pergolesi  (1710 — 36),  Nicola  Porpora  (1686 — 1766),  Francesco  G e mi 
ni  an  i  (1674 — 1762),  Giovanni  Battista  Sammartini  (1704 — 74)  und  Gaetano  Pugnani 
(1731— -98),  die  Klavierkomponisten  Francesco  Durante  (1684 — 1755),  Benedetto  Marcello 
(1686— 1739),  DomenicoAlberti(ca.  1717  bis  ca.  1740),  Giovanni  Battista  Pescetti  (ca.  1704 
bis  1766)  und  Giovanni  Antonio  Paganelli  (f  ca.  1758),  endlich  der  Reformator  des  Konzerts, 
Giuseppe  Tartini  (1692 — 1770).   Osterreich  versorgte  das  gesamte  siidliche  Deutschland 
mit  fiihrenden  Meistern,  da  inf olge  der  Ungunst  der  Zeiten  (mit  1 740  begannen  die  erst  1 763 
abgeschlossenen  ,,schlesischen"  Kriege  gegen  Preufien)  viele  Talente  in  die  weniger  betroffenen 
Nachbarlander  auswanderten.    In  Wien   wirkten  Georg  Christoph  Wagenseil   (1715 — 77, 
Hofkompositeur  und  -musiklehrer)  und  Matthias  Georg  Monn  (eigentlich  Mann,  1717 — 50) 
als  Komponisten  von  Symphonien,  Konzerten  und  Klavierwerken,  neben  ihnen  Matthaus 
Schloger  (1722 — 66),  Georg  Reutter  der  Jiingere  (1708 — 72,  Hofkapellmeister)  und  der 
Tscheche  Franz  Turn  a  (1704 — 74)  als  Vertreter  der  Orchester-  und  Kammermusik.  Die  Su- 
detenlander,  die  in  dem  Prager  Franziskanerpater  Bohuslav  Czernohorsky  (1684 — 1740) 
einen  ausgezeichneten  Lehrer  besafien,  lieferten  eine  besonders  groBe  Zahl  kompositorischer 
Talente:  neben  dem  ebengenannten  Franz  Tuma  Johann  Zach  (1699 — 1773,  Kapellmeister 
in  Mainz),  Johann  Seeger  (1716 — 82,  Organist  in  Prag),  Josef  Myslivecek  (1737 — 81,  in 
Italien  tatig,  wo  er  sich  Giuseppe  Venatorini  nannte,  aber  dem  Pradikat  II  Boemo  nicht  ent- 
ging),  ferner  die  in  Mannheim  tatigen  Johann  Stamitz  (1717 — 57,  seit  1745  Konzertmeister 
und  Kammermusikdirektor),  Franz  Xaver  Richter  (1709 — 89,  seit  1747  in  Mannheim,  seit 
1769  Domkapellmeister  in  Strafiburg)  und  Anton  Filtz  (ca.  1730—60,  seit  1 754  in  Mannheim), 
endlich  Johann  Schobert  (f  1767  in  Paris).    Mit  Ausnahme  des  Organisten  Seeger  und  des 
Klavierkomponisten  Schobert  schufen  alle  Genannten  Orchester-  und  Kammerwerke.  Mann 
heim  war  als  Residenz  des  reichen  kurpfalzischen  Hofes  ein  besonders  giinstiger  Boden  fur 
kiinstlerische  Entfaltung  und  so  fanden  sich  neben  den  angefiihrten  Sudetendeutschen  der 
Wiener  Ignaz  Holzbauer  (1711—83,  seit  1753  Hofkapellmeister  in  Mannheim)  und  der 
Italiener  Carlo  Giuseppe  Toeschi  (1724 — 88)  daselbst  ein,  denen  sich  die  dort  einheimischen 
Franz  Beck  (1730— 1809)  und  Christian  C an nabich  (1731—  98)  anschliefien.  Norddeutsch- 
land  ist  hauptsachlich  durch  Bachs  Sohne  Wilhelm  Friedemann  (Halle),  Carl  Philipp  Ema- 
nuel  (Berlin,  spater  Hamburg)  und  Johann  Christoph  (Biickeburg)  vertreten;  ferner  wirkten 
in  Berlin  die  Bruder  Johann  Gottlieb  (1699—1771)  und  Karl  Heinrich  Graun  (1701—59, 
ersterer  Konzertmeister,  letzterer  Hofkapellmeister  Friedrichs  II.),  in  Dresden  Johann  Adolf 
Hasse  (1699—1783,  seit  1740  Hofkapellmeister).   Die  Sohne  Bachs  sind  in  erster  Linie  als 
Klavierkomponisten  von  Bedeutung,  schrieben  aber  auch  Kammer-  und  Orchesterwerke, 
wahrend  Hasse  und  die  beiden  Graun  nur  in  letzterer  Hinsicht  in  Betracht  kommen.   In  Paris 
bahnte  schon  Rameau  den  neuen  Stil  an,  den  dann  Pierre  Gavinies  (1726 — 1800),  Francois 
Joseph  Gossec  (1734—1829)  und  Simon  Leduc  (1748—77)  fur  die  Orchester-  und  Kammer 
musik,  der  schon  genannte  Schlesier  Schobert  fur  die  Klaviermusik  ausbildeten.   In  London 
hatten  nattirlich  Auslander  und  zwar  Deutsche  die  Fiihrung,  Bachs  jiingster  Sohn  Johann 
Christian  und  Karl  Friedrich  Abel  (1725—87). 

Wilhelm  Friedemann  Bach  war  1710  in  Weimar  geboren,  Schiller   seines   Vaters  und  1733—47  Organist   in 
Dresden,  1747—64  in  Halle  (daher  der  ,,HaIlesche  Bach"  genannt).   Diescr  Stcllung  wegen  seiner  Unverlatilichkeit 


Instrumentalmusik  von  1750—1828  801 


und  Unberechenbarkeit  entsetzt,  fand  er  keine  neue  mehr  und  starb  nach  zwanzigjahrigem  Wanderleben  in  tiefstem 
Elend  1 784  zu  Berlin. 

Carl  PhilippEmanuel,  geboren  1714  in  Weimar,  gleichfalls  Schiiler  seines  Vaters,  wurde  1740  Kamrnercembah'st 
Friedrichs  II.  in  Berlin  und  iibersiedelte  1767  als  Nachfolger  Telemanns  im  Kirchenmusikdirektoramt  nach  Hamburg, 
wo  er  1788  starb  (der  ,,Berliner"  oder  ,,Hamburger  Bach"). 

Johann  Christoph  Friedrich  (der  ,,Biickeburger  Bach")  wurde  1732  in  Weimar  geboren  und  1756  Graflich 
Lippescher  Kapellmeister  in  Biickeburg.  Hier  starb  er  1795. 

Johann  Christian,  1735  geboren,  wurde  von  seinem  Bruder  Philipp  Emanuel  in  Berlin  ausgebildet  und  suchte 
1754  Italien  auf.  Nach  langerom  Kontrapunktunterricht  durch  Padre  Martini  in  Bologna  wurde  er  nach  seinem 
Obertritt  zur  katholischen  Kirche  Domorganist  in  Mailand,  verlegte  sich  aber  gleichzeitig  auf  die  Opernkomposition. 
1 762  iibersiedelte  er  nach  London,  wo  er  als  Musikmeister  der  Konigin  und  Mittelpunkt  des  Musiklebens  bis  zu 
seinem  1782  erfolgten  Tode  in  hochstem  Anseben  stand.  Seinen  Hauptwirkungsstatten  verdankt  er  die  Bezeichnung 
des  ,,Mailander"  oder  ,,Londonertf  Bachs. 

Der  EinfluB  der  kompositions-  und  instrumentaltechnischen  Errungenschaften  der  Nea- 
politaner  macht  sich,  wie  schon  gesagt,  bereits  um  1720  uberall  geltend,  auch  bei  den 
grofien  Meistern,  die  den  Barockstil  zur  letzten  Vollendung  gebracht  hatten.  So  tritt  in  Johann 
Sebastian  Bachs  Werken  seit  diesem  Zeitpunkt  die  Sonatenform  mit  Durchfiihrung  und  Re 
prise,  wenn  auch  ohne  Seitensatz,  oft  auf,  z.  B.  in  der  zweistimmigen  Invention  in  E-Dur,  im 
Praludium  D-Dur  des  2.  Teils  des  ,,Wohltemperierten  Klaviers",  in  der  Klavierfantasie  in 
C-Moll  (hier  mit  alien  klaviertechnischen  Eigentumlichkeiten  Domenico  Scarlattis)  usw. 
Welche  Rolle  der  Scarlattistil  in  Bachs  Partiten  und  Goldbergvariationen  spielt,  wurde  schon 
betont.  Ahnliche  Beeinflussungen  zeigt  Rameau,  der,  wie  gleichfalls  schon  hervorgehoben, 
das  Allegro  seiner  Ouverttiren  in  Abkehr  von  der  Fugenanlage  als  eine  Art  Sonatenform  ge- 
staltet.  Gleichartige  Ziige  weisen  die  Concerti  grossi  von  Handel  auf,  und  selbst  Fux  macht 
in  einzelnen  Orchestersuiten  der  neuen  Richtung  Zugestandnisse,  allerdings  mehr  in  melo- 
discher  als  in  formaler  Hinsicht,  wahrend  Gottlieb  Muffats  ,,Componimenti**  nach  Inhalt  und 
Form  die  neue  Zeit  fiihlen  lassen.  Konnte  sich  so  die  altere  Generation  den  neapolitanischen 
Einfliissen  nicht  entziehen,  so  ging  die  jiingere  vollstandig  ins  neue  Lager  iiber.  Um  1730 
taucht  der  dreisatzige  Sinfoniatypus  in  alien  gangbaren  Ensembles  auf:  Pergolesi  legt  ihn 
seinen  12  Triosonaten  vom  Jahre  1731  zugrunde,  gleichzeitig  entstehen  die  ersten  dreisatzigen 
Klaviersonaten  Philipp  Emanuel  Bachs  und  zahlreiche  Opernsymphonien  erscheinen,  losgelost 
von  den  zugehorigen  Musikdramen,  als  Konzertmusik.  So  stellt  sich  die  Sinfonia  neben  die 
altklassischen  Formen  der  Suite,  der  Kirchensonate  und  des  Konzerts,  um  alle  diese  in  rund 
20  Jahren  zu  verdrangen  oder  ihnen  die  Sonatenstruktur  aufzudriicken.  Entspricht  diese  Ein- 
burgerung  des  Sinfoniatypus  mit  seiner  spieltechnischen  Einfachheit  und  grundsatzlichen 
Homophonie  der  Zeittendenz  ,,Zuruck  zur  Natur",  so  forderte  die  Verwendung  der  Form 
als  Konzertmusik  einen  inhaltlichen  und  formalen  Ausbau,  denn  in  ihrer  nicht ssagenden  Ur- 
gestalt  als  ,,dreisatziges  stilisiertes  Signal"  hatte  die  Sinfonia  mit  den  eben  auf  dem  Hohe- 
punkte  angekommenen  altklassischen  Formen  auch  bei  verminderten  Anspruchen  nicht  kon- 
kurrieren  konnen.  Dieser  Ausbau  erstreckte  sich  naturgema'8  auf  alle  musikalischen  Mittel, 
auf  die  zyklische  Form  und  die  der  Einzelsatze,  auf  die  Melodik,  Harmonik,  Stimmfahrung 
und  Instrumentation.  Schon  in  der  Behandlung  der  zyklischen  Form  zeigt  sich  ein  tief- 
gehender  Unterschied  zwischen  Norddeutschland  und  Siiddeutschland  —  Italien.  Wahrend 
die  Norddeutschen  (Philipp  Emanuel  und  Friedemann  Bach,  die  Grauns,  Hasse  u.  a.)  an  der 
typischen  Dreisatzigkeit  der  Sinfonia  in  Orchester-,  Kammer-  und  Klaviermusik  festhielten, 
gingen  Italiener  und  Siiddeutsche  zu  freieren  Gruppierungen  der  Satze  iiber,  meist  mit  Be- 


802  Instrumentalmusik  von  1750—1828 


niitzung  von  Elementen  der  Suite,  unter  Verringerung  oder  Vergrofierung  der  Satzzahl.   Fur 
die  Itahener  1st  ganz  besonders  die  Beschrankung  auf  zwei  Satze  charaktenstisch,  deren  Zusam- 
menstellung  alle  erdenklichen  Variationen  aufweist  (Allegro  —  Andante,  Andante  —  Allegro, 
Allegro  —  Tempo  di  Minuetto,  Andante  —  Tempo  di  Minuetto  usw.).    Die  haufige  Vfer- 
wendung  des  Menuetts  bildet  eine  Analogic  zur  siiddeutschen  Praxis,  die  aber  im  allgemeinen 
eine  Vermehrung  der  Satze  anstrebt.    Man  gent  dabei  entweder  von  der  Sinfonia  oder  von 
der  Suite  aus,  erweitert  erst  ere  durch  Einschiebung  von  Suitensatzen  oder  gestaltet  einzelne 
Satze  der  Suite  im  Sonatensinn.   So  fiihren  denn  auch  Kammer-  und  Klavierwerke  und  bis- 
weilen  sogar  Orchesterkompositionen  den  Titel  ,JPartita"  (,,Partia")  oder  die  alte  Kollektiv- 
bezeichnung  far  die  Tanze  einer  Suite  im  Gegensatz  zum  Vorspiel  ,, Divertimento"  (,, Diver 
tissement"),  oder  es  tauchen  Uberschriften  \vie  ,,Servizio  di  Tavola"  auf,  die  gleichfalls  der 
Suitennomenklatur  entstammen  (vgl.  ,,Banchetto  musicale"  u.  dgl.,  von  Telemann  iromsch 
mit  ,,Bratensymphonie"  iibersetzt).  Die  Satzzahl  schwankt  dabei  zwischen  vier  (Sinfoniatypus 
mit  Menuett)  und  acht  und  dariiber  (Suitentypus  mit  sonatenmafiigem  Vorspiel,  Finale  und 
eventuell  Andante).  Diese  italienischen  und  siiddeutschen  Abweichungen  von  der  Dreisatzig- 
keit  stellen  sich  sehr  friih  ein:  schon  die  ersten  mehrsatzigen  Klaviersonaten  in  Italien,  die  um 
1732  entstandenen  von  Durante  (also  keme  Vorlaufer  derjenigen  Philipp  Emanuel  Bachs!), 
smd  zweisatzig,  ebenso  samtliche  erhaltenen  von  Domemco  Alberti  (vor  1740  geschrieben) 
und  einige  von  Benedetto  Marcello  (aus  der  gleichen  Zeit);  fur  die  durchwegs  italienisch 
orientierten  Instrumentalwerke  des  ,,Mailander  Bach"  Johann  Christian  ist  die  Zweisatzigkeit 
geradezu  typisch.  Die  siiddeutsche  Erweiterung  der  Dreisatzigkeit  ist  in  den  verschiedensten 
Spielarten  seit  ca.  1740  nachweisbar,  \vo  sie  in  Wien  beiMonn,Reutter  und  Wagenseil, 
in  Salzburg  bei  Johann  Ernst  Eberlin  (1702 — 62,  erzbischoflicher  Kapellmeister)  begegnet. 
Eine  umfassende  Untersuchung  der  Beziehung  zwischen  zyklischer  Form  und  Benennung  der 
vorklassischen  Instrumentalwerke  hat  gezeigt,  dafi  fur  die  Bezeichnung  ,,Divertimento"  der 
Besitz  auch  nur  eines  Tanzsatzes  (meist  des  Menuetts)  geniigt;  ,,Divertimenti"  sind  also  die 
weitaus  meisten  zweisatzigen  Typen,  die  dreis'atzige  Form,  falls  sie  das  Andante  durch  ein 
Menuett  ersetzt,  und  jede  Erweiterung  des  neapolitanischen  Schemas  durch  Tanzstiicke.  Einer 
dieser  zahlreichen  Divertimentotypen  hat  sich  infolge  seiner  asthetisch  besonders  giinstigen 
Kontrastwirkungen  vor  alien  andern  bewahrt:  die  Viersatzigkeit  durch  Aufnahme  des  Me 
nuetts  in  die  Sinfonia.   Auch  diese  Gruppierung  begegnet  schon  1740  in  einer  Monnschen 
Symphonic  und  findet  sich  dann  in  verschiedenen  Wiener  Werken  von  Wagenseil,  Reutter 
und  Schloger,  doch  nur  gelegentlich,  nicht  systematisch  durchgefiihrt.   Zum  Prinzip  wird  die 
Aufnahme  des  Menuetts  seit  ca.  1 745  in  Mannheim,  dank  der  Initiative  von  Stamitz,  doch 
scheint  Haydn  das  Prinzip  20  Jahre  spater  unabhangig  davon  neu  aufgestellt  zu  haben,  da  seine 
ersten  Symphonien  nur  vereinzelt  Menuett  e  enthalten.   Dafi  sich  die  Zeitgenossen  iiber  die 
Divertimentonatur  dieses  viersatzigen  Zyklus  im  klaren  waren,  zeigt  der  flammende  Protest 
der  Norddeutschen  gegen  die  angebliche  Versiindigung  am  Geiste  der  Sinfonia  durch  Auf 
nahme  eines  Tanzstiickes. 

Die  Sonatenform  des  1.  Satzes  wird  von  Pergolesi  und  Philipp  E.  Bach  in  dem  oben 
geschilderten  Entwicklungsstadium  iibernommen,  das  sich  durch  einen  MolI-Seitensatz,  eine 
sequenzierende,  in  Moll  abkadenzierende  Durchfiihrung,  eine  vollstandige  und  getreue  Re 
prise  und  die  tanzmafiige  Wiederholung  der  beiden  mit  Repetitionszeichen  versehenen  Teile 


I  nstrumentalmusik  von  1750 — 1828 


803 


kennzeichnet.  Daneben  kommen  auch  noch  seitensatzlose  Formen  mit  Festhaltung  eines 
Rhythmus  durch  das  ganze  Stuck  vor.  Die  wichtigsten  formalen  Weiterbildungen  Pergolesis 
sind  das  Auftreten  von  Dur-Seitensatzen  und  die  selbstandige  Ausgestaltung  des  Epilogs,  den 
ja  vordem  nur  die  Wiederholtmg  des  Uberleitungsschlusses  nach  dem  Seitensatze  bildete. 
Beide  Eigentiimlichkeiten  finden  bis  1750  wenig  Nachahmung,  werden  aber  in  den  fiinfziger 
Jahren  uberall  angewendet;  in  Italien  verschwindet  der  Mollseitensatz  fast  vollstandig,  wahrend 
er  sich  im  Siiden  und  Norden  Deutschlands  neben  dem  in  Dur  weiter  erhalt.  Weitere  Fort- 
schritte  weisen  die  Mannheimer  Kammer-  und  Orchesterwerke  (seit  ca.  1745)  auf :  Entwicklung 
der  Uberleitung  aus  dem  Hauptsatzmaterial,  Vertiefung  der  Durchfiihrung  durch  kontra- 
punktische  Kombinierung  verschiedener  melodischer  Bruchstiicke  aus  der  Exposition  und 
Ausbildung  einer  schlufibekraftigenden  Koda  nach  der  Reprise.  Als  Beispiel  einer  kontra- 
punktischen  Durchfiihrung  ein  Abschnitt  aus  einer  Symphonic  in  D-Dur  von  JohannStamitz: 


Seitensatz : 


BaB  des  Epilogs: 


Stelle  aus  der  Durchfiihrung: 


Eine  ahnliche  Entwicklung  macht  die  Klaviersonate  unter  Ph.  Em.  Bach  durch.  Auffalliger.- 
weise  fiihrt  die  Ausbildung  der  Durchfiihrung  in  den  vierziger  und  fiinfziger  Jahren  oft  zu 
einer  Verkummerung  der  Reprise:  da  der  Hauptsatz  in  der  Durchfiihrung  eine  grofie  Rolle 
gespielt  hat,  wird  er  in  der  Reprise  nicht  wiedergebracht,  diese  beginnt  gleich  mit  dem  Seiten 
satz  oder  bestenfalls  mit  der  Uberleitungsgruppe,  ist  also  unvollstandig.  So  sind  fast  alle 
Allegri  von  Stamitz  gebaut,  aber  auch  viele  Sonatensatze  von  Ph.  Em.  Bach  und  andern  inner- 
halb  des  genannten  Zeitraums.  Eine  formale  Eigentiimlichkeit  Bachs  ist  die  Ableitung  des 
Seitensatzes  aus  dem  Hauptsatzmaterial,  ein  fur  die  spatere  Entwicklung  Haydns  wichtiger  Zug. 

Die  Formgebung  des  ersten  Allegro  wird  fur  die  der  iibrigen  Satze  vorbildlich:  Finale  und 
langsamer  Mittelsatz  zeigen  bei  alien  Schulen  und  Meistern  der  Ubergangszeit  Sonatenform 
mit  oder  ohne  Seitensatz,  zwischen  ca.  1 745  und  1 760  oft  mit  unvollstandiger  Reprise.  Rondo- 
form  und  zwar  in  einer  Auspragung,  die  xiber  die  altklassische  Primitivitat  kaum  hinausgeht, 
zeigen  nur  die  Finali  von  vielsatzigen  Divertimenti.  In  Menuett  und  Trio  macht  sich  die  Ten- 
denz  nach  Schaffung  einer  Reprise  geltend,  also  auch  ein  Einschlag  der  Sonatenform. 

Bringt  die  Entwicklung  der  Sonatenform  zwischen  1730  und  1760  eigentlich  nur  ver- 
tiefende  Ausgestaltung  des  von  den  Neapolitanern  schon  um  1720  Erreichten,  so  bedeutet 
dagegen  der  Ausbau  der  Melodik  wahrend  dieser  drei  Jahrzehnte  eine  vollige  Neuschopfung; 
die  altneapolitanische  Melodik  mufite  fallen,  wenn  die  Sinfonia  konzertfahig  werden  sollte, 
und  gerade  auf  diesem  Gebiete  wird  die  ,,Riickkehr  zur  Natur"  am  sinnfalligsten.  Der  oben 


804 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


als  Notenbeispiel  gegebene  1 .  Satz  einer  Sinfonia  von  Conti,  ernes  der  besten  Werke  dieser 
Art,  zeigt  die  melodische  Schwache  der  neapolitanischen  Opernvorspiele  aufs  deuthchste: 
die  skalenmafiig  ausgefiillten  Dreiklangszerlegungen  des  Hauptsatzes,  die  akkordische  Neben- 
notenfiguration  der  Skalengange  der  Uberleitung  in  fast  ununterbrochener  Sechzehntelbewe- 
gung,  die  gleichma6ig  fallende  Achtelskala  des  Seitensatzes,  alles  von  altklassischer  Sequenz- 
technik  beherrscht.  Weit  giinstiger  stand  es  in  der  Klaviermusik,  denn  Domenico  Scarlattis 
Sonaten  bringen,  besonders  als  Seitensatze,  ausgesprochene  Melodien  von  Tanzcharakter  oder 
in  Anlehnung  an  die  neapolitanische  Arienmelodik.  Dieser  Weg  wurde  zwecks  kiinstlerischer 
Hebung  der  Sinfonia  seit  1730  allgemein  beschritten:  stilisierter  Tanz  und  Volkstanz,  Kunst- 
gesang  und  Volkslied  lieferten  das  Material  fur  Seitensatz  und  Epilog.  Am  konservativsten 
wurden  noch  die  Hauptsatze  und  Mollseitensatze  behandelt;  am  Satzbeginn  begegnen  bis  tief 
in  die  klassische  Zeit  hinein  Themen,  die  auf  Akkordzerlegung,  Akkordwiederholung  und 
einfachste  Akkordverbindungen  aufgebaut  sind  und  in  erster  Linie  rhythmisch  wirken.  Aber 
auch  der  Hauptsatz  erfuhr  bei  manchen  Meistern  eine  wirklich  melodische  Ausgestaltung :  das 
,,singende  Allegro"  der  Italiener  von  Pergolesi  bis  Christian  Bach  bildet  ihn  nach  Art  eines 
kantablen  Seitensatzes.  Die  Mollseitensatze  erscheinen  oft  durch  die  Anwendung  der  Imi 
tation  riickstandig,  zumal  wenn  dabei  altklassische  Fugenthemen  auftauchen.  Doch  auch  hier 
macht  sich  die  neue  Zeit  haufig  in  homophon-kantablen  Melodien  geltend. 

Pergolesi  kniipft  in  seinen  Triosonaten  (1731)  direkt  an  seine  eigene  Buffomelodik  an,  m 
der  ja  ein  gutes  Stuck  Volkstiimlichkeit  steckt.  Die  Verwandtschaft  folgender  Themen  aus 
der  ,,Serva  padrona"  (1733): 


Allegro 


mit  nachstehenden  Hauptsatzen  aus  den  Triosonaten  in  B-Dur  und  E-Dur: 

Alhsro         *.    *__^ _*_-^_ 

^^^pgg^^^^^pg^ 


Presto 


*  JL      .  JL 

-A. — j: — ^^g^rrz^-,          r=j< -.ggj-qzr^: —  I     ,     |  ii-T"|i    i    Ui   -I   fF«q 

r^g^^^El^g^zzg^^^E^^^^H-^rT1^ 


Presto  ^ 


1st  unverkennbar.  Einen  kantablen  Hauptsatz  enthalt  die  Triosonate  in  G-Dur: 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


805 


Moderate 


tr 


Pergolesis  Triosonaten  stehen  die  urn  1745  erschienenen  von  Christoph  WillibaldGluck(17l4 
bis  1 787)  nahe,  das  einzige  selbstandige  Instrumentalwerk  des  Meisters.  Im  folgenden  Beispiel 
sind  Mollseitensatze  zusammengestellt,  drei  imitatonsch  gearbeitete,  einer  iiber  dem  alten 
chromatisch  absteigenden  Ciaconabafi  und  ein  rein  homophon-kantabler: 


Pergolesi, 
Trioson.  B. 


Monn, 
Symphonic  B. 


fr 


Y  9 


fr 


—   --  __^ 


Stamitz, 
Symphonic  D.  ' 


Stamitz, 
Trio  C. 


Monr., 
Symphonic  G. 


^^j^gggEEE 


Nun  eine  Probe  von  kantablen  Seitensatzen  in  Dur: 

W*i 
agenseil, 

Symphonic  D.    ts^ 


Stamitz, 
Symphonic  D. 


806 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


Wie  die  Beispiele  zeigen,  ist  der  Seitensatz,  ob  in  Dur  oder  in  Moll,  noch  immer  piano  gehalten, 
also  eine  Art  Soloepisode  zwischen  den  Tuttigruppen  der  Uberleitung  und  des  Epilogs.  Der 
3.  Takt  des  letzten  Beispiels  (Stamitz)  enthalt  eines  der  sogenannten  ,,Seufzermotive",  ein 
vorhaltartiges  Portamento;  derartige  Bildungen,  die  in  den  verschiedensten  Formen  auftreten, 


3E. 


entstammen  der  neapolitanischen  Gesangsmelodik  und  sind  besonders  far  die  italienischen 
Vorklassiker  charakteristisch,  finden  sich  aber  auch  uberall  dort,  wo  direkte  Beriihrung  mit 
der  italienischen  Kunst  erfolgte,  so  in  Wien,  Mannheim  und  Berlin.  Sie  sind  einer  der  Haupt- 
trager  der  kantablen  Wirkung.  Noch  einige  charakteristische  Epiloge,  die  zugleich  starke  volks- 
tiimliche  Einschlage  auKveisen : 

'      »-    -       fr  —   -    & 


Monn, 
Symphonic  B. 


Stamitz, 
Symphonic  £s. 


Der  eben  dargelegten  reichen  Melodik  tritt  noch  ein  Kunstmittel  unterstiitzend  zur  Seite :  der 
Kontrast  innerhalb  der  einzelnen  Themengruppen.  Die  grofie  Entwicklung,  die  erst  die  kon- 
trastierende  Satzfolge  geschaffen  hatte  und  dann,  in  den  Einzelsatz  eindringend,  den  Seiten-* 
satz  aufstellte,  machte  dabei  nicht  halt  und  trug  den  Kontrast  in  die  einzelnen  Satzteile  selbst. 
Seit  wenigstens  1 740  lassen  sich  im  Siiden  wie  Jm  Norden  Deutschlands,  ziemlich  gleichzeitig  bei 
Monn  und  Ph.  Em.  Bach,  in  Haupt-  und  Seitensatzen  und  Epiloggruppen  schroff  aufeinander 
prallende  Gegensatze  nachweisen,  die  fast  immer  in  der  Aufeinanderfolge  einer  zarten  mehr- 
stimmigen  und  einer  kraftigen  unisonen  Phrase  bestehen.  Wagenseil  schliefit  sich  Monn  bald 
an,  ebenso  Stamitz  und  mit  ihm  die  andern  in  Mannheim  wirkenden  Osterreicher.  Im  folgenden 
sind  einige  besonders  charakteristische  Falle  des  ,,Kontrastierens  im  engsten  Rahmen"  zu- 
sammengestellt : 

Allegro 


Monn, 
Symphonic  D. 

Hauptsatz 


Stamitz, 
Symphonic  D. 

Hauptsatz 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


807 


Wagenseil, 
Symphonie     D, 

Seitensatz 


Haydn, 
Jugendsonate  E.  ; 

Seitensatz 


Das  Zitat  aus  der  vor  1767  komponierten  Senate  Haydns  ist  vorgreifend  gegeben,  um  den 
liickenlosen  AnschluB  der  Jugendwerke  dieses  Meisters  an  die  Kunst  seiner  Vordermanner 
darzutun.  Die  jahen  Gegensatze  in  Dynamik,  Melodik  und  Stimmfuhrung  wurden  im  Or^ 
chestersatz  natiirlich  noch  durch  klangliche  vermehrt  und  die  Ausfuhrung  solcher  Effekte 
diirfte  Stamitz  als  Leiter  des  ausgezeichneten  Mannheimer  Orchesters  dazu  gefiihrt  haben, 
einen  andern  Orchestereffekt,  das  Kreszendo  vom  pp  zum  ff  liber  einem  Bafiorgelpunkt,  seinen 
Symphoniesatzen  organisch  einzugliedern.  Hauptsatze,  aber  mit  besonderer  Vorliebe  Uber- 
leitungen  sind  so  behandelt  und  in  Stamitz  eigenen  Werken  immer  von  bester  Wirkung;  unter 
den  Handen  seiner  lokalen  Nachahmer  wird  freilicn  das  Kreszendo  ebenso  wie  das  jahe  Kon^ 
trastieren  zu  einer  nichtssagenden  Manier. 

Zur  Hebung  des  Niveaus  der  Sinfonia  gehorte  natiirlich  auch  die  Verbesserung  der  Stimm 
fuhrung.  Die  wichtigsten  diesbeziiglichen  Errungenschaften  der  vorklassischen  Ubergangs- 
zeit  sind  einerseits  die  Verlegung  des  Schwergewichts  der  Begleitung  auf  die  Mittelstimmen, 
wodurch  der  Bafi  fur  melodische  Fiihrung  frei  wird,  andererseits  der  schon  im  Kontrast- 
prinzip  liegende  schnelle  Wechsel  verschiedener  Stimmfiihrungsarten  innerhalb  eines  Satzes 
(z.  B.  Unison  —  Mehrstimmigkeit).  Die  Verlegung  des  Schwerpunktes  der  Begleitung  in  die 
Mittelstimmen  erfolgt  in  der  Weise,  daB  das  Maximum  der  Bewegung,  die  kleinsten  Noten- 
werte,  als  Tonwiederholung  oder  harmonische  Brechung  den  Mittelstimmen  zugewiesen  wird, 
statt  wie  frtiher  allein  dem  Ba8  zuzufallen.  Damit  ist  die  Grundlage  far  die  Ausbildung  der 
motivischen  Begleitung  gegeben.  Im  engsten  Zusammenhange  mit  der  Stimmfuhrung  steht 
die  Zusammensetzung  des  Ensembles.  Das  bei  den  f riihen  Neapolitanern  iibliche  Orchester 
war  StreicKquartett  (worin  die  Viola  oft  mit  dem  Bafi  in  Oktaven  geht)  mit  verstarkenden 
Oboen  und  Fagott,  gelegentlich  wurden  2  Trompeten  mitPauken  oder  Horner  beansprucht. 
Die  Blaser  wirkten  entweder  nur  als  Forteregister  oder  sie  hatten  regelrechte  Soli.  Das  Orchester 
der  Ubergangszeit  vergrofierte  sich  kaum;  die  starkste  Blaserbesetzung  bestandaus  2  Floten, 
2  Oboen  (oder  Klarinetten  im  Mannheimer  und  Pariser  Orchester),  2  Hornern,  2  Trompeten 
und  Pauken.  Doch  erhielten  die  Holzblaser  und  Horner  zu  ihren  Tuttifunktionen  und  Solo- 
stellen  (in  Mannheim  oft  die  Seitensatze)  noch  eine  dritte  Aufgabe:  die  Harmonien  in  langen 
Noten  auszuhalten  und  so  zusammen  mit  den  harmonischen  Mittelstimmen  den  Basso  continue 
iiberflussig  zu  machen.  Tatsachlich  ist  dieser  in  vielen  stiddeutschen  Symphonien  entbehrlich; 


808  Instrumentalmusik  von  1750—1828 


trotzdem  diirfte  keine  Auffiihrung  ohne  Mitwirkung  des  Cembalo  erfolgt  sein.  Unter  den 
Kammerensembles  behauptete  die  Triobesetzung  noch  immer  den  Vorrang,  doch  ist  das  so- 
listische  Streichquartett  schon  in  den  vierziger  Jahren  entstanden;  Haydns  erste  Quartette 
wurden  1755  geschrieben.  Neben  die  Triosonate  tritt  als  neues  Dilettantenensemble  die  Kla- 
viersonate  mit  Begleitung  einerVioline  oder  einer  Violine  und  eines  Violoncells.  Letzteres  geht 
nur  mit  der  Bafilinie  des  Klaviers,  die  Geige  verdoppelt  dessen  Oberstimme  oder  terzt  sie  aus. 
Aus  einer  alteren  Lautenmusik  dieser  Art  hervorgegangen,  erfreute  sich  die  begleitete  Klavier- 
sonate  grofier  Beliebtheit  und  Wagenseil,  Schobert,  Christian  Bach  und  viele  andere  Klavier- 
komponisten  schneben  for  diese  Besetzung,  die  auch.  for  Arrangements  von  Symphomen 
starke  Verwendung  fand.  Klavicembalo  und  Klavichord  erhielten  in  der  Vorklassikerzeit 
einen  machtigen  Konkurrenten  in  dem  verbesserten  Hammerklavier  (Pianoforte),  dessen  neue 
Spiel-  und  Klangmoglichkeiten  zu  einer  neuen  Art  von  Begleitung  fuhrten,  den  ,,Alberti~ 
Bassen"  (nach  Domenico  Alberti  so  genannt),  einfachen  Akkordzerlegungen  der  linken 
Hand.  Besonders  die  Italiener  und  Wiener  huldigten  dieser  simpelsten  Homophonie,  wahrend 
Schobert  dem  neuen  Instrument  machtige,  auf  Beethovens  orchestralen  Klaviersatz  hin- 
deutende  Wirkungen  abgewann. 

Neben  der  Ausbildung  der  Sonatenform  lauft  deren  Obertragung  auf  dasKonzert.  Diese 
erfolgte  ziemlich  gleichzeitig  durch  Tartini  in  Italien,  Stamitz  in  Mannheim,  Wagenseil,  Monn 
und  Schloger  in  Wien  und  die  Sohne  und  Schiiler  J.  S.  Bachs  in  Mittel-  und  Norddeutschland. 
Die  Umbildung  der  Vivaldischen  Form  zur  Sonatenstruktur  ging  in  der  Weise  vor  sich,  dafi 
zuerst  die  Modulation  auf  die  Dreiteiligkeit  reduziert  wurde  (T — D,  D — P,  P — T),  die  tonart- 
bekraftigenden  Tutti  in  der  Dominante  und  Parallele  zu  kurzen  Epilogen  zusammenschmolzen 
und  schliefilich  das  Anfangstutti  das  gesamte  Material  des  ersten  Solo  erhielt,  dessen  Reprise 
der  dritte  Tell  brachte,  wahrend  der  zweite  die  Form  einer  bescheidenen  Durchfohrung  an- 
nahm.  Noch  1760  und  spater  sind  die  Falle  zahlreich,  in  denen  das  Anfangstutti  nicht  alle 
Gruppen  des  spateren  ersten  Solo  bringt;  die  endgiiltige  Ausbildung  des  Konzerts  erfolgte  erst 
in  der  Wiener  klassischen  Zeit  selbst.  Der  bedeutendste  Vertreter  des  vorklassischen  Kon 
zerts  ist  zweifellos  Ph.  Em.  Bach,  der  auch  noch  in  anderer  Hinsicht  gleich  zu  nennen  sein  wird. 
Noch  eine  Form  der  Barockzeit  ging  namlich  durch  die  Hande  der  Vorklassiker  in  Wiener 
klassisches  Gut  iiber,  die  zur  ,,Fantasie"  gewordene  Tokkata.  Ankniipfend  an  seines  Vaters 
,,Chromatische"  schrieb  Ph.  Em.  Bach  eine  Anzahl  Fantasien  for  Klavier,  in  dreiteiliger  Form: 
improvisatorischer  Anfangs-  und  SchluBteil,  dazwischen  ein  geschlossener  langsamer  Satz. 
Um  die  fantastische  Natur  des  1.  und  3.  Abschnittes  schon  aufierlich  anzudeuten,  vermeidet 
Bach  darin  die  Taktstriche.  Dem  improvisatorischen  Charakter  dienen  lange  Rezitative  mit 
Zwischenspielen,  die  dem  Recitativo  accompagnato  der  Oper  abgelauscht  sind.  Den  Zeit- 
genossen  erschienen  diese  melodisch  wie  harmonisch  kiihnen  Werke  als  der  Inbegriff  des  Ro- 
mantischen,  als  die  musikalische  Widerspiegelung  des  damals  eben  zu  neuem  Leben  erweckten 
Shakespeare. 

Die  vorklassische  Ubergangszeit  gipfelt  in  zwei  sich  scharf  unterscheidenden  Richtungen, 
der  italienischen  und  der  norddeutschen,  zwischen  denen  ausgleichend  und  das  Beste  von 
beiden  Seiten  verarbeitend,  eine  dritte,  die  osterreichisch-siiddeutsche  steht.  Die  Italiener 
lieben  das  Divertimento  und  (wie  in  der  gleichzeitigen  spatneapolitanischen  Vokalmusik)  die 
Kantabilitat,  sodafi  die  beiden  Hauptgruppen  des  Sonatensatzes  kaum  kontrastieren.  Die 


Instrumentalmusik  von  1750— 1828  §09 


Norddeutschen  halten  an  der  Dreizahl  der  Satze  fest  und  ebenso  an  der  Gegensatzlichkeit  der 
einzelnen  Themengruppen,  auch  wenn  der  Seitensatz  aus  dem  Hauptsatz  entwickelt  sein  sollte, 
ferner  verschmahen  sie  den  glatten  Albertibafi.  Die  Wiener  und  Siiddeutschen  halten  die 
goldene  Mittelstrafie  und  sichern  sich  so  die  Errungenschaften  der  andern.  Wenn  man  freilich 
in  der  Zeit  der  ,,Riickkehr  zur  Natur"  Umschau  halt  nach  einem  grofien  und  tiefen  Geiste, 
der  all  die  kindliche  und  spielensche  Naivitat  verschmaht  und  die  Heiligkeit  der  Kunst  predigt, 
so  fallt  das  Auge  auf  eme  einzige  Erschemung,  Philipp  Emanuel  Bach.  Sein  Wollen  war  das 
hochste,  und  versagte  auch  oft  sein  Konnen  vor  dem  letzten  Gelingen,  er  war  der  wichtigste 
kiinstlerische  Lehrmeister  der  Wiener  klassischen  Trias. 

II.  1760 — 1780.  Bald  nach  1760begannen  die  Namen  Haydn  und  Mozart  die  Aufmerksam- 
keit  von  den  Komponisten  der  Ubergangszeit  abzulenken  und  auf  sich  zu  konzentrieren.  Haydn 
zahlte  ungef  ahr  30  Jahre,  wahrend  Mozart  in  einem  selbst  fur  ein  Wunderkind  iiberaus  jugend- 
lichen  Alter  stand.  Von  einem  ,,Wiener  klassischen  Stil"  kann  in  dieser  Zeit  natiirlich  nicht 
gesprochen  werden;  beide  Meister  waren  Kinder  der  Ubergangszeit  und  ihr  kiinstlerischer 
Werdegang  brachte  es  mit  sich,  dafi  der  Altere  in  der  Ubung  der  Wiener  Vorklassikerschule 
aufwuchs,  wahrend  des  Jiingeren  Vorbilder  in  erster  Linie  die  italienischen  Meister  der  Zeit 
wurden.  Erst  mit  der  durch  Mozarts  Ubersiedlung  nach  Wien  ermoglichten  personlichen  Be- 
riihrung  der  beiden  erfolgte  von  ca.  1780  an  die  gegenseitige  kompositionstechnische  Beein- 
flussung,  die  den  ,,Wiener  klassischen"  Stil  schuf.  Natiirlich  darf  nicht  iibersehen  werden, 
dafi  mit  dem  Hervortreten  Haydns  und  Mozarts  die  zahlreichen  kleineren  Geister  nicht  von 
der  Bildflache  verschwanden ;  ganz  abgesehen  von  beider  Altersgenossen,  gelangten  in  der 
,,friihklassischen  Zeit"  einige  der  altesten  Vertreter  der  Ubergangszeit,  wie  Ph.  Em.  Bach 
und  Wagenseil,  erst  auf  den  Hohepunkt  ihrer  Entwicklung.  Begreiflicherweise  haben  die 
Vorklassiker,  die  Vollzieher  der  grofien  Stilwandlung,  die  Aufmerksamkeit  der  Forschung  bis- 
her  weit  lebhafter  erregt  als  die  ,,Mitlaufer"  der  Klassiker,  sodafi  die  Erkenntnis  auf  letzterem 
Gebiet  noch  manche  Lticke  aufweist. 

Franz  Joseph  Haydn  wurde  1732  zu  Rohrau  an  der  niederosterreichisch-ungarischen 
Grenze  als  Sohn  eines  Wagnermeisters  geboren.  Die  musikalische  Veranlagung  ging  wohl  auf 
den  Vater  zuriick  und  zeigte  sich  bei  noch  einem  der  zwolf  Geschwister,  Johann  Michael 
(1737—1806),  hoch  entwickelt.  Josef  Haydn  wurde  als  achtjahriger  Knabe  vom  Hofkapell- 
meister  Georg  Reutter  als  Sangerknabe  an  die  Wiener  Stephanskirche  gezogen,  wo  er  fast 
zehn  Jahre  lang  als  Solosopranist  tatig  war  und  ohne  eigentlichen  Theorieunterricht  nach  dem 
Vorbilde  der  fiihrenden  Wiener  Meister  zu  komponieren  begann,  Seine  auf  Grund  des  Stimm- 
bruchs  erfolgte  Entlassung  versetzte  ihn  auf  ein  weiteres  Jahrzehnt  in  die  Notwendigkeit, 
durch  Privatunterricht  und  Korrepetitionen  sein  Leben  notdiirftig  zu  f r Jsten,  bis  er  1 759  eine 
Anstellung  als  Kapellmeister  beim  Graf  en  Morzin  in  Lukavec  bei  Pilsen  erhielt.  1761  nahm 
er  die  Kapellmeisterstelle  beim  Fiirsten  Esterhazy  in  Eisenstadt  an,  die  er  bis  zur  Auflosung 
der  Kapelle  (1790)  bekleidete.  Mit  einer  Pension  ausgestattet,  lebte  er  nun  bis  zu  seinem 
Tode  1809  in  Wien,  von  wo  aus  er  in  den  Jahren  1790—92  und  1794—95  Reisen  nach  London 
unternahm,  die  ihm  grofie  kiinstlerische  und  materielle  Erfolge  brachten.  Ungeachtet  der 
Widerwartigkeiten  einer  vierzigjahrigen  ungliicklichen  Ehe,  erhielt  sich  Haydn  bis  ins  hohe 
Alter  die  Kraft  und  Fahigkeit,  neue  Eindrucke  zu  verarbeiten  und  so  seine  Kunst  zu  vervoll- 
kommnen;  nahezu  alles,  was  von  seinen  Werken  heute  noch  lebendig  ist,  hat  er  zwischen 


810  Instrumentalmusik  von  1750—1828 


seinem  60.  und  70.  Lebensjahre  geschaffen,  nach  Mozarts  Tode,  dessen  kiinstlerisches  Erbe 
er  sich  als  Sechzigjahriger  voll  zu  eigen  machte.  Er  hinterlieB  104  Symphonien  (die  erste  1759, 
die  letzte  1795  komponiert),  mehr  als  60  Divertimenti  (Serenaden,  Kassationen),  16  Opern- 
vorspiele,  mehr  als  50  Konzerte  (fiir  Klavier,  Violine,  Cello,  KontrabaB  und  andere  Instru- 
mente),  77  Streichquartette  und  den  Quartettzyklus  ,,Die  sieben  Worte  Christi  am  Kreuze" 
(das  erste  Quartett  1755,  das  letzte  1801  geschrieben),  38  Klaviertrios,  30  Streichtrios,  12  Violin- 
sonaten,  6  Duette  fur  Violine  und  Viola,  175  Stiicke  fiir  das  Baryton,  52Sonaten  und  Diverti 
menti  fur  Klavier,  Variationen  und  Fantasien  far  Klavier,  Tanze  und  Marsche  fiir  Orchester  usw. 
Wolfgang  Amadeus  Mozart,  1756  als  Sohn  des  erzbischoflichen  Hofkompositeurs  Leopold 
Mozart  geboren,  zeigte  schon  als  Vierjahriger  Anzeichen  groBer  Begabung.  Der  Vater,  selbst 
Instrumental-  und  Vokalkomponist  und  Verfasser  des  1756  erschienenen  Lehrwerkes  ,,Ver- 
such  einer  griindlichen  Violinschule",  iibernahm  den  theoretischen  und  praktischen  Unter- 
richt  des  Wunderkindes  und  ging  mit  diesem  und  dessen  gleichfalls  hochmusikalischer  Schwe- 
ster  Maria  Anna  (Nannerl  genannt)  auf  Konzertreisen  (1 762  nach  Miinchen  und  Wien,  1 763 — 66 
nach  Paris,  London  und  Haag).  Auf  einen  vierjahrigen  Aufenthalt  in  Salzburg  und  Wien  folgte 
die  italienische  Reise  1770 — 71,  gelegentlich  derer  Wolfgang  in  die  Accademia  dei  Filarmonici 
in  Bologna  aufgenommen  wurde  und  seine  ersten  groBen  Erfolge  als  Opernkomponist  davon- 
trug.  1769,  kurz  vor  der  Abreise,  war  der  noch  nicht  Vierzehnjahrige  erzbischoflicher  Kon- 
zertmeister  geworden,  1 779  wurde  er  zum  Hoforganisten  ernannt.  In  die  Zwischenzeit  fallen 
einige  Italienfahrten  zwecks  Aufftihrung  von  Opern  sowie  die  zweite  Pariser  Reise  1778 — 79. 
Da  Mozart  kein  Wunderkind  mehr  war  und  mitten  in  den  Kampf  zwischen  Piccinnisten  und 
Gluckisten  geriet,  blieben  ihm  Erfolge  versagt,  zudem  verlor  er  in  Paris  seine  Mutter,  die  ihn 
diesmal  begleitet  hatte,  und  so  kehrte  er  schwer  getroffen  nach  Salzburg  zuriick.  Konflikte 
mit  dem  Erzbischof  Hieronymus  Graf  en  Colloredo  zwangen  ihn  1781,  die  Hoforganistenstelle 
niederzulegen,  worauf  er  dauernd  nach  Wien  iibersiedelte  und  sich  mit  Konstanze  Weber 
verheiratete.  Da  er  erst  1 787  die  schlecht  dotierte  Stelle  eines  kaiserlichen  Kammerkompo- 
nisten  erhielt,  geriet  er  bald  in  mifiliche  Vermogensverhaltnisse,  dazu  kamen  Familiensorgen 
und  ktinstlensche  Enttauschungen  (Ablehnung  des  ,, Figaro"  und  ,,Don  Giovanni"  in  Wien). 
Der  Erfolg  der  ,,Zauberflote"  fallt  schon  in  sein  Todesjahr  1791.  Im  Gegensatz  zu  Haydns 
Leben,  das,  von  den  spaten  Londoner  Reisen  abgesehen,  im  engen  Kreise  kleiner  Privat- 
kapellen  verlief,  spielte  sich  das  Mozarts  in  den  bedeutendsten  Musikzentren  Europas  vor  der 
breitesten  Offentlichkeit  ab,  ein  ahnlicher  Gegensatz,  wie  er  zwischen  den  Lebenslaufen  Bachs 
und  Handels,  Palestrinas  und  Lassos  hervortritt.  Mozart  und  Haydn  waren  librigens  durch 
innige,  neidlose  Freundschaft  miteinander  verbunden.  Mozarts  Instrumentalwerke  sind 
40  Sinfonien  (die  erste  von  1764,  die  letzten  von  1788),  31  Divertimenti,  Serenaden  und 
Kassationen,  zahlreiche  Marsche,  Tanze  und  sonstige  kleinere  Orchesterstticke,  25  Klavier- 
konzerte,  15  Konzerte  fur  Violine,  Flote,  Klarinette,  Horn  oder  Fagott,  5  Konzerte  fiir  2 — 3 
Soloinstrumente  (2  Violinen,  Violine  und  Viola,  Flote  und  Harfe,  2  Klaviere  und  3  Klaviere), 
9  Quintette,  26  Streichquartette,  diverse  Quartette,  Trios  und  Duos  verschiedenster  Bcsctzung, 
8  Klaviertrios,  42  Violinsonaten  (darunter  Mozarts  erstes  gedrucktes  Werk  von  1764),  Va 
riationen  fiir  Violine  und  Klavier,  5  Sonaten  fiir  Klavier  zu  4  Handen,  eine  Fuge  und  cine 
Senate  fiir  2  Klaviere,  17  Klaviersonaten,  4  Fantasien,  15  Variationenwerke  und  Rondos, 
Tanze  u.dgl.  fiir  Klavier,  17  Triosonaten  mit  Orgelbegleitung. 


Instrumental musik  von  1750—1828  8]  ] 


Wie  schon  betont,  ist  Haydn  ganz  aus  der  Wiener  Vorklassikerschule  hervorgegangen,  was 
ja  auch  sein  Lebenslauf  von  vornherein  wahrscheinlich  macht.  Seine  mit  1755  beginnenden 
Streichquartette  zerfallen  anf  anglich  der  zyklischen  Form  nach  in  zwei  gesonderte  Kategorien : 
echte  Divertimenti  mit  5  Satzen  (Allegro  —  Menuett  mit  Trio  —  Andante  —  Menuett  mit 
Trio  —  Presto)  und  echte  dreisatzige  Symphonietypen.  Erst  in  Eisenstadt  um  die  Mitte  der 
sechziger  Jahre  kristallisiert  sich  der  viersatzige  Typus  mit  dem  Menuett  an  dritter  Stelle 
heraus,  gleichzeitig  mit  demselben  Vorgang  in  der  Symphonic.  Unter  Haydns  ersten  20  Sym 
phonien  weist  die  Halfte  nur  3  Satze  auf ,  von  den  nachsten  1 0  haben  noch  immer  3  kein  Me 
nuett  und  erst  von  der  31.  Symphonic  an  wird  die  Viersatzigkeit  regular.  In  der  Besetzung 
geht  Haydn  im  allgemeinen  iiber  das  normale  Blasermaximum  der  Zeit  nicht  hinaus  (2  Floten 
oder  Oboen,  hochstens  eine  Flote  und  2  Oboen,  Fagott,  2  Horner,  2  Trompeten  und  Pauken), 
doch  liebt  er  solistische  Streichinstrumente  (gelegentlich  ein  formliches  Concertino  von  2  Geigen 
und  Violoncell).  Die  Form  des  1.  Satzes  ist  stets  sonatenmafiig,  und  zwar  anf  anglich  in  ty- 
pischer  Wiener  Auspragung :  Moll-Seitensatz  und  vollstandige  Reprise.  Auch  der  langsame 
Satz  zeigt  anfangs  immer  Sonatenform;  erst  um  1780  geht  Haydn  immer  entschiedener  zur 
Romanzenform  (Da-capo-Form  mit  kontrastierendem  Mittelteil)  tiber.  Ebenso  herrscht  die 
Sonatenform  im  Finale,  das  nur  in  den  Divertimenti  Rondoform  annimmt,  in  einigen  Quar- 
tetten  aber  als  Fuge  gearbeitet  ist.  Im  Menuett  wird  die  Dreiteiligkeit  mit  vollstandiger  Re 
prise  zur  Regel,  im  Trio  liebt  Haydn  kontrapunktische  Arbeit,  die  bis  zum  strengen  Kanon 
gehen  kann;  damit  ist  dem  einfachsten  Satze  des  Zyklus  ein  starker  Kontrast  gegeniibergestellt. 
Ahnlich  den  Symphonien  und  Quartetten  sind  die  Klaviersonaten  gebaut,  nur  tritt  in  der 
zyklischen  Anlage  ein  ausgesprochener  Divertimentocharakter  zutage:  gerade  die  Halfte  der 
Sonaten  ist  normal  dreisatzig,  unter  den  andern  stehen  einem  viersatzigen  Stuck  zahlreiche 
zweisatzige  gegeniiber  und  auch  unter  den  dreisatzigen  besitzen  manche  an  Stelle  des  lang- 
samen  Satzes  ein  Menuett.  Erst  um  1770  verschwindet  allmahlich  dieser  Divertimento 
charakter  aus  der  Haydnschen  Klaviersonate.  Die  Weiterbildung  der  Sonatenform  erfolgt 
durch  prinzipielle  Entwicklung  der  Oberleitung  aus  dem  Hauptsatzmaterial,  Vertiefung  der 
Durchfiihrungsarbeit  und  Ansatze  zur  Kodabildung.  Der  Seitensatz  ist,  wie  erwahnt,  oft  der 
altneapolitanisch-wienerische  in  der  Molltonart  der  Dominante,  meist  mit  kontrapunktischen 
Manieren  (Sequenz,  Nachahmung)  ausgestattet ;  der  Einflufi  Ph.  Em.  Bachs  zeigt  sich  aber 
auch  haufig  und  zwar  darin,  dafi  der  Seitensatz  aus  dem  Hauptsatz  abgeleitet  wird.  Ubrigens 
stellt  sich  auch  der  kantable  Dur-Seitensatz  bald  ein.  Bei  Moll  als  Grundtonart  kommt  natiir- 
lich  nur  der  in  der  Dur-Parallele  stehende  Seitensatz  inBetracht,  der  dann  in  der  Reprise  in 
der  Grundtonart,  also  in  Moll  wiederkehrt.  Schon  in  friihen  Symphonien  begegnet  im  ersten 
Allegro  eine  langsame  Einleitung,  ein  Einflufi  der  Ouvertiire,  wie  bald  dargetan.  Haydns  Me- 
lodik  wurzelt,  wie  die  seiner  Wiener  Vorganger,  stark  in  der  osterreichischen  Volksmusik,  wozu 
seit  der  Obersiedlung  nach  Eisenstadt  auch  ungarische  Einschlage  treten.  Seine  Menuette 
haben  oft  Landlercharakter,  aber  auch  in  geradtaktigen  Allegrosatzen  klingt  der  heimatliche 
Volkstanz  an.  Dafi  fur  Haydn  so  bezeichnende  Melodien  wie 

Presto 


52    H.d.M. 


812 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


(Quartett  op.  2,  Nr.  6,  3.  Satz)  tatsachlich  der  Tanzmusik  entstammen,  beweist  z.  B.  folgende 
,Gavotte"  aus  Josef  Star  zersBallett  ,,Roger  und  Bradamante"  vom  Anfangder  sechziger  Jahre: 


-i — r 


--£3= 


-=— m- 


Selbstverstandlich  ist  die  Bezeichmmg  ,, Gavotte"  far  diesen  volkstiimlichen  Kontertanz  nur 
mehr  ein  Deckname,  auch  der  Schautanz  war  in  Wien  ein  Tummelplatz  fur  Volksweisen  ge~ 
worden.  Derartige  Melodik  taucht  bis  zu  den  letzten  Werken  Haydns  immer  wieder  auf, 
allerdings  seit  ca.  1770  durch  ernstere  Tone  etwas  zuriickgedrangt.  Es  ist  der  von  Haydn 
selbst  dankbar  eingestandene  Einflufi  der  Werke  Ph.  Em.  Bachs,  der  jenem  den  Weg  aus  der 
naiven  Divertimentomusik  zu  hoheren  Kunstidealen  wies.  Diese  Einwirkung  auBert  sich  so- 
wohl  in  prinzipiellen  kompositionstechnischen  Ziigen  (von  der  Anlehnung  des  Seitensatzes 
an  den  Hauptsatz  war  schon  die  Rede),  als  in  der  fortschreitenden  Verinnerlichung  der  Werke, 
in  dem  erwachenden  Bediirfnis,  sich  in  den  Tonen  auszusprechen,  statt  unbeschwerte  Unter- 
haltungsmusik  zu  schreiben.  In  der  Klaviersonate  C-MolI  aus  dem  Jahre  1771  ist  Haydn 
seinem  Vorbilde  sehr  nahe  gekommen  und  nun  zeigt  sich,  daB  er  den  Hauptmangel  des  Zeit- 
stiles  erkennt:  die  glatte  Homophonie  der  Stimmfuhrung.  In  der  Klaviermusik  nannte  man 
diese  Schreibweise  den  ,,galanten  Stil"  und  auch  Ph.  Em.  Bach  war  es  nicht  gelungen,  sie 
zu  iiberwinden.  In  welcher  Weise  diesem  Ubelstande  abgeholfen  wurde,  wird  auf  S.  789 ff. 
von  Guido  Adler  unter  dem  von  ihm  eingefiihrten  Sammelbegriff  des  ,,obligaten  Akkom- 
pagnements"  behandelt.  Hier  nur  einige  Ausschnitte  aus  dem  1 .  Satze  des  3.  Quart etts  op.  33, 
Haydns  erster  nach  dem  neuen  Prinzip  angelegter  Quartettsene : 


Instrurnentalmusik  von  1 750—1 828  813 


Fur  die  Entwicklung  der  Kammermusikensembles  neben  dem  Streichquartett  ist  Haydn 
weniger  bedeutend,  ebenso  fiir  die  Weiterbildung  von  Konzert  und  Ouvertiire.  Klaviertrio 
und  Senate  mit  Klavierbegleitung  blieben  bis  in  seine  letzte  Schaffenszeit  klanglich  auf  dem 
vorklassischen  Niveau  der  ,,Klaviersonate  mit  Begleitung" ;  im  Trio  verdoppelt  das  Violoncell 
nach  wie  vor  die  Bafilinie  des  Klaviers  und  die  Violine  dessen  Melodiestimme,  wenn  sie  nicht 
gar  auf  die  Rolle  einer  Mittelstimme  beschrankt  wird.  Im  Konzert  erfolgt  die  endgultige 
Durchbildung  der  Sonatenform,  sodafi  die  Anlage  folgendermafien  aussieht:  Exposition  des 
Orchesters,  Exposition  des  Soloinstruments  mit  Orchesterbegleitung  und  Orchesterepilog, 
Durchfiihrung,  verteilt  auf  Solo  und  Tutti,  Reprise  analog  der  Soloexposition,  Orchesterkoda; 
auf  dem  Quartsextakkord  der  Schlufikadenz  des  Epilogs  der  Reprise  hat  der  Solist  die  ,,Ka- 
denz"  zu  improvisieren.  Was  die  Tonartfolge  in  den  beiden  Expositionen  anbelangt,  ist  die 
der  Soloexposition  natiirlich  die  sonatenmaBige,  wahrend  die  Tutti-Exposition  in  der  Grund- 
tonart  schliefien  muC,  also  tonartlich  den  Charakter  einer  modulationslosen  Reprise  tragt. 
Sowohl  im  melodischen  als  im  modulatorischen  Aufbau  zeigen  Haydns  Konzerte  verschiedene 
Schwankungen :  melodisch  insofern,  als  die  Tutti-Exposition  oft  nicht  das  gesamte  Material 
der  folgenden  Soloexposition  bringt,  letztere  also  eine  starke  Erweiterung  der  ersteren  dar- 
stellt,  modulatorisch  darin,  dafi  der  Seitensatz  der  Tutti-Exposition  oft  in  der  Dominanttonart 
erscheint  und  die  Grundtonart  dann  erst  durch  den  Epilog  wieder  festgelegt  wird. 

Die  Geschichte  der  Ouvertiire  dieser  Zeit  ist  durch  Gluck  formal  wie  inhaltlich  bestimmt. 
Seit  seinem  ,,0rfeo"  vom  Jahre  1762  benutzt  dieser  als  Opernvorspiel  entweder  den  1 .  Allegro- 
satz  der  neapolitanischen  Sinfonia  oder  die  in  Rameaus  Sinn  umgestaltete  franzosische  Ouver- 
ttire  mit  sonatenmafiigem  statt  fugiertem  Allegro.  Was  das  (bis  dahin  in  der  italienischen 
Oper  vollig  fehlende)  Verhaltnis  des  Vorspiels  zum  Drama  anbelangt,  fordert  Gluck  in  der 
Vorrede  seiner  ,,Alkeste"  (1767),  die  Ouvertiire  solle  ,,die  Zuschauer  auf  die  Handlung 
vorbereiten  und  sozusagen  deren  Inhalt  ankiindigen" .  Er  denkt  sich  also  das  Vorspiel  als  ein 
Stuck  Programmusikund  die  Einleitungen  seiner  Opern  ,,Alkeste",  ,,Iphigenie  in  Aulis"  (1 774), 
,,Armida"  (1777)  und  ,,Iphigenie  in  Tauris"  (1779)  erfiillen  die  Forderung  vollkommen  Jm 
Sinne  der  psychischen  Programmusik ;  naturalistische  liegt  nur  in  der  zuletzt  genannten  Ouver 
tiire  vor,  die  mit  der  Schilderung  eines  Seesturms  auf  die  Handlung  des  1 .  Aktes,  nicht  die 
der  ganzen  Oper  vorbereitet.  Gluck  beutet  fiir  seinen  Zweck  die  auf  Themenkontrast  angelegte 
Sonatenform  aus,  stellt  in  den  Themen  der  Exposition  die  bestimmenden  Personen,  Gedanken 
oder  Gefiihle  einander  gegeniiber  und  symbolisiert  in  der  Durchfiihrung  ihr  Ringen.  Weiter 
entwickelt  sich  die  symphonische  Dichtung  bei  ihm  allerdings  nicht:  die  Wiederkehr der  Anti- 
these  in  der  Reprise  schneidet  als  rein  musikalischer  Zug  den  tondichterischen  Gedankengang 
ab  und  die  Losung  des  Konflikts  wird  nie  angedeutet,  sondern  die  Ouvertiire  geht  direkt  in 
den  1 .  Akt  iiber.  Die  tondichterische  Bewaltigung  des  Reprisenproblems  war  Beethoven  vor- 
behalten,  Melodische  Zusammenhange  zwischen  Ouvertiire  und  Oper  sind  bei  Gluck  im  all- 
gemeinen  auf  die  langsamen  Teile  des  Vorspiels  beschrankt.  Haydn  schliefit  sich  Gluck 
formal  an,  insofern  er  die  Ouvertiire  auf  den  1 .  Symphoniesatz  in  voller  Sonatenform  beschrankt, 
von  tondichterischen  Tendenzen  ist  aber  nicks  nachweisbar.  Dabei  war  Haydn  die  Programm- 
musik  durchaus  nicht  fremd;  wohl  angeregt  durch  seines  Eisenstadter  Vorgangers  Gregor 
Joseph  Werner  (1695—1766)  Triowerk  ,,Neuer  und  sehr  kurios  musikalischer  Instrumental- 
kalender,  partienweifi  mit  zwei  Violinen  und  Bafi  in  die  zwolf  Jahrmonate  eingeteilet",  schrieb 
52* 


814  Instrumentalmusik  von  1750—1828 


er  4  Symphomen  iiber  die  Tageszeiten,  von  denen  drei(Le  matin,  Le  midi,  Le  soir)  erhalten 
sind  und  zwischen  innigem  ,,Ausdruck  der  Empfindung"  und  naiver  ,,Malerei"  wechseln. 

Mozarts  Entwicklung  bis  1780  geht  im  grofien  und  ganzen  der  Haydns  parallel,  nur  von 
einem  etwas  verschiedenen  Ausgangspunkte  aus  und  anstatt  in  vierzigjahrigem  Zeitraum  auf 
zwei  Jahrzehnte  zusammengedrangt.  Neben  den  Werken  des  Vaters  und  der  andern  Salz- 
burger  Komponisten  (Eberlin,  Anton  Cajetan  Adlgasser  1728 — 77)  gab  die  italienische 
Musik,  die  der  Knabe  durch  Christian  Bach  sowie  an  Ort  und  Stelle  kennenlernte,  die  stark- 
sten  Jugendeindriicke.  So  begegnet  denn  auch  das  Divertimento  in  verschiedensten  Typen, 
der  kantable  Dur-Ssitensatz,  der  Albertibafi  immer  wieder  und  auch  die  unvollstandige  Re 
prise  ist  bis  1 770  haufig  anzutreffen.  Die  weiche  neapolitanische  Melodik  mit  ihren  Seufzer- 
motiven  bleibt  for  Mozart  iiberhaupt  charakteristisch.  Auch  in  seinem  Schaffen  tritt  in  den 
siebziger  Jahren  em  Umschwung  zur  Verinnerlichung  ein,  den  neben  Gluck  sicher  auch 
Ph.  Em.  Bach  herbeigefahrt  hat.  Nicht  grundlos  sagte  Mozart  im  gleichen  Sinne  wie  Haydn 
von  ihm:  ,JBach  ist  der  Vater,  wir  sind  die  Buben.  Wer  von  uns  was  Rechts  kann,  hat's  von 
ihm  gelernt;  und  wer  das  nicht  emgesteht,  ist  ein  .  .  .!**  Und  wie  der  Hamburger  Bach  das 
Vorbild  in  Kunstanschauung  und  Kunstidealen,  so  wurde  es  Haydn  in  den  Kunstmitteln. 
Mozart,  der  das  Genie  und  die  groBere  Erfahrung  des  Alteren  neidlos  anerkannte,  griff  schon 
Haydns  Versuch,  das  Quartett  durch  ein  Fugenfinale  iiber  das  Divertimento  zu  erheben, 
augenblicklich  auf,  mit  noch  grofierer  Begeisterung  aber  das  ,,obligate  Akkompagnement" : 
unmittelbar  nach  Veroffentlichung  von  Haydns  op.  33  entstand  eine  auf  gleichem  Prinzip  auf- 
gebaute,  Haydn  gewidmete  Quartettserie.  Mozarts  gleichzeitig  erfolgende  Ubersiedlung  nach 
Wien  deutete  auch  aufierlich  die  Griindung  der  Wiener  klassischen  Schule  an. 

Ging  Haydn  in  der  Ausgestaltung  der  Setzweise  Mozart  voran,  so  war  dieser  in  der  Be- 
handlung  der  Kammermusik  mit  Klavier  der  Uberlegene.  In  der  Sonate  mit  Klavier,  im 
Klaviertrio  und  im  Klavierquartett,  wozu  spater  noch  das  Klavierquintett  tritt,  stellt  er  die 
Gleichwertigkeit  der  Streicher  dem  Klavier  gegeniiber  her,  und  selbst  das  Violoncell  lost  sich 
vom  Klavierbafi  ab.  Auch  als  Konzert-  und  Ouvertiirenkomponist  steht  Mozart  hoher  als 
Haydn.  So  wird  z.  B.  die  Wahrung  der  Grundtonart  in  der  Orchesterexposition  des  Konzert- 
satzes  bei  ihm  zur  Selbstverstandlichkeit.  Seine  diesbeziiglichen  Hauptwerke  freilich  fallen 
ebenso  wie  seine  grofien  Ouvertiiren,  die  Glucks  Prinzipien  iiber  diesen  hinaus  durchfuhren, 
in  die  hochklassische  Periode  nach  1 780. 

Neben  Haydn  und  Mozart  wirkten  auf  den  gleichen  Gebieten  zahlreiche  kleinere  Geister 
in  alien  Kulturlandern,  von  denen  die  Osterreicher  Franz  Asplmayr  (ca.  1721 — 86),  Josef 
Starzer  (1726—87),  Leopold  Hoffmann  (ca.  1730—93),  Karl  Ditters  von  Dittersdorf 
(1739—99),  Johann  Baptist  Wanhal  (Vanhall,  1739—1813)  und  Wenzel  Pichl  (1751—1805) 
genannt  seien,  denen  sich  der  in  Spanien  wirkende  Italiener  Luigi  Boccherini  (1743 — 1805) 
anreiht.  Wie  die  vorstehenden  Lebensdaten  zeigen,  erstreckt  sich  die  Wirksamkeit  einiger 
von  ihnen  noch  in  die  folgende  hochklassische  Epoche  hinein.  Starzer,  Gluck  sowie  die  in 
Stuttgart  tatigen  Florian  Deller  (ca.  1730—74)  und  Joh.  Josef  Rudolph  (1730—1812) 
schufen  auch  auf  einem  von  den  grofien  Wiener  Meistern  nicht  bebauten  Gebiete,  dem  des 
Balletts,  das  durch  Jean  George  N  over  re  (1727 — 1810)  zur  heroisch-dramatischen  Pan 
tomime  ausgestaltet  worden  war.  Eine  verwandte  Kunstgattung  ist  das  Melodram,  ge- 
sprochene  Rede  mit  illustrierender  Instrumentalbegleitung.  Wahrend  im  Ballett,  wo  weder 


Instrumentalmusik  von  175O-1828  815 


gesprochen  noch  gesungen  wird,  neben  dramatisch-bewegten  Szenen  viele  wirkliche  Tanz- 
nummern  stehen,  best  eh  t  das  Melodram  nur  aus  einem  leidenschaftlich-erregten  Monolog, 
dessen  musikalische  Untermalung  aus  der  Technik  des  Recitative  accompagnato  der  Oper 
hervorgegangen  ist  und  sich  daher  vielfach  mit  Instrumentalfantasien  im  Stile  Ph.  Em. 
Bachs  beriihrt.  Den  AnstoB  zur  Entwicklung  des  Melodrams  gab  Jean  Jacques  Rousseau 
(1712 — 78)  mit  seinem  lyrischen  Monolog  „ Pygmalion*'  (1770),  der  zuerst  von  Horace  Coignet 
(1736 — 1821)  in  Paris,  dann  von  Asplmayr  in  Wien  mit  Musik  versehen  wurde.  Einen 
Hohepunkt  dieser  Kompositionsgattung  bedeuten  die  Melodrame  des  Bohmen  Georg  Ben  da 
(1722—95,  Hofkapellmeister  in  Gotha):  ,,Ariadne  auf  Naxos"  (1775),  ,,Medea  ',  ,,Pygmalion" 
und  andere.  Mozart  hat  in  seiner  unvollendet  gebliebenen  deutschen  Oper  ,,Zaide"  das  Melo 
dram  zweimal  angewendet.  Zweifellos  ist  auch  die  Entstehung  und  Pflege  des  Melodrams 
ein  Beweis  dafiir,  dafi  sich  das  Empfinden  weiterer  musikalischer  Kreise  hoheren  Inhalts- 
problemen  zuwandte. 

1 1 1 .  1 780 — 1 810.  In  erstaunlich  kurzer  Zeit  flihrte  die  Erf indung  des  obligaten  Akkompagne- 
ments  zum  ersten  Hohepunkte  der  Wiener  klassischen  Epoche,  Mozarts  grofien  Instrumental- 
werken.  Das  Schicksal  ermangelte  freilich  auch  nicht,  dem  jugendlichen  Meister  die  Lust  an 
allem  Spielerischen  zu  benehmen.  Der  Verlust  des  Wunderkindnimbus,  der  Kampf  urns  Da- 
sein,  verscnarft  durch  Familiensorgen,  bisher  ungekannte  Enttauschungen  durch  dasPublikum, 
dies  alles  wirkte  zusammen,  sein  Seelenleben  aufs  tiefste  zu  erschiittern.  Schon  aufieriich 
fallt  die  Zunahme  der  in  Molltonarten  (besonders  D-Moll,  G-Moll  und  C-Moll)  stehenden 
Werke  auf,  samtlich  schmerzlich-leidenschaftlichen  Charakters.  Der  Aufbau  der  Satze  wird 
immer  reicher  und  dabei  organischer.  In  der  Sonatenform  wachst  der  Hauptsatz  oft  zu  mach- 
tigen  Dimensionen  heran,  und  die  Uberleitung  geht  aus  ihm  hervor,  aber  nicht  wie  bei  Haydn 
als  eine  Art  Durchfiihrung  seiner  Motive:  der  Beginn  des  Hauptsatzes  wird  wiederholt  und 
setzt  sich  in  die  Uberleitung  fort.  Der  Seitensatz  wird  gleichfalls  stark  erweitert,  meist  dadurch, 
dafi  der  ersten,  kantablen  Gruppe  eine  zweite,  bewegte  folgt,  oft  mit  einem  modulatorisch  iiber- 
raschenden  Beginn.  Der  Epilog  greift  haufig  auf  den  Hauptsatz  zuriick  und  erhalt  eine  kleine 
Gruppe  angehangt,  die  sowohl  zur  Wiederholung  der  Exposition,  als  zur  Durchfiihrung  iiber- 
leitet;  wo  diese  Vorbereitung  fehlt,  beginnt  die  Durchfiihrung  in  Anlehnung  an  den  SchluB 
der  Exposition.  Die  modulatorische  Anlage  der  Durchfiihrung  (Wendung  nach  einer  ver- 
wandten  Molltonart,  in  der  ein  Ganz-  oder  Halbschlufi  erfolgt)  bleibt  im  Prinzip  bestehen, 
nur  werden  weit  ferner  liegende  Tonarten  als  fruher  herangezogen.  Ebenso  wird  das  melodische 
Durchfiihrungsprinzip,  die  Zerlegung  des  Expositionsmaterials  in  seine  Elemente  und  deren 
lineare  und  kontrapunktische  Verbindung  zu  neuen  Gebilden,  bedeutend  gesteigert  Endhch 
bildet  sich  eine  neue  Gestaltungsweise  fur  die  Koda  heraus :  sie  wird  durchfiihrungsartig  an- 
gelegt  (vgl.  den  1.  Satz  der  Klaviersonate  in  C-Moll  von  1784).  Den  Hohepunkt  dieser  Ent 
wicklung  bilden  die  drei  letzten,  im  Sommer  1788  komponierten  Symphonien  Mozarts  in 
Es-Dur,  G-Moll  und  C-Dur  (Jupiter).  Das  kiihnste  Formexperiment  darunter  stellt  das  Finale 
der  Jupitersymphonie  dar.  Es  ist  durchaus  keine  Fuge,  wie  oft  behauptet  wurde,  sondern  ein 
vollstandiger  Sonatensatz  mit  Fugenarbeit  in  Hauptsatz,  Seitensatz  und  Durchfiihrung,  einer 
kanonischen  Sequenz  als  Uberleitung  und  kontrapunktischer  Kombinierung  des  gesamten 
Themenmaterials  in  der  Koda.  Im  Prinzip  Ahnliches  bietet  die  Ouverture  zur  ,,Zauberflote" . 
Der  Orchesterapparat  der  letzten  Symphonien  ist  gegen  fruher  kaum  gewachsen;  je  2  Floten, 


816 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


Oboen,  Fagotte,  Homer  und  Trompeten  nebst  Pauken  stellen  das  Maximum  dar,  meist  ist 
aber  nur  eine  Flote  verlangt.  Gelegentlich  warden  die  Oboen  durch  Klarinetten  ersetzt.  Die 
Behandlung  dieses  bescheidenen  Klangkorpers  erfolgt  aber  in  der  oben  geschilderten  neuen 
Weise,  die  dem  obligaten  Akkompagnement  koloristische  Wirkungen  abgewinnt.  Besonders 
fortschrittlich  beriihren  Aufteilungen  der  melodischen  Linie  an  zwei  Klangkorper  verschie- 
denen  Charakters  (Streicher  und  Blaser  oder  Blaser  verschiedener  Klangfarbe  untereinander), 
im  ernstesten  wie  im  komischen  Genre: 


1.  Oboe 

c        L  1.  Fagott 

oymphonie 

G-Moll,  I.Satz: 

1.  Violine 

2.  Violine 


Flote 
I.  Kiari- 

nette 


Symphonie      '•   FaSott 
£s-Dur,  Finale: 

1.  Violine 


2.  Violine 


*^  ^»  •**  ^          ^*        uo  w . 


Xr^*~ 


Auch  die  letzten  Kammermusikwerke  und  Klaviersonaten  stehen  auf  der  Hohe  der  Entwick" 
lung.  Unter  den  Konzerten  der  achtziger  Jahre  sind  wieder  zwei  voll  leidenschaftlicher  Tra- 
gik,  die  Klavierkonzerte  in  D-Moll  und  C-Moll.  Im  letzteren  wagt  Mozart,  den  1 .  Satz  statt 
vom  Orchester,  vom  Soloinstrument  abschliefien  zu  lassen.  Im  allgemeinen  ist  die  Sonaten- 
form  im  Konzertsatz  voll  und  klar  ausgebildet,  nur  erweitert  die  Soloexposition  die  des  Tutti 
noch  manchmal  um  einen  zweiten  Seitensatz  und  eine  neue  Kontrastgruppe,  die  dem  Haupt- 
satz  vorangeht.  Tummelplatz  der  Virtuositat  sind  in  erster  Linie  die  Uberleitungsteile,  die 
sich  zwischen  alle  Themengruppen  einschieben,  aber  auch  innerhalb  letzterer  kann  der  Solist 
in  den  bravourosen  Umspielungen  der  Melodien  seine  Technik  zeigen.  Zu  einigen  Satzen  hat 
Mozart  selbst  Kadenzen  niedergeschrieben. 

Eine  gesonderte  Betrachtung  verlangen  Mozarts  letzte  Ouvertiiren.  In  seinen  Jugendopern 
hatte  er  fast  ausnahmslos  die  dreisatzige  Sinfonia  verwendet,  hochstens  dafi  nach  spatneapoli- 
tanischer  Ubung  das  Finale  durch  die  erste  Gesangsnummer  der  Oper  ersetzt  war.  Seit  dem 
,,Idomeneo"  (1781)  herrscht  Glucks  Prinzip  der  einsatzigen  Ouvertiire  in  Sonatenform  mit 
oder  ohne  langsame  Einleitung.  Wie  in  alien  Zeiten  und  Stilepochen  wurde  auch  in  der  friih- 
klassischen  Periode  in  der  Ouvertiire  die  zugrunde  liegende  Form  fluchtiger  gehandhabt  als 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


817 


beim  absoluten  Musizieren  auBerhalb  der  Oper.  Dies  aufiert  sich  auch  bei  Mozart  und  zwar 
im  Fehlen  der  Durchfiihrung  der  Sonatenform.  In  der  Ouvertiire  zur  ,,Entfiihrung  aus  dem 
Serail"  (1782)  ist  die  Durchfiihrung  durch  einen  langsamen  Satz  ersetzt,  die  nach  Moll  ge- 
wendete  erste  Arie  der  Oper.  Ebenso  war  urspriinglich  die  ,, Figaro" -Ouvertiire  von  1786 
angelegt,  doch  entfernte  Mozart  den  langsamen  Mittelteil  und  stellte  durch  Einfiigung  der 
vom  Epilog  der  Exposition  zur  Reprise  zuriickleitenden  Takte  die  jetzige  durchfiihrungslose 
Form  her.  Erst  in  der  Ouvertiire  zum  ,,Don  Giovanni"  (1787)  tritt  die  Durchfiihrung  auf. 
Im  Vorspiel  zur  ,,ZauberfIote"  (1791)  sind  Hauptsatz  und  Durchfiihrung  fugiert  und  das 
Fugenthema  resp.  sein  Gegensatz  bestreitet  auch  die  iibrigen,  homophonen  Satzgruppen. 
Aber  auch  das  inhaltliche  Prinzip  Clucks,  das  programmatische  Verhaltnis  der  Ouvertiire 
zum  Drama,  wird  von  Mozart  iibernommen  und  ausgebaut.  In  der  ,,Entfiihrung"  deutet 
das  Vorspiel  wohl  nur  das  orientalische  Milieu  und  (im  langsamen  Mittelteil)  den  Ausgangs- 
punkt  der  Handlung,  die  Sehnsucht  Belmontes  nach  der  Geliebten,  an ;  ahnlich  gibt  die  Ouver 
tiire  zum  ,,Figaro",  gleich  der  Oper  selbst,  ein  glanzendes  Konversationsstiick  mit  einigen 
wenigen  ernsteren  Momenten,  ohne  auf  Einzelheiten  der  Handlung  hinzudeuten.  Im  Vorspiel 
zum  ,,Don  Giovanni"  dagegen  liegt  zweifellos  tondichterisches  Eingehen  auf  den  Hohepunkt 
und  Kern  der  Handlung,  die  leichtfertige  Abweisung  aller  Schicksalsmahnungen,  vor.  Der 
(wieder  mit  dem  alten  Unisonokontrast  arbeitende)  Seitensatz 


ist  diesbeziiglich  nicht  mifizuverstehen;  so  erscheinen  dann  die  iibrigen  Themengruppen  der 
Exposition  als  Symbolisierung  der  genufisiichtigen  Lebensfreude  des  Helden,  wahrend  in  der 
Durchfiihrung  seine  Leichtfertigkeit  sehr  in  die  Enge  getrieben  wird  und  der  bose  Ausgang 
zu  ahnen  ist,  auf  den  ja  schon  die  der  Katastrophenszene  entlehnte  langsame  Einleitung  hin- 
weist.  Wieder  durchkreuzt,  wie  bei  Gluck,  die  Reprise  den  dichterischen  Gedankengang, 
wenn  auch  die  zur  ersten  Szene  iiberleitende  Koda  das  unisone  Schicksalsmotiv  des  Seiten- 
satzes  wieder  anklingen  lafit.  Auch  die  Zauberflotenouvertiire  symbolisiert  ohne  Zweifel  den 
Kern  der  Handlung,  das  Ringen  der  Helden  um  die  Vollkommenheit ;  anders  ist  die  fugierte 
Arbeit,  die,  nach  schweren  Kampfen  und  Triibungen  in  der  Durchfiihrung,  mit  dem  Triumph 
des  Fugenthemas  endigt,  kaum  zu  deuten.  Von  diesen  Erkenntnissen  aus  scheint  es  gerecht- 
fertigt,  auch  in  einigen  der  letzten  Symphonien,  Konzerte,  Kammermusik-  und  Kiavierwerke 
tondichterische  Absichten  anzunehmen.  Es  ist  iibrigens  auffallend,  dafi  Mozart  das  fur  da- 
malige  Begriffe  grofie  Orchester  seiner  letzten  Ouvertiiren  (je  ein  Paar  Floten,  Oboen,  Klari- 
netten,  Fagotte,  Horner,  Trompeten  und  Pauken,  in  der  ,,Zauberflote"  auch  3  Posaunen)  in 
keiner  der  Symphonien  fordert. 

Die  tondichterische  Verwendung  der  Fugenarbeit  lafit  an  einen  EinfluB  der  Werke  J.  S. 
Bachs  denken.  Noch  die  Klavierfantasie  in  C-Moll  vom  Jahre  1785  ist  formal  wie  inhaltlich 
eine  Weiterbildung  der  Fantasien  Philipp  Emanuels  (fiinf-  statt  dreiteilig,  zwei  geschlossene 


818  Instrumentalmusik  von  1750— -1828 


kantable  Gruppen  zwischen  drei  improvisator]" schen) ;  nach  dem  Aufenthalt  in  Leipzig  im 
Jahre  1789  aber,  der  Mozart  die  Bekanntschaft  mit  einigen  der  bedeutendsten  Vokalwerke 
Johann  Sebastians  vermittelte,  macht  sicK  dessen  Geist  in  Mozarts  allerletztem  Schaffen  un- 
verkennbar  geltend,  allerdings  in-  erster  Linie  wieder  in  Vokalkompositionen,  so  in  der  die 
Einheit  von  Gott  Vater  und  Sohn  symbolisierenden,  stark  modulierenden  Doppelfuge  des 
,,Kyrie"  im  Requiem  und  in  der  Choralbearbeitung  (Duett  der  Geharnischten)  der  ,,Zauber- 
flote".  So  ist  die  in  der  vorklassischen  Ubergangszeit  bekampfte  altklassische  Kompliziertheit 
von  Form  und  Inhalt  nach  einem  halben  Jahrhundert  innerhalb  eines  ganz  anctern  Stiles  wieder 
durchgedrungen,  einstweilen  freilich  nur  als  vereinzelter  Vorstofi ;  erst  der  spatere  Beethoven 
und  die  Romantik  sollten  die  Stilverschmelzung  durchfuhren.  So  endete  Mozart,  der  in  den 
Bahnen  der  naivsten  Vorldassiker  begonnen  hatte,  als  tiefsinniger  Tondichter.  Nur  in  seinen 
direkt  als  >,Serenaden"  und  ,,Divertimenti"  bezeichneten  Werken  lebt  der  Geist  der  vor 
klassischen  Ubergangszeit  weiter. 

Mit  Mozarts  Scheiden  beginnt  Haydns  grofie  Zeit.  Die  formale  Entwicklung  seiner  Werke 
lauft  der  in  Mozarts  Schaffen  parallel.  Bezeichnend  fur  seine  Behandlung  der  Sonatenform 
sind:  melodische  Beziehungen  zwischen  einer  eventuellen  langsamen  Einleitung  und  dem 
Allegro,  der  knappe,  liedformig  periodisierte  Hauptsatz,  die  ausgedehnte,  aus  Hauptsatz- 
motiven  durchfiihrungsartig  entwickelte  Uberleitung,  der  knappe,  oft  aus  dem  Hauptsatz  ab- 
geleitete  Seitensatz,  imitatorische  Arbeit  (oft  wirkliche  Fugierung)  in  der  Durchfiihrung, 
haufig  Verschleierung  des  Beginns  der  Reprise  durch  andersartige  Harmonisierung  des  Haupt- 
satzes  oder  gar  Versetzung  in  eine  andere  Tonart,  endlich  die  rein  schluBbekraftigende  Gestalt 
der  Koda.  Der  langsame  Satz  gibt,  wie  schon  erwahnt,  die  Sonatenform  ganz  auf  und  wird 
zur  Romanze,  oder  er  besteht  aus  Variationen.  Unter  letzterem  Typus  fallen  besonders  Falle 
auf,  bei  denen  nicht  ein  Thema  variiert  wird,  sondern  zwei  kontrastierende  Themen  ab- 
wechselnd  abgewandelt  werden;  nach  mehreren  Variationen  folgt  dann  eine  ausgedehnte, 
meist  nur  ein  Thema  durchfiihrungsartig  behandelnde  Koda  (vgl.  das  Andante  der  Symphonic 
inEs-Dur  ,,mit  dem  Paukenwirbel").  Die  Menuette  schwanken  zwischen  zwei  Extremen: 
dem  kaum  stilisierten  Gebrauchstanz  (oft  landlerartig)  und  dem  streng  kanonischen  Typus.  Das 
Finale  zeigt  seit  ca.  1780  haufig  die  Rondoform.  Diese  macht  schon  unter  Mozarts  Handen, 
besonders  aber  bei  Haydn  eine  Wandlung  durch :  die  Angleichung  an  die  Sonatenform.  Den 
ersten  Schritt  iiber  den  primitiven  altklassischen  Rondotypus  hinaus  bedeutet  die  Einfiihrung 
einer  den  letzten  Eintritt  des  Ritornells  vorbereitenden  Riickleitung  nach  der  letzten  Episode. 
Dann  wird  die  letzte  Episode  melodisch  der  ersten  gleichgesetzt,  wobei  die  erste  zur  Do- 
minanttonart  moduliert,  die  letzte  aber  in  der  Grundtonart  verbleibt;  so  entsteht  eine  Art 
Exposition  —  Reprisenverhaltnis,  das  noch  markanter  wird,  wenn  die  erste  (=  letzte)  Episode 
aus  Uberleitung,  Seitensatz  und  Epilog  besteht.  Nach  dem  Epilog  der  Expositionsepisode 
wird  zur  Grundtonart  zuriickgekehrt  und  das  zweite  Ritornell  erscheint.  Nun  fehlt  noch  die 
Durchfiihrung,  denn  an  ihrer  Stelle  steht  die  zweite,  gewohnlich  in  der  Parallel-  oder  Variant- 
tonart  gehaltene  und  auch  sonst  stark  kontrastierende  Episode,  auf  welche  dann  drittes  Ri 
tornell  und  Reprise  der  ersten  Episode  folgen.  Ein  Schema  dieser  Form  sieht  folgendermaBen 
aus:  1.  Ritornell  (T)  —  1.  Episode  (Uberleitung  T— - D,  Seitensatz  D,  Epilog  D,  Riickleitung 
D— T)  —  2.  Ritornell  (T)  — 2.  Episode  (P  oder  V,  kontrastierend)  —  3.  Ritornell  (T)  — 
3.  Episode  (=  1 .,  Uberleitung,  Seitensatz  und  Epilog  T)  —  4.  Ritornell  (T,  mit  kleiner  Koda). 


Instrumentalmusik  von  1 750— 1 828  819 


Aber  auch  den  letzten  Schritt  tut  Haydn  durch  Umwandlung  der  zweiten  kontrastierenden 
Episode  in  eine  wirkliche  Durchfiihrung,  der  das  Ritornell  in  der  Grundtonart  vorangeht. 
Letzteres  wirkt  nunmehr  natiklich  als  Hauptsatz  und  die  wichtigsten  formalen  Unterschiede 
gegenliber  der  wirklichen  Sonatenform  sind :  die  Riickleitung  vom  Ende  der  Exposition  (in  D) 
zum  Beginn  der  Durchfiihrung  mit  dem  Hauptsatz  in  der  Grundtonart  sowie  das  Auftreten  des 
vollstandigen  Hauptsatzes  als  Koda;  die  letzterw'ahnte  Eigentiimlichkeit  kann  aber  auch  schon 
bei  Haydn  fehien.  In  dieser  sonatenahnlichen  Gestalt  wird  das  Rondo  von  Beethoven  iiber- 
nommen. 

In  einigen  seiner  letzten  Instrumentalwerke  versucht  Haydn,  sein  Ph.  Em.  Bach  entlehntes 
Verfahren  der  Ableitung  des  Seitensatzes  aus  dem  Hauptsatze  auf  ganze  Satze  auszudehnen. 
Durch  immer  wieder  verschiedenartige  Weiterfuhrung  des  melodischen  Grundstoffes  und 
verschiedenartige  Begleitungsrhythmen  bringt  der  Meister  das  Experiment  zu  glanzendem 
Gelingen.  Ebenso  verbliiffend  wirkt  seine  Instrumentation.  Als  fast  Sechzigjahriger  lernte 
Haydn  in  London  ein  wirkliches  Orchester  kennen,  das  in  Zusammensetzung  und  technischem 
Konnen  leistungsfahig  war;  in  Eisenstadt  hatte  er  es  doch  nur  mit  einem  groBeren  Kammer- 
ensemble  zu  tun  gehabt.  Das  Bediirfnis  nach  einem  solchen  Klangkorper  scheint  nun  sein 
Leben  lang  in  ihm  lebendig  gewesen  zu  sein,  denn  die  Anpassung  an  die  neuen  Mittel  erfolgt 
mit  unglaublicher  Schnelligkeit.  Haydn  wachst  rasch  iiber  Mozarts  Orchestertechnik  hinaus, 
der  trotz  des  obligaten  Akkompagnements  noch  vielfach  an  den  ganz  ,,unobligaten"  harmo- 
nischen  Haltetonen  der  Horner  und  Holzblaser,  wie  sie  in  der  Vorklassikerzeit  zwecks  Eli- 
minierung  des  Continue  entstanden  waren,  festhielt. 

Tondichterische  Ztige  sind  in  Haydns  groBen  Instrumentalwerken  wohl  kaum  nachweisbar. 
Seine  Sturm-  und  Drangzeit  liegt  zwischen  1770  und  1780,  nachher  kehrt  er,  wenn  auch  unter 
weit  hoherer  Verinnerlichung,  seiner  innersten  Natur  folgend,  zu  den  Idealen  seiner  Jugend 
zuriick.  Trotz  aller  tiefsinnigen,  tragischen  oder  romantisch-schwarmerischen  Stellen  ist  und 
bleibt  der  Grundzug  seiner  Werke  volkstiimliche  Frohlichkeit  in  alien  erdenklichen  Schat- 
tierungen.  Neben  dem  Tondichter  Mozart,  der  Erfullung  Ph.  Em.  Bachs,  steht  der  Musikant 
Haydn,  die  Erfullung  der  ,,Rikkkehr  zur  Natur". 

Als  Haydn  1790  auf  der  Durchreise  nach  London  Bonn  beriihrte,  wurde  ihm  der  zwanzig- 
jahrige  Ludwig  van  Beethoven  vorgestellt,  dessen  hochster  Wunsch  war,  in  Wien  unter 
Mozart  studieren  zu  konnen;  als  der  Meister  zwei  Jahre  spater,  nach  Wien  heimkehrend,  wieder 
durch  Bonn  kam,  war  Mozart  nicht  mehr  und  der  junge  Rheinlander  erbat  sich  die  Gunst, 
Haydns  Schiller  werden  zu  diirfen.  Noch  im  gleichen  Jahre  iibersiedelte  er  nach  Wien,  be- 
stimmt,  seine  beiden  grofien  Vorganger  zur  Wiener  klassischen  Trias  zu  erganzen. 

Ludwig  van  Beethoven,  1770  in  Bonn  geboren,  stammte  aus  einer  urspriinglich  in 'den 
Niederlanden  ansassigen  Musikerfamilie.  Seine  ersten  Lehrer  waren  sein  Vater  Johann, 
Tenorist  an  der  Kurfiirstlichen  Kapelle  (des  Erzbischofs  von  Koln,  dessen  Residenz  Bonn 
war),  der  Oboist  Pfeiffer  und  spater  die  Hoforganisten  Van  den  Eeden  und  Christian 
GottlobNeefe(1748— 98,  angeblich  Schiller  Ph.  Em.  Bachs).  DerKnabe,  der  sich  als  Wunder- 
kind  entwickelte,  wurde  schon  als  Dreizehnjahriger  zum  Cembalisten  der  Bonner  Kapelle  be- 
stellt  und  sollte  1787  Mozarts  Schiller  werden,  was  nur  durch  die  schwere  Erkrankung  seiner 
Mutter  verhindert  wurde.  So  ging  Beethoven,  wie  schon  gesagt,  erst  1792  nach  Wien,  wo 
ihm  Graf  Ferdinand  von  Waldstein  schon  von  Bonn  aus  die  Wege  geebnet  hatte.  Der  Unter- 


820  Instrumentalmusik  von  1750—1828 


richt  durch  Haydn  dauerte  nur  zwei  Jahre  und  auch  in  dieser  Zeit  war  Beethovens  eigentlicher 
Lehrer  der  Singspielkomponist  Johann  Schenk  (1753—1836);  Haydn  stand  damals  auf  dem 
Hb'hepunkte  seiner  Kiinstlerschaft,  hatte  noch  sehr  viel  zu  geben  und  fiirchtete  wohl  angesichts 
seines  Alters  jede  Ablenkung  von  der  Erftillung  der  ihm  vorschwebenden  Aufgaben,  zumal 
wenn  sie  durch  einen  genialen,  aber  in  der  Sturm-  und  Dranggarung  begriffenen  Schiiler  er- 
folgte.  So  war  das  Verhaltnis  von  Lehrer  und  Zogling  ein  sehr  oberflachliches  und  der  letztere 
zog  es  vor,  sich  bei  einem  routinierten  kleineren  Geiste  Rats  zu  erholen.  Mit  Haydns  zweiter 
Abreise  nach  London  nahm  das  Lehrverhaltnis  auch  aufierlich  ein  Ende,  und  Beethoven  stu- 
dierte  bei  Johann  Georg  Albrechtsberger  (1736 — 1809,  Kapellmeister  an  der  Stephans- 
kirche)  und  dem  Hofkapellmeister  Antonio  Salieri  (1750—1825).  Er  war  der  erste  unter  den 
Grofien,  der  es,  dank  der  geanderten  Anschauungen  iiber  Kunst  und  Kiinstler,  wagen  konnte, 
ohne  feste  Anstellung  ganz  der  {Composition  zu  leben.  Ein  durch  Graf  Waldstein  auf  ihn 
aufmerksam  gewordener  Kreis  von  Aristokraten  ermoglichte  ihm  dies  und  hielt  ihn  1809 
durch  Garantierung  einer  hohen  Rente  in  Wien  zuriick,  als  ihm  die  Kapellmeisterstelle  in 
Kassel  angeboten  wurde.  Trotz  dieser  giinstJgen  Verhaltnisse  und  grofier  Erfolge  als  Pianist 
und  Komponist  brachen  schwere  Zeiten  iiber  Beethoven  herein:  ein  vernachlassigtes  Ohren- 
iibel  steigerte  sich  zu  volliger  Taubheit,  die  hohe  Jahresrente  seiner  Conner  wurde  durch  die 
Geldentwertung  nach  den  Napoleonischen  Kriegen  sehr  reduziert  und  sein  Miindel  und  Neffe, 
Karl  van  Beethoven,  stiirzte  ihn  durch  leichtsinnigen  Lebenswandel  in  schwere  finanzielle 
Kalamitaten  und  tiefe  Herzenskonflikte.  Seit  Jahren  von  aller  Welt  zuriickgezogen  und  in 
den  knappsten  Verhaltnissen,  starb  Beethoven  1827  in  Wien.  Seine  Instrumentalwerke  sind: 
9  Symphonien,  1 1  Ouvertiiren,  1  Violinkonzert  (auch  als  Klavierkonzert  arrangiert),  5  Klavier- 
konzerte,  1  Tripelkonzert  (fur  Klaviertriosolo),  Fantasie  fur  Klavier,  Orchester  und  Chor, 
Rondo  fur  Klavier  und  Orchester,  2  Romanzen  far  Violine  und  Orchester,  Marsche  und  Tanze 
fur  Orchester,  38  Klaviersonaten,  10  Violinsonaten,  1  Rondo  und  1  Variationenwerk  far 
Violine  und  Klavier,  5  Cellosonaten,  3  Variationenwerke  fur  Cello  und  Klavier,  7  solche  fur 
Flote  und  Klavier,  21  solche  far  Klavier  allein,  vierhandige  Klavierwerke  (1  Sonate,  2  Va- 
riationenzyklen,  3  Marsche),  Rondos,  Bagatellen,  Praludien,  Andante,  Fantasie  und  Tanze 
far  Klavier,  1  Hornsonate,  9  Klaviertrios,  2  Triovariationenwerke,  4  Klavierquartette  (3  davon 
von  1785),  1  Klavierquintett  mit  Blasern,  2  Blaseroktette  und  1  Blasersextett,  Septett  und 
Sextett  fur  Streicher  und  Blaser,  2  Streichquintette,  16  Streichquartette,  je  1  Fuge  fur  Quartett 
und  Quintett,  5  Streichtrios,  1  Trio  fur  Flote,  Violine  und  Viola,  1  Trio  fur  2  Oboen  und 
Englischhorn,  3  Duos  far  Klarinette  und  Fagott,  2  Posaunenquartette. 

Beethovens  gewlB  sehr  zahlreiche  Kompositionen  erscheinen  gegeniiber  den  Werken  seiner 
Vorganger  gering  an  Zahl;  dies  kommt  daher,  daC  er,  zur  Individualitat  geworden,  eine  Stim- 
mung,  einen  Gefuhlsverlauf  nicht  wie  jene  in  einer  Serie  gleichartiger  Kompositionen  nieder- 
legte,  sondern  in  eine  einzige  Schopfung  konzentrierte,  an  der  er  dann  freilich  langere  Zeit, 
oft  jahrelang  arbeitete  und  feilte.  Von  Haydns  naiver  Musizierlust  besafi  Beethoven  sehr  wenig : 
dort,  wo  Mozart  aufgehort  hatte,  kniipfte  er  an,  gleichfalls  vom  Geiste  der  Kunstauffassung 
Ph.  Em.Bachs  beseelt.  In  seinem  Schaffen  unterscheidet  man  allgemein  drei  Perioden:  eine 
der  Abhangigkeil  von  Haydn  und  Mozart  (bis  ca.  1802),  eine  zweite  der  individuellen  Aus- 
gestaltung  der  iiberkommenen  Kunstmittel  (bis  ca.  1812)  und  eine  dritte  der  weitest- 
gehenden  Umgestaltung  dieser  Mittel. 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


821 


Schon  in  den  Werken  der  ersten  Schaffensperiode  treten  individuelle  Ziige  hervor,  so  in 
der  zyklischen  Form  die  Viersatzigkeit  aller  Ensembles  und  der  Ersatz  des  Menuetts  durch 
das  Scherzo.  Die  Bezeichmmg  als  solche  war  nicht  neu;  sie  begegnet  schon  in  der  alt- 
klassischen  Zeit  in  allgemeinen  Titeln  wie  ,,Scherzi  musicali",  \vo  sie  meist  Suiten  bedeutet, 
spater,  in  der  Auflosungszeit  der  Suite,  als  Deckname  for  die  verschiedensten  Tanztypen, 
endlich  hatte  Haydn  gerade  in  seinen  Reformquartetten  op.  33  das  Menuett  durchgangig 
,,Scherzo"  benannt.  Wahrend  es  sich  hier  wirklich  nur  um  eine  Umnennung  ohne  Wesens- 
anderung  handelt,  hangen  Beethovens  Scherzi  fast  nur  mehr  durch  den  3/4-Takt  mit  dem 
Menuett  zusammen,  da  sie  in  viel  schnelleren  Tempi  stehen  und  Tanzrhythmen  geflissentlich 
vermeiden.  Im  Sonatensatz  des  jungen  Beethoven  fallt  das  prinzipielle  Aufgreifen  der  durch- 
fohrungsartigen  Koda  des  letzten  Mozart  auf ,  am  starksten  aber  wohl  die  Melodik  der  Allegro- 
satze,  die  ganz  auf  der  Sequenz  beruht: 


Trio  op.   1, 
Nr.  3 


Senate  op.  2, 
Nr.  1 


i 


Damit  ist  der  Grund  zu  einer  iiberaus  wichtigen  Weiterentwicklung  gelegt.  Dafi  Beethoven 
das  sonatenmaBig  umgestaltete  Rondo  Haydns  ubernimmt,  wurde  schon  betont  (vgl.  das 
Finale  der  2.  Symphonic).  Etwas  abseits  von  den  normalen  Sonatenzyklen  stehen  die  beiden 
mit  ,,Sonata  quasi  una  fantasia"  iiberschriebenen  Werke  des  op.  27.  Die  Satzfolge  ist  hier 
ungewohnlich,  die  einzelnen  Satze  sind  ohne  Zwischenpausen  aneinanderzureihen  und  auch 
die  Struktur  einiger  Satze  an  sich  ist  sehr  auffallend:  ein  ,,LJed  ohne  Worte",  wie  es  der 
1 .  Satz  der  ,,Mondscheinsonate  4  darstellt,  wird  in  normalen  Sonaten  kaum  zu  finden  sein. 
So  verraten  schon  die  Werke  der  ersten  Periode  hohe  formale  Originalitat  im  Dienste  eines 
edlen,  leidenschaftlichen  Pathos. 

Die  zweite  Schaffensperiode  Beethovens,  die  ungefahr  die  Kompositionen  von  der  3.  bis 
zur  8.  Symphonic  umfafit,  zeigt  vor  allem  starkes  Anwachsen  der  Dimensionen  in  jeder  Hin- 
sicht.  Die  Pastoralsymphonie  bringt  (allerdings  in  programmatischer  Absicht)  einen  5.  Satz, 
das  zwischen  Scherzo  und  Finale  eingeschobene  Gewitter.  Die  Ausdehnung  der  Einzelsatze 
wachst  bedeutend  durch  die  Erweiterung  der  Satzgruppen:  die  beim  letzten  Mozart  haufige 
zweiteilige  Anlagc  von  Haupt-  und  Seitensatz  wird  von  Beethoven  oft  zur  Dreiteiligkeit  aus- 
gebaut,  wobei  Steigerungen  und  starke  Kontraste  eine  grofie  Rolle  spiclen.  Die  Erweiterung 
der  Durchfiihrung  erfolgt  einige  Male  durch  Aufnahme  neuen,  in  der  Exposition  nicht  er~ 
schienenen  Materials.  Dazu  hat  jedenfalls  das  Bediirfnis  gefuhrt,  die  (bedeutend  wciter  grei- 
fende)  Modulation  nicht  als  Selbstzweck  ansehen  zu  miissen,  sondern  (analog  dem  Auftrcten 
des  Scitensatzes.nach  der  Oberleitung)  in  der  Zieltonart  der  Durchfahrung  cin  melodisches 


822  Instrumentalmusik  von  1750—1828 


Geschehen  zu  veranlassen,  eine  kantable  Melodie  zu  bringen  (vgl.  den  1.  Satz  der  ,,Eroica" 
und  des  Violinkonzertes).  Die  durchfiihrungsartige  Koda  wird  oft  so  breit  angelegt,  da6  sie 
wie  eine  zweite  Durchfiihrung  anmutet,  besonders  dann,  wenn  sie  ebenso  aus  der  Reprise 
hervorgeht  wie  zuerst  die  Durchfiihrung  aus  der  Exposition.  Mit  der  Erweiterung  der  Di- 
mensionen  geht  die  des  Modulationskreises  Hand  in  Hand.  Dabei  spielt  das  Medianten- 
verhaltnis  (C-Dur  —  As-Dur,  C-Dur — E-Dur,  C-Dur  —  A-Dur,  C-Dur  —  Es-Dur)  eine 
groBe  Rolle,  nicht  nur  far  die  Wahl  der  Seitentonart  (vgl.  ,,Waldsteinsonate",  1 .  Satz :  C-Dur  — 
E-Dur),  sondern  sogar  innerhalb  einer  Periode  fur  Vorder-  und  Nachsatz: 

Bagatellen 

op.  33,  Nr.  3  Hg£ 

Die  Modulation  innerhalb  der  Durchfiihrung  kennt  iiberhaupt  keine  Schranken,  ebenso  wird 
in  der  Koda  knapp  vor  SchluS  noch  in  Idihnster  Weise  moduliert.  Mitten  unter  den  machtig 
erweiterten  Formen  stehen  ab  und  zu  Werke  von  denkbar  knappster  Fassung,  wie  etwa  die 
5.  Symphonie. 

Die  Konzerte  Beethovens  bauen  gleichfalls  auf  Mozart  als  Basis  weiter.  Der  fiir  die  weitere 
Entwicklung  belangreichste  Zug  ist  die  Voranstellung  einer  kurzen  Partie  des  Soloinstruroents 
vor  das  erste  Tutti,  wie  es  in  den  ersten  Satzen  der  Klavierkonzerte  in  G-Dur  und  Es-Dur 
der  Fall  ist;  im  G-Dur-Konzert  Jst  das  beginnende  Klaviersolo  der  Vordersatz  der  Hauptsatz- 
melodie,  im  Es-Dur-Konzert  eine  kadenzartige  freie  Introduktion.  In  beiden  Fallen  bringt  das 
folgende  Tutti  ganz  regular  die  Exposition  des  Satzes,  der  Beginn  mit  dem  Solo  hat  also 
keinerlei  konstruktive  Folgen.  Dennoch  haben  diese  Falle  wohl  den  Anstofi  zur  Eliminierung 
des  ersten  Tutti  im  Konzert  der  Romantiker  seit  Mendelssohn  gegeben. 

Auch  als  Ouverturenkomponist  setzt  Beethoven  Mozarts  Prinzipien  fort,  zeigt  aber  auch  Be- 
einflussung  durch  die  von  ihm  hochgeschatzten  Opernvorspiele  der  Gluck-Schiiler  Luigi 
Cherubini  (1760—1842)  und  Etienne  Nicolas  Mehul  (1763—1817).  Die  tondichterische 
Ausgestaltung,  dem  Kern  der  Handlung  gemaC,  steht  ihm  im  Vordergrunde  und  wie  seine 
Vorbilder  sucht  er  diesen  Zweck  durch  Ausbeutung  der  in  der  Sonatenform  liegenden 
Moglichkeiten  zu  erreichen.  Als  das  Hauptproblem  haben  wir  dabei  die  Umgehung  der  in 
der  Reprise  liegenden  rein  musikalischen  Wiederholung  der  Exposition  erkannt,  die  nach  den 
Kampfen  des  Durchfiihrungsteils  tondichterisch  ganz  unmotiviert  auftritt.  Nachdem  sich 
Beethoven  in  der  ersten  ,,Leonoren"  -Ouvertiire  (1804  oder  05  entstanden)  darauf  beschrankt 
hatte,  den  aktiven  und  den  passiven  Helden  der  Handlung  (Leonore  und  Florestan)  einander 
gegeniiberzustellen  und  das  Leonorethema  zum  Siege  zu  fiihren,  ging  er  noch  1805  in  der 
zweiten  Ouvertiire  darauf  aus,  die  Verwicklung  bis  zur  drohenden  Katastrophe  Und  die  plotz- 
liche  Losung  des  Knotens  zu  symbolisieren.  Die  langsame  Einleitung  macht  durch  Zitierung 
der  Kerkerarie  Florestans  mit  dem  Ausgangspunkt  des  Dramas  bekannt,  dann  bringt  das  Alle 
gro  als  Hauptsatz  eine  in  der  Oper  nicht  vorkommende,  Leonore  bezeichnende  Melodie  und 
als  Seitensatz  abermals  die  Florestanarie,  so  dafi  also  die  beiden  Helden  einander  gegeniiber- 
stehen,  der  Epilog  greift  auf  Leonores  zuversichtliches  Thema  zuriick.  Nun  steigt  in  der 
Durchfiihrung  die  Erregung  und  fiihrt  schliefilich  zu  einem  Augenblick  der.  hochsten  Span- 
nung,  in  dem  das  Trompetensignal,  das  in  der  Oper  den  Befreier  verkiindet,  wortlich  ertont. 
Tondichterisch  ist  damit  der  Grundzug  der  Handlung  erschopfend  vorgefiihrt  und  Beethoven 


Instnimentalmusik  von  1750 — 1828 


wagt  es,  auf  die  Reprise  zu  verzichten  und  nach  einem  Auftreten  der  choralartig  harmonisierten 
und  so  wie  ein  Dankgebet  klingenden  Florestanmelodie  durch  eine  glanzende  Stretta  direkt 
zur  Koda  iiberzuleiten,  die  den  Triumph  des  Leonorethemas  bringt.  Wagte  so  Beethoven  auf 
der  Hohe  seiner  Schopferkraft  die  Sonatenform  im  des  tondichterischen  Zweckes  willen  ein- 
schneidend  zu  modifizieren,  ein  Jahr  spater  arbeitete  er  die  ,,zweite"  Ouvertiire  zur  ,,dritten" 
um  und  der  Kern  dieser  Umarbeitung  besteht  in  der  Einfugung  der  Reprise.  Der  Meister  ist 
also  vor  der  tondichterischen  Wahrheit  auf  Kosten  der  musikalischen  Form  zuriickgeschreckt 
und  war  in  seinen  folgenden  Ouvertiiren  (zu  Collins  ,,Coriolan"  und  Goethes  ,,Egmont")  be- 
strebt,  ein  denkbar  giinstigstes  KompromiS  zwischen  Deutlichkeit  des  Inhalts  und  Klarheit 
der  Form  herzustellen.  Dies  gelang  ihm  auch  und  zwar  durch  den  Kunstgriff,  die  zur  Ent- 
scheidung  fiihrenden  Kampfe  nicht  in  die  eigentliche  Durchfiihrung,  sondern  in  die  durch- 
fuhrungsartige  Koda  zu  verlegen;  die  Durchfiihrung  der  ,,Coriolan" -Ouvertiire  verdient  ihre 
Bezeichnung  iiberhaupt  nicht,  da  sie  nur  in  einer  gesteigerten  Fortfiihrung  des  Epilogs  der 
Exposition  besteht,  die  der  ,,Egmont" -Ouvertiire  ist  eine  Episode,  nach  der  die  Reprise  mit 
Naturnotwendigkeit  eintritt.  Gerade  das  letzterwahnte,  1810  komponierte  Vorspiel  zeigt  deut- 
lich,  wie  Beethoven  damals  iiber  das  Verhaltnis  von  Form  und  Inhalt  dachte. 

Noch  weit  berechtigter  als  Mozart  gegeniiber  ist  der  Schlufi,  eine  solche  tondichterische 
Potenz  konne  sich  unmoglich  auf  die  Ouverturenkomposition  beschrankt  haben,  und  so  ist 
das  tonpoetische  Wesen  der  3.  und  5.  Symphonic  sowie  mancher  Sonate  langst  erkannt.  Von 
solchen  Absichten  ist  es  nur  ein  Schritt  zur  psychischen  Programmusik,  deren  Wesen  im 
Untertitel  der  Pastoralsymphonie  ,,Mehr  Ausdruck  der  Empfindung  als  Malerei"  klar  aus- 
gedriickt  ist.  Das  Gewitterbild  freilich  ist  mehr  Malerei  als  Empfindungsausdruck  und 
in  der  Ouvertiire  ,,DJe  Schlacht  von  Victoria"  geht  Beethoven  (einmal  und  nicht  wieder) 
zur  handgreiflichsten  naturalistischen  Programmusik  liber,  auch  darin  ein  Weiser  in  die 
Zukunft. 

An  dieser  Stelle  sei  die  Entwicklung  der  Variationstechnikseit  der  ,,Riickkehr  zur  Natur*' 
in  kurzen  Ziigen  dargestellt.  Variationswerke  aus  der  vorklassischen  Ubergangszeit  sind  noch 
kaum  bekannt  geworden.  Sicher  ist,  da6  die  selbstandige,  von  der  Suite  losgeloste  Variationen- 
reihe  gegeniiber  ihrem  vereinzelten  Auftreten  in  der  altklassischen  Zeit  an  Verbreitung  gewinnt ; 
dies  beweisen  schon  die  zehn  erhaltenen  Zyklen  von  C.  Phil.  Em.  Bach,  die  leider  noch  nicht 
Gegenstand  der  Forschung  waren.  Daneben  enthalt  das  Divertimento,  der  Rechtsnachfolger 
der  Suite,  haufig  primitive  Variationen.  In  der  friihklassischen  Zeit  erscheint  der  Variations- 
zyklus  als  selbstandiges  Werk  (so  sind  die  ersten  sechs  der  diesbeziiglichen  Arbeiten  Mozarts 
vor  1780  entstanden)  oder  als  Bestandteil  des  Divertimento,  aber  auch  der  regularen  drei-  und 
viersatzigen  Sonatenform  (hier  als  langsamer  Mittelsatz  oder  Finale).  Als  ,,Sonaten"  bezeich- 
nete  Kompositionen  mit  Variationen  als  erstem  Satz  gehoren  wohl  eigentlich  zu  den  Diverti- 
menti  (so  Mozarts  Klaviersonate  A-Dur,  Kochel  Nr.  331:  Variationen,  Menuett,  Rondo  I). 
Die  hochklassische  Epoche  hat  eine  neuerliche  Zunahme  der  selbstandigen  Variationsreihe 
zu  verzeichnen;  die  Hauptmasse  stellen  allerdings  nicht  die  drei  fiihrenden  Meister,  sondern 
ihre  kleineren  Zeitgenossen,  besonders  in  der  Klavierkomposition  (Gyrowetz,  Wolfl  und  viele 
andere).  Relativ  am  primitivsten  unter  den  drei  Wiener  Meistern  ist  die  Variationstechnik 
Mozarts.  Er  geht  iiber  die  ^Figuralvariation"  (Wahrung  des  Themas  in  Aufbau,  Melodie- 
und  Harmonisierung,  einzige  Veranderung  die  Verzierung  der  Oberstimme)  kaum  hinaus; 


824  Instrumentalmusik  von  1750—1828 


zur  ,,Charaktervariation"  leitet  hochstens  das  Auftreten  einer  Mmorevanation  (ungefahr  in 
der  Mitte  des  Zyklus),  einer  Adagiovariation  (gewohnlich  vorletztes  Stuck)  und  eines  Allegro- 
Finale  iiber.  In  den  genannten  Fallen  wird  das  Thema  tonartlich  resp.  agogisch  stark  verandert. 
Den  Aufbau  des  Themas  tastet  nur  eine  eventuelle  (bei  Mozait  erst  1789  ausdriicklich  als 
solche  bezei  chnete)  Koda  an,  die  charakteristische  Themamotive  zu  freier  Schlufisteigerung 
beniitzt,  meist  iibrigens  mit  dem  Thema  selbst  abschlieBt.   In  Haydns  letzten  selbstandigen 
und  eingebauten  Variationenwerken  tritt  ein  neuer,  fortschrittlicher  Typus  auf  (vgl.  langsamer 
Satz  der  Symphonic  in  Es-Dur  ,,mit  dem  Paukenwirbel"  und  Klaviervariationen  in  F-Moll) 
Haydn  variiert  hier  nicht  ein  Thema,  sondern  zwei  Modelle,  die  (wie  Trauermarsch  und  Trio 
wirkend)  miteinander  abwechseln.    Nach  mehrmaligem  Wechsel  schlieBt  eine  sehr  umfang- 
reiche,  durchfiihrungsartige  Koda  das  Werk.  Innerhalb  der  eigentlichen  Variationsreihe  finden 
alle  oben  erwahnten  Mittel  Mozarts  Anwendung  (tonartliche  und  agogische,  auch  taktliche 
Veranderung  des  Modells).   Haydns  Typus  wird  von  Beethoven  im  Andante  der  5.  Sym 
phonie  getreu  ubernommen,  im  iibrigen  aber  geht  Beethovens  Variation  neue  Wege:  zur  immer 
deutlicheren  Herausarbeitung  der  Charaktervanation.  Zu  diesem  Zwecke  erfindet  der  Meister 
schon  innerhalb  der  Figuraltechnik  ein  neues  Prinzip:  die  Vereinfachung  des  Themas  statt 
seiner  Bereicherung  in  der  Variation;  dadurch  wird  oft  der  eigentliche  melodische  Kern  des 
Modells  erst  klar.  Sonst  wird  von  Anderung  der  Tonart,  Taktart,  des  Tempo  weit  reichlicher 
Gebrauch  gemacht  und  auch  der  Aufbau  des  Themas  angetastet  (Dehnungen,  Zusammen- 
ziehungen,  Umstellungen  von  Melodiegliedern).    In  der  zyklischen  Aufeinanderfolge  der  Va- 
riationen  wird  die  altere  Methode,  in  einem  Adagio  und  einem  Schlufiallegro  vom  ZeitmaBe  des 
Modells  abzuweichen,  nach  Guido  Adlers  (in  seinen  Kollegien  niedergelegten)  Feststellungen  zu 
einer  volligen  Angleichung  an  die  zyklische  Sonatenform  ausgebaut.  Die  ersten  Variationen  ent- 
sprechen  in  thematischer  Entwicklung  und  Kontrastierung  dem  ersten  Sonatensatz,  dann  folgt 
eine  Variation  oder  Variationengruppe  als  Aquivalent  des  langsamen  Satzes,  das  Scherzo  findet 
sein  Gegenstiick  und  ebenso  das  Finale;  die  oft  rein  schlufibekraftigende,  nur  auBerlich  stei- 
gernde  Variationenkoda  deckt  sich  ganz  mit  der  eines  Sonatenschlufisatzes.   Ferner  wird  die 
altere  Art,  sich  schrittweise  vom  Thema  zu  entfernen,  oft  aufgegeben  und  ziemlich  unvermittelt 
zu  stark  abweichenden  Veranderungen  iibergegangen.   Den  konzentriertesten  Hohepunkt  der 
Variationstechnik  des  ,,letzten"  Beethoven  bilden  wohl  die  Variationen  ,,iiber  einen  Walzer 
von  Diabelli"  und  der  ,,Heilige  Dankgesang  eines  Genesenden"  im  A-Moll-Quartett  op.  132. 
Endlich  verleiht  Beethoven  oft  dem  Variationenzyklus  durch  die  Aufnahme  der  Fuge  ein  mach- 
tiges  Finale.  Natiirlich  lafit  sich  auch  im  Rahmen  der  Variation  die  fortschreitende  Ausbildung 
des  tondichterischen  Mornentes  seit  Mozarts  letzten  Werken  verfolgen. 

Die  wachsende  Ausdehnung  der  Werke  Beethovens  findet  ihr  klangliches  Spiegelbild  in 
der  VergroBerung  des  Orchesters  und  der  an  die  Spieler  gestellten  Anspriiche.  Ein  zeit- 
genossischer  Geiger  beklagte  sich,  im  Beethovenschen  Orchester  mehr  leisten  zu  miissen  als 
sonst  beim  Vortrag  eines  Solostiickes.  In  der  Orchesterzusammenstellung  ging  Beethoven  von 
der  paarweisen  Anordnung  der  Blaser  (Floten,  Oboen,  Klarinetten,  Fagotte,  Horner  und 
Trompeten)  aus,  wie  sie  Mozarts  letzte  Ouvertiiren  und  Haydns  letzte  Symphonien  zeigen. 
In  der  3.  Symphonic  wird  ein  drittes  Horn  verlangt,  im  Finale  der  5.  Pikkoloflote,  Kontra- 
fagott  und  3  Posaunen,  Auch  die  Behandlung  dieser  Klangkorper  bringt  weitere  Fortschritte : 
der  Sequenzbau  der  Melodik  gestattet  die  Aufteilung  langerer  Melodien  an  eine  ganze  Menge 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


abwechselnder  Instrumente,  deren  jedes  ein  Sequenzglied  erhalt  (vgl.  Seitensatz  des  1.  Satzes 
der  ,,Eroica",  Hauptsatz  des  1.  Satzes  der  5.  Symphonic). 

Noch  ein  Moment  ist  for  die  hochklassische  Technik  Beethovens  hochst  bezeichnend,  das 
immer  starkere  Hervortreten  altklassischer  Mittel.  Ankniipfend  an  Haydns  Durchfiihrungs- 
imitationen,  zieht  Beethoven  das  Fugato  immer  mehr  als  Bestandteil  der  Durchfiihrung  heran. 
Aber  dieses  Streben  beschrankt  sich  nicht  auf  die  Fugierung:  der  langsame  Satz  des  Klavier- 
konzerts  in  G-Dur  mit  seinem  unausgesetzten  Kampf  zwischen  Tutti  und  Solo  ist  ganz  im 
Geiste,  wenn  auch  nicht  der  Form  des  altklassischen  Konzertsatzes  gehalten. 

Der  hochklassischen  Periode  gibt  das  Weiterbauen  auf  Mozarts  Errungenschaften  die 
Signatur.  Haydn  hat  selbst  als  Vollender  gewirkt,  als  Vollender  des  Geistes  der  Ubergangs- 
zeit.  Mozart  aber,  der  Friihverstorbene,  \vurde  durch  Beethoven  vollendet. 

Angeregt  durch  die  grofien  und  kleinen  Meister  der  friihklassischen  Zeit,  schufen  als  Zeit- 
genossen  der  hochklassischen  Epoche  Friedrich  Wilhelm  Rust  (1739—1796),  Muzio 
dementi  (1752 — 1832,  dessen  vollgriffiger,  Scarlattis  Technik  weiterbildender  Klaviersatz 
auf  die  Klavierwerke  des  spaten  Haydn  und  Beethovens  iiberging),  Emanuel  Alois  Forster 
(1748-1823),  Franz  Sterkel  (1750—1817),  Leopold  Kozeluch  (1752—1818),  Giovanni 
Battista  Viotti  (1753 — 1824,  der,  wie  dementi  dem  Klavier,  der  Violine  neue  Gebiete 
der  Technik  eroffnete),  Ignaz  Pleyel  (1757— 1831),  Josef  Geli  nek  (1758— 1825),  Ladislaus 
Dussek  (1761—1802),  Daniel  Steibelt  (1765— 1823),  Anton  Eberl  (1766—1807),  Johann 
Nepomuk  Hu  mmel(1770— 1837),  JosefWolfl  (1772— 181 2)  und  vieleandere.DieWirksamkeit 
einiger  unter  ihnen  erstreckt  sich  zeitlich  noch  in  die  friihromantische Periode ;  stilistisch  ist  keiner 
liber  die  Pnnzipien  des  letzten  Mozart  hinausgegangen  und  von  emer  Beemflussung  durch 
Beethoven,  fur  dessen  Schopfungen  ihnen  alien  das Verstandnis  fehlte,  kann  kaum  die  Rede  sein. 

IV.  1810 — 1828.  Romantik  ist  das  Schwelgen  irn  Ungewohnlichen  und  seiner  Darstellung, 
also  die  Heranziehung  ungewohnlicher  Kunstinhalte  und  Kunstmittel.  Die  Ungewohnlichkeit 
der  Inhalte  ist  am  sinnfalligsten,  wenn  es  sich  um  zeitliche  Feme,  ortliche  Feme  (Exotik) 
und  Ubersinnliches  handelt,  aber  auch  schon  der  Aufenthalt  in  den  Grenzgebieten  des  Seelen- 
lebens,  die  kiinstlerische  Wi-edergabe  aufierordentlicher  seelischer  Erregungszustande,  ist  echt 
romantisch.  Dazu  tritt  die  Ungewohnlichkeit  der  Form,  die  Wahl  der  AusdrucksmitteJ  einzig 
nach  dem  Diktat  des  wiederzugebenden  Inhalts,  nicht  nach  dem  der  Tradition  oder  allgemeinen 
Ubung.  Das  auBerliche  Kennzeichen  der  Romantik  sind  also  improvisatorische  Formen  oder 
improvisatorische  Umgestaltungen  gangbarer  Typen.  Somit  ist  auch  die  Programmusik  (und 
zwar  besonders  die  naturalistische),  die  ja  die  Kunstmittel  nicht  nach  musikalischer,  sondern 
nach  aufiermusikalischer  Logik  verwendet  und  improvisatorische  oder  in  diesem  Sinne  modi- 
fizierte  Gebilde  schafft,  ein  romantisches  Gebiet.  Aus  dem  eben  Gesagten  geht  hervor,  dafi 
es  einerseits  Grenzfalle  geben  mufi,  deren  Zuweisung  zur  Romantik  zweifelhaft  bleiben  kann, 
und  dafi  es  andererseits  zu  alien  Zeiten  romantisch  empfindende  und  gestaltende  Kiinstler 
gegeben  hat,  so  besonders  die  Grofimeister  der  Tokkata  in  Mittel-  und  Norddeutschland. 
Wahrend  es  aber  friiher  nur  besonders  tief  veranlagte  Meister  in  ganz  besonders  erregten 
Stunden  ihres  Lebens  wagten,  ihr  Gefuhlsleben  schrankenlos  in  Tonen  niederzulegen,  wurde 
es  in  der  Epoche,  die  man  als  die  der  ,,Romantik"  bezeichnet,  Trumpf,  romantisch  zu  sein; 
eine  groBe  Zahl  von  Schriftstellern  stellte  es  als  Pflicht  des  Kiinstlers  hin,  aus  dem  Empfinden 
des  Ungewohnlichen  jeder  Art  heraus  zu  schaffen. 


826  Instrumentalmusik  von  1750—1828 


Mit  der  Wiedererweckung  Shakespeares  beginnt  bald  nach  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
die  deutsche  Romantik.  Seine  Werke  gaben  alles,  was  der  noch  unbestimmte  Drang  der  Zeit 
suchte:  erregteste  Leidenschaftlichkeit,  dabei  die  zeitliche  und  ortliche  Feme  und  das  Hinein- 
spielen  des  Obersinnlichen,  und  all  das  in  einer  ungebundenen,  einzig  der  Handlimg  ent- 
sprungenen  dramatischen  Form.  Unter  Lessings  Fiihrung  schlossen  sich  die  bedeutendsten 
deutschen  Geister  Shakespeare  an,  und  in  den  Jugendwerken  Goethes  und  Schillers  gipfelte  die 
deutsche  Romantik,  der  ,,Sturm  und  Drang",  wie  man  damals  sagte,  zum  erstenmal.  Durch 
die  ,,klassischen"  Schopfungen  der  beiden  GroBten,  darin  die  Form  wieder  zu  Ehren  kam  und 
mit  dem  In  halt  ein  ideales  Kompromifi  einging,  wurde  die  Romantik  auf  ungefahr  ein 
Menschenalter  zuriickgedrangt,  um  mit  etwa  18"0  zur  Herrschaft  zu  gelangen.  Ahnlich  voll- 
zog  sich  die  Entwicklung  auf  musikalischem  Gebiete.  Es  wurde  schon  hervorgehoben,  dafi 
Ph.  Em.  Bachs  Zeitgenossen  in  seinen  Klavierfantasien  Aufierungen  Shakespeareschen  Geistes 
erblickten ;  wie  die  Tokkaten  und  Fantasien  der  Barocke  bedeuten  auch  die  improvisatorischen 
Formen  der  Ubergangszeit  echte  Romantik  und  Werke  wie  Mozarts  Klavierfantasien  reihen 
sich  in  gleichem  Geiste  an.  Der  Vokalkomponist  Mozart  bringt  in  ,,Don  Giovanni"  und 
,,Zauberflote"  geniale  Beitrage  zur  dramatischen  Fruhromantik  und  iibt  als  erster  ein  fur  die 
spatere  Entwicklung  der  romantischen  Schreibweise  hochst  bezeichnendes  Verfahren:  das 
Archaisieren  als  musikalischen  Ausdruck  der  mit  zeitlicher  Feme  verbundenen  Gefuhls- 
komplexe  (vgl.  die  Choralbearbeitung  des  Duetts  der  geharnischten  Manner  im  letzten  Finale 
der  ,,Zauberflote").  Im  allgemeinen  liegt  freilich  wie  in  der  gleichzeitigen  Poesie  ein  un- 
vergleichliches  Kompromifi  von  Form  und  Inhalt  vor  und  auch  fur  Beethovens  Schaffen  bis 
ca.  1810  wurde  diese  Tatsache  oben,  gelegentlich  der  Untersuchung  seiner  Ouvertiiren,  fest- 
gestellt.  DaB  aber  die  Mozartsche  Romantik  weiterlebt,  verraten  formale  Auswirkungen 
psychischer  und  naturalistischer  Programmusik  wie  in  den  Fantasiesonaten,  in  der  5.  Sym 
phonic  (Uberleitung  vom  Scherzo  zum  Finale),  der  6.  Symphonic  (Gewittersatz  zwischen 
Scherzo  und  Finale). 

Nach  1810  vollzieht  sich  inBeethovensPrinzipien  ein  Urns chwung  zugunsten  des  Inhalts 
auf  Kosten  der  Form.  Wenn  auch  eigentliche  formale  Neubildungen  nicht  erscheinen,  die 
herkommlichen  Formen  werden  um  eines  psychischen  Programms  willen  modifiziert  oder 
durch  altere,  altklassische  ersetzt  resp.  mit  solchen  verquickt.  Die  Erweiterung  der  zyklischen 
Sonatenform,  die  schon  in  der  Pastoralsymphonie  angebahnt  ist,  schreitet  fort  bis  zu  sieben 
Satzen  (Streichquartett  in  Cis-Moll  op.  131),  andererseits  arbeiten  die  ,,Bagatellen"  auf  das  ein- 
satzige  romantische  Klavierstiick  hin  und  als  orchestrales  Gegenstiick  dazu  die  beiden  Ouver 
tiiren  ,,Zur  Namensfeier"  und  ,,Die  Weihe  des  Hauses",  die  nicht  Einleitungen  zu  Vokal- 
werken  sind,  auf  die  romantische  ,,Konzertouvertiire",  einen  wichtigen  Vorlaufer  der  sympho- 
nischen  Dichtung.  Die  Struktur  der  Einzelsatze  iiberschreitet  nicht  selten  durch  Anwendung 
ungewohnlicher  Kontraste  die  bisherigen  Gestaltungen ;  der  melodische  und  tonartliche 
Gegensatz  der  Satzgruppen  wird  auf  .den  Kontrast  in  Taktart  und  Tempo  ausgedehnt,  wo- 
durch  der  Satz  in  mehrere  gesonderte  Satzchen  zu  zerf alien  scheint  (vgl.  den  langsamen  Satz 
der  9.  Symphonic :  Adagio  C  D-Dur  als  erstes,  Andante  3/4  B-Dur  als  zweites  Variationsthema ; 
ahnlich  der  langsame  Satz  des  Streichquartetts  in  A-Moll  op.  132,  hier  durch  die  Oberschriften 
,,Heiliger  Dankgesang  eines  Genesenden"  resp.  ,,Neue  Kraft  fiihlend"  tondichterisch  erlautert 
und  motiviert).  Im  Scherzo  aufiert  sich  dieses  Prinzip  in  abweichender  Taktart  des  Trio  (ge- 


Instrumentalmusik  von  1750—1828  827 


rader  Takt,  vgl.  9.  Symphonie),  wodurch  auch  auBerlich  die  Abkehr  vom  Menuett  vollendet 
wird,  sowie  im  Auftreten  des  Taktwechsels  innerhalb  des  Satzes  selbst  (vgl.Scherzi  der  9.  Sym 
phonic  und  des  Quartetts  op.  127  in  Es-Dur).  Eine  andere  bezeichnende  Erscheinung  sind  die 
schwankenden  Dimensionen,  besonders  der  Allegri:  neben  Satzen  von  breitester  Entwicklung 
stehen  solche  von  knappster,  straffster  Gestaltung  (besonders  in  den  Streichquartetten  ab 
op.  95).  Natiirlich  fallen  auch  mit  romantischen  Ziigen  in  keinerlei  Beziehung  stehende 
Weiterentwicklungen  in  diesen  Zeitraum,  so  die  Vollendung  des  sonatenmaBigen  Rondo,  das 
im  Finale  des  Es-Dur-Quartetts  op.  127  am  Ende  der  Exposition  wohl  zur  Grundtonart 
zuriickkehrt,  darin  aber  nicht  erst  das  Ritornell  bringt,  sondern  gleich  die  Durchfiihrung  er- 
offnet;  der  einzige  Unterschied  gegenliber  der  Sonatenform  liegt  also  in  dem  (durch  eine 
Riickleitung  vorbereiteten)  Beginn  der  Durchfiihrung  in  der  Grundtonart.  Echt  romantisch 
ist  dagegen  das  in  verschiedenster  Gestalt  begegnende  Archaisieren.  Die  Verwendung  der 
Fuge  und  des  eingebauten  Fugensatzchens  innerhalb  sonst  homophoner  Formen  steigert  sich 
und  besonders  charakteristisch  sind  Fugen,  die  nicht  den  for  die  Wiener  klassische  Kontra- 
punktik  typischen  streitbaren  Ausdruck,  sondern  lyrisches  Geprage  tragen,  wie  der  langsame 
Satz  des  F-Moll-Quartetts  op.  95.  Von  Beethoven  selbst  als  ,,Handels  Stil**  bezeichnet  ist  die 
Faktur  der  ,,Weihe  des  Hauses":  eine  franzosische  Ouvertiire  mit  pathetischer  Introduktion 
und  fugiertem  Allegro.  Thema  und  modulatorische  Anlage  der  Fuge  weisen  tatsachlich  auf 
ca.  1720,  archaisieren  also  um  ein  voiles  Jahrhundert,  in  der  Einleitung  und  der  Koda  des 
Allegro  aber  ist  natiirlich  wie  in  vielen  sonstigen  Einzelheiten  der  Einschlag  des  Stils  von  1820 
unverkennbar.  Ferner  lebt  die  Tokkata  mit  Fuge  wieder  auf,  wenn  auch  um  die  Errungen- 
schaften  der  Wiener  Klassik  bereichert  (vgl.  das  Finale  der  Klaviersonate  As-Dur  op.  110). 
Endlich  hat  Beethoven,  vielleicht  nach  Mozarts  oben  erwahntem  Vorbilde,  die  Choralbearbei- 
tung  (sogar  als  Choralvariation)  herangezogen,  noch  dazu  mit  tonartlichem  Archaisieren  kom- 
biniert  (der  schon  zitierte  ,,Heilige  Dankgesang  eines  Genesenden  an  die  Gottheit  in  der  ly- 
dischen  Tonart"  aus  dem  A-Moll-Quartett  op.  132).  Ober  die  asthetische  Seite  dieses  Zuriick- 
greifens  auf  altere  Ausdrucksmittel  wird  ein  wenig  spater  gesprochen. 

Melodik,  Stimmfuhrung  und  Instrumentation  entwickeln  sich  in  engster  Verbindung  mit- 
einander  nach  den  dargestellten  Prinzipien  welter  und  gehen  damit  vielfach  iiber  den  Rahmen 
<ler  Wiener  Klassik  hinaus.  So  fiihrt  der  Sequenzbau  der  Melodiebildung  schliefilich  zum 
Beginn  des  1.  Satzes  der  9.  Symphonie:  iiber  tremolierendem  Untergrund  erscheint  dasKopf- 
motiv  des  Hauptsatzes,  um  gleich  wieder  zu  verschwinden,  und  erst  nach  mehrmaligem 
Wiederholen  dieses  Auftauchens  und  Verloschens  entwickelt  sich  das  Motiv  zum  Hauptsatze 
selbst.  Wahrend  in  dem  (stimmungsmaBig  sehr  verwandten)  1 .  Satze  der  5.  Symphonie  der 
Blitz  gleich  im  erstenTakte  niederf  ahrt,  zieht  in  der  9,  Symphonie  dasUnwetter  erst  in  der  Feme 
auf,  riickt  allmahlich  naher  und  dann  erst  erfolgt  der  Blitzschlag.  Das  Partiturbild  ist  iiberaus 
fortschrittlich :  iiber  dem  Tremolo  das  aufzuckende  elementare  Quarten-  und  Quintenmotiv; 
lage  das  Tremolo  oberhalb  statt  unterhalb  der  melodischen  Linie,  so  konnte  die  Partitur 
wenigstens  um  30  Jahre  jiinger  sein.  Die  Stimmfuhrung  betreffend,  sei  auf  die  von  Guido 
Adler  stammende  Ausfiihrung  iiber  das  obligate  Akkompagnement  (S.  789 ff.)  verwiesen. 
Die  Vergrofierung  des  Orchesterapparates  geht  schrittweise  iiber  die  hochklassischen  Errungen- 
schaften  hinaus,  bis  schliefilich  das  Orchester  der  9.  Symphonie  4  Horner,  3  Posaunen,  Pikkolo- 
flote,  Kontrafagott  und  reiches  Schlagwerk  aufweist  und  endlich  auch  die  menschliche  Sing- 
53  H.  d.  M. 


828  Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


stimme  in  den  symphonischen  Klangkorper  einbezogen  wirdL  Pikkoloflote,  Kontrafagott  und 
Posaunen  dienen  Beethoven  freilich  nur  als  Forteregister,  ihre  Verwendung  im  Piano  oder 
als  Solostimme  (um  des  spezifischen  Klangcharakters  willen)  erfolgt  nicht. 

Uber  das  Inhaltsmoment  der  Instrumentalwerke  des  reifsten  Beethoven  sagt  schon  der 
oben  festgestellte  Umstand  viel,  daB  hier  die  Form  aus  ihrem  KompromiBverhaltnis  zum 
Inhalt  gedrangt  wird.  Was  der  Meister  vor  1810  einmal  (in  der  2.  Leonorenouvertiire)  gewagt, 
aber  alsbald  widerrufen  hatte,  wird  in  seiner  letzten  Schaffensperiode  weiter  ausgebaut 
und  natiirlich  sind  es  nur  hochstgesteigerte  und  hochstbedeutende  Inhalte,  die  einen  solchen 
Umschwung  herbeifuhren  konnten,  Hochstgesteigerte  Gefiihlsaufierungen  jedes  Stimmungs- 
gebietes  und  psychische  Programme  beherrschen  die  Werke  dieser  Zeit.  Dafi  schon  die 
,,Schicksalssymphonie"  ein  ,,Programm"  erfordere,  hattebereits  der  Romantiker  Ernst  Theodor 
Amadeus  Hoffmann  erkannt  und  die  9.  Symphonic  legt  ein  soiches  Bediirfnis  durch  die  Einlei- 
tung  ihres  Finale  noch  naher.  Ahnliche  Fingerzeige  enthalten  Beethovens  Uberschriften  in 
der  Klaviersonate  ,,Les  Adieux ',  im  A-Moll-Quartett  op.  132  und  andern  Werken.  Besonders 
bezeichnend  ist  es,  daB  die  Heranziehung  altklassischer  Ausdrucksmittel  so  oft  rein  ton- 
dichterischen  Absichten  entspringt  und  sogar  die  tondichterischen  Prinzipien  der  Hochbarocke 
auftauchen.  Gleich  der  symbolischen  Kyriefuge  in  Mozarts  Requiem  Jst  z.  B.  die  Doppelfuge 
im  Finale  der  9.  Symphonic  angelegt.  Formal  ist  sie  die  iibliche  Kronung  einer  Variationenreihe, 
tondichterisch  bildet  sie  die  Verschmelzung  der  beiden  Hauptempf indungen  des  Textes,  der 
Freude  und  der  Dankbarkeit  gegen  den  Schopfer,  zu  einer  unteilbaren  Einheit.  Der  ,,heilige 
Dankgesang"  aus  op.  132  war  fur  ein  Wiener  klassisch  erzogenes  Publikum  iiberhaupt  nur 
verstandesmafiig  erfafibar,  da  die  Choralbearbeitung,  besonders  in  Variation  und  Koda,  melo- 
disch  und  harmonisch  nach  Wiener  klassischen  Begriffen  fast  als  ausdrucksarm  wirken  mufite  ; 
liegt  doch  der  Ausdruck  nach  altklassischer  Art  ganz  in  den  kontrapunktierenden  Motiven 
der  Begleitstimmen.  Hier  tritt  das  Wesen  der  Programmusik,  die  Heranziehung  und  Ver 
wendung  musikalischer  Mittel  nach  aufiermusikalischer  Logik,  klar  zutage.  Doch  noch  etwas 
anderes  lehren  solche  Falle:  zwecks  hbchster  Verinnerlichung  entsagt  der  ,,letzte  Beethoven' * 
der  Sprache  seiner  Zeit;  der  Geist  Philipp  Emanuel  Bachs  hat  in  den  Werken  der  hochklas- 
sischen  Epoche  seine  hochste,  ungeahnte  Vollendung  gefunden,  sein  Wirkungsbereich  ist  er- 
schopft  und  nun  wird  der  Geist  Johann  Sebastians  zitiert,  um  der  vollendeten  Kunst  neue 
Wege  zu  weisen.  Die  Zielbewufitheit  dieser  Entwicklung  erhellt  aus  der  Tatsache,  daB  zwei 
Jahre  nach  Beethovens  Tod  die  ,,Matthauspassion"  und  damit  bald  auch  Bachs  Schaffen 
iiberhaupt  die  Auferstehung  feierte. 

Beethovens  letzte  Werke  predigen  also  die  kiinstlerische  Hoffahigkeit  der  verschiedensten 
Gefiihlsextreme,  heftigster  Leidenschaft,  aufierster  Erregung,  tiefster  Versunkenheit  und  Ent~ 
riicktheit,  sowie  die  Souveranitat  des  Tondichters  liber  den  Musiker;  seine  Inhalte  und  ,, Pro 
gramme"  aber  sind  die  denkbar  ethischesten,  menschlich  und  kunstlerisch  hochstehenden. 
Nur  ein  Idealist  von  hochster  Moral  konnte  nach  Lebenserfahrungen  und  Schicksalsschlagen, 
wie  sie  der  1 .  Satz  der  9.  Symphonic  verrat,  einen  Dank-  und  Freudenhymnus  wie  ihr  Finale 
schreiben.  Die  Schrankenlosigkeit  seiner  Kunst  ist  schrankenloser  Idealismus.  Seine  Nach- 
folger  teilten  sein  Erbe;  je  nach  Nationalitat,  Erziehung  und  Individualitat  wahlten  sie  Schran^ 
kenlosigkeit  oder  Idealismus  und  begriindeten  so  die  verschiedensten  Zweige  der  romantischen 
Tonkunst.  Erst  Gustav  Mahlers  kiinstlerisches  Wollen  ist  wieder  dem  Beethovens  vergleichbar. 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828  §29 


Wie  die  Zeitgenossen  der  ,,hochldassischen"  Periode  kaum  noch  iiber  die  ,,fruhldassische" 
hinausgekommen  waren,  so  wirkte  sich  der  hochklassische  Stil  erst  in  der  ,,friihromantischen" 
Epoche  aus.  Die  weitaus  meisten  Zeitgenossen  des  ,,letzten"  Beethoven  verweilten  noch  aus- 
schliefilich  beim  ,,mittleren*',  dem  vor  1810  schaffenden.  So  fehlt  selbst  bei  grofien  Meistern 
der  Zeit,  die  tiefer  Empfindungen  fahig  waren,  die  Umgestaltung  der  Form  nach  tondichte- 
rischen  Bediirfnissen  fast  vollstandig  und  auch  die  Heranziehung  barocker  Ausdrucksmittel 
fihdet  wenig  Nachahmung ;  die  herrschende  Richtung  ist  der  ,,Klassizismus",  das  Festhalten 
an  den  bewahrten  Ausdrucksmitteln  der  Wiener  klassischen  Kunst.  Daftir  gehen  freilich 
einige  Zeitgenossen  in  der  Behandlung  des  Orchesters  und  in  der  Harmonik  liber  Beethoven 
hinaus  und  das  bei  ihm  nur  in  den  ,,Bagatellen"  vorliegende  einsatzige  Klavierstiick  gelangt 
bei  Schubert  zu  voller  Entfaltung.  Neben  zahlreichen  kleineren  Geistern  stehen  (in  chrono- 
logi  scher  Folge)  vier  markante  Gestalt  en :  Ernst  Theodor  Amadeus  Hoffmann,  Ludwig  S  p  o  h  r , 
Carl  Maria  von  Weber  und  Franz  Schubert. 

E.  T.  A.  Hoffmann,  1776  zu  Konigsberg  geboren,  war  eigentlich  juristischer  Beamter,  aber  zeitweise  auch  Diri- 
gent,  Musiklehrer,  Musikschriftsteller  und  Kritiker,  neben  reicher  dichterischer  Tatigkeit.  Auch  als  Zeichner  hoch- 
begabt,  entwarf  er  ab  und  zu  die  Dekorationen  zu  eigenen  Opern  selbst.  1 822  starb  er  in  Berlin  als  Rat  des  Kammer- 
gerichtes.  Neben  12  Opern  resp.  Singspielmusiken  und  einigen  Kirchenwerken  schrieb  er  eine  Symphonic,  eine 
Ouvertiire,  ein  Quinlett  fur  Harfe  und  Streicher  und  einige  Klaviersonaten. 

Ludwig  S  p  o  h  r  wurde  1 784  in  Braunschweig  geboren.  Seine  musikalischen  Eltern  sorgten  friih  ftir  seine  geigerische 
Ausbildung  sowie  fur  Theorieunterricht.  Nach  ausgedehnten  Konzertreisen  und  voriibergehenden  Engagements  (so 
1812 — 16  in  Wien  als  Kapellmeister  am  Theater  an  der  Wien)  wurde  er  1822  als  Hofkapellmeitser  nach  Kassel  be- 
rufen,  wo  er  1 859  starb.  Spohrs  Instrumentalwerke  sind  nebst  den  Ouvertiiren  seiner  10  Opern :  9  Symphonien,  3  Kon- 
zertouverturen,  1  Ouvertiire  zu  ,,Macbeth"4,  1 5  Violinkcnzerte,  4  Klarinettkonzerte,  33  Streichquartette,  4  Doppel- 
quartette  (nach  dem  Prinzip  der  ,.Chori  spezzati"),  1  Streichsextett,  7  Streichquintette,  1  Nonett  und  1  Oktett 
fiir  Streicher  und  Blaser,  1  Klavierquintett  mit  Blasern,  5  Klaviertrios,  3  Violinsonaten  sowie  Stiicke  fur  Violine 
und  Harfe  und  fiir  Harfe  allein,  endlich  solistische  Klavierstiicke. 

Carl  Maria  von  Weber  wurde  1786  zu  Eutin  in  Oldenburg  geboren,  wo  sein  Vater,  ein  aus  Augsburg  stammender 
Vetter  von  Mozarts  Gattin,  gerade  als  Theaterleiter  tatig  war.  Er  genofi  den  Kompositionsunterricht  Michael  Haydns 
(in  Salzburg)  und  Abbe  Georg  Joseph  Voglers  (in  Wien  und  Darmstadt,  als  Mitschiiler  Meyerbeers  und  Johann 
Gansbachers).  Die  abenteuerliche,  sogar  mit  den  Behorden  in  Konflikt  geratende  Lebensfiihrung  des  Vaters,  der 
rastlos  Aufenthaltsort  und  Beruf  wechselte  und  dabei  fiir  den  genialen  Sohn  eifrig  die  Reklametrommel  riihrte,  trieb 
auch  diesen  durch  alle  Teile  Deutschlands,  bis  er  endlich  1813  am  landstandischen  Theater  zu  Prag  als  Kapellmeister 
angestellt  wurde.  Nach  dreijahriger  hochverdienstlicher  Tatigkeit  daselbst  wurde  er  zwecks  Organisierung  und  Leitung 
einer  deutschen  Oper  nach  Dresden  berufen,  das  sein  fernerer  Aufenthaltsort  blieb.  An  der  Schwindsucht  erkrankt, 
slarb  Weber  1826  in  London,  wohin  er  zur  ersten  Auffiihrung  seines  ,,0beron"  gereist  war.  Zu  seinen  8  Opern- 
vorspielen  kommen  an  Instrumentalwerken  2  Symphonien,  Ouvertiire  und  Marsch  zu  Gozzis  ,,Turandot",  Jubel- 
ouvertiire,  2  Konzerte  und  1  Konzertino  fiir  Klarinette,  1  Konzert  und  Andante  mit  Rondo  fiir  Fagott,  1  Konzertino 
fiir  Horn,  2  Klavierkonzerte,  1  Konzcrtstiick  fiir  Klavier  und  Orchester,  1  Klarinettquintett,  1  Klavierquartett, 
ein  Klaviertrio,  6  Violinsonaten,  Variationen  fiir  ViolJne  und  Klavier  und  Klarinette  und  Klavier,  1  Duo  fiir  Kla 
rinette  und  Klavier,  fiir  Klavier  allein  4  Sonaten,  eine  zu  4  Handen,  6  Variationenwerke,  ein  Rondo  brillant  und 
verschiedcne  Tanzstiicke  (,,Auffordcrung  zum  Tanz",  Polcnase,  Allemanden,  Ekossaisen). 

Franz  Schubert,  1797  als  Sohn  eines  sudetendeutschen  Ehepaares  in  der  Wiener  Vorstadt  Lichtenthal  geboren, 
erhielt  durch  seinen  Vater,  einen  sehr  musikalischen  Schullehrer,  den  ersten  Musikunterricht.  Als  Sopranist  in  den 
Chor  der  Wiener  Hofkapelle  aufgenommen,  wurde  er  von  Antonio  Salieri  kompositonscli  ausgebildet.  Nach  Eintritt 
der  Mutation  verlieB  er  das  Sangerknabenkonvikt  und  diente  drei  Jahre  lang  seinem  Vatei  als  Schulgehilfe.  Als 
Zwanzigjahiigcr  erhielt  cr  durch  die  Unterstiatzung  edlcr  Freunde  die  Moglichkcit,  sich  ganz  der  Musik  zu  widmen, 
und  lebte  bis  zu  scincm  Todc  1828  ohne  festc  Anstcllung,  da  cr  die  von  ihm  angestrebten  Poster,  eines  Vi7ehofkapell~ 
meisters  resp.  Kapellmeisters  am  Karntncrtor-Thcaler  nicht  erlangen  konntc.  Wichtig  fiir  Schuherts  Entwicklung 
war  ein  mehrmaliger  Somrneraufcnthall  auf  SchloB  Zelesz  in  Ungarn,  der  Bcsitzung  eines  Graf  en  Esterhazy,  in 
dessen  Familie  der  Meister  unterrichtete.  Seine  Instrumentalwerke,  die  zum  groBten  Tcilc  erst  lang  nach  seinem  Tode 
durch  Drucklegung  und  Auffiihrungcn  bekannt  wurden  (die  C-Dur-Syu  phonic  cntdccktc  Robert  Schumann  1838) 
sind:  8  Symphonien,  18  Opern-  und  2  Konzcrtouvertiircn  (let/tore  ,,irn  italicnischen  Stil"),  1  Oktett  fiir  Blaser  und 
Streicher,  1  Streicbquintctt,  1  Klavierquintett  (,,Forellenquintctt"),  15  Streicbquartctte,  3  Klaviertrios  und  1  Not- 
53* 


Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


turno  fur  Klaviertrio,  fiir  Klavier  und  Violine  3  Sonatinen,  1  Duo,  1  Rondo  und  1  Fantasie,  fiir  Klavier  zu  4  Handen 
Marsche,  Variationen,  Polonasen,  Rondos,  3  Sonaten,  1  Grand  Duo,  1  Allegro,  1  Andantino  und  Rondo,  1  Fantasie, 
1  Fuge,  1  Divertissement  a  1'Hongroise,  fiir  Klavier  zu  2  Handen  15  Sonaten,  2  Fantasien,  Adagio  und  Rondo, 
Impromptus,  Moments  musicals  (sic!),  Variationen  und  zahlreicheTanzstticke  (Walzer,  Landler,  Deutsche,  Ekossaisen). 
Alle  vier  Meister  schlossen  sich  im  Anfang  ihres  Schaffens  an  den  letzten  Mozart  (Schubert 
auch  an  Haydn)  an  und  lassen  erst  spater  den  Einflufi  Beethovens  erkennen,  der  iibrigens  bei 
Spohr  immer  sehr  gering  bleibt,  obgleich  dieser  bis  tief  in  die  Zeit  der  Hochromantik  hinein 
lebte.  Die  zyklische  Form  der  mehrsatzigen  Werke  ist  bei  ihnen  alien  die  typische  hoch- 
klassische,  nur  Schubert  versetzt  gelegentlich  Menuett  oder  Scherzo  in  eine  andere  als  die  Grund- 
tonart  (z.B.  in  der  B-Dur-Symphonie  nach  G-Moll).  Hochst  bedeutsam  aber  ist  das  rasche 
Umsichgreifen  des  einsatzigen  Typus,  der  far  die  Hochromantik  so  bezeichnend  werden 
sollte,  als  Klavier-  wie  als  Orchesterstiick.  Gleich  Beethovens  ,,Bagatellen"  tragen  Schuberts 
„  Impromptus"  (=Improvisationen)  und  ,,Moments  musicaux",  denen  wohl  auch  ahnliche  Kla- 
vierwerke  von  Johann  Wenzel  Tomaschek(l  774 — 1 850)  und  Johann  Hugo  Wo  r  z  i  s  c  h  e  k 
(1791 — 1 825)  als  Vorbilder  dienten,  bald  den  Charakter  des  langsamen  Sonatensatzes,  bald  den 
des  Scherzo  und  auch  die  Formgebung  zeigt  keine  nennenswerten  Unterschiede  Beethoven 
gegeniiber;  der  Hauptunterschied  Kegt  in  der  Melodik.  Auch  das  einsatzige  Orchesterwerk,  die 
Konzertouvertiire,  gewinnt  an  Verbreitung,  sie  begegnet  bei  Spohr,  Weber  (Jubelouvertiire)  und 
Schubert.  Wie  die  zyklische  Form,  halt  sich  auch  die  der  E  J  nzelsatze  noch  in  den  hochklassi- 
schen  Grenzen.  Nur  Schubert  wahlt  ab  und  zu  die  Mollregion  fur  den  Seitensatz,  aber  nicht 
die  altneapolitanische  Molltonart  der  Dominante,  sondern  die  Parallele  der  Dominante  (vgl. 
die  ersten  Satze  der  C-Dur-Symphonie,  des  Oktetts  u.  a.).  Der  Seitensatz  bringt  bei  Spohr  und 
Weber  fast  immer  (in  Fortfiihrung  von  Mozarts  Praxis)  weiche,  italienische  Kantabilitat, 
wobei  Spohr  in  Vorhalten  und  figurativer  Chromatik  schwelgt,  wahrend  Schubert  (nach 
Haydns  Vorbild)  volkstiirnliche  Melodik  wienerischer  oder  ungarischer  Pragung  bevorzugt. 
Im  Epilog  lebt  sich  bei  Spohr  und  Weber  gern  das  virtuose  Element  aus,  was  auch  sonst  in 
der  Mozartschule  (z.  B.  bei  Hummel)  der  Fall  ist;  Schubert  greift  hier  meist  durchfiihrungs- 
artig  auf  Haupt-  oder  Seitensatz  zuriick,  auch  hierin  der  Schiller  Haydns,  aber  auch  Beethovens. 
Des  letzteren  vertiefte  Durchfiihrung  und  durchfiihrungsartige  Koda  begegnet  gleichfalls  nur 
bei  Schubert.  Schuberts  Menuett  und  Scherzo  tragt  fast  ausnahmslos  ganz  oder  in  einzelnen 
Abschnitten  Landlercharakter.  Trotz  der  angedeuteten  stilistischen  Unterschiede  zwischen 
Webers  und  Schuberts  Werken  tritt  aber  in  der  Asthetik  der  mehrsatzigen  Form  der  Einflufi 
Beethovens  bei  beiden  deutlich  hervor.  Dafi  Schuberts  Vorbild  von  ca.  1820  an  Beethoven 
wird,  ist  angesichts  von  Werken  wie  die  unvollendete  Symphonic  in  H-Moll  (1822)  oder  das 
D -Moll-Quart ett  (1827)  unverkennbar,  wenn  auch  der  Jtingere  nicht  die  Kraft  fand,  sich 
nach  ersten  Satzen  katastrophalen  Ausgangs  zu  einem  triumphierenden  Finale  durchzukampfen ; 
im  D-Moll-Quartett  z.  B.  bringt  der  SchluBsatz  nur  leidenschaftlichen  Widerstand  auf  und 
nach  dem  Zusammenbruch  im  1 .  Satze  der  H-Moll-Symphonie  fehlte  dem  Meister  anscheinend 
selbst  die  Seelenstarke  zu  einem  derartigen  Abschlusse,  geschweige  denn  zu  einem  jubilierenden 
Finale,  und  das  Werk  blieb  ein  Torso  (Skizzen  zum  Scherzo  sind  vorhanden).  Unter  Webers 
Klaviersonaten  verrat  besonders  die  in  D-Moll  des  Tondichters  Beethoven  EinfluB.  Im 
1 .  Satze  folgt  auf  eine  Hauptsatzgruppe  tragischen  Charakters  eine  Uberleitung,  deren  ener- 
gisches  Hauptmotiv  formlich  den  Kampf  gegen  die  femdlichen  Machte  aufnimmt  und  diesen 
in  der  Durchfiihrung  tatsachlich  durchkampft,  denn  in  der  Reprise  erschemt  der  Hauptsatz 


Instrumentalmusik  von  1750—1828  g31 


hell  und  freudig  in  Dur,  kontrapunktiert  von  dem  streitbaren  Motiv  der  Oberleitung.  Offen- 
kundig  hat  hier  die  Ouvertiire  Beethovens  vorbildlich  gewirkt,  die  natiirlich  besonders  die 
Ouvertliren  der  Zeit  befruchtet  hat.  Neben  Beethovens  Typus  trat  allerdings  ein  zweiter, 
inhaltlich  gerade  entgegengesetzter :  das  Opernvorspiel  Gioacchino  Rossinis  (1792 — 1868). 
Seine  Ouvertiiren  zeigen  fliichtige  Sonatenform  und  sind  vollstandig  aus  Melodien  der  zu- 
gehorigen  Opern  zusammengesetzt ;  da  an  Stelle  der  Durchfiihrung  meist  eine  neue  Melodie 
oder  Melodiengruppe  steht,  liegen  eigentlich  Potpourris  mit  Exposition  und  Reprise  vor,  zumal 
die  Aneinanderreihung  der  Themen  ohne  jede  tondichterische  Absicht  nach  rein  musika- 
lischem  Abwechslungsbediirfnis  erfolgt.  Zwischen  den  beiden  Gestaltungsprinzipien  Beet 
hovens  und  Rossinis  liegt  die  gesamte  Ouvertiirenproduktion  des  zweiten  und  dritten  Jahr- 
zehnts  des  19.  Jahrhunderts,  im  treuen  Anschlufi  an  eines  der  beiden  Vorbilder  oder  in  den 
verschiedenartigsten  Mischungen  der  beiden  Typen.  So  zeigen  Hoffmanns  ,,Undine"~Vor- 
spiel  und  Schuberts  Ouvertiiren  Beethovens  Typus:  tondichterisch  ausgenlitzte  Sonatenform 
mit  gelegentlicher  Heriibernahme  bezeichnender  Melodien  aus  der  Oper,  wahrend  Spohrs 
Vorspiele,  ohne  direkt  Rossimsche  Potpourris  zu  sein,  das  zur  Ganze  den  Opern  entstammende 
melodische  Material  rein  nach  den  Kontrastgesetzen  der  Sonatenform,  ohne  tondichterische 
Griinde  gruppieren.  Weber,  dessen  erste  Ouvertiiren  der  Rossinischen  Anlage  nahestehen, 
schafft  in  seinen  reifen  Opern,  angefangen  vom  ,,Freischiitz"  (1821),  ein  ideales  Kompromifi, 
Beethovensches  Inhalts-  und  Formprinzip  unter  gnmdsatzlicher  Beniitzung  charakteristischer 
Melodien  der  Oper.  So  bildet  in  der  ,,Freischutz"~Ouverture  die  Gewittermusik  der  Wolfs- 
schluchtszene  den  Hauptsatz  und  eine  Arie  der  Agathe  den  Seitensatz:  die  beiden  Machte, 
Holle  und  Himmel,  die  um  die  Seele  des  Jagers  Max  streiten,  sind  einander  gegeniibergestellt. 
Nach  kurzem  unentschiedenem  Kampf  in  der  Durchfiihrung  bringt  die  Reprise  aufs  neue 
die  Antithese  der  Exposition  und  nach  neuerlichem  Ringen  triumphiert  in  der  Koda  das  Agathe- 
thema.  Damit  ist  die  eindeutigste  Ausgestaltung  der  Sonatenform  zur  tondichterischen  Ouvertiire 
erreicht.  Ebenso  sind  die  Vorspiele  der  ,,Euryanthe"  (1 823)  und  des  ,,0beron"  (1826)  angelegt. 
Zu  den  Impromptus  und  Moments  musicaux  treten'als  weitere  einsatzige  Klavierstiicke 
Tanze,  Schuberts  und  Webers  Landler,  Deutsche,  Walzer,  Ekossaisen  und  Polonasen. 
Auch  Haydn,  Mozart  und  Beethoven  hattenSerien  derartiger  Tanze  geschrieben,  aber  rein  als 
Gebrauchstanze,  wirkliche  Tanzmusik.  Auch  Schuberts  Landler  usw,  gingen  aus  der  Ge- 
brauchsmusik  hervor,  meist '  aus  improvisierter  Tanzbegleitung ;  bei  der  Niederschrift  aber 
erhielten  sie  eine  so  gewahlte  Harmonik  und  wurden  so  feinsinnig  zu  kontrastreichen,  sich 
steigernden  oder  verklingenden  Reihen  zusammengestellt,  daB  sie  auch  iiber  ihren  urspriing- 
lichen  Zweck  hinaus  als  reine  Instrumentalmusik  dienen  konnten,  zumal  auch  die  Melodik 
der  Impromptus  usw.  meist  aus  volkstiimlicher  Tanzmelodik  geschopft  war.  Damit  beginnt 
die  Stilisierung  der  modernen  Tanze,  die  zum  ,,Konzertwalzer"  u.  dgl.  fiihrte.  Das  erste  der- 
artige  Werk  entstand  schon  zu  Schuberts  Lebzeiten :  Webers  ,,Auffonierung  zumTanz**,  eine 
Walzerserie  mit  Introduktion  und  Koda.  Neben  der  Entwicklung  des  ,,Konzertwalzers"  lauft 
eine  ahnliche  der  Polonase.  Im  18.  Jahrhundert  als  Suitensatz  und  auch  Einzelstiick  (Wilh. 
Friedemann  Bachs  ,,Sechs  Polonasen*')  barock  stilisiert,  wurde  sie  um  1810  durch  Fiirst 
Michael  Kleophas  0  gin  ski  (12  Polonasen)  wieder  mit  ihren  originalen  Eigentiimlichkeiten 
der  mitteleuropaischen  Kunstmusik  zugefiihrt  und  fand  nun  reiche  Pflege.  Schon  Oginski 
verwendete  in  der  Begleitung  den  Rhythmus  des  spanischen  Bolero  J~J"J'  J  j  J  J,  der  der 


832  Instrumentalmusik  von  1750 — 1828 


Polonase  nunmehr  verblieb.  Auch  sie  verdankt  Schubert  und  Weber  einen  bedeutenden 
Schritt  vorwarts  in  der  Entwicklung,  Chopin  konnte  hier  unmittelbar  ankntipfen.  Noch  eine 
einsatzige  Form  hat  Schubert  genial  weitergebildet,  die  Fantasie.  Einige  hochromantische 
Jugendwerke  dieser  Art  verraten  deutlich  ihre  Abstammung  von  Mozarts  Klavierfantasie ;  in 
der  zweihandigen  ,,Wandererfantasie"  und  der  vierhandigen  in  F-Moll  aber  entwickelt  Schu 
bert  die  Form  weiter,  indem  er  (vielleicht  durch  Beethovens  Fantasiesonaten  angeregt)  die 
emzelnen  Abschmtte  des  mehrteiligen  Mozartschen  Typus  im  Sinne  der  zyklischen  Sonaten- 
form  ausbaut.  Eine  solche  Fantasie  enthalt  (in  mehr  oder  minder  ausgedehntcn  Bruch- 
stiicken)  ein  Allegro,  einen  langsamen  Satz  und  ein  Scherzo;  den  Abschlufi  bildet  allerdings 
eine  Fuge  oder  wenigstens  ein  kontrapunktischer  Durchfiihrungsteil.  DaB  eine  solche  ,,Sonate 
in  einem  Satz"  die  Form  der  sp'ateren  ,,symphonischen  Dichtung"  vorbildet,  ist  klar.  Aber  auch 
die  fast  leitmelodische  Verwendung  eines  kurzen  Motivs  durch  die  ganze  ,,Wandererfantasie" 
arbeitet  der  Technik  der  ,,symphonischen  Dichtung"  vor. 

Starkere  an  den  herkommlichen  Formen  aus  tondichterischen  Griinden  vorgenommene  Ver- 
anderungen  begegnen  bei  den  Friihromantikern  selten.    Bei  Spohr  ware  da  das  8.  Viohn- 
konzert  ,,In  Form  einer  Gesangszene"  zu  nennen,  das  dem  Konzert  die  Errungenschaften  des 
damaligen   Akkompagnatorezitativs    zufiihrt,    Webers    ,,Euryanthe**-Ouverture   eroffnet    die 
Durchftihrung  mit  einem  langsamen,  der  Opernmusik  (Grabmalsszene)  entnommenen  Satze, 
kombiniert  also  den  Durchfiihrungsersatz  der  alten  Singspielouverture  mit  einer  wirklichen 
Durchfiihrung.    Schubert  hat  sich  trotz  aller  Einwirkungen  Beethovens  bis  in  seine  letzten 
Werke  solcher  Kiihnheiten  enthalten,  dafiir  aber  die  starken  Kontrastwirkungen  seines  be- 
wunderten  Vorbildes  aufgenommen  und  ist  in  Harmonik  (Mediant enbeziehungen)  und  In 
strumentation  (melodische  Verwendung  der  Blechblaser,  sogar  der  Posaunen)  iiber  Beethoven 
hinausgegangen.   Auch  Webers  Orchesterbehandlung  (Beniitzung  der  Klangfarben  aller  In- 
strumente,  auch  in  nicht  normalen,  nicht  klangschonen  Lagen)  geht  neue  Wege.   In  der  Stimm- 
fiihrung  verwendet  Schubert  im  ,,obligaten  Akkompagnement"  nach  Beethovens  Vorbild  manch- 
mal  wirkliche  moderne  Polyphonic,  so  im  1 .  Satze  des  D-Moll-Quartetts,  wo  er  in  der  zweiten 
Gruppe  des  Seitensatzes  dessen  Hauptphrase  mit  dem  Hauptsatzmotiv  und  einem  neuen  Kontra- 
punkt  kombiniert.  Die  Verwendung  altklassischer  Mittel  ist  bei  den  Zeitgenossen  des  ,,letzten 
Beethoven"  iiberaus  bescheiden:  in  Hoffmanns  Klaviersonaten  begegnen  Fugenatze,  Spohr 
schrieb  eine  (allerdings  wie  eine  Travestie  wirkende)  ,,Historische  Symphonic  im  Geschmacke 
dreier  Zeitalter",  Schuberts  Fugen  sind  sehr  sparlich  und  Weber  ersetzt  das  ,,Archaisieren" 
durch  das  ebenso  romantische  ,,Exotisieren"  (Zigeunermusik  in  ,,Preziosa",  eine  chinesische 
Melodic  in  der  ,,Turandot"~Ouvertiire).  Die  wirkliche  Programmusik  endlich  streift  nur  Spohr 
in  seinen  Symphonien  ,,Die  Weihe  der  Tone",  ,,Irdisches  und  Gottliches  im  Menschenleben" 
und  ,,Die  Jahreszeiten",  ohne  aber  die  Formen  dem  Programm  zuliebe  starker  zu  modifizieren. 
So  erweist  sich  Schubert  als  derjenige  Friihromantiker,  der  am  meisten  von  alien  durch 
Beethovens  letzte  Werke  angeregt  wurde,  zugleich  aber  auch  als  die  grofite  Individuality 
neben  Beethoven;  wie  in  seinen  Gesangswerken,  ist  er  auch  als  Instrumentalkomponist  in 
erster  Linie  Lyriker.  Weber,  der  Dramatiker,  greift  besonders  nach  dem  Tondichterischen  in 
BeetKovens  Schaffen  und  gerat  daher  in  seinen  Klavierwerken,  wenn  sich  keine  Veranlassung 
zu  tondichterischer  Entfaltung  bietet,  oft  in  eine  gewisse,  virtues  verbramte  Seichtigkeit. 
Spohrs  Starke  ist  wiederum  die  Lyrik;  wenn  Schubert  die  Schrankenlosigkeit  des  letzten 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  833 

Beethoven  trotz  aller  Bewunderung  nicht  nachzuahmen  wagte,  so  fehlte  Spohr  jedes  Verstandnis 
dafiir  und  seine  Zugehorigkeit  zur  Romantik  liegt  in  erster  Lime  in  seinem  Opernschaffen. 
Von  kleineren  Zeitgenossen  der  groBen  Meister  seien  angefiihrt:  Johann  Baptist  Cramer 
(1 771  — 1 858,  dessen  ..Etiiden"  romantischeStimmungsstiicke  sind),  John  Fi  eld(1 782— i  837, der 
Schopfer  der  ,,Nokturne"),  August  Alexander  Klengel  (1783—1852,  der  extremste  Vertreter 
des  romantischen  Archaisierens  in  semen  Versuchen,  durch  eigene  Fugen  und  Kanons  Backs 
Kunst  zu  iiberbieten),  Ferdinand  WilhelmKalkbr  en  ner  (1788 — 1849)  und  IgnazMoscheles 
(1794 — 1870),  beide  Vertreter  der  Virtuositat  in  romantischen  Formen,  und  Karl  Czerny 
(1791 — 1857,  der  Lehrer  einer  ganzen  Generation  romantischer  Pianisten,  z.  B.  Franz  Liszts). 

Literatur 

1.  Biicher 

Biographische  Werke  iiber  A.  Scarlatti  (Dent),  J.  S.  Bach  (Spitta),  Handel  (Chrysander),  Pergolesi  (Radiciotti), 
W.  F.  Bach  (Falck),  C.  Ph.  E.  Bach  (Bitter,  Vrieslander),  Gluck  (Schmid),  Haydn  (Pohl,  Schnerich-Fischer), 
Mozart  Qahn-Absrt),  Beethoven  (Thayer,  Bekker),  Schubert  (KreiBle,  Dahms),  E.  T.  A.  Hoffmann  (Ellinger), 
Spohr  (Autobiographic),  Weber  (Jarns),  Rossini  (Pougin).  —  G.  Beckmann  ,,Das  Violinspiel  in  Deutschland 
vor  1700".  —  H.  Botstiber  ,,Geschicht2  der  Ouverture".  —  W.  Danckert  ,,Geschichte  der  Gigue".  — 
W.  Fischer  ,,Zur  Entwicklungsgeschichte  des  Wiener  klassischen  Stils  (St.  MW.  III).—  M.  Fliieler  ,,Nord- 
deutsche  Symphonic".  —  H.  Gal  ,,Stileigentiimlichkeiten  des  jungsn  Beethoven"  (St.  MW.  IV).  —  K.  Gei ringer 
,,Paul  Peuerl"  (St.  MW.  XVI).  —  H.  Jalowetz  ,,C.  Ph.  E.  Bach  und  die  Wiener  Klassiker"  (Slbd.  I. 
M.  G.  VI).  —  L.  de  la  Lawrencie  ,,L'ecole  francaise  de  violon  de  Lully  a  Viotti".  —  K.  Mennicke 
,,Hasse  und  die  Briider  Graun  als  Synrcphoniker".  —  A.  Sandberger  ,,Zur  Geschichte  des  Haydn'schen 
Streichquartettes".  —  A.  Schering  ,,Geschichte  des  Instrumentalkonzerts".  —  H.  P.  Schokel  ,,J.  Christian 
Bach  und  die  Instrumentalmusik  seiner  Zeit".  —  R.  Sondheimer  ,,Die  formale  Entwicklung  der  vorklassischen 
Symphonic"  (A.  MW.  IV.)  und  ,,Die  Theorie  der  Symphonic". 

2.  Ausgaben 

Gesamtausgaben:  Sweelinck,  Schein,  Froberger,  Purcell,  Buxtehude,  Corelli,  Fischer,  Couperin,  Rameau,  Bach t 
Handel,  Haydn,  Mozart,  Beethoven,  Schubert.  D.  T.  0. :  Bde.  2  (Muffat),  4  (Muffat),  7  (Gottl.  Muffat),  1 1  (Biber), 

17  (Pachelbel),  19  (Fux),  23  (Muffat),  25  (Biber),  27  (Poglietti  usw.).  29  (M.  Haydn),  31  (VorUassiker),  33  (AI- 
brechtsberger),  39  (Vorklassiker),  47  (Fux),  50  (Lautenmusik),  56  (Schmeltzer),  58  (Gottl.  Muffat),  60  (Gluck), 
67  (Forster),    70  (Peuerl).    Kaiserwerke  Bd.  2.    —   D.  D.  Tk.  I:  Bde.  1  (Scheidt),    4  (Kuhnau),    10  (Fischer), 
11  (Buxtehude),   16  (Franck  und  HauBmann),  18  (Rosenmuller),  21/22  (Zachau),  29/30  (Deutsche  Konzerte), 
39  (Schobert),    43/44  (Stuttgarter  Ballette),   61/62  (Telemann),    63  (Pezel).  —   D.  D.  T.  II:   Bde.  1  (Abaco), 
2/1  (Pachelbel),  2/2  (Kerll),  3/1  (Mannheimsr  Symph.),  4/1  (Pachelbel),  4/2  (Hafiler),  7/2  (Mannheimer  Symph.), 
8/2  (Mannh.  Symph.),  9/1  (Leop.  Mozart),  12/2  (Rosetti),  15  (Mannh.  Kammermusik),  16  (Mannh.  Kammermusik), 

18  (J.  und  J.  Ph.  Krieger,  Murschhauser),  21/24  (Kindermann),  25  (Rosetti),  27/28  (Fez).  —  Haberl,  Fresco- 
baldi.  —  Torch!  Bd.  7.  —  Eitner  Publ.  Bd.  14,  15.  —  Niederl.  M.  G.  Bd.  14.  —  Farrenc  ..Tre'sor  musical".  — 
Chefs-d'oeuvre  class.  —  Kammermusik-Anthologien  von  David,  Jensen,  Alard,  Schering,  Riemann.  —  Pauer  (Alte 

Meister  des  Klavierspiels). 

Wilhelm  rischer 

DIE  KATHOLISCHE  KIRCHENMUSIK 

SEIT  1750 

Im  Jahre  1740,  also  kurz  nach  Antritt  der  Stellung  als  Kapellmeister  zu  St.  Stephan,  hatte 
J.  G.  Reutter  (s.S.535)  von  einer  Entdeckungsreise  nach  Nachwuchs  fur  seine  Sangerschar 
den  jungen  Joseph  Haydn  (1732—1809)  als  Sangerknaben  nach  Wien  gebracht^dieser 
sollte  nunmehr  durch  fast  20  Jahre  hier  verbleiben  und  die  mannigfachen  Anregungen  in  sich 
aufnehmen,  die  ihm  das  Musikleben  der  Kaiserstadt  bot.  In  der  Kirchenmusik  war  es  wohl 


834 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 


vor  allem  das  Repertoire  des  Domchors  zu  St.  Stephan,  das  der  Knabe  genau  kennen  lernte, 
daneben  aber  auch  die  Musik  der  Hofkapelle,  deren  Chor  mitunter  durch  die  Sangerknaben 
von  St.  Stephan  verstarkt  wurde.  Allein  auch  die  Kirchenmusik  anderer  Kirchen  mag  wohl 
auf  Haydn  eingewirkt  haben,  wie  z.  B.  die  der  Michaelerkirche.  Jedenfalls  war  es  auf  kirchen- 
musikalischem  Gebiete  durchaus  die  Wiener  Tradition,  in  der  Haydn  aufwuchs.  Der  Ver- 
gleich  der  f  riihen  Kirchenwerke  Haydns  und  Mozarts  zeigt  deutlich,  dafi  spezielle  Wiener  Eigenart 
auch  in  der  Kirchenmusik  zum  Ausdruck  kam.  Wie  iiberhaupt  in  dieser  Zeit  spielt  auch  bei  Haydn 
der  Unterschied  zwischen  Missa  solemnis  (f  eierliche  M.)  und  Missa  brevis  (kurze  M.)  eine  nicht  un- 
bedeutendeRolle.Ge\vi8istdamitauchdieverschiedeneAusdehnungdereinzelnenWerkegekenn- 
zeichnet;alleinschon  die  Gegeniiberstellung  von  brevis  und  solemnis  zeigt,  dafi  der  wesentliche 
Unterschied  anderswo  liege.  Mozart  beklagt  sich  in  einem  Briefe  an  P.  Martini  vom  4.  September 
1 776,  daB  auch  das  f  eierliche  Pontif  ikalamt  in  Salzburg  nicht  langer  als  drei  Viertelstunden  dauei  n 
diirfe.  Gleichwohl  schrieb  er  auch  zu  solchen  Gelegenheiten  Missae  solemnes,  die  allerdings 
manchmal  kaum  iiber  die  Ausdehnung  so  mancher  Missa  brevis  hinausragen.  Der  Unterschied 
liegtletzten  Endes  wohl  5m  Liturgischen  begriindet;  dafi  eine  nicht  solenne  Messe  gleichzeitig 
auch  in  ihrem  Umfang  unscheinbarer  wurde,  1st  mehr  eine  Folgeerscheinungdes  Umstandes,  daB 
fiir  diesen  Zweck  nicht  der  grofie  Klangapparat  herangezogen  wurde,  wie  fur  die  f  eierliche  Messe ; 
geradeso  wie  eine  Missa  cantata  unter  Mitwirkung  eines  Diakons  und  Subdiakons  langere  Zeit 
in  Anspruch  nimmt  als  eine  vom  Zelebranten  allem  persolvierte.  DaB  die  Unterscheidung 
musikalisch  in  der  Tat  auch  die  Lange  der  Messe  beeinflufit,  mag  schliefilich  auch  darin  einen 
Grund  haben,  dafi  die  Erweiterung  der  liturgischen  Zeremonien  fur  die  Musik  mehr  Zeit 
bietet.  Eine  Folge  dieses  Strebens  nach  Kiirze  iiber  das  schon  durch  den  kleineren  Apparat 
bedingte  Mafi  waren  nun  liturgisch  unzulassige  Textelisionen  oder  der  gleichzeitige  Vortrag 
mehrerer  Textphrasen,  wie  ihn  z.  B.  Haydns  erste  Messe  am  Anfangedes  Credo  zeigt: 
All0  mdto 


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Pa-trem  om  -  ni  -  po  -  ten 

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tem,  fac     -     to-rem  coe  -  li     et     ter  -  r 

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Vi  -  si  -  bi  -  li  -  um 

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om  -  ni  -  um  et    in  -  vi  -  si      -      bi    - 

-&3        fi    g-ff    i*  , 

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li  -  um 

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_*L  /    v    ^_4j  p_ 

Et    ex            Pa-tre     na-tum          an  - 

te         om    -    ni- 

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Die  katholisdhe  Kirchenmusik  seit  1750  §35 

Dafi  in  der  Missa  brevis  derart  selbstandige  Formungen,  wie  sie  in  hochster  Ausbildung  die 
Kantatenmesse  zeigt,  nicht  vorkommen,  erscheint  selbstverstandlich.  Das  obige  Beispiel  zeigt 
sogar  den  allerdings  nicht  haufigen  Fall,  dafi  einer  Textphrase  nicht  einmal  eine  geschlossene 
musikalische  Phrase  entspricht. 

Uberbhckt  man  Haydns  kirchenmusikalisches  Schaffen,  so  zeigt  sich  innerhalb  der  Mefi- 
komposition  eine  Pause  von  14Jahren(1782— 1796),  die  in  derRegel  auf  die  Josef  inischenVer- 
ordnungen  zur  Vereinfachung  des  Gottesdienstes  zuruckgefuhrt  wird.  Die  zeitgenossischen 
Urteile  uber  den  Umfang  und  die  Wirkungen  dieser  Mafiregeln  sind  nicht  ganz  klar. 
Wahrend  in  Reisebeschreibungen  bis  zu  dem  Ausspruch  gegangen  wird,  dafi  die  Kirchen 
musik  in  dieser  Zeit  in  Wien  fast  erloschen  sei,  ergibt  sich  aus  anderen  Quellen,  dafi  nicht 
nur  in  der  Hofkapelle  die  Instrumentalmusik  beibehalten  wurde,  sondern  sogar  in  alien  Pfarr- 
kirchen  die  sonntaglichen  Hochamter  mit  Instrumentalmessen  gefeiert  wurden.  VonEinflufi 
mag  die  zweifellos  erfolgte  Einschrankung  allerdings  gewesen  s'ein;  allein  fur  Haydn  kame 
dies  auch  wieder  nicht  so  sehr  in  Betracht,  da  er  ja  erst  im  Jahre  1790  aus  Eisenstadt  nach 
Wien  zuruckkehrte,  die  folgenden  Jahre  aber  groBenteils  auf  Reisen  war.  Tatsache  ist, 
dafi  nach  dieser  Pause  Haydns  Messenstil  sich  merklich  von  dem  aus  seiner  friiheren  Zeit 
unterscheidet. 

Eine  typische  Missa  brevis  fur  zwei  konzertierende  Soprane,  vierstimmigen  Chor,  2  Violinen, 
Bafi  und  Orgel  liegt  in  Haydns  erster  Messe  —  von  Pohl  um  das  Jahr  1753  angesetzt  —  vor. 
Kyrieund  Gloria  weisen  keinerlei  durch  Tempo  oder  Taktwechsel  als  selbstandig  gekennzeich- 
nete  Teile  auf.  Auch  Kontrapunktik  ist  darin  keine  anzutreffen.  An  die  Melodiebildung  der 
musikalischen  Hochbarocke  erinnern  haufige  Sequenzketten.  Haydns  nachstes  erhaltenes 
Messenwerk  —  zwei  Messen  der  Zwischenzeit  sind  verschollen  — ,  die  Missa  de  B.  M.  V. 
(Marien-Messe)  in  Es-Dur  aus  dem  Jahre  1 766,  nach  der  darin  zutage  tretenden  konzertanten 
Verwendung  der  Orgel  gewohnlich  ,,Gro6e  Orgelsolo-Messe"  genannt,  gehort  dem  Typus 
der  Missa  solemnis  an.  Schon  die  Besetzung  lafit  dies  erkennen.  Den  solistisch  und  chorisch 
verwendeten  4  Singstimmen  sind  2  Violinen,  Viola  und  Bafi,  2  Englisch-Horner,  2  Horner, 
2  Trompeten  und  obligate,  konzertierende  Orgel  zugesellt.  Die  Unterschiede  zwischen 
Missa  brevis  und  solemnis  treten  hier  deutlich  hervor.  Das  Kyrie  erhalt  z.  B.  ein  langeres 
Orchesterritornell,  dessen  Kopf phrase  das  Thema  des  imitierenden  Chorsatzes  ist.  Das  Christe 
ist  durch  gesonderte  Thematik  und  solistischen  Vortrag  deutlich  unterschieden,  wenn  auch 
lediglich  Mittelsatz.  Das  Gloria  ist  dreiteilig,  indem  den  beiden  Jm  Prinzip  chorischen 
Aufienteilen  im  geraden  Takt  als  wesentlich  solistischer  Mittelteil  ein  3/s-Andante  gegeniiber- 
steht.  An  sich  sinnlose  Textwiederholungen  zeigen,  wie  die  musikalische  Konzeption  wohl  von 
der  allgemeinen  Stimmung  der  Textworte  ausgeht,  von  dem  besonderen  Inhalt  beeinflufit  wird, 
jedoch  vollig  das  musikalische  Metrum  herrscht,  dem  sich  der  Text  anpassen  mufi.  Gloria 
und  Credo  weisen  hier  am  Schlusse  auch  schon  die  bei  Festmessen  traditionelle  Fugierung 
auf.  Die  schon  im  17.  Jahrhundert  festzustellende  Praxis,  dem  Gegensatz  des  Fugenthemas 
das  ,,Amen"  zu  unterlegen,  findet  sich  auch  hier. 

Dem  in  der  ersten  Messe  und  in  der  Nicolaus-Messe  (Missa  Sti.  Nicolai,  1772)  anzu- 
treffenden  Gebrauche,  fur  das  ,,Dona  nobis  pacem"  den  Tonsatz  des  Kyrie  wiederzuver- 
wenden,  steht  die  in  den  iibrigen  Messen  Haydns  festzustellende  selbstandige  Komposition 
dieses  Abschlusses  des  gesamten  Werkes  gegenuber.  In  samtlichen  spateren  Messen  Haydns 


836  Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 

ist  es  em  Allegrosatz.  In  der  Es-Dur-Messe  greift  der  Kiinstler  sogar  zu  emem  Presto  im 
6/g-Takt,  eine  nach  der  heutigen  Auffassung  dem  Inhalt  der  in  diesen  Worten  liegenden  Bitte 
um  Frieden  allerdings  nicht  entsprechende  Vertonung.  Allein  man  darf  nicht  iibersehen,  dafi 
der  Geist  der  Zeit  in  der  zweiten  Halfte  des  18.  Jahrhunderts  —  und  aus  diesem  heraus  miissen 
diese  Kunstwerke  wohl  betrachtet  werden  —  ein  vollig  verschiedener  war  von  dem  unserer  Zeit. 
Auch  religiose  Bilder  friiherer  Zeiten  entsprechen  vielfachin  ihrer  Auffassung  durchaus  nicht 
dem  heutigen  religiosen  Empfinden;  man  denke  an  die  Verziickung  der  hi.  Theresia  von 
Bernini,  oder  an  die  Darstellung  .der  Begegnung  Maria  auf  Hans  Baldungs  Hochaltar  im 
Miinster  zu  Freiburg,  oder  auchv  an  den  Weltenrichter  in  Michelangelos  Jiingstem  Gericht. 
Wie  also  fur  die  bildende  Kunst  hinsichtlich  der  Verwendung  im  Gotteshaus  und  damit  beim 
Gottesdienst  die  Anschauungen  sich  andern,  so  gelten  auch  flir  die  Beurteilung  der  Kirchen 
musik  hinsichtlich  ihrer  Eignung  fur  den  liturgischen  Gebrauch  nicht  zu  alien  Zeiten  die 
gleichen  Grundsatze.  Aus  dem  Geiste  ihrer  Zeit  geboren  kann  die  Kirchenmusik  der  zweiten 
Halfte  des  18.  Jahrhunderts  in  kompositionstechnisch-stilistischer  Hinsicht  als  zusammen- 
fassende  Vollendung  der  vorangegangenen  Entwicklung  bezeichnet  werden,  inhaltlich-stili- 
stisch  als  Ausdruck  der  damaligen,  die  scharfe  Trennung  von  religiosem  und  profanem  Leben 
zuriickdrangenden  Geistesrichtung.  Daraus  erklart  sich  wohl  auch  der  wahrend  des  ganzen 
1 8.  Jahrhunderts  immer  starker  werdende  Einflufi  von  seiten  der  weltlichen,  insbesondere  der 
Opernmusik  auf  die  kirchliche  Komposition.  Auch  der  in  Haydns  und  Mozarts  Kirchen- 
werken  sich  deutlich  auGernde  Optimismus,  der  Geist  der  Lebensbejahung  hangt  mit  den 
geistigen  Grundlagen  dieser  Zeit  enge  zusammen.  Wenn  z.  B.  Jos.  Haydn  in  seiner  Maria- 
zeller  Messe  aus  dem  Jahre  1 782  fur  das  Benedictus  eine  Arie  aus  seiner  fiinf  Jahre  zuvor  ge- 
schriebenen  komischen  Oper  „//  mondo  della  luna'  (,,Die  Welt  des  Mondes")  verwendet,  so 
darf  dies  nicht  weiter  verwundern.  Die  Wahl  der  Mittel,  welche  zur  Verherrlichung  Gottes 
dienen  sollten,  war  —  fast  mochte  man  sagen  —  von  allgemein  asthetischen  und  nicht 
speziell  von  liturgischen  Erwagungen  oder  besser  Empfindungen  bestimmt;  auch  wenn  der 
Kiinstler  tiefglaubig  war,  oder  damals  vielleicht  gerade  deshalb,  meinte  er  nicht,  sich  von  der 
Welt  abwenden  zu  sollen,  wenn  er  an  die  Komposition  einer  Messe  schritt. 

Damit  erklart  sich  auch  der  gegen  friihere  Zeiten  inhaltlich  weit  mannigfaltigere  Charakter 
der  verschiedenen  Kompositionen  des  gleichen  Textes.  Vielleicht  manchmal  durch  besondere 
au6ere  Einflusse  der  Gelegenheit  bestimmt,  der  die  Komposition  gait,  bietet  schon  Haydn 
Beispiele  fur  MeBkompositionen,  die  untereinander  im  Stimmungsgehalte  ganzlich  verschieden 
sind.  So  tragt  z.  B.  das  Kyrie  der  Nikolaus-Messe  aus  dem  Jahre  1772  —  zwischen  ihr  und 
der  oben  erwahnten  grofien  Orgelsolomesse  liegt  noch  die  ,,Kleine  Orgelmesse"  aus  dem 
Jahre  1 770  — ,  das  bezeichnenderweise  nach  dem  Orchesterritornell  mit  Solostimmen  ein- 
setzt,  anmutig  lieblichen  Charakter,  der  an  die  ,, Pastoral -Messen"  spaterer  Zeit  erinnert. 
Dieses  Werk  bietet  auch  mannigfache  Belege  fur  die  der  klassischen  Stilperiode  Jm  Gegensatz 
zur  vorangehenden  eigene  Kontrastbildung  im  kleinsten  Rahmen,  indem  die  eine  Halfte  einer 
Phrase  z'I'B.  /,  die  zweite  als  Kontrast  p  vorgetragen  wird.  Auch  dem  Inhalte  des  Textes 
wird  an  besonders  kennzeichnenden  Stellen  entsprechender  Ausdruck  verliehen,  so  dafi 
neben  der  vielfach  ohne  besondere  Rucksiehtnahme  auf  den  Text,  nach  rein  musikalischen 
Gesichtspunkten  erfolgenden  Konzeption  auch  wieder  Ausdruckskunst  einhergeht,  die  in 
starkem  MaCe  auf  den  Inhalt  einzelner  Gedanken  und  Worte  eingeht. 


Die  katholiscKe  Kirchenmusik  seit  1750 


837 


Die  ausgebildete  Kantatenmesse  kann  wohl  mit  Recht  als  der  Formenwelt  der  neapolita- 
nischen  Schule  angehorig,  fiir  sie  kennzeichnend  angesehen  werden.  Und  es  ist  bemerkens- 
wert,  daB  Haydn  dieses  Gestaltungsprinzip  nur  einmal,  in  der  Cacilien-Messe  aus  dem  Jahre 
1 782  angewendet  hat.  Wenn  auch  weitere  Publikationen  hieriiber  erst  Licht  bringen  miissen, 
drangt  sich  doch  die  Vermutung  auf,  daB  die  Tradition  in  der  praktischen  Kirchenmusik  Wiens 
dieser  Form  ferner  stand.  Vielleicht  Jst  darin  eine  Nachwirkung  der  vorneapolitanischen 
Messenproduktion,  ein  konservativer  Zug  der  Wiener  Mefikomposition,  in  der  Haydn  auf- 
wuchs,  zu  erblicken.  Ist  die  Vermutung  zutreffend,  daB  Haydn  dieses  Werk  fur  die  Kirchen- 
feier  der  alljahrlich  den  Tag  ihrer  Schutzpatronin  festlich  begehenden  Wiener  ,,Cacilien- 
Congregation",  der  vornehmen  Musikerorganisation  Wiens,  schrieb,  so  ist  dieses  Abweichen 
Haydns  von  seiner  sonstigen  Gepflogenheit  sehr  wohl  erklarlich.  Es  War  nicht  Gebrauchs- 
kirchenmusik  im  gewohnlichen  Sinne,  die  er  damit  schrieb,  sondern  eine  eigentliche  Festmesse. 
Dieses  Werk  hat  durch  seinen  Umfang  schon  in  den  alten  Druckausgaben  bedeutende 
Kiirzungen  veranlafit.  Neben  einer  Koloraturarie  (Laudamus  te),  tritt  hier  besonders  das  ,,Et 
incarnatus  est"  hervor,  das  die  Einfiihrung  des  Rezitativs  in  die  MeBkomposition  zeigt: 

Largo 


Ten.  Solo. 


Et  in  -  car  -    na  -  tus  est,  et     in  -  car  -  na    -  tus  est,       die    spi-ri  -  tu   san  -  cto 


Damit  weist  Haydn  schon  auf  Beethovens  Missa  solemnis,  wo  das  ,,Agnus  dei"  im  Verlaufe 
hochster,  geradezu  dramatischer  Steigerung  rezitativisch  vorgetragen  wird.  Allein  der  Unter- 
^chied  wird  deutlich,  wenn  man  beachtet,  wie  hier  das  Rezitativ  nicht  selbstandig  erscheint, 
sondern  als  typische  Einleitung  mit  Dominant schluB  zur  darauffolgenden  Arie,  deren  ganzen 
Text  es  allerdings  vorwegnimmt.  Das  formale  Schema  herrscht  also  hier  noch.  In  der 
Cacilien-Messe  Haydns  liegt  auch  ein  friihes  Beispiel  einer  sogenannten  ,,Credo-Messe"  vor, 
d.  h.  im  Credo  wird  nach  jedem  Glaubensartikel  das  Wort  ,,Credo"  wiederholt,  ein  liturgisch 
unzulassiger,  aber  in  der  damaligen,  mit  dem  Texte  ziemlich  frei  verfahrenden  Mefi- 


zwar 


komposition  nicht  seltener  Brauch.   Er  begegnet  auch  bei  Mozart. 

Mit  dem  Jahre  1 782  schliefit  der  obsn  erwahnte  erste  Abschnitt  der  kirchenmusikalischen 
Tatigkeit  Haydns.  Die  Verwendung  iiber  die  Chorstimmen  hinausgehender  konzertierender 
Solostimmen  findet  sich  nur  in  der  ersten  Messe.  Im  iibrigen  erscheint,  abgesehen  von  der 
Cacilien-Messe,  das  Solo  als  Ensemble  dem  Chore  gegenubergestellt.  Nicht  die  Soloarie  oder 
das  Duett,  jene  monodischen  Gesangsformen,  sind  es;  die  seitens  Haydn  in  der  MeBkompo- 
sition  Pflege  und  Fortbildung  erfahren,  sondern  das  schon  in  friiherer  Zeit  festgestellte  Solo- 
ensemble  und  das  Tuttiensemble  (der  ,,Chor")  treten  einander  gegentiber,  ohne  daB  aber  mit 
der  Verwendung  des  Soloquartetts  durch  Haydn  ein  neues  Element  in  die  Kirchenmusik  ein- 
gefuhrt  wurde.  Es  ist  dies  im  Gegenteil  eine  an  die  osterreichische  Barocke  der  spaten  vene- 


838  Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 

zianisch-romischen  Stilrichtung,  wie  sie  in  Kerll,  Biber  usw.  entgegentritt,  ankniipfende  Satz- 
technik.   Sowohl  als  thematisch  selbstandiges,  gegensatzliches  Moment,  wie  als  Mittelsatz, 
verbunden  mit  satztechnischem  Kontrast  oder  nicht,  1st  sie  schon  friiher  begegnet,  wie  auch 
in  engster  Verbindung  mit  dem  Chor,  der  als  Antwort  oder  als  Steigerung  dem  solistischeri 
Vortrag  gegeniibertritt.    In  melodischer  und  harmonischer  Hinsicht  machen  sich  auch.jn 
der  Kirchenmusik  jene  Merkmale  geltend,  die  in  der  Instrurnentalmusik  Haydns,  seinem 
Hauptgebiete  im  entwicklungsgeschichtlichen  Sinne,  seine  Eigenart  ausmachen.    Die  lied- 
mafiige  Melodik  beherrscht  nunmehr  auch  vollig  den  Chorsatz,  der,  in  der  Hauptsache  homo- 
phon,  nur  an  bestimmten,  gewissermafien  geschlossen  erscheinenden  Abschnitten  kontra- 
punktisch  gefiihrt  wird.  Die  volkstiimliche  Melodik  tritt  auch  in  der  MeCkomposition  ziemlich 
haufig  auf.    Die  Fiihrung  in  dem  gesamten  Klangkorper  kommt  den  Singstimmen  zu,  das 
Orchester  hat  hauptsachlich  begleitenden  Charakter,  der  haufig  durch  Figurationen  und 
daraus  entstehende  Eigenmotivik  quasikontrapunktisch  wird.   Im  Uberblick  iiber  die  kirchen- 
musikalische  Produktion  Haydns  bis  zum  Jahre  1782  zeigt  sich  deutlich,  wie  der  Kiinstler  nicht 
nur  hinsichtlich  seiner  Instrumentalmusik,  sondern  auch  auf  dem  Gebiete  der  Kirchenmusik 
durchaus  im  Wiener  Boden  wurzelt,  in  der  Wiener  Tradition  die  Grundlagen  des  Stils  vor- 
findet,  den  er  vermoge  seiner  kiinstlerischen  Potenz  weiterbildet  und  zum  personlichen  gestaltet. 
Neben  Wien  besaB  Osterreich  im  J8.  Jahrhunderte  noch  ein  zweites  kirchenmusikalisches 
Zentrum:  Salzburg.    Die  Bedeutung  dieses  ,,deutschen  Rom"  auf  kirchenmusikalischem 
Gebiete   machte   sich   schon   wahrend   des   ganzen    17.  Jahrhunderts   geltend,   als  zweites 
kirchliches   Zentrum   Osterreichs    behielt   es  auch   seine   Stellung    bei,    bis   die   Sakulari- 
sation  der  Bliite  ein  Ende  machte.    In  musikalischer  Hinsicht  vermochte  die  Stadt  um  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts  einen  Gipfelpunkt  zu  erreichen,  dem  W.  A.  Mozart  entsprofi. 
Dem  als  Komponisten  anscheinend  unbedeutenden  Sohn  H.  F.  Bibers,  Karl  Heinrich  von 
Biber,  folgte  1749  Johann  Ernst  Eberlin  (1702—1762)  als  Hot-  und  Domkapellmeister, 
der  bereits  24  Jahre  als  Organist  in  der  Kirchenmusik  Salzburgs  tatig  gewesen  war.    Auch 
als  Kirchenkomponist  entwickelte  er  eine  fruchtbare  Tatigkeit.    Stilistisch  gehort  er  der 
durchaus  von  der  siiddeutsch-venezianischen  Richtung  beeinfluBten  neapolitanischen  Richtung 
an.   Auch  sein  Schwiegersohn  und  Amtsnachfolger  als  Organist,  A.  Caj.  Adlgasser  (1728 
bis  1777)  gehorte  zu  den  geschatzten  Kirchenkomponisten  Salzburgs.   An  Eberlins  Stelle  als 
Vizekapellmeister  war  Giuseppe  Lolli  getreten,  der  ihm  auch  als  Kapellmeister  folgte.    Im 
Jahre  1743  erhielt  nunLeopoId  Mozart  (1719— 1787),  einstmals  Student  der  Rechtswissen- 
schaft  an  der  Salzburger  Universitat,  eine  Stelle  als  Violinist  an  der  Hofkapelle.  Als  Eberlin 
starb,  wurde  Mozart  zum  Vizekapellmeister  ernannt  und  Michael  Haydn  (173 7— 1806),  der 
jiingere  Bruder  Joseph  Haydns,  aus  Grofiwardein,  wo  er  erzbischoflicher  Domkapellmeister 
gewesen  war,  als  Orchesterdirektor  nach  Salzburg  berufen.  Mit  diesen  Namen  ist  eine  Kom- 
'ponistengruppe  gekennzeichnet,  die  man  nicht  zu  Unrecht  als  Salzburger  Schule  bezeichnet 
hat.    Eine  zusammenfassende  Behandlung  ihres  kirchenmusikalischen  Schaffens  fehlt  noch. 
Lediglich  liber  Michael  Haydns  Wirken  auf  diesem  Gebiete  sind  wir  genauer  unterrichtet. 
Seine  im-  Neudruck  zuganglichen  Werke,  wie  auch  seine  Tatigkeit  als  Komponist  von  Gra- 
dualien  fallen  in  die  spatere  Zeit  seines  Lebens.   Vorerst  sei  dem  hauptsachlich  in  die  da- 
zwischenliegende  Zeit  fallenden  kirchenmusikalischen  Wirken  W.  A.  Mozarts  kurz  Beachtung 
geschenkt. 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  839 

Im  Schaffen  W.  A.  Mozart s  (1 756 — 1 791 )  fallt  aufierlich  auf,  wie  mit  der  Ubersiedlung  nach 
Wien  das  Gebiet  der  Kirchenmusik  mehr  in  den  Hintergrund  tritt.  Nur  der  grofie  Torso  der 
C-Moll-Messe  (KV.  427)  aus  den  Jahren  1 782 — 83  und  die  im  letzten  Lebensjahre  entstandenen 
,Ave  verum"  (KV.  618)  und ,, Requiem"  (KV.  626)  gehoren  dieser  Zeit  an.  Und  von  den  iibrigen 
Kirchenwerken  entstand  ein  Teil  in  Wien  wahrend  des  ersten  Aufenthaltes,  das  meiste  in 
Salzburg  nach  den  Italienreisen,  vor  und  nach  der  Weltreise.  Der  Grund  fur  diese  Er- 
scheinung  liegt  wohl  darin,  dafi  Mozart,  von  der  Salzburger  bischoflichen  Hofkapelle  und 
damit  auch  von  der  engen  Beriihrung  mit  der  Kirchenmusik  losgelost,  nicht  mehr  den  halb 
zwangsmaBigen  Antrieb  erfuhr,  auf  diesem  Gebiete  zu  schaffen.  Dafi  es  gerade  Wien  war, 
wo  Mozart  —  abgesehen  von  dem  Pariser  Kyrie  (KV.  33)  und  dem  Londoner  ,,God  is 
our  refuge'  (KV.  20)  — sich  zum  ersten  Male  kirchenmusikalischen  Schaffensproblemen  zu- 
wandte,  kommt  auch  in  diesen  Friihwerken  deutlich  zum  Ausdruck.  Der  Aufenthalt  Mozarts 
in  der  Donaustadt  fiel  in  das  Jahrzehnt,  das  Hasse  ebendort  verbrachte,  und  Emfliisse  von 
dieser  Seite  mischen  sich,  wie  Kurthen  nachwies,  mit  solchen  von  seiten  Glucks.  Insbe- 
sondere  die  Grundmotivtechnik  Hasses  kehrt  in  diesen  Jugendwerken  Mozarts  wieder. 
Daneben  machen  sich  selbstverstandlich  auch  Einfliisse  von  seiten  des  Vaters  und  der  Salz 
burger  Komponistengruppe  geltend. 

Die  erste  vollstandige  Messe  Mozarts,  wie  W.  Kurthen  nachwies  KV.  139  (c-MoIl),  die 
der  Knabe  fur  die  Einweihung  der  Waisenhauskirche  in  Wien  1 768  schrieb,  bietet  ein  kenn- 
zeichnendes  Beispiel  fur  den  Pomp  des  spatneapolitanischen  Messenstils.  Die  typische  Adagio- 
Einleitung  als  Kyrie  zeigt  —  wie  Abert  bemerkt  —  fast  opernhaftes  Pathos.  Auch  freie  Be- 
handlung  der  Textworte  macht  sich  stark  geltend.  In  dem  Allegro-Kyrie,  das  der  erwahnten 
Einleitung  folgt,  wird  z.  B.  auch  der  Text  Christe  verwendet.  Das  iibliche  Schema  verlangt 
gleichwohl  einen  eigenen  Christe-Teil,  der  denn  auch  mit  Taktwechsel  und  ganz  selbstandig 
nachfolgt,  in  hergebrachter  Sitte  solistisch  vorgetragen.  In  der  formalen  Gestaltung  des  Kyrie 
machen  sich  Einfliisse  seitens  der  Sonatenform  geltend,  indem  z.  B.  Doppelthematik  mit 
Tonika-Dominant-  und  Inhaltskontrast  vorhanden  ist.  Wenn  auch  keineswegs  der  musikalische 
und  textliche  Inhalt  ohne  jeden  Zusammenhang  sind,  fur  den  Bau  der  Perioden  und  der 
ganzen  Satze  sind  fast  durchgangig  nur  musikalische  Gesichtspunkte  mafigebend,  ihnen 
mufi  sich  der  Text  durch  Wiederholungen  usw.  vollig  anpassen.  Auch  das  Gloria  entspricht 
in  diesem  Werke  dem  Charakter  der  Kantatenmesse.  Arien  und  Duette  wechseln  mit  Chor- 
partien.  Die  Kontrapunktik  ist  auf  bestimmte  Abschnitte  zuriickgedrangt,  wie  insbesondere 
in  die  groBen  Fugen  am  Schlusse  von  Gloria  und  Credo.  Auch  in  den  Duetten  verschwindet 
mehr  der  imitatorische  Stil  fruherer  Zeiten,  um  Austerzungen  oder  Sextenparallelen  u.  dgl.  zu 
weichen.  Der  Widerstreit  zwischen  Konventionellem  und  Neuem,  Personlichem  macht  sich 
z.B.auch  imBenedictus  geltend,  das  nicht  als  Soloarie  vertont  ist,  sondern  als  Wechselgesang, 
indem  viermal  auf  den  Vortrag  des  Benedictus-Textes  durch  den  Solosopran  der  Chor  mit 
Osanna  antwortet.  Gleichwohl  laBt  Mozart  nachher  das  Osanna  vom  Sanctus  wiederholen. 

In  seiner  nachsten  Messe  (KV.  49)  bewegt  sich  Mozart  stark  in  den  Barmen  alterer  Stil- 
richtung.  Der  Einflufi  der  Ansichten  des  Vaters  ist  wohl  unverkennbar.  Kontrapunktischer 
Satz  macht  sich  weit  starker  als  in  spaterer  Zeit  geltend.  Das  Orchester  weist  sehr  wenig 
Sslbstandigkeit  auf;  wo  es  nicht  akzessorisch  verwendet  ist,  wie  bei  den  kontrapunktischen 
Stellen,  muB  es  sich  mehr  oder  weniger  mit  Figurierung  begniigen. 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 


In  freieren  Bahnen  bewegt  sich  bereits  die  Messe  KV.  65  (datiert  14.  1.  1769).  Auch  sie  ist 
noch  in  knappsten  Formen  gehalten.  Einen  bedeutsamen  Fortschritt  bedeutet  aber  schon  die 
im  gleichen  Jahre  komponierte  Messe  KV.  66.  Schon  in  ihrer  Besetzung  (Streicher,  Trom- 
peten,  Pauken)  dokumentiert  sie  sich  als  Missa  solemnis,  ist  sie  ja  auch  for  eine  besonders 
festliche  Gelegenheit,  die  Primiz  P.  Hagenauers,  geschrieben.  Wahrend  in  den  bisherigen 
Messen  die  Soli  sich  in  den  Bau  des  Gesamtsatzes  deutlich  als  Teile  eingliedern,  wird  hier 
zur  neapolitanischen  Verselbstandigung  der  solistischen  Partien  geschritten.  Das  Orchester 
ist  auch  hier  in  der  schon  bekannten  Weise  verwendet,  das  rauschende  Figurenwerk  im  /  tritt 
stark  in  den  Vordergrund.  Wie  Mozarts  Eigenart  in  der  melodischen  Erfindung  schon 
hier  zum  Ausdruck  kommt,  zeigt  z.  B.  das'einen  selbstandigen  Satz  bildende  ,Lauda- 
mus  te  .  .  .',  dessen  ganze  Haltung  auch  den  weltlichen  EinfluB  in  der  damaligen  Kirchen 
musik  dartut. 

Die  italienische  Reise  Mozarts  hatte  den  jungen  Kiinstler  die  neapolitanische  Stilnchtung 
in  ihrem  Heimatlande  kennenlernen  lassen.  Auch  dort  war  der  oben  erwahnten  alteren  Gene 
ration  von  Neapolitanern  eine  jiingere  gefolgt,  unter  denen  insbesondere  Nicolo  Jommelli 
(17  14__]  774)  unj  B.  Galuppi  (1706—1785),  wie  auch  G.  B.  Sammartini  (1701—1775),  der 
Lehrer  Glucks,  zu  erwahnen  sind.  Insbesondere  das  Requiem  Jommellis,  der  1753  —  1769 
Hofkapellmeister  in  Stuttgart  war,  erlangte  grofie  Beriihmtheit.  Die  kirchenmusikalischen 
Auswirkungen  von  Mozarts  erster  italienischer  Reise  zeigen  sich  aber  —  durch  sein  Bekannt- 
werden  mit  dem  einer  strengeren  Richtung  angehorenden  G.  B.  Martini  (1706  —  1784) 
—  im  gegenteiligen  Sinner  eine  Reihe  von  Arbeiten  im  polyphonen  Stil  sind  die  Folge. 
Eine  Fragment  gebliebene  Messe  (KV.  115)  zeigt  bei  blofier  Orgelbegleitung  strenge 
Kontrapunktik. 

Die  nachste  Messe  Mozarts  ,,in  honorem  SSmae  Trinitatis"  (,,zuEhrenderhl.Dreifaltigkeit", 
KV.  167)  stellt  nun  den  seltenen  Fall  einer  neapolitanischen  Messe  ohne  Soli  dar.  Der  EinfluB 
von  seiten  der  instrumentalen  Formen,  insbesondere  der  Sonatenform,  der  sich  schon  lange 
vor  Mozart  in  gewissen  Modifikationen  der  Soloarien  bemerkbar  machte  und  —  wie  erwahnt  — 
auch  die  Gestaltung  der  Kyrie  bei  Mozart  bestimmte,  greift  hier  —  wie  Abert  dargelegt  hat  — 
auch  auf  das  Gloria  iiber,  und  laBt  Mozart  im  Credo  eine  freie  Rondoform  zur  Anwendung 
bringen,  womit  wieder  ein  neues,  vom  Text  unabhangiges,  rein  musikahsches  Moment  in 
die  Mefikomposition  eingefuhrt  erscheint.  An  Stelle  der  Soloarien  (,,Et  incarnatus  est"  und 
,,Et  in  spiritum")  treten  Episoden,  die  zwischen  die  freien  Wiederholungen  des  aus  zwei 
Themen  bestehenden,  architektomsch  als  Rondoritornell  zu  bezeichnenden  Teiles  emge- 
schoben  smd.  Die  angefugte  Schlufifuge  ware  dann  mit  Abert  als  groBe  Coda  zu  bezeichnen. 
Dieses  Konstruktionsprinzip  begegnet  auch  in  spateren  Werken  Mozarts  in  weiterer  Aus- 
bildung  wieder.  In  kontrapunktischer  Hinsicht  und  hinsichtlich  der  thematischen  Verein- 
heitlichung  —  wieder  ein  rein  musikalisches  Moment  —  geht  Mozart  in  seiner  nachsten  Messe 
noch  welter.  Im  Credo  liegt  die  schon  bei  Haydn  erwahnte  Wiederholungdes  ,,  Credo"  vor,  das 
hier  auf  dem  auch  aus  dem  Finale  der  Jupitersymphonie  bekannten  choralen  Thema  :  Jg  b  a  imrner 
wiederkehrt.  (Auch  die  Messe  KV.  257  ist  eine  derartige  ,,Credo-Messe'\)  Schon  mit  dieser 
Messe  setzt  in  Mozarts  kirchenmusikalischem  Schaffen  eine  Reihe  von  Missae  breves  ein,  die 
wohl  auch  in  dem  Verlangen  des  Erzbischofs  Hieronymus  nach  kurzen  Messen  ihren  Grund 
haben.  Die  zeithche  Beschrankung  zwang  auch  zur  Reduktion  des  Klangkorpcrs.  Auch  In  diesen 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  841 

Messen  zeigtsich  das  musikalisch-formale  Streben  Mozarts  immer  von  neuem.  Die  wertvollsten 
Teile  sind  die,  in  denen  er  seiner  dramatischen  Gestaltungskraft  oder  seinem  lyrischen  Emp- 
finden  freien  Lauf  lassen  kann. 

DerTypus  der  Mozarts chen  Messe  liegt  im  Jahre  1776  in  seinen  Hauptkennzeichen  bereits 
ausgebildet  vor.  Die  spateren  Messen  bringen  zwar  mancherlei  Ausgestaltung  verschiedener 
Einzelziige,  ohne  aber  am  wesentlichen  etwas  zu  andern.  Es  bedeutet  —  vielleicht  durch  den  Zwang 
der  befohlenen  Beschrankung  veranlafit  —  die  Messe  Mozarts,  entsprechend  der  hohen 
Formbeherrschung,  die  diesem  Kiinstler  iiberhaupt  eigen  war,  eine  Durchsetzung  der  vielfach 
in  einzelne,  kaum  zusammenhangende  Teile  zu  zerfallen  drohenden  Satze  rnit  musikalischer 
Logik  im  Sinne  einer  moglichst  straff  en  formalen  Gestaltung.  Und  gerade  in  der  vielfach 
zutage  tretenden  Vereinigung  von  musikalischer  Form  und  geistigem  Inhalte  des  Textes  liegt 
vielleicht  das  entwicklungsgeschichtlich  wichtigste  Moment  in  Mozarts  MeBkomposition,  Der 
Umstand,  dafi  meistens  das  musikalische  Moment  das  iiberwiegende  ist,  daB  Mozart  als  Kind 
seiner  Zeit  in  den  Messen  Tone  anschlug,  die  der  profanen  Musik  nahe  kommen,  war  insofern 
fur  die  Entwicklung  bedeutsam,  als  Nachfolger  und  Nachahmer  nur  in  diesen  aufierlichen 
Momenten  ihr  Vorbild  erblickten  und  dadurch  die  Mefikomposition,  ihres  inneren  Gehaltes 
beraubt,  in  der  nachklassischen  Zeit  auf  ein  Niveau  herabsank,  aus  dem  erst  nach  langen 
Jahren  bewuBte  und  unbewufite  Reformatoren  sie  wieder  emporfiihren  sollten.  Das  Ver- 
haltnis  von  Solo  und  Chor  erscheint  groiBenteils  durch  die  knappe  Fassung  der  Messen 
gegeben;dieVereinheitlichungzueinemKlangkorpergehtsehrweit:ineinermusikalischenPhrase 
werden  in  dieser  Hinsicht  nicht  nur  Vordersatz  undNachsatz,  sondern  auch  noch  deren  Teile 
zwischen  Solo  und  Chor  aufgeteilt.  Zur  Entwicklung  groC  angelegter  Arien  u.  dgl.  ist  hier 
keine  Moglichkeit.  Insbesondere  die  wohl  schon  im  Hinblicke  auf  die  erwahnte,  vom  Erz- 
bischof  geforderte  Kiirze  moglichst  durchkomponierten  Gloria  und  Credo  zeigen  bald  von  Vers 
zu  Vers  gehenden,  bald  groCere  Abschnitte  umfassenden  Wechsel  von  Soli  und  Chor,  ohne 
dafi  aber,  abgesehen  von  besonderen  Stellen,  wie  z.  B.  ,,Et  incarnatus  est",  gesonderte  geschlos- 
sene  Formungen  auftraten.  Es  herrscht  groBenteils  Klangwechsel  innerhalb  des  als  Ganzes  zu 
betrachtenden  Teiles.  Der  Ort  fur  das  grofier  angelegte  Solo  ist  das  Benedictus  und  das  Agnus 
Dei,  vielleicht,  abgesehen  von  der  Tradition  beim  ersteren,  auch  deshalb,  weil  im  Gegensatz 
zu  Gloria  und  Credo,  wo  der  Zelebrant  mit  der  Fortsetzung  der  Messe  auf  den  Schlufi  der 
Musik  warten  mufi,  nach  der  Wandlungdieliturgischen  Zeremonien  wahrend  des  Chorgesanges 
weitergehen,  ihr  ziemlichen  Raum  lassen  und  eine  Kiirzung  unter  die  Dauer  der  Zeremonien 
zwecklos  ware. 

Der  Chorsatz  ist  —  wenn  man  von  dem  oben  erwahnten  Entwicklungsstadium  absieht  — 
seinem  Wesen  nach  durchaus  homophon  aufier  an  den  Stellen,  die  geradezu  Fugen  sind, 
wie  z.  B.  die  Schliisse  von  Gloria  und  Credo.  Die  Thematik  der  Fugen  ist,  wie  iiberhaupt 
die  gesamte  Melodik,  durchaus  harmomsch  fundiert,  zur  linearen  Thematik  der  Zeit  Bachs 
vielfach  gerade  gegensatzlich,  Mozart  fiigt  sich  aber  nicht  einem  Zwange,  diese  Abschliisse 
der  grofien  Satze  kontrapunktisch  zu  gestalten,  haufig  tritt  lediglich  ein  Fugato  oder  auch  nur 
Scheinpolyphonie  auf. 

Das  Orchester  in  den  Messen  Mozarts  bis  zur  Obersiedlung  nach  Wien  ist  bei  den  Missae 
breves  gewohnlich  auf  Streicher  (auch  ohne  Violen)  und  Orgel  beschrankt,  doch  konnen  auch 
Trompeten  und  Pauken  hinzutreten.  Eine  der  letzten  Salzburger  Messen  (KV.  317)  verwendet 


842  Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 

2  Violinen,  2  Oboen,  2  Fagotte,  3  Posaunen,  2  Horner,  2  Trompeten,  Pauken,  Bafi  und  Orgel. 
Die  Posaunen,  deren  Verwendung  vielleicht  auf  Salzburger  Tradition  zuriickgeht  —  ihre 
Verwendung  im  1 7.  JahrKundert  findet  hier  ihre  Fortsetzung  — ,  treten  im  Tutti  akzessorisch 
zu  den  drei  Chorunterstimmen  hinzu.  Trompeten  und  Pauken  werden  hauptsachlich  im 
Forte  zur  Betonung  rhythmischer  Ikten  gebraucht.  Solistische  Verwendung  im  Sinne  der 
konzertierenden  Instrumente  friiherer  Zeiten  tritt  iiberhaupt  bei  Mozart  vollig  zuriick,  gehort 
zu  den  Besonderheiten,  wie  z.  B.  in  dem  Agnus  Dei  der  Messe  KV.  337,  das  fur  konzertie 
renden  Sopran,  Oboe,  Fagott  und  Orgel  mit  Streicherbegleitung  geschrieben  ist.  Den  Kern  des 
Orchesters  bilden  die  Streicher,  deren  Verwendung  (abgesehen  von  akzessorischer)  die  mannig- 
fachsten  GestaJtungen  zeigt,  angefangen  von  einer  Begleitung  in  geklopften  Akkorden,  iiber  die 
Figurierung  zur  motivischen  Fiihrung,  gleichsam  zur  kompositionstechmschen  Herrschaft  iiber 
den  Chor.  Auffallend  haufig  lafit  Mozart  die  Streicher  an  irgendeiner  Figur,  einer  rhythmischen 
Bildung  festhalten,  offenbar  wieder  ein  rein  musikalisches  Mittel  der  Vereinheitlichung. 

Von  den  iibrigen  kirchenmusikalischen  Werken  Mozarts  bringen  die  Vespern,  bei  denen 
—  abgesehen  von  einer  Andeutung  im  Magnifikat  KV.  193  —  von  dem  urspriinglichen  Wesen 
der  Psalmodie  musikalisch  gar  nichts  mehr  vorhanden  ist,  stilistisch  keine  neuen  Momente. 
Auch  die  Litaneien,  die  in  emzelne  selbstandige  Satze  zerfallen,  fiigen  sich  vollig  in  das  Bild 
ein,  das  Mozarts  Mefikomposition  bietet.  Als  ,,Einlagen"  in  die  Messen  sind  die  Offertorien 
Mozarts  bestimmt.  In  ihrer  ganzen  Anlage  weisen  sie  auf  die  Solokantate  hin,  die  ins- 
besondere  in  Italien  in  den  Mefigottesdienst  Eingang  gefunden  hatte.  Sie  bestehen  aus  ge- 
trennten  Arien  und  Choren,  auch  das  Rezitativ  hat  Platz.  Auf  die  wie  anderswo,  so  auch  in 
Salzburg  ubliche  Verwendung  reiner  Instrumentalmusik  wahrend  des  Mefigottesdienstes 
weisen  Mozarts  Kirchensonaten  hin,  die  (statt  des  Graduales?)  zur  Epistel  zur  Auffuhrung 
kamen. 

Die  Ubersiedlung  nach  Wien  brachte  —  wie  schon  erwahnt  —  ein  Zuriicktreten  der  Kirchen 
musik  in  Mozarts  Schaffen.  Um  so  wichtiger  fur  die  Kenntnis  Mozarts  sind  gerade  die  wenigen 
dieser  Zeit  angehorenden,  hierhergehorigen  Werke.  Der  Einflufi  der  in  Wien  herrschenden 
und  gepflegten  Kunstrichtungen  wird  in  ihnen  deutlich  erkennbar.  Im  Hause  van  Swietens, 
des  Prafekten  der  Hofbibliothek,  lernte  Mozart  die  Werke  Handels  und  Bachs  genau  kennen 
und  der  monumentale  Torso  der  C-Moll-Messe  KV.  427,  der  1782/83  entstand,  gibt  deutlich 
davon  Kunde.  Der  Gesamtanlage  nach  liegt  eine  Kantatenmesse  grofien  Umfanges  vor.  Das 
Gloria  besteht  z.  B.  aus  sieben  selbstandigen  Teilen.  Sowohl  in  den  Chorsatzen  als  auch  im 
Solo  macht  sich  der  erwahnte  Einflufi  geltend.  Und  im  Chor  ist  es  nicht  so  sehr  die  polyphone 
Struktur,  als  vielmehr  die  barocke  Kraft  und  der  tiefe  Ernst,  der  an  vergangene  Zeiten  er- 
innert.  Dafi  hierbei  auch  deren  kompositionstechnische  Mittel  in  moderner  Weise  zur  An- 
wendung  gelangen,  ist  selbstverstandlich ;  allein  gerade  darin  zeigt  sich  Mozarts  unerreichte 
Genialitat,  dafi  er  nicht  die  Aufierlichkeiten  ubernimmt,  sondern  den  Geist  dieser  Kunst  er- 
fafit  und  aus  ihm  heraus  durchaus  Modernes  im  damaligen  Sinne  schafft.  Hieher  gehort 
z.  B.  das  ,,Qui  tollis"  far  achtstimmigen  (Doppel-)  Chor,  2  Oboen,  2  Fagotte,  2  Horner, 
3  Posaunen,  Streicher  und  Orgel,  das  eine  freie  Passacaglia  iiber  dem  fur  diese  Form  alther- 
gebrachten  chromatischen  Bafiabstieg  ist.  Auch  in  der  melodischen  Themenbildung  ist  diese 
Einwirkung  festzustellen.  Dafi  in  den  ariosen  Teilen  sich  teilweise  unverfalschtes  Neapoli- 
tanertum  mit  reicher  Koloraturverbramung  geltend  macht,  mag  vielleicht  dem  Umstande  zu- 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  843 

zuschreiben  sein,  daB  Konstanze  als  Solistin  auftreten  sollte.  Ebenso  wie  diese  Messe  blieb  auch 
Mozarts  letztes  Werk  unvollendet,  das  Requiem,  das  Mozart  far  einen  ihm  unbekannten  Be- 
steller  (den  Grafen  Walsegg)  zu  schreiben  iibernommen  hatte.  Mozarts  Freund  und  Schiller 
Franz  X.  SiiBmayer  vollendete  es  nach  Mozarts  Tod.  Die  letzte  Stufe  seiner  Meisterschaft,  der 
dieNachwelt  den  ,,Don  Giovanni",  die  ,,Zauberflote**  verdankt,  findet  auch  in  diesem  kirchen- 
musikalischen  Werke  ihren  Ausdmck.  Die  Aufierlichkeiten,  die  friiheren  Kirchenwerken  viel- 
fach  noch  anhaften,  verschwinden  hier  fast  vollig.  Mozart  wird  zum  Romantiker,derden  meta- 
physischen  Problemen,  die  ihm  der  Text  aufwirft,  in  Tonen  Ausdmck  verleiht.  In  diesem 
Werke  erschemt  denn  auch  das  Problem  der  Vereinigung  von  musikalischer  Form  und  text- 
lichem  Inhalt,  das  besonders  Mozarts  gesamtes  kirchenmusikalisches  Sch^ffen  durchzieht,  der 
endgiiltigen  Losung  nahe  gebracht.  Auch  dieses  Werk  zeigt  breite  Anlage.  Das  Fehlen 
samtlicher  hohen  Holzblaser  —  es  werden  von  dieser  Instrumentengruppe  nur  Bassetthorner 
und  Fagotte  verwendet  —  zeigt,  wie  Mozart  auch  hinsichtlich  der  Instrumentation  von  jeg- 
licher  Schablone  sich  frei  machte.  Die  architektomschen  Formen  sind  auch  in  diesem  Werke 
wohl  vielfach  die  hergebrachten,  allein  die  Art  ihrer  Verwendung  im  Zusammenhalte  mit  dem 
Textinhalte  und  der  ganze  Ausdruckscharakter  der  Musik,  der  sich  bis  in  die  Thematik  und 
Harmonik  verfolgen  lafit,  lassen  eine  vollige  Wandlung  in  der  Stellung  Mozarts  zum  litur- 
gischen  Texte  erkennen.  So  wird  gleich  im  ersten  Satze  der  erste  Teil  (Requiem  aetemam  .  .  . 
luceat  eis)  nach  einem  Mittelsatze  im  Prinzip  wiederholt,  allein  die  musikalische  Bereicherung 
durch  Hinzufugung  eines  obligaten  Kontrapunkts  erfahrt  auch  textliche  sinnvolle  Verwertung, 
indem  die  Bitte  um  Frieden  gleichzeitig  mit  den  Anfangsworten  und  nicht  erst  nach  ihnen 
vorgetragen  wird,  die  musikalische  Steigerung  wird  textinhaltlich  gerechtfertigt.  Auch  die 
psalmodische  Weise  des  Solosoprans  mit  der  motivischen,  in  gewissem  Sinne  auf  Beethovens 
Art  des  Akkompagnements  hinweisenden  Begleitung  ist  ein  Zeichen  des  kompositionstechni- 
schen  Unterschieds  gegeniiber  friiheren  Werken.  Wie  in  der  letzten  Messe,  so  liegen  auch  im 
Requiem  die  Faden  klar  zutage,  die  dieses  Werk,  gleichwohl  es  aus  der  Wiener  Klassik  heraus- 
wachst,  mit  der  Kunst  der  Zeit  Bachs  und  Handels  verbinden.  Auf  die  Verwandtschaft  des 
Fugenthemas  im  Kyrie  mit  Handels  ,Joseph"  und  ,,Messias"  hat  schon  0.  Jahn  (s.  Lite- 
ratur)  hingewiesen.  Daneben  finden  sich  aber  auch  wieder  Abschnitte,  die  durchaus  dem 
Ausdruckskreis  der  fruheren  Werke  Mozarts  angehoren,  wie  z.B.  die  Stelle:  ,Judex  ergo, 
cum  sedebit",  an  der  die  mit  langen  Vorschlagen  verzierte  klagende  Melodie  von  kurzen 
Bafinoten  auf  den  Taktteilen  und  nachschlagenden  Akkordachteln  begleitet  wird.  Mozart 
zeigt  sich  in  seinem  Requiem  als  der  Meister,  der  es  vermag,  sowohl  die  kompo- 
sitionstechnischen  Mittel  als  auch  die  Ausdruckskraft  und  -tendenz  der  Altklassik  in  sich 
aufzunehmen  und  aus  dem  Geiste  der  Wiener  Klassik  heraus  umzuformen  und  derart  ein 
Werk  zu  schaffen,  das  gleichsam  nach  Vollendung  der  von  der  Barockmusik  ganzlich  ver- 
schiedenen  Stilrichtung  nunmehr  den  Bogen  auch  iiber  die  weiter  zuriickliegende  Zeit 
spannt. 

Fiinf  Jahre  nach  Mozarts  Tod,  von  der  zweiten  Londoner  Reise  ruhmbedeckt  heimgekehrt, 
nahm  Joseph  Haydn  seine  kirchenmusikalische  Tatigkeit  wieder  auf;  14  Jahre  trennen  die  nun 
mehr  entstehenden  sechs  groBen  Messen  von  derzuletzt  (1782)  komponierten  ,,Mariazeller'*- 
Messe.  Mit  Mozarts  Requiem  bilden  sie  wohl  den  Hohepunlct  der  Kirchenmusik  des  18.  Jahr- 
hunderts,  (1796:  Missa  in  honorem  b.Bernardi  deOffida,  gewohnlich  ,,Heilig*'-Messe  genannt, 
54  H.  d.M. 


844 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 


weil  im  Sanctus  der  Alt  die  Melodie  des  deutschen  Segenliedes  ,,Heilig,  heilig*  '  singt;  Missa  in 
tempore  belli  [Paukenmesse] ;  1 798 :  Missa  in  D-MoIl  [Nelsonmesse] ;  1 799 :  Missa  in  B  [There- 
sienmesse];  1801 :  Missa  in  B  [Schopfungsmesse,  weil  zu  den  Worten  ,,qui  tollis  peccata"  eine 
Melodie  aus  der  ,,Schopfung"  verwendet  wird];  1802:  Missa  in  B  [Harmoniemesse].)  Schon 
in  der  Jnstrumentalen  Besetzung  sind  diese  Messen  als  ,,solemnes"  gekennzeichnet.  Neben 
Streichern  sind  stets  2  Trompeten  (in  der  Messe  in  tempore  belli  bezeichnenderweise  3), 
Pauken  und  Orgel  verwendet,  ferner  2  Oboen  oder  2  Klarinetten  (auch  innerhalb  einer  Messe 
abwechselnd,  in  den  beiden  letzten  Messen  nebeneinander),  2  Fagotte  (in  der  Nelsonmesse 
nur  1),  aufierdem  (nicht  immer  Flote)  und  2  Horner.  Die  letzten  beiden  Messen  zeigen  daher 
schon  das  posaunenlose  klassische  Symphonieorchester.  Die  Ausschaltung  der  Posaunen  aus 
dem  orchestralen  Apparat  der  Messe  mag  vielleicht  praktischen  Griinden  entspringen,  vielleicht 
kommt  aber  beim  Vergleich  mit  Mozarts  Messen  auch  die  spezielle  Wiener  Tradition  bei 
Haydn  zum  Ausdruck.  Auch  die  Technik  des  Orchestersatzes  ist  bereits  die  ausgebildete 
vorbeethovenische.  Man  beachte  z.  B.  folgende  Stelle  aus  dem  Ritornell  zum  Benedictus  der 
Harmoniemesse : 


Fl. 
2  Ob. 


2K1. 


Tpt.Hr, 


2  VI. 


Va. 

PL 


Fg. 
Org.B.c. 


JS^VI 


;9-B-fB»» 


'••'b'p'-S f  • l-ah-J- 


/  -^     ~ 

^_i.-.-.1j^_I_!. 

i^^^^F="^ 


-^-^ 

T^tr-*       --^=fPp-d 


FS^: 


In  dem  Ersetzen  der  Einzelsoli  durch  Soloensemble  (das  Soloquartett)  in  der  Gegeniiberstellung 
zum  Chorbeschreftet  Haydn  zwar  nicht  neueBahnen,  allein  in  seinen  sechs  grofien  Messen  ist 
diese  Technik  gleichsam  zum  Stilprinzip  erhoben,  wenngleich  auch  noch  die  einzelne  Solo- 
stimme  mit  Chorrespons  Verwendung  findet,  wie  z.  B.  beim  Solosatz  im  ,,Qui  tollis"  der  Pauken 
messe  oder  beim  prinzipiellen  Chorsatz  im  ,,Quoniam  tu  solus"  der  Nelsonmesse.  Wahrend  auf 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 


845 


der  einen  Seite  der  rein  musikalisch  erfundene,  vielfach  auch  im  Orchester  gefiihrte  homophone 
Satz  vorherrscht,  gewahrt  Haydn  auch  der  Kontrapunktik  breiten  Raum,  vielleicht  in  groBerem 
Mafie  als  Mozart.  Die  Schlufifugen  fehlen  fast  nie,  aber  auch  andere  Satze  zeigen  kontrapunk- 
tische  Setzweise,  so  z.  B.  der  auch  im  Thema  archaisierende  Credo-Beginn  der  Nelsonmesse, 
der  einen  Kanon  in  der  Quint  zwischen  Sopran-Tenor  und  Alt-BaB  bildet,  iiberhaupt  in  seiner 
Oktawerdopplung  in  den  Singstimmen  zu  den  wirkungsvollsten  Messesatzen  Haydns  zahlt. 
Auch  innerhalb  der  Fuge  verwendet  Haydn  wirkungsvoll  den  Gegensatz  von  Solo  und 
Chor,  wie  iiberhaupt  gerade  in  den  Fugen  der  Messen  Haydns  die  durchaus  nicht  in 
musikdramatischen  Mitteln  sich  aufiernde  Kraft  rein  musikalischen  steigernden  Aufbaues 
sich  dartut. 

In  der  Architektonik  der  Messensatze  kann  ein  bestimmtes  Schema  nicht  aufgestellt  werden. 
Wohl  gliedern  sie  sich  in  einzelne,  mit  dem  Inhalte  des  Textes  im  Charakter  vielfach  iiberem- 
stimmende,  in  Taktart  und  Tempo  kontrastierende  Teile,  aber  die  Gliederung  ist  nicht  immer 
die  gleiche.  Der  vielfach  dem  heutigen  Empfmden  fur  Kirchenmusik  nicht  ganz  entsprechende 
Ausdruckscharakter  einzelner  Satze,  denen  aber  wieder  solche  engster  Ubereinstimmung  von 
Wort  und  Ton  gegeniiberstehen,  erklart  sich  vielleicht  kompositionstechnisch  auch  aus  der 
mehr  musikalisch  als  textlich  beeinflufiten  Themenbildung,  in  dem  steten  Festhalten  an  der 
melodisch-harmonisch  korrespondierenden  Satzkonstruktion,  der  sich  der  Text  unterordnen 
mufi.  Bei  Haydn  machen  sich  iiberdies  die  auch  in  seinen  Instrumentalwerken  deutlich  er- 
kennbaren  Beziehungen  zur  volkstiimlichen  Musik  Wiens  geltend.  Auch  in  der  MeBkompo- 
sition  Haydns  macht  sich  der  durchaus  undramatische,  lebensbejahende  Zug  geltend,  der  sein 
ganzes  Schaffen  durchzieht.  Abgesehen  von  den  14  Messen  ist  Joseph  Haydns  kirchen- 
musikalisches  Schaffen  nicht  sehr  umfangreich.  Zwei  Tedeum,  eine  Reihe  von  Offertorien, 
einige  marianische  Antiphonen  und  ein  Stabat  mater  sind  die  wichtigsten,  hierhergehorigen 
Werke.  Das  Solo  tritt  in  diesen  Werken  vielleicht  etwas  starker  hervor  als  in  den  Messen, 
vielfach  erscheint  allerdings  ohne  Kenntnis  des  Textes  eine  Zugehorigkeit  zur  Kirchenmusik 
kaum  kenntlich,  z.  B.  Stabat  mater,  Arie  Nr.  5 : 


Allegro  ma  non  troppo 


Pro  pec-ca-tis       su  -  ae  gen-tls 


f_ f-  f-1 

^-&=3==3=l==i=^^ 

^E^gH-^-I==g^::  '       ' 


Allein,  wie  schon  erwahnt,  die  geistigen  Stromungen  der  damaligen  Zeit  waren  nicht  tiefer 
Mystik  zugewandt;  auch  an  der  Kirchenmusik  ging  die  Auflclarung  nicht  spurlos  voriiber. 

Mozarts  und  Haydns  kirchenmusikalisches  Schaffen  stellt  sich  kompositionstechnisch  als 
die  moglichste  Vereinigung  der  nicht  auf  kirchlichem  Boden  erwachsenen  Instrumentalmusik 


54* 


846  ®ie  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 

und  ihrer  Formen  und  Prinzipien  mit  den  Erfordernissen  der  katholischen  Kirchenmusik 
und  ihrer  Texte  dar.  Auf  der  bis  in  die  Harmoniemesse  Haydns  erkennbaren  Grundlage  der 
osterreichischen  Kirchenmusik  des  17.  Jahrhunderts  bildet  sich  unter  starkster  EinfluBnahme 
autochthoner  Elemente  jene  Durchdringung  venezianisch-romischer  und  neapolitanischer  Stil- 
momente,  die,  in  ihrer  Weiterentwicklung  von  den  Zeitgenossen  a!s  Stile  misto  (gemischter 
Stil)  bezeichnet,  ihre  Vollendung  im  kirchenmusikalischen  Schaffen  der  Wiener  Klassiker 
findet. 

Neben  Haydn  und  Mozart  wirkten  in  der  zweiten  Halfte  aes  1 80  Jahrhunderts  eine  ganze 
Reihe  von  Kiinstlern.auf  kirchenmusikalischem  Gebiete,  deren  Leistungen  —  durch  die  un- 
mittelbare  Nachbarschaft  jener  GroBmeister  verdunkelt  —  far  sich  und  im  Rahmen  der  Ent- 
wicklung  betrachtet,  durchaus  nicht  ohne  Bedeutung  sind.  In  Wien  war  auf  J.  G.  Reutter  als 
Hofkapellmeister  Florian  Gafimann  (1729 — 1774),  ein  Schiller  P.  Martinis,  der  Lehrer 
A.  Saheris,  gefolgt.  In  seinen  Kirchenmusikwerken  —  besonders  im  Requiem  —  zeigt  er 
ziemlich  deutlichen  Einflufi  nach  der  strengeren  Seite  hin.  Hauptsachlich  auf  theoretischem 
Gebiete  und  als  Lehrer  Beethovens  beriihmt  wurde  J.  G.  Albrechtsberger  (1736 — 1809), 
Hoforganist  und  Kapellmeister  an  der  Stephanskirche,  auch  J.  B.  Wanhal  (1739 — 1813)  ist 
hier  zu  nennen,  ebenso  der  Singspielkomponist  K.  Ditters  von  Dittersdorf  (1739 — 1799) 
und  Franz  Tuma  (1704—1774),  ein  Schuler  des  Pragers  Czernohorsky  (1684—1740). 

In  Salzburg  entwickelte  insbesondere  Michael  Haydn  (s.  S.838)  eine  fruchtbare  Tatigkeit  als 
Kirchenkomponist.  Auch  auf  Mozart  war  er  wohl  nicht  ohne  Einflufi.  Andrerseits  wieder  zog 
der  altere  Kiinstler  auch  wieder  Nutzen  aus  dem  Schaffen  des  jungen  Meisters.  Beachtenswert 
sind  bei  M.  Haydns  Kompositionen  die  zahlreichen  Zusammenhange  mit  dem  Gregorianischen 
Choral.  Zwei  seiner  Messen  verwenden  uberhaupt  Kirchentonalitat.  Eine  ,,Missa  in  Dominica 
Palmarum  secundum  cantum  choralem"  (,,Fiir  den  Palmsonntag  gemafi  dem  Choral")  aus 
dem  Jahre  1794  verwendet  die  liturgische  Weise  in  einfacher,  ataktischer,  moderner  Harmoni- 
sierung;  z.  B.: 


Auch  in  taktischer  Rhythmisierung  mit  gelegentlichen  Imitationen  in  den  Unterstimmen 
oder  als  Cantus  firmus  findet  der  Choral  Verwendung.  In  M.  Haydns  Instrumental- 
messen  macht  sich  der  EinfluS  Mozarts  sowohl  in  architektonischer,  wie  auch  in  satz- 
technischer  Hinsicht  geltend.  Insbesondere  in  letzterer  fallt  der  figurative  Charakter  der 
Streicherbegleitungen  auf.  In  der  Thematik  kommt  vielleicht  eine  gewisse  Verwandtschaft 
mit  Jos.  Haydn  zum  Ausdruck.  Wie  die  Architektonik  des  modernen  Themas  in  dieser 
Zeit  herrschend  wird,  zeigt  z.  B.  der  Anfang  des  Credo  aus  der  Missa  Sti.  Francisci  (1803), 
wo  der  harmonisierten  Choralintonation  ein  korrespondierendes  Sequenzglied  angefiigt 
wird: 


Die  kathoiische  Kirchenmusik  seit  1730  647 

Alto. 


Cre  -  do      in       u  -  nurn  De     -     um  Pa  -  trem  om  -  ni  -  po  -  ten 


Die  Zahl  der  Kirchenkompositionen  M.  Haydns  ist  sehr  grofi.  Insbesondere  auf  dem  Gebiete 
der  {Composition  von  MeBeinlagen  (Gradualien,  Offertorien)  ist  er  fur  die  Folgezeit  als  Muster 
angesehen  worden.  Wie  in  friiheren  Jahrhunderten  Isaac  oder  Gallus,  so  versah  auch  er 
systematisch  das  ganze  Kirchenjahr  mit  derartigen  Einlagen,  da  Erzbischof  Hieronymus  die 
bisher  iiblichen,  nichtliturgischen  oder  weltlichen  Tonstiicke,  die  an  ihrer  Stelle  zu  Gehor 
gebracht  wurden,  beseitigt  wissen  wollte.  Diese  MeBeinlagen  schrieb  Haydn  nicht  als  kunst- 
volle  Kompositionen,  wie  z.  B.  die  Missa  Sti.  Francisci  oder  die  far  den  kaiserlichen  Hof  in 
Wien  komponierte  ,, Missa  solemnis  sub  titulo  Stae.  Theresiae"  (,,Theresien-Messe"),  sondern 
als  Gebrauchsmusik  far  das  sonntagliche  Hochamt.  Ihre  Besetzung  ist  in  der  Regel  auch 
moglichst  einfach.  In  der  Regel  wird  der  vierstimmige  Chor  von  2  Geigen  und  Orgel  (vgl.  die 
Besetzung  der  Missae  breves)  begleitet,  mitunter  treten  Trompeten  oder  Horner,  manchmal 
auch  Posaunen  (M.  Haydn  wirkte  ja  in  Salzburg)  hinzu.  Auch  hier  macht  sich  wieder  das 
Formprinzip  der  damaligen  Zeit  geltend,  dem  sich  die  Texte  vielfach  nicht  ungezwungen 
unterordnen  lassen.  Jedenfalls  bedeutet  diese  Tatigkeit  M.  Haydns  einen  wichtigen  refor- 
matorischen  Schritt  im  liturgischen  Sinne  gegen  die  groben  VerstoBe,  die  sich  auf  kirchen- 
musikalischem  Gebiete  in  den  katholischen  Gottesdienst  eingeschlichen  hatten. 

Das  ausgehende  18.  Jahrhundert  brachte  im  Zuge  seiner  allgemeinen  geistigen  Stromungen 
auch  allenthalben,  insbesondere  in  Osterreich,  MaBnahmen  hinsichtlich  der  Gottesdienst- 
ordnung  mit  sich,  die  auf  die  kathoiische  Kirchenmusik  insofern  von  grofier  Bedeutung  waren, 
als  der  Volksgesang  darin  eine  grofie  Rolle  spielt.  Die  liturgische  Sprache  der  katholischen 
Kirche  war  und  ist  bis  heute  die  lateinische.  Im  liturgischen  Gottesdienste,  dem  MeBopfer 
und  dem  Stundengebet,  hat  daher  auch  nur  der  lateinische  Gesang  als  integrierender  Bestandteil 
der  Liturgie  Raum.  Gleichwohl  ist  auch  der  Volksgesang  in  deutscher  Sprache  beim  kathc- 
lischen  Gottesdienste  niemals  iiberhaupt  verboten  gewesen.  Von  alters  her  hatte  er  seine  Stelle 
im  auBerliturgischen  Gottesdienste,  wie :  Wallfahrten,  Prozessionen  usw.  Das  geistliche  Volks- 
lied  Ia6t  sich  bis  in  die  ersten  Zeiten  erhaltener  Denkmaler  abendlandischer  Musik  zuriick- 
verfolgen.  DaB  auch  kunstvollere  mehrstimmige  Gesange  in  der  Volkssprache  in  Gebrauch 
waren,  zeigen  schon  die  vier  Vertonungen  des  ,,Christ  ist  erstanden"  in  den  Trienter  Codices. 
Einen  gewaltigen  Aufschwung  des  katholischen  Kirchenlieds  hatte  die  Reformation  zur  Folge. 
Welchen  EinfluB  die  ganz  neue  liturgische  Stellung  hatte,  die  dem  deutschen  Gemeindegesange 
von  Luther  eingeraumt  wurde,  ist  bekannt ;  nicht  zu  Unrecht  wurde  auf  katholischer  Seite  darauf 
hingewiesen,  dafi  Luthers  Lieder  der  neuen  Lehre  mehr  Seelen  zugefahrt  hatten,  als  die  Schriften 
und  Predigten.  So  ist  es  begreiflich,  daB  auch  in  der  katholischen  Kirche  dem  deutschen 
Kirchenliede  erhohte  Pflege  zuteil  wurde.  Schon  1537  erschien  das  erste  kathoiische  geistliche 
Gesangbuch,  das  ,,New  Gesangbuchlein  Geystlicher  Lieder*',  das  dem  Propst  Michael  Vehe 
zu  danken  ist.  Allein  stets  blieb  der  grundlegende  Unterschied  gewahrt,  dafi  der  deutsche 
Gemeindegesang  im  protestantischen  Gottesdienste  Bestandteil  der  Liturgie  war,  im  katho 
lischen  nicht.  Wenn  er  beim  liturgischen  katholischen  Gottesdienst,  also  z.  B.  wahrend  der 
Messe  ertonte,  geschah  dies  vorerst  bei  der  gelesenen  (stillen)  Messe.  Auch  im  gesungenen 


848  Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1 750 

Amt  fanden  allmahlich  die  deutschen  Kirchenlieder  Eingang.  So  bringt  die  Vorrede  zum 
Mainzer  Cantiial  (1605  bzw.  1627)  eine  ,,Qrdtnung  in  dem  Singampt  zu  halten".  Demnach 
sollen  Introitus,  Kyrie,  Gloria,  die  Kollekten,  die  Epistel,  das  Alleluja  stets  lateinisch  ge- 
sungen  werden.  Zum  Graduale,  Traktus  und  der  Sequenz  wird  deutscher  Gemeindegesang 
zugelassen,  an  hohen  Festen  aber  nur  als  Einschub  neben  den  lateinischen  Vortrag,  ebenso 
beim  Credo.  Vom  Offertorium  bis  zur  Prafation  ist  wieder  deutscher  Gesang  zulassig,  ,,Nach 
der  Eleuation  [Wandlung]  soil  allzeit  ein  Teutsch  Gesang  von  dem  H.  Sacrament  gesungen 
werden**.  Es  driickt  sich  in  dieser  Gesangsordnung  deutlich  die  Tendenz  aus,  dem  Verlangen 
des  Volkes,  auch  beim  MeCopfer  gleichsam  aktiv,  durch  Gesang  mitzuwirken,  einerseks 
entgegenzukommen,  andererseits  aber  an  hohen  Festtagen  die  Liturgie  von  derartigen 
Zutaten  frei  zu  erhalten.  Im  18.  Jahrhundert  ist  ein  weiteres  Vordringen  des  deutschen 
Kirchengesanges  im  katholischen  liturgischen  Gottesdienste  zu  beobachten.  An  vielen  Orten 
wird  der  Figuralgesang  d*irch  den  Volksgesang  verdrangt,  ohne  daB  aber  je  die  Liturgie 
deutsch  wiirde.  Erst  die  Reformbewegung  des  XIX.  Jahrhunderts  brachte  in  dieser  Hin- 
sicht  Abhilfe. 

Die  Weisen  der  in  den  zahlreichen  katholischen  Gesangbiichern  enthaltenen  Lieder  tragen 
durchaus  nicht  einheitlichen  Charakter.  Teilweise  werden  noch  alte  Melodien  aus  dem  Gre- 
gorianischen  Choral,  besonders  Hymnen,  mit  textlicher  Nachdichtung  im  Sinne  des  Hymnus 
oder  auch  mit  ganzlich  verschiedenen  Texten  verwendet,  teils  waren  es  geistliche  Volkslieder 
aus  vorreformatorischer  Zeit,  die  Verwendung  fanden ;  auch  Melodien  aus  protestantischen  Ge 
sangbiichern  wurden  ubernommen.  Weltliche  Volkslieder  mit  geistlicher  Textumdichtung  sind 
zahlreich,  wie  z.  B.  die  Weise  des  ,,Entlaubet  ist  der  Wald"  mit  einem  Texte  ,,Ich  dank*  dir 
HeberHerre"  (im  Rheinfelsischen  Gesangbuch  aus  dem  Jahre  1666).  All  diese  Lieder  sind 
aus  der  Zeit  vor  1600  ubernommen.  Allein  stets  wurden  auch  neue  Melodien  verfafit, 
welche  natiirlich  auch  den  Geist  ihrer  Entstehungszeit  atmen.  Die  Verordnungen  zur 
Vereinfachung  des  Gottesdienstes,  die  gegen  Ende  des  1 8.  Jahrhunderts  allenthalben  (nicht 
nur  in  Wien)  erlassen  wurden,  bezogen  sich  vielfach  auch  auf  die  Kirchenmusik,  indem 
gegeniiber  dem  prunkvollen  Figuralgesang  auf  den  deutschen  Volksgesang  hingewiesen 
und  seine  gesteigerte  Verwendung  angeordnet  wurde.  Wahrend  die  Lieder  fur  die 
verschiedenen  Kirchenzeiten  (Adventslieder,  Fastenlieder,  Osterlieder  usw.)  sowie  Lieder 
zu  Ehren  verschiedener  Heiliger  (Marienlieder,  St.  Josephslieder  u.  dgl.)  seit  jeher  zu 
finden  sind,  bildet  sich  der  Typus  der  deutschen  Mefigesange  ganz  analog  zu  der  Ent- 
wicklung  des  deutschen  Gesanges  in  der  katholischen  Liturgie  erst  allmahlich  aus. 
Schon  das  Munsterische  Gesangbuch  aus  dem  Jahre  1677  gibt  far  die  Messe  an  ver 
schiedenen  Festen  Zusammenstellungen  inhaltlich  passender  Lieder.  Eine  eigentliche 
Singmesse,  d.  h.  speziell  auf  Teile  der  Messe  bezugliche  Gesange  bringt  anscheinend  zuerst 
ein  Paderborner  ,,Christ-Catholisches  Gesang-Buch"  aus  dem  Jahre  1726.  Allerdings  liegt 
hier  nur  textlich  eine  Singmesse  vor,  die  Melodien  werden  anderen,  bekannten  Kirchenliedern 
entlehnt.  Die  bekanntesten  deutschen  SJngmessen  aus  dem  18.  Jahrhundert  sind  nun  die 
mit  dem  Textanfange:  ,,Wir  werfen  uns  darnieder",  die  mit  der  bekannten  Melodic  zuerst 
in  dem  in  Wien  auf  Befehl  Maria  Theresias  1774  gedruckten  Gesangbuche  enthalten  ist 
(den  Text  hat  Baumker  schon  1766  festgestellt)  und  die  M.  Haydns  mit  dem  Textanfange 
,,Hier  liegt  vor  deiner  Majestat".  Auch  der  Text  dieser  Messe  ist  schon  in  einem  Landshuter 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  849 

Gesangbuche  aus  dem  Jahre  1777  nachweisbar,  ebenso  findet  sie  sich  in  einem  Salzburger 
Gesangbuche  aus  dem  Jahre  1781,  dessen  neue  Auflage  1790  Haydn  besorgte.  In  der  Tat 
kann  auch  eine  Verwandtschaft  der  Melodie  Haydns  mit  der  von  N.  Hauner  komponierten 
Weise  des  Salzburger  Gesangbuches  festgestellt  werden.  Den  Text  dieser  Messe  verfafite 
F.  v.  Kohlbrenner  nach  alteren  Vorbildern.  Dafi  die  Melodie  Haydns  nicht  alter  ist  als  die 
Hauners,  ergibt  sich  wohl  aus  der  Tatsache  des  Salzburger  Gesangbuches,  das  andernfalls 
sicher  die  Melodie  des  Salzburger  Kirchenkomponisten  gebracht  hatte.  Haydns  Messe 
enthalt  Gesange  zu  Kyrie,  Gloria,  Evangelium,  Credo,  Offertorium,  Sanctus,  Benedictus, 
Agnus  dei,  Kommunion,  Ite  missa  est.  Es  ist  daher  auch  die  im  liturgischen  Gesang 
dem  Chore  zukommende  Rolle  iiberschritten.  In  spaterer  Zeit  schrieb  noch  Franz  Schubert 
seine  beriihmte  deutsche  Messe:  ,,Wohin  soil  ich  mich  wenden"  im  Jahre  1826  far  die 
Horer  des  Wiener  polytechnischen  Institutes.  Sowohl  Haydns  als  auch  Schubert s  Messe 
sind  urspriinglich  nicht  fur  einstimmigen  Chor  mit  Orgelbegleitung  geschrieben,  sondern  die 
Gesangsbiicher  iibernahmen  blo8  die  Oberstimmen.  Haydns  Messe  diirfte  in  der  Urfassung 
far  2  Singstimmen,  2  Horner  und  Orgel  komponiert  worden  sein,  die  Schuberts  war  far  ge- 
mischten  Chor  mit  Blasern  und  OrgeL  Von  entwicklungsgeschichtlicher  Bedeutung  far  die 
spatere  Kirchenmusik  waren  sie  kaum,  da  im  19.  Jahrhundert  der  deutsche  Kirchengesang 
im  Wesen  keine  weitere  Entwicklung  erfuhr,  wenn  auch  in  den  spateren  Kirchenliedern  sich 
manchmal  in  melodischer  wie  harmonischer  Beziehung  romantische  Emfliisse  geltend  machen. 
Auch  auf  diesem  Gebiete  bedeuteten  die  Erscheinungen  im  weiteren  19.  Jahrhundert  vorerst 
einen  argen  Verfall,  der  wohl  in  der  Hauptsache  mit  dem  Ab  wend  en  von  den  Kirchenliedern 
der  friiheren  Zeit  und  deren  Ersatz  durch  neue  zusammenhing,  die  aber  den  Zusammenhang 
mit  der  kirchlichen  Kunst  von  einst  vollig  verloren  und  groBenteils  Ableger  der  weltlichen 
volksttimlichen  Musik  des  19.  Jahrhunderts  darstellen. 

Am  Eingange  des  19.  Jahrhunderts  steht  vor  allem  das  kirchenmusikalische  Schaffen 
Ludwig  van  Beethovens.  In  dem  Gesamtwerk  seines  kiinstlerischen  Lebens  tritt  die 
Kirchenmusik  allerdings  mehr  in  den  Hintergrund;  dies  mag  wohl  —  abgesehen  von  der  be- 
sonderen  personlichen  Anlage  des  Meisters,  die  ihn  mehr  zur  Instrumentalmusik  neigen  liefi, 
auch  darin  seinen  Grund  haben,  da8  dieser  Kiinstler  keine  feste  Stellung  bekleidete,  die  ihn 
mit  der  Kirchenmusik  uberhaupt,  geschweige  denn  mit  einem  bestimmten  Kirchenchore  in 
enge  Verbindung  gebracht  hatte.  Nur  zwei  Messen  —  vollendet  in  den  Jahren  1 807  und  1 823  — 
sind  hier  zu  verzeichnen.  Wie  sie  zwei  verschiedenen  Perioden  im  Schaffen  Beethovens  an- 
gehoren,  so  Jst  auch  Jhre  Stellung  innerhalb  der  katholischen  Kirchenmusik  eine  verschiedene. 
Bei  beiden  Werken  kam  ein  Anstofi  von  auBen  hinzu,  um  ihr  Entstehen  zu  bewirken.  Die 
C-Dur-Messe  (op.  86)  schrieb  Beethoven  far  die  Feier  des  Namensfestes  der  Fiirstin  Esterhazy 
in  Eisenstadt,  also  far  die  gleiche  Gelegenheit,  far  die  Haydn  so  manche  seiner  groBen  Messen 
schrieb.  In  einem  Briefe  an  Breitkopf  und  Hartel  vom  8.  Juni  [1808]  schreibt  Beethoven:  ,,Von 
meiner  Messe,  wie  uberhaupt  von  mir  selbst  sage  ich  nicht  gerne  etwas,  doch  glaube  ich,  daB 
ich  den  Text  behandelt  habe,  wie  er  noch  wenig  behandelt  worden  ist .  . ." ;  einen  Einwand 
des  Verlegers,  ,,man  fragt  nicht  nach  Kirchensachen",  beantwortet  er  mit  den  Worten:  ,,Sie 
haben  recht,  wenn  sie  bloB  von  Generalbassisten  herriihren,  aber  lassen  sie  die  Messe  einmal 
zu  Leipzig  im  Konzert  auffahren  und  sehen  Sie,  ob  sich  nicht  gleich  Liebhaber  dazu  finden 
werden  .  . .'"  Auch  mit  einer  Herausgabe  mit  deutschem  Text  erklart  er  sich  einverstanden. 


850  C^e  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 

Damit  deutet  Beethoven  selbst  seine  Stellung  als  Kirchenkomponist  an.  Die  Entwicklung 
bewegt  sich  innerhalb  der  MeBkomposition  bei  Beethoven  nicht  so  sehr  in  formal-architek- 
tonischer  Richtung,  sondern  vielmehr  in  inhaltlicher.  Beethoven  war  ein  Kind  der  Zeit  der 
geistigen  Umwalzungen,  die  in  der  franzosischen  Revolution  ihren  explosiven  Ausdruck  ge- 
funden  hatten.  Sein  Streben  nach  idealer  Freiheit  macht  sich  auch  in  seinen  kirchen- 
musikalischen  Werken  geltend;  man  kann  vielleicht  nicht  so  sehr  von  einer  iiberkonfessio- 
nellen  Geistesrichtung  Beethovens,  als  vielmehr  von  einer  Befreiung  im  Rahmen  der  katho- 
lischen  Religion  sprechen.  Das  Geltendmachen  der  Eigenpersonlichkeit  innerhalb  ^es 
gegebenen  Rahmens  kennzeichnet  das  kirchenmusikalische  Schaffen  Beethovens. 

Von  den  beiden  Messen  Beethovens  halt  sich  architektonisch  insbesondere  die  erste  im  rier- 
gebrachten.  Und  zwar  ist  es  weit  mehr  der  Stil  Haydns  als  der  Mozarts,  der  hier  seine  Aus- 
wirkung  zeigt,  eine  Erscheinung,  die  mit  der  allgemeinen  Entwicklung  in  Beethovens  Schaffen 
wohl  ubereinstimmt.  Der  kompositionstechnische  Fortschritt  liegt  hier  ebenso  wie  in  der 
profanen  Musik  Beethovens  in  der  volligen  Ausbildung  zweier  von  G.  Adler  in  den  Vorder- 
grund  gestellter  Momente:  der  durchbrochenen  Arbeit  und  des  obligaten  Akkompagnements. 
Nicht  die  melodische  Funning  innerhalb  einer  Stimme  ist  das  mafigebende,  sondern  die  bei 
der  Auffassung  des  gesamten  Klangkorpers  als  eines  einheitlichen  Ganzen  durch  die  ver- 
schiedenen  Stimmen  und  damit  durch  die  verschiedenen  Klangfarben  und  Hohenlagen  sich 
bewegende,  fuhrende  melodische  Linie. 

Auch  das  zweite  kompositionstechnische  Kennzeichen  Beethovenscher  Eigenart,  das  zur  vollen 
Ausbildung  gebrachte  ,,obligate  Accompagnement",  das  Durchsetzen  der  Begleitung  mit 
motivischem  Gehalt  trotz  des  in  dem  Sinne  homophonen  Satzes,  dafi  eine  sich  durchziehende 
melodische  Linie  herrscht,  kommt  in  diesem  Werke  zum  Ausdruck.  Allerdings,  mehr  Ge- 
legenheit,  diese  neuen  Prinzipien  vollig  zur  Geltung  zu  bringen,  bot  sich  Beethoven  in  seinen 
instrumentalen  Werken,  die  weit  mehr  als  die  Messen  einen  entwicklungsgeschichtlichen 
Fortschritt  bedeuten.  Eines  der  Hauptprobleme  der  katholischen  Kirchenmusik  seit  1600, 
das  Verhaltnis  zwischen  Vokal-  und  Instrumentalkorper,  erfahrt  bei  Beethoven  seine  Fort- 
bildung  und  Ausgestaltung  in  der  Richtung  einer  immer  starkeren  Vereinheitlichung  des 
gesamten  Klangkorpers.  Von  einer  Kontraststellung  der  beiden  Klanggruppen  kann  nicht 
mehr  gesprochen  werden.  Innerhalb  des  vokalen  Korpers  bringt  das  Verhaltnis  von  Solo 
und  Tutti  nichts,  was  in  besonderem  Mafie  von  der  durch  Haydns  Messen  vertretenen  Tra 
dition  abwiche.  Wenn  Beethoven  auf  seine  besondere  Behandlung  des  Textes  hinweist,  so 
ist  damit  wohl  vor  allem  der  innere  Vorgang  eines  Strebens  gemeint,  dem  jeweiligen  Texte 
Jnhaltlich  moglichst  pragnant  Ausdruck  zu  geben.  Allein  die  Durchfiihrung  dieser  Absicht 
aufiert  sich  auch  in  aufierlichen,  kompositionstechnischen  Momenten.  So  ist  z.  B.  ein  Zuriick- 
treten  der  achttaktigen  Periodenbildung  festzustellen,  zweifellos  durch  den  Text  bedingte 
Erweiterungen,  auch  originar  schon  aus  diesem  Schema  fallende  Bildungen  treten  auf.  Wenn 
auch  vielfach  die  modulatorischen  Zielpunkte  und  tonartlichen  Beziehungen  der  einzelnen 
Teile  die  traditionellen  sind,  wird  der  harmonische  Bogen  weiter  gespannt.  Die  rnannig- 
fachsten,  schon  aus  der  Instrumentalmusik  Beethovens  bekannten  Eigentiimlichkeiten  er- 
fahren  textlich  sinngemaCe  Anwendung. 

Beethoven  selbst  weist  in  dem  erwahnten  Briefe  an  Breitkopf  und  Hartel  auf  eine  Konzert- 
auffuhrung  der  Messe  hin.   Dies  deutet  auf  eine  Stellung  des  Kiinstlers  zur  Messe  als  einem 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  851 

Bestandteil  cler  katholischen  Liturgie  hin,  die  vielleicht  nicht  unwesentlich  von  der  Haydns 
und  Mozarts  atweicht.  Wohl  schuf  Beethoven  seine  Messen  fiir  den  liturgischen  Gebrauch 
bei  einer  besummten  festlichen  Gelegenheit,  allein  sie  sind  wohl  kaurn  als  liturgische  Kunst- 
werke  gedack,  sondern  als  geistliche  Kompositionen  liber  den  Text  der  katholischen  Mefi- 
liturgie.  Die  Frage  ihrer  Eignung  far  liturgische  Zwecke  ist  hiervon  zu  trennen  und  dem 
Inhalte  der  Werke,  der  Gesinnung  nach,  die  in  ihnen  zum  Ausdrucke  kommt,  zweifellos  zu 
bejahen.  Es  ist  ihnen  allerdings  die  subjektive  Note  eigen,  die  Beethoven  in  all  seinen 
spateren  Werken  zeigt.  Nimmt  man  den  Gregorianischen  Choral  als  Vorbild  der  katho 
lischen  Kirchenmusik,  so  bildet  der  Subjektivismus  allerdings  ein  wesensfremdes  Moment, 
allein  der  ernste  Kiinstler  des  19.  Jahrhunderts  kann  nicht  von  sich  selbst  abstrahieren, 
jedes  seiner  Werke  wird  deutlich  eine  Seite  seines  inneren  Ichs  widerspiegeln  und  es  ist  — 
abgesehen  von  der  Wahrung  des  allgemein  kirchlichen  Charakters  —  fur  die  katholische 
Kirchenmusik  dieser  Zeit  die  Frage  entscheidend,  inwiefern  die  subjektive  Auffassung  des 
Kiinstlers  in  der  Komposition  liturgischer  Texte  mit  der  dogmatisch-katholischen  iiberein- 
stimmt.  Und  in  dieser  Hinsicht  kann  wohl  von  einem  Widerspruch  auch  bei  der  Missa  solemnis 
nicht  gesprochen  werden.  Ob  Beethoven  das  Werk  aus  tiefstem  katholischen  Glauben  heraus 
schrieb,  welche  Stellung  er  zum  Dogmengebaude  der  romischen^  Kirche  einnahm,  ist  nicht 
exakt  nachweisbar.  Allein  folgt  man  auch  der  allgemeinen,  wohl  zutreffenden  Ansicht,  dafi 
ihn  nicht  so  sehr  dogmatische  Probleme,  sondern  weit  mehr  ethische  beschaftigten  und  er 
von  einem  rnehr  allgemein  religios  orientierten  Standpunkte  aus  die  grofie  Messe  schuf,  so 
zeigt  gerade  dieses  Werk  im  Vergleiche  zu  den  gleichzeitigen  Machwerken  anderer,  vielleicht 
weit  strenger  glaubiger  Komponisten,  wie  Beethoven,  auf  freierer  Grundlage  bauend, 
dem  geistigen  Gehalte  des  Messetextes  tiefsten  Ausdruck  zu  geben  vermochte.  Die 
Einfugung  der  Interjektion  vor  ,,miserere"  im  Gloria  bedeutet  vielleicht  ein  Uberschreiten 
der  Grenzen,  die  in  der  katholischen  Kirchenmusik  nach  dem  autoritativen  Wunsche 
Roms  durch  die  gebotene  Zuriickhaltung  gezogen  sind.  Ebenso  etwa  auch  die  Komposition 
des  3.  ,,Agnus  dei",  dem  die  Bitte  um  Frieden  folgt:  Es  wird  pp  durch  (gleichsam  aus  der 
Feme  ertonende)  kriegerische  Klange  eingeleitet  und  im  Rezitativ  in  dramatischer  Steigerung 
vorgetragen. 

In  formaler  Hinsicht  fallt  die  Komposition  der  Wandlungsmusik  auf,  die  vom  Sanctus  zum 
Benedictus  iiberleitet.  Darin  liegt  durchaus  nichts  Unliturgisches,  es  ist  im  Gegenteil  in  der 
katholischen  Liturgie  wahrend  der  Wandlung  leises  Orgelspiel  vorgesehen  (Beethoven  ver- 
wendet  auBer  der  Orgel  tiefe  Streicher,  Fagott  und  tiefgesetzte  Floten).  Die  Fugen  stehen 
auch  bei  Beethoven  an  den  iiblichen  Stellen,  sie  reichen  —  wie  iiberhaupt  alle  Teile  der  Missa 
solemnis  —  weit  iiber  den  bisher  iiblichen  Rahmen  hinaus.  Wenn  man  auch  auBerhalb  dieser 
speziellen  Abschnitte  von  einem  eigentlich  kontrapunktischen  Satze  nicht  sprechen  kann, 
tritt  doch  die  Homophonie  im  Sinne  syrrhythmischer  Begleitung  einer  Melodic  im  Chorsatz 
vollig  in  den  Hintergrund.  Das  ,,obligate  Accompagnement",  die  Durchsetzung  aller  Stimmen 
mit  motivischem  Gehalt  trotz  Vorherrschens  einer  Stimms,  ist  zur  vollsten  Ausbildung  gelangt. 
Wenn  syrrhythmischer  Chorsatz  eintritt,  so  dient  er  gewohnlich  besonderen  Ausdrucks- 
zwecken,  sei  es,  daB  es  von  leidenschaftlichem  Affekt  erfullte  Stellen  sind,  wie  die  Exkla- 
mationen,  sei  es,  daB  es  sich  um  ruhige  Textdeklamation  handelt.  Die  Abkehr  Beethovens 
von  der  im  galanten  Stil  noch  in  starker  Bliite  befindlichen  aufierlich  kolor^itiven  Fiihrung 


oc  2  Die  katKolische  Kirchenmusik  seit  1 750 

der  Solostimmen  kommt  auch  in  der  Missa  solemms  zur  vollen  Auswlrkung.   Lediglich 
Fugenthemen  zeigen  noch  das  alte  figurative  Geprage. 

Die  vokale  Kolorierung  bei  Beethoven  scheint  fast  nicht  so  sehr  melodischen,  als  vielmehr 
rhythmischen  Untergrund  zu  haben.  Und  dieses  Hintanstellen  der  stimmlichen  Glanzmittel 
und  vollige  Hervorkehren  des  musikalischen  Ausdrucks moment es  diirfte  auch  zu  dem  Vor- 
wurf  der  Unsanglichkeit  des  Beethovenschen  Vokalsatzes  verleitet  haben;  die  Singstimme 
wird  aber  nicht  so  sehr  im  technischen  Sinne,  als  vielmehr  in  inhaltlicher  Beziehung 
als  Instrument  behandelt,  das  dem  iibergeordneten  Zwecke  des  kiinstlerischen  Ausdrucks 

dienen  muB. 

Die  Orchesterbehandlung  weist  gegeniiber  der  friiheren  Mefikomposition  ganz  ahnliche 
Unterschiede  auf,  wie  die  Instrumentalmusik  Beethovens  im  Vergleiche  mit  den  Werken 
seiner  Vorganger.  Die  Instrumente  werden  individual!  behandelt,  wozu  auch  die  typische 
motivische  Arbeitsweise  Beethovens  in  starkstem  Mafie  beitragt.  Akzessorische  Verwendung  ist 
in  den  Fugen  die  RegeL  Im  iibrigen  ist  das  Vorherrschen  des  Chores  festzustellen  —  Beethoven 
selbst  schreibt  an  Zelter:  ,,Es  diirfte  wenig  fehlen,  dafi  es  (das  Werk)  nicht  beinahe  durch  die 
Stimmen  allein  ausgefiihrt  werden  kann;  je  mehr  verdoppelter  und  vervielfaltigt  selbe  aber 
mit  Vereinigung  der  Instrumente  sind,  desto  geltender  diirfte  die  Wirkung  sein"  — ,  das  Or- 
chester  tritt  aufier  den  instrumental  Vor-  und  Zwischenspielen,  die  aber,  abgesehen  von  der 
Wandlungsmusik,  stets  in  architektonischem  und  motivischem  organischen  Zusammenhang 
mit  dem  vokalen  Teile  stehen,  in  mannigfachster  Art  zu  den  Singstimmen  hinzu,  akkordische 
Begleitung,  akzessorische  Verstarkung  und  gegenmotivische  Bereicherung  des  Chores  finden 
sich  einzeln  und  auch  gleichzeitig  vereinigt. 

Mit  Beethovens  Missa  solemnis  war  die  katholische  Mefikomposition  ebenso  wie  mit  seinem 
spaten  symphonischen  Schaffen  die  Symphonic  an  einem  Punkte  angelangt,  iiber  den  es  fur 
iange  Zeit  kein  Hinaus  gab.  Wie  die  zeitgenossische  und  unmittelbar  folgende  Zeit  auf  dem 
Gebiete  der  Kirchenmusik  zeigt,  war  Beethoven  auch  hier  seiner  Zeit  weit  vorangeeilt  und 
ein  Menschenalter  mufite  vergehen,  bis  derVorsprung  auch  nur  einigermafien  eingeholt  war. 

In  die  gleiche  Zeit  fallt  das  Wirken  Franz  Schuberts  (1797—1828).  Seine  kirchen- 
musikalischen  Werke  weisen  mancherlei  Beriihrungspunkte  mit  der  MeBkomposition 
Beethovens  auf,  in  mancher  Hmsicht  machen  sich  wieder  Gegensatze  geltend.  Wie  schon 
das  jugendliche  Alter  Sckuberts  erklarlich  macht,  sind  es  nicht  die  metaphysischen  Pro- 
bleme  des  liturgischen  Messetextes,  die  den  Kiinstler  vorerst  beschaftigen ;  aus  schlichtem, 
katholisch-glaubigen  Empfinden  heraus  schreibt  er  diese  Messen  zur  Verschonerung  des 
Gottesdienstes,  zum  groBen  Teil  durchaus  in  der  iiblichen  Praxis  wurzelnd,  vielfach  fur 
einen  bestimmten  Kirchenchor  und  seine  beschrankten  Mittel.  Deutlich  zeigt  sich,  wie  die 
Wurzeln  bei  Beethoven  und  Schubert  vollig  verschieden  sind.  Schuberts  Messen  wachsen 
aus  dem  allgemeinen,  volkstumlichen  Empfinden  des  Wiener  Bodens  heraus,  das  die  Kraft 
seines  Kiinstlertums  zu  einer  nach  ihm  vielleicht  nicht  wieder  erreichten  Hohe  emporhob; 
bei  Beethoven  tritt  der  in  der  Wiener  Tradition  gelegene  volkstiimliche  Zug  erst  im  Verlaufe 
des  kiinstlerischen  Schaffens  als  wesentlicher  Bostandteil  zu  den  vorhandenen  andersartigen 
Grundlagen  hinzu.  Schuberts  friihe  Messen  sind  auch  ihrer  Besetzung  nach  durchaus  Ge- 
brauchsmessen,  die  2.  und  4.  erfordern  an  orchestralem  Apparat  nur  Streicher,  die  1 .  und  3. 
sind  zwar  Missae  solemnes  (bei  der  3.  sind  auBer  Streichern  2  Oboen,  2  Fagotte,  2  Trompeten. 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  853 

Pauken  verwendet,  bei  der  1.  noch  2  Klarinetten,  statt  der  Trompeten  Horner,  die  Pauken 
fallen  weg),  allein  auch  diese  Messen  sind  aus  dem  Gefiihle  der  Gemeinden  in  den  Vorstadt- 
kirchen  heraus  geschrieben,  die  ein  Fest  ihrer  Pfarrkirche  —  die  1 .  Messe  Schuberts  ist  zum 
lOOjahrigen  Jubilaum  der  Lichtenthaler  Kirche  geschrieben  —  als  Familienfest  betrachten. 
Wenn  sich  diese  Messen  auch  durchaus  in  traditionellen  Bahnen  bewegen,  hebt  sie  doch  schon 
•  die  edle  Melodik,  die  Schuberts  Schaffen  iiberhaupt  eigen  ist,  weit  iiber  gleichzeitige  Werke 
anderer  Komponisten.  Der  lyrische  Grundzug  in  Schuberts  Wesen  macht  sich  in  ihnen 
sehr  stark  geltend.  Auch  in  harmonischer  Hinsicht  kiindigt  sich  der  spatere  Meister  an,  so 
z.  B.  wenn  in  der  SchluBfuge  des  Gloria  der  B-Dur-Messe  der  Orgelpunkt  auf  der  Dominante 
durch  eine  Ausweichung  nach  Ges-Dur  unterbrochen  wird.  In  formaler  Hinsicht  zeigen  diese 
Werke  vielfach  den  Mangel  an  Straffheit,  der  fur  Schuberts  friihe  Kompositionen  iiberhaupt 
kennzeichnend  ist. 

Wie  auf  den  andern  Gebieten  seines  Schaffens  erhob  sich  Schubert  auch  in  der  Mefikom- 
position  zu  un^eahnter  Hohe  in  seinen  beiden  Meistermessen  in  As-Dur  (1819 — 1822)  und 
Es-Dur  (1828).  Der  beengte  Standpunkt  der  Komposition  fiir  einen  bestimmten  Chor  und  die 
dort  verfiigbaren  Mittel  ist  verlassen.  Beide  Werke  erfordern  das  voile  klassische  Orchester 
mit  Posaunen,  die  Es-Dur-Messe  verzichtet  sogar  auf  das  traditionellste  kirchenmusikalische 
Instrument,  die  Orgel  Das  Verhaltnis  von  Singstimmen  und  Orchester  und  die  Behandlung 
der  einzelnen  Instrumente  zeigen  deutlich  die  Gleichzeitigkeit  von  Schuberts  Wirken  mit  dem 
Beethovens;  der  im  allgemeinen  Vergleich  der  Werke  dieser  beiden  Meister  zutage  tretende 
Unterschied  in  den  konstruktiven  Elementen  macht  sich  auch  hier  geltend.  Wahrend  bei 
Beethoven  immer  starker  das  Motiv  zur  Keimzelle  wird,  bleibt  sie  bei  Schubert  eine  melodische 
Phrase,  die  aber,  ahnlich  wie  das  Motiv  bei  Beethoven,  in  ihrer  Veranderung,  melodischen  und 
harmonischen  Umformung  den  Aufbau  des  Ganzen  bewirkt.  Gegeniiber  friiheren  Zeiten 
wird  aber  insbesondere  in  diesen  Messen  Schuberts  von  der  Aneinanderreihung  melodischer 
Gebilde,  gleichsam  von  der  blofien  Durchkomposition  zur  konstruktiven  Verarbeitung  iiber- 
gegangen.  Damit  hangt  eine  ziemlich  freie  —  liturgisch  wohl  unstatthafte  —  Behandlung 
des  Textes  zusammen.  Merkwiirdig  ist,  daB  in  samtlichen  Credos  bei  Schubert  der  Glaubens- 
artikel  fehlt,  der  sich  auf  die  Kirche  bezieht  (,,Et  unam  sanctam  catholicam  at  apostolicam 
ecclesiam").  Viele  textliche  Freiheiten  haben  in  der  musikalischen  Architektonik  ihren  Grund, 
oft  sind  sie  auch  dem  Sinne  nach  zu  rechtfertigen;  so  z.  B.  wenn  Schubert  im  Gloria  am 
Schlusse  des  ersten  Hauptteils  (der  zweite  beginnt  mit  dem  ,,Gratias")  das  ,,Gloria  in  excelsis 
Deo*'  wiederholt,  Beachtenswert  ist  das  gleichsam  psalmodische  Prinzip,  das  Schubert  in  den 
zwei  grofien  Messen  beim  Credo  anwendet:  Die  Wiederholung  des  Wortes  Credo  vor  jedem 
Glaubensartikel  wurde  schon  wiederholt  (Haydn,  Mozart)  festgestellt.  Schubert  geht  noch 
dariiber  hinaus ,  indem  er  dem  einzelnen  Glaubenssatz  auch  die  gleiche  Melodie  —  in  ver- 
schiedenartiger  kompositionstechnischer  Behandlung  —  zuweist.  Die  hier  dem  Choreinsatz 
vorangestellten  instrumentalen,  dem  Anfange  des  Themas  entnommenen  Takte,  welche  leit- 
motivisch  sich  durch  den  ganzen  Satz  hinziehen,  zeigen,  wie  eine  Akkordfolge  als  Klang- 
komplex  motivische  Bedeutung  erhalt. 

Diese  Verselbstandigung  von  Klangen,  wie  iiberhaupt  die  Auswertung  harmonischer  Er- 
scheinungen  gehort  zu  den  kompositionstechnischen  Eigentiimlichkeiten,  die  Schubert  als 
Romantiker  kennzeichnen;  man  beachte  auch  den  Anfang  des  Sanctus  aus  derselben  Messe: 


854 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 


Adagio 


ff 


San    -    ctus 


San 


ctus 


ff 

San 


Aufier  den  Messen  schrieb  Schubert  noch  eine  Reihe  von  kirchlichen  Tonwerken  (Offer- 
torien,  Salve  regina,  Stabat  mater,  Magnifikat,  Tantum  ergo),  die  innerhalb  des  Schaffens 
Franz  Schuberts  und  absolut  betrachtet  von  grofiem  Werte,  entwicklungsgeschichtlich  aber 
nicht  so  bedeutsam  sind;  stilistisch  zeigen  sie  die  gleichen  Eigentiimlichkeiten  wie  die 
Messen.  Die  Psalmkompositionen  Schuberts,  wie  der  23.  Psalm  fur  Frauenstimmen  mit 
Klavierbegleitung,  stellen  sich  schon  durch  die  Besetzung  als  religiose,  nicht  aber  als  Kirchen 
musik  dar.  Den  92.  Psalm  fur  4  Singstimmen  und  Baritonsolo  schrieb  er  fur  die  Wiener 
israelitische  Kultusgemeinde. 

Auch  Schuberts  Spatmessen  sprengen  vielfach  den  liturgischen  Rahmen ;  sie  sind,  wie  Beet- 
hovens  Missa  solemnis,  nicht  als  Gebrauchsmessen,  sondern  als  typische  Festmessen  zu  be- 
trachten.  Auch  sie  fanden  keine  Nachfolge  bis  Bruckner.  In  dem  am  Anfange  des  19.  Jahr- 
hunderts  festzustellenden  Hohepunkt  bilden  sie  den  Gegenpol  zu  den  Messen  Beethovens  in 
ihrer,  wie  der  Ablauf  des  19.  Jahrhunderts  zeigt,  in  anderem  Sinne  zukunftweisenden  Hal- 
tung.  Das  melodisch-harmonische  Moment  Schuberts  mufite  mit  dem  motivisch-rhythmischen 
Beethovens  vereinigt  werden,  um  in  der  Zukunft  den  weiteren  entwicklungsgeschichtlichen 
Fortschritt  auf  dem  Gebiete  der  Mefikomposition  zu  ermoglichen.  Die  verschiedenartigen  kom- 
positionstechnischen  Konstruktionsprinzipien  dieser  beiden  Meister  zu  einer  hoheren  Einheit 
zusammenzufassen,  blieb  einer  spateren  Zeit  vorbehalten. 

Neben  diesen  beiden  Grofimeistern  wirkte  in  Wien  eine  grofie  Zahl  von  Komponisten  auf 
dem  Gebiete  der  Kirchenmusik,  die  mit  wenigen  Ausnahmen  einerseits  in  ausgefahrenen 
Geleisen  sich  bewegten,  andererseits  auch  nicht  die  Kraft  hatten,  die  traditionellen  Formen 
und  Formeln  mit  lebendigem  Geiste  zu  erfiillen.  Die  erhohte  Pflege  der  Kirchenmusik  war 
mit  einer  Steigerung  der  Produktion  verbunden,  die  aber  ein  starkes  Herabsinken  des  kunstle- 
rischen  Niveaus  mit  sich  brachte.  Die  nachklassische  Zeit  bedeutet  einen  Niedergang,  eine 
vollige  Verflachung  der  katholischen  Kirchenmusik,  deren  Spuren  sich  durch  das  ganze  Jahr- 
hundert  hinziehen  und  erst  in  jiingster  Zeit  zu  verschwinden  scheinen.  Nicht  nur  die  meisten 
Komponisten,  auch  jeder  Chorregent  irgendeiner  Kirche  war  oder  fiihlte  sich  verpflichtet, 
zum  Repertoire  seines  Chores  auf  kirchenmusikalischem  Gebiete  beizusteuern,  und  die  Ruhe- 
pause  des  musikalischen  Nahrbodens  Wiens  von  ungefahr  1 830 — 1860  brachte  es  mit  sich,  dafi 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  §55 

diese  Kirchenmusik  mangels  gleichzeitiger  hochwertiger  Produktion  starkste  Verbreitung  fand 
und  sich  far  lange  Zeit  hinaus  einwurzelte.  Melodisch  und  harmonisch  machten  sich  Platt- 
heiten  in  argstem  Mafie  geltend,  von  einer  Vertiefung  in  den  Inhalt  der  Textworte  war  keine 
Rede  mehr.  Schon  die  Zahl  der  Mefikompositionen  eines  Komponisten,  die  wiederholt  100 
uberschritt,  laBt  mit  Recht  auf  die  Qualitat  dieser  Dutzendwerke  schlieBen.  Gewifi  waren 
nicht  alle  Komponisten  und  auch  nicht  alle  Werke  eines  Komponisten  gleich  tiefstehend, 
allein  das  traurige  Gesamtbild  dieser  Art  tritt  durch  einige  Ausnahmen  nur  um  so  krasser 
zutage. 

Als  Auslaufer  der  Neapolitaner  wirkte  auf  dem  Gebiete  der  Kirchenmusik  in  Wien  der 
Italiener  Antonio  Salieri  (1750—1825),  ein  Schuler  GaBmanns,  der  zweite  Nachfolger 
seines  Lehrers  als  Hofkapellmeister.  Wie  seine  zahlreichen  Biihnenwerke,  tragen  auch  seine 
Kirchenwerke  den  Stempel  einer  bedeutsamen,  kiinstlerischen  Personlichkeit,  die  durchaus 
in  der  Kunst  des  spaten  18.  Jahrhunderts  wurzelt.  Aus  der  iibergroBen  Zahl  von  Namen,  die 
nunmehr  begegnen,  seien  nur  die  wichtigsten  angefiihrt:  Abb  e  Max  Stadler  (1748—1833), 
Abbe  Vogler  (1749 — 1814),  vielleicht  auf  kirchenmusikalischem  Gebiete  am  meisten  durch 
seine  ,,Pastoralmesse"  bekannt  (dieser  Typus  von  Messen  sucht  der  Weihnachtsstimmung, 
dem  Hirten-  und  jubilierenden  Engelmilieu  Ausdruck  zu  geben),  Jos.  Preindl  (1756 — 1823), 
der  Wiener  Hofkapellmeister  J.  Eybler  (1766—1845),  W.  Tomaschek  (1774—1850)  in  Prag, 
Ign.  R.  v.  Seyfried  (1776—1841),  J.  B.  Gansbacher,  Domkapellmeister  zu  St.  Stephan 
(1778—1844),  S.  Neukomm  (1778—1858),  J.  N.  Hummel  (1778—1837),  J.  B.  Schieder- 
mayr  (1779—1840),  Domkapellmeister  in  Linz,  A.  Diabelli,  auch  als  Wiener  Musikverleger 
bekannt  (1781 — 1858),  diese  beiden  in  ihren  meisten  Werken  Musterbeispiele  far  den  Tief- 
stand  der  katholischen  Kirchenmusik,  J.  Drechsler  (1782 — 1852),  J.  Assrnayer,  Hof- 
organist  und  2.  Hofkapellmeister  (1790 — 1862),  Ferd.  Schubert,  der  Bruder  des  Meisters 
(1794—1859),  Andreas  Bibl  (1794—1878),  Simon  Sechter,  der  beriihmte  Theoretiker, 
bekannt  durch  seine  ,,Landmessen"  (1788 — 1867). 

Von  auBerdeutschen  Kiinstlern  steht  der  Wahlfranzose  Luigi  Cherubini  (1760 — 1842) 
durch  seine  Kirchenwerke  (1 1  Messen,  2  Requiem,  mehrere  Litaneien  u.  dgl.,  eine  groBe 
Anzahl  von  Motetten  usw.)  in  erster  Reihe.  Insbesondere  seine  D-Moll-Messe  (1821)  gehort 
zu  den  wertvollsten  Schopfungen  Jhrer  Zeit.  Von  franzosischen  und  belgischen  Namen  der 
Folgezeit  seien  noch  erwahnt:  J.  F.  Le  Sueur  (1760—1837),  E.  N.  M^hul  (1763—1817), 
Ch.  Hanssens  (1777—1852),  A.  Thomas  (1811—1896),  Ch.  Gounod  (1818—1893), 
C.  Saint-Saens  (1835—1921),  C.  Franck  (1822—1890),  F.  Guilmant  (1837—1911), 
V.  d'Indy(geb.l851),  E.  Tinel  (1854-1912). 

Ein  bedeutsames  Zentrum  kathohscher  Kirchenmusik  war  um  diese  Zeit  auch  Munchen. 
Dort  wirkten  insbesondere  P.  Winter  (1754—1825),  J.  C.Ai b linger  (1779— 1867),  Kaspar 
Ett  (1788 — 1847),  Hoforganist  an  der  Michaelkirche,  einer  der  Vorlaufer  des  weiter  unten  zu 
erwahnenden  Cacilianismus,  der  nicht  nur  durch  seine  Bemiihungen  zur  Wiederbelebung 
der  Musik  des  1 6.  Jahrhunderts,  sondern  auch  durch  seine  eigenen  wertvollen  Kompositionen 
in  einer  dem  alten  Stil  nachstrebenden  Schreibweise  weitgehenden  EinfluB  erlangte;  ferner 
sein  Schiiler  Karl  Greith  (1828—1 887),  K.Struntz,  ein  Schuler  P.  Winters  (1793— 1859), 
Franz  Lachner  (1803 — 1 890) ;  als  Auslaufer  dieser  Miinchner  Sdhule  ist  Josef  Rheinberger 
(1839 — 1901),  ein  Schuler  Lachners,  anzusehen.  Seine  Werke  zeichnen  sich  durch  hohe, 


oc/  Die  kathoHsche  Kirchenmusik  seit  1750 

dabei  voilig  ungezwungen  gehandhabte  kontrapunktische  Kunst  aus,  die  mit  einer  von  slid- 
deutscher  Eigenart  bestimmten  gerundeten  Melodiefiihrung  vereinigt  wird.  Er  kniipft  m 
seiriem  Schaffen  an  den  mittleren  Beethoven  und  an  Franz  Schubert  an  und  empfangt  nach- 
haltige  Eindriicke  von  Mendelssohn,  wahrend  Schumanns  Stil  ihm  ferner  steht.  Der  tiefe 
Stimmungsgehalt  seiner  Werke  findet  nicht  in  der  Wiedergabe  irgendwelcher  extremer  Ge- 
fiihle  Ausdruck,  sondern  vielmehr  in  einer  Vertieiung  auf  der  mittleren  Linie.  In  seinem 
Schiller  Josef  Renner  (geb.  1868)  (and  die  in  Rheinberger  verkorperte  Miinchner  Tradition 
einen  neuen  Vertreter. 

Auch  die  grofien  deutschen  Romantiker  beschaftigten  sich  mit  katholischer  Kirchenmusik.  So 
schriebC.  M.v.Weber  (1786— 1826)  aufier  einer  friihenMesse  zweJMessen  fur  dieDresdener 
Hofkirche;auch  von  Robert  SchumannbesitzenwireineMesse  und ein Requiem,  zudenen  der 
Kiinstler  durch  das  katholische  Leben  mDiisseldorf  angeregt  wurde.  Alleinbei  diesen  Werken 
Schumanns,  des  Protestanten,  handelt  es  sich  nicht  mehreigentlichumkatholische Kirchenmusik. 
Es  sind  religiose  Kompositionen  iiber  den  katholischen  liturgischen  Messetext,  die  aus  dem 
durch  die  Romantik  neu  belebten  und  vertieften  allgemeinen  religiosen  Empfinden  erwuchsen. 
Von  den  deutschen  Kirchenkomponisten  mehr  oder  weniger  traditionalistischer  Richtung 
seien  noch  erwahnt:  B.  Randhartinger,  der  Nachfolger  Assmayers  als  Wiener  Hofkapell- 
meister  (1802— 1893),  R.  Fiihrer  (1807—1861),  der  inPrag  und  Wien  wirkte,  der  Domkapell- 
meister  zu  St.  Stephan  G.  Preyer  (1807—1901),  der  Wiener  Hoforganist  L.  Rotter  (1810 
bis  1895),  F.  Krenn  (1816—1897),  M.  Brosig  (1815—1887),  der  Augsburger  Domkapell- 
meister  K.  Kempter  (1819—1871),  bekannt  durch  seine  ,,Landmessen",  der  Wiener  Hof- 
kapellmeister  R.  Bibl  (1832—1902),  der  bedeutsame  J.  E.  Habert  (1833—1896),  einer  der 
Hauptgegner  der  weiter  unten  zu  erwahnenden  Cacilianer,  endlich  E.  Stehle,  Domkapell- 
meister  in  St.  Gallen  (1839-1915),  Max  Filke  (1855-1911). 

Hinsichtlich  Ausdehnung  und  Heranziehung  grofierer  Klangmittel  wird  Beethovens  Missa 
solemnis  weitaus  von  dem  Requiem  des  franzosischen  Orchesterreformators  Hector  Berlioz 
(]  803— 1869)  iibertroffen.  Das  Werk,  das  seinen  klanglichen  Hohepunkt  in  dem  Dies  irae  hat, 
bei  dem  vier  getrennt  aufgestellte  Blaserchore  herangezogen  werden,  kann  wohl  kaum  mehr 
als  Kirchenmusik  angesprochen  werden.  Der  Zusammenhang  mit  dem  liturgischen  Gesamt- 
kunstwerk  ist  wohl  nur  mehr  im  Texte  zu  finden.  Es  handelt  sich  gleichsam  um  ein  Werk 
zu  einer  weltlich-religiosen  Trauerfeier  —  es  wurde  fur  die  Beisetzung  des  Generals  Damre- 
mont  im  Invalidendom  zu  Paris  (1837)  geschrieben  — ,  bei  der  traditionell  die  Worte  des 
katholischen  Totenoffiziums  zur  Anwendung  kommen.  Derartige  Werke  erscheinen  Jm 
19.Jahrhundert  ziemlich  haufig.  AuchG.Verdis  (1813— 1901)  Requiem,  zum  Andenken  des 
Dichters  A.  Manzoni  (f  1873)  geschrieben,  Jm  Rahmen  des  S  chaff  ens  dieses  Kiinstlers  und 
absolut  musikalisch  betrachtet  ein  Meisterwerk,  geht  in  Anlage  und  vielfach  auch  in  seiner 
dem  dramatischen  Stile  Verdis  sich  nahernden  Haltung  iiber  den  Rahmen  liturgischer  Ge- 
brauchsmusik  hinaus.  Das  Problem,  das  bei  Beethovens  Missa  solemnis  hinsichtlich  des 
Verhaltnisses  zur  Liturgie  sich  geltend  macht,  begegnet  fast  bei  alien  monumentalen  Kom 
positionen  des  1 9.  Jahrhunderts,  denen  der  katholisclvrituelleText  zugrunde  liegt.  Sie  werden 
gleichsam  nicht  in  dem  Gedanken  an  die  Eingliederung  der  Musik  in  die  kirchliche  Zeremonie, 
sondern  —  wenn  auch  vielfach  aus  katholischem  Geiste  heraus  —  ohne  Riicksicht  auf  diese 
geschrieben,  womit  aber  der  wesentliche  Charakter  der  katholischen  Kirchenmusik  in  ge~ 


Die  katholisclie  Kirchenmusik  seit  1 750  857 

wissem  Ma6e  verlorengeht ;  derm  wenn  der  Musik  im  katholischen  Gottesdienste  auch  eine 
wesentliche,  unentbehrliche  Rolle  zukommt,  mufi  die  Unterordnung  unter  das  Gesamtkunst- 
werk  gewahrt  bleiben,  wenn  nicht  ein  Obergang  in  das  Gebiet  der  katholisch-religiosen  Musik 
stattfinden  soil.  Verdis  ,,Pezzi  sacri"  (darunter  Te  deum,  Stabat  mater,  Ave  Maria)  stehen 
in  dieser  Hinsicht  der  gottesdienstlichen  Verwendung  bedeutend  naher.  Einen  jiingeren 
hervorragenden  Vertreter  auf  dem  Gebiete  der  katholischen  Kirchenmusik  besitzt  Italian  in 
Enrico  Bossi  (geb.  1861),  dem  Direktor  der  Musikschule  der  romischen  Cacilienakademie. 

Die  vom  liturgischen  ebenso  wie  vom  klinstlerischen  Standpunkte  zweifellos  als  Niedergang  zu 
bezeichnende  Produktion  auf  dem  Gebiete  der  katholischen  Kirchenmusik  in  der  nachklassi- 
schenZeit  fand  um  die  Mitte  des  1 9.  Jahrhunderts  ihre  Reaktion  in  einer  Reformbewegung, 
an  deren  Spitze  sich  Geistliche  stellten.  Grofien  EinfluB  auf  diese  Richtung  hatte  das  1825 
erschienene  Werk  des  Heidelberger  Rechtsgelehrten  A.  Thibaut  (1774—1840):  ,,Uber  die 
Reinheit  der  Tonkunst",  das  durch  seine  ablehnende  Haltung  der  Romantik  gegeniiber  den 
Reformatoren  als  allgemein  asthetische  Grundlage  und  Rechtfertigung  diente.  Die  katholische 
Kirchenmusik  sollte  aus  dem  Sumpf,  in  dem  sie  zu  versinken  drohte,  emporgehoben,  wieder 
mit  dem  Ernste  und  der  Wiirde  erfiillt  werden,  deren  sie  als  Bestandteil  des  Gottesdienstes 
bedurfte.  Das  Zentrum  der  Bewegung  war  Regensburg.  Dort  wirkte  als  Kanonikus  Karl 
Proske  (1794 — 1861).  Als  ausgezeichneter  Kenner  der  Musik  des  Cinquecento  erwarb  er 
sich  durch  die  Herausgabe  der  Missa  Papae  Marcelli  (1850)  und  die  drei  Jahre  spater  be- 
gonnene  Veroffentlichung  seiner  Sammlung  von  geistlichen  Kompositionen  der  Palastrina- 
Zeit  (,,Musica  divina")  grofie  Verdi enste  um  die  praktische  Kirchenmusik;  denn  die  nach 
den  Festen  des  Kirchenjahres  angeordnete  Sammlung  sollte  nicht  zuletzt  der  Wiederbelebung 
der  A-cappella-Musik  alten  Stils  dienen.  Abgesehen  vom  Chorale  sah  diese  Reformpartei  ihr 
kirchenmusikalisches  Ideal  in  der  A-cappella-Musik  des  1 6.  Jahrhunderts  und  neben  Mannern, 
die  nur  den  unkirchlichen  Gebrauch  der  Instrumente  in  der  Kirchenmusik  verurteilten  und 
deren  Verwendung  hinsichtlich  Art  und  Umfang  reformieren  wollten,  gab  es  solche,  die  nur 
die  reine  Vokalmusik  als  zulassig  erklarten. 

Ihren  unermiidlichen  Organisator,  der  Proskes  Ideen  und  Bestrebungen  in  die  Tat  um- 
setzte,  fand  die  Bewegung  in  Franz  X.  Witt  (1834—1888).  Dieser  griindete  im  Jahre  1867 
—  angeregt  durch  den  auf  Palestrina  selbst  zuriickgehenden  Cacilienverein  in  Rom,  der  1847 
vom  Papste  in  die  ,,Accademiadi  Sta.  Caecilia"  umgewandelt  worden  war  —  den  ,,Allgemeinen 
deutschen  Cacilienverein"  zur  Hebung  der  katholischen  Kirchenmusik.  Auch  als  Komponist 
wirkte  er  eifrig  Jm  Sinne  seiner  Kunstanschauung  und  seine  an  Palestrina  und  dessen  Stil 
anschliefienden  Kompositionen  —  er  schrieb  aber  nicht  nur  vokal  —  fanden  dank  der  vor- 
trefflichen  Werbetatigkeit,  der  weitverzweigten  Organisation  und  der  Unterstiitzung  der 
kirchlichen  Behorden  grofie  Verbreitung.  Unter  seinen  zahlreichen  Werken  1st  vielleicht  die 
Raffaelsmesse  als  das  bedeutendste  anzusprechen.  Witt,  der  als  Dirigent  katholischer  Kirchen 
musik  alten  Stils  hoher  zu  schatzen  ist,  denn  als  Komponist,  vermochte  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  seine  Werke  riickschauender  Richtung  mit  geistigem  Leben  zu  erfullen,  doch  vermochten 
weder  er  noch  die  iibrigen  Anhanger  des  Cacilianismus  die  Entwicklung  aufzuhalten,  die  in 
der  Kirchenmusik  als  Folge  der  allgemeinen  geistigen  Stromungen  sich  vollziehen  mufite. 
Gleichwohl  muC  die  Abkehr  von  dem  Abwege,  auf  den  sie  geraten  war,  grofienteils  als  Ver- 
dienst  dieser  Partei  anerkannt  werden.  Witt  selbst  verschlofi  sich  nicht  ganz  den  Forderungen 


858  Die  katholische  Kirchenmusik  sell  1750         

seiner  Zeit.  Er  trat  z.  B.  fiir  Karl  Greith  gegeniiber  Angriffen  aus  dem  eigenen  Lager  ein, 
obwohl  Greith  den  instrumentalen  Apparat  keineswegs  verschmahte.  Auch  Magnus  Ortwein 
liefi  er  gelten,  der  das  Leitmotiv  in  der  Kirchenmusik  zu  verwenden  suchte  und  auch  das 
Chroma  verwendete.  AIs  Fuhrer  der  streng  archaisierenden  Richtung  im  Cacilienverem  ist 
Michael  Haller  (1840—1915)  zu  betrachten,  ein  Mitschiiler  Witts  bei  dem  Regensburger 
Domkapellmeister  Joseph  Schrems  (1815—1872).  Seine  zahlreichen  Kompositionen 
(ISMessen,  mehrere  Bande  Motetten,  Psalmen,  Litaneien  usw.)  zeigen  vielleicht  ein  noch 
tieferes  Eindringen  in  die  Kunst  Palestrinas,  als  es  bei  Witt  zutage  tritt.  Das  kompositorische 
Wirken  Witts  und  Hallers  allein  hatte  der  Sache  der  Cacilianer  kaum  den  grofien  EinfluB 
bringen  konnen,  den  sie  tatsachlich  ausiibte,  wenn  nicht  Hand  in  Hand  damit  auch  eine 
ei frige  schriftstellerische  Tatigkeit  und  planmafiige  Editionsarbeit  verbunden  worden  ware. 
Theodor  de  Witt  begann  mit  Franz  Espagne  die  Herausgabe  der  Werke  Palestrinas,  die 
dann  von  Franz  X.  Haberl  (1840 — 1910)  zur  monumentalen  Gesamtausgabe  ausgestaltet 
wurde.  Haberl,  der  dritte  geistliche  Fuhrer  der  Cacilianer,  gleich  den  beiden  andern  ge- 
biirtiger  Bayer,  mufi  als  der  wissenschaftliche  Leiter  der  Bewegung  bezeichnet  werden. 
Joh.  B.  Molitor  (f  1900),  Miinsterchordirektor  in  Konstanz,  dann  Domkapellmeister  in 
Leitmeritz,  vermochte  nicht  die  Bedeutung  der  bisher  erwahnten  Vertreter  der  alteren 
Generation  im  Cacilianismus  zu  erreichen. 

Zwischen  der  alteren  und  jiingeren  Gruppe  von  Anhangern  der  Reformbewegung  steht  der 
Tiroler  Ignaz  Mitterer  (geb.  1850),  Propst  und  Chordirektor  am  Dome  zu  Brixen.  Als 
Komponist  nahert  er  sich  dem  neuzeitlichen  Stil,  den  er  manchmal  nicht  ohne  Erfolg  mit 
den  Prinzipien  des  Palestrinastils  in  Emklang1  zu  bringen  sucht.  Er  geht  wohl  vom  16.  Jahr- 
hundert  aus,  allein  indern  er  starken  Eindriicken  von  Handels  Werken  in  seinen  Kompositionen 
Raum  gibt,  verlafit  er  eigentlich  schon  den  Boden  des  strengen  Reformgedankens.  Hierin 
hegt  schon  der  Ubergang  zur  jiingeren  cacilianischen  Generation. 

In  den  Werken  ihrer  Vertreter  sind  die  Extreme  der  Bewegung  bereits  abgestreift,  es  wird 
allmahlich  der  Anschlufi  an  die  zeitgenossische  weltliche  Musik  wieder  gefunden.  Als  Fuhrer 
dieser  neuen  Richtung  sind  vielleicht  P.  Griesbacher  in  Regensburg  und  V.  Goller  in 
Klosterneuburg-Wien  zu  bezeichnen.  In  des  ersteren  Werken  macht  sich  eine  starke  Be- 
vorzugung  des  Chromas  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  geltend.  Ein  eigenartiges  Werk  liegt 
in  seinem  ,,Repertorium  chorale"  vor,  in  dem  er  die  liturgischen  Texte  des  Kirchenjahres 
einstimmig  vertonte.  Auch  Goller  verarbeitet  in  seinen  Werken  Einfliisse  von  durchaus  nicht 
cacilianischer  Seite.  I^euartig  ist  sein  Typus  der  ,,Rezitativmesse",  die  den  grofiten  Teil  des 
liturgischen  Textes  solistisch-rezitativem  Vortrage  zuweist.  Neben  Goller  wirkt  insbesondere 
noch  Max  Springer  in  Klosterrieuburg,  dessen  kiinstlerische  Individuality  deutlich  roman- 
tische  Beeinflussung  aufweist.  Er  versucht  auch  wieder  den  Gregorianischen  Choral  mit  der 
Figuralmusik  zu  verweben.  Das  einigende  Band  im  Zyklus  der  Messensatze  ist  bei  ihm  das 
versuchte  Festhalten  der  durch  das  spezielle  liturgische  Fest  gegebenen  Grundstimmung 
(Weihnachts-,  Ostermesse).  Als  Schiiler  der  jungcacilianischen  Richtung  sind  insbesondere 
Karl  Koch  inBozen,  A.  Schlogl  in  Salzburg,  J.  Lechthaler  in  Wien  zu  bezeichnen.  Mit 
dem  volligen  Anpassen  an  die  geistigen  Stromungen  unserer  Zeit  hat  der  Cacilianismus  seine 
kompositionstechnisch-stilistische  Sonderstellung  aufgegeben  und  seine  bleibende,  wertvolle 
Wirkung  erscheint  nunmehr  in  dem  ideellen  Momente  gegeben,  die  katholische  Kirchenmusik 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750  859 

mit  streng  kirchlichem  Geiste  zu  erfiillen,  sieimSinne  der  jiingstenautoritarenAuBerungen  der 
romischen  Kurie  liber  kirchenmusikalische  Fragen,  dem  Motu  proprio  Pius'  X.  vom  22.  XL 
1903  und  der  Constitutio  Apostolica  Pius'  XL  vom  20.  XII.  1928,  jedoch  ohne  Verschmahen 
moderner  Mittel,  Jm  Geiste  der  Gegenwart  zu  ihrem  eigentlichen  Wesen,  zum  liturgischen 
Kunstwerke  zuriickzufiihren. 

Fernabstehend  von  den  Cacilianern  wirkten  im  Anfange  der  zweiten  Halfte  des  19.  Jahr- 
hunderts  zwei  Meister,  denen  zwar  anscheinend  auf  kirchenmusikalischem  Gebiete  keine 
Unmittelbare  Nachfolge  erwuchs,  die  aber  ohne  personliche  Einflufinahme  durch  ihre  kirchen- 
musikalischen  Werke  von  hochster  Bedeutung  auch  fiir  die  Folgezeit  wurden :  Franz  Liszt  und 
Anton  Bruckner.  Franz  Liszt  (181 1 — 1886)  hatte  schon  im  Jahre  1834  versucht,  sich  in  der 
Fragment  gebliebenen  Schrift  iiber  ,,Die  Zukunft  der  Kirchenmusik'*  mit  den  ihm  hier  be- 
gegnenden  Problemen  auseinanderzusetzen.  Schon  dies  deutet  darauf  hin,  dafi  auf  dem 
Gebiete  der  Kirchenmusik  bei  Liszt  die  Reflexion  eine  grofie  Rolle  spielte.  Auch  Liszt  war 
von  der  Notwendigkeit  einer  Reform  der  Kirchenmusik  durchdrungen  und  in  seinem  Hin- 
blicken  auf  die  Kirchenmusik  vergangener  Zeiten  mag  allenfalls  em  Beriihrungspunkt  mit  den 
Cacilianern  erblickt  werden.  Vorerst  versucht  er  durchaus  vom  Standpunkt  der  modernen 
Musik  seiner  Zeit  aus  kirchliche  Musik  zu  schreiben,  gleichsam  in  Durchfiihrung  des  in  dem 
erwahnten  Aufsatze  aufgestellten  Grundsatzes :  die  Kirchenmusik  ,,sei  weihevoll,  stark  und  wirk- 
sam,  sie  vereinige  in  kolossalen  Verhaltnissen  Theater  und  Kirche,  sie  sei  zugleich  dramatisch 
und  heilig,  prachtentfaltend  und  einfach . . ."  Seine  spaten  Kirchenwerke  zeigen  aber  durchaus 
eine  Abkehr  von  der  weltlichen  Musik  und  eine  tatsachliche  Annaherung  an  den  Ausdrucks- 
charakter  friiherer  Zeiten.  Neben  kleineren  kirchenmusikalischen  Werken  schrieb  Liszt 
4  Messen  und  1  Requiem.  Den  zwei  Monumentalwerken  (Graner-Messe,  zur  Einweihung 
der  Basilika  zu  Gran  1855,  und  Kronungsmesse,  zur  Kronung  Kaiser  Franz  Josephs  I.  als  Konig 
von  Ungarn  1867)  stehen  die  iibrigen  (Mannerchormesse  1848,  1869  umgearbeitet,  Missa 
choralis  1865,  Requiem  1867/68)  vielfach  gegensatzlich  gegeniiber.  In  diesen  kommt  das 
scheinbar  gemeinsame  mit  der  Proske-Wittschen  Richtung  noch  am  ehesten  zum  Ausdruck. 
Die  Begleitung  ist  der  Orgel  zugewiesen,  nur  im  Requiem,  das  wie  die  1 .  Messe  fiir 
Mannerstimmen  geschrieben  ist,  tret  en  ad  libitum  Trompeten,  Posaunen  und  Pauken  hinzu. 
In  diesen  Werken  tritt  das  kontrapunktische  Element  vollig  in  den  Hintergrund,  Liszt  macht 
sich  technisch  gleichsam  von  der  herrschenden  Tradition  frei  und  sucht,  ohne  Riicksicht  auf 
sie,  in  diesen  Werken  einem  ihm  vorschwebenden  Idealbilde  Gestalt  zu  geben.  Er  versucht, 
dem  Inhalt  des  Textes  mit  moglichst  schlichten  Mitteln  in  einer  dem  Rahmen  des  liturgischen 
Gesamtkunstwerkes  sich  vollig  einpassenden  Weise  Ausdruck  zu  geben.  Besonders  auf- 
fallend  ist  das  Heranziehen  von  Choralmotiven,  das  gewifi  letzten  Endes  auch  auf  die  zur 
Mystik  neigenden  religiosen  Empfindungen  Liszts  zuriickgeht.  Wie  schon  aus  ihrem  Titel 
hervorgeht,  ist  insbesondere  die  Missa  choralis  fiir  diesen  Zug  in  Liszts  geistlichem  Schaffen 
kennzeichnend.  Allerdings  macht  sich  neben  den  choralen  Wendungen  auch  wieder,  ins 
besondere  in  der  Harmonik,  romantisches  modernes  Empfinden  geltend.  Die  Choralmotive 
werden  aber  als  Themen  im  modernen  Sinne  betrachtet.  So  zieht  sich  durch  das  ganze  Credo 
der  Missa  choralis  als  Hauptmotiv  die  Credo- Intonation  des  Chorales,  der  die  verschiedensten 
Texte  unterlegt  werden,  mit  der  die  Phrasen  modern-architektonisch  gebaut  werden  (man 
vgl.  das  oben  gebrachte  Beispiel  von  M.  Haydn),  z,  B. : 
55  H.  d.M. 


860 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 


Qui     cum     Pa        -        tre     et      Fi  -  li  -    o       si  -  mul     a 


do  -  ra- 


tur     et     con  -  glo 


~      fi  - 


tur 


Eine  groBe  Rolle  spielen  Unisono-Gange,  ja  vollig  unbegleitete  Soli  einzelner  Stimmen; 
vgl.'z.  B.  das  ,,Mors  stupebit"  im  ,,Dies  irae"  des  Requiems.  Es  tritt  das  Streben  zutage, 
die  melodische  Tradition  der  vorangegangenen  Zeit  zu  verlassen  und  auch  die  horizontale 
Hauptlinie  aus  einigen  wenigen  Motiven  zu  bilden.  Die  motivische  Arbeit  wird  gleichsam 
aus  der  Vertikalen  in  die  Horizontale  versetzt.  Das  zweite  moderne  Moment  dieser  Kirchen- 
werke  Liszts  liegt  in  der  mitunter  auftretenden,  haufig  mit  dem  diatonischen  Charakter  in 
scheinbarem  Widerspruch  stehenden  Harmonik. 

Die  beiden  religios-nationalen  Feiern  Ungarns,  flir  die  Liszt  als  der  groBte  Tonkiinstler  der 
Nation  die  Messen  schrieb,  liefien  in  dem  Komponisten  zwei  Werke  erstehen,  die  vielleicht 
nicht  so  stark  von  Reflexionen  beeinflufit  sind,  wie  die  andern,  in  reformatorischer  Absicht 
geschaffenen.  Die  Wandlung,  die  Liszt  in  seinem  Verhaltnis  zur  Kirche  im  Verlaufe  seines 
Lebens  durchmachte,  ist  hier  noch  nicht  an  ihrem  Zielpunkte  angelangt,  der  in  den  erwahnten 
Spatwerken  seinen  Ausdruck  findet.  In  den  beiden  Festmessen  strebt  Liszt  anscheinend  in 
der  Tat  nach  einer  Vereinigung  von  Theater  und  Kirche,  von  weltlichem  und  geistlichem 
Leben.  Man  beachte  nur  den  Beginn  des  Gloria  in  der  Graner-Messe: 


All0  ma  non  troppo 


Kl. 


P  marcato 


*  ~"' 


P  Glo     -    ri-a    in  ex  -  eel  -  sis    De  -  o 

Man  kann  hier  nicht  nur  von  einer  Ubernahme  der  technischen  Mittel,  sondern  auch  des 
Ausdruckes  aus  der  dramatischen  oder  zumindest  programmatischen  Musik  der  neudeutschen 
Schule  sprechen.  Die  Graner-Messe  bedeutet  eines  der  blendendsten  kirchlichen  Tonwerke 
der  Neuromantik,  allein  zugleich  vielleicht  auch  eines  der  subjektivsten  Werke  auf  diesem 
Gebiete,  innerhalb  der  fur  liturgische  Zwecke  bestimmten  katholischen  Kirchenmusik  die 
starkste  Abkehr  vom  liturgischen  Kunstwerk.  In  der  Kronungsmesse  werden  sogar  national- 
ungarische  Motive  in  die  Komposition  verwoben.  Von  diesen  Versuchen,  die  Kirchenmusik 
von  der  weltlichen  aus  bewufit  umzugestalten,  stand  Liszt  bald  ab.  Er  sah  eine  Zukunft  der 
Kirchenmusik  und  ihre  Regeneration  sodann  nur  aus  vollig  kirchlichem  Geiste  und  aus  der 


Die  katholisclie  Kirchenmusik  seit  1750  861 

volligen  Abkehr  von  der  weltlichen  Kunst  heraus  moglich  und  suchte  auch  in  diesem  Sinne 
zu  wirken;  allein  weder  die  bewufite  Vereinigung  weltlicher  und  kirchlicher  Kunst  noch  die 
Abkehr  von  jener  sollten  auf  dem  Wege  der  Entwicklung  weiterfiihren,  sondern  das  naive 
Schaften  aus  kirchlichem  Geiste  in  der  modernen  Tonsprache,  wie  es  in  Anton  Bruckner 
begegnet. 

So  deutiich  die  kunstlerische  Erscheinung  Anton  Bruckners  (1824 — 1896)  in  seinen 
Meistenverken  —  sei  es  auf  kirchlichem,  sei  es  auf  weltlichem  Gebiete  —  zum  Ausdrucke 
kommt,  so  schwierig  stellt  sie  sich  als  Entwicklung  innerhalb  der  Personlichkeit  betrachtet  dar. 
Die  Zeit  seines  Aufenthaltes  in  Linz  mit  den  theoretischen  Studien  bei  S.  Sechter  und  Kitzler 
scheidet  sein  Schaffen  in  zwei  scharf  getrennte  Epochen.  Wahrend  die  erhaltenen  Werke  aus 
der  friiheren  Zeit  eine  entwicklungsgeschichtliche  Bedeutung  nicht  beanspruchen  konnen* 
tritt  er  nachher  mit  einem  Male  als  einer  der  bedeutendsten  Tonkunstler  seiner  Zeit  auL 
Dadurch  rechtfertigt  sich  im  Zusammenhang  einer  entwicklungsgeschichtlichen  Darstellung 
der  Kirchenmusik  die  Aufierachtlassung  der  Fruhwerke.  Auch  die  aus  spaterer  Zeit  vor- 
handenen  kleinen  Kirchenwerke  treten  gegeniiber  den  Messen  vollig  in  den  Hintergrund. 
In  die  erste  Reihe  der  Kirchenkomponisten  tritt  aber  Bruckner  mit  seinen  drei  Messen  (D-MolU 
1864,  E-Moll,  1866,  F-Moll,  1867/68).  Das  Tedeum  (1881,  umgearbeitet  1882—84)  steht 
wieder  an  der  Grenze  von  liturgischem  und  religiosem  (aber  hier  durchaus  katholisch-religiosem)- 
Kunstwerk,  ebenso  die  Psalmkompositionen  Bruckners.  Diese  Werke  sind  nicht  eigentlich 
als  Kirchenmusik  zu  bezeichnen,  wenngleich  sie  allenfalls  bei  feierlichen  Vespern  in  Ver- 
wendung  kommen  konnten.  Auch  das  Tedeum  ware  seiner  Gesinnung  nach  durchaus  fur 
eine  groBe  kirchliche  Feierlichkeit  geeignet;  es  handelt  sich  um  durchaus  in  kirchlichem 
Geiste  geschaffene  religiose  MusiL  Die  Messen  sind  vom  Kiinstler  als  Kirchenmusik  im 
engsten  Sinne  des  Wortes  gedacht.  Die  erste  und  dritte  sind  Orchestermessen  im  herkomm- 
lichen  Sinne,  die  zweite  eine  achtstimmige  Vokalmesse  mit  Blaserbegleitung.  Fiir  die  Anlage 
der  Orchestermessen  Bruckners  ist  vor  allem  die  symphonische  Konstruktion  kennzeichnend. 
Es  ist  kein  typischer  Kirchenstil  im  Sinne  ihrer  Entstehungszeit,  In  dieser  Hinsicht  fiihrt  die 
Entwicklungslinie  zu  Beethoven  zuriick.  Wenn  auch  das  Herauswachsen  aus  der  kirchenmusi- 
kalischen  Tradition  bei  Bruckner  deutiich  erkennbar  ist,  gestaltet  er  seine  Messensatze  technisch 
vollig  aus  der  symphonischen  Musik  heraus  nach  musikalischen  Richtlinien,  die  er  aber  mit  dem 
jeweiligen  Textinhalte  in  Ubereinstimmung  zu  bringen  weiB.  Man  kann  in  dieser  Hinsicht 
Bruckner  als  den  Schopfer  des  modern-symphonischen  Messenstils  bezeichnen,  im  Gegensatz 
zum  klassischen  Symphoniestil  in  der  Missa  solemnis  Beethovens.  Wie  bei  Beethoven  wird 
die  Singstimme  als  —  allerdings  in  den  Vordergrund  tretendes  —  Instrument  des  gesamten 
Klangkorpers  betrachtet. 

Konstruktives  Element  ist,  wie  bei  Beethoven,  das  Motiv,  dessen  Verarbeitung  auch  die 
horizontale  Unie  ergibt,  wobei  die  typisch  romantische,  bei  Schubert  schon  erwahnte  Har- 
monik  vielfach  das  die  Bewegung  bestimmende  Moment  wird.  Die  Technik  des  symphonischen 
Schaffens  erscheint  bei  Bruckner  auf  die  Mefikomposition  iibertragen.  In  kompositions- 
technischer  Hinsicht  sind  in  den  Messen  Bruckners  die  gleichen  Erscheinungen  f estzustellen 
wie  in  den  Symphonien:  Die  breite  melodische  Linie,  deren  horizontal  stark  vereinheitlichte 
motivischeBildung  durch  Sequenzierung  kleinerer  oder  grofierer  Partien,  die  Doppelthematik 
durch  Weiterbildung  des  obligaten  Akkompagnements  zur  vollen  Verselbstandigung  der  Be- 
55* 


862 


Die  katholische  Kirchenmusik  seit  1750 


gleitung,  die  motivische  Durchsetzung  des  ganzen  Klangkorpers  in  vertikaler  Hinsicht;  in 
rhythmischer  Hinsicht  die  scharfe  Pragnanz  bis  zur  motivischen  Verselbstandigung  des 
Rhythmus;  die  trotz  chromatischer  Alterationen  dennoch  diatonische  Harmonik  unterstarkster 
Ausweitung  des  tonalen  Kreises,  die  auch  den  bekannten,  in  den  Symphonien  als  choralartig 
(im  Sinne  des  protestantischen  Chorals)  bezeichneten  Wendungen  den  eigenen  Charakter  ver- 
leiht;  ein  Beispiel  far  diese  Art  der  Harmonik  bietet  folgende  Stelle  aus  der  D-Moll-Messe : 


pcresc. 


Im  architektonischen  Aufbau  zeigt  sich  die  Befreiung  von  den  letzten  Endes  in  der  einfachen 
Vollkadenz  gelegenen  metrischen  Fesseln,  die  Ausweitung  durch  Einordnung  in  den  harmo- 
nischen  Ablauf,  der  durch  vollen  Ausbau  des  Systems  der  Terzverwandtschaft,  vielfach  aber 
auch  im  Rahmen  der  hergebrachten  Quinttonalitat  neues  Geprage  erhalt.  Dabei  herrscht  aber 
voile  Wahrung  der  metrischen  Proportion  im  GroBen.  Gewisse,  vielleicht  aus  der  Orgelpraxis 
Bruckners  herriihrende  Eigenheiten,  wie  die  Bildung  vor\  Steigerungen  oder  architektonischen 
Hohen  iiber  Orgelpunkten,  wie  auch  eine  vorbildliche  BaBfiihrung,  die  vielfach  wieder  nur 
aus  dem  Bewegungszuge  zu  erklaren  ist,  verleihen  dem  kompositionstechnischen  Bilde 
seiner  Mefikomposition  ihr  eigenes  Geprage;  kontrapunktische  Meisterschaft  besonders  in 
den  traditionellen  Fugen,  wie  iiberhaupt  die  Einfugung  der  strengen  Schreibweise  in  den  ihr 
gewissermafien  entgegengesetzten,  romantischen  Stil  lassen  Bruckner  als  den  Kiinstler  er- 
kennen,  der  im  AbschluB  der  neudeutschen  Stilrichtung  den  Bogen  abermals  weiter  nach 
ruckwarts  bis  an  den  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  spannt. 

In  liturgischem  Sinne  sind  die  beiden  Orchestermessen  Bruckners  durchaus  Festmessen. 
Was  sie  aber  in  ihrer  Haltung  weit  mehr  als  z.  B.  Liszts  Graner-Messe  ,,kirchlich"  erscheinen 
lafit,  mag  nicht  zuletzt  darin  gelegen  sein,  daB  Bruckner  sie  vollig  aus  kirchlichem  Geiste 
heraus  schuf,  daB  es  sich  hier  nicht  um  Obertragung  weltlichen,  etwa  dramatischen  Ausdrucks 
in  die  Kirchenmusik  handelt,  sondern  lediglich  um  die  Heranziehung  der  modernen  Aus- 
drucksmittel,  mit  denen  dem  Inhalte  des  Textes  im  Grunde  genommen  absolut  musikalisch, 
also  auch  abgesehen  von  Bruckners  personlichem  Katholizismus,  durchaus  nicht  unkirchlicher 
Ausdruck  verliehen  wird.  Von  dem  Standpunkte  des  Vorzuges  der  Vokalmusik  als  liturgischer 
Tonkunst  ist  vielleicht  Bruckners  E^Moll-Messe  voranzustellen.  Sie  ist  durchaus  vokal  er- 
funden,  in  geradem  Gegensatz  zu  den  obenerwahnten  Messen  des  Meisters.  Manche  Eigen- 


Die  Oper  im  19.  JahrKundert  §63 


tiimlichkeiten  zeigen  deutlich,  wie  auch  bei  Bruckner  zwischen  den  Begriffen  ,,kirchIicheVo~ 
kalmusik"  und  ,,Kirchentonalitat4t  eine  gewisse  Relation  bestand.  Gleichwohl  wird  auf  moderne 
Harmonik  durchaus  nicht  Verzicht  geleistet.  Auch  in  diesem  Werke  zeigt  sick  Bruckner  als 
Weg\veiser  fiir  die  Kirchenmusik  der  Zeit  nach  ihm.  Soweit  sich  allerdings  bis  jetzt  erkennen 
lafit,  hat  Bruckners  Schaffen  auf  dem  Gebiete  der  Kirchenmusik,  im  Gegensatz  zu  seinen 
sinfonischen  Werken,  noch  keine  Fortsetzung  gefunden,  es  bedeutet  vorlaufig  in  entwicklungs- 
geschichtlicher  Hinsicht  den  Hohepunkt  der  katholischen  Kirchenmusik  in  der  zweiten  Halfte 
des  19.  Jahrhunderts. 

Bei  dem  konservativen  Standpunkt,  den  die  katholische  Kirche  trotz  weitgehender  Duld- 
samkeit  gegeniiber  neuen  Stilbewegungen  einnimmt,  ist  es  nicht  zu  wundern,  wenn  die  aller- 
neuesten  Bestrebungen  auf  dem  Gebiete  der  weltlichen  Musik  in  der  katholischen  kirchlichen 
Tonkunst  noch  keinen  Widerhall  gefunden  haben.  Hierzu  kommt,  dafi  die  schon  durch  die 
Romantik  gebrachte  Vertiefung  des  religiosen  Empfindens  ihren  Ausdruck  nicht  nur  in  kon- 
fessionell-kultischen  Werken,  sondern  auch  auf  andern  Gebieten  der  Tonkunst  zu  finden 
vermag,  die  Komponisten  ihrem  tiefen  religiosen  Empfinden,  man  denke  an  den  ersten  Satz 
von  Mahlers  8.  Sinfonie,  daher  vielfach  auBerhalb  des  liturgischen  Rahmens  Ausdruck  geben. 

Literatur 

Baumker,  W.:  Das  katholische  deutsche  Kirchenlied  in  seinen  Singweisen;  4  Bde. —  Griesbacher,  P.:  Kirchen- 
musikalische  Stilistik  und  Formenlehre.  —  Derselbe:  Bruckners  Tedeum.  -—  Klafsky,  A.  M.:  M.  Haydn  als 
Kirchenkomponist.  Studien  z.  Mus.-Wiss.  III.  — Koch  el  v  L.:  Die  kaiserliche  Hofmusikkapelle  in  Wien  von 
1543 — 1867.  —  Kurthen,  W.:  Studien  zu  Mozarts  kirchenmusikalischen  Jugendwerken.  Ztschr.  f.  MW.  III. — 
Leichtentritt,  H  :  Geschichte  der  Motette.  —  Riemann  ,  H.:  Handbuch  der  Musikgeschichte  II/3.  —  Sand- 
berger,  A.:  Gesammelte  Aufsatze.  — Schnerich,  A.:  Messe  und  Requiem  seit  Haydn  und  Mozart. — 
Singer,  K.  Bruckners  Chormusik.  —  Weinmann,  K. :  Geschichte  der  KirchenmusiL  —  Wissig,  0.;  Franz 
Schuberts  Messen.  —  Biographien  iiber:  Jos.  Haydn  (PoKl,  Botstiber,  Schnerich),  W.  A.  Mozart  (Jahn,  Abert, 
Schiedermayr,  Paumgartner),  Schubert  (Kreifile,  Dahms,  Orel),  Beethoven  (Thayer,  Orel),  K.  M.  v.  Weber  (Weber), 
Schumann  (Wasielewski,  Abert),  Liszt  (Louis,  Kapp,  Gollerich),  Bruckner  (Louis,  Auer,  Decsey,  Gollerich,  Orel, 
Kurth,  Graflinger).  —  Aufsatze  in  Vierteljschr.  f.  MW.,  ZIMG.,  SIMG.,  Zeitschr.  f.  MW.,  KMIB.,  Mus.  divi- 
na,  Mus.  sacra.  DTO.:  XXII,  XXXII  (M.  Haydn).  —  Ges.  Ausg.  von  Mozart,  Beethoven,  Schubert,  Schu 
mann,  Liszt,  Berlioz,  Weber,  Bruckner.  —  Zahlreiche  Sparten,  alte  und  neue  Drucke  und  Handschriften  aus 
dem  Besitze  der  DTO.,  der  Wiener  Nationalbibliothek,  Stadtbibliothek,  Gesellschaft  der  Musikfreunde. 

Alfred  Orel 


DIE  OPER  IM  19.  JAHRHUNDERT 

Es  gibt  kaum  ein  Kapitel  der  neueren  Musikgeschichte,  dessen  stilkritische  Behandlung  so- 
rasch  auf  Schwierigkeiten  stofit  wie  das  der  Oper  im  19.  Jahrhundert.  Empfindet  man  die 
Pflicht,  den  Anteil  eines  jeden  vielleicht  mehr  auf  anderem  Gebiete  bekannt  gewordenen 
Meisters  zu  ermessen,  so  bleibt  man  bei  der  Mitteilung  des  vorhandenen  Stoffes  stehen, 
einer  Vorarbeit,  die  geleistet  werden  muB.  Die  Unendlichkeit  des  Stoffes  erlaubt  aber  einst- 
weilen  eine  Gliederung  nur  in  allgemeinen  Linien.  Fiir  genaueres  Eingehen  auf  den  Schich- 
tungsprozefi  der  Gattung  fehlen  die  notwendigen  Spezialarbeiten.  Was  uns  ferner  zaudern 
lafit,  ist  die  Dberlegung,  dafi  die  Lebensdauer  einer  Oper,  ja,  die  Tiefe  ihres  Eindrucks  keines- 
wegs  allein  von  ihrem  kiinstlerischen  Werte,  sondern  (bei  der  Zusammensetzung  des  Publi* 


864  Die  Oper  im  1 9.  Jahrhundert :  Deutschland 

kums)  von  vielen  aufiermusikalischen  und  auBerkiinstlerischen  Dingen  abhangt.  Der  Ver- 
fasser  dieses  Abschnitts  glaubt,  die  Verantwortung  den  unzahligen  Partituren  gegeniiber  nicht 
tragen  zu  konnen,  die,  ihm  notwendigerweise  unbekannt,  in  Theaterarchiven  schlummern 
und,  morgen  entdeckt,  das  miihsam  aufgerichtete  Bild  umwerfen  konnen. 

Das  eigentliche  Zeichen  aller  Operngeschichte  steht  auch  iiber  dem  1 9.  Jahrhundert :  die 
Frage  nach  der  Regelung  des  Verhaltnisses  von  Drama  und  Musik.  Das  18.  Jahrhundert 
hatte  in  Mozarts  italienischem  und  deutschem  fast  alle  Gattungen  vereinigenden  Werk  den 
Ausgleich  musikbestimmter  Form  und  dramatischer  Notwendigkeit  gefunden.  Nach  einer 
Zeit  des  Schwankens  kommt  auch  das  19.  Jahrhundert  zu  seiner  Synthese.  Doch  sie  erfolgt 
nicht  in  einer  Personlichkeit :  aus  der  Operngeschichte  heraus  wird  das  19.  das  Jahrhundert 
Wagners  und  Verdis  heifien  miissen.  Mit  dieser  Doppelnennung  soil  keine  relative  Wert- 
bemessung  der  beiden  Meister  ausgesprochen  sein.  Neben  dem  Doppelgipfel  breitet  sich 
eine  Internationale  Landschaft,  deren  Kontur  sich  von  Erhebungen  groBerer,  mittelgroBer  und 
geringerArtabsenkt  in  dieSumpfgegenddes  geradezuMifilungenen  odersinnlosNachgemachten. 

Ein  fur  das  Operngeschehen  des  19.  Jahrhunderts  bezeichnender  Zug  ist  der  Anteil  von 
Nationen,  deren  Musik  bis  dahin  ganz  oder  doch  in  den  erkennbaren  Teilen  von  der  Kunst 
der  alten  Musikvolker  abhangig  gewesen  war.  Sie  schiitteln  das  fremde  Joch  ab,  vervoll- 
kommnen  sich  moglichst  aus  eigner  Kraft  und  geben  der  alteren  Kunst  manchen  wichtigen, 
wohi  auch  einmal  spat  verstandenen  Anreiz,  der,  vorziiglich  vom  Osten  zum  Westen  fort- 
schreitend,  das  Antlitz  der  Musik  stetig,  wenn  auch  langsam,  verandert.  Immerhin  sind  bisher 
Deutschland,  Frankreich  und  Italien  noch  in  der  Fiihrung  geblieben. 

Deutschland 

Der  AnschluB  an  die  Antike,  den  Goethes  Mannesalter  gesucht  und  gefunden  hatte,  gab  der 
Dichtung  und  der  allgemeinen  geistigen  Verfassung,  deren  Symbol  sie  ist,  auch  dann  noch 
das  Geprage,  als  im  Beginne  des  19.  Jahrhunderts  die  Neigungen  der  siebziger  Jahre  des 
18.  sich  neu  geltend  machten:  Holderlin  vermochte  es,  einen  romantischen  Inhalt  in  eine 
Idassische  Form  zu  schmelzen.  Die  Auflosung  der  durch  friihere  Geschlechter  ausgebildeten 
Form,  so  sehr  sie  Merkmal  der  romantischen  Kunst  werden  mag,  ist  also  keine  von  Anfang  an 
gegebene  Notwendigkeit.  So  verstehen  wir,  weshalb  diese  Auflosung  sich  auch  in  der  Musik 
nicht  sogleich  beim  Aufkommen  der  ersten  romantischen  Ideen  einstellt.  Noch  die  Musik  des 
,, Lohengrin*'  bedient  sich  auf  weite  Strecken  hin  einer  iiberkommenen  Schreibweise  insofern, 
als  der  Ablauf  der  Gedanken  an  eirie*metri$che  RegelmaBigkeit  gebunden  erscheint,  obwohl  sie 
ihrem  Sinne  nach  sich  dem  romantischen  Vorwurf  durchaus  anpaBt. 

Eine  einheitliche  Bestimmung  der  in  dem  neuen  Schrifttum  sich  kreuzenden  tausend- 
faltigen  Stromungen  zu  versuchen,  ware  ein  zum  Scheitern  verurteiltes  Unterfangen;  ja, 
vielleicht  ist  es  gerade  die  Buntscheckigkeit  der  geistigen  Bewegungen  in  Philosophic,  Religion, 
Wissenschaft,  Dichtung  und  Kunstbetrachtung,  was  das  Wesen  des  Romantischen  ausmacht. 
Beschranken  wir  uns  also  zunachst  auf  eine  Aufzeigung  der  dem  musikalischen  Drama  aus 
dieser  Mannigfaltigkeit  zuwachsenden  Stoffe. 

Der  napoleonische  Druck  fiihrte  aus  der  nicht  nur  von  dem  jungeren  Geschlecht  als  schmach- 
voll  empfundenen  Gegenwart  zur  Betrachtung  der  reicheren  und  schoneren  Vergangenheit. 


Die  Oper  im  19.  Jahrhunaert:  Deutschland  855 

Neben  dem  fortdauernden  Studium  der  Griechen  wird  das  auBerfranzosische  und  sonderlich 
das  eigene  Volkstum  Gegenstand  der  Bemiihung  urn  das  ,,Genie  der  Nationen".  Sprachwissen- 
schaft,  die  allgemeine  und  die  Geschichte  der  Literatur  bliihen  auf ,  immer  mit  der  patriotischen 
Forderung  nach  der  Beschaftigung  mit  dem  eigenen  Volk.  Die  Abkehr  von  der  Aufklarung, 
wie  Herder  sie  eingeleitet  hatte,  die  VertJefung  des  im  18.  Jahrhundert  verfiachten  religiosen 
Lebens  gaben  diesen  Forschungen  eine  eigene  Farbung,  die  sich  auch  auf  Erzieher,  Politiker 
und  andere  Manner  der  Tat,  der  vaterlandischen  zumal,  iibertrug.  Die  friihen  Romantiker  er- 
schliefien  durch  Ubersetzungskunst  die  Welt  Homers,  Shakespeares,  der  alteren  italienischen, 
spanischen  und  orientalischen  Dichtung.  Schon  im  Winter  des  Jahres  1803  hatte  Wilhelm 
Schlegel  das  Nibelungenlied  mit  der  Ilias  verglichen:  neue  Ausgaben  des  Werks  wurden  ge- 
plant  und  vollendet.  Jungere,  um  die  ,,Zeitung  fur  Einsiedler"  gescharte  Geister  wenden  sich 
der  alteren  volkstumlichen  Poesie  zu:  der  umfassende  Charakter  von  Herders  ,,Volksliedern" 
wird  in  ,,Des  Knaben  Wunderhorn41  national.  Volksbiicher,  Legenden,  Romane,  Jahrmarkts- 
und  Handwerkerliteratur,  Kinder-  und  Hausmarchen,  deutsche  Sagen,  germanische  Helden- 
sagen,  in  die  nebelhaften  Hohen  nordischer  Mythologie  reichend,  beleben  sich  von  neuem 
unter  der  Hand  von  Gelehrten,  die  zugleich  Dichter  waren  oder  der  Dichtkunst  nahe 
standen. 

Das  Leben  des  Roman tikers  ist  antibiirgerlich :  es  kennt  keine  endlichen  Zwecke,  kerne 
Scheidung  in  Sonntag  und  Alltag,  es  unterschatzt  die  Leistung  und  iiberschatzt  das  ,,Schauen", 
ist  Bereitschaft  zum  (wirklich  oft  friih  eintretenden)  Tode.  E.  T.  A.  Hoffmann  liest  keine  Zei- 
tung;  die  romantischen  Zeitschriften  bringen  keine  Neuigkeiten.  Liebe  und  Freundschaft 
kennen  den  Begriff  der  Treue  nicht,  doch  den  des  Mitleidens.  Wie  der  romantische  Reisende 
beriihmte  Statten  umgeht,  so  gibt  es  auch  fiir  die  Bildung  keine  objektiven  Ideale :  sie  geht  vom 
Subjekt  aus. 

Die  Erneuerung  des  Stoffgebietes  und  der  Lebensbetrachtung  mufite  notwendig  mit  einer 
Veranderung  der  Kunstanschauung  Hand  in  Hand  gehen.  Die  Dichtung,  als  Zusammen- 
fassung  des  dunkeln  Triebes  der  Sturmer  und  des  Konnens  der  Klassiker,  ist  Mittel  zur  Uni- 
versalitat:  die  Kraft,  die  iiber  dem  an  sich  zwecklosen  Stoffe  steht,  wird  die  Ironie  des  roman 
tischen  Dichters.  Das  Lustspiel,  die  Parodie  wird  dem  Drama,  das  im  Menschlichen  wurzelt, 
vorgezogen.  Was  den  gemeinen  Sinn  des  Lebens  am  starksten  ausschaltet,  wird  hochstgeschatzte 
Form :  das  Marchen.  Nicht  das  Menschliche  ist  dem  Romantiker  Einheit  der  Weltbilder,  son- 
dem  das  Magische,  der  sinn voile  Zufall,  das  Wunder:  die  Aufhebung  des  Zwecklebens  ge- 
schieht  im  Traum.  Schon  Goethe  hatte  als  Gegenpol  des  Romantischen  das  Plastische  emp- 
funden.  Das  Kunstmittel  des  Romantikers  ist  spezifisch  musikalisch:  ewige  Bewegung;  denn 
der  Zustand  der  romantischen  Seele  ist  Sehnsucht.  Die  Bewegung  der  Molekiile  fiihrt  zur 
Auflosung  des  f esten  Konturs :  die  Farben  fliefien  ineinander  iiber.  Aber  auch  die  eben  noch 
sauberlich  gezogenen  Grenzen  der  Kiinste  verwischen  sich:  Wilhelm  Schlegel  gebraucht  als 
erster  das  jetzt  abgenutzte  Bild  von  der  Architektur  als  einer  gefrornen  Musik;  im  ,,Athe~ 
naum"  fafit  er  die  Eindriicke  vom  Besuch  der  Dresdner  Galerie  in  die  Worte  zusammen: 
,,Und  so  sollte  man  die  Kiinste  einander  wieder  nahern  und  Ubergange  aus  einer  in  die  andere 
suchen.  Bildsaulen  beleben  sich  vielleicht  zu  Gemalden,  Gemalde  werden  zu  Gedichten,  Ge- 
dichte  zu  Musik,  und  wer  weifi?  so  eine  herrliche  Kirchenmusik  stiege  auch  einmal  wieder  als 
ein  Tempel  in  die  Luft." 


866  Die  Oper  im  1 9.  Jahrhundert :  Deutschland 

Die  Ableugnung  der  Welt  der  Erscheinungen  findet  in  der  Musik  ihr  kiinstlerisches  Wider- 
spiel:  sie  sagt  das,  was  die  WWte  umschreiben.  Musik  setzt  das  Universum  mit  uns  in  un- 
mittelbare  Beriihrung;  der  Ton  ist  Riickgang  der  Materie  in  den  Ather;  Musik  ist  die  in  Tonen 
ausgesprochene  Sanskritta  (Ursprache)  der  Natur  —  diese  (nicht  dichterischen  Ausspriiche, 
sondern)  Erklarungsversuche  Werners,  Okens  und  Hoffmanns  liefien  sich  unschwer  vermehren. 
Hoffmann  beschaftigt  sich,  um  den  auch  von  Kerner  bezeugten  ,,Urlauten",  deren  er  einen 
am  Kurischcn  Haff  mit  Schauder  gehort  haben  will,  auf  die  Spur  zu  kommen,  mit  Versuchen, 
aus  Glas  und  Metall  Tone  zu  ziehen;  kunstlose  Instrumente,  die  nur  durch  ihren  Naturton 
wirken:  Aolsharfe,  Wetterharfe,  Glasharmonika,  Maultrommel  erregen  sonderlich  Interesse. 
Bestimmte  Empfindungen,  ja  Begebenheiten  darzustellen,  kann  nach  Hoffmann  keinesfalls  in 
den  Aufgabenkreis  der  Musik  fallen.  Von  Zelter  sagte  Bettina,  er  lasse  nichts  Unverstandenes 
die  Grenze  passieren,  und  doch  beginne  die  Musik  gerade  mit  dem  Unbegreif lichen.  Auch  von 
Reichardt  wuBten  die  Romantiker,  dafi  er  den  Schritt  aus  der  Aufklarung  heraus  nie  tun  werde. 
Die  Bindung  an  Vorstellungen,  vor  allem  durch  den  Text  nahegelegte,  ist  der  Musik  unwiirdig: 
der  Instrumentalmusik  gehort  die  Zukunft.  Die  Oper  bedarf  nur  hochst  biindiger  und  ein- 
facher  Worte;  sie  sind  gleichsam  Wegweiser  zu  der  immer  gem  ins  Unendliche  verlockenden 
Musik.  Es  gehort  vielleicht  zu  den  romantischen  Widerspruchen,  dafi  neben  Beethoven  als 
romantische  Komponisten  Bach,  Gluck  und  Mozart,  der  als  der  ,,unnachahmliche  Schopfer 
der  romantischen  Oper"  gepriesen  wird,  stehen.  Haydns  geliebte  Gestalt,  sagt  Hoffmann, 
bleibe  zu  sehr  innerhalb  des  rnenschlichen  Lebens ;  gleichwohl  ist  er  geneigt,  auch  ihn  der 
Romantik  zuzuzahlen. 

So  wenig  tunlich  es  erscheinen  will,  die  aufierlich  und  innerlich  der  Romantik  angehorigen 
Meister  auf  einem  Gebiete  zu  beobachten,  das  keineswegs  jedem  die  Entfaltung  der  besten 
Krafte  gonnte,  so  ist  es  an  dieser  Stelle  geboten,  die  eigentiimlich  retrospektive  Entwicklung 
der  nachbeethovenschen  Senate,  der  Symphonic,  der  Kammermusik,  das  epigonale  Schicksal 
des  Oratoriums  und  der  gleich  ihm  versandenden  Orgelmusik,  die  charakteristische  Linie 
des  deutschen  Liedes  beiseite  zu  lassen  und  die  Betrachtung  auf  die  Stelle  zu  lenken,  die 
innerhalb  des  nicht  angstlich  auf  gesauberte  Ufer  zu  beschrankenden  romantischen  Stromes 
von  besonderem  Werte  wird:  auf  die  Oper. 

Da  steht  im  Anfange  ein  Komplex,  der  eine  neue,  in  weite  Zukunft  deutende  Art  des  Horens 
bekundet,  das,  farbwertig,  fast  schon  dem  Sehen  nahekommt:  die  Kerkerszene  in  Beethovens 
,,Fidelio".  So  klar  die  konstruktive  Grundlinie  auch  immer  ist,  iiber  Jhr  liegt  in  seltsamem 
Scheinen  die  romantische  Farbe  in  geisterhafter  Transparenz.  Orchestervortrag  und  Orchester- 
bereicherung  ergeben  ein  neues  Klangbild,  das  die  Musik  der  Farbe,  wie  sie  dem  roman 
tischen  Geiste  vorschwebt,  iiber  Berlioz  und  Weber  in  die  zusammenfassende  Kunst 
Wagners  in  steil  auf gerichtetem  Bogen  ergiefien  wird.  Beethoven  f  reilich  hatte  nicht  romantische 
Expression,  sondern  ho'chste  Plastik  im  Auge:  paarweise  Blaser,  fiinf  Streicherindividualitaten 
werden  wie  sparsam  verwendete  Posaunen  und  die  gerade  im  Fidelio  fein  registrierten 
Pauken  im  Einklang  mit  der  poetischen  Idee  aufgeboten,  wobei  das  Orchester  als  einheitliche 
Gruppe  auch  gegeniiber  der  durch  die  Instrumente  wandernden  Melodie  mit  dem  Drange 
nach  Ausweitung  des  harmonischen  Horizonts  aufgefafit  wird. 

Das  ,,wirklich  poetische  Element",  von  dem  Beethoven  gesagt  hatte,  es  miisse  in  die  ,,alt~ 
hergebrachten  Formen  kommen",  wird  im  1 9.  Jahrhundert  so  stark,  dafi  es  die  Ausdrucks- 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert :  Deutschland  867 

formen  selbst  andert.  Das  Klangbild,  das  friiher  den  Zustand,  das  Sein,  das  Beharren  wieder- 
gegeben  hatte,  findet  neue  Ziele,  da  es  nun  die  Bewegung,  das  Werden,  die  Entwicklung  aus~ 
driickensoll.  Sotritt  ein  schillerndes,  gleitendes,  oszillierendes  Element  in  den  Klang.  Die  in 
der  Wiener  Idassischen  Schule  ausgebildete  harmonikale  Logik  f estgelegter  Spannungsbildungen 
als  Grundlage  einer  Zustandliches  aussprechenden  Formgebung  erweitert  sich  und  erweicht 
sich  auch  wohl.  Von  hier  aus  ergeben  sich  gleichsinnige  Veranderungen  an  der  Melodik  und 
am  Rhythmus.  An  die  Stelle  der  Gesellschaft  tritt  (bei  den  elementar  gerichteten  Musikern) 
die  Landschaft,  an  die  Stelle  der  rationalen  Bindung  tritt  das  Individuum,  und  diese  Losung 
bringt  als  entscheidenden  Ton  den  Weltschmerz  in  alien  seinen  Schattierungen  bis  zur  groBen 
Antithese  in  Schopenhauers  Pessimismus  und  Nietzsches  Optimismus  an  die  romantische 
Kunst,  far  deren  Streben,  Sehnen  und  Hinwegbegehren  es  keine  Vollendung  und  keinen 
Vollender  gibt  bis  zum  Auftreten  Wagners,  der  das  Unerfullbare  erfullt,  den  entscheidenden 
Gedanken  der  Romantik  ad  absurdum  fiihrt  und  die  Welt  in  einem  Hexenkessel  von  Rat- 
losigkeit  zuriicklafit. 

Technisch  gesehen  verwandelt  die  Terz  am  starksten  ihr  Wesen :  neben  dem  von  Schubert 
zu  Wagner  (Ringmusik)  reichenden  unvermittelten  Dur-Moll-Gegensatz  melden  sich  die 
Akkorde  der  Terz  als  die  Farbigkeit  erhohende  Funkticnstrager :  in  Nachfolge  und  Ausweitung 
der  in  der  Wiener  klassischen  Schule  gepflegten  Ubung  tritt  der  Dreiklang  der  dritten  Stufe 
neben  die  Ober-,  der  der  sechsten  Stufe  neben  die  Unterdominante,  beide  iibrigens  auch  der 
Tonika  geneigt.  Diese  Haufung  der  oft  chromatisch  eingenebelten  Mediantenwirkung  bedingt 
(bei  Schumann)  eine  Intensivierung  des  Rhythmischen,  die  endlich  (bei  Brahms)  in  Poly- 
rhythmik  auslauft. 

Formal  ist  die  fortschreitende  Ersetzung  musikbestimmter  Gebilde  durch  psychologisch- 
dramatisch-stimmungsmaGig  begriindete  Gestaltungen  bemerkenswert.  Das  Dacapo  der  Arie, 
musikgewolltes  Formungsmittel  von  bewundernswerter  Kraft,  wird  vom  dramatischen  Blick- 
punkte  nicht  mehr  verstanden;  bald  biiBt  auch  das  kunstvolle  Ensemble  mehrerer  Stimmen 
an  Kraft  der  Wahrheit  ein :  die  nicht  mehr  durch  gesprochenen  Dialog  begrenzte  Szene  wird 
durchkomponiert,  im  Gliicksfalle  entsteht  die  Geschlossenheit  des  dramatisch-symphonischen 
Aktes.  Das  musikalische  Drama  empfangt  sein  Gesetz  aus  dem  Gedicht.  Der  Musiker  iibt 
Kritik  am  Buche,  wenn  er  es  nicht  selbst  schreibt.  So  wird  auch  der  sprachliche  Vortrag 
ein  ebenso  groBes  Gewicht  bekommen,  wie  er  es  friiher  nur  im  Rezitativ  hatte,  und  das 
Rezitativ  wird  im  spateren  Stadium  die  Grundform  aller  Gestaltung,  moge  sie  sich  der 
musikbestimmten  Form  auch  wieder  nahern.  Das  Erinnerungsmotiv,  geboren  aus  dem 
Wunsche  nach  Einpragung  der  Hauptlagen  des  Dramas,  nimmt  bei  starkerer  Psychologisierung 
des  Stoffes  Form  und  Charakter  des  Leitmotivs  an  (Cherubim,  Spohr,  Wagner). 

Bei  riickschauender  Summierung  der  fur  das  1 9.  Jahrhundert  bedeutungsvoll  werdenden 
Stilelemente  mufi  dafan  erinnert  werden,  dafi  sie  sich  nicht  auf  die  Oper  allein  beziehen, 
auch  nicht  von  ihr  allein  ausgegangen  sind,  obwohl  seit  dem  Auftreten  Wagners  und  vielleicht 
schon  friiher  die  Oper  an  kultureller  Wichtigkeit  alle  anderen  Formen  ubertrifft. 

Die  romantische  Harmonik  iibernimmt  den  klassischen  GrundriB,  erweitert  ihn  aber  als- 
bald  durch  zwischendominantische  Einschaltungen,  die  verwandtschaftliche  Klange  in  den 
Lichtkegel  der  Tonika  ziehen,  die  sonst  den  Umweg  einer  Modulation  bedingt  hatten.  Die 
Erweiterung  der  Enharmonik  bedeutet  die  neuerliche  Anerkennung  des  temperierten  Ton- 


868  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Deutsdiland 

systems;  neuartige  Akkordbildungen  ( Alter ierungen,  Mixturen)  bringen  das  der  Romantik 
genehme  koloristische  Element  zu  deutlicher  Wirkung,  wie  auch  der  Quart-Sextakkord,  fast 
verselbstandigt,  zura  Farbtrager  wird.  Er  gibt  das  Signal  zu  einer  in  Wagners  Spatwerken 
sich  kundmachenden  Auflosung  der  Beziehung  von  Klangen  auf  ein  tonales  Zentrum.  Die 
immer  klarer  werdende  impressionistische  Haltung  fiihrt  zur  Verfliichtigung  der  Umrisse  und 
des  Inhalts. 

Die  Anfange  dieser  Bewegung  sind  schon  in  Schuberts  Musik  zu  bemerken;  gleichwohl 

scheint  er  von  den  friihen  Romantikern  als  einer  der  Ihren  nicht  erkannt  worden  zu  sein. 

Und  doch  gehorte  Franz  Schubert  (1797 — 1828),  so  bedingungslos  er  sich  dem  Schema  der 

iiberkommenen  Formen  verschreibt,  dem  Sinne  seiner  Erscheinung  nach  und  mit  wesentlichen 

Teilen  seiner  Kunst  der  Romantik  an.  Seine  im  Vergleich  zu  Beethovens  durchfiihrender  Kraft 

und  ohne  Tadel  feminin  zu  nennende  Anlage,  deren  Einfiihlungsvermogen  seine  GroBe  im 

deutschen  Liede  bedeutet,  die  sehnsuchtsvolle  Weitraumigkeit  seiner  Melodie,  das  Oszillierende 

seiner  Modulation,  das  selige  Versunkensein  in  der  Welt  elementarer  Klange,  das  Schwarme- 

rische  seiner  Empfindung,  das  mogen  die  Elemente  seiner  Personlichkeit  sein,  die  ihr  eine 

Ubergangsstellung  zur  Romantik  anweisen.   Ob  der  Salierischiiler  uns,  ware  ihm  ein  seine 

Fahigkeiten  anregendes  Buch  zu  Handen  gekommen,  mit  einer  romantischen  Oper  beschenkt 

haben  wiirde,  ist  eine  miifiige  Frage;  in  Wirklichkeit  hat  Schuberts  Schaffen  fur  das  Theater 

auf  die  Entwicklung  weder  der  Oper  noch  des  Singspiels  irgendeinen  Einflufi  gehabt.  Immer- 

hin  verdient  erwahnt  zu  werden,  dafi  er  das  psychologische  Erinnerungsmotiv  kennt  und  schon 

als  17jahriger  Jiingling  beim  Eingreifen  hoherer  Machte  Horner  und  Posaunen  ertonen  lafit, 

auch  spater  in  der  klanglichen  Abschattierung  des  Akkompagnato  sehr  feinsinnig  verfahrt. 

Fiir  die  geschlossenen  Formen  hatte  er  von  fremder  Hand  ein  fertiges  Ideal  mitbekommen: 

kein  Wunder,  dafi  seine  ohnehin  mehr  dem  Ausdruck  als  der  Darstellung  geneigte  Natur,  von 

vornherein  aus  ihrer  Richtung  gezwungen,  nicht  zur  Freiheit  offener  Gebilde  durchdrang. 

Schuberts  Biihnenwerke,  dem  Texte  nach  zum  Teil  aus  der  Feder  seiner  Freunde,  sind :  ,,Des 

Teufels  LustschloB"  (eine  ,,natiirliche  Zauberoper"  nach  Kotzebue,  1814),  ,,Der  vierjahrige 

Posten"  (Tn.  Korner,  1815),  ,,Fernando"  (Alb.  Stadler,  1815),  ,,Claudine  von  Villabella" 

(Goethe,  1815),  ,,Die  beiden  Freunde  von  Salamanka"  (zweiaktiges  Singspiel  von  Joh.  Mayr- 

hofer,  1815),  ,,Der  Spiegelritter"  (Kotzebue,  1815),  ,,Adrast"  (Joh.  Mayrhofer,  1815),  ,,Die 

Minnesanger"  (verschollen,  1815),  ,,Die  Biirgschaft"  (1816),  ,,Die  Zwillingsbriider"  (sechsmal 

aufgefiihrt,  1820,  Text  von  Hofmann),  diemelodramatische  Posse  ,,Die  Zauberharfe"  (aufgefiihrt 

1820),  deren  Ouvertiire  (op.  26)  spater  als  zum  Drama  ,,Rosamunde"  gehorig  ausgegeben 

wurde;  bei  dieser  Gelegenheit  wurde  dem  Komponisten  die  Wahl  eines  idyllischen  Stoffes  an- 

geraten:  er  fand  ihn  in  J.  Fil.  Neumanns  Bearbeitung  von  Kalidasas  ,,Sakuntala"  (1820,  un- 

vollendet);  auf  das  Gebiet  der  groCen  Oper  begab  sich  Schubert,  als  er  im  Herbst  1821  seines 

Freundes  Franz  von  Schober  „ Alfonso  und  Estrella"  komponierte  und  den  Dialog  durch  das 

Rezitativ  ersetzte :  die  in  der  stillschweigenden  Ubereinkunft  zwischen  Biihne  und  Parkett  ab- 

genutzten  Motive  des  Dichters  verschulden  das  Mifiraten  des  Jm  Freischiitzjahr  entstandenen 

Werkes  in  seiner  Ganzheit;  im  Jahre  1823  wurde  die  Musik  zu  Wilhelmine  v.  Chezys  ,,Rosa- 

munde"  aufgefiihrt;  zum  fiinften  Male  auf  spanischen  Boden  begibt  sich  Schubert  mit  der  Kom- 

position  der  grofien  Oper  ,,Fierrabras",  mit  bedeutendem  Melodram  am  Schlusse  des  2.  Aktes 

(1823,  Text  von  Josef  Kupelwieser),  die  erst  1861  in  Wien  zur  Auffiihrung  kommt;  in  das 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert :  Deutschland  869 

Jahr  1823  fallt  auch  Schuberts  bekanntestes  Buhnenwerk,  die  Castellische  Operette  ,,Die  Ver- 
schworenen"  (auf  Verlangen  der  Zensurbehorde :  ,,Der  hausliche  Krieg"),  die  ebenfalls  im 
Jahre  1861  belebt  wurde:  ein  Liederspiel  von  elf  sehr  hiibschen  lyrischen  Nummern;  Skizzen 
zu  2  Opern  ,,Der  Graf  von  Gleichen"  und  ,,Die  Salzbergwerke"  haben  sich  gefunden. 

Von  den  10  Opern,  die  Ludwig  Spohr  (1784 — 1859)  schrieb,  hat  er  2  far  Gotha  bestimmte 
Werke:  ,,Die  Priifung"  (1806)  und  ,,Alruna,  die  Eulenkonigin"  (1808)  selbst  zuriickgezogen ; 
,,Der  Zweikampf  mit  der  Geliebten"  erweckte  bei  seiner  Auffiihrung  in  Hamburg  (181 1)  im 
Komponisten  Zweifel  an  seiner  dramatischen  Begabung,  dock  versuchte  er  schon  1813,  aller- 
dings  vergeblich,  von  Theodor  Korner  eine  Bearbeitung  des  romantischen  Riibezahlstoffes  zu 
erhalten.  In  der  ungemein  kurzen  Zeit  von  4  Monaten  komponiert  er  das  Bernardsche 
Buck  vom  ,,Faust"  (1816  durch  C.  M.  von  Weber  aufgefiihrt).  Der  durch  Rossmis  ,,Tankred" 
angeregten,  einst  viel  gegebenen  Oper  ,,Zemire  und  Azor"  (Frankfurt,  1819)  folgt  die  bis  in 
die  siebziger  Jahre  lebendig bleibende  ,Jessonda"  (Kassel,  1823);  ihr  schliefien  sich  an:  ,,Der 
Berggeist"  (1825),  ,,Pietro  von  Albano"  (1828),  ,,Der  Alchimist"  (1830)  und  ,,Die  Kreuzfahrer" 
(1845).  Wagner,  der  sich  in  einem  Briefe  an  Spohr  (1843,  22.  April;  vgl.  N.  Zeitschr.  f.  M. 
1 904  Nr.  42)  dessen  ,,bewunderungsvollen  Schiller"  nennt,  geht  in  seiner  Kritik  (Ges.  Schriften 
X,  9)  mit  dem  Vorwurf  der  ,,Passagen~Elegance"  und  des  Polaccarhythmus  zu  weit  und  iiber- 
sieht  die  Elemente  in  Rezitativ  und  Deklamation,  sowie  in  der  Ausbildung  des  Leitmotivs,  mit 
denen  Spohr  ihm  vorgearbeitet  hat;  er  iibersieht  auf  der  anderenSeite  aber  auch,  daB  Spohr 
mit  grofitenteils  klassizistischen  Mitteln  an  die  Bewaltigung  romantischer  Stoffe  tritt;  war  doch 
unter  Ablehnung  des  letzten  Beethoven  die  Nachahmung  Mozarts,  wie  seine  Zeit  ihn  sah,  aus- 
gesprochenes  Ziel  seiner  Kunstiibung.  Vom  Romantischen  trennt  ihn  von  vornherein  sein 
Z'arf  pour  fart  -  Standpunkt,  seine  Abwendung  vom  Volksmafiigen. 

Ganz  ahnlich  in  bezug  auf  die  stilistische  Haltung  seiner  Musik,  die  sich  aber  immerhin 
dem  Volkstiimlichen  nahert,  liegt  der  Fall  E.Th.  A.  Hoffmanns,  soweit  er  als  Schriftsteller 
auch  in  die  romantischen  Bezirke  vordringt.  Sein  Schaffen  gehort  grofienteils  der  Gattung  des 
Singspiels  an:  ,,Scherz,  List  und  Rache"  (Goethe,  1801),  ,,Der  Renegat"  (1803),  ,,Faustine" 
(1804),  ,,Die  lustigen  Musikanten"  (Brentano,  1805),  ,,Der  Kanonikus  von  Mailand"  (1805), 
,,Liebe  und  Eifersucht"  (nach  Calderons  ,,Scharpe  und  Blume",  1805),  ,,Der  Trank  der  Un- 
sterblichkeit"  (1808),  ,,Das  Gespenst"  (1809),  ,,Aurora"  (1811);  ein  Melodram  ,,Diana"  er- 
schien  (1809)  auf  der  Biihne  in  Bamberg;  ein  Ballett  ,,Harlekin"  liegt  vor  und  eine  Musik 
zu  Z.  Werners  ,,Kreuz  an  der  Ostsee";  von  seinen  beiden  groBen  Biihnenwerken  ist 
„ Julius  Sabinus"  unvollendet  geblieben;  die  1816  in  Berlin  aufgefiihrte  Fouquesche  ,,Undine" 
mit  ihrem  Menschenschicksal  und  Natur  so  einzig  verquickenden,  daher  in  eminentem  Sinne 
romantischen  Stoff  wurde  von  den  Zeitgenossen  (z.  B.  von  Weber)  auch  als  Ganzes  for 
romantisch  gehalten ;  aber  der  Musik  fehlt  doch  in  hohem  Grade  das  Irrationale,  das  uns  als 
unerlafiliches  Merkmal  jener  Sinnesart  gelten  mufi. 

Die  Vielseitigkeit  der  Begabung,  die  Hoffmann  und  nach  ihm  Schumann  auszeichnet,  war 
als  Merkmal  des  romantischen  Musikers  auch  Carl  Maria  von  Weber  verliehen:  er  zeichnet 
auf  Stein,  er  versieht  die  Stelle  eines  furstlichen  Geheimsekretars,  er  entfaltet  eine  fruchtbare 
schriftstellerische  Tatigkeit.  Will  man  das  aufiere  Leben  (gegen  die  romantische  Anschauung) 
als  Symbol  des  inneren  gelten  lassen,  so  ist  die  Ahnlichkeit  des  Weberschen  mit  dem  Hoff 
manns  nicht  zu  verkennen :  beide  Male  ergibt  sich  nach  romantischen  Anfangen  ein  Kompro- 


870  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Deutschland 

miB  mit  dem  Unromantischen,  mit  der  Biirgerlichkeit;  unter  diesem  Deckmantel  spinnt  Hoff 
mann  seine  bizarren  Traume  als  Literal  folgerichtig  weiter,  wahrend  Weber,  an  sich  irre  ge- 
worden,  sich  der  grofien  Oper  zuwendet.  Gerechterweise  muB  aber  Webers  kurze  Lebens- 
dauer  hier  in  Betracht  gezogen  werden. 

Carl  Maria  von  Weber  ist  am  18.  Dezember  1 786  in  Eutin  geboren  worden,  wo  sein  Vater, 
vielfach  umhergeworfen,  Stadtmusikus  war;  das  fortgesetzte  Wanderleben  des  Vaters,  der  mit 
einer  kleinen  Operntruppe  Deutschland  durchreiste,  fiihrte  den  begabten  Knaben  von  einer 
Lehrerhand  in  die  andere:  zunachst  von  seinem  Bruder  Fridolin  geschult,  kam  er  1796  zu 
Peter  Heuschkel  nach  Hildburghausen,  darauf  (1798)  zu  Michael  Haydn  nach  Salzburg,  von 
hier  nach  Miinchen  zu  J.  N.  Kalcher  und  E.  Wallishauser  und  endlich  nach  Wien  zum  Abt 
Vogler.  Nach  kurzer  Tatigkeit  als  Theaterkapellmeister  in  Breslau  (1804 — 1806)  und  einem 
Aufenthalt  in  Karlsruhe  erfolgte  das  Stuttgarter  Intermezzo,  das  den  lebenslustigen  Jung- 
ling  zum  Manne  reifte.  Konzertreisen  machten  den  Namen  des  Kiinstlers  in  Deutschland 
bekannt,  ein  Aufenthalt  in  Darmstadt,  wo  Vogler  lebte,  diente  der  Sammlung;  in  Prag  tritt 
Weber  (1813 — 1816)  in  die  Fiihrung  der  deutschen  Oper  ein;  die  Hoffnung  auf  eine  Verpflich- 
tung  in  Berlin  erfiillte  sich  nicht,  und  so  wird  er  in  Dresden  sefihaft,  wo  er  die  Leitung  der 
zu  errichtenden  deutschen  Oper  iibernimmt  (1816);  nach  zehnjahriger  Wirksamkeit  starb 
Weber  am  5.  Juni  1826  in  London,  wo  er  den  ,,0beron"  zu  erfolgreicher  Auffiihrung  gebracht 
hatte. 

So  gewiB  auch  das  originalste  Genie  auf  der  Arbeit  seiner  Vorganger  fufit,  so  sicher  ist  in 
Webers  eigenem  Schaffen  der  Schritt  vom  ,,Abu  Hassan"  —  ihm  waren  weniger  charakte- 
ristische  Arbeiten  voraufgegangen :  ,,Die  Macht  der  Liebe  und  desWeins"  (1799),  ,,DasWald- 
madchen"  (1800),  ,,Peter  Schmoll  und  seine  Nachbarn"  (1803),  ,,Riibezahr  (1804  begonnen, 
unvollendet),  ,,Silvana"  (1810)  —  zum  ,,Freischutz"  iiberraschend  grofi.  ,,Abu  Hassan"  (1 81 1 ),. 
an  Mozarts  ,,Entfiihrung'*  angelehnt,  ist  insofern  romantischen  Geschmacks,  als  der  Kompo- 
nist  in  dem  Chor  der  Glaubigen  mit  der  humoristischen  Schilderung  eigenen  Erlebens  die  Bahn 
objektiver  Darstellung  verlaBt  und,  wie  der  romantische  Erzahler  gern  direkt  mit  dem  Leser 
verhandelt,  in  das  Kunstwerk  em  unumgeschmolzenes  Stuck  seines  Selbst  hineintragt. 

Der  ,,Freischiitz"  (am  2.  Juli  1817  begonnen,  am  18.  Juni  1821  in  Berlin  zuerst  aufgefiihrt) 
hat  durch  die  Hoffmannsche  ,,Undine"  und  Spohrs  ,,Faust"  (Blocksbergszene)  zweifellos  na- 
mentlich  koloristische  Elemente  mitbekommen;  aber  was  ihm  eigentlich  seine  kiinstlerische 
und  geschichtliche  Stellung  anweist,  ist  doch  der  Strom  eigenartig  gefarbten  Lebens,  der  vom 
Textbuch  in  die  Musik  iiberfliefit.  Entscheidend  ist  dabei,  dafi  Weber  selbst  schon  friih(1810) 
auf  den  Freischiitzstoff,  der  in  dem  Gespensterbuch  von  Apel  und  Laun  vorlag,  verfallen  war; 
damit  sollen  Friedrich  Kinds  Verdienste  um  seine  Ausgestaltung  nicht  verkleinert  werden,  aber 
es  bleibt  wahr,  daft  Weber  sich  nicht  ein  Buch  in  die  Hand  stecken  liefi,  ,,wie  ein  Schuljunge 
den  Apfel".  Dafi  er  die  beiden  von  Kind  vorgesehenen  exponierenden  Szenen  fortlieB,  geschah 
nicht  aus  musikalischen,  sondern,  wie  er  selbst  sagt,  aus  dramatischen  Griinden:  er  gewinnt 
mit  der  SchuBszene  eine  lebendige  Einfiihrung  in  den  ,,Land~,  Zeit-  und  Sittenhintergrund" . 
Und  dieser  Hintergrund  ist  es  auch  wirklich,  der  den  romantischen  Charakter  des  Werks  fest- 
legt:  die  Figuren  des  Singspiels  vom  heiteren  Annchen  bis  zum  finsteren  Kaspar  werden  zu 
vielfarbigen  Symbolen  seines  ungenannten  Helden,  des  deutschen  Waldes.  Es  ist  ein  durchaus 
romantisches  Verfahren,  wenn  Weber  seine  Musik,  im  besonderen  seine  Instrumentation,  mit 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  DeutscKland  871 

den  Augen  des  Malers  ansieht  und  den  ,,charakteristischen  Hauptton"  zu  Knden  sucht;  be- 
wundernswert  1st  aber  derTakt,  mit  dem  die  Farben,  z.B.  Homer  fur  die  Jager,  in  das  Gemalde 
eingesetzt  werden.  Fiir  die  Hornmelodien  halt  sich  der  Komponist  an  das  Muster  des  Volks- 
liedes,  was  sich  dem  romantischen  Bilde  gut  einfiigt,  ohne  da8  man  der  Hornmelodie  der 
Ouvertiire  etwa  einen  an  sich  romantischen Charakter  anriihmen  konnte.  Oherhaupt  ist  vieles  im 
,,Freischiitz"  vorhanden,  dem  man  nur  schwer  die  Merkmale  des  Romantischen  wird  zu- 
•erkennen  konnen:  Annchens  Polacca-Arie  ,,Kommt  ein  schlanker  Bursch"  ist  das  Muster 
einer  abgerundeten  Form  ohne  jedes  Geheimnis.  Das  Geheimnis voile  aber,  namentlich  wo 
es  das  Verhaltnis  des  Menschen  zu  natiirlichen  (Agathes  grofie  Szene  mit  dem  Waldweben) 
oder  zu  iibernatiirlichen  (Wolfschlucht)  Machten  trifft,  ist  das  Feld  zur  Entfaltung  roman 
tischen  Zaubers;  den  ,,Hauptklang"  fur  das  Heimliche  und  fur  das  Unheimliche  zu  treffen, 
war  Webers  bewufites  Bestreben,  und  wie  ihm  neben  anderen  Mitteln  die  Klangfarbe  der 
Klarinette  diesem  Zwecke  gedient  hat,  ist  bekannt.  Von  den  musikahschen  Formen  ent- 
spricht  der  romantischen  Absicht  am  besten  das  Akkompagnato  und  das  Melodram :  sie  sind, 
ohne  formalen  Zwang  von  seiten  der  Erfiillung  des  Zeitablaufs  durch  die  Musik  und  als  Unter- 
malung  von  Seelen-  oder  Naturzustanden  dem  romantischen  Ideal  des  Gesamtkunstwerks 
naher  als  die  Arie,  und  fur  die  Oper  die  Eintrittskanale  der  romantischen  Elemente  von  je. 
Fiir  die  nur  hier  zur  Ausbildung  kommende  epochemachende  Erfindung  Webers,  eine  be- 
stimmte  seelische  oder  natiirliche  Lage  nicht  durch  eine  Melodie,  sondern  nur  durch  einen 
Klang  zu  charakterisieren,  sei  das  zuerst  bei  Samiels  erstem  Auftreten  erscheinende,  spater  als 
Erinnerungsmotiv  verwandte 

trem.: 


ein  Beispiel,  das  den  Komponisten  zugleich  als  Meister  des  knappsten  dramatischen  Ausdrucks 
beglaubigt. 

Mehr  noch  als  die  philosophisch-ethische  Begeisterung  der  Zeit  trat  mit  schicksalhafter 
Macht  in  Webers  romantische  Kunst  das  politische  Ereignis  der  Freiheitsbewegung :  er  ist 
der  erste,  der  sie  im  Werk  spiegelt.  In  der  Folge  wurde  der  ,,Freischutz"  zum  Zeichen,  unter 
dem  sich  die  an  der  Reaktion  Leidenden  zu  sammeln  wufiten.  Beethovens  Eroica  hatte  als 
politisches  Dokument  diesen  nationalen  Charakter  noch  nicht  gehabt;  aber  fortan  wird  die 
Freiheit  auch  andern  Volkern  (den  Italienern,  den  Bohmen)  von  der  Opernbiihne  herab  ver- 
kiindet.  Mit  dem  ,,Freischutz"  schwingt  die  Magnetnadel,  die  alle  kiinstlerischen  Energien 
bisher  im  Siidosten  nachgewiesen  hatte,  plotzlich  um  und  zeigt  deutlich  auf  das  im  Norden 
sich  bildende  Kraftfeld. 

,,Ein  in  sich  abgeschlossenes  Kunstwerk,  wo  alle  Teile  und  Beitrage  der  verwandten  und 
benutzten  Kunste  ineinander  schmelzend  verschwinden  und  auf  gewisse  Weise  untergehend, 
eine  neue  Welt  bilden",  das  war  Webers  Programm,  als  er  ,,auf  das  vereinigte  Zusammen- 
wirken  aller  Schwesterkiinste  hoffend",  die  Arbeit  an  Wilhelmine  von  Chezys  ,,Euryanthe" 
aufnahm.  Fiir  die  Stellung  dieses  Werks  zum  ,,Freischiitz '  istdasVorkommenundderVerlauf 
€ines  Fugato  in  der  Ouvertiire  symbolisch,  und  Max  Maria,  Webers  Sohn  und  Biograph,  ist 
im  Recht,  wenn  er  den  ,,Freischiitz"  als  das  Dokument  des  Lebens,  die  ,,Euryanthe<<  als  das 


872  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Deutschland 

der  Bildung  und  der  Arbeit  seines  Vaters  hinstellt,  mit  dem  er  auf  Grund  eines  nach  Schlegel- 
scher  Dramaturgie  gearbeiteten  Textes  in  bewufite  Beziehung  zur  offiziellen  Literaturromantik 
der  Zeit  trat.  Das  Fehlen  der  metaphysischen  Hintergriinde,  die  im  ,,Freischiitz"  durch  die 
Bindung  der  Personen  an  die  Natur  so  gliicklich  hergestellt  waren,  stempelt  die  vom  Singspiel 
abstrebende  ,,Euryantne'*  zur  grofien  Oper,  deren  Formen  auch  da  bewahrt  werden,  wo,  wie 
in  der  groBen  Szene  des  Lysiart  am  Anfang  des  2.  Aktes,  der  dramatische  Inhalt  schon  Gebiete 
streift  —  und  da  mufi  vor  allem  das  nun  folgende  Duett  mit  der  Beschworung  der  Nacht  als 
starkem  romantischen  Element  genannt  werden  — ,  deren  Hohenlage  bis  dahin  iiberhaupt  noch 
nicht  war  betreten  worden.  Hier  und  in  Spohrs  ,,Jessonda"  sind  die  Grundziige  (und  zwar 
die  architektonisch-stimmungsmafiigen  mit  hochster  Deutlichkeit)  zu  erkennen,  aus  denen 
sich  der  zweite  Akt  von  Wagners  ,,Lohengrin"  bilden  wird. 

Im  ,,0beron"  stellt  sich  Weber  wieder  auf  den  Boden  des  deutschen  Singspiels,  wofiir  wir 
als  aufieres  Zeichen  die  Riickkehr  zum  gesprochenen  Dialog  nehmen.  Unter  den  ungiinstigsten 
Umstanden  konzipiert  —  der  Dichter  Planche  sandte  den  englischen  Text  bruchstiickweise 
ein,  sodaB  ein  Uberblick  iiber  das  Ganze  nicht  zu  gewinnen  war  — ,  kniipft  das  Werk  mit 
der  Subjektivierung  der  Natur  wieder  an  den  ,,Freischiitz"  an,  fiigt  Elemente  orientalischer 
Marchenpoesie  hinzu,  und  seine  Ouvertiire,  von  Wagner  eine  ,,dramatische  Phantasie"  ge 
nannt,  ist  durch  das  Festhalten  eines  bestimmten  Lokaltones  vorbildlich  geworden. 

Eine  dreiaktige  komische  Oper  ,,Die  drei  Pintos"  (Text  von  Th.  Hell  =  Karl  Winkler),  die 
Weber  1820  zu  komponieren  begonnen  hatte,  liefi  er  liegen;  sie  wurde  von  Gustav  Mahler  be- 
endet. 

In  hoherem  Grade,  als  der  Komponist  des  ,,Freischiitz**  ist  Heinrich  Aug.  Marschner 
(1795 — 1861)  eine  historische  Grofie  geworden.  Nach  einigen  Jugendwerken :  ,,Der  Kyff- 
hauserberg",  ,,Saidor",  ,,Heinrich  IV.  und  Aubigne"  (1820  durch  Weber  aufgefuhrt),  ,,Der 
Holzdieb"  (1825),  ,,Lukretia"  (1826)  schrieb  er  auf  Texte  seines  Schwagers  W.  A.  Wohlbriick 
dieOpern  ,,Der  Varnpyr"  (1828)  und  ,,Templer  und  Jiidin"  (1829),  die,  viel  gegeben,  seinen 
Namen  bald  bekannt  machten;  nach  ,,Des  Falkners  Braut"  (1832)  folgte  sein  bekanntestes  und 
vorziiglich  lebensfahiges  Werk:  ,,Hans  Heiling"  (1833,  Text  von  Ed.  Devrient),  dem  sich  ,,Das 
Schlofi  am  Atna"  (,,Der  Feuerbrand",  1836),  ,,Der  Babu"  (1837),  ,,Adolf  von  Nassau"  (1845), 
,, Austin"  (1852)  und  ,,Hjarne"  (1863)  anschlossen;  aufierdem  komponierte  er  Biihnenmusiken 
zu  Kleists  ,,Prinz  Friedrich  von  Homburg",  zu  Kinds  ,,Schon  Ella",  Th.  Hells  ,,Ali  Baba". — 
Marschners  Leben  endete,  sehr  im  Gegensatz  zu  dem  Webers,  in  einer  langen  Sinekure:  es 
war  das  Leben  eines  liberalen  Burgers,  ja,  wie  eine  seiner  Nichten  urteilte,  das  eines  Philisters, 
jedenfalls  so  unromantisch,  wie  nur  vorstellbar.  Aber  er  war  ein  Musiker  von  bedeutenden, 
durch  die  Geschlossenheit  seiner  Personlichkeit  allerdings  begrenzten  Anlagen,  und  die  Mittel, 
mit  denen  die  Schopfung  einer  romantischen  Oper  zu  bestreiten  ist,  lagen  bereit  und  standen 
gerade  ihm  in  weitem  Umfange  zur  Verfiigung.  So  darf  man  Marschner  den  durch  Wagner 
geheiligten  Ehrentitel  eines  burgerlichen  Meisters  nicht  absprechen.  Aber  der  ,,Vampyr"  und 
,,Hans  Heiling"  zumal  sind  doch  romantische  Opern?  Ist  nicht  die  Gegeneinandersetzung  des 
Obersinnlichen  mit  der  sinnlichen  Welt,  das  Ubergreifen  damonischer  Machte  in  das  Menschen- 
leben  Kennzeichen  romantischer  Anschauung?  Dann  muB  man  auch  die  Stiicke,  in  denen  an- 
tike  Gotter  und  mythische  Erscheinungen  sich  mit  dem  Menschlichen  mischen,  romantisch 
nennen.  Nicht  im  Stoffe  liegt  das,  was  den  musikalischen  Romantiker  macht,  sondern  einzig 


Die  Oper  im  1 9.  Jahrhundert :  Deutschland  873 

in  seiner  Behandlung  und  Formung.  Und  da  ist  Marschner  ein  geschickter  Praktiker,  der  das 
Ol  seiner  Melodien  hier  iiber  das  Damonische,  dort  iiber  das  Sentimentale  gieBt,  Gesangslinien 
im  Einklang  mit  Orchesterinstrumenten  begleitet  und  eigentlich  Gewachsenes  (wenn  auch  mitt- 
lerweile  Verdorrtes)  nur  in  den  recht  vortrefflich  ausgefiihrten  Chor-  und  Volksszenen  gibt, 
Dafi  ,,Wissen  und  Erfahrung  natiirlich  das  ihrige  tun",  hat  der  Komponist  selbst  bezeugt.  Aber 
seine  Kraft  versagt  schon,  als  es  gilt,  Heilings  Verzicht  auf  die  Macht  auszudriicken,  so  gut  es 
ihm  sonst  auch  gelingt,  die  vorhandene  Form  mit  irgendeinem  Inhalt  zu  erfullen.  Einmal 
allerdings  scheint  es,  als  wolle  er  zum  Ritt  in  das  romantische  Land  satteln:  in  der  Soloszene 
der  Mutter;  sie  ist  bezeichnenderweise  ein  Melodram.  Das  Melodram  aber  verla'Bt  die  Form 
und  zwingt  die  Musik  zum  Sprechen;  und  das  Jst's,  was  die  Romantiker  wollen. 

Aus  der  Fulle  der  vorzugsweise  als  Opern-  oder  Chorleiter  —  der  Mannergesang  hatte  sich 
sonderlich  stark  entwickelt  —  tatigen  Komponisten  von  Opern  seien  nur  einige  Namen  genannt ; 
zum  Teil  sind  ihre  Werke  vergessen,  zum  kleineren  Teil  werden  sie,  ohne  entwicklungs- 
geschichtlich  bedeutend  zu  sein,  noch  heute  gegeben. 

Konradin  Kreutzer  (auch:  Kreuzer,  1780—1849,  30  Opern,  darunter  ,,Das  Nachtlager  in  Granada",  1834);  Fer 
dinand  Ries  (1784—1838,  3  Opern);  Alb.  Gotll.  Methf  essel  (1785—1869,  eine  Oper);  J.  Ch.  Friedrich  Schnei 
der  (1786—1853,  7  Opern);  P.  J.  v.  Lindpaintner  (1791—1856,  21  Opern);  Wilhelm  Mangold  (1796—1875, 
3  Opern,  Schauspielmusiken);  J.  Carl  G.  Loewe  (1796 — 1869,  5  Opern,  davon  eine:  ,,DJe  drei  Wiinsche",  1834  in 
Berlin  aufgefiihrt);  Franz  Glaser  (1798—1861,  19  Opern,  davon  erfolgreich :  ,,Des  AoUers  Horst",  Berlin  1832;  Pan- 
tomimen,  Schauspielmusiken);  C.  Gottlieb  Reissiger  (1798—1859,  9  Opem);  Fr.  E.  Fesca  (1789—1826,  2  Opern); 
Franz  Lachner  (1803— 1890,  Opern:  ,,Die  Biirgschaft",  1828,  ,,Alidia",  1839,  ,,Catharina  Cornaro",  1841,  ,,Ben~ 
venuto  Cellini",  1849);  Heinrich  L.E.Dorn  (1804—1892,  8  Opern,  eine  Operette,  ein  Ballett);  Ignaz  Lachner 
(1807—1895,  3  Opern);  Felix  Mendelssohn  (1809—1847,  eine  Operette,  ein  Singspiel,  eine  Oper:  ,,Die  Hochzeit 
des  Camacho",  1827,  Musikenzu  ,,Antigone",  ,,Odipus  auf  Kolonos",  ,,Athalia",  ,,Sommernachtstraum",  ein  Openi- 
fragment  romantischer  Haltung:  ,,Loreley",  Text  von  Geibel) ;  Robert  Schumann  (1810 — 1856;  er  lehnt  Hoffmanns 
,,Doge  und  Dogaresse"  als  Text  ab,  weil  ihm  ,,ein  deutsches  tiefes  Ideal"  fehle,  und  ergreift  1847  Hebbels  ,,Geno- 
veva");  K.  G.  Wilhelm  Taubert  (1811 — 1891,  6  Opern,  Musiken  zu  Euripides'  ,,Medea"  und  zu  Shakespeares 
,, Sturm");  Karl  Mangold  (1813 — 1889,  4  Opern,  darunter  ein  ,,Tannhauser",  3  Konzertdramen,  eine  dramatische 
Szene);  Heinrich  Esser  (1818—1872,  3  Opern);  Alexander  Ernst  Fesca  (1820—1849,  4  Opern);  Franz  von  Hoi- 
stein  (1826 — 1878,  5  Opern  nach  eigenen  Texten,  darunter  ,,Der  Haideschacht",  1868,  Soloszene  aus  Schillers  ,,Braut 
von  Messina");  Karl  Goldmark  (1830—1915,  Opern:  ,,Die  KoniginvonSaba",  1875,  ,,Merlin",  1886,  ,,DasHeim- 
chen  am  Herd",  18%,  ,,Die  Kriegsgefangene",  auch:  ,,Briseis",  1899,  ,,Gotz  von  Berlichingen",  1902,  ,,Ein  Winter- 
marchen",  1908);  Edmund  Kretzschmer  (1830—1908,  4  Opern,  darunter  ,,Die  Folkunger",  1874).  In  ihrem  Wir- 
kungsbereich  auf  Wien  beschrankten  sich:  Adalbert  Gyrowetz  (1763 — 1850,  30  Opern  und  Singspiele);  Joseph 
Weigl  (1766—1846,  30  Opern,  darunter:  ,,Die  Schweizerfamilie'',  1809,  ,,Das  Waisenhaus",  1818);  Franz  X.  Siifi- 
mayer  (1766 — 1803,  einige  Opern,  darunter  ,,Soliman  IL",  ,,Der  Spiegel  von  Arkadien",  1795,  ,,Der  Wildfang"); 
Benedikt  Randhartinger  (1802—1893,  eine  Oper);  Heinrich  Proch  (1809—1878,  4  Opem);  Ferdinand  Karl 
Fuchs(1811— 1848,  2  Opern). 

Weber  und  in  vielleicht  noch  hoherem  Grade  Marschner  besafien  ein  entschiedenes  Talent 
fur  musikalische  Komik,  das  beide  nicht  nur  in  ihren  ernsten  Opern  pflegten,  sondern  dem 
jeder  auch  ein  geschlossenes  Werk  widmete  (,,Die  drei  Pintos",  ,,Der  Babu").  Sie  setzen  da- 
mit  die  auch  sonst  aufgenommene  Linie  des  deutschen  Singspiels  fort,  dessen  Auslaufer  mit 
der  Schwierigkeit  der  Beschaffung  guter  Texte  zu  kampfen  hatten.  Es  darf  als  Gliicksfall  von 
nicht  zu  unterschatzender  Bedeutung  betrachtet  werden,  dafi  dieser  sympathischen  und  fur 
Deutschland  charakteristischen  Bewegung  ein  Meister  erstand,  der  das  Theater  kannte,  ohne 
literarische  Verstiegenheiten,  ja  sogar  im  Kampf  gegen  sie,  als  Dichter  und  Bearbeiter  fest  urn- 
rissene  Typen  auf  die  Biihne  stellte,  und  als  Musiker  iiber  eine  leichte  Hand  und  eine  gehorige 
Dosis  eines,  wenn  auch  burgerlichen,  so  doch  keineswegs  unbeschwingten  Humors  von 


874  Die  Oper  im  1 9.  Jahrhundert :  Deutschland 

natlirlicher  Art  verfiigte.  Albert  Lortzing  (1801 — 1851)  hatte  als  singender  Schauspieler  —  fur 
ihre  Krafte  war  das  Singspiel  gedacht  —  noch  Hillersche  Werke  in  der  Praxis  kennengelernt 
und  eines  von  ihnen  (,,D5e  Jagd",  1830,  in  Detmold)  neu  bearbeitet;  es  ist  denn  auch  Hiller- 
scher  Geist  in  seinen  Werken  lebendig:  ihre  auCeren  Kennzeichen  tragen  sie  in  der  Bei- 
behaltung  des  gesprochenen  Dialogs,  der  geschlossenen  musikahschen  Forrn  in  Anen  und  in 
den  smgspielhaften  Strophenliedern.  Rationalistisch,  wie  die  Grundlage  seiner  Kunstiibung, 
war  die  Anschauung  des  Komponisten,  und  sein  Ausflug  in  das  romantische  Gebiet  mit  der 
„  Undine"  (1845  nach  Fouques  Erzahlung  vom  Komponisten  bearbeitet)  darf  trotzdes  auBeren 
Erfolges  gerade  in  den  ernsten  Teilen  nicht  als  gegliickt  angesehen  werden :  ihre  Romantik  ist 
Konvention.  Immerhm  hat  Lortzing  auch  seinen  Singspielstil  nicht  sofort  gefunden.  Dies  ge- 
schah  in  ,,Zar  und  Zimmermann  oder  die  zwei  Peter"  (Leipzig  1837,  nach  G.  Romers  Uber- 
setzung  von  Duveyrier-Mellesvilles  Lustspiel:  ,,Der  Biirgermeister  von  Saardam  oder  die  zwei 
Peter"),  nachdem  eine  Anzahl  von  Arbeiten  voraufgegangen  waren:  ,,Ali  Pascha  von  Janina" 
(1824),  ,,Der  Pole  und  sein  Kind"  (vor  1833),  ,,Szene  aus  Mozarts  Leben",  ,,Der  Weihnachts- 
abend",  ,,Andreas  Hofer",  die  Musik  zu  ,JDon  Juan  und  Faust",  ,,Yelva"  und  die  erfolgreiche 
Oper  ,,Die  beiden  Schiitzen"  (1835);  ,,Die  Schatzkammer  des  Inka",  ein  Jahr  vor  ,,Zar  und 
Zimmermann**  geschrieben,  kam  nicht  zur  Auffiihrung;  es  folgten:  ,,Caramo  oder  das  Fischer- 
stechen"  (1839),  ,,Hans  Sachs"  (1840),  ,,Casanova"  (1841),  ,,Der  Wildschutz  oder  die  Stimme 
der  Natur"  (nach  Kotzebues  Lustspiel  ,,Der  Rehbock",  1842),  unstreitig  sein  bestes  Werk; 
an  die  ,,Undine"  schlieBen  sich:  ,,Der  Waffenschmied"  (1846),  ,,Zum  Grofiadmiral"  (1847), 
,,Die  Rolandsknappen"  (1849),  eine  Posse  ,,Die  Berliner  Grisette",  ein  Einakter  ,,DJe  Opern- 
probe" ;  in  seinem  Nachlafi  eine  Oper:  ,,Regina"  und  eine  Musik  zu  Benedix'  ,,Drei  Edelsteine*'. 
Das  Feingefuhl  des  kiinstlenschen  Gestalters,  wie  billig,  nach  der  komischen  Seite  hm,  zeigt 
die  Art,  wie  Lortzing  mit  seinen  Vorlagen  verfuhr:  der  3.  Akt  des  ,,Zar"  mit  der  witzig  be- 
handelten  Probe  und  dem  Huldigungschor  ist  ebenso  sein  Werk,  wie  die  Ersetzung  des  farb- 
losen  Pachters  im  ,,Wildschutz"  durch  den  scharf  gesehenen  Schulmeister  und  wie  der  amii- 
sante  VorstoB  gegen  die  durch  Mendelssohns  Musik  zu  Sophokles'  ,,Antigone"  plotzlich  in 
das  Leben  gerufene  Antikenschwarmerei  der  Leipziger  Damen.  Musikalisch  ist  die  in  der 
Billardszene  vorgenommene  symphonische  Zusammenfassung  der  auseinanderstrebenden  Ein- 
heiten,  die  Durchsichtigkeit  der  Orchestration  und  die  charaktervolle  Behandlung  der  Instru- 
mente  Beweis  fiir  eine  in  kleinem  Bereich  sich  aussprechende  Meisterschaft,  die  sich  auch  in 
der  Bewaltigung  groSerer  Ensembles  bewahrt. 

Ist  Lortzing  ein  rein  deutsches  Talent,  so  kommt  fiir  Otto  Nicolais  (1810 — 1849)  im  Tech- 
nischen  hoher  stehende  Kunst  die  Berucksichtigung  eines  italienischen  Einschlags  in  Frage, 
der  das  Schwergewicht  von  der  instrumentalen  auf  die  vokale  Seite  ablenkt;  doch  zeigt  die  In 
strumentation  FeJngefuhl  und  Mannigfaltigkeit.  Im  allgemeinen  der  Unfahigkeit  der  Sanger 
wegen  dem  Rezitativ  abgeneigt,  macht  Nicolai  an  einer  Stelle  der  ,,Lustigen  Weiber**  (II,  5 
Buffoduett  der  beiden  Basse)  den  Versuch  zu  seiner  Einfiihrung  in  die  deutsche  komische  Oper. 
In  Italien  waren  die  Opern:  ,,Rosmonda  dlnghilterra"  (1838,  auch  ,,Enrico  II.  d'Inghil terra'*), 
,,11  templario"  (1840,  auch  ,,Teodosia4t),  ,,0doardo  e  Gildippe"  (1841),  ,,11  proscritto"  ent- 
standen  und  dort  und  zum  Teil  auch  in  Deutschland  aufgefuhrt,  ehe  der  auch  als  Schriftsteller 
schatzenswerte  Komponist  in  dem  Shakespeareschen  Lustspiel  einen  von  Jakob  Hoffmeister 
und  endgiiltig  von  Hermann  Salomon  Mosenthal  (1821 — 1877)  bearbeiteten  Stoff  fand,  dem 


DieOper  im  19.  Jahrhundert:  Deutschland  875 

seine  Musik  zwar  an  innerem  Wuchs  nicht  kongenial  ist,  dem  sie  aber  doch  viel  abzugewinnen 
weiB,  wobei  hier  nur  auf  die  Ausgestaltung  der  Finales  verwiesen  sei.  Aufgefiihrt  wurden  ,,Die 
lustigen  Weiber  von  Windsor"  achtWochen  vor  dem  friihen  TodeNicoIais  im  Jahre  1849  in 
Berlin. 

In  einiger  Entfernung  von  Lortzing  und  Nicolai,  auch  von  ihnen  durch  eine  in  rhythmischer  Pikanterie  und  melo- 
discKer  Grazie  sich  aufiernde  franzosische  Farbung  unterschieden,  steht  Friedrich  von  Flotow  (1812—1883)  in  der 
Reihe  der  deutschen  Lustspielkomponisten ;  denn  ,,Martha"  (1847)  und  nicht  ,,Stradella"  (1844)  ist  fiir  den  an 
Auber  und  Adam  geschulten  Zeitgenossen  Wagners  charakteristisch.  Die  beiden  unter  der  grofien  Zahl  seiner  meist 
in  franzosischer  Sprache  geschriebenen  Opern  einzig  erhaltenen  Werke  stammen  textlich  von  Friedrich  Wilhelm  Riese 
(f  1879,  auch  W.  Friedrich  genannt). 

In  der  strengen  Schule  S.  Dehns  aufgewachsen,  steht  der  Dichtermusiker  Peter  Cornelius  (1824—1874)  durch 
seine  Neigung  zur  neudeutschen  Richtung,  sonderlich  zu  Liszt  und  Wagner  in  der  Entwicklungsgeschichte  der  deut 
schen  Oper  an  bedeutsamer  Stelle:  sein  ,,Barbier  von  Bagdad"  erschien  (1858)  zehn  Jahre  vor  den  ..Meistersingern". 
Der  mit  seiner  ersten  Auffiihrung  in  Weimar  verbundene  Skandal,  der  Liszt  zum  Riicktritt  bewegte,  war  das  Zeichen, 
unter  dem  Deutschland  die  stilreine  und  durchsichtig  gearbeitete  Probe  einer  neuen,  wiinschenswerten  Gattung  ab- 
lehnte:  die  fein-komische  Oper,  die  nicht  auf  das  Gelachter  zielt,  sondern  das  Lacheln  will  und  andererseits  das 
grobsentimentale  {Complement  der  Komik  durch  das  Lyrische  ersetzt.  E)urch  den  MiBerfolg  seines  Werks  entmutigt, 
wird  Cornelius  seiner  Spezialbegabung  untreu  und  wendet  sich  im  ,,Cid"  (1865)  und  der  unvollendeten  (von  W. 
von  Baufinern  hergestellten)  ,,Gunlod"  Wagnerschen  Idealen  zu.  Ein  konsequenter  Vertreter  der  neudeutschen  Rich 
tung  Jst  Alexander  Ritter  (1833—1896),  der  mit  zwei  komischen  Opern:  ,,Der  faule  Hans"  (1885)  und:  ,,Wem  die 
Krone?"  (1890)  hervortritt.  Hans  Sommer-Zincke  (1837 — 1919)  schrieb  neben  romantischen  Opem  (,,Loreley", 
1891)  auch  komische  Werke:  ,,Der  Nachtwachter"  (1869),  ,,Rubezahl"  (1904),  ,,Riquet  mit  dem  Schopf"  (1907) 
und  andere.  Prinzipiell  auf  Wagnerschem  Boden  steht  der  im  einzelnen  an  Brahms  angelehnte  Hermann  Goetz 
(1840 — 1876),  der  mit  dem  Kammermusik-  und  Liedstil  seiner  heiteren  Oper  ,,Der  Widerspenstigen  Zahmung" 
(1874)  gliicklicher  war,  als  mit  dem  die  dramatischen  Schwachen  deutlicher  offenbarenden,  von  Ernst  Frank  voll- 
endeten  ernsten  Werk  ,,Francesca  da  Rimini". 

Zu  einer  ruhig-zielbewuBten  Entwicklung  ihres  eigenen,  sei  es  nun  auf  Lortzing  oder  auf  Cornelius  weiter  bauenden 
Stils  ist  die  deutsche  komische  Oper  nicht  mehr  gelangt.  Augenblickliche  Bereicherung  erfuhr  sie  durch  einige  auch 
der  ernsten  Oper  zugewandte  Meister.  Anton  Urspruch  (1850 — 1907)  schrieb  nach  der  in  Frankfurt  gegebenen 
grofien  Oper:  ,,Der  Sturm"  (1888)  das  auf  spanischer  Textgrundlage  beruhende  komische  Werk  ,,Das  Unmoglichste 
von  allem"  (1897).  Hermann  Zumpe  (1850 — 1903)  komponierte  vor  den  Musikdramen  ,,Sawitri"  (beendet  von 
Rofiler,  1907)  und  ,,Das  Gespenst  von  Horodin"  (1910)  eine  Marchenoper  ,,Anahra"  (1881),  eine  romantische  ko 
mische  Oper  ,,Die  verwunschene  Prinzessin"  und  die  Operetten  ,,Farinelli"  (1886),  ,,Karin"  (1888),  ,,Polnische  Wirt- 
schaft"  (1889).  Der  Sanger  des  MSpanischen  Liederbuchs",  Hugo  Wolf  (1860—1903)  wahlte,  seiner  Ueder  miide, 
einen  spanischen  Stoff,  als  er  die  von  Rosa  Mayreder  als  ,,Der  Corregidor"  bearbeitete  Novelle  ,,Der  Dreispitz" 
von  Alarcon  ergriff  und,  Junggesell  wie  Beethoven,  das  Motiv  des  ,,Fidelio"  in  das  Idyllisch-Heitere  wandte  (1895, 
erste  Auffiihrung  in  Mannheim  1896).  In  dem  gleichen  Sinne,  in  dem  Wolf  seine  Liederbucher  ,,Kleine  Opern" 
nannte,  ist  der  ,,Corregidor"  als  Liederbuch  zu  bezeichnen;  seiner  kostlichen  und  quellenden  Musik  fehlt  der  auch 
dem  intimen  Drama  notwendige  SchuB  Theaterblut.  Ein  tragisches  Drama  (nach  Alarcons  ,,Kind  mit  der  Welt- 
kugel")  ,,Manuel  Venegas"  von  1897,  blieb  unvollendet.  Eine  Biihnenmusik  zu  Ibsens  ,,Fest  auf  Solhaug"  schrieb 
Wolf  im  Jahre  1892.  Emil  Nikolaus  von  Reznicek  (geb.  1861)  hatte  nach  den  Opern  ,,Die  Jungfrau  von  Orleans" 
(1887),  ..Satandla"  (1888),  ,,Emmerich  Fortunat"  (1889)  mit  ,,Donna  Diana"  (1894)  einen  starkeren  Erfolg;  er 
schrieb  seitdem:  ,,Till  Eulenspiegel"  (1902),  ,,Die  Angst  vor  der  Ehe"  (eine  Operette  1914)  und  ,,Ritter  Blaubart" 
(1918).  Leo  Blech  (geb.  1871)  kam  von  der  groBen  Oper:  ,,Agla]'a"  (1893),  ,,Cherubina"  (1894)  zur  komischen 
Oper:  ,,Das  war  ich"  (1902),  ,,Versiegelt"  (1908)  und  zur  Volksoper:  ,,Aschenbrodel"  (1905)  und  ,,Alpenkonig  und 
Menschenfeind"  (1903,  auch  ,,Rappelkopf")  und  wandte  sich  neuerdings  der  Operette  zu.  Dem  im  Musikdrama  so 
handfesten  Eugen  d'Albert  (geb.  1864)  gelangen  in  der  ,,Abreise"  (1898)  und  ,,Flauto  solo"  (1905)  zwei  sehr  hubsche 
Musiklustspiele. 

Die  Erscheinung,  die  dem  19.  Jahrhundert  in  der  deutschen,  ja  fast  in  der  europaischen 
Oper  das  Geprage  gibt,  ist  Richard  Wagner. 

Geboren  \vurde  Wilhelm  Richard  Wagner  am  22.  Mai  1813  in  Leipzig.  Schon  in  der 
Schule  beschaftigen  den  Knaben  die  Probleme  der  grofien  Tragodie;  doch  gewinnen  die  durch 
G,  Miiller  und  Ch.  E.  Weinlig  gepflegten  musikalischen  Neigungen  rasch  die  Oberhand,  in 
ihrer  Naivitat  sehr  bald  von  der  Reflexion  dramatischen  Wollens  abgelost.  Im  Jahre 
56  H.  d.M. 


876  Die  Oper  im  1 9.  JaKrhundert :  Deutschland 

1833  schreibt  er  in  Wiirzburg,  wo  er  seinen  Bruder  besuchte,  seine  erste  Oper  ,,Die  Feen", 
deren  Text  er  nach  Gozzis  Marchen  ,,Die  Frau  als  Schlange"  selbst  bearbeitet  hatte.  Als 
Kapellmeister  am  Magdeburger  Stadttheater  bringt  er  ,,Das  Liebesverbot"  (nach  Shake- 
speares  ,,Ma6  fiirMafi",  1836)  zur  Auffuhrung.  Nach  einer Episode  in  Konigsberg  wendet  er 
sich  1837  nach  Riga,  wo  er  zwei  Jahre  am  Theater  und  als  Leiter  der  Abonnementskonzerte 
tatig  ist.  Die  Hoffnung,  im  Zentrum  der  Theaterkultur,  in  Paris  zur  Geltung  zu  kommen, 
schlagt  zunachst  fehl :  die  Sorge  um  das  Dasein  zwingt  ihn  zu  untergeordneten  Arbeiten ;  doch 
fallt  in  die  drei  Pariser  Jahre,  die  Bekanntschaft  mit  Berlioz,  Liszt  und  Meyerbeer  bringen, 
die  Vollendung  des  ,,Rienzi"  (nach  Bulwer)  und  die  Dichtung  und  Komposition  des  ,,Fliegen- 
den  Hollander**.  Der  Auffuhrung  des  ,,Rienzi"  (1842)  in  Dresden,  die  dem  Komponisten  die 
dortige  Kapellmeisterstelle  gewinnt,  folgt  die  Darbietung  des  ,,Fliegenden  Hollander*'  (1843), 
der  als  Werk  von  neuartigem,  allein  den  organischen  Zusammenhang  mit  der  Vergangenheit 
(besonders  mit  Marschner)  zeigendem  Charakter  die  Meinungen  spaltet.  Die  Festigung  seines 
Ansehens  durch  die  Auffuhrung  des  ,,Tannhauser"  (1845,  19.  Oktober)  wurde  durch  Wagners 
Teilnahme  am  Maiaufstande  des  Jahres  1849  geschmalert,  da  sie  zunachst  den  Verzicht  auf 
offentliche  Wirksamkeit  bedeutete :  die  Flucht  flihrte  iiber  Weimar  nach  Paris  und  Zurich,  wo 
Wagner  bis  zum  Jahre  1859  bleibt.  Hier  entsteht  die  Mehrzahl  seiner  theoretischen  Schriften 
(,,Die  Kunst  und  die  Revolution",  1849,  ,,Das  Kunstwerk  der  Zukunft",  1850,  ,,Kunst  und 
Klima",  1850,  ,,0per  und  Drama**,  1851,  ,,Eine  Mitteilung  an  meine  Freunde",  1851);  der 
vollstandige  Text  der  ,,Nibelungen*'  erschien  1853.  Den  noch  in  Dresden  (1847)  vollendeten 
,,Lohengrin**  fiihrt  Liszt  1850  in  Weimar  auf.  Von  Paris  aus,  wo  Wagner  die  charakteristische 
Ablehnung  des  ,,Tannhauser"  erlebt  und  die  Schrift  ,,Zukunftsmusik"  (1860/61)  verfafit  hatte, 
wendet  er  sich  nach  erlangter  Amnestic  (1862)  nach  Karlsruhe  und  Wien,  wo  er  vergeblich  die 
Auffuhrung  des  inzwischen  vollendeten  „  Tristan"  (1859)  durchzusetzen  sucht.  In  Biebrich 
a.  Rh.  (1 862)  und  in  Wien  (1 863)  arbeitet  er  an  den  ,,Meistersingern".  Als  ihn  Konig  Ludwig  II. 
nach  Miinchen  zieht  (1864),  veranlafit  er  die  Berufung  Hans  von  Billows  dorthin,  der  im 
Jahre  1865  ,,Tristan  und  Isolde*4,  drei  Jahre  spater  ,,Die  Meistersinger"  zur  Auffuhrung  bringt, 
die  in  Luzern,  wohm  Wagner  iibergesiedelt  war,  vollendet  wurden ;  hier  fiihrte  Wagner  auch  die 
Arbeiten  an  den  ,,NibeIungen"  weiter,  deren  erste  Entwiirfe  bis  in  die  Dresdner  Zeit  zuriick- 
reichen.  Nachdem  ,,Rheingold"  und  ,,Walkiire**  einzeln  in  Miinchen  aufgefiihrt  worden 
waren,  wurde  die  Trilogie  vom  ,,Ring  des  Nibelungen"  (,,Die  Walkiire",  ,,Siegfried",  ,,Gotter~ 
dammerung"  mit  dem  Vorspiel  ,,Das  Rheingold")  im  August  1876  unter  Hans  Richters  Lei- 
tung  zum  ersten  Male  vollstandig  in  dem  provisorischen  Festspielhause  zu  Bayreuth,  wo 
Wagner  seit  1871  wohnte,  dargestellt.  Im  Jahre  1882  erlebte  Wagner  noch  die  Urauffuhrung 
seines  , .Parsifal"  unter  Hermann  Levi  und  starb  am  13.  Februar  1883  Jm  Palazzo  Vendramin 
in  Venedig. 

In  Wagners  Leben  ist  das  Jahr  1 848  die  ^enaue  Mitte :  er  lebte  35  Jahre  vor  und  35  Jahre 
nach  der  Revolution;  sein  Anfang  riihrt  an  Beethoven,  sein  Ende  an  Debussy:  das  Vertrauen 
zum  eigenen  Herzen,  in  der  Mitte  der  Epoche  mit  rednerischer  Emphase  vorgetragen,  weicht 
an  ihrem  Ende  dem  imlmpressionismus  erklarten  Mifitrauen  in  das  eigene  Herz.  Die  Schilde- 
rung  der  ,,siifien  Diifte"  im  Lohengrin  gegen  das  groCe  Natur-  und  Nachtbild  gehalten,  das 
den  zweiten  Akt  des  Tristan  ausmacht,  lafit  erkennen,  dafi  innerhalb  der  zwischen  Beethoven 
und  Debussy  sich  spannenden  Kurve  lebhafteste  Bewegung  herrscht.  Das  tonende  Symbol 


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Abb  81     Wagner,  Die  Meisteisinger  von  Nurnberg,  Autograph    Begmn  des  Vorspiels. 
Original  im  Besitz  des  Germanischen  Museums,  Ntimberg 


56* 


gyg  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Deutschland         

dieser  Kurven,  die  klangliche  Erscheimmg  bestimmt  sich  vorziiglich  aus  den  Spannungs- 
verhaltnissen  des  Dur<-Moll~Tonartensys terns.  Die  Kadenz  als  Befestigung,  die  Modulation 
als  Auflosung  der  Harmonik  geraten  in  eine  Auseinandersetzung,  die  so  nahe  an  die  letzte 
Grenze  des  durch  anderthalbhundert  Jahre  in  Geltung  gewesenen  Tonsystems  fiihrt,  dafi  sich 
neue  Klangvorstellungen  an  der  chromatischen  Modulation  des  ,.,Tristan"  nahren  konnten. 
Wirklich  trug  sich  Debussy  mit  dem  Gedanken,  einen  neuen  Tristan  zu  schreiben,  urn  die 
Macht  des  alten  zu  brechen.  Wagners  kiihnste  Erweiterung  des  Tonalitatsbereichs  bedeutet 
jedenfalls  nie  das  Verlassen  des  Tonalitatsgedankens  oder  gar  seine  Sprengung.  Wohl  aber 
wird  die  Haupttonart  gelegentlich  verschwiegen.  Bewufitheit  und  Mafi  —  kiinstlerisches  MaB 
auch  in  der  Gestaltung  iibermaBiger  Seelennot  und  -kraft  —  bewahren  auch  den  gewagten 
Neubildungen  einen  erkennbaren  Zusammenhang  mit  dem  organischen  Wuchse  des  Ganzen; 
weder  in  der  Harmonik  noch  in  ihrer  Modulation  und  ihrer  Alterierung  gibt  es  Dinge,  die  auf 
Chaotisches  zeigen,  und  Wagner  ist  nur  einem  eigenen  Rate  gefolgt,  wenn  er  dem  klanglichen 
Gewande  auch  der  scharfsten  Dissonanz  zauberhaften  Reiz  gibt. 

Wagners  Festhalten  an  der  achttaktigen  Periode  ist  gleichfalls  aus  dem  hochromantischen 
Schonheitsbedurfnisse  zu  erklaren;  selten  und  eigentlich  nur  im  Gebiet  des  Illustrativen 
verfallt  er  in  jene  Zweitaktigkeit  der  Erfindung,  der  seine  schwacheren  Zeitgenossen  Heka- 
tomben  von  totgeborenen  Einfallen  zum  Opfer  brachten;  das  Hauptthema  des  Meistersinger- 
vorspiels  ist  ein  Muster  gebandigter  Kraft.  Auch  im  groBen  halt  sich  Wagner,  der  das  alte 
Akkompagnato  durch  Hinausschieben  der  Kadenzen  zu  langgestreckter  Sprechmelodik  iiber 
ausdruckgesattigtem  Orchesterklang  umbildete,  durchaus  an  musikbestimmte  Formen ;  Lorenz 
weist  Strophen-,  Bogen-  und  Barformen  nach.  Indessen  treten  far  das  BewuBtsein  des  Horers 
die  in  grofie  Abmessungen  gesteigerten  formalen  vor  den  koloristischen  Werten  einigermaBen 
zuriick;  hier  beschreitet  Wagner  die  neuen  Wege,  auf  denen  Ihm  die  Romantik  mit  hochstern 
Anteile  folgte,  und  auf  denen  ihm  Schubert  und  Weber  schon  voraufgegangen  waren.  Die  Natur- 
nahe,  von  Schubert  noch  in  allgemeinen  Klangbildern,  von  Weber  in  besonderer  Assoziation 
ausgedriickt,  wird  Wagners  vorziigliches  Zeichen :  das  Gesicht  des  Meeres  im  ,,Hollander"  und 
im  ,,Tristan'*  enthalt  so  viele  intime  Ziige  von  zugleich  iibertragenem  Sinne,  dafi  alle  friiheren 
Schilderungen,  selbst  die  des  gemalen  Weber,  der  doch  endlich  das  Muster  war  —  zwischen 
dem  ,,0beron"  und  dem  ,,Hollander"  laufen  Faden  hin  und  her  wie  zwischen  der  ,,Euryanthe" 
und  dem  ,,Lohengrin"  — ,  zu  Versuchen  werden.  Wie  die  emporte  Sturmnacht  zur  nachtigen 
Seele  Siegmunds  in  Beziehung  tritt,  so  erhalten  auch  die  zarteren  Farben  der  Morgen-  und 
Abenddammerung  ihre  dramatischen  Werte.  Die  Abstimmung  der  auBeren  Erscheinung  auf  die 
innere  Bedeutung  fiihrt  den  exaltierten  und  auch  im  sprachlichen  Ausdruck  zum  Superlativ 
geneigten  Kiinstler  an  die  Grenze  der  wahrnehmbaren  Wirklichkeit :  es  ergibt  sich  in  echt 
romantischer  Auflosung  der  letzten  menschlichen  Spannung  in  die  naturliche  Umgebung  der 
,,Zauber"  der  wabernden  Lohe,  der  Johannisnacht,  des  mittaglich  durchsonnten  Waldes,  des 
Karfreitags  und  der  irren  Hornerklange  am  Abend.  Der  Urlaut,  von  der  Frlihromantik  geahnt 
und  gesucht,  von  Wagners  metaphysischem  Drange  wurde  er  entdeckt.  Eine  ungemein  reiz^ 
bare  Klangphantasie  erganzt  die  rein  musikalischen  Schilderungsmittel ;  die  Kunst  der  Orche- 
strierung  wird  Sache  der  feinnervigsten  Hand  und  Gegenstand  der  aufrichtigen  Bewunderung 
fiir  einen  Mann  wie  Richard  StrauB,  der  in  seiner  Bearbeitung  von  Berlioz'  Instrumentations- 
lehre  keine  Gelegenheit  zum  Hinweis  auf  Wagnersche  Muster  voriibergehen  la'Bt.  Die  Ver- 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Deutschland  879 

feinerung  seiner  Methode  gibt  dem  Orchester,  das  in  der  Freihaltung  der  von  der  menschlichen 
Stimme  hervorzubringenden  Tone  seinen  weiteren  praktischen,  aber  von  den  Nachahmern 
kaum  je  iibernommenen  Vorzug  hat,  die  schon  im  Melodram  vorbereitete  Moglichkeit,  sich 
zum  hauptsachlichen  Trager  des  Dramas  und  seines  Gefiihlverlaufs  zu  machen.  Das  Er- 
innerungsmotiv,  fur  die  Unterstreichung  wichtiger  Vorgange,  Charaktere  oder  Beziehungen 
bestimmt,  wandelt  sich  in  das  auf  den  seelischen  Untergrund  leuchtende,  durch  leichte  Ver- 
anderungsmoglichkeit  zum  empfindlichen  Spiegel  verborgener  Vorgange  werdende  Leitmotiv. 

Das  entscheidende  Kennzeichen  aber,  das  den  untrennbaren  Zusammenschlufi  mit  der 
romantischen  Vergangenheit  fur  Wagner  herstellt,  ist  die  praktische  Vollendung  einer  nur 
auf  romantischem  Boden  gediehenen  Idee :  des  von  Weber  mit  Nachdruck  ausgesprochenen 
Gedankens  von  dem  die  Zeitkiinste  vereinigenden  Gesamtkunstwerk.  Die  Abwagung  des 
Anteils  der  Dichtkunst  und  der  Musik  ist  das  ewige  Problem  der  Operngeschichte.  Die 
Behandlung  der  ,,unkomponierbaren"  Teile  des  Textes  im  Seccorezitativ  hatte  zuletzt, 
von  den  Franzosen  belehrt,  Gluck  aufgegeben  und  durch  das  durchkomponierte  Orchester- 
rezitativ  ersetzt;  die  Beschrankung  des  Dialogs  auf  ein  Mindestmafi  gerat  dem  Singspiel 
zugute,  da  das  Buch  nun  der  Musik  in  hoherem  Grade  Aufnahme  gewahren  kann; 
das  Melodram  sucht  neue  Wege,  von  denen  friiher  gesprochen  wurde.  Die  Zusammen- 
fassung  der  Stilelemente  schien  Meyerbeer  mit  Bevorzugung  der  franzosischen  gegliickt 
zu  sein,  nachdem  der  Glucknachfolger  Spontini  vorangegangen  war:  ihnen  schliefit  sich 
Wagner,  von  Weber  und  Marschner  kommend,  an.  Was  er  in  Paris  erkannt  hatte,  bewahrte 
er  als  unverlierbares,  wenn  auch  der  Umformung  unterworfenes  Gut ;  aber  das  Entscheidende 
war  fur  den  Komponisten  der  ,,Feen",  des  ,,LJebesverbots"  und  des  ,,Rienzi"  die  Gewifiheit 
der  Verwurzelung  im  heimatlichen  Boden.  Diesen  deutschen  Zug  in  spezifisch  romantischer 
Farbung  —  Meer  und  Wind  erhalten  eine  ahnliche  Bedeutung,  wie  der  Wald  im  ,,Freischiitz"  — 
tragt  schon  der  in  Paris  vollendete  ,,Fliegende  Hollander",  soviel  italienische  Art  das  Ge- 
sangliche,  soviel  Meyerbeersches  die  Sprache  des  Orchesters  auch  mit  sich  fiihren  mag.  Die 
Naturschilderung,  an  sich  dem  deskriptiven  Geist  des  Galliers  (Campra,  Rameau)  verhaftet, 
wird  hier  zum  Symbol  menschlicher  Affekte.  Die  Mittel  der  grofien  Oper,  die  im  Ballett  des 
,,Rienzi"  noch  im  franzosischen  Sinne  angewandt  wurden,  verschwinden  (im  ,,Hollander"  nur 
ein  Matrosentanz),  oder  bekommen  einen  andern,  mit  dem  Drama  verkmipften  Sinn  (,,Tann- 
hauser**,  Aufziige  in  ,,Lohengrin",  ,,Meistersinger",  ,,Parsifal4*).  Die  schon  vollzogene  Ver- 
breiterung  des  Finales  gewinnt  allmahlich  an  riickwirkender  Kraft,  ergreift,  sie  auflosend,  die 
festen  Formen  und  schafft  die  groBen  Akteinheiten,  innerhalb  derer  die  physische  Biihnen- 
handlung  in  der  metaphysischen  Handlung  des  in  symphonischem  Stil  sich  entwickelnden  Or 
chesters  gespiegelt  wird,  wobei  das  Gegenbild  auch  Beziehungen  aufzudecken  fahig  ist,  die  das 
Bild  absichtlich  verschweigt  (Sachsens  ,,Abendtraum",  einzig  mit  diesem  Wort  im  Text  an- 
gedeutet,  wird  nur  in  der  Musik  klar).  Das  Orchester  bekommt  nach  Wagners  Wort  die  Rolle 
des  antiken  Chors  zugewiesen;  aber  es  wird  mehr. 

Wagner  hielt  sich  fur  den  Anfang  einer  grofien  Entwicklung.  So  sicher  diese  Stellung  fur 
Einzelheiten  seiner  kiinstlerischen  Erscheinung  bezeugt  wird,  im  ganzen  bildet  er  den  Schlufi 
einer  solchen :  den  Schlufi  und  den  Hohepunkt  der  romantischen  Oper.  Eine  Wirkung  auf  die 
Physiognomie  der  Musik,  die  iiber  die  Lohengrin-,  Meistersinger-  oder  Ring-Nachahmung 
hinausginge,  hat  eigentlich  nur  der  ,,Tristan"  ausgeiibt.  Wagners  Glaube  ist  der  der  Roman- 


880  E^e  OPer  *m  19.  Jahrhundert:  Deutschland 

tiker :  Verklarung  der  sinnlichen  Natur  durch  tiefe  Liebe,  durch  eine  Liebe,  die  vielleicht  erst 
hinter  den  Grenzen  des  zeitlichen  Lebens  beginnt;  fiir  den  im  Leben  Bleibenden  gibt  es 
nur  ein  Mittel,  aus  dem  Tannhauserischen  Dualismus  und  seinen  Qualen  herauszukommen : 
Sachsens  Altersweisheit  findet  es  in  der  Entsagung ;  ein  romantischer  Gedanke,  den  Zacharias 
Werner  (f  1823;  vgl.  Paul  Kluckhohn:  Zacharias  Werner)  mit  aller  Scharfe  vorgedacht  hatte. 
Auch  die  Sehnsucht  nach  Selbstvernichtung,  nach  Auflosung  in  das  All  ist  der  romantischen 
Seele  vertrautes  Gebiet,  und  ebenso  die  Mischung  erotischer  Sehnsucht  mit  religiosen  Vor- 
stellungen  in  der  Lehre  von  der  vorbestimmten  Liebe  zweier  Menschen  und  in  der  Lehre 
von  der  Einheit  der  drei  groBen  Mittler  zwischen  dem  Individuum  und  dem  Universum: 
Kunst,  Liebe  und  Religion.  Doch  auch  Werners  ,,gelauterter  Katholizismus"  findet  sich  in 
der  hohen  Romantik  und  bei  Wagner  wieder. 

Seine  Zukehr  zu  christlich-religiosen  Idealen  ist  zwar  schon  im  ,,Tannhauser"  voraus- 
genommen,  erfullt  aber  unter  dem  Einflusse  der  Familie  Liszt  erst  sein  spateres  Leben. 
Wagners  Jugend  stand  unter  dem  Einflusse  einer  Schwarmerei  fiir  das  griechische  Altertum. 
So  rasch  diese  mit  ,,disziplinwidrigem  Umgehen  des  Lateinischen"  genahrte  Leidenschaft 
auch,-  und  zwar  bis  zum  Verluste  der  Sprachkenntnisse,  verflog,  es  haftete  doch  die  antike 
Idee  eines  den  Mittelpunkt  des  Volkslebens  bildenden  Gesamtkunstwerks  tief  in  seiner  Seele. 
Vom  Hellenismus  war  auch  Friedrich  Nietzsche  gekommen,  den  indessen  ein  anderer  Parallelis- 
mus  an  Wagnern  band:  die  Philosophic  Schopenhauers,  von  der  auch  Nietzsche  ausging. 
Wagner,  der  das  ,,Kunstwerk  der  Zukunft"  noch  Ludwig  Feuerbach  zugeeignet  hatte,  war 
einundvierzig  Jahre  alt  und  hatte  die  Dichtung  des  ,,Ringes"  schon  entworfen,  auch  mit  der 
Komposition  des  Einleitungsstiickes  begonnen,  als  er  durch  Georg  Herwegh  ,,Die  Welt  als 
Wille  und  Vorstellung"  kennenlernte.  Die  endgiiltige  Fassung  der  Ringdichtung  bezeugt  den 
tief  en  Eindruck  der  in  Wagners  Geist  gewissermafien  vorgebildeten  Gedankenkreise  des  Philo- 
sophen,  der  die  am  starksten  im  ,,Hollander"  vorgedeuteten  ethischen  Anschauungen  in  die 
Helligkeit  des  BewuBtseins  hob  und  ihm  zu  den  eigenen,  bereits  gestalteten  Ratseln  den 
Schliissel  gab. 

Siegfried  —  wo  ist  bei  ihm  ,,der  christliche  Geist  des  Mitleids,  der  Sehnsucht  nach  Er- 
losung,  der  Treue  bis  zum  Tode,  der  Ergebenheit  in  den  Willen  einer  hoheren  Macht",  wo 
auch  nur  ein  Begriff  aus  dem  grofien  schopenhauerischen  Arsenale?  Und  doch  war  seine 
Gestalt  der  ,,schonste  Lebenstraum"  Wagners,  dem  zuliebe  er  die  Ringdichtung  iiberhaupt 
nur  vollendete.  Der  furchtbare  ernste  Hauptgedanke  Schopenhauers:  ,,die  endliche  Ver- 
neinung  des  Willens  zum  Leben**,  hier  gewifi  nicht  zum  Vorteile  des  Ganzen  auf  die  Seite 
des  Gegenspielers  gedrangt,  wird,  ausgelost  durch  ein  den  Kiinstler  (ungewifi,  wie  tief)  er- 
schiitterndes  Erlebnis,  formende  Kraft  im  ,,Tristan",  vor  dem  das  Nibelungenwerk,  zu  drei 
Vierteilen  erst  vollendet,  versinkt,  wie  das  Begriffliche,  das  in  der  Sprache  Ausgedriickte  in 
der  Musik  versinkt,  von  ihr  aufgelost  wird.  (Das  ,,Kunstwerk  der  Zukunft'*  spricht  von  der 
Erlosung  des  Denkens  der  Wissenschaft  in  das  Kunstwerk.)  So  tief  die  Kurve  des  Pessimismus 
gefallen  ist,  so  hoch  erhebt  sich  der  Optimismus  in  der  Gestalt  des  giitig-altruistischen,  fest 
auf  der  Erde,  unbeirrt  im  Lichte  des  Tages  stehenden  Hans  Sachs.  Von  Jung-Siegfried  zu 
Sachs,  der  ausdriicklich  jede  Teilnahme  an  ,,Herrn  Markes  Glikk"  fiir  sich  abweist,  zieht 
sich  eine  deutlich  auf  Nietzsches  Philosophic  weisende  Linie;  das  immer  noch  atheistische 
Weltbild  bekommt  andere  Vorzeichen:  freies,  lebenbejahendes  Menschentum,  unweise  oder 


82    Wa«ner    Siegfried,  Briinhildes  Erwachen.  Nach  der  Bayreuther  UraufMinrng 
'          K-t  ELald.    briginal  in,  Eesitz  des  Richard-Wasner-M—s  .n  E-senach 


882  D*e  Oper  im  1 9.  JahrKundert :  Deutschland 

weise,  genial  oder  ungenial,  tragt  die  Verantwortung  eignen  Handelns,  das  diese  beiden 
Revolutionare  auBerlich  so  tief  voneinander  unterscheidet.  Am  Schlusse  der  Abhandlung 
iiber  ,,Kunst  und  Revolution"  (ein  Jahr  nach  dem  Entwurf  eines  ,Jesus  von  Nazareth**)  gibt 
Wagner  auch  das  Stichwort,  das  ihn  von  Feuerbach,  von  Schopenhauer  und  von  Nietzsche 
trennen  muCte:  neben  Apollon,  der  die  Menschheit  zu  ihrer  freudenvollen  Wiirde  erhob, 
neben  Apollon  tritt  Jesus,  der  fur  die  Menschheit  lebte  und  litt.  Die  Urteile  Nietzsches  liber 
Wagner  enthalten  manche  Widerspriiche ;  nur  ein  Werk  —  es  wird  in  der  ,,Verfuhrung  der 
Kunst  ewig  seinen  Rang  behalten  als  der  Geniestreich  der  Verfuhrung"  —  trifft  auf  runde 
und  heftigste  Absage:  ,, Parsifal".  Diese  Wandlung  hat  der  Philosoph  dem  Kiinstler  nie  ver- 
ziehen,  so  gern  er  die  Wandlung  von  Schopenhauer  zu  sich  verziehen  hatte:  ihm  versagte  er 
die  Teilnahme  an  seinem  Worte,  ,,Nur  wer  sich  wandelt,  bleibt  mit  mir  verwandt". 

Der  Wagnerpsychose  der  neunziger  Jahre  ist  um  die  Zeit  seines  hundertsten  Geburtstages 
eine  noch  immer  kiinsthch  wachgehaltene  Unterschatzung  seines  Wertes  gefolgt;  aus  den 
beiden  Bewegungen  wird  der  geschichtlich  Sehende,  gerade  wenn  er  an  der  Idee  des  Gesamt- 
kunstwerks  zweifelt,  ein  Bild  Wagners  gewinnen,  das  die  Ziige  seiner  musikalischen  Grofie 
deutlich  zeigt.  Was  im  ,,Tristan"  versucht  und  gewonnen  wird,  tragt  Frucht  in  der  Musik 
des  dritten  Siegfriedaktes,  der  ,,G6tterdammerung"  (obwohl  sie  als  Drama  uneinheitlich  ist) 
und  des  nach  jeder  technischen  Beziehung  hin  vollkommenen  ,,Parsifal".  Der  ,,Tristan" 
aber  ist  das  romantische  Drama,  das  Werner  und  der  nur  bedingt  der  Romantik  angehorige 
Kleist  nicht  geschaffen  haben:  er  spricht  mit  tiefstem  Nachdruck  das  zuerst  von  Goethes 
Mignon  angeriihrte  Urgefiihl  der  Romantik  aus :  das  bewegende  Gefiihl  einer  ziellosen,  selbst 
dem  Enkel  noch  nicht  klar  gewordenen,  nur  aus  dem  Hellen  in  das  Dunkel  verlangenden 
Sehnsucht. 

Die  Einfachheit  und  Grofie  der  Bilder  mit  ihrer  notwendigen  Erhohung  der  musikalischen 
und  dichterischen  Sprache  wird  nicht  uberall  mehr  verstanden :  man  stofit  sich  am  Stabreim, 
an  der  Langsamkeit  der  Entwicklungen,  an  dem  Uberflufi  mancher  Erzahlungen  (,,Ring"); 
man  legt,  etwa  vom  naturalistischen  Drama  ableitend,  den  falschen  Mafistab  an  die  Tempera- 
tur  des  Wagnerschen  Pathos,  das  in  die  Biirgerlichkeit  der  ,,Meistersinger"  hineinreicht. 
Schwerer  zu  nehmen  ist  die  Beobachtung,  dafi  die  Vollwertigkeit  des  Textes  ein  (Jberstromt- 
werden  der  Dichtung  durch  die  Musik  nicht  hat  verhindern  konnen;  denn  sie  fiihrt  zu  der 
Frage,  ob  die  musikheischende,-  auf  den  knappsten  Wortausdruck  gebrachte  szenische  Lage 
der  freien  Entwicklung  einer  bedeutenden  Musik  nicht  giinstiger  sei,  und  bei  ihrer  Bejahung 
zur  Verneinung  des  letzten  Ziels  der  Romantik:  des  Gesamtkunstwerks.  Das  Zeug,  worauf 
gestickt  werden  solle,  miisse  weite  Faden  haben,  das  war  schon  Goethes  friihe  Erkenntnis. 

Mag  die  ernste  Oper  des  19.  Jahrhunderts  noch  so  tief  im  Schatten  des  Titanen  stehen, 
Wagner  hat  nicht  nur  Vorganger  und  Nachfolger,  er  hat  auch  Mitbewerber,  ja  Widersacher 
gehabt,  deren  Weg  mehr  oder  minder  deutlich  ausgesprochen  von  dem  Meyerbeerschen  Opern- 
ideal  sich  abwendet.  Im  allgemeinen  und  sonderlich,  seit  alle  Theater  Geschaftsunternehmen 
geworden  sind,  lafit  sich  ein  Einflufi  der  Wagnerschen  Gesinnung  auf  den  Spielplan  nicht  fest- 
stellen.  Wagner  war  in  zu  hohem  Grade  Schlufistein  einer  Entwicklung  gewesen;  die  mit  ihm 
und  von  ihm  gehenden  Stromungen  sturzennach  seinem  Tode  ineinen  grofien  Wirbel  derVer- 
legenheiten  zusammen :  Verniedlichung  seiner  Probleme  in  das  Marchenhafte,  einaktige  oder 
grofie  Opern  mit  naturalistischem  Einschlag,  Sonderbestrebungen  auf  dem  Gebiet  des  lyrischen 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Deutschland  883 

oder  des  komischen  Dramas,  Hinwendung  zur  Antike  und  zur  Tragodie  grofien  Stils  —  alle 
diese  Faden  werden  neben  der  reinen  Wagnernachahrnung  aufgegriffen.  Neue  Bestrebungen 
—  Riickkehr  zur  Barockoper  —  werden  gleichzeitig  mit  einer  sehr  merlcwurdigen  Handel- 
renaissance  sichtbar.  Den  groOten  Publikurnserfolg  hatte,  urn  dies  hier  zu  sagen,  die  unver- 
falschte,  vom  Ideal  des  Musikdramas  absehende  Oper  (d'Alberts  ,,Tiefland").  Soweit  Zeit- 
genossen  und  Nachfolger  noch  nicht  bei  anderer  Gelegenheit  behandelt  wurden,  seien  sie  hier 
erwahnt. 

Ferdinand  Hiller  (1811—1885)  beginnt  mit  einer  italienischen  Oper  ,,Romilda"  (1839)  und  lafit  fiinf  deutsche 
folgen:  ,,Traum  in  der  Christnacht"  (1845),  ,,Konradin"  (1847),  ,,Der  Advokat"  (1854),  ,,Die  Katakomben"  (1862) 
und  ,,Der  Deserteur"  (1865).  Fr.  Hieronymus  Truhn  (181 1—1886)  schreibt  nach  einer  Operette  (,,Der  vierjahrige 
Posten",  1833)  eine  Oper  ,,Trilby"  (1835).  Heinrich  Dorns  Stiefbruder  Ludwig  SchindelmeiBer  (1811—1864) 
trat  mit  7  Opern,  damnter  einer  ,,MeIusine"  (1861)  hervor;  er  war  ein  Jugendfreund  Wagners.  Hermann  Hirsch- 
bach  (1812—1888),  ein  bekannter  Publizist,  schrieb  2  Opern:  ,,Das  Leben  ein  Traum"  und  ,,Othello".  Julius 
Rietz  (1812—1877),  der  Mendelssohnschen  Richtung  zugehorig,  brachte  4  Opern  zur  Auff iihrung :  ,,Der  Korsar" 
(1850),  ,,Georg  Neumark  und  die  Gambe"  (1859),  ,,Jery  und  Bately"  und  ,,Das  Madchen  aus  der  Fremde".  Mit 
seiner  ersten  Oper  ,,Die  Nacht  auf  Paluzzi"  wurde  Fr.  X.  Pentenrieder  (1813—1867)  bekannter,  als  mit  der  zweilen : 
,,Das  Haus  ist  zu  verkauW.  Jakob  Rosenhain  (1813—1894)  schrieb  zwei  deutsche  (,,Der  Besuch  im  Irrenhause", 
1834,  und  ,,Liswenna")  und  zwei  franzosische  Opem  (,,Le  demon  de  la  nuit",  1851,  und  ,,Volage  et  jaloux").  Fried- 
rich  Wilh.  Markull  (1816—1887)  errang  mit  den  Opern:  ,,Maja  und  Alpino"  (,,Die  bezauberte  Rose",  1843),  ,,Der 
Konig  von  Zion"  (1848),  ,,Das  Walpurgisfest"  (1855)  Erfolge.  Das  Gebiet  des  Liederspiels  baute  Ferdinand  Gum- 
bert  (1818—18%)  an,  wahrend  Cornelius  Gurlitt  die  Operette  pflegt  und  sich  einmal  (,,Scheik  Hassan")  der  Oper 
zuwendet.  Der  Halevy-Schuler  Adolf  Schimon  (1820—1887)  fuhrte  in  Florenz  einen  ,,Stradella"  (1846)  auf,  wo- 
gegen  der  Stradellakomponist  Flotow  in  Schwerin  seiner  komischen  Oper  ,,List  um  List"  (1858)  zum  Siege  verhalf. 
Von  dem  Klavierpadagogen  Louis  Kohler  (1820 — 1886)  liegen  die  Opern  ,,Prinz  und  Maler",  ,,Gil  Bias",  ,,Maria 
Dolores"  (1844),  ein  Ballett  und  eine  Musik  zur  ,,HeIena"  des  Euripides  vor,  von  dem  Leiter  des  Wiener  Manner- 
gesangvereins  Hans  Schlager  (1820—1885)  2  Opern:  ,,Heinrich  und  Use"  (1869)  und  ,,Hans  Heidekukuk".  Karl 
A.  F.  Eckert  (1820—1879)  und  August  Conradi  (1821—1873)  seien  im  Vorbeigehen  erwahnt.  Karl  M.  Rein- 
thaler  (1822—18%)  wurde  durch  die  Opern  ,,Edda"  (1875)  und  ,,Kathchen  von  Heilbronn  *  (1881)  bekannt.  Mit 
7  Opern:  ,,Der  Rotmantel",  ,,VJneta",  ,,Der  Stern  von  Turan",  ,,Eine  Kiinstlerreise*',  ,,Faublas",  ,,A-ing-fo-hi" 
und  ,,Die  Offiziere  der  Kaiserin"  beteiligt  sich  Richard  F.  Wiierst  (1824—1881)  an  der  Bewegung.  Mit  einer  Kin- 
deroper  ,,Dornroschen",  mit  Marchenstiicken  ,,Die  Tochter  Pharaos",  ,,Ein  Traum"  und  mit  einer  Operette  ,,Vater 
Beatus*'  nahert  sich  H.  Michel  Schletterer  (1824—1893)  dem  Singspiel.  Der  Mozartinterpret  Karl  H.  C.  Rei- 
necke  (1824—1910)  schrieb  die  grofie  Oper  ,,Konig  Manfred"  (1867),  die  Einakter:  ,,Der  vierjahrige  Posten"  (1855), 
,,Auf  hohen  Befehl"  (1886),  ,,Der  Gouverneur  von  Tours"  (1891)  und  das  Singspiel  ,,Ein  Abenteuer  Handels*'. 
Jean  J.  Bott  (1826—1895)  veroffentlichte  2  Opern:  ,,Der  Unbekannte"  (1854)  und  ,,Akaa,  das  Madchen  von  Ko- 
rinth"  (1862).  Der  Belgier  Alexander  Stadtfeldt  (1826 — 1853)  schrieb  aufier  zwei  franzosischen  zwei  deutsche 
Opern:  ,,Hamlet**  und  ,,Abu  Hassan".  Von  Hermann  Berens  (1826^1880)  wurden  3  Operetten  (,,Ein  Sommer- 
nachtstraum",  ,,Lully  und  Quinault",  ,,Riccardo")  und  eine  Oper  ,,Violetta"  bekannt.  Der  Enkel  Job.  Gottl.  Nau- 
manns,  Emil  (1827—1888)  schrieb  eine  .Judith"  (1858)  und  eine  ..Loreley"  (1889  aufgefuhrt);  als  Schriftsteller 
trat  er  gegen  Wagner  auf.  Rudolf  Thoma  (1829 — 1908)  wurde  durch  ,,HeIgas  Rosen"  (1890)  und  durch  den  Ein 
akter  ,Jone"  (1894)  spat  bekannt.  Heinrich  F.  D.  Stiehl  (1829—1886)  schrieb  2  Opern:  ,,Der  Schatzgraber"  und 
,Jery  und  Bately".  Dem  Brahmskreise  nahe  stehend,  fuhrte  Albert  H.  Dietrich  (1829—1908)  2  Opern  auf:  ,,Ro- 
bin  Hood"  (1879)  und  ,,Das  Sonntagskind"  (1886).  Hans  von  Biilow  (1830—1894)  schrieb  eine  Musik  zu  Shake- 
speares  , Julius  Casar";  sein  hannoverscher  Vorgesetzter  Hans  von  Bronsart  (1830 — 1913)  eine  Manfred-Musik 
(1901).  Eduard  Lassen  (1830—1904)  entwickelte  eine  fruchtbare  Tatigkeit  fur  die  Buhne,  der  er  neben  3  Opern 
(,,Landgraf  Ludwigs  Brautf ahrt" ,  1857,  ,,Frauenlob",1860,  ,,Le  captif",1868)  Musiken  zu  Hebbels  ,,Nibelungen", 
zu  Sophokles*  ,,0dipus  auf  Kolonos",  zu  Goethes  ,,Faust"  und  ,,Pandora"  und  zu  Calderons  M0ber  allem  Zauber 
Liebe"  schenkte.  Das  Liederspiel  bedenkt  A.  M.  Robert  Radecke  (1830—1911)  mit  einem  1874  in  Berlin  auf- 
gefuhrten  Werke  ,,Die  Monkguter".  Eine  ausgezeichnete  historische  Einstellung  gibt  Hermann  Abert  (1916)  den 
dramatischen  Werken  seines  Vaters  Johann  Joseph  Abert  (1832 — 1915):  ,,Anna  von  Landskron"  (1858),  ,,Konig 
Enzio"  (1862),  ,,Astorga"  (1§66),  ,,Ekkehard"  (1878),  ,,Die  Almohaden '  (1890),  indem  er  die  um  die  sechziger 
Jahre  andauernde  Vorherrschaft  der  Pariser  Oper  aufzeigt  und  nachweist,  welche  Elemente  von  den  deutschen 
Komponisten  iibernommen,  welche  von  ihnen  mehr  und  mehr  ausgeschieden  werden  zugunsten  einer  zogernden 
Annahme  Wagnerschen  Musikgutes.  Das  Fehlen  derartiger  Spezialuntersuchungen  veranlafit  die  Erstrebung  mog- 
lichster  Vollstandigkeit  in  der  vorliegenden  Sammlung  des  Materials.  —Eduard  Mertke  (1833—1895)  schrieb  die 


884  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Deutschland 

Opern  ,,Lisa  oder  die  Sprache  des  Herzens"  (1872)  und  ,,Kyri!l  von  Thessalonich".   Bernhard  E.  Scholz  (1835 
bis  1916)  brachte  9  Opern  zur  Auffiihrung:  ..Carlo  Rcsa"  (1858),  ..Zietensche  Husaren"  (1869),  ..Morgiane"  (1870), 
,,Golo"  (,,Genovefa'\  1875),  ,,DerTrompeter  von  Sakkingen"  (1877),  ..Die  vornehmen  Wirte"  (1883),  ,,ingo"  (1898), 
,,Anno  1757"  (1903)  und  ,,Mirandolina"  (1907).  Mit  Felix  A.  B.  Draeseke  (1835—1913)  nahern  wir  uns  zum  zwuten 
Male  dem  Wagner- Liszt- Kreise,  dem  er  sich  allerdings  wieder  entfremdete;  nach  einer  alteren  (,,Sigurd"   1867) 
sclirieb  er  die  Reckencpern  ,,Gudrun"  (1884)  und  ,,Herrat"  (1892)  veil  bedeutender  Einzelziige;  handschriftlich  hin- 
terliefi  er:  ,,Bertrand  de  Born",  ,,Fischer  und  Kalif"  und  ..Merlin"  (nach  Immermann,  1913).    Job.  August  Ad. 
Langert  (1836  bis  nacb  1897)  brachte  als  Kapellmeister  in  Koburg  dort  5  Opern  (,,Die  Jungfrau  von  Orleans", 
1861,  ,,E)es  Sangers  FlucrT,  1863,  ,,DieFabier",  1866,  .Jean  Cavalier",  1880,  ..Die  Kamisarden",  1887)  und  eine  in 
Leipzig  heraus  (,,Dornroschen",  1871).  Sehr  interessant  ist  das  Verhalten  Max  Zengers (1837 — 191  l)zu  Wagner:  in 
,,Wieland  der  Schmied",  der  1880  zwei  fruheren  Versuchen  (,,Die  Foscari",  1863,  ,,Ruy  Bias",  1868)  folgte,  Tristan- 
anhanger  —  er  schreibt  an  Stelle  von  Szenen  Akteinheiten  —  protestiert  er  unter  Berufung  auf  Gluck  und  Mozart 
gegen  Wagner  in  ,,Eros  und  Psyche"  (1901);  er  hinterliefi  auch  die  Ballette  ,,Venus  und  Adonis"  und  ,,Les  plaisirs 
de  Tile  enchantee".   K.  Adolf  Lorenz  (geb.  1837)  steht  mit  ,,Harald  und  Tbeano"  (1893)  in  der  Wagnernach- 
folge  und  hinterlieB  eine  ,,Komodie  der  Irrungen".  Max  Bruch  (1838 — 1920)  will  dagegen  Wagner  nichts  schulden; 
erschrieb  ein  Singspiel:  ,,Scherz,  List  und  Rache"  (Goethe,  1858)  und  die  Opern:  ,,Loreley"  (der  von  Geibel  fur 
Mendelssohn  bestimmte  Text,  1863)  und  ,,Hermione"  (nach  Shakespeares  ,,Wintermarchen",  1872).  Naher  der  neu- 
deutschen  Schule  zuge\vandt  ist  Wendelin  Weifiheimer  (1838 — 1910)  mit  seinen  beiden  Opern:  ,,Theodor  Komer" 
(1872)  und  ,,Meister  Martin  und  seine  Gesellen"  (1879).   Wilhelm  Freudenberg  (geb.  1838)  trat  mit  einer  Reihe 
von  Opern  auf  den  Plan:  ,,Die  Pfahlbauer"  (1877),  ,,Die  Nebenbuhler"  (1879),  ,,Kleopatra"  (1882),  ..Die  Miihle 
im  Wisperthale"  (1883),  ,,Der  St.  Katharinentag  in  Palermo"  (1889),  ,,Marino  Faliero"  (1889),  Johannisnacht" 
(18%),  ,,Das  Jahrmarktsfest  zu  Plundersweilem"  (nach  Goethe,  1908);  ,,Die  Klause  von  Sulmenbach"  und  ,,Das 
Madchen  von  Treppi"  sind  Handschriften  geblieben.   Wilhelm  Hill  (1838 — 1902),  der  Komponist  des  Liedes  ,,£3 
liegt  eine  Krone  im  tiefen  Rhein",  schrieb  eine  Oper  ,,Alona"  (1882).  Ferdinand  Langer  (1839 — 1905)  erzielte  Lo- 
kalerfolge  mit:  ..Die  gefahrliche  Nachbarschaft"  (1868),  ,,Dornroschen"  (1873),  ,,Aschenbr6del"  (1878),  ,,Murillo" 
(1887),  und  JDer  Pfeifer  von  Haardt",  einer  Volksoper.  Adolf  Miiller  (1839—1901),  der  Sohn  des  Nestroykom- 
ponisten,  schrieb  nebtn  vielen  Operetten  die  Opern:  ,,Heinrich  der  Goldschmied",  ,,Waldmeisters  Brautfahrt",  ,,Van 
Dyk";  auf  das  Gebiet  des  leichtesten  Genres  beschrankt  sich  Max  Wolf  (1840 — 1886),  wie  Miiller  in  Wien  wirkend. 
Ludw.  Bernh.  Hopffer  schrieb  aufier  2  Opern:  ..Fritjof"  (1871)  und  ,,Sakuntala"  das  Festspiel  ,,Barbarossa". 
Mit  4  Opern  trat  Ingeborg  von  Bronsart  (1840—1913)  hervor:  ,,Die  Gottin  zu  Sais",  ,,]ery  und  Bately",  ,,Hjarne" 
(1891),  ,,Die  Suhne"  (1909).  Die  Beliebtheit  Viktor  E.  Nefilers  (1841—1890)  liegt  in  der  liedertafelmaftigen  Siifi^ 
lichkeit  seiner  Musik;  Nefiler  begann  mit  einer  Oper  ,,Fleurette"  (1864),  ging  mit  ,,Dornr6schens  Brautfahrt"  (1867) 
zur  Zauberoper,  mit  der  ,,Hochzeitsreise"  (1867)  zur  Operette,  mit:  ,,Nachtv/achter  und  Student"  (1868),  ,,Am 
Alexandertag'*  (1869)  zum  Einakter  und  endlich  zur  grofien  Oper  iiber:  ,,Irmingard"  (1876),  ,,Der  Rattenfanger  von 
Hameln"   (1879),   ,,Der  wilde  Jager"   (1881),   ,,Der  Trompeter  von   Sakkingen"  (1884).     Heinrich  K.  J.  Hof- 
mann  (1842—1902)  betrat  das  Gebiet  der  Oper  mit  ,,Cartouche"  (1869),  ,,Der  Matador"  (1872),  ,,Armin"  (1872), 
,,Annchen  von  Tharau"  (1878),  ,,Wilhelm  von  Oranien*'  (1882)  und  ,,Donna  Diana"  (1886).  Gediegene  Arbeit  lie- 
ferte  Karl  Grammann  (1842 — 1897)  mit  den  Opern:  ,,Melusine"  (1875),  ,,Thusnelda  und  der  Triumphzug  des 
Germanicus"  (1881),  ,,Das  Andreasfest"  (1882)  und  mit  den  Einaktern:  ,,Ingrid"  und  ,,Irrlicht"  (beide  1894).  Karl 
Mi  1 1  6  c  k  e  r  (1842 — 1899)  ist  durch seine  Operetten  bekannt geworden.  Vom  Mannergesang  kcmmt  mit  den  Opern 
,,Frauenlob"(1892)  und  ..Ratbold"  (Dahn,  1896)  Reinhold  Becker  (geb.  1842).  Karl  Kleemann  (geb.  1842)  schrieb 
die  einaktige  Oper:  ,,Der  Klosterschuler  von  Mildenfurt"  (1898),  ein  Weihnachtsmarchen  ,,Das  Marienkind**  (1917) 
und  eine  Musik  zu  Grillparzers  ,,Traum  ein  Leben".   Im  Schumannschen  Lager  steht  mit  achtbaren  Leistungen: 
,,Claudine  von  Villa  Bella"  (1864),  ,,Die  Falkensteiner"  [1876,  als  ,,Der  Warwolf"  (1881)]  Bolko  Graf  von  Hoch- 
berg  G-  F.  Franz,  1843  geb.).  Lothar  Kempter  (1844—1918)  trat  mit  den  Opern  ,,Das  Fest  der  Jugend"  (1895) 
und  ,,Die  Sansculottes"  (1900)  hervor.  Von  Georg  Rauchenecker  (1844 — 1906)  vmrden  mehrere  Opern  bekannt: 
,,Don  Quichote"  (1897),  ,,Sanna"  (1898),  ,,Die  letzten  Tage  von  Thule"  (1889),  ,,Adelheid  von  Burgund",  ,,Ingo" 
(1893),  ,,Zlatorog"  (1903),  ,,Der  Florentiner"  (1910).  Ganz  in  Wagners  Fahrwasser  segelt  Philippe  B.  Riifer  (1844 
bis  1919)  mit  seinen  Opern  ..Merlin"  (1887)  und  ,,Ingo"  (1896)  und  Richard  Metzdorff  (1844—1919)  mit  ,,Rosa- 
munde"  (1875)  und  ,,Hagbarth  und  Signe"  (18%).   Mehr  nach  der  Seite  des  Liedertafelstils  geneigt  ist  Robert 
Schwalm  (1845—1912,  Oper:  ,,Frauenlob"  1885).  Nach  bescheidenen  Anfangen  (f,Die  Studenten  vonSalamanka", 
1884)  griff  August  Bungert  (1846—1915)  mit  seiner  selbstgedichteten  Tetralogie  ,,Homerische  Welt"  (,,Kirke**, 
1898,  ..Nausikaa",  1901 ,  ,,Odysseus'Heimkehr",  1896,  ,,0dysseus' Tod",  1903)  zu  den  hochsten  Zielen,  ohne  den  festen 
Grund  einer  ausreichenden  Personlichkeit  unter  sicb  zu  haben.   Wie  kurz  zuvor  Julius  Wolff,  so  lockt  jetzt  Rud. 
Baumbach  die  Komponisten:  Albert  Thierfelder  (geb.  1846)  beginnt  mit  einer  Oper  ,,Die  Jungfrau  vom  Konigs- 
see"  (1877)  und  fahrt  fort  mit:  ,,Der  Trentajager"  (1883),  ,,Almansor<t  (1884),  ,,Florentina"  (18%),  ,,Der  Heirats- 
schein"  (1898).  Der  durch  seine  Spieloper  ,,Das  goldne  Kreuz"  (1875)  zu  volkstumlicher  Beliebtheit  gelangte  Ignaz 


Die  Oper  jm  19.  Jahrnundert:  Deuischland  885 

Brull  (18-46—1907)  1st  Kcrr.pcnist  der  Werke:  ..Die  Bettler  vcn  Samarkand"  (1864).  ,,Der  Landfriede"  (1877), 
,,Bianca"  (1879),  ,,Konigin  Mariette"  (1883),  ..Gloria"  (1886),  ..Gringoire"  (1892),  ..Sckach  dem  Konige"  (1893), 
,,Der  Husar"  (1898),  der  Marchenopcr  ..Das  steineme  Herz"  (1888)  und  des  Balletts  ..Ein  Marchen  aus  der  Cham 
pagne"  (1896).  Otto  Kurth  (geb.  1846)  schrieb  ,,Konigin  Bertha"  (1892),  ,,Das  Gliick  vcn  Hohenstein"  und  ..Witte- 
kind".  Der  auf  dem  Gebiete  der  Mannerchorkomposition  fruchtbare  Theodor  Podbertsky  (1846—1913)  schrieb 
erne  Oper:  ,,Des  Liedes  Ende".  Richard  Kleinmichel  (1846—1901)  veroffentlichte  die  Opern:  ItSchlofi  de  Lorme" 
(1885)  und  ,,Der  Pfeifer  von  Dusenbach"  (1891).  Der  Vollender  von  Gcetzens  ,,Francesca  da  Rimini",  Ernst  Frank 
(1847—1889),  bracnte  an  eigenen  Opem:  ,,Adam  de  la  Halle"  (1880),  ,,Hero"  (1884),  ,,Der  Sturm'*  (nach  Shake 
speare,  1887)  heraus.  Gustav  Laska  (geb.  1847)  schrieb  eine  Oper  ,,Der  Kaisersoldat".  Eine  schatzenswerte  Eigenart 
bekundete  August  Klughardt  (1847—1902)  mit  den  Opem  ,,Mirjam"  (1871),  ..Iwein '  (1879),  ,,Gudrun"  (1882), 


aufgefuhrt  wurde  die  im  Druck  erschienene  dreiaktige  Oper  ,£>ie  deutschen  Kleinstadter".  Georg  Riemenschnei- 
ders  (geb.  1848)  Einakter  ,,Mondeszauber"  kam  1887  heraus.  Karl  Schroder  (geb.  1848)  schrieb  eine  ,,Aspasia" 
(,.Dic  Palikarin".  1902).  ,,Der  Asket"  (1893)  folgte.  Gustav  Kulenkampff  (geb.  1849)  ist  der  Komponist  der 
Opem:  ,,Der  Page"  (1890),  ,,Der  Mohrenfurst"  (1892),  ,,Die  Braut  von  Cypern"  (1899),  ,,Konig  Drosselbart"  (1899) 
und  ,,Annemarie"  (1903).  Von  Willem  de  Haan  (geb.  1849)  kamen  mit  ortiichem  Erfolg  in  Darmstadt  die  Opern: 
,,Die  Kaiserstochter"  (1885)  und  ,,Die  Inkasohne"  (1895)  zu  Gehor.  Eine  Oper  ,,Mataswintha"  brachte  Franz 
Xaver  Scharwenka  (geb.  1850)  im  Jahre  1894  zur  Auffiihrung.  Nach  einer  englischen  Oper  (,,A  sea  change",  auch 
,,Love's  stonaway"  1884)  schrieb  Georg  Henschel  (geb.  1850)  zwei  deutsche:  ,,Friedrich  der  Schone"  und  ,,Nubia" 
(1899).  Richard  Fr.  ].  Heuberger  (1850—1914)  wechselt  zwischen  Opern  (,,Abenteuer  einer  Neujahrsnacht"  1886, 
,,Manuel  Venegas"  1889,  ,,Mirjam",  auch  ,,Das  Maifest"  1894,  ,,Das  Barfiif?ele"  1 905)  und  Operetten  (,,Der  Opern- 
ball",  1898,  ,,Ihre  Exzellenz",  1899,  ,,Der  Sechsuhrzug",  1900,  ,,Das  Baby",  1902,  MDcr  Fiirst  von Diisterstem",  1909, 
,,Don  Quixotte",  1910),  auch  wandte  er  sich  der  Ballettkomposition  mit  ,,Die  Lautenschlagerin"  (18%)  und  ,,Struwwel~ 
peter"  (1897)  zu.  Ein  Singspiel  ..Studio  obenauf"  veroffentlichte  1888  Wilhelm  R  u  d  n  i  c  k  (geb.  1850),  Otto  Fie- 
bach  (geb.  1851)  kompomerte  die  Opern:  ,,Prinz  Dominik"  (1885),  ,,Loreky"  (1886),  ,,Bei  frommen  Hirten  '  (1891), 
,,Der  Offizier  der  Konigin"  (1900),  ,,Robert  und  Bertram"  (1903),  ,,Die  Herzogin  von  Malborough".  Martin  Roder 
(1851—1895)  schrieb  ,,Pietro  Candiano  IV."  und,  auf  eigene  Texte:  Judith"  und  ,,Vera"  (1881).  Von  Max  J.Beer 
(1851—1908)  liegen  3  Opern  (,,0tto  der  Schiitz",  ,,Der  Pfeiferkonig",  ,,Der  Streik  der  Schmiede",  1897)  vor  und 
eine  parodistische  Operette  (,,Das  Stelldichein  auf  der  Pfahlbrucke").  Adalbert  von  Goldschmidt  (1851—1906) 
wendet  sich  nach  einer  Oper  ..Helianthus"  (1884)  mit  der  Trilogie  ,,Gaa"  (1888)  dem  Musikdrama  zu,  schrieb  aber 
auch  (1897)  eine  ,,Fromme  Helene"  nach  Busch.  Der  als  Schriftsteller  bekannte  Otto  Neitzel  (1852—1920)  ist 
auch  als  Opernkomponist  aufgetreten:  ,,AngeIa"  (1887),  ,,Dido<4  (1888),  ,,Der  alte  Dessauer"  (1889),  ,,Barbarina" 
(1904).  ,,Der  Richter  von  Kaschau"  (1916,  nach  eigenem  Text),  ,,Wallhall  in  Not"  (Satyrspiel  1905).  Karl  Menge- 
wein  (1852—1908)  wendet  sich  von  der  Oper  (,,SchuImeisters  Brautfahrt",  1884)  zum  Singspiel:  ,,Der  Liederfex", 
,,Das  alte  Lied",  ,,Liebe  und  Gliick".  Auf  dem  Gebiet  der  niedrigen  Formen  der  Operette,  der  Feerie,  der  Posse 
entfaltete  Karl  Alexander  Rai da  (geb.  1852)  eine  umfangreiche  Tatigkeit.  Hans  Koefiler  (geb.  1853)  schrieb  eine 
Oper  ,,Der  Miinzenfranz"  (1902);  Iwan  Knorr  (1853—1916)  trat  mit  dreien  hervor:  ,,Dunja"  (1904),  ,,Die  Hoch- 
zeit'*  (1907),  ,,Durchs  Fenster"  (1908),  Paul  Umlauft  (geb.  1853)  mit  zweien,  dem  Einakter  ,,Evanthfa"  (1893) 
und  mit  .JBetrogene  Betruger"  (1899)*  Richard  von  Perger  (1854—191 1)  ging  von  der  komischen  Oper  ,,Der  Richter 
von  Granada"  (1889)  zum  Singspiel  ,,Die  zwolf  Nothelfer"  (1891)  und  zum  Marchen  ,,Das  stahlerne  SchloB"  (1904). 
Von  Adolf  Wallnofer  (geb.  1854)  wurde  eine  Oper  ..Eddystone"  (1889)  bekannt.  Heinrich  Zollner  (geb.  1854) 
hatte  mit  meist  von  ihm  selbst  gedichteten  Opern  grofiere  Publikumserfolge :  ,,Frithiof*  (1884,  erst  1910  aufgefuhrt), 
,,Die  lustigen  Chinesinnen"  (1886),  ,,Faust"  (Goethe,  1887),  ,,Matteo  Falcone"  (1894,  Einakter),  ,,Bei  Sedan"  und 
,,Der  Oberfall"  (beide  1895),  ,,Das  holzerne  Schwert"  (1897),  ,,Die  versunkene  Glocke"  (1899),  ,,Der  Schiitzen- 
konig"  (1903)  und  ,,Zigeuner"  (1912). 

Der  von  Nietzsche  Wagnern  entgegengehaltene  Peter  Gast  (Heinrich  Koselitz,  1854 — 1918)  schrieb  eine  Reihe 
von  Opern:  ,,Willram"  (1879),  ,,Konig  Wenzel"  (1888),  ,,0rpheus  und  Dionysos",  ,,Die  heirnliche  Ehe"  (1891,  ge- 
druck  als  ,,Der  Lowe  von  Venedig",  1901),  ,,Scherz,  List  und  Rache"  (Goethe,  1881)  und  ein  Festspiel  ,,Walpurgis" 
(1903).  Moritz  Moszkowski  (geb.  1854)  wendet  sich,  nachdem  die  Ballettmusik  seiner  grofien  Oper  ,,Boabdil" 
(1892)  Erfolg  gehabt  hat,  dem  Ballett  zu  mit  ,,Laurin"  (1896).  Die  biirgerliche  Sicherheit,  mit  der  sich  Engelbert 
Humperdinck  (1854 — 1921)  in  den  von  der  Neuzeit  geebneten  Barmen  bewegt,  ist  symbolisch  fiir  sein  Opernwerk: 
es  iiegt  in  der  abebbenden  Flut  der  Wagnemachfolge ;  der  Mythos  ist  zum  MarcKen  hinabgestimmt,  und  wo,  wie  in 
den  ,,Konigskindern",  die  Musik  tragische  Spharen  zu  erreichen  sucht,  stellt  sich  die  Manier  ein  (Klang  der  neapolita- 
nischen  Sexte).  Auch  der  Stil  des  Werks,  dem  Humperdinck  seinen  Ruhm  verdankt,  ist  nicht  rein:  Elemente  aus  der 
romantischen  und  aus  der  grofien  Oper  drangen  sich  in  das  Spiel  von  ,,Hansel  und  Gretel"  ein;  aber  die  selbstandige 


886  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert :  Deutschland 

Beseelung  vorhandenen  melodischenVolksguts  und  dieGiite  der  musikalischen  Arbeit,  wie  auch  die  charakteristische 
Feinheit  der  instrumentalen  Zeichming  trotz  der  Grofie  der  aufgebotenen  Mittei  rechtfertigen  die  Beriihmtheit 
dieses  gliicklichen  Wurfs.  Der  Reihenfolge  nach  sind  Humperdincks  Bilhnenwerke  folgende:  ,,Hansel  und  Gretel" 
(Text  von  Adelheid  Wcttc,  1893),  ,,Die  Konigskinder"  (Melcdram  1898,  Oper  1908),  ,,Dornroschen"  (1902),  ,,Die 
Heirat  wider  Willen"  (1905),  ,,Die  Marketenderin"  (1914),  ,,Gaudeamus"  (1919);  ein  Marchenspiel  mit  Klavier- 
begleitung  ,,Die  sieben  Geifilein"  erschien  1 897 ;  Biihnenmusiken  sind  vorhanden  zu  Aristophanes  (,,Lysistrata",  1908), 
zu  Shakespeare  (,,Winterrnarchen",  ,,Sturm",  1906,  ,,Was  ihr  wollt",  1907,  ,,Der  Kaufmann  von  Venedig",  1905), 
zu  Maeterlinck  (.JDer  blaue  Vogel",  1910)  und  zu  Vollmoller  (,,Mirakel",  1911).  Miroslaw  Weber  (1854—1906) 
kommt  vom  Ballett  (»,DieRheinnixe",  1884)  zur  komischenOper  (,,Der  seligeHerrVetter",  1894,  ,,Die  neue  Mamsell", 
18%)  und  schreibt  Musiken  zu  Rod.  Pels'  ,,01af"  (1884)  und  zu  Scliultes  ,,Prinz  Bibus".  Franz  Curti  (1854—1898) 
schrieb  die  Opern:  ,,Hertha"  (1887),  ,,Reinhardt  von Ufenau"(  1889),  2  Einakter  G.Erlost",  1894,  ,,LiliTsee",  18%), 
,,Das  Rosli  von  Santis"  (1898)  und  eine  Musik  zu  W.  Kirchbachs  ,,Die  letzten  Menschen"  (1891).  Anton  Riickauf 
(1855—1903)  fiihrt  1897  ,,Die  Rosenthalerin"  auf.    Ferdinand  Hummel  (geb.  1855)  beginnt  mit  den  Einaktern 
,,Mara"  (1893),  ,,Angla"  (1894)  und  geht'zu  groBeren  Formen  iiber  mit:  ,,Assarpai"  (1898),  ,,Sophie  von  Brabant" 
(1899),  ,,Die  Beichte"  (1900),  ,,Ein  treuer  Schelm"  und  ,,Die  Gefilde  der  Seligen"  (1917).   Mit  3  Opern  machte 
Arnold  Mendelssohn  (geb.  1855)  sich  bekannt:  ,,Elsi,  die  seltsame  Magd"  (18%),  ,,Der  Barenhauter"  (1900),  ,,Die 
Minneburg"  (1909).   Raoul  M.  Mader  (geb.  1856)  schrieb  neben  deutschen  und  ungarischen  Operetten  erne  Oper: 
,,Die  Fliichtlinge"  (1891).  Paul  Geisler  (1856—1919)  trat  mit  einigen  Opern:  ,,Ingeborg"  (1884),  ,,Die  Marianer" 
(auch  , ,Die  Ritter  von  Marienburg",  auch  ,,Hertha",  1 891  bzw.  1 894), . .Palrn"  (1 893),  ,,Warum  ?"  ,,Fridericus rex"  (auch : 
,,Wir  siegen",  1899),  ,,Prinzessin  Use"  (1903),  ,,Wikmgertod"  hervor.  Felix  Mottl  (1856— 1911)  brachte  die  Opern 
eigener  {Composition  ,,Agnes  Bernauer"  (1880),  ,,Rama",  ,,Fiirst  und  Sanger",  das  Festspiel  ,,Eberstein"  (1881)  und 
das  Tanzspiel  ,,Pan  im  Busch"(1900)  zur  Auffiihrung.   Syivio  Lazzari  (geb.  1858),  Schiller  Cesar  Francks  und 
Wagnerapostel,  schrieb  aufier  franzosischen  die  deutsche  Oper  ,,Amor"  (1898).   Ahnlich  wie  der  Fall  Humperdincks 
liegt  der  Fall  Wilhelm  Kienzls  (geb.  1857):  das  erste  Werk  einer  neuen  oder  neubelebten  Gattung,  dort  das  Marchen, 
hier  die  Volksoper,  wird  ein  Treffer,  dem  der  Komponist  nichts  Ahnliches  mehr  an  die  Seite  zu  setzen  vermag ;  von 
Weltanschauungsdramen  (,,Urvasi",  1886,  ,,Heilmar  der  Narr",  1892)  kommt  Kienzl  mit  dem  ,,Evangelimann"  (1895) 
auf  das  ihm  eigene  Gebiet,  das  die  Synthese  von  Romantik  und  Naturalismus  bedeutet ;  es  f olgt  eine  Tragikomodie 
,,Don  Quixote  *  (1898),  ein  Marchenspiel  ,,In  Knecht  Rupprechts  Werkstatt"  (1907),  die  allzu  friihzeitig  abgespielte 
dreiaktige  Oper  ,,Der  Kuhreigen"  (191 1)  und  ,,Das  Testament"  (1916);  Kienzl  bearbeitete  auch  Ad.  Jensens  nach- 
gelassene  Oper  ,,Turandot".  Spohrs  Oper:  ,,Die  Kreuzfahrer"  wurde  von  Franz  Beier  (1857 — 1914)  iiberarbeitet ; 
von  ihm  liegt  eine  Operette  (,,E>er  Gaunerkonig",  1890)  und  die  Parodie  ,,Der  Posaunist  von  Speikingen"  (1888)  vcr. 
Rudolf  Dellinger  (1857—1910)  beschrankt  sich  auf  die  Pflege  der  Operette,  wahrend  Bogumil  Zepier  (geb.  1858) 
aufier  zahlreichen  Operetten  auch  komische  Opern  auf  den  Markt  bringt:  ,,Der  Brautmarkt  zu  Hira"  (1892),  ,,Der 
Vicomte  von  Letorieres"  (1899),  ,,Monsieur  Bonaparte"  (191 1);  auch  Siegfried  Ochs  (geb.  1858)  hat  eine  komische 
Oper:  ,,Im  Namen  des  Gesetzes"  geschrieben  (1888).   Albert  Fuchs  (1858—1910)  hinterliefi  in  der  Handschrift 
eine  das  Problem  der  letzten  Menschen  behandelnde  selbstgedichtete  Oper.  Joseph  Krug-Waldsee  (1858 — 1915) 
schrieb  3  Opern:  ,,Der  Prokurator  von  San  Juan"  (1893,  einaktig),  ,,Astorre"  (18%),  ,,Der  Rotmantel"  (1898).  Karl 
E.  Goepfart  (geb.  1859)  komponierte  eine  Reihe  von  Opern:  ,,Wieland  der  Schmied",  ,,Beerenlieschen",  ,,Quintin 
Matsis",  ..Camilla",  ,,Sarastro",  ,,Der  Miiller  von  Sanssouci"  (1907)  und  ,,Rhodo^is".   AuCer  mit  2  Opern:  ,,Frau 
Inge"  und  ,,Eulenspiegel"  trat  Hugo  Riiter  (geb.  1859)  mit  Musiken  zu  Sophokleischen  Dramen  hervor.  Mit  den 
Opern :,,Haschisch" (1907) und  ,,DievemarrtePrinzefi"(Bierbaum,  1905)  machte  sichOskarvonChelius  (geb.  1859) 
bekannt.  Der  Komponist  tuchtigerKammerrnusikPaulCaro  (geb.  1859)  hat  auch  20pern  ,,Hero  undLeander"  (nach 
Grillparzer,  1912)  und  ,,Die  Hochzeit  von  Ulfosti"  (Kalbeck)  geschrieben.  Heinrich  G.  Noren  (geb.  1861)  hat  seine 
Oper:  ,,Der  Schleier  der  Beatrice"  noch  nicht  zur  Auffiihrung  gebracht.  Arthur  Konnemann  (geb.  1861)  trat  vor- 
ziiglich  als  Opernkomponist  an  dieOffentlichkeit:  ..Gawrillo"  (1 882),  ,,Der  Bravo"  (1886),  ,,Vineta"  (,,Die  versunkene 
Stadt",  1895),  ,,Der  tolle  Eberstein"  (1898),  ,,Die  Madonna  mit  dem  Mantel"  (1912).  Karl  Rud.  Weinberger  (geb. 
1861)  und  Rudolf  Raimann  (geb   1861)  beschranken  sich  auf  die  Pflege  der  Operette.  Gustav  Lazarus  (geb   1861) 
schrieb  die  Opern  .,Mandanika"  (1899)  und  ,,Das  Nest  der  Zaunkonige".  Karl  Pottgiefier  (geb.  1861)  schrieb  eine 
Oper  ,,Heimkehr"  (1903),  ein  Festspiel  ,,Siegfried  von  Xanten  und  Kriemhild"  (1892)  und  ein  Musiklustspiel  ,,Alde- 
grevers  Erben".  Ludwig  Thuille  (1861—1907),  das  Haupt  der  Miinchner  Tonschule,  hatte  mit  seinen  Opern  nicht 
den  Einflufl,  wie  mit  der  Orchester-  und  Kammermusik  und  wie  mit  seiner  Lehrtatigkeit;  es  sind:  ,,Theuerdank" 
(1897),  ,,Lobetanz"  (1898,  Bierbaum)  und  ,,Gugeline"  (1901 ,  Bierbaum).  Friedrich  E.  Koch  (geb.  1862)  wurde  durch 
Oratorien  bekannter  als  durch  seine  3  Opern:  ,,Die Halliger",  ,,Lea"  und  ,,Die  Hugelmuhle"  (1918,  nach Gjellerup). 
Friedrich  Klose  (geb.  1862)  nennt  seine  Oper  ,,IlsebiU"(,,Der  Fischer  und  seine  Frau",  1903)  eine  dramatische  Sym 
phonic.   Karel  Weis  (geb.  1862)  schrieb  aufier  einer  tschechischen Oper  (,,Was  ihr  wollt",  1892,  deutsch:  ,,Die  Zwil- 
linge")  drei  deutsche:  ,,Der  polnische  Jude"  (1901),  ,,Die  Dorfmusikanten"  (1904),  ,,Der  Sturm  auf  die  Muhle'* 
(1914),  die  Operette  ,,Der  Reviser"  (1907)  und  das  Vaudeville  ,,Der  Extrazug  nach  Nizza"  (1913).  Neben  Balletten 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Deutschland  887 

und  Operetten  pflegt  Fritz  Baselt  (geb.  1863)  die  komische  Oper  (..Albrecht  Diirer",  ,,Leopold  von  Dessau")  und 
die  Volksoper  (,,Kyffhauser").  Paul  Felix  von  Weingartner  (geb.  1863)  begann  mit  einer  ,,Sakuntala"  (1884),  der 
er  die  Opern  ,,Malawika"  (1886)  und  ,,Genesius"(1892),  eine  Trilogie  ,,0restes"  (nach  Aischylos:  „ Agamemnon", 
,,Das  Totenopfer",  ,,Die  Erinnyen")  im  Jahre  1902  folgen  lieB;  es  schliefien  sich  an:  ,,Fruhling$rnarchenspier  (1908), 
,,Kain  und  Abel"  (1914),  ,,Dame  Kobold"  (komische  Oper  mit  eigenem  Text,  1916),  ,,Meister  Andrea"  und  ,,Tero- 
kayn" ;  aufierdem  schrieb  er  eine  Musik  zu  Goethes  ,,Faust"  und  bearbeitete  Webers  ,,0beron"  und  Mehuls  .Joseph". 
DenVersuch,  die  allegorische  Oper  zu  beleben,  macht  Rudolf  von  Prochazka  (geb.  1864)  mit  dem  Tonmarchen 
,,Das  Gluck"  (1898).  Adolf  Sandberger  (geb.  1864)  dichtete  und  komponierte  eine  Oper  ,,Ludwig  der  Springer", 
Robert  Fuchs  (geb.  1847)  ,,Die  Konigsbraut"  (1889)  und  ,,Die  Teufelsglocken"  (1892). 

Soviel  sich  bei  der  zu  grofien  Nahe  des  Problems  erkennen  lafit,  beginnt  mit  Richard  Straufi 
(s.  S.  1030ff.)  ein  Kiinstlergeschlecht  von  deutlich  dem  romantischen  Ideal  abgewandter  Pra- 
gung ;  seine  ersten  Opern  liegen  an  der  Jahrhundertwende,  und  es  scheint,  als  ob  das  diesrnal 
kein  Zufall  sein  sollte:  em  entscheidendes  Merkmal  der  ars  nova  des  20.  Jahrhunderts,  die 
Aufgabe  der  vertikalen  Bezogenheiten  zugunsten  der  horizontalen,  ist  durch  ihn  vorbereitet 
worden ;  die  Abwendung  vom  Wagnerschen  Opernstil  fallt  in  die  Augen,  und  so  bedarf  es  an 
dieser  Stelle  nur  mehr  der  Nennung  der  Namen  seiner  Zeitgenossen  und  des  nicht  in  seiner 
Richtung  gehenden  Nachwuchses. 

Nach  einigen  hiibschen  Versuchen  im  Musiklustspiel  und  im  Musikdrama  wendet  sich  Eugen  d'Albert  (geb.  1864) 
einem  am  italienischen  verismo  entziindeten  Stil  zu,  ohne  vergessen  zu  machen,  dafi  es  eigentlich  das  Genrehafte  sei, 
wo  er  herrscht;  seine  Opern  sind  diese:  ,,Der  Rubin"  (1893),  ,,Ghismonda"  (1895),  ,,Gernot"  (1897),  ,,Die  Abreise" 
(1898),  ,,Kain"  (1900),  ,,Der  Improvisator"  (1900),  ,,Tiefland4'  (1903),  ,,Flauto  solo"  (1905),  ,,Tragaldabas"  (,,Der  ge- 
borgte  Ehemann",  1907),  ,,Izeyi"  (1909),  ,,Die  verschenkte  Frau"  (1912),  ,,Liebesketten"  (1912),  ,,Die  SUavin  von 
Rhodes"  (1912),  ,,Die  toten  Augen"  (1916),  ,,Der  Srier  von  OKvera"  (1918),  ,,Revolutionshochzeit"  (1919).  R.  Bruno 
Heydrich  (geb.  1865)  trat  mit  den  Einaktern  ,,Amen"  (1895)  und  ,,Zufall"  (1914),  mit  der  Oper:  ,,Frieden"  (1907) 
und  der  Volksoper  ,,Das  Leierm'adchen"  hervor.  Johannes  Doebber  (1866 — 1920)  ist  Komponist  der  Opern:  ,,Dol- 
zetta",  ,,Der  Schmied  von  Gretna  Green"  (1893),  ,,Die  Rose  von  Genzano"  (1895),  ,,Die  Grille"  (1897),  ,,DJe  drei 
Rosen"  (1902),  ,,Der  Zauberlehrling"  (1907),  des  Tanzmarchens  ,,Der  verlorene  Groschen"  (1904)  und  der  Operette 
,,Die  Millionenbraut"  (1913);  eine  Oper  ,,Die  Franzosenzeit"  (nach  Reuter)  ist  noch  nicht  aufgefuhrr.  Waldemar 
von  Baufinern  (geb.  1866)  vollendete  Cornelius*  ,,Gunlodu  und  trat  mit  eigenen  Opern  hervor:  ,,Dichter  und  Welt" 
(1897),  ,,Diirer  in  Venedig"  (1901),  ,,Herbert  und  Hilde"  (1902),  ,,Der  Bundschuh"  (1904).  Im  AnschluB  an  das 
Bayreuther  Muster,  vornehm  und  ehrlich,  ja  ethisch  bestimmt,  doch  irgendwie,  vielleicht  auch  durch  unzulangliche 
Texte  gehemmt,  schafft  Max  Schillings  (geb.  1868);  seine  Opern  sind:  ,,Ingwelde"  (1894),  ,,Der  Pfeifertag"  (1899) 
,,Moloch"  (1906),  ,,Mona  Lisa"  (1915);  ferner  verdanken  wir  Jhm  eine  Musik  zur  ,,Orestie"  des  Aischylos  und  eine 
zum  ersten  Teile  des  Goetheschen  ,,Faust".  Georg  Jar  no  (geb.  1868)  wurde  durch  Opern  (,,Die  schwarze  Kaschka" 
1895,  ,,Der  Richter  von  Zalamea",1899,  ,,Der  zerbrochene  Krug",  1903)  und  durch  Operetten  (,,Der  Goldfisch" 
1907,  ,,DieF6rster-ChristeT,  1907,  ,,Das  Musikantenmader'^^lO^.DieMarineguster*,  1912,,,DasFarmermadchen" 
1913)  bekannt. 

Der  ,,letzte  Romantiker",  wie  er  sich  selbst  nennt  oder  genannt  hat,  Hans  Pf  itzner  (geb  J869) 
ist  Richard  StrauBens  naher  ZeitgenoB;  beide  haben  sich  mit  dem  Antlitz  der  gleichen  Epoche^ 
des  Jahrhundertendes  auseinanderzusetzen ;  beide  tun  es  als  Musiker,  indem  sie  von  dem 
grofien  Ereignis  ihrer  Tage,  von  Wagner  ausgehen,  und  als  Menschen. 

Ein  alter,  der  alteste  Zwiespalt  der  Operngeschichte  tut  sich  in  der  Zeit  von  Wagners  starkster 
Wirkung  noch  einmal  auf :  das  Gegeneinander  der  Musizieroper  und  des  Musikdramas,  der 
literaturbestimmten  und  der  musikbestimmten  Textformung.  StrauCens  Hinwendung  zu 
Mozart  findet  ihre  gegensatzliche  Entsprechung,  wenn  Pfitzner  sich  auf  den  klassischen  Geist 
Glucks  beruft  (,,Vom  musikalischen  Drama"  1915),  auf  Gluck,  mit  dem  Mozart  wenig  aufiere 
und  innere  Beziehungen  hatte. 

Die  friihwagnersche  Form  des  Erlosungsgedankens  (Senta)  tritt  schon  in  dem  auch  sonst 
(Dietrichs  Reisebericht,  Monchschore)  an  das  grofie  Muster  angeschlossenen  Erstlingswerk 


Die  Oper  im  1 9.  Jahrhundert :  Deutschland 


,,Der  arme  Heinrich"  (1895)  im  Gewande  Gluckscher  Strenge  hervor.  Die  Legende,  das 
Marchen  steht  fur  den  Komponisten  der  Wahrheit  naher  als  die  Historic.  Derselbe  Dichter, 
dem  Pfitzner  hier  folgte,  James  Grun,  legt  ihm  in  der  ,,Rose  vom  Liebesgarten"  (1901)  einen 
Text  vor,  der  unter  verhangnisvollem  Verzicht  auf  jede  Beriihrung  mit  irdischen  Dingen  einer 
durch  keinerlei  tiefere  Gegensatze  unterbrochenen  und  deshalb  farblos  werdenden  Symbolik 
frohnt.  Auch  hier  ,,erlost"  ein  von  Sinnlichkeit  zu  reiner  Liebe  sich  entwickelndes  Weib 
den  ihr  vertrauenden,  aber  an  ihrem  Zweifel  sterbenden  Mann;  doch  scheint  es,  als  hatte 
diesmal  die  Legende  nicht  die  Kraft  gehabt,  den  in  der  iiberhellen  und  iiberdunkeln  Lyrik 
der  zaubrischen  Umgebung  der  Handlung,  in  dem  ,,Milieu"  sich  verbeifienden  Musiker  zu 
fesseln.  Die  Spieloper,  die  aus  der  Musik  zu  Use  von  Stachs  Weihnachtsmarchen  heraus- 
wuchs,  ,,Das  Christelflein"  (1906),  besitzt  ein  schones  Vorspiel  und  macht  als  Versuch,  mit 
kammermusikalischen  Mitteln  hauszuhalten,  das  Streben  der  im  Sinne  fortschrei tender  Poly 
phonic  verwandten  Melodik  nach  allzu  volksmaBigem  Ausdruck  wieder  wett.  Und  nach  den 
beiden  Marchen  noch  einmal  die  mit  hohem  Vermogen  dichterisch  vom  Musiker  selbst  ge- 
staltete  Legende:  ,,Palestrina".  Unter  dem  Bilde  eines  nach  Charakter  und  Schicksal  un- 
geschichtlichen  Palestrina  sieht  der  Kiinstler  sich,  seine  Sendung,  sein  Sein  zwischen  zwei 
Zeiten,  das  ihr  entgegen  ist,  sein  Wissen  um  die  Musik,  seinen  Glauben  an  die  Kunst.  Das 
behandelte  Thema  ist  das  auch  theoretisch  abgehandelte  Hauptproblem  des  Pfitznerschen 
Lebens:  Kunst  und  Kiinstler  —  das  hochste  der  auf  dieser  Erde  moglichen.  Eine  herb-siifie 
Spatreife  gibt  den  legendarischen  Teilen  die  das  Musikdrama  auf  bisher  unbetretenes  Gebiet 
weisende  heimliche  Kraft  einer  Intimitat,  die  in  seelische  Griinde  von  zartester  Beschaffenheit 
zu  leuchten  vermag.  Dem  symphonischen  Kraftespiel  gelingt  eine  Vereinigung  stoffgegebener 
Stile,  polyphoner  und  monodischer,  zu  einem  gebundenen  Ganzen,  das  ein  spateres  Ver 
mogen  zum  Formhoren  vielleicht  einmal  als  zwei  grofie,  durch  ein  Allegro  (Konzilakt)  ge- 
trennte  Adagios  erkennen  wird.  Wollte  man  die  Fiille  des  Ganzen  in  einem  Bilde  zusammen- 
fassen,  so  konnte  man  den  Schlufiakt  als  die  Synthese  der  in  den  beiden  andern  Akten  einzeln 
vorgelegten  Krafte  nennen :  der  Genius  —  die  Welt.  Von  diesem  Punkte  aus  ist  auch  Pfitzners 
Lehre  vom  ,,Einfall",  als  einem  unerklarbar  Gegebenen,  zu  begreifen,  und  der  erste  Akt 
des  ,,Palestrina"  ist  geradezu  die  Apotheose  dieser  in  der  Romantik  seit  langem  vorgebildeten, 
endlich  auf  Plato  zuriickzufiihrenden  Theorie  der  Genialitat.  An  Schauspielmusiken  schuf 
Pfitzner  eine  zu  Ibsens  ,,Fest  auf  Solhaug"  und  eine  zu  Kleists  ,,Kathchen  von  Heilbronn". 

Der  in  der  ziinftigen  Wagnernachfolge  betriebenen  Unterhohlung  des  MytKos  setzt  mit  einer  Reihe  ehrlicher  Ge- 
miiter  Siegfried  Wagner  (geb.  1869)  seine  Verkleinerung  zum  Marchen  entgegen;  er  ist  Schiller  von  Humperdinck 
und  veroffentlichte  die  Opern:  ,,Der  Barenhauter"  (1899),  ,,Herzog  Wildfang"  (1901),  ,,Der  Kobold"  (1904),  ,,Bru- 
der  Luslig"  (1905),  ,,Sternengebot"  (1908),  ..Banadietrich"  (1910),  ,,Schwarzschwanenreich"  (1918),  ..Sonnenflam- 
men"  (1918),  ,,Der  Heidenkonig"  (1915),  ,,Der  Friedensengel"  (1915),  ,,An  allem  ist  Hutchen  schuld"  (1916). 

Oskar  Strauii  (geb.  1870),  von  Wolzogens  Oberbrettl  bekannt,  schreibt  neben  Operetten  (,,Rund  um  die  Liebe4', 
1914  u.  a.)  zum  Teile  parodistischer  Tendenz  (,,Die  lustigen  Nibelungen")  Opem:  ,,G)lombine"  (1904),  ,,Das  Tal 
der  Liebe"  (1909),  ,,Der  tapfere  Cassian"  (1909),  eine  komische  Oper  ,,Der  schwarze  Mann"  und  Singspiele:  ,,Die 
himmelblaueZeit"(1914),  ,,Eine  Ballnacht",  ,,Liebeszauber"  (1919).  August  ReuB  (geb.  1871)  brachte  eine  Oper 
,,Herzog  Philipps  Brautfahrt"  im  Jahre  1909  zur  Auffiihrung.  Siegmund  von  Hausegger  (geb.  1872)  trat  1890 
mit  einer  Oper  ,,Helfrid"  hervor,  der  1898  die  nach  E.  T.  A.  Hoffmann  vom  Komponisten  gedichtete  dreiaktige 
Oper  ,,Zinnober"  folgte.  Mit  Alexander  von  Zemlinsky  (geb.  1872)  vollzieht  sich  der  nicht  zu  iibersehende  Ober- 
gang  in  eine  andersgeartete  Zeit;  seine  Opernwerke  sind:  ..Sarema*'  (1897),  ,,Es  war  einmal"  (1900),  ,,Kleider  machen 
Leute'*  (1910).  In  der  kiinstlerischen  Gesinnung  ein  wenig  gemafiigter  ist  Walter  Courvoisier  (geb.  1875),  der  ein 
lyrisches  Drama  ,,Lanzelot  und  Elaine"  im  Jahre  1917  auffuhrte. 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Frankreich  889 

Literatur 

Adler,  Guido:  Richard  Wagner.  Vorlesungen,  gehalten  an  der  Universitat  Wien.  Leipzig  1904.  2.  Aufl.  1922. 
—  Blessinger,  Karl:  C.  M.  v.  Weber;  Lortzing  und  die  komische  Oper;  Hans  Pfitzner.  Meister  der  Oper,  herausg. 
von  Karl  Blessinger.  Augsburg,  o.  J.  (1921).  —  Biicken,  Ernst:  Fiihrer  und  Probleme  der  neuen  Musik.  Koln 
1924.  —  Istel,  Edgar:  Das  Buch  der  Oper.  Die  deutschen  Meister  von  Cluck  bis  Wagner.  Berlin,  o.  J.  (1919).  — 
Kroll,  Erwin:  Hans  Pfitzner.  Munchen  1924.  —  Kroyer,  Th.:  Die  zirkumpolare  Oper.  Zur  Wagnergeschichte. 
Jahrb.  d.  Musikbibl.  Peters  fur  1919.  Leipzig  1920.  S.  16.  —  Kurth,  Ernst:  Romantische  Harmonik  und  ihre  Krise 
in  Wagners  Tristan.  Berlin  1923.  —  Lorenz,  Alfred:  Das  Geheimnis  der  Form  bei  Richard  Wagner,  I  1924, 
II  1926.  —  Rietsch,  Heinrich:  Die  Tonkunst  in  der  zweiten  Halfte  des  1 9.  Jahrhunderts.  Leipzig  1906.  — 
Schnoor,  Hans:  Musik  der  germanischen  Volker  im  19.  und  20.  Jahrhundert.  Breslau  1926.  —  Verweyen, 
Johannes  M.:  Wagner  und  Nietzsche.  Stuttgart  1926.  —  Waltershausen,  H.  W.  v.:  Der  Freischiitz.  Ein  Ver- 
such  iiber  die  musikalische  Romantik.  Miinchen  1920;  Richard  Wagner.  Meister  der  Oper,  herausg.  von  Karl 
Blessinger.  Augsburg,  o.  J.  (1921).  —  Werner,  Th.  W.:  Hans  von  Btilow.  In:  75  Jahre  Opernhaus  Hannover. 
Hannover  1927.  —  Westphal,  Kurt:  Die  modeme  Musik.  Leipzig  1928. 

Frankreich 

Glucks  Kunst  und  Kunstgesinnung  hatte  vorziiglich  in  Paris  Nachfolge  gefunden :  Sacchini, 
Salieri,  Vogel,  Mehul,  Catel,  Lesueur,  Cherubmi,  Spontini  schufen,  jeder  anders  geartet  zwar, 
aber  doch  noch  in  semem  Sinne.  Gegen  den  Widerstand  des  Conservatoire,  gegen  den  Wider- 
stand  auch  des  jungen  Berlioz,  aber  unter  Billigung  der  Academic  Royah  dringt  mit  einemTeil 
dieser  Meister,  vorab  aber  mit  Rossini  (,,Le  siege  de  Corinthe",  ,,Mo"ise",  ,,Le  comte  Ory")  ein 
neuer,  auf  das  Materielle  gerichteter  Geist  ein.  Rossinis  letztes  und  groBtes  Opernwerk  ,,Guil- 
laume  Tell"  schien  nach  der  Wertschatzung,  die  es  erfuhr,  einen  Ausgangspunkt  neuer  Ent- 
wicklungen  bedeuten  zu  sollen.  Wenn  auch  noch  nicht  von  alien  Schlacken  befreit,  wares  doch 
Zeugnis  einer  erstaunlichen  Kraft,  die  den  beriihmten  Buffonisten  in  unerwarteter  Beleuchtung 
zeigt.  Der  ,,Teir  des  im  Jahre  1823  von  London  in  die  Leitung  der  italienischen  Oper  zu  Paris 
kommenden  italienischen  Meisters  ist  trotz  seines  Melodienreichtums  eine  franzosische  Oper, 
oder  er  wurde  es  dadurch,  dafi  das  allgemeine  nationale  Ideal  die  von  ihm  gewiesene  Richtung 
annahm.  Im  Jahre  vor  seinem  Erscheinen  (1829)  war  Aubers  ,,Muette  de  Portici",  die  dauernd 
Wagners  Bewunderung  erregte,  iiber  die  Biihne  gegangen.  Diese  beiden  Werke  sind  Vorlaufer 
eines  neuen  Stiles,  den  mit  Einbeziehung  des  von  Spontini  gepflegten  soldatischen  Prunks 
und  grober  Effekte  und  mit  Beimischung  romantisch  aussehender  Elemente  der  deutschen 
Oper  Meyerbeer  zu  volliger  Ausbildung  bringt. 

Gasparo  L.  P.  Spontini  (1774 — 1851)  beginnt  mit  anmutigen,  empfindungsvollen,  einfach 
gehaltenen  Werken  im  Stil  der  neapolitanischen  Schule  (,,I  puntigli  delle  donne",  1796,  ,,Finta 
filosofa"  vor  1803  u.  a.)-  Nach  einigen  Ubergangswerken  („ Julie",  1804,  ,,La  petite  maison", 
1 804)  andert  sich  aus  der  Kenntnis  der  franzosischen  Oper  und  vornehmlich  Glucks  sein  Stil 
zum  Dramatischen :  innerhalb  der  iiberlieferten  Formen  begihnt  er,  die  Gesetze  der  Deklama- 
tion  zu  beach  ten,  die  musikalische  Sprache  zu  bereichern  und  wird  zum  Begriinder  und  (nach 
Wagner)  reinsten  Vertreter  der  groBen  Oper  (,,La  vestale",  1807,  mit  dem  grofien  Opernpreise 
bedacht,  ,,Fernand  Cortez ',  1809,  Gelegenheitsopern  zur  Feier  der  Restauration :  ,,Pelage  ou 
le  roi  et  la  paix",  1814,  ,,Les  dieux  rivaux"  mit  Persuis,  Berton  und  Kreutzer  1816,  einige  neue 
Nummern  zu  Salieris  ,,Les  Danaides",  1817  und  ..Olympic",  1819).  Mit  der  ,,01ympie"  fuhrt 
sich  der  franzosisierte  Italiener  1820  in  Berlin  ein,  dessen  Opernleben  er  von  entscheidender 
Stelle  aus  durch  20  Jahre  beeinflufit;  den  Text  hatte  E.  Th.  A.  Hoffmann  in  das  Deutsche 
iibertragen.  Die  Pariser  Erfolge  vermochten  die  Berliner  Arbeiten  nicht  zu  iiberbieten.  Es 


890  Die  Oper  *m  19.  Jahrhundert:  Frankreich 

sind:  das  Festspiel  ,,Lalla  Rookh"  (1821),  das  zur  Oper  ,,Nurmahal  oder  das  Rosenfest  zu 
Kaschmir"  umgewandelt  wurde,  und  nach  einer  durch  eine  italienische  Reise  bedingten  Pause: 
,,Alcidor"  (1825)  und  ,,Agnes  von  Hohenstaufen"  (1829).  Die  stete  Bereitschaft  der  an  das 
Drama  angeschlossenen  Musik  Spontinis  zur  Aufnahme  von  Bewegung,  Feuer,  Leidenschaft, 
aber  auch  lyrischer  Empfindungen,  die  Verbindung  der  Szenen  durch  Erinnerungsmotive,  die 
harmonische  und  instrumental  Neuheit  des  Klanges  la'Bt  das  ihr  noch  anhaftende  verschnor- 
kelte  Wesen  vergessen. 

Giacomo  Meyerbeer  (Jakob  Liebmann  Beer)  war  am  5.  September  1791  in  Berlin  als 
Sohn  eines  Bankiers  geboren;  bestimmend  auf  seine  musikalische  Entwicklung  war  der  ver- 
schrieene  Abt  Vogler  in  Darmstadt,  wo  er  seit  1810MitschiilerWebers  und  Gansbachers  war; 
allerdings  wurde  dessen  strengere  Richtung  schon  bald  (1812)  durch  Anregungen,  die  er  auf 
Salieris  Rat  in  Italien  holte,  abgelost.  Wahrend  einer  die  Jahre  1824 — 1830  umfassenden  Pause 
im  Schaffen  siedelt  Meyerbeer  (1826)  von  Berlin  nach  Paris  iiber,  wo  er  ein  franzosischer  Kom- 
ponist  wird,  wie  er  in  Italien  ein  italienischer  geworden  war.  Friedrich  Wilhelm  IV.  ernennt  ihn 
1842  —  in  dem  Jahre,  da  Wagner  nach  Dresden  kommt  —  zum  Generalmusikdirektor;  er 
starb  am  2.  Mai  1864  auf  einer  Reise  in  Paris. 

Mit  Meyerbeer  beginnt  die  goldene  Zeit  der  groCen  Oper  und  der  Kassenerfolge.  Als  Zeit- 
dokument  betrachtet  ist  die  grofie  Oper  ein  Merkmal  der  Restauration  in  Frankreich  und  als 
AulJerung  einer  Personlichkeit  ein  Beweis  fur  die  erstaunlichste  Fahigkeit  zur  Ausnutzung  der 
Zeltumstande ;  der  Intellekt  fur  das  Bediirfnis  der  Menge,  schon  in  Rossini  vorhanden  und  sein 
Werk  farbend,  kommt  in  Meyerbeer  zu  reinstem  Ausdruck.  Dazu  tntt  allerdings  ein  bedeu- 
tendes,  in  Schule  und  Leben  gebildetes  musikalisches  Talent,  das  alle  Formen  mit  spielender 
Sicherheit  ergreift  und  sich  zueignet.  Die  Anfange  gehen  vom  deutschen  Singspiel  aus :  noch 
in  Darmstadt  (181 1)  entsteht  ,,Der  Admiral,  oder  der  gewonnene  ProzefiT  (nicht  aufgefuhrt); 
in  Miinchen  kommt  Ende  1812  ,JephthasGelubde",  in  Stuttgart  schon  Anfang  1813  das  Lust- 
spiel  mitGesang:  ,,Wirt  und  Gast,  oder  Aus  Scherz  Ernst**,  zuerst  ,,Alimelek"  genannt,  heraus, 
das  indes  weder  hier  noch  in  Wien  Erfolg  brachte.  Bei  einem  ersten  kurzen  Aufenthalt  in  Paris 
schreibt  Meyerbeer  zwei  nicht  zur  Auffiihrung  gekommene  Opern:  ,,Le  Bachelier  de  Salaman- 
que"  und  ,,L*Etudiant  de  Strassbourgh" .  Enttauscht  wendet  er  sich  (1816)  nach  Italien,  wo 
Rossinis  Stern  im  Aufgehen  war  (,,Tancred",  1813).  Im  Neuen  Theater  zu  Padua  erscheint 
1817  als  erstes  italienisches  Werk  das  Intrigenstiick  ,,Romilda  e  Costanza"  nach  Gaetano 

Rossi,  2  Jahre  spater  die  {Composition  von  Metastasios  alter  ,,Semiramide  riconosciuta"  und 

• 

das  melodrama  eroico  ,,Emma  di  Resburgo"  (als  ,,Emma  von  Roxburgh"  mehrfach,  auch  in 
Berlin  aufgefuhrt).  Den  Abschlufi  der  italienischen  Zeit  und  ihres  Stiles,  der  Mayrsche  und 
Rossinische  Elemente  mischt,  aber  dramatisch  ganz  selbstandig  ist,  bilden  zwei  Werke  des 
Dichters  Felice  Romani:  ,,Margherita  d'Angiu"  (1820  in  der  Mailander  Scala)  und  ,,L'Esule 
di  Granata"  (ebendort  1822),  sowie  Rossis  Kreuzritteroper  ,,11  Crociato  in  Egitto"  (1824  Gran 
Teatro  di  Fenice  in  Venedig,  dann  in  rascher  Verbreitung  in  Miinchen,  Paris  und  London; 
eine  Anfrage  von  Berlin  bescheidet  der  Komponist  ablehnend).  Mit  diesem  Werk  hatte  Meyer 
beer  das  Niveau  der  italienischen  Oper  iiberboten.  Er  sucht  nun,  da  er  sich  innerlich  der 
deutschen  Romantik  entfremdet  hat,  den  Anschlufi  an  die  schon  einmal  umworbene  franzo- 
sische  Kunst,  ohne,  als  Zeitgenosse,  das  zu  sehen,  was  uns  Riickschauenden  zu  erkennen  mog- 
lich  ist:  ihren  Zustand  des  Absinkens.  Noch  einmal  vollzieht  sich  in  Meyerbeer  die  Ver- 


DieOper  im  1 9.  JahrKundert :  Frankreick 


891 


schmelzung  des  das  Gesangliche  auf  Kosten  der  dramatischen  Idee  in  den  Vordergrund  stellen- 
den  italienischen  Stiles  (doch  ohne  die  ,,auCergesetzliche"  slidliche  Melodik)  mit  dem  in  alten 
Ballettiiberlieferungen  verwurzelten  pomphaften  Aufwand  an  Massenszenen  und  Choren  der 
franzosischen  Oper.  Nicht  zu  verkennen  ist  aber,  daB  Meyerbeer  auch  der  wirklichen  drama 
tischen  Erhebung  fahig  war,  allerdings  nicht  innerhalb  der  freien  rezitativischen  Formen,  wo 
wir  sie  mit  Wagner  suchen,  sondern  in  den  geschlossenen.  Doch  iiberwiegt  die  aus  de/Re- 
staurationszeit  nachwirkende  Lust  an  der  Aufierlichkeit.  In  A.  E.  Scribe  findet  er  einen  L5- 
brettisten,  der  die  in  einem  elementaren  Sinne  wirksamen  Bucher  schreibt,  die  der  Komponist 
nun  braucht:  Biicher,  die  sich  mit  dem  im  Rokoko  und  in  der  Revolution  untergrabenen  Ethos, 
das  auf  den  Hohepunkten  der  Oper  bisher  immer  gefordert  worden  war,  nicht  beschweren.' 
Mit  den  vier  noch  heute  gelegentlich  im  Spielplan  erscheinenden,  mit  Meyerbeers  Narnen  un- 
losiich  verknupften  Pariser  Werken  hort  die  Musik  voilig  auf,  Bestandteil  des  Dramas  zu  sein: 
sie  wird  rein  dekorativ,  allerdings  —  und  das  wird  fur  seine  Nachfolge  betrachtlich  —  unter 
zielbewufiter  Ausbildung  eines  grofien  Apparats  und  seiner  Ausnutzung.  Diese  Werke  sind* 
der  mit  pseudoromantischen  Elementen  durchsetzte  ,,Robert-leJDiable"  vom  Jahre  1831 ,  ,,Les 
Huguenots"  vom  Jahre  1836,  deren  iibermaBig  grofier  Erfolg  die  Berufung  nach  Berlin  ver- 
anlafite,  ,,Le  Proph^te"  von  1848  (erste  Aufftihrung  in  Paris  1849)  und  ..L'Africaine",  schon 
1838  in  Angriff  genommen,  1842  vollendet,  dann  umgearbeitet  (1860)  und  unter  dem  Titel 
,,Vasco  de  Gama"  nach  des  Komponisten  Tode  (in  Paris  April,  in  Berlin  November  1865) 
aufgefiihrt.  Eine  Oper  Judith"  (Text  ebenfalls  von  Scribe)  blieb  unvollendet.  Fur  Berlin 
schrieb  er  die  mit  Jenny  Lind  als  Vielka  1845  aufgefiihrte  Oper  ,,Das  Feldlager  in  Schlesien", 
aus  der  6  Nummern  in  das  1854  an  der  Opera  comique  erscheinende  Werk  ,,L'Etoile  du  Nord" 
ubergingen.  Die  komische  Oper  ,,Dinorah"  (als  ,,Le  Pardon  de  Ploermel"  Paris  und  London 
1859)  zeigt  ein  merkliches  Nachlassen  der  musikalischen  Krafte,  ist  aber  ein  Werk,  das  mensch- 
lich  interessiert.  Im  Jahre  1840  schrieb  er  eine  Musik  zu  seines  Binders  Michael  Trauerspiel 
,,Struensee".  —  Neben  heftigster  Anfeindung  (durch  Schumann  und  Wagner  vorab)  hat 
Meyerbeer  einen  mit  tiichtigem  asthetischen  Verstehen  und  leidenschaftlichem  Vortrag  aus- 
geriisteten  Lobredner  in  Wolfg.  Rob.  Griepenkerl  gefunden  (vgl.  Zeitschr.  f.  Musikwissen- 
schaft  II  [1920],  S.  361),  der  in  seinen  Werken  den  Ton  ,,dieses  eisemen  Jahrhunderts"  er- 
kennt.  Ob  die  Umschreibung  von  Elsas  Charakter  durch  die  hohen  Holzblaser  in  Wagners 
„ Lohengrin"  geradezu  auf  das  Beispiel  der  Alice  in  ,,Robert"  zuriickgehe,  wird  ebenso  schwer 
zu  erweisen  sein,  wie  andererseits  die  Abhangigkeit  der  musikalischen  Ausdeutung  des  bosen 
Prinzips  in  Bertram  von  Webers  Caspar:  die  Auspragung  solcher  Gegensatze  verlangt  von  sich 
aus  die  Anwendung  derartiger  Mittel,  sofern  nicht,  wie  im  3.  Akt  der  ,,Hugenotten"  zur  Kon- 
trastierung  zweier  Themen,  als  dem  urspriinglich  musikalischen  Verfahren,  gegriffen  wird. 
(Hier  ware  auf  Gounods  ,,Romeo",  auf  Bizets  ,, Carmen"  zu  verweisen,) 

Das  Jahr  der  ,,Hugenotten"  (1836)  zeigte  so  recht  Meyerbeers  einzigartige  Stellung:  Weber 
war  tot,  Cherubini  alt,  Spontini  und  Rossini  schrieben  nicht  mehr,  Wagner,  Verdi  und  Gounod 
waren  noch  unbekannt,  Marschners  Ruhm  drang  nicht  iiber  die  deutsche  Grenze,  Berlioz,  in 
der  ,,Gazette  musicale"  theoretisierend,  war  mit  Opern  noch  nicht  hervorgetreten,  Auber  und 
Donizetti  kamen  als  Nebenbuhler  noch  nicht  in  Betracht.  Allerdings  wuchs  in  einem  Halb- 
deutschen  —  sein  Vater  war  aus  Fiirth  gebiirtig —  ein  Rivale  heran.  Jacques  Fromental  Ha- 
1  evy  (geb.  am  27.  Mai  1799  in  Paris,  gestorben  am  17.  Marz  1862  zu  Nizza)  war,  ahnlich  wie 


57    H.d.M. 


Die  Oper  im  19.  JahrKundert  :  Frankreich 


Meyerbeer,  aus  gediegener  Schule  (Cherubini)  hervorgehend,  Kosmopolit  geworden,  ehe  er 
mit  dramatischen  Werken  hervortrat,  von  denen  die  gut  gearbeitete  und  stellenweise  auch 
stark  inspirierte  groGe  Oper  ,,La  Juive"  (1835)  sich  bis  heute  gehalten  hat;  das  Buch  von  Scribe 
gibt  Gelegenheit  zur  Entfaltung  von  Pomp,  Running,  dramatischen  Gesten  und  Pathos  und 
kommt  der  bedeutenden  Eigenart  des  Komponisten,  der  tibrigens  kurze  Zeit  nach  diesem  Er-; 
folge  ein  ganzlich  anders  geartetes  Werk,  die  elegante  komische  Oper  ,,L'Eclair"  heraus- 
brachte,  weit  entgegen.  Aufier  einigen  friihen,  nicht  zur  Auffiihrung  gelangten  Versuchen: 
,,Les  Bohemiennes",  ,,Pygmalion",  ,,Les  deux  Pavilions"  wurden  folgende  Werke  von  ihm 
bekannt:  ,,L'Artisan",  ein  komischer  Einakter  (1827,  Theatre  Feydeau),  ,,Le  Roi  et  le  Batelier" 
(1828),  ,,Clari"  (1829,  Theatre  italien),  ,,Le  dilettante  d'Avignon"  (1829,  Opera  comique), 
,,Attendre  et  courir"  (1830),  das  Ballett  ,,Manon  Lescaut"  (Grand  Opera);  ,,Yelva"  blieb 
wegen  Bankrotts  der  Komischen  Oper  unvollendet  liegen;  es  folgen:  ,,La  langue  musicale" 
(1831),  die  Ballettoper  ,,La  tentation"  (1832),  ,,Les  souvenirs  de  Lafleur"  (1834)  und  die  Aus- 
arbeitung  von  Herolds  hinterlassener  komischer  Oper  ,,Ludovic  '  (1834);  nach  dem  Jahre  1835, 
das  die  ,Judin"  und  den  ,,Blitz"  gebracht  hatte,  gerat  sein  Opernschaffen  in  den  Schatten 
Meyerbeers;  mit  Ausnahme  der  ,,Reine  de  Chypre"  (1841)  hatte  kein  Werk  den  der  ,,Jiidin" 
beschiedenen  Erfolg,  weder  die  Stucke  fur  die  GroBe  Oper  (,,Guido  et  Ginevra",  1838,  ,,Le 
sheriff",  1839,  ,,Ledrapier",  1840,  ,,Charles  VI",  1843,  ,,Lelazzarone",  1844,  ,,Le  juif  errant", 
1852,  ,,La  magicienne",  1857)  noch  die  fur  die  Komische  Oper  (,,Les  treize",  1839,  ,,Le  gui- 
tarero",  1841,  ,,Les  mousquetaires  de  laReine",  1846,  ,,Le  vald'Andorre",  1848,  ,,La  fee  aux 
roses",  1849,  ,,Ladame  de  pique",  1850,  ,,Le  Nabob",  1853,  ,,Valentine  d'Aubigny",  1856),  noch 
auch  die  fur  andere  Gelegenheit  geschriebenen  Werke  (,,Les  premiers  pas",  1847  mit  Adam, 
Auber  und  Carafa,  ,,Latempesta",  1850  fur  London,  ,,Jaguarita",  1855,  ,,L'inconsolable"  ,  1850 
unter  dem  Namen  Alberti);  im  Nachlafi  fanden  sich  zwei  unvollendete  grofie  Opern:  ,,Vanina 
d'Ornano",  von  Bizet  beendet,  und  ,,Noe"  oder  ,,Le  deluge". 

Weder  Donizettis  1841  in  der  Grofien  Oper  gegebene  ,,La  Favorite",  noch  Verdis  .Jeru 
salem"  (1847,  eine  Bearbeitung  von  ,,I  Lombardi")  oder  ,,Les  Vepres  Siciliennes"  (1856)  ver- 
mogen  Meyerbeers  herrschende  Stellung  innerhalb  der  ernsten  Oper  wahrend  der  30  Jahre 
von  1831—1861  zu  erschiittern. 

Die  Opera  comique,  deren  in  Verbindung  mit  Halevys  Namen  Erwahnung  geschah,  ist  in 
der  alteren  Zeit  nicht  mehr,  als  eine  ,,comedie  a  ariettes".  Allmahlich  erweitert  sie  ihren 
durch  Rousseau  festgelegten  Rahmen  und  nahert  sich  dem  Stil  der  groCen  Oper,  von  der  sie 
nur  das  Vorhandensein  des  gesprochenen  Dialogs  noch  unterscheidet.  Die  ,,Manon"  des 
Massenet  verkiirzt  ihn  auf  das  zulassige  Mafi  und  begleitet  ihn  orchestral  nach  Art  eines 
Melodrams.  Bizets  ,,Carmen"  bekam  die  Rezitative  erst  in  Italien.  Bruneau  bereitet  mit  ,,Le 
Reve"  den  Weg  fur  Charpentiers  ,,Louise".  In  Saint-Saens  findet  die  Dialogoper  einen 
Lobredner. 

Niccolo  Isouard  (1775—1818)  kam  1799  nach  Paris,  wo  er  mit  der  Oper  ,,Michel  Ange" 
(1802),  mit  ,,Cendrillon"  und  ,,Le  billet  de  loterie"  (beide  1810)  grofie  Erfolge  hatte;  als  seine 
besten  Werke  gelten:  ,Jeannot  et  Colin"  und  ,,Coureurs  d'aventures"  oder,,Joconde".  Obwohl 
zwischen  ihm  und  Gretry  die  Revolution  liegt,  ist  eine  Weiterbildung  der  Gretryschen 
Grundlinien  nicht  zuverkennen.  Ubrigens  hatte  Isouard  sowohl  im  Anfange  wie  auf  der  Hohe 
seiner  Entwicklung  unter  dem  starkeren  Boieldieu  zu  leiden  gehabt. 


Die  Oper  im  19.  jahrhundert:  Frankrelch  893 

Francois  Adrian  Boieldieu  war  1775  in  Rouen  geboren,  kam  1795  nach  Paris;  hier  blieb 
er  mit  Ausnahme  der  Jahre  1803 — 1810,  die  er  in  Petersburg  verbrachte,  bis  zu  seinem 
1834  eintretenden  Tode. 

Nachdem  der  Achtzehnjahrige  eine  von  seinem  Vater  gedichtete  Oper  ,,La  fille  coupable" 
in  Rouen  aufgefahrt  hatte,  trat  er  1795  mit  einem  zweiten  Werke:  ,,Rosalie  et  Myrza"  hervor, 
dessen  Erfolg  ihn  ermutigte,  in  Paris  sein  Gliick  zu  versuchen.  Hier  bringt  die  Opera  comique 
1796  den  Einakter  ,,Les  deux  lettres",  1797  ,,La  famille  suisse"  und,  nach  einigen  weniger  ge- 
lungenen  Werken,  mit  grofiem  Erfolg  1798  ,,Zoraime  et  Zulnare"  heraus;  auch  ,,Le  Calif e  de 
Bagdad"  (1800)  envies  sich  als  gliicklicher  Wurf.  Von  den  in  Petersburg  geschriebenen  Opern 
und  Vaudevilles  hat  sich  nichts  dauernd  zu  halten  vermocht ;  dagegen  feierte  der  leicht  arbeitende 
Meister  mit  dem  ersten  Werk  nach  seinem  Peters  bur  gerAusf  lug  einen  Triumph :  mit,,  Jean  de 
Paris"  (1812),  der  nur  noch  durch  den  Erfolg  von  ,,Le  petit  chaperon  rouge'*  (1818)  und  von 
,,La  Dame  blanche"  (1825,  die  vom  Komponisten  skizzierte  Ouvertiire  wurde  von  Ad.  Adam 
ausgearbeitet)  iiberboten  wurde;  die  zahlreichen  anderen  Arbeiten  treten  gegen  diese  drei 
Stiicke  erheblich  zuriick.  Das  nationalistische  Element  der  politischen  Verkleidungskomodie 
verhinderte  Schumann  nicht,  ,,Johann  von  Paris"  neben  Rossinis  ,,Barbier"  und  neben  Mo- 
zarts  ,,Figaro"  zu  stellen.  Die  ,,Wei6e  Dame",  musikalisch  dem  13  Jahre  friiher  hegenden 
,Johann"  ebenbiirtig,  verlangt  eine  Leichtigkeit  in  der  Auslegung,  die  unseren  Lustspielauf- 
fuhrungen  neue  Anregungen  geben  konnten,  die  ihre  Verwurzelung  im  Schauspiel  vergessen 
machen  wiirden;  die  Durchsichtigkeit  des  musikalischen  Stils  ist  ein  Ergebnis  natiirlicher, 
durch  kein  tieferes  Wissen  abgelenkter  Begabung  fur  graziose  Melodik,  einfache,  doch  sinn- 
volle  Harmonik,  und  eines  f einen  Ohrs  far  reizende  Instrumental wirkungen.  Seine  Ouvertiire 
ist  noch  in  der  Sonatenform  gehalten;  aber  unter  seinen  Nachfolgern  zerfallt  sie  mehr  und 
mehr,  und  reiht  schliefilich  nur  die  ausgepragtesten  Stiicke  der  Oper  potpourriartig  und  ohne 
inneren  Sinn  aneinanden  Der  hier  sich  zeigende  AuflosungsprozeB  ergreift  auch  die  ganze 
Gattung,  und  Auber  bedeutet  nicht  ihren  qualitativen,  sondern  nur  den  quantitativen  Hohe- 
punkt. 

Daniel  Francois  Esprit  Auber  war  1782  zu  Caen  in  der  Normandie  geboren,  wurde  nach 
einigen  selbstandigen  Versuchen  Schiiler  Chembinis,  warf  Jahr  far  Jahr  ein  Werk  auf  den 
Markt  und  starb  1871  wahrend  des  Kommuneaufstandes  in  Paris. 

Auber,  dessen  Texte  meist  von  dem  ihm  befreundeten  Scribe  stammen,  tritt  zuerst  (181 1) 
mit  der  Oper  „ Julie",  im  nachsten  Jahre  mit  ,Jean  de  Couvin"  hervor;  in  Cherubinis  Schule 
entwickelte  sich  sein  Talent  schnell,  und  er  fand  nach  einigen  weiteren  Versuchen  (,,Le  sejour 
militaire",  1813,  ,,Le  testament"  oder,,Les  billets  doux",  1819)  mit,,La  bergere  chatelaine**, 
1820  den  Beifall  der  Kritik.  Ober  ,,Emma  *  (,,La  promesse  imprudente",  1821),  iiber  ,,Lei- 
cester"  (1822),  ,,La  neige"  (,,Le  nouvel  Eginhard",  1823,  an  Rossini  angelehnt),  iiber  ,,Ven- 
dome  en  Espagne"  (1823,  mit  Herold),  ,,Les  trois  genres"  (1824,  mit  Boieldieu),  ,,Le  concert 
a  la  cour"  (1824),  ,,Leocadie"  (1824)  fiihrt  der  Weg  zu  ,,Le  ma?on"  (1825),  einem  Werk,  in 
dem  sich  die  Vorziige  des  Komponisten  gesammelt  zeigen:  die  Leichtigkeit  der  Melodie- 
gebung,  ihr  immer  fesselnder  Verlauf ;  formell  setzte  noch  Auber  Gretrysche  Uberlieferung 
fort,  aber  es  ist  alles,  namentlich  in  Ensemble-  und  Finalsatzen,  reicher  geworden;  neben  der 
Pflege  nationaler  Elemente:  des  Couplet,  der  Chanson  und  der  Contredanse  ist  ein  innerer 
Einflufi  italienischer,  speziell  Rossinischer  Gesinnung  zu  bemerken.  Nach  zwei  geringeren 

57* 


894  ^ie  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Frankreich 

Werken  (,,Le  timide"  und  ^Fiorella",  beide  1826)  folgt  die  erste  grofie  Oper,  die  mit  Rossinis 
im  Jahre  darauf  erscheinendem  ,,Tell"  den  Weg  fiir  Meyerbeer  frei  machte,  1828  ,,Lamuette 
de  Portia",  erne  Uberraschung  hmsichtlich  der  Anlageunddes  mitreifienden  Schwungs  der  mu- 
sikalischen  Sprache.  Nach  einem  m  das  Biirgerliche  zuriickkehrenden  Seitenstiick  zu  ,,Maurer 
und  Schlosser",  nach  ,,La  fiancee"  (1829)  erscheint  das  volkstiimlichste  Werk  des  Meisters, 
der  elegante  ,,Fra  Diavolo"  im  Jahre  1830.  Auch  der  Erfolg  der  stummen  Hauptperson  soil 
an  dem  Stoff  des  Gottes  und  der  Bajadere  noch  einmal  beschv/oren  werden,  aber  die  bisherigen 
Hohepunkte  erweisen  sich  selbst  dem  relativ  besten  Werk  ,,CarIo  Broschi"  (,,Des  Teufels  An- 
teil",  1843)  unzuganglich. 

Louis  Joseph  Ferdinand  Herold  (1791 — 1833),  Enkelschiiler  Ph.  E.  Bachs,  von  Boieldieu 
schon  friih  zur  Mitarbeit  an  einer  Oper  herangezogen,  ist  nach  anfanglichen  Erfolgen  (,,La 
gioventudi  Enrico  Quint o",  1815  und  ,,Les  rosieres",  1816)  an  semen  Textdichtern  gescheitert, 
bis  er  in  der  komischen  Oper  ,,Marie"  (1826)  die  Vorstufe  zu  seinen  beiden  grofien  Wirkungen 
betrat,  nachdem  er  sich  vom  Einflusse  Rossinis  befreit  hatte.  Den  Deutschen  erscheint  ,,Zam- 
pa"  (1831),  den  Franzosen  die  im  Jahre  1832  zuerst  gegebene  komische  Oper  ,,Le  pre  aux 
clercs"  CJDie  Schreiberwiese")  als  das  vorziiglichste  unter  seinen  annahernd  30  Biihnenwerken, 
die  trotz  guter  technischer  Arbeit  einer  in  trefflichen  Uberlieferungen  aufgewachsenen  Be- 
gabung  den  Verfall  der  Gattung  nicht  aufzuhalten  vermogen. 

Adolphe  Charles  Adam  (1803 — 1856)  verflacht  den  von  Auber  eingeleiteten  Salonstil  vollig 
in  das  Banale:  viele  seiner  ,,Komischen  Opern"  waren  besser  der  Operette  zuzuzahlen.  Mag 
er  auch  durcK  Boieldieu,  seinen  Lehrer,  der  ,,0pera  comique**,-der  er  auf  kurze  Zeit  (1846 
bis  1 848)  ein  eigenes  Unternehmen  entgegensetzte,  angehoren,  ihrem  Geist  hatte  er  sich  doch 
stark  entfremdet;  die  Neubearbeitung  von  Gretrys  ,,Richard  coeur  de  lion**  (1841)  mit  ihrer 
Neigung  zu  brutalen,  aus  der  grofien  Oper  abgeleiteten  Instrumentaleffekten  beweist  es.  Als 
13.  Biihnenwerk  unter  unzahligen  gelingt  ihm  1836  der  Schlager  (so  darf  man  es  bewerten) 
,,Le  postilion  de  Lonjumeau** ;  ein  Jahr  zuvor  hatte  die  ,,0pera  comique"  noch  eine  prachtige 
Probe  ihres  eigentlichen  Stils  in  Halevys  ,,L'eclair"  gesehen. 

Fiir  die  ,,0pera  comique*'  hatte  Donizetti  1840  ,,La  fille  du  regiment"  geschrieben,  ohne 
zunachst  einen  der  spateren  Verbreitung  des  gefalligen,  aber  seichten  Werks  entsprechenden 
Erfolg  zu  erzielen.  Ahnlich  wie  bei  dem  1843  im  ,,Theatre  italien"  herausgekommenen  ,,Don 
Pasquale"  hangt  auch  hier  von  der  Auslegung  der  Titelrolle  ailes  ab:  Jenny  Linds  kiinstlerische 
Personlichkeit  wurde  Nothelfer  und  Muster. 

Mit  dem  Jahre  1848  hatten  sich  die  Bedingungen  fur  die  Produktion  auf  dem  Gebiete  der 
komischen  Oper  griindlich  geandert:  zwar  bleibt  das  Institut  bestehen,  aber  der  Gegensatz 
zwischen  der  komischen  und  der  grofien  Oper  verwischt  sich:  etwas  Neues  ist  im  Werden. 
Die  alte  Richtung  verflacht,  und  der  Halevyschijler  Louis  (Aime)  Maillart  (1817—1871) 
setzt  in  seinem  ,,Les  dragons  de  Villars"  (1856,  als  ,,Das  Glockchen  des  Eremiten"  in  Deutsch- 
land  bekannt)  nur  die  Linie  Auber-Adam  fort.  Ahnlich  geartet  war  Victor  (eigentlich 
FelixMarie)Mass  e(l 822— 1884);  seine  ,,Galathee"  (1852),  ,,Noces  dejeannette"  (1853)  halten 
sich  mit  andern  Stlicken  in  dem  fur  die  ,,0pera  comique"  typischen  Stil,  den  er  in  andern 
Werken,  wie  ,,Paul  et  Virginie**  (1876)  und  ,,Une  nuit  de  Cleopatre"  (Nachlafi)  zu  iiberwinden 
strebt.  Die  Namen  Antoine  Louis  Clapisson  (1808 — 1866),  Hippolyte  Monpou  (1804  bis 
1841),  Albert  Grisar  (1808—1869)  und  Francois  E.  J.  Bazin  (1816—1878)  seien  hier  wenig- 


Die  Oper  irn  19.  Jahrnundert:  Frankreich  895 

stens  erwahnt.  Mit  seinem  ,,L'etoile  du  Nord"  (1854)  und  mit  seiner  .JDinorah"  (1859)  hatte 
Meyerbeer  den  Weg  aus  dem  Einerlei  gezeigt;  Gounods  1859  im  Theatre  lyrique  aufgefiihrte 
,,Marguerite"  (,,Faust")  bringt  starke  stoffliche  Anregungen  aus  Deutschland,  zeigt  aber  auch 
im  Musikalischen  aussichtsreiche  Perspektiven,  die  dem  Blick  das  Gebiet  des  Lyrischen  frei- 
geben. 

Das  Lyrische  mit  starkerem  Einschlag  von  Riihrseligkeit  kommt  einem  zweiten  deut- 
schen  Stoffkreise  zu,  als  Charles  Louis  Ambroise  Thomas  (1811 — 1896)  im  Jahre  1866  seine 
,,Mignon"  an  der  Opera  comique  herausbringt,  nachdem  erdas  Institut  seit  1837  mit  13  Werken. 
darunter  dem  seine  Stellung  festigenden  ,,Le  ca'id"  (1849),  einem  amiisanten  italienisierenden 
Pasticcio,  bedacht  hatte;  mit  melodramatischen  Behandlungen  —  und  sie  sind  das  Einfalls- 
tor  romantischer  Elemente  —  macht  Thomas  den  Versuch,  in  Mignons  weltschmerzliche 
Seele  einzudringen ;  Meister  tritt  zugunsten  Philines,  die  schon  in  der  Ouvertiire  durch 
den  Polonasenrhythmus  charakterisiert  wird,  stark  zuriick.  Der  Wechsel  des  Ideals,  der 
sich  mit  aller  Deutlichkeit  in  Gounod  und  Thomas  offenbart,  bedingt  auch  einen  (sich  all- 
mahlich  durchsetzenden)  Wechsel  der  Formen :  eines  der  Hauptmerkmale  der  ,,0pera  comi 
que"  wird  verdrangt:  der  gesprochene  Dialog.  Saint-Saens  behalt  ihn  aus  theoretischen 
Uberlegungen  in  seiner  1893  erschienenen  ,,Phryne"  bei.  Auch  Andre  Ch.  P.  Messager 
(geb.  1853),  dessen  erste  Werke  auf  kleineren  Biihnen  erschienen  waren,  greift  in  ,,LaBasoche" 
(1890)  auf  das  alte  Mittel  zuriick. 

Wie  sehr  die  Entwicklung  in  die  Breite  gegangen  war,  ist  an  der  Griindung  unzahliger 
Theater  zu  erkennen,  die  einseitig  die  Buffoelemente  der  ,,0pera  comique4*  und  ihre  choreo- 
graphischen  Bestandteile  pflegen.  Der  Esprit  war  in  ein  anderes  Gebiet  iibergetreten :  in  das 
der  Qperette. 

Der  stofflichen  Einwirkung  Goethes  war  eine  seelische  vorausgegangen,  deren  Starke  einen 
kiihnen,  leidenschaftlich  nach  Deutschland,  auch  auf  die  deutsche  Musik  gerichteten  Geist  im 
Sinne  des  ,,Sturms  und  Drangs"  traf  und  zur  Auflehnung  wider  die  gerade  in  Frankreich  un- 
erschutterlich  erscheinende  formale  Tradition  aufrief.  Diesem  starken  aufiernationalen  tritt 
in  Hector  Berlioz  (1803 — 1869)  ein  ebenso  starker  nationaler  EinfluB  gegeniiber,  der  das 
Formenideal  durch  das  Klangideal  ersetzt :  es  ist  die  Fahigkeit  des  Franzosen,  die  Dinge  zu- 
nachst  durch  das  Auge  aufzunehmen,  die  das  die  franzosische  Kunst  von  je  auszeichnende 
Deskriptive,  eine  Art  von  visueller  Musik,  hervorruft.  Der  Wunsch,  die  Mannigfaltigkeit 
der  Welt  in  der  Musik  widerzuspiegeln,  fiihrte  zu  einer  bedeutenden  Steigerung  der  Aus- 
drucksmittel,  die  unter  Berlioz'  Handen  gern  der  Schilderung  abseitiger  Seelenzustande  dienen. 
Vollige  Freiheit  im  Gebrauch  dieser  romantischen  Elemente  besitzt  ja  nur  der  Instrumental- 
komponist,  und  der  Mangel  an  Deckung  zwischen  dem  Gekonnten  und  dem  Gewollten  ist 
es,  was  seinen  Opern  verhangnisvoll  wurde.  Es  sind  ,,Benvenuto  Cellini"  (1838),  ,,Beatrice 
und  Benedikt"  (Baden-Baden  1862  franzosisch,  Weimar  1863  deutsch)  und  ,,Die  Trojaner" 
(I.  ,,DJe  Einnahme  von  Troja",  Karlsruhe  1890;  II.  ,,Die  Trojaner  in  Karthago",  Paris, 
Theatre  lyrique  1863).  Beachtenswert  ist  auch  hier  die  Rolle  der  absoluten  Musik:  im  Sinne 
komischer  Wirkung  die  Auftritte  der  Musikanten  in  dem  Lustspiel;  im  Sinne  der  Verlegung 
des  Gewichts  von  der  Biihne  in  das  Orchester  der  zweite  Aufzug  der  ,,Trojaner  in  Karthago", 
der,  szenisch  ein  Gartenfest,  ganz  durch  eine  ,,Symphonie  descriptive  avec  choeurs"  ausgefullt 
wird.  Das  Beste  auch  der  Cellinipartitur  ist  ein  Stuck  schildernder  Musik:  das  romische 


Die  Oper  im  19.  jahrhundert:  Frankreich 


Maskenfest  am  Schlufi  des  2.  Aktes.  Von  einer  in  den  ,,Trojanern  in  Karthago"  angestrebten 
Einfachheit  Gluckscher  Artlafit  sich  der  Komponist  im  zweitenTeil  auf  die  Bahn  Bellinis  und 
der  gro6en  Oper  abdrangen.  —  Eine  in  ahnlichem,  vielleicht  auch  tieferem  Sinne  romantisch  zu 
nennende  Erscheinung  war  Felicien  Cesar  David  (1810—1876),  der  als  neuen  Bestandteil  die 
auf  seiner  Flucht  in  den  Orient  erworbene  Farbung  des  Exotischen  mitbringt.  Seine  Opern 
sind:  ,,La  perle  duBresil"  (Theatre  lyrique  1857),  ,,Herculanum"  (Grand  opera  1859),  ,,Lalla- 
Roukh"  (1861),  ,,Le  saphir"  (1865);  ,,La  captive"  wurde  vom  Komponisten  zuruckgezogen. 
Dafi  Gounod  in  Paris  mit  militarischen  Ehren  zu  Grabe  getragen  wurde,  mufi  wunderlich 
beriihren;  Gebet  und  leiser  Gesang  von  Jungfrauen  sollte  seine  Gruft  umschweben,  denn  nie- 
mand  hat  fiir  sie  gesungen,  wenn  nicht  er. 

Charles  Francois  Gounod  war  am  17.  Juni  1818  zu  Paris  geboren,  studierte  unterHalevy, 
Paer  und  Lesueur;  als  Rompreistrager  befafite  er  sich  in  Italian  mit  der  kirchlichen  Kunst 
der  <z~cappe//<z~Zeit;  auch  lemte  er  hier  deutsche  Musik  kennen.  Auf  der  Ruckreise  nach  Paris 
hielt  er  sich  in  Wien,  Leipzig  (bei  Mendelssohn)  und  in  Berlin  auf.  Durch  seine  Verheiratung 
(1853)  der  kummerlichen  Verhaltnisse  eines  Organisten  am  Seminar  der  Missions  etrangeres 
enthoben,  begibt  sich  Gounod  wahrend  des  Deutsch-Franzosischen  Krieges  nach  England, 
kehrt  aber  1874  nach  Paris  zuriick;  in  St.  Cloud  stirbt  er  am  18.  Oktober  1893. 

Die  eigentiimliche  Mischung  von  kirchlich-mystischer  Schwarmerei  und  weltmannisch- 
liebenswiirdiger  Haltung,  die  dem  Menschen  nachgesagt  wird,  macht  auch  das  Wesen  des 
Musikers  Gounod  aus,  wenn  man  dem  ersten  Bestandteil  jeden  Schimmer  von  tragischer  Ver- 
tiefung  nimmt.  Wenn  es  wahr  ist,  dafi  er  der  Dichtung  des  ,,Faust"  von  Jugend  auf  ein  warmes 
Interesse  entgegengebracht,  also  doch  durch  mindestens  20  Jahre  sich  mit  ihr  befafit  habe,  so 
mufi  man  dariiber  erstaunen,  dafi  er  die  Ungeeignetheit  seiner  musikalischen  Sprache  diesem 
Werk  gegeniiber  nicht  erkannt,  mindestens  aber  die  Dichter  (Barbier  und  Carree),  mit  denen 
er  seit  1855  in  Verbindung  stand,  nicht  iiber  eine  kindliche  Liebesgeschichte  hinausgedrangt 
hat.  Allerdings  ist  die  Hingabe  des  Musikers  an  den  Stoff,  wie  er  ihn  nun  einmal  bekam, 
uberall  zu  spiiren.  Die  formelle  Vollendung,  in  der  Kirchliches,  Sentimentalisches  und  Volks- 
mafiiges  dargeboten  wird,  die  Warme  der  freistromenden  musikalischen,  sonderlich  im  Ly- 
rischen  die  rechten  Tone  findenden  Sprache  kommt  dem  deutschen  Gefiihl  weit  entgegen, 
und  so  ist  es  erklarlich,  dafi  sich  der  Erfolg  des  zuerst  (1859)  im  Theatre  lyrique  gegebenen 
Stiickes  durch  die  Auffuhrung  in  Darmstadt  (1861)  feststellte;  von  der  GroCen  Oper  aus 
verbreitete  sich  das  Stuck  seit  1869  durch  die  Welt.  In  der  von  den  Franzosen  hochgeschatzten 
Oper  von  1867,  ,,Romeo  et  Juliette"  (Theatre  lyrique),  fand  der  Komponist  einen  seiner  Eigen- 
art  entsprechenden  Stoff:  mit  reichlicherer  Verwendung  von  Vorhaltsdissonanzen  nahert  er 
sich  dem  Wagnerschen  Stile;  auch  riickt  der  musikalische  Schwerpunkt  von  der  Biihne  in  das 
Orchester.  Die  Titel  seiner  iibrigen  Biihnenwerke  sind:  ,,Sappho"  (1851,  iiberarbeitet  1884), 
,,La  nonne  sanglante"  (1854),  ,,Le  medecin  malgre  lui*4  (1858  Opera  comique,  1910  in  der 
Komischen  Oper  in  Berlin),  ,,Philemon  et  Baucis*'  (1860  Grand  opera),  ,,La  reine  de  Saba" 
(1862  Grand  opera,  in  London  als  ,f  Irene"),  ,,Mireille"  (1864  Theatre  lyrique,  1908  wieder 
aufgenommen),  ,,La  colombe"  (Opera  comique  1866,  vorher  in"  Baden-Baden,  in  London  als 
,,Pet  dove"),  ,,Cinq-Mars"  (1877  Opera  comique),  ,,Polyeucte"  (1878  Grand  opera),  ,,Le  tri- 
but  de  Zamora"  (1881);  aufierdem  schrieb  Gounod  Chore  (altertumelnden  Stiles)  zu  Ponsards 
,,Ulysse"  und  Biihnenmusiken  zu  Legouves  ,,Les  deux  reines"  und  zu  Barbiers  .Jeanne 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Frankreich  897 

d'Arc".  Aus  einer  unvollendeten  Oper  ,,Ivan  le  terrible"  sind  Kosakenchore  in  den  ,,Faust4' 
iibergegangen.  In  dem  Jahre,  da  Gounod  mit  ,,Sappho"  als  keineswegs  revolutionierender 
Dramatiker  zuerst  hervortrat,  hatte  Verdi  mit  dem  ,,RigoIetto"  eine  hohere  Anschauung  des 
Dramatischen  in  Italien  aufgestellt,  ein  Jahr  zuvor  wurde  Wagners  „  Lohengrin"  in  Weimar 
gegeben:  neue  Ideen  waren  also  vorhanden.  Erst  mit  dem  ,,Faust"  spricht  Gounod  in  einer 
seinen  Landsleuten  neuen  Sprache,  in  ihrer  feinnervigen  Art  weit  von  der  gewandten,  aber 
platten  Ausdrucksweise  Aubers  und  Adams  entfernt. 

20  Jahre  nach  seinem  ersten  Aufenthalt  in  Paris  kam  Richard  Wagner  wieder  dorthin,  um 
(Febniar  1860)  im  Theatre  des  It  aliens  Proben  seines  Schaffens  zu  geben.  Das  Programm 
der  konzertmaBigen  Auffuhrung  enthielt  das  Vorspiel  zum  ,,Fliegenden  Hollander",  Teile  aus 
,,Tannhauser"  und  „  Lohengrin",  sowie  das  Tristan vorspiel.  Ganz  wie  in  seiner  Heimat  hatte 
Wagner  auch  kier  Berge  von  MiBverstandnissen  zu  iiberwinden :  Berlioz,  Jndem  er  das  Lohen- 
grinvorspiel  in  den  Himmel  erhebt,  weiB  mit  dem  zum  ,,Tristan"  (es  vertntt  allerdings  eine 
stilistisch  entgegengesetzte  Welt)  nichts  anzufangen.  Im  nachsten  Jahre  kam  die  denkwiirdige 
Auffuhrung  des  ,,Tannhauser"  in  der  Grand  opera;  wenn  Wagner  trotz  des  schweren  MiB- 
erfolgs  dem  Pariser  Publikum  ,,ein  wirklich  groBherziges  Gerechtigkeitsgefiihl"  nachriihmt, 
so  denkt  er  wohl  des  Kreises  hochgesinnter  Manner  und  Frauen,  der  ihn  verstand,  aber  doch 
auch  der  vorhandenen,  aber  namenlosen  Menge,  in  deren  Herzen  er  die  dunkel  gefiihlte  Be- 
gier  nach  einem  neuen  Kunstideal  entf  acht  hatte :  die  Verzogerung  der  Wagnerbewegung  hatte 
ihre  innere  Kraft  und  Spannung  zweifellos  erhoht.  Zwar  hatte  Pasdeloup  sich  verrechnet, 
als  er  1869  im  Theatre  lyrique  im  Vertrauen  auf  seine  Eigenschaft  als  groBe  Oper  den  ,,Rienzi" 
herausbrachte ;  aber  mit  der  Trauermusik  aus  der  ,,Gotterdammerung",  die  er  am  SchluB 
eines  Konzerts,  also  vor  freiwilligen  Horern,  wiederholte,  konnte  der  Dirigent  in  den  durch 
den  Krieg  natiirlich  verfestigten  Widerstand  Bresche  schlagen;  Lamoureux  und  Colonne  folg- 
ten  ihm.  Nicht  zufrieden  mit  der  Auffuhrung  von  Teilen  Wagnerscher  Musikdramen,  versucht 
Lamoureux,  den  „ Lohengrin"  auf  die  Biihne  des  Edentheaters  zu  bringen ;  was  den  ,,Gaulois4t 
zu  einer  Rundfrage  bei  den  angesehensten  franzosischen  Komponisten  veranlafit,  in  deren 
Antworten  bei  alien  Vorbehalten  vornehmlich  patriotischer  Art  die  Verwunderung  dariiber 
widerklingt,  dafi  Paris  als  einzige  europaische  Hauptstadt  das  Werk  des  Deutschen  nicht  kenne. 
Der  Erfolg  der  Auffuhrung,  der  zum  guten  Teil  auch  auf  dem  Stofflichen  beruhte,  machte  die 
Bahn  frei  fur  ,,Die  Walkure",  ,,Die  Meistersinger",  ,,Tannhauser",  ,,Siegfried".  Der  ,,Flie- 
gende  Hollander"  erscheint  in  der  Grand  opera.  Kurz  vor  seinem  Tode  (1899)  leitet  Lamou 
reux  ,,Tristan  und  Isolde". 

Die  Verschmelzung  der  Opera  comique  mit  der  von  ihrem  Kothurn  herabsteigenden  Grand 
opera  hatte  zum  Drama  lyrique  gefiihrt;  ein  anderer  Absenker  zeitigte  die  Operette.  Zwar 
hat  Offenbach  seine  Singspiele  mit  diesem  Namen,  der  in  der  franzosischen  (Favart,  Sedaine, 
Marmontel),  auch  in  der  deutschen  (WeiBe,  Meifiner,  Engel  —  auch  Mozarts  ,,Zaide"  ist  eine 
Operette)  Literatur  eine  kleine  Oper  meint,  nicht  belegt;  er  wahlte  vielmehr  fiir  die  seine  mu- 
sikgeschichtliche  Stellung  kennzeichnenden  Werke  die  Bezeichnung  Opera  bouffe.  Voraus- 
gegangen  war  ihm  mit  sarkastischen,  burlesken  und  frivolen  Diminutivopern  Florimond  Ron- 
ger,  genannt  Herve  (1825—1892),  von  denen  A.  Pougin  den  treffenden  Ausdruck  ,,musi- 
quette"  gebraucht.  Jacques  Offenbach  (1819—1880)  war,  als  er  1855  in  der  Salle  Lacaze 
die  ,,Bouffes  parisiens"  eroffnete,  in  ahnlicher  Lage  wie  die  ersten  deutschen  Singspielkom- 


898  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Frankreich 

ponisten :  wie  diese  fur  singende  Schauspieler  schreiben  mufiten,  so  war  er  durch  polizeiliche 
Vorschriften  an  ein  Personal  von  3 — 4  Personen  gebunden;  mit  ihnen  fiihrte  er  in  seinem 
kleinen  Theater  und  spater  im  Theatre  Comte  jene  melodiosen  Einakter  auf,  die  als  Auslaufer 
der  Opera  comique  noch  einmal  ihre  Grazie,  ihren  Witz  und  melodische  und  rhythmische 
Pikanterie  zusammenfafiten.  Wenn  er  der  einaktigen  Form  auch  treu  bleibt,  so  verdankt  er 
seinen  Weltruf  doch  den  grofieren  Werken,  deren  satirische  und  galgenhumoristische  Tendenz 
den  Parisern  des  auf  Pulverfasser  gegriindeten  zweiten  Kaiserreichs  so  amusant  erschien: 
,,Orphee  aux  Enters"  (1858),  ,,La  belle  Helene"  (1864),  ,,Barbe-Bleue"  (1866),  ,,La  vie  pa- 
risienne"  (1866),  *La  Grand-duchesse  de  Gerolstein"  (1867),  ,,Madame  Favart"  (1879).  Nach 
kritikloser  Selbstverschwendung  findet  das  eigenartige  Talent  noch  einmal  zu  sich:  an  der 
Schwelle  der  Opera  lyrique  steht  sein  Schwanengesang  ,,Les  contes  d 'Hoffmann"  (nach  seinem 
Tode  in  Paris  1881  aufgefahrt),  ein  Werk,  aus  dem  Theater  und  for  das  Theater  geboren,  von 
einer  nicht  leicht  zu  iiberschatzenden  Lebhaftigkeit  der  Anschauung.  Sehr  viel  verdankt 
Offenbach  seinen  Textdichtem,  die  es  verstanden,  der  Gesellschaft  den  Spiegel  so  vorzuhalten, 
wie  sie  es  wiinschte:  aufier  ,,Hoffmann",  der  nach  einer  seit  fast  30  Jahr.en  vorliegenden  dra- 
matischen  Dichtung  Jules  Barbiers  und  Michel  Carres  gearbeitet,  iibrigens  von  M.  Guiraud 
nach  des  Komponisten  genauen  Angaben  instrumentiert  worden  war,  und  aufier  dem  von  Hector 
Cremieux  unter  Mitarbeit  des  Ludovic  Halevy  (des  Neffen  Fromentals)  gedichteten  ,,0rpheus" 
sind  die  Texte  der  erfolgreichen  Stiicke  von  Halevy  und  dem  Urpariser  Henri  Meilhac  verfaBt. 

Offenbachs  Wirkung  nach  Wien,  die  Raimunds  Einflufi  nach  20jahriger,  durch  Nestroy 
und  franzosische  Autoren  ausgefiillter  Pause  ablost,  fiihrt  die  Wiener  Operette  eines  Suppe, 
StrauB,  Millocker  herauf,  die  unter  den  Handen  der  Nachfolger  vollig  verflacht.  Offenbachs 
Operette  hatte  mit  dem  Leben  zusammengehangen :  sein  Cancan  begleitete  das  zweite  Empire 
in  den  Untergang.  Um  seine  Nachfolge  bemiihten  sich  drei  Manner:  der  gutgeschulte  Alexander 
Charles  Lecocq  (1832—1918),  Robert  Planquette  (1848—1903)  und  der  auch  mit  ernsten 
Opernwerken  hervortretende  Messager;  auch  Henry  Charles  Litolff  (1818 — 1891)  schrieb 
neben  groBen  Opern  einige  Operetten.  Ob  zwischen  Offenbach  und  Arthur  Seymour  Sulli 
van,  der,  in  England  und  Amerika  sehr  bekannt,  mit  ,,The  Mikado"  (1885)  auch  nach  Deutsch- 
land  drang,  ein  Zusammenhang  musikalischer  Art  besteht,  ware  zu  untersuchen. 

Bei  der  grofien  Verschiedenheit  des  deutschen  und  des  franzosischen  Charakters  mufite 
Wagners  Einflufi  sich  hier  und  doit  verschieden  aufiern.  Die  franzosische  Oper,  aus  deren 
einem  Teil  ja  Wagner  hervorgegangen  war,  erschien  der  Aufnahme  neuer  Ideen  zwar  durchaus 
bediirftig,  aber  ihre  Wirkung  zeigt  sich  in  anderer  Richtung  und  von  anderen  Stellen  ausgehend, 
als  in  der  deutschen  Wagnernachfolge.  Das  Stoffgebiet  Wagners  wird  kaum  einmal  aufgesucht. 
Auch  der  durch  die  bindende  Kraft  der  Leitmotive  bedingte  symphonische  Stil  vermag  die 
nachwirkende  Herrschaft  der  Chanson  (und  des  Tanzes)  nicht  zu  uberwinden.  Die  Vorform 
des  Erinnerungsmotivs  kommt  aber  unter  dem  Eindruck  der  Wagnerschen  Prinzipien  zur 
Geltung;  die  durch  Rezitative  unterbrochene  Abfolge  geschlossener  Formen  wird  zugunsten 
wenigstens  auBerlich  durchkomponierter  Akte  aufgegeben;  die  von  Wagner  ausgebildete  tech- 
nische  Behandlung  des  Orchesters  wird  in  selbstandiger  Art  weitergefohrt. 

Mit  Mozart,  Schubert,  Weber,  Mendelssohn,  Chopin,  Schumann,  Bellini  teilt  Bizet,  dem 
als  erstem  der  AnschluB  an  Wagner  von  seinen  Landsleuten  vorgeworfen  wurde,  das  Schicksal 
eines  friihen  Todes. 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Frankreich  899 

Alexandra  Cesar  Leopold  Georges  Bizet  war  am  25.  Oktober  1838  in  Paris  geboren  und 
starb  am  3.  Juni  1875,  genau  3  Monate  nach  der  ersten  Auffuhrung  von  ^Carmen";  sein  Tod 
wird  mit  ihrem  MiBerfolg  in  Zusammenhang  gebracht:  jedenfalls  gehort  der  Komponist  zu 
den  franzosischen  Dramatikern,  die  im  Vaterlande  Erfolg  erst  auf  dem  Umwege  iiber  Deutsch- 
land  erzielten.  Von  Zimmermann  und  Halevy  geschult,  errang  sein  friihreifes  Talent  1857 
den  Rompreis.  Aufier  Opern  schrieb  Bizet  eine  Musik  zu  Daudets  Drama  ,,L*Arlesienne", 
die  als  Suite  Anerkennung  fand  und  drei  weitere  Suitenwerke  nach  sich  zog:  ,,L'Arlesienne  II", 
,,Roma",  ,,Jeux  d'enfants".  Von  3  Symphonien  fiihrte  Pasdeloup  Teile  auf;  2  Ouverturen: 
,,La  chasse  d'Ossian"  und  ,,Patrie",  sind  noch  zu  nennen. 

Bizet  kommt  von  der  Operette  her :  mit  Lecocq  hatte  er  kurz  vor  der  Erringung  des  Rom- 
preises  in  einem  von  Offenbach  ausgeschriebenen  Wettstreit  gesiegt:  ,,Le  docteur  Miracle" 
hiefi  das  Stuck.  Von  Italien  sandte  er  neben  Instrumentalwerken  zwei  italienische  Opern  ein: 
,,Don  Procopio"  wurde  1895  in  Aubers  Bankfach  gefunden  und  1906  in  Monte  Carlo  aufgeftihrt; 
,,La  guzla  de  Temir*4  gehort  dem  komischen  Genre  an.  Ernster  zu  nehmen,  als  diese  geforderten 
Beweise  seines  Studienfleifies,  ist  die  grofie  Oper  ,,Les  pecheurs  de  perles",  die  er  .1863  im 
Theatre  lyrique  zur  Auffuhrung  brachte.  Der  25jahrige  segelt  —  und  das  verstimmte  das 
Publikum  gegen  ihn  —  im  Fahrwasser  Wagners,  so  stark  die  Talentprobe  des  Erfinders  und 
des  Konners  auch  sein  mag.  Auch  in  der  1867  folgenden  Oper  ,,La  jolie  fille  de  Perth"  ist 
die  Verschmelzung  Wagnerscher  Elemente  mit  solchen  aus  der  grofien  Oper  noch  nicht  ge- 
lungen.  Es  war  daher  ein  guter  Gedanke,  um  von  den  doch  nicht  ohne  weiteres  zu  bewaltigen- 
den  Einf liissen  loszukommen,  zunachst  einmal  auf  ein  anderes  Gebiet  iiberzutreten ;  das  ge- 
schah  mit  dem  1872  herauskommenden  Einakter  ,,Djamileh",  die  eine  dem  gallischen  Geist 
entsprechende  Stimmungskunst  (vor  Baudelaire  und  gleichzeitig  mit  den  Anfangen  impres- 
sionistischer  Malerei)  aufsucht,  indes  einstweilen  noch  auf  Widerstand  stofit ;  aber  die  Heiter- 
keit  einer  frei  fliefienden  melodischen  Erfindung  hatte  doch  aus  dem  Bereich  Wagners  gefuhrt, 
so  dafi  er  ihm  in  dem  nach  einer  Pause  folgenden  Werk  vollig  frei  gegeniibertreten  kann.  Ge- 
wiB  ist  selbst  eine  der  Gesinnung  nach  der  Wagnerschen  Anschauung  so  entgegengesetzte,  von 
Nietzsche  gerade  deswegen  gepriesene  Oper,  wie  ,,Carmen",  ohne  den  Vorgang  Wagners  nicht 
denkbar.  Doch  die  deutschen  Elemente  sind  von  dem  Franzosen  so  vollig  verarbeitet,  daB 
eigentlich  nur  eines  noch  kenntlich  hervortritt:  das  den  tragischen  Unterton  eines  frivolen 
Lebens  zeichnende  Leitmotiv,  das  gewissermafien  einen  Schritt  zur  symphonischen  Behand- 
lung  des  Orchesters  tut;  denn  im  ganzen  war  Bizet  schon  durch  den  realistischen  Stoff,  der 
auf  einer  Novelle  P.  Merimees  beruht  und  von  Meilhac  und  Halevy  sehr  geschickt  aufgebaut 
wurde,  zu  einem  andersartigen  Verfahren  gezwungen.  Wahrend  Wagner  einzelne  triebkraftige 
musikalische  Keime  zu  grofien  Umrissen  steigert,  pafit  Bizet  die  symmetrischen  Formen  und 
Perioden  des  romanischen  Stils  in  melodischer  Mannigfaltigkeit  den  rasch  wechselnden  Bildern 
des  Dramas  an,  wobei  Stilelemente,  die  operettenhaft  genannt  wurden  diirfen,  mit  starker 
Hand  in  das  Tragische  iibersteigert  werden.  Sein  historisch  nicht  leicht  zu  iiberschatzendes 
Verdienst  ist  es,  einen  Weg  an  der  Riesenerscheinung  Wagners  vorbei  gezeigt  zu  haben, 
einen  Weg,  auf  dem  ihm  weder  Franzosen  noch  Deutsche  gefolgt  sind,  sondern  die  jiingeren 
Italiener. 

Wenn  Ch.  Camille  Saint-  Saens  (1835—1921),  sich  und  Bizet  vergleichend,  sagt:  jener 
habe  immer  das  Leben  und  die  Leidenschaft  gesucht,  er  aber  habe  das  Ideal  der  Reinheit, 


900  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Frankreich 

des  Stils  und  der  FormvoIIendung  verfolgt,  so  ist  dem  zuzustimmen  mit  der  Einschrankung, 
dafi  in  Sachen  der  Kunst  iiber  die  wechselnde  programmatische  Absicht  die  geniale  Veran- 
lagung  gehe.  Im  Herzen  kuhler  Klassizist,  versteht  Saint-Saens  vermoge  einer  bis  in  das 
kleinste  durchgebildeten  Schreibtechnik  alien  Stilarten  gerecht  zu  werden,  wie  er  denn  auch 
fast  alle  Formen  anbaut.  Als  Opernkomponist  wird  er  (auch  er  auf  dem  Umwege  iiber  Deutsch- 
land)  mit  der  auf  Liszts  Veranlassung  1877  zuerst  in  Weimar  —  die  GroBe  Oper  in  Paris  folgte 
erst  1892 — aufgefuhrten  oratorienhaften  Oper  ,,Samson  et  Dalila"  bekannt.  Sein  Chauvinismus 
zwingt  ihn  zur  Verleugnung  der  starken  Wagnerischen  Einfliisse  und  zu  entschiedener 
Hinwendung  nach  Seiten  der  absinkenden  grofien  Oper.  Das  Werk,  das  seine  Landsleute  als 
das  bedeutendste  ansehen,  ,,Henry  VIII."  (1883),  tragt  den  eklektischen  Zug  besonders  deut- 
lich.  ,,La  princesse  jaune"  (1872),  ,,Le  timbre  d 'argent"  (eine  von  Hervey  geriihmte  phan- 
tastische  Oper,  1877),  ,,Etienne  Marcel"  (1879),  ,,Proserpine"  (1887),  ,,Ascanio"  (1890,  ein 
Versuch  am  Benvenuto-Cellini-Stoff,  an  dem  schon  Berlioz  gescheitert  war),  die  erwahnte 
,,Phryne"  (1893),  ,,Dejanire"  (Beziers  1898,  als  Schauspielmusik  zu  L.  Gallets  Drama,  um- 
gearbeitet  als  grofie  Oper  1911),  ,,Les  Barbares"  (1901),  ,,Parysatis"  (Beziers  1902),  ,,Helene 
(einaktiges  Poeme  lyrique,  Text  vom  Komponisten,  Monte  Carlo  1904),  ,,L'ancetre"  (Monte 
Carlo  1 906),  die  dramatischen  Szenen  ,,LoIa"  (op.  116),  ,,L  assassinat  du  Due  de  Guise"  (1 908), 
,,La  fille  du  tourneur  d'ivoire"  (1909),  ,,La  foi"  (1910),  das  Ballett  Javotte"  (1896),  die  Voll- 
endung  vonGuirauds  ,,Fredegonde"  (1895),  diese  Werke  sind  in  ihren  Wirkungen  beschrankt 
geblieben.  Zu  erwahnen  sind  noch  Versuche  zur  Belebung  der  klassischen  Tragodie :  die  Mu- 
siken  zu  Sophokles'  ,,Antigone"  (1893)  und  zu  Racines  ,,Andromaque"  (1903). 

Auch  Alexis  Emanuel  Chabrier  (1841—1894)  ist  in  Deutschland  eher  als  in  Frankreich 
beachtet  \vorden.  Man  braucht  allerdings  nur  einen  Blick  in  den  (von  Litolff  im  Klavieraus- 
zuge  herausgegebenen)  I.  Akt  der  unvollendet  gebliebenen  ,,Briseis"  zu  tun,  um  inne  zu 
werden,  dafi  wir  es  mit  einem  feinsinnig  behandelten  Stiick  rein  franzosischer  Romantik  zu 
tun  haben :  man  darf  weder  bei  den  einleitenden  Gesangen  der  Seeleute,  noch  bei  dem  nacht- 
lichen  Liebesduett,  noch  auch  bei  der  Behandlung  des  rituellen  Problems  der  Taufe,  will  man 
gerecht  bleiben,  an  entsprechende  Lagen  bei  Wagner  denken;  es  ist  alles  —  auch  die  verhalt- 
nismaBig  starke  Stelle  vom  toten  Pan  —  geistreich  in  Melodie,  Harmonic  und  Rhythmus,  aber 
kleingliedrig,  lebendig,  und  nicht  von  schwingender  Schwere:  die  Umwelt  dieser  Braut  von 
Korinth  ist  nicht  im  Wagnerschen,  viel  eher  im  Sinne  des  alternden  und  ein  wenig  kiihlen 
Goethe  geschildert.  Nach  einigen  nicht  veroffentlichten  Versuchen  brachte  der  Komponist 
1877  eine  Operette  ,,L'Etoile"  heraus;  ihr  folgte  1879  ,,Une  education  manquee"  und  1885 
eine  Szene  mit  Chor  ,,La  Sulamithe";  die  1886  in  Briissel  aufgefuhrte,  einen  nordischen 
historischen  Stoff  behandelnde  grofie  Oper  ..Gwendoline"  (Catulle  Mendes)  kam  auch  nach 
Deutschland;  von  der  grofien  Oper  mit  Legenden  und  Romanzen  trennt  das  Werk  ein  starker 
Einschlag  stimmungsmafiiger  Elemente.  Auch  das  in  der  Opera  comique  zuerst  1887  er- 
scheinende  heitere  Werk  ,,Le  roi  malgre  lui"  geht  iiber  die  Grenze. 

Edouard  V.  A.  Lalo  (1823—1892)  schrieb  aufier  der  von  Paris  und  Briissel  angenommenen,  jedoch  niemals  zur 
Auffiihrung  gelangten  Oper  ,,FJesque4'  (Ouvertiire  1866  gedruckt),  von  der  Teile  in  andere  Werke  iibergegangen  sindt 
die  Oper  ,,Le  roi  d'Ys",  deren  Ouvertiire  scnon  1897  von  Pasdeloup  und  Colonne  gespielt  wurde,  wahrend  das  Werk 
selbst  erst  im  65.  Lebensjahre  des  Komponisten  in  der  OpeVa  comique  aufgefuhrt  wurde.  Eine  dritte  Oper  ,Jac- 
querie"  wurde,  von  Arthur  Coquard  vollendet,  in  Monte  Carlo  und  in  Paris  1895  aufgefuhrt.  Ein  Ballett  ,,Namouna" 
ging  1881  an  der  Grand  opeYa  in  Szene;  eine  1891  aufgefuhrte  Pantomime  ,,N6ron"  ist  verlorengegangen. 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Frankreich  901 

F.  Cl.  Theodore  Dubois  (geb.  1837)  trat  mit  den  grofien  Opern  ,,Ibn  Hamet"  (1884),  ,,Frithjof"  (1892),  mit  den 
komischen  »La  guzla  de  1'emir"  (1873),  ,,Le  pain  bis"  (auch:  ,,LaLilloise",  1879),  ,,Xaviere"  0  895)  und  mit  einem 
Ballett  ,JLa  Farandole"  (1883)  Hervor. 

Sein  Nachfolger  als  Mitglied  der  Akademie  Gabriel  M.  Faure  (geb.  1845)  (vgl  S.  1063ff.)  schrieb  die  Opern 
,,Prometheus"  (1900),  ,,Penelope"  (1913),  ,,Masques  et  Bergamasques",  eine  Operette  ,,L'organiste"  (1885)  und  Mu- 
siken  zu  Dumas'  ,,Caligula"  (1888)  und  Haraucourts  ,,Shylock"  (1889). 

Charles  Marie  Widor  (geb.  1845)  ist  mit  den  groBen  Opem  ,,Nerto",  ,,Les  pecheurs  de  Saint  Jean"  (1905),  mit 
der  komischen  ,,Maitre  Ambros",  mit  dem Ballett  ,,La  Korrigane",  der  Pantomime  ,  Jeanne  d'Arc"  (1890),  mit  Schau- 
spielmusiken  zu  Dorchains  ,,Conte  d'avril"  und  Coppees  ,,Les  Jacobites"  hervorgetreten,  der  altere  Louis  Brouillon- 
Lacombe  (1818 — 1884)  mit  einer  vieraktigen  grofien,  in  Genf  1892  auf  gef  iihrten  Oper  ,,Wmkelried",  den  komischen 
Werken  ,,La  madone"  (1860),  ,,Le  tonnelier"  (als  ,,Meister  Martin  und  seine  Gesellen"  1897  in  Koblenz),  und  ,,Kor- 
rigane"  (Sondershausen  1901),  sowie  mit  einer  Musik  zu  Riboyets  ,,L'amour"  und  einem  Melodram  mit  Choren 
,,Sapho",  1878,  Preiskantate  der  Weltausstellung).  L.  P.  Benjamin  Godard  (1849—1895)  ging  nach  Beriihrung 
einiger  Zwischenformen,  wie  der  lyrischen  Szene  mit  ,,Diane  et  Acteon",  der  dramatischen  Symphonic  ,,Le  Tasse" 
(1878)  zur  Oper  iiber:  ,,Pedro  de  Zalamea"  (1884),  Jocelyn '  (1888),  ,,Dante  et  Beatrice"  (1890),  ,,Ruy  Bias"  (1891), 
,,La  vivandiere"  (1895),  ,,Les  Guelfes"  (1902),  schrieb  auch  eine  Musik  zu  Shakespeares  ,,Viel  Larm  urn  Nichts". 

In  ahnlicher  Art,  wie  Gounod  seine  Zeitgenossen,  beeinfluBt  nunmehr  der  sehr  beliebt  wer- 
dende  Massenet  die  seinen ;  nur,  da8  die  Geschmeidigmachung  des  ein  wenig  steifen  Opernstils 
in  dem  lyrischen  Element  durch  eine  in  sinnlicher  Siifie  aufgeloste  Verweichlichung  ersetzt, 
die  Kunst  in  eine  sentimentale  Verlogenheit  zugunsten  des  Demimondainen  gefiihrt  wird,  die 
eine  scharfe  Gegenbewegung  unmittelbar  herausfordert.  Aber  es  mufi  zugestanden  werden, 
dafi  Jules  E.  F.  Massenet  (1842 — 1912)  iiber  eine  seiner  geistigen  Welt  entsprechende,  von 
zarter  Leidenschaft  beseelte  Melodik  verfiigt,  deren  Reiz  sich  z.  B.  auch  der  Wiener,  der  ja 
iiberhaupt  gallischem  Wesen  Verstandnis  entgegenbringt,  nicht  entzieht,  oder  richtig :  entzogen 
hat;  denn  nicht  nur  die  geringeren  Werke,  wie  ,,La  grand'  Tante*'  (1867)*  ,,Don  Cesar  de  Ba- 
zan"  (1872),  wie  die  Ballette  ,,Le  carillon*  (Wien  1892),  ,,La  cigale"  (Paris  1904),  ,,Espada" 
(Monte  Carlo  1 908)  sind  iiberwunden,  auch  die  Zeit  der  groBen  und  der  erfolgreichen  Stiicke 
ist  vorbei;  es  sind:  ,,Le  roi  de  Lahore  *  (1877,  Miinchen  1879),  ,,Herodiade"  (Briissel  1881), 
,,Le  Cid"  (1885),  ,,Le  Mage"  (1891),  ,,Thais4<  (1894),  ,,Ariane"  (1906),  ,,Bacchus"  (1909), 
,,Roma"  (1912)  als  grofie  Opern;  auf  dem  Gebiet  der  lyrischen  Oper:  ,,Manon"  (1884), 
,,Esclarmonde"  (1889),  ,,Werther"  (1886  beendet,  erst  1891  in  Weimar,  1892  in  Wien  gegeben), 
,,Le  portrait  de  Manon"  (1894),  ,,La  Navarraise"  (London  und  Briissel  1894,  Paris  1895), 
,,Sapho"  (1899),  ,,Cendrillon"  (1899),  ,,Griselidis"  (1901,  deutsch  Zurich  1903),  ,,Le  jongleur 
de  Notre  Dame"  (Monte  Carlo  1902),  ,,Cherubin"  (daselbst  1905),  ,,Therese"  (Monte  Carlo 
und  Berlin  1907),  ,,Don  Quichotte"  (Monte  Carlo  1910)  und  aus  dem  NachlaB:  ,,Panurge" 
(Paris  1913)  und  ,,Cleopatra"  (Monte  Carlo  1914).  Es  verdient  angemerkt  zu  werden,  dafi 
,,La  Navarraise"  der  4  Jahre  vorher  ihre  Weltgeltung  antretenden  ,,Cavalleria  Rusticana**  des 
Mascagni  nachgearbeitet  wurde,  und  dafi  die  Marchenoper  ,,Cendrillon"  als  einzige  ihrer  Art 
wohl  kaum  ohne  Humperdincks  Vorgang  (,,Hansel  und  Gretel",  1893)  entstanden  ware.  ,,Ma- 
non  Lescaut"  und  ,,Sapho"  nutzen  schriftstellerische  Erfolge  M.  Prevots  und  A.  Daudets  aus. 
Aus  Massenets  Schule  gingen  hervor:  A.  Bruneau,  G.  Marty,  Hillemacher,  P.  Vidal,  Missa, 
Pierne,  X.  Leroux,  Savard,  Kayser,  G.  Charpentier,  Carraud,  Silver,  Rabaud,  M.  d'OUone. 

Das  Gegengeschenk,  das  die  Wiener  fur  Massenets  Gaben  nach  Frankreich  sandten,  war 
ihr  Walzer,  dessen  ZeitmaB  in  Paris  verlangsamt,  dessen  Charakter  versentimentalisiert  wurde; 
auch  seine  Harmonik  erfahrt  starke  Verbiegungen.  Aber  in  Leo  Delibes'  Musik  ist  ein  zu 
starker  Einschlag  echten  Franzosentums,  als  daB  er  der  Gefahr,  die  die  Operettenschreiber 
bedroht,  erlegen  ware.  Delibes  (1836—1891)  fing  mit  Operetten,  die  in  den  Bouffes  parisiens 


902  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Frankreich 

gegeben  wurden,  an  und  wandte  sich  dann  der  komischen  Oper  und  dem  Ballett  zu.  Von  seinen 
einaktigen  komischen  Buhnemverken  sind  zu  nennen:  ,,Deux  sous  de  charbon"  (1855),  ,,Maitre 
Griffard"  (1857),  ,,Le  jardinier  et  son  seigneur"  (1863,  beide  am  Theatre  lyrique);  von  den 
grofieren  heiteren  Stiicken  hat  sich  langer  als  ,,Jean  de  Nivelle"  (1880),  ,,Lakme"  (1883)  und 
die  hinterlassene,  von  Massenet  vollendete  Oper  ,,Kassya"  (Paris  1893)  das  1873  aufgefuhrte 
,,Le  roi  Ta  dit"  gehalten.  Das  erste  Ballett,  die  1866  in  der  Grand  opera  aufgefuhrte  ,,La 
source**  (als  ,,Naila,  die  Quellenfee"  in  Wien)  ist  eine  gemeinsame  Arbeit  mit  Ludw.  Mincus. 
Durch  die  ,,Coppelia"  (1870)  wurde  Delibes  beriihmt;  1876  folgte  ,,Sylvia",  das  Meisterstiick 
der  Gattung. 

Der  Massenetschen  Erfolghascherei  abhold,  in  den  Bahnen  seines  Freundes  und  Vorgangers 
Berlioz  wandelnd,  deutlich  beeinflufit  auch  von  der  GroBe  Wagners  (,,Tannhauser"  und 
,, Lohengrin4')  trat  L.  E.  Ernest  Reyer  (eigentlich  Rey,  1823 — 1909)  nach  kleineren  Arbeiten, 
wie  ,,Maitre  Wolfram"  (einaktig,  1854  Theatre  lyrique),  ,,La  statue"  (ebenda  1861)  und  dem 
Ballett  ,,Sacountala"  (1868),  mit  einer  fiinfaktigen  grofien,  das  Thema  der  ,,G6tterdammerung** 
behandelnden  Oper  ,, Sigurd*'  (erst  spat,  1884,  in  Briissel  aufgefiihrt)  hervor,  der  die  ebenfalls 
iiber  Brtissel  nach  Paris  kommende,  nach  Flauberts  Novelle  gestaltete  ,,Salammbo"  (1900) 
folgte . 

In  diesem  Zusammenhange  seien  noch  genannt :  Auguste  Mermet  (1810 — 1889),  der  in  den  sechziger  Jahren  mit 
,,Roland  a  Roncevaux"  (1864)  mehr  Erfolg  hatte,  als  mit  friiheren  Opem  (,,La  banniere  du  roi",  1835,  ,,Le  roi  David", 
1846)  und  der  spateren  .Jeanne  d'Arc"  (1876);  Edmond  Membr  ee  (1820—1882)  bringt  an  der  Grofien  Oper  1857 
,, Francois  Villon",  1875  ,,L'escIave",  in  der  Komischen  Oper  1879  ,,La  courte-echelle"  heraus  und  schreibt  Chore  zu 
,,0edipus  Rex";  Jules  L.  Duprato  (1827—1892),  Theophile  A.  E.  Semet  (1824—1888),  J.  A.  Ferdinand  Poise 
(1828 — 1892)  pflegen  die  komische  Oper;  Ch.  Ferdinand  Lenepveu  (1840 — 1910)  schreibt  nach  einer  komischen 
Oper  ,,Le  Florentin"  (1869,  erst  1874  aufgefiihrt)  in  der  in  London  1882  aufgefuhrten  grofien  Oper  ,  Velleda"  eine 
Glanzrolle  fur  Adelina  Patti;  Emile  Paladilhe  (geb.  1844)  schreibt  komische  Opern: ,  Le  passant"  (1872),  ,,Lfamour 
africain"  (1875),  ,,Suzanne"  (1879),  ,,Diana' '  (1885)  und  folgt  in  dem  grofien  Werk  ,,Patrie"  (1886)  Meyerbeerschen 
Spuren;  Felix  Ludger  Rossignol,  genannt  Victorin  de  Joncieres  (1839 — 1903),  vereinigt  Gounod-Meyerbeersche 
Einfliisse  mit  solchen  von  seiten  des  fruheren  Wagner  und  lafit  die  personliche  Linie  dadurch  verwischen :  seiner  er- 
folgreichsten  Oper  ..Lancelot  du  Lac"  (1900)  gingen  voraus:  ,,Sardanapale"  (1867),  ,,Pompejis  letzter  Tag"  (1869), 
,,Dimitri"  (1876),  ,,La  reine  Berthe"  (1878),  ,,Le  chevalier  Jean"  (komische  Oper  1885);  G.  Bernard  Salvayre  (1847 
bis  1916)  macht  sich  ohne  nachhaltige  Wirkung  mit  einigen  Opern  bekannt:  ,,Le  bravo"  1877,  ,,Salan~ed-Din", 
,,Richard  III."  (1883  in  Petersburg),  ,,Egmont"  (1886),  ,,La  dame  deMonsoreau"  (1887),  ,,Solange"  (1909),  ,,Myrto" 
(Musiklustspiel);  die  Ballettkomposition  bereichert  er  mit  ,,La  fontaine  des  fees"  (1899),  ,,L'Odalisque"  (1905),  ,,Le 
fandango";  Ernest  Guiraud  (1837 — 1892),  in  der  Orchesterbehandlung  gewandter  als  in  der  Erfindung  originell> 
bringt  vor  dem  Kriege  von  1870,  den  er  mitmachte,  die  Opem  ,,Sylvie"  (1864),  ,,En  prison"  (1869),  ,,Le  Kobold" 
(1870),  spater  ,,Madame  Turlupin"  (1872),  ,,PJccolino"  (1876),  ,,La  galante  aventure"  (1882)  und  das  Ballett  ,,Gretna- 
Green"  (1873)  heraus;  seine  hinterlassene  Oper  ,,Fredegonde"  vervollstandigte  Saint-Saens  (1895). 

Diese  franzosische  Kunst  um  die  Jahre  1870 — 1890,  in  einzelnen  Stiicken  und  in  einzelnen  Personlichkeiten  nach 
vorwarts  strebend,  in  vieler  Hinsicht  wieder  merkvairdig  konservativ,  steht  im  ganzen  unter  dem  Zeichen  Meyerbeers 
und  Gounods,  Berlioz*  und  Wagners;  unerlafilich  bleibt  fur  das  komische  Genre  auf  lange  Jahre  der  gesprocKene 
Dialog,  fur  die  grofie  Oper  das  Ballett. 

Was  Wagner  fur  die  Oper,  das  bedeutet  der  (von  Ad.  Weifimann  ,,der  franzosiche  Brahms" 
genannte)  Liitticher  Cesar  Aug.  Franck  (1822—1890)  fur  die  Sonate.  Als  Jiingling  hatte  er 
eine  komische  Oper  ,,Le  valet  de  ferme"  geschrieben;  aber  auch  sein  ferneres  Opernschaffen, 
das  die  Werke  ,,Hulda"  (1885  beendet,  erst  1895  in  Monte  Carlo  aufgefiihrt)  und  ,,Ghiselle" 
(1 888,  Auffiihrung  in  Monte  Carlo  1 896)  zeitigte,  war  fiir  das  Musikdrama  in  keiner  Art  Schule 
bildend.  Der  Komponist  zwingt  sich  in  die  alten  Opernformen  und  verschmaht  sogar  das 
von  ihm  selbst  in  den  Oratorien  angewandte  Leitmotiv. 


Die  Oper  irn   19.  Jahrhundert:   Frankreich  903 

Von  Francks  zahlreichen  Schiilern  1st  P.  M.  Th.  Vincent  d'Indy  (geb.  1851)  der  bekannteste. 
Aber  auch  seines  Schaffens  Schwerpunkt  liegt  nicht  in  der  Opernkomposition,  zu  der  erdie  1882 
aufgefiihrte  komische  Oper  ,,Attendez~moi  sous  rorme"  und  die  Musi kdramen  ,,Fervaal"(1897, 
eigene  Dichtung),  ,,L'etranger"  (1903,  eigene  Dichtung),  das  Mysterium  ,,Saint  Christophe" 
und  die  Musik  zu  C.  Mendes'  ,,Medea"  (1898)  beitragt,  wobei  er  unter  Aufbietung  groBer 
Instrumentenmassen  die  Verschmelzung  Wagnerscher  Ideen  in  die  nationalen  Eigentiimlich- 
keiten  seines  Volkes  dartut.  Auch  Ernest  Chausson  (1855—1899)  ist  aus  Francks  Schule 
hervorgegangen;  er  trat  mit  Musiken  zu  Shakespeares  ,,Sturm"  und  M.  Bouchers  ,,Cacilien- 
legende",  mit  einer  lyrischen  Szene  , Jeanne  d'Arc",  mit  einer  zweiaktigen  Oper  ,,Helene" 
und  mit  der  1900  in  Karlsruhe  gegebenen  Oper  ,,Le  roi  Arthus"  (nach  eigener  Dichtung) 
hervor.  In  den  Franckschen  Kreis  gehoren  noch:  Pierre  0.  de  Breville  (geb.  1861 ,  dreiaktige 
Marchenoper  ,,Eros  vainqueur",  Brussel  1910,  Musiken  zu  Maeterlincks  ,,Sieben  Prinzes- 
sinnen"  und  zu  Kalidasas  ,,Sakuntala"),  J.  Guy  Ropa'rtz  (geb.  1864,  Musik  zu  P.  Lotis 
,,Pecheurs  d'Islande",  1893,0pern:  ,,Le  diable  couturier",  1894,  ,,Le  pays"  in  3  Akten,  1912) 
und  der  Bozener  Sylvio  Lazzari  (geb.  1858,  Opern:  ,,Amor",  Prag,  1898,  ,,L'ensorcele",  1903, 
,,La  lepreuse",  1912,  eine  Pantomime  ,,LuIu",  1887). 

Ein  gliihender  Bewunderer  Wagners  liefi  sich  der  von  Massenet  geschulte  L.  Ch.  B.  Alfred 
Bruneau  (geb.  1857)  die  Texte  von  dem  der  Legende  soweit  als  moglich  abgewandten  Realis- 
mus  E.  Zolas  reichen,  ein  abermaliger  Versuch  der  f  ranzosischen  Rasse,  die  vom  Osten  her 
quellenden  iibermachtigen  Ideen  der  eigenen,  dem  Deskriptiven  geneigten  Veranlagung  ein- 
zupassen.  Nicht  die  Losung  vom  Historisch-Formellen  durch  den  Mythos  ist  das  Ziel  des 
neuen  f  ranzosischen  lyrischen  Dramas,  sondern  die  Aufsuchung  des  taglichen  Lebens  und  der 
hinter  ihm  stehenden  seelischen  Regungen ;  seine  Sprache  ist  demgemafi  nicht  der  Vers,  sondern 
die  Prosa.  Schon  Berlioz  und  Gounod  hatten  sich  theoretisch  fur  die  Prosa  erklart,  ja,  Gounod 
hatte  mit  einer  Moliereschen  Komodie  die  Probe  auf  das  Exempel  zu  machen  begonnen;  wirk- 
lich  durchgefuhrt  aber  haben  das  Verfahren  erst  Zola  und  Bruneau  in  ihrem  ,,Messidor" 
(1897,  in  4  Akten).  Von  der  Anwendung  der  ungebundenen  Rede  verspricht  sich  der  Kom- 
ponist  eine  grofiere  Freiheit  sonderlich  in  bezug  auf  den  von  ihm  schon  in  seiner  ersten  Oper 
,,Kerim"  (1887)  mit  aller  Bestimmtheit  angewandten  symphonischen  Stil  der  Musik  mit  re- 
prasentativen  Themen.  Durch  die  Art  der  musikalischen  Anlage  aber  unterscheidet  sich  der 
franzosische,  vorziiglich  textlich  beeinfluBte  Naturalismus  von  dem  italienischen  Verismo: 
Bruneau,  mifitrauisch  gegen  das  Gefiihl  des  Subjekts,  \vie  nur  ein  impressionistischer  Maler, 
tut  die  ersten  Schritte  zur  kiinstlerischen  Objektivierung  der  Stimmung.  Von  seinen  Opern- 
werken  seien  noch  genannt:  ,,Le  reve"  (1891),  ,,L'attaque  du  moulin"  (1893),  beide  von 
L.  Gallet  nach  Zolaschen  Romanen;  aufier  zum  ,,Messidor"  schrieb  Zola  selbst  den  Text  zu: 
,,L'ouragan"  (1901)  und  ,,L'enfantRoi"  (1905);  Bruneau  war  in  Anlehnung  an  Zola  sein  eigener 
Dichter  in:  ,,Nais  Micoulin"  (1907)  und  ,,La  faute  de  1'abbe  Mouret'*  (1907);  2  Ballette:  ,,Les 
bacchantes"  und  ,,L'amoureuse  le?on"  wurden  191 2  und  1913  in  Paris  aufgefiihrt.  Einweiteres 
Stiick  zum  Impressionismus  geht  der  sentimental  veranlagte  Gustave  Charpentier  (geb.  1860), 
der  durch  seinen  Roman  musical  „ Louise"  (1900)  mit  seinen  Cris  de  Paris  bekannter  wurde,  als 
durch  das  fiinfaktige  lyrische  Drama  ,Julien"  (1913)  und  der  sich  der  friiher  gepflegten  Gattung 
mit  ,,L'amour  aux  faubourgs"  (2.  ,,Comediants",  3.  ,,Tragediants")  wieder  zuzuwenden 
scheint. 


C)Q4  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Italian 


Neben  Messager,  dessen  JMadame  Chrysantheme"  (1893)  nach  P.  Loti  ais  hiibsche  lyrische  Komodie  hier  zu 
nennen  1st,  treten  folgende  Namen  mit  grofierer  oder  geringercr  Bedeutung  hervor:  Camille  Erlanger  (1863—1919, 
dramatische  Legende  ,,Saint  Julien  l'HosPitalier'M894,  Opern  ,,Kermaria",  1897,  ,,Le  juif  polonais",  1900,  ,,Le  fils 
de  I'etoile",  1904,  ,,Aphrodite",  1906,  ..L'Aube  rouge",  1911,  ,,La  sorciere",  1912);  Paul  A.  Vidal  (geb.  1863, 


A.Rousseau  (1893—1904,  ,,Dinorah",  1879,  ..Merowig",  1892,  ,,La  cloche  duRhin",  1898,  ,,Milia'M904,  ,,Leone  \ 
1910);  Georges  A.  Hue  (geb.  1858,  ,,Le  roi  de  Paris",  1901,  ,,TJtania",  1903,  ,,Le  miracle",  1910;  ,,Les  pantins", 
1881,  eine  komische  Operette;  die  Pantomime  ,,Coeur  brise");  Louis  Alb.  Bourgault-Ducoudray  (1840—1910, 
,.Thamara",  1891,  ^Michel Colomb".  1887,  ,,Bretagne",  1887,  ,,Myrdhin",  1905);  Charles  Ed.  Lefebvre  (1843 
bis  1917,  ,,Zaire",1887,  ,,Le  tresor  *,  ,,Djelma  M894);  Henri  Mar  echal  (geb.  1842,  groBe  Opern:  -,,Deidamie", 
1893,  ,,Caiendai",  1894;  komische  Opern:  ,,Les  amoureux  de  Catherine",  1876,  ,,La  taverne  des  Trabans" ,  1881, 
nL'etoile",  1889,  ,,Daphnis  et  Chloe",  1899;  das  BaUett  ,,Le  lac  des  aulnes",  1907);  die  Briider  Paul  J.  W.  und 
Lucien  J.  E.  Hillemacher;  Fr.  L.  J.  Thome;  Alexander  Georges;  J.  A.  Coquard;  Paul  Pujet;  Lucien 
Lambert  (geb.  1861,  ,,Broceliande",  1892,  ,,Le  spahi",  1897,  nach  Loti,  ,,La  Marseillaise",  1900,  ,,La  Flamenca", 
1903,  ,,Penticosa",  1908;  Ballettpantomime  ,,Russalka",  1911);  Veronge  de  la  Nux;  Henri  Rabaud;  Max 
d'Ollone;  Charles  Silver;  RP.Busser;  Paul  Dukas  (geb.  1865,  Oper  ,,Ariane  et  Barbebleue"  von  Maeterlinck. 
1907,  BaUett  »,La  Peri");  Augusta  M.  A.  Holmes  (1846—1903,  auch  unter  dem  Namen  Hermann  Zeuta).  H.  C. 
Gabriel  Pierne  (geb.  1863)  schrieb  die  Opern  ,,Le  chemin  de  1'amour"  (1883),  ,,Les  Elfes"  (1883),  ,,Don  Louis", 
1886,  ,,Lizarda",  1893,  ,,La  coupe  enchantee"  (1895),  ,,0n  ne  badine  pas  avec  IWour"  (1910),  das  Ballett  ,,Cydalise 
ouleChevrepied"  (1909)  und  eine  Anzahl  von  Operettenund  Btihnenmusiken.  Das  Mimodrama  als  galiische  Spe- 
zialitat  wird  gepflegt  von  dem  genannten  Vidal,  von  Andre  A.  T.  Wormser  (geb.  1851,  ,,L'enfant  prodigue") 
und  von  St.  Raoul  Pugno  (1852—1914,  ,,Pour  le  drapeau"). 

Die  Vollendung  des  vonBruneau  eingeleiteten,  von  Charpentier  entwickelten  Impressionismus  vollzieht  sich  unter 
den  Handen  Claude  A.  Debussys  (1862-1818)  (s.  S.  1065). 

Literatur 

Soubies,  Albert:  Le  Theatre- Italier.  au  temps  de  Napoleon  et  de  la  Restauration.  Paris  1910.  —  Derselbe, 
Le  Th&tre-Italien  de  1801  a  1913.  —  Derselbe,  Histoire  du  Th^atre-Lyrique  de  1851  a  1870.  Le  M6nestrel. 
Paris  1899,  Nr.  3f.  —  Castil  -  Blaze:  Theatres  lyriques  de  Paris.  I,  II,  III  (bis  1855).  L'Academie  Imperiale  de 
Musique.  Paris  1855/56.  —  Bruneau,  Alfred:  La  musique  francaise.  Rapport  sur  la  musique  en  France  du  XIIIe 
au  XX*  siecle.  Paris  1901.  —  Hervey,  Arthur:  French  music  in  the  XlXth  century.  London  1903.  —  S  er  6  , 
Octave:  Musiciens  francais  d'aujourd'hui.  Paris  1911.—  Laloy,  Louis:  Le  drame  musical  moderne.  Le  Mercure 
musical.  Paris  1905,  S.  8f.  —  Blessinger,  Karl,  und  andere:  Meister  der  Oper.  Einzelhefte  hrsgeg.  vom  Biihnen- 
Volbbund  in  Frankfurt  a.  M.  o.J.  (1921).  —  Werner,  Th.W.:  Musik  in  Frankreich.  Breslau  1927. 


Italian 

Von  der  Unzahl  der  ihrer  Lebensdauer  nach  vom  18.  in  das  19.  Jahrhundert  hineinreichenden 
Komponisten  italienischer  Opern  kann  hier  nur  eine  Auswahl  namhaft  gemacht  werden. 
Giovanni  Paesiello  (1741—1816,  iiber  100  Opern);  Andrea  Lucchesi  (1741  bis  urn  1800); 
Domenico  Corri  (1744 — 1825);  Giov.  Giuseppe  Cambini  (1746 — 1825);  Venanzio  Rauz- 
zini  (1747—1810);  Domenico  Cimarosa  (1749—1801);  Antonio  Salieri  (1750—1825, 
40  Opern,  darunter  drei  franzosische  fiir  Paris);  Francesco  Bianchi  (1752 — 1810);  Nic.  An 
tonio  Zingarelli  (1752 — 1837);  Giov.  Antonio  Capucci  (1753 — 1818);  Vincenzo  Righini 
(1756—1812);  Antonio  da  Silva  Leite  (1759-1833);  Luigi  Cherubini  (1760—1842,  ita- 
lienische  und  franzosische  Opern,  auch  eine  deutsche);  Vittorio  Trento  (1761  bis  um  1825); 
Giuseppe  Niccolini  (1763—1842);  Marcos  Portugal  (Portogallo  (1762—1830,  italienische 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert :  Italian  905 


Opern  for  Italian,  Frankreich,  Spanien  und  Portugal);  Gaetano  Andreozzi  (1763 — 1826); 
Simon Mayr  (1763 — 1845,  deutscher  Komponist  ausschliefilich italienischer  Opern);  Valentino 
Fioravanti  (1764 — 1837,  77  Opern,  darunter:  ,,I  virtuosi  ambulanti",  1807);  Jos.  Mazzinghi 
(1765—1839);  Francesco  Basili  (1767—1830);  LuigiPJccini (1766— 1827);  Francesco  Ruggi 
(1767—1845);  Pietro  Casella  (1769—1843);  Ferdinando  Paer  (1771—1839);  Giuseppe 
Mosca  (1772—1839);  Gasparo  Spontini  (1774—1851);  Manuel  Garcia  (1775—1832, 
48  spanische,  italienische  und  franzosische  Opern);  Niccolo  Isouard  (1775 — 1818);  Luigi 
Mosca  (1775 — 1824);  Catterino  Cavos  (1776 — 1840,  italienische,  franzosische  und  russische 
Opern);  Fernando  Orlandi  (1777—1848);  Vincenzo  Puccita  (1778—1861);  Felice  Radicati 
(1778—1823);  Stefano  Pavesi  (1779—1850);  Giuseppe  Blangini  (1781—1841);  Carlo 
Coccia  (1782—1873);  Pietro  Generali  (1782—1832);  Giacomo  Cordelia  (1783—1847); 
Francesco  Morlacchi  (1784—1841);  Pietro  Raimondi  (1786—1853,  62  Opern);  Paolo 
Brambilla  (1786—1838);  Michele  Carafa  de  Colobrano  (1787—1872);  Gioacchino 
Rossini  (1792— 1868). 

Aus  dieser  Liste,  die  neben  viel  leichtfertiger  Arbeit  eine  grofie  Dosis  Talent  und  als  Neben- 
erscheinung  (in  Raimondi)  auch  auBergewohnliche  Gelehrsamkeit  umschlieBt,  werden  die 
Namen  Paesiello,  Cimarosa,  Salieri,  Cherubini  und  Spontini  an  anderer  Stelle  genannt. 

Die  Versuche,  die  einige  italienische  Stadte:  Parma,  Neapel  und  Bologna  mit  der  Einfahrung 
der  Gluckschen  Reformoper  gemacht  hatten,  waren  fehlgeschlagen.  Einen  Erfolg  auf  Um- 
wegen  bedeuteten  aber  far  Italien  Giucks  franzosische  Opern:  zwar  waren  Piccims,  Salieris, 
Sacchinis  und  Cherubinis  Nachahmungen  ebenfalls  hier  nicht  gut  aufgenommen  worden,  aber 
die  Pariser  Erfolge  des  ,,Roland",  der  ,,Danaides",  des  ,,0edipe  a  Colone"  und  des  ,,Demo~ 
phon"  ermutigten  diesen  und  jenen  Italiener,  sich  mit  der  Behandlung  erfolgreicher  franzo- 
sischer  Texte  der  gallischen  Ensemble-,  Chor-  und  Orchesterkunst  anzunahern.  Die  Opera 
buff  a,  der  sich  das  Interesse  auch  der  italienischen  Verfasser  ernster  Opern  wieder  zugewandt 
hatte,  war  gewissermaBen  die  Kehrseite  der  seria  und  nahm,  wenn  auch  nicht  in  ganzem  Um- 
fange,  an  ihrer  Erhebung  teil. 

An  der  Pflege  und  Ausbildung  beider  Formen  beteiligt  sich  der  zum  Italiener  gewordene 
Bayer  Simon  Mayr.  Seine  Opera  luff  a  baut  auf  dem  von  ihm  urn  1790  in  Venedig  vor- 
gefundenen  Zustande  weiter.  Die  Libretti  kommen  dem  Publikum  weit  entgegen:  neben 
Goldonischen  und  Bertatischen  Einfliissen  (,,Foppa"  u.  a.)  erhalt  sich  der  Zweiakter  und  die 
einaktige  Farce;  dieMusik  schlieBt  sich  unter  Weiterentwicldung  der  vorhandenen  Mittel  den 
Buffoziigen  eines  Anfossi,  eines  Guglielmi  an.  Auch  in  der  Opera  seria  bleibt  Mayr  Eklek- 
tiker;  aber  seine  Wirkung  ist  hier  noch  starker  als  dort.  Folgt  er  im  Secco,  in  der  Melodik, 
im  zu  flachen  oder  zu  hoch  getriebenen  Ausdruck  den  Neuneapolitanern,  so  ist  auch  sein  An- 
kniipfen  an  die  groBen  Neapolitaner,  an  Hasse  und  Terradella  in  den  Sologesangstiicken,  an 
Jommelli  und  Perez  im  Akkompagnato  und  damit  sein  Streben,  der  Kunstform  neues  Blut 
zuzufohren,  nicht  zu  iibersehen.  Dazu  soil  ihm  gerade  der  AnschluB  an  die  franzosische 
Oper  dienen :  Chore  und  Massenszenen,  selbstandige  programmatische  Instrumentalsatze  wer 
den  iibernommen,  und  die  Librettisten  zum  Anschlufi  an  franzosische  Muster  gezwungen. 
Zu  einer  wirklichen  Reform  der  Sena,  der  Mayr,  im  Gegensatze  zu  Sacchini,  Piccini,  Cheru 
bini  treu  bleibt,  reichen  allerdings  die  Krafte  nicht  aus.  Die  Einfahrung  der  vokalen  Mehr- 
stimmigkeit  und  die  Ausgestaltung  des  Opernorchesters,  dem  auch  ungebrauchliche  Bias- 


906  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert :  Italian 


instrumente  eingereiht  werden,  damit  aber  eine  Belebung  der  Sprache  im  Sinne  Mozarts, 
diese  Emingenschaften  dienen  einem  sub  specie  aetatis  ernsten  Streben  zum  reinen  Drama; 
sie  kommen  auch  der  Buffa  zugute.  Crescendowalzen,  weitgehende  Alterierung  von  Durch- 
gangstonen,  gelegentliche  Koloraturiiberladung  mit  Ausfallung  von  weiten  Spriingen  im  Geiste 
des  spateren  Meyerbeer,  Terzenfiihmng  von  Singstimmen  und  Diskantinstrumenten  und 
machtige  Unisonogange,  solistische  und  charakteristische  Verwendung  einzelner  Instrumente 
und  Spielmanieren,  Bevorzugung  des  Satzes  Note  gegen  Note  far  die  Ensembles,  mit  diesen 
und  andem  Stilmerkmalen  sah  Mayr  seinen  EinfluB  wachsen  und  schwinden:  er  erlebte 
die  Erfolge  Rossinis,  Donizettis  und  Bellinis,  das  Auftreten  Verdis,  Webers  und  Marschners, 
die  ersten  Werke  Wagners,  ehe  er,  ganz  der  Kirchenmusik  hingegeben,  starb.  Die  Bliite 
seiner  Opernkomposition— er  schrieb  61  Werke  far  dieBiihne — fallt  in  die  Jahre  1796— 1815. 
Die  grofiten  Erfolge  hatten:  ,,Che  Originali"  (1798),  ,,Adelaide  di  Gucselino*'  (1799),  ,,Lo- 
doiska"  (zweite  Komposition  von  1800),  ,,Ginevra  di  Scozia"  (1801),  ,,Elisa"  (1804),  ,,L'amor 
conjugale"  (1805),  ,,Adelasia  ed  Aleramo"  (1807)  und  ,,La  rosa  rossa  e  la  rosa  bianca '  (1813). 

Die  von  Simon  Mayr  ausgestreute  Saat  ging  nur  zu  einem  Teile  auf,  und  leider  ist  es  seine 
Gabe,  Effekt  zu  machen,  die  weiter  wirkt.  Im  Instrumentalstil  ist  Berlioz  sein  Opfer;  in  der 
deutschen  Oper  nimmt  Peter  Winter  (1754 — 1825),  der  Komponist  der  Oper  ,,La  grotta  di 
Calypso**  (London  1802)  und  des  Singspiels  ,,Das  unterbrochene  Opferfest"  (1796)  von  ihm 
an,  in  der  italienischen  G.  Saverio  R.  Mercadante  (1795 — 1870),  der  erklarte  Fiihrer  der 
Mayrschule.  Ein  gebildetes  Talent,  von  seinen  Landsleuten  der  italienische  Beethoven  ge- 
nannt,  schreibt  er  gegen  60  Opem,  von  denen  ,,Elisa  eClaudio"  (1821),  ,,La  donna  Caritea" 
(1826),  ,,I  Normanni  a  Parigi"  (1831),  ,,Ismailia"  (1832),  ,,11  giuramento"  (1837)  am  be- 
kanntesten  wurden  und  im  Klavierauszuge  vorliegen.  Auch  Spontinis  Schaffen  erfahrt  nach 
der  ,,VestaIin"  einen  Bruch  im  Sinne  des  Mifibrauchs  Mayrscher  Mittel,  namentlich  der  Bias- 
instrumente:  ,,Ferdinand  Cortez"  und  ,,01ympia"  sind  vom  Gluckschen  Geist  verlassen  und 
von  dem  der  neuitalienischen  ,,solita  cagnara"  (August  Kestner)  besessen. 

Den  Stil  der  Buffoopern  Paesiellos  und  Cimarosas  noch  zu  verfliichtigen,  ihre  Melodien 
noch  fliissiger  zu  machen,  gelang  dem  Parmenser  Ferdinando  Paer  (1771 — 1839),  der  mit 
,,I  pretendenti  burlati"  (1793)  in  Italien  beriihmt  wurde,  seine  Schreibweise  aber  mit  seiner 
Ubersiedlung  nach  Wien  (1 797)  unter  dem  Eindruck  Mozartscher  Werke  bedeutend  vertiefte : 
die  hier  geschriebene  ,,CamiIIa"  (1799)  gilt  als  sein  bestes  Werk  neben  dem  ,,Sargino"  (1803); 
in  Dresden,  wo  er  Naumanns  Nachfolger  wird,  schreibt  er  unter  andern  Opern  eine  ,,Leonora, 
ossia  Tamore  conjugale"  (1804)  nach  dem  Buch  von  Bouilly,  das  auch  Beethoven  seinem  ,,Fi- 
delio"  zugrunde  legte.  Die  Wirren  der  napoleonischen  Zeit  entfahren  ihn  iiber  Warschau 
nach  Paris,  wo  er  1812  als  Nachfolger  Spontinis  Kapellmeister  an  der  italienischen  Oper  wurde; 
hier  blieb  er  bis  zu  seinem  Tode.  Von  seinen  43  Opern  nat  eine,  der  ,,Maitre  de  chapelle" 
(1821),  sich  langer  gehalten.  Im  Jahre  1823  war  ihm  in  dem  Kapellmeisteramt  der  von  London 
kommende  Rossini  iibergeordnet  worden. 

Gioacchino  Antonio  Rossini  ist  1792  in  Pesaro  geboren  worden;  als  Achtzehnjahriger  be- 
ginnt  er  mit  der  Arbeit  an  der  Oper,  ohne  indes  mehr  als  Beweise  einer  bedeutenden 
Begabung  zu  liefern;  schon  im  Jahre  1812  bekommt  er  funf  Auftrage  zur  Komposition  von 
Biihnenwerken.  Der  erste  grofie  Erfolg  (mit  ,,L'Italiana  in  Algeri",  1813)  wurde  weit  iiber- 
boten  durch  den  des  ,,Barbiere  di  Seviglia"  (1816)  von  der  zweiten  Auffiihrung  ab.  Ohne  dafi 


Die  Oper  im  19.  Jahrhimdert:  Italien  907 

ein  vollendeter  Ausgleich  der  Stilelemente  festzustellen  ware,  darf  das  Werk,  das  im  Gegensatz 
zu  Mozarts  Beriihrung  des  gleichen  Stoffgebiets  die  Buffoelemente  herausstellt,  als  Gipfel  der 
italienischen  komischen  Oper  angesehen  werden:  die  charakteristische  Zeichnung,  der  Uber- 
reichtum  an  melodischen  Einfallen,  die  Sicherheit  im  Aufbau  der  groBen  Ensembles  und 
andere  kiinstlerische  Tugenden  weisen  ihm  diesen  Platz  an.  Die  erste  bedeutende  italienische 
Oper,  die  sich  der  Welt  Shakespeares  zu  nahem  wagt  und  damit  neue  Gebiete,  wenn  auch  zu- 
nachst  noch  mifiverstandhch  und  vom  italienischen  Opernstandpunkt  aus,  erschliefit,  ist  Rossinis 
,,Othello"  (1816),  der  fiir  sich  und  damit  far  fast  die  gesamte  italienische  Oper  das  Redtativo 
secco  abschafft.  Immerhin  waren  Rossinis  Erfolge  vielleicht  auf  Italien  beschrankt  geblieben, 
wenn  nicht  der  Unternehmer  Barjaba  1822  mit  einer  Operntruppe  Wien  aufgesucht  hatte  und 
mit  dem  ,,Barbier"  und  ,,Othello",  aber  auch  mit  ,,Cenerentola"  (1817),  ,,Mose  in  Egitto"  (1818) 
und  ,,Maometto  II."  (1820)  Aufsehen  erregt  hatte,  das  noch  einmal  das  europaische  Ansehen 
der  italienischen  Oper  heraufbeschwort.  Nachdem  sein  Versuch  im  grofiten  Stil,  die  fur  Ve- 
nedig  geschriebene  ,,Semiramide"  (1 823)  nicht  auf  das  erwiinschte  Verstandnis  gestofien  war, 
verlieB  Rossini  sein  Vaterland.  In  Paris  hatte  sein  ,,Tell"  die  an  andrer  Stelle  geschilderte 
Wirkung.  Die  letzten  39  Jahre  seines  Lebens  verzichtete  Rossini  auf  die  Betatigung  an  der 
Oper,  deren  er  der  Welt  39,  ungerechnet  eine  Anzahl  von  dramatischen  Kantaten,  geschenkt  hat. 

Rossinis  ,,Barbier"  stand  in  der  Entwicklung  zu  hoch,  um  beispielgebend  wirken  zu  konnen ; 
die  Buffooper  alterer  Observanz  halt  sich,  obwohl  ihrem  Ende  entgegengehend,  noch  einige 
Zeit.  Gaetano  Donizetti  (1797 — 1848)  hat  zwar  vorziiglich  die  ernste  Oper  angebaut,  aber 
auch  seine  Haupterfolge  liegen  in  der  heiteren  Gattung.  Von  Simon  Mayr  und  Rossini  be- 
einflufit  hat  sich  Donizetti  in  der  Schreibart  so  lange  gehen  lassen,  bis  in  Bellini  ein  ernsterer 
Mitbewerber  auftrat  und  ihn  zur  Sammlung  zwang:  ,,Anna  Bolena"  (1830)  sollte  ihn  gegen- 
iiber  Bellinis  ,,Nachtwandlerin"  legitimieren,  und,  als  er  mit  ,,Marino  Falieri"  (1835)  vor 
Bellinis  ,,Puritanern"  weichen  muCte,  schrieb  er  unter  Zusammenraffung  seiner  Krafte  die 
erfolgreiche  ,,Lucia  di  Lammermoor '  (1835).  Auch  er  begibt  sich,  indigniert  iiber  Hinder- 
nisse,  die  sich  der  Auffuhrung  seines  ,,Poliuto"  (in  Paris:  ,,Les  martyrs")  entgegenstellten, 
nach  Paris  und  spater  (1840)  nach  Wien,  wo  er  in  geistiger  Umnachtung  stirbt.  Im  Jahr  der 
,,Lucia"  hatte  sich  Rossini  zur  Ruhe  gesetzt,  war  Bellini  gestorben,  sodaC  Donizetti  Allein- 
herrscher  auf  der  Szene  wurde,  die  er  mit  iiber  70  Werken  bedacht  hat;  unter  ihnen  sind  die 
grofien  Opern  ,,Linda  di  Chamounix"  (Wien  1842),  ,,Caterina  Comaro"  (Neapel  1844)  und 
,,La  favorite"  (Paris  1840;  Klavierauszug  von  Richard  Wagner)  vergessen;  gehalten  hat  sich 
—  die  Dauer  eines  Biihnenwerks  geringerer  Gattung  hangt  nicht  zuletzt  von  der  Dankbarkeit 
einer  einzelnen  Rolle  ab  —  die  far  die  Opera  comique  im  Jahre  1840  geschriebene  ,,La  fille 
du  regiment" ;  das  Beste  hat  aber  der  Kiinstler  in  einigen  italienischen  komischen  Opern  unter 
Festhaltung  des  Stils  der  Commedia  delf  arte  gegeben:  ,,L'elisire  d'amore"  (Mailand  1832)  und 
,,Don  Pasquale"  (Paris),  dieses  von  Bierbaum  iibertragen  (Neuausgabe  von  W.  Kleefeld),  jene 
von  F.  Mottl  neu  bearbeitet. 

Mit  Donizetti  geht  die  Geschichte  der  Opera  buffa  zu  Ende.  Mochte  auch  ab  und  zu 
eine  solche  noch  in  Auftrag  gegeben  werden  — Verdis  auf  lange  Zeit  einzige  komische  Oper, 
,,Einen  Tag  lang  Konig",  entstand  auf  diese  Art  — ,  die  franzosische  Einwirkung  war  zu  stark 
geworden,  als  dafi  die  heitere  Gattung  erfolgreich  hatte  gepflegt  werden  konnen;  der  alte 
Verdi  erst  beschenkte  sie  mit  einem  Meisterstiick  in  seinem  ,,Falstaff". 

58     H.  d.  M. 


908  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Italien 


In  die  Gefolgschaft  Simon  Mayrs  gehort  (nach  Schiedermair)  mit  General!,  Pacini,  Mer- 
cadante,  Spontini,  Rossini  und  Donizetti  auch  noch  der  friih  verstorbene  Sizilianer  Vincenzo 
Bellini1)  (1801—35),  der  andererseits  mit  seinen  Hauptwerken  in  das  Jahrzehnt  des 
Umschwungs  reicht,  und  durch  die  Natiirlichkeit  seiner  Aussprache  in  ,,Montechi  e  Capuleti" 
(1830)  Wagners  Bewunderung  erregt  (,,Die  deutsche  Oper",  Zeitung  for  die  elegante  Welt, 
10.  Juli  1834,  Neudruck  in  Kiirschners  Wagner- Jahrbuch).  Von  Bellinis  11  Opern  hatte  nur 
eine  einen  Mifierfolg:  ,,Zaira"  (Parma  1829);  iiber  ,,Adelson  e  Salvini"  (1825)  und  ,,Bianca 
e  Fernando"  (1826),  iiber  ,,11  pirata"  (1827)  und  ,,La  straniera"  (1829),  die  Mailander  Stiicke, 
iiber  die  beiden  genannten,  for  Parma  und  Venedig  bestimmten  Stiicke  erhebt  sich  die  Kurve 
zu  ,,La  sonnambula"  (Mailand  1831),  von  hier  nun  auch  durch  den  Umschwung  zu  soliderer 
Faktur  gestiitzt,  und  weiter  zu  ,,Norma"  (1831)  und  dem  Pariser  Erfolg  mit  ,,I  Puritani" 
(1835);  ,,11  fo  ed  il  sara"  wurde  (1832)  nur  in  kleinem  Kreise  gegeben;  ,,Beatrice  di  Tenda" 
(1833)  hatte  geringere  Wirkung.  Auch  hier  hangt  das  Schicksal  des  Werks  groBenteils  mit 
der  Wahl  des  Gesangssolisten  zusammen:  so  ist  der  ,,Romeo"  an  den  Namen  der  Schroder- 
Devrient,  die  ,,Norma"  an  den  der  Malibran  gekniipft.  In  der  Erfindungskraft  und  im  tech- 
nischen  Konnen  hinter  Rossini  zuriickbleibend,  besticht  Bellini  durch  Wahrhaftigkeit  der 
Empfindung,  die  sich  in  der  ,,Norma"  zu  spontinischer  GroBe  zu  erheben  vermag.  Seine 
Neigung  zu  pathologischen,  nachtseitigen  Stoffen  ist  Romantik,  gesehen  durch  ein  romanisches 
Temperament.  Seine  Liebesszenen  sind  bedeutender,  als  die  mit  Sicherheit  eintretenden  Ge- 
bete,  und  im  Elegischen  und  Zartlichen  von  eigenem  Charme. 

Der  unerwiinschte  Erfolg  der  durch  Mayr  eingeleiteten  Aufnahme  Gluckscher  Stilelemente 
war  die  durch  ihre  Verkennung  verschuldete  Verdunkelung  der  spezif isch  italienischen  Kunst, 
seelische  Zustande  durch  den  Sologesang  darzustellen;  man  wollte  das  Drama  ergreifen,  aber, 
was  man  in  der  Hand  hielt,  war  nur  seine  aufiere  Hiille.  Der  Niedergang  der  italienischen 
Oper  Ist  nicht  mehr  aufzuhalten. 

Aus  der  Fiille  der  Krafte,  die  im  Sinne  der  alten  Oberlieferung,  ohne  durch  neue  Einfliisse  wesentlich  beunruhigt 
zu  werden,  weiterarbeiten  und  die  Versumpfung  des  Volkes  in  der  ,,Beata  tranquillita"  (Righetti)  eines  einseitigen 
und  mechamschen  Interesses  fur  die  absinkende  Oper  auf  dem  Gewissen  haben,  seien  folgende  Namen  genannt : 
Pier  Antonio  Coppola  (1 793—1877);  Giov.Tadolini  (1 793—1 872);  Giovanni  Pacini  (1 796—1867,  etwa90  Opern)  ; 
Vincenzo  Fioravanti  (1799—1877);  Joseph  Rastrelli  (1799—1842  in  Dresden  lebend);  Giuseppe  Persiani  (1799 
bis  1869);  Luigi  Ricci  (1805—59);  Cesare  Pugni  (1805—70,  neben  Opem  zahlreiche  Ballette);  Michele  Costa 
(1808—84);  Federico' Ricci  (1809—77);  Lauro  Rossi  (1810—85);  Giuseppe  Concone  (1810—61);  Achille  Peri 
(1812-30);  Alberto  Mazzucato  (1813—77);  Antonio  Brancaccio  (1813-46);  Enrico  Petrella  (1813—77);  Conte 
Nicolo  Gabrielli  (1814—91);  Giuseppe  Lillo  (1814—63);  Antonio  Buzzola  (1815—71);  Francesco  Schira  (1808 
bis  1883);  Achille  Graffigna  (1816—96);  Teodulo  Mabellini  (1817—97);  Carlo  Pedrotti  (1817—93);  Antonio 
Bazzini  (1818—97;  gediegener  Musiker,  nur  eine  Oper:  ,,Turanda",  1867);  Abramo  Basevi  (1818-65);  Nicola 
deGiosa(I820— 85); CesareDominiceti(1821— 88);  Giovanni Bottesini  (1821— 89);  Luigi  Arditi  (1822— 1903); 
Eugenio  Terziani  (1824-89);  Nicolo  Coccon  (1826—1903);  Michele  Ruta  (1827—%);  Antonio  Cagnoni  (1828 
bis  1896);  Pietro  Platania  (1828—1907);  Giro  Pinsuti  (1829—88);  Filippo  Marchetti  (1831—1902);  Alberto 
Randegger  (1832—1911);  Amilcare  Ponchielli  (1834—86).  Es  ist  zu  bemerken,  dafi  diese  I"Jompomsten(  sofern 
sie  nicht  in  Italien  bleiben,  sich  nicht  mehr  nach  Paris,  sondern  nach  London,  auch  nach  Rufiland  wenden;  aber 
seit  den  dreifiiger  Jahren  leben  die  italienischen  Theater  vom  franzosischen  Import.  Zehn  Jahre  spater  beginnen  nun 
allerdings  die  ersten  Werke  Verdis  die  Grenze  zu  iiberschreiten  und  Zeugnis  abzulegen  von  der  bauerlichen  Kraft 
einer  neuen  Erscheinung. 

* 

x)  Die  von  H.  Kretzschmar:  Geschichte  der  Oper  (1919),  S.  261,  aufgezahlten  Charakteristika  seiner  Schreib- 
technik  weisen  in  der  Tat  auf  Mayr,  zu  dem  Kretzschmar  ihn  sonst  in  Gegensatz  bringt.  Mays  Robustheit  ist  in 
der  weicheren  Natur  Bellinis  allerdings  gemildert. 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Italian 


Giuseppe  Verdi  wurde  am  10.  Oktober  1813  zu  Roncole,  einem  Dorfe  bei  Parma,  geboren. 
AIs  er  sich,  vorgebildet  durch  den  Organisten  Provesi,  1832  zur  Aufnahme  in  das  Mailander 
Konservatorium  meldet,  wird  er  abgewiesen;  so  wird  er  Schiiler  des  Kapellmeisters  am  Scala- 
theater  Lavigna,  dessen  fachmannische  Winke  dem  in  der  Blihne  das  Organ  seines  Ausdrucks- 
willens  erkennenden  Jiingling  willkommen  sein  muBten.  Nach  seinen  ersten  Opernerfolgen 
vermahlte  er  sich  (1836)  mit  der  Tochter  seines  vaterlichen  Freundes  Barezzi,  die  ihm  indes 
mit  zwei  Kindern  bald  wieder  entrissen  wurde  (1840).  Verdis  zweite  Gattin,  Giuseppina 
Strepponi  (1817—97)  lebte,  nachdem  sie  die  Biihne  verlassen  hatte,  als  Gesanglebrerin  in 
Paris,  bis  Verdi  sie  1849  (mit  den  legitimen  Formen  1859)  heiratete.  Verdi  hatte  sich  in  seiner 
Heimat  angesiedelt,  wo  er  eine  Villa  St.  Agata  erbaut  hatte,  war  aber  viel  auf  Reisen  und  im 
Winter  meist  in  Genua.  Er  starb  am  27.  Januar  1901  in  Mailand. 

Die  wechselseitige  Beeinflussung  der  franzosischen  und  der  italienischen  Opernkunst,  die 
an  die  Namen  Gluck  und  Mayr,  Cherubini  und  Spontini,  Meyerbeer  und  Rossini  gekniipft  ist, 
lafit  es  erstaunlich  erscheinen,  daC  der  letzte  dieser  Meister  als  ,,Italianissimo"  wenigstens  be- 
gonnen  hat.  Nach  einigen  an  Donizetti  ankniipfenden  Anfangen  (,,0berto  conte  di  S.  Boni 
facio",  Mailand  1839,  ,,Un  giorno  di  regno",  Mailand  1840)  benutzt  Verdi  seine  nachsten 
Werke:  ,,Nabucodonosor  *  (,,Nabucco**,  Mailand  1842)  und  ,,I  Lombard!"  (Mailand  1843)  dazu, 
unter  dem  Mantel  religioser  Handlungen  in  feurigen  Ausbriichen  als  Patriot  zu  Patrioten  zu 
sprechen  und  zur  politischen  Einigung  Italiens  aufzuf ordern ;  auch  der  auf  Viktor  Hugos 
revolutionarem  Stuck  beruhende,  von  Francesco  Piave  nicht  gerade  gliicklich  gestaltete 
,,Ernani"  (Venedig  1844)  ist  noch  zu  sehr  in  der  Tendenz  befangen,  als  dafi  ihm  mehr,  als  ein 
allerdings  starker  Augenblickserfolg  hatte  beschieden  sein  konnen.  Die  politische  Begeisterung 
stellte  sich  nach  ,,I  due  Foscari"  (Rom  1844,  nach  Byron),  nach  ,,Giovanna  d'Arco"  (Mailand 
1 845)  und  nach  der  auf  Voltaire  beruhenden  ,,Alzira '  (Neapel  1 845)  erst  wieder  bei  dem  selbst- 
gewahlten  ,,Attila"  (Venedig  1846)  ein;  und  noch  einmal  durchmessen  wir  den  gleichen  Bogen, 
wenn  wir  iiber  ,,Macbeth"  (Florenz  1847),  iiber  ,,I  Masnadieri"  (London  1847,  nach  Schillers 
,,Raubern**),  iiber  .Jerusalem**  (Paris  1847),  iiber  ,,11  corsaro"  (Triest  1848)  zu  ,,La  battaglia 
di  Legnano"  (Rom  1849)  vorschreiten,  die,  an  sich  nicht  bedeutend,  durch  die  politisch  erregte 
Sprache  wirkte.  Mit  ,,Luisa  Miller**  (Neapel  1849)  und  mit  dem  weniger  erfolgreichen  ,,Stif- 
felio*'  (Triest  1850)  schliefit  die  Epoche  von  Verdis  national  begrenzter  Wirkung.  DerText- 
dichter  Temistocle  Solera,  ein  zu  Verdis  versonnener  Art  nicht  passender  Bohemien,  zeigt 
eine  vom  ,,Nabucco"  zu  den  ,,Lombardi",  zur  ,,Giovanna  d'Arco"  und  zum  ,,Attila"  ab~ 
steigende  Linie;  Salvatore  Cammarano,  der  Verfasser  der  ,,Alzira",  der  ,,Battaglia*',  der 
,,Luisa  Miller*  und  spater  des  ,,Trovatore"  bleibt  eine  Episode;  Francesco  Maria  Piave  ge- 
winnt  den  Meister  mit  dem  Buch  zu  ,,Ernani",  zeigt  ein  geringes  Niveau  in  ,,Foscari",  ,,Mac- 
beth**,  ,,Corsar",  ,,Stiffelio**,  spater  in  ,,Simon  Boccanegra",  ,,Forza  del  Destino",  nimmt  aber 
mit  Recht  an  den  Erfolgen  der  ,,Traviata"  und  besonders  des  ,,Rigoletto"  teil.  Nicht  wegen 
der  Wirkung  auf  das  Publikum,  sondern  wegen  der  Wirkung  auf  den  Komponisten  ist  die 
Stellung  des  Librettisten  so  bedeutend. 

Die  traditionelle  Fliichtigkeit  der  technischen  Arbeit,  die  Ablosung  vollgelungener  Teile 
durch  konventionell  behandelte  Strecken  hatte  die  Kritik  des  Auslandes  wachgerufen,  und 
Verdi  hatte  schon  in  der  ,,Luisa  Miller**  eine  sich  steigernde  Verfeinerung  der  Arbeit  ein- 
geleitet.  Das  Werk,  das  den  Weltruhm  des  Komponisten  begriindete,  ist  der  aus  Viktor  Hugos 


Die  Oper  im  19.  JaKrhundert :  Italien  91  ] 

,,Le  roi  s 'amuse"  geschopfte  ,,Rigoletto"  (Venedig  1851),  in  dem  der  Patriotismus  zwar  noch 
vorhanden  ist,  aber  gebandigt  erscheint.  Die  Zensur  verlegte  die  Handlung  vom  Hofe  Franz  I. 
vcn  Frankreich  an  den  eines  Herzogs  von  Mantua.  Das  Festhalten  eines  wirklich  tragischen 
Tons  bei  der  Anwendung  unverfalscht  italienischer  Mittel  in  Melodik  und  Harmonik  gibt 
dieser  Oper  eine  Sonderstellung  in  den  Werken  der  mittleren  Zeit  und  hebt  sie  auch  iiber  die 
nun  folgenden:  ,,11  Trovatore"  (Rom  1853)  und  ,,La  Traviata"  (Venedig  1853)  heraus,  die 
zur  alten  Oper,  die  im  ,,Rigoletto"  bis  auf  einen  kleinen  Rest  iiberwunden  schien,  zuriick- 
streben.  Der  auf  einer  spanischen  Vorlage  von  1836  beruhende  ,,Troubadour",  nicht  als 
Drama,  sondern  nur  als  Folge  einzelner  scharf  gesehener  Szenen  verstandlich,  ist  in  der 
Gegeneinandersetzung  von  Rittertum  und  Zigeunerhaftigkeit  rein  romantisch.  Romantik,  aber 
durch  dieBrille  des  Alexandre  Dumas  gesehen,  also  modern  eingekleidet,  ist  die  Bellinis  Stoff- 
gebiet  erweiternde  Gescbichte  von  der  Verworfenen,  deren  Heldenmut  in  Tranen,  deren  Edel- 
sinn  in  Sentimentalitat  aufgelost  erscheint;  immerhin  darf  zugegeben  werden,  dafi  die  Neuartig- 
keit  des  Kostiims  in  der  ,,Traviata",  die  zusammengefafite  Schlichtheit  und  DeutlicKkeit  der 
psychologischen  Verhaltnisse  der  Musik  neue  Ausblicke  eroffnet  haben,  wenn  auch  prinzipiell 
der  Ton  des  gleichzeitigen  ,,Troubadour"  festgehalten  wird.  Verdis  Name  war  so  sehr  zum 
politischen  Programm  geworden,  dafi  man  sich  wundern  muB,  einen  Auftrag  aus  Paris  kommen 
zu  sehen:  ,,Les  vepres  siciliennes"  (1855),  der  ihm  neben  neuen  Anhangern  auch  neue  Femde 
und  eine  stilistische  Annaherung  an  die  grofie  Oper  (Ballett  der  Jahreszeiten)  brachte.  Uber 
2  Werke  geringeren  Belanges :  ,,Simon  Boccanegra"  (Venedig  1857,  umgearbeitet  Mailand  1881) 
und  die  Verwandlung  des  ,,Stiffelio"  in  einen  ,,Aroldo"  (Rimini  1857)  gelangt  der  Meister  zu 
einem  bedeutenden  Fortschritt  in  der  dramatischen  Anlage  mit  ,,Un  ballo  in  maschera"  (Rom 
1859),  dessen  Stoff,  der  Tod  Gustavs  III.  von  Schweden,  schon  von  Auber  (1833)  war  be- 
handelt  worden;  die  Konzentration  des  Vorwurfs  kommt  der  Vertiefung  der  musikalischen 
Arbeit  zugute;  zum  ersten  Male  seit  jenem  Jugendversuche  zeigen  sich  Ansatze  zur  musi 
kalischen  Behandlung  des  Humors.  An  dem  Verhangnis  eines  unzulanghchen  Textes  scheitert 
die  Schicksalstragodie  ,,La  forza  del  destine"  (Petersburg  1862);  die  Umarbeitung  der  Jugend- 
oper  ,,Macbeth"  fiir  Paris  (1865)  blieb  ohneNachhall.  Verdi  selbst  fiihlt  die  an  die  Tradition 
der  grofien  Oper  ankniipfende,  dann  aber  wieder  —  im  Selbstgesprach  des  Konigs  —  weit 
in  die  Zukunft  weisende  Musik  zum  ,,Don  Carlos"  (Paris  1867),  einen  so  hohen  Standpunkt 
sie,  technisch  betrachtet,  einnehme,  am  Texte  verungliicken,  und  er  spricbt  dariiber:  die 
Ausdehnung  des  Buches  habe  ihn  verhindert,  grofiziigig  zu  arbeiten.  Die  nun  folgenden  Jahre 
der  Ruhe  sind  die  Sammlung  des  der  scbonsten  Altersreife  entgegengehenden  Mannes,  der 
auch  da,  wo  er  die  absolute  Musik,  das  Orchester  unter  dem  Einflusse  Wagners  in  hoherer 
Art  mitbeteiligt,  nie  auf  die  menschliche  Stimme  als  Tragerin  der  sinnlichen  Wirkung  —  und 
das  Theater  ist  nun  einmal  die  umhegte  Pflanzstatte  des  immer  wieder  gesuchten  ,,effetto"  — 
verzichtet:  gerade  das,  was  Wagners  komplizierte,  der  Pose  nicht  abholde  Natur  erstrebt  und 
verschmaht,  das  verschmaht  und  erstrebt  die  ,,sincerita"  seines  menschlichen  und  kiinstle- 
rischen  Antipoden  Verdi. 

Die  Anwendung  des  schon  im  ,,Don  Carlos"  als  Erinnerungsmotiv  auftauchenden  Leit 
motivs  macht,  geschahe  sie  auch  in  weniger  zuriickhaltender  Art  als  in  der  ,,Aida"  (1871 ,  Cairo), 
aus  dem  grofien  Opernkomponisten  keinen  Musikdramatiker;  beide  stehen  auf  zwei  selbstan- 
digen  Berggipfeln,  die  sie  auf  verschiedenen  Wegen  erklommen,  aber  sie  vermogen  jetzt,  sich 


912  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Italien 


zu  sehen  und  zu  griiBen.  Der  Text  der  ,,Aida"  geht  auf  die  franzosische  Fassung  eines  alt- 
agyptischen  Stoffes  durch  Mariette-Bey  zuriick,  der,  von  Antonio  Ghislanzoni  verstandig  be- 
arbeitet,  dem  Meister  des  ,,Nabucco"  und  der  Zigeunerszenen  im  ,,Troubadour"  Gelegenheit 
zur  Ausmalung  b'stlichen  Lokalkolorits  gibt.  Aber  auch  im  Dramatischen  soil  die  Musik 
Herrin  bleiben;  die  Verklarung  der  Nummernoper  wollte  der  Komponist:  ,,Womoglich  ab- 
gebrochene  Verse  *  (,,La  parola  scenica!")  ruft  er  dem  Dichter  zu.  Auch  der  bel  canto  kann 
zur  Wahrheit  fiihren.  Der  seelische  Zuwachs  kommt  aber  auch  dem  Orchester  zugute,  das 
darum  nicht  aufhort,  das  Verdis  zu  sein.  Dramatische  Steigerung  und  dazwischen  lyrische 
Flachenhaftigkeit  sind  die  glucklichen  Kennzeichen  des  von  Arrigo  Boito,  dem  Komponisten 
des  ,,Mefistofele",  dargebotenen  Buches  zum  ,,Othello"  (Mailand  1887).  In  den  16  Jahren, 
die  zwischen  ,,Aida"  und  ,,Othello"  liegen,  hatte  sich  derSieg  des  Musikdramas  entschieden; 
die  italienische  Oper  gait  auch  dem  jiingeren  italienischen  Musikergeschlecht  als  verloren. 
Shakespeare,  dunkel  geahnt  in  der  Macbethzeit,  wird  die  Rettung  des  Mittelmeervolkes  bringen, 
nicht  etwa  die  Nachahmung  des  germanisch-nebelhaften  Mythos.  ,,Wir  sind  auf  Klarheit  be- 
dacht  und  zum  grofien  Teil  Skeptiker"  (an  Clara  Maffei).  Der  Umstand,  da8  das  langsam 
\verdende  Werk  ,Jago"  genannt  werden  sollte,  ist  charakteristisch  far  den  Umschwung,  der 
sich  in  der  Einstellung  des  Schopfers  zum  Geschaffenen  vollzogen  hatte:  nicht  mehr  ,,amore" 
und  ,,passione",  so  bereitwillig  sie  sich  darbieten,  stehen  mehr  im  Blickpunkt:  etwas  Geistiges 
ist,  da  nun  die  Sinnlichkeit  der  Weisheit  gewichen,  an  ihre  Stelle  getreten;  das  Parlando  lost 
das  Melos  ab.  Fur  den  Spott,  der  aus  der  Kalte  flieGt,  f indet  das  Orchester  zum  ersten  Male 
Tone.  Daneben  aber  gewinnt  auch  die  Natur  als  romantischer  ,,Held*'  ihre  Stellung  wieder  in 
der  Gewltterszene,  im  Rauschen  des  den  Nachhall  von  Desdemonas  Lied  forttragenden  Windes. 
Jetzt  war  auch  der  Tragiker  in  ihm  so  grofi  geworden,  dafi  er  die  Erganzung  durch  das  Ko- 
mische  fin  den  konnte,  das  er  instinktiv  seit  langem  ersehnt  hatte.  Wieder  ist  es  Shakespeare, 
an  den  er  sich  v/endet,  Shakespeare,  der  die  Heiterkeit  der  italienischen  Trecentisten  wider- 
strahlte  und  dessen  Zug  zur  Wahrhaftigkeit  in  ihm  eine  Saite  erklingen  machte.  Wieder  ist 
Boito  der  Textdichter;  der  Dickwanst  Falstaff  ist  der  Held,  der  Stil  des  Werkes  durchaus 
auf  das  Intime  gestellt,  nicht  an  das  grofie  und  gar  an  das  italienische  Publikum  gewandt:  eine 
Kammeroper  hundert  und  einige  Jahre  nach  dem  ,,Figaro*  .  Die  Urauffuhrung  am  9.  Februar 
1893  in  dem  die  Biihne  verkleinernden  Scala-Theater  zeigt  den  Sieg  des  aus  dem  Geist  der 
Sprache  geschopften  Parlando;  so  weit  aber  abgeriickt  von  alien  Buffogepflogenheiten,  dafi 
Otto  Nicolais  ,,Lustige  Weiber"  uns  italienischer  anmuten,  als  dies  Werk  der  leichtesten 
Hand,  die  keine  Stimmverdoppelung,  zumal  keine  Unterstiitzung  der  Gesangslinie  durch 
das  Instrument  mehr  kennt  und  Kammermusik  schreibt,  vollig  unabhangig  von  der 
Sprache  Rossinis,  wie  auch  der  ,,Meistersinger"  bis  zu  dem  ,,Tutto  nel  mondo  e  burla" 
der  SchluBfuge. 

Ahnlich  wie  Wagner  in  Deutschland,  hatte  Verdi  in  Italien  Mit-  und  Widerstrebende,  deren  Wirken  — 
Boito  schreibt  lieber  einen  Text  fur  Verdi,  als  eine  eigene  Oper  —  ahnlich  wie  in  Deutschland  einigermafien 
im  Dunkel  bleibt. 

Tomaso  Benvenuti(1838— 1906,  7 Opern);  RiccardoC.  D.  D.  Gandolfi (1839— 1920, 3  Opern) ;  Franco  Faccio 
(1840-— 91,  Verdi-Dirigent,  eigenartige  Opern:  ,,I  profughi  Fiamminghi",  1863,  und  ,,Amleto",  1865,  Text  von 
A.  Boito);  Romualdo  Marenco  (1841—1907,  4  Opern,  eine  Operette,  iiber  30  Ballette);  Arrigo  Boito  (1842—1918, 
als  Dichter:  Tobia  Gorrio,  bekannt  als  Librettist  Verdis,  bringt  1868  einen  ,,Mefistofele"  heraus,  der  spater  als 
originelles  Werk  anerkannt  wird;  2  Opern  sind  noch  unauf gefuhrt :  ,,Neroneu  und  ,,0restiade") ;  Costantino  dall'Ar- 
gine  (1842—77,  Ballette  und  Opern);  Nicola  d'Arienzo  (geb.  1842,  10  Opern,  zum  Teile  komisch);  Amintore 


Abb.  84.    Giuseppe  Verdi,  Falstaff.  Autograph.    Aus  dem  Finale  des  zweiten  Akts. 
Original  im  Besitze  der  Firma  G.  Ricordi  &  Co.   in  Mailand. 


914  Die  OF**  'lm  19.Jahrhundert:  Italian 


Galli  (1845—1919,  2  Opern);  Salvatore  Auteri-Manzocchi  (geb.  1845,  6  Opern);  Guglielmo  Branca  (geb.  1849, 
3  Opern);  Antonio  Scontrino  (geb.  1850,  5  Opern,  Musik  zu  G.  d'Annunzios  ,,Francesca  da  Rimini");  Eugenic 
Pirani  (geb.  1852,  ein  Ballett:  ,,Des  Kiinstlers  Traum";  Oper:  ,,Das  Hexenlied",  Prag  1902);  Gaetano  Coronaro 
(1852—1908,  3  Opern);  Alfonso  Rendano  (geb.  1853,  Oper:  ,,Consuelo",  1902,  auch  in  Deutschland) ;  Antonio 
Smareglia  (geb.  1854,  von  Wagner  beeinfluSte  Opern:  ,,Preziosa",  1879,  ,,Bianca  da  Cervia",  1882,  ,,Re  Nala", 
1887,  ,,Der  Vasall  von  Szigeth",  Wien  1889,  ,,Comelius  Schutt",  Prag  1893,  ,,Nofte  istriane",  1895,  ,,La  Falena", 
1897,  ,,0ceana",  1903,  ,,Labisso",  1914);  Michael  Esposito  (geb.  1855,  eine  Oper  und  eineOperette  fur  England, 
2  Opern  fur  RuBland);  Alberto  Franchetti  (geb.  1860,  in  Deutschland  gebildet,  sieben  zum  Teil  auch  in  Deutsch 
land  gegebene  Opern);  Emilio  Pizzi  (geb.  1862,  8  Opem);  Crescenzo  Buongiorno  (1864 — 1903,  eine  italienische 
Oper:  ,,£telka",  1887,  darauf  12  Operetten  und  dann  3  deutsche  Opern:  ,,Das  Erntefest",  1896,  ,,Das  Madchenherz", 
1901,  ,,Michel  Angelound  Rollo",  1903);  Ferruccio  B.  Busoni  (1866—1924  lebte  in  Deutschland,  Opern:  ,,Sigune 
oder  das  versunkene  Dorf",  1888:  ,,Die  BrautwahT,  1912,  ,,Turandot",  ,,Arlecchino",  1918  und  ,,Der  Doktor 
Faust",  voUendet  von  Ph.  Jarnach,  1925). 

Aus  Italian  kommen  auch  die  praktisch-kiinstlerischen  Ergebnisse  einer  die  letzten  Jahre 
des  19.  Jahrhunderts  aUgemein  charakterisierenden  Weltanschauung,  die  in  tiefem  MiBtrauen 
gegen  den  Menschen  eine  technische  Bewertung  derDinge  propagiert.  Die  daraus  entflieBende 
Leugnung  der  Notwendigkeit  einer  das  Geschehen  zusammenfassenden  Stilisierung  for  das 
Kunstwerk  ergreift  auch  den  nach  der  Zuschauerseite  offenen,  kiinstlich  beleuchteten,  durch 
das  Orchester  vom  Parkett  getrennten  Schauplatz  der  Opernbiihne.  So  wohltatig  der  Naturalis- 
mus  auch  auf  gewisse  Verwaschungen  des  Idealismus  gewirkt  hat,  wahr  —  und  wahr  zu 
sein  war  das  Ziel  —  ist  seine  Kunst  eben  nur  in  einem  niederen  und  elementaren  Sinne. 
Die  grofie,  noch  Goethe  eigene  Fahigkeit,  aus  der  Tagseite  des  Lebens  Darstellenswertes  zu 
finden,  war  unterdem  Eindruck  einer  aufkommenden  pessimistischen  Grundstimmung  dem 
bequemeren  Verfahren  gewichen,  Ausschnitte  aus  der  Nachtseite  des  Daseins  zu  verabreichen* 
Die  Programmusik  mit  ihrer  Verfiihrung  zur  Kleinmalerei  der  aufiermusikalischen  Anreizer 
die  musikalische  Unterstreichung  der  Gebarde  durch  Wagner  hatten  die  der  Losung  der  neuen 
Probleme  dienlichen  Mittel  bereitgestellt;  aber  Deutschland  war  stofflich  zu  sehr  an  Wagner 
gekettet.  Von  der  Dichtung,  oder  richtiger  vom  Text  aus  kam  auch  diesmal  der  neue  Musik- 
und  Kunststil.  Vielleicht  ist  schon  Mussorgskis  ,,Boris  Godounow"  (1874),  in  gewissem  Sinne 
schon  Verdis  ,,Traviata"  (1853)  als  Vorlaufer  der  heftigen  Bewegung  anzusprechen,  mit  der 
Italien,  der  historischen  und  heroischen  Tone  satt,  im  Jahre  1890  losbrach,  als  der  junge  Pietro 
Mascagni  (geb.  1863)  in  dem  vonRicordi  veranstalteten  Wettbewerb  um  eine  einaktige  Oper 
mit  der  ,,Cavalleria  rusticana"  den  Sieg,  der  zugleich  ein  Weltsieg  war,  errang.  Die  Probleme 
des  Kampfs  um  das  Dasein,  die  Turridu  auszufechten  hat,  vergleiche  man  mit  denen  des 
gleichen  Kampfes,  die  in  dem  etwas  iiber  100  Jahre  friiher  liegenden  Goetheschen  Stuck  ,,Die 
Geschwister"  (1 776)  gelost  wurden,  und  ermesse  den  Riickgang.  der  kunstlerischen  Gesinnung,. 
den  der  ,,Verismo"  bedeutet.  Ricordis  Rivale  Sonzogno  hatte  das  Gliick,  zwei  Jahre  nach  der 
,,Cavalleria"  mit  Ruggiero  Leoncavallos(1858 — 1919)  zweiaktiger  Oper  ,,I  Pagliacci"  (Text 
vom  Komponisten)  einen  durch  fast  ebenso  billige  Mittel  erreichten,  aber  ebenso  nachhaltigen 
Publikumserfolg  zu  erringen.  Die  auffallende  Duplizitat  dieser  Erfolge  hat  die  unerwiinschte 
Nebenerscheinung,  daB  beide  Komponisten  mit  ihren  andern  Werken  nicht  durchzudringen 
vermochten,  Mascagni  noch  weniger  als  Leoncavallo.  Mascagni  schrieb  nach  seinem  Erfolge 
noch  die  Opern:  ,,Uamico  Fritz"  (1891),  ,,DieRantzau"  (1892),  ,,RatclifT  (1894),  ,,Zanetto'\ 
,,Silvano",  2  Einakter  (1895),  ,,Iris"  (1898),  ,,Lemaschere '  (1901),  ,,Amica4  (1905),  ,,Isabeau  * 
(1912),  ,,Parisina4t  (1913),  tfLodoletta"(1917)  und  eine  Operette  ,,Si"  (1919).  Leoncavallo  hatte 
mit  einer  tragischen  Oper  ,,Chatterton"  (erst  1896  aufgefiihrt)  Ungliick,  versuchte  sich  dann  an 


Die  Oper  im  1 9.  Jahrhundert :  Itallen  915 


einer  Trilogie  ,,Crepusculum",  deren  1.  Teil  ,,I  Medici"  vollendet  wurde  (aufgefahrt  1893). 
Inzwischen  hatte  der  Komponist  den  bekannten  Erfolg  und  fuhr  mit  ,,La  Boheme"  (1897) 
und  mit  ,,Zaza"  (1900)  in  dem  gleichen  Genre  fort;  der  ,,RoIand  von  Berlin"  (1904)  ent- 
tauschte,  wie  die  folgenden  nun  nicht  mehr  von  ihm  selbst  gedichteten  Werke:  ,,Maja"  (1910), 
,,I  Zingari"  (1912),  ,,Ave  Maria,  Mameli"  (1916)  und  die  Operetten:  ,,Malbruk"  (1910), 
,,La  reginella  delle  rose"  (1912),  ,,Are  you  there"  (1913),  „ La  candidate"  (1915),  ,,Prestami 
tua  moglie"  (1916)  und  ,,A  chi  la  Giarettiera"  (1919). 

Der  Vertreter  eines  neuen,  von  Frankreich  und  sonderlich  von  dem  Zolakomponisten 
A.  Bruneau  beeinfluBten  Verismus  hatte  Leoncavallo  und  seiner  ,,Boheme"  das  Wasser  ab~ 
gegraben:  Giacomo  Puccini  (1858— 1924)  hatte  ein  Jahr  vorher(  1896)  den  gleichen,  iiber  und 
iiber  in  Sentimentalitat  getauchten  Stoff  auf  eine  halb  weltmannische,  aber  iiberall  ansprechende 
Art  behandelt,  nachdem  er  sich  von  einem  die  natiirlichen  Zusammenhange  wahrenden  Werk 
,,Le  Villi"  (1884)  iiber  ,,Edgar"  (1889)  zur  halbveristischen,  in  der  Erfindung  hochstehenden 
,,Manon  Lescaut"  (1893)  durchgerungen  hatte.  Das  Fehlen  einer  rein  pessimistischen  An- 
schauung  holt  Puccini  mit  seiner  blutriinstigen  ,,Tosca"  (1 900)  reichlich  wieder  auf.  Die  Abkehr 
vom  Verismo  erleichtert  sich  Puccini,  der  im  Innern  dem  franzosischen  Sentiment  naher  steht, 
als  der  italienischenVJ  tali  tat,  der  aber  auch  far  eine  Weltkundschaft  zu  sorgen  hatte,  durch  die 
Einkleidung  moderner  Menschen  in  auslandische  Kostiime;  da  die  der  Tiirken  und  Agypter 
abgetragen  sind,  wendet  er  sich  mit  ,,Madama  Butterfly"  (1904)  an  den  fernen  Osten,  mit  ,,La 
fanciulla  del  West"  (1913)  an  den  fernen  Westen.  ,,La  rondine"  (1917)  neigt,  wie  das  ganze 
Genre  trotz  gelegentlich  sich  breit  machender  Brutalitat,  zur  Operette.  Die  Riickkehr  zum 
Verismo  in  dem  Einakter  ,,11  Tabarro",  zur  Manon  in  ,,Suor  Angelica"  wird  abgelost  durch 
einen  derben  Spafi  aus  der  Boccacciozeit :  ,,Gianni  Schicchi"  (alle  drei  1920).  Die  Anbe- 
quemung  des  Puccinischen  Werks  an  den  Alltagsbetrieb  der  Opernhauser  und  an  ein  inter- 
nationales  Durchschnittspublikum  erklart  seinen  Erfolg  zu  einer  Zeit,  da  der  Schiller- Wag- 
nersche  Gedanke  von  einer  Biihne  als  moralischer  Anstalt  immerhin  noch  nicht  verflogen  war. 

Zum  alten  Verismo  ist  der  Deutsch-Italiener  Ermanno  Wolf -Ferrari  (geb.  1876),  der 
Komponist  vieler  reizender  Musiklustspiele,  in  seiner  Oper:  ,,Der  Schmuck  der  Madonna" 
(1 908)  iibergegangen,  ohne  von  der  Eignung  seiner  feinen  Natur  fur  diese  Ausdrucksweise  zu 
iiberzeugen.  Vor  diesem  Werk  liegt  ein  biblisches  Stiick  ,,La  Sulamita"  (1898),  liegen  die 
Opern  ,,Cenerentola"  (1900),  ,,Le  donne  curiose"  (1903),  ,,Die  vier  Grobiane"  (1906);  es 
folgen  ihm:  ,,Susannens  Geheimnis"  (1909),  ,,Der  Liebhaber  als  Arzt"  (1913),  ,,Gliamanti 

sposi"  (1925)  und  ,51y"  (1927). 

1  * 

Von  spanischen  und  portugiesischen  Opernkomponisten  und  Verfassern  von  Zar- 
zuelas  (Singspielen  mit  Dialog)  im  19.  Jahrhundert  sind  zu  nennen:  Don  M.  Hilarion  Eslava 
(1807—78,  3  Opern);  Joaquim  Casimiro  (da  Silva,  1808-— 62,  Operetten,  Zauberpossen, 
Inzidenzmusiken) ;  Carlo  Emanuele  di  Barbieri  (1822 — 67,  Opern,  darunter:  ,,Perdita,  ein 
Wintermarchen",  1865;  Ballette;  Possen);  Emilio  Serrao  (geb.  1850,  2  Opern  far  Madrid: 
„ Irene  d'Otranto",  1891,  ,,Gonzola  del  Cordoba",  1898);TomasBreton  (y  Hernandez,  geb. 
1850, 40pern;  3  Zarzuelas);  RupertoChapi (y Lorente,  1851— 1909, 6 Opern;  155  Zarzuelas); 
Don  Isaac  Albeniz  (1860 — 1909,  mit  bedeutendem  Einflufi  auf  den  franzosischen  Impressio- 
nismus  Debussys,  5  Opern,  darunter  die  Trilogie  ,,King  Arthur",  1897 — 1906;  Zarzuelas); 


ie  Oper  im  19.  JaHrKundert:  Norwegen 


Francesco  Cilea  (get.  1866,  5  italienische  Opern);  Joan  Manen  (geb.  1883,  Opem:  f>Gio- 
vannadi  Napoli",  1903;  ,,Acte",  1903,  auch  in  Deutschland;  ,,Der  Fackeltanz",  1909). 

Spiro  Samara  (1861—1917,  Opern  fur  Paris,  Italien  und  Athen,  darunter  ,,Flora  mirabilis", 
1886)  ist  griechischer  Abkunft. 

Literatur 

Blessinger,  Karl:  Giuseppe  Verdi;  Der  Verismo.  Meister  der  Oper,  hrsg.  vom  Biihnenvolksbund  in  Frankfurt 
a.  M.  o.  J.  (1921),  —  Radiciotti,  Giuseppe:  Teatro  e  musica  inRomanel  secondo  quarto  del  secolo  XIX  (1  825  —  50). 
Atti  del  congresso  intemazionale  di  scienze  storiche.  Vol.  VIII,  157.  Roma  1905.  —  Schiedermair,  Ludwig: 
Beitrage  zur  Geschichte  der  Oper  um  die  Wende  des  18.  und  19.  Jahrhunderts.  I.  Simon  Mayr.  Leipzig  1907. 
II.  Simon  Mayr  (II.  Teil).  Leipzig  1910.  —  Soubies,  Albert:  Le  theatre  italien  de  1801  a  1913.  Paris  1913. 
—  Weifimann,  Adolf:  Verdi.  Stuttgart-Berlin  1922.  —  Derselbe,  Giacomo  Puccini.  Miinchen  1921.  — 
Werner,  Th.  W.:  Die  Musikhandschriften  des  Kesmerschen  Nachlasses  im  StadtarcKiv  zu  Hannover. 
Hannoversche  GescKichtsblatter  Jahrg.  1919,  S.241. 

Norwegen 

Ole  Bulls,  des  beriihmten  Geigers,  Traum  vom  norwegischen  Nationaltheater  findet  seine 
reale  Berechtigung  in  der  durch  einen  im  Vergleich  zu  Danemark  und  Schweden  festen  Ab- 
schlufi  vor  fremder  Beriihrung  bewahrten  Eigenart  der  Kultur  und  Gesinnung  des  Volkes. 
Wenn  diesem  Traum  eine  Erfiillung  nicht  wurde,  so  liegt  der  Grund  wohl  nicht  in  der  Be- 
gabung  der  Rasse,  die  ja  literarische  dramatische  Talente  in  groBerer  Zahl  hervorgebracht  hat, 
sondern  in  dem  zufallig  zu  nennenden  Fehlen  einer  Musikererscheinung,  deren  Neigung  und 
Befahigung  dem  Theater  gegolten  hatte.  Auch  mogen  die  Eigenheiten  der  Organisation  der 
Musikpflege  mitsprechen.  Norwegens  erste  Oper:  M.  A.  Udbyes  (1820  —  89)  ,,Fredkulla" 
ist  jedenfalls  nie  zur  Auffuhrung  gekommen.  Das  gleiche  Schicksal  trifft  die  Opern  ,,Stig 
Hvide",  ,,Stallo"  und  das  Singspiel  ,,Svein  Urad"  des  der  Moderne  geneigten  Ole  01  sen 
(geb.  1850),  dessen  ,,Lejla"  erst  1908  in  Christiania  hervorgezogen  wird.  Eine  dem  Stoff 
nach  nationale  Oper  ,,Fra  gamle  Dage"  schrieb  Joh.  Haarklou  (geb.  1  847),  der  er  ,,Vaerringare 
i  Myklagaard"  folgen  lieB.  Catharinus  Elling  (geb.  1858)  tritt  mit  einer  Oper  ,,Kosakkern" 
hervor.  Die  starkste  Begabung  spricht  sich  bisher  in  Gerhard  Schjelderup  (geb.  1859)  aus; 
der  in  Gegensatz  zu  den  meist  in  Deutschland  gebildeten  norwegischen  Komponisten  aus 
franzosischer  Schule  hervorgehende,  in  Deutschland  ansassige  Meister  wurde  durch  die  Musik- 
dramen  ,  Jenseits  Sonne  und  Mond",  ,,Ein  Volk  in  Not",  ,,Die  scharlachrote  Blume",  ,,Nor- 
wegische  Hochzeit"  (1900  in  Prag),  ,,Friihlingsnacht"  (1908  in  Dresden),  ,,Sturmvoger* 
(1916),  ,,Bruder-ovet*'  (,,Brautraub"  1919),  sowie  durch  ein  Weihnachtsspiel,  ein  drama- 
tisches  Marchen  ,,Sampo"  und  ein  Tanzmarchen  ,,Wunderhorn"  bekannt.  Die  Zuwendung 
zur  musikalischen  Behandlung  von  literarischen  Dramen  ist  fur  die  norwegischen  Musiker  zu 
stark,  als  dafi  sie  iibersehen  werden  diirfte:  so  schreibt  Wald.  Thrane  (1790  —  1828)  eine 
Biihnenmusik  zu  Bjerregaards  ,,Fjaeldaeventyret"  (,,Bergabenteuer",  1824),  J.  G.  Conradi 
(  1  820  —  96)  eine  solche  zu  Monsens  ,  ,Gudbrandsdolerne'  '  ,  Fr  .  Aug.  Reissiger(1  809  —  83)  zu 
,,Til  Saeters"  und  andern  norwegischen  Texten,  Rich.  Nordraak  (1842  —  66)  zuBjornsons 
,,Maria  Stuart"  und  ,,Sigurd  Slembe",  Edvard  Grieg  (1843—1907)  zu  Ibsens  ,,Peer  Gynt", 
Elling  zu  Ibsens  ,,Kaiser  und  Galilaer**  und  zu  Shakespeares  ,,Sommernachtstraum<4,  Olsen 
zuWeilens  ,,ErikXIV."  und  zu  Rolfsans  ,,SvaemUraed",  IverHolter  (geb.  1850)  zuGoethes 
,  ,Gotz"  ,  und  Schjelderupzu  Gjellerups  ,,0pf  erfeuer"  und  zu  Borngrabers  ,,0ber  Attilas  Grab"  . 


Die  Oper  im  19.  JaKrhundert:  Schweden  917 

Schweden 

Die  Musikgeschichte  Schwedens  verzeichnet  als  charakteristische  Eigenheit  des  17.  und 
18.  Jahrhunderts  einen  bunten  Wechsel  von  Beeinflussungen  durch  die  Kunst  aller  Kultur- 
lander:  D  lib  en  stammt  aus  Deutschland,  Roman  ist  Schiiler  Pepuschs  und  Handels,  die 
Opera  seria  eines  Uttini  mit  franzb'sischer  Prachtentfaltung  und  italienischer  Musik  wird  von 
Naumann  fortgesetzt (,,Gustav Vasa",  1786),  das  deutsche  Singspiel  und  die  Opera  comique 
wandern  ein.  Des  dritten  Gustav  1773  gegriindetes  Opernhaus  in  Stockholm  wird  1806  in 
ein  Hospital  verwandelt,  aber  3  Jahre  spater  seiner  Bestimmung  wieder  zugefuhrt;  die  An- 
satze  zu  einer  national-schwedischen  Oper  unter  K.  Stenborg  (,,Gustav  Adolfs  jakt",  1777 
und  ,,Gustav  Eriksson  in  Dale-Karlien" ,  1787)  entwickeln  sicli  in  dem  1772  gegriindeten 
schwedischen  Volkstheater,  dem  sich  1788  die  vom  Ausland  lebende  schwedische  komische 
Oper  anschliefit. 

Die  Neigung  des  Volkes  zum  begleiteten  und  unbegleiteten  Liedgesang  verschuldet  in  der 
ersten  Halfte  des  1 9.  Jahrhunderts  neben  dem  Beiseitelassen  der  Instrumentalmusik  eine  von 
Deutschland,  Frankreich  und  Italien  ausgehende  Fremdherrschaft  in  der  Oper.  Mozart  er- 
scheint  1812  mit  der  ,,Zauberflote",  1813  mit  ,,Don  Giovanni"  und  1814  mit  der  ,,Entfiihrung" 
in  Stockholm.  Von  Mehul  und  Rossini  abhangig  zeigt  sich  das  1806  zuerst  erscheinende,  noch 
heute  beliebte  Singspiel  ,,Ungdom  og  Galskab"  des  aus  Fxankreich  stammenden  Geigers  und 
Sangers  J.  B.  Ed.  Dupuy  (1771 — 1822);  italienische  Beeinflussungen  nachhaltiger  Art  bringt 
der  gegen  die  Mitte  des  Jahrhunderts  plotzlich  in  Stockholm  auftauchende  Veroneser  Jac. 
Foroni  (1825 — 58)  mit,  der  nach  einer  in  Mailand  aufgefiihrten  Oper  (,,Margherita",  1847) 
bis  1850  die  Werke  ,,Cristina  di  Suezia",  ,,I  gladiatori"  und  ,,Advokaten  Pathelin"  heraus- 
brachte.  Diesen  fremden  Tonen  gegeniiber  vermag  der  heimatliche  Klang,  den  A.  Ran  del 
(1806 — 64)  in  seiner  Biihnenmusik  ,,Varmlandingarne"  anschlagt,  nicht  durchzudringen. 
J.  N.Ahl strom  (1805—57)  tritt  mit  den  Opern  ,,Ringaren  i  Notre  Dame",  ,,Alfred  der 
GroBe",  ,,Abu  Hassan",  A.  Lindblad  (1801 — 78)  mit  dem  romantischen  Werk  ,,Frondorerna" 
(1835,  zur  Einweihung  des  neuen  Opernhauses  in  Stockholm  1898  wieder  aufgenommen), 
S.  Sal o  man  (1816 — 99)  mit  einer  grofieren  Anzahl  von  Opern  hervor,  von  denen  nur  ein  Teil: 
,,Tordensk}eld"  (1844),  ,,Die  Herzensprobe"  (1846),  ,,Das  Diamantkreuz"  (1847,umgearbeitet 
1886),  ,,Der  Fliichtling  vonEstrella"  (1867)  in  Skandinavien  zu  Gehor  kam;  ,,Das  Korps  der 
Rache"  erschien  (1850)  in  Weimar,  ,,Der  verliebte  Teufel"  (1867)  in  Moskau;  im  Jahre 
1868  folgte  ,,Die  Rose  der  Karpathen". 

Neben  den  in  der  zweiten  Halfte  des  Jahrhunderts  sich  behauptenden  auslandischen  Kom- 
ponisten  —  es  sind  die  gleichen  Namen,  die  das  deutsche  Repertoire  farben  —  machen  sich 
Erneuerungsversuche  der  Stenborgschen  Bestrebungen,  zu  einer  nach  Form  und  Inhalt  schwe 
dischen  Oper  zu  gelangen,  wieder  bemerkbar.  Ivar  Hallstrom  (1826 — 1901),  immerhin  noch 
an  Meyerbeer  und  an  die  Opera  comique  angelehnt,  iiberbietet  sein  erstes  Werk  ,,Herzog 
Magnus"  (1867)  durch  die  auch  in  Deutschland  aufgefiihrte  Oper  ,,Den  Bergtagna"  (,,Der 
Bergkonig",  1874)  und  Isfit  ,,Die  Gnomenbraut"  (1875),  die  ,,Wikingerfahrt"  (1877),  ,Ja- 
guarita"  (1884),  ,,Nyaga"  (1885),  ,,Per  Swinaherda"  (1887),  ,,Granadas  Tochter"  (1892),  ,,Li- 
ten  Karin"  (1897)  folgen;  die  Operette  und  das  Marchenspiel  bedenkt  er  mit  ,,Den  fortrollade 
Katten"  (1869),  ,,Mjolnarvargen"  (1871),  ,,Silverringen"  (1880),  ,,Aristoteles"  (1886),  ,,Hin 
ondes  snaror"  (1900),  das  Ballett  mit  ,,In  London"  (1871),  ,,Das  Abenteuer  in  Schottland" 


Die  Oper  im  19.  Jatrhundert:  Schweden,  England 


(1875),  ,,Melusina"  (1882);  erne  Musik  zu  Hedbergs  Schauspiel  ,,Stolts  Elisif"  ist  vom  Jahre 
1870.  Die  in  der  glelchzeitig  aufbliihenden  selbstandigen  Instrumentalmusik  sich  notwendig 
machende  syrnphonische  Bindung  kommt  fortan  auch  dem  Schaffen  fiir  das  Theater  zugute, 
zunachst  in  Alb.  Rubensons  (1826—1901)  Schauspielmusiken  zu  Hostrups  ,,En  Nat  mellem 
Fjeldene"  (1858)  und  zu  Bjornsons  ,,Halte  Hulda"  (1865)  und  in  denen  Job.  Aug.  Soder  mans 
(1832—76)  zu  ,,Die  Hochzeit  in  Ulfasa"  (1865,  daraus  der  aucb  auf  dem  Kontinent  bekannt 
gewordene  ,,Br6llopsmarsch"  fiir  4  Frauenstimmen),  zu  Schillers  ,,Fiesco"  und  ,  Jungfrau  von 
Orleans'4,  zu  Shakespeares  ,,Richard  III."  Eine  vermittelnde  Stellung  zwischen  Sodermans 
alteren  Opern  ,,Urdur"  (1852),  ,,Regina  von  Emmeritz"  (1853),  ,,Hin  ondes  larospan"  (1856) 
und  der  Neuzeit  nimmt  Richard  Henneberg  (geb.  1853)  mit  der  komischen  Oper  ,,Drott- 
ningens  Vollfart"  (1882)  ein;  auch  er  schreibt  Biihnenmusiken  zu  Shakespeareschen  Stucken, 
zu  Ibsens  4,Brand",  zu  ,,Lycko-Pers  resa",  zu  ,,Erik  XIV.",  zu  ,,Diamantbrollopet"  und  das 
Ballett  ,,Undina".  Dem  Singspiel  wenden  sich  hier  und  da  noch  Interessen  zu,  ohne  eine 
neue  Bliite  heraufzufiihren. 

Im  letzten  Viertel  des  Jahrhunderts  erfahrt  auch  Schweden,  nicht  zuletzt  durch  die  propa- 
gatorische  Wirksamkeit  des  Deutschen  Henneberg,  die  unentrinnbare  Macht  des  Wagnerschen 
Genius,  ohne  daB  deshalb  die  Betonung  des  Volkischen  schwacher  zu  werden  brauchte,  ob- 
wohl  die  nordische  Welt  Wagners  den  klaren  und  heiteren  Geist  der  jetzt  das  Ubergewicht 
gewinnenden  Nordschweden  nicht  so  widerspiegelt,  dafi  man  an  das  Walten  innerer  Ver- 
wandtschaft  zu  glauben  hatte.  Andreas  Hallen  (geb.  1846),  obwohl  von  Reinecke,  Rhein- 
berger  und  Rietz  geschult,  steht,  von  Natur  kraftig,  wuchtig  und  auch  leidenschaftlich,  zweifel- 
los  im  Deklamatorischen  und  in  der  Instrumentation  unter  Wagners  Bann,  aus  dem  er  sich 
allerdings  gelegentlich,  und  je  spater,  je  sicherer,  mit  dem  Zuriickgreifen  auf  urwiichsiges  Gut 
in  Lied-  und  Tanzformen  (und  kein  Volk  der  Welt  hat  so  schone  Tanze  wie  die  Schweden) 
zu  befreien  versteht.  Mit  den  Opern  ,,Harald  der  Wiking"  (Text  von  H.  Herrig,  1881  Leipzig, 
1884  Stockholm),  ,,Hexfallan"  (1896  Stockholm,  umgearbeitet  als  ,,Walborgsmassa  ',  1902), 
,,Der  Schatz  des  Waldemar"  (1897  Stockholm,  1913  Stuttgart)  trifft  er  den  melodiosen  Stil 
Wagners.  In  der  Behandlung  der  Orchesterpolyphonie  ist  ihm  der  weniger  plastisch  gestaltende 
Wilh.  Stenhammar  (geb.  1871),  dessen  Opern  ,,Tirfing"  (1898)  und  ,,Hochzeit  auf  Solhaug" 
(1899)  auch  in  Deutschland  erschienen,  erheblich  iiberlegen.  Die  Synthese  zwischen  Wagner 
•  und  dem  Geist  des  schwedischen  Volkes  versucht  auch  Wilhelm  Peterson-Berger  (geb. 
1867)  in  dem  Festspiel  ,,Sveagaldrar"  (1897),  in  dem  Marchenspiel  ,,Das  Gluck"  (1902)  und 
in  den  Musikdramen  ,,Ran"  (1903)  und  ,,Arnljot"  (1910).  Namentlich  aufgefuhrt  seien  noch: 
Bror  Beckman  (geb.  1866,  Musik  zu  ,,En  lyckoriddare'*),  P.  Noderman  (geb.  1867,  ,,Konig 
Magnus"),  Gosta  Geijer  (geb.  1857,  dramatische  Szene  ,,Eine  Klostersage")  und  die  Kom- 
ponistin  H.  Munktell  (geb.  1852)  mit  der  einaktigen  Oper  ,,Firenze"  von  1889. 

England 

Eine  selbstandige  Entwicklung  der  Opernkomposition  wird  in  England  (und  in  Amerika)  durch 
das  1  9.  Jahrhundert  hindurch  nicht  festzustellen  sein.  Folgende  englische  Kpmponisten 
haben  sich  der  Oper  zugewandt:  Charles  Edw.  Horn  (1786  —  1849,  26  Singspiele,  eine 
Oper:  ,,The  maid  of  Saxony",  1842);  John  Barnett  (1802  —  90,  wie  der  vorige.  von 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  England  919 

deutscher  Abkunft,  Verfasser  vieler  Biihnenmusiken,  erfolgreiche  romantische  Opern:  ,,Die 
Bergnymphe",  1834,  ,,Schon  Rosamund",  1837,  und  ,,Farinelli",  1838);  John  Lodge 
Ellerton  (1807—73,  7  italienische,  2  deutsche,  2  englische  Opern);  Mich.  William 
Balfe  (1808—70,  zahlreiche  Opern,  danmter:  ,,The  siege  of  Rochelle",  ,,Das  Madchen 
von  Artois",  ,,Catharina  Grey",  , Jeanne  d'Arc",  ,,Falstaff",  ,,Keolanthe",  ,,The  bohemian 
girl",  1843,  ,,Das  Madchen  vom  Markusplatz",  1844,  ,,Die  Zauberin"  1845,  fur  London  und 
,,Lepuitsd*amour",  ,,Die  vier  Haimonskinder",  ,,Der  Stern  vonSevilla"  fiir Paris;  derLeich- 
tigkeit  der  Konzeption  steht  die  Unfahigkeit  zur  Sammlung  entgegen);  John  Liptrot  Hatton 
(1809  bis  1886,  Operette:  ,,Die  Konigin  der  Themse",  1844;  Opern:  ,,Pascal  Bruno",  1844  in 
Wien,  ,JRose",  auch:  >,Love's  ransom",  1864,  und  ,,Hezekiah",  biblisches  Drama,  1877;  viele 
Buhnenmusiken  zu  Shakespeare  und  Byron);  William  H.  Holmes  (1812— 55,  eine  Oper); 
Edward  J.  Loder  (1813—65,  Opern:  ,,Nourjahed",  1834,  ,,Dice  of  death",  1835,  ,,Raymond 
and  Agnes** ,  ,,The  night  dancers" ;  Singspiel :  ,,Puck" ;  Maskenspiel :  ,,The  island  of  Calypso"  ; 
ferner  eine  Neubearbeitung  der  Beggars-opera);  der  Ire  W.  Vincent  Wallace  (1813 — 65, 
Opern:  ,,Maritana",  1845,  ,,Mathilde  von  Ungarn",  1847,  ,,Lurline",  1860,  ,,The  amber 
witch",  1861,  ,,Love's  triumph",  1862,  ,,The  desert  flower",  1863,  ,,Estrella",  unvollendet) ; 
Henry  Hugh  (Heinrich  Hugo)  Pearson,  auch  Pierson  (Pseudonym  Edgar  Mansfeld, 
1816—73),  in  Deutschland  lebend,  schrieb  solide  deutsche  Opem :  ,,Der  Elfensieg",  1845, 
,,Leila",  1848,  ,,Contarini",  1872,  ,,Fenice",  nachgelassen  1883,  und  Buhnenmusiken:  zum 
2.  Teile  des  ,,Faust",  1854,  und  fiir  ,,Hamlet");  Thomas  German  Reed(1817— 88,  veranstaltet 
seit  1855  in  Martins  Hall  zu  London,  dann  in  der  Galery  of  Illustration  und  St.  Georgs  Hall 
theatralische  Auffiihningen  kleineren  Genres  mit  eigenen  Werken);  Henry  David  Leslie 
(1822—96,  Oper:  ,,Ida",  1865;  Operette:  ,,Romance  of  Bold  Dick  Turpin",  1857);  Francis 
Edward  Bache  (1833—58,  in  Deutschland  gebildet;  Opern:  ,,Which  is  which",  1851,  und 
,,Rubezahl",  1853,  in  Handschrift) ;  Joseph  Parry  (1841—1903,  Opern:  ,,Blodwen",  1878, 
,,Arianwen",  1890,  ff Sylvia",  1895,  ,,King  Arthur",  1897);  Arthur  S.  Sullivan  (1842-1900, 
schrieb  aufier  Operetten,  derer  schon  gedacht  wurde,  eine  aus  dem  Oratorium  ,,The  martyr 
of  Antioch"  gewonnene  Oper  1898  und  die  grofie  Oper  ,,Ivanhoe",  1891 ;  aufierdem  Ballette 
und  Buhnenmusiken  zu  Stiicken  von  Shakespeare);  Alfred  James  Caldicott  (1842—97, 
Operetten);  Alfred  Cellier  (1844—91,  franzosischer  Abkunft,  zahlreiche  Operetten);  Alex 
ander  C.  Mackenzie  (geb.  1847,  Opern:  ,,Colomba* ',  1883,  ,,The  troubadour",  1886;  Ope 
retten:  ,,His  Majesty**,  auch  ,,The  court  of  Singola",  1897,  ,,The  knights  of  the  road**,  1905, 
,,The  cricket  on  the  hearth",  1914,  ,,Phoebe");  Arthur  Goring  Thomas  (1851—92,  Opern: 
,,Esmeralda",  1883,  auch  in  Deutschland,  und  ,,Nadeshda",  1885);  Frederick  Cor  der  (der 
Ubersetzer  des  ,,Rienzi"  und  der  ,,Meistersinger",  geb.  1852,  schrieb  2  Opern:  ,,La  morte 
d'Arthur",  1878,  ,,Nordisa",  1887,  und  aufier  Schauspielmusiken  4  Operetten:  ,,Philomel", 
1880,  ,,Astorminatea-cupt<,  1880,  ,,The  Nabobs  pickle*',  1883,  ,,The  noble  savage**);  Frederic 
H.  Cowen  (geb.  1852,  4  Opern:  ,,Pauline",  1876,  ,,Thorgrim",  1890,  ,,Sigma",  1893  in  Mai- 
land,  ..Harold",  1895;  2  Operetten:  ,,Garibaldi",  1860,  ,,0ne  too  many**,  1874;  eine  Musik 
zur  ,Jungfrau  von  Orleans**);  Ethel  M.  Smyth  (geb.  1858,  Opern:  ,,Fantasio*',  Text  von  der 
Komponistin,  Weimar  1898,  ,,Der  Wald*',  einaktig,  Text  von  der  Komponistin,  Dresden  1901 , 
,,Strandrecht4*,  Leipzig  1906  u.  6.,  ,,The  wreckers*4,  London  1909);  J.  Edward  German 
(German  Edw.  Jones,  geb.  1862,  Opern:  ,,The  Esmarald  isle**,  1901  mit  Sullivan,  ,,Merry 


(J2Q  Die  Oper  im  19.  JahrKundert:  RuBland 

England",  1902, , A  princess  of  Kensington",  1903,  ,,Tom  Jones",  1907;  Operette:  ,,The  rival 
poets",  1886;  Biihnenmusiken  zu  Shakespeares  ,,Richard  III.",  ,,Heinrich  VIII.",  ,,Romeo 
und  Julie",  ,,Was  ihr  wollt",  ,,Viel  Larm  um  nichts");  Frederick  Delius  (deutscher  Abkunft, 
geb.  1863,  Musikdrama  ,,Koanga",  1904,  ,,Romeo  und  Julia  auf  dem  Dorfe",  nach  G.  Keller 
vom  Komponisten  1907  in  Berlin,  ,,Fennimore  und  Gerda"  nach  Jacobsen  1914  in  Koln,  ein 
Einakter  ,,Margot  la  rouge");  Hanish  Mac  Cunn  (geb.  1868,  Opern);  John  David  Davis 
(geb.  1869,  Oper:  f,The  Zaporognes",  als  ,,Die  Kosaken"  1903  in  Antwerpen  aufgefiihrt); 
Arthur  Hinton  (geb.  1869,  Oper  ,,Tamara",  mehrere  Operetten);  Henry  Jos.  Wood  (geb. 
1870,  komische  Opern:  ,,Zuleika",  1890,  ,,100  years  ago",  1892,  mehrere  Operetten);  Gustav 
vonHolst  (geb.  1874,  Maskenspiel:  ,,The  vision  of  Dame  Christian",  1909,  Szene  fur  Sopran : 
,,The  mystic  trumpeter",  1906,  Einakter  ,,Savitri",  dreiaktige  Oper  ,,Sita");  Donald  Francis 
Tovey  (geb.  1875,  Musik  zu  Maeterlincks  ,,Aglavaine  und  Selysette");  Harry  Farjeon  (geb. 
1878,  Operetten:  ,,Floretta",  1899,  ,,The  registry  office"  und  ,,A  gentleman  of  the  road"). 

Rufiland 

Gegen  die  Alleinherrschaft  des  Italienertums  im  russischen  Opernwesen  im  Sinne  der 
romantischen  Riickkehr  zum  Nationalen  Front  gemacht  zu  haben,  ist  das  Verdienst  Glinkas. 
Von  seinen  Vorgangern  Catterino  Cavos  (1776—1840)  und  Alexei  N.  Werstowski  (1799 
bis  1862)  kommt  allein  dieser  inBetracht,  da  Cavos  als  Italiener  die  Bewegung  nur  aufierlich 
zu  fordern  vermochte;  aber  auch  des  Russen  Begabung  war  nicht  stark  genug,  um  weiter 
reichende  AnstoBe  zu  geben,  wenngleich  von  seinen  Opern  (,,Pan  Twardowski",  1 828,  ,,Wadim 
oderzwolf  schlafende  Jungfrauen",  1832,  ,,Heimweh",  1835,  ,,Das  Tal  von  Tschurow",  1841, 
,,Das  Gewitter",  1858),  ,,Askolds  Grab",  1835,  einen  aufiergewohnlich  groBen  Erfolg  erzielte. 
Auch  Michail  J.  Glinka  (1804 — 57)  ist  nicht  von  sich  aus,  sondern  durch  seinen  Lehrer 
S.  Dehn  in  Berlin  auf  den  Gedanken  einer  russischen  Nationaloper  gekommen :  seine  Anfange 
stecken  durchaus  im  bequemsten  Italienertum.  Der  nationale  Stoff,  die  Gegensatze  polnischer 
und  russischer  Elemente  finden  in  der  Musik  seines  ersten  Versuchs:  ,,Das  Leben  fur  den 
Zaren"  (1836)  eine  russisches  Volksgut  verwertende  sichere  Auslegung,  und  so  wird  diese 
historische  Oper  Ausgangspunkt  der  russischen  Kunstmusik  iiberhaupt;  dieEigenart  des  rus 
sischen  Melos  bedingt  eine  harmonische  und  kontrapunktische  Behandlung,  die  sogleich  als 
echt  und  notwendig  erkannt  wurde.  Den  Dank  fur  die  entscheidende  Anregung  stattet  Glinka 
in  seinem  zweiten  Werk  ,,Russlan  und  Ludmilla"  (1842,  nach  Puschkin)  ab,  indem  er  als  neue 
Farbung  das  Romantische  in  die  nationale  Musik  einfiihrt,  und  damit  den  Grundstein  der 
russischen  Instrumentierungskunst  legt. 

In  volliger  Verkennung  der  Bedeutung  von  Glinkas  Tat,  aber  doch  im  Gegensatz  zum 
Italienertum  wendet  sich  Alexander  S.  Dargomyshky  (1813 — 69)  mit  der  auf  Viktor  Hugos 
Roman  ,,Notre  Dame  de  Paris"  beruhenden  Oper  ,,Esmeralda"  (1839,  aufgefiihrt  1847)  der 
franzosischen  Kunst  (Halevy,  Auber,  Meyerbeer)  zu,  in  deren  Sinne  eine  ,,Lucretia  Borgia" 
—  ,,Der  Triumph  des  Bacchus"  gelangte  nicht  an  die  Offentlichkeit  —  folgen  sollte,  bis  der 
Dichter  Shukowski  davon  abriet.  In  plotzlicher  Sinneswandlung,  gestarkt  auch  durch  kom- 
positionstechnische  Studien,  geht  der  Komponist  an  sein  drittes  Werk:  ,,Russalka"  (,,Die 
Nixe"  nach  Puschkin,  1855),  in  dem  er  sich  der  gallischen  Neigungen  entauBert  und  sich  dem 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  RuBland  921 

Stile  Glinkas  (,,Das  Leben  far  den  Zaren"),  aber  auch  in  der  Behandlung  des  Rezitativs  dem 
Wagners  nahert.  Nach  einem  liegenbleibenden  Entwurf  (,,Rogdana")  ergreift  er  den  Don 
Juan-Stoff  mit  der  Rezitativoper  ,,Der  steinerne  Cast**  (instrumentiert  von  Rimsky-Korssa- 
kow,  mit  einem  Nachspiel  von  Cui  1872  aufgefiihrt,  Dichtung  von  Puschkin),  in  der  jede 
musikalische  Form  zugunsten  der  „  Wahrheit",  d.  h.  einer  zu  dem  durchsichtig  und  fein  in 
symphomschem  Stil  musizierenden  Orchester  einhergehenden  ewigen  Rezitationsmelodie  auf- 
gegeben  wird.  Mit  diesem  an  sich  vielleicht  nicht  lebensfahigen  Werk  wird  Dargornyshky 
Begriinder  der  neuen  russischen  Schule.  Was  er  wollte,  hat  er  unzweideutig  in  einern  Brief 
an  L.  A.  Karmalina  vom  Jahre  1857  (mitgeteilt  von  Riesemann)  ausgesprochen :  ,,Nur  eine 
routinierte  Anschauung  sucht  in  der  Oper  Melodien,  die  dem  Ohre  schmeicheln.  Ich  jage 
ihnen  nicht  nach.  Ich  bin  nicht  gesonnen,  die  Musik  zum  bloBen  Vergniigen  herabzuwiirdigen. 
Ich  will,  dafi  der  Ton  nar  dem  Worte  Ausdruck  verleiht.  Ich  will  die  Wahrheit."  Auch 
Verdi,  sein  Zeitgenosse,  will  die  Wahrheit. 

Das  Haupt  der  neuen  russischen  Schule  —  die  Namen  Schumanns,  Berlioz*  und  Liszts 
werden  mehr  als  der  Wagners  genannt  —  war  Mili  Balakirew,  der,  ohne  selbst  em  Opernwerk 
zu  schaffen,  seine  Freunde  im  Sinne  des  ,,Steinernen  Castes",  also  der  Negierung  aller  be- 
stehenden  Formen,  der  ,,Routine",  wie  man  es  nannte,  befruchtete. 

Modeste  P.  Mussorgski  (1835—81)  war  schliefilich  der  konsequenteste  Vertreter  der 
,,Novatoren".  Charakteristisch  ist,  dafi  er  nach  einigen  unvollendeten  Versuchen  (,,Han 
d'Islande",  1842,  nach  V.  Hugo,  ,,Salambo"  nach  Flaubert)  dazu  iibergeht,  ein  Dichtwerk  in 
Prosa,  Gogols  Komodie  ,  JDie  Heirat"  ohne  jede  Veranderung  des  Textes  durchzukomponieren 
(1868,  nur  der  1 .  Akt  ist  vollendet);  er  iibernimmt  das  ,,melodische  Rezitativ"  Dargomyshkys, 
das  er  in  bezug  auf  phonographische  Treue  in  der  Wiedergabe  des  Tonfalls  verfeinert,  und 
lafit  es  fallen.  Die  seinen  Ruhmestitel  ausmachende  Arbeit  ,JBoris  Godunow"  wurde  vom 
Komponisten  selbst  nach  Puschkinschen  Szenen  entworfen,  im  Jahre  1871  beendet  und  1875 
veroffentlicht.  Die  psychologischen  Fahigkeiten,  die  sich  auf  das  Leben  der  niederen 
Stande  sonderlich  fcrstrecken,  wurden  vom  Komponisten  mit  einem  Naturalismus  gepaart, 
der,  weniger  naiv  als  friiher,  nicht  auf  Wiedergabe  der  Wirkung,  sondern  der  Ursache  bedacht 
ist  und  dem  die  Zeichnung  des  Tragisch-Erhabenen  (Boris)  ebenso  gelingt,  wie  die  des  Tragi- 
komischen  (Warlaam).  Als  geniales  Stiick  im  Stile  Gogols  mufi  die  Szene  in  der  Schenke  an 
der  litauisehen  Grenze  gelten,  Rimsky-Korssakows  glattende  Uberarbeitung  der  Partitur  be- 
deutet  keine  Verbesserung  ihres  auch  im  Technischen  ,,naturalistischen"  Inhalts.  An  Bedeu- 
tung  steht  hinter  dem  ,,Boris  Godunow"  trotz  gelungener  Volksszenen  die  historische  Oper 
,,Khowanschtschina",  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  spielend,  zuriick;  eine  Privatauffiihrung 
fand  1886  statt.  Eine  komische  Oper:  ,,Der  Jahrmarlct  zu  Sorotschinsk",  blieb  un vollendet, 
wie  die  ebenfalls  auf  Gogolschem  Text  beruhende  Komodie  ,JDie  Heirat",  von  der  1904 
ein  Akt  im  Druck  vorgelegt  wurde. 

Casar  A.  Cui  (1835—1918)  ist  theoretischer  Verfechter  der  neurussischen  Schule,  schreibt 
aber  nicht  eigentlich  nationale  Musik.  Seine  Ideale  auf  dramatiscnem  Gebiet  verwirklicht  er 
nach  Puschkins  ,,Der  Gefangene  im  Kaukasus"  (1857)  und  nach  einer  komischen  Oper  ,,Der 
Sohn  des  Mandarinen"  (1859)  im  dritten  Anlauf,  als  er  Heines  ,,William  Ratcliff"  in  der  Ober- 
setzung  von  Pleschtschejew  durchkomponiert  (1868).  Es  folgten:  ,^\ngelo"  (nach  V.  Hugo, 
1876),  ,,Der  Flibustier"  (1889),  ,,Der  Sarazene"  (nach  A.  Dumas-pere,  1889),  ,,Das  Gastmahl 


922  Die  Oper  im  19.  Jahrkundert:  RuBIand 

zur  Zeit  der  Pest"  (Puschkin,  1900),  ,,Mamzelle  Fifi"  (nach  Maupassant,  1903),  ,,Matteo 
Falcone"  (1908)  und  ,,Die  Tochter  des  Kapitans".  Das  Prinzip  der  Deklamation  wird  vom 
Komponisten  zwar  beibehalten,  aber  gelegentlicK  so  reich  ausgestattet,  daB  sich  Annaherungen 
an  die  musikalische  Form  ergeben/  Dafi  der  Meister  der  Kleinkunst  nissische  Stoffe  ver- 
meidet,  Hegt  an  seiner  franzosischen  Herkunft. 

Auch  Nikolai  A.  Ri  msky  -  Korssakow  (1844—1908)  lafit  das  in  seiner  ersten  Oper,  ,,Das 
Madchen  von  Pskow"  (1873,  umgearbeitet  1894,  mit  einem  Prologe  versehen  1898)  angewandte 
Prinzip  des  melodischen  Rezitativs  fallen  und  nahert  sich  den  geschlossenen  Formen.  Der 
unveranderten  Aufnahme  des  Literaturdramas  verdankt  die  russische  Musik  ein  vollkommenes 
Beispiel  der  an  sich  anfechtbaren  Gattung  in  Puschkins  dramatischer  Studie  ,,Mozart  und 
Salieri"  (1898).  Diesem  Werk  waren  vorauf gegangen :  ein  Friihlingsmarchen  ,,Schneeflock~ 
chen"  (1882),  eine  phantastische  Ballettoper  ,,Mlada"  (1893),  ,,Die  Mainacht"  (1895)  und 
,,Sadko"  (1897);  es  folgten:  ,,Die  Zarenbraut"  (1899),  ,,Das  Marchen  vom  Zaren  Saltan" 
(1900),  ,,ServiIia"  (1902),  ,,Der  unsterbliche  Kaschtschei"  (1902),  ,,Der  Wojewode"  (1904), 
,,Die  Sage  von  der  unsichtbaren  Stadt  Kitesch  und  der  Prinzessin  Ferrosina"  (1907)  und  ,,Le 
coq  d  V  (1908).  Eine  objektive,  aber  dem  Experiment  geneigte  Natur,  gehort  Rimsky-Korssa- 
kow  wohl  nur  so  weit  sicher  zur  jungrussischen  Schule,  als  seine  Behandlung  des  russisch- 
nationalen  Elements,  gestiitzt  auf  dietechnisch  vollendete  Verwertung  der  Volksmusik,  ihn  als 
kenntnisreichen  Vertreter  legitimiert.  ,,Sadko"  wird  als  Ideal  einer  Volksoper  gepriesen; 
,,Die  Zarenbraut"  (aus  dem  Nachlafi  Borodins)  und  ,,Der  unsterbliche  Kaschtschei"  nehmen  bei 
festgehaltenen  Formen  zum  ersten  Male  leitmotivische  Arbeit  an,  ohne  indes  zur  symphonischen 
Durchgestaltung  zu  gelangen.  Alexander  P.  Borodin  (1834 — 87)  war  dem  Kreise  der  Jung- 
russen,  mochte  er  ihm  auch  angehoren,  schon  durch  seine  Neigung  zur  Kammermusik  fremd; 
auch  in  seiner  hinterlassenen,  von  Rimsky-Korssakow  und,  was  die Ouvertiire  betrifft,  von  Glazou- 
now  hergestellten  Oper  ,,Fiirst  Igor"  schwort  er,  wie  Glinka  reiner  Musiker,  zu  einem  seine 
Mafistabe  allem  von  der  Musik  her  empfangenden  Ideal  des  ,,Musikalisch-Schonen" :  die  vor- 
Kandene  nationale  Bestimmtheit  wird  der  Musik  nicht  zur  Fessel  in  der  Entfaltung  harmo- 
nischen  und  melodischen  Reichtums;  orientalisches  Lokalkolorit  bereichert  die  Ausdrucksweise. 

Aufierhalb  dieser  immerhin  zusammenhangenden  Entwicklungsreihe  stehen  drei  der  Be- 
trachtung  werte  Komponistenprofile  in  Sserow,  A,  Rubinstein  und  Tschaikowsky,  unter- 
einander  keine  Verbindung  eingehend.  Alexander  N.  Sserow  (1820 — 1871)  lernte  Wagners 
musikalische  Werke  spater  als  seine  theoretischen  Schriften  kennen.  Aber  weder  sein  be- 
geistertes  Eintreten  for  den  deutschen  Meister,  noch  seine  uberzeugte  Predigt  for  die  ,,Heimat- 
kunst"  konnte  verhindern,  dafi  sein  erstes  Werk  Judith"  (1863)  —  die  ,,Mullerin  von  Marly" 
und  die  von  ihm  vernichtete  ,,Mainacht"  (nach  Gogol)  kommen  nicht  in  Betracht  —  als  richtige 
italienische  Oper  geplant  wurde,  und  dafi  seine  Werke  iiberhaupt  dem  Stile  Meyerbeers  naher 
stehen,  als  dem  Wagners.  Nach  ihrer  Verpflanzung  in  das  Russische  durch  den  ,,Lohengrin-" 
und  ,,Tannhauser"-Obersetzer  K.  Swanzow  ist  die  „ Judith"  mit  gut  getroffenem  Lokalkolorit 
eine  brauchbare  Arbeit,  die  indes  durch  die  ,,Rogejeda"  (1866),  obwohl  Meyerbeers  Einflufi 
hier  sehr  deutlich  wird,  an  Beliebtheit  in  den  Schatten  gestellt  wurde.  Die  Sucht  nach  dem 
Effekt,  die  Tschaikowsky  ihm  vorwirft,  wurde  seinem  letzten,  nach  Ostrowskis  Dichtung: 
,,Leb'  nicht 'so,  wie  dir*s  gefallt"  gearbeiteten  Stiick  ,,Des  Feindes  Macht"  im  5.  Ak  ver- 
hangnisvoll,  da  die  feine  psychologische  Losung  in  unzulassiger  Weise  vergrobert  wurde; 


Die  Oper  im  19.  JahrHundert:  RuBIand  923 

vollendet  wurde  die  hinterlassene  Oper  durch  N.  Solowjew  und  des  Komponisten  Frau  Va 
lentine  S.,  geb.Bergmann  (get.  1846),  die  gleichfalls  mit  Opern  hervorgetreten  ist  (,,Uriel 
Acosta\  1885,  ,,IIga  Muromez",  1899). 

Anton  Rubinsteins  (1829—94)  kosmopolitischer  Charakter  kommt  den  russischen 
Opernbestrebungen  wenig  entgegen;  seine  Oper  richtet  sich  nach  bescheidenen  Anfangen 
(,,Dimitri  Donskoi",  1852,  ,,Toms,  der  Narr",  1853,  ,,Die  Rache  *,  ,,Chadschi~Abrek",  beide 
unaufgefuhrt)  an  den  Weltmarkt,  und  Deutschland  war  es,  das  sie  zunachst  aufnahm:  ,,Die 
sibirischen  Jager"  (Weimar  1854),  ,,Die  Kinder  der  Heide"  (Wien  1861),  ,,Feramors"  (Dresden 
1863),  ,,DieMakkabaer"  (Berlin  1875),  ,,Nero"  (Hamburg  1879),  ,,Sulamith"  (Hamburg  1883), 
,,Unter  Raubern"  (Hamburg  1883),  ,,Der  Papagei"  (Hamburg  1884),  ,,Gorjuschka"  (1889); 
auch  die  geistliche  Oper  findet  in  Deutschland  erste  Statte:  ,,Das  verlorene  Paradies"  (Weimar 
1855),  ,,Der  Turmbau  zu  Babel'4  (Diisseldorf  1872),  ,,Christus"  (Berlin  1888,  szenisch  in 
Bremen  1895).  Als  spezifisch  russische  Werke  werden  zwei  angesehen,  denen  Dichtungen 
von  Lermontow  zugrunde liegen:  ,,Der  Damon"  (1875) und,,Kaufmann  Kalaschnikow" (1880). 
In  der  Behandlung  orientalischen  Kolorits  sehr  gliicklich  ist  der  Komponist  in  der  Anwendung 
national-russischer  Farben,  wie  diese  Dichtungen  sie  erfordert  hatten,  nicht  so  gewandt,  wie 
die  ,,Novatoren";  bei  allem  Eingehen  auf  Einzelheiten  ist  doch  das  Wesen  seiner  Musik 
schwungvolle  und  grofiartige  Leidenschaftlichkeit,  die  beim  Zusammenbrechen  weite  Strecken 
unf ruchtbaren  Gerolls  hinterlafit.  Eine  der  Kritik  keinen  Raum  gebende  Methode  des  Schaffens 
verschuldet  die  Ungleichwertigkeit  jeder  Leistung.  Das  Problem  des  geistlichen  Musikdramas, 
das  Rubinstein  in  Angriff  nahm,  scheint  beiseite  gelegt  zu  sein1). 

Einer  ahnlichen  Wertschatzung  wie  Glinka  erfreut  sich  in  Rufiland  Peter  J.  Tscnaiko  wsky 
(1840 — 93)  durch  sein  aus  eigenem  Erleben  heraus  gestaltetes  Meisterstiick  ,,Eugen  Onegin", 
dessen  Titelheld  ein  Typus  von  entschieden  nationaler  Eigenart  der  hoheren  Gesellschafts- 
klassen  ist.  ,,Wie  froh  bin  ich,  den  ublichen  Pharaos,  athiopischen  Prinzessinnen,  Vergiftungen 
und  dergleichen  Puppengeschichten  aus  dem  Wege  gegangen  zu  sein!"  schreibt  der  Kom 
ponist  an  seinen  Binder  Modeste;  er  hatte  damit  ein  intimes,  aber  erschiitterndes  Drama  ge- 
funden,  das  aus  dem  Konflikt  solcher  Situationen  erwachst,  die  er  selbst  durchgemacht  hatte. 
Das  gibt  seiner  klaren,  einfachen  und  aufrichtigen  Musik  den  Anschein  unmittelbaren  Fliefiens 
aus  dem  Erlebnis,  der  den  spateren  Biihnenwerken  Tschaikowskys  nicht  eigen  ist.  Die  erste 
offentliche  Auffiihrung  dieser  ,,lyrischen  Szenen**  fallt  in  das  Jahr  1881.  In  der  dem  Wesen 
des  Komponisten  stofflich  fernliegenden  ,,Jolanthe"  (1891)  fesselt  die  musikalische  Zeichnung 
des  maurischen  Arztes  Ebn-Jahia  als  einziger  Ausflug  des  Meisters  in  orientalisches  Ge- 
biet.  Wie  der  ,,0negin",  so  beruht  auch  das  nach  ihm  in  Rufiland  erfolgreichste  Stiick  ,,Pique- 
Dame*'  (1890)  auf  einer  Puschkinschen  Dichtung;  auch  diese  Musik  ist  fiihlbar  mit  innerer 
Anteilnahme  geschrieben,  die  einem  an  Riihrszenen  und  plumpen  Effekten  reichen,  nicht 
gerade  geschmackvollen  Buche  zugute  kommt.  Die  Objektivierung  des  kunstlerischen  Aus- 
drucks  gelingt  dem  Meister  nur  schwer,  und  so  werden  ihm  historische  Stoffe  (,,Die  Jungfrau 
von  Orleans",  1891,  ,,Mazeppa",  1883)  zu  Fallgruben.  Das  Fehlen  eines  der  burlesken  Art 
Gogols  entsprechenden  Humors  wird  der  Oper  ,,Der  Schmied  Vakula"  (,,0xanas  Laune", 
1875,  umgearbeitet  als  ,,Tscherewitschki",  1885)  trotz  auBeren  Erfolges  verhangnisvoll.  ,,Die 
Bezaubernde"  (1887)  scheitert  am  Buch:  der  Musik  wird  Genialitat  des  Wurfes  nachgeriihmt. 

l)  Vergleiche  aber  den  religiosen  Grundzug  in  Braunfels*  Musiklustspiel  ,,Die  Vogel"  und  in  Wellesz'  ,Alkestis". 
59  H.  d.  M. 


9  24  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Bohmen 

In  dem  Verlassen  der  subjektiv  gefarbten  Lyrik  und  In  dem  Verfallen  in  farblose  Routine 
lag  die  Gefahr,  die  der  gliickliche  Komponist  des  ,,0negin"  nicht  erkannt  hat.  In  formaler 
Beziehung  nicht  neuerungsslichtig  bildete  Tschaikowskys  Mafihalten  em  wohltuendes 
Gegengewicht  gegen  die  Mafilosigkeiten  der  neurussischen  Schule.  Seme  weiteren  Biihnen- 
werke  sind:  ,JDer  Wojewode"  (1868,  dann  vernichtet),  ,,Undine"  (1869,  dann  vernichtet), 
,,0pritschnik"  (1874);  Musiken  zu  Ostro\vskis  ,,Schneewittchen"  (1874),  zu  dessen  ,,Der 
falsche  Demetrius  und  Wassili  Schuiski",  zu  Shakespeares  ,,Hamlet"  und  die  Ballette:  ,,Der 
Schwanensee  *  (1876),  ,,Dornr6schen"  (1890)  und  ,,Nufiknacker"  (1892). 

DimitriBortnjansky  (1751 — 1825)  hatte  ncch  italienische  (5)  und  franzosische  (2)  Opern  geschrieben.  Stark  im 
italienischen  Fahr\\asser  war  auch  der  gleich  Glinka  von  Dehn  gebildete  Wladimir  N.  Kaschperow  (1827 — 94), 
der  nach  der  Oper  ,,Die  Zigeuner"  (1856)  einige  Werke  (,,Maria  Tudor",  1859,  ,,Rienzi",  1863,  ,,Consuelo")  in 
Italien  auffiihrte,  mit  den  letzten  Werken:  ,,Das  Gewitter"  (1867)  und  ,,Taras  Bulba"  (1893)  nach  RuBland  zuriick- 
kehrte.  Der  Bohme  Eduard  Fr.  Naprawnik  (geb.  1839)  schrieb  nur  russische  Opern:  ,,Die  Bewohner  von  Nischnij 
Nowgorod"  (1868),  ,,Harold?  (1886),  ,,Dubrowski"  (1895,  auch  in  Deutschland),  ,,Francesca  da  Rimini"  (1903). 
Paul  J.  Blaramberg  (geb.  1841)  komponierte  die  Opem  ,,Maria  von  Burgund",  ,,Der  Gaukler",  ,,Die  Nixe"  und 
..Tuschinzy"  (1895)  und  eine  Musik  zu  Ostrowskis  ,,Der  Wojewode"  (1865).  Mit  2  Opern:  ,,Sardanapal"  (1875) 
und  ,,Urie  1  Acosta"  (1883)  trat  Alexander  S.  Famintzin  (1841—18%)  an  die  Offentlichkeit.  In  SiidruBland  und 
Galizien  {unite  Nikolai  W.  Lissenko  (1842 — 1912)  seine  Opern  auf:  ,,Tschernomorzy",  ,,Weihnachten"  (nach 
Gogol),  ,,Die  Mainacht"  (nach  Gogol),  ,,Winter  und  Friihling",  ,,Taras  Bulba"  (1890)  und  ,,Sappho";  mit  ,,Kosa- 
deresa"  (1 888)  und  ,,Pan  Kotzky"  (1891)  baut  er  das  Gebiet  der  Kinderoper  an.  Nikola  Th.  Solowjew  (geb.  1846) 
hat  aufier  der  Beendigung  einer  Oper  von  Sserow  drei  selbstandige  Werke  geschrieben:  ,,Schmied  Wakula"  (1875), 
,,Cordelia"  (1885),  ,,Das  Hauschen  in  Kolomua".  Alexander  S.  Tan  ejew  (1850 — 1918?)  schrieb  eine  Oper  ,,Amors 
Rache";  sein  Neffe  Sergei  J.  Tan  ejew  (1856—1915)  eine  Operntrilogie  ,,0resteia"  (1895,  seit  1898  gedruckt). 
AuBer  Biihnenmusiken  schrieb  Nikolai  S.  Klenowski  (geb.  1857)  zahlreiche  Ballette,  zwei  Gebiete,  auf  denen 
sich  auch  Nikolai  A.  Sokolow  (geb  1859)  betatigte.  Der  Dirigent  der  Moskauer  Privatoper  Michael  M.  Ippolitow- 
Iwanoff  (geb.  1859)  ist  mit  3  Opern:  ,,Ruth"  (1887),  f^sja"  (1900) und  ,,DerVerrat"(1911)  hervorgetreten.  Anton 
S.  Arensky  (1861—1906)  steht  mit  seinen Opern:  ..DerTraum  auf  der  Wolga"  (1892),  ,,Raphael"  (1894),  ,,Nal  und 
Damajanti",  (1899)Tschaikowsky  naherals  derjungrussischen  Schule.  Neben  der  Musik  zuOstrowsfcisMarchendrama 
>,Schne€wittchen"  und  zu  den  Tragodien  von  Tolstoi  ,,Zar  Feodor"  und  ,,Iwan  der  Schreckliche"  schrieb  Alexander 
T.Gretschaninow  (geb.  1864)  die  Opern:  ,,Dobrynja  Nikititsch"  (1903)  und  ,,Suor  Beatrice'*  (19 12,  nach  Maeter 
linck).  Umstritten  ist  der  Wert  der  Mimodramen  Wladimir  J.  Rebikows  (geb.  1866),  von  dem  auch  eine  Oper 
,,Narziss"  und  em  ,,musikpsychologisches"  Drama  (,,Die  Frau  mit  dem  Dolche")  vorliegt.  Alexander  N.  Schafer 
(geb.  1866)  ist  Komponist  der  Opern  ,,Thisbe",  ,,Die  Zigeuner"  (1901),  und  des  Balletts  ,,Die  Phantasieinsel".  Sergei 
W.  Rachmaninow  (geb.  1873)  schrieb  die  Opern:  ,,Aleko"  (1893),  ,,Der  geizige  Ritter'*  (1900),  ..Francesca  da 
Rimini"  (1906). 

Literatur 

Delines,  Michel :  La musique dramatiqu een  Russie.  Bibliotheque universelle  Suisse.  Lausanne  1899, XVI,  Nr.  47 
—  Newman,  Ernest:  Russian  opera  and  russian  , Nationalism".  The  Musical  Times,  1914,  S.  505.  —  Riese- 
rnann,  Oskar  von:  Die  Oper  in  RuBland,  Die  Musik  III  (1906/07),  S.  3,  85,  131.  —  Derselbe,  Monographien 
zur  russischen  Musik.  Miinchen,  I,  1923.  II.  1926.  —  Ssabanejew,  L.:  Geschichte  der  russischen  Musik. 
Bearbeitet  von  0.  v.  Riesemann.  Leipzig  1926. 


Bohmen 

Die  Anfange  einer  national  gefarbten  Kunstmusik  liegen,  wie  fast  iiberall,  auch, in  Bohmen 
innerhalb  der  Oper;  und,  wie  andere  Umwalzungen,  finden  auch  hier  die  tschechischen  Selb- 
standigkeitsbestrebungen  ihren  Vorklang,  da  die  Resonanz  der  Biihnenkomposition  nun  einmal 
starker  ist,  als  die  der  andern  Vokalformen,  zumal  des  lyrischen  Liedes;  und  von  der  An- 


Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Bohmen  925 

wendung  der  eigenen  Sprache  geht  natiirlicherweise  die  Bewegung  der  kiinstlerischen  Reaktion 
auf  die  politischen  Antriebe  zunachst  aus:  die  oft  unter  seltsamen  und  stilwidrigen  Umstanden 
sich  vollziehende  Verschmelzung  musikalischen  Volksguts  in  das  andererseits  von  Mode- 
stromungen  beeinflufite  Kunstwerk  steht  in  alien  diesen  Bemiihungen  an  zweiter  Stelle. 

Den  ersten  VorstoB  in  der  Ricntung  auf  die  nationale  Oper  macht  Franz  Skroup  (1801—62)  mit  dem  Singspiel 
,,Der  Drahtbinder"  (1826)  und  zwei  grofier  angelegten Opern :  ,,Udalrich  und  Bozena"  (1828)  und  ,,Libussas  Hnch- 
zeit"  (1835);  er  findet  einstweilen  keine  Nachfolge,  da  sein  Bruder  Johann  Nepomulc  (1811—92)  anscheinend  erst 
1867  mit  der  Oper  ,,Die  Schweden  in  Prag"  hervortritt,  und  setzt  auch  selber  seine  Bemiihungen  nicht  fort,  geht 
vielmehr  nach  alter  Weise  in  das  Ausland.  Inzwischen  ist  aber  die  belebend  wirkende  Griindung  eines  bohmischen 
Nationaltheaters  in  Prag  erfolgt;  doch  bediirfen  die  ersten  dort  aufgefiihrten  Opern  ,,Wladimir"  (1863)  und  ,,Lora" 
(1868)  des  Z.  Franz  Skuhersky  (1830—92)  der  Obersetzung  aus  dem  Deutschen;  spater  (1873)  bearbeitet  der 
Komponist  einen  tschechischen  Text:  ,,Rector  a  general";  ein  friihes  Werk,  ,,Samo"  (1854),  ist  nicht  aufgefuhrt 
worden.  Von  W.Theodor  Bradskys(1833— 81)60pern  teilten  dies Schicksal  die  ersten  drei:  ,,Der  Heiratszwang", 
,,Die  Braut  des  Waffenschmieds",  ,,Das  Krokodil";  die  andem:  ,,Roswitha"  (Dessau  1860),  ..Jarmila"  (Prag  1879), 
,,Der  Rattenfanger  von  Hameln"  (Berlin  1881)  erhoben  sich  nicht  iiber  zeitliche  Bedeutung.  Joseph  R.  Rozkosny 
(geb.  1833)  schrieb  mehrere  Opern  fur  Prag:  ,,NikoIaus"  (1870),  ,,St.  Johannis-Stromschnelle"  (,,Die  Moldaunixe"), 
..Zavis  von  Falkenstein ',  ,,Der  Wilddieb",  ,,Popelka"  CAschenbrodel",  1885),  ,,Rubezahl"  (1889),  ,,Satanella"  (1898), 
,,Stoja"  und  ;;Der  schwarze  See"  (1906).  Wilhelm  Blodek  (1834—74)  fiihrte  eine  tschechische  komische  Oper: 
,,Im  Brunnen"  (1867)  in  Prag  auf  und  hinterliefi  eine  rweite,  ,,Zidek",  unvollendet.  Ihren  tschechischen  Titeln  nach 
sind  die  Opern  Karl  Bendls  (1838—97)  bekannt:  ,,LejIa",  ,,Bretislav*,  ..Cernohorci",  ,,Stary  Xenich",  ,,Karel 
Skreta".  ,,Dite  Tabora"  (1892),  ,,Mutter  Mik"  (1895) ;  das  Ballett  ,,Bohmische  Hochzeit"  (1895)  gehort  ihm  zu.  nicht 
sber  die  Oper  ,,Svand?,  Dudak"  (1907)  und  die  Operette  ,,Der  Liebes-Bazillus"  (1904),  die  einen  Namensvetter  zum 
Verfasser  haben.  Eine  zweite  Oper,  ..Svanda  Dudak"  C.Der  Dorrmusikant",  1896),  ist  von  Adalbert  Hrimaiy 
(1842—1908),  dessen  Oper  ,,Der  verwunschene  Prinz"  (1872)  sich  dauernder  Beliebtheit  erfreut.  Joseph  Nesvera 
(1842—1914)  komponierte  6  Opern:  ,,Bratanek",  ,,Mlynarski"  (1884),  ,,Lesni  vzduch"  (1897,  als  ,,Waldeslust" 
deutsch  18%  und  kroatisch  in  Agram),  ,,Perdita"  (nach  Shakespeare,  tschechisch  1897)  und  ,,RadhoSt"  ( ,E)erBerg- 
monch*',1906).  Bohmische  TextelegteseinensaintlichenArbeiten  Karl  Sebor  (1843— 1903)  zugmnde:  ,,Die  Temp- 
ler  in  Mahren"  (1865),  ,,Drahomira"  1867),  ,,Die  Hussitenbraut"  (1868),  ,rBlanka"  (1870),  ,,Die  vereitelte  Hoch- 
zeit"  (1878).  AIs  Schiiler  von  Blodek  und  Skuhersky  vertritt  Heinrich  von  Kaan-Albest  (geb.  1852),  obwohl 
Galizier,  ein  jiingeres  Geschlecht  ausgesprochen  tschechischer  Musiker  mit  hoherer  kiinstlerischer  Tendenz ;  neben 
2  Opern :  ,,Der  Fliichtlmg"  und  ..Germinal"  (nach  Zola  von  Schipek)  ist  ein  grofies  Ballett  auf  nationaler  Grundlage, 
,3aiaja"  und  eine  Pantomime  ,,OKm"  (1905)  erwahnenswert.  VasaSuk(geb.  1861)brachteeineOper  ,,Der  Wald- 
konig"  (als  ,,Lesnoj  Car"  in  Kiew  undCharkow  1 900,  als  ,,Lesur  pan"  in  Prag  1903)  auf  die  Biihne,  In  Fibichs  Schule 
Jst  Karl  Kovarovic  (1862—1920)  gebildet;  aufier  durch  7  Ballette  (darunter  ,,Hasis",  1884),  von  denen  3  unter 
dem  Namen  Charles  Forgeron  erschienen,  machte  er  sich  durch  mehrere  Opern  bekannt:  ,,Zenichov6"  (,,Die  Brau- 
tigame",  1884),  ,,Cesta  oknem"  (,,DerWeg  durch  das  Fenster",  1886),  ,,Noc  Simona  a  Juda"  (1893),  ,,Psohlavci" 
(,,Hundsk6pfe",  1898),  ,,Nastar^m  Bridle"  (1901)  und  ,,Fraquita"  (1902).  Die  Opern  vonKarel  Weis  (geb.  1862) 
beruhen  auf  Stoffen  von  allgemeinerer  Wirkung  und  vermochten  ihren  Musikreichtum  auch  iiber  die  Grenze  zu  tra- 
gen:  ,,Was  ihr  wollt"  (nach  Shakespeare  1892,  deutsch  als  ,,Die  Zwiilinge",  1902)  und  in  deutscher  Sprache:  ,,Der 
polnische  Jude"  (1901),  ,,Die  Dorfmusikanten"  (1904),  ,,Der  Sturm  auf  die  Miihle"  (1914),  die  Operette  „ Der 
Revisor"  (1907)  und  das  Vaudeville  ,,Der  Extiazug  nach  Nizza"  (Berlin  1913).  OskarNedbal  (geb.  1874)  hat  bis- 
her  nur  die  niederen  Formen  der  Biihnenkomposition  gepflegt;  Ballette:  ,,Der  faule  Hans"  (1902),  ,,Gro0miitter- 
chens  Marchenschatze"  (1908),  ,,Prinzessin  Hyazintha"  (1911),  ,,Des  Teufels  Grofimutter"  (1912),  ,,Andersen" 
(1914);  Operetten:  ,,Die  keusche  Barbara"  (1910),  ,,Polenblut"  (1913),  ,,Das  Winzerfest"  (1917),  t)Die  schone 
Saskia"  (1917),  ,,Eriwan"  (romantisch,  1918). 

Eine  eigentiimliche  Erscheinung  ist  Eduard  F.  Naprawnik  (geb.  1839)  insofern,  als  er  vermoge  seines  Lebens- 
schicksals  die  Synthese  der  national  bestimmten  bohmischen  und  russischen  Musik  vollzieht.  Seine  Opern  allerdings 
wurden  in  RuBland  aufgefuhrt:  ,,Die  Bewohner  von  Nischnij  Nowgorod"  (1868),  ,,Harold"  (1886),  ,,Dubrowski" 
(1895,  auch  in  Deutschland)  und  ,,Francesca  da  Rimini"  (1903). 

Literatur 

Nejedly,  Zdenko:  Die  Oper  des  Nationaltheaters  1908.  —  Teube^Oskar:  Geschichte des  Prager  Theaters.  I, 
II,  III.  Prag  1883. 


926  Die  Oper  im  19.  Jahrhundert:  Ungarn,  Kroatlen,  Rumanien 

Ungarn 

Der  friih  erlangten  politischen  Selbstandigkeit  entspricht  in  Ungarn  eine  musikalisch- 
kiinstlerische  nicht;  vielleicht,  weil  das  treibende  Element  die  in  den  Volkskorper  nur  ein- 
gesprengten  Zigeuner  sind.  Den  Anfang  mit  einer  Nationaloper  machte  Andreas  Bartay  (1798 
bis  1856)  mit  ,,Aurer,  ,,Csel"  und  ,,Die  Ungarn  in  Neapel".  Ihm  folgt  der  von  den  Ungarn 
als  eigentlicher  Vertreter  nationaler  Kunst  geschatzte  Zeitgenosse  Verdis  und  Wagners,  Franz 
Erkel  (1810—93);  von  seinen  neun  Opern  werden  noch  zwei:  ,,Hunyady  Laslo  *  (1844)  und 
,,Bank  Ban"  (1861)  genannt  Michael  Brand  (Brandt,  1814—70)  fiihrte  unter  dem  Namen 
Mosonyi  eine  ungarische  Oper,  ,,Dieschone  Ilka"  (1 861 );  auf,  wahrend  eine  andere,  ,,Almos", 
liegen  blieb;  eine  deutsche  Oper,  ,, Maximilian",  zog  Brand  zuriick,  als  Liszt  vor  der  von  ihm 
(1857)  in  Weimar  geplanten  Auffiihrung  einige  Anderungen  verlangte.  A.  Franz  Doppler 
(1821—83)  trat  mit  mehreren  ungarischen  und  einer  deutschen  (ftirWien  bestimmten)  Oper 
hervor:  ,,Benjowski"  (1847),  ,,Ilka"  (1849),  ,,Die  beiden  Husaren",  ,,Afanasia",  ,,Wanda  \ 
,,Erzebeth"  und  .Judith"  (1870).  Sein  Bruder  Karl  Doppler  (1825-1900),  der  mit  Erkel 
an  der  Komposition  von  ,,Erzebeth"  beteiligt  ist,  schrieb  auch  selbstandige  Werke  auf  unga 
rische  Texte.  KarlHubay(Huber,  1828— 85)  schrieb  die  Opern:  ,,Szekler  Madchen"  (1858), 
,,Lustige  Kumpane  ',  ,,Des  KonigsKufi"  (1875)  und  hinterlieB  ,,Udvari  Bal"  (,,Der  Hofball", 
1889).  Der  Slavonier  Edmund  von  Mihalovich  (geb.  1842)  benutzte  Wagners  Textentwurf 
zu  seiner  Oper  ,,Wieland  der  Schmied",  brachte  1882  ,,Hagbarth  und  Signe"  zur  Auffiihrung, 
ein  Werk,  das  als  ,,Eliana"  1908  in  Pest  auftaucht,  wo  auch  seine  dritte  Oper  ,,ToIdi"  1898 
erschienen  war.  Geza  Graf  Zichy  (geb.  1849)  trat  mit  2  Opern,  ,,Alar"  (1 896,  auch  in  Deutsch- 
land)  und  ,,Meister  Roland"  (1899)  und  mit  einer  grofien  Trilogie  ,,Rakoczi"  (1 .  ,,Rakoczi  II.", 
1909,  2.  ,,Nemo",  1905,  3.  ,,Rodosto",  1912)  hervor.  Jeno  Hubay  (Eugen  Huber,  geb.  1858) 
machte  sich  mit  den  Opern  ,,Alienor"  (1891),  ,,Der  Geigenmacher  von  Cremona"  (1894), 
,,Der  Dorflump"  (1896),  ,,Moosroschen"  (1903),  ,,Lavothas  Liebe"  (1906)  als  ungarischer 
Buhnenkomponist  bekannt  Eduard  Poldini  (geb.  1869)  verrat  in  seinem  hubschen  Einakter 
,,Der  Vagabund  und  die  Prinzessin"  (1903)  weniger  ungarische  Eigenart,  als  Bela  Bartok 
(geb.  1871)  mit  seiner  Oper  ,,Ritter  Blaubarts  Burg"  (1918).  Neben  Bartok  erscheint  als 
reprasentativer  ungarischer  Musiker  Ernst  von  Do hn any i  (geb.  1877),  der  in  Dresden  1910 
eine  Pantomime  ,,Der  Schleier  der  Pierette"  und  1912  die  weniger  charaktervolle  einaktige 
Oper  ,,Tante  Simona"  herausbrachte  und  1922  ein  romantisches  Stuck  ,,Der  Turm  des 
Woiwoden"  folgen  liefi. 

Als  Verfasser  kroatischer  Opern  sind  zu  nennen:  Watroslaw  Lissinsky  (1819 — 54,  ,,Liubav  i  zloba",  1846,  und 
,,Porin"t  1849);  Giovanni  von  Zaytz  (Zajic,  1832—1914,  schreibt  14  Opern  und  19  Operetten,  seit  1861  auch  in 
kroatischer  Sprache,  darunter:  ,,Pan  Twardowski",  1880,  und  ,,Armida",  1897). 

Von  einem  rumanischen  Opern  (und  Operetten-)  wesen  kann  man  erst  seit  den  achtziger  Jahren  des  19.  Jahr- 
hunderts  reden.  Nach  Jean  Schorr-Zachary  (,,Die  Musik"  II  [1903],  S.  291)  nimmt  unter  Flechtenmacher  (,,Baba 
Hirca",  Operette),  M,  Cohen -Linaru  C.Tudorel",  ,,L'Isle  de  fleurs",  ,,Mazeppa",  Opern),  C.  Porumbescu 
(„  Grain  nu"),  Th.  de  Flondor  (,,Mosch  Ciocarla*'),  Ed.  Wachmann  (musikdramatische  Werke),  Eduard  Caudella 
(geb.  1841)  eine  Fiihrerstellung  ein;  nach  fruheren  Arbeiten  (MLe  prince  Epaminda",  ,,Fata  Razasului",  ,,01teanea"f 
Operetten;  ,,Hatmanul  Baltag",  komische  Oper)  tritt  er  mit  dem  nationalen  Stoff  der  die  Mitte  zwischen  Wagner  und 
der  reinen  Melodic  haltenden  Oper  ,,Petru  Raresch"  als  bewufiter  Vertreter  des  rumanischen  Musikdramas  auf;  eine 
neuere  Arbeit  ist  die  Oper  ^Dragosch". 

Theodor  Wilhelm  Werner 


DAS  ORATORIUM  VOM  ENDE  DES 
18.JAHRHUNDERTS  BIS  1880 

Das  Geschlecht,  welches  auf  die  Altklassiker  unmittelbar  folgte,  liefi  sich  seine  kiinstle- 
rischen  Uberzeugungen  mit  einer  erstaunlichen  Widerstandslosigkeit  erschiittern.  Mit  der 
Revolutionierung  des  Geistes  urn  die  Jahrhundertmitte  erlag  auch  das  alte  Oratorienideal  dem 
Zwange  des  morphologischen  Gesetzes.  Und  die  ganze  Nachbliite  des  neapolitanischen  Ora- 
toriums  im  Siiden  tauscht  doch  nicht  darliber  hinweg,  daB  hier  im  Norden  zersetzende  Krafte 
am  Werke  sind,  die  darauf  abzielen,  an  Stelle  des  zu  Falle  gebrachten  Alten  ein  zunachst  nur 
in  Umrissen  auftauchendes  Neues  zu  setzen.  Diese  ausgesprochen  negativen,  zersetzenden 
Tendenzen  haben  die  Entstehung  eines  neuen,  aus  dem  Vollen  eines  freien  Schopfertums  ge- 
wonnenen  Oratoriums  verhindert.  Die  ganze  Reihe  der  zum  1 9.  Jahrhundert  iiberleitenden 
Oratorien  und  das  ganze  Oratorium  des  letzten  Jahrhunderts  konnte  unter  den  Begriff  ,,De- 
kadenz"  gefafit  werden,  womit  allerdings  zugleich  ein  Werturteil  gesprochen  wird,  das  auf 
einzelne  Meisterwerke,  wie  auf  Haydns  ,,Schopfung"  und  ,Jahreszeiten"  unmoglich  zu- 
treffen  kann.  Das  ganze  Problem  des  Oratoriums  muB,  wenn  man  jeder  Erscheinung  der  nun 
folgenden  Epoche  gerecht  zu  werden  trachtet,  in  eine  allgemein  geistesgeschichtliche  Beleuch- 
tung  geriickt  werden.  Mit  dem  Versinken  der  Bach-Handel-Stilepoche  allein  ist  noch  kein 
Grund  gegeben,  weshalb  das  Oratorium  als  Idee  nicht  auch  fernerhin  noch  urkraftige  Gestalt 
gewonnen  haben  sollte.  Der  ganze  Problemkomplex  ist  ja  bisher  stets  von  der  positiven  Seite 
der  Entstehung  des  klassischen  Instrumentaltypus  aus  gesehen  worden,  seltener  von  der 
negativen  Seite  des  verblassenden  Oratorienideals.  Selbst  Haydns  Altersoratorienwerke  sind 
als  Werke  eines  ,,Weisen  in  der  Kunst"  ihrer  entwicklungsgeschichtlichen  Bedeutung  (nicht 
etwa  ihrem  eigenkiinstlerischen  Wert)  nach  mit  Recht  immer  der  reinen  Instrumentalmusik 
hintangesetzt  worden.  Und  doch  lafit  sich  mit  vielen  positiven  Argumenten  auch  von  der 
Seite  des  Oratoriums  der  neue  Zeitgeist  bestatigen.  Die  schopferischen  Krafte  zeigen  auf  dem 
Gebiete  des  Oratoriums  einen  erschreckenden  Schwund,  und  das  zur  selben  Zeit,  wo  sich  die 
Energien  verdoppelt  und  verdreifacht  um  die  Instrumentalmusik  sammeln.  Schon  im  Quer- 
schnitt  durch  das  Schaffen  eines  einzelnen  gewahrt  man  die  Umlagerung  der  Krafte:  man  halte 
Beethovens  schwachen  ,,Christus  am  Olberg"  gegen  sein  Symphonienwerk!  In  diesem  Ver- 
haltnis  spiegelt  sich  die  vollkommene  Veranderung  der  geistigen  und  seelischen  Substanz  der 
Zeit.  Die  Musik  trifft  bei  jedem  Schritt  vorwarts,  den  sie  tut,  auf  den  Rousseauismus  und  ist 
zur  Auseinandersetzung  mit  dieser  alle  Werte  umwertenden  Erscheinung  verpflichtet,  wie  jede 
andere  kiinstlerische  oder  geistige  Ausdrucksform  einer  Weltanschauung.  Und  da  ist  es  von 
der  Geschichte  lediglich  als  Tatsache  zu  buchen:  der  moderne  Rousseauische  Mensch,  der 
Schopfer  des  symphonischen  Spiegelbildes  seiner  differenzierten  Innerlichkeit,  erkennt  in 
der  erhabenen  Bilderwelt  des  altklassischen  Oratoriums  nicht  mehr  sein  eigenes  Ich.  In  dem- 
selben  MaBe,  wie  die  Begeisterung  fur  die  neue  Instrumentalsymphonie  wachst,  geht  die 
Lebenssubstanz  des  Oratoriums  verloren.  Der  Versuch  einer  Aussohnung  des  alten  mit  dem 
neuen  Geiste  kann  wohl  hier  und  da  gelingen,  aber  der  Lauf  der  Entwicklung  kann  dadurch 
nicht  aufgehalten  werden.  Der  Begriff  ,,Schule"  deckt  kiinftig  nicht  mehr  jedes  Einzelerzeug- 
nis,  und  wer  iiberhaupt  zum  Oratorium  etwas  zu  sagen  hat,  der  mufi  sich  die  Fahigkeit  zur 


928  Das  Oratorium  vom  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bis  1880 

Aussprache  seiner  Gedanken,  mufi  sich  die  ,,Form"  des  Oratoriums  erst  individuell  erobern. 
Wenn  aber  selbst  zu  Zeiten  eines  Mendelssohn,  Lowe,  Schumann  die  Tradition  immer  noch 
wieder  sich  einen  schmalen  Weg  bahnte,  so  ist  heute,  am  Ende  der  trauernd  zum  Vergangenen 
neigenden  Romantik,  das  Oratorium  wohl  ein  ungeeignetes  GefaB  geworden,  in  das  sich  der 
Strom  des  Schaffens  ergieBen  konnte.  Um  so  hoher  zieht  in  dem  gesetzmaBigen  Kreislauf  der 
Dinge  ja  gerade  heute  wieder  die  Sonne  Handels  am  Himmel  der  Kunst. 

Mit  intuitiver  Sicherheit  hatte  schon  R.  Wagner  mitten  in  einer  Zeit  geschichtlicher  Un- 
klarheit  und  sentimentalerVergangenheitstraumerei  in  seinem  ,,Kunstwerk  der  Zukunft  und 
vorher  schon  in  einem  Aufsatz  ,,Die  deutsche  Oper"  (1 834)  die  Schwachen  der  Gattung  gekenn- 
zeichnet,  allerdings  in  seiner  riicksichtslos  iibertreibenden,  egozentrischen  Art.  Wagner  ahnte 
freilich  nicht,  welch  reine  Nachschaffensfreude  eine  gar  nicht  sehr  feme  Zukunft  im  An- 
schauen  des  hohen  Kulturideals  einer  entschwundenen  Epoche  empfinden  wurde.  Es  verdient 
nun  namentlich  Beachtung,  da6  ein  Musikdramatiker,  also  ein  Vertreter  der  Oper  im  wei- 
testen  Sinne,  das  Oratorium  schroff  ablehnt  Das  hangt  im  letzten  Grunde  mit  dem  soeben 
angedeuteten  Umschlag  im  europaischen  Seelenleben  nach  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
zusammen.  Die  friihesten  Anzeichen  einer  psychologischen  Stilwandlung  am  Oratorium  treten 
namlich  ebenfalls  in  Verbindung  mit  dem  Wirken  eines  zur  letzten  Klarheit  iiber  die  von  ihm 
vertretene  Gattung  gelangten  Musikdramatikers  auf :  die  Reform  Clucks  streift  in  unzahligen 
Fallen  den  Stilkreis  des  Oratoriums  und  begiinstigt  dadurch  unmittelbar  den  vom  Wesens- 
zentrum  der  Gattung  ausgehenden  Umbildungsprozefi.  Ohne  Gluck  ware  der  theoretische 
Fragenkomplex  des  Oratoriums  wahrscheinlich  nie  in  der  Scharfe  zur  Diskussion  gestellt  wor- 
den,  wie  es  tatsachlich  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  immer  ofter  geschieht.  Auch  hat  Gluck 
erheblich  die  auBere  Physiognomic  des  Oratoriums  verandern  helfen.  In  der  musikalischen 
Vereinfachung,  die  bis  zur  Verweichlichung  gehen  kann,  kreuzt  sich  sein  StileinfluB  mit  dem 
des  deutschen  Singspiels  und  der  Berliner  Liederschule. 

DaB  die  Generation  um  Gluck  ihre  Stellung  zum  aiteren  Oratorienideal  erschiittert  ftihlte., 
aber  in  iiberzeugtem  Rationalismus  an  ein  neues,  vollkommeneres  Oratorium  glaubte,  dafiir 
sind  die  1763  erschienenen  theoretischen  Erzeugnisse  des  Englanders  Brown  und  eines  ano- 
nymen  Verfassers,  die  in  eine  respektlose  Polemik  gegen  Handel  ausarten,  hochst  bezeichnend. 
Zwanzig  Jahre  spater  fangt  auch  die  offizielle  deutsche  Stelle  fiir  derart  asthetische  Erorte- 
rungen,  Forkels  ,,Almanach",  Ton  und  Tendenz  dieser  englischen  Streitschriften  auf.  Was 
wollten  alle  diese  Verfechter  eines  neuen,  vorlaufig  noch  nirgends  Gestalt  gewordenen  Ideals? 
Sie  lehnen  einmutig  die  dramatische  Form  fur  das  Oratorium,  also  auch  jede  Gememschaft 
mit  der  Oper  ab.  Als  iiberlebtestes  Requisit  sehen  sie  das  Rezitativ  an.  Das  Alte  Testament 
wird  als  Stoffquelle  verworfen.  Und  in  bezeichnender  Obereinstimmung  mit  der  praktischen 
Bevorzugung  des  Handelschen  ,,Messias"  zu  dieser  Zeit  wird  die  dichterische  Verwertung  des 
christlich-neutestamentlichen  Heilsgedankens  in  einem  verschwommenen,  moralisierenden 
Sinne  empfohlen.  Wenn  in  erster  Linie  ,,Ausdruck  der  herrschenden  Empfindung"  gefordert 
wird,  so  ist  in  dieser  Formel  ungefahr  enthalten,  was  das  neue  Oratorium  von  demjenigen 
Handels  und  der  Wiener  Hofdichter  und  -komponisten  unterscheidet.  Wie  in  England,  dem 
kulturell  fuhrenden  Lande,  alle  Umbildungen  im  Geistesleben  mit  einer  gewissen  ruhigen 
•Kontinuitat  vor  sich  gegangen  sind,  so  mag  sich  doit  der  Umschwung  schon  unmittelbar  nach 
Handels  Tode  oder  friiher  noch  vorbereitet  haben,  wahrenddessen  Manner  wie  S  mith ,  Boyce, 


Das  Oratorium  vom  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bis  1880 929 

Arnold,  Stanley,  Arne,  Salomon,  Atterbury,  W.  de  Fesch,  Chr.  Bach  ganz  im 
Schatten  ihres  Vorbildes  weiterschufen.  Anders  auf  dem  Kontinent.  Und  zumal  im  deutschen 
Norden,  wo  das  Neue  mit  einer  gewissen  Ruckartigkeit  und  Plotzlichkeit  einsetzte.  Ohne 
Zweifel  war  Gluck  hier  der  einzige,  dessen  geistige  Kraft  stark  genug  gewesen  ware,  den 
schopferischen  Willen  auf  ein  neues,  entwicklungsmaBig  bedeutsames  Oratorienideal  hinzu- 
lenken  —  wenn  nicht  gerade  Gluck  eben  wegen  seiner  tiefen  Einsicht  in  die  geistigen  Zu- 
sammenhange  erkannt  hatte,  daB  das  Oratorium  mit  Handel  am  Ende  seiner  Entwicklungs- 
moglichkeiten  angelangt  sei,  und  daB  von  keinerlei  Operation  am  Organismus  dieser  Kunst- 
form  mehr  ein  Heil  zu  erwarten  sei.  Ein  Oratorium  Clucks,  d.  h.  eine  musikalische  Nach- 
dichtung  von  Klopstocks  ,,Hermannschlacht",  ist  Improvisation  geblieben,  die  der  Musiker 
dem  Dichter  am  Klavier  vortrug.  Der  AblosungsprozeB  vom  alteren  Oratorium  ist  aber  auch 
von  literarischen  Stromungen  stark  begiinstigt  worden,  durch  die  das  neue  Weitgefiihl  zuerst 
frei  gemacht  worden  war:  Neben  Clucks  EinfluB  ist  der  Klopstocks  in  der  ganzen  Musik- 
entwicklung  der  sechziger,  siebziger  Jabre  handgreiflich.  Von  den  Klopstock,  Zacharia  und 
Ramler  ubernimmt  dann  Herder  spater  die  literarische  Vormundschaft  iiber  die  Musik.  Hier 
ist  tiefe  Religiositat  noch  einmal  schopferisch  gewesen  und  ein  weniger  empf indelndes  Musiker- 
geschlecht  als  das  der  Rolle  (171&-S5),  Homilius  (1714—85),  Turk  (1750-1813)  hatte 
sicher  .eine  schone  musikalische  Bliite  in  Anlehnung  und  nach  Art  der  Odenliteratur  vermocht. 
Um  ,,Die  letzten  Dinge  *  in  einer  bewegenden  Musiksprache  lebendig  zu  machen,  dazu  reichten 
solche  Talente  nicht  aus.  Nur  hingewiesen  sei  auf  Karl  Heinr.  Grauns  unbegreiflich  beriihmt 
gewordenen  ,,Tod  Jesu"  (1755)  und  Ph.  Em.  Bachs  ,,Auferstehung  und  Himmelfahrt" ; 
letzteres  das  einzige  Zeugnis  einer  kraftigeren  Individualitat  in  der  ganzen  Gattung. 

Nach  einer  Seite  aber  liefi  die  Beriihrung  mit  der  neuen  Dichtung  tiefere  Musikquellen  auf- 
springen,  doit,  wo  die  Dichtung  selbst  zur  reinen  Sprache  des  Gefiihls  geworden  war:  in  der 
Naturidylle.  Von  hier  aus  drangt  ein  erregter  Strom  in  die  musikalischen  Gemiiter,  wahrend 
gleichzeitig  vom  Siiden  her  aus  unzahligen  Kanalen  das  weiche  melodische  Element  der  Spat- 
neapolitaner  in  die  Bewegung  einschmolz.  Wo  diese  Einwirkung  von  auBen  eine  starke  indi- 
viduelle  Schopferkraft  traf,  da  mufite  sjch  ein  charaktervolles  Produkt  bilden.  Und  dieses 
Produkt,  ein  seltenes  Beispiel  vollkommen  harmonischer  Durchdringung  von  Sozialpsyche 
und  Individualpsyche,  besitzen  wir  in  Joseph  Haydns  beiden  Altersoratorien  ,,DieSchop- 
fung"  (1797)  und  ,,Die  Jahreszeiten"  (1800).  Wie  stark  Haydn  den  Ideenkreisen  der  Zeit 
verpflichtet  ist,  zeigt  nichts  deutlicher  als  eine  vergleichende  Betrachtung  von  Telemanns 
,,Vier  Tageszeiten"  (nach  Zacharia),  einem  Werk  von  aufierordentlichen  Qualitaten,  das  in 
manch  sinnigen  Ziigen  einer  unbefangenen  Naturschilderung  viel  Haydnsches  vorwegnimmt. 
Hinter  Telemann  aber  steht  ein  noch  hoheres  Vorbild:  Handel.  Nicht  der  Stil,  aber  der  Geist 
der  groBen  Chore  Haydns  ist  Handelsch.  Im  Stil  Haydns  ist  wieder  der  Bnflufi  Clucks  und 
der  deutschen  Liedkomposition  im  allgemeinen  und  der  der  Vertreter  der  lyrischen  Chorkantate 
(Schuster,  Benda,  Kunzen,  Kraus)  im  besonderen  unverkennbar.  Das  zeigt  ein  Blick  auf  das 
Bild  eines  Haydnschen  Oratoriums:  nirgends  mehr  die  in  Schematisms  entartete  Abfolge 
von  selbstandigen  Formorganismen,  sondern  eine  viel  f  reiere,  geistig  beweglichere  Handhabung 
der  musikalischen  Form  analog  der  stofflichen  Gliederung,  also  in  erster  Unie  eine  viel  innigere 
Durchdringung  von  Chor  und  Solo.  Aus  der  Dichtung  selbst  spricht  wieder  Klopstocksches 
Empfinden.  Klopstocks  ,,Morgengesang  am  Schopfungsfeste"  hat  das  Thema  der  ,,SchbpW 4 


930  ^as  Oratorium  vom  Ende  des  1 8.  Jahrhunderts  bis  1 880 

erst  aktuell  gemacht,  obwohl  die  dichterischen  Quellen  beider  Oratorien  nach  England  fiihren. 
Haydn  hatte  von  seinen  Londoner  Reisen  die  Idee  und  den  Stoff  seiner  Werke  mitgebracht: 
Die  ,,Schopfung"  geht  auf  Miltons  ,,Verlorenes  Paradies"  zuriick  und  ist  nach  einer  Bearbeitung 
Undleys,  die  urspriinglich  fiir  Handel  bestimmt  war,  von  Baron  van  Swieten  (demselben,  der 
sich  um  die  Handelpflege  in  Wien  so  hochverdient  gemacht  hat)  iibersetzt  worden.  Die  ,  Jahres- 
zeiten"  sind  gleichfalls  von  van  Swieten  bearbeitet  worden,  diesmal  aber  direkt  auf  Grund 
eines  Gedichts:  Thomsons  ,,The  Seasons",  das  auch  Zacharia,  der  Textverfasser  von  Tele- 
manns  ,,Tageszeiten",  gekannt  haben  wird.  So  sind  es  eine  Menge  Momente,  die  Haydns 
Oratorienwerk  von  der  allgemein  geistesgeschichtlichen  Bewegungsrichtung,  ja  von  reinen  Zu- 
fallsfugungen,  wie  der  Beriihning  rnit  englischer  Kultur,  bedingt  erscheinen  lassen.  Nach 
Technik,  Form  und  spezifisch  musikalischem  Gehalt  sind  jedoch  Haydns  Oratorien  so  sehr 
sein  Eigen,  wie  nur  irgendein  Werk  seines  Genies.  Haydn  hatte  bereits  das  65.  Jahr  erreicht, 
als  er  an  die  {Composition  der  ,,Schopfung"  ging,  und  man  merkt  dem  Werk  kaum  an,  dafi 
seine  Beendung  dem  Greis  nur  unter  auBerster  Anstrengung  und  heifier  Anrufung  gottlicher 
Hilfe  gelungen  ist.  Die  Art,  wie  in  der  ,,Schopfung"  das  Bibelwort  und  der  Testo  in  Gestalt 
der  drei  Erzengel  verwandt  werden,  die  Dreiteilung  des  Stoffs,  der  Reichtum  an  Choren  und 
noch  manche  Einzelheit  der  poetischen  Diktion  erinnern  an  Handels  „ Israel".  Das  Schopfungs- 
thema  mit  den  in  ihm  schlummernden  Anregungen  zu  gewaltigen  Naturbildern  ist  der  alteren 
Oratoriengeschichte  fremd;  auch  darin  zeigt  sich  die  neue  Zeit.  Handelsch  ist  wieder  die  Art, 
wie  Bild  und  Gedanke  oder  GefuhlsauBerung  miteinander  verkniipft  sind,  wie  das  eine  spontan 
dajs  andere  hervorruft.  Das  natiirlichste  war  in  diesem  Fall,  auf  die  Schilderung  der  Gottestaten 
mit  Dankeshymnen  der  ,,HJmmelsbiirger"  und  ,,Sohne  Gottes"  als  Vertreter  des  menschlichen 
Prinzips  zu  antworten.  So  steht  eigendich  der  Mensch  mit  den  ihn  bewegenden  Emp- 
findungen  im  Zentrum  des  Geschehens:  der  Chor  tritt  wieder  in  seine  altesten  Rechte  als 
Grundtrager  des  Ganzen.  Und  dem  entspricht,  wo  es  die  Situation  rechtfertigt,  eine  Ent- 
faltung  der  letzten  musikalischen  Macht-  und  Glanzmittel.  Ein  aufierordentlich  sinniger  Zug 
ist  es,  wie  im  dritten  Teil  des  Oratoriums  das  Allgemeine  mit  dem  Besonderen  sich  verkniipft, 
wie  sich  die  Idylle  der  ersten  Menschen  zum  Bild  der  Menschheit  erweitert:  Ober  die  Gefahr 
einer  Stoning  des  asthetischen  Gleichgewichts  durch  die  Verkleinerung  der  geistig-musika- 
lischen  Mafistabe  triumphiert  der  Dankeshymnus  des  zur  Idee  des  Allgemeinmenschlichen 
gewordenen  SchluBchors;  und  in  einem  tiefen  Sinne  schlagt  er  die  Briicke  zu  der  genialen 
Instrumentaleinleitung  des  Oratoriums :  dem  Phantasiebild  des  Chaos  vor  Beginn  der  Schop- 
fung.  Wie  sich  im  iibrigen  der  Geist  seine  individuelle  Form  schafft,  dafiir  sei  nur  das  klassische 
Beispiel  der  A-Dur-Arie  des  Uriel  im  ersten  Teil  zitiert,  wo  das  psychologisch-dramatische 
Kontrastbediirfnis  nicht  allein  die  ganz  freie  Form  der  Arie  bestimmt,  sondern  als  letztes 
iiberwaltigendes  Mittel  den  Chor  einbezieht,  der  in  sich  wieder  von  scharf  gegensatzlichen 
Stimmungen  beherrscht  wird.  Haydn  schaltet  hier  wie  allenthalben  (z.  B.  auch  in  der  ,,Tauben~ 
arie")  ganz  frei  mit  den  Mitteln  des  Ausdrucks,  etwa  im  Sinne  eines  Programmatikers,  also 
mit  alien  Kiinsten  der  Seelen-  und  Milieuschilderung,  ohne  jedoch  je  das  oberste  musikalische 
Prinzip  zu  vernachlassigen.  Aller  tonmalerischer  Ausdruck  ist  bei  ihm  letzten  Endes  Reflex 
aus  dem  Seelischen  und  zum  hundertsten  Male  an  der  melodisch-harmonischen  Urkraft  seiner 
Musik  gebrochen,  ehe  er  als  solcher  in  Erscheinung  tritt.  Man  denke  nur  an  das  zauberhafte 
Miniaturbild  des  in  ruhigem  Bogen  dahinziehenden  Mondes,  um  sich  zu  erinnern,  wie  weit  Haydn 


Das  Oratorium  vom  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bis  1880  931 

von  aller  auBerlichen  Tonmalerei  entfernt  1st.  Als  einer  der  henrlichstenAnklange  an  das  alter e 
Oratorium  sei  noch  die  Arie  Gabriels  im  wiegenden  Sizilianotakt  ,,Nun  beut  die  Flur**  erwahnt. 

Mil  den  ,Jahreszeiten"  verlafit  Haydn  die  streng  oratorische  Unie.  Besonders  mit  den  zwei 
letzten  (Herbst-  und  Winter*)  Bildern  greift  er  in  den  geistigen  und  musikalisch-stilistischen 
Bereich  des  Singspiels  ein,  und  was  gegen  diese  Partien  besonders  einnimmt,  ist  nicht  die 
Tatsache  der  Verarbeitung  von  Stilelementen  einer  andern  Kunstgattung  an  sich,  die  hier 
zu  ebenso  genialen  Resultaten  fiihrt  wie  in  dem  alteren  Werk,  sondern  die  offenbare  Verlegen- 
heit,  aus  welcher  heraus  die  minder  erhabene  Sphare  der  Hiller  und  Genossen  aufgesucht  wird. 
Tatsachlich  liefi  die  Dichtung  Thomsens  und  van  Swietens  Bearbeitung  den  Komponisten 
hier  im  Stich.  Zu  einer  erhabenen  Naturschilderung  ladt  keine  Stelle  des  Textes  ein,  und  der 
Sprung  vom  inhaltlich  denkbar  harmlosen  Genre  zum  feierlich  ernsten  Sinnbild  des  Schlusses 
(von  der  BaBarie  ,,Erblicke  hier,  betorter  Mensch  . .  "  ab)  ist  mit  keinerlei  gedanklicher  Hilfs- 
konstruktion  zu  schliefien  oder  nur  gefiihlsma'Big  zu  decken.  Hier  versagte  —  zwar  nicht 
der  Musiker,  wohl  aber  der  die  Gestalt  5m  ganzen  diktierende  Geist.  Hier  zeigte  sich,  wie 
stark  die  destruktiven  Tendenzen  der  Sturm-  und  Drangzeit  den  altpolyphonen  Kunstbau 
Handels  bereits  erschiittert  hatten.-  Haydns  ,Jahreszeiten"  sind,  als  das  genommen,  was  sie  dar- 
stellen — :  eine  unoratorische,  kantatenhaft  lose  Szenenfolge  —  das  in  unzahligen  genialen  Mo- 
menten  schillernde  Abbild  des  Wesens  seines  Schopfers  geworden,  das  man  zwar  unter  dem 
sprichwortlichen  Begriff  des  tiefsinnigen  Haydnschen  Humors  von  jeher  beglaubigt  hat,  das 
denn  aber  doch  noch  unendlich  viele  andere  Seiten  enthiillt,  vor  allem  immer  wieder  den 
hohen  sittlichen  Ernst  des  Meisters.  So  aufgefafit,  und  nicht  mit  falschen  oratorischen  Mafi- 
staben  gemessen,  gehoren  die  funkelnden  Facetten  seiner  Genrebildchen,  das  Jagdscherzo,  die 
Szene  des  Wanderers  oder  die  schon  ganz  von  romantischem  Licht  umflossene  Schilderung 
des  Sonnenaufgangs  oder  des  Winternebels  und  unzarilige  herzliche  Ziige  aus  der  landlichen 
Kleinwelt  der  ,,Jahreszeiten"  zum  Schonsten,  womit  uns  dieser  grofie  Diesseitsgeist  unter  den 
Musikern  beschenkt  hat. 

Das  eigentlich  epochemachende  Werk  blieb  aber  die  ,,Schopfung",  schon  wegen  der  Grofie 
des  Vorwurfs.  Es  hat  im  sozialen  Sinne  umwalzend  gewirkt,  denn  das  offentliche  Konzert- 
wesen  des  ganzen  1 9.  Jahrhunderts,  nicht  allem  in  Wien,  sondern  in  England,  Amerika,  Frank- 
reich,  Rufiland  und  dariiber  hinaus  war  dem  Werke  Haydns  tiefer  verpflichtet  als  dem  irgend- 
eines  andern.  In  Wien  wurde  die  Vorherrschaft  des  italienischen  Oratoriums,  zu  dem  noch 
Haydns  friiheres  Oratorium  ,,Tobias"  (1775)  zu  zahlen  ist,  erst  mit  der  ,,Schopfung"  endgiiltig 
gebrochen.  Italien  rachte  sich  dafiir  gewissermafien,  indem  es  bis  heute  dem  Haydnschen 
Oratorium  als  einziges  Land  des  europaischen  Kulturkreises  keine  Beachtung  schenkte.  Die 
Erfolge  der  ,,Schopfung**  und  der  ,,Jahreszeiten"  haben  auch  andere  Komponisten  nicht  ruhen 
lassen.  Die  ,Jahreszeiten"  kehren  in  mannigfachen  Varianten  wieder.  Es  schrieben  ahnliche 
Oratorien:  P.  von  Winter  (1754-1825),  Frhr.  von  Peifil  (1783-1865),  E.  Kohler  (1799 
bis  1847),  Fr.  Lachner  (1803—90),  Lindpaintner  (1791—1856),  Raff  (1822-82)  und  noch 
in  neuester  Zeit  Fr.  E.  Koch  (*  1862),  natiirlich  auch  mit  mehr  oder  weniger  unverbliimten 
Anleihen  beim  Musiker  Haydn. 

Die  Geschichte  des  Oratoriums  weist  nach  Haydn  einen  Bruch  auf .  Wir  sahen,  dafi  selbst 
Haydns  Oratorium  bei  allem  Individualismus  in  der  Formgebung  noch  tief  in  dem  entwick- 
lungsgeschichdichen  Bewegungszug  steht,  der  von  Handels  Wirken  ausgegangen  war.  Haydns 


932  Das  Oratorium  vom  Ende  des  1 8.  Jahrhunderts  bis  1880 

Oratorium  war  der  erste  positiv  gelungene  Versuch  einer  Auseinandersetzung  mit  dem  Han- 
delismus,  wenn  man  so  sagen  soil,  als  geistesgeschichtlichem  Typus.  Wir  bemerkten  auch  be- 
reits,  daB  dieser  Typus  in  Beethoven  am  reinsten  wieder  aufleuchtet.  ,,Das  ist  das  Wahre!" 
hatte  der  Meister  auf  seinem  Krankenbett  von  Handels  Kunst  gesagt.  Beethoven  hat  sich  in 
den  reifen  Jahren  seiner  Meisterschaft  mit  dem  Gedanken  getragen,  Oratonen  im  Smne 
Handels  zu  schreiben.  DaB  er  den  Gedanken  aufgab,  liefie  sich  wohl  aus  der  Eigenart  seines 
schopferischen  Ingemums,  aus  seiner  individuellen  musikalischen  Veranlagung  und  seinem 
Bediirmis  nach  ganz  subjektiver  Interpretation  allgemein  menschlicher  Ideen  erklaren.  Aber 
auch  aus  den  Tiefen  der  Zeitseele  kann  man  eine  Antwort  erfahren.  Das  geistige  Fundament 
der  Zeit  um  die  Jahrhundertwende  war  einem  Kunstbau  von  der  Art  des  Handelschen  ab- 
gewandt.  Es  darf  nur  ein  Name  ausgesprochen  werden:  Kant.  Und  es  darf  nur  an  das 
hochgeartete  Menschentum  der  Fichte,  Schiller,  Humboldt  und  ihr  humanitares  Ideal,  es 
darf  auch  an  die  politische  Zeitlage,  an  die  franzosische  Revolution  und  ihre  politischen  und 
geistigen  Folgeerscheinungen  erinnert  werden,  um  zu  begreifen,  weshalb  Beethoven  die  all 
gemein  menschlichen  Ideen,  die  auszudriicken  ihm  so  brennend  am  Herzen  lag,  unter  einer 
andern  Gestalt  verwirklichen  muBte  als  im  Oratorium.  Die  Instrumentalkomposition  war  die 
gegebene  Form,  in  der  die  neue  Zeit  das  Beethovensche  Menschheitsevangelium  zu  fassen 
vermochte.  Von  da  aus  baute  ein  Beethoven  seine  Instrumental werke  in  der  ,,Neunten  Sym- 
phonie"  und  in  der  ,,Missa  solemnis"  (auch  eine  Art  ,,0ratorium")  auf.  Hier  liegt  der  Schliissel 
zum  Verstandnis  der  Gesamtleistung,  die  das  1 9.  Jahrhundert  zum  Oratorium  beigetragen  hat. 
Unter  dem  EinfluB  romantischen  Geistes  wurde  die  Verwirrung  vollkommen,  nachdem  die 
schopfenschen  Krafte  im  ersten  Jahrzehnt  des  neuen  Jahrhunderts  iiberhaupt  ganzlich  ver- 
sagt  hatten  —  was  nicht  blofi  als  Symptom  der  Erschopfung  auf zufassen  ist,  sondern  als  Zeichen 
einer  halb  bewufiten  Anerkennung  der  eben  ausgefiihrten  Verhaltnisse.  Um  so  undurchsich- 
tiger  wird  die  kunftige  Entwicklung  des  Oratoriums,  als  eine  Generation  nach  der  andern  die 
Hand  nach  dem  Erbe  Handels  ausstreckt  und  sich  bei  allem,  was  sie  tut,  auf  dieses  Vorbild 
beruft.  Handels  Popularitat  nimmt  namentlich  in  England  —  man  ist  versucht  zu  sagen 
erschreckende  Formen  an,  vergleichbar  der  Position  Wagners  im  modernen  Kulturleben;  ver- 
gleichbar  namentlich  auch  in  der  Hinsicht,  wie  der  Druck  beider  Personlichkeiten  lahmend 
auf  dem  Schaffen  der  Zeit  gelegen  hat.  In  England  milderte  Mendelssohns  ,,Elias"  1846 
diesen  Bann,  ohne  ihn  je  zu  brechen.  Das  Befremdende  dieses  Ereignisses  und  seiner  Folgen 
lag  aber  wieder  darin,  daB  es  die  Zeit  iiberhaupt  zu  einer  Verwechslung  der  schopfenschen 
Potenzen  eines  Handel  und  Mendelssohn  bringen  konnte,  —  ein  Irrtum,  der  bis  heute  nicht 
nur  in  England,  sondern  in  der  deutschen  Provinz,  in  Holland,  Amerika  usw.  nachwirkt.  Erst 
In  neuester  Zeit  —  seit  den  siebziger  Jahren  etwa  —  beginnt  sich  in  England  das  Oratorium 
vom  historischen  Druck  zu  emanzipieren  und  neudeutsche  und  jungfranzosische  Einfliisse  mit 
bodenstandigen  Elementen  zu  einem  nationalen  Oratorium  zu  verschmelzen.  Immerhin  bleibt 
hier  in  England  das  Oratorium  die  begiinstigte  Form.  Darin  wirkt  Handels  gewaltig  vor- 
beugende,  konservierende  Kraft  dauernd  nach. 

Umfafit  man  die  Oratorienproduktion  des  1 9.  Jahrhunderts  mit  einem  Blick,  so  f allt  allgemein 
auf,  welche  Bedeutung  Nebensachlichkeiten  beigemessen  wurde.  Unklarheit  in  bezug  auf 
die  geistige  Seite  des  Problems  ist  der  Hauptgrund,  warum  die  Komponisten  der  ersten  drei 
Jahrzehnte  iiber  teilweise  grotesk  anmutende  Augenblickserfolge  hinaus  nicht  dauernd  in  der 


Das  Oratorium  vom  Endie  des  18.  Jahrhunderts  bis  1880  933 

Geschichte  Fufi  fassen  konnten.  Die  Zeit  ist  hinweggegangen  iiber  die  Ey bier  und  Stadler, 
iiber  Klein  und  Schneider,  den  gepriesenen  ,,Handel"  seiner  Zeit.  Gegeniiber  den  grellen 
Effekten  in  Schneiders  ,,Weltgericht"  (1819)  ist  der  Berliner  B.  Klein  (1793—1832)  ehrlich, 
anspruchslos.  Seine  Erfolge  als  Oratorienkomponist  (,,Hiob",  ,Jephta",  ,,David",  1820 — 30) 
fallen  noch  vor  die  Zeit  Schneiders.  Klein  bekennt  sich  zum  Chororatorium  und  damit  zur 
Handelnachfolge.  Im  Chor  leistet  er  auch  weitaus  das  Bedeutendste.  Mittlerweile  waren  die 
furs  Musikalische  unfruchtbaren  Jrreligiosen,  pantheistischen  Tendenzen  der  ersten  zwei  Jahr- 
zehnte  von  der  Hochromantik  mit  Jhrem  Unendlichkeitsstreben  iiberholt  worden.  Die  ,,Da- 
monenoratorien"  der  Eybler  (,,Die  letzten  Dinge",  1810)  und  Stadler  (,,Das  befreite  Jerusa 
lem'*,  1813),  meist  grobe  Haschereien  nach  dem  Geschmack  der  Masse,  dazu  vollig  eklektische 
Leistungen  und  von  der  Haltung  der  franzosisch-italienischen  Oper  beeinflufit,  fiihren  in 
gerader  Lime  auf  Schneider,  Mit  angestrengter  Phantasie  und  gesuchten  Neuerungen  des 
Ausdrucks  gedachte  auch  der  edle  Spohr  die  ,,Letzten  Dinge"  zur  kiinstlerischen  Anschauung 
zu  bringen.  Aber  der  weiche,  elegische  Grundzug  seiner  Kunst  liefi  sich  nicht  wegleugnen, 
und  es  kamen  zwiespaltige  Werke  zutage,  die  den  Oratorien  Schneiders  und  Mendelssohns 
auf  die  Dauer  nicht  standhielten  (,,Das  Jiingste  Gericht",  1812;  ,,Die  letzten  Dinge",  1826; 
,,Der  Fall  Babylons",  1842).  Schwachere  Talente,  wie  Clasing  und  Ries,  schwammen  im 
Schneiderschen  Kielwasser.  Aus  dieser  dunkelsten  Zeit  des  Oratoriums  ist  nur  noch  Franz 
Schubert  mit  seinem  fragmentarischen  ,,Lazarus"  zu  nennen,  einem  musikalisch  herrlichen 
Werk,  dessen  praktische  Wiederbelebung  aber  die  Schwachen  der  textlichen  Anlage  verhindert 
haben.  1829  bringt  der  Meister  der  Ballade  Karl  Loewe  seine  ganz  monumental  gedachte 
,,Zerstorung  Jerusalems"  heraus,  welcher  in  den  nachsten  Jahrzehnten  eine  ganze  Anzahl 
Oratorien  folgen.  Loewes  Oratorien  .der.  dreifiiger  Jahre  sind  kunstgeschichtlich  bedeutsame 
Zeugen  der  von  den  Pariser  Ereignissen  hervorgerufenen  Revolutionierung  der  Geister,  die 
das  Eindringen  eines  kraftigen  Realismus  in  die  Weltanschauung  bewirlct  hatte.  Die  der  Meta- 
physik  abgeneigte  neue  Epoche  aufierte  sich  auch  in  der  Wahl,  die  Loewe  fur  seine  Stoffe  traf. 
Er  griff,  von  dem  romantischen  Preufienkonig  Fr.  Wilhelm  IV.  noch  besonders  ermuntert, 
zur  Geschichts-  und  Volkslegende.  Zum  Ausdruck  erhabener  Weltanschauung  eigneten  sich 
diese  Vorlagen  freilich  langst  nicht  in  dem  MaBe  wie  die  alttestamentarischen  Stoffe.  Es 
schlagt  einem  aus  Oratorien  wie  dem  ,Johann  Hus"  (1842)  der  welke  Hauch  des  Historismus 
entgegen,  und  man  fuhlt  sich  ungemein  erinnert  an  den  Realismus  der  Diisseldorfer  Maler~ 
schule,  etwa  an  die  Bilder  eines  K.  Fr.  Leasing,  dessen  ,,Hussitenpredigt"  wie  die  unmittelbare 
Anregung  zu  dem  Loeweschen  Oratorium  anmutet.  Grofier,  monumentaler,  vergleichsweise 
mit  Rethelschem  Wurf  gestaltete  Loewe  die  ,,Zerstorung  Jerusalems",  die  sein  Hauptwerk 
neben  den  ,,Festzeiten"  (1825 — 36)  bleibt:  in  den  Chorpartien  reichste,  reinste  Entfaltung 
.  romantischen  Kunstgeistes,  im  ubrigen  ein  Abglanz  des  herrschenden  ,,europaischen"  Stils 
der  Rossini,  Bellini,  Spontini,  Meyerbeer.  Die  ,,Festzeiten"  sind  ein  Mosaik  von  kantaten- 
artigen  Stiicken,  die  urspriinglich  kirchlichen  Zwecken  dienten;  kiinstlerische  Kommentare 
der  christlichen  Hauptbegebenheiten  des  Jahres.  Ihre  Musik  ist  in  fliichtige  Partikel  gedrangt, 
in  der  Haltung  schlicht  volkstiimlich,  in  der  Harmonik  archaisierend.  Von  Loewes  Legenden- 
oratorien  wurden  ,,Die  Siebenschlafer"  (Text  von  Giesebrecht)  bei  weitem  am  beruhmtesten. 
Ein  frischer  Zug,  gelegentlich  ein  wenig  westliche  Grazie  und  Pikanterie  finden  sich  an  man- 
chen  Stellen  seiner  weltlichen  Oratorien.  Unter  ihnen  verdienen  ,,Der  Meister  von  Avis"  (1843) 


Das  Oratorium  vom  Ende  des  18,  Jahrhunderts  bis  1880 


und  ,,Polus  vonAtelk"  (I863)Beachtung.  Eine  Erf  indung  Loewes  sind  die  a-cappella-Manner- 
chororatorien,  Beispiele  jener  asthetisch  anfechtbaren  Modegattung,  der  auch  Wagner  mit 
seinem  ,,Liebesmahl  der  Apostel"  einen  bedeutenden  Beitrag  zugesteuert  hat.  Loewes  dahin- 
gehorige  Werke  sind  ,,Die  eherne  Schlange*  (1834)  und  ,,Die  Apostel  von  Philippi"  (1835). 
Zahlreiche  Komponisten  folgten  dem  Beispiel  Loewes,  ohne  jedoch  ganzlich  auf  instrumentale 
Mittel  zu  verzichten. 

War  Loewes  Oratorium  als  Ganzes  ein  getreuer  Spiegel  der  vormarzlichen  biirgerlichen 
Gesellschaft,  so  weist  Mendelssohns  Oratorium  deutlich  nach  England  mit  seiner  Handel- 
tradition  hiniiber.  Zwar  war  der  ,,Paulus",  in  dem  sich  das  Oratorium  des  19.  Jahrhunderts 
gleichsam  kristallisiert  hat,  auf  dem  Diisseldorfer  Musikfest  1836  zum  erstenmal  erklungen. 
In  Mendelssohn  verkorpert  sich  ein  Stuck  typisch  englischen  Geistes.  Typisch  der  alttesta- 
mentarische  Enthusiasmus,  die  christliche  Symbolik,  der  Pietismus,  der  wiirdevolle  Anstand 
dieser  Musik.  Daft  England  das  weitere  Schaffen  Mendelssohns  auf  oratorischem  Gebiet  fur 
sich  gleichsam  mit  Beschlag  belegte,  war  eine  ganz  naturliche  Folge  dieser  inneren  Verhaltnisse  : 
,,Elias"  erschien  1846  auf  dem  Musikfest  in  Birmingham.  DaB  Mendelssohns  Oratorium  auch 
im  deutschen  offentlichen  Musikwesen  so  gewaltig  in  die  Breite  drang,  verdankt  es  nicht  zum 
geringen  Teil  der  gliicklichen  Verschmelzung  des  musikalischen  Sprachschatzes  der  deutschen 
Romantik  mit  Elementen  der  altpolyphonen  Kunst  Bachs  und  Handels.  Die  deutsche  Ro- 
mantik  und  die  von  Mendelssohn  heraufgefiihrte  Bach-Renaissance  wurden  so  zu  Schntt- 
machern  seiner  Orator  Jenkunst.  Spaterhin  wurde  dann  Mendelssohns  biblisches  Oratorium 
selbst  der  Schrittmacher  fur  Werke  ahnlicher  Art  wie  Ferd.  Hillers  ,,Zerstorung  von  Jeru 
salem"  (1840)  und  Ad.  Bernh.  Marx'  ,,Mose"  (1841).  Das  ,Junge  Deutschland"  trieb  diesen 
biblischen  Heroenkult  sogar  mit  einer  deutlichen  Anspielung  auf  seine  eigene  weltgeschicht- 
liche  Mission  weiter.  Aus  dem  Kreise  des  biblischen  Oratoriums  nach  1848  hebt  sich 
Mendelssohns  Oratorium  hoch  heraus.  Zu  den  Schwachen  seiner  Oratorientexte  gehort  z.  B. 
die  Verquickung  der  Stephanusgeschichte  mit  dem  paulinischen  Schicksal,  die  nicht  iiber- 
zeugen  kann,  ferner  das  christlich-messianische  Anhangsel  an  die  Eliasszenen  (worin  iibrigens 
ein  Postulat  der'Zeit  zu  sehen  ist).  Voraussetzung  zur  richtigen  Wiirdigung  der  Mendelssohn- 
schen  Oratorien  ist,  dafi  die  Einstellung  nicKt  von  Bach  oder  Handel  her  geschieht.  Einzelne 
Stellen  sind  Dokumente  einer  genialen  Einfiihlung  in  die  Bachsche  Ausdrucksweise  for  ahn- 
liche  Empfindungen.  Aber  anderes  zeigt  den  Abstand,  die  Kluft,  so  die  echt  romantischen 
Schlufisteigerungen,  unvermittelte  Haufung  scheinpolyphoner,  namlich  aus  primar  harmo- 
nischem  Empfinden  resultierender  romantischer  SchluBeffekte.  Die  formale  Vollendung,  der 
harmonische  Ausgleich  aller  asthetischen  Faktoren,  die  stilistische  Einheitlichkeit  trotz  aller 
Risse  im  Grundplan  heben  Mendelssohns  Oratorien  weit  iiber  ihre  Zeit  hinaus.  Ein  als  Frag 
ment  nachgelassener  ,,Christus"  zeigt  Mendelssohn  in  starkster  Abhangigkeit  von  Bach.  Aus 
der  Nachfolge  verdient  einzig  A.  B.  Marx*  ,,Mose"  Beachtung  als  geistreicher  Versuch,  die 
Gattung  unter  ein  iausgesprochen  dramatisches  Prinzip  zu  stellen.  Das  geistliche  Oratorium 
fuhrt  in  den  drei  Jahrzehnten  nach  der  Jahrhundertmitte  nichts  weiter  als  ein  Scheindasein. 
Seine  schwachen  Lebenskrafte  leiht  es  von  Mendelssohn.  In  vollstandiger  Verdunkelung  der 
geschichtlichen  Tatbestande  wird  es  als  kirchliche  Angelegenheit  betrachtet  und  verliert  die 
Gunst  der  in  materialistischen,  antitheistischen,  antimystischen  Denkrichtungen  befangenen 
geistigen  Kreise  der  Nation.  In  dem  Jahrzehnt  nach  der  Reichsgriindung  scheint  der  Nieder- 


Das  Oratorium  vom  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bis  1880  935 

gang  des  Oratoriums  unvermeidlich.  Die  biblischen  Ideenkreise  waren  nach  dem  Abflauen 
der  jungdeutschen  B  /egung  und  mit  der  rasch  zunehmenden  allgerneinen  Faszination  durch 
Wagners  Mythenoper  unpopular  geworden.  Uberhaupt  erschiitterten  Theorie  und  Praxis  das 
schwache  Fundament,  iiber  welchem  die  produktive  Oratorienkunst  des  19.  Jahrhunderts 
errichtet  war.  Einige  iibriggebliebene  Idealisten  glaubten  trotz,  oder  vielmehr  gerade  wegen 
Wagner  an  eine  Neuansiedlung  des  Oratoriums  auf  dem  stofflichen  Boden  der  Legende  und 
der  Lebensgeschichte  des  Heilands;  for  die  musikalische  Behandlung  nahm  man  Wagnersche 
Prinzipien  in  Anspruch  (Leitmotivik,  Harmonik,  ,,Unendliche  Melodic**,  gesungene  Dekla- 
mation).  Schon  friiher  (in  Millers  ,,Zerstorung  von  Jerusalem")  waren  Versuche  angebahnt 
worden,  die  reine  Instrumentalmusik  in  erweitertem  Mafie  illustrativ  zu  verwenden.  Jetzt  sollte 
das  in  grundsatzlicher  Weise  geschehen.  Zum  Versuch  einer  Obertragung  Wagnerscher  Stil- 
prinzipien  auf  das  Oratorium  kam  es  jedoch  nicht  vor  den  neunziger  Jahren.  Was  bis  dahin 
auf  Oratoriengebiet  erwuchs,  tragt  mehr  oder  weniger  die  Zeichen  des  Kompromisses  (Raffs 
,,Weltende",  ,,Gericht",  ,,Neue  Welt**,  1880).  Am  erfreulichsten  wirken  noch  die  im  Geiste 
Mendelssohns  gehaltenen  Arbeiten  der  Berliner  Akademie  (Blumner,  Kiel,  Meinardus,  Wilsing, 
Oberlee).  Den  Schneiderschen  Spuren  ins  Ubersinnliche  folgt  Rubinstein,  der  letzte  aus- 
gesprochene  Reprasentant  des  biblischen  Oratoriums,  mit  dem  ,,Verlorenen  Paradies"  (1855 
unter  Liszt  in  Weimar)  und  einer  Reihe  anderer  biblischer  Oratorien,  die  als  geistliche  Opern 
nach  Art  von  Mehuls  „  Joseph"  verfafit  sind  und  die  Starke  ihres  Schopfers  in  koloristischen 
Kiinsten  zeigen. 

Die  Abneigung  der  Zeit  gegen  das  biblische  Oratorium  begtinstigte  die  Entwicklung  eines 
weltlichen  Oratoriums  in  Deutschland.  Die  Vorlaufer  dieser  Gattung,  die  nie  zu  einer  rechten 
Selbstandigkeit  gedieh,  erkannten  wir  an  anderer  Stelle  bereits  in  Bachs  weltlichen  Kantaten. 
Haydns  ,Jahreszeiten"  gehoren  wegen  ihrer  Ankniipfung  an  religiose  Empfindungskreise 
nicht  streng  in  diese  Lime.  Erst  Robert  Schumann  greift  bewufit  den  Faden  wieder  auf  in 
seinem  (nicht  als  solches  bezeichneten)  Oratorium  ,,Das  Paradies  und  die  Peri"  ('843)  Der 
-allgemeinmenschliche  Kern  dieser  Handlung,  die  eigentlich  keine  Handlung  Jst,  entsprach  so 
sehr  dem  Schumannschen  Naturell,  dafi  er  miihelos  den  Punkt  fand,  von  dem  aus  er  musi- 
Icalisch  zu  gestalten  hatte.  Eine  verschwenderische  Gedankenfiille  stand  dem  Meister  bei  der 
Komposition  zu  Gebote.  Der  grofie  durchgehende  dithyrambische  Schwung  bindet  die  gegen- 
satzlichen  Teile  zur  stilistischen  Einheit.  Vom  geschichtlichen  Standpunkt  ist  das  Wieder- 
aufleben  des  Testo  in  rezitativer,  arioser  und  chorischer  Form  bemerkenswert.  Der  un- 
dramatische,  zustandliche  Charakter,  der  von  der  Dichtung  (aus  ,,Lalla  Rookh"  vonTh.  Moore) 
her  bestimmt  wird,  stellt  das  Werk  in  Parallele  zu  Handels  ,,Alexanderfest".  Aus  dem  Vor- 
wiegen  der  Liedform  ergibt  sich  seine  stilistische  Signatur.  Schumanns  Faustmusik  und 
,,Der  Rose  Pilgerfahrt"  gehoren  nur  bedingt  in  diese  Darstellung.  Bei  ,,Der  Rose  Pilgerfahrt" 
lag  es  Schumann  selbst  fern,  mehr  als  eine  Choridylle  zu  geben  —  das  Werk  sollte  urspriinglich 
nur  eine  Klavierbegleitung  bekommen  — ;  in  den  sieben  Faustszenen  dagegen,  deren  Kom 
position  sich  fast  iiber  ein  Jahrzehnt  erstreckte,  griff  der  Meister  nach  dem  Hochsten.  Zwar 
konnte  er  seinem  romantischen  Naturell  nach  kein  Abbild  faustischen  Willens  geben,  er  be- 
gniigte  sich  damit,  den  lyrischen,  romantisch-symbolischen  Gehalt  der  Dichtung  unmittelbar 
zu  erschopfen.  Im  Schlufiteil  wachst  der  Ausdruck  ins  Visionar-Mystische.  Im  Gefolge  des 
deutschen  Meisters  tat  sich  der  wahlvej%vandte  Dane  Niels  Gade  hervor  (,,Calanus",  ,,Psyche", 


936  ^as  Oratorium  vom  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bis   I860 

nKreuzfahrer").  Merkliche  Impulse  erfuhr  das  weltliche  Oratorienschaffen  gleichzeitig  mit 
der  Hebung  des  vaterlandischen  Bewufitseins  durch  die  politischen  Ereignisse  der  siebziger 
Jahre.  Doch  zerrannen  die  mit  patriotischen  Gedanken  verkniipften  Werke  dieser  hoch- 
fliegenden  Epoche  mit  dem  Ruhm  ihrer  Schopfer.  Es  geniigt,  an  einige  Namen  zu  erinnern : 
Bruch  (,,0dysseus*',  1873),  Gernsheim,  Vierling,  Brambach,  Lorenz,  A.  v.  Gold- 
schmidt  (,,Die  sieben  Todsiinden",  1873,  ein  Monstrewerk  der  Wagnerschule). 

In  den  besprochenen  Zeitraumen  blieben  aueh  andere  Lander  an  der  Oratorienkomposition 
mit  einzelnen  ansehnlichen  Leistungen  beteiligt.  Um  die  Jahrhundertmitte  macht  I  tali  en 
wieder  nach  langem  von  sich  reden.  In  der  ersten  Jahrhunderthalfte  hatte  dort  das  Ora 
torium  den  Opern  Rossinis,  Bellinis,  Donizettis  nichts  an  die  Seite  zu  stellen.  Die  strenge 
Organisation  der  alten  Oratorieninstitute  war  in  Auflosung  begriffen,  die  Oper  hatte  die 
ganze  erhabene  Erbschaft  ubernommen.  Einen  Oratorienstil  gab  es  nicht  mehr.  In  dieser 
Zeit  besann  sich  Pietro  Raimondi  (1786—1853),  der  bis  1853  Kapellmeister  an  St.  Peter 
war,  auf  die  ruhmvolle  Tradition  des  Oratoriums  in  Italien.  Aus  dem  Jahre  1852  stammt 
sein  Tripeloratorium  ,,Giuseppe",  ein  wahres  Wunderwerk  in  der  Stimmkombination 
nach  altklassischem  Muster,  das  man  auch  als  Werk  eines  Sonderlings  angesprochen  hat. 
Auf  einen  zweiten  Meister  der  Jahrhundertmitte,  Jac.  Tomadini  (f  1883)  machte  Franz 
Liszt  zuerst  aufmerksam.  Bis  zum  Jahrhundertende  schweigt  das  Orator Jum  dann  in 
Italien  wieder,  eine  Renaissance  fiihrte  erst  der  Kapellmeister  der  Sixtina,  Lorenzo  Perosi 
(*  1872)  herauf. 

Von  Frankreich  war  seit  der  Erwahnung  Charpentiers  und  seines  fruchtlosen  Versuchs, 
die  Werke  seines  Lehrers  Carissimi  in  Paris  einzubiirgern,  nicht  mehr  die  Rede.  Die  Ver- 
standnislosigkeit,  welcher  das  Oratorium  wahrend  des  18.  Jahrhunderts  dort  begegnete,  konnte 
man  aus  der  instinktiven  Abneigung  der  Franzosen  gegen  eine  asthetisch  nicht  absolut  ein- 
deutige  Kunst  erklaren ;  und  dafi  sich  das  Oratorium  einer  vollig  rationalen  Deutung  entzieht, 
hat  die  Darstellung  seiner  Geschichte  erwiesen.  Um  so  lebhafter  erhielt  sich  im  Volke  all  die 
Jahrhunderte  hindurch  die  Erinnerung  an  die  liturgischen  Mysterien  des  Mittelalters.  Und 
eine  retrospektive  Epoche  wie  die  Romantik  entdeckte  geheime  Zusammenhange  der  mittel- 
alterlichen  mit  der  modernen  Seele.  Zwar  sind  schon  im  letzten  Drittel  des  18.  Jahrhunderts 
Ansatze  zu  einem  bodenstandigen  Oratorium  vorhanden.  Aber  die  Bewegung  kam  aus  der 
Initiative  eines  einzelnen,  Gossecs  (1734 — 1829),  der  1773  diePariser  Concerts  spirituels  des 
Philidor  reorganisiert  und  1784  die  Ecole  royale  du  chant  begriindet  hatte.  Die  Bewegung  hatte 
vielleicht  weiter  um  sich  gegriffen,  wenn  nicht  die  Revolution  sie  erstickt  hatte.  Von  J.  Franc. 
Lesueur  (1760 — 1837),  dem  Lehrer  Berlioz*,  wird  die  neue  Richtung  des  Oratoriums  in- 
auguriert,  die  iiber  die  Romantik  bis  in  die  Gegenwart  anhalt  und  gelegentlich  weitab  vom  ver- 
meintlichen  asthetischen  Zentrum  der  Gattung  in  Grenzgebieten  verlauft.  Die  zumeist  gestreif te 
Grenze  ist  die  des  Theatralischen.  Das  erklart  sich  aus  den  fast  unterschiedslosen  Neigungen 
der  Franzosen  fur  Kiinste,  die  den  Schausinn  reizen.  Lesueur  war  im  besonderen  zeitlebens 
von  dem  Bediirfnis  getrieben,  asthetische  Spannungen  im  dramatischen  Wege  zur  Losung  zu 
bringen.  Eine  Neigung  zur  Mafilosigkeit  war  damit  verbunden.  Nachdem  er  es  so  mit  der 
Kirchenmusik  versucht,  griff  er  zum  Oratorium.  Seine  Werke  auf  diesem  Gebiet  sind  Ge- 
legenheitsmusik  groBten  Formats.  Im  ,,0ratorio  de  Noel",  in  den  Kronungsoratorien  vollzieht 
sich  jene  seltsame  Neugeburt  aus  mittelalterlichem,  liturgisch-dramatischem  Geiste.  Im  vollen 


Das  Oratorium  vom  Ende  des  18.  JaKrhunderts  bis  1880  937 

Blechpanzer  und  in  exzentrischer  oder  altertiimelnder  Haltung  schreiten  diese  Gebilde  dahin ; 
es  ist  zu  verstehen,  warum  sie  den  jungen  Berlioz  ebenso  faszinierten,  wie  sie  den  reifen  Meister 
abstiefien.  Mit  ihrer  ungenierten  Mischung  gregorianischer,  altklassischer  und  moderner 
Stilelemente  ist  solch  Lesueursches  Oratorium  ein  wahres  Pantheon  der  Musik  aller  Zeiten. 
Lesueurs  Oratorium  lafit  sich  wahrlich  nirgendwo  besser  denken  als  bei  den  Napoleonischen 
Kronungsfeierlichkeiten  1804  und  bei  dem  Reimser  Kronungsschauspiel  vom  Jahre  1824;  ein 
Stuck  wiedererstandenes  Mittelalter  in  der  Neuzeit.  Lesueurs  Geist  blieb  dem  franzosischen 
Oratorium,  oder  wie  es  mit  Vorliebe  benannt  wurde:  ,,Mystere",  erhalten.  Er  regt  sich  am 
kraftigsten  in  Berlioz*  Trilogie  sacree,  ,,L'enfance  du  Christ**  (1854),  einem  unausgeglichenen 
kleineren  Werk,  in  dem  auBerordentlich  feine  Stimmungen  ausgesponnen  sind,  dann  aber 
auch  wieder  ganz  ungeniert  mit  drastischen  Mitteln  musiziert  wird.  Das  weitere  franzosische 
Oratorienschaffen  bis  zu  den  siebziger  Jahren  verlief  ohne  Hohepunkte.  Auch  reprodulctiv 
wurde,  im  Gegensatz  zu  England  oder  Deutschland,  nichts  geleistet  Erst  in  Ch.  Gounods  ,,La 
Redemption*  (1867—82;  Erstauf farming  in  Birmingham)  regt  sich  wieder  kraftiger  schopfe- 
rischer  Geist.  Das  Werk  steht  ganz  in  der  Linie  Lesueur-Berlioz-Liszt  und  ist  im  Grunde 
nichts  als  eine  neue  Variante  des  Lesueurschen  ,,Mystere".  Es  ist  wie  dieses  eine  Kombination 
der  verschiedensten  Stile  mit  Einschlufi  des  eigenen  Ichstils,  wie  er  in  Gounods  ,,Margarete  * 
zu  finden  ist.  Die  Leitmotiwerklammerung  der  einzelnen  Teile  ist  Liszt  nachgeahmt,  ebenso 
die  Verwendung  altkirchlichen  Melodienschatzes.  In  gleichen  Bahnen  bewegt  sich  das  Ora- 
torium  ,,Mors  et  Vita*'  (1885).  Gleichzeitig  mit  Gounod  schufen  Massenet  (Drame  sacre 
,,Marie  Madeleine*4,  ,,La  Vierge"  usw.),  Saint -Saens  (,,Le  deluge'),  Ch.  Lefebvre/ 
Th.  Dubois  u.  a.  Mit  Massenet  ist  ein  Endpunkt  dieser  Linie  erreicht:  ein  nicht  zu  iiber- 
bietender  nackter  Realismus.  Neben  diesen  geschichtlich  am  nachdrucklichsten  reprasen- 
tierenden  Werken  des  jungen  Frankreich  bleiben  die  Oratorien  des  Neuromantikers  Cesar 
Franck  (,,Ruth",  1846;  ,,La  Redemption",  1872;  ,,Les  Beatitudes",  1880;  ,,Rebekka",  1881) 
als  Zeugnisse  ernster,  charakervoller  Kunstgesinnung  und  eminenten  Konnens  erwahnens- 
wert.  Eine  Franck  verwandte  Natur  besafi  Belgien  in  dem  Vlamen  Peter  Benoit  (1834 
bis  1901 ;  ,,Die  Schelde",  1867;  ,,Der  Rhein'*  usw.).  Englands  produktiver  Anteil  am  Ora 
torium  des  19.  Jahrhunderts  beschrank  sich  bis  1880  auf  :Mex.  Macfarrens  (1813—87) 
,,St.  John  the  Baptist"  (1873),  ein  unter  neudeutschem  EinfluB  geschriebenes,  monotones 
Werk  romantischer  Geistesrichtung, 

Die  anziehendste  Erscheinung  der  zweiten  Jahrhunderthalfte  auf  dem  Gebiete  des  Ora- 
toriums  ist  Franz  Liszt.  Mit  zwei  grundverschiedenen  Werken  beglaubigte  er  seine  Auf- 
fassung  von  der  Hoheit  und  asthetischen  Berechtigung  der  Gattung:  der  ,,Legende  von  der 
heiligen  Elisabeth**  (1867)  und  dem  ,,Christus"  (komponiert  um  1866,  vollstandig  aufgefuhrt 
in  Weimar  1873).  Beide  Werke  stromen  eminent  katholisches  Empfinden  aus,  denn  sie  sind 
subjektives  Bekenntnis  des  religiosen  Menschen.  Schon  dadurch  entsteht  eine  uniiberbriick- 
bare  Kluft  zwischen  diesem  und  Handels  Oratorium.  Handels  Kunst  schopfte  aus  den  Tiefen 
der  Volksseele  und  lauterte  sich  an  allgemeinmenschlichen  Ideen  empor.  Uszts  Kiinstler- 
standpunk  blieb  ein  L  art  pour  Tart,  obwohl  er  es  nicht  wollte,  obwohl  er  seinen  ,,Christus" 
aus  dem  heifien  Trachten  des  glaubigen  Katholiken  nach  einer  neuen  Vereinigung  von  Kunst 
und  Leben,  Kirche  und  Welt  dem  Volke  geweiht  hatte.  Die  Zeit  scheint  Liszt  nicht  recht 
geben  zu  wollen.  Sein  ,,Christus"  wird  umgangen,  seine  schopferischen  Werte  werden 


Das  Oratorium  vorn  Ende  des  18.  jahrhunderts  bis  1880 


bezweifelt,  obgleich  sie  nirgends  so  auf  der  Hand  liegen  wie  in  diesem  Mysterium.  Auch  bei  der 
Elisabethlegende  kann  nicht  genug  auf  ihren  subjektiven,  katholischen  Charakter  verwiesen 
werden,  auf  den  zarten,  reizsamen  Tonfall  seiner  Musik,  die  dies  Werk  von  einer  Volkskunst 
ausschliefit  und  nur  die  aristokratisch-exklusive  Natur  ihres  Schopfers  bezeugt.  Auch  die 
Roquettesche  Dichtung  meidet  peinlich  die  geschichtlich  und  asthetisch  geregelte  Bahn  des 
Oratoriums.  Sie  verzichtet  auf  jeden  dramatischen  Anspruch  und  begniigt  sich  damit,  eine 
lose  Bilderfolge  zu  geben.  Ob  die  Verpflanzung  des  Werks  auf  die  Schaubiihne,  mit  der  man 
es  mehrfach  versucht  hat,  seinem  innersten  Wesen  entspricht,  bleibe  eine  offene  Frage.  Ora- 
torisch  ist  diese  Kunst  in  dem  Sinne,  daB  sie  sich  an  die  Phantasieanschauung  wendet. 
Diese  Grenze  hat  der  Musiker  Liszt  durchweg  wohl  gewahrt,  obwohl  selbstandige  Instrumental- 
stiicke  nach  Art  der  symphonischen  Dichtungen,  d.  h.  ausgefiihrte  Seelenschilderungen  im 
Sinne  der  Psychologic  des  19.  Jahrhunderts  und  aufierliche  Tonmalereien  die  Einheitlichkeit 
der  Konzeption  oft  storen.  Stilistisch  wird  die  Legende  und  noch  mehr  das  Christusoratorium 
gekennzeichnet  durch  die  reiche  Venvendung  altkirchlichen  Melodienschatzes,  dessen  Ober- 
fuhrung  und  Einschmelzung  in  modern-harmonisches  Empf  inden  Liszts  Genie  wohl  voll  gelang. 
Dafi  er  bei  Gelegenheit  Wagners  Kunst  entnahm,  was  er  dieser  selber  zum  Teil  zugefiihrt 
hatte,  vor  allem  also  Elemente  von  dessen  Harmonik,  aber  in  sublimiertester  Form,  versteht 
sich  fast  von  selbst.  Wagnerisch  ist  auch  die  mit  Mafi  angewandte  Leitmotivtechnik.  Aber 
iiber  diese  mehr  aufierlichen  Stileinflusse  hinaus  tragt  Liszts  Oratorienmusik  den  Stempel 
individuellsten  Schopfertums.  Ganz  eigeh  und  frei  von  Buhnenpathos  ist  zum  Beispiel  auch 
die  Stimmenbehandlung.  Es  bedarf  freilich  nachschaffender  Versenkung  in  die  mystische 
Poesie  der  Einzelgesange,  um  wahrzunehmen,  wie  sehr  sie  sich  vom  Zeitublichen  entfernen. 
Eigen  ist  ferner  die  variationsmaBige  Durchfuhrung  des  thematischen  Hauptgedankens  mitHilfe 
der  Sequenztechnik.  Die  ganze  weitspannende  Orchestereinleitung  entwickelt  sich  aus  dem 
seraphischen  Elisabethmotiv,  das  Liszt  der  alten  Antiphon  ,,Quasi  Stella  matutina"  entnommen 
hat.  Im  ,,Christus"  tritt  die  Leitmotivik  zuriick,  dagegen  die  Sequenzbildung  im  groBten 
Format  hervor.  Liszt  hat  den  Plan  seines  Werks  mit  unverkennbarem  Bezug  auf  eine  Ein- 
gliederung  in  die  katholische  Liturgie  selber  entworfen.  Der  Text  besteht  aus  14  altkirchlichen 
Gesangen,  bekannten  lateinischen  Hymnen  und  Sequenzen,  die  einzelne  bedeutende  Sta- 
tionen  aus  dem  Leben  des  Heilands  veranschaulichen.  Mit  dem  ,,Messias"  hat  der  ,,Christus" 
nur  die  Idee  gemein.  Die  Ausgestaltung  erfolgt  in  denkbarstem  Gegensatz  zu  Handel  einmal 
vom  Standpunkt  des  Katholiken,  zum  andern  vom  Standpunkt  des  Programmsymphonikers, 
also  mit  Riicksicht  auf  die  Bildhaltigkeit  des  Stoffes.  Ein  grofier  Teil  der  Partitur  wird  von 
reiner,  schildernder  Instrumentalmusik  bestritten  (Meeressturm,  Marsch  der  heiligen  drei 
Konige  usw.).  Ober  die  ausgedehnten  Chorpartien  breitet  sich  ein  Schleier  mittelalterlicher 
Mystik.  Hier  liegen  die  starksten  Verbindiingsfaden  zum  alten  liturgischen  Drama  zutage. 
Einen  einheitlichen  Chorstil  gibt  es  im  ,,Christus"  nicht.  Homophone  und  polyphone,  alt- 
kirchliche  und  modern  harmonische  Stilelemente  sind  synthetisch  verwendet,  sind  im  schopfe- 
rischen  Feuer  religioser  Ekstatik  zur  Einheit  gegossen.  Durch  die  rauschenden  Instrumental- 
satze  klingt  bisweilen  eine  unverhohlene  Weltfreudigkeit.  Der  grofie  Rhapsode  der  sympho 
nischen  Dichtungen  bestimmt  hier  merklich  die  Haltung  des  Ganzen.  Da  finden  sich  auch 
jene  elastischen  Oktavengange  der  Basse  unter  den  hymnischen  Melodiebogen  wieder,  bei 
denen  man  von  dem  Gefuhl  nicht  frei  wird,  als  sei  die  linke  und  die  rechte  Hand  des  Klavier- 


Das  deutsche  Lied  Im  19.  Jahrhundert 939 

spielers  bei  der  {Composition  beteiligt  gewesen.  Aber  auch  fiber  solchen  Stellen  liegt  der 
altkirchliche  Glanz  der  Chore  und  jener  ergreifenden,  fiihrenden  oder  nach  Priesterart 
respondierenden  Einzelgesange.  Und  eine  merit  naher  zu  begriindende  Stimmungsemheit 
bindet  die  disparaten  Teile  zum  Ganzen  eines  genialen,  dem  Allerhochsten  zustrebenden 

Kunstwerks. 

Hans  Schnoor 


DAS  DEUTSCHE  LIED  IM  19.  JAHRHUNDERT 

Erst  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  wurde  das  Lied  zu  dem,  was  es  heute  ist:  unmittel- 
barer  Ausdruck  einer  Stimmung  oder  Empfindung.  Erst  da  hat  die  Musik  im  Lied  das  zu 
erreichen  gesucht,  was  unter  alien  Kunsten  ihr  alleiniges  Vermogen  ist:  Stimmungen  direkt 
—  ohne  Umweg  iiber  das  Begriffliche  —  mitzuteilen.  Das  Gedicht,  das  sich  des  Wortes  als 
Begriff  zur  Schilderung  von  Zustanden  bedienen  mu8,  ist  auf  den  Umweg  des  Denkens  ge- 
wiesen,  kann  daher  nur  durch  den  Verstand  zum  Gefuhl  sprechen.  Musik  aber  spricht  un- 
mittelbar.  Die  Tonschwingungen  setzen  sich  nicht  zu  gedanklich  erfafibaren,  mathematischen 
Problemen  zusammen,  sondern  wirken  unmittelbar  auf  das  Gefuhl  und  losen  Stimmungen  im 
Lauschenden  aus.  So  erganzt  also  die  Musik  das  Gedicht  nach  der  Seite  des  Ausdrucks  der 
Empfindung  hin,  wahrend  die  Worte  die  Stimmung  auf  einen  bestimmten  Vorgang,  ein  Er- 
lebnis  oder  einen  Zustand  konkretisieren.  Demzufolge  kann  kein  Zweifel  bestehen,  da6  der 
Musik  im  Liede  die  bei  weitem  hohere  Aufgabe  zukommt.  Bei  beiden,  beim  Dichter  sowohl, 
wie  auch  beim  Komponisten,  ist  das  Primare  die  Stimmung,  der  das  Erlebnis  vorausgeht, 
woraus  das  Kunstwerk  geboren  wird.  Ob  das  Erlebnis  ein  auBeres  oder  innerliches  war,  ist 
fur  den  AuBenstehenden  gleichbedeutend;  jedenfalls  berechtigt  das  Fehlen  eines  auffallenden 
auBeren  Vorganges  nicht  zur  Annahme  des  ganzlichen  Fehlens  eines  schopferisch  gewordenen 
Erlebnisses.  Der  Dichter  mufi  sich,  durch  die  Beschaffenheit  seiner  Ausdrucksmittel  ge- 
zwungen,  mehr  oder  weniger  auf  die  Schilderung  der  Nebenumstande  verlegen,  um  dadurch 
im  Empfanger  dieselbe  Stimmung  zu  erregen,  wahrend  der  Musiker  nicht  schildert,  sondern 
die  Tone  findet,  die  —  unmittelbar  auf  das  Gefuhl  wirkend  —  dieselbe  Stimmung  im  Lau 
schenden  erzeugen.  Nur  in  ganz  vereinzelt  dastehenden  Gedichten  ist  die  Empfindung  so 
vollkommen  wiedergegeben,  da8  eine  Vertonung  Pleonasmus  erschiene,  wenn  nicht  als  storend 
empfunden  wurde.  Zu  diesen  wenigen  zahlen  u.  a.  Goethes  ,,Mignon"-Lieder,  von  denen 
nur  ganz  wenig  Vertonungen  der  Wirkung  der  gesprochenen  Gedichte  annahemd  gleich- 

kommen. 

Der  subjektive  Empfindungsausdruck  des  Schaffenden,  der  nicht  als  Vertreter  einer  Mehr- 
heit  sprechen  will,  sondern  nur  sein  eigenes  Empfindungsleben  zu  Wort  kommen  lassen 
mochte,  der  auch  nicht  Massen  bewegen  will,  sondern  nur  einigen  verwandten  Seelen  sein 
heiligstes  Gefuhl  eroffnet,  war  erst  im  19.  Jahrhundert,  in  der  Zeit  des  in  den  Vordergrund 
tretenden  Subjektivismus  denkbar.  Friiher  war  der  Schaffende  bemuht,  das  Allzupersonliche 
von  seinem  Kunstwerke  f ernzuhalten ;  ein  asthetisch  stilisierendes  Prinzip  waltete  iiber  dem 
Kunsthimmel  und  hielt  allzu  krassen  Subjektivismus  aufierhalb  der  Schranken  der  Kunst. 
Um  das  hier  Gesagte  an  einem  Beispiel  klar  vor  Augen  zu  haben,  vergleiche  man  die  Vertonung 

60     H.  d.  M. 


940  Das  deutsche  Lied  im  19.  Jahrhundert 

eines  Gedichtes  durch  einen  Romantiker  mit  der  eines  friiheren  Komponisten,  also  z.  B.  Schu- 
berts  ,,Erlkonig"  mit  dem  Reichardts,  oder  gar  dem  der  Korona  Schroter.  Selbst  wenn  ein 
Mozart  dieselbe  Ballade  vertont  hatte,  wie  anders  ware  die  Auffassung  gewesen:  die  stim- 
mungsmalende  Begleitung  ware  vor  allem  absolut  musikalisch  gehalten  und  erst  in  zweiter 
Linie  (wenn  iiberhaupt)  illustrierend.  Das  Gedicht  ist  eine  Einlage  in  das  Singspiel  ,,Die 
Fischerin"  und  Goethe  auBert  sich  dariiber  in  einem  Brief  an  Kayser  vom  Jahre  1 779 :  Der 
Erlkonig  gehort  zu  den  ,,Liedern,  von  denen  man  supponieret,  dafi  der  Smgende  sie  irgendwo 
auswendig  gelernt,  und  sie  nun  in  ein  und  der  anderen  Situation  anbringt.  Diese  konnen  und 
miissen  eigne,  bestimmte  und  runde  Melodien  haben,  die  auffallen  und  jedermann  leicht  be- 
halt."  Daher  war  also  die  rein  strophische  Vertonung  und  das  leicht  faCliche,  tanzmaBig 
rhythmisierte  Thema  der  Korona  Schroter  gewifi  nicht  gegen  Goethes  Intentionen.  Auch 
Reichardt  halt  seine  Vertonung  ganz  volkstiimlich,  riickt  aber  der  spateren  Auf fassung  dadurch 
bedeutend  naher,  daB  er  den  Erlkonig  auf  einem  Ton  rezitieren  lafit,  wahrend  die  Melodie 
von  der  Begleitung  iibernommen  wird.  Dieser  Art  der  Vertonung  steht  die  Loewes  (aus  dem 
Jahre  1818)  naher  als  die  Schuberts,  da  auch  er  den  Erlkonig  —  wie  das  Rauschen  des  Windes 
in  Weidenblattern  —  in  Dreiklangtonen  fliistem  lafit,  wahrend  Schubert  die  Impression  des 
Kindes  —  das  Verftihrerische  —  durch  eine  verfiihrend  schone  Melodie  darstellt. 

Derselbe  Ubergang,  der  um  das  Ende  des  18.  Jahrhunderts  von  der  klassischen  zur  roman- 
tischen  Dichtung  sich  vollzogen  hatte,  folgt  nun  in  den  ersten  zwei  Jahrzehnten  des  1 9.  Jahr 
hunderts  in  der  Musik.  Hier  kommt  lediglich  die  Romantik  in  der  lyrischen  Dichtung  in 
Betracht,  und  da  muB  wohl  Goethe  als  der  geistige  Anreger  und  Wegweiser  zum  romantischen 
Gedicht  angesehen  werden.  Die  Romantik  wendet  sich  mit  Vorliebe  dem  Phantastischen, 
Mystischen,  Ungewohnlichen  zu,  weg  von  der  Realitat  des  Alltaglichen  versenkt  sie  sich  liebe- 
voll  in  das  Singen  und  Sagen  friiherer  Zeiten.  Das  alte  Volkslied  feiert  seine  Auferstehung, 
(Herders  ,,Volkslieder",  ,,Des  Knaben  Wunderhorn")  wird  in  seiner  schlichten  Schonheit  voll 
erkannt  und  nachgeahmt.  Die  pathetische  Lyrik  des  Klassizismus  weicht  dem  einfachen  Ge- 
fuhlsausdrucke  und  die  hochklingenden  Ausspriiche  machen  bescheidenen,  aber  innig  emp- 
fundenen  Worten  Platz.  Diese  beiden  Faktoren:  das  Phantastische,  bald  zugellos 
leidenschaftlich,  bald  religios-mystisch,  und  das  schlicht  Volkstumliche  sind  auch 
die  beiden  Haupteigenschaften  des  neuentstandenen  romantischen  Liedes. 

Die  Oper  wie  die  reine  Instrumentalmusik  waren  in  der  Romantik  dem  Lied  vorausgeeilt. 
Die  Griinde  dafiir  liegen  auf  der  Hand;  man  muB  sich  nur  den  Zustand  der  verschiedenen 
Kompositionsgattungen  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts  vergegenwartigen.  Sowohl  die  Oper 
als  auch  die  verschiedenen  Instrumentalkompositionsformen  konnten  damals  auf  eine  un- 
gefahr  zwei  Jahrhunderte  lange,  in  ununterbrochen  steigender  Entwicklung  begriffene  Ver- 
gangenheit  zuriicksehen,  wahrend  in  der  Entwicklungsgeschichte  des  Liedes  grofie  Liicken 
und  oftmals  Riickschritte  zu  verzeichnen  sind  (z.  B.  die  willkiirlichen  Vereinigungen  von 
Worten  mit  beliebigen  Tanzweisen  der  ,,Singenden  Muse"  von  Sperontes!).  Das  kurze  Lied 
lyrischen  Inhaltes  stand  in  formeller  Hinsicht  zum  Teil  unter  dem  Einflufi  der  Tanzmusik, 
die  Begleitung  beschrankte  sich  darauf,  die  latente  Harmonic  der  Singstimme  in  einem  be- 
zifferten  BaB  anzugeben,  dessen  Ausfuhrung  dem  Spieler  iiberlassen  blieb.  Das  ausgedehnte 
Lied  erzahlenden  Inhaltes  —  der  spateren  Ballade  vergleichbar  —  (z.  B.  die  Lieder  Valentin 
Herbings  oder  Ernst  Bachs)  hatte  keine  selbstandige  Form,  sondern  folgte  den  Worten  des 


Das  deutsche  Lied  im  19.  Jahrhundert  941 

Gedichtes.  Mozarts  und  Beethovens  Lieder  bilden  den  Abschlufi  und  Hohepunkt  dieser  Pe- 
riode  der  Ljedkomposition  und  die  kleine  Anzahl  Lieder,  die  uns  von  den  beiden  (und  auch 
von  Haydn)  erhalten  sind,  beweist  am  besten  die  geringe  Einschatzung  des  Liedes  als  Kunst- 
gattung.  Aber  ein  Strahl  der  Romantik  aus  Mozarts  Opern  leuchtet  dort  in  seinen  Liedern 
auf,  wo  er  ein  Gedicht  Goethes,  ,,Da&  Veilchen'*,  vertont,  und  Beethoven,  der  Romantiker  der 
Instrumentalkomposition,  ahnt  in  der  ,,Adelaide",  im  Liederkreis  ,,An  die  entfernte  Geliebte" 
(1816)  und  auch  wieder  in  einigen  Gedichten  Goethes  die  Empfindungsmacht  des  Liedes 
voraus.  Die  sechs  ergreifenden  Lieder  des  Zyklus  sind  in  Beethoven  durch  die  Erinnerung 
an  die  Liebe  zu  seiner  ,,unsterblichen  Geliebten"  Therese  von  Brunswick  entstanden.  Er 
schrieb  damals :  ,,Mein  Herz  stromt  iiber  beim  Anblick  der  schonen  Natur,  obschon  ohne  sie.** 
Seine  Sehnsucht  lieB  ihn  damals  den  Ton  des  Liedes  finden,  der  den  ureigensten  Schmerz  in 
all  seiner  weltumfassenden  Tief e  einschlieBt.  Alles  vibriert  in  bangster  seelischer  Empf  indung. 
So  hat  der  Titane  in  der  Schmerzensstunde  des  Einsamen  die  psychische  Gewalt  des  kom- 
menden  Liedes  vorausgeahnt 

Als  eigentliches  Geburtsjahr  des  neuen  romantischen  Liedes  mufi  1815  —  Schuberts 
Goethe-  Liederjahr  —  gelten.  In  ,,ErIkonig",  ,,Heidenroslein**,  ,,Wanderers  Nachtlied", 
,,Gretchen  am  Spinnrad"  (1814)  sind  all  die  Ziige,  die  das  romantische  Lied  charakterisieren, 
schon  enthalten.  Die  Melodie  ist  nicht  auf  das  VersmaB  des  Gedichtes  erfunden,  d.  h.  sie 
.kandiert  den  Text  nicht,  sondern  schliefit  sich  an  den  Sinn  an ;  Ausnahmen  finden  sich  frei  - 
lich  noch  in  spateren  Liedern  Schuberts  —  noch  mehr  bei  Schumann  —  (z.  B.  Schubert,  ,,Das 
Fischermadchen",  ,,Die  Forelle"  usw.).  Dadurch  ist  aber  eine  Anderung  in  formaler  Hin- 
sicht  bedungen :  Die  streng  strophische  Vertonung  —  friiher  die  haufigste  —  wird  zur  Aus- 
nahme.  Auch  das  tiefere  Eingehen  auf  den  Stimmungsgehalt  des  Gedichtes  bedingt  Erwei- 
terung  der  Form.  Stimmungsgegensatze  zwischen  den  einzelnen  Strophen  werden  durch  Wahl 
anderer  Tonarten  oder  auch  durch  melodisch  kontrastierende  Mittelstrophen  dargestellt.  Da 
durch,  sowie  durch  kleine  voriibergehende  Wendungen  zur  Charakterisierung  einzelner  Worte 
oder  Eindriicke  erfahrt  die  harmonische  Ausgestaltung  eine  weitgehende  Bereicherung.  Der 
Tonart  der  Terz  kommt  dabei  —  als  harmonischem  Gegensatz  in  der  Mittelstrophe  —  groBe 
Bedeutung  zu.  Eine  der  wichtigsten  Bereicherungen  aber  erfahrt  das  Kunstlied  durch  die 
Ausgestaltung  der  Begleitung,  die  sich  von  der  Singstimme  emanzipiert  oder  in  ein  inniges 
Verhaltnis  zu  ihr  —  aber  als  gleichberechtigter  Faktor  —  tritt.  Ihr  fallt  die  wichtige  Aufgabe 
der  Milieu-  und  Stimmungsschilderung  zu,  wahrend  der  Singstimme  der  Ausdruck  des  Ge- 
fiihls  und  der  Empfindung  vorbehalten  bleibt.  Die  rein  technisch-formelle  Bestimmung  der 
Vor-  und  Zwischenspiele,  wie  Angabe  des  Einsatztones  und  Verbindung  der  einzelnen  Stro 
phen,  wird  einem  hoheren  Zweck,  dem  der  Stimmungsvorbereitung  und  Oberleitung,  unter- 
geordnet.  Den  Akkordzerlegungen  werden  tonpoetische  Absichten  zugrunde  gelegt  (Schu 
berts  ,,Die  schone  Miillerin",  ,,Gretchen  am  Spinnrad",  ,,Erlkonig",  ,,Die  Forelle**  usw.),  zu 
denen  sich  vereinzelt  auch  sogenannte  ,,Situationsmotive"  gesellen  (Post-  oder  Jagdhorner, 
Sturmrauschen  u.  a.  in  den  entsprechenden  Liedern).  All  das  aber  lafit  sich  auf  das  eine  Be- 
streben  zuriickfuhren,  das  Wort  des  Dichters  voll  zur  Geltung  zu  bringen  und  den  poetischen 
Stimmungs-  und  Empfindungsinhalt  der  Dichtung  musikalisch  ganz  wiederzugeben.  Die  Be- 
gleitungsart  wird  durch  den  Stimmungsgrundton  des  Gedichtes  bestimmt,  kleinere  Nuancen 
werden  durch  eine  verfeinerte  Harmonic  gezeichnet.  Der  strophischen  Variierung  kommt  eine 
60* 


deutsehe  Lied  im  19.  Jahrhundert 


groBe  Bedeutung  zu,  aber  die  Wurzeln  ihrer  Entstehung  sind  nicht  in  absolut  musikalischem 
Variierungsbediirfnis  zu  suchen,  sondern  aus  dem  Bestreben,  auch  den  kleinsten  Regungen 
des  Textes  zu  folgen,  zu  erklaren.  Die  variierte  Strophenform  bleibt  denn  auch  die  Haupt- 
form  des  friihromantischen  Liedes.  Aber  schon  beginnt  ihre  Verschmelzung  mit  der  durch- 
komponierten  Form  (jede  Strophe  ihre  eigene  Melodie)  und  sogar  das  deklamatorische  Lied, 
in  dem  die  Singstimme  sich  nicht  in  selbstandiger  Melodie  emporschwingt,  sondern  dem  Ton- 
fall  der  Rede  mehr  oder  weniger  folgt,  feiert  seine  Auferstehung.  So  sind  in  Schuberts  Liedern 
bereits  alle  Formen  und  Gattungen  enthalten,  die  im  Verlaufe  des  19.  Jahrhunderts  ihre 
weitere  Fortbildung,  teilweise  bis  zum  Hohepunkt  gefunden  haben.  Friihzeitig  schon  zeigte 
sich  Schuberts  kompositorisches  Genie  und  mit  dem  Jahre  1815,  das,  wie  schon  erwahnt, 
den  grofiten  Teil  der  Goethe-Lieder  Schuberts  (gegen  100  im  ganzen)  brachte,  steht  seine  iiber- 
ragende  Bedeutung  far  die  Geschichte  des  Liedes  fest.  Im  ganzen  sind  ungefahr  450  Lieder 
Schuberts  erhalten. 

Sein  Verdienst  ist,  dafi  er  das  Lied  so  schuf,  wie  es  die  Nachwelt  als  Kunstgattung  voll 
anerkannte.  Aus  der  Objektivitat  des  Tanzliedchens  und  der  philistrosen  Naivitat  des  Schafer- 
liedes  rifi  er  es  empor  zur  erlebnisvollen  Subjektivitat.  Auffallend  ist  dabei,  dafi,  wahrend  m 
den  Liedern  der  vorhergehenden  Epoche  das  heitere  Moment  das  bei  weitem  vorherrschende 
war,  nun  das  verzweifelt-melancholische  so  sehr  Oberhand  gewinnt  (,,Winterreise",  „  Wan 
derer"  usw.).  Es  geht  nicht  an,  das  auf  Schuberts  Naturell  zuruckzufuhren  —  er  war  im 
Gegenteil  stets  heiter  und  frohlich  —  ,  man  sieht  darin  eine  far  die  jungen  Romantiker  be- 
zeichnende  Gefiihlsdisposition  far  weltschmerzliche  Empfindungen.  Es  ist  einerseits  erne 
gewisse  Freude  amLeid,  andererseits  em  Sichwohlgefallen  im  Aufgeregten  und  Leidenschaft- 
lichen,  als  Reaktion  auf  die  objektive  epische  Ruhe  und  die  streng  beobachteten  Grenzen 
des  Asthetischen  der  Klassiker.  Auch  in  der  Wahl  der  Dichtungen  sind  die  Romantiker  bei 
weitem  sorgfaltiger,  als  ihre  Vorfahren.  Es  erklart  sich  dies  aus  der  erhohten  Beachtung,  die 
nun  dem  Wort  geschenkt  wurde.  Fur  Schubert  ist  bezeichnend,  dafi  er  sich  am  meisten  zu 
Goethes  Lyrik  hingezogen  fahlte.  Die  iibrigen  Gedichte  fand  er  vielfach  in  den  Werken  der 
Dichter  seines  Freundeskreises.  Die  Worte  zur  ,,Schonen  Mullerin"  und  ,,Winterreise" 
stammen  von  Wilhelm  Miiller.  Von  Heine,  dessen  ,,Buch  der  Lieder*  nicht  viel  vor  Schu 
berts  Tod  erschien,  hat  Schubert  sechs  Gedichte  vertont 

Die  drei  Stiltypen,  die  die  Grundlage  von  Schuberts  Liedern  bilden  und  die  im  Verlaufe 
des  Jahrhunderts  durch  verschiedene  Komponisten  ihre  Fortbildung  erfahren  haben,  sind: 
1  .  Das  Lied,  in  dem  alles  Hauptsachliche  in  der  Melodie  der  Gesangstimme  liegt  und  sich 
die  Begleitung  darauf  beschrankt,  die  latente  Harmonie  der  Gesangsmelodie  auszufahren.  Ein 
Singen  dieser  Lieder  ohne  Begleitung  ist  denkbar  und  geschieht  auch  ofters  bei  Kunstliedern, 
die  zu  Volksliedern  geworden  sind.  Diese  Art  steht  sowohl  dem  Volkslied  wie  auch  dem  Lied 
der  unmittelbar  vorausgegangenen  Zeit  am  nachsten  (z.  B.  ,,Das  Wandern**,  ,,Heidenroslein**). 
Den  2.  Stiltypus  stellen  die  Lieder  dar,  in  welchen  das  formal  bindende  Moment  in  die  Be 
gleitung  verlegt  ist.  Wahrend  die  erste  Gattung  zur  Strophenform  neigt,  gestattet  diese  auch 
die  freieste  Durchkomposition  ;  die  Harmonie  bewegt  sich  viel  freier,  ist  auch  keineswegs  als 
latente  Harmonie  der  Singstimme  immer  unzweideutig  bestimmt,  sondern  tritt  selbstandig 
als  wichtiger  Faktor  der  Koloristik  auf  (z.B.  ,,Die  junge  Nonne",  ,,Der  Wanderer")-  Dieser 
Typus  wurde  zwar  von  Schubert  nicht  neu  geschaffen,  erfuhr  aber  doch  erst  durch  ihn  die  voll- 


944  ^as  Deutsche  Lied  im  1 9.  JaHrHundert 


endete  Durchbildung.  Er  ist  der  wichtigste  far  das  ganze  19.  Jahrhundert  geblieben  und  hat 
auch  dariiber  hinaus  seine  Bedeutung  nichtverloren.  Robert  Schumann  fiihrt  ihn  waiter,  Mahler 
baut  inn  aus  bis  zum  ,,symphonischen  Lied".  Der3.Typus,  der  bis  dahin  nur  im  erzahlenden 
Lied  eine  Rolle  spielte,  ist  die  ,,deklamatorische"  Vertonung,  d.  h.  die  musikalische  Form  wird 
nicht  durch  musikalische  Momente,  sondern  durch  den  Inhalt  (weniger  durch  die  aufiere 
Form)  der  Dichtung  bestimmt  (z.  B.  ,,Der  Doppelganger").  Diese  Gattung  erfahrt  nach 
Schubert  wenig  Weiterbildung,  bis  sie  Hugo  Wolf  durch  gliickliche  Verschmelzung  mit  der 
vorhergehenden  zur  hochsten  Vollendung  seiner  Zeit  fahrte,  nachdem  sie  vorher  auch  Liszt 
bei  manchen  LJedern  mit  viel  Gliick  angewendet  hatte.  Bei  all  den  3  Typen  wachst  die  Aus- 
gestaltung  der  Begleitung  gegeniiber  der  friiheren  Zeit  bedeutend,  ohne  dabei  die  Singstimme 
zu  unterdriicken.  Ihre  Aufgaben  sind  denn  auch  verschiedene :  wahrend  der  Begleitung  die 
Schilderung  des  Milieus,  die  Darstellung  der  aufieren  Umgebung  und  Umstande  zufallt,  bringt 
die  Singstimme  das  psychische  Geschehen,  die  Empfindung  zum  Ausdruck.  Der  Komponist 
greift  bei  der  Vertonung  zuriick  nach  der  Stimmung,  aus  der  das  Gedicht  geboren  wurde, 
und  schafft  aus  derselben. 

Beethovens  Stellung  zum  friihromantischen  Lied  wurde  bereits  gekennzeichnet.  Weber 
wirkt  indirekt  durch  seine  Opern  auf  das  Lied  befruchtend,  indem  er  in  langere  Arien  Lieder 
einstreut  (z.  B.  ,,Leise,  leise,  fromme  Weise")  oder  ganze  Arien  liedmafiig  ausgestaltet.  Er 
bringt  nicht  neue  Formen,  sondern  steigert  nur  das  romantische  Element  (das  Mystisch- 
Religiose,  Unheimliche  usw.).  Dem  Schubertkreis  gehorte  auch  Franz  Lachner  (1803 
bis  1890)  an,  der  durch  seine  volkstiimlichen  Lieder  viel  Freunde  gewann. 

Die  Balladenkomposition  war  in  Deutschland  ziemlich  unbedeutend,  bis  sie  mit  einem 
Schlage  der  berufene  Genius  zum  vollendeten  Kunstwerke  schuf.  Seit  defn  Jahre  1773,  da 
Burgers  ,,Lenore"  entstand,  nahm  die  Balladendichtung  immer  starkeren  Aufschwung  und 
manche  Korpponisten  fiihlten  in  sich  den  Drang,  der  Form  dieser  Dichtungsart,  die  ein  Zwi- 
schenglied  zwischen  Lyrik  und  Drama  darstellt,  musikalisch  gerecht  zu  werden.  Aber  sie 
stellten  sich  entweder  auf  den  Boden  des  Liedes  und  schufen  strophenmaBige  Vertonungen 
(Reichardt,Kirnberger)  oder  komponierten  ganz  opern-(oder  singspiel~)ma8ig  mit  ausgedehnten 
rezitativischen  Partien  Qohann  Andre).  Der  bedeutendste  dieser  Vorlaufer  ist  Johann  Ru 
dolf  Zumsteeg  (1760 — 1802).  Seine  {Composition  des  ,,Ritter  Toggenburg"  diente  dem 
jungen  Schubert  als  Vorbild  und  hat  ihn  auch  stark  beeinflufit.  Schubert  selbst  stellt  sich 
bei  der  Balladenvertonung  entweder  auf  den  Standpunkt  des  Lyrikers  (,,Erlkonig")  oder  ver- 
fallt  in  ein  mehr  oder  weniger  regelloses  Improvisieren.  Im  Jahre  1815  entstanden  9  Balladen, 
darunter  ,,Der  Taucher",  ,,Die  Biirgschaft"  (von  Schiller),  ,,Der  Schatzgraber",  ,,Der  Gott 
und  die  Bajadere",  ,,Der  Erlkonig"  (von  Goethe),  in  spateren  Jahren  neben  anderen:  ,,Ein 
Fraulein  schaut  vom  hohen  Turm"  (1825)  und  ,,Edward"  (1827),  letztere  von  Schubert 
strophisch  vertont. 

Karl  Loewe  (1796 — 1869)  setzt  mit  seiner  Balladenkomposition  nicht  erst  dort  ein,  wo 
seine  Vorganger  aufgehort  hatten,  erarbeitet  die  richtige  Form  nicht  im  Verlaufe  seines  Schaf- 
fens,  sie  ist  ihm  a  priori  gegeben  und  seine  drei  ersten  Balladen:  ,,Edward"  (1818),  ,,Erlkonig" 
(1818),  ,,Der  Wirtin  Tochterlein",  die  1824  als  op.  1  erschienen,  zeigen  die  Balladenform  genau 
so  vollendet  und  ausgepragt,  wie  seine  spateren.  Das  Wesentliche  dieser  Form  ist  eine  frei 
variierte  strophische  Vertonung,  wobei  ein,  zwei  oder  mehrere  Strophenmelodien  einander 


Das  deutsche  Lied  im  1 9.  Jahrhundert  945 

abwechseln,  starker  oder  weniger  stark  verandert  wiederkehren,  wie  es  der  Inhalt  der  Dichtung 
erfordert.  Die  Variierung  ist  anderer  Art,  als  beim  variierten  Strophenlied :  Die  gegebene  Melo- 
die  wird  in  eine  andere  Tonart,  in  die  Variante  (auch  Parallele)  versetzt  oder  in  ihre  einzelnen 
Motive  zerlegt  und  durch  andere  Zusammensetzung  zu  einem  neuen  Gebilde  geschaffen.  Beim 
,,Prinz  Eugen"  ist  der  Vorgang  umgekehrt:  zuerst  die  verschiedenen  Kombinationen,  bis  am 
Ende  das  Thema  in  seiner  Urgestalt  auftritt.  In  manchen  Balladen  greift  er  am  Schlusse  auf 
den  Anfang  zuriick  (,,Elvershoh",  ,,Gruft  der  Liebenden",  ,,Harald").  Als  Friihromantiker 
kennzeichnet  ihn  der  mystisch-religiose  Zug,  sowie  der  Hang  zu  volksliedartiger  Melodik. 
Den  Ton  des  Unheimlichen,  Grauenvollen  trifft  er  ausgezeichnet ;  nicht  das  absolut  Wohl- 
klingende,  sondern  das  Charakteristische  ist  ihm  das  Wichtigere:  Im  ,,Edward"  die  gedriickte 
freudlose  Stimmung,  im  ,,Erlkonig*'  die  Schilderung  von  ,,Nacht  und  Wind'*;  die  Stimme 
des  Erlkonigs  klingt  wie  ein  Naturlaut  dazwischen: 


Du      lie  -    bes    Kind  komm,  geh      mit      mir,     gar    scho  -  ne    Spie  -  le       spiel*    ich      mit      dir 

(Auffallend  ist  die  Ubereinstimmung  in  der  Tonart  [G-Moll]  zwischen  Schuberts  und  Loewes 
Erlkonig.) 

Die  Aufgabe  der  Klavierbegleitung  bei  Loewe  ist:  die  Melodic  zu  stiitzen  (,,begleiten"), 
den  psychischen  Affekten,  die  im  Gesang  zum  Ausdruck  kommen,  die  notige  Resonanz  zu 
geben,  sowie  die  Verbildlichung  des  erzahlten  Inhaltes,  aber  nicht  im  Sinne  einer  bloBen  Ton- 
malerei,  sondern  als  Wiedergabe  der  diese  Bilder  begleitenden  Gefiihlsbewegungen.  Harmo- 
nisch  steht  er  auf  dem  Boden  der  Friihromantiker,  schreckt  aber  vor  gelegentlichen  Harten 
im  Dienste  der  Charakterisierung  oder  an  dramatischen  Hohepunkten  nicht  zuriick  (,,Der 
Nock",  ,,0dins  Meeresritt")-  Sein  Schaffen  zerfallt  in  vier  Perioden,  die  jedesmal  durch  un- 
gefahr  dreijahrige  Pausen  getrennt  sind.  Stilistisch  unterscheiden  sie  sich  kaum  voneinander. 
Die  erste  Periode  (1818 — 27)  tragt  vorwiegend  nordischen  Zug.  AuBer  den  schon  erwahnten 
fallen  in  sie  noch  die  Balladen:  ,,Heinrich  der  Vogler",  ,,Tom  der  Reimer"  usw.  Die  zweite 
Periode  (1830—40)  enthalt  14>Goethe-Balladen,  eine  Reihe  von  polnischen  Balladen  (Mizkie- 
witsch),  den  Balladenkreis  ,,Esther"  (1835)  von  Giesebrecht,  den  Zyklus  ,,Der  Bergmann", 
sowie  eine  Reihe  von  Legenden,  die  Loewe  als  einen  speziellen  Zweig  der  Ballade  kultivierte 
(darunter  ,,Gregor  auf  dem  Stein",  5  Gedichte  von  Franz  Kugler).  Die  dritte  Periode  (1843 
bis  1847)  umfaBt  den  ,,Prinz  Eugen",  ,,Tod  und  Todin"  usw.,  die  vierte  (1850—69)  .Archibald 
Douglas"  als  hervorragendstes  Werk. 

Als  Nachfolger  Loewes  in  der  Balladenkomposition  sind  im  19.  Jahrhundert  Schumann 
mit  ungefahr  einem  Dutzend  Balladen  (,,Die  Lowenbraut",  ,,Die  beiden  Grenadiere"  usw.), 
Brahms  (,,Edward",  ,,Walpurgisnacht",  ,,Nonne  und  Ritter"  usw.)  und  Martin  Pliidde- 
mann  (1854 — 97)  zu  nennen. 

Felix  Mendelssohn-Bartholdy  (1809—47)  eroffnet  die  Reihe,  die  bisher  als  Spat- 
romantiker1)  bezeichnet  wurde.  Er  ist  nicht  ein  Schopfer  neuer  Formen,  sondern  ein  Vollender 

x)  Die  iibliche  Einteilung:  Schubert,  Loewe,  Weber  als  Friihromantiker,  Mendelssohn,  Schumann  als  Spat- 
romantiker  ist  auf  die  Liedkomposition  wenig  zutreffend,  da  die  sogenannte  neudeutsche  Schule  auf  diesem  Gebiete 
niemals  recht  Fu6  fassen  konnte;  sie  ware  zu  ersetzen  durch  die  Dreiteilung:  Schubert,  Loewe,  Weber  als  Friih 
romantiker,  Mendelssohn,  Schumann  als  Mittelromantiker,  Brahms,  Mahler  u.  a.  als  Spatromantiker,  die  naturlich 
nur  fur  die  Uedkomposition  anzuwenden  ware. 


946  Das  deutsche  Lied  im  19.  Jahrhundert ___ , 

eines  Zweiges  der  Liedkomposition.  Seine  Uedformen  sind  viel  einfacher  und  mehr  durch 
ein  musikalisches  Schema,  als  durch  innere  Notwendigkeit  diktiert.  Freilich  handhabt  er  diese 
stereotyp  wiederkehrenden  Formen  mit  bewundernswertem  Geschick,  so  dafi  man  ihn  sogar  als 
formenfester  als  Schubert  bezeichnet,  was  dadurch  zu  erklaren  ist,  dafi  Schubert  immer  ganz 
Neues  schuf,  jedem  Gefiihl  seinen  spezifischen  Ausdruck  verleihen  wollte,  wahrend  Mendels 
sohn  ausgeglichene  Ebenmafiigkeit  und  Wohllaut  das  WJchtigere  waren.  Durch  seine  Freude 
am  schonen,  vollen  Klang  bestach  er  auch  seine  Zeitgenossen,  und  seine  Lieder,  Duette  und 
Quartette  wurden  offentlich  und  im  hauslichen  Kreise  soviel  gesungen,  dafi  sie  durch  ihre 
weichliche  Sentimentalitat  und  ihre  Furcht  vor  aller  kraftvollen  Rauh-  und  Derbheit  die  Horer 
verweichlichten  und  beinahe  geschmacksgefahrlich  wurden.  Thematische  Durcharbeitungen 
bringen  bei  ihm  selten  Uberraschendes ;  ein  charakteristisches  Kopfmotiv  fiihrt  in  die  Stim- 
mung  der  Komposition  ein,  das  weitere  ist  die  Fortfuhrung,  wie  sie  nur  ein  femgebildeter 
Musiker  schreiben  kann.  Der  Mangel,  gewaltige  Konzeptionen  zu  fassen  oder  kraftvolle  Kon- 
flikte  heraufzubeschworen  und  wieder  zu  losen,  sowie  die  Fahigkeit,  in  kleinen  Formen  Stim- 
mungsminiaturen  zu  malen,  stempeln  ihn  auch  als  ausgesprochenen  Lyriker  von  weicher,  zum 
Sentimentalen  neigender  Empfindung.  Dementsprechend  ist  auch  die  Wahl  seiner  Dichter. 
Heine  nimmt  darunter  einen  hervorragenden  Platz  ein. 

Robert  Schumann  (1810—56)  schliefit  nicht  unmittelbar  an  Schubert  an,  wie  Mendels 
sohn,  der  erstaunlich  Fnihreife,  sondern  sein  Schaffen  setzt  ungefahr  ein  Dezennium  nach 
dem  seines  Zeitgenossen  ein.  Durchaus  Lyriker,  steht  er  bis  zu  seinem  30.  Lebensjahre  dem 
gesungenen  Lied  ganzlich  fern,  doch  bringt  das  Jahr  1840  eine  solche  Fiille  von  Liedern,  dafi 
es  Schumann  sogleich  in  die  erste  Reihe  der  Liederkomponisten  stellt.  Unwillkiirlich  denkt 
man  an  Schuberts  Liederjahr  1815.  Schumann  ist  nicht,  wie  Mendelssohn,  Vollender  eines 
Zweiges,  sondern  Fortbildner.  Er  kommt  von  andern  Seiten  an  das  Lied  heran,  als  Schubert, 
dem  der  Gesang  das  Primare  war  und  der  die  starkere  Heranziehung  und  den  Zuwachs  an 
Bedeutung  der  Begleitung  erst  schuf.  Schumann  war  bis  zu  seinem  Liederjahr  Klavierkom- 
ponist  und  sprach  seine  Empfindungen  in  kurzen  Formen  aus.  Eine  erhohte  Intensitat  der 
Empfindung  (durch  die  Vereinigung  mit  seiner  Geliebten,  Clara  Wieck,  hervorgerufen) 
drangte  ihn  zur  Heranziehung  des  Wortes.  Es  entstehen  nun  aber  keineswegs  Klavierstiicke 
mit  hinzugefiigter  Gesangstimme :  was  friiher  in  seinen  Klavierstiicken  sang,  wird  nun  der 
menschlichen  Stimme  anvertraut,  ohne  dafi  dadurch  das  Klavier  als  ,,Nur-Begleitinstrument" 
in  den  Hintergrund  gedrangt  wiirde.  Es  bleibt  ihm  vielmehr  seine  Wichtigkeit  sewahrt,  so  dafi 
oft  die  fiihrende  Melodie  ihm  anvertraut  wird,  wodurch  es  der  Gesangstimme  erleichtert  wird, 
einer  streng  sinngemafien  Deklamation  grofiere  Rechnung  zu  tragen;  trotzdem  begeht  Schu 
mann  darin  manch  sorglosen  Fehler.  Es  fallt  hier  allerdings  in  die  Waagschale,  dafi  vor  Wagner 
das  Empfinden  for  streng  sinngemafie  Deklamation  nicht  so  uberfeinert  war,  wie  es  heut- 
zutage  ist.  Von  Mendelssohn  unterscheidet  ihn  seine  frische  Lebendigkeit,  seine  Vorliebe  far 
pragnante  Rhythmen  und  seine  Harmonik,  die  das  Charakteristische  viel  hoher  schatzt  als 
den  vollendeten  Wohlklang.  So  wenig  Schumann  es  versteht,  die  koloristischen  Moglichkeiten 
des  Orchesters  voll  auszuniitzen,  so  ist  er  doch  der  Klavierkolorist  par  excellence  und  weifi 
auch  harmonische  Farbenwirkungen  zur  schonsten  Geltung  zu  bringen.  Ein  wichtiger  Unter- 
schied  ist  in  der  Form  zu  konstatieren.  Auch  darin  ist  Schumann  fortschrittlich :  die  Strophen- 
form  wachst  unter  seinen  Handen  zu  viel  freierer  Variierung,  in  den  Da-capo-Liedern  tritt 


Das  deutsche  Lied  im  19.  Jahrhundert  947 


das  Kontrastelement  starker  in  den  Vordergrund,  die  wichtigste  Neuerung  gegeniiber  Mendels 
sohn  bilden  aber  die  freien  Formen,  die  von  Schumann  eine  groCartige  Weiterentwicklung  er- 
fahren.  Auch  bei  ihm  lassen  sich  die  drei  Typen  feststellen,  die  fur  Schubert  charakteristisch 
waren,  aber  bereits  in  einem  andern  Entwicklungsstadium.  Die  erste  —  Singstimme  melo- 
disch  und  formal  bestimmend,  Begleitung  unkomplizierte  Ausfiihning  der  latenten  Harmonie 
(z.  B.  ,,Die  Rose,  die  Lilie  .  .  .**)  —  kommt  der  gleichen  Gattung  Schuberts  am  nachsten,  ist 
aber  bei  Schumann  nur  sehr  vereinzelt  anzutreffen.  Die  beiden  andern  Arten,  durchkomponierte 
und  deldamatorischeLieder,  erfahren  ihre  Fortbildung  soweit,  daB  die  Begleitung  das'fiihrende 
und  formal  Bindende  wird  (,,Der  NuBbaum").  Er  Jst  Meister  der  kleinen  Skizze,  das  heifit: 
durch  ein  kurzes  rhythmisches  Motiv  oder  eine  harmonische  Wendung  charakterisiert  er  voll- 
kornmen  Personen,  Vorgange  und  Stimmungen.  Noch  besser  als  Mendelssohn  stellt  er  jedem 
Lied  ein  charakteristisches  Motiv  an  die  Spitze,  ist  auch  in  der  Fortspinnung  viel  interessanter 
als  dieser,  da  er  durch  neue  rhythmische  und  harmonische  Wendungen  oder  auch  nur  durch 
Anderungen  in  der  Setzweise  kleine  Uberraschungswirkungen  erzielt.  Vor-,  Zwischen-  und 
Nachspiele  ordnen  sich  in  den  formalen  Ausbau  ein,  bringen  manchmal  eigene  Motive;  ihr 
innerer  Zweck  ist,  die  Stimmung  vorzubereiten  und  ausklingen  zu  lassen.  Auch  in  den  ein- 
fachen  Liedern  ,,im  Volkston"  gehoren  die  Vor-  und  Nachspiele,  sowie  die  Begleitung  so  un- 
trennbar  zum  Lied,  daB  ein  Weglassen  derselben,  wie  es  bei  vielen  volksKederartigen  Kom- 
positionen  Mendelssohns  (,,Es  ist  bestimmt",  ,,Leise  zieht  durch  mein  Gemiit",  ,,Wer  hat 
dich,  du  schoner  Wald"  usw.)  oft  und  oft  geschieht,  undenkbar  ware.  Diese  Wichtigkeit  der 
Begleitung  geht  so  weit,  dafi  man  wohl  bei  den  meisten  Liedern  annehmen  muB,  daB  nicht 
eine  zuerst  erfundene  Gesangstimme  mit  Begleitung  versehen  wurde,  sondem  daB  beides 
gleichzeitig  entstand. 

Schumann  liebt  es  auch,  wie  Schubert,  mehrere  Lieder  zu  einem  Zyklus  zu  vereinigen 
(,,Frauenliebe",  ,,Myrthen",  ,,Liederkreis"  op.  39,  ,,DJchterliebe"),  verbindet  die  Lieder  eben- 
sowenig,  wie  dieser  durch  gemeinsame  Motive,  wahrt  die  Zusammengehorigkeit  aber  in  der 
Tonartenaufeinanderfolge.  Gerade  nur  im  Nachspiel  zum  letzten  Lied  aus  ,,Frauenliebe'* 
schlagt  er  die  Tone  des  ersten  an:  eine  wehrmitige  Erinnerung:  ,,Seit  ich  ihn  gesehen!" 

Hat  sich  Schumann  schon  durch  den  subjektiv  lyrischen  Ausdruck  seiner  ersten  Klavier- 
kompositionen  mitten  in  die  Reihe  der  Romantiker  gestellt,  so  bleibt  er  es  auch  in  der  Wahl 
seiner  Texte:  Heine,  Chamisso,  J.  Kerner,  Eichendorff  sind  einige  Namen  seiner  .bevorzugten 
Dichter.  Dem  Volkslied  vermag  er  ebenso  seine  Anerkennung  zu  zollen  wie  der  Ballade, 
der  er  zum  grofiten  Teil  Liedform  unterlegt.  Schumanns  ausgepragte  Individuality  war  von 
grofiem  EinfluB  auf  seine  Zeitgenossen,  und  seine  Art  fand  viele  Nachahmer. 

Als  ausgesprochener  Liederkomponist  sucht  Robert  Franz  (1815 — 92)  nicht  neue  Wege, 
vollendet  keine  angebahnten,  sondern  komponiert  ein  paar  hundert  Lieder,  die  durch  ihre 
liebenswiirdige  Gefalligkeit  sehr  ansprechend  anmuten.  Er  ist  ein  mit  einer  gewissen  Indi 
vidualitat  begabter  Epigone  Schumanns,  steht  ganz  im  Banne  der  Romantik.  Wie  neuere  Stu- 
dien1)  nachgewiesen  haben,  entspricht  die  vielverbreitete  Ansicht,  Franz  habe  durch  die 
Verschmelzung  von  Uassizistischen  und  romantischen  Aiisdrucksmitteln  einen  neuen  Stil  ge- 
schaffen,  nicht  den  Tatsachen.  Seine  Neuausgaben  derWerke  Bachs  und  Handels,  die  von 
Historikern  vielfach  beanstandet  wurden,  wirkten  zwar  befruchtend  auf  ihn,  aber  das  praktische 

x)  S.  E.  Bar  bag,  ,,Die  Ueder  von  Robert  Franz."  Dissertation.  Wien. 


948  Das  deutsche  Lied  im  19.  JaKrhundert 

Resultat  war  keine  Stilverschmelzung,  sondem  eine  Stilnachahmung,  der  keine  Weiterent- 
wicklung  beschieden  war.  Die  vermeintliche  Polyphonie  der  Begleitung  erweist  sich  bei  ge- 
nauer  Analyse  als  rein  harmonischer  Kontinuosatz.  Franz  sucht  seine  Gedichte  bei  den  Dich- 
tern  der  Romantik,  vor  allem  bei  Heine. 

Auch  der  grofie  Dramatiker  des  Jahrhunderts  wurde  durch  die  Liebe  zu  einer  bedeutenden 
Frau  zum  Liederkomponisten  und  schenkte  der  Nachwelt  die  Weisen  zu  den  Worten  seiner 
Geliebten.  Die  5  Lieder  Richard  Wagners:  ,,Der  Engel",  ,,Schmerzen4t,  ,,Traume", 
,,Stehe  still",  ,,Im  Treibhaus"  (Worte  von  Mathilde  Wesendonk)  atmen  Tristanstimmung 
und  gelten  als  Vorstudien  zum  Tristan.  Die  ganze  Art  ihrer  Anlage  entspricht  gar  nicht  den 
Liedern  der  Zeitgenossen,  sondern  ist  die  Ausarbeitung  eines  Gedankens  (teilweise  einer 
Harmoniefolge)  innerhalb  eines  Liedes.  So  stellen  die  Lieder,  die  in  der  Zeit:  Dezember  1857 
bis  Juni  1858  entstanden,  eine  vereinsamt  dastehende  Gattung  dar,  die  nicht  nachgeahmt 
wurde  und  nicht  nachgeahmt  werden  konnte:  Ein  lyrisches  Gestandnis  des  grofien  Meisters, 
als  er  ,,Tristan"  war.  Die  iibrigen  Lieder  Wagners,  von  denen  7  Kompositionen  zu  Goethes 
Faust  und  einige  franzosische  Chansons  (darunter  Heines  ,,Les  deux  Grenadiers")  erwahnt 
seien,  stehen  an  Bedeutung  weit  hinter  den  Wesendonk-Liedern  zuriick  und  haben  auch  nicht 
diese  Anerkennung  gefunden. 

Wie  bei  Wagner,  so  spielt  auch  bei  Franz  Liszt  (181 1 — 86)  das  Liedschaffen  eine  verhalt- 
nismafiig  untergeordnete  Rolle,  und  seine  Wirkung  auf  die  Mit-  und  Nachwelt  ist  mehr  in 
der  Personlichkeit  des  Meisters,  sowie  in  dessen  iibrigem  Schaffen  begriindet,  als  in  der  ab- 
soluten  Bedeutung  der  Lieder.  Die  —  ungefahr  60  —  deutschen  Lieder  Liszts  (er  schrieb 
auch  anderssprachige)  sind  in  der  Geschichte  des  romantischen  Liedes  ein  Schritt  von  Schu 
mann  zu  Hugo  Wolf.  Er  steigert  nicht  das  innige  Ausdrucksempfinden  der  Schumannschen 
Lyrik,  sondern  riickt  dem  Gedichte  tonmalerisch  naher,  was  eine  iippigere  Ausgestaltung  der 
Begleitung  mit  sich  bringt.  Auf  diesem  Wege  gelangt  er  auch  zu  immer  groBerer  Beachtung 
des  Wortes,  was  in  weiterer  Konsequenz  teils  dramatische  .Gestaltung,  teils  auch  rezitativische 
Partien  bedingt.  Der  EinfluB  Wagners  macht  sich  stellenweise  bemerkbar.  Im  Gegensatz 
hierzu  findet  er  aber  auch  bei  einfachen,  schlichten  Texten  die  richtigen  volksliederartigen 
Weisen.  In  derWahl  seiner Texte  war  Liszt  nicht  gerade  rigoros;  die  Weimarer  Hofgesellschaft, 
der  der  hofliche  Liszt  nicht  gerne  ,,nein"  sagte,  wenn  man  ihn  bat,  ein  oder  das  andere  Ge- 
dicht  eines  personlich  Bekannten  zu  vertonen,  spielt  dabei  —  der  Zahl  der  Texte  nach  —  keine 
geringe  Rolle.  Wie  schon  erwahnt,  liegt  Liszts  groBe  Bedeutung  far  die  spatere  Liedkompo- 
sition  nicht  in  seinen  Liedern,  sondern  vor  allem  in  seinen  Klavierkompositionen.  Sein  vor- 
bildlicher  Klaviersatz,  der  zum  Muster  nicht  nur  seiner  unmittelbaren  Epigonen  wurde,  wirkte 
auch  auf  die  Liedkomponisten  befruchtend  und  fiihrte  im  Verlaufe  des  19.  Jahrhunderts  zu 
einer  grofiartigen  —  trotz  der  zum  Wesen  des  Liedes  gehorenden  Homophonie  —  selbstandigen 
Ausgestaltung  der  Begleitung. 

Zu  dem  Weimarer  Kiinstlerkreis  gehorte  auch  der  Dichterkomponist  Peter  Cornelius 
(1 824 — 74),  ein  Neffe  des  beriihmten  Malers.  Als  Opernkomponist  (,,Der  Barbier  von  Bagdad", 
1858)  steht  er  stark  im  Banne  Wagners  und  Liszts,  seine  Lieder  aber  zeigen  eine  ausgepragte 
Individuality.  Zu  den  meisten  schrieb  er  sich  selbst  die  Texte  und  liebte  es,  dabei  mehrere 
Gedichte  zu  einem  Zyklus  zu  vereinigen:  ,,Weihnachtslieder",  ,,Brautlieder",  ,,Trauer  und 
Trost"  und  ,,Vater  unser" ;  dieser  letzte  besonders  bemerkenswert  durch  das  aufierordentliche 


Das  deutsche  Lied  im  19.  Jahrhundert  949 

kontrapunktische  Konnen,  das  sich  in  der  meisterhaften  Verarbeitung  der  den  einzelnen  Ab- 
schnitten  zugrundegelegten  gregorianischen  Melodien  offenbart.  Diese  Benerrschung  der 
alten  Kontrapunktkiinste  zeigen  auch  seine  Chorkompositionen,  von  denen  an  anderer  Stelle 
die  Rede  ist;  sie  zeigen  daneben  aber  auch  voiles  Verstandnis  fur  die  farbenleuchtenden 
Harmonien  eines  Wagner.  Und  darin  liegt  denn  auch  zum  einen  Teil  seine  Bedeutung  fur 
die  Weiterentwicklung  des  Liedes,  zum  anderenTeil  ist  sie,  freilich  in  wesentlich  bescheidenerem 
Mafie,  dem  Verdienste  Wagners  um  die  innere  Dbereinstimmung  zwischen  Wort  und  Ton  in 
der  Oper  an  die  Seite  zu  stellen.  In  diesem  Zusammenhang  sei  besonders  auf  Stiicke  wie: 
Auftrag:  ,,Ihr  Freunde,  hanget,  wenn  ich  gestorben  bin**  (Holty),  Unerhort:  ,,Zum  Ossa 
sprach  der  Pelion**  (Droste-Hiilshoff)  und  Hebbels  ,,Auf  eine  Unbekannte'*  hingewiesen, 
von  denen  namentlich  das  zuletzt  genannte  zukunftweisend  ist.  Als  Dichter  trug  Cornelius 
<iem  Musiker  Rechnung  und  umgekehrt.  So  schuf  er  im  Gedicht  Vorwiirfe,  die  dem  Musiker 
Gelegenheit  gaben,  sich  \n  einer  angestrebten  Richtung  zu  entfalten,  nahm  andererseits  als 
Komponist  auf  das  Wort  groBte  Riicksicht,  ging  vielleicht  manchmal  in  AuBerlichkeiten 
darin  zu  weit  (z.  B.  ,,Ein  Ton").  So  betrat  er  zogernd  die  Anfangsstufen  des  Weges,  den 
Hugo  Wolf  bis  zur  hochsten  Hohe  erklomm. 

Unter  den  vielen  Epigonen  Mendelssohns,  Schumanns  und  der  Wagner-Liszt-Richtung,  die  das  1 9.  Jahrhundert 
mit  Liedkompositionen  iiberfluteten,  sind  hervorzuheben :  Ferdinand  Hiller  (1811 — 1885),  Lieder  und  Chore. 
Wilhelm  Taubert  (1811 — 1891),  am  bekanntesten  sind  seine  ,,Kinderlieder"  geworden.  Julius  Rietz  (1812 
bis  1877).  Robert  Volkmann  (1815—1883),  Schumann-Epigone.  Niels  W.  Gade  ([817—1890),  Begriinder  der 
nordischen  Schule,  Chorwerke  ,,Erlkonigs  Tochter"  usw.  Joachim  Raff  (1822 — 1882)  als  Liederkomponist  von 
geringerer  Bedeutung  (zum  Teil  Salonmusik).  Richard  Wuerst  (1824 — 1881),  Schiller  von  Mendelssohn.  Carl 
Reinecke  (1824—1910),  Kinderlieder.  Carl  Goldmark  (1830—1915),  als  Uederkomponist  weniger  bedeutend. 
Anton  Rubinstein  (1830 — 1894),  aufierst  wertvolle  Kompositionen  neben  minderwertigen  Flachheiten.  Alex 
ander  Ritter  (1833 — 18%).  Adolf  Jensen  (1837 — 1879),  ausgesprochener  Lyriker,  Epigone  Mendelssohns  und 
Schumanns  (Robert  Franz  vergleichbar),  Liederzyklen:  ,,Dolorosa",  ,,Tranen",  Scheffels  ,,Gaudeamus"  usw.  Max 
Bruch  (1838  geb.),  ,,Schottische  Lieder".  Josef  Rheinberger  (1839—1901),  Hermann  Gotz  (1840—1876), 
Friedrich  Hegar  (1841  geb.),  Mannerchore.  Heinrich  Hofmann  (1842—1902),  Ignaz  Briill  (1846—1907), 
August  Bungert  (1846—1915),  ,,Lieder  eines  Einsamen".  Franz  Ries  (1846  geb.),  Philipp  Scharwenka  (1847 
bis  1917),  Robert  Fuchs  (1847  geb.),  Chore.  Hans  Huber  (1852—1921),  Jean  Louis  Nicode"  (1853—1919), 
Heinrich  Zollner  (1854  geb.)t  Eduard  Schiitt  (1856  geb.),  Wilhelm  Kienzi  (1857  geb.),  Camillo  Horn 
(1860  geb.),  Ludwig  Thuille  (1861  geb.>,  Felix  Weingartner  (1863  geb.),  Richard  Stohr  (1874  geb.). 

So  geht  das  Lied  in  seinem  Entwicklungslauf  im  19.  Jahrhundert  von  Schubert  iiber  Men 
delssohn,  den  Vollender  eines  Zweiges,  weiter,  findet  in  Schumann  einen  Fortbildner,  ins- 
besondere  der  Harmonik  und  Begleitung,  bereichert  sich  an  der  zeitgenossischen  Opern- 
komposition  eines  Wagner,  wachst  im  Begleitpart  durch  Liszts  Klaviermusik  inauguriert,  wird 
quantitativ  zur  weitaus  tiberwiegenden  Kompositionsgattung  des  Jahrhunderts  und  findet  bei 
einer  endlosen  Reihe  von  Epigonen  die  weitgehendste  Bevorzugung  gegeniiber  der  Instru 
mental-  und  der  mehrstimmigen  Vokalmusik,  um  dann  an  der  Jahrhundertwende  in  einem 
groBartigen  Dreigestirn  seine  Vollendung  zu  finden.  Brahms,  Mahler  und  Wolf  konnen  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  als  die  Vollender  ]*e  einer  der  3  Stiltypen  von  Schuberts  Liedern 
gelten.  Brahms  stellt  in  seinen Liedern  durchaus  die  Singstimme  in  den Vordergrund  und 
lafit  die  Begleitung  wirUich  nur  Begleitung  bleiben.  Die  musikalische  Form  wird  allein  durch 
die  Singstimme  bestimmt,  dabei  auffallende  Bevorzugung  der  reinen  oder  variierten  Strophen- 
form.  Mahler,  der  eigentliche  Vertreter  des  ,,symphonischen  Liedes",  zuwelchem  das  durch- 
komponierte  Lied  im  Verlaufe  des  Jahrhunderts  heranwuchs,  riickt  die  Begleitung,  clie  bei  der 


950  Das  clcutsclu-  Lic<l  irn   19.  Jahrhundort 

Mehrzahl  der  Lieder  fur  Orchester  geschrieben  ist,  in  den  Vordergrund,  erhebt  sie  zum  formal 
Bindendcn,  sodafi  in  manchen  Liedern  die  Singstimme  teilweise  nur  die  Melodie  der  Be- 
gleitung  mitzusingen  scheint,  soweit  es  die  Textunterlage  gestattet.  Hugo  Wolf  raumt  dem 
Wort  volIsteBeachtung  ein  und  kann  als  Vollender  des  Stiltypus  gelten,  den  Schubert  in  seinen 
deklamatorischen  Liedern  (,,Doppelganger")  geschaffen  hat;  freilich  erfafit  er  die  ganze  Be- 
deutung  der  Lisztschen  Klavierbehandlung  und  erhebt  die  Begleitung  zu  einem  teilweise 
musikalisch  selbstandigen  Faktor,  der  sich  aber  auch  dem  Wort  ganzlich  unterordnet. 

Diese  hier  aufgestellte  Hypothese  darf  natiirlich  nicht  ad  absurdum  gefiihrt  werden,  denn 
soviel  einander  Widersprechendes  die  drei  Komponisten  haben,  soviel  verbinden  sie  auch  Stil- 
eigentumlichkeiten  ihrer  Zeit.  Eine  solche  ist  die  Bevorzugung  der  durchkomponierten  Form, 
die  seit  Schumann  immer  deutlicher  in  den  Vordergrund  trat,  und  das  Anpassen  der  Strophen- 
form  an  sie.  Weiter  die  Ausgestaltung  der  Begleitung,  die  Ausniitzung  koloristischer  Effekte, 
Tonmalereien  (besonders  bei  Wolf)  usw.  Ein  anderer  Zug,  der  sich  in  der  Liedkomposition 
im  letzten  Viertel  des  Jahrhunderts  geltend  macht,  ist  das  direkte  Ankniipfen  an  Schubert, 
wahrend  in  der  vorhergehenden  Periode  Schumann  als  unlibertroffener  Liederfiirst  dastand. 
Brahms  sagte  einmal:  ,,Es  gibt  kein  Lied  von  Schubert,  aus  dem  man  nicht  etwas  lernen  kann." 

Mit  seinem  op.  3  wendete  sich  Johannes  Brahms  (1833 — 97)  der  Liedkomposition  zu, 
die  ihm  als  erste  die  Herzen  seiner  Mitwelt  erobern  sollte,  lange  noch,  bevor  sich  der  Meister 
durch  den  Triumph  des  Deutschen  Requiems  seinen  Platz  unter  den  Grofien  des  Jahrhunderts 
gesichert  hatte.  ,,Liebestreu",  das  erste  Lied,  ist  beinahe  als  Symbol  fur  die  spateren  Gesange 
aufzufassen.  Die  Stimmung  des  Gedichtes  ist  traurig,  gedriickt  pessimistisch.  Liebesentsagung 
oder  ungliickliche  Liebe  ist  der  poetische  Inhalt  der  Mehrzahl  von  Brahms'  ernsten  Liedern. 
Die  Wahl  der  Tonart  —  Es-Moll  — ,  die  formale  Anlage  (variierte  Strophenform),  die  Art  der 
Begleitungsakkorde  in  mudem  Triolenrhythmus  durchs  ganze  Lied  wiederholt,  dazu  eine  osti- 
nate  Bafifigur  in  Achtelrhythmus  in  einer  Art  Engfiihrung  mit  der  Singstimme,  die  frei  ein- 
tretenden  Vorhalte  in  Gesang  und  Begleitung,  all  dies  sind  die  wichtigsten  Stilcharakteristika 
seiner  ernsten  Lieder.  Zu  der  Vorliebe  fur  gemischte  Bewegung  (Achtel  zu  Triolen  oder 
ahnlich)  kommt  noch  eine  Freude  an  synkopierten  Begleitfiguren.  Auffallig  ist  auch  die  sorg- 
faltige  Bafifuhrung,  die  sogar  von  manchen  als  ,,kontrapunktisch"  bezeichnet  wird,  was  zwar 
bei  einigen  Liedern  wirklich  zutrifft,  im  allgemeinen  aber  bestimmt  eine  zu  weitgehende  Be- 
hauptung  ist.  Die  Annahme,  daC  dieses  feine  Empfinden  fur  Bafifuhrung  auf  Kindheits- 
eindriicke  zuriickzufuhren  sei  —  Brahms  Vater  war  Kontrabassist  — ,  diirfte  wohl  zutreffen. 
Vor-,  Nach-  und  Zwischenspiele  sind  auf  ein  Mindestmafi  zuriickgedrangt,  fehlen  bei  manchen 
Liedern  ganzlich  oder  sind  nur  aus  technischen  Griinden  (um  dem  Sanger  den  Einsatzton  zu 
geben)  vorhanden.  Gerade  ein  bis  zwei  Takte  der  Begleitung  vorweggenommen,  bereiten  die 
Stimmung  vor  und  lassen  sie  am  Schlufi  ausklingen.  Die  Konzentration  liegt  in  der  Sing 
stimme,  daher  durchaus  im  Melodischen,  in  der  weiteren  Konsequenz  davon  also  im  Psy- 
chischen,  weshalb  auch  jedes  Lied  einen  unmittelbaren  Ausdruck  seiner  Personlichkeit  darstellt. 

In  Brahms'  Liedern  lassen  sich  drei  Gattungen  unterscheiden :  Die  erste,  der  Zahl  nach 
iiberwiegende,  bilden  die  ernsten  Lieder,  meist  schwermiitige  Liebesgesange  —  der  Pessimis- 
mus  eines  Ibsen  in  die  Musik  xiberpflanzt.  Der  diistere  Ton  erinnert  an  Hebbelsche  Romanzen  ; 
die  musikalische  Anlage  ist  grofi  konzipiert  (der  Periodenbau  weicht  vielfach  vom  iiberkom- 
menen  viertaktigen  ab),  durchkomponierte  Formen  sind  die  Folge  davon,  wo  es  aber  der  Text 


Das  deutsche  Lied  im  19.  Jahrhundert  951 

halbwegs  zulaBt,  neigt  Brahms  zur  Strophenform.  Er  hat  seine  Vorliebe  far  diese  einfache 
Form  im  Lied  auch  durch  manchen  Ausspruch  bekraftigt.  Starres  Festhalten  an  sequenzierter 
Melodiebildung  gemahnt  zuweilen  an  Beethoven,  an  den  Brahms  auch  im  Lied  zum  kleinen 
Teil  anschlieBt.  (Mehr  an  Schubert!)  Zu  dieser  ersten  Gruppe  gehoren  die  ,,Vier  ernsten 
Gesange",  das  vorhin  erwahnte  ,,Liebestreu",  ,,Immer  leiser  wird  mein  Schlummer",  der 
Daumer-Liederkreis  und  viele  andere. 

Die  Lieder  der  zweiten  Gattung  (,,Vergebliches  Standchen",  ,,Der  Schmied'4,  ,,0  liebliche 
Wangen",  ,,Standchen",  ,,Das  Madchen  spricht"  usw.)  sind  schon  durch  den  heiteren  oder 
rrohlichen  Text  auBerlich  gekennzeichnet,  fanden  viel  schnellere  Verbreitung  als  die  ernsten 
Ueder  und  ebneten  dem  Verstandnis  dieser  erst  den  Weg.  Wahrend  in  der  ersten  Gattung  so 
recht  Brahms'  herbe,  norddeutsch  verschlossene  Gefiihlsnatur  zum  Ausdruck  kommt,  auBert 
sich  in  ihnen  des  Meisters  Freude  am  Humor,  an  gesunder,  naturlicher  Lustigkeit.  Musikalisch 
zeigt  sich  das  in  flotten,  pragnanten  Rhythmen,  einfacheren  Harmonien,  meist  vier-  oder  acht- 
taktigen  Periodisierungen  und  in  der  formalen  Anlage.  Die  Strophenform  hat  hierbei  unver- 
kennbar  den  Vorzug.  Die  Begleitung  besteht  hier,  wie  in  der  ersten  Gattung,  aus  Akkord- 
zerlegungen  —  in  dieser  Gruppe  allerdings  bedeutend  einfacherer  Art.  Die  das  harmonische 
Bild  kompliziert  machenden  Vorhaltsbildungen  fallen  zum  groBten  Teil  weg. 

Einige  Lieder  (z.  B.  ,,Der  Gang  zum  Liebchen",  ,,Des  Liebsten  Schwur  *  usw.)  leiten  iiber 
zur  dritten  Gattung,  den  Liedern  im  Volkston.  Manche  von  ihnen  stehen  ganz  auf  der  Basis 
des  Volksliedes  —  das  Wiegenlied  wurde  bereits  zum  Volkslied  — ,  andere  entfernen  sich 
durch  grofiere  oder  kleinere  Selbstandigkeit,  die  sie  der  Begleitung  gewahren,  sowie  durch 
manche  harmonische  Wendung,  die  als  nicht  mitgespielte  latente  Harmonie  der  Singstimme 
doch  zu  schwer  erfafibar  ist,  mehr  oder  weniger  vom  wirklichen  Volkslied.  Der  groBe  Unter- 
schied  zwischen  dem  Volkstumlichen  in  Brahms'  und  Mahlers  Liedern  liegt  darin,  dafi  Brahms 
das  Volkslied  in  seinem  Thema  und  Empfinden  hebt,  dafi  er  das  Volkslied  ,,melodisch"  stei- 
gert,  das  heiBt,  seine  Melodie  veredelt,  wahrend  Mahler  das  Thema  vom  Volkslied  selbst  nimmt 
und  dieses  ,,harmonisch"  steigert,  durch  Umdeuten  der  latenten  Harmonie,  durch  Alteration 
der  Melodietone,  sowie  durch  Spriinge  in  andere  Tonarten.  Man  denke  nur  an  die  Tonfolge : 


(Charakteristika:  1. Sprung :Dominante — Tonika  alsAuftakt.  2.StufenweisesWeiterschreiten, 
eventuell  mit  Unterbrechungen,  bis  zur  Dominante.  [3.  Sprung-  oder  stufenweises  Wieder- 
erreichen  der  Tonika]),  die  fur  das  deutsche  Volkslied  des  17.  und  18.  Jahrhunderts  so  be- 
zeichnend  ist,  und  ihre  Hauf  Jgkeit  in  Mahlers  Wunderhornliedern.  Wahrend  Mahler  daher  den 
Tanz-  oder  Marschrhythmus  des  Volksliedes  meistens  wahrt  oder  noch  durch  markante  Be- 
gleitfiguren  unterstreicht,  sucht  Brahms  durch  Veredelung  der  Rhythmik  des  Volksliedes  die 
Vereinigung  mit  dem  Kunstliede  zu  erzielen.  Er  bleibt  daher  harmonisch  dem  Volksliede  sehr 
nahe,  sein  Prinzip  war  denn  auch:  ,,Gesunde  harmonische  Grundlage." 

Brahms  zeigte  auch  immer  Vorliebe  for  das  Volkslied.  In  seiner  Jugend  (1858)  schrieb  er 
die  Volkskinderlieder  far  die  Kinder  Schumanns  und  in  seinem  Alter  (1894)  gab  er  die  ,,Deut- 
schen  Volkslieder  *  heraus.  (Auf  die  Wichtigkeit  des  Volksliedes  in  seinem  instrumentalen 
Schaffen  wird  an  anderer  Stelle  eingegangen.)  Es  ist  das  die  far  die  Romantiker  bezeichnende 


952  Das  deutsche  Lied  im  19.  jahrhimdert       

Vorliebe  fur  das  Volkslied  und  Brahms  greift,  wie  Mahler,  auf  die  phantasie-  und  farben- 
reichen  Bilder  der  altdeutschen  Poesie  zuriick.  Aber  auch  in  der  Wahl  seiner  Dichter,  worm 
er  sich  als  sehr  geschmackvoll  und  literaturkundig  erweist,  steht  er  durchaus  auf  dem  Boden 
der  Romantiker.  Fast  alle  romantischen  Dichter  sind  bei  ihm  vertreten,  am  starksten  vvohl 
Goethe  (als  geistiger  Urvater  der  romantischen  Lyrik),  Heine,  Holty,  Platen,  Daumer,  Tieck, 
Kerner,  Uhland,  Holderlin  usw.,  von  seinen  Zeitgenossen  vor  allem  Freytag,  Heyse  und  Keller. 
Ophiils  hat  die  Brahmsschen  Liedertexte  in  einem  Buchlein  vereinigt  und  es  wurde  dieses  zu 
einem  literarischen  Perlenschatz. 

Brahms  schrieb  ungefahr  200  Lieder,  darunter  die  Zyklen  ,,Die  schone  Magelone"  (Ro- 
manzen  von  Tieck,  1862),  den  Daumer-Liederkreis  op.  57  und  die  ,,Vier  ernsten  Gesange" 
op.  121  (1896,  nach  aufierst  feinsinnig  zusammengestellten  Bibeltexten),  auch  instrumentierte 
er  einige  Schubertsche  Lieder.  Die  Bliitezeit  seines  Schaffens  fallt  in  die  Jahre  1882—88, 
in  der  ungefahr  die  Halfte  seiner  Lieder  entstand. 

Die  schwermiitige,  keusch  in  sich  verschlossene  Muse  Brahms'  konnte  natiirlich  nicht  so 
viele  Nachahmer  finden  wie  der  in  Wohlklang  schwelgende  Mendelssohn  oder  der  feurig  stiir- 
mende  Schumann.  So  kommt  es,  dafi  die  nach  Brahms  lebenden  Liederkomponisten,  soweit 
sie  nicht  Recht  der  Individuality  beanspruchen  oder  sich  zur  Nachfolge  Hugo  Wolfs  bekennen, 
meist  vor  oder  neben  Brahms  als  Schumann-  (Liszt-)  Epigonen  wirken.  Nur  sehr  bedingt  ist 
Hans  Pfitzner  (geb.  1869)  hierher  zu  rechnen,  der  zwar  als  ,,letzter  Romantiker"  den 
EinfluB  von  Schumann  und  Brahms  keineswegs  verleugnet,  sich  aber  doch,  namenthch  in 
seinen  letzten  Liedern  zu  Texten  von  Gottfr.  Keller  (z.  T.  die  gleichen  wie  H.  Wolf ;  eine 
Vergleichung  der  Kompositionen  beider  Meister  ist  daher  besonders  aufschluBreich), 
C.  F.Meyer  und  Ricarda  Huch  als  Liederkomponist  von  stark  ausgepragter  Eigenart  erweist. 

Die  bedeutsame  Stellung,  die  Gustav  Mahler  (1860—1911)  in  der  Geschichte  des  Liedes 
einnimmt,  ist  nicht  in  einer  quantitativ,  sondern  nur  qualitativ  hervorragenden  Leistung  be- 
griindet.  In  den  44  Liedern,  die  von  Mahler  veroffentlicht  sind  (die  als  Symphoniesatze  verwen- 
deten  Lieder  sind  mitgerechnet),  hat  er  denTypus  des  ,,symphonischen  Liedes'4  formvollendet 
geschaffen.  Er  steht  auf  der  Basis  des  Liederkomponisten,  geht  vom  Strophischen,  in  der 
Melodik  vom  Volksliedmafiigen  aus  und  nahert  sich  durch  den  grofiangelegten  Ausbau,  sowie 
durch  die  ,,harmonische"  Steigerung  der  Ausdrucksmittel  dem  Symphonischen.  Oft  geniigt  ihm 
auch  diese  Ausarbeitung  noch  nicht  und  er  erschopft  seine  musikalischen  Gedanken  erst  in 
rein  instrumentaler  Ausgestaltung  als  Symphoniesatz  (,,Ging  heut7  morgen",  ,,Die  zwei  blauen 
Augen"  in  der  I. Symphonic,  ,,Des  Antonius  von  Padua  Fischpredigt"  in  der  II.  usw.).  In 
seinem  Liedschaffen  sind  ebenso  deutlich  wie  in  seinen  Symphonien  zwei  Perioden  zu  erkennen : 
die  erste  (1883—1 900)  enthalt,,Die  Lieder  eines  fahrenden  Gesellen"  (1883)  und  die  ,,Wunder- 
horn"~Lieder,  die  zweite  (1901 — 10)  die  Riickert-Lieder,  sowie  den  symphonischen  Lieder- 
zyklus:  ,,Das  Lied  von  der  Erde". 

In  den,,Liedern  eines  fahrenden  Gesellen* '  und  den  ,,14  Liedern  aus  der  Jugendzeit"  noch 
mehr  auf  der  Basis  des  Liedes  stehend,  nahert  er  sich  in  den  ,,12  Liedern  aus  des  Knaben 
Wunderhorn"  immer  mehr  dem  Symphonischen.  Das  Wesentliche  dieses  ,,Symphonischen 
liegt  nicht  im  Formalen,  sondem  im  Melodischen.  Auch  dort,  wo  die  Strophenform  noch  in 
spateren  Liedern  deutlich  erkennbar  ist,  ist  durch  eine  innere  Kontinuitat  —  meistens  durch 
eine  stark  in  den  Vordergrund  tretende,  straff  zusammenhaltende  Begleitung,  sowie  durch  die 


Das  deutscHe  Lied  im  19.  Jahrhundert  953 

symphonisch  angelegte  motivische  Arbeit  in  der  Melodik  und  thematische  Ausarbeitung  in 
Zwischenspielen  —  ein  Hinausgehen  iiber  den  Rahmen  der  Liedkomposition  seiner  Zeit- 
genossen  zu  konstatieren  (,,Das  irdische  Leben",  ,»Wenn  dein  Miitterlein",  ,,Der  Tambours- 
g'sell").  So  baut  Mahler  den  Typus  des  durchkomponierten  Liedes,  der  durch  Schumann 
ganz  bedeutend  weitergefiihrt  war,  zum  symphonischen  Lied  aus,  wahrend  er  melodisch  eher 
an  Schubert  anschliefit.  Mit  diesem  verbindet  ihn  auch  das  echt  Osterreichische  und  die  Liebe 
fur  das  Volksmusikantentum,  die  Schubert  in  seinen  Tanzen  bewiesen  hatte  und  die  Mahler 
oft  bis  in  seine  Symphonien  begleitet. 

Seine  Melodik  ist  auf  Grundlage  einer  volksliedartigen  Diatonik  erbaut,  die,  ins  Kunstlied 
iibernommen,  weitgehende  Alteration  en  erfuhr,  wobei  aber  das  diatonische  Grundgeriist  als 
Urgestalt  der  Melodie  deutlich  erkennbar  bleibt.  Eine  besondere  Vorliebe  zeigt  er  fur  die 
reine  Quart  Ougendeindriicke  —  Wichtigkeit  der  Quart  in  Militarsignalen ;  Mahler  wuchs  in 
einer  Garnisonstadt  auf).  Sie  tritt  in  den  verschiedensten  Verwendungsformen  auf:  als  Auf- 
takt,  vielfach  mit  Triolenrhythmus : 


as? 


als  charakteristisches  Intervall  oder  Tonumfang  eines  Motives,  als  Vertreterin  der  Harmonie- 
folge:  Dominante  —  Tonika  und  ist  fur  Mahlers  Schaffen  so  bezeichnend,  wie  fur  Brahms 
die  Sext.  (Melodisch  und  harmonisch.  Wichtigkeit  der  Medianten  fur  Brahms'  Harmonik!) 

Die  Begleitung  zu  den  Liedern  Jst  mit  Ausnahme  der  14  Lieder  aus  der  Jugendzeit  durch  - 
wegs  fur  Orchester  geschrieben,  aber  Mahler  will  in  dieser  Gattung,  die  vor  ihm  Berlioz  und 
Schumann  (in  seinen  Balladen)  kultivierte,  nicht  grofie  dynamische  Wirkungen  erzielen,  sondern 
nur  die  koloristischen  Moglichkeiten  des  Orchesters  heranziehen.  Er  vermeidet  auch  groBten- 
teils  alle  nur  klangverstarkenden  Verdoppelungen,  und.  sein  Orchestersatz  ist  kammermusik- 
artig  durchsichtig.  Dies  gilt  vor  allem  fur  die  Lieder  der  zweiten  Periode,  den  Zyklus  ,,Kinder- 
totenlieder"  (1 901/02)  und  die  iibrigen  Riickertlieder.  So  stark  sich  Mahler  in  den  Symphonien 
als  Kontrapunktiker  erweist,  vermeidet  er  in  den  Liedern  dennoch  polyphone  Ausarbeitung. 
Es  scheint  im  Wesen  der  Lyrik,  der  Wiedergabe  einer  subjektiven  Empfindung  zu  liegen,  diese 
eineGefuhlsaufierung  durch  eine  herrschende  Melodie  auszudriicken  und  die  Entwicklungs- 
geschichte  des  (subjektiven)  Liedes  spricht  far  die  Richtigkeit  dieser  Annahme.  Das  ,,Lied 
von  der  Erde"  bildet  in  dieser  Hinsicht  eine  Ausnahme ;  es  steht,  was  Setzweise  und  Orchester- 
behandlung  betrifft,  auf  rein  symphonischer  Basis ;  insbesondere  die  beiden  Ecksatze.  Formal 
wie  melodisch  ist  es  die  hochste  Vollendung  des  ,,symphonischen  Liedes". 

Mahlers  Textbehandlung  steht  stark  unter  dem  Einflusse  des  Volksliedes.  Die  Melodie 
ordnet  sich  dem  Stimmungs-  und  Gefuhlsinhalt  der  Dichtung  unter,  dominiert  aber  bisweilen 
iiber  streng  sinngemafier  Deklamation,  wie  das  Volkslied  ja  auch  den  richtigen  Wortakzent 
manchmal  dem  Tanz-  oder  Marschrhythmus  opfert.  Seine  Texte  entnimmt  er  in  der  ersten 
Periode  grofitenteils  dem  ,,Wunderhorn",  dichtet  sich  die  Worte  zu  den  ,,Liedern  eines  fahren- 
den  Gesellen"  selbst,  wendet  sich  in  der  zweiten  Periode  der  Lyrik  Ruckerts  zu  und  findet  in 
Bethges  ,,Chinesischer  Flote '  die  Anregung  und  Worte  zum  ,,Lied  von  der  Erde".  Aus  einer 
umgearbeiteten  selbstgedichteten  Oper  Mahlers  entstand:  ,,Das  Idagende  Lied"  (1878—80), 
eine  Ballade  fur  Soli,  Chor  und  Orchester. 


Das  deutsche  Lied  im  19.  Jahrhundert 


Die  Bedeutung  von  Hugo  Wolf  (1860—1903)  liegt  ganz  auf  dem  Gebiete  des  Liedes.  Er 
kann  als  Vollender  des  deklamatorischen  Liedes  gelten.  Schon  in  der  aufieren  Anordnung 
zeigt  er  an,  wieviel  ihm  der  Dichter  bedeutet,  indem  er  jedem  seiner  Lieblingsdichter  min- 
destens  einen  eigenen  Band  widmet.  Er  geht  bei  der  Vertonung  von  der  inneren  Struktur 
seines  Textes  aus,  erhebt  diesen  zum  Formbestimmenden  und  lafit  den  Schwerpunkt  der 
Schilderung  in  der  Begleitung,  die  er  der  Singstimme  zumindest  als  ebenbiirtig  gegeniiberstellt. 
Dadurch  ist  es  ihm  ermoglicht,  den  Gesangspart  dem  Metrum  der  Sprache  peinlich  genau 
unterzuordnen,  wahrend  der  gewollte  musikalische  Rhythmus  (als  Gegensatz  zum  Sprach- 
rhythmus)  in  die  Begleitung  verlegt  ist.  Wolf  bezeichnet  seine  Lieder  demnach  als  ,,Gedichte 
fiir  eine  Singstimme  und  Klavier".  Wahrend  Schubert  in  den  deklamatorischen  Liedern  die 
Begleitung  ganz  zuriicktreten  lafit,  zieht  sie  schon  Liszt  zu  grofien  kolorisierenden  Wirkungen 
heran  und  Wolfs  Verschmelzung  der  durchkomponierten  Vertonung  mit  der  deklamatorischen 
besteht  darin,  dafi  er  trotz  der  Unterordnung  der  musikalischen  Form  unter  die  Dichtung 
dennoch  auch  eine  musikalische  Geschlossenheit  wahrt  und  das  bindende  Moment  in  die  Be 
gleitung  verlegt.  Mit  einfachen  Worten  ausgedrtickt  :  Die  Hauptmelodie  und  der  Hauptrhyth- 
mus  sind  nicht  im  Gesang,  sondern  im  Klavier.  Freilich  gibt  es  davon  auch  manche  Aus- 
nahmen  (,,Er  ist's",  ,,Der  Gartner",  ,,FuBreise").  Diese  Freiheit  der  Singstimme,  dadurch 
erlangt,  dafi  jenealle  absolut  musikalischen  Verpflichtungen  rhythmischerundmelodischer  Art 
von  sich  abwirft,  fuhrt  bei  den  Wolf-Epigonen  einerseits  zu  einem  Nur-Sprechgesang,  anderer- 
seits  zu  einem  Ausnutzen  dieser  Unabhangigkeit  zur  Erzielung  reiner  Stimmklangwirkungen 
(z.  B.  durch  Aushalten  eines  hohen  Tones,  wahrend  die  Begleitung  ,,fiihrt").  Wie  Mahler 
verwendet  auch  Wolf  ausgedehnte  Vor~,  Zwischen-  und  Nachspiele;  aber  er  gelangt  auf  ganz 
anderem  Wege  dazu.  Die  ,,symphonische"  Ausarbeitung  (motivische  Verarbeitung  der  Haupt- 
themen)  in  ihnen  liegt  ihm  ganz  fern.  Er  schildert  Geschehnisse,  Handlungen,  Situationen, 
bisweilen  mit  kostlichem  Humor  gewiirzt  (,,Epiphanias",  ,,Ritter  Kurts  Brautfahrt  *,  ,,Gut- 
mann  und  Gutweib"),  gibt  kleine  symbolische  Andeutungen  durch  leitmotivische  Verwendung 
der  Hauptthemen,  bringt  aber  auch  manchmal  im  Nachspiel  ein  neues  Motiv  (,,Er  ist's"). 
Harmonisch  geht  Wolf  iiber  seine  Zeitgenossen  im  Lied  weit  hinaus.  Alterationen,  Antizi- 
pationen,  frei  eintretende  Vorhalte,  chromatische  Harmoniefolgen  spielen  bei  ihm  eine  grofie 
Rolle.  Sie  sind  ihm  die  Mittel  zur  vollendeten  Darstellung  des  dichterischen  Gedankens  und 
er  schreckt  in  ihrer  Anwendung  vor  nichts  Ungewohnlichem  —  von  seinen  Zeitgenossen  als 
,,0hren  beleidigende  Harten"  empfunden  —  zuriick.  Das  Intervallsymbol  fur  seine  Harmonik 
ware  die  Sekund,  wie  fur  Mahler  die  Quart  und  for  Brahms  die  Sext. 

Hugo  Wolf  wurde  am  13.  Marz  1860  in  Windischgraz  (Steiermark)  als  Sohn  eines  Leder- 
handlers  geboren,  war  kurze  Zeit  Schiller  des  Wiener  Konservatoriums,  hernach  Kapellmeister 
in  Salzburg  (1881),  dann  Kritiker  des  Wiener  ,,Salonblattes<<,  machte  sich  aber  wegen  der 
unnachsichtigen  Scharfe  seines  Urteils  unbeliebt  und  gab  schliefilich  1887  die  Stellung,  die 
ihm  monatlich  60  Gulden  (o.  W.)  einbrachte,  auf.  Er  lebte  fortan  ganz  der  [Composition,  bis 
im  September  1897  seinem  Schaffen  durch  eine  schwere  Gemiitskrankheit  ein  jahes  Ende 
gesetzt  wurde.  Am  22.  Febrvar  1903  starb  er  in  der  niederosterreichischen  Landesirrenanstalt. 
Von  seinen  Schopfungen  sind  zu  erwahnen:  53  Lieder  nach  Morike  (1888  erschienen),  51  nach 
Goethe  (1888—89),  20  Gedichte  Eichendorffs,  das  ,,Spanische  Liederbuch"  (34  weltliche, 
10  geistliche  Gesange)  nach  P.  Heyse  und  E.  Geibel  (1889  —  90),  ein  „  Italienisches  Lieder- 


Chormusik  (Lied  und  kleinere  Chorwerke)  955 

buch"  (46  Nachdichtungen  P.  Heyses  1890—91),  6  Lieder  von  Gottfried  Keller  und  3  Ge- 
dichte  von  Michelangelo  (1897).  Grofiere  Vokalwerke  sind:  ,,Christnacht",  ,,Elfenlied" ; 
aufierdem  schrieb  Wolf  eine  komische  Oper  ,,Der  Corregidor"  (Text  von  Rosa  Mayreder) 
1895.  Eine  zweite  Oper  ,, Manuel  Venegas"  (Text  von  Hoernes)  konnte  er  nicht  mehr 
voilenden. 

Wolf  war  nicht  nur  Vollender  des  deklamatorischen  Liedes,  sondern  betrat  auch  zielbewufit 
den  Weg,  auf  dem  dem  Lied  eine  Weiterentwicklung  beschieden  war,  indem  er  durch  die 
vorher  ungeahnte  Heranziehung  der  Begleitung  neue,  nie  erdachte  Moglichkeiten  schuf.  Seine 
Epigonen  liefien  sich  diese  auch  nicht  entgehen  und  pflanzten  kuhn  ihre  eigenen  Fahnen  auf 
dem  Wege  auf,  den  ihnen  der  Meister  gezeigt  hatte.  So  blieb  er  bis  zur  Gegenwart  vielfach 
noch  stilbestimmend. 

Literatur 

Schubert-Biographic  von  W-  Dahms.  —  ,,Die  Ballade"  (Loewe)  in  Ph.  Spittas  ,,Musikgeschichtliche 
Aufsatze".  —  Mendelssohn  von  Wolff.  —  Schumann  von  Abert  und  von  Batka.  —  Wagner  von  G.  Adler. — 
Liszt  von  L.  Ramann  und  von  J.  Kapp.  —  Cornelius  (als  Liederkomponist)  von  K.  Roger  (Dissertation,  Wien; 
noch  ungedruckt).  —  R.  Franz  von  Prochaska.  —  Brahms  von  W.  Niemann.  —  Mahler  von  G.  Adler.  — 
Mahlers  Lieder  von  F.  E.  Pamer.—  Hugo  Wolf  von  E.  Decsey.  —  Weitere  einschlagige  Literatur  in  den 
Verzeichnissen  zur  Oper  und  zur  Instrumenta'lmusik  dieser.  Zeit  und  der  ,,Moderne". 

Fritz  Egon  Pamer  f 

(durchgesehen  von  W.  Krabbe) 


CHORMUSIK  (LIED  UND  KLEINERE 
CHORWERKE) 

Mit  dem  Aufkommen  des  neuen  begleiteten  Sololiedes  geht  die  bevorzugte  Stellung  des 
Liedes  der  A-cappella-Periode  mehr  und  mehr  auf  jenes  iiber;  Resultat  dieser  Entwicklung 
ist,  dafi  zu  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  Sololied  und  Solokantate  die  Bedeutung  in  der  Musik- 
iibung  der  Zeit  gewinnen,  die  frtiher,  vor  allem  wahrend  des  1 6.  Jahrhunderts,  dem  mehr- 
stimmigen  Liede  gehorte.  Dieses,  schon  langst  nicht  mehr  A-cappella-Lied,  sondern,  wie  das 
Sololied,  vom  Generalbafi  begleitet,  wird  in  jener  Zeit  kaum  noch  gepflegt.  Zu  den  Ausnahmen 
gehoren  etwa  die  mehrstimmigen  Vokalsatze  in  Rathgebers  ,,Tafelkonfekt"  von  1733.  Aber 
der  vollige  Verzicht  auf  Mehrstimmigkeit  im  Lied  ist  doch  nur  von  kurzer  Dauer,  und  das 
Verlangen  nach  mehrstimmigem  Chorgesang  macht  sich,  wenn  auch  zunachst  nur  schuchtern, 
in  der  Folgezeit  wieder  geltend.  Spuren  solcher  Freude  am  mehrstimmigen  Liedgesang  zeigen 
sich  etwa  bei  Valentin  Corner  in  seiner  ,,SammIung  neuer  Oden  und  Lieder"  (1742 ff.) 
dort,  wo  er  in  Nummern  wie  ,,Vorziige  der  Torheit  in  einem  Rundgesange"  oder  noch  aus- 
gesprochener  in  ,,Das  Heidelberger  Fafi"  mit  ausdrucklicher  Anweisung  chorischen  Refrain 
bringt;  die  Nummer  ,,Aus  den  Reben  fleufit  das  Leben"  ist  ihrer  Faktur  nach  so  beschaffen, 
daB  man  sich  leicht  Mittelstimmen  erganzt  denken  konnte.  Weit  starker  gewahren  wir  diesen 
Zug  zur  Mehrstimmigkeit  in  den  ,,Liedern  im  Volkston"  von  Joh.  Abr.  P.  Schulz;  am  deut- 
lichsten  tritt  er  in  der  ,,Serenata  im  Walde  zu  singen"  zutage,  ganz  unverhiillt  in  dem  vier- 

61     H.  d.  M. 


956  Chormuslk  (Lied  und  kleinere  Chorwerke) 

stimmig  ,.tutissimi"  zu  singenden  Schlufichoral.  Er  erhalt  aber  vor  allem  seine  Nahrung  in 
den  durch  Johann  Adam  Hiller  nachgerade  Mode  gewordenen  Standesliedern.  In  der  un- 
geheuren  Masse  dieser  fiir  alle  Stande  und  Lebensalter  bestimmten  Lieder  kommt  die  Populari- 
sierung  des  neuen  Kunstzweiges  am  sichtbarsten  zum  Ausdruck.  Insbesondere  sind  es  unter 
diesen  Standesliedern  die  zahllosen  Freimaurergesange  gewesen,  die  zur  Pflege  des  neuen 
Chorliedes  mit  beigetragen  haben.  Nicht  etwa  so,  daB  diese  Lieder  nun  sogleich  in  der  Form 
mehrstimmiger  Vokalsatze  veroffentlicht  worden  seien;  rein  aufierlich  betracbtet  sind  es  viel- 
mehr  Lieder  wie  die  meisten  anderen  der  Zeit:  notiert  mit  Singstimme  und  Generalbafi. 
Aber  gerade  in  vielen  dieser  Freimaurermelodien  gewahrt  man  jene  versteckte  Chorigkeit  im 
Sinne  Corners.  Und  dafi  in  solchen  Fallen  gelegentlich  ausdriicklich  mit  einer  Erganzung 
zu  Chorsatz  gerechnet  wurde,  gebt  aus  einer  uns  iiberlieferten  Weisung  hervor:  die  Logen- 
briider  mochten  die  den  Gesangen  mangelnde  Mehrstimmigkeit  durcb  Hinzufiigung  improvi- 
sierter  Mittelstimmen  ersetzen.  Erwahnung  verdient  in  diesem  Zusammenhang  auch  die 
Tatsache,  da8  neben  dem  mehrstimmigen  aucb  das  einstimmige,  im  Chor  zu  singende  Lied 
vereinzelt  vorkommt;  denn  das  ist  der  Sinn  von  Johann  Friedrich  Reichardts  ,,Frohen 
Liedern  fiir  deutsche  Manner*'  (1781),  einstimmigen  Liedern  ohne  Instrumentalbegleitung, 
deren  Vortrag  bei  geselligen  Zusammenkiinften  natlirlich  chorisch  gedacht  war.  Reichardts 
Namen,  in  der  Geschichte  des  Sololiedes  neben  demjenigen  von  Schulz  von  Gewicht,  kommt 
auch  fiir  die  Entwicklung  des  Chorliedes  eine  besondere  Bedeutung  zu :  gehort  doch  Reichardt 
zu  den  friihesten  Vertretern  des  neuen  Chorliedes.  In  den  ,, Liedern  geselliger  Freunde"  (1796) 
hat  er  versucht,  manchen  bekannten  einstimmigen  Melodien  eine  ,,geselligere  Form"  zu  geben, 
und  in  der  Gesamtausgabe  seiner  ,,Goethe-Lieder"  von  1809  bringt  er  unter  den  erstmalig 
veroffentlichten  Nummern  auch  vierstimmige  Lieder,  also  wirkliche  Lieder  fiir  gemischten 
Chor,  unter  denen  sich  ein  Fragment  aus  ,,Euphrosyne"  durch  eindringliche  Deklamation 
und  prachtvolle  Harmoniefuhrung  besonders  auszeichnet.  Lediglich  auf  die  Verwendung 
des  chorischen  Refrains  nach  dem  Vorbild  von  Corner  und  Schulz  beschrankt  sich  Johann 
Andres  Anteil  am  neuen  Chorlied. 

Zeigt  so  die  Entwicklung  des  geselligen  Liedes  etwa  von  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
ab  ein  Streben  nach  Mehrstimmigkeit,  so  sehen  wir  diese  Entwicklung  noch  gefordert  durch 
Umstande,  die  aufierhalb  des  eigentlich  Musikalischen  zu  suchen  sind.  Zwei  Dinge  im  be- 
sonderen  sind  es,  die  der  Freude  an  der  Mehrstimmigkeit  und  einer  gemeinsamen  Pflege 
des  Liedes  Vorschub  leisten.  Das  ist  einmal  das  Interesse  an  dem  durch  Herder  wieder- 
entdeckten  Volkslied,  wie  es  sich  etwa  im  Kreise  des  Gottinger  Hains  in  der  Pflege  volks- 
mafiiger  Lyrik  auswirkte.  In  engster  Verbindung  mit  dieser  Bewegung  kam  die  Zeit  des 
wiedererwachenden  Nationalgefiihls,  die  Abkehr  von  fremdem  Volkstum  und  Besinnung 
auf  die  Vorziige  des  eigenen  Volksstammes.  Sie  hat  ihren  dichterischen  Ausdruck  vor  allem 
in  der  vaterlandischen  Lyrik  eines  Klopstock  gefunden,  einer  Poesie,  die  den  Ausgang  bilden 
sollte  fiir  die  Pflege  geselligen  Liedgesanges  Jm  Dienste  und  zu  Ehren  des  Vaterlandes.  Zu 
dem  allem  kam  dann  endlich  noch  ein  letzter,  wiederum  in  der  Musikentwicklung  begriindeter 
Umstand :  der  durch  Handels  und  spater  auch  durch  Haydns  gewaltige  Oratorienchore  allent- 
halben  gewegkte  Sinn  fiir  die  Schonheiten  des  Chorgesanges  und  die  Pracht  seines  Klanges. 

Dieser  ziindenden  Macht  des  Chorgesanges  in  anspruchsloser  Form,  im  Rahmen  edler 
Geselligkeit  und  in  Verbindung  mit  patriotischem  Erleben  Eingang  zu  verschaffen  war  das 


Chormusik  (Lied  und  kleinere  Chorwerke)  957 

Ziel,  das  der  tiichtige  Karl  Friedrich  Zelter  (1758—1832)  im  Auge  hatte,  als  er  in  Berlin 
neben  der  Singakademie  1809  die  nach  ihm  benannte  Liedertafel  griindete  und  damit  dem 
neuen  Chorlied  in  Gestalt  des  Mannergesanges  in  Deutschland  eine  erste  Pflegestatte  schuf. 
Um  das  gemeinsam  gesungene  Lied,  so  war  es  die  Absicht  Zelters,  sollte  sich  das  Interesse 
dieses  erlesenen  Kreises  von  anfangs  nur  25  Mitgliedern  —  die  Zahl  war  durch  Vereinsstatut 
genau  festgelegt  und  mit  Bedacht  so  niedrig  gehalten ;  war  doch  Voraussetzung  fur  die  Auf- 
nahme,  daB  die  Bewerber  sich  entweder  als  DicKter,  Sanger  oder  Komponisten  hervorgetan 
hatten !  —  vereinen  und  inn  so  vor  oder  KannegieCerei  und  seichtem  Bierbankgeschwatz 
bewahren:  ,,die  Langeweile  der  Frefizirkel,  wo  nur  der  Nachbar  kauend  mit  dem  Nachbar 
iiber  Gewerbskramerei,  wo  nicht  vom  Frafie  selbst,  spncht,  ist  unbekannt,  wo  alle  an  Emem 
hangen,  wo  Eines  fur  alle  gedacht  und  gemacht  ist"  (Zelter  an  Goethe,  4.  5.  April  1810). 
Die  im  Statut  gestellte  Forderung  nach  produktiver  Betatigung  brachte  es  mit  sich,  dafi  im 
Schofie  der  Liedertafel  das  Chorlied  nicht  allein  eifrige  Pflege  fand,  sondern,  was  weit  wichtiger, 
dafi  aus  dieser  Tafelrunde  eine  reiche  Literatur  zur  neuen  Gattung  hervorging,  die  es  vordem 
nur  ganz  vereinzelt  gegeben  hatte.  Als  wichtigster  Beitrag  dazu  smd  die  Manner  chore  von 
Michael  Haydn  zu  nennen,  auch  sie  iibrigens  geselligen  Anlassen  ihre  Entstehung  verdankend. 
Die  Zahl  von  Zelters  eigenen  Beitragen  ist  aufierordentlich  grofi,  aber  nur  weniges  davon  ist 
durch  den  Druck  allgemein  zuganglich  geworden;  und  nur  ganz  vereinzelte  Stiicke  haben 
sich,  dank  ihres  kernigen  und  humorvollen  Tones,  bis  heute  in  den  einschlagigen  Sammlungen 
behaupten  konnen.  Dabei  ist  die  Mehrzahl  von  ihnen  keineswegs  volkstiimlich  einfach  im 
Sinne  des  spateren  Liedertafelstils ;  vielmehr  merkt  man  ihnen  sehr  wohl  an,  daB  sie  fur  einen 
Kreis  bestimmt  gewesen  sind,  der  musikalisch  sattelfest  und  fahig  war,  sowohl  hinsichtlich 
der  Polyphonic  als  auch  gesangstechnisch  einige  Schwierigkeiten  zu  meistern.  Auch  nach 
der  formellen  Seite  sind  sie  keineswegs  das,  was  man  gemeinhin  unter  Chorlied  zu  verstehen 
pflegt.  Gebiihrt  so  Zelter  das  Verdienst,  durch  Griindung  seiner  Liedertafel  die  systematische 
Pflege  des  Mannergesanges  in  Flu8  gebracht  zu  haben,  so  kann  man  ihn  als  Schopfer  des 
eigentlichen  Mannerchorliedes  doch  nur  bedingt  ansprechen.  Dieses  Verdienst  mochte  man 
fur  den  Norden  eher  Ludwig  Berger  (1777—1839)  zusprechen,  der  im  Verein  mit  Bernhard 
Klein,  Gustav  Reichardt  und  Ludwig  Rellstab  1819  die  jiingere  Berliner  Liedertafel  griindete 
und  fur  diese  im  Sinne  des  volkstumlichen  Liedes  auch  schopferisch  tatig  gewesen  ist. 

Ganz  ausgesprochen  volkstiimlich  aber  tritt  der  Charakter  der  neuen  Bewegung  im  deutschen 
Siiden  hervor,  und  zwar  zunachst  in  der  Schweiz  durch  Hans  Georg  Nageli  (1773 — 1836). 
Fur  diesen  grofien  Schweizer  Gesangspadagogen  bildet  die  Erziehung  seiner  Landsleute  ,,zur 
kunstgerechten  Ausiibung  der  hoheren  Tonkunst,  das  heifit  hier,  des  vierstimmigen  Figural- 
gesanges"  gleichsam  den  SchluCstein  eines  mit  ungewohnlicher  Begabung  und  imponierender 
Ausdauer  durchgefiihrten  musikalischen  Volkserziehungswerkes.  Sein  Ziel  ist  es,  ,,den  selb- 
standigen  vierstimmigen  Mannerchorgesang,  den  er  zuerst  in  Gang  ^gebracht  habe",  in  alien 
-  Formen  auszubilden  und  auszubreiten.  Zur  Erreichung  dieses  Zieles  diente  Nageli  die  aus 
mehreren  Heften  bestehende  Sammlung  ,,Der  Schweizerische  Mannergesang",  die  er  in  seinem 
Ziiricher  Selbstverlag  1826ff  herausbrachte.  Die  Sammlung,  aus  der  auch  die  eben  ange- 
fiihrten  Zitate  stammen,  ist  reich  an  Mannerchoren  von  echt  volkstumlichem,  zuweilen  wohl 
allzu  volkstumlichem  Geprage  und  hat  zur  Verbreitung  des  Mannergesanges  in  der  Schweiz 
und  dariiber  hinaus  in  Siiddeutschland  viel  beigetragen.  Hier  ist  es  vor  allem  der  um  die 
61* 


958  Chormusik  (Lied  und  kleinere  Chorwerke) 

Pflege  des  Volksliedes  hochverdiente  Schwabe  Friedrich  Silcher  (1789—1860),  der  im  Sinne 
Nagelis  weitergewirkt  und  den  volkstiimlichen  Mannergesang  in  jeder  Weise  gefordert  hat. 
Zahlreiche  seiner  echt  volksmaBig  empfundenen  Liedsatze  zu  Texten  vorwiegend  schwabischer 
Dichter  gehoren  noch  heute  zum  festen  Bestand  deutscher  Liedertafeln. 

In  den  nach  dem  Vorgange  Berlins  einerseits  und  dem  deutschen  Siiden  andererseits  allent- 
halben  entstehenden  Liedertafeln,  unter  denen  die  in  studentischen  Kreisen  gebildeten  ihre 
besondere  Stellung  einnehmen,  erwachsen  dem  volkstiimlichen  Mannerchorlied  alsbald  be- 
deutungsvolle  Pflegestatten ;  in  Verbindung  damit  entsteht  nun  eine  Spezialliteratur  von  schier 
uniibersehbarem  Umfang.  Charakteristisch  ist  fur  diese  im  allgemeinen  das  Streben  nach 
einem  Ausgleich  zwischen  der  ausgesprochen  exklusiv-aristokratischen  Berliner  und  der  allzu 
volkstiimlich  eingestellten  siiddeutschen  Richtung.  Nur  die  hervorstechendsten  Erscheinungen 
kb'nnen  hier  gestreift  werden.  Ludwig  Bergers  Name  wurde  neben  Zelter  bereits  genannt; 
in  seinem  Kreise  kommt  Bernhard  Klein  (1793—1832),  dem  ,,Bach  des  Mannerchors",  be 
sondere  Bedeutung  zu.  Karl  Maria  v.  Weber  (1786—1826)  gehort  vor  allem  hierher  mit 
seinen  Kompositionen  zu  Korners  ,,Leyer  und  Schwert",  klassischen  Beispielen  des  volks 
tiimlichen  Mannergesanges,  markigen  Choren  von  ziindender  Wirkung,  deren  tonbildnerische 
Kraft  mit  Recht  geriihmt  worden  ist.  Von  Norddeutschland  beeinfluBt  sind  ferner  der  Dessauer 
Friednch  Schneider  (1786 — 1853),  ein  besonders  eifriger  Freund  der  Liedertafelbewegung, 
der  auch  erstmalig  die  bis  dahin  Eigentum  der  Liedertafeln  bildenden  Chorlieder  in  den 
Musikhandel  brachte;  ferner  Karl  Lo ewe (1796- 1869),  Karl  Gottlieb  Reissiger  (1798-1859) 
und  Karl  Friedrich  Z oil ner  (1800-1860).  Dann  gehort  auch  Heinrich  Marschner  (1795 
bis  1861)  hierher;  besonders  wegen  seiner  fur  den  Leipziger  ,,Tunnel  iiber  der  Pleifie"  (eine 
Nachahmung  des  Berliner  Tunnels  iiber  der  Spree)  geschriebenen  ,,TunnelIieder",  Stiicken 
voll  keckem  Lebensiibermut,  verdient  sein  Name  genannt  zu  werden.  Auch  Felix  Men  dels - 
sohn-Bartholdy  (1809— 1847)  mufi  in  diesem  Zusammenhange  erwahnt  werden,  doch  ist 
seine  Bedeutung  furs  neue  Chorlied  mit  seinen  Mannerchoren  keineswegs  erschopft;  viel- 
rriehr  ist  er  zugleich  der  erste  und  wichtigste  Vertreter  des  Liedes  fur  gemischten  Chor,  und 
so  mag  seiner  erst  in  Verbindung  mit  diesem  gedacht  werden. 

Es  liegt  nahe,  bei  der  Beschaftigung  mit  den  Vertretern  der  siiddeutschen  Richtung  an 
erster  Stelle  Franz  Schubert  (1797—1828)  zu  nennen,  der  ja  in  der  Tat  die  Mannerchor- 
komposition  als  einer  der  ersten  besonders  eifrig  gepflegt  hat.  Gegen  50  unbegleitete  und 
einige  weitere  30  Chore  mit  Klavier-  oder  anderer  Instrumentalbegleitung  hat  er  hinterlassen. 
Aber  nur  die  wenigsten  von  ihnen  sind  Mannerchore  in  unserem  Sinne :  etwa  Schillers  ,,Punsch~ 
lied**,  ferner  ein  Trinklied  mit  Chor  ,,Ihr  Freunde  und  du,  edler  Wein"  (beide  iibrigens  mit 
Klavierbegleitung,  wobei  daran  erinnert  werden  mag,  dafi  auch  die  Berliner  keineswegs  nur 
A-cappella-Chore  sangen)und  noch  einige  weitere  Stiicke  ausgesprochen  geselligen  Charakters. 
Im  iibrigen  hat  aber  Schubert  auch  diese  Gattung  durch  seine  Grofie  geadelt  und  hat,  indem 
er  formell  bisweilen  weit  iiber  die  Grenzen  des  eigentlichen  Chorliedes  hinausging,  Stimmungs- 
bilder  geschaffen,  die  zu  dem  Feinsten  und  Bedeutendsten  gehoren,  was  diese  Literatur  iiber- 
haupt  aufzuweisen  hat.  Naturschilderungen  wie  ,,Liebe  rauscht  der  SilberbacrT,  das  hochst 
stimmungsvolle  ,,Die  Abendglocke  tont  nicht  mehr"  mit  der  die  tonende  Glocke  andeutenden 
liegenden  Stimme  im  1 .  Bafi,  dann  der  achtstimmige,  von  tiefen  Streichinstrumenten  begleitete 
,,Gesang  der  Geister  iiber  den  Wassern"  von  Goethe,  eins  der  friihesten  Beispiele  fur  die 


ChormusiK  (Lied  und  Ueinere  Chorwerke)  959 

Verwendung  des  Mannerchors  zu  Aufgaben  grofieren  Stils,  endlich  noch  der  fiinfstimmige 
Chor  ,,Nur  wer  die  Sehnsucht  kennt",  eine  melodisch  wie  harmonisch  gleich  reizvolle  Kom- 
position,  seien  als  Beispiele  fur  Schuberts  Bedeutung  auf  dem  Gebiete  der  Mannerchor- 
komposition  genannt.  In  neuerer  Zeit  hat  auch  das  kostliche  Standchen,  ursprunglich  fur 
eine  Altstimme  mit  Mannerchor  und  Klavierbegleitung,  spater  aber  fur  Altsolo  und  Frauen- 
stimmen  umgeschrieben  (op.  135),  haufiger  Eingang  in  den  Konzertsalen  gefunden. 

Ein  echter  Vertreter  des  volkstiimlichen  Mannerchorliedes  siiddeutscher  Pragung  ist  Kon- 
radin  Kreutzer  (1780—1849),  der  namentlich  mit  Vertonungen  Uhlandscher  Texte  (,,Die 
Kapelle",  ,,Schafers  Sonntagslied"  u.  a.)  eine  ungeahnte  Volksttimlichkeit  erlangt  hat.  Neben 
ihm  ware  etwa  noch  der  Bohme  Wenzeslaus  Kalliwoda  (1801  —  1866)  zu  nennen,  dessen 
,,Deutsches  Lied'*  noch  heute  zu  den  meistgesungenen  Mannerchoren  zahlt. 

Wir  sehen:  das  Mannerchorlied,  auch  stofflich  durchaus  ein  Kind  seiner  Zeit,  findet  in 
den  mit  Jhm  entstehenden  Liedertafeln  sofort  eine  eifrige  und  systematische  Pflege,  ein  Um- 
stand,  der  fur  seine  rasche  und  weite  Verbreitung  zweifellos  von  hochster  Bedeutung  ist. 
Anders  beim  Lied  fiir  gemischten  Chor:  dieses  erweckt  zunachst  mehr  den  Eindruck  eines 
Verlegenheitsproduktes,  und  auch  die  Beschaftigung  mit  ihm  geschieht,  von  einzelnen  ruhm- 
lichen  Ausnahmen  abgesehen,  bis  auf  unsere  Tage  im  allgemeinen  mehr  aus  Verlegenheit 
als  in  der  Erkenntnis,  dafi  es  sich  bei  dieser  Literatur  urn  kunstlerische  Werte  handelt,  deren 
Vermittlung  eine  mehr  als  lohnende  Aufgabe  fiir  Chorinstitute  ist.  Nicht  ganz  ohne 
Widerstreben,  so  scheint  es,  wenden  sich  die  Komponisten  anfangs  der  Komposition  far 
gemischten  Chor  zu.  Die  erwahnten  mehrstimmigen  Stiicke  in  Reichardts  Goethe-Sammlung 
sind  vorerst  vereinzelte  Erscheinungen  geblieben,  und  gerade  die  wenigen  Beitrage,  die  wir 
von  Weber  besitzen,  scheinen  ihre  Existenz  eben  dem  Umstande  zu  verdanken,  dafi  man 
in  der  Berliner  Liedertafel  bei  besonders  festlichen  Anlassen  auch  den  anwesenden  Damen 
der  Mitglieder  Gelegenheit  zu  aktiver  Betatigung  geben  wollte;  so  erklart  sich  wohl  auch  am 
besten  die  von  der  spateren  Gewohnheit  abweichende  Besetzung  dieser  Stiicke,  wo  zu  den 
iiblichen  Mannerstimmen  lediglich  2  Soprane  hinzutreten,  eine  Besetzung,  die  dann  auch  in 
Marschners  Opus  55  wiederkehrt.  Aus  dieser  anfanglichen  Abneigung  mag  auch  die  Tat- 
sache  zu  erklaren  sein,  dafi  Schubert  mit  Originalkompositionen  far  gemischten  Chor  fast 
gar  nicht  hervorgetreten  ist. 

Der  erste,  der  sich  auch  dieser  Gattung  nachdriicklich  angenommen  hat,  ist  Mendelssohn 
gewesen.  Aber  auch  bei  ihm  ebenso  wie  bei  Schumann  ist  es  bezeichnend,  dafi  er  mit  Manner 
choren  beginnt  und  erst  vom  Jahre  1839  ab  sich  der  Komposition  far  gemischten  Chor  zu- 
wendet.  Auch  Mendelssohns  Mannerchore  gehoren  nur  zum  Teil  zur  Gattung  des  volks- 
tiimlichen  Mannerchorliedes.  Schon  ein  Blick  auf  die  hier  vertonten  Texte  zeigt,  dafi  Mendels 
sohn  hoheren  Zielen  zustrebt.  Goethe  steht  mit  an  erster  Stelle  (das  ,,Schenkenlied"  z.  B. 
mit  seiner  ausgesprochen  kontrapunktischen  Faktur  und  freien  Formbehandlung  ist  keines- 
wegs  volkstiimlich  in  jenem  Sinne) ;  es  f olgen  Eichendorff ,  Heine  (beachtenswert  die  Nummer 
,,Am  fernen  Horizonte"  wegen  der  Durchftihrung  eines  einzelnen,  tonmalerisdhen  Absichten 
entsprungenen  Motivs),  Hoffmann  v.  Fallersleben,  Scott  und  Herwegh.  Immerhin  bieten 
auch  die  Mannerchore  (op.  50,  75,  76  und  120)  vereinzelte,  im  besten  Sinne  volkstiimliche 
Nummern;  es  geniigt  an  ,,Wer  hat  dich,  du  schoner  Wald"  oder  an  ,,Wem  Gott  will  rechte 
Gunst  erweisen**  zu  erinnern.  Viel  starker  aber  tritt  der  volkstiimliche  Ton  in  seinen  ge- 


960  Chormusik  (Lied  und  klcinere  Chorwerke) 

mischten  Choren  hervor.  Die  Werke  der  Opuszahlen  41,  48  und  59  tragen  ausdrticklich  die 
Anweisung:  ,,Im  Freien  zu  singen"  und  weisen  damit  auf  jene  Tendenz  der  Volkstiimlichkeit 
hin,  die  leitendes  Prinzip  der  Berliner  Liedersammlungen  war.  Aber  auch  die  spateren  Hefte 
(op.  88  und  100)  verleugnen  die  volkstumliche  Schreibart  nicht.  Alle  zeigen  leicht  eingangige 
und  gut  sangbare,  manchmal  freilich  reichlich  sentimentale  Melodik  (auffallend  ist  eine  ge- 
vvisse  Vorliebe  fiir  Dreiklangsthematik),  einfache  harmonische  Verhaltnisse  und  hinsichtlich 
der  Form  jene  Klarheit  und  Ubersichtlichkeit,  die  Mendelssohns  Werke  im  allgemeinen  aus- 
zeichnet.  Diese  Chore  konnen  als  Muster  der  Gattung  bezeichnet  werden,  oft  nachgeahmt, 
aber  selten  oder  niemals  erreicht.  Meisterchore  ihrer  Art  wie  ,,0  Taler  weit,  o  Hohen"  oder 
das  ebenfalls  Eichendorff  entnommene  Morgengebet  ,,0  wunderbares  tiefes  Schweigen"  haben 
auch  heute  noch  nichts  von  ihrer  unmittelbaren  Wirkung  eingebiifit.  Uber  das  einfache 
Chorlied  hinaus  hat  sich  dann  Mendelssohn  als  erster  auch  der  Chorballade  grofien  Stils 
zugewandt  und  namentlich  in  seiner  ,,WaIpurgisnacht"  ein  Chorwerk  geschaffen,  das  unter 
seinen  Werken  mit  an  erster  Stelle  steht  und  den  grofien  Meister  in  der  Behandlung  des 
Chores  und  seiner  Verwendung  bei  Situationsschilderungen  zeigt. 

Neben  Mendelssohn  steht  Robert  Schumann  (1810—56)  als  wichtiger  Vertreter  des  Chor- 
liedes.  Auch  er  halt  im  wesentlichen  an  der  strophischen  Behandlung  der  Texte  fest,  unter 
den  en  uns  solche  von  Goethe,  Riickert,  Uhland  und  Robert  Burns,  den  Schumann  bekanntlich 
auch  in  den  Sololiedern  bevorzugt,  begegnen.  Die  Satzweise  ist,  wie  bei  Mendelssohn,  vor- 
zugsweise  homophon,  so  etwa  in  den  5  Liedern  fur  gemischten  Chor  (op.  55),  den  4  Gesangen 
in  gleicher  Besetzung  (op.  59)  und  in  den  6  Liedern  fur  Mannerstimmen  (op.  33).  Bemerkens- 
wert  ist  eine  gewisse  Vorliebe  fiir  Unisonostellen  zur  Unterstreichung  bestimmter  Textstellen. 
Seine  Melodiebildung  ist  nicht  so  ausgesprochen  vokaler  Natur  wie  etwa  diejenige  Mendels 
sohns;  die  Chore  stellen  an  die  Treffsicherheit  der  Sanger  immerhin  schon  einige  Anforde- 
rungen.  Auch  kann  man  eine  gewisse  Vernachlassigung  der  Mittelstimmen  gegeniiber  den 
Aufienstimmen  feststellen.  Zu  den  ansprechendsten  unter  seinen  Chorliedern  gehoren  die 
Romanzen  und  Balladen  fur  gemischten  Chor  (op.  76  und  146),  wahrend  die  4  Gesange  fiir 
Doppelchor  (op.  141),  mit  denen  er  groBeren  Chorvereinigungen  lohnende  Aufgaben  bieten 
wollte,  trotz  einer  Polyphonic,  die  allerdings  mehr  Scheinpolyphonie  ist,  und  Entfaltung 
reicheren  Chorklanges  einer  gewissen  Trockenheit  nicht  entbehren;  bei  Goethes  ,,Gottes 
ist  der  Orient"  steht  jedenfalls  das  Aufgebot  der  Mittel  in  keinem  Verhaltnis  zu  der  erzielten 
Wirkung.  Den  grofien  Lyriker  verraten  unter  diesen  Chorliedern  eigentlich  nur  die  Ritornelle 
fiir  Mannerstimmen  nach  Texten  von  Riickert  (op.  65),  die  auch  satztechnisch  (u.  a.  einige 
fein  durchgefiihrte  Kanons)  eine  Sonderstellung  einnehmen.  Neben  den  A-cappella-Liedern 
besitzen  wir  von  Schumann  auch  eine  Reihe  kleinerer  Chorwerke  mit  Orchester,  Balladen 
oder  Kantaten  nach  dem  Muster  von  Mendelssohns  ,,Walpurgisnacht" :  ,,Des  Sangers  Fluch" 
(op.  139),  ,,Das  Gliick  von  Edenhall"  (op.  143  fiir  Mannerchor),  ,,Der  Konigssohn"  (op.  1 16) 
und  endlich  ,,Vom  Pagen  und  der  Konigstochter"  (op.  140),  das  musikalisch  reichste  und 
fantasievollste  Werk  dieser  Gruppe. 

Neben  den  drei  Hauptreprasentanten  des  Chorlieds  der  alteren  Romantik  steht  eine  grofiere 
Zahl  von  Nebenerscheinungen,  von  denen  nur  die  wichtigsten  genannt  werden  konnen.  Von 
Mendelssohn  besonders  stark  beeinflufit  zeigt  sich  Moritz  Hauptmann  (1792—1868),  der 
sowohl  in  seinen  nicht  eben  zahlreichen  Mannerchoren  als  auch  besonders  in  seinen  Werken 


Chormusik  (Lied  und  kleinere  Chorvierke)  961 

fur  gemischten  Chor  emgangliche  Melodik  und  schonen  Chorklang  mit  Einfachheit  der  Form 
verbindet.  Schumann  naher  als  Mendelssohn  steht  der  in  deutscher  Schule  gebildete  Dane 
Niels  W.  Gade  (1817— 1890),  dem  wir  neben  A-cappella-Choren  eine  grofiere  Zahl  von  Chor- 
balladen  nach  dem  Muster  Schumanns  verdanken.  Auch  Robert  Franz  (1815—1892)  ist  mit 
einzelnen  wertvollen  Beitragen  hier  zu  erwahnen. 

Fiir  die  weitere  Entwicklung  der  mehrstimmigen  Vokalmusik  kommt  in  der  2.  Halfte  des 
19.  Jahrhunderts  Johannes  Brahms  (1833—1897)  eineganz  aufierordentliche  Bedeutung  zu, 
die  nach  der  formellen  'Seite  zweifellos  groBer  ist  als  seine  Bedeutung  fur  die  Geschichte  des 
Sololieds,  einmal  rein  zahlenmaBig,  dann  aber  vor  allem  durch  die  Mannigfaltigkeit  in  der 
Besetzung  seiner  Vokalkompositionen  und  endlich  durch  die  formale  und  satztechnische  Be- 
reicherung  dieser  Werke.  Neben  5  Liedern  fur  Mannerchor  ohne  Begleitung  (op.  41),  einer 
grofieren  Anzahl  unbegleiteter  Frauen-  (op.  37,  44,  113)  und  gemischter  Chore  (op.  22,  29, 
42,  52,  63a,  74,  104,  109  und  110)  stehen  zahlreiche  Werke  mit  Klavier-  oder  Orchester- 
begleitung,  unter  denen  die  begleiteten  Soloquartette  und  die  Chorgesange  mit  Orchester 
(Rinaldo  op.  50,  die  ,,Rhapsodie"  op.  53,  das  ,,Schicksalslied"  op.  54,  ,,Triumphlied"  op.  55, 
,,Nanie"  op.  82  und  ,,Gesang  der  Parzen"  op.  89)  wieder  einen  besonderen  Platz  einnehmen. 
In  den  A-cappella-Gesangen  treten  die  grofien  Vorziige  von  Brahms'  kunstvoller  Satzweise 
am  deutlichsten  hervor,  und,  mag  er  homophon  oder  Satze  von  wunderbarster  Polyphonie 
schreiben,  niemals  verliert  sein  Chorsatz  den  schlicht-volkstumlichen  Charakter,  der  diese 
Kunstwerke  zur  Pflege  im  hauslichen  Kreise  besonders  geeignet  macht.  Alle  diese  Chore 
bieten  Schonheiten  erlesenster  Art,  am  hochsten  stehen  wohl  die  5  Gesange  (op.  104)  flir 
gemischten  Chor  zu  Texten  von  Riickert,  Kalbeck,  Wenzig  und  Klaus  Groth :  namentlich  des 
letzteren  ,,Im  Herbst"  ist  echtester  Brahms,  ein  schwermiitiges  Stuck  voll  tiefer  Empfindung. 
In  der  zweiten  Gruppe,  den  Vokalensembles  mit  Klavierbegleitung,  konnte  Brahms  an 
Schumannsche  Vorbilder  (z.  B.  das  spanische  Liederspiel)  ankniipfen.  Er  bildet  diese  Gattung, 
namentlich  in  den  Vokalquartetten  mit  Klavierbegleitung,  zu  Kunstwerken  hochsten  Ranges 
weiter:  Stiicke  wie  Schillers  ,,Der  Abend"  (op.  64)  und  Hebbels  ,,Friedlich  bekampfen" 
(op.  92)  oder  auch  die  beiden  Hefte  Liebesliederwalzer  mit  vierhandiger  Klavierbegleitung 
sind  wahre  Perlen  dieser  Brahms  ureigenen  vokalen  Kammermusik.  In  seinen  Chorgesangen 
mit  Orchester  endlich  hat  Brahms  hochbedeutende  Beitrage  zur  Gattung  der  Chorode  ge- 
liefert,  bedeutsarn  namentlich  auch  durch  die  selbstandige  Stellung,  die  das  Orchester  in 
ihnen  einmmmt. 

Neben  Brahms,  aber  freilich  in  betrachtlichem  Abstand  von  ihm,  ist  Max  Bruch  (1838 
bis  1920)  als  fruchtbarer  und  erfolgreicher  Chorkomponist  zu  nennen.  Wie  Bruchs  gesamtes 
Schaffen,  so  zeichnet  auch  seine  Chorlieder  neben  untadeliger  Arbeit  Einfachheit  der 
Form  und  eine  sinnfallige,  freilich  auch  nicht  immer  allzutiefe  Melodik  aus.  Auch  er 
pflegte  eifrig  das  Chorwerk  groBeren  Stils;  sein  Friihwerk,  der  ,,Frithjor  fiir  Manner 
chor,  trug  dem  Komponisten  ersten  Ruhm  ein  und  wurde  fiir  Werke  ahnlicher  Art 
vorbildlich. 

In  Peter  Cornelius  (1824— 1874)  erwachst  der  Chorkomposition  der  erste  bedeutende  Ver- 
treter  aus  der  Schule  Wagners.  Auf  die  Bedeutung  dieses  Meisters  fiir  die  Chorkomposition 
erstmalig  und  mit  Nachdruck  hingewiesen  zu  haben,  war  das  Verdienst  Hermann  Kretzsch- 
mars.  Obwohl  an  Zahl  keineswegs  groB  und  auch  untereinander  keineswegs  gleichwertig, 


Chormusik  (Lied  und  kleinere  Chorwerke) 


sind  sowohl  unter  den  Mannerchoren  wie  unter  den  Kompositionen  fur  gemischten  Chor 
Stiicke,  die  zum  Grofiartigsten  und  Originellsten  gehoren,  was  die  Chorliteratur  uberhaupt 
aufzuweisen  hat.  Unter  den  Mannerchoren  sind  hervorzuheben  ,,Der  Soldat"  von  Eichen- 
dorff,  ein  neunstimmiger  Chor  von  grandiosem  Aufbau;  ferner  die  fiinfstimmige  Bearbeitung 
des  alten  Michael  Franckschen  ,,Ach  wie  nichtig*  *,  eine  Choralvariation  von  meisterhafter 
kontrapunktischer  Arbeit,  und  endlich  die  Notkersche  Sequenz  ,,Mitten  wir  im  Leben 
sind",  ein  ganz  homophon  gehaltenes,  harmonisch  freilich  nicht  einfaches  Stiick  von  lapidarer 
Kiirze,  seltener  Eindringlichkeit  und  Konzentration  der  Gedanken,  auf  dem  Gebiete  des 
Mannerchors  Cornelius'  Meisterleistung.  Unter  den  gemischten  Choren  ist  der  Zyklus  ,,Liebe" 
nach  Angelus  Silesius  hervorzuheben  und  Heines  ,,Der  Tod,  das  ist  die  kiihle  Nacht",  em 
Stiick,  in  dem  des  Komponisten  satztechnisches  Konnen  mit  einer  ungewohnlich  reichen 
Phantasie  wetteifert. 

Vereinzelt  hat  sich  auch  Hugo  Wolf  (1860—1903)  der  Chorkomposition  zugewandt.  Die 
Chorkantate  ,,Christnacht"  und  eine  Bearbeitung  des  ,,Feuerreiters"  fur  Chor  und  Orchester 
zeigen  ihn  als  sicheren  Beherrscher  der  Chortechnik  grofien  Stils.  Aus  seinem  Nachlafi  ist 
auBerdem  eine  sehr  schone  vierstimmige  A-cappella-Komposition  ,,Der  Einsiedler"  veroffent- 
licht  worden,  die  zwar  neue  Stilprinzipien  nicht  erkennen  laBt,  im  iibrigen  aber  den  mehrfach 
komponierten  Eichendorffschen  Text  durch  strenge  Polyphonic  in  Verbindung  mit  moderner 
Harmonik  zu  tiefgehender  Wirkung  bringt. 

Auch  das  Ausland  ist  in  der  neueren  Chormusik  mit  einigen  Namen  von  Rang  vertreten, 
weniger  zwar  durch  A-cappella-Chore  als  durch  Chorkantaten  und  ahnliche  auf  Mitwirkung 
von  Solisten  und  Orchesterbegleitung  aufgebaute  Chorwerke.  England  verdient  an  erster 
Stelle  genannt  zu  werden,  weil  hier  die  Pflege  des  mehrstimmigen  Liedes  niemals  vollig  auf- 
gehort  hat.  Die  Sammlungen  jener  Catches,  Glees  und  ahnlicher  kleiner  Liedformen,  die 
unter  denNameneines  Thomas  AugustinArne(1710—  1778),  eines  William  Boyce(l  710—  1779) 
sowie  des  alteren  und  jungeren  Samuel  Webbe  (1740-1816  bzw.  1770-1843)  bekannt  ge- 
worden  sind,  bilden  die  wichtigsten  Zeugnisse  hierfur.  In  neuerer  Zeit  haben  sich  Horatio 
Parker  (1863-1920),  Granville  Bantock  (geb.  1868)  und  besonders  EdwardElgar  (geb.  1857) 
mit  besonderem  Nachdruck  der  Pflege  der  Chormusik  in  England  angenommen.  Von  Elgars 
Kantaten  ist  vor  allem  op.  38  ,,Der  Traum  des  Gerontius"  neben  seinem  oratorischen  Haupt- 
werk,  den  ,,Aposteln"  in  Deutschland  aufgefiihrt  worden.  Die  flamische  Schule  pflegt  die 
Chorkomposition  in  Verbindung  mit  einer  ausgesprochen  vaterlandischen  Tendenz:  Peter 
Benoits  (1834—1901)  ,,Rubenskantate",  ,,De  Oorlog"  (Krieg)  und  die  ,,Schelde"  zeigen  das 
ebenso  wie  Edgar  Tinels  (1854—1902)  ,,Mohnblumen",  seine  ,,Glocke  Roland"  sowie  der 
gewaltige  Chor  fur  Mannerstimmen  a  cappella  ,,Vlaamsche  Stemm"  (op.  25).  Von  skandi- 
navischen  Komponisten  sei  wenigstens  Edward  Grieg  (1843—1907)  mit  seiner  ,,Land- 
erkennung"  erwahnt.  Frankreich  dankt  die  systematische  Pflege  mehrstimmiger  Vokalmusik 
seinem  erfolgreichen  Gesangspadagogen  Guillaume  Louis  Wilhem  (1781  —  1842),  der  nament- 
lich  durch  sein  gfofies  Sammelwerk  von  A-cappella-Gesangen  ,,0rpheon"  (1837ff.),  das  freilich 
keineswegs  nur  Originalwerke  enthalt,  anregend  gewirkt  hat.  Frankreichs  bedeutendster 
Komponist  auch  auf  dem  Gebiete  der  Chormusik  istHektor  Berlioz  (1803—  1869);  er  ist  hier 
mit  seinen  oratorienartigen  Werken  zu  erwahnen,  unter  denen  die  dramatische  Legende  ,,Fausts 
Verdammnis"  an  erster  Stelle  steht.  Italien  endlich  hat  in  Enrico  Bossi  (geb.  1861)  seinen 


Die  Instrumentalmusik  von  1828—1880  953 

fiihrenden  Chorkomponisten  aufzuweisen.   Neben  seinem  Hauptwerk,  dem  ,,HohenIied",  ist 
auch  die  Kantate  ,,Giovanna  d'Arc"  in  Deutschland  bekannt  geworden, 

Literatur 

Elben,0.:DervolkstumlichedeutscheMannergesang.  2.  Aufl.  Tiibingen  1887.  (Dazu  die  ausfiihrliche  Rezen- 
sion:  Spitta,  Ph.:  Der  deutsche  Mannergesang,  in  Musikgeschichtl.  Aufsatze,  Berlin  1894.  S.  299  ff.)  —  Kretzsch- 
mar,  H. :  Fiihrer  durch  den  Konzertsaal,  II,  2.  5.  Aufl.  Leipzig  1920.  —  Derselbe:  Peter  Cornelius.  Leipzig  1880. 
—  Riemann,  H.:  Geschichte  der  Musik  seit  Beethoven.  Berlin  1901.—  Thierfelder,  H.:  Vorgeschichte  und 
Entwicklung  des  deutschen  Mannergesangs.  (Hallenser  Diss.),  Hildburghausen  1923.  Weitere  Literatur  in  den 
Abschnitten  iiber  Lied  und  Oratorium. 

Wilhelm  Krabbe 


DIE  INSTRUMENTALMUSIK  VON  1828-1880 

Das  Jahr  1829  brachte  zwei  wichtige  musikalische  Ereignisse:  die  ,,Phantastische Symphonic" 
von  Berlioz  und  die  Wiedererweckung  von  Bachs  ,,Matthauspassion" .  Damit  waren  die  beiden 
Hauptzweige  der  Hochromantik  deutlich  gekennzeichnet :  die  sensitive  deutsche  Romantik 
mit  ihrem  Streben  nach  tiefster  Verinnerlichung  und  die  franzosische  realistische  Romantik 
mit  ihrer  hemmungslosen  Lust  am  Nervenaufpeitschenden.  Beelhovens  schrankenloser  Idealis- 
mus  (um  schon  einmal  Gesagtes  zu  wiederholen)  wurde  in  Schrankenlosigkeit  und  Idealismus 
aufgeteilt,-die  Schrankenlosen  scheuten  vor  keinem  Inhaltsgebiete  zuruck  und  die  Idealisten 
mieden  die  Schrankenlosigkeit.  Die  franzosische  Richtung  wurde  anfangs  in  Deutschland 
(besonders  von  Schumann)  nach  Gebiihr  gewiirdigt  und  vielfach  zum  Vorbild  genommen; 
als  sie  sich  aber  unter  Liszts  Fiihrung  in  den  fiinfziger  Jahren  als  ,,neudeutsche"  erklarte 
prallten  die  Gegensatze  aufeinander  und  eine  von  Brahms  und  anderen  Vertretern  der  deutschen 
Schule  unterzeichnete  ,,Erklarung"  wies  die  Aspirationen  des  Lisztkreises  als  undeutsch  und 
anmafiend  zuriick.  In  den  sechziger  und  siebziger  Jahren  erfolgten  wieder  Annaherungen  der 
beiden  Richtungen  aneinander,  indem  Angehorige  der  ,,neudeutschen",  wie  Wagner  und 
Peter  Cornelius,  die  polyphone  Schreibweise  und  andere  Kunstmittel  der  Gegenpartei  iiber- 
nahmen,  wahrend  sich  deren  Vertreter  gelegentlich  der  Programmusik  und  anderer  neu- 
deutscher  Charakteristika  bedienten.  Noch  in  der  Musik  der  Gegenwart  stehen  sich  die 
beiden  Schulen  in  der  Kunst  Max  Regers  und  Richard  Straufi"  gegeniiber. 

Die  deutsche  Hochromantik  wurde  von  Felix  Mendelssohn  -  Bartholdi,  Robert  Schu 
mann,  Johannes  Brahms  und  dem  Polen  Friedrich  Chopin,  die  franzosische  (neudeutsche) 
von  Hector'  Berlioz,  Franz  Liszt  und  Richard  Wagner  gefiihrt;  Anton  Bruckner  hat 
eine  Art  Synthese  der  beiden  Richtungen  geschaffen. 

Felix  Mendelssohn -Bartholdi,  1809  in  Hamburg  als  Sohn  eines  Bankiers  geboren,  Kompositionsschiiler 
Karl  Friedrich  Zelters,  wirkte  nach  emer  Wunderkindjugend  und  mehreren  Konzertreisen  nach  Paris,  England, 
Schottland  und  Italian  1833 — 35  als  stadtischer  Musikdirektor  in  Diisseldorf  und  dann  als  Kapellmeister  der  Ge- 
wandhauskonzerte  in  Leipzig,  in  welcher  Stellung  er  mit  einjahriger  Unterbrechung  (Generalmusikdirektor  in  Berlin) 
bis  zu  seinem  Tode  1847  tatig  war.  Die  gunstigen  Vermogensverhaltnisse,  eine  gliickliche  Ehe,  friihe  und  anhaltende 
Erfolge  in  der  gesamten  Musikwelt  und  die  neidlose  Freundschaft  der  grofiten  Zeitgenossen  lassen  sein  Dasein  als 
eines  der  glucklichsten  Kiinstlerleben  erscheinen.  Mendelssohns  Instnimentalwerkesind:  5  Symphonien,  nebst  den 
Ouvertiiren  seiner  Opern  und  Oratorien  2  Schauspiel-  und  5  Konzertouvertiiren,  1  Violinkonzert,  2  Klavierkonzerte, 
Capriccio,  Rondo  brillant  und  Serenade  fur  Klavier  und  Orchester,  1  Streichoktett,  2  Streichquintette,  7  Streich- 


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quartette,  1  Klaviersextett,  3  Klavierquartette,  2  Klaviertrios,  1  Violinsonate,  2  Cellosonaten,  Variationen  fur 
Cello  und  Klavier.  fur  Klavier  allein  4  Sonaten,  8  Hefte  ,,Lieder  ohne  Worte",  Charakterstiicke.  Rondos,  Fantasien, 
Caprices,  Variationen,  Kinderstikke  und  7  Praludien  und  Fugen,  fiir  Orgel  3  Praludien  und  Fugen  und  6  Sonaten. 

Frederic  Francois  Chopin  kam  als  Sohn  eines  ausgewanderten  Franzosen  und  einer  Polin  1809  in  Zelazowa  Wola 
bei  Warschau  zur  Welt.  Als  Schiller  des  Direktors  der  Warschauer  Musikschule,  Josef  Eisner,  bald  zum  Wunder- 
kind  ausgebildet,  iibersiedelte  er  als  Zwanzigjahriger  nach  Paris,  wo  er  als  Pianist  und  Lehrer,  von  Konzertreisen 
abgesehen,  bis  zu  seinem  Tode  weilte.  Er  starb  1 849  an  der  Schwindsucht.  An  Instrumentalwerken  (alle  fiir  oder 
mit  Klavier)  hinterliefi  er:  2  Klavierkonzerte,  Don  Juan-Fantasie,  Fantasie  iiber  polnische  Lieder,  Krakowiak  und 
Polonase  fiir  Klavier  und  Orchester,  1  Klaviertrio,  Duo  concertant,  1  Senate  und  1  Polonase  mit  Introduktion 
fiir  Cello  und  Klavier,  1  Rondo  fur  2  Klaviere,  fiir  1  Klavier  3  Sonaten,  4  Balladen,  1  Fantasie,  12  Polonasen, 
1  Polonasefantasie,  56  Mazurkas,  25  Praludien,  19  Notturnos,  15  Walzer,  4  Impromptus,  3  Ekossaisen,  4  sonstige 
Tanzstiicke,  3  Rondos,  4  Scherzi,  3  Variationen werke,  I  Trauermaisch,  ein  Konzertallegro  und  27  Konzertetiiden. 

Robert  Schumann,  1810  in  Zwickau  (Sachsen)  als  Sohn  eines  Buchhandlers  geboren,  studierte  in  Leipzig  und 
Heidelberg  Jura  und  zugleich  bei  Friedrich  Wieck  in  Leipzig  Klavierspiel  und  widmete  sich  seit  1830  ganz  der  Musik. 
Durch  eine  selbstverschuldete  Fingerlahmung  um  die  Virtuosenlaufbahn  gebracht,  lebte  er  nun  ganz  der  Komposition. 
Sein  Wohnsitz  war  bis  1844  Leipzig,  wo  er  Lehrer  am  Konservatorium  wurde  und  seit  1834  die  ,,Neue  Zeitschrift 
fiir  Musik"  herausgab.  1840  vermahlte  sich  Schumann  mit  der  grofien  Pianistin  Klara  Wieck,  der  Tochter  seines 
Lehrers.  1844 — 50  Privatlehrer  in  Dresden,  nahm  er  im  letztgenannten  Jahre  die  Stelle  eines  stadtischen  Musik- 
direktors  in  Diisseldorf  an,  mufite  sie  aber  nach  drei  Jahren  eines  Gehimleidens  wegen  aufgeben.  Nach  einem  Selbst- 
mordversuch  in  der  Irrenanstalt  zu  Endenich  bei  Bonn  interniert,  starb  er  daselbst  1856.  Schumann  schrieb  folgende 
Instrumentalwerke:  4  Symphonien,  eine  dreisatzige  Symphonie  (Ouvertiire,  Scherzo  und  Finale),  5  Opern-  resp. 
Schauspielouvertiiren,  2  Konzertouvertiiren,  1  Klavierkonzert,  1  Cellokonzert,  1  Fantasie  fiir  Violine  und  Orchester, 
1  Konzertstuck  fiir  4  Horner,  1  Konzertstiick  und  1  Konzertallegro  fiir  Klavier  und  Orchester,  3  Streichquartette, 
I  Klavierquintett,  1  Klavierquartett,  3  Klaviertrios,  Fantasiestiicke  fiir  Klaviertrio,  ,,Marchenerzahlungen"  fiir 
Klarinette  (Violine),  Viola  und  Klavier,  Adagio  und  Allegro  fiir  Horn  und  Klavier,  Fantasiestiick  fiir  Klarinette  und 
Klavier,  2  Violinsonaten,  ,,Marchenbilder"  fiir  Violine  (Viola)  und  Klavier,  3  Romanzen  fiir  Oboe  und  Klavier, 
5  ,,Stiicke  im  Volkston"  fur  CeUo  und  Klavier,  6  Fugen  iiber  BACH  fiir  Orgel  oder  Pedalfliigel,  Andante  und  Va 
riationen  fur  2  Kkviere,  fiir  Klavier  zu  4  Handen:  ,,Bilder  aus  Osten",  12  Klavierstiicke,  Ballszenen,  Kinderball, 
fiir  Klavier  zu  2  Handen:  Variationen  iiber  ABEGG,  ,,Papillons",  Studien  nach  Paganini,  Intermezzi,  Impromptus, 
,,Davidsbiindler**,  Tokkata,  Allegro,  ,,Kameval'*,  6  Konzertetiiden,  Fantasiestiicke,  12  symphonische  Etiiden,  ,,Kinder- 
szenen",  ,,Kreisleriana",  Fantasie,  ,,Arabeske",  ,,Blumenstiick",  Humoreske,  Novelletten,  Nachtstiicke,  ,,Faschings- 
schwank  aus  Wien",  3  Romanzen,  Kanonische  Studien  fur  den  Pedalfliigel,  Skizzen  fiir  den  Pedalfliigel,  ,,Album  fiir 
die  Jugend'*,  4Fugen,  4  Marsche,  ,,Waldszenen",  ,,Bunte Blatter",  3  Fantasiestiicke,  ,,Albumblatter",  7  Klavierstiicke 
in  Fughettenform,  ,,Gesange  der  Friihe",  3  Klaviersonaten,  3  Klaviersonaten  fiir  die  Jugend. 

Johannes  Brahms,  als  Sohn  eines  Kontrabassisten  1833  zu  Hamburg  geboren,  Schiiler  seines  Vaters  und  Eduard 
Marxsens,  wurde  schon  als  Zwanzigjahriger  von  Schumann  als  kunftige  Grofie  erkannt  und  warm  empfohlen.  1862 
ging  er  von  Hamburg,  das  er  bisher  nur  als  Lippescher  Hofkapellmeister  zu  Detmold  auf  einige  Jahre  verlassen 
hatte,  dauernd  nach  Wien.  Nach  verschiedenen  Versuchen,  sich  in  Deutschland  niederzulassen,  kehrte  er  immer 
wieder  nach  Wien  zuriick,  wo  er  zuerst  die  Konzerte  der  Singakademie,  dann  die  der  Gesellschaft  der  Musikfreunde 
leitete.  Mit  Ehren  aller  Art  (Ehrendoktoraten,  Ebrenbiirgerrechten,  Orden)  iiberhauft,  starb  Brahms  daselbst  1897. 
Seine  Instrumentalwerke  sind:  4  Symphonien,  2  Orchesterserenaden,  Variationen  iiber  ein  Thema  von  Haydn,  Aka- 
demische  Festouvertiire,  Tragische  Ouvertiire,  2  Klavierkonzerte,  1  Violinkonzert,  1  Doppelkonzert  fiir  Violine 
und  Cello,  2  Streichsextette,  2  Streichquintette,  1  Klarinettquintett,  3  Streichquartette,  1  Klavierquintett, 

3  Klavierquartette,  4  Klaviertrios,  1  Klaviertrio  mit  Klarinette,  3  Violinsonaten,  2  Cellosonaten;  fiir  Klavier  zu 

4  Handen:  Variationen  iiber  ein  Thema  von  Schumann,  Walzer,  Ungarische  Tanze;  fiir  Klavier  zu  2  Handen:  3  So 
naten,  4  Balladen,  2  Rhapsodien,  Capricci  und  Intermezzi,  Fantasien,  5  Variationenwerke,  fiir  Orgel  Praludien  und 
Fugen  und  Choralvorspiele. 

Hector  Berlioz  wurde  1803  zu  Cote  St.  Andre*  im  Departement  Isere  geboren,  Als  Sohn  eines  Arztes  gleichfalls 
zum  Mediziner  bestimmt,  erzwang  er  sich  die  Musik  als  Lebensberuf  und  studierte  am  Pariser  Konservatorium 
unter  Lesueurs  Leitung.  Paris  blieb  auch  fernerhin  sein  Aufenthaltsort,  wo  er  als  Komponist,  Lehrer,  Schriftsteller 
(Mitarbeiter  von  Musikzeitungeri)  und  Konservator  (spater  Bibliothekar)  des  Konservatoriums  wirkte  und  1869  starb. 
Seine  ersten  Erfolge  erzielte  er  auf  seinen  Reisen  in  deutschen  Gebieten.  Berlioz  hinterliefi  an  Instrumentalwerken 
3  Symphonien,  8  Opern-  und  Schauspielouvertiiren  und  1  ,,Trauer-  und  Triumphsymphonie." 

Franz  Liszt,  181 1  zu  Raiding  bei  Odenburg  (damals  Ungam,  jetzt  Osterreich)  geboren,  wurde  von  seinem  musi- 
kalischen  Vater,  einem  Gutsverwalter,  anfanglich  unterrichtet  und  spater  in  seiner  kiinstlerischen  Entwicklung  ttber- 
wacht.  1821—23  in  Wien  als  Schuler  Czernys  und  Salieris  bedeutend  gefordert,  iibersiedelte  er  im  letztgenannten 
Jahre  nach  Paris,  wo  er,  von  grofien  Konzertreisen  durch  ganz  Europa  abgesehen,  bis  1849  als  Virtuose,  Lehrer. 


Die  Instrumentalmusik  %on  1828—1880  965 

Komponist  und  Schriftsteller  tatig  war.  Grofien  EinfluB  auf  ihn  iibten  Berlioz,  Chopin  und  Paganini.  1849 — 61 
weilte  er  als  Hof kapellmeister  in  Weimar,  nachher  bis  zu  seinem  Tode  abwechselnd  in  Rom,  Weimar  und  Budapest. 
1865  empfing  er  in  Rom  die  niederen  Weihen  und  wurde  Abbe.  Sein  Leben  war  an  aufieren  Ehren  noch  reicher  als 
das  Mendelssohns.  1886  starb  er  in  Bayreuth.  An  Instrumentalwerken  schrieb  Liszt:  2  Symphonieri,  13  symphonische 
Dichtungen,  ,,Episoden  aus  Lenaus  , Faust'",  Kiinstlerfestzug,  Festmarsch,  Festvorspiel,  Huldigungsmarsch,  ,,Voni 
Fels  zum  Meer",  2  Klavierkonzerte,  ,,Danse  macabre"  fiir  Klavier  und  Orchester;  fur  {Clavier  aliein :  Concerto  pathe- 
tique,  15  ungarische  Rhapsodien,  Rhapsodic  espagnole,  1  Senate,  Fantasie  und  Fuse  iiber  BACH,  2  Balladen, 
1  Berceuse,  2  Legenden,  2  Elegien,  1  Impromptu,  iiber  30  Charakterstiicke,  2  Variationemverke  und  zahlreiche 
Paraphrasen  iiber.fremde  Werke  sowie  Transkriptionen  von  solchen  (auch  fiir  2  Kla\iere),  endlich  3  Duos  fur  Violine 
und  Klavier. 

Richard  Wagners  (1813 — 83)  Instrumentalwerke  sind  neben  den  Vorspielen  seiner  Opern  2  Schauspiel-  und 
5  Konzertouvertiiren,  Huldigungsmarsch,  Kaisermarsch,  Festmarsch,  Siegfriedidyll,  fiir  Klavier  3  ..Albumblatter", 
1  Senate,  I  Polonase  und  1  Fantasie,  endlich  ein  Streichquartett  (wie  die  meisten  Klavierstiicke  ein  Jugendwerk). 

Anton  Bruckner  wurde  1824  in  Ansfelden  in  Oberosterreich  als  Sohn  eines  Dorfschullehrers  geboren.  Seine 
kunstlerische  Ausbildung  erhielt  er  als  Schiller  seines  Vaters,  dann  als  Sangerknabe  in  St.  Florian,  spater  bei  Simon 
Sechter  (1788 — 1867,  Hof  organist  und  Professor  am  Konservatorium)  in  Wien  und  Otto  Kitzler  in  Linz;  einen  groBen 
Teil  seiner  Kenntnisse  und  Technik  erwarb  er  aber  autodidaktisch.  Schon  wahrend  der  Lernzeit  nach  kurzer  Tatig- 
keit  als  Schulgehilfe  Stiftsorganist  in  St.  Florian  und  seit  1 855  Domorganist  in  Linz,  wurde  er  1 867  nach  Sechters 
Tode  dessen  Nachfolger  als  Hof  organist  und  Konservatoriumsprofessor  in  Wien,  spater  auch  Lektor  fiir  Musik- 
theorie  an  der  Universitat.  1891  erhielt  er  das  Ehrendoktorat  der  Wiener  philosophischen  Fakultat.  1896  starb 
Bruckner  in  Wien.  Seine  Instrumentalwerke  bestehen  in  9  Symphonien,  1  Streichquintett  und  1  Klavierstiick. 

Mit  Mendelssohn  erhalt  in  der  deutschen  Romantik  die  einsatzige  Form  das  Ubergewicht : 
neben  den  zahlreichen  ,,Liedern  ohne  Worte"  u.  dgl.  fallen  die  4  Sonaten  quantitativ  kaum 
ins  Gewicht.  Die  Bezeichnung  ,,Lied  ohne  Worte"  ist  sehr  gliicklich  gewahlt;  ganz  abgesehen 
von  der  asthetischen  Analogic  zwischen  dem  kleinen  lyrischen  Gesangs-  und  Instrumentaistiick, 
gleicht  so  manches  dieser  Klavierwerkchen  in  seinem  aus  Vorspiel,  Kantilene  und  Nachspiel 
bestehenden  Aufbau  ganz  den  Liedern  seiner  Zeit.  Auch  unter  den  Orchesterwerken  treten  die 
Konzertouvertiiren  stark  hervor.  Die  zyklischen  Formen  erleiden  betrachtliche  (allerdings  nicht, 
wie  bei  Beethoven,  fallweise,  sondern  prinzipielle)  Modifikationen.  So  sind  in  der  ,,schottischen" 
Symphonic  die  Satze  in  pausenloser  Folge  zu  spielen  und  melodisch  miteinander  verbunden, 
innerhalb  der  Sonatenf orm  arbeitet  Mendelssohn  auf  die  moglichste  Dif ferenzierung  der  Reprise 
gegeniiber  der  Exposition  hin  (vgl.  ,,Hebriden"~Ouverture),  im  Konzertsatz  entfernt  er  das 
einleitende  Tutti  und  beginnt  sofort  mit  dem  Solo,  was  fiir  das  romantische  Konzert  vor- 
bildlich  wurde.  Ganz  besondere  Betrachtung  erfordert  Mendelssohns  Scherzo.  Nachdem  die 
Sonatenform  langst  das  selbstverstandliche  Gestaltungsschema  fiir  alle  Satztypen  der  klassischen 
Instrumentalmusik  geworden  war,  hatte  man  im  Scherzo  zu  Kontrastzwecken  an  der  alten 
Tanzform  mit  Trio  festgehalten  und  nur  insofern  eine  Angleichung  an  den  Sonatenbau  herbei- 
gefuhrt,  als  die  Dreigliederung  in  Exposition,  Durchfiihrung  und  Reprise  erfolgte.  Mendels 
sohn  vollendete  nun  die  Entwicklung  des  Scherzo  im  Sonatensinne,  indem  er  ihm  voile  Sonaten 
form  verlieh  und  infolge  des  Kontrastes  von  Haupt-  und  Seitensatz  auf  das  kontrastierende 
Trio  verzichten  konnte.  Damit  soil  nicht  gesagt  sein,  dafi  der  altere  Typus  mit  Trio  fehlte, 
was  durchaus  nicht  der  Fall  ist;  aber  schon  seit  den  Friihwerken  (z.  B.  dem  Streichoktett 
op.  20)  begegnet  das  triolose  Scherzo  in  voller  Sonatenform,  sowohl  als  Bestandteil  zyklischer 
Werke  als  auch  als  Einzelsatz,  um  etwa  in  der  ,,Schottischen  Symphonic"  den  Hohepunkt 
der  Entwicklung  zu  erreichen.  Diese  Art  Scherzi  ist  es  auch  meist,  worin  sich  Mendelssohns 
beriihmte  ,,EIfenmusik"  entfaltet.  Beethovens  9.  Symphonie  folgt  der  ,,Lobgesang"  insofern, 
als  sich  hier  drei  Symphoniesatzen  eine  vollstandige  Kantate  anschlieBt,  weshalb  der  Meister 
das  Werk  ,,Symphonie~Kantate"  benennt  Bei  Weber  begegnete  das  Obersinnliche  als 


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Hollenspuk  und  Elfenspiel  (im  ,,Freischiitz"  resp.  ,,0beron"),  Mendelssohn  ist  unerschopf- 
lich  in  musikalischer  Schilderung  des  Elfentreibens  (,,Sommernachtstraum",  Scherzo  des 
Oktetts,  viele  Kiavierstiicke).  Ebenso  ist  er  durch  Archaisieren  und  Exotisieren  echter 
Romantiker.  In  der  ,,schottischen"  und  ,,italienischen"  Symphonic  wie  in  der  ,,Hebriden"~ 
Ouvertiire  steck  mancherlei  melodisches  Nationalgut.  In  der  Verwendung  altklassischer 
Mittel  ist  Mendelssohn  kein  sklavischer  Nachahmer;  wie  das  Vorspiel  zum  ,,Paulus" 
(franzosische  Ouvertiire  mit  Choralvariation  als  langsame  Einleitung  und  Kronung  der  Fuge 
durch  den  gleichen  Choral)  und  die  Orgelsonaten  zeigen,  schaltet  er  mit  den  iibernommenen 
Mitteln  frei,  bildet  neue  Kombinationen  und  arbeitet  die  Mittel  seiner  Zeit  hinein.  Auch  in 
der  Instrumentation  geht  Mendelssohn,  wenn  auch  nicht  durch  Erweiterung  des  Orchester- 
korpers,  iiber  die  Friihromantik  hinaus,  besonders  durch  ausgiebige  Heranziehung  der  Holz- 
blaser  zu  Begleitzwecken. 

Noch  sei  im  besonderen  auf  einige  Werke  resp.  Kompositionsgattungen  hingewiesen.  In 
einsatzigen  Klavierstiicken  mit  langsamer  Einleitung  (Rondos,  Capricci)  steht  bisweilen  die 
Introduktion  in  Dur  und  das  Allegro  in  Moll,  also  in  Umkehrung  der  klassischen  Praxis,  ein 
Dur-Allegro  mit  einer  Moll-Einleitung  zu  versehen  (vgl.  ,,Don  Juan" -Ouvertiire,  Haydns  letzte 
Symphonic  in  D-Dur).  In  den  Orgelsonaten  hat  Mendelssohn  zyklische  Formen  geschaffen, 
die  sich  aus  Elementen  der  Wiener  klassischen  Sonate,  der  Tokkata  (mit  Fuge)  und  der  Choral- 
bearbeitung  zusammensetzen ;  diese  hochoriginellen  Formen  gaben  das  Vorbild  fur  die  gesamte 
romantische  Orgelmusik  bis  zu  Regers  Auftreten  ab.  Das  Streichoktett  steht  im  Gegensatz  zu 
Spohrs,  for  die  gleiche  Zahl  von  Instrumenten  komponierten  Doppelquartetten,  die  ganz  das 
venetianische  Prinzip  der  ,,Chori  spezzati"  aufweisen,  also  die  beiden  geschlossenen  Quartette 
miteinander  abwechseln  lassen  und  nur  in  Steigerungen  und  Hohepunkten  zum  achtstimmigen 
Ensemble  vereinigen:  Mendelssohn  verwendet  durchwegs  den  achtstimmigen  Klangkorper 
(z.  B.  ein  oder  zwei  fiihrende  Instrumente,  die  anderen  begleitend)  und  greift  nur  gelegentlich 
zur  Chorspaltung.  Nach  allem  Gesagten  kann  Mendelssohn  der  Vorwurf  des  Epigonentums 
nicht  treffen ;  seine  jiingeren  Werke  leiden  allerdings  unter  allzu  gleichmaBiger  Rhythmik  der 
Melodic  und  allzuwenig  motivischer  Arbeit  in  der  Setzweise.  Als  Mensch  war  Mendelssohn 
ein  untadeliger,  von  Schillers  und  Beethovens  Idealismus  erfiillter  Charakter,  der  nur  ethisch 
hochststehende  Kunstziele  anerkannte  und  von  Neid  nichts  wufite;  auch  Werken  gegeniiber, 
deren  Form  und  Inhalt  sich  ihm  nicht  vollig  erschloB  —  so  manches  Opus  des  letzten  Beethoven 
und  Berlioz*  Symphonik  befriedigte  ihn  kunstlerisch  nicht  — ,  nahm  er  nie  eine  ablehnende 
Haltung  ein. 

Noch  markanter  tritt  bei  Chopin  das  einsatzige  Klavierstiick  hervor,  was  sich  auch  in  der 
Fiille  neuer  Bezeichnungen  fur  dieses  auBert:  neben  ,,Impromptu"  tritt  ,,Ballade"  (als  er*- 
weitertes  ,,Lied  ohne  Worte"),  ,,Notturno",  ,,Praludium",  ,,Scherzo",  der  allgemeine  Titel 
weicht  speziellen  Charakerbezeichnungen.  Die  Polonase  erreicht  einen  hohen  Stilisierungsgrad, 
sie  wird  auch  mit  zum  Charakterstiick:  dafiir  liefern  die  Mazurkas  kaum  oder  wenig 
stilisiertes  Volksgut  und  damit  wertvolle  Bereicherungen  der  Melodik  und  Harmonik.  Die 
Weiterausbildung  der  Harmonik  (durch  Mediantenwirkungen,  Nebendominanten,  weitgehende 
Akkordvertretungen  usw.)  ist  iiberhaupt  eines  der  wichtigsten  Ausdrucksmittel  Chopins, 
ebenso  wie  ein  neuer  (nur  in  wenigen  Satzen  Beethovens,  Schuberts,  Webers  und  Mendelssohns 
vorgebildeter)  Klaviersatz,  der  Melodic  und  Begleitung  aufs  innigste  verwebt  und  zahllose 


Die  Instmmentalmusik  von  1828—1880  967 

bisher  unentdeckte  Klangmoglichkeiten  des  Hammerklaviers  ausniitzt.  Inhaltlich  ist  Chopins 
Romantik  trotz  seiner  franzosisch-polnischen  Abstammung  der  deutsch-sensitiven  nahestehend; 
die  unendliche  Zartheit  seiner  Empfindung  geht  freilich  oft  —  eine  Folge  seines  Gesundheits- 
zustandes  —  an  krankhafte  Reizbarkeit  heran.  Spezifisch  polnisch  an  seiner  Kunst  nennt 
Franz  Liszt  die  tiefe,  schmerzliche  Sehnsucht,  die  aus  so  vielen  seiner  Werke  spricht.  Im 
Hinblick  auf  so  manchen  Satz  aus  Schumanns  und  anderer  Zeitgenossen  Werken  ist  man 
freilich  zur  Annahme  geneigt,  dafi  es  sich  dabei  eher  um  ein  Stimmungsgebiet  der  Romantik 
iiberhaupt  handelt,  das  bei  Chopin  durch  die  Leiden  einer  aussichtslosen  Krankheit  zu  be- 
sonderer  Tragik  vertieft  ist.  Die  polnische  Chopin-Literatur  sieht  das  nationale  Element 
inhaltlich  in  den  Balladen  am  starksten  entwickelt,  denen,  dem  epischen  Titel  entsprechend, 
ganze  Programme,  der  polnischen  Geschichte  entnommen,  unterlegt  werden. 

Robert  Schumanns  kunstlerische  Entwicklung  ist  eigentiimlicher  Art.  Im  ersten  Jahrzehnt 
seines  Schaffens  (1830—40)  entstehen  fast  ausschliefilich  Klavierwerke  und  zwar  hauptsachlich 
Vertreter  des  einsatzigen  Charakterstiicks  (Papillons,  Intermezzi,  Impromptus,  Davidsbiindler, 
Carneval  usw.).  Erst  um  1840  wendet  sich  Schumann  grofieren  Formen  und  Klangkorpern 
sowie  der  Vokalmusik  zu  (Sonaten,  Symphonien,  Kammermusik,  Lieder,  Oratorien,  Oper) ; 
das  genannte  Jahr,  der  Zeitpunkt  seiner  Vermahlung,  bildet  also  einen  Markstein  in  der 
Geschichte  seines  Schaffens.  Er  beginnt  demnach  als  Lyriker  des  Klaviers,  das  diesbeziig- 
lich  iiber  Chopin  Gesagte  gilt  fast  uneingeschrankt  auch  fur  ihn.  Einen  wichtigen  Fort- 
schritt  bildet  aber  die  Zusammenstellung  einsatziger  Charakterstiicke  zu  freien  Zyklen  (,,Da- 
vidsbiindler",  ,,Kreisleriana"),  die  mit  dem  Sonatenzyklus  nichts  zu  tun  haben  und  eher  der 
Suite  ahneln  —  die  instrumental  Analogic  zum  romantischen  Liederzyklus.  Als  Symphoniker 
folgt  Schumann  mit  der  Fiinfsatzigkeit  seiner  ,,rheinischen"  Symphonic  in  Es-Dur  Beethovens 
(Pastorale)  und  wohl  auch  Berlioz'  Beispiel,  mit  der  pausenlosen,  thematisch  einheitlichen 
D-Moll-Symphonie  Mendelssohns  Vorbild.  Letzteres  Werk  enthalt  auch  sonst  bemerkens- 
werte  technische  Einzelheiten ;  so  bringt  im  Finale  die  Exposition  keinen  Seitensatz,  sondern 
dieser  erscheint  erst  in  der  Durchfuhrung.  Damit  ist  das  Prinzip  des  ,,mittleren"  Beethoven, 
die  Modulation  der  Durchfuhrung  durch  einen  neuen  melodischen  Kontrastgedanken  zu 
kronen,  zur  letzten  Konsequenz  gefuhrt,  da  eben  die  Durchfiihrung  iiberhaupt  erst  den  Kon- 
trast  aufstellt.  Schumanns  Ouvertiiren  sind  natiirlich  ,,psychische"  Programmusik  in  Beet 
hovens  Sinne  und,  soweit  sie  Vokalwerken  vorangehen,  auch  melodisch  mit  diesen  verkniipft. 
Das  Klavierkonzert  in  A-Moll  zeigt  Mendelssohns  Vorbild:  das  einleitende  Tutti  fehlt,  der 
Satz  beginnt  mit  dem  Solo  und  der  weitere  Wechsel  von  Tutti  und  Solo  hat  rein  klangliche, 
keine  formbildende  Bedeutung ;  ferner  ist  die  Kadenz  des  ersten  Satzes  (wie  schon  in  Beethovens 
Es-Dur- Konzert)  ausgeschrieben,  nicht  mehr  der  Improvisation  iiberlassen,  doch  steht  sie  an 
der  herkommlichen  Stelle  am  Ende  des  letzten  Solo  und  nicht,  wie  in  Mendelssohns  Violin- 
konzert,  am  Ende  der  Durchfuhrung.  Die  Geschichte  dieses  Klavierkonzerts  ist  wieder  typisch 
fur  seinen  Meister  und  die  Zeit.  Schumann  schrieb  urspriinglich  den  ersten  Satz  als  Werk 
fur  sich,  ,,Phantasie  fur  Klavier  und  Orchester"  betitelt,  und  in  dieser  Gestalt  erlebte  das 
Konzert  seine  Urauffiihrung.  Erst  Jahre  spater,  in  der  Zeit  der  Symphonien,  komponierte  er 
die  beiden  anderen  Satze  dazu ;  das  Werk  zeigt  also  in  sich  die  Entwicklung  des  Schumannschen 
Schaffens  vom  einsatzigen  Charakterstiick  zuriick  zur  zyklischen  Form.  In  seiner  Kammer 
musik  mit  Klavier  erscheint  infolge  der  damaligen  Vervollkommnung  des  Pianoforte  eine  neue 


968  Eta  Instrumentalmusik  von  1828—1880 

Art  der  Klanggruppierungen.  Der  Ton  des  Klavicembalo  und  der  Hammerklaviere  alterer 
Bauart  hatte  sich  mit  dem  Streicherklang  gut  verschmolzen  und  so  sind  in  Violinsonaten, 
Klaviertrios  u.  dgl.  bis  zu  Schubert  hinauf  haufig  Stellen  anzutreffen,  an  denen  nach  einer 
Violinkantilene  mit  Klavierbegleitung  das  Klavier  die  Melodic  und  die  Violine  die  Begleitungs- 
figuren  (gewohnlich  Akkordbrechungen)  iibernimmt  (vgl.  z.  B.  die  ersten  Satze  der  ,,Friih- 
lingssonate"  von  Beethoven  und  des  Klaviertrios  in  B-Dur  von  Schubert).  Zweifellos  klangen 
derartige  Stellen  auf  den  gleichzeitigen  Instrumenten  gut.  Die  Klaviere  von  1840  aber  ge- 
statteten  die  Begleitung  durch  ein  Saiten instrument  nicht  mehr  und  so  treten  seit  Schumann 
Klavier  und  Streicher,  soweit  sie  nicht  unter  rein  begleitender  Funktion  des  Tasteninstruments 
zusammenarbeiten,  einander  als  getrennte,  rivalisierende  Klangkorper  gegeniiber.  Schumanns 
solistische  Klaviermusik  erhalt  eine  besondere  Note  durch  eine  gewisse  Phantastik,  die  seiner 
Vorliebe  fur  die  Dichtungen  E.  T.  A.  Hoffmanns  und  Jean  Pauls  entspringt.  Der  oft  ans 
Bizarre  streifende  Humor  der  ,,Kreisleriana",  der  ,,Papillons",  des  ,,Faschingsschwanks" 
stammt  aus  diesen  Quellen.  Sehr  bezeichnend  Jst  nun,  dafi  sich  der  Ubergang  zu  den  zyklischen 
Formen  von  1840  nicht  auf  diesen  formalen  Zug  beschrankt:  mit  der  Form  der  Symphonic 
halt  auch  der  heroische  Geist  Beethovens  seinen  Einzug,  was  besonders  die  Schlufisatze  der 
Symphonien  Nr.  2—4,  von  ,,0uvertiire,  Scherzo  und  Finale"  sowie  vieler  Kammermusik- 
werke  zeigen.  Ja,  in  einigen  dieser  Finali  geht  das  Heldenhafte  in  eine  Ekstase  iiber  (z.  B.  Sym 
phonic  C-Dur  und  ,,Ouvertiire,  Scherzo  und  Finale")*  die  an  Liszt,  stellenweise  sogar  an 
Bruckner  gemahnt  und  beweist,  wie  sehr  dieser  ekstatische  Geist,  unbekiimmert  um  die 
einzelnen  Kunstrichtungen,  die  Zeit  beherrschte.  So  ist  Schumanns  Schaffen  die  getreueste 
musikalische  Widerspiegelung  der  deutschen  Hochromantik,  des  Zeitalters  Lenaus,  Tiecks  und 
Jean  Pauls.  Auch  seine  kunstlerische  Personlichkeit  ist  von  hochstem  Idealismus  erfallt ;  neidlose 
Anerkennung  aller  bedeutenden  Kunstleistungen,  auch  kleinerer  Geister,  begeistertes  Eintreten 
for  jeden  wahren  Fortschritt  (so  far  Berlioz,  Chopin,  den  jungen  Wagner  und  Brahms)  machen 
seine  in  der  ,,Neuen  Zeitsschrift  fur  Musik"  erschienenen  Kritiken  zu  vorbildlichen  Mustern. 
Johannes  Brahms  kniipfte  unmittelbar  an  Schumann  an,  hiitete  sich  aber  als  Nord- 
deutscher  und  Gegner  der  ,,neudeutschen"  Schule  vor  jedem  Gefuhlsiiberschwang;  seine 
(auch  formale)  Hinneigung  zum  hochklassischen  Geist  hat  ihn  far  viele  zum  ,,Klassizisten" 
gestempelt.  Das  romantische  Archaisieren  fahrte  ihn  zur  Wiederbelehung  der  Choralbear- 
beitung  (nach  Mendelssohns  Vorbild)  und  der  Basso-ostinato-Formen,  die  er  als  Finale 
zyklischer  Kompositionsgattungen  (4.  Symphonic  E-Moll,  Haydn- Variationen)  verwendete. 
Neue  Komplikationen  der  Harmonik  und  der  Setzweise  sind  wichtige  Bestandteile  der 
Tonsprache  far  seine  tiefe  und  innige,  aber  meist  fest  im  Zaum  gehaltene  Empfindung. 
In  der  zyklischen  Formgebung  der  Symphonic  greift  Brahms  eine  Eigentumlichkeit  des  ,,mitt- 
leren"  Beethoven  auf:  die  Behandlung  des  Scherzo  als  gemachlichen  Satz,  im  Geiste  des 
Menuetts,  wenn  nicht  als  solches  selbst.  Die  Scherzi  der  ersten  drei  Symphonien  von  Brahms 
tragen  die  Bezeichnungen  ,,(Un)  poco  Allegretto**  resp.  ,,Allegretto  grazioso  (Quasi  Andan- 
tino)",  sind  also  in  sehr  mafiigen  Tempi  gehalten  und  auch  melodisch  entsprechend  kantabile 
ausgestattet.  Nur  die  4.  Symphonic  hat  ein  echtes  Scherzo  (Allegro  giocoso).  Ein  wichtiger 
Bestandteil  noch  der  friihromantischen  Symphonic  ist  in  der  zweiten  Halfte  des  19.  Jahrhun- 
derts  in  Riickbildung  begriffen:  die  Ungsame  Einleitung  des  ersten  Allegro-Satzes.  Noch  bei 
Mendelssohn  und  Schumann  sehr  beliebt,  tritt  sie  bei  Brahms  nur  in  der  1 .  Symphonic  auf, 


Die  Instrumcntalmusik  von  1828—1880  969 

hier  allerdings  auch  im  Finale.  Bei  Bruckner  ist  der  Prozentsatz  noch  ungiinstiger:  einmal 
in  neun  Werken  (5.  Symphonic).  Sonst  ist  Brahms  als  Symphoniker  prinzipiell  iiber  Beethovens 
Formgebung  nicht  hinausgegangen,  auch  nicht,  was  die  Wahl  der  Seitentonarten  und  die  Modu 
lation  anbelangt;  eine  Ausnahme  bildet  nur  das  schon  erwahnte  Finale  der  4.  Symphonic 
in  Passacagliaform.  Von  Brahms*  Ouvertiiren  zeigt  die  ,,tragische"  ganz  den  Aufbau  eines 
Beethovenschen  Programmstiickes  (etwa  ,,Coriolan"~Ouverture),  nur  ist  das  ,,Programm" 
eben  verschwiegen,  sodafi  der  Eindruck  eines  ersten,  tragischen  Symphoniesatzes  entsteht. 
Die  ,,Akademische  Festouvertiire"  entnimmt  ihr  melodisches  Material  gangbaren  Studenten- 
liedern  und  klingt  (ahnlich  Webers  ,Jubelouvertiire",  die  vom  ,,HeiI  dir  im  Siegerkranz"  ge- 
kront  wird)  in  das  ,,Gaudeamus"  aus.  Auch  Brahms'  Variationstechnik  kniipft  an  die  Beet 
hovens  an.  Wie  dieser  in  seinen  letzten  diesbeziiglichen  Werken  manchmal  die  herkommliche 
Art,  sich  im  Verlauf  der  Variationen  schrittweise  vom  Thema  zu  entfernen,  verlafit  und  gleich 
als  erste  Variation  ein  Gebilde  bringt,  das  Vorganger  oder  Zeitgenossen  erst  als  weit  spatere 
Variation  gewagt  hatten,  verschmaht  auch  Brahms  oft  das  allmahliche  Abriicken  vom  Modell 
in  Figuralvariationen  und  reiht  nur  starke  Umbildungen  des  Themas  (als  Charaktervariationen) 
aneinander.  Unter  Brahms'  Konzerten  fallt  als  einer  der  letzten  Vertreter  des  ,,Concerto  grosso" 
resp.  der  ,,Konzertanten  Symphonic"  das  ,,Doppelkonzert"  fur  Violine  und  Violoncello  auf. 
Die  Komplikation  der  motivischen  Arbeit  entfaltet  sich  naturgema'6  am  ausgepragtesten  dort, 
wo  sic  einst  entstanden  war,  in  der  KammermusiL  Schon  gelegentlich  der  Besprechung  von 
Schumanns  Kammermusik  mit  Klavier  ist  erwahnt  worden,  daB  sich  infolge  der  Fortschritte 
im  Klavierbau  das  Verhaltnis  des  Tasteninstruments  zu  den  Streichern  verschoben  hat:  die 
vollige  Verschiedenheit  des  neuen  Klaviertons  gestattet  das  Klavier  nur  als  Begleiter  oder 
Widerpart  des  geschlossenen  Streicherkorpers  anzuwenden.  Brahms,  der  eine  noch  weiter 
gehende  Entwicklung  des  Pianoforte  erlebte,  arbeitete  natiirlich  ganz  in  Schumanns  Sinne, 
nur  dafi,  seiner  Eigenart  entsprechend,  auch  die  rein  begleitenden  Partien  weit  kompliziertere 
Gestaltung  erhielten.  Die  Kammermusik  mit  Blasern  bringt  einen  wichtigen  inhaltlichen  Fort- 
schritt.  Derartige  Ensembles  hatten  bisher  fast  ausnahmslos  Divertimento-Charakter  getragen. 
So  ist  selbst  Beethovens  Klarinett-KIaviertrio  in  B-Dur  mit  seiner  inhaltlichen  und  satztech- 
nischen  Einfachheit  und  seinen  Weigl -Variationen  als  Finale  ein  unverkennbarer  Abkommling 
jener  Art  edler  Unterhaltungsmusik.  Das  andert  sich  nun  bei  Brahms  griindlich,  seine  Kammer- 
musikwerke  mit  Horn  oder  Klarinette  haben  mit  dem  Divertimento  nichts  mehr  zu  tun,  sic 
weisen  inhaltlich  wie  satztechnisch  die  voile  Hohe  und  Tiefe  seiner  Kammerwerke  mit  Streich- 
instrumenten  auf.  Als  Klavierkomponist  erscheint  Brahms  wohl  am  deutlichsten  als  Schiller 
der  deutschen  Romantik:  drei  Sonatcn  gegeniiber  zahlreichen  einsatzigen  Charakterstiicken. 
Die  Edward-Ballade  op.  10  und  das  Wiegenlied- Intermezzo  op.  117  haben  poetische  pro 
gramme"  in  Schumanns  Sinn,  bei  vielen  anderen  Stiicken  scheinen  poetische  Deutungen 
naheliegend.  Aber  auch  innerhalb  dieser  Gattung  ist  eine  prinzipielle  Weiterbildung  zu  ver- 
zeichnen:  das  einsatzige  Charakterstiick,  das  bisher  nur  als  langsamer  Satz,  Scherzo  oder 
Rondofinale  einer  zyklischen  Komposition  gebaut  war,  kann  nun  auch  die  Form  eines  ersten 
Sonaten-Allegro  annehmen  (vgl.  die  G-Moll-Rhapsodie).  Interessanterweise  teilt  Brahms  mit 
seinem  Widerpart  Liszt  die  Vorliebe  fur  ungarische  Volksmelodik;  die  magyarisch  inspirierten 
Werke  Haydns  und  Schuberts  erhalten  so  eine  Fortsetzung  bis  tief  ins  19.  Jahrhundert  hinein. 
Seine  letzten  Werke  leiten  unmittelbar  zu  Max  Reger  iiber. 


970  Die  Instrumentalmusik  von  1828— 18SO 

Berlioz  wagte  es  als  erster,  alle  kompositionstechnischen  Errungenschaften  des  ,,letzten" 
Beethoven  zu  verwerten,  allerdings  im  Dienste  anderer  Inhalte,  der  (freilich  auch  von  Beet 
hoven  gepflegten)  Programmusik  realistischer  Art.  Die  ,,Phantastische  Symphonic"  vveist  5  Satze 
auf  (wohl  in  Anlehnung  an  die  ,,Pastorale'\  denn  der  iiberzahlige  Satz  ist  auch  bei  Berlioz 
der  vorletzte,  der  ,,Henkermarsch"),  die  Symphonic  ,,Romeo  und  Julia'*  garsieben.  Zweifellos 
gehen  die  vokalen  Teile  des  letztgenannten  Werkes  auf  Beethovens  ,,Neunte"  zuriick,  wie  ja 
(um  es  gleich  hier  festzustellen)  auch  Mendelssohns  ,,Lobgesang",  Liszts  vokale  Schliisse  der 
,,Faust"-  und  der  ,,Dante" -Symphonic  unci  Mahlers  Symphoniechore  ohne  dieses  Vorb:ld  nicht 
zu  denken  sind.  Doch  waren  Programme  wie  das  der  ,,Phantastischen"  und  der  ,,HarokT- 
Symphonie  bei  Beethoven  undenkbar.  Zur  Durchfiihrung  seiner  programmatischen  Absichten 
verwendet  Berlioz  die  ,,Idee  fixe",  die  ,,Leitmelodie" :  ein  melodisches  Gebilde,  das  erne  be- 
stimmte  Personlichkeit  symbolisiert,  zieht  sich  durch  alle  Satze  und  die  Erlebnisse  dieser 
Person  aufiern  sich  als  Variieningen  der  Melodie.  Da6  hier  eine  wichtige  Wurzel  von  Wagners 
,,Leitmotiven"  liegt,  ist  War.  In  der  Symphonic  ,,Harold  in  Italien"  tritt  zur  Idee  fixe  ein 
,,Leitinstrument" :  der  Held  ist  aufier  durch  sein  Thema  noch  durch  eine  Solobratsche 
gekennzeichnet.  Harmonik  und  Stirnmfuhrung  haben  freilich  nichts  mit  Beethovens  Stil 
zu  schaffen;  erstere  strebt  nach  der  Loslosung  vom  Tonartbegriff  und  letztere  ist  ein- 
fachste  Homophonie  ohne  nennenswerte  motivische  Arbeit.  Daftir  iiberschreitet  der 
Orchesterapparat  den  friihromantischen  bei  weitem;  Berlioz  arbeitet  auf  die  Dreizahl  der 
bisher  nur  doppelt  besetzten  Blaser  los,  erweitert  das  Schlagwerk  und  nimmt  die  Harfe 
auf.  Diese  machtigen  Mittel  vereinigt  er  zu  neuen  Klangen  verschiedenster  Farbung  und 
Ausdruckskraft. 

Berlioz  fand  das  ihm  in  der  Heimat  versagte  Verstandnis  bei  Franz  Liszt,  der  als  Dirigent, 
Arrangeur,  Interpret  und  literarischer  Anwalt  der  Werke  des  Franzosen  auftrat  und  schliefilich 
selbst  in  dessen  Geiste  schuf.  Doch  beniitzte  er  auBer  in  der  ,,Faust"~  und  der  ,,Dante*'- 
Symphonie  eine  eigene,  aus  der  romantischen  Klavierfantasie  hervorgegangene  knappe  Form, 
die  ,,symphonische  Dichtung",  welche  die  verschiedenen  Satze  der  Symphonic  in  Verkiirzung 
und  beliebiger  Gruppierung  zu  einem  einzigen,  mehrteiligen  Satze  zusammenschliefit.  Homo 
phonie  und  glanzende  Instrumentierung  wurde  von  Berlioz  iibernommen.  Als  Klavierkom- 
ponist  gerat  Liszt  in  die  Bahnen  der  ,,Salonmusik",  technisch  aber  hat  er  Klaviersatz  und 
Schwierigkeiten  wieder  iiber  Chopin  hinaus  bereichert  und  gesteigert. 

Richard  Wagner  kommt  hier  nur  als  Ouvertiirenkomponist  in  Betracht.  Heinrich  Marsch- 
ner  hatte  in  seinen  Opernvorspielen  Webers  Technik  formal  und  inhaltlich  festgehalten  und 
Wagners  erste  Ouvertiiren  schlieBen  sich  gleichfalls  an:  Sonatenform  mit  Beniitzung  cha- 
ralcteristischer  Opernmelodien.  Hochstens  ist  die  Reprise  aus  tondichterischen  Griinden  mehr 
oder  weniger  reduziert.  Seit  dem  ,,Lohengrin"  (1847  vollendet)  ging  Wagner  zu  einer  knap- 
peren  Form  iiber,  die  nur  den  allerinnersten  Kern  der  Handlung  wiedergeben  sollte,  so  im 
,,Lohengrin4*  das  Nahen,  Wirken  und  Entschweben  des  Gralsritters.  In  der  ,,Meistersinger"~ 
Ouvertiire  griff  Wagner  wieder  zur  Sonatenform  mit  Durchfiihrung  und  einer  Pseudo-Reprise, 
die  sich  als  durchfiihrungsartige  Koda  (kontrapunktische  Kombinierung  des  gesamten  Themen- 
materials)  entpuppt,  um  in  den  ,,Ring"-Vorspielen  (wie  Gluck  in  der  ,,Iphigenie  in  Tauris**) 
nur  Introduktionen  in  die  ersten  Szenen  der  ersten  Akte  zu  geben.  Da6  Wagner  die  ,,neu- 
deutsche**  glatte  Homophonie  durch  reiche  motivische  Arbeit  und  sogar  wirkliche  Polyphonic 


Die  fnstnimentalmusik  von  1828—1880  971 

ersetzte,  wurde  schon  betont.  Dabei  wurde  aber  Liszts  grofies  Orchester  iibernommen,  aber- 
mals  vergroBert  und  eben  durch  die  sorgfaltige  Stimmfahrung,  die  die  einzelnen  Klangfarben 
melodisch  hervortreten  Iie8,  erst  zur  volligen  Geltung  gebracht. 

Anton  Bruckner,  der  eine  durchaus  deutsch-romantische  Ausbildung  genossen  hatte,  fiihlte 
sich  schon  durch  die  erste  Bekanntschaft  mit  Wagners  Werken  so  begeistert,  da6  er  seine  Me- 
lodik  und  Harmonik,  wo  sie  nicht  im  osterreichischen  Volkston  wurzelt,  ganz  auf  die  Wagners 
einstellte.  So  entstand  eine  Art  Synthese:  vollstandige,  tondichterisch  inspirierte,  aber  der  Ton- 
malerei  fernstehende  Symphonien,  deren  Melodik  sich  zwischen  osterreichische  Volksweisen, 
choralahnliche  Melodien  und  Wagnersche  Urmotive  iiber  Tremolobegleitung  teilt,  deren  Har 
monik  auch  nichts  Wagnersches  fremd  ist,  deren  Stimmfiihrung  kontrapunktisch  gesattigt  ist 
und  deren  Klangwirkungen  iiber  Wagners  gesamte  Farbenskala  verfugen.  Hatte  sich  Beet 
hoven  auf  philosophischem  Wege  iiber  Welt  und  Schicksal  hinweggesetzt,  so  war  Bruckners 
Stiitze  der  Glaube;  die  Choralklange  in  seinen  Werken  haben  tiefe  tondichterische  Bedeutung. 
Innerlichste  religiose  Ekstase  ist  far  sein  Schaffen  iiberhaupt  bezeichnend.  So  sparlich  die 
Faden  sind,  die  sich  in  satztechnischer  Hinsicht  von  Mendelssohn  zu  Bruckner  ziehen,  die 
,,Religiose  Symphonic"  hat  wohl  einzig  bei  Mendelssohn  ihre  Vorlaufer.  Des  Meisters  Auf- 
fassung  von  der  Wiirde  der  Symphonic  als  Kompositionsgattung  scheint  iibrigens  nur  seiner 
eigenen  Meinung  von  der  Wiirde  der  Kirchenmusik  und  der  Wagners  von  der  Bedeutung  des 
Musikdramas  vergleichbar.  Die  symphonische  Form  war  ihm  offenbar  Ausdrucksmittel  nur 
far  das  Allerhochste,  denn  bei  alien  noch  so  starken  Kontrasten  innerhalb  der  einzelnen  Werke 
weichen  die  Symphonien  als  Ganzes  im  Charakter  nicht  im  entferntesten  so  stark  voneinander 
ab,  wie  die  der  fruheren  und  gleichzeitigen  Symphoniker.  Stimmungen  wie  in  Beethovens 
1 .,  2.,  4.,  6.,  7.,  8.,  wie  in  Mendelssohns  A-Dur-,  Schumanns  B-Dur-,  Brahms'  2.  und  3.  Sym 
phonic  sind  in  Bruckners  Symphonik  undenkbar,  eine  Beschrankung  der  Kunstinhalte,  die 
eben  offenbar  der  hochsten  Meinung  vom  Wesen  der  Symphonic  entspringt. 

In  der  Formgebung  weisen  Bruckners  Symphonien  viele  eigenartige  Ziige  auf.  Im  Gegensatz 
zu  Brahms  entspricht  das  Scherzo  immer  dieses  Namens  eigentlichster  Bedeutung,  wenn  auch 
im  Trio  weit  ruhigere,  stark  kontrastierende  ZeitmaBe  vorkommen.  Fur  den  Bau  der  einzelnen 
Satzgruppen  ist  zweierlei  bezeichnend:  die Dreiteiligkeit  und  das  Ausklingen  im  pp.  Jede 
beliebige  Gruppe  eines  beliebigen  Satzes  (Ecksatze,  langsamer  Satz,  Scherzo)  ist  in  der 
Regel  dreiteilig  angelegt.  Und  in  samtlichen  Gruppen  (Hauptsatz,  Seitensatz,  Epilog, 
Durchfahrung)  folgt  meist  einer  gewaltigen  Steigerung  ein  mehr  oder  weniger  plotzliches 
Absinken  und  Verklingen,  so  daB  der  Einsatz  des  folgenden  Abschnittes  geradezu  spannend 
vorbereitet  erscheint.  Die  grofie  Wirkung  der  machtigen  Kodagruppen  beruht  geradezu 
auf  dem  Verhauchen  der  vorhergchenden  Reprisenepiloge.  Dreiteiligkeit  und  dynamischer 
Aufbau  arbeiten  natiirlich  Hand  in  Hand  (Aufschwung  —  Hohepunkt  —  Abklingen).  Die 
konsequente  Anwendung  der  Dreiteiligkeit  hat  iibrigens  bei  Schubert  bemerkenswerte 
Vorbilder.  Besonders  charakteristisch  ist  die  eben  behandelte  Technik  an  der  Ubergangs- 
stelle  zur  Reprise:  Bruckners  verdammernder  DurchfahrungsschluB  und  zart  aufleuchten- 
der  Reprisenbeginn  ist  unverkennbar.  Der  Orgelstil,  dem  Meister  von  seiner  beruflichen 
Tatigkeit  her  wohlvertraut,  kommt  in  den  Symphonien  in  verschiedenster  Weise  zur  Geltung, 
besonders  in  Stimmfahrung  und  Instrumentation.  So  ist  Bruckners  Kontrapunkt  wirklich 
polyphone  Stimmfahrung.  In  der  Instrumentation  kommt  der  Orgelklang  nicht  nur  im 
62  H.  d.  M. 


OJ2  Die  Instrumentalmusik  von  1828—1880  

Pleno  des  ganzen  Orchesters  zum  Vorschein,  sondern  auch  besonders  in  zart  gehaltenen 
Holzblaserstellen,  die  freilich  selbst  bei  bester  Ausfiihrung  der  Klangwirkung  eines  Orgel- 
pianissimo  nicht  nahekommen  konnen.  Bruckners  Streichquintett  ist  zweifellos  eines  der 
ersten  Kammermusikwerke,  darin  der  Stil  des  spaten  Wagner  kleinen  Ensembles  zugefuhrt 
wird.  Doch  zeigt  gerade  dieses  Werk,  besonders  sein  langsamerSatz,  daft  Bruckners  Wirkungen 
durchaus  nicht  in  erster  Linie  den  Orchesterklangen  zu  verdanken  sind;  Melodik,  Harmonik, 
Stimmfiihrung  und  Dynamik  tragen  die  Wirkung,  im  Gegensatz  zu  Berlioz  und  Liszt.  Sehr 
mit  Unrecht  wurde  Bruckner  unlogische,  unklare  Formgebung  zum  Vorwurf  gemacht.  Die 
Gestalt  freilich,  in  der  viele  Satze  seiner  Symphomen  zum  Druck  und  zur  Auffuhrung  ge~ 
langten  und  noch  heute  gelangen,  lafit  oft  derartige  Anwiirfe  gerechtfertigt  erscheinen: 
auf  den  Rat  ,,wohlmeinender"  Freunde  vorgenommene  Kiirzungen  entstellen  vielfach  den 
organischen,  echt  sonatenmaBigen  Satzbau. 

Wagners  Kunst  hatte  sich  vor  1880  noch  nicht  allgemein  durchgesetzt  und  so  war  die  Zahl 
seiner  Geistesschiiler  bis  dahin  nicht  grofi;  unter  den  kleineren  Meistern  der  Epoche  iiber- 
wiegen  daher  die  Vertreter  der  alteren  Art  deutscher  Romantik.  Genannt  seien:  Franz  Lach 
ner  (1803—90),  Ferdinand  Hiller  (1811—58),  Stephen  Heller  (1813—88),  Robert  Volk- 
mann  (1815—83),  Joachim  Raff  (1822—82),  der  Franzose  Cesar  Franck  (1822—90),  Felix 
Draseke  (1835—1913),  Max  Bruch  (1838-1920),  Josef  Rheinberger  (1839—1901),  Her 
mann  Gotz  (1840—1876).  Viele  davon,  wie  Volkmann,  Raff  und  Franck,  neigen  in  sympho- 
nischen  Dichtungen  und  anderen  Programmwerken  der  f  ranzosisch-neudeutschen  Schule  zu,  der 
Felicien  David  (1810— 71)und  Karl  Gold  mark  (1830— 1915)  ganz  zugehoren.  Neben  diesen 
Meistern  stehen  die  komponierenden  Dirigenten,  die  Vertreter  der  ,,Kapell  meister musik" : 
Karl  Gottlieb  Reissiger  (1789—1859),  Peter  Joseph  von  Lindpaintner  (1791—1856), 
Ignaz  Lachner  (1807—95),  Vincenz  Lachner  (1810—93),  Heinrich  Esser  (1818—72)  u.  a., 
die  komponierenden  Klaviervirtuosen:  Henry  Herz  (1803—88),  Sigismund  Thalberg 
(1812—71),  Adolf  Henselt  (1814—89),  Alexander  Dreyschock  (1818—69),  Henry  Litolff 
(1818—91),  Julius  Schulhoff  (1825—98),  Anton  Rubinstein  (1829—94),  Hans  von  Billow 
(] 830—94)  u.  a.;  die  Geiger:  Nicolo  PaganJni  (1782—1840),  Ferdinand  David (18 10— 73), 
Ole  Bull  (1810—80),  Joseph  Joachim  (1831—1907)  u.a.;  die  Violoncellisten:  Friedrich 
Dotzauer  (1783-1860),  Felix  Battanchon  (1814-93),  Alfred  Pi atti  (1822— 1901),  Fried- 
rich  Griitzmacher  (1832—1903). 

Unter  dem  Einflufi  der  mitteleuropaischen  Romantik  setzte  auch  in  Landern,  die  vorher 
ganz  auf  Musikimport  angewiesen  waren,  selbstandige  Produktion  ein.  Wahrend  aber  die 
Englander  William  Sterndale  Bennett  (1816—75),  Hubert  Hastings  Parry  (1848— 1918), 
Alexander  Mackenzie  (geb.  1847)  und  viele  andere  ganz  in  mitteleuropaischen  Bahnen 
wandeln,  weist  die  Kunstmusik  der  Skandinavier  und  Slaven  melodische  und  harmonische, 
in  der  betreffenden  Volkskunst  wurzelnde  Eigentiimlichkeiten  auf.  Von  Dan  en  sei  Niels 
Wilhelm  Gade  (1817—90)  genannt,  von  Norwegern  Edward  Grieg  (1843—1907),  Johann 
Severin  Svendsen  (1840—1911)  und  Christian  Si nding  (geb.  1856).  Die  russischeMusik 
reprasentieren  Michael  Iwanowitsch  Glinka  (1804 — 57),  Alexander  Sergiewitsch  Dargo- 
myshky  (1813—69),  Anton  Rubinstein,  der  Klaviervirtuose,  Alexander  P.  Borodin 
(1834— 87),  ModestePetrowitsch  Mussorgski  (1835-81),  Mily  A.Balakirew(1837— 1910), 
Peter  J.  Tschaikowski  (1840—93),  Nikolai  A.  Rimski-Korssakow  (1844—1908)  u.a. 


Tanz  und  Tanzmusik  973 


Die  Hauptvertreter  der  tschechischen  Musik  sind  Friedrich  Smetana  (1824 — 84),  Anton 
Dvorak  (1841—1904)  und  Zdenko  Fibich  (1850—1900). 


Literatur(vgl.  S.  833) 

I.Bticher   und   Abhandlungen 


Abert,H.:R,  Schumann.  —  Adi e r,  G.:R.  Wagner.  —  Dahms,  W.:R.  Schumann.  —  Decsey,E.:  A.  Bruckner 
—  Gade,  D.:  N.  W.  Gade.  —  Halm,  A.:  Die  Symphonien  Bruckners.  —  Jullien,  A.:  H.  Berlioz.  —  Kalbeck,  M. 
J.Brahms.  —  Kapp,  J.:  F.  Liszt.  —  Karasowski,  M.:  F.  Chopin.  —  Kurth,  E.:  Die  romantische  Harmonik 
A.  Bruckner.  —  Lampadius,  W.  A.:  F.  Mendelssohn-Bartholdi.  —  Leichtentritt,  H.:  F.  Chopin.  —  Louis,  R. 
A.Bruckner.  — Luithlen,  V.:  Brahms' Werke  in  Variationenform.  (St.  MW.  14.)  —  May,  F.:  J.  Brahms.  —  Ne- 
jedly,Z.:E.  Smetana. — Orel,  A.:  A. Bruckner. — Thomas-San  GalH,  W.  A.:  J.  Brahms. — TschaikowskiJVl. : 
P.  J.  Tschaikowski.   —  Urbantschitsch,  V.:  Die  Entwicklung  der  Sonatenform  bei  Brahms.  (St.  MW.  14.)  — 
v.  Was ie lews ki,  J.:  R.Schumann.  —  Wolff,  E.:  F.  Mendelssohn-Bartholdi. 

2.  Ausgaben 

Gesamtausgaben  der  Werke  von  Mendelssohn,  Schumann,  Chopin,  Berlioz,  Liszt  (im  Erscheinen),  Wagner, 
Brahms  und  Bruckner  (im  Erscheinen). 

IVilhelm  Fischer 


TanzundTanzmusik 

Die  Geschichte  kennt  zwei  Arten  des  Tanzes:  den  Gesellschaftstanz  und  den  Schau- 
tanz.  Diese  Zweiteilung  lafit  sich  bereits  bei  den  niedrigsten  Volkern  nachweisen,  wenigstens 
stellt  Wundt  den  ekstatischen  Tanzen  der  Primitiven  ihre  Schautanze  gegeniiber.  Der  eksta- 
tische  Tanz  ist  der  Ausdruck  einer  seelischen  Erhebung,  eines  gesteigerten  Affektes,  der 
Ausdruck  eines  Wahnparoxismus,  in  den  der  Primitive  bei  seiner  Verstandigung  mit  der 
Gottheit  verfallt.  Urspriinglich  rein  physiologisch,  noch  nicht  asthetisch  zu  wertende  Be- 
wegungen,  meist  Hiipf-  und  Drehbewegungen,  erreichen  durch  Ordnung  einen  hoherea 
Stand,  wenn  eine  Anzahl  von  Individuen  die  gleichen  Bewegungen  ausfuhrt.  Lustempfindungen 
stellen  sich  bereits  bei  der  niedrigsten  Art  ekstatischer  Drehbewegungen  ein,  durch  jene 
Herabminderung  des  Bewufitseins,  die  die  gleiche  Wirkung  hat  wie  die  spateren  orgiastischen 
Tanze,  deren  Wirkung  auf  der  narkotischen  Kraft  des  geordneten  Rhythmus  beruht,  der 
einen  ahnlichen  hypnotischen  Effekt  hat,  wie  das  starre  Fixieren  eines  Gegenstandes.  Wenn 
mehrere  Personen  die  gleiche  Bewegung  ausfuhren,  sei  es  bei  der  Arbeit,  sei  es  beim  Spiel* 
dann  stellen  sich  rhythmische  Bewegungen  automatisch  ein.  Rhythmische  Bewegung  ist 
leichter  als  ungeordnete  und  undisziplinierte,  weil  durch  den  Rhythmus  der  Einzelwille  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  ausgeschaltet  ist ;  es  bedarf  nicht  zu  jeder  einzelnen  Bewegung 
eines  gesonderten  Einzelwillenaktes,  sondern  an  Stelle  dessen  tritt  ein  Akt  des  Gemeinwillens 
und  von  diesem  Augenblick  an  werden  die  ekstatischen  Bewegungen  bewufite  Tanzbewegungen. 
Erst  dies  bedeutet  die  Geburt  des  Tanzes.  Der  primitive  ekstatische  Tanz  ist  zum  grofien 
Teile  Kulttanz,  religioser  Tanz,  der  freilich  fast  immer  auch  geschlechtlicher  Natur  ist.  Man 
denkt  hierbei  an  die  orgiastischen  Tanze  der  dionysischen  Mysterien  oder  die,  ahnlich  wie 
diese,  mit  mimischen  Darstellungen  beginnenden  und  schliefilich  in  wilde  Tanze  ausartenden 

62* 


974  Tarn  und  Tanzmusik 


Friihlingsfeste  der  Mexikaner,  an  die  Tanze  der  rasenden  Derwische  oder  der  mittelalterlichen 
Flagellanten,  deren  Erotik  sich  zu  Selbsttotung  invertiert  hat.  Allen  diesen  Tanzen  aber  ist 
wesentlich  die  teilweise  oder  oft  ganzliche  Auflosung  des  Bewufitseins,  die  immer  lustbetont 
erscheint. 

Die  zweite  Art  des  primitiven  Tanzes  ist  das  Spiel,  der  mimische  Tanz,  der  in  einer  Nach 
ahmung  des  Lebens  in  seinen  verschiedenen  ErscheJnungen  besteht.  Es  Jst  die  von  Aristo- 
teles  als  das  Um  und  Auf  jeder  Kunst  bezeichnete  Nachahmung  der  Natur,  die  uns  hier  als 
Spiel  und  Tanz  entgegentritt.  Der  Primitive  ahmt  alle  Vorgange  der  AuBenwelt  nach,  die 
ihn  irgendwie  bewegen  und  geht  dabei  von  der  Ansicht  aus,  dafi  durch  die  Nachahmung 
bzw.  die  Darstellung  eines  Naturvorganges  dieser  Naturvorgang  selbst  herbeigefiihrt  wird. 
Wiinscht  z.  B.  der  Schiffer  fiir  seine  Reise  Wind,  so  ahmt  er  das  Gerausch  des  Windes  in 
einem  Gesang  nach  und  ist  davon  iiberzeugt,  dafi  sich  die  Windgottheit  dadurch  bestechen 
laBt.  Dieses  Prinzip  der  ,,sympathetischen  Magie"  spielt  bei  alien  Naturvolkern  eine  grofie 
Rolle.  Nicht  nur  Sonne,  Mond  und  Sterne  werden  tanzerisch  und  spielerisch  dargestellt, 
die  Tier-  und  Pflanzenwelt  und  vor  allem  der  Mensch  in  seinen  Beziehungen  zum  Mitmenschen 
symbolisch  getanzt.  Und  so  wie  der  kultisch-ekstatische  Tanz  die  griechische  Tragodie 
hervorgebracht  hat,  so  beruhen  auf  dem  niedrigen  Schautanz  die  Kriegertanze  der  Salier, 
die  Waffentanze  des  feudalen  und  die  Zunfttanze  des  biirgerlichen  Mittelalters.  Von  den 
alten  germanischen  Waffentanzen,  iiber  die  Tacitus  berichtet,  haben  sich  Elemente  in  den 
Moriskentanz  hiniibergerettet,  der  vor  allem  dort  getanzt  wird,  wo  die  Tradition  von  den 
Karnpfen  zwischen  Christen  und  Mauren  lebendig  blieb,  wie  in  Spanien,  in  Siiditalien  oder 
in  Dsterreich.  {Aber  dariiber  hinaus  hat  das  Schwarzen  des  Antlitzes  und  der  ,,Mohrentanz" 
noch  eine  tiefere  Bedeutung  im  Seelenleben  des  Volkes  und  des  Kindes.)  Ansonsten  bleiben 
Elemente  des  Rittertanzes  im  Ritterballett  erhalten,  in  das  gleichmafiig  der  Schwertertanz 
und  das  Turnier  selbst  einmiindeten,  da  mit  dem  Aufkommen  der  Schiefiwaffen  das  Turnier, 
das  Ritterspiel  —  anfanglich  selbst  nur  Nachahmung  des  Kampfes  —  seine  Bedeutung  ver- 
lor  und  sich  zur  dramatischen  Allegoric  verfeinerte.  Eines  der  letzten  dieser  Ritterballette 
fand  noch  zu  Wien  im  Jahre  1667  statt,  eine  merkwiirdige  Verquickung  des  Rennsportes, 
des  Kunstreitens,  des  Waffentanzes  in  Form  des  mittelalterlichen  Turnieres. 

Auch  der  Zweikampf  selbst  nimmt  mit  der  Zeit  immer  mehr  die  Form  des  Tanzes  an. 
Tanzerische  Verhaltnisse  bedingen  Stellungen  der  Fechtenden,  Arm-  und  FuBbewegungen 
sind  vom  Tanz  beeinflufit,  ja  die  Fachausdriicke  des  Tanzes  dringen  in  die  Fechtkunde  ein, 
wie  das  ,,engager"  und  ,,degager",  die  ,,battements",  die  ,,Volten"  usw. 

Ahnlich  wie  der  Waffentanz  retten  sich  auch  andere  Nachahmungstanze  in  die  Kulturzeit 
hiniiber.  Auch  Tiertanze  kennt  das  deutsche  Mittelalter,  iind  man  erinnert  sich,  dafi  auch 
der  moderne  Tanz,  der  ja  neuerdings  vom  Primitiven  ausgeht,  oft  vorgibt,  seine  Tanzschritte 
der  Tierwelt  zu  entlehnen  (Foxtrott  usw.)- 

Zur  Gruppe  der  Schautanze  geKoren  im  Mittelalter  auch  die  Zunfttanze,  die  urspriinglich 
Verrichtungen  des  betreffenden  Handwerkes  nachahmten.  Der  Nationalokonom  Biicher 
hat  in  seinem  Buche  ,^\rbeit  und  Rhythmus"  gezeigt,  wie  rhythmisch  organisierte  Hantie- 
rungen  jede  Arbeit  erleichtern,  wie  die  Naturvolker  ihre  gemeinsamen  Arbeiten  mit  Gesangen 
und  Instrumentalmusik  begleiten.  Viele  Bauerntanze,  Erntetanze,  Schiffertanze,  Schmiede- 
tanze  usw.  sind  nichts  anderes  als  derartige  Dberbleibsel  primitiver  Arbeitstanze.  Jede  Zunft 


Tanz  und  Tanzrnusik  975 


hat  ihren  besonderen  Tanz,  aber  nicht  die  Zunft  selbst,  sondem  jeder  Zunftgrad  tanzt  auf 
eine  andere  ^eise,  die  Schustermeister  anders  als  die  Lehrbuben  und  Gesellen,  und  die 
Obrigkeit  hat  wohl  achtzugeben,  da6  sich  da  keine  Kompetenziiberschreitungen  ergeben. 
Aber  dies  hangt  schon  wieder  mit  dem  Gesellschaftstanz  zusammen,  der  das  gesellschaftliche 
Leben  an  und  far  sich  zum  Gegenstand  der  Darstellung  macht.  Genau  so  wie  das  feudale 
Mittelalter  eine  strenge  Sonderung  der  Gesellschaft  zeigt,  so  druckt  sich  dies  im  Tanze  der 
Sta'nde  aus. 

Die  Zunfttanze  akzentuieren  die  gewerbhche  Betatigung,  der  bauerliche  Tanz,  der  un- 
geschminkte  geschlechtervereinigende  Tanz  bringt  das  erotische  Erleben  zum  Ausdruck  und 
verzichtet  auf  Natur  und  Familiensymbolik.  Erst  das  1 8.  Jahrhundert  mit  seiner  Revolutio- 
nierung  der  Gesellschaft  greift  auf  den  Volkstanz  wieder  zuriick,  vergesellschaftlicht  und  ver- 
allgemeinert  ihn  zugleich.  Das  Mittelalter  aber  kennt  nur  den  Standetanz.  Da  haben  wir  vor 
allem  die  Tanze  des  hofischen  Mittelalters.  Im  Tiroler  SchloC  Runkelstein  kann  man  heute 
noch  Fresken  aus  dem  14.  Jahrhundert  bewundern,  die  den  hofischen  Reigen  aus  jener  Zeit 
darstellen.  ,,Ductia"  nennt  Johannes  de  Grocheo  diesen  Reigentanz,  der  aus  einer  bun  ten 
Reihe  von  Rittern  und  Damen  besteht,  die  ein  Spielmann,  meist  ein  Fiedler,  fiihrt.  Andere 
hofische  Tanze  dieser  Zeit  sind:  Treialtrei  (drei  zu  drei),  Vanaldei,  Violei,  Freiros,  Govenanz 
und  Ridevanz.  Diese  Namen  sind  in  Deutschland  nachweisbar  und  zeigen,  dafi  romanischer 
Einflufi  in  der  Tanzkunst  bereits  im  Mittelalter  maBgebend  war.  Der  feudale  Tanz  des 
Mittelalters  ist  vor  allem  Stilisierung  des  Gesellschaftslebens,  das  sich  aus  der  durch  die 
christliche  Kultur  bedingten  Verfeinerung  des  Geschlechtslebens  und  mithin  in  der  Ver- 
ehrung  des  weiblichen  Geschlechtes  zeigt.  Seit  dieser  Zeit  spielen  die  ,,Reverence"  und 
,,Contenence",  eine  standige  Rolle  im  Tanze,  Gesten,  die  weiterhin  in  den  entsprechenden 
Pas  und  sonst  in  einem  adaquaten  Rhythmus,  wie  bei  der  Courante,  zum  Ausdruck  kommen. 
Sind  die  hofischen  und  zum  Teil  biirgerlichen  Tanze  des  Mittelalters  gemessene  Reigen  und 
Schreittanze,  so  sind  die  Tanze  des  niederen  Volkes  gesprungene  Rundtanze  (Springale, 
Espringale,  Hupfer,  Hupfauf,  Proportz  usw.).  Unter  den  iiberlieferten  Namen  sind 
zu  erwahnen:  Hoppeldei,  Hierlei,  Firlefei,  Fulafranz,  Miirmun,  Ahsel,  Houbetschoten  u.  a. 
Die  Tanze  werden  zum  Teil  nur  als  Springtanze,  zum  Teil  als  Nachtanze  (also  nach  einem 
Reigen)  getanzt.  Ein  solcher  Tanz  besteht  aus  einem  Reigen,  einem  geschrittenen  oder  ge- 
tretenen  Tanz  und  einem  Springtanz,  bei  welchem  die  im  geraden  Schreittakte  getanzte  und 
gewohnlich  von  einem  Fiedler  gespielte  Melodic  in  dreiteiligen  Takt  mit  raschem  Tempo 
verwandelt  wird.  Diese  Zweiteilung  des  Tanzes,  Reigen  und  Springtanz,  die  psychologisch 
auf  die  Erregungssteigerung  wahrend  des  Tanzes  zuriickzufuhren  ist,  indem  die  anfanglich 
nur  gehenden  oder  hiipfenden  Bewegungen  in  Drehbewegungen  iibergehen,  ist  fur  die  Ent- 
stehung  der  europaischen  Tanzrnusik  und  mit  ihr  der  Instrumentalmusik  von  ausschlag- 
gebender  Bedeutung.  Denn  in  diesem  Urpaar,  dem  Tanz  und  Nachtanz,  schlummert  das 
Prinzip  der  Suite,  der  Tanzfolge  und  mithin  der  mehrsatzigen  Instnimentalform.  In  ganz 
Europa  tanzte  man  seit  alter  Zeit  bis  ins  1 8.  Jahrhundert  hinein  auf  diese  Art  und  Weise. 
Die  hofischen  franzosischen  Tanze  Basse  danse  und  Tourdion  im  15.  Jahrhundert,  der 
Branle  und  Amener  im  16.  Jahrhundert,  die  Paduane  und  Gaillarde  in  Deutschland  zu 
Anfang  des  1 7.  Jahrhunderts  und  etwas  spater  die  Allemande  und  Courante  und  viele 
andere  Tanzzusammenstellungen  beruhen  auf  dem  zweiteiligen  Tanzprinzip  und  arialysiert 


Tanz  und  Tanzmusik 


man  all  diese  mehrteiligen  Suiten,  so  stellt  sich  heraus,  daB  an  der  Spitze  dieser  Folgen  immer 
zwei,  wenn  auch  noch  so  lose  zusammenhangende  Tanze  stehen.  Auch  bei  den  Bachschen 
Klaviersuiten  ist  dies  noch  der  Fall.  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daB  diese  in  ganz  Europa 
durchgefiihrte  Tanzart  besonders  in  Mitteleuropa  heimisch  war.  'Wahrend  Italien,  Frank- 
reich  und  England  im  16.  Jahrhundert  eine  ganze  Reihe  verschiedenartiger  ausgebildeter 
Tanze  haben,  scheint  ,,Tanz  und  Nachtanz"  (Allemande  und  Tripla)  in  Deutschland  das 
Urn  und  Auf  des  tanzenden  Burgertums  gewesen  zu  sein.  Daher  heifit  es  auch  in  Chapmanns 
,,Alphonsus  Emperor  of  Germany*': 

,,We  Germans  have  no  changes  in  our  dances. 
An  almain  and  an  up-spring,  that  is  all." 

Franzosische  und  englische  Handschriften  des  Mittelalters,  iiber  die  J oh.  Wolf  berichtet, 
enthalten  auBer  dem  Stantipes,  der  iibrigens  von  H.  J.  Moser  als  freies  Instrumentalsttick 
angesprochen  wird,  noch  den  Saltarello  und  den  Trotto.  Die  meisten  dieser  Tanze  zeigen 
eine  volkstiimliche,  dem  heutigen  Musikempfinden  durchaus  nahe,  ja  gleiche  Melodik  mit 
Ansatzen  zu  einer  Suitenbildung,  indem  gewlsse,  freilich  nicht  einander  folgende  Satze  thema- 
tisch  korrespondieren.  Die  von  Johannes  de  Grocheo  erwahnten  .JPuncti"  des  ,,Stantipes" 
sind  in  diesen  Stiicken  leicht  erkennbar  und  stehen  in  gewissem  Gegensatz  zu  dem  sonst 
im  Tanze  des  spateren  Mittelalters  und  der  Neuzeit  ausgepragten  Prinzip  der  ,,Proporz" 
(Tanz-Nachtanz),  indem  hier  im  Tempo  und  Charakter  gleichartige  Tanze  einander  folgen. 
Es  scheint,  dafi  in  Frankreich  diese  Art  der  Tanzfolge  langst  heimisch  war,  im  Gegensatz 
zur  deutschen  Gepflogenheit  des  Proporztanzes.  Auch  die  ,,Basse  danses",  die  gravitatischen 
Kunsttanze  des  15.  und  1 6.  Jahrhunderts,  gehoren  urspriinglich  zu  dieser  Kategorie,  wenn 
auch  Arbeau  (moglich  unter  dem  aus  Deutschland  kommenden  Einflufi)  diesen  Tanz  schon 
als  Proporztanz  (mit  dem  Tourdion  als  Nachtanz)  kennt.  Auch  die  ,,Branles"  mit  ihren 
verschiedenen  Abarten:  Simple,  Double,  Gai,  Amener  Getzterer  meist  sechstaktig), 
Montirande,  Gavotte,  gehoren  der  Gruppe  der  alteren  franzosischen  Folgen  an.  Arbeau 
sagt  iiber  diese  Tanze  (1588):  ,,Die  Musiker  haben  alle  die  Gewohnheit,  die  Tanze  bei  den 
Festlichkeiten  mit  einem  Doppel-Branle  (Branle  double)  zu  beginnen,  den  sie  den  gewohn- 
lichen  Branle  (Branle  commun)  nennen,  und  welchem  ein  einfacher  Branle  (Branle  simple) 
folgt.  Darauf  kommt  der  lustige  Branle  (Branle  gai)  und  zum  SchluB  der  Burgunder  Branle 
(Branle  de  Bourgogne),  von  einigen  auch  Branle  de  Champagne  genannt.  Die  Reihenfolge 
dieser  vier  Arten  von  Branles  ist  den  drei  verschiedenen  Altersstufen  der  Festteilnehmer  ent- 
sprechend:  die  Alten  tanzen  ganz  gemessen  den  Doppel-Branle  und  einfachen  Branle;  die 
jungen  Eheleute  den  lustigen  Branle  und  die  jungsten,  leicht  und  gewandt,  die  Burgunder- 
Branles;  und  jeder  entledigt  sich  seiner  Aufgabe  so  gut  er  kann,  seinem  Alter  und  seiner  Ge~ 
schicklichkeit  angemessen." 

In  derGeschichte  derTanzmusik  scheinen  zwei  Prinzipien  teils  miteinander  parallel  zugehen, 
teils  einander  zu  bekampfen:  einerseits  das  Prinzip  der  Aneinanderreihung  gleichartiger, 
andererseits  das  der  Zusammenstellung  gegensatzlicher  Tanze.  Diese  beiden  Arten  kann 
man  auch  als  Gebrauchstypus  (Zusammenstellung  gleichartiger  Tanze)  und  Vortrags- 
typus  (Zusammenstellung  verschiedenartiger  Tanze)  bezeichnen. 

Das  asthetische  Gesetz  der  Wahrung  der  Einheit  in  der  Mannigfaltigkeit  macht  sich  in 
der  Suite  in  der  urspriinglich  melodischen  und  in  der  tonartlichen  Gleichheit  (Variations- 


Tanz  und  Tanzmusik 


prinzip)  bei  Verschiedenheit  der  Tanze  (Kontrastprinzip)  geltend,  wogegen  beim  Gebrauchs- 
typus  (gegensatzlich  zur  Suite)  melodische  und  tonartliche  Verschiedenheit  bei  Gleichheit  der 
Tanzbewegung  vorhanden  ist.  Hiervon  waren  nur  die  ,,Puncti"  des  ,,Stantipes"  auszunehmen. 
Es  ist  selbstverstandlich,  dafi  diese  beiden  Entwicklungen  sich  gegenseitig  beeinflussen  und 
durchdringen.  Ich  habe  dies  schematisch  etwa  folgendermaBen  dargestellt: 

A.  Gebrauchstypus  B.  Vortragstypus 

Stantipes 
Basse  danses 

Branles  Branlefolge 

Freie,   nach   Gattungen   zusammen- 

gestellte  Tanze  um  1600  Deutsche  Variationssuite 

Gehaufte  Einzeltanze  innerhalb  der 

Suite  Frobergertypus 

Zusammenstellungen    von    Einzel-          Zyklische  Instrumentalformen  hohe- 

tanzen  im  niederen  Volke  (17.  Jh.)  rer  Ordnung 

Menuettketten 
Deutsche,  Walzer  usw. 

Auch  im  16.  Jahrhundert  ist  der  franzosische  Einflufi  in  Tanz  und  Tanzmusik  auf  ganz 
Europa  sehr  grofi.  Michael  Praetorius  hat  1612  in  seiner  ,,Terpsichore"  franzosische  Tanze 
gesammelt  und  sie  in  Deutschland  bekanntgemacht.  Er  ist  einer  der  Ersten,  die  auf  den  fran- 
zosischen  Schautanz  hinweisen,  der  insbesondere  seit  Baltazarinis  ,,BaIlet  comique  de  la 
royne"  1581  Weltberiihmtheit  erlangte. 

Die  wichtigsten  Tanze,  die  in  Europa  im  16.  Jahrhundert  getanzt  wurden,  sind 
f olgende : 

Die  Allemande  ist  der  auf  dem  Umweg  iiber  Frankreich  und  England  nach  Deutschland 
riickimportierte  deutsche  Volkstanz,  der  zu  verschiedenen  Zeiten  verschiedene  Bedeutung 
hatte.  Um  1600  zeigt  die  Allemande  schlichte  volkstiimliche  Rhythmik,  im  geraden  Takt, 
ohne  den  spateren  obligatorischen  Auftakt  und  ist  ein  Reigen,  der  nach  Praetorius  zu  jenen 
Tanzen  gehort,  ,,so  nicht  auff  gewisse  Pass  und  Tritt  gerichtet"  sind.  Zu  dieser  Zeit  ist  sie 
im  Gegensatz  zur  ,,Paduane",  die  bereits  altvaterisch  steif  und  daher  musikalisch  hoher  stili- 
siert  erscheint,  einfach  gesetzt  und  steht  in  Verbindung  mit  der  ,,Tripla"  (Nachtanz).  Die 
niedere  Stilisierung  der  Allemanden  um  1600  macht  sich  gelegentlich  wie  bei  Schein  und 
Anderen  auch  durch  eine  einfache  Stimmfiihrung  geltend  (Paduane,  Gaillarde,  Courante  sind 
fiinfstimmig,  Allemande  und  Tripla  vierstimmig),  eine  Erscheinung,  die  auch  sonst  in  der 
Geschichte  der  Tanzmusik  bekannt  ist.  Noch  Joh.  Seb.Bach  schreibt  seine  Allemanden 
und  Couranten  als  jene  Tanze,  die  zu  seiner  Zeit  aufier  Mode  gekommen  waren,  im  gebrochenen 
Lautenstil,  Menuette,  Gavotten,  Polonaisen  als  Tagestanze  in  leichter,  fliissiger  italienischer 
Art,  oft  in  reduzierter  Stimmzahl.  Die  Ausfuhrung  der  Allemande  in  Frankreich  kennen 
wir  durch  Arbeau,  der  sie  als  Reigen  mit  drei  Pas  und  einer  Crue  (Fufihebung)  ohne  Sprung 
beschreibt.  Sie  besteht  aus  drei  Teilen,  von  denen  die  beiden  ersten  einander  gleichen,  wah- 
rend  der  dritte  der  Sprung  ist,  bei  dem  Bewegungen  a  la  Courante  gemacht  werden.  In  dem 
bei  Arbeau  angegebenen  Beispiel  der  Allemande  zeigt  sich  das  von  Blume  als  ,,Suitenbildung 


978 


Tanz  und  Tanznnusik 


durch  Reduktion"  bezekhnete  Varlationsprinzip.  Im  Verlaufe  des  17.  Jahrhunderts  wird 
die  Allemande  immer  steifer  und  tritt  als  Gebrauchstanz  vollig  in  den  Hintergrand.  Dagegen 
erlangt  sie  in  den  KlavicrsuJten  Bedeutung  und  steht  seit  Froberger,  der  sie  aus^der  franzo- 
sischen  Lautensuite  ubernimrnt,  an  der  Spitze  der  franzosischen  Klaviersuite,  die  aus  Alle 
mande,  Courante,  Sarabande,  verschiedenen  Zwischensatzen  und  Gigue  besteht  und  die 
auch  zum  eisemen  Bestand  der  Bachschen  und  Handelschen  Klaviermusik  gehort. 

Die  vielen  Tanze  des  italienischen  Adels  des  1 6.  Jahrhunderts,  liber  die  u.a.  Caroso  und 
Negri  berichten,  haben  die  verschiedenartigsten  Namen  und  Ausfuhrungen.  Die  Theorie 
des  Renaissancetanzes  geht  in  minutiose  Details,  Reverenzen,  Kontenanzen,  Puntaten,  Re- 
prisen  werden  umstandlich  behandelt.  Von  alien  Tanzen  erlangt  allmahlich  die  Paduane 
(richtig:  Pavane)  Internationale  Bedeutung,  gleich  der  spateren  Allemande  ein  Reigentanz 
in  geradem  Takt,  in  dem  sich  Adels-  und  Biirgerstolz  des  1 6.  Jahrhunderts  auslebt.  (Pave- 
neggiare  =  sich  briisten  ist  ein  tanztheoretischer  Ausdruck.)  In  den  Tanzsuiten  der  deut- 
schen  Komponisten  um  1600  ist  die  Paduane  geradeso  wie  bei  den  Franzosen  und  Nieder- 
landern  etwas  friiherer  Zeit  (Phalese,  Susato)  bereits  hochstilisiert  und  selbstandiges  In- 
strumentalstuckgeworden.  DerNachtanz  derPaduane  ist  die  Gal  Hard  e  (in  Italien  alsNach- 
tanz  des  der  Paduane  entsprechenden  ,,Passamezzo",  auch  ,,Saltarello",  genannt),  von  den 
Tanztheoretikern  meist  als  ,,Cinque  pas"  bezeichnet.  Die  Galliardenschritte  wurden  derart 
gemacht,  dafi  zuerst  das  linke,  dann  das  rechte  Bein,  sodann  wieder  das  Knke  und  nochmals 
das  rechte  Bein  gehoben  wurde;  auf  fiinf  springt  man  hoch  und  auf  sechs  kommt  man  in  die 
posture,  die  ruhige  Stellung,  die  man  auf  den  linken  vorgesetzten  FuB  iibertragt,  um  bei 
eins  umgekehrt  mit  dem  rechten  beginnen  zu  konnen.  Da  der  Sprung  auf  fiinf  und  das  Nieder- 
fallen  auf  sechs  als  ein  Pas  gezahlt  wurde  (Kadenz),  ergaben  sich  in  der  Tanztheorie  eigentlich 
nur  funf  Schritte,  und  es  wurde  die  Galliarde  allgemein  meist  nur  als  ,,cinqe  pas"  bezeichnet. 
Die  tanzerische  Exekution  zeigt  sich,  in  dem  noch  bis  tief  ins  17.  Jahrhundert  beibehaltenen 
Rhythmus  |  J  J  0  J  oder  J  J  J  J.  J^  J  -  Nach  Arbeau  wurde  die  Galliarde  so  ausge- 
fiihrt  wie  derTourdion,  mit  dem  Unterschiede,  dafi  die  Galliarde  gegeniiber  dem  niedrig  aus- 
geftihrten  Tourdion  hoher  und  in  langsamerem  Tempo  getanzt  wurde. 

So  wie  die  Galliarde  zur  Paduane,  so  gehort  zur  Allemande  die  Courante,  ein  Tanz  in 
Tripeltakt,  der  bei  Arbeau  allerdings  noch  in  geradem  Takt  erscheint.  Der  urspriingliche 
Rhythmus  J  i  J  J  J  J  !  °der  J  J  J  J.  J^  J  I  bildet  sich  dann  Jm  17.  Jahrhundert  unter 
dem  Enflufi  der  Tanztheorie  zu  dem  Rhythmus  j  j.  J^  J  J  J.  J^  i-  Der  Wechsel  zwischen 
Pas  de  G>urante  (Gleitschritte,  die  vorher  beugen  und  mit  gehobenen  Absatzen  vorschleifen) 
und  Pas  de  Coupe  (Beugeschritte,  die  im  Beugen  sich  erst  aufrichten)  erklart  den  charakte- 
ristischen  Rhythmus  der  Courante.  Die  Armbewegungen  spielen  bei  diesfm  Tanz  eine  be- 
sondere  Rolle.  ,,Hat  man  die  Dame  an  ihrer  linken  Hand,  so  liegt  diese  auf  ihrer  Hufte. 
Je  nachdem  eine  oder  beide  Hande  frei  sind,  iibernehmen  diese  die  Aufgabe,  zu  den  FiiBen 
passende  Bewegungen  zu  machen.**  Die  Courante  halt  sich  bis  in  den  Anfang  des  18.  Jahr 
hunderts.  Bei  Joh.  Seb.  Bach  ist  sie  wie  die  Allemande  hochstilisiert,  im  gebrochenen  Lauten- 
stil  mit  den  charakteristischen  Nachschlagen  am  SchluB. 

DieSarabande,urspriinglich  maurischen  Ursprungs  (von  ,3erabend"),  ist  ein  spanischer 
Tanz,  der  um  1600  von  Spanien  nach  Frankreich  kam.  Arbeau  kennt  den  Tanz  jedenfalls 
noch  nicht,  wogegen  Cervantes  in  seiner  ,,Vornehmen  Kiichenmagd"  sagt:  ,,Spielt  nur  euere 


Tanz  und  Tanzmusik  979 


gemeinen  Sarabanden,  Chaconnen  und  Folien."  Urspriinglich  im  raschen  Tempo  mit  Ka- 
stagnettenbegleitung  (so  noch  um  1700  von  Taubert  geschildert),  wird  dieser  Tanz  spater 
feierlich-gravitatisch,  Der  charakteristische  Rhythmus  dieses  Tanzes  ist:  |  J  J.  J^  I  J  J 
oder  J  J  J"]  I  J  J  I-  Die  Gigue  ist  ein  englischer  Tanz  (Jig),  der  bereits  1590  erwahnt 
wird.  Urspriinglich  im  geraden  Takt,  bildet  sich  dieser  Tanz  immer  mehr  zum  6/8  oder  6/4 
mit  dem  Rhythmus  J  J^  J  J^  oder  J^"]J  J^J  aus.  Nach  Froberger  setzt  sich  die  Gigue  am  Kon- 
tinent  immer  mehr  durch  und  bildet  den  AbschluB  der  franzosischen  Klaviersuite,  u.  z.  in  fu~ 
gierter  Behandlung  mit  Umkehrung  des  Themas  im  zweiten  Teil  (So  auch  bei  Joh.Seb.Bach.) 

Allemande,  Courante,  Sarabande  und  Gigue  bilden  die  Grundpfeiler  der  Klaviersuite 
von  Froberger  bis  iiber  Joh.  Seb.  Bach.  Zwischen  Sarabande  und  Gigue  schiebt  sich  meist 
eine  Reihe  verschiedener  anderer  Tanze  ein.  Die  wichtigsten  librigeh  Tanze  des  17.  und 
1 8.  Jahrhunderts  sind : 

Der  Rigaudon,  angeblich  provencalischer  Herkunft,  im  C-Takt  mit  1/4  Auftakt,  meist 
aus  drei  achttaktigen  Reprisen  bestehend,  von  denen  der  dritte  Teil  im  Charakter  absticht 
und  nach  Mattheson  in  tieferer  Tonlage  gehalten  sein  soil.  Der  Hauptrhythmus  des  Rigau- 
dons  ist*:  E  J  |  J  J  Ja  J  J  J  J  J  I  J.-  Der  Passepied  stammt  der  Tradition  nach  aus 
der  Bretagne  oder  aus  England.  Praetorius  erwahnt,  daB  man  in  ,,solchem  Dantze  einen 
Fufi  iiber  den  andern  schlagen  und  setzen  muB."  Urspriinglich  scheint  es  sich  um  einen 
Reigen  gehandelt  zu  haben;  imLaufe  des  1 7.  Jahrhunderfs  gewinnt  ein  ziemlich  rascher  3/8 
immer  mehr  die  Oberhand,  so  daB  sich  der  Passepied  emem  rascher  gespielten  Menuett 
nahert. 

Das  Menuett  stammt  der  Tradition  nach  vom  ,,Branle  de  Poitou"  ab,  der  mit  dem  Amener 
identisch  ist,  wodurch  auch  die  Herleitung  des  Wortes  sich  zwanglos  erklaren  laBt.  Durch 
Lully  und  vom  Hofe  Ludwigs  XIV.  gelangt  es  zu  internationaler  Geltung.  Der  musi- 
kalische  Zusammenhang  zwischen  Amener  und  Menuett  zeigt  sich  auch  darin,  daC  in  einer 
Reihe  von  Menuetten  aus  der  ,,Collection  Philidor"  genau  so  wie  beim  Amener  drei-  und 
sechstaktige  Perioden  erscheinen.  So  wie  die  Courante  und  die  Sarabande  ist  auch  das  Menuett 
ein  Einzel-Paartanz,  dessen  Wesen  darin  besteht,  daB  der  Herr  und  die  Dame  voneinander 
und  zueinander  tanzen,  und  zwar  nichtauf  einer  geraden,  sondern  auf  einer  geschwungenen 
Linie,  Urspriinglich  auf  einem  verkehrten  S,  dann  auf  einer  2,  schlieBlich  auf  einem  Z.  Dies 
im  Zusammenhang  mit  der  Stilwandlung  vom  Barock  zum  Louis  XVI.  Die  Grazie  des 
Menuetts  besteht  in  der  Abwechslung  der  Reverenzen  und  Kontenanzen,  Tours  des  mains  usw. 
Die  Literatur  iiber  das  Menuett  ist  betrachtlich.  Im  Laufe  des  Jahrhunderts,  in  welchem  es 
herrschte,  hat  sich  der  Rhythmus  oft  geandert.  Wir  finden  im  Anfang  Galliarden-,  Couranten- 
und  Giguen-Rhythmen  —  bis  zur  Zeit  Mozarts  das  Menuett  sich  wieder  zu  einem  gravi- 
tatischen  Stiltanz  versteift.  Durch  das  allmahliche  Hervortreten  der  siiddeutschen  Rund- 
tanze  verliert  das  Menuett  immer  mehr  seine  urspriingliche  Lebendigkeit ;  es  wird  der  Tanz 
des  Adels,  wie  dies  in  Mozarts  ,,Don  Giovanni"  zum  Ausdruck  kommt,  wo  es  im  Gegensatz 
zum  ,,Contre"  und  ,,Deutschen"  steht.  Allmahlich  vollzieht  sich  jedoch  die  musikalische 
Annaherung  zwischen  dem  Menuett  und  Passepied  einerseits  und  den  siiddeutschen  Rund- 
tanzen  andererseits.  Die  wichtigsten  iibrigen  Tanze  sind  noch  die  ,,Volta",  von  ,,voltare" 
=  Umkehren.  Wahrscheinlich  stammt  der  Name  von  der  Gepflogenheit  her,  die  Tanzerin 
iiber  den  Riicken  des  Tanzers  zu  schwingen.  ,,In  dem  Tanz  nimmt  der  Tanzer  mit  einem 


Tanz  und  Tanzmusik 


Sprung  der  Jungfrau  (die  auch  mit  einem  hohen  Sprunge  aus  Anleitung  der  Musik  her- 
kommt)  wahr  und  greift  sie  an  einem  ungebiihrenden  Ort,  da  sie  etwas  von  Holz  oder  anderer 
Materie  hat  machen  lassen  und  wirft  die  Jungfrau  selbst,  und  sich  mit  ihr,  etlich  vielmal 
sehr  kiinstlich  und  hoch  iiber  die  Erde  herum,  also  auch,  dafi  der  Zuschauer^  meinen  sollte, 
daB  der  Tanzer  mit  der  Tanzerin  nicht  \vieder  zur  Erde  kommen  konne,  sie  hatten  denn 
beide  ihre  Halse  und  Beine  gebrochen."  (Johannes  von  Miinster.)  Die  Volten  des  16.  Jahr- 
hunderts  sind  in  punktiertem  6/8  und  deuten  auf  einen  gewissen  Zusammenhang  mit  den 
siiddeutschen  Volkstanzen  hin. 

Die  Bourree  ist  ein  altfranzbsischer  Volkstanz,  ein  Reigen  von  frohlicher  Bewegung  im 
4  /4-Takt  mit  2  Achteln  als  Auf takt.  Die  Tanzschritte  der  Bourree  sind  kurz  und  spitzig  und  wurden 
spater  in  den  Allemanden  und  Eccossaisen  als  ,,Pas  fleurets"  verwendet.  Charakteristisch  fur 
die  Bourrees  sind  die  weiblichen  Schliisse.  Die  Bergamasca  ist  ein  oberitalienischer  Pro- 
vinzialtanz  aus  Bergamo,  deren  Bewohner  als  tolpelhaft  und  verschmitzt  verlacht  waren. 
Auch  Shakespeare  erwahnt  diesen  Tanz,  den  man  in  Italian  auf  eine  sehr  populare  Melodie 
tanzte,  die  iibrigens  auch  in  Deutschland  noch  im  18.  Jahrhundert  als  Gassenhauer  grassiert 
und  den  Joh.Seb.  Bach  im  Quodlibet  seiner  Goldbergvariationen  (,,Kraut  und  Ruben") 
heranzieht.  Der  Canario  ist  ein  rascher  Tanz  im  3/8~>  e/s~  oder  3/4-Talct  und  wie  die  ,,Moresca" 
einer  der  exotischen  Tanze  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  Nach  Feuillet  wird  er  von  einem 
Tanzpaar,  in  fremdartigen,  wilden  und  bizarren  Bewegungen  durch  den  Saal  hiipfend,  aus- 
gefuhrt.  Da  Arbeau  und  Praetorius  dieselbe  Melodie  fur  den  Canario  angeben,  scheint  er 
eine  ganz  bestimmte  Weise  gehabt  zu  haben.  Die  Canarien  im  1 7.  Jahrhundert  haben  meist 
punktierte  6/s-Rhythmen  mit  zwei  Sechzehnteln  als  Auftakt.  Die  Moresca  bedeutet  einer- 
seits  ganz  allgemein  ein  Ballett,  wie  dies  etwa  das  SchluBballett  von  Monteverdis  ,,0rfeo" 
zeigt,  andererseits  einen  exotischen  Einzeltanz  mit  punktierten  Achtelrhythmen,  dessen  Weise 
meist  marschartig  ist,  der  mit  geschwarztem  Gesicht  und  Schellen  getanzt  wird  und  zum 
altesten  Volksgebrauch  gehort.  Der  Traquenard  ist  ein  Tanz,  der,  ahnlich  den  Tier- 
tanzen  der  Gegenwart,  mit  dem  Pferdewesen  im  Zusammenhang  steht,  da  Traquenard  soviel 
wie  Halbpas  heifit.  Der  Traquenard  zeigt  punktierte  Achtelrhythmen  und  ein  genaues  rhyth- 
misches  Schema.  Die  Trezza,  wahrscheinlich  soviel  wie  ,,treccia"  (Flechte,  Zopf,  also 
ein  geflochtener  Reigentanz),  kommt  hauptsachlich  in  Wiener  Handschriften  vor,  ist  meist 
im  Dreivierteltakt  und  hat  den  Charakter  einer  Furlane.  Die  Folia  ist  spanischen  Ursprungs, 
diirfte  in  ihrer  spanischen  Urzeit  ebenso  wie  die  Chaconne  und  die  Passacaglia  Ostinato- 
charakter  gehabt  haben  und  wurde  ahnlich  wie  die  Bergamasca  im  17.  und  18.  Jahrhundert 
nach  einer  bestimmten  Weise  getanzt.  Chaconne  und  Passacaglia,  beide  spanischen  Ur 
sprungs,  sind  im  17.  und  1 8.  Jahrhundert  Ostinatotanze,  die  zweifellos  infolge  der  Wieder- 
holung  bestimmter  kurzer,  magamenartiger  Motive  auf  arabische  Herkunft  deuten.  Neben 
dem  haufig  vorkommenden  Doppelquartmotiv  findet  sich  bei  beiden  auch  das  absteigende 
Tet  r  achordmotiv . 

Alle  diese  Tanze  wurden  zum  Teil  als  Gesellschafts-,  zum  Teil  als  Biihnentanze  verwendet. 
Das  Ballett  wird  seit  dem  Mittelalter  an  den  Hofen  Italiens,  Deutschlands  und  Frankreichs 
gebraucht;  ganz  besonders  wird  es  am  franzosischen  Hofe  ausgebildet,  wo  in  Mannern  wie 
Beauchamps,  Marcelle  und  Noverre  Klassiker  der  Tanzkunst  erstehen,  die  insbesondere  das 
Graziose  und  Galante  zum  Ausdruck  bringen,  wahrend  die  italienischen  Tanzmeister  und 


Tanz  und  Tanzmusik  981 


Tanztheoretiker  Cornazaro  (1465),  Antonius  de  Arena  (1536),  Caroso  (1577),  Negri  (1580) 
und  Beccaria  (1604)  mehr  das  Steif-Gravitatische  und  Zeremonielle  ausbilden.  Auch  der 
Wiener  Hof  schliefit  sich  der  italienischen  Tanzmethode  an,  insbesondere  durch  die  Tanz- 
meister  Leopolds  I.,  Santo  und  Domenico  Ventura.  Indessen  ist  bezeugt,  dafi  bereits  am 
Hofe  Kaiser  Matthias*  ,,gut  teutsch"  getanzt  wurde  und  der  Biograph  Leopolds  I.,  Rink, 
berichtet,  dafi  auch  dieser  Kaiser  ,,teutsche  Fiihrungen"  bevorzugte. 

Uberhaupt  treten  am  Wiener  Hofe  volkstumliches  Wesen  und  volkstiimlicher  Tanz  Jmmer 
mehr  in  den  Vordergrund,  und  bei  den  kaiserlichen  Hoffesten,  Wirtschaften,  Bauernhochzeiten, 
Komgreichen  und  Schafereien  wird  neben  italienischen  und  franzosischen  Tanzen  auch  gut 
deutsch  getanzt.  Zu  diesen  Tanzen  ertont  eine  Musik,  die  unverkennbar  alpinen  oder  wiene- 
rischen  Einschlag  hat.  Die  Tanze,  die  Johann  Heinrich  Schmelzer  fur  diese  Hoffeste  und 
Ballette  komponierte,  sind  zum  Teil  recht  volkstlimlich  und  unterscheiden  sich  melodisch 
und  rhythmisch  durch  nichts  von  den  Landlern  des  spateren  Jahrhunderts.  Im  Gegenteil, 
sie  sind  womoglich  urwiichsiger  und  derber.  Der  Zusammenhang  der  Allemanden  des  1 8.  Jahr 
hunderts  erscheint  durch  die  Neuausgabe  in  den  ,,Denkmalern  der  Tonkunst  in  O'sterreich  ", 
XXVI 1 1/2,  zur  Evidenz  bewiesen.  Bevor  man  diese  Tanze  kannte,  nahm  man  an,  daB  das 
Menuett  den  Ubergang  von  den  barocken  Tanzen  zu  den  neuen  sliddeutschen  Tanzen 
,,Deutscher",  ,,Landler"  und  ,,Walzer"  bilde.  Doch  das  Menuett  ist  vollendete  Stilisierung 
des  baroclcen  Gesellschaftslebens.  Musikalisch  ist  es  besonders  in  der  Mitte  des  18.  Jahr 
hunderts  gelegentlich  vom  dreiteiligen  Volkstanz,  der  sich  aus  dem  Rahmen  des  Urpaares 
herausgelost  hat,  beeinflufit.  Aber  die  grofie  Revolution  des  Tanzes  wird  in  England  vor- 
bereitet,  wie  die  grofie  europaische  Geistesrevolution  iiberhaupt  in  England  ihren  Ursprung 
hat.  Ich  meine  damit  den  Kontertanz.  DasNeue  und  Eigenartige  dieses  urspriinglich  land- 
lichen  Tanzes  besteht  darin,  dafi  er  nicht,  wie  friiher  der  Barocktanz,  Einzeltanz  des  Fiirsten, 
des  Biirgermeisters,  kurz  eines  bevorzugten  Paares  ist,  sondern  dafi  die  gesamte  Gesellschaft 
sich  an  ihm  beteihgt.  Darin  besteht  das  Neue  und  Revolutionare  der  Kontertanze,  dafi  das 
gleichzeitige  Tanzen  vieler  Paare  im  Gegensatz  zum  barocken  Einzeltanz,  aber  im  Anschlufi 
an  den  alten  ho'fischen  Reigen,  fur  die  sich  neuschichtende  Gesellschaft  etwas  Reizvolles 
bildet,  und  geradeso  wie  schon  im  17.  Jahrhundert  die  Sehnsucht  nach  volkstiimlichen  Ge- 
niissen  die  ,, Wirtschaften"  und  ,,Bauernhochzeiten"  aufkommen  lafit,  so  spielt  man  bei  den 
Kontertanzen  Gleichberechtigung  und  erotische  Freiheit.  Zwei  Arten  des  Kontertanzes  gibt 
es,  die  sogenannte  englische,  bei  der  sich  alle  in  Reihen  aufstellen,  aber  der  eigentliche  Tanz 
findet  nur  zwischen  bestimmten  Gruppen  statt,  die  sich  schiebend  weiterbewegen,  um  alle 
Teilnehmer  an  die  Reihe  kommen  zu  lassen.  Bei  der  zweiten,  franzosischen  Form,  dem 
Kotillon,  schreibt  man  eine  feste  Paarzahl  mit  bestimmten  Wegen  vor,  meist  vier  Paare.  Aus 
dieser  franzosischen  Form  des  Konters  entsteht  die  Quadrille  mit  ihren  zahllosen  Modi- 
fikationen. 

Wie  reiht  sich  nun  der  Walzer  mit  seinen  Vorformen,  dem  Landler  und  dem  Deut 
sch  en,  in  die  Geschichte  des  Tanzes  ein?  Der  siiddeutsche  Volkstanz  war  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  in  die  Kontertanze  aufgenommen  und  wie  die  meisten  Tanze  vom  alten 
Renaissancetanz  bis  zum  Tango  in  Paris  gesellschaftsfahig  gemacht  worden.  Die  Allemande, 
wie  der  Tanz  jetzt  in  Frankreich  heifit  —  weder  zu  verwechseln  mit  der  alten  Allemande 
um  1600,  noch  gar  mit  den  hochstilisierten  Klavierallemanden  Bachs  — ,  erlangt  nun  aus  den 


982  Tanz  und  Tanzmusik 


gleichen  gesellschaftspsychologischen  Griinden  wie  der  Konter  cine  solche  Beliebtheit,  dafi 
sie  sich  aus  dem  Rahmen  dieser  Kontertanze,  in  denen  sie  in  ihren  verschiedenen  Gestalten 
als  Tyroloise,  Strasbourgeoise,  Alsacienne  usw.  lebte,  herausloste  und  verselbstandigte. 
Zum  Teil  wurden  diese  Tanze  freilich  erst  noch  im  geradtaktigen  Bourreemetrum  getanzt. 
Zum  endgiiltigen  und  ausschliefilichen  3  '4  geht  man  aber  erst  gegen  das  Ende  des  1 8*  Jahr- 
hunderts  liber,  womit  der  alte  osterreichische  Bauerntanz  endgiiltig  In  der  grofien  Gesellschaft 
rezipiert  erscheint.  Es  ist  bezeichnend,  dafi  die  Schriftsteller  des  18.  Jahrhunderts  bei  der 
Beschreibung  der  neuen  Allemanden  nicht  eigentlich  die  Schritte,  sondern  die  Haltung  der 
Arme  als  das  Wesentliche  ansehen.  Die  Armverschrankung  deutet  darauf  hin,  dafi  diese 
Tanze,  als  sie  noch  im  Volke  und  noch  nicht  in  die  Kontertanze  aufgenommen  waren,  mit 
rhythmischem  Handeklatschen  und  nach  Art  der  Schuhplattler  begleitet  wurden,  wovon 
gewissermafien  als  eine  tanzerische  Stilisierung  die  Armverschrankung  iibrigblieb.  Musi- 
kalisch  kommt  dies  In  der  Weise  zum  Ausdruck,  dafi  von  nun  an  die  starke  Betonung  des 
ersten  Taktteiles  das  Wesentliche  wird,  was  durch  Verzicht  auf  die  selbstandige  Fiihrung 
der  Mittelstimmen  noch  in  weiterem  Mafie  zum  Ausdruck  kommt.  Diesem  Umstand  aber 
kommt  der  im  1 8.  Jahrhundert  sich  allmahlich  vollziehende  Prozefi  des  Dberganges  vom 
mehr-  zum  einstimmigen  Stil  zu  Hilfe. 

Aufier  Deutschland,  Frankreich,  England  und  Italien  haben  auch  die  kleineren  Nationen 
zum  internationalen  Tanz  das  Ihre  beigetragen.  Die  slawischen  Tanze  gelten  zum  Teil  im 
17.  und  18.  Jahrhundert  vorerst  als  ,,Exoten",  einige  von  ihnen  jedoch,  wie  die  Polonaise, 
bekommen  internationale  Bedeutung.  Die  Polonaise  im  Dreivierteltakt  von  mafiiger  Bewegung 
verschmilzt  bald  mit  dem  Konter  und  wird,  ahnlich  der  Paduane,  ein  Promenadentanz.  Die 
altesten  bekannten  Polonaisen  sind  keine  Tanzlieder,  sondern  instrumentaler  Natur,  so  dafi 
die  Ansicht,  die  Polonaise  habe  ihren  Ursprung  in  einer  Defiliercour  des  polnischen  Adels 
(bei  der  Thronbesteigung  Heinrichs  III.  von  Anjou  zu  Krakau  1574),  viel  for  sich  hat.  Der 
charakteristische  Rhythmus  der  Polonaise  ist:  j"j"5  J-j "j  J  oderj"^  JTJJj*  Von  den  pol 
nischen  Tanzen,  die  schon  Taubert  erwahnt  und  fur  die  er  das  Bourreeschema  angibt,  ist 
zu  erwahnen  die  Mazurka  mit  punktiertem  Dreiviertelrhythmus,  mit  starker  Betonung 
des  ersten  Taktteils  und  abgestofienem  ersten  Schritt.  Dagegen  ist  die  Polka  nicht, 
wie  der  Name  andeutet,  polnischen,  sondem  bohmischen  Ursprungs,  im  alten  Bourree 
schema.  Sie  kam  etwa  1830  inBohmen  auf.  Der  Name  ist  wohl  auf  pulka  d.  h.  Halbschritt 

zuriickzufuhren.  Das  Schema:  4    *      i      i  f       i  ^  •  Melodien  bohmischer  Tanze  findet  man 

r       1  r  1  1     r  1  r 

freilich  bereits  in  Handschriften  des  17.  und  18.  Jahrhunderts,  wie  etwa  einen  bohmischen 
Tanz  der  Jungfrau  Klara  Regina  Imhoff  in  einem  handschriftllchen  Klaviertabulaturbuch  oder 
in  Lautentabulaturen  derselben  Zeit.  Auch  hanackische  Tanze  kommen  bereits  in  dieser 
Zeit  vor,  und  es  1st  charakteristisch  fur  den  Mangel  an  nationaler  Differenzierung,  dafi  der 
,,Stilus  polonicus"  und  der  ,,Stilus  hannaticus"  einander  gleichgesetzt  werden.  Auch  unga- 
rische  Tanze  erscheinen  bereits  in  Tabulaturen  des  1 6.  und  1 7.  Jahrhunderts,  freilich  ebenso- 
wenig  wie  die  bohmischen  Tanze  in  den  heute  charakteristischen  Rhythmen.  Der  Czardas 
besteht  meist  aus  einer  melancholisch-pathetischen  Einleitung  (lassu)  und  dem  eigentlichen 
Czardas,  auch  ,,friss<4  genannt.  Er  Jst  in  geradem  Takt  und  wird  ahnlich  den  spanischen 
Tanzen  mit  wildem  und  pathetischem  Armspiel  getanzt.  Wahrend  die  slawischen  Tanze 


Tanz  und  Tanzmusik  983 


ausgesprochen  Gesellschaftscharakter  zeigen,  hat  der  ungarische  Tanz  zum  Teil  schon  einen 
orientalischen  Einschlag  als  Schautanz.  Dieser  macht  sich  besonders  im  spanischenTanze 
geltend.  Der  Geschlechter  vereinigende  Gesellschaftstanz  ist  dem  Spanier  im  Grunde  etwas 
Fremdes.  Das  orientalische  ,,Vortanzen"  steht  in  Spanien  weitaus  im  Vordergrund,  wenn 
auch  die  modernen  Tanze  in  den  grofien  „  Dancings"  zu  Barcelona  sich  Eingang  zu  schaffen 
wufiten.  Aber  Barcelona  ist  nicht  altes  wirkliches  Spanien,  sondern  amerikamsiertes  Neuland. 
Und  wie  jede  Landschaft  in  Spanien  ihren  eigenen  Charakter,  ihre  eigene  Sprache,  Kunst 
und  Musik  hat,  so  hat  sie  auch  ihre  eigenen  Tanze.  Die  Aragonier  tanzen  die  Jot  a,  ein 
Wechselspiel  von  Gesang  und  Tanz,  das  in  Gruppen  ausgefuhrt  wird.  Die  Muneira  wird 
in  Galicien  zum  Dudelsack  getanzt,  und  die  Sard  an  a  ist  der  katalonische  Volkstanz,  den 
man  haufig  auf  der  Strafie  tanzen  sieht  und  dessen  ,,Rad"  durch  stets  neu  hinzukommende 
Tanzlustige  immer  grofier  wird.  Die  wichtigsten  spanischen  Tanze  aber  sind  die  andalusischen 
Sevillanas,  der  Bolero  und  der  Fandango.  (Gluck  hat  die  Originalmelodie  ernes  solchen 
Fandango  in  seinem  Don-Juan-Ballett  aufgenommen,  die  dann  in  Mozarts  „  Figaro"  allgemein 
bekannt  wurde.)  Abarten  des  Fandango  sind  die  Malaguena  und  Seguedilla.  Von  der 
„  Corrida",  dem  Stierkampf  her,  kommt  der  Passo  doble,  der  wie  der  Tango  zum  Teil 
auf  dem  Umweg  iiber  Siidamerika  den  Eingang  in  die  europaische  Gesellschaft  fand.  In 
Spanien  selbst  tanzt  man  in  der  Gesellschaft  gerne  eineAbart  des  Tango,  den  schottischen 
Tango.  Das  Volk  aber  liebt  weniger  den  erotischen  Zweitanz,  sondern  entweder  den  pri- 
mitiven  Gruppentanz  oder  den  Schautanz,  noch  mehr  aber  eine  Kombination  beider  Arten. 
Oft  sieht  man,  besonders  in  Andalusien,  Tanzgruppen,  die  mit  Kastagnetten,  Handeklatschen 
und  unter  Ole-Rufen  die  tanzerischen  Darbietungen  der  Solotanzer  mit  Zeichen  gewaltiger 
Erregung  verfolgen. 

Der  moderne  Tanz  hat  zuerst  slawische,  ungarische,  spanische  und  spater  in  starkstem 
MaBe  exotische  Elemente  in  Musik  und  Gebarde  herangezogen.  Der  sentimentale  Einschlag 
Jm  Walzer  machte  einerseits  einer  schwiilen  Sinnlichkeit  Platz,  die  vorerst  in  der  Verlang- 
samung  des  Tempos  zum  Boston  und  der  spanischen  Tanze  zum  Tango  fiihrte.  Hierbei 
kamen  nord-  und  sudamerikanische  Einfliisse  immer  mehr  zum  Ausdruck,  insbesondere  in 
Rhythmik  und  Periodik,  wobei  vor  allem  auch  der  Jazz  seinen  starken  Einflufi  auf  die  Welt- 
musik  geltend  machte. 

Literatur 

Johannes  de  Grocheo,  Traktat.  Ed.  J.  Wolf.  (S.  J.  M.  G.  I.)  Urn  1300.  —  Antonius  de  Arena  (Provencalis 
<le  bragardissima  villa  de  Soleriis) :  Ad  compagnones  qi  sunt  de  persona  friantes,  bassas  dansas  et  branlos  practicantes. 
1536.  _  Corso,  R.:  Dialogo  del  ballo.  1557.  —  Negri,  Cesare  Milanese:  Le  grazie  d'amore.  Mailand  (vgl.  1602, 
1604)  1580.  —  Arbeau,  Th.:  Orchesographie.  1588.  —  Caroso,  Nobilta  di  Dame.  1600.  —  M^nestrier,  C: 
Des  ballets  anciens  et  modernes  selon  les  regies  du  theatre.  Paris  1682.  —  Feuillet :  Recueil  de  Centre  dances  pour 
bals.  1702.  —  Taubert:  Voilkommener  Tanzmeister.  Leipzig.  —  Noverre,  J,  G.:  Lettres  sur  la  danse  et  sur  les 
ballets.  Lion  und  Stuttgart.  —  Czerwinski:  Die  Tanze  des  16.  Jahrhunderts  und  die  alte  franzosische  Tanzschule 
vor  Einfiihrung  des  Menuett,  nach  J.  Tabourots  Orchesographie.  Danzig.  —  Derselbe:  Brevier  der  Tanzkunst. 
Die  Tanze  der  Kulturvolker  von  den  altesten  Zeiten  bis  zur  Gegenwart.  Leipzig  1879.  —  Boh  me,  F.:  Geschichte 
des  Tanzes  in  Deutschland.-  Leipzig  1886.  —  Bie:  Der  Tanz,  1906.  —  Nettl:  Die  Wiener  Tanzkomposi- 
tion  in  der  zweiten  Halfte  des  1 7.  Jahrhunderts.  (St.  z.  M.  W.  Bd.  8.)  —  Blume:  Studien  zur  Vorgeschichte 
derOrchestersuite.  — Oberst:  Englische  Orchestersuiten  um  1600.  Wolfenbiittel  1929.  (Mit  umfangreicher  Biblio 
graphic  der  gesamten  Tanzliteratur.)  Paul  Nettl 


WIENER  TANZMUSIK  UND  OPERETTE 

Mit  dem  Ausgang  der  grofien  klassischen  Epoche  tritt  Wien  fur  einige  Zeit  in  der  ernsten 
Musik  von  dem  ersten  Platz  zuriick,  es  beginnt  aber  auf  einem  andern  Musikgebiete,  dem 
der  heitern  Kunst,  sich  zur  Vorherrschaft  emporzuschwingen  und  in  seiner  Tanzmusik  und 
der  Operette  der  Welt  Werte  zu  schenken,  die  auch  diesen  Schaffensgebieten  einen  berech- 
tigten  Platz  neben  den  grofien  Schopfungen  der  ernsten  Kunst  zuweisen.  Vielleicht  liegt  der 
Grund  in  gewissem  Mafie  auch  gerade  darin,  dafi  mit  dem  Heiteren  sich  in  dieser  Musik  in 
den  vollgiiltigen  Werken  ein  gewisser  Ernst,  ein  echter,  tiefer  Gefiihlsausdruck  verbmdet,  der 
hier  nur  eine  bisher  in  dieser  Hinsicht  ungewohnte  Form  findet,  um  sich  kundzutun. 

In  Wien  \var  sowoh!  in  den  Kreisen  der  hohen  Gesellschaft,  wie  im  Volke  ebenso  wie  an  an 
dern  Orten  der  Tanz  seit  Jahrhunderten  heimisch,  Wahrend  die  Musik  der  Gesellschaftstanze 
friiherer  Zeiten  wohl  bekannt  ist,  liegt  iiber  der  volkstiimlichen  Tanzmusik  der  alten  Bierfiedler 
ziemliches  Dunkel.  Erst  als  in  den  ersten  Dezennien  des  19.  Jahrhunderts  die  grofien  Alt- 
meister  der  Wiener  Tanzmusik  sich  aus  dem  Vorstadtwirtshaus  auf  das  Podium  der  grofien 
Ballsale  schwangen,  als  alle  Gesellschaftsschichten  begannen,  dem  Locken  der  Tanzweisen  des 
Wiener  Volkes  zu  folgen,  als  der  aufbliihende  Wiener  Musikalienhandel  und  -verlag  diese  Werke 
vor  dem  Vergehen  und  Vergessen  rettete,  erst  dann  lafit  sich  die  Produktion  auf  diesem  Gebiete 
genauer  verfolgen. 

Schon  die  grofien  Klassiker  und  ihre  Zeitgenossen  verschmahten  es  nicht,  auch  der  heiteren 
Muse  ihren  Tribut  zu  zollen;  nicht  nur  durch  gesellschaftliche  Etikette  sanktionierte 
Tanze,  auch  der  ,, Deutsche  Tanz",  finden  sich  in  den  Verzeichnissen  ihrer  Werke.  Denn 
wenn  er  auch  manchmal,  wie  bei  Beethoven,  mit  dem  Titel  ,,AHemande"  bedacht  wird, 
das  Herauswachsen  aus  der  Volksmusik,  das  Volkstiimliche  in  Musik  und  Choreographic 
lafit  sich  hier  nicht  verleugnen.  Schon  von  Haydn  besitzen  wir  aus  dem  Jahre  1784 
,,Deutsche  Tanze" ;  der  Grofimeister  dieser  Tanzform,  soweit  wir  es  aus  dem  auf  uns  iiber- 
kommenen  Materiale  schliefien  konnen,  wurde  Franz  Schubert,  in  dessen  Tanzschopfungen 
sich  aber  auch  schon  starke  zukunftweisende  Elemente  geltend  machen.  In  seinen 
Werken  hat  der  ,,Deutsche  Tanz"  anscheinend  seinen  Hohepunkt  erreicht,  er  nimmt  schon 
Ubergangstypus  an.  Die  Wurzeln  des  ,,Deutschen",  wie  er  kurz  genannt  wird  (,,Favorit- 
Deutsche",  ,,6  Deutsche"),  sind  nicht  ganz  klar  zu  erkennen.  Zusammenhange  mit  dem  alten 
deutschen  Springtanz  (Hupfauf)  im  Tripeltakt  werden  gewifi  vorhanden  sein,  allein  damit 
wird  nur  eine  weit  zuriickliegende -Wurzel  angedeutet.  Die  verbreitetste  Ansicht  stellt  den 
,. Deutschen  Tanz"  in  engsten  Zusammenhang  mit  dem  ,,LandIer",  dem  in  siiddeutschen 
Landen  weitverbreiteten  bauerlich  volkstiimlichen  Drehtanz.  Die  etymologische  Ableitung 
aus  seiner  engeren  Heimat  (,,Landl"  ist  eine  alte  Bezeichnung  fur  Oberosterreich)  hat  viel 
fur  sich.  Danach  ist  der  ,,Deutsche"  manchmal  dem  Landler  vollig  gleichgeartet,  bald  behalt 
er  das  Choreographische  und  in  musikalischer  Hinsicht  Tempo  und  metrisch-architektonische 
Verhaltnisse  des  Landlers  bei,  wird  aber  Jnhaltlich  neugestaltet.  Sei  dem  wie  immer, 
am  Beginne  des  19.  Jahrhunderts  sieht  man  das  Menuett  immer  mehr  als  Gebrauchstanz 
verschwinden  und  den  ,,Deutschen  Tanz"  unbedingt  in  den  Vordergrund  treten.  Er  bewegt 
sich  in  gemafiigtem  Tripeltakt,  besteht  in  der  Regel  aus  zwei  achttaktigen  Perioden  und  be- 
schrankt  sich  in  seiner  einfachen  Gestalt  durchaus  auf  die  Harmonien  von  Tonika  und  Do- 


Wiener  Tanzmusik  und  Operette  985 


mmante.  Die  Rhythmik  zeigt  keine  besonderen  Scharfen,  der  Ba8  bevorzugt  urspriinghch 
die  rhythmische  Folge  f'  ,  ,  haufig  ist  der  Auftakt  anzutreffen,  die  Melodik  zeigt  insbeson- 
dere  beim  Wiener  Landler  starke  Verwandtschaft  mit  dem  alpenlandischen  Volkslied  und  dem 
Jodler,  die  auf  dem  erst  en  Viertel,  wie  auch  auf  dem  letzten  Viertel  oft  anzutreffenden  Achtel 
sind  nicht  selten  als  Viertel  mit  ihrem  akkordischen  Uberschlag  zu  erkennen.  Schubert  gestaltet 
vielfach  seine  deutschen  Tanze  zu  kleinen  Charakterstiicken  um,  ohne  daC  sie  aber  ihr  Wesen 
als  Tanzmusik  dabei  verloren.  In  harmomscher  Hmsicht  werden  diesem  Volkstanz  neue 
Farben  verliehen.  Auch  die  Vereinigung  mehrerer  deutscher  Tanze  zu  einer  Kette  mit  an- 
gefiigter  Coda  begegnet  in  seinen  Tanzkompositionen  haufig.  Neben  den  ,,Deutschen 
Tanzen"  spielen  die  Ecossaisen  eine  grofie  Rolle,  nach  Bohme  eine  in  Frankreich  ent- 
standene  schnelle  Anglaise.  Musikalisch  ist  siedurch  2/4-Takt  und  zwei  achttaktige  Perioden 
gekennzeichnet. 

Die  Tanzform,  an  die  sich  das  Emporsteigen  Wiens  auf  dem  Gebiete  der  Tanzmusik  kniipft, 
ist  der  Walzer.  Seine  Entstehung  aus  dem  Landler  durch  Verscharfung  der  Rhythmik  und 
Beschleunigung  des  Tempos  ist  ziemlich  sicher.  Auch  zum  ,,Langaus"  bestehen  wohl  be- 
stimmt  Beziehungen,  allein  die  auftretenden  Ubergangs-  und  Mischformen  zeigen  als  Haupt- 
wurzel  den  Landler.  Wie  alle  neuen  Gestaltungen  im  Verlaufe  einer  Entwicklung,  ist  auch  der 
Walzer  allmahlich  entstanden;  besondere  Ereignisse,  wie  z.  B.  hier  der  „ Walzer"  in  V.  Martins 
,,Una  cosa  rara",  der  Oper,  die  1787  in  Wien  den  Preis  iiber  Mozarts  ,,Figaro"  davontrug, 
mogen  der  Entwicklung  besondere  Impulse  verliehen  haben,  mehr  aber  wohl  nicht.  Anfanglich 
zeigt  der  Walzer  groBe  Ahnlichkeit  mit  dem  deutschen  Tanz,  noch  bei  Schubert  wird  man 
vielfach  iiber  die  Qualifikation  im  Zweifel  sein.  In  formaler  Hinsicht  ganz  analog  gebaut  — 
auch  das  Trio  hat  der  Walzer  urspriinghch  mit  dem  deutschen  Tanz  gemein  —  zeigt  auch 
das  melodische  und  rhythmische  Bild  vielfach  keine  Unterschiede;  der  kennzeichnende  Be- 
gleitungsrhythmus  des  Walzers  (Bafinote  auf  dem  ersten  Viertel,  die  beiden  andern  nach- 
schlagend)  begegnet  schon  bei  deutschen  Tanzen  Mozarts  und  Beethovens,  geschweige  denn 
bei  Schubert. 

Die  Weiterbildung  dieser  Tanzform,  die  Ausbildung  der  als  Wiener  Walzer  iiber  die  ganze  Welt 
verbreiteten  Kompositionsform  ist  nun  an  zwei  Namen  gekniipft,  deren  Trager  fernab  standen 
von  der  ernsten  symphonischen  Musik,  die  aus  dem  Wiener  Volke  und  seiner  Musik  zu  weit- 
ragender  Hohe  emporwuchsen :  Lanner  und  StrauC.  Schon  urn  die  Jahrhundertwende  fallt 
es  den  verschiedenen  Fremden,  die  Wien  besuchen,  immer  wieder  auf,  wie  nicht  nur  im  Leben 
der  hohen  Gesellschaft  die  Musik  eine  groCe  Rolle  spielte,  sondern  auch  beim  breiten  Volke. 
,,Aus  alien  Fenstern  schallt  Musik,  in  alien  Hofraumen  Musik,  aus  jedem  Gasthause  Musik*' 
schreibt  ein  Reisender.  In  vielen  Gasthausern  war  ein  kleinerer  oder  groCerer  Ballsaal  vor- 
handen,  und  wenn  man  den  Berichten  aus  dieser  Alt- Wiener  Zeit  Glauben  schenken  darf,  war 
trotz  der  grofien  Zahl  derartiger  Lokale  dennoch  fast  zu  wenig  Raum  vorhanden,  um  dem  Tanz- 
bediirfnis  der  Wiener  Bevolkerung  zu  geniigen.  Eine  der  beriihmtesten  Musikkapellen  des  alten 
Wien  war  nun  die  des  Michael  Pamer  (1782—1827).  Mit  der  Stellung  als  Dirigent  einer  der- 
artigen  Kapelle  war  damals  fast  notwendig  auch  eigene  kompositorische  Tatigkeit  auf  dem 
Gebiete  der  Tanzmusik  verbunden;  war  es  doch  eine  Ehrensache,  stets  mJt  neuen  Musik- 
stiicken  aufzuwarten.  Aus  der  Kapelle  Pamers,  des  heute  vergessenen  fruchtbaren  Tanzkom- 
ponisten,  ging  nun  Joseph  Lanner  (1 801 — 1843),  der  Sohn  eines  Wiener  Handschuhmachers, 


Wiener  Tanzmusik  und  Operette 


hervor.  Zur  musikalischen  Begabung  mufite  gerade  far  das  Schaffensgebiet  der  Tanzkom- 
position  notwendig  die  lebendige  Praxis  hinzukommen.  Nur  wer  selbst  im  Orchester  gesessen 
hatte,  dem  Herzen,  von  dem  der  Pulsschlag  des  Lebens  imTanzsaaleausging,konntegleichsam 
das  innere  Wesen  dieser  Musik  erfassen,  aus  ihm  heraus  schreiben.  Ungefahr  mit  17  Jahren 
trat  der  junge  Lanner  aus  der  Kapelle  Pamers  aus  und  griindete  mit  den  beiden  Briidern 
Drahanek  das  aus  2  Geigen  und  Gitarre  bestehende  Terzett,  das  vorerst  in  Johann  Jiinglings 
Kaffeehause  nachst  der  Schlagbriicke,  bald  auch  beim  ,,Griinen  Jager"  aufspielte.  Die  erste 
VergroBerung  erfuhr  diese  Kapelle,  als  ein  Violaspieler  von  Pamer  zu  Lanner  uberging,  dessen 
Name  durch  das  ganze  Jahrhundert  hin  in  immer  hellerem  Glanze  erstrahlen  sollte:  Johann 
Straufi  d.  A.  (1804—1849).  Entstammte  Lanner  einer  Altwiener  Handwerkerfamilie,  so  war 
das  Vaterhaus  StrauB'  die  Bierschenke  ,,Zum  guten  Hirten"  in  der  Leopoldstadt.  In  der 
Musik  der  Bierfiedler,  die  auch  hier  aufspielten,  mogen  wohl  die  ersten  musikalischen  Ein- 
driicke  zu  erblicken  sein,  die  das  Kind  empfing.  Bis  zum  Jahre  1825  blieben  StrauB  und 
Lanner  vereint;  im  Wirtshaus  ,,Zum  wallischen  Bauer"  begegnet  die  Kapelle,  dann  —  durch 
einen  Cellisten  zum  Quintett  erweitert  — im  Cafe  Rebhuhn  in  der  Goldschmiedgasse  nachst 
dem  Stephansplatz,  im  Jahre  1824  wird  die  Solobesetzung  aufgegeben  und  im  ersten  Kaffee 
hause  im  Prater  dirigiert  nunmehr  Lanner  sein  Streichorchester.  Die  Beliebtheit  Lanners 
wuchs  derart,  dafi  er  sich  gezwungen  sah,  seine  Kapelle  zu  teilen,  um  den  verschiedenen  Auf- 
tragen  nachzukommen,  und  damit  wurde  Johann  StrauB  der  zweite  Dirigent.  Sein  erstes  Auf- 
treten  als  solcher  erfolgte  beim  ,,Grunen  Baum".  Ein  Jahr  spater  trennten  sich  die  beiden 
Freunde,  und  die  Wiener  hatten  nun  die  schwere  Wahl,  dem  lockenden  Bogen  Lanners  oder 
der  herrisch  zum  Tanze  rufenden  Geige  Straufi'  zu  folgen.  Die  Folge  zeigte,  dafi  die  beiden 
Meister  einander  keinen  Abbruch  taten,  und  nach  wenigen  Jahren  wich  die  Verstimmung 
zwischen  ihnen  und  machte  mehr  einem  freundlichen  Wetteifern  Platz.  Lanner  wurde  Ende 
1828  Musikdirektor  der  k.  k.  Redoutensale.  Konzertreisen  nach  Graz,  Prefiburg,  Briinn  zeugen 
far  den  Ruf,  den  Lanners  Kapelle  genofi;  anlaBlich  der  Kronung  Kaiser  Ferdinands  nach 
Mailand  berufen,  fand  er  auch  doit  begeisterte  Aufnahme.  In  Wien  selbst  gab  es  wohl  kein 
bedeutenderes  Lokal,  das  nicht  Lanners  Konzertieren  mit  Stolz  auf  seine  Ankiindigungen 
setzte.  Eine  grofie  Festlichkeit  war  ohne  ihn  kaum  denkbar,  es  ware  denn  Johann  StrauB  an 
seiner  Stelle. 

Zum  ersten  Male  trat  dieser  mit  seinem  ,,Tauberl~WaIzer"  im  Jahre  1 826  im  Gasthause  ,,Zu  den 
zweiTauben"  auf  dem  Landstrafier  Glacis  als  Komponistvor  die  Off  entlichkeit.  Ober  das  Lokal 
,,Zur  Kettenbriicke"  fand  er  im  Jahre  1830  den  Weg  in  eine  der  groBten  und  beriihmtesten 
Vergniigungsstatten  Wiens:  ,,Zum  Sperl".  Weit  mehr  als  Lanner  zog  Straufi  mit  seiner  Ka 
pelle  in  die  Welt  hinaus;  Konzertreisen  nach  Pest,  nach  Deutschland,  Frankreich,  England 
verbreiteten  den  Ruhm  der  Wiener  Tanzmusik  iiber  den  ganzen  Kontinent.  Am  Wiener  Hofe 
bekleidete  er  die  Stelle  eines  k.  k.  Hofballmusikdirektors. 

Ein  Uberblick  iiber  die  Kompositionen  von  StrauB  und  Lanner  laBt  die  Entwicklung  der 
Wiener  Tanzmusik  ungefahr  von  1820—1850  ziemlich  deutlich  erkennen.  Das  spatere  Hervor- 
treten  StrauB'  als  Komponisten  kommt  schon  in  den  Titeln  der  Kompositionen  zum  Ausdruck. 
Erst  op.  7  von  Lanner  tragt  den  Titel  Walzer:  ,,Aiifforderung  zum  Tanz.  Walzer  mit  Trio 
und  Coda."  StrauB  gibt  schon  seinem  op.  1,  das  nach  Lanners  op.  25  entstanden  ist,  diese  Be- 
zeichnung.  Die  ersten  Kompositionen  Lanners  sind  als  ,,Deutsche"  (op.  5 :  Kronungs-Deutsche) 


Wiener  Tanzmusik  und  Operetta  987 


oder  als  ,,Landler"   (op.   1  :  Wiener  Landler)  bezeichnet.    Ein  stilistischer  Unterschied  ist 
zwischen  diesen  einzelnen  Werken  kaum  festzustellen.    Auch  die  ersten  Walzer  halten  sich 
noch  ganz  im  gleichen  Rahmen.  Das  Aneinanderreihen  einer  Anzahl  von  Tanzen  im  3/4-Takt, 
die  aus  zwei  wiederholten  8-,  dann  auch  16taktigen  Perioden  bestehen,  ist  die  Regel.    Beim 
Landler  ist  vielleicht  ein  noch  starker  ausgepragtes  Hinneigen  zum  alpenlandischen  Jodler  fest- 
zustellen ;  auch  die  Rhythmik  ist  im  allgemeinen  beim  ,,Deutschen"  scharfer.  Im  Walzer  findet 
sich  bald  eine  allerdings  nicht  hauf ige  Erweiterung  durch  Einschub  eines  Staktigen  Mittelteils. 
Das  Hinzufiigen  eines  Trios  —  das  vielleicht  ftir  den  Zusammenhang  des  ,,Deutschen"  mit 
dem  Menuett  spricht  —  ist  beim  Walzer  nicht  die  Regel,  findet  sich  aber  auch  noch  in  spateren 
Werken  Lanners,  wie  seinem  ,,Walzer-Bouquet"  op.  95  (1835).    Fur  den  Mangel  an  einer 
scharfen  Trennung  der  einzelnen  Bezeichnungen  mag  auch  als  Beleg  dienen,  daB  Lanners 
opus  31,  die  ,,Zauberhorn-Landler",  u.  a.  einen  ,,Landler  furTanzlustige",  einen  „  Walzer  fur 
Liebende",  einen  ,,Trink- Walzer",  einen  ,,Erinnerungen  an  Oberosterreich"  betitelten  Landler 
enthalten.    Die  Vereinigung  mehrerer  Tanze  (sei  es  nun  ,,Deutsche",  Landler  oder  Walzer) 
zu  einem  geschlossenen  Werke  durch  Voranstellung  einer  Introduktion  und  Anfiigung  einer 
Coda,  die  iiber  den  Umfang  der  einzelnen  Tanze  hinausgeht,  findet  sich  friihzeitig.  Schon  bei 
Beethovens  ,,Landlerischen  Tanzen",  die  1803  erschienen,  tritt  sie  auf.  Wahrend  aber  die  Coda 
urspriinglich  thematisch  neues  Material  brachte,  greift  sie  im  Laufe  der  Zeit  immer  mehr  auf 
die  vorangegangenen  Walzer  zuriick  und  wird  schliefilich  ganz  aus  Teilen  von  ihnen  zusammen- 
gesetzt.  Allmahlich  entwickeln  sich  die  Introduktionen  zu  kleinen  charakteristischen  Ton- 
gemalden,  die  mitunter  auch  programmatischen   oder  zumindest  tonmalerischen  Charakter 
annehmen.    Wahrend  namlich  noch  im  ersten  Jahrzehnt  des   19.  Jahrhunderts  die  Tanze 
in  beliebiger  Anzahl  aneinandergereiht  wurden,  findet  nunmehr  eine  Beschrankung  start,  die 
schliefilich  zur  regelmaBigen  Vereinigung  von  5  oder  6  Walzern  fiihrt,  die  durch  Einleitung  und 
groBe  Coda  zusammengefafit  werden.  Die  Titel  der  Walzer  bieten  eine  ganz  trcffliche  Illustra 
tion  der  Wiener  Ereignisse  wahrend  der  damaligen  Zeit.   Vielfach  bezeichnen  sie  nur  den 
besonderen  Charakter  des  Tanzfestes,  far  das  sie  geschrieben  wurden,  z.  B.  von  Lanner  die 
Juristenball-Tanze",   ,,Askulap~ Walzer"  (fur  einen  Medizinerball),   MHofbaH-Tanze",  bald 
weisen  sie  auf  das  Lokal  des  Ballfestes  hin,  wie  z.  B.  Johann  StrauB'  ,,Tauberl-Walzer  op.  1" 
(siehe  oben),  die  ,,Kettenbriicke- Walzer",  ,,Hietzinger  Reunion-Walzer"  (in  Hietzing  befand 
sich  das  beriihmte  Dommayersche  Kasino),  ,,Sperls  Fest-Walzer",  die  ,,Volksgarten-Quadrille", 
,,Odeon-Tanze" ;  historische  Ereignisse  ziehen  voriiber,  wenn  Lanner  einen  seiner  Galoppe 
,,Die  Ersturmung  von  Constantine"  betitelt,  oder  StrauB  seinen  bei  der  Kronung  Victorias 
von  England  zum  erstenmal  aufgefahrten  Tanzen  die  Oberschrift:  ,,Huldigung  der  K(5nigin 
Victoria  v.  Grofibritannien"  gibt.  Musikalische  Erfolge  auf  dem  Gebiete  des  Theaters  spiegeln 
sich  wider,  wenn  in  zahlreichen  Werken  Motive  aus  beliebten  Opern  verwendet  werden 
(,,Bekannte  Tone  der  Unbekannten",  Cotillons  nach  Bellinis  ,,La  Straniera ',  ,,Marsch  und 
Galoppe"  nach  Bellinis  ,,Norma",  ,,Zampa- Walzer",  ,,Montechi^Galopp",  ,,Robert-Tanze" 
[nach  Meyerbeers  ,,Robert  der  Teufel"]).    Der  ,,Furioso-Galopp  nach  Liszts  Motiven"  er- 
innert  an  dessen  Konzerte  in  Wien,  die  gefeierte  Tanzerin  Marie  Taglioni  begegnet  in  Straufi' 
,,Tagliom-Walzer".   Dafi  mit  der  fortschreitenden  Entwicklung  der  Walzer  sich  von  der  ur- 
spriinglichen  Beschrankung  auf  16Takte  freimachte,  erscheint  selbstverstandlich.    Die  Ein- 
leitungen  nahern  sich  vielfach  dem  Opernstile  und  wlrken  daher  auch  durch  Gegensatzlichkeit 

63    H.d.  M. 


<Jgg  Wiener  Tanzmusik  und  Operette 


trefflich  als  Vorbereitung.  Unter  den  beriihmtesten  Walzern  Lanners  waren  zu  erwahnen: 
die  ,,Pesther-Walzer"  op.  90,  die  MHofball-Tanze 4  op.  161,  ,,Die  Rornantiker"  op.  167, 
,,Die  Vorstadtler"  op.  195,  ,,DJe  Schonbrunner"  op.  200.  Der  Vergleich  der  Walzer  von 
Lanner  und  StrauB  d.  A.zeigtinnerhalbderGemeinsamkeitendergleichenEntstehungszeit  die 
verschiedenartige  Individuality der  beiden  Kiinstler.  Die  Weichheit  der  Empf indung,  die  Lanners 
Walzer  auszeichnet  und  immer  noch  einen  Zusammenhang  mit  den  einstigen  deutschen 
Tanzen  und  dem  Landler  erkennen  lafit,  ist  in  den  Werken  von  Joh.  StrauB  d.  A.  nicht  so  stark 
ausgepragt.  In  seinen  Walzern  ist  er  weit  mehr  zukunftweisend.  In  gewissem  Smne  konnte 
man  ihn  als  den  Rhythmiker,  Lanner  als  den  Melodiker  bezeichnen.  Der  uber  groBere  me- 
trische  Glieder  reichende  Schwung  des  Walzers  der  spateren  Zeit  lafit  sich  auf  StrauB  d.  A. 
zuriickfiihren.  Zu  seinen  bekanntesten  Walzern  gehoren  die  ,,Ti voli -Rut sch- Walzer  '  op.  39, 
die  ,,Hofball-Tanze"  op.  51,  ,,Die  Berggeister"  op.  113,  ,,Die  Adepten"  op.  216,  ,,Aeaciden" 
op.  222  u.  a.  m. 

Neben  dem  Walzer  nehmen  aber  auch  andere  Tanze  in  dem  Schaffen  dieser  Kiiiistler  einen 
breiten  Raum  ein.  Schon  die  Klassikerzeit  weist  neben  dem  3/4-Takt-Tanze  die  ,,Ecossaise" 
im  2;VTakt  auf.  Bei  Lanner  und  StrauB  tritt  der  Galopp  stark  in  den  Vordergrund,  ein  sehr 
rascher  Rundtanz.  Nicht  nur  als  selbstandiger  Tanz  findet  er  sich,  sondern  auch  vor  dem 
Finale  des  Walzers  (\vie  die  Coda  spater  genannt  wurde)  eingeschoben.  Der  Polka  kommt  erst 
urn  1840  in  Wien  auf  und  erfreut  sich  lange  Zeit  groBer  Beliebtheit.  Ziemlichen  Umfang  im 
Schaffen  Lanners  und  StrauB*  nehmen  noch  die  ,,Cotillons"  ein,  for  die  mit  Vorliebe  Motive 
aus  Opern  usw.  venvendet  werden,  eine  Aneinanderreihung  von  Tanzen,  hauptsachlich  im 
3/4-Takt,  die  sich  kompositionstechnisch  von  den  bereits  erwahnten  Tanzformen  kaum  unter- 
scheiden.  Auch  die  Quadrille  verdankt  ihre  Verbreitung  in  Wien  wohl  in  erster  Linie  dem 
Wirken  Lanners  und  StrauB';  wenn  von  Lanner  auch  schon  aus  dem  Anfange  der  30 er  Jahre 
die  ,,Quadrille  fran^aise"  op.  68,  vorliegt,  bringt  doch  erst  das  Ende  dieses  Dezenniums  die 
grofie  Verbreitung  dieses  Tanzes.  AuBerhalb  des  Gebietes  der  Tanzkomposition  liegen  die 
Potpourris  Lanners  und  StrauB'.  Den  kiinstlerischen  Hohepunkt  ihres  Gesamtschaffens  be- 
deuten  aber  zweifellos  ihre  Walzer.  Neben  diesen  beiden  Kiinstlern  wirkten  auf  dem  gleichen 
Gebiete  eine  ganze  Reihe  von  Komponisten,  deren  Namen  heute  vergessen  sind  oder  keinen 
Klang  mehr  besitzen.  So  Z.B.Joseph  Gung'l  (181 0—1889),  der  seine  Wirksamkeit  zwischen 
Deutschland  und  Osterreich  teilte,  auch  in  Amerika  konzertierte,  insbesondere  aber  Philipp 
Fahrbach  (1815—1884)  sen.,  dem  auch  in  seinem  gleichnamigen  Sohn  (1840—1894)  ein 
Nachfolger  erstand. 

Der  15.  Oktober  1844  bedeutet  in  der  Geschichte  der  Wiener  Tanzmusik  ein  wichtiges  Er- 
eignis.  Wenige  Monate  nach  Joseph  Lanners  Tod  war  dessen  neunjahriger  Sohn  zum  ersten- 
mal  als  Dirigent  aufgetreten  und  hatte  des  Vaters  ,,Schonbrunner"  dirigiert.  August  Lanner 
(1 834 — 1 855)  trat  in  die  Fufistapfen  seines  Vaters.  Nach  einigen  Jahren  eif rigen  Lernens  trat  er 
dann  auch  an  die  Spitze  einer  standigen  Kapelle.  Allein  er  hatte  das  Erbe  seines  Vaters  nicht 
lange  zu  verwalten.  Wenn  auch  seine  Kompositionen  durchaus  nicht  Alltagsware  sind,  seine 
Lebenszeit  war  zu  kurz,  als  daB  er  sich  auch  als  der  geistige  Fortsetzer  des  Vaters  hatte  aus- 
wirken  konnen.  Anders  bei  Straufi.  Wider  des  Vaters  Willen  hatte  der  alteste  Sohn  sich  ganz 
der  Musik  zugewandt  und  an  dem  erwahnten  Tage  trat  er  das  erstemal  vor  die  Offentlichkeit ; 
dies  war  der  Tag,  an  dem  dem  Walzerfursten  Altwiens  das  Zepter  von  dem  eigenen  Sohne  ent- 


Wiener  Tanzmusik  und  Operette  CjgO, 


wunden  wurde.  Neben  Joh.  Straufi  d.  A.  trat  Joh.  Straufi  d.  J.  (1825—1899).  Gleichdiebei 
diesem  Debut  gebrachten  Kompositionen  des  19jahrigen  Jiinglings  (darunter  ,,Die  Gunstwer- 
ber"  op.  4)  sicherten  diesem  durch  die  stiirmisch-begeisterte  Aufnahme,  die  sie  fanden,  einen 
ersten  Platz  unter  den  Kiinstlern  auf  dem  Gebiete  der  Wiener  Tanzmusik.  Die  nachsten  Jahre 
brachten  die  Versohnung  zwischen  Vater  und  Sohn,  die  nunmehr  nebeneinander  wirkten.  Ein 
Miteinander  verhinderten  wohl  die  Familienverhaltnisse.  Wie  seinerzeit  Joseph  Lanner,  hatte 
sich  auch  Johann  Straufi  d.  A.  von  seiner  Frau  getiennt,  und  der  Sohn  war  bei  der  Mutter  aufge- 
wachsen.  Trefflich  kennzeichnet  sich  die  Scheidunt;  zwischen  Alt-  und  Neu-Wien  in  zwei  Kom 
positionen  aus  dem  Jahre  1848:  dem  Radetzkymarsth  von  Joh.  Straufi  d.  A.  und  dem  Revolu- 
tionsmarsch  von  Straufi  Sohn.  Der  Jiingere  gehorte  auch  innerlich  einer  neuen  Generation  an. 
Im  Walzer  geht  Johann  Straufi  d.  J.  deutlich  von  den  Meisterwerken  des  Vaters  aus.  Aufierlich 
hat  er  sein  Wirken  selbst  mit  den  Worten  gekennzeichnet,  die  er  anlafilich  seines  SOjahrigen 
Kiinstlerjubilaums  sprach :  ,,Meine  Verdienste  sind  schwache  Versuche,  die  Form  zu  erweitern, 
die  ich  von  meinem  Vater  erhalten  habe."  In  der  Tat,  das  aufierlich  Unterscheidende  zwischen 
seinen  und  des  Vaters  Werken  zeigt  sich  vor  allem  in  der  formalen  Erweiterung.  Ihre  Grundlage 
bildet  aber  die  neue  Melodik,  die  ihre  Bogen  weit  iiber  die  Acht-  oder  Sechzehntaktigkeit  der 
friiheren  Zeit  hinausspannt,  in  den  dadurch  gegebenen  grofieren,  in  metrische  Beziehung  ge 
brachten  Gebilden  auch  Raum  fiir  harmonische  Weitungen,  im  Grunde  genommen  Erweite- 
rungen  der  Kadenz  bietet  und  dadurch  den  Walzer  die  letzten  Reste  des  verhaltnismafiig 
primitiven  Landlers  und  ,,Deutschen"  abstreifen  lafit.  Die  melodische  Kunst  und  Kraft 
Johann  Straufi'  kommt  aber  auch  in  den  Beziehungen  zum  Ausdruck,  die  den  einzelnen 
Gliedern  der  grofien  Gesamtlinien  zukommen.  Wie  die  Vord ersatz-  und  Nachsatzbeziehungen 
auch  in  komplementaren  Wendungen  der  Melodic  sich  widerspiegeln,  wie  die  Weitung 
des  melodischen  Bogens  in  diastematischer  Hinsicht  zur  Steigerung,  harmonisches  und  durch 
metrische  Dehnungen  bewirktes  Ritardieren  zur  Erhohung  der  Spannung  benutzt  wird,  zeigt  die 
Meisterschaft  Straufi'  in  hellem  Lichte.  Gewifi  tragt  er  in  die  Tanzmusik  mehr  Kunst  hinein, 
er  entfernt  sich  in  gewissem  Sinne  von  der  volkstiimlichen  Urform,  allein  der  Zusammenhang 
mit  der  Volksmusik  Wiens  bleibt  stets  gewahrt.  Die  Wienerische  Note,  die  sich  vom  Beginne 
des  19.  Jahrhunderts  an  in  der  Wiener  Tanzmusik  deutlich  bemerkbar  macht,  kommt  auch 
den  Werken  des  Walzerkonigs  in  starkstem  Mafie  zu.  Seine  ungarischen,  spanischen,  russischen 
Kompositionen  sind  ebenso  wie  seine  Polkas  und  Polkamazuren  durchaus  wienerische  Musik. 
Allein  was  den  inneren  Unterschied  zwischen  den  Werken  von  Straufi  Vater  und  Straufi 
Sohn  ausmacht,  ist  die  Anderung  des  Inhalts  der  Werlce.  Das  Jahr  1848  hatte  den  Wiener 
aus  der  Biedermeierseligkeit  erwachen  lassen;  die  neue  Zeit  der  neugewonnenen  Freiheit 
macht  sich  auch  in  der  Wiener  Musik  geltend,  das  lange  zuriickgehaltene  innere  Feuer 
fand  nach  der  Explosion  der  Marz-  und  Oktobertage  freie,  gereinigte  Luft  und  bildete  in 
seinen  Aufierungen  ein  Gegengewicht  gegen  die  manchmal  allzu  weiche,  sentimentale  Stimmung 
der  friiheren  Zeit.  Wie  die  Symphonic  und  das  Streichquartett  von  der  Serienkomposition 
zum  Einzelwerk  fortgeschritten  war,  so  brachte  Joh.  Straufi  d.  J.  diesen  Prozefi  auf  dem 
Gebiete  der  Tanzmusik,  insbesondere  der  Walzerkomposition  in  geradlinigem  Fortschreiten 
auf  dem  von  Lanner  und  Straufi  d.  A.  beschrittenen  Wege  zur  Vollendung.  Gewifi  kann  nicht 
jedem  einzelnen  seiner  477  Werke  der  gleiche  Wert  zugesprochen  werden,  allein  jedes  Jst 
gewissermafien  —  um  Haydns  Ausspruch  beziiglich  seiner  Symphonien  zu  gebrauchen  —  ein 
63* 


C)O,g  Wiener  Tanzmusik  und  Operette 


eigener  Charakter.  Stets  sind  es  neue  Gedanken,  die  trotz  verwandter  Form  in  mannigfachster 
Abwechslung  dem  verschiedenartigen  Inhalt  Ausdruck  geben,  der  sich  schliefilich  in  dem 
Begriff  ,,Wien"  zusammenfassen  lafit.  Straufi  ging  mit  seiner  Zeit;  auch  in  seinen  Walzern 
macht  sich  der  Einflufi  des  grofien  Stilwandels  geltend,  den  die  Hochromantik  bedeutete.  So 
manche  seiner  Introduktionen,  die  er  —  wie  G.  Adler  hervorhebt  —  durch  verschleierte  Ein- 
fiihrung  des  Hauptthemas  in  engste  Beziehung  zum  folgenden  zu  bringen  weifi,  weisen  ziemlich 
deutlich  nach  Weimar  und  Bayreuth.  Aber  er  fiihlte  genau,  wie  weit  er  gehen  durfte,  urn  nicht 
den  Boden  der  Tanzmusik  zu  verlassen;  in  seinen  Walzern,  Quadrillen,  Polkas  usw.  bleibt  er 
stets  der  Tanzkomponist,  dessen  Weisen  ebenso  im  Wirtshaus  der  Vorstadt,  wie  auch  im 
Ballsaal  der  Hofburg  —  seit  1863  war  Straufi  Hofballmusikdirektor  —  den  Willigen  in'Be- 
geisterung  versetzten,  den  Widerstrebenden  gefangen  nahmen  und  mit  sich  zogen.  Weit  iiber 
Wien  und  Osterreich  hinaus  herrschte  Johann  Straufi  auf  dem  Gebiete  der  Tanzmusik.  Seine 
Meisterschopfungen  wie  ,,Kunstlerleben",  ,,Wein,  Weib  und  Gesang",  ,,Friihlingsstimmen", 
,,G'schichten  aus  dem  Wiener  Wald"  und  sein  vielleicht  popularstes  Tanzwerk:  ,,An  der 
schonen  blauen  Donau"  erweckten  nicht  nur  in  ihrer  Heimat  Beifallsstiirme,  in  Straufi  und 
seinen  Werken  eroberte  sich  die  Wiener  oder  besser  die  Wienerische  Musik  die  Welt.  London, 
Paris,  St.  Petersburg,  die  grofien  Stadte  Amerikas  beugten  sich  dem  Szepter  Straufi'. 

Straufi  war,  wie  G.  Adler  betont,  seinem  innersten  Wesen  nach  durchaus  Instrumental- 
komponist.  Auch  seine  Vokalwalzer  sind  nicht  aus  dem  Texte  heraus  erfunden;  dieser  mufi 
sich  vielmehr  dem  absolut  musikalischen  Geschehen  unterordnen.  Allein  derRuhm  desTanz- 
komponisten  stachelte  den  Ehrgeiz  des  Tonkiinstlers  an,  auch  auf  dem  Theater  zu  siegen; 
Straufi  wandte  sich  der  Operette  zu  und  strebte  zur  komischen  Oper. 

Die  Wiener  Operette  liegt  dem  ruckschauenden  Blicke  als  eine  dieser  Stadt  ganz  eigene 
Kompositionsform  vor,  die  sich  wesentlich  von  den  Operetten  norddeutscher  oder  f  ranzosischer 
Art  scheidet.  Eine  ganze  Reihe  von  Eigentumlichkeiten  erweisen  sich  auch  als  Abkommlinge 
der  im  Singspiel  und  der  Posse  des  Wiener  Vormarz  auftretenden  Musik.  Allein  der  un- 
mittelbare  Anlafi  zum  Aufbliihen  der  eigentlichen  Operette  in  Wien  kam  von  auswarts.  Am 
16.  Oktober  1858  kundigte  der  Theaterzettel  des  von  Johann  Nestroy,  dem  Wiener  Aristo 
phanes,  geleiteten  Carltheaters  die  Auffiihrung  der  ,,Hochzeit  beim  Laternenschein"  mit  Musik 
von  Offenbach  an.  Wie  dieser  eigentliche  Schopfer  der  modernen  Operette  in  Wien  damals 
nur  dem  Horensagen  nach  bekannt  war,  zeigt  eine  Kritik  in  Bauerles  Theaterzeitung  mit  den 
Worten :  ,,Die  Musik  ist  von  Offenbach  —  wohl  der  bekannte  Pariser  Komponist  — ".  In  Paris 
waren  allerdings  die  ..Bouffes",  Offenbachs  Theater,  schon  zu  einem  Treffpunkt  aller  Ge- 
sellschaftsschichten  geworden,  die  sicher  waren,  in  ihrem  Unterhaltungsbediirfnis  dort  auf 
ihre  Rechnung  zu  kommen.  Anfangs,  in  seinen  Einaktern,  angefangen  vom  ersten  grofien 
Erfolg,  den  ,,Beiden  Blinden",  bot  Offenbach  inhaltlich  irgendeine  heitere  Episode  aus  dem 
Alltag,  deren  halb  lustig,  halb  sentimentale  Darstellung  zu  einem  witzigen  Abschlufi  fiihrt. 
Diese,  grofitenteils  fur  kleine  Biihnenverhaltnisse  berechneten  Miniaturen  —  urspriinglich 
durfte  Offenbach  nur  drei  singende  Personen  auftreten  lassen  —  wurden  dann,  ohne  aber  ganz 
aufgegeben  zu  werden,  von  den  Parodien  und  Satiren  abgelost,  denen  seine  Hauptwerke  zu- 
zurechnen  sind.  Die  Zeit  des  Niedergangs,  in  die  Offenbachs  Wirken  fallt,  ermoglichte 
diese  ganze  Stilgattung.  Und  Mythos,  Legende,  mittelalterliche  Romantik  treten  ebenso  im 
Zerrspiegel  der  Karikatur  vor  den  Zuschauer,  wie  Aktualitaten  der  Gegenwart.  In  diesen 


Wiener  Tanzmusik  und  Operette  991 


Werken  liegt  die  entwicklungsgeschichtliche  Bedeutung  ihres  Schopfers.  Nicht  den  Stoffen 
allein  verdankten  sie  aber  ihre  Anziehungskraft,  sondern  Offenbach  besaB  auch  die  Gabe, 
sie  mit  einer  ihrem  Inhalt  und  ihrem  Zweck  vollig  entsprechenden  Musik  zu  umkleiden. 
Die  Unterhaltung  der  Zuhorer  stand  im  Vordergrund,  und  daher  mufite  die  Musik  auch  ohne 
irgendwelche  Probleme  aufzugeben  den  Zuhorer  fesseln,  ihm  keine  Zeit  lassen,  irgendwie 
tieferen  Gedanken  nachzugehen.  Das  hauptsachlichste  Mittel,  mit  dem  Offenbach  auf  das 
Publikum  musikalisch  wirkte,  war  daher  eine  straffe  Charakteristik  im  Einzelnen,  leichtbe- 
schwingte  Melodik  und  insbesondere  eine  unwiderstehlich  fortreifiende  Rhythmik.  Er  iiberlud 
auch  seine  Stiicke  nicht  mit  Musik;  in  seinen  Einaktern  finden  sich  Werke  mit  nur  fiinf  Musik- 
nummern.  Im  grofien  und  ganzen  herrscht  das  System  der  ,,EinIagen".  Nicht  aus  der  Hand- 
lung  heraus  erwachst  die  Musik  der  Operette,  sondern  aus  irgendeiner  oft  ganz  unnotwendigen 
Wendung  des  Textes,  aus  dem  Stichwort,  wie  R.  Specht  treffend  hervorgehoben  hat.  Die  Musik 
unterbricht  die  Handlung.  Auch  der  Schlager  findet  sich  schon  bei  Offenbach.  1st  ja  ,JFor- 
tunios  Lied4*  nur  als  Folie  fur  das  mehrere  Jahre  friiher  als  Einlage  fur  ein  anderes  Stuck  ge- 
schriebene  Lied  entstanden.  Die  Entwicklung,  die  Offenbach  am  Schlusse  seines  Lebens,  in 
,,Hoffmanns  ErzahlungerT  nimmt,  gehort  der  Operngeschichte  an. 

In  Wien  drang  die  Operette  Offenbachs  gleichsam  durch  ein  Hintertiirchen  ein.  Nestroy 
liefi  namlich  die  Musik,  ohne  urn  irgendwelche  Erlaubnis  zu  fragen,  nach  dem  Klavierauszug 
von  seinem  Hauskapellmeister  Carl  Binder  instrumentieren,  und  auf  diese  Art  wurden  die 
Wiener  mit  einer  ganzen  Reihe  von  kleineren  Werken  des  geistreichen  Pariser  Komponisten 
bekannt.  Neben  diese  franzosische  Produktion  trat  nun  bald  einheimische,  und  zwar  ist  es 
Franz  von  Suppe  (1819—1895),  der  als  erster  mit  bedeutenderen  Werken  dieser  Stilgattung 
auf  den  Plan  trat.  Als  Kapellmeister  des  Theaters  an  der  Wien  stand  er  mitten  im  praktischen 
Musikbetriebe  der  Vorstadttheater.  Wodurch  sich  seine  Operetten  schon  in  der  ganzen  Haltung 
von  denen  Offenbachs  unterscheiden,  was  auch  lange  Zeit  hindurch  far  die  Wiener  Operette 
kennzeichnend  blieb,  ist  das  Zuriicktreten  des  Zynischen,  Lasziven,  wovon  die  Werke  des 
Parisers  oft  nicht  freizusprechen  sind.  Es  entsprach  dies  vollig  der  Eigenart  des  Wieners, 
der  auf  mehr  oder  weniger  harmlose  Unterhaltung  eingestellt  war.  An  die  Stelle  der  beifienden 
Satire  trat  eine  komische,  manchmal  das  Possenhafte  streifende  Handlung,  in  der  gleichwohl 
Anspielungen  auf  aktuelle  Zustande  nicht  fehlten;  der  Grundton  ist  aber  weit  mehr  der  einer 
gutmiitigen  Heiterkeit,  die  auch  im  ausgelassenen  Obermut  Grenzen  wahrt.  Ein  \veiterer 
kennzeichnender  Zug  der  Wiener  Operette  liegt  in  der  Gefiihlsseligkeit,  die  uber  gewisse 
lyrische  Partien  ausgebreitet  Jst,  und  auch  wieder  die  Gefahr  der  Sentimentalitat  in  sich  birgt, 
der  nicht  alle  Komponisten  auszuweichen  vermochten.  Man  vergleiche  nur  die  Gestaltung 
der  mythologischen  Figuren  bei  Offenbach  und  in  Suppes  ,,Schoner  Galathee".  Musikalisch 
macht  sich  das  Offenbachsche  Vorbild  bei  Suppe  ziemlich  deutlich  bemerkbar.  Allerdmgs  der 
feine  Geist,  der  trotz  aller  Krafiheit  bei  dem  franzosischen  Komponisten  durchleuchtet,  fehlt 
in  diesen  Wiener  Werken,  die  aber  durch  die  begreifliche  starkere  Anlehnung  an  die  Wiener 
Singspieltradition  der  Stilgattung  der  Operette  wieder  andere  Elemente  von  bleibendem  Werte 
einfiigten.  Der  erste  grofie  Erfolg  Suppes,  dessen  erste  Operette  ,,Das  Pensionat"  schon  1860 
uber  die  Bretter  gegangen  war,  war  die  1876  zum  erstenmal  gespielte  ..Fatinitza ' ;  er  wurde 
von  dem  des  ,,Boccaccio"  (1879)  fast  noch  iibertroffen.  Wenn  auch  Suppe  kein  gebiirtiger 
Wiener  war,  hatte  er  sich  doch  in  den  Geist  dieser  Stadt  so  eingelebt,  dafi  er  durchaus  wiene- 


992  Wiener  Tanzmusik  und  Operette 


rische  Musik  schrieb,  der  lediglich  hin  und  wieder  ein  fremdlandischer,  italienischer  Akzent 
ankaftet. 

Wenn  man  bedenkt,  daB  einen  Hauptbestandteil  der  Operettenmusik  Tanze  ausmachen, 
nimmt  es  fast  wunder,  daB  Johann  StrauB  in  seinem  Operettenschaffen  nicht  den  Gipfel 
seines  Kiinstlertums  erreichte.  Allein  StrauB  war,  wie  hervorgehoben  wurde,  durchaus  In- 
strumentalkomponist.  Wie  sehr  ihm  die  Handlung  des  Stiickes  gleichgiiltig  war,  zeigt  eine 
Briefstelle,  in  der  er  schreibt,  dafi  er  von  einer  seiner  Operetten  nur  die  Gesangstexte  vor  sich 
gehabt  habe,  den  Dialog  aber  gar  nicht  gekannt  habe.  Allein  auch  den  Gesangstexten  ver- 
mochte  er  seine  Musik  nicht  unterzuordnen  und  zahlreiche  unrichtige  Textbetonungen,  auch 
sinnwidrige  Trennungen  einheitlicher  textlicher  Gedanken  zeigen  die  durchaus  absolut  musi- 
kalische  Erfindung  der  Musik.  So  wirken  auch  die  aus  den  Operetten  von  ihm  selbst  ge- 
bildeten  Walzer  ganzlich  losgelost  von  Text  mindestens  ebenso  stark  wie  in  der  Operette. 
Man  denke  nur  an  die  ,,Rosen  aus  dem  Siiden",  die  dem  ,,Spitzentuch  der  Konigin"  entnommen 
sind.  Die  Anlehnung  an  Offenbach,  die  bei  Suppe  immerhin  stark  hervortritt,  wird  bei  StrauB 
von  dem  unverfalschten  Wienertum  verdrangt,  das  auch  in  seinen  Operetten  immer  wieder 
zum  Durchbruch  kommt.  Bei  StrauB  mogen  die  verschiedensten  Typen  auf  der  Biihne  er- 
scheinen,  seine  Musik  macht  sie  immer  wieder  zu  verkappten  Wienern.  Die  Zahl  der  Biihnen- 
werke  Johann  StrauB'  ist  17,  wozu  noch  das  nachgelassene  Ballett  ,,Aschenbrodel"  kommt. 
Von  all  diesen  Werken  haben  sich  eigentlich  nur  zwei  dauernd  auf  dem  Spielplan  erhalten ;  die 
,,Flederrnaus"  und  der  ,,Zigeunerbaron".  Insbesondere  seiner  Oper  ,,Ritter  Pazman"  —  wie 
die  meisten  Operettenkomponisten  strebte  auch  StrauB  der  eigentlichen  Oper  zu  —  war  kein 
Erfolg  beschieden.  Die  Anforderungen  moderner  musikalischer  Dramatik  waren  StrauB 
wesensfremd.  Die  meisten  seiner  iibrigen  Biihnenwerke,  wie  z.  B.  ,,Indigo"  (1871),  ,,Carneval 
in  Rom**  (1873),  ,,Nacht  in  Venedig"  (1883)  errangen  zwar  seinerzeit  groBe  Erfolge,  allein 
der  Dauererfolg  der  ,,Fledermaus"  blieb  ihnen  versagt.  Nicht  als  ob  die  Musik  zu  diesem 
bekanntesten  Biihnenwerke  StrauB' um  so  viel  besser  ware,  als  in  den  anderen;  allein  hier 
tritt  vielleicht  der  Wesenskern  der  Operette  am  klarsten  zutage.  Fur  Ernst  ist  in  dem  ganzen 
Werk  kein  Raum  gelassen,  es  kommt  zu  keiner  tragischen  Verwicklung,  zu  keinerlei  ernstem 
Mitgefuhl  mit  dem  Schicksal  der  auftretenden  Personen  wird  der  Zuhorer  verleitet;  man 
mochte  sagen,  es  iiegt  eine  feine  Burleske  vor ;  vom  Anfang  bis  zum  SchluB  wird  der  Zu 
horer  von  dem  flotten  Tempo  der  Handlung  mitgerissen,  die  Musik  braucht  zu  dem 
Geschehen  auf  der  Biihne  nicht  in  Gegensatz  zu  treten.  Tritt  das  Sentimentale  in  den 
Vordergrund,  so  ist  es  in  parodistischem  Sinne  aufzufassen ;  das  Ganze  ist  von  einer 
tollen,  iibermutigen  Laune  durchzogen,  die  nie  verleugnet  wird,  die  Handlung  verliert  so- 
zusagen  das  Konkrete,  wird  zum  Symbol  der  iibermutigen  Lebensfreude.  Gerade  das  Gegen- 
teil  liegt  beim  ,,Zigeunerbaron"  vor.  Er  nahert  sich  in  gewissem  Sinne  der  komischen  Oper. 
Allein  nicht  darin  mag  der  Erfolg  dieses  Werkes  gelegen  sein,  sondern  darin,  daB  es  StrauB 
gerade  hier  glikkte,  aus  der  Stimmung  des  ganzen  Milieus  heraus  die  Musik  zu  schreiben. 
Bekanntlich  wurde  die  Musik  vor  dem  Text  geschrieben,  Straufi  lag  lediglich  das  Szenarium 
vor  und  Ignaz  Schnitzer,  der  das  Libretto  nach  einer  Idee  M.  Jokais  verfaBte,  war  selbst 
musikalisch  genug,  um  sich  der  Eigenart  Straufi '  anzupassen.  Ein  Umstand  ist  aber  nicht  zu 
iibersehen,  daB  es  gerade  das  ungarische  Milieu  ist,  das  hier  herrscht,  dafi  aber  ungarische  Musik 
mit  ihrer  scharfen  pragnanten  Rhythmik  auf  der  einen  Seite,  der  weichen,  schwermiitigen 


Wiener  Tanzmusik  und  Operette  99.) 


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Melodik  auf  der  andern,der  kiinstlerischen  Individuality  StrauB'  sehr  entgegenkam.  Indiesen 
beiden  Werken  hat  Johann  StrauB  die  Meisterwerke  der  alteren  Wiener  Operette  geschaffen. 
Neben  Suppe  und  Straufi  ist  als  dritter  Grofimeister  dieser  Stilgattung  Karl  Millocker 
(1842 — 1899)  zu  nennen.  Wie  Suppe  ergreif t  auch  er  die  Laufbahn  eines  Theaterkapellmeisters. 
Wenn  er  auch  nicht  die  Hohe  der  beiden  erwahnten  Kiinstler  erreicht,  vielfach  das  Volks- 
tiimliche  nicht  im  richtigen  Mafie  zu  veredeln  weifi,  besonders  im  Lyrisch-Sentimentalen 
steckenbleibt,  miissen  von  seinen  zahlreichen  Operetten  ,,Bettelstudent"  (1882),  und  ,,Der 
arme  Jonathan'4  (1890)  zu  den  hochststehenden  Werken  dieser  Gattung  gezahlt  werden.  Auch 
er  strebte  in  seinen  ,,Sieben  Schwaben"  der  komischen  Oper  zu. 

Suppe,  Straufi  und  Millocker  bedeuten  Aufstieg  und  Hohepunkt  der  Wiener  Operette.  In 
ihren  Werken  war  ein  Typus  geschaffen,  der,  angeregt  und  vielfach  beeinflufit  durch  die 
franzosische  Kunst  Offenbachs,  iiber  diese  schlieBlich  den  Sieg  davontrug.  Auf  dem  volks- 
tumlichen  Boden  Wiens  fufiend,  ubernimmt  er  von  dem  auslandischen,  vielfach  wesensfremden 
Gut  das  fur  die  Wiener  Verhaltnisse  Passende,  verandert  sein  Wesen  und  wird  richtunggebend 
fiir  lange  Zeit  und  weite  Kreise.  Allerdings  wie  auf  dem  Gebiete  der  Tanzmusik  macht  sich 
auch  auf  dem  der  Operette  bald  eine  Entwicklung  geltend,  die  von  dem  kurz  gekennzeichneten 
Wege  weit  abfiihrt. 

Neben  Johann  Straufi,  an  kimstlerischer  Bedeutung  kaum  hinter  ihm  zuriickstehend,  wirkte 
sein  Bruder  Josef  Straufi  (1827—1870),  der  sich  erst  in  spaten  Jahren  iiber  Drangen  des 
Bruders  und  der  Mutter  vom  Ingenieurberufe  der  Musik  zuwandte.  Er  vertrat  seinen  Bruder 
in  der  Leitung  der  Kapelle.  In  seinen  Kompositionen  macht  sich  ein  romantischer  Zug  geltend, 
der  ihnen  einen  eigenen  Reiz  verleiht;  neben  Walzern,  unter  denen  sich  Meisterwerke 
wie:  ,,Dorfschwalben  aus  Osterreich",  ,,Delirienwalzer",  ,,Spharenklange",  ,,Transaktionen", 
,,Mein  Lebenslauf  ist  Lieb'  und  Lust"  finden,  pflegte  er  besonders  die  Mazur.  Der  dritte 
Bruder,  Eduard  StrauB  (1835—1916),  in  dessen  Sohn  Johann  (geb.  1886)  die  DynastJe 
Straufi  noch  eine  musikalische  Weiterfiihrung  erfuhr,  reictit  als  Komponist  nicht  an  seine 
beiden  Bruder  heran,  wohl  aber  in  seiner  Eigenschaft  als  Leiter  der  beriihmten  ,,Kapelle 
Straufi",  die  erst  1901  aufgelost  wurde. 

Fast  uniibersehbar  ist  die  Reihe  der  spaten  Zeitgenossen  und  Nachfolger  Johann  Straufi* 
auf  dem  Gebiete  der  Tanzmusik.  Eine  ganze  Reihe  von  hierhergehorigen  Komponisten  findet 
sich  unter  den  einstigen  Militarkapellmeistern  Osterreich-Ungarns.  Es  seien  hier  nur  J.  F. 
Wagner,  Karl  Komzak,  C  M.  Ziehrer,  der  letzte  Hofballmusikdirektor  erwahnt.  Ins- 
besondere  auf  dem  Gebiete  des  Walzers  bewegen  sie  sich  durchaus  in  den  vorgezeichneten 
Bahnen.  Auf  dem  Gebiete  der  Operette  trate'n,  abgesehen  von  dem  erwahnten  Ziehrer, 
Richard  Genee  (1823-1895,  ,,Der  Seekadett",  1876),  Karl  Zeller  (1842-1898,  ,,Vogel- 
handler",  ,,0bersteiger")  und  die  der  Gegenwart  angehorenden  Komponisten  wie  Edmund 
Eysler,  Leo  Fall,  Oskar  Straus,  Franz  LeKar  u.  a.  m.  hervor.  Der  ,,klassischen"  Zeit 
der  Wiener  Operette  gegeniiber  zeigt  die  ihr  folgende  mannigfache  Abweichungen ;  bald 
erfolgt  eine  ganzliche  Annaherung  an  das  Volkstiimliche,  bald  wieder  wird  davon  ganz  ab- 
geriickt  und  zu  den  Ausdrucksmitteln  der  Opernmusik  gegriffen.  Die  Stoffe  nehmen  viel 
fach  tragische  Momente  auf,  die  aber  nicht  parodistisch  aufzufassen  sind,  sondern  ernst  ge- 
nommen  werden  wollen,  dabei  aber,  entweder  mit  quasidramatischer  Musik  verbunden,  in 
einem  kaum  zu  uberbriickenden  Gegensatz  zu  den  andern  Tanznummern  stehen,  oder  mit 


994  Wiener  Tanzmusik  und  Operetta 


der  ihnen  selbst  unterlegten  Tanzmusik  vereint,  unwahr  warden.  Endlich  bedeutet  das  Her- 
vortreten  auslandischer  Tanze  in  der  Operette  ein  Verschwinden  des  Bodenstandigen,  ein 
Verlieren  der  kennzeichnenden  Note;  denn  was  nicht  zum  geringsten  Teil  musikalisch  den 
Eigenwert  der  Wiener  Operette  ausgemacht  hatte,  war:  die  Vorherrschaft  des  Wiener  Walzers. 

Literatur 

Adler,  G.:  Johann  Straufi  (Bettelheims  Biogr  JB.  1900).  —  Ambros,  A.W.:  Kulturhistorische  Biider 
(1850).  —  Bekker,  P.:  Jacques  Offenbach.  (1916,  ,,Die  Musik"  31/32.)  —  Bie,  0.:  Der  Tanz  (19C6).  — 
B  o  h  m  e ,  J.  M. :  Geschichte  des  Tanzes  in  Deutschland,  2  Bde.  ( 1 886).  —  D  e  c  s  e  y,  E. :  Johann  Straufi  (1 922).  — 
Keller,  O.:  Franz  v.  Suppe  (1905).  —  Derselbe:  Die  Operette  in  ihrer  geschichtl.  Entwicklung  (1926).  — 
Lach,  R,:  Zur  Geschichte  des  Gesellschaftstanzes  im  18.  Jahrhundert  (1920).  —  Derselbe:  Der  Gesellschafts- 
tanz  in  der  Kulturgeschichte.  (Programmbiich  des  ..Museion",  1920.)  —  Lange,  F.:  Joseph  Tanner  und 
Johann  StrauB  (1919).  —  Nettl,  P.:  Die  Wiener  Tanzkomposition  in  der  2.  Halfte  des  17.  Jahrhunderts. 
(Stud.  z.  Mus.-Wiss.  VIII.)  — Rieger,  E.:  Offenbach  und  seine  Wiener  Schule.  (,,Theater  und  Kultur",  Bd.  4, 
1 920.)  — Derselbe:  Die  gute  alte  Zeit  der  Wiener  Operette.  (,  JDie  Wiedergabe"  I,  9,  1 922.)  —  Specht,R.: 
Johann  Straufi.  (,,Die  Musik"  Bd.  30.)  —  Aufsatze  von  M.  Graf,  E.  Hanslick,  M.  Kalbeck,  J.  Komgold,  F.  Lange, 
H.  Scherber,  H.  Wittmann.  — DTO.  XXXIII  (Lanner),  XXXV  (J.  Straufi  Vater),  XXXII  (J-  Straufi,  Sohn). 

Alfred  Orel 


MODERNE 


DIE  MODERNE 

Allgemeines 

In  diesem  Abschnitt  soil  die  Musik  der  (beilaufig)  letzten  fiinfzig  Jahre  besprochen  warden. 
Es  ist  klar,  dafi  die  objektive  Betrachtung  sich  mit  subjektiver  Stellungnahme,  ausgehend  von 
Sym-  und  Antipathic,  vermischt.  Wir  verlassen  den  streng  historischen  Boden,  und  zwar 
immer  mehr,  je  naher  wir  unseren  Tagen  kommen.  Im  Sinne  der  Grundtendenz  eines  wissen- 
schaftlichen  Handbuches  ist  moghchste  Ausgleichung  der  gegensatzlichen  Auffassungen  er- 
strebt,  durch  Kompromisse  zwischen  Geschichtsschreibung  und  TagesschriftstellereL  Wir 
horen  nunmehr  die  ,,Stimmen  der  Volker",  vernehmen  die  Betrachtungen  berufener  Vertreter 
der  Nationen.  Ihre  Aufierungen  wurde  in  moglichste  Harmonic  miteinander  zu  bringen 
versucht  und  die  ihnen  gewahrte  Beweglichkeit  wurde  auch  dann  nicht  unterbunden,  wenn 
das  nationale  Bewufitsein  in  Versuchung  kam,  iiber  die  Strange  zu  schlagen.  Die  Betrachter 
stehen  manchmal  wie  vor  einem  mit  Bliiten  iiberdeckten  Baum  und  wissen  merit  und  konnen 
nicht  ahnen,  welche  von  ihnen  zu  Friichten  gedeihen  konnen.  Sie  sind  sich  dessen  bewufit, 
dafi  das  Zeiturteil  verganglich  ist  —  um  so  bewunderungswiirdiger  die  Zuriickhaltung  der 
jungeren  Verfasser  der  folgenden  Berichte.  Ihre  Liebe  zu  den  ,Jungen"  ist  begreiflich.  Die 
verschiedene  Auffassung  von  Einzelheiten  gewahrt  einen  besonderen  Reiz.  Schon  die  Art  der 
Behandlung  des  Stoffes  wirft  einen  Reflex  auf  die  nationale  Mentalitat  des  Schreibers.  Daraus 
ist  auch  der  etwas  ungleiche  Umfang  der  Artikel,  trotz  proportionaler  Zuteilung  des  AusmaBes, 
zu  erklaren. 

Die  nachfolgenden  Untersuchungen  erstrecken  sich  auf  die  Zeit  von  1880—1929.  Mit  dem 
ersteren  Jahre  ist  die  Grenzmarke  gleichsam  symbolisch  angenommen.  Wie  allenthalben  in 
alien  Stilperioden,  so  tauchen  auch  wahrend  der  Vorherrschaft  einer  Richtung  neue  Be- 
strebungen  auf.  Die  Romantik  kommt  in  den  achtziger  Jahren  zum  AbschluB :  Richard  Wagner 
starb  1882,  Franz  Liszt  1883,  Cesar  Franck  1890,  Anton  Bruckner  1896,  Johannes  Brahms  1897. 
Mit  dem  ,,Parsifal"  (1 882)  geht  die  romantische  Oper  zu  Grabe,  einzelne  Auferstehungsversuche 
sind  beachtenswert.  Im  Gefolge  der  Romantik  stehen  Kiinstler,  die  bis  in  unser  Jahrhundert 
von  diesem  Geiste  beseelt  sind:  Hugo  Wolf,  Gustav  Mahler  und  in  unsern  Tagen  Hans  Pfitzner, 
um  nur  die  Hervorragendsten  zu  nennen.  So  schien  es  wiinschenswert,  ja  geboten,  die  neuen 
Bewegungen  in  Zusammenhang  mit  dem  Vorangegangenen  zu  bringen.  Es  finden  sich  ge- 
legentlich  im  folgenden  Namen  und  Schulen  herangezogen,  denen  wir  schon  begegnet  sind. 
In  manchen  Aufsatzen  werden  die  Verbindungsfaden  weiter  zuriickgezogen,  denn  in  der  Tat 
greift  die  Moderne  in  die  Vergangenheit  (einzelne  Verfasser  bringen  kurze  historische  Einlei- 
tungen).  Der  markanteste  Fall  des  Vorstofies  derModernen,  der  Verbindung  mit  der  jiingsten 
Bewegung  ist  die  Oper  ,,Boris  Godunow"  (1874),  sind  dieLieder  von  Modest  P.  Mussorgski, 
die  auch  in  den  siebziger  Jahren  geschrieben  wurden.  Die  ,,jungrussische"  Schule  steht  wohl 
unter  dem  Einflufi  von  Berlioz,  Liszt  und  Wagner  und  ist  ein  Seitenstiick  zu  den  Dichtungen 
von  Tolstoi  und  Dostojewski.  Zur  gleichen  Zeit  schreibt  Grieg  die  Musik  (1870)  zu  Ibsens 
,,Peer  Gynt"  und  die  Nordlander  machen  ihre  Eigenart  immer  mehr  geltend.  In  den  achtziger 
Jahren  regt  sich  Hugo  Wolf  als  Lyriker  und  die  Instrumentalwerke  dieser  Zeit  von  Richard 
Straufi  stehen  noch  auf  dem  Boden  der  Romantik,  besonders  seine  symphonischen  Dichtungen. 
Mahler  schreibt,  der  Programmatik  abhold,  seine  erste  Symphonic.  Der  Franzose  (Belgier) 


998  Die  Modeme 

Cesar  Franck  wird  der  Ausgangs-  und  Wendepunkt  einer  neu  entstehenden  Richtung  in 
Frankreich,  die  in  der  Folgezeit  in  Claude  Debussy  (unter  Anlehnung  an  die  Russen)  einen 
ersten  Hohepunkt  erreicht.  Es  lassen  sich  die  Etappen  nicht  nach  Lustren  abgrenzen  und 
auch  da  gilt  das  Wort:  ,,Alles  flieBt." 

Es  machen  sich  Stromungen  geltend,  die  mit  Schlagworten  etikettiert  wurden.  Auf  der 
einen  Seite  Impressionismus  und  Symbolismus,  auf  der  andem  Seite  Naturalismus  und 
Realismus.  Zweifellos  bereitete  sich  eine  Abtrennung  vor,  die  zur  ,,Sezession"  am  Anfang 
unsres  Jahrhunderts  fiihrte.  Diese  Bewegungen  machen  sich  besonders  in  der  bildenden 
Kunst  und  in  der  Dichtkunst  (Verlaine,  Baudelaire,  Maeterlinck,  Oskar  Wilde,  Stephan  George, 
Richard  Dehmel,  Hofmannsthal,  Gabriele  d'Annunzio  —  in  bunter  Mischung  mit  einschnei- 
denden  Differenzen)  geltend.  Der  festgefiigte  Organismus  der  Tonkunst  leistet  langer  Wider- 
stand.  Der  Grund  liegt  auch  darin,  weil  Musik  ohne  Impression,  ohne  Symbolik  iiberhaupt 
nicht  denkbar  Jst  und  schon  gar  der  jiingsten  Bewegung  des  ,,Expressionismus"  das  wichtigste 
Evolutionsmoment  ihrer  ganzen  Entwicklung,  den  ,,Ausdruck"  und  seine  Vervollkommnung 
gegeniiberstellen  kann.  Im  Verlauf  der  letzten  zwei  Jahrzehnte  wird  freilich  auch  die  Ton 
kunst  zu  Experimenten  getrieben,  die  ihrer  inn  ersten  Natur  wesensfremd  sind.  Von  all  diesen 
-ismen  ist  nur  der  Verismus  der  Italiener  real  fafibar  (anfangs  der  neunziger  Jahre)  allein 
vorziiglich  wegen  der  Heranziehung  solcher  Stoffe  in  der  Oper.  Er  breitete  sich  auch  in  andern 
Landern  aus.  Die  innerlichste  Vervollkommnung  erreicht  die  italienische  Oper  in  Verdis 
,,Falstaff"  (1893),  zugleich  ein  Ausgangspunkt  fur  die  musikalische  Verbindung  antithetischer 
Szenen.  Der  EinfluB  Wagners  naht  einer  Wendung,  die  sich  bei  den  verschiedenen  Nationen 
in  verschiedener  Weise  geltend  macht.  Aber  noch  1901  stehen  Arnold  Schonbergs  ,,Gurre- 
lieder"  teilweise  auf  Wagnerschem  Terrain.  Nachdem  Richard  Straufi  in  seinen  Orchester- 
werken  der  neunziger  Jahre  noch  im  Fahrwasser  der  ,,symphonischen  Dichtungen",  freilich 
mit  Einschlagen  von  Mitteln,  die  von  uns  noch  bezeichnet  werden  sollen,  geblieben  ist,  wendet 
er  sich  in  der  Folge  davon  ab,  greift  immer  mehr  zur  Oper.  Ein  Spatling  (,,Alpensymphonie", 
1915)  zeigt,  wie  richtig  seine  Wendung  war.  Hierauf  geht  er  zur  Ballettkomposition  iiber, 
die  von  den  Russen  in  ein  neues  Fahrwasser  gebracht  worden  war.  Mahler  verfolgt  unbeirrt 
seinen  Weg  weiter  und  ordnet  in  einzelnen  Symphonien  den  Instrumenten  Vokalstimmen 
ein  (nach  dem  Vorbild  von  Vorgangern).  Max  Reger  verbindet  in  Choralbearbeitungen 
und  Variationen  neueste  technische  Mittel  mit  Behelfen,  wie  sie  in  den  Ergebnissen  historischer 
Forschungen  richtig  erkannt  wurden.  Die  letzteren  hatten  seit  den  achtziger  Jahren  einen 
ungeahnten  Aufschwung  genommen  und  eine  ganze  Reihe  der  jiingsten  Komponisten,  be 
sonders  auch  der  sich  in  unserer  Zeit  neu  etablierenden  Wiener  Schule  genofi  mit  Erfolg  die 
Segnungen  des  Studiums  alterer  Musikwerke. 

Wir  werden  nunmehr  alle  Nationen  Revue  passieren  lassen,  die  sich  in  den  letzten  40  Jahren 
am  musikalischen  Leben  beteiligt  haben,  sowohl  die  alten  Musiklander,  sowie  die  zu  neuem 
Leben  erwachten  Volker.  Bunt  sind  die  Erscheinungen  und  Krafte,  bald  auseinanderstiebend 
(zentrifugal),  bald  einem  neuen  gemeinsamen  Ziel  zustrebend  (zentripetal).  Nationalismus  halt 
sich  die  Wagschale  mit  Internationalismus,  der  Tendenz,  eine  neue  universale  Tonsprache  zu 
erlangen.  Immer  weiter  werden  die  Bogen  gespannt  —  auch  iiberspannt.  Wir  gewahren  einen 
Wirrwarr  und  Konflikt  der  Stile  —  die  Tonkunst  ist  in  einer  Stromschnelle  begriffen.  Die 
Bewegung  ist  seit  beilaufig  1880  progressiv  im  Zunehmen,  diirfte  bald  zu  einer  Krise,  zu 


Die  Modeme  999 


einer  Lauterung  gelangen,  wie  bei  emem  angestiegenen  Fieber,  so  ahnlich  wie  am  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts.  Wir  sind  in  einer  Zeit  des  Uberganges,  der  Zuspitzung  der  Verhaltnisse 
und  eine  Klarung  scheint  unausweichlich.  Neben  den  progressiven  Stadien  besteht  eine  nach 
der  klassizistisch-romantischen  Seite  gerichtete  Tradition  und  wachsende  Liebe  zu  ,,schlichten 
Weisen".  Altes  seht  neben  Neuem  und  Neuestem,  Bewufites  neben  Unzulanglichem,  so  dem 
,,Futurismus",  dem  die  Zukunft  sicher  nicht  gehoren  wird.  Welch  Unterschied  zwischen  der 
,,Zukunftsmusik"  Wagners  (eine  Bezeichnung,  die  als  Verspottung  des  ,,Kunstwerks  der  Zu 
kunft"  in  die  Parteien  geworfen  worden  war)  und  dem  gegenwartigen  Larmmachen  des  ge- 
nannten  -Jsmus,  der  eigentlich  nicht  ernst  zu  nehmen  ist. 

Wie  allenthalben  machte  sich  in  dem  genannten  Zeitraum  die  Tendenz  geltend,  exotische 
und  primitive  Musik  heranzuziehen,  wie  schon  Weber  einen  schiichternen  Versuch  in  seiner 
chinesischen  (Turandot)  Ouvertiire  machte  —  ein  Seitenstiick  etwa  zum  Japonismus  in  der 
Malerei.  In  solchem  Anschlufi  an  Exotik  werden  neue  Skalen  verarbeitet,  wie  schon  Verdi 
seinen  ,,Pezzi  sacri"  eigene  Skalen  zugrunde  legte.  Die  Ganztonskala  (C,  D,  E,  Fis,  Gis, 
Ais—B,  His=C)  wird  von  einzelnen  Tonsetzem  und  Schulen  fur  ganze  Kompositionen  oder  Ab~ 
schnitte  herangezogen.  Man  greift  zuriick  zur  Pentatonik  (Fiinftonskala  innerhalb  der  Oktav). 
Mit  Viertel-  und  Dritteltonen  wird  experiment Jert,  wie  sie  in  einstimmigen  orientalischen 
Weisen  und  in  einzelnen  Stadien  des  einstimmigen  Kirchengesanges  und  der  Antike  Verwen- 
dung  fanden  und  in  den  erstgenannten  sich  noch  heute  finden.  So  werden  die  ,,Fesseln"  der 
iiberkommenen  Tonalitat  gesprengt.  Wahrend  im  19.  Jahrhundert  Anfang  und  SchluB  der 
Einzelstiicke  und  der  zyklischen  Kompositionen  regular  in  der  gleichen  Tonart  sich  hielten 
und  die  Lyriker  nur  ausnahmsweise  in  anderem  Tone  schlossen,  wahrend  die  harmonische 
Bewegung  innerhalb  geschlossener  Satze  normal  auf  eine  Grundtonart  bezogen  werden  konnte, 
wird  jetzt  die  Ausnahme  zur  Regel :  Die  harmonischen  Relationen  werden  stetig  komplizierter, 
bis  zur  volligen  Lockerung  innerer  Beziehungen  verriickt.  Indessen  scheinen  sie  nur  bei 
den  extravagantesten  oder  den  stumperhaften  Tonschreibern  ganzlich  aufgehoben  und  zer- 
stort.  Harmonien  verschiedener  Tonarten  werden  iibereinandergestellt,  Zusammenklange  als 
Klumpen  geballt — vorerst  instrumental,  koloristisch,  sodann  ins  Vokale  iibergreifend.  Bitona- 
litat  (Zweitonartenverbindung)  schreitet  bis  zur  Polytonalitat  vor.  Die  Stimmfuhrung  entledigt 
sich  ihrer  Regelung,  die  seit  Jahrhunderten  die  freie  Entfaltung  der  Mehrstimmigkeit  nicht 
hinderte,  sondern  forderte.  So  sind  die  Quinten-,  Quarten^,  Sekunden-,  Septimengange 
ein  koloristischer  Reiz  der  Moderne  geworden  und  entstellen  die  Satzfiihrung,  sodafi 
man  Stumper  von  geschulten  Tonsetzern,  die  sich  solcher  Irregularitaten  bedienen, 
manchmal  nicht  unterscheiden  kann.  Auch  darin  liegt  eine  Riickkehr  zur  Primitivitat  der 
ersten  Stadien  der  Mehrstimmigkeit,  eine  Wiederaufnahme  erbgesessener  Eigentumlich- 
keiten  alterer  Kunstschulen,  bis  zu  den  Kruditaten  der  Dissonanzengange  in  den  Toten- 
litaneien  alter  Zeit  und  den  Ausubungen  altester  Zeit,  denen  man  noch  heute  in  rudimentaren 
Resten  der  Ubung  musikalisch  ungeschulter  cder  zuriickgebliebener  Volksschichten  begegnet 
—  was  alles  unter  den  Begriff  der  Heterophonie  einbezogen  werden  kann.  Quint engange 
wurden  auch  Ende  des  16.  Jahrhunderts  in  der  Villanella  zur  Kennzeichnung  des  Rustikalen 
verwendet  und  auch  Mozart  erzahlt  von  Quintengesangen  ungeschulter  Italiener.  Melodien 
oder  Gange,  Themen  oder  Motive  werden  iibereinandergestellt,  ohne  Riicksicht  auf  den  Zu- 
sammenklang,  auf  die  Reibung.  Die  Polyphonic  artet  in  Polyodie  aus,  in  der  sich  eine  Stimme 


]QQQ  Die  Moderne 


nicht  um  die  andere  kiimmert,  vielmehr  will  sich  eine  auf  Kosten  der  andern  ,,ausleben 
auch  dies  Vorkommnisse  altester  Motettenubung.  Anstatt  der  realen  Polyphonic  eine  Schem- 
kontrapunktik,  eine  Ubereinanderstellung  von  melodischen  oder  melismatischen  Phrasen  oder 
Brocken.  Eine  neue  Auffassung  der  ,,Dissonanz"  macht  sich  geltend,  die  zur  Aufhebung  der- 
selben  fiihrt.  Von  Vorbereitung  und  Auflosung  wird  Abstand  genommen.  Was  friiher  Wiirze 
war,  wird  jetzt  tagliches  Brot.  Ob  es  zur  Sattigung  dient?  Ob  in  der  Praxis  die  Bedingungen 
des  Gehors,  wie  sie  seit  sechs  Jahrhunderten  als  Ergebnis  der  Lauterung  sich  eingestellt  haben, 
beiseitegeschoben,  aufgehoben  werden  konnen?  Ob  durch  diese  Erweiterung  der  Mittel  eine 
dauernde  Bereicherung  erzielt  wird? 

In  der  rhythmischen  Behandlung  zeigt  sich  eine  Anderung,  vorerst  in  der  haufigeren  Ver- 
wendung  von  fiinf-,  in  der  Neuverwendung  von  sieben-,  neun~,  elf-  und  andersteiligen  Takten, 
ebenfalls  unter  dem  EinfluB  exotischer  und  antiker  Vorbilder.  Oberhaupt  erfolgt  eine  Locke- 
rung  der  taktschlagmafiigen  Behandlung,  die  wie  in  friiheren  Perioden  der  Mehrstimmig- 
keit  und  bei  einstimmigen  exotischen  Weisen  sowie  im  altesten  Kirchengesang  zu  volliger 
Aufhebung  taktlicher  Rhythmik  fiihren  konnte.  Wie  in  dieser  Kleinrhythmik,  ^so  zeigt  sich 
auch  in  der  GroBrhythmik  ein  Weichen  streng  proportionaler  Abmessungen,  im  Ubergehen  zu 
,,freien  Formen",  ein  Abgleiten  in  kleine  Gebilde.  Durch  die  ungefahr  dreifiigjahrige  Ge~ 
wohnung  an  programmatische  Instrumentalmusik,  an  tondichterische  Phantasiegebilde,  stellte 
sich  eine  Lockerung  des  besonders  durch  die  klassische  Tonkunst  gepflegten  Formensinnes 
ein,  die  bei  einzelnen  die  Neigung  zu  volliger  Auflosung  fester  Formen  zeitigte.  Es  ist  bisher 
nicht  gelungen,  an  Stelle  des  Sonatensatzes  ein  neues  Gebilde  zu  schaffen,  das  fahig  ware, 
die  musikalische  Gedankenfiihrung  logisch  zu  gliedern.  Wohl  haben  sich  Anderungen  des 
Sonatensatzes  eingebiirgert:  Die  Durchfiihrung  (als  Mittelteil  des  klassischen  Sonatensatzes 
verwendet)  greift  in  die  andern  Teile  (Exposition  und  Wiederholung)  iiber,  sodafi  sie  einander 
gleichen  und  die  Gedankenfiigung  und  Gestaltung  verwischt,  das  Ganze  gleichsam  amorph, 
gestaltlos  wird.  Die  thematisch-tonale  Gegeniiberstellung  im  ersten  Teil  wird  vermengt,  mo- 
dulatorisch,  harmonisch-enigmatisch,  Ratselspiel,  ohne  Riicksicht  auf  Eingrenzung  und  Ein- 
ordnung  ins  Moluskenhafte  uberftihrt.  Und  doch  besteht  das  Bediirfms  nach  festerer  Ge 
staltung,  das  Interesse  an  Programmatik  laBt  gewaltig  nach,  die  klassische  Form  ist  nicht 
iiberwunden.  Es  werden  Versuche  mit  kleinen  Gebilden  gemacht.  Wird  eine  neue  Form 
erstehen? 

In  der  zyklischen  Reihung  der  Satze  tritt  vielfach  eine  Gleichgewichtss toning  ein :  wahrend 
in  dem  klassischen  und  romantischen  Instrumentalzyklus  jeder  der  Satze  seine  proportionale 
Behandlung  erfuhr,  entsprechend  seinem  Grundcharakter  und  seiner  Bedeutung  innerhalb 
der  Gesamtstellung,  wird  jetzt  nicht  selten  das  Gleichgewicht  verschoben  —  so  werden  z.  B. 
zwei,  drei  Satze  als  Gegengewicht  gegen  einen  Satz  behandelt  und  angesehen.  Der  Schwer- 
punkt  wird  nicht  selten  ins  Finale  verlegt,  wie  es  als  Ausnahme  in  Beethovens  Neunter  der 
Fall  war.  Der  klassische  Zyklus,  der  so  straff  und  stramm  emporgewachsen  war,  neigt  sich 
in  der  jiingsten  Behandlung  einem  seiner  Ausgange  zu,  der  Suite,  dem  Divertimento.  Auch 
darin  sind  wir  noch  nicht  zu  einem  allgemein  giiltigen  Typus  vorgedrungen.  Die  motivische 
Verbindung  der  Satze  hat  weitere  Ausgestaltung  erfahren,  die  verstandesmafiige  Verarbeitung 
des  Materiales  scheint  die  freie  Erfindung  in  den  Hintergrund  zu  drangen,  das  Artistische 
wird  in  Einzelf alien  aJs  Selbstzweck  angesehen.  Die  Melodik  wird  ein  Tummelplatz  bizarrer 


Die  Modeme  1 00 1 


Einfalle  und  entfernt  sich  durch  uberhauften  Gebrauch  alterierter,  tibermaBiger  und  ver- 
minderter,  weiter  Intervalle  von  ihren  natiirlichen  Bedingungen,  von  der  Muttererde. 

Die  Oper,  die  bereits  im  Wagnerschen  Kunstwerk  mehrfach  nur  aufiere  Analogien  mit  ge- 
schlossenen  vokalen  und  instrumentalen  Formen  in  Ausweitung  und  Umbildung  aufwies,  alsa 
statt  Formen  freiere  Formungen  verwendete,  die  (als  Ersatz  fur  diesen  Entgang)  schon  bei 
der  Anlage  des  Textes  vom  Dichterlcomponisten  intentioniert,  erwogen  und  in  unvergleich- 
licher  Verbindung  von  Wort,  Weise  und  Handlung  zutage  gefordert  wurden  —  die  Oper  hat 
seither  bei  einer  Gruppe  von  Komponisten  durch  blanke  Aneignung  und  fast  unbeschrankte 
Obernahme  von  Wort-,  d.  i.  Rezitierdramen  sich  zum  Teil  der  Moglichkeit  beraubt,  musik- 
dramatische  Gliederungen  organisch  vorzunehmen  und  auszubauen.  Einige  Komponisten 
suchen  dies  durch  symphonische  Untermalung  wettzumachen,  die  nichtselten  zur  Ubermalung 
ausartet.  Andere  suchen  durch  Einengung  des  orchestralen  Apparates  diesen  Obelstand 
zu  beheben  —  und  darin  tritt  eine  Verbesserung  der  Opernkomposition  hervor.  Dabei 
ist  die  Vokalitat,  die  gesangliche  Behandlung  vielfach  auBer  acht  gelassen  —  widerhaarige 
Intervalle  werden  begtinscigt  und  als  willkommenes  Ausdrucksmittel  betrachtet.  (Jber- 
haupt  wird  der  Begriff  des  Schonen  vielfach  nicht  mehr  anerkannt.  Er  ist  in  der  Tat  em 
relativer  Begriff,  eine  unbestimmte  Empfindung,  eine  Vorstellung,  die  im  Laufe  der  Be- 
gebenheiten  wechselt.  Und  doch  besteht  bei  einem  Teil  der  Produzierenden  und  in  einem 
noch  groBeren  der  Apperzipierenden  die  Sehnsucht,  das  Bediirfnis  danach,  daher  die  stetige 
ungebeugte  Pflege  der  klassischen  Musik,  die  Begiinstigung  von  Archaismen  (Einbeziehung 
von  Wendungen  und  Partien  aus  vorangegangenen  Stilperioden).  Die  Moderne  begiinstigt 
mehr  das  Schillernde,  Irisierende,  ist  besonders  erfolgreich  im  Grotesken  und  duldet  das 
Hafiliche  als  gleichwertig,  ohne  es  vielleicht  als  seiches  zu  empfinden. 

Der  Wechsel  cter  zum  Ausdruck  gebrachten  Stimmungen  tritt  in  einzelnen  Werken  beson 
ders  krafi  hervor:  tiefste Depression  und  momentanes  Uberschlagen  in  outrierte  Belustigung. 
Wohl  eine  Folge  des  Weltkrieges. 

Die  bisher  vorgebrachten  Stileigentiimlichkeiten  treten  bei  einzelnen  in  verschiedener  Ab- 
stufung  und  in  verschiedener  Art  hervor.  Mafivolleres  steht  neben  Unmafiigem,  MaBlosem. 
Tonsetzer,  die  sich  den  Zusammenhang  mit  der  Volksmusik  gewahrt  haben  —  sie  mogen 
welcher  Nation  immer  angehoren,  mogen  bald  aus  diesem,  bald  aus  jenem  Born  schopfen, 
wobei  diejenigen,  die  bisher  unverbrauchte  oder  wenig  benutzte  Quellen  heranziehen,  im  Vor- 
teil  sind  —  ziehen  frische  Krafte  aus  dem  Boden,  und  ihre  Saat  ist  schmackhafter  und  nahr- 
hafter.  So  verworren  die  Verhaltnisse  scheinen,  so  sehr  ist  eine  Klarung  aus  und  durch  sich 
selbst  zu  erhoffen.  Der  Historiker  steht  vor  einer  Menge  offener  Fragen  und  will  und  soil 
Vorsicht  uben  und  sich  nicht  als  Prophet  hinstellen,  so  sehr  die  geschichtliche  Erfahrung  ihm 
dazu  die  Eignung  geben  konnte.  Die  Geschichte  lehrt  uns,  dafi  sich  immer  ein  Ausweg  ge- 
funden  hat;  so  wird  er  wohl  auch  aus  dem  staatlichen  und  politischen  Gewirre  unsrer  Tage 
ermoglicht  werden.  Fiir  die  Musik  liegt  ein  giinstiges  Anzeichen  vor  in  der  Verbindung  der 
modernen  Tonsetzer  fast  aller  Kulturnationen  zu  gemeinsamem  Musizieren;  ein  anderes  in 
der  Huldigung,  die  sie  dem  Genius  Mozarts  bringen,  nicht  nur  aufierlich,  sondern  durch  die 
oberwahnte  Einengung,  Beschrankung  des  iiberfutterten  Orchesterapparates,  durch  eifrige 
Pflege  der  Kammermusik  —  freilich  und  natiirlich  mit  teilweise  neuen  Mitteln.  Die  Ton 
setzer,  die  sich  auf  mittlerer  Bahn  bewegen,  tragen  zur  Losung  der  Krise  bei,  deren  Entschei- 


IOQ2  Die  Moderne:  Deutsche 


dung  das  Genie  verkiindet.  Neben  der  Musik  wird  der  Kommerz  das  meiste  zu  dem  notwen- 
digen  Ausgleich  der  schroffen  Gegensatze  beitragen.  Die  Wissenschaft  macht  ahnliche 
Versuche.  Moge  sich  die  Tonkunst  der  ihr  zufallenden  Mission  bewuBt  bleiben,  die  Ein-  und 
Obereinstimmung  der  Volkerseelen  zu  vermitteln !  Zum  Gliick  sind  in  verschiedenen  Lan- 
den  tiichtige  Meister  und  ein  edel  aufstrebender  Nachwuchs,  die  die  Tonkunst  iiber  die 
Fahrlichkeiten  hinweg  in  ein  Neugebiet  iiberzuleiten  berufen  erscheinen.  Dabei  werden 
sie  von  gesunden  Elementen  der  kunstgebildeten,  wie  der  bildsamen  Bevolkerung  gestiitzt 
und  gefordert.  Theoretische  Schulung  und  geschichtliche  Erfahrung  miissen  das  ihrige 
dazu  beitragen.  Blicken  wir  demnach  zaglos  in  die  Zukunft.  Die  historische  Erkenntnis 
befestigt  diese  Aussichten. 

Guido  Adler 


DEUTSCHE 

Wie  allenthalben,  so  ist  auch  in  Deutschland  die  Entwicklung  der  neuen  Musik  von  ver 
schiedenen  Stromungen  getragen.  Obwohl  zahlreiche  Richtungen  sich  durchkreuzen,  auch 
viele  Schaffende  sich  noch  in  der  vorgezeichneten  Bahn  friiherer  Stilrichtungen  bewegen, 
diirften  doch  die  drei  bedeutendsten  Entwicldungen  diejenigen  sein,  welcheman  mit  den  Schlag- 
worten  Impressionisrnus,Expressionismus  und  ,,NeueSachlichkeit"  bezeichnet  hat.  Allen  gemein- 
samistdieWurzel,namlichdermusikalischeNaturalismus,  dersich  alsReaktion  gegen  die  Roman- 
tik,hauptsachlichabergegen  die  Weltentriicktheit  mancher  ihrer  Stimmungen  regte.  Dieser  Na- 
turalismus,  der  in  der  Literatur  durch  Ibsens  Gesellschaftsdramen,  spater  durch  Gerhart 
Hauptmanns  Erstlingswerke  schon  seit  den  achtziger  Jahren  lebendig  war,  hatte  in  der  Musik, 
zunachst  in  der  russischen  (Mussorgski),  dann  in  dem  Verismo,  der  in  Italien  und  auch  bei 
einzelnen  Komponisten  des  heutigen  Deutschland  noch  im  Schwang  ist,  ferner  auch  in  der 
Programmusik,  die  plotzlich  einen  ungeahnten  Aufschwung  nahm,  sein  Spiegelbild.  Obwohl 
die  Tendenzen  der  Bewegung,  off  en  oder  versteckt,  gegen  Wagner  gerichtet  waren,  geht  doch 
der  grofite  Teil  der  Eigentiimlichkeiten  des  Impressionismus  auf  ihn  zuriick.  Gewohnhch 
wird  der  Name  Debussy  mit  dieser  Bewegung  verkniipft.  Dieser  franzosische  Meister  zeigt 
in  der  Tat  den  Niederschlag  dieser  Bestrebungen  am  reinsten.  Aber  sie  bestanden  schon  vor 
Veroffentlichung  seiner  groBen  Werke  sowohl  in  Frankreich  als  aucK  in  deutschen  Landen. 
Durch  ihr  bestandiges,  wenn  auch  nicht  immer  offenkundiges  Fortwirken  ist  der  grofie  Ein- 
fluB  zu  erklaren,  den  Debussy  nicht  nur  auf  die  jungere  deutsche  Komponistengeneration, 
sondern  etwa  auch  auf  den  spateren  Reger  haben  konnte. 

Wortfiihrer  war  der  Philosoph  Nietzsche,  der  durch  seine  Betonung  der  Macht  des  In- 
dividuums  auch  die  Musik  zur  Steigerung  des  jeweiligen  Ausdrucks,  zur  ,,Ausdruckssucht 
der  Sinne"  anregte.  In  Verfolg  dieser  Verstarkung  der  Sensibilitat,  die  den  charakteristischen 
Stimmungsgehalt  herausholt  und  auch  oftmaligen  Stimmungswechsel  fordert,  ergeben 
sich  zahlreiche  Stilmerkmale.  Die  zyklischen  Formen,  Symphonic  und  Sonate,  werden  ge- 
mieden,  die  Einsatzigkeit  herrscht  vor.  Die  Gedanken  werden  rhapsodisch  aneinander- 
gereiht,  zuweilen  durch  eine  auBermusikalische  Erklarung  erst  verstandlich  gemacht,  die 


Die  Moderne :  Deutsche  1 003 


Periodisierung  groBtenteils  durch  die  ,,unendliche  Melodie"  ersetzt.  In  der  Harmonik  wird 
das  Gefiihl  der  Tonalitat  zunachst  nicht  erschiittert.  Denn  trotz  der  iiberwiegenden  Ver- 
wendung  der  Chromatik,  die  durch  Hintanhaltung  der  Auflosungstone  die  Spannungsgefahle 
verstarkt,  werden  die  Klangcharaktere  der  einzelnen  Tonarten  deutlich  getrennt.  Durch  zahl- 
reiche  Leitetone  innerhalb  der  diatonischen  Klangfolgen,  durch  Alterationen,  Verwendung 
neuer,  tonreicher  Akkorde,  wird  die  Reizsamkeit  erhoht.  Der  Rhythmus  wird  der  domi- 
nierenden  Harmonik  untergeordnet.  Der  Kontrapunkt  verliert  die  lineare  Eindeutigkeit  und 
wandelt  sich  in  eine  neuartige  Kombination  verschiedener  Bewegungsarten  in  den  einzelnen 
Instrumenten.  Die  Kammermusik  tritt  zuriick  und  raumt  dem  Orchester  fast  vollstandig  den 
Platz,  in  dem  aber  nicht  laute  Klangmassen,  sondern  zarte  Farben  und  exotische  Wirkungen 
bevorzugt  werden.  Differenzierung  und  haufige  Verwendung  der  Schlaginstrumente  tragen 
zur  Verstarkung  der  Farbe  bei.  Dadurch  wird  die  groBe  Linie  zugunsten  des  Klangsinnlichen 
vernachlassigt.  Wiederholungen  kleinerer  Motivgebilde  sind  haufig  und  die  Gruppierung  von 
gebrochenen,  abgestuften  Gefuhlseinzelheiten  fiihrt  zur  Auflosung  der  grofien,  einheitlichen, 
inneren  Anlage  der  Werke.  Durch  die  vollige  Isolierung  des  Individuums  entsteht  eine  De- 
kadenz,  mit  welchem  Worte  auch'eine  ganze  Teilstrdmung  des  Impressionismus  bezeichnet 

wurde. 

Wenn  das  Wesen  des  Impressionismus  also  in  einer  pointillistischen  Kunstnchtung  liegt, 
welche  primar  vom  Harmonischen  ausgeht,  hochste  Steigerung  der  Empfindungsfahigkeit 
bei  Verfeinerung  des  Reizes  anstrebt,  so  steht  hierzu  der  Expressions  mus,  der  jenen  ab- 
loste,  in  grofitem  Gegensatze.  Hier  handelt  es  sich  um  ein  elementar  iiberschieBendes  Kraft- 
geftihl,  das,  soweit  es  sich  in  der  Musik  ausdriickt,  von  einer  neuartigen  Thematik,  also  vom 
Melodischen  ausgeht  und  die  Harmonik  als  untergeordneten  Faktor  (zufalliges  Zusammen- 
klingen  verschiedener  Stimmen)  vernachlassigt.  In  der  Anlage  der  Formen  werden  die  Ten- 
denzen  des  Impressionismus  fortgesetzt.  Den  Ausgangspunkt  far  das  Kunstwerk  bildet  auch 
hier  das  individuelle  Erlebnis.  Es  ist  einmalig,  daher  wird  auf  konventionelle  Wiederholung, 
auf  Sequenz  und  Symmetric  verzichtet.  Jedem  Thema,  das  erklingt,  folgt  unmittelbar  seine 
Durchfiihrung.  Es  gibt  keine  Reprisen  in  dem  Sinne,  dafi  grofiere  Komplexe  mehr  oder 
weniger  wortlich  wiederholt  werden,  sondem  es  werden  konstruktive  Anderungen  vorge- 
nommen,  das  Prinzip  der  Wiederholung  durch  das  der  Variation  ersetzt.  Nebst  diesen  Merk- 
malen  ist  das  Vorherrschen  der  Detailarbeit  charakeristisch.  Werden  in  der  Harmonik  noch 
Dreiklange  und  Septakkorde  verwendet,  so  ist  ihr  funktioneller  Zusammenhang  gelockert 
oder  aufgehoben.  Die  Kadenz  als  schlufibildender  Faktor  in  der  Periode  oder  als  harmo- 
nischer  Ruhepunkt  verliert  ihre  Bedeutung.  Der  Tonalitatsbegriff  wird  erschiittert:  Atonalitat, 
Bitonalitat  und  Polytonalitat  gewinnen  Bedeutung.  Unter  ,,atonaler"  Musik  versteht  man  eine 
Kompositionsrichtung,  bei  der  eine  Ruckfuhrung  des  gesamten  harmonischen  Geschehens 
auf  einenbestimmten,wenn  auch  nicht  ausgesprochenen,  so  doch  vorschwebenden  Grund- 
akkord  (Tonika)  nicht  moglich  ist.  Der  Zusammenhang  muB  dann  aus  der  melodisch- 
thematischen  Entwicklung  erhellen.  Von  Polytonalitat  spricht  man,  wenn  diese  Zuruckfuh- 
rung  auf  die  harmonische  Einheit  innerhalb  einer  Stimme  moglich  ist;  diese  wlrd  aber  mit 
mehreren  anderen  verbunden,  welche  in  anderen  tonalen  Komplexen  ablaufen.  Sind  nur 
zwei  verschiedene  tonale  Komplexe  erkennbar,  wird  von  Bitonalitat  gesprochen.  Harmonisch 
entstehen  dann  mehrtonige  Zusammenklange,  deren  Bestandteile  sich  nicht  zu  einer  Klang- 


64    H.d.M. 


1004  Die  Modeme:  Deutsche 


einheit  verbinden  lassen.  Die  vertikale  Zerlegung  solcher  Akkorde  gibt  eine  neue  Melodik  mit 

Intervallschritten  und  -spriingen,  die  sich  keinem  Tonsystem  einordnen  lassen.   Als  Ersatz 

for  die  Tonalitat  wird  von  Arnold  Schonberg  ein  Kompositionssystem  angewendet,  das  dieser 

Fiihrer  des  Expressionismus  ,,Zwdlftonmusik",  genauer  ,, {Composition  mit  zwolf  nur  auf- 

einander  bezogenen  Tonen"  nennt,  Samtliche  Tone  des  Tonsystems  werden,  in  einer  selbst- 

gewahlten   Intervallfolge  angeordnet,   in  einer  oder  mehreren   Stimmen  aneinandergereiht, 

und  diese  Reihung  bleibt  das  ganze  Stiick  hindurch  die  gleiche.  Natiirlich  sind  trotzdem  die 

freiesten  rhythmischen,  melodischen  und  harmonischen  Kombinationen  moglich.  Das  Geriist 

selbst  kann  in  seiner  Urgestalt,  in  der  Umkehrung,  im  Krebs  und  in  der  Umkehrung  des 

Krebses  vorhanden  sein ;  es  ist  jedoch  immer  erkennbar  und  bildet  dadurch  einen  festen  Halt 

des  Ganzen.    Der  Rhythmus  wird  komplexer;  haufiger  Takt-  und  Tempowechsel  ermog- 

lichen  das  Dbergreifen  von  Weisen  aus  anderen  Stilwelten  in  unsere  rhythmisch  einfacher 

gegliederte  europaische  Musik.  Kontrapunkt  im  Sinne  einer  streng  linearen  Auffassung  wird 

vom  Expressionismus  wieder  angewendet,  hingegen  auf  Klang  im  Sinne  der  Unterscheidung 

verschiedener  Instrumentengruppen  verzichtet.   Das  Klangbild  des  Impressionisms  fiihrt 

iiber  die  Klangfarbenmelodie  (nicht  Tonhohe,  sondern  Farbe  ist  hierbei  wesentlich)  zum 

Melodiebild  des  Expressionismus.   Die  Kammermusik  wird  neu  belebt,  genaueste  Bezeich- 

nung  der  Tempi  und  Niiancen  sollen  prazise  Ausfohrung  gewahrleisten.    Das  Kammer- 

orchester  (vielleicht  auch  als  Folge  des  wirtschaftlichen  Zusammenbruchs)  ist  eine  Neu- 

erscheinung  innerhalb  dieser  Stilrichtung.   Natiirlich  kann  auch  dort,  wo  es  sich  nicht  um 

Zwolftonmusik  handelt,  auf  formbildende  Grundprinzipien  nicht  verzichtet  werden.  Aber  die 

Theorie  zeitigte  noch  nicht  endgiiltige  Ergebnisse.  Vielleicht  liegt  das  Wesen  der  Form  in  der 

Anordnung  der  Themen  innerhalb  des  Gesamtverlaufes,  vielleicht  in  den  Beziehungen,  welche 

zwischen  den  Tonreihen  (auch  Obertonen)  der  einzelnen  Motive  liegen.   Probleme  sind  ge- 

hauft,  die  mit  weiterer  Entwicklung  auch  der  Losung  naherkommen.  Durch  die  Ubersteige- 

rung  des  Individualismus  und  die  Komplizierung  der  Formen  und  Ausdrucksmittel  der  ex- 

pressionistischen  Richtung  gelangte  die  sich  weiter  entwickelnde  neue  Musik  in  immer  groBere 

Feme  von  den  Kunstaufnehmenden.  Der  Kontakt  zwischen  Schaffenden  und  Empfangenden 

beschrankte  sich  immer  mehr  auf  Zusammenhange  zwischen  dem  einzelnen  Kiinstler  und  seiner 

gewissermafien  esoterisch  wirkenden  kleinen  Gemeinde.   Durch  das  soziologische  und  psy- 

chologische  Ergebnis  des  Weltkrieges  wurde  jedoch  das  Kollektivgefiihl  gesteigert,  und  das 

Verlangen  nach  einer  Gemeinschaftskunst  machte  sich  auch  in  der  deutschen  Musik  fuhlbar. 

Mit  dem  Schlagwort  ,,NeueSachlichkeit"  bezeichnet  man  eine  ganze Reihe  geistiger  und 

formaler  Stromungen  unter  den  jungen  Komponisten,  die,  angeregt  durch  Ferruccio  Busoni, 

sich  wieder  der  Einfachheit,  Geschlossenheit  und  vor  allem  der  allgemeinen  Verstandlichkeit 

nahern.  Sie  wollen  die  Musik  von  der  Natur  und  der  Literatur  als  Vorbildern  loslosen  und 

nur  aus  dem  der  Tonkunst  innewohnenden  Material  gestalten.  Dabei  tritt  die  Personlich- 

keit  des  einzelnen  Kunstlers  zuriick.   Man  sucht  neue  Verankerung  im  Volksgesang  und 

kommt  dazu,  folkloristische  Elemente  in  die  Kunstmusik  aufzunehmen,  gestiitzt  auf  das 

Beispiel  anderer  Nationen,  etwa  der  Slawen  und  Ungarn,  wo  dieser  Vorgang   heute   bei 

den  jungen  Kiinstlern  allgemein  iiblich  ist.    Der  sachliche  Neuaufbau  der  Musik  geht 

vom  Handwerklichen,  dem  reinen  Musikantentrieb,  aus.    ,,Nicht  die  Stimmung  oder  die 

Ausdrucksabsicht  des  Komponisten  ist  die  Zentrale  des  Kunstwerkes*',  sagt  Heinz  Tiessen, 


Die  Moderne:  Deutsche  |Q05 


,,sondern  die  musikalische  Substanz  und  ihre  Entfaltung  aus  sich  selbst."  Die  stetig  wachsende 
Verbreitung  der  mechanischen  Musikinstrumente,  die  Nachfrage  nach  ernster,  aber  der 
Allgemeinheit  verstandlicher  Musik  im  Rundfunk  bestarkt  die  Komponisten  auf  diesem 
Wege.  Die  Ergebnisse  des  Expressionismus  auf  harmonischem  und  melodischem  Gebiet 
werden  freilich  aufgenommen  und  weitergebildet.  Im  Bestreben,  das  Kiinstliche  und  Person- 
liche  in  der  Melodiebildung  zu  iiberwinden,  wohl  auch,  um  jedem  Subjektivismus  zu  entgehen, 
greift  man  auf  den  Fortspinnungstypus  derMelodien  der  vorklassischen  Epoche  des  IS.Jahr- 
hunderts  zuriick,  so  dafi  sich  geradezu  eine  praklassizistische  Stromung  feststellen  lafit.  Die 
jiingste  Musikwissenschaft  (Lorenz)  versucht  dieses  Zuriickgreifen  mit  der  Generationen- 
theorie  zu  erklaren,  die  auf  dem  Gebiet  anderer  Kiinste  bereits  eingefuhrt  ist.  — Die  melodi- 
schen  Linien  gewinnen  durch  eine  gewisse  rhythmische  Stetigkeit  Kraft  und  neues  Leben, 
so  dafi  sich  ihr  Schwerpunkt  in  das  Dynamisch-Motorische  verschiebt.  Dazu  kommt,  dafi 
sie  von  den  Engen  der  tonalharmonischen  Kadenzfunktion  befreit  sind,  ohne  dafi  das  all- 
gemeine  Harmoniegefiihl  fehlte.  Die  lange  vernachlassigte  und  wiederaufgenommene  Gat- 
tung  der  einstimmigen  Solosonate  ist  charakteristisch  fur  den  Umschwung.  Die  Spielfreudig- 
keit  fuhrt  zur  Bevorzugung  des  Konzertanten,  Virtuosenhaften.  Kammermusik  und  Kammer- 
orchester  bleiben  Hauptgebiete ;  die  Blaser  werden  ob  ihres  kiihleren,  weniger  subjektiven 
Klanges  vorgezogen.  Die  neue  Sachlichkeit  beginnt  bereits  in  das  allgemeine  Musik- 
bewufitsein  einzudringen.  Davon  zeugt  auf  der  einen  Seite  die  Jugendmusikbewegung  mit 
ihren  Musikantengilden  und  Laienspielen,  auf  der  andern  Seite  die  Neubelebung  der  Pflege 
der  Vokalmusik,  die  sich  im  Wiederaufbliihen  des  mehrstimmigen  Madrigalgesanges  ebenso 
wie  in  den  verschiedenen  Stromungen  der  Arbeitermusik  mit  ihren  Massenchoren  spiegelt. 
Auch  der  Tanz  gerat  wieder  in  enge  Beziehung  zur  Kunstmusik;  besonders  die  exotischen 
Rhythmen  des  Jazz  regen  die  Komponisten  zu  interessanten  Experimenten  an. 

In  andern  Kiinsten  sind  Parallelerscheinungen  zu  beobachten.  Die  Musik  sucht  engste 
Verbindung  mit  ihnen.  Hierher  gehoren  die  Versuche  mit  dem  Farbenklavier  (in  Skrjabins 
,, Prometheus")  und  mit  Farbenchoren.  Sogar  die  Radiowellen  werden  durch  neuartige  In- 
strumente  der  Musik  dienstbar  gemacht,  wie  die  Versuche  mit  dem  Spharophon  (Jorg  Mager) 
und  der  Atherwellenmusik  (Theremin)  beweisen.  Auf  der  andern  Seite  gelangt  die  Technik 
durch  die  Vervollkommnung  der  mechanischen  Musikinstrumente  und  des  Grammophons 
in  enge  Beziehung  zur  Musik. 

Wenn  man  die  elementaren  Stilanderungen  in  der  neuen  Musik  zusammenfafit,  so  konnte 
man  sie  folgendermafien  anordnen:  Das  Tonsystem  wird  erweitert,  natiirlich  nicht  funda 
mental,  sondern  zum  Zwecke  koloristischer  Bereicherung  des  Ausdrucks.  Dritteltone  (Busoni) 
und  Vierteltone  (Mollendorf,  Haba)  werden  herangezogen,  die  Ganztonleiter  (Debussy,  die 
Russen)  und  exotische  Systeme  angewendet,  auch  der  Versuch  der  Belebung  der  Kirchenton- 
arten  gemacht  (Reger  u.  a.).  Die  Melodik  zeigt  nach  Oberwindung  der  Periodisierung  neu- 
artig  lineare,  unregelmafiige  Struktur,  Aufierachtlassung  einfacher  Intervalle.  Die  Harmonik 
wird  durch  Relativitat  des  Konsonanzbegriffes  (s.  S.  1022),  Zuriicktreten ,  der  Kadenz  und 
der  Tonalitat  neu  systemisiert.  Die  Rhythmik  nahert  sich  in  der  Freiheit  ihrer  Bildungen 
der  ungebundenen  Sprache,  auf  der  anderen  Seite  wieder  den  stetigen,  gleichformigen  Massen- 
bewegungstypen,  das  Formgefuhl  schwankt  zwischen  den  konstruktivistischen  Extrakten  der 
Expressionisten  und  der  Neugestaltung  bekannter  historischer  Architektonik.  Ein  Ringen 

64* 


1006  Die  Modeme:  Deutsche 


nach  neuem  Aufbau  ist  iiberall  rege.    Die  Einzelbetrachtungen  werden  das  hier  allgemein 
Angefiihrte  naher  erklaren. 

Das  Vorstehende  gilt  freilich  nur  for  die  Stromungen,  die  sich  bewufit  vom  klassisch- 
romantischen,  Kunst-  und  Formideal  abwenden.  Wir  finden  aber  um  die  Jahrhundertwende 
und  auch  noch  spater  unter  den  Komponisten  bedeutende  Erscheinungen,  die  gewissermafien 
den  Abschlufi  der  Entwicklung  der  vorangegangenen  Stilperiode  bilden.  Auch  bei  ihnen  finden 
sich  Ausblicke  in  die  Zukunft,  ihr  Schaffen  ist  aber  noch  mehr  oder  weniger  in  jener  andern 
Welt  verankert.  Hierher  gehoren  die  iiberragenden  Gestalten  von  Gustav  Mahler  und  Richard 
StrauB. 

Die  Instrumentalmusik 

a)  FUR  ORCHESTER  (Symphonic  und  symphonische  Dichtung).  Das  Ausdrucksmittel  far 
die  wesentlichsten  Hauptwerke  der  Musik  des  19.  Jahrhunderts  war  das  Orchester,  und 
zwar  in  der  Gestalt,  wie  es  von  den  Meistern  der  Wiener  klassischeh  Schule  festgelegt,  von 
den  Romantikern  vergrb'fiert,  von  Richard  Wagner  u.  a.  umgestaltet  wurde.  Die  Instrumente 
waren  ja,  wenn  man  von  den  Blechblasern  und  von  einigen  Erganzungen  bei  den  Familien 
der  Holzblasinstrumente  absieht,  fertig  ubernommen.  Aber  die  Art  der  Verwendung,  die  Er- 
zielung  einer  Einheitlichkeit,  trotz  groBter  Vielfaltigkeit  im  einzelnen,  war,  wie  schon  Herrmann 
Erpff  darlegt,der  Gegenstand  dieser  Entwicklung,  die  erst  um  die  Jahrhundertwende  beendet 
ist.  Mahler  und  StrauB  bezeichnen  die  Endpunkte  dieser  Linie,  wahrend  sich  nach  diesen 
Meistern  (vielleicht  auch  durch  die  Wirtschaftskrise  des  Weltkrieges  gefordert)  die  Abkehr  von 
dem  Massenklangideal  und  das  Hinwenden  zur  Vereinfachung,  ja  sogar  zum  Kammerstil 
vollzieht.  Wahrend  bei  Richard  StrauB  infolge  seines  Hinneigens  zur  Koloristik  der  Typus  des 
Orchesters  fast  in  jedem  Werke  wechselt,  isl  bei  Mahler  ungef ahr  f olgende  Besetzung  die  Norm : 
Streicher,  mehrfach  geteilt,  unter  starker  Beriicksichtigung  von  Sonderlagen  der  einzelnen  In 
strumente,  und  von  besonderen  Klangwirkungen  (col  legno,  am  Steg,  Flageolett),  etwa  drei-  bis 
vierfache  Holzblaser,  mit  Es-Klarinette,  Bafiklarinette,  Kontrafagott,  und  das  Blech,  das  als  gleich- 
berechtigter,  chromatisch  aufgefaBter  Korper  einheitlich  in  C  und  F  notiert  wird,  endlich 
eine  reiche  Palette  von  Schlagwerk  (neben  Gebrauchlichem  auch  Xylophon,  Klapper,  Schellen, 
Glocken)  und  als  Erganzung  Klavier,  Harmonium,  Celesta  und  Orgel  sowie  die  besonders 
reich  bedachte  Harfe.  Die  Kunstwerke,  bei  denen  diese  Mittel  in  Anwendung  treten,  stehen 
aber  doch  noch  auf  dem  Boden  der  romantischen  Symphonic.  Anton  Bruckner  hat  das  Ge- 
baude  der  klassischen  Symphonic  iibernommen  und  es  durch  Vergrofierung  der  Mafie,  Um- 
gestaltung  der  formalen  Anlage  des  Sonatensatzes,  Intensivierung  des  Klanges  und  der 
Dynamik,  sowie  durch  Anwendung  der  Orchestertechnik  Wagners  monumental  ausgestaltet. 
Gustav  Mahler  ist  formal  und  technisch  unmittelbarer  Nachfolger  Bruckners,  wenn 
man  in  bezug  auf  die  Volkstiimlichkeit  mancher  seiner  Einfalle  nicht  auch  an  Franz 
Schubert  denken  will.  Dabci  steht  aber  Mahler  mit  dem  schopferischen  Ausdruck  seiner 
Gefuhlswelt  mitten  im  Gegenwartigen.  Seine  Musik  enthalt  kein  Programm,  birgt  aber 
philosophische  und  metaphysische  Probleme.  Man  hat  Mahler  die  ,,tonendc  Meta- 
physik"  zum  Vorwurf  gemacht.  Aber  gerade  in  den  letzten  Jahren  des  19.  Jahrhunderts 
wurdc  der  Zwiespalt  zwischen  realer  und  idealer  Welt  so  stark,  dafi  er  sich  in  Mahlers 
Musik  als  Ringen  nach  Losung  spiegelri  mufite.  Tragik  und  Humor,  Ironic  und  Banalitat 


Die  Moderne :  Deutsche  ]  Q07 


beriihren  sich  hier  wie  bei  den  Romantikern ;  Mahlers  Musik  umfafit  aber  auch  das 
Reich  der  Natur.  Mit  der  Cberfeinening  des  Ausdruckes  paaren  sich  Naivitat  und  Senti- 
mentalitat. 

Gustav  Mahler  wurde  am  7.  Juli  1 860  in  Kalischt,  an  der  Grenze  von  Bohmen  und  Mahren, 
als  Sohn  eines  Kaufmannes  geboren,  besuchte  1869 — 75  die  Gymnasien  von  Iglau  und  Prag. 
1875  ging  er  nach  Wien,  wo  er  am  Konservatorium  bei  Julius  Epstein,  Robert  Fuchs  und 
Theodor  Krenn  studierte,  spater  war  er  auch  Horer  der  Universitat.  1880  begann  er  als 
Theaterkapellmeister  in  Hall,  Laibach,  Olmiitz,  kam  dann  nach  Kassel,  Prag  (1885  unter 
Angelo  Neumann),  Leipzig  (1886  neben  Artur  Nikisch).  Im  Jahre  1888  wurde  er  Direktor 
der  ungarischen  Oper  in  Budapest  (bis  1891),  dann  erster  Kapellmeister  des  Stadttheaters 
Hamburg  (Direktor  Pollini).  Von  1897—1907  Direktor  der  Hofoper  in  Wien,  als  solcher 
vorbildlich  durch  seine  stilreinen,  mit  hochster  Genauigkeit  und  unnachahmlicher  kiinst- 
lerischer  Einfiihlung  dirigierten  Auffuhrungen.  Auch  durch  Neuinszenierungen,  Repertoire- 
bildung  und  Zusammenhalt  des  Ensembles  ist  diese  Zeit  der  bedeutendste  Abschnitt  der 
Wiener  Operngeschichte.  1907  mufite  Mahler  zuriicktreten,  war  dann  dreimal  als  Dirigent 
der  Philharmonic  Society  in  Amerika  (New  York).  1911  kehrte  er  schwerkrank  nach  Wien 
zuriick,  starb  am  18.  Mai  1911  und  wurde  auf  dem  Grinzmger  Friedhof  bestattet. 

Mahlers  Schaffen  lafit  sich  in  mehrere  Perioden  einteilen.  Die  Jugendwerke  wurden  von 
ihm  vernichtet.  Ihre  Reste,  das  ,,Klagende  Lied"  und  die  ,,Lieder  aus  der  Jugendzeit", 
bilden  die  erste  Zusammenfassung.  Die  Symphonien  I — IV,  die  ,,Wunderhornlieder"  und  die 
,,Lieder  eines  fahrenden  Gesellen"  die  zweite,  wahrend  die  Symphonien  V — VIII,  die  ,,Kinder- 
totenlieder"  und  die  ,,Ruckertgesange"  den  dritten  Zeitraum  umfassen.  Mit  der  IX.  Symphonic 
und  dem  ,,Lied  von  der  Erde"  sowie  den  zwei  veroffentlichten  Satzen  aus  der  unvollendeten 
X.  Symphonic  kiindigt  sich  eine  neue,  stilistische  Verschiebung  an.  Mahlers  Symphonik 
wachst  urspriinglich  aus  seinem  Liedschaffen  heraus  (vgl.  S.  952)  und  weist,  mit  Aus- 
nahme  der  Symphonien  V — VII,  stets  eine  Beziehung  zur  Chorik  oder  zum  Gesang  auf. 
Selbst  die  scheinbar  ,,absoluten"  Symphonien  I  und  IX  sind  liedhaft  oder  aus  Liedern  auf- 
gebaut.  Zu  einigen  seiner  Symphonien  hat  Mahler  Titelbezeichnungen  der  Satze  und  kurze 
Programme  entworfen  und  deren  Veroffentlichung  zeitweise  erlaubt.  Stets  ist  bei  ihm  das 
Programm  nur  Symbol,  Mittel  zu  ,,letzter  ideeller  Verdeutlichung"  (wie  er  selbst  schreibt) 
und  kann  daher  nach  Belieben  ausgelegt  werden  oder  entf alien.  Keinesfalls  ist  es  mit  den 
aufiermusikalischen  Vorlagen  der  symphonischen  Dichtungen  von  Richard  StrauB  zu  ver- 
wechseln.  Die  I. Symphonic  (D-Dur,  entstanden  1884 — 88)  nimmt  ihr  thematisches  Material 
vorwiegend  aus  den  ,,Liedern  eines  fahrenden  Gesellen".  Der  erste  Satz  fallt  durch  die  stark 
verkiirzte  Reprise,  der  dritte  durch  einen  parodistischen  Scherzkanon  auf.  Das  Finale  verar- 
beitet  durchfiihrungsartig  Themen  des  ersten  Satzes  und  schliefit  mit  einem  Choral.  Die 
II.  Symphonic  (C-Moll,  1894)  beginnt  mit  einem  grofi  angelegten  Trauermarsch.  Nach  dem 
Scherzo  (,,Des  Antonius  Fischpredigt")  wird  das  Lied  ,,Urlicht"  eingeschoben.  Dadurch 
wird  diese  Symphonic  fiinfsatzig  (erstmalig  in  der  Literatur).  Im  Finale  werden  Soli 
(Sopran  und  Alt)  mit  Chor  verwendet.  Die  ausgedehnte  III.  Symphonic  (D-Moll,  1896), 
den  Sieg  des  Lebens  iiber  den  Tod  in  der  Natur  behandelnd,  zerfallt  in  zwei  Teile.  Der 
erste  ist  in  Sonatenform  gebaut,  'der  zweite  umfafit  die  restlichen  fiinf  Satze,  darunter 
Nietzsches  ,,Trunkenes  Lied"  far  Altstimme,  den  ,,Gesang  der  Engel"  fiir  Knabenchor  und 


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Die  Moderne:  Deutsche 


Altsolo  (aus  ,,Des  Knaben  Wunderhorn")  und  em  breites  Adagio  (A-Dur)  als  Finale.  Die 
IV.  Symphonic  (G-Dur,  1899—1900)  ist  wieder  viersatzig.  Als  Finale  dient  das  Lied 
,,Freuden  des  himmlischen  Lebens".  Die  V.  (1901-02,  Gs-Moll),  VI.  (1903-04,  A-Moll) 
und  VII.  (1904—05,  H-MoIl)  Symphonie  bilden  einen  Komplex.  Ihnen  ist  das  Fehlen 
des  vokalenElementes,  gesteigerte  Polyphonie  und  Durchfiihrungstechnik  sowie  das  Zuriick- 
treten  der  Volksmelodien  gemeinsam.  In  der  V.  Symphonie  ist  der  dem  ersten  Sonatensatz  vor- 
angestellte  Trauermarsch  sowie  das  Rondo-Finale  mit  der  Tripelfuge  und  dem  eingescho- 
benen  Adagietto  bemerkenswert.  Die  VI.  fallt  durch  wortliche  Wiederholung  der  Exposition 
des  ersten  Satzes  und  zwei  Durchfizhningen  des  Finales  auf.  Die  VII.  Symphonie  erhalt 
ihr  eigenes  Geprage  durch  zwei  ,,Nachtmusiken"  als  Mittelsatze,  deren  erster  marschartig, 
der  zweite  In  der  Weise  eines  Standchens  mit  Gitarre  und  Mandoline  gehalten  ist.  Die  durch- 
aus  vokale  VII I.  Symphonic  (1906-07,  Es-Dur)  besteht  aus  zweiTeilen  und  ist  fur  (durch- 
gehend  angewendeten)  Doppelchor,  Orchester  und  Solisten  gesetzt.  Der  erste  Satz  baut  sich 
in  Sonatenform  iiber  dem  Hymnus  ,,Veni  creator  spiritus"  auf,  der  zweite,  der  in  sich 
Adagio,  Scherzo  und  Finale  vereinigt,  benutzt  als  Textunterlage  die  Schlufiszene  des  Goethe- 
schen  ,,Faust",  II.  Teil.  Hier  drangen  sich  formaltechnische  Beziehungen  zu  den  sym- 
phonischen  Dichtungen  von  Straufi  auf.  Die  IX.  Symphonie  (1908-09,  D-Dur)  ist  das  letzte 
vollendete  Orchesterwerk  Mahlers.  Zwei  lebhafte  Satze  werden  von  zwei  ruhigen  umrahmt. 
In  der  Instrumentation  kommt  das  bereits  erwahnte  Hinneigen  zur  kammermusikalischen 
Vereinfachung  zur  Andeutung.  Die  X.  Symphonie  ist  Torso  geblieben.  Ein  Adagio  von 
gigantischen  Dimensionen  und  ein  kurzes  dreiteiliges  Scherzo  sind  nach  den  Skizzen  ver- 
offentlicht  und  aufgefiihrt  worden.  Fiir  Mahlers  Schreibweise  ergeben  sich  folgende  Stil- 
merkmale:  Die  Melodik  ist  primar,  geht  aber  von  einer  imaginaren  Akkordik  aus,  welche 
dann  kontrapunktisch  in  verschieden  gerichtete  Unien  auseinandergelegt  wird.  Diese 
Kontrapunktik  ist  manchmal  heterophon,  obwohl  die  Grundlage  der  Harmonik  diatonisch 
ist.  Direkte  Chromatik  findet  sich  bei  Mahler  selten,  obwohl  Querstan^e  und  unauf- 
geloste  Vorhalte  haufig  sind.  Eine  Vorliebe  fur  Ostinatomotive,  Orgelpunkte,  liegende 
Stimmen,  Wechsel  zwischen  Dur  und  Moll  ist  deutlich.  In  bezug  auf  den  formalen 
Aufbau  bringt  Mahler  bedeutsame  Erweiterungen  der  Sonaten-  und  Rondoform.  Eine 
neue  Durchfuhrungsart  wird  zur  Regel,  namlich  das  Verfahren,  jedes  Thema  sofort 
nach  seinem  Erscheinen  zu  verarbeiten.  Grofie  neue  Themenkomplexe  ersetzen  oft  die 
Durchfiihrungsteile,  in  denen  auch  die  kontrapunktischen  Formen,  zuweilen  sogar  Kanons 
angewendet  werden  (Tripelfuge  letzter  Satz  V.,  einfache  Fuge  3.  Satz  II.,  3.  Satz  IX.). 
Auch  von  den  Vertauschungsmoglichkeiten  durch  doppelten  und  dreifachen  Kontrapunkt 
(VIII.)  und  von  gleichzeitiger  Kombination  mehrerer  Themen  wird  gerne  Gebrauch  gemacht. 
Die  Fiihrung  der  Stimmen  gegeneinander  findet  zuweilen  unter  Reibungen  statt,  die  sich  in 
Sekunden-,  Septimen-  oder  Nonenparallelen  aufiern.  Zahl  und  Folge  der  Symphoniesatze 
wird  geandert.  Die  einzelnen  Satze  sind  oft  durch  motivische  Bander  verkniipft.  Hierzu 
kommen  Sequenzen  und  Verfeinerungen  des  Rhythmus  mit  Takt-  und  Tempowechsel  als 
Steigerungsmittel.  Mahlers  Instrumentation  hat  das  Bestreben,  die  Linien  moglichst  klar- 
zulegen.  Die  verschiedensten  Klangcharaktere  werden  gegeneinander  gesetzt,  von  klang- 
verschmelzenden  Fullstimmen  moglichst  Abstand  genommen.  Derart  findet  sich  bei  Mahler, 
trotz  der  Grofie  seiner  Mittel,  der  Ansatz  zu  der  kammermusikalischen  Orchesterbehand- 


Die  Modeme :  Deutsche  1 Q  09 


lung  der  spateren  Generationen.    Das  Schlagwerk  wird  nicht  nur  zur  Verstarkung,  sondern 
in  selbstandiger  Weise  angewendet. 

Da  Mahler  nicht  unterrichtete.  kann  von  einer  unmittelbaren  Mahler-Schule  nicht  gesprochenwerden.  DerDirigent 
Bruno  Walter  (geb.  1876  in  Berlin)  bildet  eine  Ausnahme.  Er  hat  direkt  unter  Mahlers  Anleitung  gearbeitet  und 
ist  mit  2Symphonien  und  zahlreichenKammermusikwerkenhervorgetreten.  Durch  die  Reinheit  seiner  Kunstauffassung 
hat  Mahler  allerdings  nachhaltig  gewirkt,  vor  allem  auf  Arnold  Schonberg.  Seinen  Kompositionsstil  nahmen  sich, 
vonviegend  in  den  Jahren  seit  seinem  Tode,  als  die  Symphonien  immer  ofter  aufgefiihrt  wurden,  eine  Reihe  von 
Komponisten  zum  Vorbild,  von  denen  einige  Wiener  genannt  seien:  Hugo  Kauder  (geb.  1888),  Autodidakt,  schrieb 
2  Symphonien,  mehrere  Orchesterwerke,  Kammermusik  und  Lyrik;  Egon  Lust gart en  (geb.  1887),  vonviegend 
Lyriker  und  Chorkomponist;  ferner  Hans  Plefi,  Karl  Wiener,  Fritz  Schreiber  und  Paul  Frankl.  Einer  alteren 
Generation  angehorig,  aber  Mahler  durch  personlichen  Verkehr  nahegebracht  und  von  ihm  nicht  unbeeinfluBt,  sind 
Alexander  v.  Zemlinsky  (s.  S.  1034)  und  dessen  SchiilerKarl  Weigl,  sowie  der  Norddeutsche  Ernst  Otto  Nod- 
nagei  (1870—1909).  Der  bekannte  Dirigent  Hermann  Scherchen  ist  in  seinen  Arbeiten  anscheinend  ebenfalls 
auf  Mahlers  Spuren. 

Wahrend  das  symphonische  Schaffen  Gustav  Mahlers  das  innere  Weltbild  der  Gegenwart 
widerspiegelt,  finden  wir  in  den  Werken  von  Richard  StrauB  den  auBeren  Hohepunkt  der 
Epoche.  StrauB  ist  eigentlich  eine  Erscheinung  zwischen  zwei  sich  ablosenden  Stilperioden. 
Seine  Ausdrucksart  ist  die  romantische,  die  Form  aber  intellektualistisch  gestaltet.  Dazu 
kommt  die  Bereicherung  durch  Archaisierungen  und  Stilmischungen,  die  das  Bild  verschie- 
dener  nebeneinander  wirkender  Einfliisse  erkennen  lassen.  Auch  er  bevorzugt  das  Orchester 
als  Hauptausdrucksmittel  seiner  kunstlerischen  Personlichkeit.  Nach  einer  Jugendperiode, 
welche  zahlreiche  ungedruckte  Kammermusikwerke,  Ueder  und  Orchesterstiicke,  ferner  die 
veroffentlichten  opera  1—15  umfafit,  tritt  ein  vblliger  Umschwung  ein,  indem  sich  StrauB* 
Schaffen  der  Programmusik  zuwendet.  Er  wird  einer  der  Hauptvertreter  der  sogenannten 
neudeutschen  Scbule,  und  es  gelingt  ihm,  die  durch  Liszt  gepragte,  unter  dem  Einflufi 
von  Berlioz  und  Wagner  stehende  symphonische  Dichtung  formal  und  stilistisch  weiterzuent- 
wickeln,  ja  sogar  einen  Versuch  der  Synthese  zwischen  den  zyklischen  Formen  der  absoluten 
Musik  und  der  freien  Programmsymphonie  zu  unternehmen.  Wahrend  die  Lyrik  des  Meisters 
mit  alien  Wandlungen  Schritt  halt,  wendet  sich  StrauB  nach  einem  reichen  instrumentalen 
Schaffen  fast  ausschlieBlich  musikdramatischen  Werken  zu  (s.  S.  1030),obwohl  schon  friiher 
einzelne  Werke  dieser  Gattung  die  Folge  der  Orchesterwerke  unterbrochen  hatten.  Seine 
Eigenart  wird  am  besten  durch  die  Verbindung  von  Einfallsreichtum  mit  grofiter  artistischer 
Meisterschaft  gekennzeichnet.  Die  Sphare  des  Geistreichen,  Schalkhaften,  j"a  Satirischen  liegt 
ihm  naher  als  weltabgewandte  Gefiihlstiefe.  Dabei  sind  starke  aufiermusikalische  Einfliisse 
des  Literarischen  auf  seinen  kunstlerischen  Charakter  stets  nachweisbar. 

Richard  Straufi  wurde  am  1 1.  Juni  1864  in  Miinchen  als  Sohn  des  Hornisten  Franz  Straufi 
(in  zweiter  Ehe  mit  Josephine  Pschorr  vermahlt)  geboren.  Er  zeigte  bereits  friihzeitig 
musikalische  Anlagen  und  komponierte  von  seinem  6.  Lebensjahre  an.  (Unterricht  bei  Benno 
Walter,  Klavier  und  Violine,  spater  bei  Fr.  W.  Meyer,  Theorie.)  Nach  dem  Besuche  des  Gym 
nasiums  und  der  Universitat  war  er  bereits  ofter  als  Komponist  hervorgetreten,  hatte  in  Frank 
furt,  Berlin  und  andern  Stadten  Erfolge  und  wurde  1885  durch  Hans  v.  Billow  als  Musik- 
direktor  nach  Meiningen  berufen.  Dort  lernte  er  Alexander  Ritter  kennen,  der  neben  Billow 
groBen  EinfluB  auf  ihn  gewann.  1886  war  Straufi  dritter  Kapellmeister  der  Oper  in  Miinchen, 
wohin  auch  Ritter  iibersiedelte,  1889—94  Kapellmeister  in  Weimar.  Nach  seiner  Vermahlung 
mit  Pauline  de  Ahna  kehrte  er  als  Nachfolger  Herrmann  Levis  wieder  nach  Miinchen  zuriick 


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Die  Modeme:  Deutsche 


(j  894— 98).  Seither  war  StrauB,  abgesehen  von  zahlreichen  Konzertreisen  in  ganz  Mittel- 
europa,  als  Hofkapellmeister  in  Berlin  tatig.  1908  wurde  er  dort  Generalmusikdirektor  und 
Opernleiter,  welche  Stelle  er  bis  zum  Jahre  1919  (zugleich  mit  der  Lehrstelle  fur  Kompo- 
sition  an  der  Hochschule  for  Musik)  bekleidete.  In  diesem  Jahre  wurde  er  als  Direktor 
der  Staatsoper  nach  Wien  berufen,  wo  er  auch  nach  Beendigung  dieser  Tatigkeit,  1924,  standig 
seinem  Schaffen  lebt  und  als  Dirigent  seiner  eigenen  Werke  im  In-  und  Ausland  wirkt. 

Die  Orchesterwerke  der  Jugendzeit  konnen,  als  fur  den  Stil  des  Komponisten  nicht  oha- 
rakteristisch,  tibergangen  werden.  Heute  noch  gespielt  werden  die  Blaserserenade  op.  7  (1882), 
ein  einsatziges  Stiick  far  13  Blasinstrumente,  das  Violinkonzert  in  D-MolI  op.  8  (1883),  das 
Hornkonzert  op.  1 1  (1883)  und  die  Burleske  fur  Klavier  und  Orchester  in  D-Moll  (gedruckt 
1886).  Auch  die  Symphonic  in  F-MolI,  op.  12  (1884),  in  vier  Satzen,  erscheint  zuweilen  auf 
Konzertprogrammen.  Sie  zeigt  die  iibliche  Anlage  und  den  EinfluC  Mendelssohns  und  Schu- 
manns,  der  sich  oft  bis  zu  wortlichen  Zitaten  verdichtet.  Die  Stilwandlung  kiindigt  sich  in 
der  viersatzigen  symphonischen  Phantasie  ,,Aus  Italien"  (op.  16,  G-Dur)  an,  welche  nach 
einer  italienischen  Reise  1886  entstand.  Hier  ist  noch  absolute  Musik,  die  aber  durch  selbst- 
verfaCte  Titel  und  Bezeichnungen  auBermusikalischen  Gedanken  assoziiert  wird.  Die  Lo- 
sung  des  Stilproblemes  erfolgt  erst  in  den  beiden  folgenden  Werken:  ,,Macbeth"  (als  op.  23, 
1891  umgearbeitet  erschienen)  und  ,,Don  Juan"  (op.  20,  1889).  Schon  Liszt  hatte  in  der 
symphonischen  Dichtung  die  Notwendigkeit  eingesehen,  von  Einzelausschmuckungen,  Ton- 
malereien  und  Individualismen  abzustehen  und  ein  zusammenfassendes  Formgeriist  aufzu- 
richten.  Aber  erst  Richard  StrauB  war  es  vorbehalten,  die  fertig  vorliegenden  klassischen 
Typen  des  Sonatensatzes,  der  Variationenform,  des  Rondos  mit  dem  programmatischen  Inhalt 
zu  einer  Einheit  zu  verschmelzen.  Problematisch  daran  war  vor  allem  die  Uberwindung 
der  wortlichen  Reprise  nach  durchgefuhrter  Entwicklung.  StrauB  hat  fast  in  jeder  Dichtung 
eine  dem  Stoff  adaquate  Losung  gefunden.  ,,Don  Juan".,  nach  dem  Gedicht  von  Nikolaus 
Lenau,  schildert  im  Rahmen  eines  Sonatensatzes,  der  aus  Exposition,  freier  Durchfiihrung 
und  verkiirzter  Reprise  besteht,  die  dramatische,  zur  Katastrophe  treibende  Entwicklungslinie 
des  Helden.  Das  wesentliche  an  dem  Stiick  ist,  daB  sich  die  Form  der  Dichtung  mit  dem  Aus- 
druck  deckt  und  daB  trotz  vorkommender  bildhafter  Tonmalereien  der  Schwerpunkt  auf  der 
grofien  formalen  Anlage  liegt,  die  das  Stiick  auch  ohne  Programm  wertvoll  und  verstandlich 
macht.  Auch  ,,Macbeth"  zeigt  Sonatenform,  wahrend  ,,Tod  und  Verklarung"  (op.  24,  1890) 
auf  der  kontrastierenden  Wirkung  zweier  in  sich  abgeschlossener  Teile  beruht.  Der  erste 
Moll-Teil  birgt  schon  die  gegensatzlichen  Motive  des  Lebens  und  Todes,  die  exponiert  und 
dann  frei  durchgefuhrt  werden  (,,Todeskampf").  Die  Andeutung  einer  Reprise  schildert  -den 
Eintritt  des  Todes.  Der  zweite  Dur-Teil  (Verklarung)  ist  eine  liedartig  angelegte  grofie  Koda 
mit  einem  Themenmaterial,  das  bereits  im  Anfangsteile  verandert  enthalten  war.  Die  sym- 
phonische  Dichtung  ,,Till  Eulenspiegels  lustige  Streiche"  (op.  28,  1895)  tragt  den  Untertitel 
,,Rondeau"  und  ist  damit  formal  klassifiziert.  Eine  Themengruppe  kehrt  oft  in  verschiedenen 
Gestalten  wieder,  verschiedenartige  freie  Zwischensatze  wechseln  ab;  Prolog  und  Epilog 
stellen  die  Einheit  her,  die  durch  den  scherzohaften  Charakter  des  Ganzen  gefestigt  wird. 
,,Also  sprach  Zarathustra"  (frei  nach  Nietzsche)  ist  als  op.  33  (1896)  erschienen.  Wieder  ist 
die  formale  Einstellung  des  Komponisten  geandert.  Es  kam  StrauB  keineswegs  darauf  an, 
das  philosophische  System  in  Musik  zu  setzen,  sondern  die  verschiedenen,  durch  Nietzsches 


Die  Moderne:  Deutsche  101 1 


Gedanken  angeregte,  in  abgeschlossenen  liedartigen  Formen  ausgedriickten  Stimmungen  in 
der  Form  einer  symphonischen  Phantasie  aneinanderzureihen,  wobei  zwei  Grundleitmotive  das 
ganze  Werk  durchziehen  und  auch  durch  die  Tonartenkomplexe  Verbindungsmoglichkeiten 
hergestellt  werden.  Die  einzelnen  Teile  sind  im  Charakter  den  entsprechenden  Gebilden  der 
alten  Symphonic  angenahert  (Andante  religioso  [fugato]  —  Scherzo  —  Finale,  letzteres  aus 
dem  ersten  Seitenthema  entlehnt).  Merkwiirdig  ist  der  SchluB  mit  dem  Mischklang  C-  und 
H-Dur  (erster  Fall  in  der  Literatur.)  ,,Don  Quichote"  (op.  35),  im  Jahre  1898  entstanden, 
ist  mit  ,,Introduzione,  Tema  con  variazioni  e  Finale"  bezeichnet.  In  dieser  Dichtung,  der 
letzten  im  strengen  Sinne  einsatzigen,  halt  sich  StrauB  am  genauesten  an  die  Einzelheiten  des 
Programmes.  In  der  Introduktion  werden  die  zwei  Hauptthemen  (Don  Juan  —  Solocello!  — 
und  Sancho  Pansa)  aufgestellt,  dann  in  der  Variationenfolge  die  einzelnen  Abenteuer  ge- 
schildert,  wobei  die  tonmalerische  Zeichnung  in  den  Vordergrund  tntt.  Das  Finale  ist  em 
kodaartiger  Epilog,  der  sich  im  Themenmaterial  und  in  der  Anlage  mit  der  Introduktion 
beriihrt.  Das  ,,Heldenleben"  (op.40, 1 899),  eine  der ausgedehntesten  symphonischen  Dichtungen 
StrauB*,  Jst  auBerlich  einsatzig,  aber  durch  das  Vorkommen  eines  ausgesprochenen  langsamen 
Mittelsatzes  in  drei  Satze  zerlegbar.  Die  Dimensionen  des  ersten  Satzes  (Sonatenform)  sind 
so  riesenhaft,  dafi  sich  die  einzelnen  Themengruppen  zu  ganzen  Binnensatzen  formen.  Inner- 
halb  der  einzelnen  Gruppen  sind  bereits  Durchfiihrungen  der  Themen  einbezogen  (wie  bei 
Mahler),  sodaB  die  Gliederung  erschwert  wird.  Immerhin  sind  aber  Hauptgruppe  —  Seiten- 
satz  —  Koda  —  grofie  Durchfiihrung  —  verkiirzte  Reprise  —  lyrische  Nachdurchfiihrung  zu 
unterscheiden.  Letztere  moduliert  zwanglos  in  das  Adagio,  welches  aber  nicht  schliefit,  sondern 
von  der  groBen  Koda  des  Gesamtwerkes  abgelost  wird.  Die  einzelnen  Teile  und  Satze  sind 
hier  nicht  genau  nach  dem  Programm  bezeichnet,  wahrend  StrauB  in  der  ,,Sinfonia  domestica" 
(F-Dur,  op.  53,  1904)  durch  Uberschriften,  Zusatze  und  Erlauterungen  ein  genaues  Bild  des 
eigentlich  vierteiligen  Werkes  entwirft.  Der  ersteTeil  ist  Sonatensatz  mit  doppelter  Exposition, 
das  Scherzo  und  Adagio  sind  selbstandige  Teile,  fiihren  aber  Themen  des  ersten  Teiles  weiter, 
das  Finale,  eine  Doppelfuge,  verkniipft  seine  Stellung  mit  der  einer  Reprise,  was  durch  Wieder- 
aufnehmen  der  Hauptthemen  der  Exposition  (Teil  I)  bestatigt  wird.  Die  ,,Alpensymphonie" 
(op.  64,  1915)  greift  formal  auf  den  ,,Zarathustra"  zuriick.  Das  Werk  ist  eine  symphonische 
Phantasie,  die  ihre  Teile  deskriptiv  episch  aus  den  einzelnen  Phasen  der  Alpenwanderung 
nimmt,  ohne  neuartige  Formanordnungen  aufzusuchen,  obwohl  eine  dreiteilige  Gesamtanlage 
festzustellen  ist.  An  konzertanten  Instrumentalwerken  hat  StrauB  in  den  letzten  Jahren  das 
,,Parergon  zur  Symphonia  Domestica",  op.  73,  und  ,,Panathenaenzug",  op.  74,  geschrieben. 
Erstgenanntes  Werk  ist  eine  Klavierparaphase  iiber  die  bekannten  Themen  der  Orchester- 
symphonie,  das  zweite  eine  Variationenreihe.  Beide  sind  als  Gebrauchsmusiken  fur  den  ein- 
armigen  Pianisten  Paul  Wittgenstein  entstanden. 

Richard  StrauB  geht  in  seinem  symphonischen  Schaffen  vom  (Wagnerschen)  Motiv  aus. 
Er  baut  die  Themen  zunachst  iiber  dem  harmonischen  Geriist  der  Kadenz,  ohne  sie,  zumal 
in  seiner  mittleren  Schaffenszeit,  zu  periodisieren.  Die  melodischen  Elemente  sind  diatonisch 
und  nehmen  mit  Vorliebe  Dreiklange  zur  Grundlage.  Zur  Stimmungsforderung  wird  oft 
Chromatik  herangezogen.  Die  stilistische  Entwicklung  fiihrt  ihn  dann  von  der  Motivan- 
einanderreihung  zu  grofieren  Bindungen.  Die  thematische  Arbeit  beschrankt  sich  auf  Kontra- 
punktieren  im  alten  Sinne,  allerdings  mit  iiberragender  Meisterschaft  unter  Zuhilfenahme  von 


]Qi2  Die  Moderne:  Deutsche 


freien  Wechselnoten,  indirekter  Auflosung  derDominanten  und  abspringenderVorhalte.  Auch 
die  melodische  (und  harmonische)  Sequenz  spielt  beim  Verarbeiten  des  Materiales  eine  groBe 
Rolle.  In  der  Harmonik  kiindigen  sich  die  fortschrittlichen,  ja  sogar  revolutionaren  Ideen  Straufi' 
am  starksten  an.  Die  Alteration  der  Akkorde  wird  zielbewuBt  weiter  ausgestaltet,  ver- 
schiedene  Klange  gemischt  und  horizontal  aufgelost.  Dabei  wird  aber  die  letzte  Konsequenz 
des  Verlassens  der  Tonart  nicht  gezogen ;  Straufi  wird  in  seiner  spateren  Zeit  sogar  wieder 
einfacher  in  seiner  Harmonik  und  geht  heute  iiber  Richard  Wagner  nicht  hinaus.  Seine  In 
strumentation  setzt  bei  den  Ergebnissen  des  Wagnerorchesters  ein,  gestaltet  dieses  durch 
Steigerung  der  Mittel  aus,  wobei  etwa  in  der  Besetzung  der  ,,Elektra"  der  Hohepunkt  erreicht 
wird.  Der  OrchesterstJI  ist  nicht,  wie  beispielsweise  bei  Reger,  durch  registerartige  Mischung 
der  Gruppen,  sondern  durch  konzertante  und  melodische  Fiihrung  der  einzelnen  Instrumente 
gekennzeichnet.  Auch  in  bezug  auf  Instrumentation  erfolgt  im  spateren  Buhnenschaffen 
Umkehr  und  Vereinfachung. 

Straufi,  der  zwolf  Jahre  hindurch  mit  seinen  symphonischen  Dichtungen  die  deutschen  Konzertprogramme  be- 
herrscht  hat,  Werken,  die  sich  auch  in  der  Folgezeit  auf  den  Spielplanen  hielten,  Hat  naturgemafi  sehr  stark  auf  alle 
Komponisten  der  programmatischen  Richtung  eingewirkt.  Er  beherrscht  die  Schreibweise  mehrerer  Generationen, 
die  entweder  in  der  Anlage  ihrer  Werke  oder  in  einzelnen  Stilmerkmalen  auf  ihn  weisen.  In  seiner  unmittelbaren 
Nahe  steht  E.  N.  v.  Reznicek  (geb.  1860  in  Graz).  Sein  Schaffen  umfaBt  alle  Zweige  der  Tonkunst.  Den  ersten 
bedeutsamen  Erfolg  errang  er  mit  der  komischen  Oper  ,,Donna  Diana"  (1894),  die  stilistisch  den  leichten  Ton  der 
Spieloper  der  Mitte  des  1 9.  Jahrhunderts  festhalt.  Reznicek  zeigt  in  verscniedenen  Werken  die  Eigenheiten  fast  aller 
Komponisten  seit  1800,  ohne  eine  personliche  Note  zu  erreichen.  Erst  mit  seinen  beiden  symphonischen  Dichtungen 
..Schlemihr  (1911/12)  und  ,,Der  Sieger"  (1913)  findet  er  sich  selbst.  Beide  Werke  sind  groB  angelegte,  viersatzige 
Symphonien,  in  denen  Satire,  Ironic  und  Groteske  vorwiegen.  Daneben  stehen  vier  Symphonien  ohne  Programm 
(d  1904,  B  1905,  D  1919,  f  1920)  und  die  groBe  Tanzsymphonie  (1925)  sowie  ein  vielgespieltes  Violinkonzert  (1925). 
Von  Rezniceks  Biihnenwerken  ist  ,,Ritter  Blaubart"  (nach  dem  Text  von  Herbert  Eulenberg,  1917/18)  einer  sehr 
fortschrittlichen  Harmonik  und  starken  Biihnenwirkung  wegen,  sowie  die  Musik  zu  Strindbergs  ,,Traumspiel'* 
(1915)  zu  nennen.  Die  Chorwerke  ,,In  memoriam",  ein  Requiem  fur  die  Gefallenen  des  Weltkrieges  (1915)  und 
,,Vater  unser"  (1919)  vervollstandigen  seine  Hauptarbeiten.  Neben  Kleinerem  ist  noch  die  ,,Tragische  Geschichte", 
parodistische  Orchestervariationen  nach  Chamisso  (1921)  von  nachhaltiger  Wirkung  gewesen.  Den  Jahren  nach  alter, 
aber  auch  in  den  Kreis  von  Rich.  StrauB  gehorend  und  von  ihm  beeinflufit,  ist  Jean  Louis  Nicode*  (geb.  1853,  gest. 
191 9).  Er  schuf  zahlreiche  sinfonische  Dichtungen  (,,Maria  Stuart",  „ Jagd  nach  dem  Gliick",  ..Gloria")  und  ist  dadurch 
bemerkenswert,  dafi  er  den  Chor  als  tragendes  Element  fur  programmusikalische  Werke  verwendete.  Der  Berliner  Ge- 
neralmusikdirektor  Max  von  Schillings,  der  auf  dem  Gebiete  der  Oper  andere  Wege  einschlagt,  ist  mit  seinen  sym 
phonischen  Werken  hier  einzureihen.  Jean  Paul  Ertel  (geb.  1 865)  begann  seine  symphonischen  Werke  unter  dem  Ein- 
flufi  Straufiens  (,,Hero  und  Leander"),  wendete  sich  in  den  letzten  Jahren  allerdings  der  pointillistischen  Richtung  zu. 
Neben  Paul  Scheinpflug  (geb.  1875),  dessen  Haupttatigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Kammermusik  liegt,  ist  Sigmund 
von  Hausegger  (geb.  1872  in  Graz)  mit  Biihnenwerken  und  Orchesterdichtungen  hervorgetreten,  die  eine  Mittel- 
stellung  zwischen  der  neudeutschen  und  nachklassischen  Richtung  einnehmen.  Die  Struktur  und  Anlage  sowie  der 
Gehalt  folgen  den  Wegen  von  Liszt  und  StrauB,  wahrend  die  Themenbildung  und  -fortfuhrung  an  Johannes  Brahms  er- 
innern.  Die  bekanntesten  seiner  Symphonien  sind  ,,Barbarossa",  ,,Wieland  derSchmied"  und  aus  spaterer2eit(1919) 
„  Aufklange",  symphonische  Variationen,  sowie  eine  ,,Natursymphonie".  Zur  Straufinachfolge  der  jiingeren  Generation 
gehoren  Ernst  Boehe  (geb.  1880,  jetzt  vorwiegend  Diligent)  und  der  junge  Ungar  Georg  Sz^ll  (geb.  1897,  gegen- 
wartig  Opernleiter  in  Prag),  der  mit  Orchestervariationen  und  einer  lyrischen  Ouvertiire  bekannt  wurde. 

Wahrend  der  Schwerpunkt  des  Schaffens  von  Mahler  und  StrauB  in  Orchesterwerken  lag, 
wird  dieser  Massenklangkorper  als  Ausdrucksideal  von  den  spateren  Meistern,  die  der  Musik- 
entwicklung  neue  Wege  bereiten,  verlassen.  Sie  alle  schreiben  noch  viele  Orchesterwerke,  aber 
mit  merkbargeanderter  Technik  und  verlegen,  soweit  ihr  Hauptwerk  in  der  absoluten  Musik 
liegt,  die  Entwicklungslinie  auf  das  Gebiet  der  Kammermusik  und  der  Produktion  far 
einzelne  Instrumente;  daher  konnen  sie  als  Gesamterscheinungen  in  jener  Reihe  gewertet 
werJen. 


Die  Moderne :  Deutsche  1 Q 1 3 


b)  FUR  KAMMERBESETZUNG,  MUSIK  FUR  EINZELNE  INSTRUMENTE.  Der 
letzte  groBe  Meister  auf  dem  Gebiete  der  Kammermusik  im  ausgehenden  19.  Jahrhundert  war 
Johannes  Brahms  (s.  S.  968).  Um  ihn  scharten  sich  aile,  die  sich  im  Gegensatze  zu  der 
farbigen,  reizsamen,  dem  Sinnlichen  zugewendeten  Musik  der  neudeutschen  Schule  befanden. 
Alle  Richtungen  der  um  die  Jahrhundertwende  wieder  aufbliihenden  Kammermusikproduktion 
stlitzen  sicb  auf  Brahms,  und  sein  Schaffen  ist  der  Ausstrahlungspunkt  for  die  verschiedenen 
Linien.  Deren  wichtigste  sind  einerseits  Weiterfiihren  der  Brahmsschen  Uberlieferung  in 
seinem  Sinne,  ohne  Erneuerung  des  Inhaltes,  eine  Kunstrichtung,  die  trotz  ihrer  besonders 
in  Nord-  und  Siiddeutschland  (Miinchen)  andauernden  Pflege  als  im  19.  Jahrhundert  ver- 
wurzelt,  also  epigonenhaft  bezeichnet  werden  mufi.  Eine  zweite,  die  neben  der  Verankerung 
in  Brahms  auch  an  altere  Richtungen  ankniipft,  aber  auf  dem  Gebiete  der  Harmonik  neue 
Ergebnisse  anstrebt,  findet  ihren  Hohepunkt  in  Max  Reger  und  seiner  Schule;  hierher  ge- 
horen  auch  Komponisten  der  jiingeren  Generation,  die,  ohne  die  Meister  des  19.  Jahrhunderts 
als  bindend  fur  ihre  Tradition  anzusehen,  direkt  an  Vorbilder  des  17.  und  18.  Jahrhunderts 
ankniipfen.  Diese  sind  allerdings  in  ihrer  Harmonic-  und  Formgestaltung  einerseits  von 
der  auslandischen  Musik  beeinflufit  (Busoni,  Delius),  andererseits  den  Ergebnissen  nahe, 
welche  die  Stromung  der  ,,neuen  Sachlichkeit"  charakterisieren,  wobei  sie  an  die  Lockerungen 
des  Expressionismus  ankniipfen.  Auch  diese  Linie  lafit  sich  letzten  Endes  auf  Brahms  zuriick- 
fiihren.  Jedoch  erst  von  Reger  ab  ergibt  sich  ein  bewuBter  Gegensatz  zwischen  Kammer- 
und  Orchestermusik,  wahrend  die  vorgenannten  Gruppen  Werke  aller  Gattungen  zusammen- 
fassen.  Als  Beginn  und  merkwiirdigste  Erscheinung  der  ersten  Reihe  ist  Hans  Pfitzner 
anzusehen,  der  ebenso  wie  Richard  StrauB  mit  den  Kammermusikwerken  seiner  Jugendperiode 
der  romantischen  Richtung  angehort.  Wahrend  aber  bei  Straufi  ein  Stilwechsel  in  jaher 
Weise  die  Schaffensrichtung  anderte,  ist  Pfitzner  stets  der  Spatromantik  zugewendet  geblieben. 
Hauptsachlich  auf  dem  Gebiete  des  Musikdramas  tatig  (s.  S.  887),  schaut  er  bewuBt  in  die 
Vergangenheit  (Schumann,  der  friihe  Wagner)  zuriick.  Sein  instrumentales  Schaffen,  das 
man^am  besten  als  Nachromantik  bezeichnen  konnte,  sucht  die  Anlehnung  an  friihere  Bliite- 
zeiten  der  Kunst,  da  das  Gefiihl,  in  der  Zeit  eines  politischen  Niederganges  zu  leben,  den 
Kiinstler  vom  bewuBten  Vorwartsschreiten  abhalt.  Dazu  kommt  Pfitzners  kritischer  Kampf 
gegen  die  neue  Musik  und  die  Reinheit  seiner  Kunstgesinnung,  die  ihm  einen  groBen  Einflufi- 
kreis  gewannen.  Stilistisch  hat  er  in  der  Kammermusik  die  horizontale  Mehrstimmigkeit  zu  be- 
leben  versucht  und  hat  harmonische  Freiheiten  neben  langem  Festhalten  gleicher  Akkorde  (vor- 
wiegend  in  langsamen  Zeitmafien)  als  Ausdrucksmittel  herangezogen,  ohne  stilbildend  zu  wirken. 
Das  merkwiirdige  Zusammentreffen  von  Brahmsschem  EinfluB  auf  die  Formgestaltung  und  neu- 
deutscher  Ausdrucksart  kennzeichnet  die  sogenannte  ,,Miinchner  Tonschule",  eine  Gruppe  von 
Komponisten,  auf  die  ihrLehrer,  LudwigThuille(1861 — 1 907),  entscheidenden EinfluB nahnru 
Wahrend  sich  Hermann  W.  von  Wai  t  er  s  haus  en  (geb.  1 882)  und  Edgar  I  s  t  el  (geb.  1 880)  haupt- 
sachlich  auf  musikdramatischem  Gebiete  betatigen,  fallen  die  Komponisten  Anton  Beer -Wai  1- 
baum  (1864—1929),  August  ReuB,  Walter  Courvoisier,  Hermann  Zilcher  und  Walter 
Braunfels  indiesen  engeren  Kreis.  ReuB  (geb.  1871  in  Siidmahren)  schrieb  neben  Lyrikeine 
groBe  Reihe  von  Kammerwerken,  in  denen  er  gewahlte  Einfalle  im  genauen  Rahmen  des  Brahms 
schen  Satzbildes  ausspricht.  Walter  Courvoisier  (geb.  1875  inRiehen  bei  Basel)  schuf  neben 
Suiten  fur  Solovioline  zahlreiche  Vokalwerke  gleicher  Stilrithtung.  Hermann  Zilcher  (geb. 


|QJ4  Die  Moderne:  Deutsche 


1881  in  Frankfurt  a.  M.)  ist  mit  Klavierwerken,  mehreren  Symphonien,  Kammerwerken  und 
Lyrik  hervorgetreten.  Er  zeigt  sich  von  der  koloristischen  Kleinkunst  der  Franzosen  nicht 
unbeeinflufit.  Die  bedeutendste  Erscheinung  dieser  Gruppe  ist  Walter  Braunfels  (geb.  1882 
in  Frankfurt  a.  Main),  der  in  gleichem  MaBe  in  der  dramatischen,  wie  in  der  absoluten  Musik 
schafft.  Seine  dramatischen  Werke  wurden  als  derzeitige  Endpunkte  der  Entwicklung  des 
musikalischen  Lustspiels  gekennzeichnet.  Im  iibrigen  bevorzugt  er  Klaviermusik.  Er  ver- 
offentlichte  mehrere  Hefte  (op.  5,  10,  16,  31)  Klavierstiicke,  die  an  Schumanns  kleine 
Klavierkompositionen  erinnern,  ein  Rondo,  Klavierkonzert  und  Variationen.  In  dem  Orchester- 
variationenwerk  ,,Phantastische  Erscheinungen  iiber  ein  Thema  von  Berlioz*'  (op.  25)  kommt 
die  Schilderung  vorwiegend  grotesker  Stimmungen  zu  dem  von  Brahms  beeinfluBten  formalen 
Aufbau.  Lyrik  und  mehrere  Chorwerke  (darunter  ,,Te  deum",  op.  32  und  eine  grofie  Messe, 
op.  37)  erganzen  das  Werk  von  Walter  Braunfels,  der  heute  als  Direktor  der  staatlichen  Hoch- 
schule  far  Musik  in  Koln  lebt.  Zur  Miinchener  Schule  gehoren  noch:  Max  Ettinger  (1874) 
und  Clemens  v.  Franckenstein  (1875),  beide  vorwiegend  auf  musikdramatischem  Gebiete 
tatig,  dann  Klaus  Pringsheim  (1883),  Gustav  Geierhaas  (1888),  endlich  von  den  Jiingsten 
der  in  der  Vokalpolyphonie  hervorragende  Karl  Marx  (1897)  und  der  jetzt  in  Salzburg  wir- 
kendeTiroIer  JosephMessner  (1893).  DieVerbindung  mit  den  nord-  und  mitteldeutschen  Epi- 
gonen  der  Brahmsschen  Kompositionsweise  stellt  Julius  Weismann  (geb.  1879  in  Freiburg  im 
Breisgau)  her.  Mehrere  Kammer-  und  Orchesterwerke,  darunter  ein  oft  gespieltes  Klavier 
konzert,  zeigen,  dafi  der  romantische  EinfluB  bei  ihm  geringer,  die  formalistische  Seite  starker 
wird,  wozu  Bestrebungen  nach  grofierer  Freiheit  Jm  Harmonischen  treten.  Im  allgemeinen  fallt 
bei  den  Komponisten  dieser  Richtung,  die  im  Norden  leben,  die  Stilmischung  weg.  Sie  ver- 
andern  weder  Technik,  Form  noch  Ausdrucksweise  der  klassizistischen  Stilperiode  und  kb'nnen 
daher  als  reine  Epigonen  des  19.  Jahrhunderts  bezeichnet  werden.  Die  alteren  in  Berlin 
lebenden  Komponisten,  deren  Hauptschaffensgebiet  Kammerwerke  bilden,  sind  Hugo  Kaun 
(geb.  1867  in  Berlin),  Paul  Juon  (ein  Deutschrusse  aus  Moskau,  geb.  1872)  und  Hugo 
Leichtentritt  (geb.  1874).  Hierher  gehort  stilistisch  auch  der  Rheinlander  Ewald  Straesser 
(geb.  1867  in  Burscheid,  Berg).  Einer  jtingeren  Generation  sind  zuzurechnen:  Walter  Nie- 
mann,  vor  allem  als  Klavierkomponist  bekannt,  und  Juons  Schiller  Max  Trapp  (geb.  1887). 
Trapps  Schiller  ist  Giinther  Raphael  (geb.  1903  in  Berlin),  jetzt  Lehrer  am  Leipziger  Landes- 
konservatorium.  In  seinen  Orgelwerken,  Kammermusik-  und  sinfonischen  Arbeiten  kniipft 
Raphael  etwa  an  den  mittleren  Reger  an.  Er  steht  im  Mittelpunkt  einer  Komponistengruppe, 
die  sich  um  die  Leipziger  Hochschule  schart  und  der  man  wegen  gewisser  stilistischer  Ge- 
meinsamkeiten  den  Namen  ,,Leipziger  Schule"  beigelegt  hat.  Zu  ihr  gehort  Giinther  Ramin, 
geboren  1898  in  Karlsruhe,  Organist  der  Leipziger  Gewandhauskonzerte,  vornehmlich  durch 
Orgelwerke  bekannt,  dann  Kurt  Thomas,  geb.  1904  in  Thoning  (Schleswig),  der  als  Chor- 
komponist  (Markuspassion)  alte  Vokalwirkungen  in  neuem  Geiste  anwendet  und  sich  auch 
in  der  Kammermusik  einen  Namen  gemacht  hat.  Kurt  Kern  (geb.  1886  in  Wien)  und  Her 
mann  Ambrosius  (geb.  1897  in  Hamburg)  haben  gleichfalls  in  Leipzig  Schulung  genossen 
und  dort  ihren  Wohnsitz  genommen. 

Hier  sind,  ohne  sie  in  erne  bestimmte  Richtung  einzuordnen,  zu  nennen:  Eduard  Schiitt  (geb.  1856),  Konrad 
Ansorge  (geb.  1862),  Waldemar  v.  Baufinern  (geb.  1866),  Hermann  Hans  Wetzler  (geb.  1870),  Leo  Blech  (geb. 
1871),  Gerhard  v.  Keufiler  (geb.  1874),  Clemens  Schmalstich  (geb.  1880),  James  Simon  (geb.  1880),  Artur 
Willner  (geb.  1881),  Max  Kowalski  (geb.  1882),  Erich  Anders  (geb.  1883),  Max  linger  (geb.  1 883),  Wolfgang 


Die  Modemc :  Deutsche  ]  0 1 5 


Bartels  (geb.  1883),  Robert  Miiller-Hartmann  (geb.  1884),  Otto  Besch  (geb.  1885),  KurtStriegler(geb.  1886), 
Curt  Beilschmidt  (geb.  1886),  Robert  Heger  (geb.  1886),  Emil  Bohnke  (geb.  1888),  Armin  Knab  (geb.  1888), 
Heinrich  Lemacher  (geb.  1891),  Rudolf  Peterka  (geb.  1894),  Wilhelm  Petersen  (geb.  1900),  Rudolf  Peters 
(geb.  1902),  Manfred  Gurlitt  (geb.  1902),  Stefan  Wolpe  (geb.  1902),  sowie  die  Deutschbohmen  Heinrich  Rietsch 
(I860— 1928),  Rudolf  Prohazka  (geb.  1864),  In  verschiedenen  Kunstgattungen  1st  der  der  deutschen  Schule  zu- 
gehorige,  in  Amsterdam  lebende  Rudolf  Mengelberg  (geb.  1892)  erfolgreich  tatig. 

Auch  komponierende  Frauen  der  letzten  Jahre  sind  anzufiihren:  Gisella  S  el  den  -  Goth,  in  Berlin  lebend,  sowie 
Crete  Zieritz  (geb.  1899),  in  Wien  Use  Marie  Mayer  (geb.  1894),  Johanna  Miiller-  Herrmann  (geb.  1878), 
Else  Geiringer  und  Lio  Hans. 

In  Wien,  auf  dem  Boden  der  Wirksamkeit  von  Johannes  Brahms,  ist  sein  EinfluB  auf  die 
alteren  Komponisten  unvermindert  geblieben.  Weder  Carl  Prohaska  (1869— 1927),  den  mehr 
die  lineare  Entfaltung  und  eine  gewisse  trockene  Polyphonic  kennzeichnen,  noch  Franz 
Schmidt  (geb.  1874),  bei  dem  in  drei  Symphonien  und  Klavierwerken  der  Zug  zum  (unga- 
risch)  Musikantischen  durchschlagt,  konnen  sich  seinem  Bann  entziehen.  Beide  haben  (neben 
den  alteren  Lehrern  Robert  Fuchs,  Eusebius  Mandyczewsky  und  Richard  Heuberger) 
der  Jugend  Brahmssche  Schreibweise  vermittelt,  von  der  sich  Hans  Gal  (geb.  1890),  trotz 
seiner  harmonischen  Fortschrittlichkeit,  nicht  ganz  befreien  konnte.  Egon  Kornauth 
(geb.  1891)  steht  etwa  zwischen  Brahms  und  Mahler,  indem  er  ihre  symphonischen  Stil- 
elemente  auf  die  Kammermusik  iibertragt. 

Ncnnenswcrt  sind  ferner  die  Osterreicher  Robert  Fischhof  (1856—1918),  Camillo  Horn  (geb.  I860),  Guido 
Peters  (geb.  1866),  Rudolf  Braun  (geb.  1869),  Vinzenz  Goller  (geb.  1873),  Robert  Lach  (geb.  1874),  Richard 
Stohr  (geb.  1874),  Ferdinand  Scherber  (geb.  1874),  Roderich  v.  Moisisovich  (geb.  1877),  Don  Anton  Maria 
Klafsky  (geb.  1877),  Max  Springer  (geb.  1877),  R.  St.  Hoffmann  (geb.  1878),  Hermann  Kundigraber 
(geb.  1879),  Franz  Moser  (geb.  1880),  Waltner  Klein  (geb.  1882),  Friedrich  Frischenschlager  (geb.  1885), 
Heinrich  Knodt  (1885—1927),  Rudolf  Bella  (geb.  1890),  Alfred  Arbter,  Josef  Rinaldini  (geb.  1891),  Othmar 
Wetchy  (geb.  1892),  Franz  Mittler  (geb.  1893),  Rudolf  Kattnigg  (geb.  1895),  Otto  Siegl  (geb.  1896), 
Fritz  Egon  Pamer  (1900— 1923),  Karl  Stimmer  (geb.  1900)  und  Franz  Sal mhofer  (geb.  1901). 

Wahrend  bei  alien  genannten  Komponisten  die  Harmonic  in  ihren  kadenziellen  Funktionen 
Stiitze  der  Melodie  ist,  welche  ihrerseits  des  harmonischen  Unterbaues  nicht  entbehren  kann, 
beginnt  mit  Max  Reger  eine  Bewegung,  welche  das  linear  melodische  Prinzip  in  den  Vorder- 
grund  stellt.  DasStreben  nach  einer  neuenMelodik  ist  der  Impuls  der  Entwicklung,  welche 
jedoch  auf  verschiedenen  Wegen  versucht  wird.  Reger  griff  auf  die  vorklassische  Zeit,  be- 
sonders  Bach  und  die  groBen  Orgelmeister  des  17.  Jahrhunderts  zuriick.  Hier  fand  er  Ge- 
stalrung  aus  der  Bewegung  heraus.  Natiirlich  suchte  er  keine  Nachahmung,  sondern  Ver- 
schmelzung  mit  unserem  Zeitempfinden.  Er  wendete  die  geschlossene  Gruppenbildung  unter 
Aufierachtlassung  der  Periodizitat  an  und  versuchte,  dieses  Formprinzip  nicht  nur  bei  den 
alten  kontrapunktischen  Formen  (Fuge,  Orgelstucke),  die  er  mit  Vorliebe  pflegte,  beizu- 
behalten,  sondern  auch  auf  die  von  Brahms  ubernommenen  Formen  der  klassischen  Zeit  auf- 
zupfropfen.  Aufierdem  ist  in  ihm  das  harmonische  Grundempfinden  so  stark,  dafi  eine  aller- 
dings  stark  in  ihren  Funktionen  erschiitterte  Akkordik  die  Polyphonic  beherrscht.  Die  AuBen- 
stimmen  werden  rein  linear  gestaltet,  die  Mittelstimmen  nehmen  eine  Zwischenstellung 
zwischen  selbstandigen  Kontrapunkten  und  harmonischen  Fullstimmen  ein.  Auch  Regers 
Schaffen  lafit  sich  in  mehrere  Zeitabschnitte  einteilen.  Die  erste  Periode  lafit  die  Wurzeln 
seiner  Tradition  klar  erkennen.  Die  Orgelwerke  sind  von  Bach,  die  Kammermusik  von 
Brahms  und  die  Lyrik  zunachst  von  Schumann  und  Theodor  Kirchner,  spater  von  Hugo 
Wolf  beeinflufit.  Der  zweite  Zeitraum,  welcher  ungefahr  mit  dem  Jahre  1900  beginnt,  stellt 
eine  Bildung  des  eigenen  Stiles  durch  Verschmelzung  der  einzelnen  Einflufispharen  dar.  In 


10)6  l^6  Modeme :  Deutsche 


diese  Zeit  fallt  Regers  erste  Orchesterkomposition.  Auch  eine  gewisse  Annaherung  an  die 
neudeutsche  Richtung,  sowie  Haufung  der  angewendeten  aufieren  Mittel  kennzeichnen  diesen 
Abschnitt  Regers  Spatwerken,  die  in  erster  Linie  wieder  auf  dem  Gebiete  der  Kammer- 
musik  liegen,  ist  der  Zug  zur  Vereinfachung  und  Klarheit  eigen.  Das  Bild  der  Entwicklung 
ist  jedoch  nicht  abgeschlossen,  da  Reger  in  der  Bliite  der  Jahre  vom  Tode  dahingerafft 
wurde. 

Max  Reger  ist  am  19.  Marz  1873  als  Sohn  eines  Volksschullehrers  im  frankischen  Dorfe 
Brand  geboren.  Sein  Vater  wurde  im  nachsten  Jahre  nach  Weiden  bei  Bayreuth  versetzt,  wo 
er  selbst  im  Vereine  mit  Hauptlehrer  Adalbert  Lindner  die  musikalische  Ausbildung  des 
Knaben  leitete.  1890  ging  Reger  nach  Absolvierung  der  Realschule  zur  weiteren  Vervoll- 
kommnung  seiner  MuSikstudien  nach  Sondershausen,  wo  cr  Schuler  Hugo  Riemanns  war 
und  spater  (1895/96)  als  Lehrer  am  Konservatorium  wirkte.  In  dieser  Zeit  entstanden  seine 
ersten  Kompositionen.  Nach  der  Militardienstzeit  erkrankte  er  schwer  und  kehrte  nach 
Weiden  zuriick,  wo  er  in  Abgeschiedenheit  1898—1901  ausschliefilich  seinem  Schaffen  lebte. 
In  diesem  Jahre  ging  er  als  Privatlehrer  nach  Munchen,  hatte  dort  viel  unter  dem  Widerstand 
der  neudeutschen  Schule  zu  leiden  und  konnte  erst  1905/06  eine  offentliche  Lehrstelle  erhalten. 
1907  wurde  er  nach  Leipzig  berufen,  wo  er  als  Kompositionslehrer,  spater  als  Universitats- 
musikdirektor  wirkte.  Seit  1911  bekleidete  er  gleichzeitig  das  Amt  eines  Hofkapellmeisters 
in  Meiningen  (als  Nachfolger  Billows).  Diese  Doppeltatigkeit  wahrte  bis  1914,  in  welchem 
Jahre  sich  Reger  auf  sein  Landgut  in  Jena  zuriickzog.  Er  unternahm  nur  noch  Konzertreisen 
in  die  verschiedenen  Stadte  Deutschlands.  Auf  einer  solchen  Reise  machte  ein  Schlaganfall 
in  Leipzig  am  11.  Mai  1916  seinem  Leben  ein  Ende. 

Regers  Schaffen  ist  durch  eine  Welt  reicher  Gefuhle  gekennzeichnet.  Bajuvarischer  Hu 
mor  spricht  aus  seinen  Werken  (besonders  der  Jugendzeit),  der  sich  in  seltsamer  Weise  mit 
einem  Zug  religioser  Hingabe  und  Innigkeit  paart.  Auch  romantische  Phantastik  und  iro- 
nischen  Spuk  finden  wir  neben  mystischer  Verklarung.  Stets  ist  engste  Beziehung  zwischen 
Leben  und  Werk  vorhanden,  die  sich  zuweilen  bis  in  Einzelheiten  verfolgen  lafit  (E-Moll-Trio, 
Inferno-Phantasie  nach  seiner  Krankheit,  Violinsonate,  op.  72,  gegen  seine  Miinchner  Feinde). 
Uber  70Werke  Regers  (von  147)  sind  reine Kammermusik.  Es  waren  die  Orgelwerke,  die 
zuerst  Regers  Eigenart  und  Personlichkeit  klar  zum  Ausdruck  brachten.  Dieses  Instrument 
ist  auch  fiir  die  Orchestertechnik  des  Meisters  grundlegend,  da  Reger  nicht  die  klangliche  Ab- 
grenzung  und  Farbe  der  einzelnen  Stimmen  und  Instrumente,  sondern  ihre  Registrierung 
nach  dem  Starkegrad  in  geschlossener  Gruppenbildung  in  den  Vordergrund  stellte.  Auch  die 
Verwendung  eines  unterlegten  Cantus  f irmus  hat  Reger,  von  der  Orgel  ausgehend,  haufig  auf 
Orchester-  und  Kammermusilcwerke  iibertragen.  Bei  der  Orgel  stellt  das  Gefuge  mehrerer 
realer  Stimmen  natiirlich  von  vornherein  das  Grundgerippe  des  Werkes  dar.  Reger  hat  zu- 
nachst  die  altklassischen  Formen  der  Orgelmusik:  Variationen,  Fugen  (mit  Praludien),  Tok- 
katen,  Kanons,  Passacaglien  und  die  verschiedenen  Arten  der  Choralvorspiele  und  -bearbei- 
tungen  wieder  aufgegriffen.  Er  iibernahm  jedoch  aus  Liszts  Erbe  chromatische  Stimm- 
fiihrungsart.  Der  Unterschied  zwischen  Bachs  und  Regers  Orgelstil  bildete  sich  in  der  Weidener 
Zeit  (1898 — 1901)  klar  heraus.  In  jenen  Jahren  entstanden  seine  zwolf  grofiten  Orgelwerke. 
Reger  sucht  vor  allem  durch  gegensatzliche  Mittel  bildhaft  zu  wirken.  Den  FluB  der  Poly 
phonic  hemmen  oft  grofiere  Strecken  von  Pianoakkorden  oder  massige  Klangkomplexe ;  ja  es 


Die  Moderne:  Deutsche  101  7 


werden  sogar  zwischen  Teile  der  Fugenform  an  manchen  Stellen  frei  improvisatorische  Phan- 
tasien  eingeschoben.  Wenn  die  groBen  Instrumentalformen  auch  nicht  neuartig  gebaut  sind, 
so  ist  doch  ihr  Gehalt  vollig  gewandelt.  Die  Figurentechnik  wird  bereichert,  die  Harmonik, 
von  der  spater  ausfiihrlicher  gesprochen  wird,  durch  Erweiterung  des  Tonalitatsbegriffes  zu 
einem  eigenartigen  Ausdrucksmittel  ausgestaltet.  Auch  die  Verarbeitungsart  des  Cantus  fir- 
mus  unterscheidet  sich  von  der  Bachs.  Die  wichtigsten  Orgelwerke  sind  die  Choralfantasien 
(op.  27,  30,  40,  52),  die  Fantasie  und  Fuge,  op.  29,  welche  nach  der  formalen  Anlage  von  Bachs 
G-Moll-Fantasie  und  Fuge  gestaltet  ist,  die  Fantasie  und  Fuge  iiber  B — A — C — H,  op.  46 
mit  der  funfstimmigen  Doppelfuge,  zahlreiche  Praludien,  Fugen  und  kleinere  Orgelstticke 
(etwa  14  Opera),  sowie  die  Sonaten,  op.  33  Fis-Moll  (eine  Folge  von  Fantasie,  Intermezzo 
und  Passacaglia  ohne  Verwendung  der  Sonatenform)  und  op.  60  D-Moll  (Introduktion  [So- 
natensatz  ohne Durchfiihrung]  —  Invokation  —  Fuge).  Regers  Klaviermusik  umfafit  zahl 
reiche  Formen  aller  Art,  von  der  kleinsten  Studie  bis  zum  Kolossalwerk  der  ,,Bach-Variationen". 
Auch  die  Schwierigkeitsgrade  sind  reich  abgestuft.  Sein  Klaviersatz  ist  im  allgemeinen  von 
der  Orgel  beeinfluBt  und  erfordert  weniger  Lauf-  als  Grifftechnik,  da  Oktaven-,  Terzen-  und 
Sextenkoppelungen  haufig  angewendet  werden.  Auch  legt  Reger  auf  polyphone  Fiihrung 
der  Mittelstimmen  und  die  Phrasierung  groBes  Gewicht.  In  den  Jugendstiicken  (Walzer  und 
,,Deutsche  Tanze")  ist  noch  deutlich  die  Satztechnik  von  Brahms  merkbar.  Spater  wird  die 
Beweglichkeit  der  Harmonik  starker  und  der  eigene  Stil  betont.  Unter  verschiedenen  Titeln 
hat  Reger  etwa  25  Sammelwerke  von  kleineren  Klavierstiicken  hinterlassen.  GroBere  bedeut- 
same  Werke  sind  die  ,,Bach-Variationen",  op.  81,  die  Sonatinen,  op.  89,  das  Klavierkonzert, 
op.  114,  in  3  Satzen,  und  endlich  die  Telemann-Variationen,  op.  134.  Fur  zwei  Klaviere 
schrieb  Reger  die  monumentalen  Beethovenvariationen,  op.  86  (spater  instrumentiert),  und 
Introduktion,  Passacaglia  und  Fuge,  op.  96.  Eine  grofie  Anzahl  von  Klavierstiicken  zu  vier 
Handen  reiht  sich  an.  Hier  muB  auch  der  Klavierbearbeitungen  gedacht  werden,  die  Reger 
von  zahlreichen  Vokal-  und  Orchesterwerken  der  altklassischen  Zeit  und  der  Spatromantiker 
entwarf  (Klavierausziige  von  Hugo  Wolfs  ,,Penthesilea  *  und  ,,Italienischer  Serenade",  Be- 
arbeitungen  von  Bachs  Orgelsonaten).  Regers  Kammermusik  bevorzugt  die  Verwendung 
von  Streichinstrumenten.  Dafiir  zeugt  auch,  daB  er  als  erster  seit  Bach  Solosuiten  und  -sonaten 
fur  Violine,  Bratsche  und  Cello  schuf.  In  diesen  zeigt  er  sich  am  meisten  vom  Stil  des  Alt- 
meisters  beeinfluBt.  Die  neuartigere  Setzweise  der  Jahrhundertwende  kommt  in  den  fiinf 
Streichquartetten  (G-Moll,  op.  54/1,  A-Dur,  op.  54/2,  D-MolI,  op.  74,  Es-Dur,  op.  109,  mit 
der  Schlufifuge  und  Fis-Moll,  op.  121),  den  Streichtrios  und  dem  Sextett,  op.  118,  starker 
zum  Ausdruck.  Die  Kammerwerke  mit  Klavier:  7  Violinsonaten,  4  Cellosonaten,  Trios, 
Quartette  und  Quintette  sind  mehr  in  harmonisch-polyphonem  Mischstil  gehalten.  Auch 
hier  ist  Kleinkunst  und  Detailarbeit  mit  groBer  formaler  Anlage  und'  Kraft  im  Ausdruck  ver- 
schmolzen.  Von  Blasinstrumenten  hat  Reger  nur  die  Klarinette  in  reicherem  Mafie  verwendet, 
fur  die  er  3  Sonaten  verfafite  und  die  er  in  mehreren  Kammermusikwerken  einfiihrte. 

Regers  Stileigenheit  lafit  sich  vor  allem  in  der  Anderung  des  harmonischen  Empfindens 
erkennen.  Der  Komponist  selbst  hat  im  Jahre  1904  eine  ,,Modulationslehre*  veroffentlicht, 
aus  der  die  Art  seiner  Verbindungen  von  Akkorden  erhellt.  Er  geht  von  der  Funktions- 
theorie  aus,  die  Hugo  Riemann  aufstellte.  Die  Hauptstufen  bleiben  Tonika,  Dominante  und 
Subdominante  (allerdings  konnen  diese  Akkorde  auch  alteriert  werden).  Diese  drei  Haupt- 


|Q|8  Die  Moderne:  Deutsche 


stufen  konnen  jederzeit  durch  terzverwandte  Dreiklange  ersetzt  werden.  Aufierdem  werden 
fremde  Tonartensysteme  als  Ganzes  in  die  Tonart  des  Stiickes  einbezogen,  Nebendomi- 
nanten  und  auskomponierte  Stufen  in  grofier  Zahl  verwendet,  sodafi  jeder  Dreiklang  auf 
jeden  beliebigen  andern  folgen  kann,  und  erst  im  weiteren  Verlaufe  als  Zwischenharmonie 
erklart  wird.  Dadurch  ist  jede  diatonische  Umdeutung  ohne  Enharmonik  moglich.  Be- 
sondere  Eigenheiten  sind  die  haufige  Anwendung  der  neapolitanischen  Sext,  des  phry- 
gischen  Schlusses  und  anderer  Kirchen  ton  folgen.  In  der  romantischen  Suite  ist  Reger  auch 
von  der  Ganztonharmonik  Debussys  nicht  unbeeinflufit.  Durch  die  erwahnte  Uberspringung 
von  Zwischengliedem  in  der  Akkordfolge  wird  die  Tonalitat  oft  verschleiert,  zumal  in  be- 
wegten  Satzen,  wo  der  blitzschnelle  Wechsel  der  Harmonien  die  Funktionen  nicht  klar  zum 
BewuBtsein  kommen  lafit.  Dazu  tritt  noch  das  unvermutete  Aneinanderstofien  fremder  Ak- 
korde  als  Endpunkte  verschiedener  Phrasen.  Trotzdem  sind  stets  durch  die  Form  bedingte 
tonale  Ruhepunkte  eingeschoben,  ja  sogar  die  Anlage  der  Tonarten  mit  dem  klassischen 
Schema  in  Senate  und  Variation  identisch.  An  Regers  Melodik  fallt  die  Kiirze  des  eigent- 
lichen  Gedankens  auf,  der  dann  zur  Fortspinnung  (mit  alien  Nebenstimmen)  sekundenweise 
nach  auf-  oder  ab warts  geruckt  wird.  Diese  chromatischen  Riickungen  bei  Jm  wesentlichen 
diatonischer  Themenbildung  und  Harmonisierung  bilden  das  spezifisch  Regerische.  In  die 
Augen  springend  ist  auch  der  Mangel  an  Kontrast  in  der  Erfindung;  der  Gegensatz  wird 
vorwiegend  nur  durch  die  Art  des  Satzes  und  der  Fiihrung  erreicht.  Trotz  des  Ausgehens  von 
der  Linie  sind  festgehaltene  doppelte  Kontrapunkte  und  langer  ausgesponnene  Themen  selten. 
Erstere  werden  durch  dissonierende  Figuration,  letztere  durch  Verbindung  kurzer  Motiv- 
gruppen  ersetzt.  Auf  den  Rhythmus  als  energetisches,  Bewegung  zeugendes  Element  legt 
Reger  besonderes  Gewicht,  wahrend  der  Klang  als  stilbildender  Faktor  vernachlassigt  wird. 
Formschopferisch  war  Reger  besonders  auf  dem  Gebiete  der  Variation.  Er  hat  die  Motive 
des  Themas  zerlegt,  einzeln  harmonisch,  melodisch  und  kontrapunktisch  verarbeitet.  Natiirlich 
entfernte  er  sich  mit  einer  solchen  Technik  von  den  klassischen  Vorbildern  fiir  diese  Gattung, 
schuf  aber  ganz  neuartige  Werke,  die  arn  besten  als  ,,Variationen-Fantasien"  bezeichnet  werden 
konnten.  Von  der  registerartigen  Instrumentation  wurde  bereits  gesprochen.  Unter  Regers 
Schiilern  sind  mehrere  hochbegabte  Komponisten,  die  sich  Einzelheiten  seiner  Schaffens- 
weise  zum  Vorbild  nahmen,  ohne  aber  im  wesentlichen  iiber  den  Meister  hinauszugehen. 
Allen  ist  die  Vorliebe  fur  Kammermusik,  die  Neubelebung  der  Orgelliteratur  und  die 
Pflege  der  Variationen-  und  Fugenform  gemeinsam,  ferner  die  lineare  Schreibweise  in 
Motivgruppen. 

Am  reinsten  zeigen  Regers  Einflufi  Karl  Hasse  (geb.  1883)  und  Guido  Bagier  (geb.  1888).  Der  erstere  liebt 
kleinere  Formen  und  ist  als  Komponist  zahlreicher  Klavier-  und  Orgelstiicke  sowie  Lieder  bekannt.  Klaviermusik 
(Variationen)  und  Lieder  bevorzugt  auch  Bagier.  Hermann  Unger  (geb.  1886)  ist  mit  seinen  Symphonien,  Orchester- 
stiicken  und  kleineren  Formen,  Kurt  v.  Wolfurt  (geb.  1880)  mit  seinen  Vokal-  und  Orchesterwerken  hier  ein- 
zureihen.  Das  starkste,  selbstandige  Profil  unter  Regers  Schiilern  zeigt  der  Bayer  Joseph  Haas  (geb.  1879). 
Er  verbindet  mit  Regers  Technik  eine  eigentumlich  behabig-humorvolle  Note,  lehnt  sich  6'fters  gerne  an  Volks- 
themen  an,  ohne  aber  die  kunstreiche  motivische  Arbeit  aufzugeben.  Seine  Orchestervariationen,  sowie  Kammer 
musik  und  Lyrik  sind  sehr  verbreitet.  Nicht  unmittelbar  zu  dieser  Schule  gehorig,  aber  durch  seinen  Kompositionsstil 
ihr  angenahert,  ist  Heinrich  Kami n ski  (geb.  1886),  der  auf  dem  Gebiete  der  Chorkomposition  bemerkenswerte 
Versuche  macht.  Sein  ,,Introitus"  und  ,,69.  Psalm"  sind  Werke,  deren  formales  Konnen  und  Beherrschung  des 
kontrapunktischen  Aufbaues  unmittelbar  in  die  Nahe  Regers  fuhrt.  Kaminski  hat  in  den  letzten  Jahren  eine  ganze 
Reihe  von  rein  polyphonen  Vokal-  und  Instrumental werken  geschaffen  und  mit  der  Oper  ,Jurg  Jenatsch**  auch  einen 
musikdramatischen  Versuch  gemacht.  Von  Dsterreichern  ist  Hermann  Grabner  (geb.  1886)  zu  nennen,  der  in 


Die  Mcdeme :  Deutsche  1019 


Mannheim  und  Heidelberg  einen  Schiilerkreis  besitzt  und  mit  zahlreichen  Werken  (Orchestervariationen,  ,,Weih- 
nachtsoratorium",  Orgelfugen  und  Kleinerem)  hervortrat,  und  der  hochbegabte  H.  F.  Redlich. 

Wahrend  durch  Reger  die  Abkehr  von  der  grofien  Form  des  19.  Jahrhunderts  vorbereitet 
wurde,  und  die  Fiihrung  auf  das  Gebiet  der  Kammermusik  iiberging,  haben  zwei  Komponisten 
in  ganz  anderer  Weise  den  geistigen  Werdegang  der  jiingsten  Musik  vorbereitet.  Sie  sind 
nicht  rein  deutscher  Abstammung,  lebten  aber  lange  Zeit  im  deutschen  Sprachgebiet  und 
miissen  daher  hier  einbezogen  werden.  Durch  beide  —  Ferruccio  Busoni  (geb.  1868  in 
Empoli,  Italien,  gest.  1924  in  Berlin)  und  Frederick  Deli  us  —  wurden  die  Versuche  vieler 
jiingerer,  in  Deutschland  schaffender  Komponisten,  angeregt. 

Busoni,  ein  grofier  Pianist,  ist,  wie  seinerzeit  Franz  Liszt,  von  der  Transkription  aus- 
gegangen.  Er  hat  eine  grofie  Reihe  von  (Orgel-)  Werken  Joh.  Seb.  Bachs  in  modern-klavier- 
istischem  Sinne  bearbeitet,  und  auch  Stiicke  Mozarts,  Beethovens,  sowie  der  spateren  Roman- 
tiker  in  ein  neues,  technisch  zeitgemaBes  Gewand  gebracht.  In  alien  diesen  Stiicken  zeigt  er 
sich  vollendet  in  der  stilistischen  Einfiihlung,  die  sich  auch  in  seinem  eigenen  Schaffen  spiegelt. 
Im  allgemeinen  ist  es  der  Verbreitung  von  Busonis  eigenem  Werk  abtraglich,  dafi  alle  seine 
Kompositionen  in  groBtem  MaBstabe  angelegt  und  technisch  sehr  schwer  ausfahrbar  sind.  Wenn 
man  davon  absieht,  so  ist  eine Schichtung  in  zweiPerioden  moglich.  Dieerste(bis  1891),  von  der 
zweiten  durch  eine  zehnjahrige  Schaffenspause  getrennt,  umfafit  die  Verarbeitung  der  Einflusse 
Bachs,  Mozarts,  des  spaten  Beethoven,  Verdis  und  Liszts,  die  sich  (mitunter  sogar  verdichtet) 
in  alien  Werken  nachweisen  lassen.  Ohne  ein  System  aufzustellen,  werden,  ge\vissermafien 
experimented  alle  Kunstmittel  angewendet.  Nur  technisches  Konnen  und  Sinn  for  organische 
Formung  halten  die  Einheit  aufrecht.  Die  zweite  Periode  strebt  als  Reaktion  gegen  die  Akkor- 
dik  der  Neuromantik  (besonders  im  bewuBten  Gegensatz  zur  Programmusik)  einen  geanderten 
Stil  an,  den  Busoni  selbst  ,,neue  Klassizitat"  nennt.  Im  Gegensatz  zu  Reger  werden 
hier  alle  Formkriterien  verschiedener  Richtungen  gemischt,  aber  ein  Primat  der  Me- 
lodie  schwebt  als  Endziel  vor,  ohne  da6  diese  periodisch  gegliedert  oder  durch  die  har- 
monische  Kadenz  eingeengt  ware.  Das  Klangsinnliche  wird  zugunsten  der  Bewegung  zuriick- 
gestellt,  auf  Gegensatze,  dynamische  Steigerungen  verzichtet,  so  daB  eine  Entwicklung  aus 
einer  Flache  vor  sich  geht.  Koloristik  wechselt  mit  rein  Formalem,  Experimente  mit  Kon- 
ventionellem.  Das  rein  Musikantische,  das  so  stark  auf  die  Jugend  wirkt,  steht  im  Vorder- 
grund.  Der  Kern  Busonis  bleibt  italienisch;  sein  Sinn  for  Leichtigkeit,  Heiterkeit,  ja  sogar 
Witz  bestatigen  dies.  Aber  sein  Leben  in  Deutschland  hat  seine  Phantasie  auch  in  tieferem 
gedanklichen  Sinne  beeinflufit  (Fantasia  contrapuntistica,  1910),  seine  Auslandsreisen  im 
exotischen.  (Finnlandische  Volksweisen  far  Klavier,  op.  27,  Indianische  Fantasie,  op.  44.) 
Neben  zahlreichen  Klavierwerken  und  Liedern  hat  er  an  Orchesterwerken  2  Orchestersuiten 
(op.  25  und  34a),  eine  Lustspielouverture  (op.  38)  und  einige  kleinere,  vorwiegend  stimmungs- 
schildernde  Orchesterstiicke,  sowie  Klavierkonzerte  geschaffen.  Drei  Opern  (,,Die  Braut- 
wahl",  op.  45,  nach  E.  T.  A.  Hoffmann,  ,,Turandot",  op.  50,  nach  Gozzi,  und  ,,Dr.  Faust", 
nach  des  Komponisten  eigener  Dichtung),  sowie  das  satirische  Buhnenmelodram  ,,Arlecchino'* 
(op.  50b)  erganzen  sein  Lebenswerk.  ,,Dr.  Faust"  wurde  erst  von  Philipp  Jarnach  (s.unten) 
vollendet  und  biihnengerecht  gemacht.  Busoni  hat  sich  auch  theoretisch  und  spekulativ  mit 
den  Problemen  der  neuen  Musik  auseinandergesetzt  und  ist  dadurch  sowie  durch  seine  Viel- 
seitigkeit  einer  der  starksten  Anreger  geworden. 
65  H.  d.  M. 


|Q2Q  Die  Moderne:  Deutsche 


sei 


Seinem  unmittelbaren  Schiilerkreis  gehort  der  Spanier  Philipp  Jarnach  an  (geb.  1892  in  Noisy  bei  Pans).  Mehrere 
-Jner  Kammermusikwerke  und  kleinere  Orchesterstikke  verraten  besonderen  Sinn  fur  Architektomk,  dabei  das  Be- 
vorzugen  von  grcBen  FlacHenvirkungen.  Ruhige,  ausdrucksvclle  Melodielinien  von  eigenartiger  Rundung  deuten 
auf  die  romanische  Abstammung  des  Komponisten,  die  auch  in  der  Wahl  der  Stimmungskreise  in  seinen  Werken 
zum  Ausdruck  kommt:  Romanzen,  Morgenklangspiel,  Rhapsodien.  Jarnach  leitet  die  Kompositionsklasse  an  der 
Kolner  Musikhochschule.  Jiingere  Busonischiiler  sind  Wladimir  Vogel  (geb.  18%),  der  sich  jedocK  stark  dem  Ex- 
pressionismus  angenahert  hat,  und  einige  Sclweizer  Komponisten  (s.  S.  1041). 

Eine  merkwiirdige  Gestalt  ist  Frederick  Delius,  der  in  seinem  Schaffen  die  Stilmerkmale 
mehrerer  Nationen  vereint.  Er  konnte  und  sollte  vielleicht  hier  eingereiht  und  besprochen 
werdem  Da  er  jedoch  in  die  Englische  Moderne  aufgenommen  ist,  so  moge  davon  ab- 
gesehen  werden. 

Hier  sind  einige  junge  deutsche  Komponisten  anzufiihren,  die  mittelbar  an  Busoni  mit 
seiner  Einstellung  zu  neuer  Klassizitat  ankniipfen  und  den  Neuaufbau  des  Stiles  in  funk- 
tioneller  Sachlichkeit  suchen.  Am  bedeutendsten  unter  ihnen  ist  die  Personlichkeit  des  1895 
in  Frankfurt  a.  M.  geborenen,  seit  1927  als  Meisterlehrer  fur  Komposition  an  der  Berliner 
Hochschule  fur  Musik  wirkenden  Paul  Hindemith,  der  als  Komponist  von  grofier  Fruchtbar- 
keit  ist.  In  seinen  zahlreichen  Instrumentalwerken  (Sonaten  fur  verschiedene  Instrumente, 
Streichquartette,  Quintette)  zeigt  er  ebenso  wie  in  der  von  ihm  gepragten  mehrsatzigen  kon- 
zertanten  Form  fur  kleines  Orchester  (,,Kammermusiken"  fur  verschiedene  Besetzungen: 
Klavierkonzert  op.  36,  Violin-  und  Cellokonzerte,  Konzerte  fiir  Bratsche  op.  38  und  Viola 
d'amore  op.  46,  Orgelkonzert,  Konzerte  fiir  Orchester  op.  38  und  41)  in  der  Anlage  streng 
linearen  Aufbau.  Auch  Harten  aus  dem  AneinanderstoCen  einzelner  Stimmen,  die  bis  zu 
volliger  Heterophonie  gehen,  werden  nicht  vermieden.  Die  Tonalitat  wird  zuweilen  ver- 
lassen,  aber  starkes  Formempfinden,  vor  allem  die  Anlehnung  an  den  altklassischen  Stil, 
sichern  den  Stiicken  ebenso  die  starke  Wirkung  wie  das  musikantische  Temperament  und  die 
Einfallskraft  Hindemiths.  Er  ist  eine  der  starksten,  musikalischen  Begabungen  des  jungen 
Deutschland,  negiert  bewuftt  jede  Romantik  und  ist  in  seiner  Musik  manchmal  iromsch  und 
parodistisch.  Humor  wechselt  mit  griiblerischem  Ernst.  Die  Vorherrschaft  des  rhythmischen 
Elements  ist  unverkennbar.  An  Vokalwerken  Hindemiths  sind  der  Zyklus  ,,Die  junge  Magd", 
op.  23,  und  die  Kammerkantate  ,,Die  Serenaden'*  op.  35  zu  nennen,  beide  mit  Begleitung 
mehrerer  Instrumente.  Seine  Opernwerke  erfahren  eine  gesonderte  Darstellung  (s.  S.  1037). 
Hindemith  hat  sich  in  der  letzten  Zeit  mit  Entschiedenheit  der  musikalischen  Jugendbewegung 
zugewendet,  die,  etwa  1910  aus  den  Freien  Gemeinschaftsschulen  Deutschlands  entstanden, 
eine  Verbindung  zwischen  Kunst  und  Volk  durch  Zuriickgreifen  auf  das  deutsche  Volkslied 
des  Mittelalters  und  auf  die  Musik  der  alten  Vokalmeister  sucht.  Er  hat  dafur  mehrere  Spiel- 
musiken  und  Lieder  geschrieben  (op,  43, 44, 45),  in  denen  sich  der  Rtickgang  der  Chromatik 
und  das  Betonen  des  melodischen  Empfindens  in  der  Linie  zeigen.  Fiihrer  der  Jugend 
bewegung  war  in  friiheren  Jahren  August  Halm  (geb.  1869),  in  neuerer  Zeit  Fritz  Jode 
(geb.  1887).  Neben  Hindemith  ist  Ludwig  Weber  (geb.  1891  in  Niirnberg)  der  bekannteste 
der  Komponisten,  die  sich  dieser  Gattung  zugewendet  haben.  Weber  schopft  aus  volkstiim- 
licher  Melodik  und  schrieb  geistliche  und  weltliche  Werke  fur  mehrstimmigen  Gesang  mit 
einfacher  Instrumentalbegleitung.  In  ahnlichem  Stile  wie  Hindemith  schafft  der  in  Mann 
heim  lebende  Wiener  Ernst  Toch  (geb.  1887),  eine  Formbegabung  besonderer  Art.  Von 
seinen  bekanntesten  Werken  sind  zahlreiche  Streichquartette  und  Sonaten,  dann  mehrere 
Kompositionen  fiir  Kammerorchester  zu  nennen,  darunter  auch  ein  Cello-  und  zwei  Klavier- 


Die  Moderne :  Deutsche  ]  02 1 


konzerte.  Der  Berliner  Max  Butting  (geb.  1888)  reiht  sich  hier  stilistisch  an.  Er  hat  aufier 
durch  Kammermusik  auch  durch  drei  Sinfonien  die  Aufmerksamkeit  auf  sich  gelenkt  und 
sucht  Abwendung  von  der  Romantik  nicht  ohne  Embeziehung  des  Tanzenschen.  Die  ge- 
nannten  Komponisten  gehoren  zusammen  mit  Ernst  Krenek  (geb.  1900  m  Wien)  und  Kurt 
Weill  zu  den  bekanntesten  der  Jungen.  Krenek  hat  in  seinen  Kammermusikwerken  zunachst 
durch  das  unbekiimmerte  Zusammendrangen  der  Linien  und  durch  das  imitierende  Durch- 
komponieren  der  einzelnen  Abschnitte  Aufsehen  erregt.  In  letzter  Zeit  ist  er  allerdings  merk- 
lich  von  der  atonalen  Heterophonie  wieder  zur  Tonalitat  zuriickgekehrt.  Aus  der  ganz  be- 
sonders  grofien  Zahl  seiner  Instrumentalwerke  seien  die  Streichquartette,  eine  Menge  kon- 
zertanter  und  sinfonischer  Musiken  (Concerto  grosso,  Violin konzert)  und  kleinere  Tanzstiicke, 
dann  Gebrauchsmusiken  far  Blaser  genannt.  Kurt  Weill,  geb.  1900  in  Dessau,  hat  sich  nach 
instrumentalen  Anfangen  ahnlicher  Art  (Streichquartette,  ,,Frauentanz"  fur  Gesang  und 
fiinf  Instrumente)  fast  ausschlieBlich  der  Biihnenkomposition  zugewendet  (s.  S.  1037).  Er  ist 
einer  der  Komponisten,  die  Tanzrhythmen  in  den  Vordergrund  stellen.  In  diesem  Sinne 
wirkt  auch  der  Wiener  Wilhelm  Grosz  (geb.  1894),  der  aus  der  Schule  Schrekers  empor- 
gewachsen  ist  und  bei  Festhaltung  der  Tonalitat  in  seinen  Instrumental-  ebenso  wie  in  seinen 
Blihnenwerken  tanzerische  Elemente  (Jazz)  mit  der  sinfonischen  Technik  der  Kunstmusik 
zu  verbinden  strebt.  Zwischen  Reger  und  der  eben  genannten  Gruppe  steht  Erwin  Lendvai 
(geb.  1882  in  Budapest).  Er  studierte  in  Italien  und  lebt  seit  15  Jahren  in  Deutschland.  Durch 
seine  Beschaftigung  mit  den  A-cappelIa~Choren  des  16.  und  1 7.  Jahrhunderts  wird  er  der 
modernen  Chromatik  und  Klangfarbe  entfremdet.  Er  bemiiht  sich,  in  Kammermusikwerken 
(Trios,  Streichquartett)  eine  primitive  Diatonik  wiederherzustellen,  nimmt  auch  exotische  Stil- 
merkmale  auf  (altjapanische  Lieder,  archaische  Tanze)  und  bleibt  hauptsachlich  im  Chor- 
schaffen  verankert,  wo  er  ganz  Eigenartiges  produziert.  Der  Ostpreufie  Heinz  Tiessen 
(geb.  1887  in  Konigsberg),  urspriinglich  von  Richard  StrauB  beeinflufit,  hat  eine  Entwicklung 
genommen,  die  ihn  den  Grenzen  der  tonalen  Musik  nahebrachte.  Er  gehort  heute  zusammen 
mit  Hindemith  zu  den  Komponisten,  die  sich  vom  dichterisch  Angeregten  abwenden  und  zum 
rein  Musikalischen  vorgedrungen  sind.  In  seinen  Werken  sind  trotz  dem  Vorherrschen  der 
linearen  Gestaltung  allgemeines  Harmonieempfinden  und  Gefiihlsbetonung  nicht  vergessen. 
Tiessen  ist  auch  als  philosophisch  und  musiWissenschaftlich  geschulter  Forscher  Geschichts- 
schreiber  der  jungen  Musikbewegung.  Von  seinen  Werken  seien  erwahnt:  zwei  Sinfonien, 
eine  Naturtrilogie  fur  Klavier,  op.  18,  mehrere  Schauspielmusiken  (zu  ,,CymbeIine",  ,,Ham~ 
let",  ,,Sturm"  von  Shakespeare,  zum  ,,Postamt"  von  Tagore,  zu  ,,Don  Juan  und  Faust"  von 
Grabbe  und  zu  einigen  modernen  Stiicken),  Kammermusik  und  Orchesterstiicke  (Vorspiel  zu 
einem  Revolutionsdrama,  op.  33,  und  einem  Tanzdrama,  op.  34).  Deutliche  Vorliebe  fur 
,,expressionistische"  Kunstmittel  zeigt  der  Suddeutsche  Lothar  Windsperger  und  der  im 
Kriege  1915  gefallene  Wormser  Rudi  Stephan,  der  mit  Orchesterwerken  und  Liedern 
hervortrat.  Naher  bei  Schonberg  steht  der  in  Berlin  lebende  Dsterreicher  Arthur  Schnabel 
in  seinen  Kompositionen  (Klavier-  und  Kammermusik).  Er  lost  die  uberkommene  Form 
auf,  gestaltet  in  neuen  melodischen  und  harmonischen  Barmen,  ohne  aber  den  Brucb 
mit  der  Vergangenheit  zu  vervollstandigen,  wie  dies  Schonberg  getan  hat.  Arnold 
Schonberg  (geb.  1874  in  Wien)  gilt  als  Fuhrer  des  ,,Expressionismus".  Er  hat  in 
Wirklichkeit  ganzlich  neue  Ausdrucksformen  geschaffen.  Von  ihm  ist  nicht  nur  die 
65* 


1022  Die  Moderne:  Deutsche 


junge  Generation  Deutsch lands,  sondern  auch  Frankreichs  (Ravel),  Italiens  (Malipiero) 
und  Rufilands  (Strawinsky)  beeinflufit.  Da  seine  Schaffensweise  am  weitesten  von  jeder 
Tradition  abweicht,  wird  er  an  den  Schlufi  dieser  Reihe  gesetzt.  Als  Sohn  eines  friih 
verstorbenen  Kaufmanns  genet  er  bald  in  diirftige  Verhaltnisse.  Bereits  wahrend  der 
Scrmlzeit  komponierte  er,  vorwiegend  Kammermusik,  studierte  dann  allein  weiter  und 
genofi  nur  voriibergehend  den  Unterricht  seines  (zukiinftigen)  Schwagers  Alexander  von 
Zemlinsky.  Nach  mehreren  Jahren  bitterer  Entbehrungen  wurde  Schonberg  zuerst  Kapell 
meister  an  Wolzogens  Uberbrettltheater,  dann  Lehrer  am  Berliner  Sternschen  Konservatorium, 
kehrte  1903  nach  Wien  zuriick,  wo  er  auch  (1910)  die  ,,Erlaubnis"  bekam,  freie  Kurse  fur  Kom- 
position  an  der  Staatsakademie  zu  halten.  Nach  einem  zweiten  voriibergehenden  Aufenthalt  in 
Berlin  (191 1  —14)  lebte  Schonberg  bis  1925  in  Modling  bei  Wien  der  freien  {Composition  und 
dem  Lehrberufe.  Als  Nachfolger  Busonis  wirkt  er  seit  jener  Zeit  als  Leiter  einer  Meisterklasse 
an  der  Berliner  Hochschule  fiir  Musik. 

Schonbergs  Werk  laBt  sich  in  vier  Abschnitte  gliedern.  Der  erste,  welcher  die  Werke  bis 
zum  ersten  Streichquartett  (op.  7)  umfaBt,  ist  deutlich  aus  der  EinfluBsphare  Richard  Wagners 
hervorgegangen.  Schonberg  nimmt  die  Stilelemente  der  neudeutschen  Richtung  auf  und 
versucht  einerseits  durch  Verstarkung  der  Mittel  (wie  Mahler),  andererseits  durch  bewufites 
Fortspinnen  und  Verfeinern  der  Thematik  eine  Weiterfiihrung.  Durchaus  auf  romantischem 
Boden  stehend,  findet  er  aber,  besonders  in  kleineren  Stiicken  (Liedern),  auch  Beziehungen 
zu  Brahms.  Ein  plotzliches  Abbrechen  dieser  Linie  ist  deutlich  zu  merken.  Die  Entwicklung 
der  gesamten  deutschen  Musik  in  diesen  letzten  Jahren,  das  Abriicken  vom  symphonischen 
Klangkorper  und  das  Hinneigen  zum  Kammerstil  spiegeln  sich  im  Einzelfall  Schonberg.  In 
der  zweiten  Periode  iiberwiegt  die  Gedanklichkeit  die  Empfindung,  in  der  Harmonik  be- 
ginnen  sich  bereits  ungeahnte  Ergebnisse  vorzubereiten,  aber  der  formale  Aufbau,  die  mo- 
tivische  Arbeit  und  Polyphonic  ist  noch  aus  der  Tradition  zu  erklaren.  Die  Vorliebe  fiir 
Kammerwerke  teilt  Schonberg  hier  mit  Reger,  die  eigenartige  Quarten-  und  Ganztonharmonik 
mit  dem  Fiihrer  des  franzosischen  Impressionismus,  Debussy.  Die  Werke  op.  7 — 10  fallen 
in  diesen  Abschnitt  (Streichquartette,  Kammersymphonie,  Orchesterlieder).  Mit  den  Klavier- 
stxicken  op.  11  beginnt  der  dritte  Abschnitt  des  Schaffens  Schonbergs.  Der  Bruch 
mit  der  herkommlichen  Art,  musikalische  Gedanken  auszudriicken,  wird  vollkommen,  jede 
asthetische  Wertung  entfallt.  Die  Wahrheit  tritt  an  Stelle  der  Schonheit.  Kriterien  dieser 
Epoche  sind  in  der  Melodik  das  Bevorzugen  grofier  Intervallspriinge  (Quarten,  Septimen 
und  Nonen)  und  konstruktiver  Pausen,  das  Aufgeben  jeder  Symmetrie,  Sequenz,  Wieder- 
holung,  dabei  aber  die  Betonung  des  Linearen ;  das  Prinzip  des  Akkord-  und  Tonartenwechsels 
wird  in  eine  Stimme  verlegt.  Die  melodischen  Kadenzierungen  der  einzelnen  Stimmen  er- 
folgen  fast  nie  gleichzeitig.  In  der  Harmonik  ist  die  Aufhebung  des  Konsonanz-  und  Disso- 
nanzbegriffes  (beide  werden  nur  als  relativ  und  graduell  verschieden  erklart),  der  Kadenz  und 
des  bewufiten  Festhaltens  einer  Tonart  festzustellen.  Auch  hier  wird  die  Wiederholung  ver- 
pont  (Oktaventriibungen,  Einmaligkeit  des  Vorkommens  von  Klangen)  und  ganz  neuartige  Ge- 
bilde  entstehen.  Die  Akkorde  sind  zuweilen  nur  Akzente  auf  den  Schwerpunkten  der  Melodie, 
zuweilen  aber  choralartig  jedem  Melodieschritt  beigegeben.  Mit  der  Symmetrie  in  Melodik 
und  Harmonik  fallen  auch  die  formalen  Kontraste  und  Abschnitte;  die  Dimensionen  werden 
verkiirzt.  Die  Instrumentation  ist  kammermusikalisch-polysolistisch.  Eine  neue  Klangfarben- 


Die  Moderne:  Deutsche  ]Q23 


melodic  wird  zum  konstruktiven  Prinzip.  Nicht  auf  das  Timbre  einzelner  Instrumente, 
sondern  auf  ihre  dynamische  Registrierung  und  Kombinierung  kommt  es  an,  ein  Prinzip, 
das  sich  bereits  bei  Reger  vorbereitet,  hier  aber  restlos  durchgefiihrt  wird.  In  den  Partituren 
sind  in  neuer  Bezeichnung  (H  und  N  fur  Hauptstimmen  und  Nebenstimmen)  die  Starke- 
grade  und  Wichtigkeitsverhaltnisse  der  Stimmen  vermerkt.  Alfred  Einstein  hat  den  Stil 
von  Schonbergs  Werken  aus  dieser  Zeit  monozentrisch  genannt,  der  Einmaligkeit  wegen, 
die  ihnen  aus  dem  Bediirfnis  des  Schopfergeistes  nach  vollstandiger  Konzentration  und  Ent- 
sinnlichung  anhaftet.  Der  Klang  als  absoluter  Ausdruck  irgendeines  Gefiihls  wird  abgelehnt, 
das  Nebeneinanderlaufen  verschiedener  Linien  ergibt  Schichtungen.  Aus  all  dem  folgt  aber 
keineswegs,  dafi  Schonbergs  Kompositionsweise  willkiirlich,  ohne  eigene  formale  Gesetze 
ware.  Diese  beginnen  bereits  in  den  Orchesterstucken  merkbar  zu  werden,  wo  der  Komponist 
mit  Tonreihen  arbeitet,  in  der  Weise,  dafi  die  melodische  Grundgestalt  der  Themen  zusammen- 
gefafit  eine  bestimmte  Anordnung  des  Materials  ergibt,  die  auch  harmonisch  dem  Stuck 
zugrunde  liegt.  Das  konstruktive  Prinzip  der  Zwolftonreihe,  von  dem  schon  in  der  allgemeinen 
Einleitung  (S.  1004)  die  Rede  war,  beherrscht  die  vierte,  vorlaufig  letzte  Epoche  von  Schon 
bergs  Schaffen.  Das  gesamte  Tonmaterial  wird  hier  durch  intervallmafiige  Reihung  fur  jedes 
Stuck  gewissermafien  als  Urmotiv  festgelegt,  aus  dem  sich  die  ganze  Entwicklung  ergibt. 
Eine  ganz  bestimmte  Technik  zur  Verwertung  dieser  Keimzellen  ist  ausgebildet,  die  Freiheit 
des  Ausdrucks  und  der  Inspiration  jedoch  nicht  dadurch  beeinflufit.  Die  klassischen  Form- 
schemen  der  Sonate  und  der  Suite  werden  wieder  angewendet,  allerdings  mit  neuartig- 
konstruktivem  Inhalt  gefiillt.  Periodisierung  und  Kadenzen  sind  einem  neuen  Formziel 
gewichen :  der  Auswertung  der  Spannungsunterschiede  und  Spannungsmoglichkeiten  in  den 
Intervallen  durch  Gleichgewichtsanderungen  des  Melos.  So  steht  gewissermafien  ein  zeichne- 
risches  Prinzip,  die  Herrschaft  der  linearen  Stimme,  im  Vordergrund. 

Schonberg  begann  mit  Liedern,  die  durch  die  Polyphonic  der  Begleitung  und  durch  die 
Deklamation  auffallen,  welche,  vom  Wortsinn  sich  entf emend,  mehr  die  Linie  zusammen- 
fafit.  Sein  erstes  grofieres  Werk,  ,,Verklarte  Nacht"  (Streichsextett,  op.  4),  ist  einsatzig,  aber 
entsprechend  dem  vorangestellten  Gedichte,  in  fiinf  Abschnitte  geteilt,  die  die  Elemente  der 
Sonatenform  mit  dem  Inhalt  der  einzelnen  Stimmungen  verbinden.  Melodik  und  Harmonik 
ist  noch  von  Wagner  abhangig,  dessen  Wirkungskraft  im  Jahre  1899  ungleich  intensiver  war 
als  heute.  In  den  auf  das  Sextett  folgenden  ,,Gurreliedern"  (ohne  Opuszahl)  driickt  sich  die 
starkste  Steigerung  der  aufieren  und  inneren  Mittel  der  Wagnerschen  Romantik  aus.  Dieses 
Werk  verlangt  das  bisher  grofite  Orchester,  5  Solisten,  Sprecher  und  drei  vierstimmige  Manner- 
chore,  sowie  achtstimmigen  gemischten  Chor.  Formal  sind  die  ,,Gurrelieder"  eine  Folge  von 
thematisch  miteinander  verkniipften  Gesangen.  Im  Melodram  vor  dem  Schlufichor,  das  erst 
10  Jahre  spater  instrumentiert  ist,  ferner  an  einigen  Stellen,  die  Schonberg  spater  iiberarbeitete, 
ist  deutlich  eine  Anderung  der  Technik  zu  erkennen.  In  die  Zeit  1902 — 03  fallt  auch  die 
einzige  symphonische  -Dichtung,  die  Schonberg  schrieb:  ,,Pelleas  und  Melisande"  (op.  5), 
nach  Maeterlincks  Drama  (ohne  dafi  er  Debussys  Oper  gekannt  hatte).  Formal  entspricht 
das  Werk  einer  Symphonic  mit  durchgehenden  Leitrnotiven  (I.  Satz  Sonatenform  ohne 
Durchfiihrung,  II.  Satz  Scherzo,  III.  Satz  Adagio  ml:  durchfiihrungsartiger  Einleitung, 
IV.  Satz  teilweise  Reprise  des  I.  und  III.  Satzes  und  Epilog).  Die  einzelnen  Satze  geben  die 
Handlung  in  grofien  Ziigen  wieder.  In  der  Orchesterbehandlung  dieses  Stiickes  sind  seltsame 


I Q24  Die  Moderne:  Deutsche 


Klange  (Posaunenglissando,  KontrabaBflageolett),  in  der  Harmonik  Quartenakkorde  und  Ganz- 
tonfortschreitungen  anzufiihren,  sowie  eine  Polyphonic,  die  bis  zur  gleichzeitigen  Verarbei- 
tung  von  4—5  Themen  vorgeschritten  ist.  Mit  diesem  Werke  (die  Lieder,  op.  6,  sind  noch 
einzubeziehsn)  bricht  die  Entwicklungslinie  ab.  Schonberg  sucht  den  AnschluB  an  die  Pro- 
duktion  fur  Kammermusik.  Die  Werke  op.  7,  9  und  10  setzen  sich  mit  den  Problemen  der 
realen  Form  und  des  traditionellen  Aufbaues  auseinander.  Das  erste  Streichquartett  (D-Moll) 
ist  einsatzig,  enthalt  aber  deutlich  die  4  Satze  der  alten  Sonatenform,  allerdings  thematisch 
vielfach  untereinander  verkniipft.  Das  Konstruktive  ist  in  komplizierter,  aber  zwangvoll  lo- 
gischerWeise  gelost.  Auch  die  ,,Kammersymphonie"  (op.  9,  fur  15  Soloinstrumente,  Streicher 
nach  Erfordernis  zu  verdoppeln)  zeigt  dieselbe  formale  Anlage.  In  knappen  Umrissen  wird 
das  Geriist  einer  Symphonic  beibehalten,  nur  steht  die  Durchftihrung  des  1 .  Satzes  zwischen 
Scherzo  und  Adagio.  In  diesem  Werke  kommt  die  Quartenharmonik  das  erstemal  zur  be- 
wufiten  Durcharbeitung,  ohne  dafi  die  Tonalitat  ganzlich  verlassen  wiirde.  Das  geschieht  erst 
im  3.  Satze  des  2.  Streichquartettes,  op.  10  (Fis-Moll).  Der  l.Satz  (Sonatenform)  und  das 
Scherzo  dieses  Quartettes,  die  satztechnisch  noch  auf  dem  Boden  der  Tradition  stehen,  werden 
von  einem  Adagio  con  Variationi  gefolgt,  iiber  das  die  hinzutretende  Singstimme  eine  Lied- 
form  baut.  Auch  der  letzte  Satz  wird  gesungen;  er  ist  trotz  thematischer  Verflechtungen 
frei  gestaltet.  Die  folgenden  Werke,  Klavierstiicke  (op.  11  und  19),  Orchesterstiicke  (op.  16) 
und  die  Buhnenwerke  entrollen  die  schon  erwahnten  Probleme.  Die  friiher  charakterisierte 
Melodik  wird  aus  kleinen  Motiven  gebildet,  die  nicht  polyphon  verarbeitet,  sondern  mit 
anderen  Bewegungen  kombiniert  werden.  Das  Harmonische  unterliegt  nicht  mehr  der  ka- 
denzieilenFunktion.  Die  Form  deckt  sich  mit  dem  Ausdrucksgehalt,  nicht  mit  schon  bekannten 
Typen  (jedes  Stuck  ist  anders  gestaltet).  Im  Orchester  wird  der  Einzelklang  aus  vielen  Farben 
zusammengesetzt,  die  Instrumente  solistisch  behandelt  und  dynamisch  getrennt.  Dabei  werden 
aber  die  alten  kontrapunktischen  Formen  nicht  vernachlassigt,  sondern  zu  ungeahnter  Kom- 
pliziertheit  gesteigert  (Passacaglia,  Kanon,  Doppelkanon,  Krebskanon,  Spiegelkanon  im 
,,Pierrot  lunaire"  (op.  21),  einem  Werke,  das  auch  durch  die  melodramatische  Singstimme 
eine  umsturzende  Neuerung  ist).  Die  Komposition  mit  zwolf  Tonen  pragt  sich  zum  erstenmal 
in  voller  Gesetzmafiigkeit  in  den  fiinf  Klavierstiicken  op.  23  aus.  Schon  in  friiheren  Werken, 
besonders  in  den  Orchesterliedern  op.  22  waren  Ansatze  hierzu  zu  finden.  Eine  Reihe  von 
Kammermusikwerken  zeigt  Schonberg  auf  dem  Wege  zu  immer  groBerer  Freiheit  des  Aus- 
drucks  trotz  streijger  Beibehaltung  des  Zwolf ton-Kompositionsprinzips,  das  nie  zu  starrer 
Mathematik  wird.  Hierzu  gehort  die  mehrsatzige  Serenade  fur  Klarinette,  BaBklarinette, 
Mandoline,  Gitarre  und  drei  Streicher,  op.  24,  in  deren  Mittelsatz  die  neue  Technik  zum  ersten 
mal  vokal  angewendet  wird  (ein  Petrarca-Sonett  fur  tiefe  Mannerstimme).  In  den  vier  Stiicken 
fur  gemischten  Chor,  op.  27,  und  den  drei  Chorsatiren,  op.  28,  verzichtet  Schonberg  auf 
jegliche  instrumental  Stiitze  derZwolftonmelodik;  in  seinen  Kammermusikwerken  der  letzten 
Zeit  erscheinen  klassische  Formtypen  mit  der  neuen  Zwolftontechnik  erfiillt.  Hierzu  gehoren 
die  Suite  fur  Klavier  op.  25  zum  Teil  in  vorklassischen  Tanzformen,  und  die  Suite  fur  sieben 
Instrumente  op.  29  wahrend  das  Blaserquintett  op.  26  und  das  Dritte  Streichquartett  op.  30 
aufierlich  dem  Formtypus  der  klassischen  Senate  naherstehen.  In  den  Orchestervariationen 
op.  31  hat  Arnold  Schonberg  die  Zwolftonkomposition  auch  auf  das  Orchester  iibertragen. 
Schonberg  hat  aus  tiefster  Uberzeugung  verneint,  dafi  er  auf  der  Bahn  der  Musikentwicklung 


Die  Moderne:  Deutsche  1025 


in  derselben  Richtung  weiterschreiten  konne,  wie  sie  bisher  verlief .  Er  hat  aus  dieser  Erkenntnis 
die  Konsequenzen  gezogen  und  nicht  nur  spekulativ,  sondern  gefiihlsmaBig  und  intuitiv  eine 
ganzlich  veranderte  Ausdrucksart  gefunden. 

Schonberg,  der  als  Lehrer  eine  umfangreiche  Tatigkeit  entfaltet  (er  veroffentlichte  1911  eine  ,,Harmonielehre", 
die  1922  umgearbeitet  wurde),  hatte  mehrere  Schiiler,  die  als  Komponisten  auf  dem  von  ihm  eingeschlagenen  Wege 
weiterschreiten.  Zu  den  altesten  gehoren  Anton  Webern  (geb.  1883)  und  Alban  Berg.  Die  meisten  Werke  von 
\Vebern  sind  ganz  kurz,  dynamisch  aufierordentlich  fein  abgestuft  und  zeigen  eine  vielverastelte  Rhythmik.  Er  schrieb 
eine  ,,Passacaglia4',  Orchester-  und  Instrumentalstiicke,  sowie  Lieder,  in  letzter  Zeit  Chore  und  eine  Sinfonie.  Diese 
Arbeiten  entbehren  der  herkommlichen  Gestaltung  und  gehen  im  Stil  noch  iiber  Schonberg  hinaus.  Der  etwas 
jungere  Alban  Berg  (geb.  1885)  "iiebt  ausgedehntere  Formen.  Thematik  ist  klarer  erkennbar,  obwohl  auch  hier 
die  heterogensten  Elemente  verbunden  sind.  Zusammen  mit  anderen  konstruktiven  Elementen  hat  Berg  die  Zwolfton- 
technik  Schonbergs  aufgenommen  und  in  seiner  ,,Lyrischen  Suite"  fur  Streichquartett  (1926)  und  in  seinem  Kammer- 
konzert  f  iir  Geige  und  Klavier  mit  1 3  Blasern  angewendet.  Bergs  wichrigste  Arbeiten  sind  neben  den  genannten 
eine  Klaviersonate,  Streichquartett,  Lieder  mit  Klavier  und  Orchester  und  endlich  eine  Oper  ,,Wozzeck",  von  der 
noch  die  Rede  sein  wird.  Zu  den  alteren  Schonbergschiilern  gehoren  Karl  Horwitz  (1884 — 1925),  der  in  seiner 
letzten  Zeit  einen  Stilwandel  durchgemacht  hat,  der  ihn  dieser  Richtung  entfremdete,  und  Egon  We  lies  z(s.S.  1036), 
dessen  Haupttatigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Oper  liegt1).  Jiingere  Schonbergschiiler  sind  Viktor  Ullmann,  Felix 
GreiBle  aus  der  Wiener  Zeit,  daneben  die  heute  als  Kapellmeister  in  Deutschland  wirkenden  Ernst  Bachrich, 
Hans  Svarovsky,  Karl  Rankl  und  Ludwig  Trauneck,  aus  den  letzten  Berliner  Jahren  die  Anhanger  der  Zwolfton- 
musik  Herrmann  Zillig  und  Walter  Gronostay.  Eine  Sonderstellung  nimmt  Hanns  Eisler  (geb.  1898)  ein,  der 
sich  technisch  an  Schonberg  anschliefit,  sich  jedoch  geistig  durch  naturalistische  und  kollektivistische  Einstellung  weit 
von  ihm  entfernt.  Eisler  ist  durch  Vokalwerke  skurriler  und  parodistischer  Art,  sowie  durch  Tendenzchore  bekannt- 
geworden.  Der  Deutschbohme  Erwin  Schulhoff  (geb.  1894  in  Prag),  ein  sehr  fruchtbarer  Komponist  vorwiegend 
virtuosenhafter  Musik,  reiht  sich  hier  an.  Dem  Schonbergkreis  steht  auch  Rudolf  Reti  (geb.  1891)  nabe,  sowie  der 
Deutschbohme  Fidelio  F.  Finke  (geb.  1891  in  Josefstal),  der  in  Klavierstiicken  und  Lyrik  vorwiegend  groteske 
Wirkungen  aufsucht.  Hierher  sind  aber  auch  einige  Schiiler  Franz  Schrekers  (von  dem  spater  gesprochen  wird) 
einzureihen,  die,  vollig  gewandelt,  in  Schonbergs  Werken  ihr  Vorbild  senen.  Alois  Haba  (geb.  1893),  Tscheche, 
voriibergehend  in  Berlin  lebend,  schrieb  Kammermusik  und  Orchesterwerke  und  beschaftigt  sich  jetzt  mit  der 
praktischen  Einfiihrung  und  theoretischen  Deutung  des  Vierteltonsystems,  in  dem  er  seit  1921  ausschliefilich  kom- 
poniert.  AuBer  Haba  komponieren  im  Vierteltonsystem  Richard  H.  Stein  (geb.  1882),  Jorg  Mager  und  Willy 
Moellendorf  (derErbauer  des  ersten  Vierteltonharmoniums).  Felix  Petyrek  (geb.  1892)  fallt  durch  seinen  Hang 
zur  Parodie  und  Groteske  sowie  durch  virtuose  Beherrschung  der  Satztechnik  auf.  In  letzter  Zeit  hat  Petyrek,  der 
in  Athen  lebt,  viele  orientalische  Motive  folkloristisch  in  seine  Musik  aufgenommen.  Allen  dieseri,  sowie  den  jiingeren 
Josef  Melichar,  Herbert  Windt  und  Leo  Ornstein  (geb.  1895),  Wilhelm  Maler  (Koln  1902),  Johannes  Muller- 
Dresden  (1906),  ist  die  Abkehr  von  der  Tonalitat  im  hergebrachten  Sinne  und  von  der  Formgestaltung  der  Klassiker 
gemeinsam. 

In  ganz  eigenartiger  Weise  komponiert  der  Osterreicher  Josef  M.  Hauer  (geb.  1883).  Autodidakt,  hat  er  ein 
,,rein  atonales"  Tonsystem  in  mehreren  theoretisch-asthetischen  Schriften  aufgestellt,  nach  dem  er  praktisch  nur 
fur  temperierte  Instrumente  (Klavier,  Harmonium,  Celesta)  und  far  Orchester  arbeitet.  Seine  Art  liefie  sich  als  Ver- 
such  bezeichnen,  mit  primitiven  Mitteln,  vom  Bausteine  des  Tones  an  sich  ausgehend,  neuen  Ausdruck  zuerreichen. 
Ihm  nahe  verwandt  ist  der  1894  in  Ortelsburg  in  Ostpreufien  geborene  Jurgen  van  der  Wense,  der,  ebenfalls 
zuerst  in  anderen  Berufen  tatig  und  in  der  Musik  Autodidakt,  in  Liedern  aus  der  Edda,  deutschen  Liedern  und 
Klavierstiicken  in  neoprimitiver  Art  nach  Gestaltung  ringt. 

Die  Vokalmusik 

a)  DAS  LIED  UND  DER  CHOR.  Wahrend  in  der  Instrumentalmusik  die  Entwicklung  nach 
einer  neuen  Richtung  hin  in  groBen  Ziigen  merkbar  wird,  kann  belm  Lied  nur  von  tastenden 
Versuchen  gesprochen  werden;  denn  der  Typus  eines  neuen,  modernen  Liedes  wurde  erst 
um  die  Jahrhundertwende  von  Hugo  Wolf  aufgestellt  (s.  S.  954).  Von  ihm  unmittelbar 

*)  In  diesem  Zusammenhange  ist  auch  der  Verfasser  dieses  Artikels,  Paul  Amadeus  Pisk  (geb.  1893) ,  zu  nennen, 
der  wie  als  Schaffender  (Lieder,  Chore,  Instrumentalmusik,  Pantdmime)  so  als  musikalischer  Volksbildner, 
Musikschriftsteller  und  Kritiker  erfolgreich  tatig  ist.  D.  Hgbr. 


1026 


Die  Moderne:  Deutsche 


beeinflufit  sind  in  ihrer  Lyrik  alle  Komponisten  der  neudeutschen  Richtung,  die  bereits  in 
dem  Abschnitt  liber  die  Instnimentalmusik  erwahnt  Burden,  aber  auch  einige  Tonsetzer,  die, 
jiinger  an  Jahren,  vorwiegend  durch  ihr  Liedschaffen  bekannt  sind.   Hierher  gehort  in  erster 
Linie  der  Nachromantiker  Heinrich  Kaspar  Schmid  (geb.  1874  in  Landau).   In  semen  zahl- 
reichen  Werken  (Liederspiel  ,,Tiirkisches  Liederbuch",  Kinderlieder)  zeigt  sich  ein  eigener 
Zug,  obwohl  die  Art  der  Diktion  und  des  Satzes  an  Wolf  emporgewachsen  sind.   Direkt  an 
Wolf  schlofi  sich  der  mit  Schmid  gleichaltrige  Wiener  Theodor  Streicher  (geb.  1874)  in 
seinen  ,,Wunderhorn"-  und  ,,Hafis"-  Uedern  an,  sowie  der  im  gleichen  Jahre  geborene, 
schon  1913  verstorbene  Erich  J.  Wolff  und  Otto  Vrieslander  (Lieder  nach  K.  F.  Meyer 
und  Goethe).  Hans  Pfitzner,  der  seinen  produktiven  Schwerpunkt  ins  Vokale  verlegt  hat, 
formt  Gesange  und  grofiere  Vokalwerke  in  echt   romantischem  Geiste.    In   der  Harmonik 
werden  mannigfache  freie  Vorhaltsbildungen  und  Ostinato,  im  Klang  mit  Vorliebe  die  dunklen 
Farben  der  tiefen  Lagen  angewendet.  Pfitzner  schreibt  teils  grofiere  Einzelstiicke  mit  Orchester- 
begleitung  (..HerrOluf",  op.  12,  1891;  ,,Die  Heinzelmannchen",  op.  14,  ,,Lethe",  op.  37,  fur 
Mannerstimme)  oder  gruppenweise  angeordnete  Lieder  mit  Klavierbegleitung  (zahlreiche 
Opera  2,  3,  4,  5,  6,  7,  9  JO,  1 1,  15,  18  usw.)  aus  der  Friihzeit,  neuestens  ,,Alte  Weisen",  op.  33 
(1923),  Sechs  Liebeslieder,  op.  35,  und  die  Gesange  auf  den  Tod  der  Gattin  des  Meisters. 
Diese  sind  hier  angefuhrt,  da  sie  auf  die  jungere  Generation  nicht  ohne  Einflufi  geblieben  sind. 
Eine  deutliche  Entwicklung  zeigt  Joseph  Marx  (geb.  1882  in  Graz),  1922-1925  Direktor, 
jetzt  Lehrer  der  Staatsakademie  in  Wien.  Er  verfafite  in  den  Jahren  von  1900-191 1  zahlreiche 
Lieder,  die  ihn  weithin  bekannt  machten,  zuerst  in  volkstiimlich  breiterArt,  etwa  von  Robert 
Franz  ausgehend,  dann  aber  von  Hugo  Wolf,  namentlich  im  symphonischen  Klaviersatz,  stark 
angeregt.  Seine  j'etzt  sichtlich  ausgepragte  Eigenart  lafit  sich  einerseits  in  der  rhythmisch  wenig 
differenzierten,  immer  voll  klingenden  Klavierbegleitung  und  in  der  Melodie  aufzeigen,  die 
ungefahr  die  Mitte  zwischen  gedehnter  Kantilene  und  dem  Sprechton  halt.    Alle  Gesange 
zeichnen  sich  auch  durch  uberstromenden  Gefuhlsinhalt  und  feine  komplizierte  Harmonik 
aus.    Das  Lokalkolorit  der  steirischen  Landschaft  und  Volkselemente  werden  oft  merkbar. 
Die  Lieder  sind,  mit  Ausnahme  des  ,,Italienischen  Liederbuchs",  nicht  zyklisch  angeordnet, 
hingegen  oft  von  Kammerorchester  (einzelnen  Instrumenten)  begleitet.    Neben  Kammer- 
musik  (Sonaten,  Klavierquartett,  Trio),  die  aber  immer  dasGeprage  edler  Lyrik  trSgt,  wandte 
sich  Marx  in  den  letzten  Jahren  der  Instrumentalkomposition  zu  (Romantisches  Klavierkon- 
zert,  1919,  ,,Herbstsymphonie",  1922,  Idylle,  Concertino  fur  Orchester,  1926,  und  neuestens 
,,Nordlandsrhapsodie"  mit  folkloristischen  Einfliissen).   Auch  hier  ist  eine  echt  romantische 
Dberschwenglichkeit  und  das  reiche  Stromen  der  musikalischen  Gedanken  vorhanden.  Stili- 
stisch  gehort  Marx  noch  zu  den  teilweise  vom  Klangzauber  der  franzosischen  Impressionisten 
berauschten  Spatromantikerh,  in  seiner  Harmonik  kiindigt  sich  jedoch  schon  eine  Stilwandlung 
an.  Das  Liedschaffen  von  Richard  Straufi  weist  einen  groBen  Umfang  und  weite  Verbreitung 
auf.  Seine  Melodik  entwickelt  sich  von  der  Aneinanderreihung  kiirzerer  Motive  zu  grofien  Pe- 
rioden,  der  Schwerpunkt  liegt  aber  nicht  so  sehr  im  Gesanglichen,  als  im  Klavier,  da  sich 
die  Phantasie  des  Meisters  am  Instrumental  befruchtet  und  die  Erkenntnis  des  Zwiespaltes 
zwischen  Melos  und  Sprache  bei  ihm  zu  stark  ist,  als  dafi  eine  Synthese  entstehen  konnte. 
Trotzdem  hat  StrauC  das  Ausdrucksgebiet  des  Liedes  nach  der  ernsten  und  grotesken  Seite 
hin  erweitert,  ohne  sich  aber  von  seinen  Vorbildern  (Wagner— -Hugo  Wolf)  ganzlich  freizu- 


Die  Modeme:  Deutsche  1027 


machen.  Die  Zahl  seiner  Lieder  betragt  etwa  130.  Sie  lassen  sich  ziemlich  leicht  in  Gruppen 
einteilen,  da  stets  mehrere  Vokalopera  zeitlich  beisammenstehen.  Von  den  ersten  Banden, 
die  in  den  Jahren  1885 — 88  entstanden,  ist  vor  allem  das  ,,Standchen"  aus  op.  15  und  ,,Breit' 
iiber  mein  Haupt"  (op.  19,  Nr.  2)  zu  erwahnen,  sowie  die  ,,Schlichten  Weisen"  (op.  21).  Die 
zweite  Gruppe  (in  den  Jahren  1894 — 97  komponiert)  umfaBt  die  Werke  mit  Klavier  op.  27, 
29,  31 ,  32,  sowie  die  Orchesterlieder  op.  33  und  enthalt  diejenigen  Gesange  von  StrauB,  welche 
am  bekanntesten  wurden,  u.  a.  ,,Cacilie",  ,,Heimliche  Aufforderung",  ,,Morgen",  ,,Traum 
durch  die  Dammerung"  und  ,,Ich  trage  meine  Minne".  Nach  den  3  Zyklen  op.  36,  37  und  39 
aus  dem  Jahre  1898  setzt  im  Sommer  1899  ein  neues  Liedschaffen  ein,  das  bis  1901  andauert 
und  die  Werke  41 , 43,  46 — 49  sowie  die  Orchesterlieder  op.  44  in  sich  schliefit.  Textdichter  sind 
neben  Uhland  und  Rikkert  von  Modernen  Henckell  (,,W5nterweihe")  und  Dehmel  (,,Freund- 
liche  Vision").  Nach  einem  einzelnen  Heft  (op.  56,  1903)  trat  eine  jahrelange  Pause  in  der  Lied- 
produktion  StrauBens  ein,  die  erst  durch  die  Lieder,  op.  66—68,  und  die  ,,5  kleinen  Lieder" 
(op.  69)  aus  dem  Jahre  1919  und  die  grofiangelegten  8  ,,Hymnen",  op.  71 ,  unterbrochen  wurde. 
Die  technische  und  formale  Meisterschaft  Straufiens  kommt  in  den  Gesangen  der  letzten 
Periode  ebenso  zur  Geltung  als  friiher.  Merkwiirdig  Jst  auch  der  Entwicklungsgang  Max 
Regers.  Sein  Friihwerk,  ungefahr  30  Gesange,  steht  unter  dem  Einflusse  Brahms'  und 
Schumanns.  Dann  (etwa  in  der  Weidener  Zeit)  folgt  eine  grofie  Reihe  von  Liedern,  die  den 
Stil  Hugo  Wolfs  aufweisen.  Reger,  der  nach  eigenen  Worten  ,,Wolf  iibertrumpfen  wollte", 
steigert  die  Polyphonic  des  Klavierparts,  lafit  die  melodischen  Linien  abwechselnd  von  der 
Singstimme  in  die  Begleitung  iibergehen  und  bringt  viel  Tonmalerei,  sowie  rein  deldama- 
torische  Stellen.  Reger  verlafit  jedoch  mit  seinen  12  Liedern  op.  66  diese  Bahn  und  wendet 
sich  in  den  spateren  Jahren  einer  Vereinfachung  des  Stiles  zu,  der  in  den  60  ,,Schlichten 
Weisen"  (op.  76)  am  reinsten  zum  Ausdruck  kommt.  Es  ist  eine  deutliche  Riickkehr  zurMelo- 
dik  und  formalen  Anlage  (Strophen !)  des  alten  Volksliedes;  der  archaisierende  Charakter  wird 
auch  durch  angewendete  Kirchentonharmonik  betont.  In  alien  Gesangen  dieser  Zeit  stellt 
sich  Reger  in  bewufiten  Gegensatz  zu  Richard  Straufi,  indem  er  Texte,  die  von  jenem  vertont 
sind,  in  ganz  anderer  Weise  in  Musik  setzt.  In  die  letzte  Zeit  fallen  die  12  geistlichen  Lieder 
(op.  137)  und  Kinderlieder  (op.  142),  die  tiefsten  Gefuhlsinhalt  bergen.  Das  lyrische  Ge- 
samtwerk  Regers  umfafit  iiber  300  Lieder,  die  vor  allem  aus  dem  rein  Gefiihlsmafiigen,  aus 
der  Stimmung  heraus  geschaffen  sind.  Daraus  erklart  sich  die  oft  unbedenkliche  Wahl  minder- 
wertiger  Texte.  Die  Skala  der  Empfindungen  Regers  reicht  von  neckischer  oder  derber 
Heiterkeit  bis  zu  weltabgewandter  Religiositat.  In  seinen  letzten  Liedern  nahert  er  sich, 
wenn  auch  nicht  in  bezug  auf  den  harmonischen  und  melodischen  Bau,  so  doch  im  Formalen 
und  in  der  Auffassung  der  Textverarbeitung  der  Lyrik  Gustav  Mahlers.  Unmittelbar  an 
Wolf  (in  der  motivischen  Begleitung)  und  an  Brahms  (in  der  Formung  der  Melodie) 
kniipfen  die  ersten  Gesange  Schonbergsan.  In  der  weiteren  Entwicldung  entfernt  sich 
die  Melodie  durch  Anwendung  grofier  Intervallspriinge  immer  mehr  vom  Deklamatorischen, 
die  Formen  werden  knapper,  praziser,  die  Kontraste  scharfer.  Alle  in  der  Instrumenfcdmusik 
verzeichneten  Merkmale  formaler  und  technischer  Art  finden  sich  auch  in  Schonbergs  Lyrik. 
Als  besonderen  Fall  des  Zuriickkehrens  zur  Deklamation  muB  auf  den  ,,Pierrot  lunaire"  hin- 
gewiesen  werden,  der,  wohl  aus  dem  Bestreben  nach  einer  Oberschreitung  derGrenzen  der 
absoluten  Musik  zwecksVereinigung  mit  der  Schwesterkunst,  der  Rezitation,  dieNeueinfiihrung 


]Q28  Die  Modeme:  Deutsche 


der  ,,Sprechmelodie"  enthalt.  Die  Worte  sind  unter  genauer  Beriicksichtigung  der  Tonhohe 
und  des  Rhythmus  zu  sprechen.  Die  von  Schonbergs  Schulern  und  anderen  jungen  Kom- 
ponisten  seitdem  weiter  verwendete  Sprechmelodie  stellt  die  Synthese  zwischen  Lied  und 
Melodram  einerseits  und  zwischen  Deklamation  und  Gesangsstimme  andererseits  her. 

Die  Produktion  von  Chorwerken  ist  vielfaltig  verastelt.  Fassen  wir  die  drei  groBen  Gat- 
tungen:  geistliches  Oratorium,  weltliches  Oratorium  und  die  iibrigen  Chorwerke  ins  Auge,  so 
zeigt  sich  auf  dem  Gebiete  des  ersteren  in  den  letzten  Jahrzehnten  nur  geringe  Entwicklung. 
Nach  der  Reform  dieses  Typus  durch  Franz  Liszt,  der  Wagners  Technik  auf  das  Oratorium 
iibertrug,  haben  sich  zahlreiche  Wagnerepigonen  schaffend  an  Oratorien  versucht,  ohne  sti- 
listisch  fortzuschreiten.  Neben  Max  Bruch,  Joachim  Raff,  Felix  Draesecke,  die  schon  im 
vorhergehenden  Abschnitt  behandelt  wurden,  und  Philipp  Wolfrum  (geb.  1854),  sind 
von  jungeren,  erst  in  den  letzten  Jahren  erschienenen  Werken  die  ,,Siindflut"  von  Friedrich 
Ernst  Koch  (geb.  1862)  zu  erwahnen,  wo  Rubinsteins  EinfluB  deutlich  merkbar  wird,  ferner 
das  Oratorium  ,,Ruth"  (1908)  von  Georg  Schumann  (geb.  1866),  das  mit  Wagnerischen  Mit- 
teln  dramatische  Belebtheit  erreicht.  An  groBen,  mehrteiligen  geistlichen  Oratorien  ist  sonst 
Mangel,  wahrend  kleinere  Werke,  biblische  Szenen  oder  Kantaten  in  groBerer  Zahl  veroffent- 
licht  werden.  Hierher  gehoren  die  ,,Heilige  Sendung"  und  ,,Hollenfahrt  Christi"  von  Karl 
Bleyle  (geb.  1880),  die  ,,0ffenbarung  Johannes"  von  Walter  Braunfels  (s.  S.  1014),  sowie 
die  Chorwerke  der  Reger-Schule  (Grabner)  und  Kaminskis.  Im  allgemeinen  geht  die  Pro 
duktion  an  grofien  Chorwerken  mit  Orchesterbegleitung  zuriick,  sei  es,  daB  die  wirtschaft- 
lichen  Schwierigkeiten  die  Auffiihrung  erschweren,  sei  es,  daB  sich  die  junge  Komponisten- 
generation  bewuBt  von  dieser  Gattung  abwendet.  Die  vorklassische  Vokalpolyphonie  wird 
Vorbild,  und  so  kommt  es,  daB  in  einer  Art  von  Chromatik  gereinigter  Mehrstimmigkeit  der 
Madrigalstil  zu  neuem  Leben  erwacht.  Die  geistige  Bewegung,  die  Elemente  des  zeit- 
genossischen  Stiles  auch  auf  die  alten  Formtypen  der  Vokalmusik  zu  ubertragen,  hat  zahl 
reiche  Werke  fur  Kammerchor  a  cappella  hervorgebracht.  Max  Butting  (A-cappella-Chore 
op.  27),  Paul  Hindemith  (Liederbuch  fur  mehrere  Singstimmen  op.  33)  und  Ernst  Krenek 
(drei  gernischteA-cappeIla-Choreop.22,  vier  kleine  A-cappella-Chore  op.  35,  vier  A-cappella- 
Chore  op.  47,  kleine  Kantate  fur  A-cappella-Chor  op.  51)  haben  sich  zuerst  mit  dieser  Gattung 
beschaftigt,  dann  folgten  ihnen  zahlreiche  Komponisten  nach,  unter  denen  noch  Wilhelm 
Weismann  (geb.  1900)  und  Hugo  Herrmann  (s.  S.  1037)  und  die  O'sterreicher  Felix 
Petyrek  und  Hans  Gal  (Epigramme  fur  gemischten  Chor  a  cappella  op.  27)  genannt  seien. 
Die  grofie  Bewegung  des  Massengesanges  der  Arbeiter  (Manner-  und  gemischter  Chor), 
die  in  den  letzten  Jahren  immer  starker  merkbar  wird,  hat  einen  ganzen  Literaturzweig  der 
Chorproduktion,  die  Arbeitercho're,  ins  Leben  gerufen.  Zunachst  begannen  einige  Kompo 
nisten  soziale  Texte  im  Stile  der  konventionellen  Chorkomposition  der  romantischen  Ver- 
gangenheit  zu  formen.  Hierher  gehoren  etwa  die  Fiihrer  der  Bewegung  Gustav  Adolf  Uth- 
mann  (1867-1920)  in  Deutschland  und  Josef  Scheu  (1841  —  1904)  in  O'sterreich.  Eine  Un- 
zahl  von  Komponisten,  die  den  Durchschnitt  nicht  iiberragten,  waren  auf  diesem  Gebiete 
tatig.  Erst  in  den  letzten  Jahren  haben  sich  geistig  und  technisch  hervorragende  Vertreter  der 
jungeren  Generation  dieser  Gruppe  zugewendet,  in  Deutschland  vor  allem  Wilhelm  Knochel 
(geb.  188I),HermannScherchen(s.S.  1009),  Erwin  Lendvai  (s.S.1021)  und  Heinz, Tiessen 
(s.  S.  1021),  inOsterreich  Josef  Sey fried  (geb.  1871)  und  mehrere  Jiingere.  Alle  diese  Kom- 


Die  Moderne:  Deutsche  1029 


ponisten  schreiben  entweder  kleinere  Chorlieder  fiir  Arbeiter  oder  grofiere,  abendftillende 
Werke.  Hier  finden  sich  Ansatze  zu  neuartigen  sozialistischen  Oratorien.  Dieser  Gruppe 
gegenuber  steht  eine  andere,  die  tiefen  geistigen  Widerhall  aus  der  alten  Gemeinschaft  des 
Christentums  mit  neuen  Kunstmitteln  sucht.  Die  Vertonungen  zahlreicher Psalmen  (23.  von 
Alexander  Zemlinsky,  69.  von  Heinrich  Kaminski,  100.  von  Max  Reger,  1 16.  von  Franz  Schre- 
ker  u.  a.)  waren  hier  einzureihen,  sowie  die  Werke,  welche  zur  reinen  Kirchenmusik  iiberleiten 
(Te  deum  und  Grofie  Messe  von  Braunfels,  Berthold  Goldschmidt  ,,Requiem").  Die  iiber  dem 
evangelischen  Choral  aufgebaute,  rein  vokal-mehrstimmige  Choralkantate,  welche  die  Uber- 
tragung  des  instrumentalen  Choralvorspiels  (Bach)  auf  das  Gebiet  der  Chorik  darstellt  und  von 
Max  Reger  erstmalig  gestaltet  wurde,  ist  gleichfalls  hier  anzufiihren.  Das  grofie  weltliche  Orato- 
rium  ist  seit  Bruch,  Adalbert  v.  Goldschmidt  sowie  anderen  um  einige  Werke  bereichert  worden, 
die  ebenfalls  auf  Wagner  fuBen.  In  den  letzten  Jahren  wurden  bekannt:  ,,Totentanz"  von  Felix 
Woyrsch  (geb.  1860),  ,,DerSonneGeist"  von  F.  Klose,  ,,Friihlingsfeier"  vonC.  Prohaska, 
des  Wieners  Karl  Weigl  ,,Weltfeier",  das  ,vHohe  Lied"  von  Ernst  Kanitz.  Den  Hohepunkt  in 
bezugauf  Wirkung  und  Aufgebot  bilden  die  ,,Gurrelieder"  von  Arnold  Schonberg  (s.  S.  1021) 
und  Mahlers  VIII.  Symphonic  (s.  S.  1007).  Die  kleineren  Arten,  des  weltlichen  Oratoriums 
sind  schwer  von  der  (dramatischen)  Kantate  und  anderen  Chorformen  abzugrenzen.  In  dieser 
Reihe  waren  noch  zu  nennen:  mehrere  Werke  von  J.  L.  Nicode,  Richard  Mandl  (1859 — 1918), 
das  ,,Klagende  Lied"  von  Mahler,  Pfitzners  ,,Der  Blumen  Rache",  sowie  die  kleineren  Chor- 
werke  von  Reger  (,,Romischer  Triumphgesang",  ,,Weihe  der  Nacht",  ,,Gesang  der  Verklarten", 
,,Die  Nonnen"  usw.).  Im  allgemeinen  finden  wir  seit  Reger  erhohte  Polyphonic,  haufige  An- 
wendung  von  Enharmonik  und  Chromatik,  sowie  Vergrofierung  des  Umfanges  der  Stimmen. 
Richard  Straufi  hat  an  Chorwerken  mit  Orchesterbegleitung  ,,Taillefer**,  ,,Bardengesang" 
sowie  „ Wanderers  Sturmlied"  komponiert.  Ein  Monumentalwerk  schuf  er  mit  den  ,,Tages- 
zeiten",  einem  Zyklus  ftir  Mannerchor  und  Orchester,  op,  76  (1928).  An  A-cappella-Werken 
sind  die  ,,Deutsche  Motette"  und  zwei  Gesange  (,,Der  Abend"  und  ,,Hymne"),  samtlich  far 
16stimmigen  gemischten  Chor,  zu  nennen.  Auch  den  Mannergesang  A-cappella  pflegt  er 
(Werk  42  und  45),  ebenso  wie  Reger,  der  zahlreiche  Volksliederbearbeitungen  fur  Manner 
chor  setzte.  Zahlllos  sind  die  Komponisten,  die  sich  nahezu  ausschliefilich  auf  dem  Gebiet 
des  Mannerchores  betatigen.  Hier  sind  in  Deutschland  am  bekanntesten :  der  Kolner 
RichardTrunk  (geb.  1879),  der  Leipziger  Gustav  Wohlgemuth  (geb.  1863)  und  der  Westfaler 
Rudolf  Buck  (geb.  1866).  In  Dsterreich  waren  der  greise  Adolf  Kirch  I  (geb.  1858)  und  Josef 
R  e  i  t  e  r  (geb .  1 862)  zu  nennen,  dann  die  f  ortschrittlicheren  Girl  L  a  f  i  t  e  (geb.  1 872),  Viktor  K  e  1  •* 
dorfer(geb.l873)undHansWagner-Schonkirch(geb.l872).OskarFried(geb.l871)steht 
in  seinem  Chorschaffen  zwischen  Mahler  und  Straufi.  Sein  ,,ErnteliecT  und  ,,Trunkenes  Lied" 
zeichnen  sich  durch  Betonung  des  Deklamatorischen  und  gesteigerte  technische  Anforderungen 
aus.  Die  Versuche  mancher  impressionistischer  Komponisten  waren  noch  zu  erwahnen,  die 
Chorstimmen  ohne  Worte  als  klangfarbenden  Instrumentaleffekt  verwenden. 
b)  DIE  OPER.  Die  stilistische  Entwicklung  der  Oper  in  den  letzten  Dezennien  strebt  eine 
Loslosung  von  dem  Einflufi  Richard  Wagners  an.  Die  Versuche  in  dieser  Richtung  erfolgen 
in  mannigfacher  Weise.  Richard  Straufi  wahlt  literarisch  wertvolle  Texte,  die  er  mit  sym- 
phonischer  Musik  in  geeigneten  Formen  umkleidet,  ohne  der  Farderung  Wagners  nach  dem 
musikdramatischen  Gesamtkomplex  in  orthodoxer  Art  zu  folgen.  Eugen  d'Albert  und  andere 


Die  Moderne:  Deutsche 


untermalen  in  naturaiistischem  Sinne,  ahnlich  dem  italienischen  Verismo,  das  dramatische 
Geschehen,  mit  dcm  Hauptaugenmerk  auf  die  Biihnenwirksamkeit.  Bei  Jhnen,  wie  allenthalben 
In  der  Oper,  machen  sich  (mehr  als  in  andern  Musikgattungen)  die  Einfliisse  des  Auslandes 
am  starksten  geltend.  Auch  Franz  Schrekers  Schaffen  ist  von  romanischen  Elementen  nicht 
frei,  die  sich  allerdings  in  anderer  Weise  auswirken.  Er  wendet  sich  einer  Oper  zu,  die  auf 
Klangsymbole  in  impressionistischem  Sinne  gestellt  ist,  ohne  aber  auf  dramatische  Wirkung 
und  motivische  Arbeit  zu  verzichten.  Andere  Komponisten,  besonders  Hans  Pfitzner,  setzen 
das  Werk  Wagners  im  selben  Sinne  durch  Steigerung  der  Mittel  fort.  Von  dieser  Rich- 
tung,  der  ,,spatromantischen  Oper",  ist  schon  die  Rede  gewesen,  da  mit  ihr  die  Entwicklung 
des  19.  Jahrhunderts  abgeschlossen  wird.  Die,  wenn  auch  erst  in  spateren  Jahren  ent~ 
standenen  Buhnenwerke  der  Epigonen  fallen  ebenfalls  nicht  in  diesen  Abschnitt.  Die  komische 
Oper  hat  seit  der  Jahrhundertwende  keinen  stilistischen  Wendepunkt  aufzuweisen,  nur  die 
Volksoper  (besonders  in  Osterreich)  blunt  weiter.  In  die  letzten  Jahre  fallen  Versuche  der 
Komponisten  im  Kreise  um  Arnold  Schonberg  und  auch  von  diesem  selbst,^der  Oper  durch 
Versetzung  ins  Ubersinnliche,  Mystische,  ja  sogar  zuweilen  ins  Religiose  eine  Richtung  zu 
geben,  die  sie  in  die  Nahe  des  Oratoriums  bringt,  aber  vom  Buhnendrama  entfernt.  Auch 
die  Beschaftigung  mit  Ballett  und  Pantomime,  besonders  unter  russischem  und  franzo- 
sischem  Einflufi,  wird  wieder  merkbar.  Die  jiingsten  Komponisten,  die  den  musikantischen 
Eigenwillen  als  primares  Gestaltungsprinzip  betrachten,  suchen  fur  die  Oper  Nummergliede- 
rung  mit  rein  musikalischen  Formen  oder  Annaherung  an  das  Singspiel  durch  Betonung  des 
tanzerischen  Elementes. 

Das  Opernschaffen  von  Richard  Straufi  hat  unmittelbar  unter  demEindrucke  derMusik- 
dramen  Wagners  eingesetzt.  Seine  Erstlingsoper  (der  dreiaktige  ,,Guntram",  op.  25),  die  im 
Jahre  1894  entstand,  geht  in  der  Anlage  und  Arbeit  genau  auf  den  Bayreuther  Meister  zuriick. 
Nur  in  manchen  Melodien  zeigen  sich  periodenartige  Wendungen  des  Brahms-Schumann- 
Stiles.  Auch  die  nachsteOper,  derEinakter  ,,Feuersnot"  (1901),  op.  50,  ist  noch  nicht  ganz 
selbstandig.  Aber  die  symphonische  Behandlung  des  Orchesters,  der  Hang  zum  Parodistischen, 
zur  Persiflage,  ist  neben  breiter  Lyrik  schon  deutlich  merkbar.  Auch  die  Vorliebe  StrauBens 
fur  Erotik  kommt,  durch  den  Text  Ernst  von  Wolzogens  angeregt,  das  erstemal  zum  Durch- 
bruch.  Erotik  durchzieht  auch  die  dritte  Oper,  ,,Salome"  (op.  54),  entstanden  1905,  in 
welcher  der  Opernstil  StrauBens  entwickelt  erscheint.  In  der  Dichtung  Oska,  wudes  tritt 
ubrigens  die  Erotik  nicht  als  Selbstzweck,  sondern  als  Hintergrund  eines  tiefen  Seelendramas 
auf.  Die  Musik  enthalt  Stellen  rein  melodischer  Art,  dann  wieder  rhythmisch  genau  dem 
Wort  angepafiten  Sprechgesang.  Das  Orchester  wird  noch  mehr  verselbstandigt  und  mit 
grofiter  Freiheit  behandelt.  Die  ungeahntesten  Tonmalereien  und  Klangbilder  werden  zur 
Schilderung  eines  iiberspannten  Gefuhlslebens  und  der  aufieren  Vorgange  angewendet.  Einzelne 
Szenen  bilden  geschlossene  Einheiten,  der  Tanz  der  Salome  eine  Art  symphonischen  Zwischen- 
spiels  als  Peripetie  des  Dramas.  Die  Leitmotivtechnik  ist  aber  noch  deutlich,  nur  in  der 
Orchesterbehandlung  gegen  Wagner  vorgeschritten.  In  diesem  Stiicke  herrscht  ein  offener 
Gegensatz  zwischen  der  naturhaften  suddeutschen  Geradlinigkeit  der  Musik  und  dem  kom- 
plizierten  Geflecht  des  teilweise  dekadent  erscheinenden  Textbuches.  Um  eine  vollstandigere 
Verschmelzung  mit  dem  Text  zu  erreichen,  ging  StrauB  eine  standige  kiinstlerische  Verbin- 
dung  mit  dem  osterreichischen  Dichter  Hugo  v.  Hofmannsthal  ein.  Trotzdem  aber  die 


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JQ32  Die  Moderne:  Deutsche 


Meisterwerke  der  ,,Elektra '  (op.  58,  1909)  und  des  ,,Rosenkavaliert€  (op.  59,  191 1)  aus  diesem 
Zusammenarbeiten  hervorgingen,  Jst  die  Wesensart  der  beiden  Kiinstler  nichts  weniger  als 
gieichartig.  Und  so  entstand  der  Typus  der  literarisch-musikalischen  Oper,.in  der  beide  Teile 
(Text  und  Musik)  kunstlerisch  wertvoll,  aber  nicht  homogen  sind.  Die  ,,Elektra '  bedeutet 
den  Endpunkt  der  ersten  Entwicklungslinie  des  Straufischen  Biihnenschaffens.  Der  Hohepunkt 
der  deskriptiven  Musik  wird  erreicht,  die  Tonalitat  an  vielen  Stellen  verlassen,  Charak- 
terisierung  durch  rhythmische  Klanggerausche  nicht  verschmaht.  Die  rein  konzertmafiige 
Fiihning  der  Instrumentalstimmen,  zu  denen  die  Singstimme  nur  wenig  kontrastiert,  wird 
der  Schilderung  des  gesteigert  MaBlosen,  Ungeheuerlichen  dienstbar  gemacht.  Erst  in  der 
Apotheose  des  Schlusses  kehrt  die  Rundung  einer  naiv  erfundenen,  tonalen  Melodic  wieder. 
Die  Artistik  erreicht  auch  im  Orchester  eine  neue  Hohe.  In  der  ,,Elektra"  sind  die  Streicher 
durchgangig  dreifach  geteilt,  die  Holzblaser  auf  die  Zahl  von  vier  gebracht.  (Klarinetten  sogar 
acht  mit  Es-Klarinette  und  Bassetthorn.)  Dazu  kommt  das  neu  eingefiihrte  Heckelphon 
und  im  Schlagwerk  Ruten  und  Ketten.  Im  ,,Rosenkavalier"  kiindigt  sich  die  Ruckkehr  zur 
Einfachheit  an.  Diese  dreiaktige  komische  Oper  enthalt  eine  mit  Ausnahme  weniger  Stellen 
vollig  diatonische  Harmonik.  Die  geschlossenen  Gebilde  (Duett,  Terzett)  zeigen  in  ausge- 
sprochenerem  Mafie  als  bisher  bei  Straufi  liedformige  Anlage;  Tanztypen  (Walzer)  werden 
angewendet  und  im  Orchester,  trotz  der  grofien  Besetzung,  solistisch  kammermusikalische 
Wirkungen  aufgesucht.  Derbe  Realistik  fehlt  nicht,  aber  das  Deskriptive  tritt  in  den 
Hintergrund.  Die  klassizistisch-formale  Orchesteroper  verdrangt  die  romantisch-symphonische 
Dichtung.  Diese  Entwicklung  setzt  sich  in  ,,Ariadne  auf  Naxos"  fort  (op.  60,  entstanden 
1912,  umgearbeitet  1917).  Der  Formwille  und  das  Hinneigen  zum  Archaistischen  wird  starker 
betont.  1st  es  doch  urspriinglich  ein  Spiel  im  Spiele,  wenn  der  ,,Biirger  als  Edelmann"  (von 
Moliere)  seinen  Gasten  eine  Opernvorstellung  geben  will.  Da6  es  ,,0pera  seria1*  und  ,,buffa" 
gemischt  sein  soil,  ist  nur  eine  Verstarkung  des  artistischen  Reizes.  Der  Charakter  der  ,,Ariadne'  - 
handlung  und  -rnusik  ist  daher  erotisch-pathetisch  (homophon),  der  der  eingeschobenen 
,,Zerbinetta"-Episoden  humoristisch-ironisch  (polyphon).  Die  Formen  sind  die  der  alten 
Oper(r>Szene  und  Arie",  Rondo^ Ensembles),  die  Auffassung  teils  naturalistisch,  teils  stilisiert. 
Das  Orchester  in  Kammerbesetzung  (36  Mann  und  Klavier)  wird  in  ungeahnter  Klangfiille 
gesetzt,  obwohl  auch  hier  die  archaisierende  Tendenz  durch  chorische  Verwendung  und 
Gegeniiberstellung  der  verschiedenen  Klangcharaktere  betont  wird.  Zwischen  der  ,,Ariadne 
und  den  letzterschienenen  Opern  Straufiens  liegt  das  im  Jahre  1914  entstandene  pantomimische 
Ballett  ,Josephslegende",  welches  for  das  russische  Ballett  verfaCt  wurde.  Die  ,,Frau  ohne 
Schatten"  (op.  65,  1919),  eine  symbolistische  Marchenoper,  wendet  den  ,,Ariadne"-Stil  auf 
groBere  Dimensionen  an.  Die  Musik  halt  sich  an  den  Stimmungsgehalt  ganzer  Szenen,  die 
solistischen  Orchesterwirkungen  sind  verstarkt.  Die  Einlagerung  breiter  lyrischer  Partien  in 
den  Flufi  des  Geschehens,  die  Anwendung  von  Monologen  (im  2.  Akt  ein  direktes  ,,Lamento") 
fallt  auf.  Die  Singstimme  ist  mit  Koloraturen,  aber  auch  mit  melodramatischen  Satzen 
ausgestaltet.  Ensembles,  (Kinder-)  Chore  und  gebaute  Finalszenen  nehmen  dem  Werk  den 
Charakter  des  Biihnendramas  und  nahern  es  der  barocken  Festoper.  Einen  ganz  anderen 
Weg  schlagt  „ Intermezzo*'  (op.  72,  1924)  ein.  Straufi  nennt  dieses  Werk  eine  biirgerliche 
Komodie  mit  sinfonischen  Zwischenspielen.  Stilistisch  neuartig  Jst  der  bis  auf  wenige  kan- 
tablere  Teile  konsequent  festgehaltene  rezitativische  Sprechgesang,  der  sich  zuweilen  dem 


Die  Modeme :  Deutsche  ]  033 


Naturalismus  annahert.  Die  rein  musikalische  Entwicklung  wird  in  geschlossene  Stiicke 
aufierhalb  der  dramatischen  Handlung  verlegt.  StrauB  hat  den  Text  zu  diesem  Lustspiel 
selbst  gefafit;  er  stilisiert  kiinstlerisch  eine  Episode  aus  dem  eigenen  Leben.  Auf  dem  Wege 
der  ,,Frau  ohne  Schatten"  schreitet  ,,Die  agyptische  Helena"  (op.  75,  1928)  weiter,  in  welchem 
Werk  symbolisch  die  Syn these  zwischen  der  Klassizitat  der  Antike  und  dem  Wagnerischen 
Ausdrucksdrama  wieder  angestrebt  wird.  Musikalisch  verfolgt  StrauB  weiter  die  Richtung, 
bei  vollkommen  beibehaltener  sinfonischer  Grundtendenz  durch  motivische  Arbeit  die  Einheit 
zwischen  Szene  und  Musik  zu  erreichen.  Kleinere  Biihnenwerke  Straufiens  aus  letzter  Zeit 
sind  das  heitere  Wiener  Ballett  ,,Schlagobers'4  (op.  70,  1924)  und  die  Erganzungsarbeiten 
zur  Hofmannsthalschen  Neugestaltung  von  Beethovens  ,, Ruin  en  von  Athen".  Als  vorlaufig 
letztes  Biihnenwerk  ist  die  Oper  ,,Arabella"  nach  dem  Text  von  Hofmannsthal  (1929)  zu 
erwahnen. 

Wie  bei  StrauB  das  musikalische  Gestaltungsprinzip  im  Vordergrunde  steht  und  das 
metaphysische  beiseite  geschoben  wird,  ist  dies  auch  bei  einigen -^ndern  Komponisten  der  Fall. 
Die  dramatische  Linie  wird  aus  der  melodischen  entwickelt.  So  bei  Herrmann  Wolfgang 
Waltershausen  (geb.  1882),  dessen  Gestalt  sich  vom  Kreise  der  Miinchner  Schule  abhebt 
und  der  mit  seinem  (1912  entstandenen)  ,,0berst  Chabert"  den  starksten  Erfolg  erreichte. 
Auch  E.  N.  v.  Reznicek  gehort  in  diese  Reihe,  (mit  Ausnahme  seiner  neuesten  Oper  MRitter 
Blaubart",  in  der  sich  eine  Stilanderung  ankiindigt),  sowie  Joseph  GustavMraczek  (geb.  1878 
in  Briinn)  und  der  Osterreicher  Franz  Schmidt  (geb.  1874)  mit  seinen,  besonders  an 
symphonischen  Stellen  uberschwenglichen  Opern  ,,Notre-Dame"  (1914)  und  ,,Fredegundis" 
(1922),  die  jedoch  an  der  Qualitat  der  Textbiicher  leiden.  In  weiterem  Abstande  ist  der 
Jungosterreicher  Hans  Gal  (s.  S.  1015)  mit  seinen  Opern  ,,Die  heilige  Ente"  (1923  mit  viel 
Erfolg  aufgefuhrt)  und  ,,Das  Lied  der  Nacht"  (1926)  zu  nennen,  ferner,  ohne  sie  stilistisch 
einzureihen,  die  osterreichischen  Komponisten  Franz  Neumann  (1874—1929),  Ferdinand 
Zaijcek-Blankenau  (geb.  1877),  Aladar  Szendrei  (geb.  1884)  und  Bernhard  Paum- 
gartner  (geb.  1887);  in  Deutschland:  Wilhelm  Mauke  (geb.  1867),  Friedrich  Klose  (geb. 
1862),  Bernhard  Schuster  (geb.  1870),  Paul  Graener  (geb.  1872),  Jose  B  err  (geb.  1874),  Georg 
Vollerthun  (geb.  1876),  Alfred  Schattmann  (geb.  1876),  Hermann  Noetzel  (geb.  1880), 
Albert  Noelte  (geb.  1885)  und  Heinrich  Bienstock  (geb.  1894).  Die  deutsche  Oper  wurde 
durch  den  franzosischen  Impressionismus,  durch  die  Werke  von  Debussy  und  PaulJDukas, 
stark  beeinfluBt.  Auch  die  Mystik  der  Texte  Maeterlincks  blieb  nicht  ohne  Eindruck.  Wah- 
rend  aber  diese  Einflusse  bei  Pfitzner  und  den  spateren  Komponisten  umgestaltet  und  ver- 
arbeitet  auftreten,  spiegeln  sie  sich  in  der  Erscheinung  Franz  Schrekers  am  starksten. 

Franz  Schreker  (1878  in  Monaco  geboren),  wurde  1912  Theorieprofessor  an  der  Wiener 
Staatsakademie  und  ist  seit  1920  Direktor  der  staatlichen  Hochschule  in  Berlin  Die  kompo- 
sitorische  Entwicklung  Schrekers  liegt  klar  zutage.  Die  Jugendwerke  vor  1900,  vorwiegend 
Lieder,  stehen  unter  dem  Einflusse  von  Brahms,  der  durch  den  Lehrer  Fuchs  noch  verstarkt 
wurde.  Sie  sind  einfach  gehalten,  rein  diatonisch,  zeigen  wenig  motivische  Arbeit,  daftir  den 
Hang  zum  Spielerischen  und  zur  Tonmalerei.  Auch  Chore,  eine  lyrische  Oper  ,,Flammen", 
die  durch  eigenartige  Homophonie  auffallt,  sind  nicht  besonders  bemerkenswert.  Die  wach- 
sende  Beeinflussung  durch  Debussy,  die  sich  vor  allem  in  der  Harmonik  (Mischklange,  Ak- 
korde  mit  iibereinandergeschichteten  Quinten)  auspragt,  beginnt  mit  den  Orchesterwerken: 


1034 


Die  Moderne:  Deutsche 


,,Romantische  Suite",  ,,EkkeharcT,  ,JPhantastische  Ouvertiire".  In  den  nachfolgenden 
Balletten:  ,,Rokoko"  (Suite  im  alten  Stil)  und  ,,Der  Geburtstag  der  Infanta"  wird  die  Har~ 
monik  personlicher,  urn  endlich  in  dem  ersten  grofien  Biihnenwerk,  ,,Der  feme  Klang"  (1912) 
ein  spezifisches  Geprage  zu  gewinnen.  Der  Schwerpunkt  von  Schrekers  gesamter  Musik  liegt 
in  dieser  Harmonik  und  der  Instrumentation,  die  in  ihren  schillernden  Klangen  und  Misch- 
farben  eigenartig  wirkt.  Der  Dreiklang  bleibt  noch  Grundlage,  aber  Sext  und  None  werden  als 
,,Farbe"  in  inn  einbezogen,  fremde  Wechselnoten  in  das  Akkordische  verlegt,  ja  ganze  Gruppen 
von  Akkorden  gemischt.  Mannigfache  Begleitungsfiguren  und  verschiedene,  durcheinander 
oszillierend  verwendete  Rhythmen  dienen  einem  Kolorit,  das  durch  die  Instrumentation  noch 
verfeinert  wird.  Das  symphonische  Prinzip  im  Orchester  ist  vollig  aufgegeben.  Die  Melodik, 
von  den  Romanen  befruchtet,  ist  nicht  plastisch  geformt,  sondern  in  enge  Verbindung  mit 
Klangflachen  gebracht.  Die  Motive  sind  aber  nicht  tonmalerisch  illustrativ,  sondern  gesang- 
lich  erfunden,  die  Einheit  von  Harmonie  und  Klang  nicht  zu  trennen.  Die  Opern,  deren 
dramatische  Grundidee  immer  von  einem  klanglichen  Symbol  ausgeht  und  deren  dramatisches 
Geschehen  aus  einer  musikalischen  Vision  hervorgeht,  haben  gemeinsam,  dafi  in  ihnen  eine 
Erotik  Platz  greift,  die  bis  zum  pathologischen  Sexualtrieb  ausartet.  Das  Biihnenwirksame, 
Theatralische  behalt  aber  stets  die  Oberhand  liber  das  Symbolistische.  Dem  ,,Fernen  Klang" 
haften  noch  Ziige  naturalistischer  Schilderung  an.  Auch  ist  ein  Versuch  zu  bemerken,  den 
ganzen  2.  Akt  formal  wie  eine  Symphonie  aufzubauen.  ,,Das  Spielwerk  und  die  Prinzessin" 
(1913,  aber  1920  umgearbeitet),  aufierlich  eine  romantische  Marchenoper,  begiinstigt  ebenfalls 
das  Klangsymbolische.  ,JDie  Gezeichneten"  (1918)  sind  erne  Renaissanceoper,  in  dermystische 
Phantastik  sich  mit  handgreiflicher  Wirksamkeit  paart.  Von  den  spateren  Opern  Schrekers 
hat  ,,Der  Schatzgraber"  (1920)  die  weiteste  Verbreitung  gefunden.  In  dieser  Oper,  deren 
Textbuch  (Schreker  ist  stets  sein  eigener  Textdichter)  wieder  auf  das  Marchen  zuriickgreift, 
fmden  sich  Zlige  vom  Streben  nach  musikalischer  Vereinfachung.  Weitere  Opern  Schrekers 
sind  ,,Irrelohe"  (1924)  und  ,JDer  singende  Teufel"  (1928),  die  keine  wesentlich  neuen  Stil- 
elemente  enthalten.  In  letzter  Zeit  hat  Schreker  mit  seinen  Orchesterliedern  ,,Vom  ewigen 
Leben"  und  einer  Suite  fur  Rundfunk  neue  Wege  gesucht. 

Eine  grofie  Anzahl  jiingerer  Komponisten  ist  aus  Schrekers  Schule  hervorgegangen.  Der  Namen  Haba^Krenek, 
Petyrek  und  ihres  Stilwandels  wurde  bereits  gedacht.  Ferner  sind  Walter  Gmeindl  (,,Gesang  der  Idonen",  Chor- 
werk),  Josef  Rosenstock  (geb.  1895  in  Krakau)  mit  mehreren  Orchesterwerken,  und  der  Wiener  Ernst  Kanitz  (geb. 
1894)  mit  Liedern  und  Orchesterstiicken  zu  nennen.  Letzterer  zeigt  die  Obertragung  der  Schrekerschen  Harmonik 
auf  olas  Gebiet  der  absoluten  Musik  am  deutlichsten.  Aus  Franz  Schrekers  Wiener  Lehrzeit  sind  noch  Jascha  Horen- 
stein  (1898)  und  Friedrich  Reidinger  zu  nennen.  Bekannter  wurden  Berliner  Schiller  Schrekers.  So  etwa  Hugo 
Herrmann  (geb.  18%),  der  sich  durch  seine  formal  Uberaus  interessant  angelegten  Werke  (Chore,  Lieder,  Madri- 
gale,  Kammerkantate)  hauptsachlich  auf  vokalem  Gebiet  in  die  erste  Reihe  der  jiingsten  Komponisten  gestellt  hat. 
Vorwiegend  instrumental  arbeitetPaulHoffer  (1893),  der  Kammermusik  und  Orchesterwerke  veroffentlicht  hat 
und  gegenwartig  Lehrer  an  der  Berliner  Hochschule  ist.  Berthold  Goldschmidt  (geb.  1903)  ist  technisch  sehr 
begabt.  Er  hat  sich  der  radikaleren  Richtung  unter  Beibehaltung  alter  Formtypen  angeschlossen.  Ahnlich  gerichtet 
ist  Ernst  Pepping  (1901),  der  sich  Hindemiths  Stil  in  mstrumentalen  Arbeiten  nahert.  Der  altere  Karol  Rathaus 
(geb.  1895)  ist  seiner  Abstammung  nach  der  polnischen  Moderne  zuzurechnen. 

Stilistisch  ganz  eigenartig,  in  der  Orchesterbehandlung  an  Straufi  gemahnend,  in  der  Har 
monik  aber  fast  iiber  Schreker  hinausgehend,  sind  die  Biihnenwerke  Alexander  v.  Zemlinskys 
(geb.  1872  in  Wien,  Opernleiter  des  Deutschen  Landestheaters  in  Prag  191 1  —  1927,  gegen 
wartig  Staatsoperndirigent  in  Berlin).  Die  Einakter  ,,Eine  florentinische  Tragodie"  und 
,,Der  Zwerg"  sind  emste,  ,,Kleider  machen  Leute"  und  ,,Es  war  einmar*  heitere,  der  lust- 


Die  Moderne:  Deutsche  1035 


spielartigen  Marchenoper  angenaherte  Stiicke.  Zemlinsky,  der  auch  auf  dem  Gebiete  der 
Kammermusik  und  in  absoluten  Orchesterwerken  Bedeutendes  leistet,  hat  als  Lehrer 
(Schwager)  Arnold  Schonbergs  und  E.  W.  Korngolds  groBen  EinfluB  auf  diese  beiden  Kom- 
ponisten. 

Die  dritte  Richtung  der  Oper  wird  vornehmlich  durch  Eugen  d 'Albert  mitbestimmt.  Sein 
Stil  begann  im  Zeichen  Wagners,  er  ist  deshalb  auch  in  die  vorige  Stilepoche  (s.  S.  887)  auf- 
genommen.  Seine  spateren  Biihnenwerke  (,,FIauto  Solo",  1905)  verraten  die  Einfliisse  des 
italienischen  Verismo  und  Konversationsopernstils,  der  auch  in  seinem  Hauptwerk  ,,Tiefland" 
(J903,  Text  von  Rudolf  Lothar)  hervortritt,  wo  er  mit  Beherrschung  aller  orchestertechnischen 
Mittel  eine  brutal  spannende  Handlung  naturalistisch  auf  die  Biihne  bringt.  Diesem  Werke 
folgten  noch  zahlreiche  andere,  die  jedoch  keine  nachhaltigen  Eindriicke  hervorrufen  konnten. 
Max  von  Schillings  (geb .  1 868)  ,1919 — 1 925  Generalmusikdirektor  der  Berliner  Staatsoper,  ist 
stilistisch  der  jiingeren  Wagner-Nachfolge  zuzuzahlen  (s.  S.  887).  Mit  seinem  letzten  Biihnen- 
werk,  der  Renaissanceoper  ,,Mona  Lisa"  (1915)  beginnt  ein  Stilwechsel,  der  geschlossene 
Formen,  eine  wirkungs voile  Melodik  und  eigenartige  Instrumentation  erkennen  laBt. 

Ziige  von  der  Theatralik  d'Alberts,  der  Technik  Richard  StrauBens,  vermischt  mit  der 
Puccinis,  aber  auch  charakteristische  Merkmale  zu  eigener  Entwicklung,  finden  sich  in  den 
Opern  Erich  Wolfgang  Korngolds  (geb.  1897).  Mit  einer  grofien  Reihe  von  Werken  hat 
er  schon  in  friiher  Jugend  Beachtung  gefunden.  Sein  dramatisches  Erstlingswerk,  die  Pan 
tomime  ,,Der  Schneemann"  (1908/09),  wurde  von  seinem  Lehrer  Alexander  v.  Zemlinsky 
instrumentiert.  Die  erste  eigene  Buhnenarbeit,  die  Spieloper  ,,Der  Ring  des  Polykrates"  ent- 
stand  1914  als  op.  7.  Schon  in  diesem  Stuck  enthiillt  sich  die  fertige  Kunst,  musikalische 
Motive  zu  variieren  und  zu  verflechten.  Zitate  aus  eigenen  und  fremden  Werken  sind  lustspiel- 
mafiig  absichtsvoll  angewendet,  dabei  die  einzelnen  Szenen  formal  geschlossen  und  architek- 
tonisch  gestaltet.  Der  Stil  ist  nicht  neuartig,  aber  die  Musik  anmutig  und  leicht  dahinflieBend. 
Die  zweite  Oper:  ,,Violanta"  (1915,  op.  8),  ist einem  ganz  anderen  Stimmungskreis  entnommen. 
Ein  Renaissancedrama  voll  Biihnenwirksamkeit  und  tragischen  Geschehens.  Das  Orchester 
ist  gegeniiber  dem  ,,Ring  des  Polykrates"  vielfach  verstarkt,  die  Leitmotive  werden  pragnant 
erfunden,  oft  mit  harmonischen  Neubildungen  im  Sinne  von  StrauB  und  Schreker  versehen. 
Aber  auch  Stellen  von  geschlossener,  uppig  dahinfliefiender  Melodik  in  italienischem  Sinne 
sind  haufig.  Die  Instrumentationskunst  ist  bis  zur  Reife  entfaltet  und  der  Sinn  fur  dramatische 
Wirkungen  treff sicher  ausgepragt.  In  der  ,,Toten  Stadt"  (1918/19,  op.  12),  derdritten  Oper  des 
jungen  Komponisten,  ist  eine  noch  starkere  Betonung  der  psychologischen  Motivtechnik  fest- 
zustellen.  Die  Harmonik  ist  aber  einfacher  als  in  der  ,,Violanta",  die  Mischung  der  Stilelemente 
deutlicher.  Das  vorlaufig  letzte  Biihnenwerk  Korngolds  ist  ,,Das  Wunder  der  Heliane" 
(op.  20,  1927),  in  dem  die  in  der  ,,Toten  Stadt"  eingeschlagene  orchestrale  Motivtechnik  mit 
ihren  klangreichen  Einfallen  fortgefiihrt  wird.  Der  Komponist  hat  sich  auch  durch  vorbild- 
liche  Neubearbeitungen  einiger  Operetten  von  Johann  StrauB  und  durch  Formung  des  musi- 
kalischen  Nachlasses  Leo  Falls  (,,Rosen  aus  Florida",  1929)  auf  dem  Gebiet  der  leichten 
Musik  einen  Namen  geschaffen.  Eine  betrachtliche  Anzahl  von  Kammermusikwerken,  in 
denen  der  orchestrale  Klang  und  gewandter  Aufbau  vorherrscht,  und  mehrere  Orchester- 
stucke,  sowie  die  Buhnenmusik  zu  Shakespeares  ,,Viel  Larm  um  nichts",  erganzen  das  Bild 
einer  ungewohnlich  reich  und  friihzeitig  produzierenden  Natur.  In  einer  Richtung,  die  Korn- 

66    H.d.  M. 


ie  Moderne:  Deutsche 


golds  Schaffen  verwandt  1st,  bewegen  sich  auch  die  Opern  des  ihm  gleichaltrigen  Wieners 
Hans  Ewald  Heller  (,,Satan",  Operetta  seria,  1920,  ,,MessaIina*\  1922). 

In  Osterreich  hat  das  Bemiihen  um  eine  volkstiimliche  Oper  leichteren  Charakters  nie  auf- 
gehort.  An  Kienzl  (s.  S.  886)  und  Richard  Heuberger  (,,Barfa6ele",  1905)  sowie  Leo  Blech 
(Vertonung  des  Raimundschen  ,,Alpenkonig  und  Menschenfeind",  1903)  reihen  sich  Werke, 
welche  die  romantische  Oper  mit  den  Wiener  Lokalsingspielen,  aber  auch  mit  den  Erforder- 
nissen  des  Musikdramas  verquicken.  Julius  Bittners  (geb.  1874  in  Wien)  Opernschaffen 
fiihrt  dieser  Gattung  neues  Leben  zu.  Trotz  seiner  streng  formalistischen  Schulung  stand 
der  Jiingling  vollig  unter  Wagners  EinfluB  und  begann  vorerst  deutsche  Heldenopern  zu  kom- 
ponieren.  In  der  ,,Roten'Gred"  (1906)  gelangt  er  zur  Eigenentfaltung :  Warm  empfundene 
Melodien,  teils  stilisiert,  teils  in  naturlichem  Flusse,  aber  immer  volksmafiig  erdacht,  emfache, 
aber  doch  klingende  Orchesterbehandlung,  Sinn  far  derbbaurischen  Humor,  aber  auch  ver- 
feinerte  Sentimentalitat  und  Innigkeit.  In  den  spateren  Opern  tritt  auch  der  Zug  zur  Parodie 
und  zu  beabsichtigten  Stilkopien  hinzu.  Bei  Bittner  wechselt  Motivarbeit  mit  geschlossenen 
Liedern  und  vielen  nur  rhapsodisch  dahinflieBenden  illustrativen  Textuntermalungen.  ,,Der 
Musikant"  entstand  1907/08,  dann  in  rascher  Folge  ,,Der  Bergsee"  (1911),  ,,Das  hollisch 
Gold"  (1916),  ,,DIe  Kohlhaymerin"  (1921),  ,,Das  Rosengartlein"  (1923),  ,,Mondnacht" 
(1928)  sowie  einige  Singspiele  und  Operetten.  Alle  Texte  hat  sich  der  Komponist  selbst 
gedichtet,  alle  bergen  dieselben  starken,  urwiichsigen  Einfalle.  Nur  die  Ausarbeitung  ist 
quaiitativ  verschieden.  ,,Der  Musikant"  und  ,,Das  hollisch  Gold"  zeigen  Bittners  in  der  Echt- 
heit  wurzelnde  Begabung,  die  auch  auf  das  Symbol  zuriickgreift,  am  deutlichsten.  Auch 
die  Opern  von  Robert  Konta  (geb.  1880)  sind  vorwiegend  volkstiimlich-marchenhaft. 

Schliefilich  seien  Versuche  erwahnt,  die  den  Stil  und  die  Ausdrucksmoglichkeiten  der 
Biihne  auf  andere  Gebiete  iibertragen  wollen.  In  Schonbergs  erstem  dramatischen  Werk 
,,Erwartung"  (op.  17)  ist  das  Problem  gesetzt,  sichtbar  darzustellen,  was  in  einem  Menschen 
in  dem  Momente  hochster  Spannung  vorgeht.  Diese  Spannung  wird  in  Szenen  aufgelost 
Die  Musik  schildert  einzelne  Gefiihlszustande,  ohne  sich  an  Irgendein  Vorbild  anzulehnen, 
in  den  kiirzesten  und  pragnantesten  Formen,  Ein  Takt  geniigt  oft  zur  Festhaltung  einer 
Stimmung.  Von  Expansion,  Symmetrie  ist  keine  Rede  mehr.  Wir  haben  eine  neue,  oft  nicht 
leicht  verstandliche  musikalische  Ausdrucksform  vor  uns,  deren  Einwirkung  auf  den  Opern- 
stil  vorlaufig  noch  nicht  erkennbar  ist.  Auch  die  Wirkung  der  ,,Gliicklichen  Hand"  (op.  18), 
die  zur  Erzielung  der  Stimmungen  auch  Farben  und  Lichter  erfordert,  laBt  sich  ohne  Auf- 
fiihrungsmoglichkeit  aus  der  Partitur  nur  andeutungsweise  ahnen.  Auch  Egon  w'ellesz 
(geb.  1885  in  Wien)  schreibt  nicht  Opern  in  der  gebrauchlichen  Art.  Er  will,  vorwiegend 
in  seiner  ,,Prinzessin  Girnara"  (1920),  der  ,,Alkestis"  (1922)  und  an  den  Stil  des  Oratoriums 
ankniipfend,  innere  Entwicklungen  musikalisch  ausdriicken.  In  Goethes  ,,Scherz,  List  und 
Rede"  (1928)  versucht  er  auch  dem  Singspiel  neue  Wege  zu  weisen.  Mit  den  zeitgenossischen 
Mitteln  der  modernsten  Harmonik  und  Orchestrierung  frei  schaltend,  wendet  er  auch  ge- 
schlossene  Formen  an,  ohne  aber  dramatische  Psychologic  zu  versuchen.  Er  ,,objektiviert"  in 
einem  kultischen,  weltabgewendeten  Sinne,  ohne  sich  durch  die  Wirksamkeit  und  den  aufieren 
Erfolg  beirren  zu  lassen.  Wellesz  hat  auch  der  Pantomime  erhohte  Aufmerksamkeit  zuge- 
wendet  und  ihr  neue  Moglichkeiten  erschlossen  (,,Diana",  ,,Persisches  Ballett",  ,,Achilles 
auf  Skyros4',  ,,Die  Opferung  des  Gefangenen"  1926).  Alban  Berg  fiihrt  in  seiner  Oper 


Die  Moderne:  Deutsche  1037 


,,Wozzeck"  die  konzentrierten  Formen  der  absoluten  Musik  wieder  in  die  dramatische  Szene 
ein.  Die  15  einzelnen  Auftritte  bilden  abgeschlossene  Musikstiicke,  der  2.  Akt  eine  Sym 
phonic  in  5  Satzen,  der  dritte  6  Inventionen.  Auch  hier  ist  auBerste  Verdichtung,  wie  fcei 
Schonberg,  bewirkt. 

Stilistisch  ware  hier  der  Wiener  Max  Brand  (geb.  1892)  anzureihen,  der  mit  seiner  Oper 
,,Maschinist  Hopkins"  (Duisburg  1929)  einen  ganz  aufiergewohnlichen  Erfolg  gehabt  hat. 
Dieses  Werk  zeigt  zum  Teil  den  expressionistischen  Ausdrucksstil,  der  zuweilen  bis  an  die 
Grenze  der  Zwolftontechnik  geht,  zum  Teil  den  EinfluB  der  modernen  Tanze.  Auch  smd 
bei  Brand  neue,  beachtenswerte  Versuche  der  Chorverwendung  zu  finden  (Sprech-  und  Ge- 
sangschor).  Der  Einflufi  der  Tanze  und  anderer  absoluter  Formen  der  Instrumentalmusik 
auf  die  Oper  ist  flir  die  Werke  der  jiingsten  Biihnenkomponisten  charakteristisch.  Sie  gehen 
nicht  mehr  von  der  Durchdringung  von  Text  und  Musik  aus  (Wagner),  sondern  von  der 
bewegungsmafiigen  Entsprechung  eigener  Musikformen  zu  den  Biihnenvorgangen.  So  ist 
die  Nummernoper  ,,Cardillac"  von  Paul  Hindemith  (op.  39,  1926)  stilistisch  zu  deuten,  in 
der  konzertante  Musikstiicke  neben  dem  Drama  laufen.  Hindemith  hat  sich  als  dramatischer 
Komponist  in  verschiedenen  Stilen  betatigt.  Er  schrieb  zuerst  drei  Einakter:  ,,Morder,  Hoff- 
nung  der  Frauen"  (op.  12,  1921),  das  Marion ettenspiel  ,,Das  Nusch-Nuschi"  (op.  20,  1921) 
und  ,,Sancta  Susanna"  (op.  21,  1922).  Dann  wendete  er  sich  der  Tanzpantomime  zu  (,,Der 
Damon",  op.  28,  1924)  und  hat  dadurch  dem  Ballett,  besonders  durch  die  kammermusikalische 
Orchesterbesetzung  und  neuartigen  rhythmischen  Ausdruck  Anregungen  gegeben.  In  seinem 
letzten  Biihnenwerke  ,,Neues  vom  Tage"  sucht  Hindemith  Ankniipfungen  der  ernsten  Musik 
an  die  Operette.  Ebenso  spielerisch  ist  sein  Sketch  ,,Hin  und  zuriick"  (op.  45,  1927),  in  dem 
die  Form  der  sogenannten  Kurzoper  ausgepragt  ist,  die  sich,  durch  die  Musikfeste  in  Baden- 
Baden  angeregt,  bei  mehreren  Komponisten  eingebiirgert  hat.  Ganz  wenige  Buhnensanger, 
ein  Kammerorchester  und  eine  moglichst  zusammengedrangte  Handlung  charakterisieren  sie. 
Hierher  gehoren:  ,,Die  Prinzessin  auf  der  Erbse**  Marchenoper  von  Ernst  Toch  (op.  43, 
1927),  ,,In  zehn  Minuten"  von  Walter  Gronostay,  ,,Gazellenhorn"von  Hugo  Herrmann 
und  ,,Saul"  von  Hermann  Reutter  (geb.  1900  in  Stuttgart),  ein  besonders  interessantes  Stuck, 
endlich  dasSingspiel  ,,Mahagonny"  von  Kurt  Wei  11.  Dieser  Komponist  zeigt  in  seinen  Buhnen- 
werken  stets  die  Beeinflussung  durch  die  Rhythmen  der  modernen  Tanze.  Er  begann  mit 
dem  Einakter  ,,Der  Protagonist"  (1926),  dann  folgten  die  sketchartigen  Stiicke  ,,Royal  Palace" 
(1 927)  und  ,,'Der  Zar  lafit  sich  photographieren"  (1 928),  kurze  Opern  mit  scharfen  dramatischen, 
geradezu  explosiven  Wirkungen.  Den  grofiten  aufieren  Erfolg  hatte  Kurt  Weill  mit  seiner 
,,Dreigroschenoper"  (1928),  in  der  er  versucht,  der  altenglischen  Bettleroper  durch  Auf- 
pfropfung  kabarettartiger  Songs  und  moderner  Tanzlieder  neues  Gewand  zu  geben.  Schwacher 
ist  ,,Happy  End"  (1929)  mit  zahlreichen  ,,Songs".  Von  witziger  Scharfe  zeugen  auch  die 
Biihnenwerke  Erwin  Dressels  ,,Armer  Columbus"  (1927)  und  ,,Kuchentanz"  (1929).  Zu 
den  meistaufgefuhrten  jungen  Biihnenkoniponisten  gehort  Ernst  Krenek,  dessen  Arbeiten 
zunachst  mehr  vom  musikalischen  Einfall  und  seiner  einzelnen  Gestaltung  als  vom  Drama 
tischen  ausgehen.  Wahrend  einige  Biihnenwerke  diesen  Komponisten  auf  der  Suche  nach 
neuem  Ausdruck  zeigen,  z.  B.  die  Massenrhythmen  in  der  ,,Zwingburg"  (1922)  und  die  drama 
tische  Psychologic  in  ,,0rpheus  und  Eurydike"  (1923),  hat  er  sich  in  seinem  ,Jonny  spielt 
auf"  (1927)  dem  EinfluC  der  Jazzmusik  hingegeben  und  die  Linie  der  ,,Gebrauchsmusik" 

66* 


1038  Die  Moderne:  Deutsche  Schweiz 


in  seinen  drei  Einaktern  ,,Der  Diktator",<  ,,Das  geheime  Konigreich"  und  ,,Schwergewicht" 
fortgesetzt.  Besonders  dieses  Werk,  das  zuweilen  Offenbachische  Ziige  tragt,  ist  ebenso  wie 
die  Stiicke  von  Kurt  Weill  ein  Beweis  dafur,  da6  im  Suchen  der  Oper  nach  neuen  Wegen 
bewuBt  auf  eine  Verbindung  mit  der  leichten,  auch  seichten  Musik  hingearbeitet  wird. 

Literatur 

Adler,  Guido:  Musik  in  Dsterreich.  Separatabdruck  aus  Studien  zur  Musikwissenschaft,  Beihefte  der  Denk- 
maler  der  Tonkunst  in  Dsterreich.  Bd.  XVI.  Wien  1929,  Universal-Edition  A.G.  —  Bekker,  Paul:  Neue  Musik. 
Deutsche  Verlagsanstalt  Stuttgart.  —  Biicken,  Ernst:  Fiihrer  und  Probleme  der  neuen  Kunst.  Tonger-Verlag, 
Koln.  —  Busoni,  Ferruccio:  Von  der  Einheit  der  Musik.  Hesse-Verlag,  Berlin.  —  Mahler,  Gustav:  Schriften 
von  Guido  Adler,  Paul  Bekker,  Paul  Stefan,  Richard  Specht.  —  Mersmann,  H.:  Die  Tonsprache  der  neuen  Musik. 
Schott-Verlag,  Mainz,  —  Reger,  Max:  Schriften  von  H.  linger,  G.  Bagier,  K.  Hasse,  M.  Hehemann.  —  Schon- 
berg,  Arnold:  Egon  Wellesz.  —  Schreker,  Franz:  P.  Bekker,  J.  Kapp,  R.  St.  Hoffmann.  —  Schrenk,  W.: 
Richard  Straufi  und  die  neue  Musik.  Volksverband  der  Biicherfreunde,  Berlin.  —  Stefan,  Paul:  Neue  Musik  und 
Wien.  Verlag  E.  P.  Tal,  Wien  1921.  —  Straufi,  Richard:  Schriften  von  R.  Specht,  M.  Steinitzer,  H.  W.  Walters- 
hausen.  —  Tiessen,  Heinz:  Zur  Geschichte  der  jiingsten  Musik  (1913—1928).  Schott-Verlag,  Mainz.  —  Von 
neuer  Musik:  F.  J.  Marcan-Verlag,  Koln  (Sammelwerk). 

Allgemeines:  Paul  Bekker,  Deutsche  Musik  der  Gegenwart  und  die  Sinfonie  von  Beethoven  bis 
Mahler.  —  Edgar  I  s  t  e  1 ,  Die  moderne  Oper  seit  Wagner.  —  Julius  K  o  r  n  g  o  1  d  ,  Opernschaffen  der  Gegen 
wart.  2  Bde.  —  Biicher  von  Adolf  Wreifimann,  Herrmann  Erpff.  usw. 

Paul  A.  P.isk 

Deutsche  Schweiz.  Im  geographischen  Raum  der  heutigen  deutschen  Schweiz  beginnt  die  christliche 
Musikentwicklung  etwa  vom  7.  Jahrhundert  an  mit  der  Reihe  der  Klostergriindungen,  die  sich  vom  Bodensee  bis  zur 
Innerschweiz,  von  Basel  bis  tief  nach  Graubiinden,  erstreckte  und,  politisch  betrachtet,  ein  Glied  der  karolingischen 
Renaissance  darstellt.  Am  beriihmtesten  und  wichtigsten  wurde  St.  Gallen  (vgl.  S.  86.);  die  beiden  Namen  Notker 
Balbulus  und  Tuotilo  (vgl.  S.  86,  88)  bezeichnen  grundlegende,  seelisch  und  geistig  dem  germanischen,  genauer 
gesagt,  alemannischen  und  oberrheinischen  Kulturkreis  entstammende  Enveiterungen  und  Entwicklungsmoglich- 
keiten  des  gregorianischen  Stiles  (Sequenzen  vgl.  S.  86  ff.,  Tropen  vgl.  S.  88,  geistliches  Drama  und  Mysterien- 
spiele  vgl.  S.  168ff.).  Neumendenkmaler  weisen  u.  a.  St.  Gallen  und  Einsiedeln  (vgl.  S.  97)  auf.  Ebenso  beteiligten 
sich  Schweizer  Kloster  an  den  Versuchen,  die  Neumenschrift  durch  andere  Notationsarten,  zuletzt,  wie  iiberall, 
durch  die  guidonische  Reform,  zu  ersetzen  (vgl.  S.  97  f,  120).  Die  ersten  Stadien  der  liturgischen  Mehrstimmigkeit 
sowie  der  Mensurierung  sind  schliefilich  gut  vertreten.  Erwahnt  sei  hier  die  Handschrift  314  aus  Engelberg  (von  etwa 
1370),  die  neben  einem  Osterspiel  die  groBte  Zahl  mehrstimmiger  (zweistimmiger)  Stiicke  aus  dem  14.  Jahrhundert 
im  deutschen  Sprachgebiet  enthalt.  Sie  weist  zugleich,  ein  Zeichen  der  Weltabgeschiedenheit  dieser  Statte  christlich- 
musikalischer  Liturgie  und  ihrer  (wie  auch  anderer  schweizer  Pflegestatten  der  Musik)  Vermittlerrolle  zwischen 
germanischem  und  romanischem  Geist,  deutlich  auf  den  Stil  der  franzosischen  Motettenkunst  von  der  Mitte  des 
1 3.  Jahrhunderts  hin. 

Die  ebenfalls  ins  14.  Jahrhundert  gehorende  GroBe  Heidelberger  Liederhandschrift  (vgl.  S.  200),  die  J.  J.  Bodmer 
im  1 8.  Jahrhundert,  allerdings  ohne  biindigen  Beweis,  "dem  Liedersammler  Ritter  Manesse  von  Zurich  (Ende  des 
1 3.  Jahrhunderts)  zuschrieb,  zeigt  durch  eine  grofie  Zahl  Namen  an,  dafi  eine  ansehnliche  Gruppe  deutschschweizeri- 
scher  Minnesanger  sich  Jm  13.  und  14.  Jahrhundert  an  die  Gesamtbewegung  dieser  hofischen  und  weltlichen  deut 
schen  Liedkunst  angeschlossen  hatten,  so  u.  a.  Toggenburg,  Steinmar,  Landegg,  Singenberg,  Teschler, 
Winli,  Klingen,  Sax,  Frauenberg,  Hadlaub,  Homberg.  Das  Volkslied  der  deutschen  Schweiz  erscheint 
historisch  zuerst  als  geistliches  Volkslied,  als  Kriegs-,  Kampf-  und  Trutzlied  politischen  und  konfessionellen, 
sowie  rein  soldatischcn  Charakters,  in  bezug  auf  diese  Stoffgebiete  ist  es  entschieden  herber  (schon  durch 
das  alemannische  Sprachgewand)  wie  dasjenige  der  romanischen  Schweiz.  Die  Kuhreigenmelodik  Jst  hingegert 
(wie  erhaltene  Melodien  aus  dem  1 8.  Jahrhundert  zeigen)  ebenfalls  ernst-lyrisch  gehalten  und  steht  in  engem 
Kontakt  mit  dem  Alphornblasen. 

Zur  Zeit  der  Reformation  hebt  sich  als  einigermafien  geschlossene  Gruppe  von  Komponisten,  Theoretikern  und 
Musikdruckern  hervor  C.  Alder  (gest.  1550,  mehrstimmige  deutsche  Lieder,  lateinische  Hymnen),  B.  Appenzeller 
(gest.  nach  1550,  franzosische  mehrstimmige  Gesange),  H.  Kotter  (gest.  1541,  Tabulaturen  mit  Vokal-  und  Klavier- 
satzen),  Gr.  Meyer  (gest,  1576,  mehrstimmige  Kirchenmusik),  L.  Senfl  (weitaus  der  bedeutendste  aller  Schweizer 
Komponisten  des  16.  Jahrhunderts  und  mit  einer  der  grofiten  Meister  des  deutschen  mehrstimmigen  Kunstliedes, 


Die  Moderne:  Deutsche  Schweiz  ]Q39 


vgl.  S.  354,  377  usw.),  J.  Wannenmacher  (gest.  1551,  mehrstimmige  deutsche  Lieder,  Motetten,  Psalmen).  Uber 
Glarean  (Heinrich  Loris,  1488 — 1563)  als  Musikschriftsteller,  Theoretiker  und  Anthologist  vgl.  S.  357;  als  Musik' 
drucker  sei  noch  die  Familie  Apiarius  (16.  Jahrhundert)  in  Basel  und  Bern  erwahnt.  GlockenguB  und  Orgel- 
bau  werden  eifrig  gepflegt. 

Dafi  bei  der  vorwiegend  negativen  Einstellung  zur  Musik  der  schweizerischen  Reformatoren  kompositorisches 
Schaffen  von  grofierem  Umfang  und  kunstvollerer  Faktur  zumeist  auf  katholischer  Seite  im  1 6.  Jahrhundert  zu  finden 
war,  ist  nicht  verwunderlich.  Das  gilt  auch  zum  guten  TeJI  im  1 7.  Jahrhundert  und  fur  die  DeutschscKweizer 
M.  G  let  tie  (gest.  ca.  1680,  kirchliche  Motetten,  a  cappella  und  instrumental  begleitet  bis  zu  SStmmen,  funfstimmige 
Psalmen,  Konzertmessen,  weltliche  Instrumentalmusik),  V.  Molitor  (gest.  nach  1699,  Weihnachtsgesange, 
Messen,  Motetten,  Vespern).  Auf  reformierter  Seite  waren  tiichtige  Komponisten  von  Kirchenmelodien 
J.  U.  Sulzberger  (1638  bis  1701),  Chr.  Weberbeck  (geb.  1652). 

Ins  1 7.  Jahrhundert  fallt  auch  die  Organisation  des  musikliebenden  Dilettantismus  durch  zahlreiche  Collegia 
musica,  aus  denen  vielfach  offentliche  Konzertinstitute  wurden  (Zurich  1613,  Winterthur  1629).  Die  weltliche  In 
strumentalmusik,  die  etwa  seit  dem  1 5.  Jahrhundert  durch  Spielleute,  deren  Gaugenossen-  und  Bruderschaften, 
Spielgrafen-  und  -konigtume,  spater  durch  Stadtmusikanten  (Zinkenisten,  Trompeter)  vertreten  und  in  der  Ost- 
und  Nordschweiz  belegt  ist,  wurde  dadurch  einer  hoheren  Kunststufe  entgegengefiihrt,  in  Verbindung  mit  wachsender 
und  lebhafter  Pflege  des  Streichinstrumentenspiels.  Eine  neue,  dem  Umfang  nach  sehr  bedeutende  Literatur  ent- 
stand  namentlich  im  18.  Jahrhundert:  vierstimmige  Psalmenkompositionen,  Sonaten,  Sinfonik  in  italienischer  Manier 
sowie  konzertante  Instrumentalmusik,  daran  anschliefiend  Kirchenmusik  in  grofiem  Format,  auch  Singspiele,  Ope- 
retten  usw. 

In  erster  Linie  seien  genannt  H.  Albicastro  (Sonaten  und  Konzerte  fur  Violine),  K.  Bach  of  en  (1695 — 1755* 
mehrstimmige  protestantische  Kirchenlieder,  geistliche  Konzertarien),  B.  D  e  ur i ng  (1 690 — 1 768,  katholische  Kirchen 
musik,  Violinsonaten  und  Konzerte),  J.  H.  Egli  (1742 — 1810,  weltliche  und  geistliche  Gesange,  ein-  und  mehr 
stimmige  Klavierlieder),  W.  I  ten  (1712 — 1768,  katholische  Kirchenmusik,  besonders  Motetten,  Offertorien,  Arien), 
J.  Chr.  Kachel  (1728—1795,  Sinfonien,  Klavierh'eder,  weltliche  und  geistliche  Kantaten),  J.Schmidlin  (1722 
bis  1772,  3^stimmige  geistliche  Gesange,  Kantaten,  weltliche  Lieder),  J.  J.  Walder  (1750—1817,  Klavierlieder, 
geistliche  Chorlieder).  Deutlich  hebt  sich  eine  katholische  innerschweizerische  Gruppe  ab,  an  der  Spitze  Meyer 
v.  Schauensee  (vgl.  S.  749,  lebte  1720 — 1789,  geistliche  Konzertarien,  Messen,  sonstige  Kirchenmusik  mit  In- 
strumenten,  Sinfonien,  deutsche  und  italienische  Operetten  und  Singspiele,  Orgel-  und  Klavierkonzerte),  J.  D. 
Stalder  (1725 — 1765,  Streichsinfonien,  Triosonaten),  K.  Reindl  (gest.  nach  1790,  Kirchenmusik,  Sinfonien, 
Operetten).  Meyer  v.  Schauensee  war  sichtlich  von  der  neapolitanischen  Schule  beeinflufit,  besonders  sind 
Sammartini  und  Pergolese  zu  nennen. 

An  der  Demokratisierung,  Popularisierung  und  Nau'onalisierung  des  mehrstimmigen,  homophonen  A-cappella- 
Gesanges  haben  sich  deutschschweizerische  Komponisten  um  die  Wende  zum  19.  Jahrhundert  und  bis  zu  dessen 
Mitte  eifrig  beteiligt  (vgl.  den  Wetzikoner  Volkssangerkreis).  Stilistisch  geschah  dies  im  Sinn  einer  emotionell  ge- 
maCigtenRomantik(wiesieetwaC.Kreutzer  [vgl.S.  873]  aufweist,  der  von  1801—1822  in  der  deutschen  Schweiz 
wiederholt  als  Komponist  und  Konzertgeber  anzutreffen  ist),  technisch  insbesondere  in  der  Richtung  des  Manner- 
chores.  Wir  nennen  hiernur  H.  G.  Nageli  (vgl.  S.  957,  lebte  1773—1836;  ungewohnlich  vielseitig  als  Komponist, 
Padagog,  Theoretiker,  Verleger,  Musikschriftsteller,  schrieb  zahllose  Chore,  Gesange,  Motetten,  Lieder,  Klavier- 
werke  von  zum  Teil  personlicher  und  zugleich  gesund  nationaler  Pragung),  A.  To  bier  (1777 — 1838,  nahezu 
200  Chore),  F.  F.  Huber  (1791—1863,  Lieder,  Chore,  u.a.5sn"mmigeKuhreigen),  A.Zwyssig(1808— 1854,  katho 
lische  Kirchenmusik,  Lieder,  Chore,  u.  a.  der  ,,Schweizerpsalm"),  J.  R.  Weber  (1819—1895,  Schullieder,  Chore), 
W.  Baumgartner  (1820—1867,  Lieder,  Chore,  Klaviersachen),  C.Attenhofer  (1820—1914,  Kirchenwerke, 
Chore,  Lieder,  Klavierwerke),  Ag.  Billeter  (1834—1881). 

Allmahlich  formt  sich  nun  eine  schweizerische  Komponistenschule,  die  auf  dieser  Grundlage  aufbauend,  national 
stark  verwurzelt,  im  engen  Anschlufi  an  die  deutsche,  klassizistische  Romantik  eines  Mendelssohn,  zum  Teil  auch 
Schumann,  grofiere  Vokal-  und  Instrumentalformen  pflegt.  Von  segensreicher  Wirkung  in  diesem  Sinn  war  sicher- 
lich  auch  die  Tatigkeit  der  Schweizerischen  Musikgesellschaft,  die  1808—1867  in  alien  groBeren  Stadten  der  deut 
schen  und  romanischen  Schweiz  grofie  Chor-  und  Orchesterwerke  auffuhren  liefi,  auch  Opern,  zum  Teil  in  auch  fur 
heutige  Verhaltnisse  aufiergewohnlich  grofier  Besetzung  (bis  zu  uber  600  Mitwirkenden),  von  Haydns  ,,Schopfung" 
und  Sinfonien,  Handels  und  Mozarts  Werken  bis  zu  Mendelssohns  ,,Elias",  Beethovens  9.  Sinfonie  und^  Bruchs 
,,Fritjofszenen".  Hierher  gehoren  Fr.  X.  Schnyder  v.Wartensee  (1786—1868,  Opern,  Kammermusik,  Chore, 
Lieder,  Kantaten,  Kirchenwerke,  Sinfonien,  Klaviermusik),  J.J.Stunz  (1793—1859,  Opern,  Kantaten,  Chore, 
viele  Kirchenmusik,  Ouverturen),  K.  Greith  (vgl.  S.  855,  858,  1828—1887,  Messen  und  sonstige  Kirchenmusik 
Oratorien,  Sinfonie,  Melodramen),  G.Arnold  (1831—1900,  schuf  feinsinnige  Klavierwerke,  Chore,  weltliche 
Kantaten,  Kirchenmusik),  die  Briider  E.  Munzinger  (1847—1905)  und  K.  Munzinger  (1842— 191 1,  mit  Choren, 
Kantaten,  Sinfonien,  sinfonischen  Dichtungen,  Konzerten,  Kammermusik,  Festspielen,  Klaviermusik),.  Th.  Forch- 


|Q4Q  Die  Moderne:  Deutsche  Schweiz 


hammer  (1847—1923,  Klavier-  und  Orgelwerke),  G.  Weber  (1852-1918,  Sonaten,  Kammermusik,  Lieder,  Chore, 
Kantaten, sinfonische  Dichtungen),  E.  Frohlich  (1852-1910,  Chore  mit  und  ohne  Instrumentalbegleitung,  Messen, 
weltliche  Kantaten,  Motetten,  Instrumentalmusik),  Fr.  Curti  (vgl.  S.  886,  1861—1898,  Opern,  Smfomen,  Buhnen- 
musiken,  Kantaten  und  Chore).  Erwahnenswert  sind  ferner  L.  Rotschi  (1801-1864,  Lieder,  Chore,  Messen 
und  andere  Kirchenmusik,  Buhnenmusiken),  J.  K.  Eschmann  (1826-1882,  Lieder,  Chore,  Klavierwerke) , 
Th  Stauffer  (1826—1880,  Lieder,  Chore,  zwei  Opern),  R.Low  (1832-1898,  Lieder,  Chore,  Kirchen-  und 
Orchestermusik,  Orgelwerke),  Th.  Gaugler  (1840-1892,  Lieder,  Chore,  Kirchenmusik,  Klavierwerke), 
Fr.  J.  Breitenbach  (geb.  1853.  katholische  Kirchenmusik),  C.  Meister  (geb.  1859,  Chore,  Lieder, 
Kirchenmusik),  J.  Frei  (geb.  1872,  katholische  Kirchenmusik,  weltliche  Chore). 

An  der  Spitze  dieser  Gruppe  stehen  zweifellos  ihrer  Bedeutung  und  Geltung  nach  Fr.  Hegar  (1841—1927,  vgl. 
S.949)  und  H.Huber  (1852—1921,  vgl.S.949).  Hegar  schuf  nicht  nur  den  nach  der  neudeutschen  Romantik 
orientierten  tonmalerischen  Bailadenstil  fur  unbegleiteten  Mannerchor,  der  dann  jahrzehntelang  hundertfach  nach- 
geahmt  wurde,  sondern  auch  gediegene  Kammermusik,  Klavierlieder,  etliche  Kantaten,  ein  grofiangelegtes  Oratonum. 
Kerngesundes,  kiinstlerisches  Alemannentum,  stilistisch  eklektisch  zwischen  Liszt  und  Brahms,  im  ganzen  durchaus 
nachromantisch  grundiert,  zeichnet  ihn  aus.  Wcit  beweglicher  und  fruchtbarer,  Schumanns  Geist  ziemlich  nahe- 
stehend,  psychisch  von  der  klassizistischen  bis  zur  neudeutschen  Nachromantik  gespannt,  jedoch  erganzt  durch  erne 
eigentiirnliche  und  in  gewissem  Sinn  typisch  scKweizerische  Mischung  von  suddeutscher  Warme  und  romanischem 
Gestaltungs-  und  Klangtemperarnent,  ist  Huber  mit  Recht  der  Lehrvater  der  schweizerischen  Musik  genannt 
worden.  Durch  umfangreiches  und  groBarchitektonisches  Instrumentalschaffen  nahert  er  sich  durchaus  dem  Format 
der  grofien  deutschen  Komponisten  des  19.  Jahrhunderts.  Immer  liebenswiirdig,  oft  hinreiBend  geistvoll,  manchmal 
wirklich  bedeutend,  darf  er  mit  Achtung  neben  den  eigentlichen  Grofimeistern  seiner  Epoche  genannt  werden.  Sein 
Ubenswerkumfaflt  5  Opern,  Schauspiel-  und  Festspielmusiken,  weltliche  Kantaten,  Oratorien,  Messen,  9  Sinfonien. 
Klavierkonzerte,  Orgel-  und  Klavierwerke,  Kammermusik  in  reichster  Auswahl,  begleitete  und  unbegleitete  Chore, 
Klavierlieder. 

AIs  Ganzes  und  vom  zentraleuropaischen  Standpunkt  aus  gesehen,  bilden  die  zuletzt  genannten  schweizer  Kom 
ponisten  ein  Glied  der  deutschen  Nach-  und  Neuromantik,  mit  der  sie  schon  durch  den  EinfluB  der  zahlreichen  deut 
schen  Musiker  verbunden  waren,  die  in  der  deutschen  Schweiz  (ahnlich  wie  in  der  romanischen,  vgl.S.  1078)  als 
Organisatoren  des  offentlichen  Musiklebens,  als  Padagogen  und  reproduzierende  Kiinstler  lebten.  Dazu  kam,  dafi 
im  Lande  selbst  keine  hervorragenden  einschlagigen  Lehranstalten  waren,  so  dafi  die  meisten  schweizer  Musiker 
bis  ins  letzte  Drittel  des  19.  Jahrhunderts  auswarts,  z.  B.  in  Leipzig,  sich  ausbildeten,  und  so  naturgemafi  an  eine 
bestimmte,  aufierschweizerische  Tonschule  zunachst  anknupften. 

Unter  den  deutschen,  eben  erwahnten  Musikern  in  der  deutschen  Schweiz  befanden  sich  zum  Teil  bedeutende 
produktive  Vertreter  der  deutschen  Nachromantik,  sowie  der  durch  Wagner  und  Liszt  begriindeten  neudeutschen 
Stilrichtung  auf  dem  Gebiet  des  Musikdramas,  der  sinfonischen  Dichtung,  der  Kirchen-  und  Kammermusik  und 
des  Klavierstiickes.  Aufier  R.  Wagner,  dessen  sechzehn  schweizer  Jahre  (1849—59  in  Zurich,  1866—72  in  Triebschen) 
doch  einen  tiefen  Eindruck  im  einheimischen  Musikleben  hinterliefien,  sind  zu  nennen  J.J.Mendel  (1809—81, 
Chore,  eine  Sinfonie,  ein  Oratorium),  E.  Methfessel  (Neffe  von  A.  G.  Methfessel,  vgl.  S.  873,  181 1—86,  Lieder, 
Chore,  Kantaten,  Opem),  S.Bagge  (1823—69,  Kammermusik,  Klavierstucke,  Lieder,  Chore,  Kantaten,  Messen, 
Orchestermusik),  Th.  Kirchner  (1823—1903,  bedeutender  Klavierkomponist  von  fesselnder  Harmonik  und  feinstem 
metrischem  Leben,  schrieb  auch  Lieder),  E.  Stehle  (vgl.  S.  856,  1839—1915,  Kirchenmusik),  H.  G.  Gotz  (vgl. 
S.875,  949,  972,  1840—76,  Kammermusik,  Kantaten,  Sinfonien,  Konzerte,  Opern),  L.  Kempter  (vgl.  S.  884 
1844—1908,  Lieder,  Chore,  Kantaten,  Opern,  Fest-  und  Marchenspiele).  Eine  parallele  Gruppe  bilden: 
S.  G.  Auberlen  (1758—1828,  Lieder,  Chore,  Sinfonien,  Messen,  Kantaten,  eine  Operette),  A.  Liste 
(1774—1832,  Chore,  Klavierwerke,  Kammermusik,  Konzerte),  Osw.  Lorenz  (1806-1889,  Chore,  Kantaten, 
eine  Messe),  A.  Muller  (1808—1863,  Chore,  Buhnenmusik,  Ouverturen),  J.  Edele  (1811  —  1863,  Opern, 
Sinfonien,  Messen,  Kantaten,  Ouverturen),  E.  M.  Reiter  (1814 — 1875,  Lieder,  Kamermusik,  Sinfonie,  Oper 
Chore),  Ad.  Reichel  (1820—1896,  Lieder,  Kammer-  und  Kirchenmusik,  Sinfonien  und  Ouverturen), 
Aug.  Walter  (1821—1896,  Lieder,  Kammermusik,  Orchesterwerke,  Chore),  G.  W.  R  a  u  c  h  e  n  e  c  k  e  r  (1844  bis 
1906,  Oratorien,  Kantaten,  Sinfonie,  Kammermusik,  Konzerte),  G.  Haeser  (geb.  1865,  Lieder,  Klavier- 
und  Kammermusik,  begleitete  Chorwerke,  Chore),  Lili  Re  iff  (geb.  1866,  Lieder,  Klavier-,  Kammer-  und 
Buhnenmusik,  eine  Oper),  P.  Fassbaender  (1869 — 1920,  Sinfonien  und  andere  Orchesterwerke,  Konzerte, 
Kammermusik,  Opern,  Kantaten,  Chore,  Lieder) .  Das  in  der  deutschen  Schweiz  im  Gesamtmusikleben  organisa- 
torisch,  sozial  und  auch  kiinstlerisch  eine  nicht  unwichtige  Rolle  spielende  A-cappella-Chorlied  ist  ferner  von 
F.Laur  0791—1854),  J.D.Elster  (1796—1857),  I.  Heim  (1818— 80,  Gesangbuchs€mmlungen),  E.  L.  Liebe 
(1819—1900),  Fr.  Abt  (1819— 1885),  W.Sturm  (1842—1922,  auch  weltliche  Kantaten,  Opern),  R.  Wiesner 
(1851—1921),  G.Angerer  (1851—1909),  W.  Decker  (geb.  1860),  G.Baldamus  (geb.  1862)  und  G.  Haug 
(geb.  1871,  auch  Lieder  und  Kantaten)  gepflegt  worden. 


Die  Moderne:  Deutsche  Schweiz  1041 


Aus  diesem  nur  bedingt  einheitlichen  und  autochthonen  Stilboden  wuchs  und  wachst 
mit  immer  lebhafterer  Tendenz  zu  selbstandiger  Entwicklung  und  eigener  kiinstlerischer 
Physiognomic  die  junge  Generation  der  deutschschweizerischen  Musiker  heran,  die  mehr 
und  mehr  ein  tatiges  und  nicht  mehr  vollig  zu  iibersehendes  Glied  der  musikalischen  Moderne 
geworden  ist.  Fur  die  auffallige  Zunahme  einheimischer  Talente  seit  Beginn  des  20.  Jahr~ 
hunderts  lassen  sich  als  aufiere  Griinde  die  ausgebauten,  intensiver  arbeitenden  Konser- 
vatorien,  die  Zusammenfassung  der  kiinstlerischen  Krafte  Jm  Schweizerischen  Tonkiinstler- 
verein,  der  padagogischen  Bestrebungen  im  Schweizerischen  musikpadagogischen  Verband, 
heranziehen. 

Ganz  anders  als  bei  Stravinsky  hat  auch  Bus  on  is  Aufenthalt  wahrend  des  Weltkrieges 
in  Zurich  befruchtend  auf  eine  ganze  Reihe  jiingster  schweizer  Komponisten  eingewirkt. 
Kloses  lange  Verbundenheit  mit  der  neueren  Schweizerischen  Musikentwicklung  und  das 
Eintreten  des  Dirigenten  Scherchen  in  Winterthur  far  moderne  Musik  hat  dazu  beigetragen, 
dafi  die  deutsche  Schweiz  verhalmismafiig  friiher  und  namentlich  viel  intensiver  als  die  roma- 
nische  Schweiz  die  stilistische  Entwicklung  der  modernen  Musik  auf  vokalem,  instrumentalem 
und  dramatisch-szenischem  Gebiete  mitmachte,  auffing  und  selbstandig  verarbeitete. 

Unschwer  lafit  sich  eine  dreifache  Gliederung  der  musikalischen  Moderne  in  der  deut- 
schen  Schweiz  nach  den  Namen  ihrer  hauptsachlichsten  Vertreter  darstellen.  Zwischen  der 
von  Hegar  und  Huber  geistig  beherrschten  Epoche  und  der  eigentlichen  jiingsten  Moderne 
vermittelt  eine  durchschnittlich  vor  1880  geborene  Generation,  deren  wichtigste  Personlich- 
keiten  innerhalb  der  Schweizerischen  Musik  die  Bezeichnung  ,,Meister"  durch  Inhalt,  Form 
und  Reife  ihres  zum  gut  Teil  iibrigens  noch  nicht  abgeschlossenen  Lebenswerkes  in  Anspruch 
nehmen  diirfen.  Ihr  Fiihrer  ist  H.Suter  (1870-1926). 

Im  wesentlichen  ist  auch  hier,  wie  bei  der  Hegar-Huber-Gruppe,  die  Verwandtschaft 
mit  der  neudeutschen  Romantik  und  ihrer  neuzeitlichen  Weiterentwicklung  im  Sinn  von 
Rich.  StrauB  und  der  Miinchener  Tonschule  (L.  Thuille)  festzustellen.  Jedoch  erscheint  das 
Alemannisch-Schweizerische  scharfer  herausgearbeitet  in  Form  einer  gewissen  Knorrigkeit 
und  Versonnenheit,  wie  sie  auch  dem  deutschschweizerischen  Volkslied,  besonders  in  semen 
alteren  Beispielen,  innewohnt.  Es  ist  kein  Zufall,  dafi  dies  manchmal  auch  zu  einer  spiirbaren 
Annaherung  an  den  Brahmsstil  fiihrt;  das  nationale  melodische  Gut  wird  aber  meistens  nur 
mafivoll  verwendet,  jedenfalls  viel  weniger,  als  etwa  in  den  slawischen  oder  nordischen  Musik- 
stilen  des  19.  Jahrhunderts.  Wiederum  trifft  man  jene  Fahigkeit  zur  Briicke  zwischen  ger- 
manischer  und  romanischer  Kunstauffassung  in  Spieltemperament,  Formenklarheit  und  Klang- 
ideal  an,  wie  sie  schon  Huber  aufwies.  Die  grofien  Formen  der  Sinfonie,  der  Oper,  des 
Oratoriums,  des  Klavierliedes  und  die  Kammermusik  sind  hier  durch  Werke  vertreten,  die 
wachsende  individuelle  Eigenart,  gleichzeitig  aber  auch  gewisse  generelle  Gemeinsamkeiten 
im  Sinn  einer  Schweizerischen  Tonschule  besitzen  und  zudem  durch  die,  wenn  auch  manch 
mal  noch  sehr  gemafiigte  und  vermittelnde  moderne  Faktur  deutlich  den  bewuBten  und  wohl 
auch  hier  und  da  innerlich  gemufiten  Anschlufi  an  die  Charakteristika  der  eigentlichen  Moderne 
in  freischweifender,  nicht  mehr  kadenzgebundener  Harmonik  und  linearer,  in  sich  selbst 
ruhender  Polymelodie  bezeugen. 

Suter  ist  im  Ausland  besonders  durch  sein  Oratorium  ,,Le  Laudi"  bekannt  geworden; 
bei  aller  Gediegenheit,  Formgewalt  und  stimmungsvollen  Schonheit  stellt  es  zwar  die  innere 


I Q42  Die  Moderne:  Deutsche  Schweiz 


Auseinandersetzung  des  Komponisten  mit  dem  gregorianischen  Stil  im  Rahmen  religioser 
Naturpoesie  dar,  nicht  aber  den  engen  Kontakt  mit  der  Moderne,  dessen  Suter  fahig  war, 
wie  es  seine  Sinfonien,  Kammermusikwerke,  Klavierlieder  und  das  Violinkonzert  zeigen.  Die 
nationale  Bindung  ist  am  deutlichsten  in  Choren  und  Festspielmusiken  fur  seine  engere  Heimat 

erkennbar. 

Erwahntseien  noch  F.Brun  (geb.  1878;  erschrieb  Sinfonien,  knorrig-brahmsisch-alemannisch, 
doch  auch  wieder  romanischem  Geist  und  Landschaftsempfinden  nahestehend,  Kammermusik, 
Lieder,  Chore),  V. And reae  (geb.  1879,  zwei  Opern,  Orchesterwerke,  Kammermusik,  Lieder, 
Ch5re;Strau8sches  Temperament  und  Kolorit,  romanische  Formgewandtheit  und  -klarheit 
kennzeichnen  sie),  W.  Courvoisier  (geb.  1875,  weltliche  und  geistliche  Chore  und  Lieder 
mit  und  ohne  Begleitung,  zwei  Opern,  zum  Miinchener  Thuillekreis  kiinstlerisch  und  mensch- 
lich  gehorend). 

Hierher  geHoren  noch  K.W.Futterer  (1873—1927,  Opern,  begleitete  Chore),  C.  Vogler  (geb.  1874,  Lieder, 
Chare,  begleitete  Chorwerke,  Orgelstiicke,  Marchenspiele),  Fr.  Stiissi  (1874—1923,  ein  Oratorium,  Kantaten 
und  Motetten,  Chore,  Kammermusik,  Klaviersachen),  Fr.  Niggli  (geb.  1875,  Lieder,  Chore,  Kammermusik,  Fest 
spielmusiken),  H.  Jelmoli  (geb.  1877,  Lieder,  Gesange,  Biihnenwerke,  Klavierwerke),  R.  Ganz  (geb.  1877,  Lieder, 
Klavierstucke,  eine  Sinfonie),  H.  Pestalozzi  (geb.  1878,  Ueder,  Chore,  Klavierstucke,  geistliche  Musik).  F.  Klose 
(vgl.  S.  886,  1029,  1033)  ist  schweizerischer  Abstammung,  lebte  mit  Unterbrechungen  lange  in  der  Schweiz,  gehort 
aber  stilisrisch  zum  Miinchener  Kreis  der  unter  Thuilles  Fiihrung  sich  entwickelnden  siid-  und  neudeutschen 
Romantik  (Biihnenwerke,  Oratorien  und  Messen,  Kammermusik,  Lieder).  Auch  P.  Juon  (vgl.  S.  1014)  ist 
schweizerischer  (graubiindnerischer)  Abstammung. 

1st  im  kiinstlerischen  Werdegang  dieser  Komponisten  Ausgangspunkt,  sachlich  und  histo- 
risch,  primar  die  Spatromantik  vom  Ende  des  19.  Jahrhunderts,  von  der  aus  weiterschreitend 
sie  wesentliche  Elemente  des  Stils  der  eigentlichen  Moderne  iibernahmen,  so  baut  die  nach 
1880  geborene  zweite  Gruppe,  infolge  ihrer  musikalischen  Erziehung  und  Umgebung  zwar 
auch  zunachst  noch  auf  den  vor  1900  mafigebenden  Stilfaktoren  ihre  personliche  Schaffens- 
eigenart  auf,  wachst  aber  dann  erheblich  iiber  sie  hinaus  im  Sinn  der  intensiven  An-  und  Auf- 
nahme  der  atonalen  Harmonik  und  der  linearen  Schreibweise.  Ihr  geistiges  Haupt  und  die 
vielleicht  produktiv  starkste  Personlichkeit  der  neueren  Schweizer  Tonkunst  istO.  Schoeck 
(geboren  1886). 

In  etwa  zwanzigjahriger  Entwicklung  von  strengster  Geradlinigkeit  (beginnend  als 
Reger-Schuler)  wurde  Schoeck  als  Liedlyriker  und  Dramatiker  ein  beachtenswerter  Exponent 
des  modernen  Kammer-  und  Opernstiles,  damit  auch  gleichzeitig  der  Fiihrer  (neben  Honegger) 
der  dritten  und  jiingsten  deutschschweizerischen  Komponistengeneration.  Durch  melodische 
Gestaltung  und  Charakterisierungsbegabiuig  im  Lied  geistig  von  Schubert  und  Wolf  aus- 
gehend,  wuchs  er  bald  organisch  in  den  linearen  Kammerstil  hinein,  ohne  dessen  aufierste 
Extreme  anzunehmen,  und  doch  mit  Auspragung  starkster  personlicher  Eigenart  (Lieder 
und  Liedzyklen).  Rein  kammermusikalisch  entwickelte  sich  sein  Stil  vielleicht  nicht  so  rasch, 
aber  ebenso  konsequent  (Sonaten,  Quartette),  weil  ihn  das  Dramatisch-Szenische  mehr  und 
mehr  anzog  (5  Biihnenwerke). 

Neben  Schoeck  sind  noch  zu  nennen  K.H.David  (geb.  1884, "Biihnenwerke,  Kammer 
musik,  Sinfonien,  Konzerte,  Chore,  ein  Festspiel),  H.  Lavater  (geb.  1885,  begleitete  und 
unbegleitete  Chore,  Kammermusik,  ein  Klavierkonzert),  E.  Frey  (geb.  1889,  Klavierwerke, 
eine  Messe,  Kammermusik,  Konzerte,  eine  Sinfonie),  E.  Kunz  (geb.  1891,  Pfitzner-Schiiler, 


Die  Moderne:  Deutsche  Schweiz  ]Q43 


weltlicheundgeistliche  Oratorien,  Opern  und  Biihnenwerke,  Konzerte,  Klaviersachen,Lieder), 
L.Kelterborn  (geb.  1891,  Kammer-  und  Kirchenmusik,  Biihnenmusik,  Klavierlieder,  be- 
gleitete  Chore),  R.  Moser  (geb.  1892,  Instrumentalkonzerte,  Kammermusik,  Lieder,  Orgel- 
werke),  W.  Wehrli  (geb.  1892,  eine  Oper,  Festspielmusiken,  Kantaten,  Kammermusik, 
Klavierlieder,  Klavierstiicke),  W.Schulthefi  (geb.  1894,  Klavierwerke,  Lieder,  Kammer 
musik,  Konzertstiicke,  begleitete  Chore),  E.  Levy  (geb.  1895,  sechs  Sinfonien,  Kammer 
musik,  begleitete  Chore,  Lieder,  Klavierstiicke),  R.  Laquai  (geb.  1896,  Orchesterwerke, 
Kammermusik,  Konzerte  und  Messen,  Biihnenwerke,  ca.  200  Lieder),  R.  Flury  (geb.  1896, 
eine  Oper,  eine  Messe,  eine  Sinfonie,  Orchesterlieder,  Kammermusik,  Klavierlieder,  Fest- 
spielmusik). 

Zu  der  dritten  und  jiingsten  Gruppe  gehoren  eine  Reihe  von  Komponisten,  die,  rund 
30  Jahre  alt,  schon  sozusagen  von  Anfang  an  kiinstlerisch  in  der  Atmosphare  der  eigentlichen 
Moderne  aufgewachsen,  zumindesten  aus  Gewohnheit,  wenn  nicht  aus  innerer  Berufung  und 
innerer  Anlage,  vollige  harmonische  und  kontrapunktische  Freiziigigkeit  in  kleinen  und 
grofien  Formen  (mit  Bevorzugung  des  konzertanten,  kammermusikalischen  und  gemischt 
vokal-instrumentalen  Rahmens  in  kleiner  Besetzung)  pflegen  und  organisch  mit  dem  Stil- 
bereich  des  19.  Jahrhunderts  kaum  mehr  zusammenhangen.  Der  Kontakt  mit  den  Werken 
der  jungen  franzosischen  Schule  (les  ,,Six",  besonders  Honegger),  der  EinfluB  von  F.  Busonis 
Ziiricher  Jahren  und  seiner  nachfolgenden  Berliner  Lehrtatigkeit,  zum  Teil,  wenn  auch  weniger, 
der  EinfluB  der  spezifisch  deutschen  Moderne  mit  Hindemith  an  der  Spitze,  ist  hier  deutlich 
erkennbar.  Architektonisch  und  klanglich  mag  in  groBeren  Formen  sinfonischer  Faktur  oder 
in  religioser  Musik  auch  die  neuzeitliche  Erkenntnis  von  Bruckners  starker  und  organischer 
Formenwelt  mit  ihrem  besonderen  Orchesterklang  ernsthaftes  Vorbild  gewesen  sein.  Natur- 
gemafi  begegnet  man  auch  der  der  neuesten  Musik  eigenen  Vorliebe  fur  die  vorklassische, 
ja  vorbachische  Formanlage  und  Klangwelt  (Suite,  chorische  Schreibweise,  ricercarartige 
Fugierung),  ferner  exotischen  Rhythmen,  Tanztypen,  Melismen.  Die  Gruppe  hat  keinen 
durch  Begabung  oder  Werkfulle  unbedingt  hervorstechenden  Fiihrer;  als  charakteristisch 
fur  ihre  Tendenzen  und  Fahigkeiten  darf  man  etwa  K.  Beck  (geb.  1901,  drei  Sinfonien, 
Kammermusik,  Lieder,  Chore,  Konzerte,  eine  Kantate)  und  L.  B aimer  (geb.  1898,  sin- 
fonische  Orchesterwerke,  Konzerte,  Kammermusik,  Biihnenmusiken)  bezeichnen.  Letzterer 
ist  eigentlicher  Busonischiiler,  ebenso  wie  R.  Laquai  (s.  oben),  W.  Geiser  (geb.  1897,  in- 
strumentale  und  vokale  Kammermusik,  Orchesterwerke,  begleitete  Gesange,  Klavierstiicke) 
und  R.  Blum  (geb.  1900,  Opern,  Konzerte,  Kammermusik,  Sinfonien,  Lieder,  Chore,  Klavier 
stiicke). 

Erwahnt  seien  noch  W.  Lang  (geb.  1896,  Klavierlieder,  Klavierstiicke,  Kammermusik),  P.  Miiller  (geb.  1898, 
Tedeum,  Orchesterwerke,  Biihnenwerke,  instrumentale  und  vokale  Kammermusik),  W.  Burkhard  (geb.  1900, 
Liederzyklen,  Chore,  Kammermusik,  Klavier"  und  Orgelstiicke,  eine  Sinfonie)  und  H.  Haug  (geb.  1900,  Konzerte 
Kammermusik,  eine  Oper,  Chore). 

Das  musikalische  Antlitz  der  Schweiz  hat  sich  in  verhaltnismafiig  kurzer  Zeit  grundlegend 
verandert  im  Sinn  der  allmahlichen  Bildung  einer  Tonkunst  gesamtschweizerischer  Pragung. 
Ihre  musikalische  Produktion  bildet  mehr  und  mehr  ein  nicht  mehr  zu  ubersehendes  Glied 
in  der  zentraleuropaischen  Musikkultur.  Wenn  nicht  alles  triigt,  wird  die  produktive  (und 
auch  reproduktive)  Begabung  des  Schweizers  auf  musikalischem  Gebiete  nicht  mehr  so  rasch 


1Q44  Modeme:  Englander 


nur  noch  als  eine  sporadische  und  beinahe  zufaliige  erscheinen.  Eifrig  und  nicht  belanglos 
1st  die  von  drei  Kulturen  umgebene  und  genahrte  Schweiz  am  modernen  tonkiinstlerischen 
Schaffen  beteiligt. 

Literatur 

Vgl.S.108izum  Abschnitt  JRomanische  Schweiz",  ferner  noch:  Decu  rtins,  C:  Ratoromanische  Chresto- 
mathie  III:  Die  Weisen  der  surselvischen  und  subseivischen  Volkslieder  (Erlangen  1902).  —  Fisch.  L.: 
Canti  popolari  Ticinesi  (Zurich  1916).  -  Gysi,  F.:  R.  Wagner  in  der  Schweiz.  (1929).  -  I  s  1  e  r .  E. :  Hans  Huber 
(Zurich  1923).  — Derselbe:  C.  Attenhofer  (Zurich  1915).  —  Knappe ,  H.:  Fr.  Klose  (Munchen,  1921). 
—  Kroyer,  Th.:  W.  Courvoisier  (Drei-Maskenverlag,  1929).  Merian,  W.:  Das  schweizerische  Volkshed  in 
musikalischer  Beziehung  (1918).  -  Derselbe:  H.  Suter  (in  Vorbereitung).  -Niggli,  A.:  Die  Schweiz. 
Musikgesellschaft  (Zurich  1886).  -  Refardt,  E.:  Hans  Huber  (Zurich  1922).  -  Seidl,  A.:  Neuzeitliche 
Tondichter,  (Regensburg  1 927 ;  Aufsatze  iiber  Andreae,  Hegar,  Huber,  Klose,  Schoeck,  Suter).  — Stein er  A.: 
Fr.  Hegar  (Zurich  1928).  —  Wyfi.  Ed.:  Das  Volksiied,  ein  Spiegel  der  Zeitgeschichte  und  Kultur.  1919. 

A.  E.  Cherbuliez. 


ENGLANDER 

Das  Jahr  1880  bezeichnet  den  Beginn  der  sogenannten  Renaissance  der  englischen  Musik. 
Seit  dem  Tode  Purcells  im  Jahre  1695  hatte  England  wenig  Wichtiges  for  die  allgemeine 
Musikgeschichte  beigetragen.  Es  waren  ununterbrochen  Leistungen  englischer  Komponisten 
zu  verzeichnen  gewesen,  die  oft  sehr  charakteristisch  fur  die  englische  Eigenart  waren,  doch 
nur  in  kleineren  Formen,  die  kaum  aufierhalb  des  eigenen  Landes  gewurdigt  worden  waren. 
Es  gab  eine  edle  Tradition  der  englischen  Kirchenmusik,  doch  sie  gehorte  ausschliefilich  der 
anglikanischen  Kirche  an,  und  gegen  das  Jahr  1850  entartete  diese  Tradition  zu  niedrigem 
Standpunkt  wegen  der  Veranderungen  im  religiosen  Gedanken,  welche  die  Kirchenmusik 
unter  den  schwachenden  EinfluB  Spohrs  und  Mendelssohns  und  spater  unter  den  Gounods 
brachte.  Der  wichtigste  Ansatz  in  der  allgemeinen  Musikgeschichte  wahrend  des  18.  und 
19.  Jahrhunderts  war  ,,The  Beggar's  Opera"  (Die  Bettleroper)  und  in  weltlicher  Musik  die 
englischen  Singspiele  (Ballad  operas).  Diese,  sowie  Lieder  sind  Englands  eigenste  Schopfungen 
bis  ungefahr  1800.  Wahrend  des  19.  Jahrhunderts  wurde  die  Musik  in  England  ausschliefilich 
als  Unterhaltungangesehen.  Die  englischen  Komponisten  verfafiten  langweilige  Oratorien  nach 
Handel  und  Mendelssohn.  Die  englische  Oper  wich  der  aus  Italien  eingefuhrten.  Von  den 
Zeiten  Haydns  an  entwickelte  sich  mustergiiltiges  Orchesterspiel,  aber  die  Symphonien 
und  Konzerte,  die  aufgefuhrt  wurden,  waren  grofitenteils  auslandische  Werke.  Sterndale  Bennett 
(1816—1875),  der  Freund  Schumanns  und  Schiller  Mendelssohns,  1st  der  einzige  englische 
Komponist,  der  mit  denen  des  Kontinents  in  der  ernsten  Musik  konkurrieren  konnte. 

Die  Geschichte  der  englischen  Musik  seit  dem  Jahre  1880  zerfallt  in  drei  Hauptperioden : 
die  erste  (etwa  von  1880—1900)  driickt  den  neuen  Entschlufi  der  Englander  aus,  England  noch 
einmal  zu  einem  musikalischen  Lande  zu  machen.  Die  zweite  (etwa  von  1900—1915)  zeigt  die 
Entwicklung  eines  neuen  und  ausgesprochen  englischen  Stiles  unter  dem  Einflusse  englischer 
Volkslieder,  welche  seit  1 895  eifrig  gesammelt  und  aufgezeichnet  wurden ;  die  dritte  Periode  (1915) 
fiihrt  den  vollkommenen  Bruch  mit  den  Traditionen  des  19.  Jahrhunderts  herbei,  sowie  die  all- 
mahliche  Anerkennung  der  Musik  in  England  selbst  als  einer  Kunst,  auf  welche  die  Englander  als 
Nation  stolz  sein  konnen  und  die  ebenfalls  die  gradweise  Anerkennung  auf  dem  Kontinent  fand. 


Moderne:  Englander  1045 


Wahrend  der  ersten  Periode  stand  die  englische  Musik  stark  unter  deutschem  Einflusse, 
besonders  dem  von  Wagner  und  Brahms.    Beriicksichtigenswert  ist,  dafi  Liszt,  trotz  seiner 
Beliebtheit  in  England  als  Virtuose,  niemals  mehr  als  einen  sehr  schwachen  EinfluB  auf  die 
englischen  Komponisten  gehabt  hat,  und  das  nur  in  vereinzelten  Fallen.    Die  fiihrenden  eng- 
lischen  Komponisten  waren  alle  von  deutschen  Lehrern  unterwiesen  worden,  und  das  Musik- 
leben  wurde  hauptsachlich  von  deutschen  Kapellmeistern  beeinfluftt:  Charles  Halle  und 
seine  Frau  Norman-Neruda,  Julius  Benedict,  Webers  Schiller,  August  Manns,  Hans  Richter, 
Georg  Henschel,  Eduard  Dannreuther;  diesen  muB  der  machtige  Einflufi  Josef  Joachims  und 
Klara  Schumanns  beigefiigt  werden.    Der  englische  Fiihrer  der  Renaissance  war  Charles 
Hubert  Hastings  Parry  (1848 — 1918).  Er  war  ein  Mann  von  guter  Familie,  der  in  Eton 
und  Oxford  erzogen  worden  war:  in  den  Augen  alter  Berufsmusiker  nur  ein  reicher  Amateur. 
Sein  erstes  wichtiges  Werk  war  ,,Prometheus  unbound"  (,,Der  entfesselte  Prometheus"),  eine 
musikalische  Szenenfolge  nach  Shelleys  Gedicht  fur' Soli,  Chor  und  Orchester  (1880).   Statt 
der  hergebrachten  Oratorien  oder  Kantaten  mit  einem  gebrauchlichen  Libretto  fand  sich  hier 
ein  Meisterwerk  der  englischen  Dichtkunst,  das  von  einem  Manne  vertont  ward,  der  sein  feines 
literarisches  Verstandnis  in  jedem  Takte  bewies.   Der  nachste  Markstein  ist  ,,The  Revenge" 
(,,Die   Revanche",    1886),   ein  Chorgesang  von  Charles  Villiers  Stanford  (1852—1924) 
nach  Tennysons  Ballade.  Das  zuerst  zu  erobernde  Feld  war  das  der  Provinzfestspiele,  wo  die 
Oratorien  Handels  und  Mendelssohns  allein  herrschten.  Parry  und  Stanford  sahen,  dafi  die  wirk- 
liche  Starke  des  Musiklebens  in  England  in  den  Chorgesangen  der  Provinzen  lag,  und  wahrend 
dieser  ersten  Periode  waren  die  wichtigsten  englischen  Werke  fast  nur  Chorgesange.  Die  neue 
Bewegung  war  hauptsachlich  das  Werk  der  beiden  alten  Universitaten  Oxford  und  Cambridge. 
Stanford  wohnte  von  1873—1892  in  Cambridge;  seit  1887  war  er  dort  Professor  der  Musik. 
Parry  hatte  die  Wurde  des  Professors  in  Oxford  von  1900— -1908.   Beide  setzten  es  sich  zum 
Ziele,  die  Musik  in  England  zu  einer  Hohe  zu  erheben,  in  der  ihr  das  akademische  und  ge- 
sellschaftliche  Ansehen  gewahrt  wurde,  das  durch  Tradition  der  ,,Juristerei,  Medizin  und 
Theologie"  zugesprochen  wurde.  Sie  verbanden  mit  dem  musikalischen  Talente  die  hochste 
literarische  Kultur  —  beide  waren  enge  Freunde  der  Dichter  Tennyson  und  Robert  Bridges  — , 
den  ethischen  Idealismus  des  Zeitalters  der  Konigin  Viktoria  und  den  ausgepragten  Sinn  des 
Englanders  fur  das  Gemeinwohl  und  die  Staatskunst.  Sie  arbeiteten  daran,  fiir  die  Musik  zu 
tun,  was  Manner  wie  Carlyle,  Huxley  und  Gladstone  fiir  andere  Geistesgebiete  getan  hatten. 
Es  war  sehr  charakteristisch  fiir  Parry,  dafi  er  Beethoven  vergotterte,  aber  wenig  Verstandnis 
fur  Mozart  hatte;  denn  Mozart  schien  ihm  Diener  der  Aristokratie,  dagegen  Beethoven  der 
geistige  Fiihrer  einer  neuen  Demokratie.    Ein  ahnlicher  Wechsel  fand  in  England  wahrend 
seines  Lebens  statt,  und  Parry,  Aristokrat  nach  Anlage  und  Erziehung,  war  im  personlichen 
Leben  Freidenker  und  Sozialist.   Stanford  war  der  von  Natur  aus  begabtere  Musiker,  Parry 
der  tiefere  Denker.  Parrys  Hingabe  an  die  Pflicht  fiir  die  Offentlichkeit  hinderte  immer  seine 
kiinstlerische  Vervollkommnung.    Er  war  des  gewohnlichen  Egoismus  des  Kiinstlers  vollig 
bar,  sogar  wenn  er  seine  eigenen  Werke  dirigierte,  schenlcte  er  den  Worten  des  Dichters  grofiere 
Aufmerksamkeit,  als  seiner  eigenen  Musik. 

Beide  betrachteten  die  deutsche  klassische  Tradition  als  feststehende  Tatsache;  aber  sie  ent- 
nahmen  ihr  nur  das,  was  ihrem  eigenen  Temperamente  zusagte.  Parry  studierte  unter  Stern- 
dale  Bennett  und  Macfarren  in  London  und  unter  dem  Englander  Henry  Hugo  Pierson  in 


]Q46  Moderne:  Englander 


Stuttgart;  er  lernte  auch  viel  von  Wagners  Freund  Dannreuther  in  London.  Parry  hatte  wenig 
Gefiihl  fur  das  Orchester;  sein  naturliches  Ausdrucksmittel  war  Chorgesang.  Er  hatte  Bach 
griindlich  studiert,  und  es  ist  groBtenteils  Parrys  EinfluB  zuzuschreiben,  daB  heutzutage  Bach 
fast  vollstandig  Handel  in  England  enrihront  hat.  Der  Brahms,  welcher  ihm  zusagte,  war 
der  Brahms  vom  ,,Schicksalslied"  und  ,,Requiem",  der  Wagner  der  der  ,,Meistersinger" 
und  des  ..Parsifal".  Man  konnte  fast  sagen,  daB  die  ersten  Takte  des  Meistersingervorspiels 
mehr  im  Geiste  Parrys  als  Wagners  sind.  Diesen  Einflussen  muB  der  von  S.  S.  Wesley  (1810 
bis  1876)  beige^ellt  werden,  einem  bedeutenden  Komponisten  von  Kirchenmusik;m  seiner  Be- 
handlung  englischer  Worte  lernte  er  viel  vom  groBten  Meister  englischer  Deklamation,  Henry 
Purcell  Parrys  hauptsachliche  Chorwerke  nach  dem  ,,Entfesselten  Prometheus"  sind  ,,The 
Glories  of  our  Blood  and  State"  (eine  Trauerode,  1 883),  ,,BIest  pair  of  Sirens"  (,,Holde  Sirenen" , 
1887),  das  Oratorium  .Judith"  (1888),  ,,Eton"  (1891),  ,,The  Lotos-Eaters"  (,,Die  Lotosesser") 
und  das  Oratorium  ,,Hiob"  (1892),  vielleicht  sein  edelstes  Werk,  ,,Konig  Saul"  (1894),  ,,A  Song 
of  Darkness  and  Light"  (,,Ein  Sang  vom  Dunkel  und  vom  Licht",  1898),  die  frische  und  ent- 
zuckende  ,,Ode  an  die  Musik"  (1901),  ,,War  and  Peace"  (,,Krieg  und  Frieden"),  „ Voces  Cla- 
mantium"  (,,Klagende  Stimmen",  1903),  ,/The  vision  of  life"  (,,Die  Vision  des  Lebens",  1907) 
und  ,,Beyond  these  voices  there  is  peace"  (,,Jenseits  dieser  Stimmen  ist  der  Friede",  1908). 
Sie  sind  alle  durch  strengen  Adel  des  Stiles  ausgezeichnet;  doch  haben  sie  wegen  Parrys  ver- 
haltnismaBiger  VernacMassigung  des  Orchesters  und  seines  mmmermuden  Wunsches,  den 
Sinn  der  Dichtung  zu  verstarken,  dem  Publikum  auf  dem  Kontinent  nie  sehr  gefallen.  Sie 
konnen  nur  von  denen  richtig  verstanden  werden,  welche  genaue  Kenntnis  der  englischen 
Literatur  besitzen.  Parry  hatte  eine  reiche  humoristische  Ader,  welche  in  seinen  Kompo- 
sitionen  nach  Aristophanes  (fur  Auffuhrungen  in  Oxford  und  Cambridge)  stark  hervortrat 
und  in  seiner  Ballade  fur  Chorgesang  ,,The  Pied  Piper  of  Hamelin"  (,,Der  Rattenfanger 
von  Hameln",  1903),  welche  eine  meisterhafte  Behandlung  eines  sehr  schweren  Textes  ist, 
und  zwar  Robert  Brownings  geistreicher  Obertragung  der  wohlbekannten  deutschen  Sage. 
Sein  bestes  Orchesterwerk  sind  die  Variationen  in  E-Moll  (1897);  seine  Symphonien  und 
die  iibrige  Instrumentalmusik  haben,  wenngleich  sie  immer  gedankenreich  und  in  gewissen 
Momenten  schon  sind,  die  Aufmerksamkeit  nicht  fesseln  konnen.  Sein  Stil  ist  eigensinnig 
diatonisch  und  kontrapunktisch ;  es  wurde  im  Scherz  von  ihm  gesagt,  daB  seine  Kontrabafi- 
stimmen,  wie  die  Porporas,  immer  das  Doppelte  des  gewohnlichen  Preises  kosten. 

Stanford  hat  mehr  Beriihrungspunkte  mit  der  Musik  des  Festlandes,  denn  er  hat  aus- 
giebig  auf  alien  Gebieten  gearbeitet.  Seine  Opern  werden  in  einem  spateren  Teile  dieses 
Kapitels  betrachtet  werden.  Er  war  ein  Schiiler  Friedrich  Kiels  in  Leipzig,  von  welchem  er 
eine  bewundemswerte  Meisterschaft  in  der  Form  und  Geschicklichkeit  im  Handwerklichen 
lernte.  Als  intimer  Freund  Josef  Joachims  tat  er  viel  fur  den  Kultus  von  Schumann  und 
Brahms  in  England.  Brahms  hat  immer  einen  starken  Einflufi  auf  ihn  gehabt,  von  Wagner 
nahm  er  den  ritterlichen  Stil  des  Parsifal.  In  einer  spateren  Entwicklungsepoche  kam  er  unter 
den  Einflufi  Verdis.  Seine  besten  gesanglichen  Werke  sind  von  Tennyson  und  Henry  Newbolt 
inspiriert  worden.  ,,The  Revenge"  (,,Die  Revanche")  fuhrte  die  Mode  der  Ballade  fur  Chor  und 
Orchester  ein,  die  sich  einige  20  Jahre  lang  grofier  Beliebtheit  erfreute.  Ihr  folgte  ,,The  Voyage 
of  Maeldune"  (,,Maeldunes  Reise",  1889),  ,,The  Battle  of  the  Baltic"  (,,Die  Schlacht  in 
der  Ostsee",  1891)  und  ,,Der  Barde '  (1894).  Das  Oratorium  ,,Eden",  ein  Gedicht  von 


Moderne:  Engender  1047 


Robert  Bridges  (1891)  ist  wichtig  wegen  seiner  Chore  im  Kontrapunkt  der  Kirchentone;  Stan 
ford  gab  hier  den  Impuls  zum  eingehenden  Studium  der  Musik  des  16.  Jahrhunderts,  welches 
spater  bemerkbare  Erfolge  hatte.  Das  ,,Requiem"  (1897),  das  ,,Te  Deum"  (1898)  und  das 
,,Stabat  Mater"  (1907)  sind  mehr  im  italienischen  Stile;  das  erstere  gehort  zu  einem  der 
schonsten  der  Stanfordschen  Werke.  ,,Last  Post"  (,,Zapfenstreich",  1902)  ist  eine  sehr 
riihrende  Elegie  auf  die  im  stidafrikanischen  Kriege  Gefallenen;  ungliicklicherweise  ist 
W.  E.  Henleys  Gedicht  allzu  bewufit  imperialistisch  for  das  heutige  Gefohl  in  England, 
,, Songs  of  the  Sea"  (die  ,,See-Lieder  ")  und  ,,Songs  of  the  fleet"  (,,Flotten~Ueder")  fur  Bariton, 
Chor  und  Orchester,  zwei  ultrapatriotische  Liederzyklen  von  Henry  Newbolt,  haben  sich 
grofier  Beliebtheit  erfreut;  wahrhafter  und  schoner  sind  die  Lieder  aus  Tennysons  ,,Prinzessin" 
fur  4  Stimmen  und  Klavier.  Aufier  dem  ,,Requiem"  sind  Stanfords  charakteristische  Werke 
die,  welche  die  irischen  Themen  seiner  Heimat  enthalten :  die  Irische  Symphonic,  die  Irischen 
Rhapsodien,  die  Gesangsballade  ,,Phaudrig  Crohoore",  die  Oper  ,,Shamus  O'Brien"  und  die 
Irischen  Lieder.  Eine  Folge  von  Variationen  liber  den  englischen  Matrosengesang  ,,Down 
among  the  Dead  Men"  (,,Tief  unter  den  Toten")  fur  Klavier  und  Orchester  und  ein  Klavier- 
konzert  in  C-Moll  zeigen  geschickte  und  lichtvolle  Behandlung  des  Klaviers. 

Zeitgenossen  von  Parry  und  Stanford  sind  Alexander  Campbell  Mackenzie  (geb.  1847), 
Frederick  Hy  man  Co  wen  (geb.  1852)  und  Edward  Elgar  (geb.  1857).  In  jiingeren  Jahren 
wurde  Mackenzie  oft  fur  den  begabtesten  unter  diesen  fiinf  Komponisten  gehalten.  Er  war 
der  am  meisten  kosmopolitische,  da  er  lange  in  Deutschland  und  Italien  gelebt  hatte.  Wie  die 
andern,  komponierte  er  ein  Oratorium  (,,Die  Rose  von  Saron")  und  Kantaten  (,,Die  Geschichte 
des  Sayid"  und  ,,Der  Traum  des  Jubal"),  Werke,  voll  von  Farbe  und  Phantasie,  die  jetzt  fast 
vergessen  sind.  Er  schrieb  2  Opern  und  verschiedene  kleine  Orchesterwerke,  einschlieBlich 
effektvoller  Konzerte  fiir  Violine  und  Klavier  iiber  schottische  Themen;  seit  ungefahr  1900 
hat  er  wenig  geschrieben.  Es  gelang  Co  wen  nicht,  die  Hoffnungen  seiner  Jugend  zu  erfiillen, 
auch  er  schrieb  einige  Opern  und  eine  Menge  grazioser  BallettmusiL  Wie  Mackenzie,  hat  auch 
er  in  vorgeriickten  Jahren  wenig  produziert. 

Elgar  trat  spater  als  die  andern  ins  Musikleben  ein  und  iiberraschte  die  Zuhorer  durch  den 
ungewohnlichen  Glanz  seiner  Orchestration  und  die  gliihende  Empfindung  seiner  Musik. 
Wie  Mackenzie,  war  er  Violinspieler  von  Beruf  und  studierte  Liszts  Werke,  welche  den  kon- 
servativen  akademischen  Musikern  ein  Greuel  waren.  Er  war  iiberdies  Katholik  und  mehr 
oder  weniger  Autodidakt,  der  wenig  von  der  literarischen  Bildung  Parrys  und  Stanfords  hatte. 
Im  Jahre  1890  zog  er  zuerst  die  Aufmerksamkeit  auf  sich,  eine  Kantate  ,,Caractacus"  wurde 
im  Jahre  1898  in  Leeds  aufgefuhrt,  und  im  Jahre  1900  veroffentlichte  er  den  ,,Traum  des 
Gerontius",  eine  Komposition  iiber  Kardmal  Newmans  halbdramatisches  Gedicht  iiber  Tod 
und  Fegefeuer.  Darauf  folgteh  noch  2  Oratorien,  ,,Die  Apostel"  und  ,,Das  Konigreich".  Fiir 
englische  Ohren  ist  Elgars  Musik  allzu  gefiihlvoll  und  nicht  ganz  frei  von  Vulgaritat.  Seine 
Orchesterwerke,  Variationen,  2  Symphonien,  Konzerte  fiir  Violine  und  Violoncell  und  ver 
schiedene  Ouvertiiren  sind  lebhaft  in  der  Farbe,  doch  pomphaft  im  Stile  und  mit  einer  ge- 
suchten  Ritterlichkeit  des  Ausdrucks.  Sein  schonstes  Orchesterwerk  ist  das  symphonische 
Gedicht  ,,Falstaff",  das  jedoch  durch  allzu  enges  Anlehnen  an  das  Programm  geschwacht  wird, 
aber  auf  jeden  Fall  ein  Werk  von  grofier  Originalitat  und  Kraft  ist.  Seine  Kammermusik 
(Violinsonate,  Streichquartett  und  Klavierquintett)  ist  trocken  und  akademisch. 


J048  Moderne:  Englander 


Zur  Parry-Stanford-Schule  gehoren  Charles  Wood  (1866—1926),  der  hauptsachlich  als  sehr 
guter  Lehrer  der  Komposition  in  Cambridge  und  London  bekannt  war,  der  aber  auch  gedanken- 
tiefe  Lieder,  Kammermusik  und  kleine  Chorwerke  komponierte;  Alan  Gray  (geb.  1855) 
und  Basil  Harwood  (geb.  1859),  deren  Kirchenmusik  und  Orgelwerke  entschiedene  Origi- 
nalitat  aufweisen;  Henry  Walford  Davies  (geb.  1869),  ein  Komponist  von  Kirchenkantaten 
,,Der  Tempel"  (1902)  und  ,Jedermann"  (1904);  Arthur  Somervell  (geb.  1863),  hauptsach 
lich  als  Liederkomponist  bekannt.  Ein  wenig  abseits  von  ihnen  steht  Donald  Francis  Tovey 
(geb.  1875),  ein  Musiker  von  aufierordentlichem  Wissen,  eng  befreundet  mit  Josef  Joachim; 
er  hat  viel  Kammermusik  geschrieben,  ist  aber  besonders  wichtig  als  Lehrer  und  Schriftsteller. 
Seine  Oper  ,,Die  Braut  des  Dionysos"  (Edinburg  1929)  zeigte  einen  edlen  Stil,  aber  wenig 
dramatische  Kraft.  Bemerkenswerte  Gaben  wurden  von  Samuel  Coleridge  Taylor 
(1875 — 1912)  entfaltet,  einem  Neger,  der  ein  Schiller  Stanfords  war  und  stark  unter  Dvoraks 
Einflufi  stand.  Seine  Kantate  ,,Hiawatha"  hat  lebendige  gefiihl voile  Kraft  und  malerische 
Orchestration. 

Eine  andere  Gruppe  von  Komponisten  wurde  mehr  von  den  romantischen  Anschauungen 
Wagners  beeinfluBt  und  beschaftigte  sich  groBtenteils  mit  sorgfaltig  ausgearbeiteter  Programm- 
musik.  Sie  waren  fast  alle  Schiiler  von  Frederick  Corder  (geb.  1852),  einem  Schiller  von 
Ferdinand  Hiller  in  Koln  und  spater  Lehrer  der  Komposition  an  der  Royal  Academy  of 
Music.  Das  andere  Institut,  das  Royal  College  of  Music,  verfolgte  die  klassische  Tradition 
Parrys  und  Stanfords.  Granville  Bantock  (geb.  1868)  hat  eine  Anzahl  symphonischer  Ge- 
dichte  geschrieben,  groBtenteils  iiber  orientalische  Stoffe,  und  eine  schone  Symphonic  iiber 
hebridische  Volkslieder;  diese  gehort  jedoch  einer  spateren  Periode  an,  der  nach  dem  Auf- 
leben  des  Interesses  an  der  Volksmusik.  Sein  wichtigstes  Chorwerk  ist  ,,0mar  Khayyam", 
auch  hat  er  verschiedene  Werke  groBen  Mafistabes  fiir  a-cappella-Chore  geschrieben.  Er  hat 
ein  meisterhaftes  Verstandnis  fiir  das  Orchester,  aber  seine  Stellungnahme  zur  Musik  ist 
rein  auBerlich;  er  ergreift  jede  Gelegenheit,  zu  erklaren  und  zu  beschreiben,  doch  hat  er 
wenig  Gefiihl  fiir  das  innerste  Wesen  der  Poesie.  William  Wallace  (geb.  1860)  war  Arzt 
und  Chirurg  (ebenfalls  Schiiler  von  Corder)  und  hat  verschiedene  symphonische  Gedichte 
geschrieben,  die  heute  sehr  formell  und  akademisch  klingen;  John  Blackwood  Mac  Ewen 
(geb.  1866)  schrieb  einige  gute  Quartette;  Josef  Holbrooke  (geb.  1878),  auch  ein  Schiiler 
Corders)  neigt  zum  Krankhaften  und  Grotesken  in  der  Wahl  seiner  Gegenstande.  Er  ist 
sehr  durch  Wagner  beeinflufit,  besitzt  aber  unbezweifelt  Schopferkraft,  trotzdem  es  ihm  an 
Selbstkntik  mangelt.  Wie  die  andern  Schiiler  Corders,  zieht  er  die  Form  des  symphonischen 
Gedichtes  vor;  er  hat  auch  Opern  geschrieben,  welche  spater  besprochen  werden  sollen, 

Wahrend  des  grofiten  Teiles  des  19.  Jahrhunderts  herrschte  der  Glaube,  daB,  wahrend  die 
Kelten  von  Irland,  Schottland  und  Wales  eine  Fiille  von  Volksliedern  besaBen,  England  keine 
aufweisen  konnte.  Sammlungen  von  schottischen,  irischen  und  walisischen  Volksliedern  sind 
im  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  herausgegeben  worden  mit  den  nicht  ganz  passenden  Be- 
gleitungen  Haydns  und  Beethovens,  welche  nicht  das  richtige  Verstandnis  fiir  die  nationalen 
Tonarten  hatten.  Angeregt  durch  das  Beispiel  von  Brahms  (Sammlung  deutscher  Volks 
lieder)  veroffentlichte  Stanford  eine  groBe  Anzahl  irischer  Volkslieder  mit  neuer  und  wunder- 
bar  schoner  Begleitung.  Andere  wurden  von  Charles  Wood  herausgegeben  und  gegen  das 
Ende  des  Jahrhunderts  erwachte  neues  Interesse  an  heimatlichen  Volksliedern.  Im  Jahre  1898 


Moderne:  Englander  1049 


wurde  die  ,,Gesellschaft  fur  Volkslieder"  zwecks  wissenschaftlicher  Sammlung  von  Volks- 
liedern  gegriindet.  Eme  der  Anregungen  zu  dieser  Bewegung  war  das  Beispiel  Dvoraks,  dessen 
^Bohmische  Volkslieder"  in  England  sehr  geschatzt  wurden.  Friih  im  20.  Jahrhundert  durch- 
streifte  eine  Anzahl  von  Komponisten  und  Liebhabern  das  Land  und  sammelte  Lieder  von 
den  Lippen  alter  Bauern.  Die  Fiihrer  der  Bewegung  waren  Lucy  Broad  wood,  an  s  dem  Geschlecht 
der  beriihmten  Klavierbauer,  eine  tiichtige  Sangerin,  und  James  Alexander  Fuller  Maitland, 
der  wohlbekannte  Kritiker,  sowie  in  einem  spateren  Zeitpunkte  Cecil  Sharp,  wenig  bedeutend 
als  Musiker,  aber  ein  mmmermuder  Sammler.  Der  schottische  und  irische  Volksgesang  fuBt 
groBtenteils  auf  der  pentatonischen  Skala,  die  walisischen  Volkslieder  zeigen  eine  starke  Vor- 
Hebe  fiir  Tonika  und  Dominante;  der  englische  Volksgesang  ist  oft  in  den  Kirchentonen  ge- 
halten :  die  dorische,  aolische  und  mixolydische  sind  sehr  allgemein,  die  phrygische  seltener. 
Mit  den  Volksliedern  des  Kontinents  verglichen  entfalten  die  englischen  Volksgesange  eine 
groBere  Verschiedenheit  des  Rhythmus  und  eine  bedeutend  hohere  Gestaltung  der  musi- 
kalischen  Form.  Hand  in  Hand  mit  diesem  Studium  von  Volksliedern  ging  ein  bestandiges 
Wiederaufbliihen  des  Interesses  an  der  englischen  Musik  der  friiheren  Zeiten,  an  Purcell  und 
an  der  Zeit  Elisabeths.  Das  Volkslied  war  ein  Bindeglied  zwischen  der  heutigen  und  der 
kilns tlerischen  Musik  der  Vergangenheit,  denn  der  Volksgesang  konnte  in  den  Werken  Purcells 
und  seiner  Zeitgenossen  ebensowohl  nachgewiesen  werden,  wie  in  denen  der  Komponisten 
far  das  Spinett  (Byrd,  Bull,  Morley  usw.)-  Das  war  alles  ein  Teil  der  allgemeinen  Reaktion  gegen 
die  musikalische  Richtung  des  19.  Jahrhunderts.  Frankreich  trug  zur  Wiederbelebung  des 
Gregorianischen  Gesanges  in  der  katholischen  Kirche  bei,  Rufiland  brachte  die  Gesangsweisen 
des  Ostens  und  seine  eigene  primitive  Kultur  in  die  Musik.  Musikalisch  gesprochen  wendeten 
sich  fast  alle  Lander  von  der  hergebrachten  Form  der  Tonika  und  Dominante  ab  und  zuriick 
zu  den  Tongattungen  (Tonleitern)  des  Mittelalters.  In  der  Englischen  Kirche  vermehrte  sich 
die  Anlehnung  an  den  katholischen  Gottesdienst,  der  Gregorianische  Choral  wurde  dem  eng 
lischen  Ritus  angepaBt,  und  die  Musiker  begiinstigten  den  Volksgesang  in  den  Kirchen  als 
gesundes  Gegenmittel  gegen  den  Spohr-Gounod-Stil  der  vorhergehenden  Generationen.  Un- 
tersuchungen  iiber  die  englische  Kirchenmusik  vor  der  Reformation  ergaben,  daB  die  alteren 
englischen  Komponisten  ihre  Messen  oft  auf  Themen  von  Volksliedern  aufgebaut  hatten. 
Das  Interesse  an  der  bodenstandigen  englischen  Musik  war  nicht  nur  theoretisch ;  es  verdankte 
den  gelehrten  Forschern  in  den  Bibliotheken  viel,  doch  wurde  es  gleichzeitig  praktisch  ver- 
wertet.  Junge  Komponisten  gingen  in  die  Dorfschenken,  um  vergessene  Gesange  und  Balladen 
zu  entdecken;  sie  lernten  traditionelle  Volkstanze  in  den  wenigen  Dorfern,  wo  sie  seit  Shake- 
speares  Zeiten  geiibt  worden  sind.  Die  Leute  selbst  hatten  groBtenteils  ihre  eigene  Musik 
vergessen;  nur  sehr  alte  Manner  und  Frauen  erinnerten  sich  noch  der  Lieder  und  Tanze. 
Diese  Musiker  machten  es  sich  zur  Aufgabe,  sie  die  Leute  wieder  zu  lehren.  Sie  brachten 
einen  frischen  Zug  in  die  Werkstatten  der  grofien  Stadte.  Die  Bewegung  breitete  sich  iiber 
ganz  England  aus,  und  jetzt  lernen  die  Kinder  diese  Lieder  und  Tanze  in  fast  jeder  Schule, 
Die  Griindung  kleiner  Singvereine  in  Dorfern  wurde  durch  die  Einrichtung  von  Gesangswett- 
streiten  befordert,  welche  zuerst  in  Lancashire  und  Yorkshire  abgehalten  wurden,  wo  man  in 
England  das  beste  Singen  hort.  Die  Fiihrer  der  Bewegung  waren,  wie  diejenigen  der  Bewegung 
von  1880,  eng  verbunden  mit  Oxford  und  Cambridge;  sie  waren  tatsachlich  Schiiler  Parrys 
und  Stanfords.  Volkslieder  erschienen  auf  jedem  Konzertprogramm,  sie  wurden  mit  den 


1050  Modeme:  Englander 


Klassikern  als  auf  gleicher  Hohe  stehend  betrachtet.  Die  Fiihrer  begriifiten  sie  als  reine  Musik, 
welche  dem  Durchschnittspublikum  statt  der  Banalitaten  der  Geschaftskunst  geboten  werden 
konnte.  Das  gelang  ihnen  so  gut,  daB  die  Lieferanten  der  Geschaftskunst  bald  Volkslieder 
nachahmten,  denen  gerade  so  viel  Anklang  an  Vulgaritat  anhaftete,  um  sie  bei  Berufssangern 
beliebt  zu  machen. 

Die  Volksliederbewegung  hatte  ihre  komlsche  Seite,  dock  sie  zeitigte  zwei  sehr  ernste  Ergeb- 
nisse,  eines  far  die  Komponisten,  das  andere  fur  das  Publikum  im  allgemeinen.  Wahrend  des 
19:  Jahrhunderts  hatten  die  Englander,  sogar  die  musikliebenden,  aufgehort  zu  glauben,  dafi 
die  Musik  als  Kunst  die  Seele  ihres  Vaterlandes  ausdriicken  konne.  Die  meisten  hochgebildeten 
Englander  betrachteten  die  Dichtkunst  als  die  nationale  Kunst.  Die  Leute  konnten  sich  ver- 
gegenwartigen,  dafi  die  englische  Dichtkunst,  die  englische  Malerei,  ja  selbst  die  englische 
Kochkunst  jede  in  ihrer  Art  die  verborgenen  Ideale  des  englischen  Charakters  ausdriickten  ; 
die  Musik,  so  leidenschaftlich  sie  sich  ihrer  auch  erfreuten,  war  etwas  von  auBen  Importiertes. 
Seit  ungefahr  1900  hat  ein  Wandel  stattgefunden,  und  langsam  starlet  sich  das  Bewufitsein, 
da8  die  englische  Musik  ihren  eigenartigen  Stil  hat  und  ein  erganzender  Teil  der  nationalen 
Ausdrucksmittel  ist.  Dieses  Gefiihl  hat  nichts  mit  journalistischem  Patriotismus  oder  mit 
politischem  Ehrgeiz  zu  tun,  es  gehort  innerlich  vertrauteren  Gefiihlen  an,  es  schliefit  sich 
ans  Land  und  eine  jahrhundertealte  Tradition  mehr  an,  als  an  die  Stadt  und  die  modernen 
Triebkrafte.  Es  ist  nicht  die  Stimme  des  ,,Zeitgeistes",  sondern  dessen  Korrektiv.  Den 
Komponisten  brachte  die  Bewegung  einen  neuen  Sinn  fur  die  Gesangsmelodie,  ein  feineres 
rhythmisches  Gefiihl  und  groBere  Kraft  in  der  Klangfarbe,  die  eher  auf  Kirchentonarten  als  auf 
den  hergebrachten  Dur-  und  Moll-Tonarten  fufite.  Ihr  EinfluB  ist  in  modernen  englischen 
Liedern  klar  ersichtlich.  Der  starke  EinfluB  der  Universitaten,  welcher  von  Parry  und  Stanford 
ausging,  brachte  die  jiingeren  Musiker  eng  und  enger  in  personliche  Beriihrung  mit  ihren  zeit- 
genossischen  Dichtern.  Heute  kann  man  einen  Komponisten  nach  dem  Werte  der  Gedichte 
beurteilen,  die  er  vertont.  Das  deutsche  Beispiel  der  Schiiler  Stockhausens  erzog  den  lite- 
rarischen  Geschmack  der  Sanger  der  friiheren  Periode;  derselbe  wurde  weiter  verfeinert  durch 
den  EinfluB  der  jiingeren  Schule  von  franzosischen  Gesangskomponisten,  Faure,  Debussy, 
Ravel;  die  Anwendung  ihrer  Technik  auf  englische  LJeder  entwickelte  einen  neuen  und 
charakteristischen  Stil  der  Melodie,  der  seinen  eigenartigen  Rhythmus  von  dem  der  englischen 
Dichtkunst  ableitet.  Dem  englischen  Naturell  erscheint  das  Singen  eine  natiirlichere  Aus- 
drucksfonn,  als  das  Spielen  eines  Instrumentes.  Der  Virtuose  ist  selten  unter  den  englischen 
Musikern;  die  englischen  Komponisten  werden  von  Konzerten  und  anderen  Formen,  die  vir 
tuose  Behandlung  erfordern,  wenig  angezogen.  Alle  Musik  hat  ihren  Ursprung  in  der  mensch- 
lichen  Stimme,  und  die  englischen  Komponisten  sind  sich  dieser  Tatsache  noch  tief  bewufit. 
Der  bemerkenswerte  Unterschied  im  Stil  zwischen  der  englischen  und  deutschen  Musik  von 
heute,  verglichen  mit  der  Ahnlichkeit  des  Stils  vor  40  Jahren,  ist  hauptsachlich  ein  Unterschied 
im  Rhythmus,  der  aus  der  rhythmischen  Verschiedenheit  der  beiden  Sprachen  entspringt  und 
durch  die  Tatsache  erhoht  wird,  dafi  die  englische  Tradition  gesanglich,  die  deutsche  vor- 
herrschend  instrumental  ist. 

Der  grofite  englische  Komponist  der  Volksliedbewegung  ist  Ralph  Vaughan  Williams 
(geb.  1872),  welcher  zuerst  unter  Charles  Wood  in  Cambridge  studierte,  spater  unter  Parry  und 
Stanfprd,  kurze  Zeit  unter  Max  Bruch  in  Berlin  und  mehrere  Jahre  spater  unter  Ravel  in  Paris 


Modeme:  Englander  1051 


(1909)  arbeitete.  Er  warf  sich  voll  Eifer  in  die  Volksliederbewegung  und  nahm  die  Weisen 
vollig  in  seinen  eigenen  Stil  auf.  Wie  Parry  ist  er  am  besten  im  emsten  Gesang.  Er  wurde 
zuerst  bekannt  durch  seine  Kompositionen  nach  Gedichten  Rossettis  und  Stevensons  und 
durch  ein  kurzes,  aber  eindnicks voiles  Chorwerk  ,,Toward  the  Unknown  Region"  (,,Dem  Un- 
bekannten  entgegen'*,  Walt  Whitman).  Spater  erschienen  die  ,,Mystischen  Lieder"  (George 
Herbert)  fiir  Baritonstimme,  Chor  und  Orchester,  eine  Gesangsphantasie  iiber  altbekannte 
Weihnachtslieder  und  die  ,,Meeressymphonie"  in  4  Satzen  fur  Chor  (Whitman).  Dieses 
Werk  offenbart  seine  mystischen  und  asthetischen  Anschauungen,  welche  der  patriotischen 
Ritterlichkeit  Stanfords  und  dessen  Behandlung  von  Seestucken  sehr  fern  liegen.  Die  erste 
Frucht  seiner  Studien  bei  Ravel  war  der  Liederzyklus  ,,0n  Wenlock  Edge"  (,,Am  Rande  des 
Wenlock",  A.  E.  Housman)  fur  Tenor,  Streichquartett  und  Klavier,  welcher  trotz  der  in  Paris 
erlernten  neuen  harmonischen  Kunstgriffe  eine  durchaus  englische  Komposition  eines  der 
beach  tens  wertesten  Gedichte  der  zeitgenossischen  Literatur  ist.  Seine  Hauptwerke  fiir  In- 
strumentalmusik  sind  fiir  das  Orchester:  ,,Norfolk  Rhapsodien"  (iiber  Volkslieder),  ,,In  the 
Fen  Country"  (,,In  der  Moorlandschaft"),  ,,The  Lark  Ascending"  (,,Die  aufsteigende  Lerche") 
fiir  Violinsolo  und  Orchester,  und  2  Symphonien,  die  ,,London"~Symphony,  eine  malerische 
Impression  des  modernen  London,  die  althergebrachte  Ausrufe  und  moderne  StraBen- 
lieder  enthalt,  und  die  ,,Pastorale",  die  ein  Sopransolo  verwendet  und  wegen  des  Umstandes 
bemerkenswert  ist,  dafi  drei  von  den  vier  Satzen  im  langsamen  Tempo  gehalten  sind.  Andere 
Gesangswerke  Vaughan  Williams  sind  ,,Sancta  Civitas"  fiir  Chor  und  Orchester,  ,,TeDeum" 
fiir  die  Thronbesteigung  des  Erzbischofs  von  Canterbury  1929. 

Zwei  begabte  jiingere  Manner,  die  im  Kriege  fielen,  folgten  seiner  Fiihrerschaft  —  George 
Butterworth  (1885—1916),  der  Komponist  von  3  Volksliedidyllen  fur  Orchester,  ,,A  Shrop 
shire  Lad**  (,,Ein  Bursch  aus  Shropshire**),  eine  Orchesterrhapsodie  iiber  Housmans  Gedichte, 
von  denen  er  viele  als  Lieder  vertonte;  und  William  Denis  Browne  (1888—1915),  dessen 
sehr  originelle  und  empfindungsreiche  Lieder.  groBere  Werke  versprachen. 

Eine  andere  Gruppe  von  Tonsetzern  mufi  hier  erwahnt  werden.  Frederick  Delius  (geb. 
1 863),  obwohl  in  England  aus  deutschem  Stamme  geboren,  wurde  jahrelang  in  seinem  Vaterlande 
kaum  anerkannt.  Er  verdankt  seine  jetzige  Beliebtheit  hauptsachlich  den  Anstrengungen 
seines  Freundes,  des  Kapellmeisters  Thomas  Beecham.  Delius  studierte  kurze  Zeit  in  Leipzig 
unter  Jadassohn  und  Reinecke,  aber  er  ist  hauptsachlich  Autodidakt,  und  obgleich  Grieg 
einen  starken  EinfluB  auf  ihn  gehabt  hat,  steht  er  abseits  von  der  musikalischen  Welt.  Aber 
seit  ,,Brigg~Fair"  (1908)  hat  auch  er  den  EinfluB  des  englischen  Volksliedes  empfunden. 
,,Appalachia"  hatte  als  Grundlage  ein  Sklavenlied  aus  einem  Teile  Amerikas,  wo  die  alten 
Volkslieder  Englands,  wie  neuere  Nachforschungen  ergeben,  noch  lebendig  und  der  Menge 
in  Erinnerung  geblieben  sind.  Seine  spateren  Werke  sind  mehr  und  mehr  durch  den  Stil  der 
althergebrachten  englischen  Melodic  beeinflufit  worden.  Seine  friihen  Werke  fur  Chor  leiden 
unter  der  allzu  instrumental  Behandlung  der  Stimmen.  Dies  ist  ebenso  bemerkbar  in  ,,Sea 
Drift"  O.Seetrift")  und  in  der  ,,Messe  des  Lebens",  als  auch  im  neuen  ,,Requiem"  (1921).  Fur 
englische  Ohren  ist  die  Behandlung  der  Worte  (auch  den  langsameren  Rhythmus  des  deutschen 
Textes  beriicksichtigend)  schwach  und  kraftlos.  Seit  1915  hat  er  eine  Anzahl  neuer  Werke 
in  England  herausgebracht :  drei  schone  Konzerte  fur  Violine,  Violoncell  und  fiir  beide  zu~ 
sammen,  am  bemerkenswertesten  von  alien  ist  ,,The  song  of  the  High  Hills"  (,,Das  Lied 
67  H.a.  M. 


1052  Moderne:  Englander 


von  den  Hohen")  far  Chor  und  Orchester.  Hier  singt  der  Gior  ohne  Worte  und  erreicht 
einen  wunderbaren  gefahlvollen  Hohepunkt.  Delius'  Vorliebe  for  6/s-  und  6/4  -  Rhythmen 
ist  charakteristisch  englisch;  indem  er  von  den  harmonischen  Neuerungen  Griegs  ausging, 
empfand  er  bald,  dafi  die  englische  Volksmelodie  eine  umfangreichere  Basis  als  die  norwegische 
far  die  weitere  Entwicldung  seines  eigenen  Stiles  bot.  Zur  ScKule  des  Delius  gehort  eine 
Gruppe  jiingerer  Leute,  die  alleSchiiler  Ivan  Knorrs  in  Frankfurt  waren.  Cyril  Scott  (geb. 
1879)  hat  seinem  Rufe  durch  eine  groBe  Menge  sehr  trivialer  Musik  sehr  geschadet.  Er  hatte 
in  friiheren  Zeiten  eine  ausgesprochene  Eigenart  in  der  Harmonik  und  war  ein  in  England 
seltenes  Beispiel  von  ,,Impressionismus",  welches  ihm  Bewunderer  brachte,  die  ihn  Debussy 
an  die  Seite  stellten,  aber  er  hat  nicht  den  friihen  Erwartungen  entsprochen  oder  irgend  etwas 
hervorgebracht,  das  iiber  einen  gewissen  exotisch  gezierten  Reiz  hinausging.  Balfour  Gar 
diner  (geb.  1877)  hat  wenig  geschrieben,  doch  seme  Musik  hat  entschiedene  Originalitat  und 
Leben.  Er  ist  stark  durch  das  englische  Volkslied  beeinfluflt  worden.  Seine  besten  Werke 
sind  ,,Shepherd  Fennels  Dance"  (,,Schafer  Fennels  Tanz",  far  Orchester),  ein  Streichquartett 
in  B'Dur  und  ,,News  from  Whydah"  (,,Nachrichten  aus  Whydah",  John  Masefield),  eine 
Gesangsballade  in  prachtvoller  Tonfarbe  von  starker  Wirkung.  Roger  Quilter  (1877)  hat 
viele  entziickende  Lieder  geschrieben. 

Unter  den  Jiingern  Griegs  befindet  sich  Percy  Grainger  (geb.  1882  in  Australien),  ein 
Pianist  von  Rang  und  Schiiler  von  Busoni.  Er  war  einige  Jahre  als  intimer  Freund  Griegs  in 
Norwegen  und  ein  beliebter  Interpret  von  dessen  Klaviermusik.  Er  warf  sich  enthusiastisch 
auf  die  Bemiihungen  um  das  englische  Volkslied  und  komponierte  viele  hiibsche  Arrangements 
von  Volksliedern  far  Chor  und  Orchester,  wobei  er  viel  Heiterkeit  hervorrief,  indem  er  sehr 
eigenartige  englische  Tempo- und  Ausdrucksbezeichnungen  statt  der  hergebrachten  Jtalienischen 
annahm,  die  in  der  Musik  in  alien  Landern  iiblich  sind.  Seine  Musik  hat  keine  grofie  Tiefe, 
doch  auBerordentliches  Feuer  und  Glanz  der  Farbe;  er  ist  am  besten  in  seinen  Kompositionen 
far  Kammermusik,  ,,My  Robin  is  to  the  Greenwood  gone"  (,,Mein  Robert  ist  nach  dem  griinen 
Walde  gegangen"),  ,,Walking  Tune"  (Wanderlied),  ,,Mock  Morris"  (,,Tanzweise")  und 
,, Molly  on  the  Shore"  (,,MolIy  am  Strande"),  alle  auf  Grundlage  von  englischen  oder 
irischen  Volksliedern.  Ein  interessantes  Experiment  war  ,,Colonial  Song"  (,,Kolonial-Lied") 
far  Sopran  und  Tenor  (ohne  Worte)  und  Orchester.  W.  G.  Whittaker  (geb.  1876)  hat 
sehr  originelle  Arrangements  von  northumberlandischen  Volksliedern  geschrieben.  Martin 
Shaw  (geb.  1876),  auch  einer  aus  der  Volksliederschule,  hat  interessante  Lieder 
komponiert. 

Der  europaische  Krieg  von  1914 — 1918  hatte  keinen  kiinstlerischen  EinfluB  auf  die  englische 
Musik.  AuBer  den  neueren  franzosischen  Komponisten  waren  Schonberg,  Scrjabin  und 
Stravinsky  den  vorgeschrittenen  englischen  Musikern  schon  vor  1914  wohlbekannt.  Sie  waren 
Wagners  und  Richard  Straufi*  schon  mude  und  wandten  sich  den  musikalischen  Idealen  Frank- 
reichs  und  Rufilands  zu,  lange  bevor  irgendeine  Voraussetzung  von  neuen  politischen  Kom- 
plikationen  erwuchs.  Die  unmittelbare  praktische  Wirkung  des  Krieges  war  das  tatsachliche 
Verschwinden  von  alien  deutschen  und  osterreichischen  Musikern  und  das  Zustromen  einer 
groBen  Anzahl  von  Belgiern  und  Russen.  Dies  brachte  Cesar  Franck  in  augenblickliche  Gunst 
als  Ersatz  far  Brahms  und  bereitete  den  Weg  far  das  russische  Ballett  nach  dem  Ende  des 
Krieges.  Scrjabin  wurde  im  Konzertsaal  ungeheuer  beliebt  und  Stravinsky  von  machtigem 


Moderne:  Englander  1053 


Einflufi  auf  die  jiingeren  Komponisten.  Eine  andere  Wirkung  der  Kriegszustande  war  die 
Schwierigkeit,  Chor-  und  Orchesterkonzerte  zu  geben.  Aus  Ersparungsgriinden  entstand  eine 
Wiederbelebung  von  Kammermusik  und  alter  Musik.  Alle  Lander  wurden  sich  im  Kriegs 
zustande  ihrer  Volkseigentiimlichkeit  mehr  bewuBt.  Die  verschieden  gerichtete  Musik- 
geschichte  von  Deutschland  und  England  fiihrte  hier  zu  sehr  verschiedenen  Resultaten. 
Deutschland  griindete  natiirlicherweise  sein  Nationalgefiihl  auf  die  Klassiker  von  Bach  bis 
Wagner  und  Brahms.  In  England  blieben  die  deutschen  Klassiker  nicht  weniger  beliebt  als 
friiher,  doch  das  Volksempfinden  konzentrierte  sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auf  die 
Musiker  der  Elisabethzeit  und  auf  Purcell,  sowie  vielmehr  auf  die  lebenden  englischen  Kom 
ponisten  der  jiingeren  Generation.  Alle  Konzertgeber  betrachteten  es  als  ihre  Pflicht,  Werke 
von  jungen  englischen  Komponisten  zu  bringen.  Der  junge  englische  Tonsetzer  hat  nie  eine 
so  giinstige  Gelegenheit  gehabt,  gehort  und  wahrhaft  verstanden  zu  werden,  um  so  mehr, 
als  es  eine  Wirkung  des  Krieges  war,  ungeheures  Interesse  an  alien  Kims  ten  bei  der  Gene 
ration  hervorzurufen,  die  jung  genug  war,  direkte  Erfahrung  aus  dem  Kriege  zu  ziehen.  Es 
war  die  natiirliche  Reaktion  gegen  die  physische  und  intellektuelle  Niedrigkeit  des 
Soldatenlebens. 

Trotz  aller  Veranderungen,  die  im  allgememen  Musikstil  Platz  gegriffen  haben,  ist  es  doch 
bemerkenswert,  da6  fast  alle  fiihrenden  englischen  Komponisten  Schiller  Stanfords  oder 
Schiller  seiner  Schiller  sind.  Gustav  Hoist,  urspriinglich  von  Hoist  (geb.  1874),  dessen 
Familie,  trotz  des  Namens,  wahrend  verschiedener  Generationen  vollkommen  englisch  ge- 
wesen  ist,  suchte  zuerst  in  orientalischen  Themen  Anregung  (,,Hymnen  aus  der  Rig- Veda") 
und  aus  Algier  (,,Beni-Mora",  Orchestersuite).  Seine  bemerkenswertesten  Werke  sind  ,,Die 
Jesushymne",  fur  Chor  und  Orchester,  und  ,,Die  Planeten",  fur  Orchester  (1919).  Er  Jst 
einer  der  wenigen  englischen  Komponisten,  die  im  Monumentalstil  schreiben.  Die  ,Jesus- 
hymne",  die  Ubersetzung  eines  griechischen  gnostischen  Gedichtes,  ist  fur  Doppel-  und 
Halbchor  mit  freier,  kiihner  Behandlung  der  Dissonanzen  geschrieben.  Hoist  hat  grofie 
Vorliebe  fur  ungewohnlicheRhythmen,  indem  er  lange  Abschnitte  in5/4-  und  7/4-Takten  schreibt. 
Dieses  Werk  wurde  im  gleichen  Konzert  in  London  wie  Delius'  ,,Lied  von  den  Hohen"  auf- 
gefiihrt  und  kontrastierte  sonderbar  mit  dem  beschaulichen  Gefiihl  von  Delius  auf  Grund  seiner 
fast  fanatischen  Inbrunst.  ,,Die  Planeten"  ist  eine  Suite  for  grofies  Orchester  in  sieben  Satzen, 
Das  Werk  verrat  verschiedene  Einfliisse,  deutsche  und  franzosische  sowohl  als  auch  englische; 
es  ermangelt  an  Einheit  des  Stiles,  hat  aber  grofie  Gefiihlskraft  und  endet  mit  einem  Satz 
von  sonderbarer  mystischer  Entriicktheit.  John  Ireland  (geb.  1879)  hat  zwei  Violinsonaten 
geschrieben,  von  denen  die  zweite  betrachtliche  Kraft  zeigt,  ferner  Lieder,  Klavierstiicke  von 
etwas  Originalitat  und  ein  kurzes  Werk  fur  Orchester  ,,The  Forgotten  Rite"  (,,Der  vergessene 
Ritus").  Er  ist  stark  durch  das  Volkslied  beeinflufit  worden,  gehort  aber  entschieden  der  mo- 
dernen  Schule  an.  Cyril  Rootham  (geb.  1875)  hat  einige  gedankentiefe  Werke  far  Chor 
geschrieben.  Frank  Bridge  (geb.  1879),  ein  ausgezeichneter  Bratschenspieler,  hat  Kammer 
musik  geschrieben,  die  wunderbare  Kenntnis  des  Handwerks  verrat,  und  eine  Orchester 
suite  ,,Das  Meer",  aber  seine  Inspiration  gleicht  kaum  seiner  erstaunlichen  technischen 
Fertigkeit.  Waldo  Warner  (geb.  1876),  auch  ein  Bratschenspieler,  hat  gute  Quartette  ge 
schrieben,  und  Herbert  Ho  wells  (geb.  1892)  erweckt  Hoffnungen  als  Komponist  von 
Kammermusik. 

67* 


|Q54  Modeme:  Englander 


Arnold  Bax  (geb.  1883)  war  em  Schiller  Frederick  Corders.  Er  ist  wahrscheinlich  der  von 
Natur  aus  am  meisten  begabte  der  englischen  Komponisten,  aber  sein  reicher  UberfluB  ist 
oft  eine  Quelle  der  Schwachheit  geworden.  Er  wird  hauptsachlich  von  irischen  Stoffen  an- 
gezogen.  Seine  Leistungen  sind  vielfaltig  und  umfassen  Klaviermusik  von  verschiedener  Quali- 
tat.  Da  er  alien  Einflussen  zuganglich  ist,  hat  er  erst  neuerlich  begonnen,  seinen  eigenen  Stil 
zu  finden.  Seine  besten  Werke  sind  ,,Der  Garten  von  Fand"  und  ,,Novemberwalder",  Ge~ 
dichte  far  Orchester,  em  Konzert  und  eine  Sonate  far  Bratsche,  in  welchen  die  Grenzen  des 
Instruments  ihn  zu  groBerer  Knappheit  gezwungen  haben,  als  das  sonst  bei  ihm  der  Fall  ist; 
ein  gedankentiefes  Quintett  far  Streichinstrumente  und  Harfe.  Seine  Musik  ist  romantisch 
im  Charakter,  ruhig  und  empfindsam,  seine  Behandlung  des  Orchesters  aufierordentlich  ge- 
schiclct.  Cecil  Armstrong  Gibbs  (geb.  1889),  ein  Schiller  von  Charles  Wood,  hat  einige 
interessante  Quartette  und  mehrere  Lieder  von  groBer  Schonheit  geschrieben,  grofitenteils  zu 
Worten  von  Walter  de  la  Mare. 

Die  allermodernsten  Tendenzen  sind  vertreten  durch  Eugene  Goossens,  Arthur  Bliss 
und  Lord  Berners.  Eugene  Goossens  (geb.  1893),  von  belgischer  Abkunft,  aber  in  Eng 
land  geboren  und  erzogen,  ein  Schiller  von  Stanford,  ist  besonders  als  Dirigent  ausgezeichnet, 
hat  jedoch  einige  sehr  gewandte  Klavierstiicke  und  Kammermusik  geschrieben,  die  durch  die 
moderne  franzosische  Richtung  stark  beeinfluBt  sind ;  auch  ein  symphonisches  Gedicht  ,,The 
Eternal  Rhythm**  (,,Der  ewige  Rhythmus")  und  eine  ,,Sinfonietta"  von  sehr  anziehendem 
Reiz  und  Geist.  Arthur  Bliss  (geb.  1891),  ebenfalls  ein  Schiller  Stanfords,  der  abwechselnd 
von  Elgar  und  Stravinsky  beeinflufit  wurde,  hat  eine  Anzahl  seltsamer  Experimente  versucht : 
Rhapsodien  far  Orchester  mit  Singstimmen  ohne  Worte;  ,,Rout"  far  Kammerorch ester  mit 
Sopranstimme,  die  sinnlose  Silben  singt;  ein  Klavierkonzert  mit  Streichquartett,  Schlagwerk 
und  Tenorstimme,  die  gleichfalls  sinnlose  Silben  singt;  etwas  bemerkenswerter  die  Biihnen- 
musik  zu  Shakespeares  ,,Sturm" ;  Lieder,  von  Klarinette  allein  begleitet,  und  schlieBlich  eine 
sogenannte  ,,Farbensymphonie",  auf  deren  Titel  man  keine  besondere  Riicksicht  nehmen 
muB.  Bliss*  Musik  hat  immer  auBerordentliches  Feuer  und  Energie;  zugleich  mit 
seinen  harmonischen  Kiihnheiten  hat  er  ein  sehr  starkes  Talent  far  reine  und  aus- 
drucksvolle  Melodic.  Sein  Chorwerk  ,,Pastoral"  (1929)  ist  reich  an  lyrischer  Erfindung. 
Lord  Berners  (geb.  1883),  ein  Schiller  Alfredo  Casellas,  widmet  seine  beachtenswerte  Ge- 
wandtheit  und  seinen  Geist  satyrischer  oder  komischer  Musik.  Bernhardvan  Dieren  (geb. 
1885),  ein  in  London  lebender  Hollander,  hat  sich  in  interessanten  Experimenten  im  modernen 
polyphonen  Stil  versucht,  doch  seine  Musik  scheint  mehr  das  Produkt  des  Intellektes,  als 
wahrer  Schaffenskraft  zu  sein.  Zur  selben  Gruppe  gehoren  William  Walton  und 
Constant  Lambert,  die  jetzt  einzigen  Englander,  welche  den  Jazzstil  in  der  Kunst- 
musik  venvendet  haben. 

OPER.  Die  Oper  arbeitet  in  England  unter  so  groBen  standigen  Schwierigkeiten,  dafi  wenige 
Komponisten  versucht  sind,  dieselben  zu  iiberwinden.  Bis  1914  war  far  einen  englischen 
Komponisten  wenig  Antrieb  gegeben,  Opern  in  seiner  Muttersprache  zu  schreiben.  In  Eng 
land  hatte  kein  Opernhaus  jemals  irgendeine  Subvention  vom  Hofe,  vom  Staate  oder  von  einer 
offentlichen  Korperschaft  empfangen.  Wahrend  des  groBten  Teiles  des  19.  Jahrhunderts  war 
in  London  eine  jahrliche  ,,Saison"  far  fremde  Opern,  zuerst  hauptsachlich  far  die  italienische, 
dann,  von  ungefahr  um  1 895,  far  italienische,  deutsche  und  franzosische,  wobei  die  Sanger  fast 


Moderne :  Englander  1 055 


bestandig  Auslander  waren.  In  den  Provinzen  gaben  wenige  reisende  Gesellschaften  zweit> 
klassige  Vorstellungen  in  englischer  Sprache  und  mit  sehr  beschrankten  Geldmitteln.  Im  Jahre 
1880  war  der  hervorragende  dramatische  Komponist  Arthur  Sullivan  (s.  S.  919)  allgemein 
beliebt.  Er  hatte  schon  seine  Zusammenarbeit  mit  W.S.Gilbert  im  Jahre  1875  durch  ,,Trial 
by  Jury"  (,,Untersuchung  vor  den  Geschworenen")  begonnen ;  ,,The  Sorcerer4*  (,,Der  Zauberer"), 
1 877,  begriindete  zuerst  beider  Beliebtheit  als  gemeinsame  Autoren  von  komischen  Opern  — 
der  Name  Sullivans  ist  unzertrennlich  von  dem  seines  Librettisten.  Dem  ,,Zauberer"  folgten : 
,,Ihrer  Majestat  Schiff  Pinafore"  (1878),  ,,Die  Seerauber  von  Penzance"  (1880),  ,,Patience" 
(1881),  ,Jolantha"  (1882),  ,,Prinzessin  Ida"  (1884),  ,,Der  Mikado"  (1885),  ,,Ruddigore"  (1887), 
,,Die  koniglichen  Leibgardisten"  (1888),  ,,Die  Gondoliere"  (1889).  Dann  brach  Sullivan  mit 
Gilbert  und  schrieb  ,,Schlofi  Haddon"  im  Jahre  1892  zu  einem  Libretto  von  Sydney  Grundy. 
Es  folgte  die  Versohnung  mit  Gilbert  und  darauf  erschien  ,,Utopien,  G.  m.  b.  H."  (1893) 
und  ,,Der  GroBherzog"  (1896).  Dies  war  das  letzte  Libretto  von  Gilbert;  Sullivan  fand 
andere  Librettisten  fur  ,,Der  Schonheitsstein"  (1898),  ,,Die  Rose  von  Persien"  (1899)  und 
,,Die  griine  Irlandinsel"  (1900),  welches  Werk  er  bei  seinem  Tode  unvollendet  zuriickliefi. 
Sullivan  hatte  seine  Laufbahn  als  Kirchenkomponist  begonnen.  Er  war  ein  Schiller  von 
Sterndale  Bennett  und  vom  Leipziger  Konservatorium.  Von  Bennett  lernte  er  seine  Rein- 
heit  des  Stiles;  der  EinfluB  Mozarts  und  Schuberts  erscheint  Jmmerwahrend,  sogar  in  seinen 
komischen  Opern;  er  nahm  auch  Einfliisse  von  Balfe  und  Wallace  auf,  obgleich  dieOperetten 
im  absichtlichen  Wetteifer  mit  Offenbach  geschrieben  wurden.  In  ihrer  allgemeinen  musi- 
kalischen  Richtung  sind  sie  mehr  mit  den  Werken  Aubers  und  Lortzings  zu  vergleichen. 
Die  Zusammenarbeit  von  Gilbert  und  Sullivan  ist  eine  Parallele  zu*der  von  Goldoni  und 
Galuppiim  1 8.  Jahrhundert.  I hre  Beliebtheit  bleibt  bis  heute  unvermindert.  Er  setzte  einen 
absolut  englischen  Stil  der  leichten  Oper  fest,  auf  welchem  ihm  folgten:  Alfred  Cellier 
(1844—91),  EdwardSolomon  (1853—95)  und  Edward  German  (geb.  1862),  welcher  ,,Die 
grime  Insel"  vollendete  und  auch  viel  wirksame  Musik  zu  Shakespeares  Stiicken  schrieb. 
In  den  letzten  Jahren  ist  die  Operetta  in  England  sehr  verfallen,  indem  sie  langsam  der 
,,musikalischen  Komodie"  und  der  ,,Revue"  den  Platz  raumen  mufite. 

Parry  versuchte  sich  nie  in  der  Oper,  obgleich  seine  Musik  zu  griechischen  Theaterstiicken 
entschiedene  Buhnenwirksamkeit  hatte.  Stanford  hat,  trotz  vieler  Mifierfolge,  verschiedene 
Opern  geschrieben.  Die  zwei  ersten  wurden  in  Deutschland  aufgefiihrt;  ,,The  veiled  Prophet 
(,,Der  verschleierte  Prophet")  (Hannover  1881)  und  ,,Savonarola"  (1884)  hatten  trotz  vieler 
interessanter  Szenen  wenig  Erfolg.  ,,Die  Canterbury  Pilger"  (1884),  welches  Werk  in  Eng 
land  aufgefiihrt  wurde,  waren  ein  Versuch  in  der  Absicht  einer  englischen  ,,Meistersinger"- 
Oper.  Viel  entscheidender  national  war  ,,Shamus  O'Brien"  (1896)  iiber  ein  irisches  Thema, 
voll  von  irischen  Melodien.  Die  Oper  hatte  einen  tatsachlichen  Erfolg  und  wiirde  spater 
wieder  aufgefiihrt  worden  sein,  wenn  sie  nicht  so  viele  politische  Anspielungen  enthalten 
hatte.  ,,Viel  Larm  um  nichts"  (1901)  zeigt  den  EinfluB  von  Verdis  ,,Falstaff"  und  verdiente 
mehr  Erfolg,  als  es  hatte;  ,,Der  Kritiker"  (1916)  ist  eine  amiisante  Vertonung  von  Sheridans 
beriihmter  Satire  iiber  die  Biihne;  ,,Der  Reisegefahrte",  Stanfords  letzte  Oper  (1922;  1926 
in  Bristol  aufgefiihrt),  hat  ein  feines  romantisches  Gefiihl  und  ist  auf  der  Biihne  wirksam. 
Mackenzies  ,,Colomba"  (1883),  eine  tragische  Oper  iiber  ein  korsisches  Sujet,  erweckte 
Hoffnungen,  die  durch  ihre  Nachfolgerin  ,,Der  Troubadour"  nicht  erfullt  wurden.  Von  der 


1056  Moderne:  Englander 


Natur  begabter  fur  das  Theater  war  Arthur  Goring  Tho  mas  (1851 — 92),  einer  der  wenigen 
englischen  Komponisten  seiner  Zeit,  die  hauptsachlich  unter  franzosischem  EinfluB  stehen. 
,,Esmeralda"  (1883),  auf  Victor  Hugos  ,,Notre  Dame**  gegriindet,  und  ,,Nadeschda"  (1885) 
haben  groBen  Reiz,  doch  ist  ihr  Stil  mehr  franzosisch  als  englisch.  In  einem  leichteren,  jedoch 
mehr  englischen  Stil  ist  ,,Das  goldene  Gewebe",  das  erst  nach  des  Komponisten  friihem 
Tode  aufgefiihrt  wurde.  Sullivan  machte  einen  Versuch  zur  groBen  Oper  in  ,,Ivanhoe** 
(1891),  welches  Werk  mehr  als  hundertmal  hintereinander  aufgefiihrt  wurde.  Es  sind  viele 
schone  Stellen  darin,  es  ist  aber  im  grofien  und  ganzen  zu  pomphaft  und  konventionell,  um 
heutzutage  eine  Wiederauffiihrung  ertragen  zu  konnen.  Die  giinstige  Gelegenheit  fur  die  Auf- 
fiihrung  neuer  Opern  in  England  war  so  gering,  daB  Ethel  Smyth  (geb.  1858),  eine  Schulerin 
von  Herzogenberg,  sich  nach  Deutschland  wandte,  wo  ihr  ,,Fantasio"  (Weimar  1898)  und 
,,Der  Wald"  (Dresden  1901)  gegeben  wurden.  ,,The  Wreckers",  urspriinglich  zu  einem 
franzosischen  Libretto  geschrieben,  wurde  in  Leipzig  Jm  Jahre  1906  unter  dem  Titel  ,,Strand- 
recht"  herausgebracht;  es  wurde  1909  in  London  aufgefiihrt.  Es  hat  grofie  dramatische  Kraft 
und  malerische  Orchestration.  ,,The  Boatswains's  Mate"  (,,Der  gute  Freund",  London 
1918)  zeigt  den  EinfluB  SuIIivans  und  des  englischen  Volksliedes.  Das  sehr  geistreiche  und 
amiisante  Libretto  ist  von  der  Komponistin  selbst.  Die  Oper  war  sehr  beliebt  und  ist  eine 
sichtliche  Bereicherung  der  englischen  dramatischen  Musik.  Josef  Hoi  brookes  Opern  ,,Die 
Kinder  von  Don**,  ,,DyIan"  und  ,,Bronwen"  bilden  eine  Trilogie  iiber  walisische  Legenden. 
Der  fur  sie  notige  enorme  Apparat  hat  ihre  Auffuhrung  zu  einer  sehr  kostspieligen  und 
schweren  Sache  gemacht.  Es  kann  bezweifelt  werden,  ob  ein  Versuch,  das  ,,Musikdrama" 
Wagners  und  Richard 'Straufi*  zu  iiberbieten,  der  englischen  Biihne  angemessen  ist.  Einige 
Jnteressante  Opern  sind  von  Nicholas  Gatty  (geb.  1874),  einem  Schiiler  Stanfords,  ge 
schrieben  worden.  ,,Duke  or  Devil"  (,,Herzog  oder  Teufel"  1909)  zeigt  eine  sehr  geschickte 
Behandlung der  Chore;  ,,Der  Sturm"  (1920)  ist  eine  gedankentiefe  Vertonung  von  Shakespeare 
und  ,,Prinz  Ferelon"  (1921)  ist  ein  einaktiges  Marchenspiel  oder  „ extravaganza"  von  eigen- 
tumhchem  Reiz.  Gattys  Musik  macht  keinen  Anspruch  auf  Modernitat,  und  er  benutzt 
ein  kleines  Orchester  mit  Riicksicht  auf  praktische  Umstande,  aber  sein  vollendeter  Stil  und 
seine  bewundernswerte  Biihnensicherheit  geben  seinen  Opern  einen  auffallend  personlichen 
Charakter.  Zwei  neuere  Experimente  von  grofiem  Interesse  waren  ,,Sawitri",  eine  Kammer- 
oper  von  Hoist,  und  ,,Die  lieblichen  Berge",  eine  Art  von  Kirchenoper  von  Vaughan 
Williams.  Mit  ,,Hugh  the  Drover"  (1924),  der  Themata  englischer  Volkslieder  verwendet, 
schenkt  Vaughan  Williams  seinen  Landsleuten  ein  Volksstiick.  Ein  reizendes  und  sehr  origi- 
nelles  Ballett  ,,01d  King  Cole"  auf  altenglische  Volkstanze  und  Tanzweisen  basiert,  welche 
mit  kiihnster  Harmonik  behandelt  sind,  wurde  Juni  1923  in  Cambridge  gegeben.  Hoists 
,,At  the  Boars  Head",  eine  Falstaff-Oper  (1926),  hatte  wenig  Erfolg.  Eine  andere  Falstaff- 
Oper  von  Vaughan  Williams  ,,Sir  John  in  Love"  (1929)  ist  eine  wirklich  dramatische  und 
im  besten  Smne  echt  englische  Vertonung  des  von  auslandischen  Meistern  so  oft  bearbeiteten 
Stoffes. 

Es  ist  schwer,  sich  einen  allgemeinen  Eindruck  vom  Charakter  der  englischen  Musik  zu 
verschaffen.  Auslandische  Beobachter  haben  zuweilen  behauptet,  daB  die  englische  Gewohnheit 
der  Selbstbeherrschung  es  den  Englandern  unmoglich  machte,  Musik  zu  komponieren ;  wenn 
dies  aber  der  Fall  ware,  so  wurde  dieselbe  sie  ebenso  verhindern,  Gedichte  zu  schreiben.  Die 


Moderne:  Englander  1057 


englische  Musik  zeigt  unzweifelhaft  eine  gewisse  Verschwiegenheit  und  Zuriickhaltung  des 
Stiles  sowohl,  als  ein  iibertriebenes  Absehen  vor  Virtuositat.  Der  EinfluB  der  puritanischen 
Tradition  ist  bei  den  ernstesten  Komponisten  noch  fuhlbar,  sowohl  in  der  Wahl  ihrer  Gegen- 
stande  als  auch  in  deren  Bebandlung.  Man  moge  beriicksichtigen,  da8  heutzutage  die  wirk- 
lichen  Fiihrer  des  englischen  Musiklebens,  Komponisten  und  Musikschriftsteller,  Manner 
von  guter  literarischer  Bildung  sind,  welche  die  humanistischen  Ideale  der  gebildeten  Klassen 
haben.  Dies  fordert  die  enge  Verbindung  von  Musik  und  Literatur,  nicht  im  Sinne  von 
Programmusik,  sondern  im  engen  Einklang  von  Dichtung  und  Lied.  Nicht  unwichtig  ist  die 
Behauptung,  dafi  das  Charakteristikum  der  englischen  Musik  ,,unsinnliche  Heiterkeit"  sei. 
Die  englischen  Komponisten  (obgleich  die  englischen  Zuhorer  durchaus  nicht)  haben  wenig 
Sympathie  for  die  ungesunde  Erotik  in  der  Musik.  Die  Volksliedbewegung  sagte  alien 
jenen  zu,  die  eine  Vorliebe  fur  Landleben  und  allgemein  Menschliches  haben.  Die  ultra- 
moderne  Gruppe  konnte  fast  eine  ,,aristokratische**  Bewegung  einleiten,  da  sie  sich  vorerst 
an  eine  Heine  Gefolgschaft  hochkultivierter  Leute  wendet;  sie  ist  intellektuell  und  gegen  die 
Sentimentalitat,  ohne  Riicksicht  auf  die  Demokratie,  jedoch  auf  jeden  Fall  ein  wertvolles 
Gegenmittel  gegen  die  ,,biirgerliche"  Vulgaritat.  Die  beiden  Gruppen  sind  nicht  War  zu  unter- 
scheiden  und  in  keinem  Sinne  einander  feindlich.  Das  Problem,  das  sie  alle  auf  verschiedene 
Weise  zu  losen  versuchen,  ist  der  A.usgleich  der  modernen  Musik  mit  der  des  15.  und 
16.  Jahrhunderts,  welche  sie  fur  die  wahre  Grundlage  der  englischen  Schule  halten,  mittelst 
der  technischen  Methoden  des  20.  Jahrhunderts. 


Literatur 

Allgemeine:  Walker,  Ernest:  A  History  of  Music  in  England.  Oxford  1907.  —  Bennett,  Joseph: 
Forty  Years  of  Music  1865—  905.  London  1908.  —  Stanford,  Charles  Villiers:  Studies  and  Memories. 
London  1908.  —  Maitland,  James  Alexander  Fuller:  English  Music  in  the  XlXth  century.  London  1902. 

Voiksmusik:  Frank  Kidson  and  Mary  Neal:  English  Folk  Song  and  Dance.  Cambridge  1915. — 
Cecil  James  Sharp,  English  Folksong:  some  conclusions.  London  1907.  —  The  SwordDances  of  Northern 
England.  London  1911.—  C.J.  Sharp  and  H.C.Macilwaine:  The  Morris  Book,  a  history  of  Morris  Dancing. 
London  1907.—  W.H.  Grattan  Flood:  A  History  of  Irish  Music.  Dublin  1905. 

Oper:  Forsyth,  Cecil:  Music  and  Nationalism,  a  study  of  English  Opera.  London  1911.  —  R- A.  Streat- 
feild:  The  Opera.  3rd  edition.  London  1908.  —  Cellier,  Francois  and  C.  Bridgeman:  Gilbert, 
Sullivan  and  D'Oyly  Carte.  London  1914. 

Biographic:  C.  V.  Stanford:  Pages  from  an  unwritten  diary.  London  1914.  —  Smyth,  Ethel:  Impres 
sions  that  remained.  London  1919;  Streaks  of  Life.  London  1921.  —  A.  Lawrence:  Sir  Arthur  Sullivan: 
life-story,  letters  and  reminiscences.  London  1899.  —  B.  W.  Findon:  Sir  Arthur  Sullivan:  his  life  and  music. 
London  1904;  Sir  Arthur  Sullivan  and  his  operas.  London  1909.  —  H,  Orsmond  Anderton:  Granville 
Bantock.  London  1905.  —  Lowe,  George:  Josef  Holbrooke  and  his  work.  London  1920.  —  A.  Eaglefield 
Hull:  Cyril  Scott.  London  1918.  —  C.  L.  Graves:  Hubert  Parry.  London  1926.  —  W.  H.  Hadow:  Sir 
Hubert  Parry.  Proceedings  of  the  Musical  Association  1918/19.  —  P.O.Morris:  Hubert  Parry.  Music 
and  Letters.  April  1920.  —  Philip.  Heseltine:  Delius.  London  1923.  —  A.  E.  F.  Dickinson:  An 
Introduction  to  the  Music  of  R.  Vaughan  Williams.  London  1 928.  _  .  _ 

Edward  Dent 


1058 


Moderne:  Franzosen 


FRANZOSEN 

Eine  Reihe  der  Jm  folgenden  angefuhrten  Personlichkeiten  ist  bereits  in  den  vorangegangenen  historischen 
Darstellungen  behandelt;  hier  werden  sie  in  dem  Zusammenhange  mit  der  Modernen  betrachtet  und  erhalten  so  eine 
neue  Beleuchtung,  wie  sie  in  der  unserer  franzosischen  Zeitgenossen  erscheinen.  Bei  manchen  Komponisten  ist 
ausdrucklich  auf  die  fruhere  Erorterung  hingewiesen.  (Anmerkung  des  Herausgebers.) 

Berlioz  steht  an  der  Spitze  der  Bewegung,  die  seit  einem  Jahrhundert  die  franzosische 
Musik  unaufhaltsam  zu  neuen  Formen  aneifert.  Er  hat  da  eine  ahnliche  Rolle  gespielt,  wie 
Eugene  Delacroix  in  der  bildenden  Kunst.  Beide  haben  die  allzu  strengen  klassischen  Formen 
gesprengt  und  der  Kunst  die  freie  Bewegung  gewonnen.  Mehr  oder  weniger  gehen,  beabsichtigt 
oder  unbewufit,  alle  Neuerer  auf  ilin  zuriick,  und  auch  Debussy,  der  Berlioz'  Musik  hafite, 
weist  seltsame  Analogien  mit  diesem  groBen  Musiker  auf.  Intuitiv  veranlagt,  erfinden  beide, 
fast  unbewufit,  neue  Formen  und  erschliefien  dem  Reich  der  Tone  bisher  ungekannte  Welten, 
weit  mehr  von  ihrem  Instinkt  geleitet,  als  von  der  Vernunft.  Darin  unterscheiden  sich  haupt- 
sachlich  diese  schaffenden  franzosischen  Kiinstler  von  den  allezeit  mehr  aus  bewufitem  Wollen 
schopfenden  deutschen  Meistern.  Auch  in  Frankreich  begegnet  man  Meistern,  die  in  ihren 
Werken  eine  Synthese  vollziehen  der  Errungenschaften  ihrer  Vorganger  und  ihrer  Zeitgenossen, 
man  konnte  unter  ihnen  einen  Cesar  Franck,  einen  Saint-Saens,  einen  Gabriel  Faure,  einen 
d'Indy,  sogar  einen  Ravel  anfuhren.  Aber  wie  sonderbar,  dafi  die  beiden  grofiten  modernen 
franzosischen  Musiker,  Berlioz  und  Debussy,  ganz  anders  vorgingen;  sie  erscheinen  uns 
gleichsam  als  Phanomene,  die  man  keineswegs  durch  die  Verhaltnisse,  aus  und  in  denen  sie 
sich  kunstlerisch  mitteilten,  erfassen  kann. 

Berlioz  schreibt  mit  26  Jahren,  1829,  schon  2  Jahre  nach  Beethovens  Tode,  die  ,,Symphonie 
fantastique",  sucht  mit  blinder,  instinktiver  Gewalt  die  Normen  der  Symphonic  zu  sprengen 
und  mochte  ein  Beispiel  einer  symphonischen  Dichtung  geben,  gleichzeitig  die  ganze  Orche- 
strationskunst  umwandelnd.  Spater  hat  Liszt  sich  fur  dieses  Werk  begeistert  und  Berlioz*  Idee 
in  ein  System  gebracht,  was  Berlioz  selbst  nicht  getroffen  hatte.  Er  begniigt  sich  damit,  neue 
Ideen  auszustreuen,  ohne  sich  um  deren  Verarbeitung  zu  kummern.  Doch  nichts  geht  davon 
verloren:  Liszt,  Saint-Saens,  Gounod,  Bizet,  Richard  StrauB,  Rimsky-Korsakow  ziehen 
Nutzen  daraus. 

DIE  SCHULE  VON  O£SAR  FRANCK.  Neben  dem  durch  Berlioz  entstandenen  neuen 
Zuge,  auf  den  wir  noch  zuruckkommen  werden,  darf  man  nicht  die  starke  konservative  Tra 
dition  iibersehen,  welche  gewissermaBen  ein  Gegengewicht  zu  den  Kiihnheiterj  der  Vorkampfer 
bildet  und  sich  doch  hier  und  da  harmonisch  mit  ihnen  einigt.  Das  Oberhaupt  dieser  Richtung 
ist  der  Wallone  Cesar  Franck  (1822—1890),  der  in  Liittich  geboren  wurde,  aber  fast  sein 
ganzes  Leben  in  Paris  verbrachte.  Cesar  Franck  spielt  in  Frankreich  eine  ahnliche  Rolle  wie 
etwa  Brahms  in  Deutschland.  Er  hat  die  Kompositionsart  der  grofien  Klassiker  systematisch 
benutzt,  ubernahm  dabei  das  von  Liszt  (und  vor  ihm  von  Schubert)  in  der  symphonischen 
und  Klaviermusik  vertretene  Prinzip  der  thematischen  Einheit  und  schopfte  aus  der  Wagner- 
schen  Chromatik  neue  Modulationen.  Er  schrieb  Werke  von  bemerkenswerter  Klarheit,  deren 
Plan  streng  logisch  ist,  ohne  stereotyp  zu  werden.  Aber  noch  bewundernswerter  als  die  Form 
ist  bei  Cesar  Franck  die  Vornehmheit  und  Reinheit  des  Gefiihles.  Wahrlich,  er  hatte  eine 


Moderne:  Franzosen  1059 


engelgleiche  Seele,  und  in  den  ,,Beatitudes"  und  besonders  in  den  ,,Drei  Orgelchoralen**,  die 
er  auf  seinem  Sterbebette  vollendete,  gibt  es  Stellen  von  einer  Tiefe  und  Schonheit,  derzufolge 
man  wohl  berechtigt  ist,  den  Autor  den  GroBen  anzureihen. 

Cesar  Franck  unterrichtete  mit  Freude,  und  eine  Menge  junger  Musiker,  die  ihr  Studium 
ernsthaft  betreiben  wollten  und  von  dem  banalen  Opernstil  angewidert  waren,  stromte  ihm  zu. 

Der  erste  seiner  Junger  war  Henri  Duparc  (geboren  1848),  den  in  der  Bliite  der  Jahre 
eine  grausame  Nervenkrankheit  zum  Schweigen  verurteilte.  Seine  Liedersammlung,  die  sich 
mit  Recht  der  Beliebtheit  erfreut,  enthalt  unbestreitbare  Meisterziige.  Es  sind  absolute  Kunst- 
werke:  ein  reiches,  tiefes  Empfinden  spricht  sich  darin  in  ebenmafiiger  Form  aus.  Man  weiB 
nicht,  was  man  mehr  bewundern  soil :  die  klare,  einfache  und  riihrende  Linie  der  Melodik  oder 
die  feine  Harmonie,  in  der  sich  stellenweise  schon  die  impressionistische  Schule  ankiindigt. 

Ernest  Chausson  (1855 — 1899),  eine  traumerische  Dichternatur.  Von  Franck  und  Wag 
ner,  von  denen  er  ausgegangen  war,  suchte  er  sich  allmahlich  zu  emanzipieren  und  verwendete 
freiere  Formen,  als  ein  unerwarteterTod  ihn  ereilte.  Mehrere  seiner  Lieder  sind  formvollendet, 
und  in  seinem  Klavierquartett  und  seinem  Konzert  fiir  6  Instrumente  gibt  es  Stellen,  die  ihn 
zu  einem  hervorragenden  Musiker  stempeln.  Wahrend  seiner  letzten  Lebenszeit  tastete  er  sich , 
miihsam  an  ein  Ideal  heran,  demjenigen  recht  naheliegend,  das  Claude  Debussy  auf  den  ersten 
Griff  von  einer  ganz  anderen  Richtung  aus  erreichte. 

Vincent  d'Indy,  geboren  in  Paris  am  27.  Marz  1851,  bietet  den  grofiten  Kontrast  zu 
Chausson.  Mit  Eigenwillen,  Energie  und  Sicherheit  Jm  Verfolg  des  einzuschlagenden  Weges, 
wie  sie  seinem  Mitschiiler  mangelten,  macht  Vincent  d'Indy  in  seiner  musikalischen  Laufbahn 
den  Eindruck  einer  Personlichkeit,  die  sich  von  Anfang  an  ihrer  Bestimmung  bewufit  ist.  Als  er 
das  Conservatoire  in  Paris  glanzend  bestanden  hatte,  wurde  er  durch  Duparc  mit  Cesar  Franck 
bekannt.  Unter  der  Leitung  dieses  Meisters  erneute  er  seine  Studien  und-blieb  sein  treuester 
Anhanger.  Er  war  sehr  produktiv:  4  grofie  lyrische  Dramen:  Le  Chant  de  la  Cloche,  Fer- 
vaal,  1'Etranger,  La  Legende  de  St.  Christophe ;  3  Symphonien,  ferner  symphonische  Dichtungen, 
Kammermusik,  Klavierwerke  usw.  Vincent  d'Indy  ist  einer  der  volkstumlichsten  Namen  der 
franzosischen  Schule.  Er  ist  Meister  im  Aufbau,  in  die  zartesten  Geheimnisse  der  klanglichen 
Architektur  eingeweiht.  Seine  Arbeit  ist  logisch,  geordnet,  in  der  Zeichnung  wie  ein  Garten 
nach  franzosischem  Geschmack.  Klarheit  geht  ihm  iiber  alles.  Seine  Werke  sind  in  Licht  ge- 
badet.  Trotz  seiner  tief  religiosen  Natur  schrieb  Vincent  d'Indy  wenig  far  die  Kirche;  doch 
sind  seine  dramatischen  Kompositionen  von  reinster  christlicher  Mystik  getrankt.  Es  ist,  als 
wollte  er  in  seinen  Werken  den  Schopfer  preisen,  denn  wenige  franzosische  Musiker  haben 
solche  Naturliebe  wie  er.  In  lyrischen  Naturschilderungen  zeichnet  er  sich  besonders  aus:  in 
,,Fervaar  zeigt  er  uns  den  in  Nebel  getauchten  Druidenwald,  in  ,,1'Etranger"  erweckt  er  die 
Vision  vom  Aufleuchten  des  Smaragdscheines  in  den  Furchen  der  Meereswogen.  Vincent 
d'Indy  griindete  1896  mit  Charles  Bordes  die  ,,Schola  Can  to  rum",  in  der  er  zahlreiche  Mu~ 
siker  in  der  Kompositionslehre  unterrichtete.  Er  iibte  seinen  Einflufi  auf  Kiinstler  hohen 
Ranges  aus,  besonders  auf  Alberic  Magnard,  der  mehrere  Jahre  unter  seiner  Leitung  arbeitete. 

Alberic  Magnard  (1865—1914)  gehort  zu  den  sonderbarsten  Erscheinungen  in  der  fran 
zosischen  Musik.  Er  lebte  zuriickgezogen  und  unabhangig,  liefi  seine  Werke  auf  eigene  Kosten 
drucken  und  verkaufte  sie  nur  auf  spezielles  Verlangen.  Er  bezwang  das  Ungestlim,  die  Heftig- 
keit  seines  Temperamentes  und  unterordnete  sich  den  strengen  Gesetzen  der  klassischen  Kom- 


1060  Modeme:  Franzosen 


positionslehre.  Neben  Langen,  die  oft  langweilig  wirken,  f  indet  man  in  seinen  Werken  Stellen 
von  einer  Schonheit,  einem  edeln  Stolze,  fast  eines  Beethoven  wiirdig,  besonders  im  Trio,  im 
Quintett  fur  Blasinstrumente,  in  der  Violinsonate.  Seine  Oper  ,,Berenice"  ist  ein  ergreifendes 
Werk;  leider  ist  die  Orchestration  schwerfallig  und  ungeschickt. 

An  die  Schule  von  Franck  und  d'Indy  schlieBen  sich:  Deo  da  t  de  Severac  (1873 — 1921), 
ein  ausgezeichneter  provenzalischer  Musiker  voll  Begeisterung  und  Poesie,  dessen  Klavier- 
werke  unter  denen  der  franzosischen  Moderne  in  Konzertproduktionen  die  meistgespielten 
sind;  GuyRopartz,  der  zahlreiche  symphonische  Werke  und  ein  prachtvolles  Trio  verfaBte; 
Witkowski,  ein  tiichtiger  und  origineller  Musiker,  dessen  kiihner  Kontrapunkt  ofter  dem 
Stile  Honeggers  als  dem  Francks  naher  steht:  von  ihm  Jst  das  ,,Poeme  de  la  Maison",  ein 
grofies  weltliches  Oratorium  von  unleugbarer  Grofie;  Pierre  de  Breville,  dessen  ,,Melodies" 
und  die  ,, Violinsonate"  verdienten  Erfolg  ernteten;  Mariotte,  Jean  Cras,  dessen  Oper 
,,Polypheme"  von  Talent  und  lyrischer  Kraft  Zeugnis  gibt;  Paul  Le  Flem,  dessen  eigen- 
artiges  lyrisches  Drama  ,,Aucassin  et  Nicolette"  seinen  musikalischen  Feinsinn  und  seinen 
melodischen  Einfallsreichtum  bezeugt;  Samazeuilh  und  auch  noch  andere,  durchweg 
tuchtige  Musiker. 

Andererseits  schlieBt  sich  an  Cesar  Francks  Schule  Gabriel  Pi  erne,  der  sein  Schiller  in 
der  Orgelklasse  am  Conservatoire  war.  Dieser  ebenso  zartbesaitete,  wie  geistreiche  Musiker 
hat  ein  Oratorium  ,,La  Croisade  des  Enfants"  geschrieben,  in  seiner  Art  ein  Meisterstiick;  und 
ein  sehr  schones  Klaviertrio.  AuBerdem  komponierte  er  zahlreiche  symphonische  Werke, 
Kammermusik,  Lieder  usw. 

Ein  anderer  Schiller  Francks,  Charles  Bordes,  hinterlieB  entziickende,  taufrische  Melo- 
dien  und  eine  Orchestersuite  iiber  baskische  volkstiimliche  Themen.  Er  war  ein  bedeutender 
Musiker  und  sein  Name  bleibt  unloslich  mit  der  franzosischen  Renaissance  auf  musikgeschicht- 
lichem  Gebiete  verbunden.  Als  Griinder  der  ,,Chanteurs  de  Saint-Gervais"  liefi  er  die  Haupt- 
werke  der  Komponisten  der  franzosischen  Renaissance  auffiihren,  wodurch  er  kraftig  dazu  bei- 
trug,  das  Interesse  des  Publikums  fur  die  Musik  der  Vergangenheit  wiederzubeleben. 

Diese  Gruppe  symphonischer  Komponisten  hat  sich  in  Anlehnung  an  die  debussystische 
Bewegung  weiter  entwickelt.  Sie  hat  ihren  Einflufi  auf  unabhangige  Kiinstler,  wie  Albert  Rous- 
sel,  geiibt,  und  gerade  auf  ihn  berufen  sich  die  jungen  Musiker,  die  vorgeben,  gegen  den  musi 
kalischen  Impressionismus  zu  reagieren,  wie  Arthur  Honegger,  Darius  Milhaud  usw.  Im  histo- 
rischen  Sinne  diirfte  ihre  Rolle  darin  bestanden  haben,  die  von  den  Kiinstlern  der  Schule 
Faure  und  Debussy  verlassene  Praxis  des  kontrapunktischen  Stiles  (die  junge  Schule  hat  ihn 
jetzt  wieder  aufgenommen)  zu  erhalten,  die  Pflege  der  Formen  und  der  soliden  Architektur 
fortzufiihren  und  dem  grofien  Publikum  die  Liebe  zur  symphonischen  Musik  einzupflanzen. 

DRAMATISCHE  MUSIK.  Parallel  zu  der  durch  C.  Franck  eingeschlagenen  Richtung  kann 
eine  andere  beobachtet  werden,  die,  von  Berlioz  ausgehend,  iiber  Gounod  sich  an  Bizet, 
Edouard  Lalo,  Chabrier  und  Saint-Saens  anschliefit.  Die  orchestrale  Farbung,  die  Melodie,  die 
ausdrucksvolle,  schillernde  Harmonisierung  sind  wesentliche  Kennzeichen  dieser  echt  fran 
zosischen  Musik.  Frei  von  allem  Religiosen  und  Geheimnisvollen,  ganz  Lebensfreude,  Licht, 
Schonheit.  Georges  Bizet  (s.  S.  899)  gibt  uns  in  seiner  ,,Arlesienne"  und  in  ,,Carmen" 
ein  wunderbares  Beispiel  fur  die  ,,MitteImeermusik",  wie  Nietzsche  sie  nennt.  Es  ist  das  ver- 


Moderne:  Franzosen  1061 


korperte  Leben.  Keiner  wufite  wie  er  die  Wonne  des  Sonnenlandes  zu  weaken  und  das  Leben 
der  Massen  im  leuchtenden  StraBenstaube  zu  schildern.  Bizet  ist  ein  wahrer  volkstiimlicher 
Musiker,  und  ,,Carmen"  bleibt  das  Kunstwerk  typisch  franzosischer  Art,  das  mit  Monsignys 
,,Le  Deserteur"  und  Gretrys  ,,Richard  Coeur  de  Lion**  begonnen  hatte.  Edouard  Lalo  (1823 
bis  1892)  verdankt  das  wunderbare,  in  der  Koloristik  blendende  Orchester  der  Kunst  von 
Berlioz,  wahrend  der  feingebildete,  seltene  Sinn  fur  Harmonie  sein  Ureigenstes  ist.  Lalo,  als 
Komponist  von  ,,Le  Roi  d'Ys"  und  ,,Fiesque44,  war  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  ein 
wahrer  Vorbote.  Die  Partitur  des  Ballettes  ,,Namouna"  mit  ihren  auserlesenen  harmonischen 
und  orchestralenEJnf alien  iibte  den  starksten  EinfluB  auf  die  Entwicklung  von  Debussy,  Dukas, 
ja  sogar  von  Vincent  d'Indy.  Erwar  einer  der  ersten  dieser  Generation,  der,  urn  mitGoncourt 
zusprechen,  die  ,,artistische"  Schreibweise  (style  artiste)  anwendete,  indem  er  seinen  Stil  feilte 
und  sich  bestrebte,  auch  aus  der  geringsten  Auf einanderf olge  von  Akkorden ,  der  leisesten  Andeu- 
tung  einer  Begleitung  dem  Ohr  eine  Freude  und  dem  Geiste  eine  Uberraschung  zu  bereiten. 
Leo  Delibes  (1836 — 1891)  folgte  in  seinen  entziickenden  Balletten  und  komischen  Opern 
denselben  Leitlinien,  welche  auch  die  von  Chabrier  und  Faure  waren,  aber  bei  diesen  letzteren 
haben  die  stilistischen  Einfalle  immer  etwas  Spontaneres  und  minder  Gekiinsteltes.  Man  merkt 
bei  ihnen  weniger  die  Anstrengung.  Diese  sorgfaltige  Beobachtung  des  Stiles,  die  zu  dieser 
Zeit  bei  den  Literaten  so  eingreifend  auftritt,  macht  sich  bei  Saint  -  Saens  stark  bemerkbar. 
Ja,  er  stellt  sie  sogar  iiber  alles  andere.  Was  liegt  Jhm  am  Inhalt!  Die  Form  allein  ist  das 
Bestimmende.  Er  erreichte  einen  wunderbar  abgeklarten  Stil.  Doch  vermifit  man  bisweilen 
Gemiitsregung.  Seine  klare,  prazise,  korrekte,  kraftige  Ausdrucksweise  erinnert  an  die 
von  Rameau  und  Voltaire,  sein  Klangaufbau  bezeugt  die  sichere  Geschmacksrichtung  und 
eine  ihm  innewohnende  Eleganz.  Dieser  gelehrte  Musiker,  der  sich  der  musikalischen  Welt- 
kultur  assimilierte,  war  nie  pedantisch,  und  sein  EinfluB -auf  die  folgende  Generation  war  grofier, 
als  man  es  zu  glauben  versucht  ware.  Der  Historiker  wird  eines  Tages  die  Linie  erkennen,  die 
von  Saint-Saens  iiber  Gabriel  Faure  zu  Maurice  Ravel  fiihrt.  Mit  der  gleichen  Meisterschaft 
versuchte  er  sich  in  alien  Gattungen,  und  das  Trio  in  F-Dur  (1865),  die  C-Moll-Symphonie, 
,,Phaeton",  ,,Samson  et  Dalila"  sind,  jedes  in  seiner  Art,  vollendete  Kunstwerke, 

DIE  SCHULE  DES  THEATRE  LYRIQUE.  Gounod,  Bizet  und  Saint-Saens  iibten  machtig 
ihren  EinfluB  auf  die  franzosische  Schule  des  lyrischen  Dramas  aus.  Es  ist  zu  bemerken,  daB 
die  bedeutendsten  Werke,  welche  nach  ihnen  fiir  das  Theater  geschrieben  wurden,  von  Mu~ 
sikern  wie  Debussy  oder  Dukas  stammen,  deren  eigentliches  Fach  nicht  die  dramatische  Musik 
war.  Die  Nachwelt  wird  wohl  nicht  lange  den  Namen  Ernest  Reyer  bewahren,  der  etwas 
derb  seine  Opern  mittels  ziemlich  aus  alien  Winkeln  zusammengeklaubter  Stoffe  verfertigte. 
In  ,,Sigurd",  in  ,,Salammbo"  erkennt  man  die  entgegengesetztesten Einfliisse :  Meyerbeer,  Wag 
ner,  Gounod,  Verdi.  Jules  E.F.Massenet  (1842 — 1912)  war  trotz  seiner  ernsten Fehler  ein 
Rassemusiker,  der  ohne  Anstrengung  geschmeidige,  sinnberauschende  und  einschmeichelnde 
Melodien  schuf ,  die  seinen  Stempel  tragen.  Man  f indet  seinen  Einflufi  bei  den  meisten  Biihnen- 
komponisten  von  heute,  in  Frankreich,  in  Italien  und  anderswo . . .  ,,Manon"  (1884),  ,,Werther  ' 
(1893)  sind  in  ihrer  Art  vollkommen  gelungene  Werke  und  wenngleich  oft  das  Geftihl,  das  sie 
bewegt,  der  Vornehmheit  entbehrt,  wenngleich  der  melodische  Strom  uberaus  leicht  ist,  die  Sucht 
nach  Eff ekt  allzu  deutlich  und  das  Orchester  den  Glanz  entbehrt  —  so  darf  diesem  Musiker  nicht 


1052  Moderne:  Franzosen 


der  dramatische  Sinn  abgesprochen  werden,  die  wahrhafte  Befahigung,  eine  Szene  zu  kom- 
ponieren  und  eine  Macht  hinzureifien,  die  mehr  sinnlich  als  intellektuell  ist,  die  aber  auf  die 
Menge  unwiderstehlich  wirkt.  Alfred  Bruneau,  geboren  1857,  arbeitete  einige  Jahre  mit 
Massenet,  dem  er  sich  anschlofi,  obwohl  seine  Kunst  oft  zur  entgegengesetzten  Richtung  neigt. 
Seine  Eigenbegabung  offenbarte  sich  1891  in  einem  Kunstwerk  ,,Le  Reve",  liber  ein  Libretto 
von  Gallet  nach  E.  Zola.  Die  Kiihnheit  des  harmonischen  Gefiihles,  die  wertvollen  Melodien 
und  Eingebungen  berechtigten  zum  Glauben,  ein  grofier  Biihnenkomponist  sei  erstanden ;  leider 
entsprachen  seine  spateren  Produktionen  nicht  diesen  Hoffnungen.  In  ,,Messidor"  sowie  in 
,,1'Attaque  du  moulin"  finden  sich  riihrende  und  auch  machtige  Stellen  mit  grofiziigiger,  volks- 
tumlicher  Inspiration;  leider  auch  viel  Schwache,  atemlose  und  mittelmafiige  Lyrik  und,  be- 
sonders  in  diesen  letzteren  Kompositionen,  eine  grofie  Diirftigkeit  in  orchestraler  Behandlung. 
Gustave  Charpentier  (geb.  1860)  kommt  unmittelbar  von  Massenet  und  Bruneau.  Dieser 
begabte  Eklektiker  hat  sehr  wenig  geschaffen.  ,,Louise"  hat  1900  in  Frankreich  sowie  auf  der 
ganzen  Welt  Triumphe  gefeiert,  weniger  wegen  des  musikalischen  Wertes  der  Partitur,  als  viel- 
mehr  dank  dem  trivial  riihrseligen  Libretto  (vom  Komponisten  selbst  gedichtet),  das  so  recht 
danach  angetan  ist,  die  Menge  zu  gewinnen.  Charpentier  hat  Sinn  fiir  das  Orchester  und  Ver- 
standnis  fur  Biihneneffekte.  Schade,  dafi  er  diese  Qualitaten  vergeudete,  indem  er  sie  in  den 
Dienst  eines  Boheme-Idoles  von  widriger  Niedrigkeit  stellte.  Gar  keinenErfolg  hatte  1913  die 
Oper  ,,Julien",  eine  Fortsetzung  von  ,,Louise",  in  welche  Charpentier  mit  gewohnter  Lassig- 
keit  betrachtliche  Fragmente  einer  Jugendkantate,  ,,La  Vie  du  Poete",  eingeschoben  hatte. 
Den  Einflufi  Massenets  mehr  oder  weniger  in  {Combination  mit  dem  von  Saint-Saens  findet 
man  wiederbeiXavierLeroux,ReynaldoHahn,  Henri  Fevrier,  Max  d'Ollone,  Samuel 
Rousseau,  Laparra,  Camille  Erlanger.  Die  Musik  von  Georges  Hue,  Verfasser  des 
,,Miracle",  ist  wohl  armlich,  aber  vornehm  in  der  Intention.  Der  Zauber  der  debussystischen 
Kunst  ist  nicht  spurlos  an  ihm  voriibergegangen.  Seine  Orchestration  ist  von  strahlender  Klarheit. 
Von  Henri  Rabaud,  Gabriel  Dupont  und  Alfred  Bachelet  sollte  in  logischer  Folge  erst 
nach  Faure  und  Debussy  gesprochen  werden,  von  denen  sie  mehr  oder  weniger  beeinflufit  waren. 
Aber  wir  wollen  mit  der  Theaterschule  abschliefien.  Henri  Rabaud,  gegenwartig  Direktor 
des  Conservatoire  de  Paris,  ist  ein  Eklektiker,  aber  ein  aristokratisch  vornehmer  Musiker.  Sein 
etwas  akademischer  Stil  ist  von  bemerkenswerter  Lauterkeit.  In  mehreren  wertvollen  sym- 
phonischen  Werken  zeigt  er  sich  geschickt  im  Orchestrieren.  Aber  seine  eigentliche  Begabung 
zeigt  er  als  Buhnenkomponist  in  seinem  ,,Marouf",  worm  er  die  Tradition  der  spezifisch  fran- 
zosisch-musikalischen  Komik,  des  Geistreichen  und  Raffinierten  der  Kunst  von  Auber  und 
Herold  wieder  aufiiimmt.  Diese  reizende,  sonnige  Partitur  hatte  das  Gliick,  von  alien  gut  auf- 
genommen  zu  werden.  Alfred  Bachelet  hat  fast  nur  furs  Theater  geschrieben.  Er  ist  unter 
den  jetzt  lebenden  franzosischen  Musikern  zweifellos  der  dramatisch  begabteste.  Aus  seinen 
Partituren  ,,Scemo",  ,,Quand  la  Cloche  sonnera"  spricht  eine  unwiderstehliche  Macht,  die 
packt  und  mitreifit,  ohne  dem  Geist  Zeit  zu  lassen,  liber  die  angewandten  Mittel  nachzudenken. 
Der  Stil  ist  (besonders  in  den  dramatischen  Szenen)  recht  personlich.  Gabriel  Dupont, 
der  friihzeitig  starb,  hinterlieB  3  Opern :  „ La  Cabrera",  „ La  Glu"  und,,Antar".  Anfangs  von 
dem  italienischen  Verismus  stark  beeinflufit,  machte  er  sich  allmahlich  davon  los  und  schrieb 
,,Antar",  ein  wirklich  eingangiges  Werk  von  unleugbarer  Meisterschaft,  das  erst  nach  seinem 
Tode  aufgefuhrt  wurde.  Die  reich  quellende  Melodic  ist  nie  gewohnlich,  die  orchestrale 


Moderne:  Franzosen  1063 


Farbungoftblendend.  SylvioLazzariistein  aufrichtiger,  gewissenhafter  Kiinstler,  der  seine 
Kunsttechnik  vortreffiich  versteht.  Man  findet  an  seinen,  in  der  Form  oft  vollkommenen 
Werken  nichts  Tadelnswertes,  es  sei  denn  ein  Mangel  an  Leben  und  dramatischer  Kraft, 
durch  den  sie  trotz  der  unleugbaren  Qualitaten  ihre  Anziehung  einbiifien.  Bevor  wir  uns  von 
den  Theatermusikern  wenden,  miissen  wir  doch  die  Namen  von  Operettenkomponisten  mit 
reizenden  Eigenschaften  wenigstens  anfiihren,  wie  Andre  Messager,  Claude  Terrasse, 
wiirdige  Nachfolger  eines  Lecocq.  Diese  Musiker  haben  nicht  Offenbachs  unwiderstehliche 
Heiterkeit,  immerhin  ist  ihr  Geist  verfeinert  und  Jhre  Partituren  sind  voll  zarter  Gesinnung. 

DIE  VORLAUFER  DES  IMPRESSIONISMS :  Faure,  Chabrier,  Satie.  Gabriel  Faure,  in 
Pamiers  (Ariege)  am  13.  Mai  1 845  geboren,  gest.  1 924,  studierte  in  Paris  in  der  von  Niedermeyer 
gegriindeten  Ecole  de  Musique  Religieuse.  Zu  einer  Zeit,  da  die  klassische  Musik  vernachlassigt 
wurde,  bildete  er  sich  an  den  Werken  J.  S.  Bachs  und  an  den  Meistern  der  Polyphonie  der 
Renaissance.  Saint-Saens,  damals  ein  junger  Lehrer  an  dieser  Schule,  war  ihm  ein  wertvoller 
Fiihrer,  mit  dem  er  sich  in  die  Musik  der  Vergangenheit  und  der  Gegenwart  einlebte.  Faure, 
im  Dienste  der  klassischen  Formen  erzogen,  fafite  diese  nie  als  unantastbare  Gebilde  auf  und 
pafite  sie  miihelos  den  Bediirfnissen  seines  Empfindungslebens  an,  indem  er  sie  mit  der  Grazie 
seines  originellen  und  personlichen  Stils  zu  erneuern  suchte.  Wahrend  mehr  als  eines  halben 
Jahrhunderts,  von  1865  bis  zur  Jetztzeit,  schuf  er  ununterbrochen  Werke,  die  in  der  Gesamt- 
heit  fur  Frankreich  einen  Schatz  ergeben,  etwa  vergleichbar  den  Werken  Schumanns  fur 
Deutschland.  Er  studierte  alle  Gebiete,  widmete  sich  aber  besonders  dem  Lied  und  der 
Kammermusik.  Die  2  Violinsonaten,  die  2  Quartette  und  das  wunderbare  zweite  Quintett(I921), 
die  zahlreichen  Melodiensammlungen  und  erst  vor  kurzem  (1922)  ,,rHorizon  Chimerique" 
bezeugen  die  Fruchtbarkeit  eines  Talentes,  das  bis  zu  seinem  Tode  seine  verfuhrende  Jugend- 
kraft  bewahrte.  Die  feine  Originalitat  seiner  Kunst  tritt  schon  in  seinen  ersten  Kompo- 
sitionen  (,,Le  Secret"  oder  ,,Le  Clair  de  Lune",  1887)  zutage.  Man  findet  darin  jenen  wunder- 
baren  Einklang  zwischen  Melodie  und  Harmonie,  der  Faure  eigen  ist,  wobei  man  iiberdies 
gleich  anfangs  den  Ausgangspunkt  in  gewissen  gelungenen  Liedern  von  Gounod  (z.  B.  ,,Venise") 
bemerken  kann.  In  bezug  auf  ,,Le  Secret"  schreibt  Ravel:  ,,Der  Zauber  der  melodischen 
Linien  weicht  nicht  vor  der  Zartheit  der  Harmonien  zuriick.  AuBergewohnliche  Wendungen, 
Zweideutigkeiten,  Modulationen  mit  entfernten  Tonarten,  die  auf  unbekannten  Pfaden  zum 
Hauptton  zuriickfiihren  —  lauter  gefahrliche  Spiele,  die  Faure  von  Anfang  an  als  Meister 
beherrscht."  All  diese  Kiinste  sind  nie  gesuchte  Kunstgriffe;  sie  entsprechen  einern  tiefen 
Bediirfnis  seiner  Natur  und  seiner  Eingebung.  Die  ganze  Musik  Faures  ist  voll  aufrichtiger 
Empfindung,  unendlichen  Zartsinnes.  Seine  Lyrik  bleibt  immer  aristokratisch  zuriickhaltend, 
er  bricht  nicht  in  Tranen,  in  Geschrei  aus,  er  beobachtet  Ma6  und  Diskretion,  und  vielleicht 
war  seine  Zuriickhaltung  der  Grund,  warum  er  auBerhalb  Frankreichs  nicht  allerorten  recht 
verstanden  wurde.  Faures  Kunst  Jst  wie  die  von  Debussy  grundfranzosisch  und  in  der  Ver 
gangenheit  mit  der  Art  des  Racine  verwandt.  Besonders  auffallend  erscheint  dies  in  den  Kla- 
vierstiicken,  die  so  sehr  dazu  beitrugen,  die  franzosische  harmonische  Empfindsamkeit  auf- 
zufrischen ;  in  ihnen  zeigt  sich  eine  entschiedene  Wendung  zur  pianistischen  Schreibweise  von 
Ravel  und  Debussy.  Faure  schrieb  sehr  wenig  for  Orchester,  aber  die  2  Suiten  ,,Shylock" 
(1889),  ,,Pelleas  et  Melisande"  (1898),  sowie  die  Fantasie  fur  Klavier  und  Orchester  sprechen 


1064  Moderne:  Franzosen 


far  seinen  feinen  mstrumentalen  Sinn.  Doch  besteht  der  Wert  dieser  Werke  mehr  in  der 
Schonheit  der  melodischen  Linien,  in  dem  Zauber  der  Harmonien  und  der  Mannigfaltigkeit 
der  Rhythmen,  als  in  der  orchestralen  Behandlung.  Wunderbar  ist  Faures  Kunst  der  Stimm- 
fahrung:  in  der  ,,Messe  de  Requiem",  welche  den  Stempel  seines  pantheistischen  Gefiihles 
tragt,  erweist  sich  seine  Meisterschaft  in  der  Handhabung  der  Chormassen;  nicht  minder  in 
,,Caligula'\  ,,Promethee"  und  ,,Penelope".  Die  Btihnenmusik  zu  ,,Promethee'4  enthalt  Stellen 
von  Kraft  und  Grofie,  wie  man  sie  nicht  von  einem  Komponisten  so  zahlreicher  Werke  er- 
wartet  hatte,  in  denen  die  Kraft  gern  vor  der  Anmut  zuriickweicht.  Das  lyrische  Drama 
,,PeneIope"  ist  eines  der  franzosischen  Hauptwerke  des  Theaters  von  heute.  Die  attische 
Schonheit  der  melodischen  Linie,  die  Vollkraft  der  Rhythrnen  und  besonders  der  Emdruck 
strahlender  Lauterkeit,  die  davon  ausgehen,  stempeln  diese  Oper  unstreitbar  zu  einem  wahren 
Kunstwerk.  Faure  war  ein  rechter  Vorlaufer  der  impressionistischen  Schule.  In  seinem  Re 
quiem,  in  seinen  Melodien  und  Klavierstiicken,  die  er  um  I860 — 1885  komponierte,  findet 
man  Stellen,  in  denen  sich  eine  ganz  neue  harmonische  Empfindung  offenbart.  Er  bahnte  ge- 
wissermafien  mit  Edouard  Lalo  und  Chabrier  den  Weg  fur  Debussy;  vor  allem  aber  war  er  das 
Haupt  der  Schule,  deren  Einflufi  sich  auf  die  Kiinstler  der  folgenden  Generation  bemerkbar 
macht.  Aus  seiner  Klasse  am  Conservatoire  kamen  Ravel,  Florent  Schmitt,  Ladmirault,  Ro- 
ger-Ducasse,  Louis  Aubert,  Charles  Koechlin,  Georges  Enesco. 

Auch  Chabrier  (1842 — 1894)  besaB,  wie  Edouard  Lalo,  eine  angeborene  Begabung  far 
Orchestrierung  und  einen  seltsamen,  raffinierten  Sinn  fur  Harmonisierung.  Er  hielt  sich  nicht 
an  die  eiserne  Zucht,  die  Saint-Saens  als  Lehrer  angestrebt  hatte;  er  liebte  das  Leben  und 
wollte  es  zum  Ausdruck  bringen.  Dieser  untersetzte  Mann,  derb  im  Benehmen,  larmend,  an- 
scheinend  t,boheme",  hatte  eine  aufierst  empfindsame,  edle  Seele.  Und  dieser  Kontrast  er- 
scheint  in  all  seinen  Kompositionen.  So  stehen  bisweilen  pobelhafte  Themen  neben  engelhaft 
lieblichen  Motiven  und  orchestrale  Brutalitaten  neben  wahrhaft  genialen  harmonischen,  klang- 
lichen  und  rhythmischen  Ideen.  Schade,  dafi  seine  leidenschaftliche  Bewunderung  fur  Wagner 
ihn  von  seiner  eigentlichen  Fahrte  ablenkte.  „  Gwendoline"  (1886)  ist  trotz  schoner  Stellen 
kern  Meisterwerk.  Sein  Bestes  gab  Chabrier  in  seinen  Orchesterstiicken,  seinen  Melodien  und 
in  seinen  ,,Pieces  pittoresques"  fur  Klavier.  An  ihn  schliefit  sich  ein  eigenartiger  Musiker :  Erik 
Satie  (1866— 1925).  Um  einige  Jahre  alter  als  Debussy,  hatte  er  Gedankenblitze.  eine  erstaun- 
liche  Erfindungsgabe  und  scharfe  Einsicht  in  die  Evolution  der  Kunst.  Um  das  Jahr  1886,  als 
Chabrier  sich  eben  nachBayreuth  begab  und  sogar  Debussy  dem  Zauber  des  ,,Parsifar  unter- 
lag,  fand  Satie,  daB  die  Romantik  im  Untergehen  begriffen,  das  Leitmotiv  ein  veraltetes  System 
sei  und  komponierte  mit  einem  Gemisch  von  erstaunlichen  harmonischen  Neuerungen  und 
nicht  minder  erstaunlicher  Unbeholfenheit  die  Biihnenmusik  iiber  ein  Stuck  von  Peladan, 
,,Le  Fils  des  Etoiles",  in  dem  er  sich  bemiihte,  auf  musikalischem  Wege  Seelenzustande  und 
sozusagen  Klangornamente  zu  schaffen.  Uber  Lalo,  Chabrier  und  Faure  hinausgehend,  war 
er  der  erste,  der  die  Wirkung  der  Zusammenstellungen  von  Tonen  versuchte,  die  sich  nach 
den  althergebrachten  Gesetzen  nicht  erklaren  lassen,  die  aber  seither  gefliigelte  Worte  in  der 
Musiksprache  geworden  sind.  Debussys  Ruhm  warf  ihn  in  den  Schatten  zuruck.  Satie  gab 
die  harmonischen  Versuche  auf,  studierte  unter  d'Indys  Leitung  den  Kontrapunkt  und  schrieb 
reizende  humoristische  Stiicke  in  einem  zerpfliickten,  originellen  Stil.  In  den  letzten  Jahren 
liefi  er  ein  eigenartiges,  ungleichmafiiges  Werfc,  ,,Socrate",  auffuhren,  in  welchem  sich  aber 


Modeme:  Franzosen  1065 


wahrhaft  geniale  Stellen  finden.  Es  sind  Fragmente  der  Platon-Dialoge,  die  er  mit  Begleitung 
eines  kleinen  Orchesters,  aus  mehr  Bias-  als  Streichinstrumenten  bestehend,  vertonte.  Satie 
hat  darin  eine  neuartige  lyrische  Deklamation  mit  seltsam  archaistischer  Steifheit  erfunden, 
wahrend  die  Begleitung  mit  ihren  Jmmerwahrenden  Wiederholungen  den  Eindruck  jener  ein- 
fachen  Farben  erweckt,  mit  denen  man  in  Griechenland  den  Unterschied  der  Friese  und 
Metopen  deutlicher  machte.  Unvollkommen  und  originell  hat  er,  wenngleich  nicht 
mittels  seiner  Musik,  so  doch  durch  seine  Absichten,  Einflufi  auf  die  impressionistische 
wie  auf  die  junge  Schule  ausgeiibt,  die  sich  bemiiht,  gegen  den  Debussysmus  zu  reagieren. 

CLAUDE  DEBUSSY.  Wahrend  eines  Vierteljahrhunderts  beherrscht  die  Personlichkeit  De- 
bussys  die  Musikwelt  in  Frankreich  und  wohl  auch  anderwarts.  Dieser  aufierordentlich  be~ 
gabte  Musiker  hat  alles  erneut:  die  symphonische  Musik,  das  lyrische  Drama,  das  Lied,  die 
Kammer-  und  KlaviermusiL  Man  kann  ein  anderes  Ideal  haben,  als  das  seinige  —  aber  die 
aufiergewohnliche  Originalitat  dieses  grofien  Kiinstlers  lafit  sich  nicht  leugnen.  In  seiner  An- 
lage  liegt,  wie  in  der  von  Berlioz,  etwas  Ratselhaftes.  Intuitiv  vor  allem,  lafit  er  sich  mehr  vom 
Instinkt  als  vom  Verstande  leiten  und  fordert  herrliche  Klangwirkungen  zutage,  ohne  sich 
jmmer  iiber  die  dabei  angewendeten  technischen  Mittel  genaue  Rechenschaft  abzulegen. 

Debussy  wurde  am  22.  August  1862  in  St.  Germain  en  Laye  bei  Paris  geboren.  Er  stammt 
aus  einer  ganz  musikfremden  Familie.  Sehr  friih  machte  sich  seine  Begabung  bemerkbar,  und 
mit  1 1  Jahren  schickten  ihn  seine  Eltern  ans  Konservatorium.  Da  erwarb  er  sich  einige  Preise 
im  Klavierspiel  und  Akkompagnement,  und  bekam  fur  seine  Kantate  ,,1'Enfant  Prodigue"  1884 
den  Rompreis  in  der  Kompositionsklasse  Guiraud.  In  dem  Schatten  der  Villa  Medicis  be- 
gann  er  iiber  seine  Kunst  nachzudenken  und  gab  sich  alle  Miihe,  die  handwerksmafiige  Routine, 
die  er  sich  angeeignet  hatte,  zu  vergessen,  um  neue  Wege  mit  neuen  Normen  einzuschlagen, 
die  seiner  empfindsamen  Natur  entsprachen.  In  seinen  ersten  Kompositionen  machten  sich 
die  Einfliisse  geltend,  die  Massenet,  Wagner  und  etwas  spater  Moussorgsky,  Lalo  und  Chabrier 
auf  ihn  ausiibten.  Als  er  seine  Orchestersuite  ,,Prmtemps'*  aus  Rom  sandte,  entstand  wegen 
seiner  harmonischen  Kiihnheiten  ein  wahrer  Aufruhr  im  Institut. 

Nach  Paris  zuriickgekehrt,  machte  er  sich  mit  sicherem  Instinkte  die  literarische  Kultur, 
die  ihm  gefehlt  hatte,  zu  eigen.  Die  Symbolistengruppe  zog  ihn  an,  und  er  verkehrte  im  Hause 
von  Mallarme.  Selbstverstandlich  machten  die  Diskussionen  iiber  Symbolik,  Impressionismus 
in  der  Kunst  einen  tiefen  Eindruck  auf  ihn.  Aber  viel  weitblickender  als  Mallarme,  der  im 
Wagnerkult  steckenblieb,  war  sich  Debussy,  wie  Erik  Satie,  klar  dariiber,  dafi  der  Musik 
eine  Umwalzung  bevorstiinde,  parallel  derjenigen  in  Literatur  und  bildender  Kunst:  es  gait, 
die  romantische  Rhetorik  zu  verwerfen  und  Wege  zu  finden,  um  unmittelbar  Eindriicke  und 
Gefiihle  zu  suggerieren.  All  diese  innere  Verarbeitung  vollzog  sich  gleichsam  dammernd,  ohne 
dafi  sich  Debussy  dariiber  vollig  bewufit  ward.  Wahrend  er  seine  bezaubernden  ,,Ariettes 
oubliees"  nach  Verlaine-Gedichten  komponierte,  rang  sich  langsam  die  Vertonung  der  ,,Cinq 
poemes"  von  Baudelaire  empor. 

1892  liefi  Debussy  das  ,,Prelude  &  1'apres-midi  d'un  faune"  auffiihren,  eine  von  dem  Hirten- 
gedicht  Mallarmes  inspirierte  symphonische  Dichtung.  In  seiner  Art  war  dieses  Werk  so  neu- 
artig  und  von  solchen  Folgen  begleitet,  wie  etwa  1829  Berlioz'  ,,Symphonie  fantastique  , 
nicht  blofi  durch  die  Erschliefiung  einer  bisher  fremden  Art  des  Aufbaues  —  es  entstromte 


1066  Moderne:  Franzosen 


auch  dem   harmonischen   Stil,  der  Instrumentation,  den  Rhythmen,  kurz  allem  ein  unge- 
kannter  Duft. 

Von  da  an  folgte  ein  Kunstwerk  dem  andern:  1893  das  wunderschone  Quartett  in  so  neuer 
Schreibweise  und  dock  vollendet  in  der  Linienftihrung  und  Inspiration;  1894  die  ,, Proses 
lyriques' \deren  eigenartigerText  auch  seiner  Feder  entstammt;  1898  die  „  Chansons  deBJlitis" 
und  fur  Orchester  die  ,,Nocturnes",  impressionist ische  Gemalde,  welche  Empfindungen 
erwecken,  wie  sie  bisher  die  Musik  wiederzugeben  nicht  vermocht  hatte;  1902  fuhrte  die 
Opera  comique  ,,PelIeas  et  Melisande*'  vor  einem  Auditorium  auf,  welches  in  der  Absicht  ge- 
kommen  war,  sich  zu  unterhalten  und  das  unaufhorlich  kicherte  und  Glossen  machte.  Einige 
Jahre  spater  hatte  ,,Pelleas**  einen  fast  volkstiimlichen  Erfolg.  Von  der  veralteten  Oper  und 
dem  lynschen  Wagnerdrama,  wie  Franzosen  es  nachahmten,  sich  abwendend,  kam  Debussy 
instinktiv  auf  die  von  Lully  erweckte  reine  Tradition  des  franzosischen  Musikdramas  zuriick, 
in  dem  der  Gesang  aus  einer  einfach  notierten  Deklamation  besteht,  wahrend  das  Orchester 
um  die  Handlung  eine  Klangatmosphare  webt.  Mit  einem  Schlage  gelang  es  Debussy,  das 
vollkommene  Gleichgewicht  zwischen  Wort  und  Ton  herzustellen.  Mit  Racinischer  Zuriick- 
haltung,  gepaart  mit  einer  geheimen  und  verhaltenen  Kraft  vermag  er  die  schmerzlichsten 
Empfindungen,  die  ein  Menschenherz  zu  zerreifien  imstande  sind,  in  Tone  zu  bringen. 

Trotz  rrehrerer  Versuche  sollte  Debussy  kein  lyrisches  Drama  mehr  schreiben.  Mit  Aus- 
nahme  der  (iibrigens  sehr  bedeutenden  und  einige  seiner  schonsten  Inspirationen  enthaltenden) 
Biihnenmusik,  die  er  fur  das  ,,Martyre  de  St.  Sebastien"  von  d'Annunzio  komponierte,  und 
eines  Balletts  ,Jeux"  far  die  Truppe  von  Diaghilew  schrieb  Debussy  nichts  mehr  f iirs  Theater. 
Er  widmete  sich  dem  Orchester  und  komponierte  hintereinander  ,,La  Mer",  ,,Rondes  de 
Printemps",  ,,Iberia"  und  Kammermusik.  Man  konnte  den  zwei  Praludienheften  vorwerfen, 
dafi  sie  minder  spontane  Werke  enthalten,  als  seine  ersten  Sammlungen.  Tatsachlich  macht 
sich  darin  eine  gewisse  Gesuchtheit  in  Stil  und  Schreibweise  bemerkbar.  Und  doch,  welch 
tiefpoetischer  Hauch  umweht,,La  Cathedrale  engloutie",  ,,Ce  qu'a  vu  le  vent  d'ouest",  ,,La 
terrasse  des  audiences  du  clair  de  lune".  Diese  Kompositionen  erachte  ich  fur  wiirdig,  den 
vollkommensten  und  ergreifendsten  Stiicken  Chopins  zur  Seite  gestellt  zu  werden,  des  Mei- 
sters,  den  Debussy  neben  Mozart  am  meisten  bewunderte. 

Mehrere  Jahre  hindurch  mit  wahrem  Heroismus  gegen  ein  unheilbares  Leiden  kampfend, 
das  an  ihm  nagte,  komponierte  er  Werke  von  iiberraschenderFrische,  wie  die  Senate  fur  Flote, 
Bratsche  und  Harfe  und  die  Violin-  und  Violoncellsonaten.  Er  starb  1918  in  Paris,  das  er 
trotz  des  Bombardements  nicht  hatte  verlassen  wollen. 

Debussy  hat  in  der  Kunst  einen  bemerkenswerten  Umschwung  vollzogen.  Die  geweihten 
Formen  durchbrechend,  suchte  er  sie  durch  neue,  wie  mich  deucht,  nicht  minder  schone,  zu 
ersetzen,  die  sich  besser  dem  Ausdruck  der  fluchtigen  Empfindungen,  der  zarten  Gemiits- 
bewegungen  anpafiten,  die  dieser  Kiinstler  so  gern  ins  Musikalische  iibersetzte.  Er  war  der 
unvergleichliche  Maler  des  Geheimnisvollen,  des  Verschwiegenen,  des  Unwagbaren.  Ihm  ge 
lang  die  Obertragung  von  Eindriicken,  deren  Mitteilung  vor  ihm  wohl  keiner  so  getroffen 
hatte.  Und  wenn  er  Geschrei  und  Oberberedsamkeit  hafit,  wenn  er  seine  Kraft  auch  nie  ins 
Fessellose  schieBen  Ia8t,  so  ist  sie  doch  nicht  minder  echt,  vergleichbar  der  ernes  Racine,  und 
man  muB  in  die  franzosische  Eigenart  und  Eigenbegabung  tief  eindringen,  um  zu  begreifen, 
daB  ebensoviel  Macht  in  ,,Phedre"  wie  in  ,,Macbeth'*  gelegen  sein  kann. 


Moderne:  Franzosen  1067 


PaulDukas  gehort  derselben  Generation  an  wie  Debussy.   Am  1.  Oktober  1865  in  Paris 

geboren,  studierte  er  am  Conservatoire  unter  der  intelligenten  Leitung  von  Guiraud.   Nach- 

dem  er  1888  den  zweiten  Rompreis  bekommen  hatte,  liefi  er  1892  in  den  Konzerten  Lamoureux 

eine  Ouvertiire  zu  der  Corneille-Tragodie  ,,PoIyeucte"  auffiihren,  in  welcher  er  die  Todesangst 

und  den  Triumph  des  Martyriums  zum  Ausdruck  bringt.  Man  findet  darin  Spuren  des  Ein~ 

flusses  Wagners,  der  damals  die  musikallsche  Jugend  Europas  faszinierte.   Dukas  begriff  die 

Gefahr  und  wollte  sick  lieber  den  strengen  Gesetzen  der  klassischen  Formen  unterwerfen. 

1896  komponierte  er  seine  Symphonic  in  C-Dur,  dann  seine  groBziigige  Senate  in  Es-Dur. 

Zu  dieser  Zeit  war  er  schon  im  Vollbesitze  all  seiner  Mittel,  wovon  er  1897  den  Beweis  in 

seinem  glanzenden  symphonischen  Scherzo  liber  die  Goethe-Ballade  ,,Der  Zauberlehrling" 

lieferte.    Hierauf  widmete  er  sich  10  Jahre  lang  seinem  lyrischen  Drama  ,,Ariane  et  Barbe 

Bleue*4,  das  1907  auf  dem  Theater  der  Opera  comique  autgefuhrt  wurde.   Dieses  prachtige 

Werk  ist  mit  ,,Pelleas"  das  Meisterstiick  der  Theatermusik  von  heute.  Dukas'  Art  ist  von  der 

Debussys  sehr  verschieden.  Es  ist  nicht  mehr  das  vollkommene  Gleichgewicht  zwischen  Wort 

und  Ton.   Die  Musik  hat  entschieden  die  Oberhand.  Jeder  Akt  ist  symphonisch  aufgebaut 

wie  ein  groBes  Mozart-Finale.  Dukas  entwickelt  im  Verlaufe  des  Dramas  die  auBerordentlich 

plastisch  schonen  melodischen  Ideen  nach  dem  Variationsverfahren,  das  er  liebt  und  wovon  er 

auch  in  seinen  ,,Variations,  Interlude  et  Final"  (1903)  iiber  ein  Thema  von  Rameau  (fur  Kk- 

vier)  ein  iiberzeugendes  Beispiel  gab.    1911  veroffentlichte  Dukas  die  ,,Peri",  eine  Tanz- 

dichtung,  die  ein  Jahr  darauf  am  Theatre  du  Chatelet  aufgefuhrt  wurde.  Es  ist  kein  Ballett, 

sondern  eine  richtige  symphonische  Dichtung.  Die  Musik  webt  urn  die  mimische  Handlung 

eine  Atmosphare  wolliistiger  Sehnsucht.  Sehr  ergreifend  ist  der  SchluB,  der  die  Verzweiflung 

des  Helden  vor  Nacht  und  Tod,  die  ihn  umdrangen,  ausdriickt.  Aufier  diesen  grofien  Werken 

veroffentlichte  Dukas  wohl  nur  noch  die  reizende  Villanelle  fur  Horn  (1906)  und  ein  sehr 

schones  Klavierstiick;  ,,LaPlainte  au  loin  du  Faune"  fur  ,,Le  Tombeau de  Debussy".  Seit  mehre- 

ren  Jahren  arbeitet  er  an  einem  groBen  symphonischen  Triptychon,  von  Shakespeares  ,.Sturm" 

inspiriert.   Durch  seine  zunehmende  Strenge  in  der  Selbstkritik  entschloB  er  sich  nur  sehr 

schwer  zur  Veroffentlichung  eines  Werkes.    Immer  unzufrieden  mit  seiner  Leistung,  ver- 

offentlicht  er  sie  erst,  sobald  er  die  Oberzeugung  gewonnen  hat,  daB  er  sie  nicht  welter 

vervollkommnen  kann.  Er  schreibt  sehr  viel,  vernichtet  aber  fast  alles,  wie  seinerzeit  der  Maler 

Cezanne  in  den  letzten  Lebensjahren,  von  dem  Wunsche  nach  hochster  Vollkommenheit  be- 

seelt,  in  Verachtung  seiner  schonsten  Schopfungen.  Diese  Gewissenhaftigkeit,  diese  kunstle- 

rische  Ehrlichkeit  erheben  Dukas  zu  einer  der  edelsten  Gestalten  der  heutigen  Kunst.  Er  hat 

nie  offizielle  Ehrenbezeigungen  oder  die  Gunst  der  Menge  gesucht.  Er  lebt  zuruckgezogen, 

von  der  Liebe  einiger  treuen  Freunde  umgeben,  meidet  alle  Geselligkeit  und  das  offentliche 

Kunstleben.   Nie  hat  er  denen,  die  sich  urn  Ratschlage  oder  Liebesdienste  an  ihn  wandten, 

die  Hilfe  verweigert.   Man  ahnt  nicht,  was  ihm  beispielsweise  ein  Albeniz  schuldet,  dessen 

werdendes  Talent  er  leitete.    Grofi  ist  sein  Einflufi  auf  die  junge  Schule  gewesen,  die  aus 

seinen  Werken  die  seltensten  Geheimnisse  der  Instrumentation  lernte.  Dukas  besitzt  im  hoch- 

sten  Grade  die  Gabe  der  orchestralen  Koloristik.   Seine  Musik  ist  blendend.  Die  zartesten 

Nuancen,  die  seltensten  Schattierungen  wechseln  mit  den  wuchtigsten  und  warmsten  Tonen 

Man  kann  diesem  Farbenzauber  nicht  widerstehen.  Aber  Dukas  ist  nicht  nur  techmsch  und 

formal  auf  der  Hohe,  nicht  nur  ein  Meister  der  instrumental  Schreibweise,  er  ist  em  groBer 


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1068 


Mocierne:  Franzosen 


Kunstler,  der  in  der  Seele  jenen  wonnigen  Taumel,  jenes  ganzliche  Aufgehen  in  der  Musik 
hervorruft,  an  denen  man  die  Macht  des  echten  schopferischen  Kiinstlers  erkennt. 

Maurice  Ravel.  Es  ist  schwer,  iiber  die  Entwicklung  von  Ravels  Talent  zu  sprechen,  so 
wenig  veranderte  er  sich  von  seinem  20.  bis  nahezu  zum  50.  Lebensj'ahre :  geistreich,  fein,  sich 
seiner  Gemiitsbewegungen  schamend  und  bestrebt,  seine  tiefe  Empfindsamkeit  in  ironischcs 
Lacheln  zu  kleiden.  Man  konnte  Ravel  mit  einer  Gartenanlage  im  franzosischen  Stil  verglei- 
chen,  bei  der  die  Natur  dem  menschlichen  Willen  unterjocht  wurde,  wo  alles  eingeordnet  ist, 
und  selbst  die  lebhafteste  Phantasie  nie  zur  Extravaganz  ausartet  .und  der  Saft  immer  bereits 
im  Trieb  gebandigt  wurde.  Ravel  ist  ein  typisch  franzosischer  Musiker;  er  ist  auf  dem  gleichen 
Boden  erwachsen  wie  Couperin  und  Rameau,  und  wie  dieser  letztere  verbirgt  er  meisterhaft 
die  Kunst  eben  durch  die  Kunst  selbst. 

Am  1.  Marz  1875  in  Ciboure  (Nieder-Pyrenaen)  geboren,  kam  er  als  kleines  Kind  mit  semen 
Eltem  nach  Paris,  wo  er  seine  Studien  ablegte.  Seine  Person lichkeit  macht  sich  schon  in  den 
ersten  Versuchen  geltend,  besonders  in  der  kostlichen  ,,Habanera"  (1895),  die  spater  der 
,,Rapsodie  Espagnole"  einverleibt  wurde.  1897  beginnt  er  das  Studium  der  Fuge  und  der 
Komposition  bei  Gedalge  und  Gabriel  Faure.  Dem  ersteren  verdankte  er  eine  unfehlbar  sichere 
Technik,  letzterem  wertvolle  Ratschlage.  So  vermag  er,  wie  Gabriel  Faure,  die  Wahrung  der 
klassischen  Formen  mit  der  auflerordentlichsten  Erfindungsfreiheit  zu  vereinen.  1898  liefi  er 
von  der  Societe  Nationale  seine  ,,Sites  Auriculaires"  (fur  zwei  Klaviere  vierhandig)  auffiihren, 
1899  die  Ouverture  zur  Sheherazade  (noch  nicht  herausgegeben)  und  die  reizende  ,,Pavane 
pour  une  infante  defunte",  in  der  sich  der  Doppeleinflufi  von  Chabrier  und  Gabriel  Faure  be- 
merkbar  macht,  Um  diese  Zeit  schlofi  er  die  Werke  des  Erik  Satie  ins  Herz  und  fand  darin 
Anregungen  und  Ideen.  Chabrier,  Faure  und  Satie  haben  noch  mehr  als  Debussy  die  Bildung 
seiner  Personlichkeit  beeinflufit.  1901  erzielte  Ravel  den  zweiten  Rompreis  mit  der  Kantate 
>5Myrrha**,  die  er  mit  absichtlicher  Ironie  im  Operettenstil  hielt,  was  die  Jury  iibersah.  Im 
selben  Jahre  inaugurierte  er  einen  neuartigen  Klavierstil  durch  seine  ,Jeux  d'Eau",  deren 
launische  Arabesken  und  blendende  Laufe  ein  wahrer  Ohrenschmaus  sind.  Man  kann  sagen, 
dafi  seit  Liszt  niemand  einen  so  bedeutenden  Beitrag  zur  Klaviertechnik  geliefert  hat. 

1 904  erregte  Ravel  durch  das  FJDur-Quartett  die  Aufmerksamkeit  des  Publilcums.  Klas- 
sisch  in  der  Form  und  dabei  modern  durch  das  harmonische  Empfinden,  die  ihm  entstromende 
zarte  Gemiitsbewegung  und  vor  allem  durch  die  Art,  wie  ein  melodischer  Gedanke  aus  dem 
anderen  entsteht,  ohne  den  Eindruck  miihseliger  thematischer  Arbeit  zu  erwecken  —  all  das 
stempelt  das  F-Dur-Quartett  zu  einem  Meisterwerk.  Noch  einen  anderen  Erfolg  errang  Ravel 
in  demselben  Jahre  durch  die  3Dichtungen  f iir  Gesang  und  Orchester,  ,,Sheherazade",  deren 
Wirkung  hinreifiend  ist.  1905  rief  der  Beschlufi  des  Institutes,  Ravel  von  der  Bewerbung  um 
den  Rompreis  auszuschliefien,  die  Emporung  der  jungen  Musiker  und  deren  Anhanger  hervor, 
keineswegs  aber  die  des  Opfers,  das  unentwegt  stets  vollkommenere  Werke  weiterschuf :  ,,La 
Sonatine"  und  ,,Les  miroirs"  (1 906),  ,,Gaspard  de  la  Nuit"  (1 908),  endlich  die  seltsam  neuartigen 
,,Valses  nobles  et  sent imen tales",  eine  Bereicherung der  Klaviermusik  um  wahre  Kunstwerke.  In 
den  ,,Histoires  Naturelles"  (1907)  verwendete  er  einen  neuen,  humoristischen  Stil,  in  welchem 
Ironie,  Gefuhlswarme,  Schalkhaftigkeit  und  Riihrung  in  iiberraschender  Weise  abwechselten 
und  ineinander  verschmolzen.  In  der  ,,Rapsodie  espagnole"  (1908)  offenbart  sich  seine  Be- 
gabung  fiir  Koloristik.  Da  stellt  er  die  Orchestrationskunst  in  den  Dienst  einer  abwechselnd 


Moderne:  Franzosen  1069 


an  Heimweh,  abwechselnd  an  Freude  ruhrenden  Inspiration.  ,,Ma  Mere  1'Oye"  (1908),  eine 
Sammlung  musikalischer  Illustrationen  von  Feenmarchen,  urspriinglich  fur  Klavier  (vier- 
handig)  geschrieben,  wurde  1 91 2  in  Ballettform  am  Theatre  des  Arts  gebracht.  Inzwischen  hatte 
er  in  der  Opera-Comique  ,,L'heure  Espagnole"  auffiihren  lassen.  Mit  dieser  rief  Ravel  die  alte 
Form  der  Opera  buffa  parodiert  ins  Leben  zuriick.  Das  Rezitativ  folgt  den  leisesten  Nuancen 
der  Sprache,  indem  es  die  grotesken  Charaktere  der  Personen  kennzeichnet,  wahrend  das  Or- 
chester  in  unwiderstehlich  komischer  Art  die  Absichten  des  Textes  unterstreicht.  Dieses  Werk, 
anfangs  vom  Publikum  ziemlich  mifiverstanden,  feierte  1921  auf  dem  Theatre  de  la  Monnaie 
in  Briissel  und  1922  in  der  Opera  de  Paris  Triumphe.  Am  8.  Marz  1912  fiihrte  das  russische 
Ballett  von  S.  de  Diaghilew  zum  erstenmal  ,,Daphnis  et  Chloe"  (Choreographic  von  Fokine) 
auf,  das  als  Ravels  Meisterwerk  angesehen  werden  kann.  Diejenigen,  welche  Ravel  bis  dahm 
fiir  einen  Diminutivkiinstler  gehalten  hatten,  der  zierliche  und  niedliche  Schmuckstiicke  mit 
peinlicher  Sorgfalt  ziseliert,  mufiten  zugeben,  dafi  diese  Auffassung  fur  den  Komponisten  von 
,,Daphnis"  nicht  paBte.  Die  Wucht  der  Rhythmen,  die  Schonheit  der  Melodien,  die  aus- 
drucksvolle  Kraft  der  Harmonien,  der  Glanz  des  Orchesters  bekehrten  die  voreingenommensten 
Geister.  Von  1912  an  war  der  Sieg  vollstandig  ermngen.  Gegen  1912  freundete  sich 
Ravel  mit  Igor  Stravinsky  an,  dessen  ,  ,Petrouchka"  und  ,,Le  Sacre  du  Printemps"  die  Musik- 
welt  eben  aufier  Rand  und  Band  gebracht  hatten.  Er  las  auch  mit  Neugier  Schonbergs  ,,Pierrot 
lunaire".  Eigentlich  beeinfluftten  ihn  diese  Werke  nicht,  aber  sie  eroffneten  ihm  neue  Aspekte. 
Eine  Spur  dieser  neuartigen  Anregungen  zeigt  sich  in  seinen  3  ,,Dichtungen"  von  Mallarme 
fur  Gesang  und  kleines  Orchester,  wobei  das  Quartett,  2  Floten,  2  Klarinetten  und  das  Klavier 
je  als  Soloinstrumente  behandelt  sind.  Die  aufierordentlich  raffinierte  Schreibweise,  die  sorg- 
faltige  Beobachtung  der  Klangwirkung  und  des  klanglichen  Gleichgewichtes  bezeugen^ein 
Stravinsky  und  Schonberg  analoges  Trachten.  Dieses  Meisterwerk  raffinierter  Preziositat, 
die  iibrigens  getreulich  den  Absichten  Mallarmes  entspricht,  kontrastiert  mit  der  Musik  von 
,,DaPhnis"  und  mit  der  ebenso  machtigen  wie  prunkvollen  Kunst  des  Trios.  Es  wurde  nicht 
zur  Charakterisierung  von  Ravels  Talent  geniigen,  sondern  uns  eine  seiner  originellsten  Seiten 
zeigen.  Ravel  war  einer  der  ersten  unter  den  Musikern  der  neuen  Schule,  der  die  Gefahren  des 
Impressionisms  und  des  atherischen  Gefiiges  fiihlte,  deren  Bewaltigung  einzig  Debussys 
Genie  gelungen  war.  Das  herrliche  Trio,  welches  1915  zum  erstenmal  aufgefiihrt  wurde, 
weist  eine  Riickkehr  zu  soliderem  Bau  und  zu  einfacberen  Linien  auf.  Trotz  der  Kuhnheit  in 
der  harmonischen  Ausflihrung  ist  das  Werk  klassisch  in  der  Form,  aber  dieser  Klassizismus  hat 
nichts  Schiilerhaftes.  Das  Werk  ist  lebendig,  voll  Empfinden,  Geist  und  Zartlichkeit.  Der 
Weltkrieg  brachte  die  schopferische  Tatigkeit  Ravels  zum  Stillstand,  als  er  sein  Trio  und  sem 
,,Tombeau  de  Couperin '  fur  Klavier  vollendet  hatte.  Nach  dem  Kriege  nahm  er  die  Arbeit 
ilngsam  wieder  auf.  Zunachst  orchestrierte  er  die  subtileren  Stucke  aus  ,,Le  Tombeau  de  Cou- 
perin44,  dann  schrieb  er  1920  auf  Serge  de  Diaghilews  Bitte  ,,La  Valse".  Dieses  Werk  feiert 
mit  einer  dem  Komponisten  ganz  eigenen  Mischung  von  Ironie  und  Lyrik  den  schwindelnden 
wirbelnden  Rausch  des  Wiener  Wai zers.  Nahezu  20  Minuten  dauernd,  ohne  daC  durch  die 
Einmischung  einer  einzigen  Episode  die  Entwicklung  unterbrochen  wiirde,  ist  diese  Kompo- 
sition  ein  wahres  Kraftstiick.  Wahrend  des  Sommers  1920  schrieb  Ravel  fiir  ,,Le  Tombeau 
de  Debussy",  ferner  den  ersten  Teil  seiner  Sonate  for  Violine  und  Cello,  die  er  erst  mZ 
vollendete.  Dieses  Werk  ist  eigentlich  eine  zyklische  Symphonie,  in  wmzige  Proportionen 


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1070  Moderne:  Franzosen 


iibertragen,  gleichsam  wie  jene  japanischen  Zwergbaumchen,  die  den  Anblick  von  Eichen  und 
Zedern  bieten.  1922  schrieb  er  als  Huldigung  for  Gabriel  Faure  eine  ^Composition  fiir  Klavier 
und  Violine  und  orchestrisierte  auf  die  Bitte  Koussewitzkis  die ,, Tableaux  d'une  exposition"  von 
Moussorgsky.  1923  hat  er  ein  neues  Werk  far  Violine  ,,Tzigane"  komponiert,  1924  ein  Lied 
fiir  das  ,,Tombeau  de  Ronsard".  1925  brachten  die  Oper  in  Monte  Carlo  und  die  Monnaie 
in  Briissel  ,,L*enfant  et  les  Sortileges*',  eine  Ballettoper,  Text  von  Colette,  die  mit  grofiem 
Erfolg  aufgenommen  wurde;  die  reizende  musikalische  Fantasie,  iiberfliefiend  an  Geistigkeit 
und  Erfindungsreichtum,  oft  von  selten  zarter  lyrischer  Stimmung,  gibt  eine  Zusammenfassung 
der  verschiedenen  Stile,  deren  sich  Ravel  bediente;  der  Hohepunkt  der  orchestralen  Virtuositat 
scheint  erreicht.  Mit  seinen  ,,  Chansons  Madecasses"  for  Singstimme,  Klavier,  Flote  und 
Violoncello  kommt  er  zu  einer  neuen  Gattung,  in  der  er  doch  wieder  er  selbst  bleibt,  ist  es 
doch  eines  seiner  meist  personlichen  Werke.  Seine  Senate  for  Violine,  aus  der  man  die  auf- 
gewandte  Miihe  zu  verspiiren  meint,  scheint  weniger  gelungen.  Fiir  das  Ballett  der  Ida  Rubin 
stein  hat  er  1928  einen  Tanz,  einen  ,,Bolero",  geschrieben,  dessen  einziges  Thema  von  ver 
schiedenen  Instrumenten  immer  wiederholt  wird,  bis  eine  plotzliche  Modulation  mit  dem- 
selben  Thema  und  Rhythmus  den  Schlufi  herbeifahrt.  Ravel  arbeitet  jetzt  an  einer  Oper 
,,Jeanne  d'Arc". 

DIE SCHULE  FAURE  UND  DEBUSSY.  FlorentSchmitt,  Albert  Roussel.  Florent 
Schmitt  (geb.  1870)  war  ein  Mitschiiler  Ravels  in  der  Klasse  Gabriel  Faure  am  Conservatoire. 
Man  kann  sich  kaum  zwei  verschiedenere  Temperamente  vorstellen.  Florent  Schmitt,  ein  un- 
gestumer,  eigensinniger  Lothringer,  liebt  die  Kraft  und  scheut  nicht,  siezurSchau  zu  tragen. 
Er  liebt  den  gigantischen  Aufbau,  zyldopische  Architekturen,  was  geradezu  einen  Gegensatz 
zu  der  von  Debussy  und  Faure  herangebildeten  franzosischen  Schule  bietet.  Doch  schliefit  er 
sich  in  der  Schreibweise  und  den  stilistischen  Eigenheiten  dieser  Schule  an.  Seine  Arbeit  ist 
ungleich.  Da  es  ihm  an  Fahigkeit  mangelt,  feinen  Schliff  herauszubringen,  sind  seine  Klavier- 
stticke  im  allgemeinen  mittelmafiig  und  geben  eine  falsche  Vorstellung  von  seinem  Talente. 
Um  ihn  richtig  beurteilen  zu  konnen,  mufi  man  sein  groBziigiges  Quintett  kennen,  das  ein 
Hauch  wilder  Macht  streift,  seinen  prachtigen  Psalm  far  Chore  und  mehrere  Orchester,  sein 
Ballett  ,,La  Tragedie  de  Salome"  oder  die  beiden,  der  Biihnenmusik  von  ,,Antoine  et  Cleo- 
patre"  entnommenen  Orchestersuiten.  Als  ungestiimer  Kolorist  hat  er  dem  Orchester  bisher 
ungekannte  Wirkungen  abgerungen.  Dieser  stiirmische  und  machtige  Kiinstler  erinnert  eher 
an  die  grofien  franzosischen  Bildhauer  Pierre  Puget,  Rude,  Rodin,  als  an  die  Musiker  seiner 
Generation.  Seine  Werke  iiberstromen  von  gesunder  Freude,  heiterer  Kraft. 

Albert  Roussel  (geb.  1869),  ein  unabhangiger  und  aufrichtiger  Kiinstler,  hat  sich  erst  spat 
der  Musik  zugewendet.  Als  gewesener  Seemann  ist  ihm,  wie  Baudelaire,  von  seinen  Reisen  die 
Sehnsucht  nach  dem  Meer  und  nach  fremdlandischen  Himmelstrichen  geblieben,  das  sich  ebenso 
in  seinen  gewaltigen  invocations"  wie  in  ,,Pour  une  Fete  de  Printemps"  aufiert.  Dieses  neue 
Werk  weist  eine  Veranderung  in  seiner  Art  auf.  Er  verwendet  darin  systematisch  die  Bitonali- 
tat,  mildert  aber  mit  grofier  Geschicklichkeit  die  Harte  der  Dissonanzen  durch  so  intelligent 
ausgesuchte  Klangwirkungen,  als  wolle  er  die  jungen  Komponisten  belehren,  wie  man  diese 
gefahrlichen  Maschinerien  handhaben  miisse,  ohne  sie  zur  Explosion  zu  bringen.  Die  Sym 
phonic,  die  einigermafien  Aufsehen  erregte,  ist  ein  machtvolles  Werk.  Es  driicken  sich  darin 


Moderne:  Franzosen  1Q71 


die  durch  einen  revolutionaren  Sturm  erschiitterten  Gefiihle  einer  Menge  aus.  Die  Jndische 
Oper  ,,Padmavati",  die  vor  kurzem  zur  Auffiihrung  gelangte,  kundigt  sich  als  eine  der  be- 
deutendsten  dramatischen  Produktionen  der  letzten  20  Jahre  an.  Trotz  seines  Alters  erlahmen 
die  Fortschritte  Roussels  nicht,  und  seine  letzten  Werke  sind  viel  bedeutender  als  sein  Jugend- 
schaffen.  Besonders  zu  nennen  sind  seine  Suite  in  F  for  Orchester,  sein  Konzert  fiir  Klavier 
und  Orchester  (1928)  und  endlich  der  80.  Psalm  far  Tenor,  Chor  und  Orchester  (1929), 
ohne  Zweifel  sein  Meisterwerk.  Heute  ist  er  wahrlich  eine  der  hervorragendsten  Personlich- 
keiten  der  zeitgenossischen  franzosischen  Schule,  ein  wirklicher  ,,chef  de  file",  Vorkampfer. 
Aus  der  Klasse  Faure  am  Conservatoire  ist  eine  Reihe  sehr  begabter  Musiker  hervor- 
gegangen,  die  ihr  Handwerk  tadellos  verstehen.  Alle  ihre  Arbeiten  zeigen  dieEIeganz  und  die 
sorgfaltig  raffinierten  Harmonien  und  Rhythmen,  die  sie  aus  dem  Studium  der  Werke  ihres 
Lehrers  schopften,  was  sie  nicht  hindert,  bisweilen  Beweise  der  Originalitat  ihres  Tempera- 
men  tes  zu  liefern.  Dies  ist  der  Fall  bei  Charles  Koechlin  (geb.  1867),  einem  griindlichen 
Kiinstler,  der  die  polyphone  Schreibweise  mit  Scharfsinn  beherrscht  und  dessen  ansehnliche 
Arbeit  interessante  Erfindungen  birgt.  Er  war  einer  der  allerersten  in  Frankreich,  die  melo- 
dische  Linien  in  verschiedenen  Tonalitaten  iibereinanderstellten.  Louis  Aubert  ist  ein 
merkwiirdig  geschickter  Kiinstler.  In  seiner  ,,Habanera"  zeigt  er  einen  wahrhaft  personlichen 
Orchestersinn.  Nachdem  sich  Roger-Ducasse  durch  reizende  Klavierstiicke  und  eine  fran- 
zosische  Suite  mit  erstaunlich  rhythmischem  Schwung  eingefuhrt  hatte,  widmete  er  sich  der 
Lyrik  und  verfafite  lange,  etwas  wirre  Kompositionen.  Doch  finden  sich  wirklich  machtige  und 
fein  empfundene  Stellen  in  seinem  (1914)  fiir  Petersburg  komponierten  Mimodrama  ,,0rphee", 
Andre  Caplet  (1879—1925),  der  wahrend  Debussys  letzter  Lebensjahre  sein  intimer  Freund 
war,  war  nicht  nur  ein  Dirigent  ersten  Ranges,  sondern  komponierte  auch  zart,  fein,  immer 
geistvoll  und  bisweilen  riihrselig.  In  seinem  Oratorium  ,,Le  Miroir  de  Jesus"  und  in  seiner 
Messe  fand  er  zum  Ausdruck  religioser  Gefiihle  neue  Tone  und  zeigte  sich  hochst  eigen- 
artig.  Der  knappe  Raum,  iiber  den  wir  verfiigen,  zwingt  uns,  folgende  sehr  verdienstvolle. 
Kiinstler  blofi  namenweise  anzufuhren :  Maurice  Del  age,  Paul  Ladmirault,  Jean  Hure, 
Inghelbrecht,  Lili  Boulanger  (gest.  1918)...  All  diese  mit  feinem  Gefiihl  begabten 
Kiinstler  haben  es  verstanden,  aus  den  Erfindungen  von  Faure,  Debussy  und  Ravel  die  letzten 
Konsequenzen  zu  ziehen.  Sie  scheinen  den  Stoff  erschopft  zu  haben  und  man  findet  hinter 
ihnen  nur  mehr  sparliche  Nachlese.  Das  hat  auch  eine  gewisse  Anzahl  junger  Musiker  ein- 
gesehen  und,  nachdem  sie  alle  mehr  oderweniger  dem  Einflufi  ihrer  Vorganger  erlegen  waren, 
fuhlten  sie  das  Bediirfnis,  sich  davon  frei  zu  machen,  um  andere  Pfade  zu  suchen. 

DIE  JUNGEN.  Wie  in  der  bildenden  Kunst  sollte  auch  in  der  Musik  die  Reaktion  gegen  den 
Impressionismus  sich  am  starksten  in  demjenigen  Lande  aufiern,  in  welchem  er  begonnen 
hatte.  Wahrend  in  Osterreich  Arnold  Schonberg  und  seine  Schule  die  letzten  Konsequenzen 
aus  dem  Impressionismus  ziehen,  wendet  sich  die  franzosische  Schule  mehr  oder  minder  heftig 
gegen  ihn,  zugleich  aus  seinen  Errungenschaften  Nutzen  ziehend.  Die  Musik  ist  im  Vergleich 
zur  Malerei  ein  wenig  im  Riickstand,  und  man  findet  in  Darius  Milhauds  und  Honeggers 
Werken  nichts,  was  der  kubistischeh  Bewegung  entsprache,  wohl  aber  ein  Bestreben,  welches 
dem  der  roten  Stiirmer,  wie  van  Gogh,  Matisse,  Othon  Friesz,  an  die  Seite  zu  stellen  ist.  In 
mancher  Hinsicht  sind  diese  Umstiirzler  klassischer  als  ihre  Vorganger.  Anstatt  wie  Debussy 


]Q72  Moderne:  Franzosen 


neue  architektonische  Formen  zu  suchen,  kehren  sie  gern  zum  Gebrauch  der  iiblichen  Formen 
zuriicL  Sonaten,  Fugen,  Rondos,  mehr  oder  weniger  frei  behandelt.  Sie  beanspruchen  vor 
allem  das  Recht,  einfach  zu  sein  und  5m  Notfall  brutal  zu  sagen,  was  sie  denken.  Ihre  Technik 
ist  minder  zart,  minder  verfeinert  als  die  ihrer  Vorganger,  hat  aber  dynamische  Qualitaten  und 
in  der  Begeisterung  eine  naive  Frische,  die  den  Musikern  der  Schule  Debussy  oft  fehlte,  denen 
das  Nachahmen  des  auBerlichen  Vorgehens  ihres  Lehrers  leichter  war,  als  das  Eindringen  In 
das  Geheimnis  seiner  mysteriosen  und  unmittelbaren  Kunst.  Darius  Milhaud  und  Honeg- 
ger  waren  der  Ansicht,  dafi  die  Kunst,  die  Debussys  Meisterwerke  gezeitigt  hatte,  aus  Farben- 
und  FormenscKattierungen  bestehend,  sich  iiberlebt  habe.  Offen  gesagt,  waren  sich  schon 
Ravel,  Schmitt,  Albert  Roussel,  Charles  Koechlin  dessen  bewuBt.  Die  Umwalzung  in  der 
Musik  folgte  der  in  der  Malerei  auf  dem  Fufie.  Nach  Claude  Monet  und  Sisley  haben  Im- 
pressionisten  wie  Cezanne  und  Renouard  eingesehen,  dafi  die  Form  nicht  der  Farbe  und  das 
Volumen  der  Korper  nicht  dem  Licht,  in  dem  sie  sich  auflosen,  geopfert  werden  darf .  Die 
Tatigkeit  Ravels  kann  man  der  Renouards  zur  Seite  stellen,  wahrend  Darius  Milhaud  einem 
Matisse  eher  entspricht.  Im  iibrigen  verfolgt  jeder  der  jungen  franzosischen  Musiker  em  an- 
deres  Ideal.  Bei  mehreren  von  ihnen  kann  man  den  gleichen  Sinn  fur  Polyphonic  und  klassische 
Formen,  besonders  aber  die  tonalen  Ubereinanderstellungen  beobachten. 

Darius  Milhaud,  1892  in  Aix  in  der  Provence  geboren,  ist  ein  Rassemusiker.  Er  schafft 
unaufhaltsam,  ohne  Anstrengung  mit  der  Leichtigkeit  eines  Rossini,  und  in  seiner  beachtens- 
werten  Tatigkeit  reichen  das  Beste  und  das  Schlechteste  einander  die  Hande.  Im  Grunde  ge- 
nommen,  ist  seine  Inspiration  romantisch,  und  nicht  ohne  Grund  betont  er  seine  Bewunderung 
fur  Mendelssohn.  Sonderbarerweise  fehlten  ihm  Geschmack  und  Takt,  diese  Haupteigen- 
schaften  der  franzosischen  Musiker  der  vorangegangenen  Generation;  doch  hat  er  Eigen- 
schaften,  die  man  kaum  bei  ihnen  findet,  stiirmische  Kraft  und  entfesselte  Leidenschaftlich- 
keit.  Darius  Milhaud  fiihit  gem  seine  Polyphonic  in  mehreren  iibereinandergesetzten  Ton- 
arten,  er  schrieb  sogar  ein  Quartett  (das  fonfte),  in  welchem  sich  jede  Stimme  in  einer  anderen 
tonalen  Atmosphare  bewegt.  Wenn  man  sich  an  solche  Dissonanzen  gewohnt  hat,  bleibt  man 
gegeniiber  der  Macht  und  Spontanitat  dieser  Musik  nicht  gleichgiiltig,  die  stiirmend  ist  wie 
ein  Giefibach  und  viel  Schlamm  in  den  schaumenden  Gewassern  mitfuhrt.  Der  Verfasser  des 
,,Protee",  der  ,,Choephores",  der  ,,Eumeniden",  der  ,,Creation  du  Monde",  der  ,,Etudes 
Symphoniques"  und  des  vierten  Quartettes  ist  ein  wirklicher  Musiker,  dessen  iiberwuchernde 
Kraft  und  Lebensgaben  gewifi  die  beste  Verwendung  am  Theater  finden  werden. 

Arthur  Honegger,  in  Frankreich  von  Schweizer  Eltern  1892  geboren,  absolvierte  seine 
samtlichen  musikalischen  Studien  in  Paris  am  Conservatoire.  Er  ist  ein  mehr  gesammelter, 
mehr  in  sich  verschlossener  Kiinstler  als  Milhaud.  Er  fafit  die  Musik  als  ein  echter  Kiinstler 
auf  und  schreibt  nur,  wenn  er  ein  Gefiihl  aufiern  will.  Diese  empfindsame  Auffassung  der 
Musik  ist  der  eines  Auric  oder  Poulenc  vollkommen  entgegengesetzt,  und  ganz  mit  LTnrecht 
gesellt  man  oft  ihre  Namen  dem  seinen.  Sein  Werk  ist  schon  betrachtlich  und  enthalt  Or- 
chesterkompositionen,  namentlicheinMimodrama  „  Horace  Victorieux",  ,,Pacific23I ",  ,,Rugby" 
(1928),  Oratorien  ,,Le  roi  David",  ,Judith",  Theatermusik  und  zahlreiche  Sonaten  fur  ver^ 
schiedene  Instrumente.  Der  ,,Konig  David* '  wurde  als  Oper  eingerichtet  in  Monte  Carlo, 
Briissel  und  mehreren  Stadten  Deutschlands  und  Amerikas  gespielt.  Mit  seinem  lyrischen 
Drama  ,,Antigone"  hat  er  einen  grofien  Fortschritt  gemacht  in  seinem  Versuch  der  Erneuerung 


Moderne:  Franzosen  1073 


der  Gattung  durch  neue  Behandlung  der  Stimme  in  ihren  Beziehungen  zum  Orchester;  sie 
hat  Jnnigen  Anteil  an  dem  polyphonen  Bau  wie  in  Bachs  Kantaten;  doch  ist  die  Prosodie 
andernteils  natiirlich  auf  ganz  und  gar  neue  Prinzipien  gegriindet.  Das  sehr  originelle  Werk 
hat  groSen  Erfolg  Jm  Theatre  de  la  Monnaie  zu  Briissel  (1928)  gehabt,  miBfiel  aber,  vielleicht 
wegen  iibertriebener  Ausstattung,  in  Essen.  Dieser  ernste  und  tiefe  Musiker  hat  einen  person- 
lichen  Stil  und  vervollkommnet  sich  unablassig.  Man  darf  viel  von  ihm  erwarten. 

Georges  Auric  (geb.  1899)  schopft  langsam,  mit  Miihe,  Werke  von  ungemeiner  Kraft. 
Seine  Ballette  ,,Les  Facheux"  und  ,,Les  Matelots"  verraten  mehr  den  EinfluB  von  Stravinsky, 
als  den  seines  Meisters  Satie.  Auric  furchtet  die  Harte  und  selbst  die  Rohheit  nicht.  Seit 
einigen  Jahren  scheint  er  sich  etwas  gehen  zu  lassen  und  sich  der  Leichtigkeit  zu  opfern. 
Seine  letzten  Versuche  in  der  Gattung  der  leichten  Musik  haben  keinen  Erfolg  gehabt. 

Francis  Poulenc  (geb.  1899)  teilt  die  Ideen  von  Auric,  aber  gleicht  ihm  sehr  wenig. 
Ebenso  spontan  als  Auric  eigenwillig  ist,  ebenso  stark  melodisch  begabt  als  sein  Freund  es 
wenig  ist,  entziickt  er  durch  feineFunde,  die  einen  Duft  der  Jugend  ausbreiten.  Es  gibtnoch 
ungeschickte  Stellen  in  seinem  instrumentalen  Stil,  aber  die  Melodien  des  ,,Bestiaire",  der 
,,Poemes  de  Ronsard",  sein  Ballett  ,,Les  Biches"  und  gewisse  Stiicke  fur  Klavier  miissen 
zu  den  besten  Produktionen  der  jungen  franzosischen  Schule  gezahlt  werden.  Besonders 
soil  sein  Konzert  fur  Cembalo  und  Orchester,  Wanda  Landowska  zugeeignet,  genannt  werden. 
Jacques  Ibert  (geb.  1890)  schliefit  sich  an  die  Schule  von  Ravel  an.  Er  ist  ein  wirklicher 
Musiker,  der  eine  feste  Technik  besitzt,  empfindungsvoll  und  geistreich.  Seine  ,,Deux  Mouve- 
ments"  fur  Blasinstrumente,  seine  Orchesterwerke  ,,Les  Escales"  und  ,,Rencontres"  usw. 
enthalten  reelle  Qualitaten.  Seine  Oper  ,,Andromede  et  Persee"  (in  2  Akten),  1929  in  der 
Grofien  Oper  zu  Paris  aufgefuhrt,  aber  schon  1920  geschrieben,  ist  ein  ziemlich  schwaches 
Werk.  Seine  komische  Oper  ,,Angelique"  aber  ist  eine  der  besten  Produktionen  dieser  Gattung 
der  jungen  franzosischen  Schule. 

Roland  Manuel  (geb.  1891),  Schiller  von  Ravel,  scheint  insbesondere  furs  Theater  begabt 
zu  sein,  wertvoll  ist  seine  Opera  bouffe  ,,Isabelle  et  Pantalon"  (1927). 

Marcel  Delannoy,  ein  beinahe  autodidaktischer  Musiker,  ist  eine  der  Hoffnungen  der 
jungen  Schule.  Seine  Muse  hat  eifrig  die  franzosische  ,,Campagne"  studiert,  wo  die  Tradi- 
tionen  des  alten  Volksliedes  fortleben.  Seine  Melodien  sind  diatonisch  und  von  einer  frischen 
Inspiration.  Er  hat  einen  feinen  Sinn  fur  die  Polyphonic.  Sein  Orchester  ist  noch  ziemlich 
ungeschickt,  hat  aber  ungemeine,  iiberraschende  Effekte.  ,,Le  Poirier  de  Misere",  1928  in 
der  Opera  Comique  aufgefuhrt,  und  besonders  ,,Le  Fou  de  la  Dame",  im  Musikfest 
der  S.  I.  M.  G.  in  Genf  (1929)  gesungen,  zeugen  fur  ein  Temperament  eines  wirklichen 
Musikers. 

P.O.  Ferroud  (geb.  1900),  Schiller  von  Florent  Schmitt,  vielleicht  weniger  begabt,  ist 
ein  ausgezeichneter  Orchestertechniker.  Seine  symphonische  Dichtung  ,,Foules"  hat  emen 
grofien  Erfolg  in  der  ganzen  Welt  gehabt,  und  seine  komische  Oper  ,,Chirurgie"  (1928)  wurde 
in  Monte  Carlo  und  Strafiburg  begeistert  aufgenommen. 

DanielLazarus  besitzt  trotz  seiner  Jugend  schon  eine  erstaunliche  technische  Fertigkeit. 
Seine  komische  Oper  ,,La  Chambre  Bleue"  ist  ein  Werk  voll  kostlicher  Ironic.  Die  Gerechtig-- 
keit  heischt,  dafi  auch  GermaineTailleferre  genannt  werde,  deren  Sonate  fur  Violine 
und  Klavier  grazios  ist  mit  Beherrschung  des  Handwerkes,  ferner  Georges  Migot, 


1074  Moderne:  Belgier 


Claude  Del  in  court,  Desormiere,  Mlie  de  Manziarly,  Louis  Durey»  Arthur 
Hoeree,   Raymond  Petit  usw. 

Die  Tendenzen  der  jungen  franzosischen  Schule  sind  vielfach  und  verschieden,  aber  nach 
einern  heftigen  revolutionaren  Drang  kann  man  bei  den  ,,chefs  de  file"  ein  Bediirfnis  nach 
OrdnungundRuhebeobachten.DerBach-KuItus,  eingeleitet  durch  Stravinsky,  ist  allgemein. 
Es  ist  nicht  unmoglich,  dafi  ein  neuer  Klassizismus  seine  Herrschaft  begriindet  auf  den  Ruinen 
der  Ikonoklasten,  vorausgesetzt,  da6  dieser  die  Emingenschaften  der  letzteren  auszuniitzen  weifi. 

Literatur 

Allgemeines:  Aubry,  J.  G.:  La  Musique  francaise  d'aujourd'hui  (Perrin).  —  Coeuroy,  Andre:  La  musique 
francaise  moderne,  quinze  portraits  de  musiciens  (Delagrave).  —  Derselbe:  Panorama  de  la  musique  con- 
temporaine  (Kra).  —  Koechlin,  Charles:  Le  retour  a  Bach  (Revue  Musicale,  novembre  1927).  —  Milhaud, 
Darius:  La  Polytonalite  (Revue  Musicale,  fevrier  1923).  —  Rolland,  Remain:  Musiciens  d'aujourd'hui  (Hachette). 
—  Sere,  Octave:  Musiciens  francais  d'aujourd'hui  (Mercure  de  France). 

Spezialstudien:  Caplet:  M.Brillant:  Andre  Caplet,  Musicien  mystique  (Revue  Musicale,  juillet  1925).  — 
Debussy:  Numeros  sp£ciaux  de  la  Revue  Musicale  (novembre  1920  et  mai  1926).  Louis  Laloy:  Claude  Debussy 
(Dorbon).  Ch.  Koechlin:  Debussy  (Laurens).  Henry  Prunieres:  Portrait  de  Debussy  (50  ans  de  Musique  francaise. 
Tome  II.  Librairie  de  France).  Maurice  Emmanuel:  Pelleas  et  Mfelisande  (Mellotte'e,  edit.)-  Jardillier:  Pelleas  et 
Melisande  (Aveline,  edit.).  —  Dukas:  Samazeuilh:  P.  Dukas  (Durand,  6dit.).  —  Faure":  NumeYo  special  de  la 
Revue  Musicale  (octobre  1922).  Ch.  Koechlin:  Gabriel  Faure'  (Alcan).  —  Honegger:  Andre  George:  Arthur  Honegger 
(Aveline,  e*dit.  1927).  Rene  Chalupt  (Revue  Musicale,  Janvier  1922),  Arthur  Hoeree  (Revue  Musicale,  Janvier  1929), 
Henry  Prunieres:  Antigone  (Revue  Musicale).  —  Milhaud,  D.:  Henry  Prunieres  (Nouvelle  Revue  francaise,  1920). 
Boris  de  Schloezer  (Revue Musicale,  mars  1925).— Poulenc:  Henry  Prunieres  (The Sackbut,  1928).  —  Ravel,  M: 
Numero  special  de  la  Revue  Musicale  (avril  1925).  Roland  Manuel:  M.  Ravel  et  son  ceuvre  dramatique  (Librairie  de 
France  1928).  Henry  Prunieres :  Les  Chansons  Mad^casses  (Revue  Musicale).  Henry  Prunieres:  Portrait  de  Ravel  (50 
ans  de  Musique  francaise.  Tome  II.  Librairie  de  France).  —  Roussel,  Albert:  Numero  special  de  la  Revue  Mu 
sicale  (avril  1929).  —  Schmitt,  Florent:  P.  0.  Ferroud  (Revue  Musicale,  avril  1924).  P.  0.  Ferroud:  Autour  de 
Florent  Schmitt  (Durand,  edit.).  rr  n  .. 

Henry  rrunieres. 


ANHANG 

Belgier.  Die  musikalischeProduktion  Belgiens,  die  vom  1 7.  bis  zum  1 9.  Jahrhundert  zuriick- 
getreten  war,  gewinnt  seit  der  Errichtung  des  belgischen  Konigtums  (1 830)  neue  Kraft  und  erhebt 
sich  in  aufsteigender  Linie.  Die  Bevolkerung  Belgiens  umfafit  zwei  voneinander  verschiedene 
Rassen,  die  germanischen  Flamen  und  die  romanischen  Wallonen.  Hundert  Jahre  der  Zu- 
sammengehorigkeit  haben  sie  eine  gewisse  Gleichartigkeit  in  Denken  und  Fiihlen  gelehrt, 
doch  wahren  sie  beide  nicht  weniger  ihre  Stammeseigenarten,  die  sich  in  der  musikalischen 
Schreibweise  deutlich  offenbaren.  So  schliefien  sich  im  groBen  und  ganzen  die  Flamen  mehr 
an  die  Tradition  an  und  zeigen  Verwandtschaft  mit  der  deutschen  Schule,  wahrend  die  Wallonen 
sich  mehr  fortschrittlich  der  franzosischen  Richtung  zuwenden.  Man  hat  darum  guten  Grund, 
sie  getrennt  zu  betrachten. 

Von  den  Flamen  war  Gevaert  (1828—1908),  Nachfolger  Fetis  als  Direktor  des  Briisseler 
Konservatoriums,  in  erster  Linie  Musikhistoriker;  seine  komischen  Opern,  der  wichtigste 
Teil  seiner  musikalischen  Produktion,  sind  heute  vergessen.  Es  gibt  hier  nur  eine  einzige 
koordinierte  Schule,  die  Antwerpener,  gegriindet  von  Peter  Benoit  (1834^1901),  mit  seinen 


Moderne:  Belgier  1075 


bedeutenden  weltlichen  Oratorien  (Lucifer,  La  guerre  usw.),  grofiziigigen,  prachtigen  Werken, 
die  noch  nicht  den  ihnen  gebiihrenden  Platz  in  der  internationalen  Kunst  einnehmen.  Benoits 
hervorragendster  Schiller,  Jan  Blockx  (1851  —  1912),  der  volkstiimlichste  belgische  Opern- 
komponist,  iibertrug  diese  Eigenart  auf  die  Biihne.  In  Verbindung  mit  ihm  ist  L.  Mortel- 
mans  (1868),  der  gegenwartige  Direktor  des  Antwerpener  Konservatoriums,  zu  nennen.  Die 
anderen  flamischen  Komponisten,  H.Waelput  (1845-1885),  K.Mestdagh  (1850-1924), 
E.  Tin  el  (1854 — 1912)  gingen  ihre  eigenen  Wege,  bewahrten  aber  immer  den  konservativen 
Grundzug;  der  dritte,  Nachfolger  Gevaerts  am  Brusseler  Konservatorium,  ist  besonders 
bekannt  durch  seine  Oratorien  (Franciscus,  Godelieve)  in  streng  polyphoner  Schreibweise, 
deren  Beeinflussung  durch  Klassik,  Romantik  und  Brahms  unverkennbar  ist.  Zur  gleichen 
Generation  gehort  J.  B.  vandenEeden  (1842—1917).  Der  heute  im  Vordergrunde  stehende 
flamische  Komponist  ist  P.  Gils  on  (1865),  der  in  seinen  ,,Drames  lyriques"  und  seinen 
symphonischen  Werken  voile  Beherrschung  der  Polyphonie,  seltene  Instrumentationskunst 
sowie  ausgesuchte  Harmonik  vereint,  die  aber  trotzdem  nicht  in  das  zeitgenossische  Extrem 
geht.  In  letzter  Zeit  hat  sich  Gilson  der  Wiederbelebung  der  Blasermusik  zugewandt,  fur  die 
er  viel  geschrieben  hat.  Er  ist  auch  als  Lehrer  sehr  bedeutend,  und  man  verdankt  ihm  eine 
erstklassige  Harmonielehre.  Weiter  sind  zu  nennen  A.  deBoeck  (1865)  mit  seinen  ,,Drames 
lyriques",  die  sich  von  Wagnerschem  EinfluB  nicht  freihalten,  Lebrun  (1863 — 1920),  J.  Rye- 
landt  (1870),  der  einige  Oratorien  im  klassischen  Stil  schrieb,  M.  Lunssens  (1871),  F.  Al- 
paerts  (1876),  Kanonikus  van  Nuffel  (1883)  mit  seinen  entschieden  modernen  Kirchen- 
werken,  Herberigs  (1886),  der  sich  mit  seiner  im  allgemeinen  homophonen  Schreibweise 
mit  Debussystischem  Einschlag  als  der  kiihnste  der  lebenden  flamischen  Komponisten  zeigt, 
schliefilich  A.  Meulemans  (1884). 

Nach  Fetis,  der  auch  insbesondere  Musikwissenschaftler  war,  hebt  die  moderne  wal- 
lonische  Schule  an  mit  Ad.  Samuel  (1824—1898),  einem  fortschrittlichen  Geiste,  der  sich 
in  seinen  letzten  Werken  derNeuromantik  anschloB,  A.  Dupont  (1827—1890),  einem  frucht- 
baren  Klavierkomponisten,  G.  Huberti  (1843—1910),  der  lyrische  Stiicke  schrieb,  Em.  Ma- 
thieu  (1844),  dem  Verfasser  einiger  Opern  im  alten  Stil.  Die  nachste  Generation  umfafit 
E.  Raway  (1850—1918),  einen  tiichtigen  auf  klassischem  Boden  schaffenden  Musiker,  Sylvain 
Dupuis  (1856),  L.  Du  Bois  (1859),  F.Leborne  (1862-1929),  die  sich  der  franzosischen 
Schule  in  der  Art  Saint-Saens  und  Faures  anschliefien,  H.  Thiebaut  (1865)  und  N.  Daneau 
(1866). 

Die  moderne  wallonische  Schule  ist  beherrscht  von  dem  grofien  Namen  Cesar  Franck 
(1822—1890),  denwir,  wenngleich  er  einer  friiheren  Generation  angehort,  jetzt  erst  nennen, 
wegen  des  deutlich  fortschrittlichen  Charakters  seiner  Werke  (2  Oratorien  ,,Les  Beatitudes'*, 
Redemption";  Symphonic  in  D,  Sonate  fur  Violine,  Quartett,  Quintett  usw.).  Bewunderns- 
werter  Kontrapunktiker,  geht  er  in  gewisser  Beziehung  in  der  Kiihnheit  der  Harmonik  iiber 
Wagner  hinaus,  namentlich  hinsichtlich  der  Figuration  und  Modulation;  als  hervorragender 
Padagoge  war  er  der  Begriinder  der  (heute  iiberholten)  ,  Jungfranzosischen"  Schule  und  in 
Frankreich  der  Schopfer  einer  Schule  absoluter  symphonischer  und  Kammermusik,  die  bis- 
her  aufier  einzig  durch  Saint-Saens  nicht  gepflegt  worden  war.  Zu  Luttich  geboren,  zeigt 
dieser  Meister  seine  deutsche  Abkunft  (die  Vorfahren  vaterlicherseits  waren  Flamen  und 
Deutsche,  die  Mutter  war  Deutsche)  in  einer  eigenen  Art  der  Anwendung  der  Technik  und 


1076  Moderne:  Belgier 


in  einer  Mystik,  die  sich  in  gewisser  Beziehung  bei  seinen  Schiilern  wiederfinden,  wie  dies 
Debussy  richtig  bemerkt  hat.  An  Cesar  Franck  schliefit  sich,  man  konnte  so  sagen,  der  ,,wal~ 
lonische  Zweig  der  jungfranzosischen  Schule",  in  erster  Linie  vertreten  durch  Guillaume 
Lekeu  (1870—1894),  eine  der  genialsten  Personlichkeiten,  die  Belgien  je  hervorgebracht  hat, 
dessen  Schreibweise  wohl  von  Franck  sich  herleitet,  aber  ganz  personliche  Ziige,  eine  Art 
Beethovenscher  Kraft,  vereint  mit  ungeheurem  Streben,  edler  Melancholic  zeigt.  In  seiner 
Gefolgschaft  sind  zu  nennen:  TheoYsaye  (1865—1918),  V.  Vreuls  (1876),  hervorgegangen 
aus  der  Schola  Cantorum  zu  Paris,  und  J.  Jongen  (1873),  gegenwartig  Direktor  des  Briisseler 
Konservatoriums,  der  mit  seiner  zarten  Harmonik  schrittweise  immer  kiihner  sich  zu  Debussys 
Impressionismus  und  noch  dariiber  hinaus  erhebt.  Der  Francksche  Stil  findet  sich  bei 
V.  Buffin  (1867),  A.  Marsick  (1878);  A.Dupuis  (1877)  kehrt  in  seinen  Opern  zu  Massenet 
zuriick. 

Wenn  auch  teilweise  jiinger,  zeigen  doch  die  nachfolgenden  Musiker  mehr  konservative 
Ztige:  F.Rasse  (1873),  A.Biarent  (1871-1916),  L.  Delune  (1876),  L.  Delcroix  (1880), 
L.  Jongen  (1884),  F.Brumagne  (1887),  R.Barbier  (1890),  H.  Sarly  (1884).  R.  Mou- 
laert  (1875)  war  in  Belgien  gerade  im  Gegensatz  zu  den  Genannten  einer  der  ersten  Jiinger 
der  fliissigen  Schreibweise  Debussys,  sodann  Faures;  G.  Knosp  (1879),  gelehrter  Kenner 
der  orientalischen  Musik,  niitzt  dies  in  phantasievollen  Aneignungen  extrem-orientalischer 
Kunst  aus;  de  Maleingreau  (1887)  zeigt  strenge  Ziige  in  seinen  modernen  Versuchen  im 
alten  Stil. 

Die  Epoche,  zu  der  wir  nun  gekommen  sind,  ist  die,  in  welcher  in  alien  Landern  mit  Schon- 
berg,  Stravinsky  und  anderen  die  viel  umstrittenen  und  einstweilen  unklassifizierbaren  Er- 
scheinungen  der  Gegenwartskunst  auftreten.  Man  mufi  aber  der  aufierordentlichen  durch 
den  Weltkrieg  verursachten  Umstande  gedenken,  da  sich  Belgien  einzig  unter  alien  Krieg- 
fuhrenden  abgesondert  fand  von  der  allgemeinen  Kunstentwicldung,  die  in  andern  Landern 
fortfuhr,  von  Grund  auf  umstiirzend  zu  wirken;  so  erklart  sich  noch  heute  dieser  Abstand. 
Und  dies,  wo  doch  Samuel-Holeman  (1863)  in  Belgien  die  Rolle  eines  Vorkampfers  ahnlich 
Erik  Satie  gespielt  hatte;  aber  er  blieb  lange  vereinzelt.  Heute  miiht  sich  eine  geschlossene 
Gruppe  junger  Musiker,  technisch  vortrefflich  geschult,  die  verlorene  Zeit  wiederzugewinnen. 
Insbesondere  ist  die  ,,Synthetistes"  genannte  Gruppe,  fast  alle  Schiller  P.  Gilsons,  zu  nennen 
und  an  ihrer  SpitzeM.Schoemaker  (1890),  M.Poot  (1901),  R.  Bernier  (1905).  Aufierhalb 
dieser  Gruppe  findet  sich  das  moderne  Streben  bei  F.  Quinet  (1898),  A.  Huybrechts 
(1899),  dem  Trager  des  Coolidgepreises  1926,  A.Souris  (1899)  und  Ch.Houdret  (1905). 

Das  Volkslied  war  in  Belgien  von  unerhortem  Reichtum;  alle  gebrauchlichen  Arten  der 
erzahlenden,  der  Liebes-,  Arbeits-  und  Scherzlieder  finden  sich  vor.  Aber  hier  zeigen  sich 
noch  deutlicher  als  anderwarts  die  Unterschiede  (die  Gegensatze)  der  beiden  Volksstamme. 
Das  flamische  Volkslied  deckt  sich  teilweise  mit  dem  hollandischen,  das  wallonische  mit  dem 
franzosischen  in  ihren  eigensten  Charakteren.  Das  erste  schlieBt  sich  an  die  verschiedenen 
ortlichen  Dialekte  der  Flamen  an.  Dialektlieder  der  Wallonen  sind  viel  seltener;  die  Mehr- 
zahl  der  Gesange  ist  in  einem  mehr  oder  weniger  entstellten  Franzosisch  abgefafit.  Wahrend 
die  flamischen  Gesange  gesammelt  und  in  zahlreichen  ,,Idiotikon"  veroffentlicht  sind,  wurden 
die  wallonischen  Lieder  bedauerlicherweise  vernachlassigt,  und  man  mufi  sagen,  dafi  eine 
uniibersehbare  Zahl  von  ihnen  unwiederbringlich  entschwunden  ist. 


Moderne:  Romanische  Schweiz  1077 


Literatur 

Bergmans,  P.:  Henry  Vieuxtemps,  Collection  Les  grands  Beiges,  Turnhout  Brepols  1920,  sowie  die  in  diesem 
Werk  angegebene  Literatur.  —  van  den  Borren,  Ch.:  Belgian  music  and  french  music,  Musical  Quarterly, 
Juli  1923.  —  Derselbe:  The  general  trends  in  contemporary  Belgian  music,  Musical  Quarterly,  Juli  1921. 
—  Closson,  E.:  Chansons  populaires  des  provinces  beiges,  Ed.  Schott.  —  Derselbe:  Musiciens  beiges  d'hier 
et  d'aujourd'hui,  Monde  Musical  IX/X,  1924.  —  van  Duyse,  FL:  Het  oude  nederlandsche  Lied,  La  Haye  Nijhoff 
1904 — 1908.  —  d'Indy,  V.:  Cesar  Franck;  Collection  Les  Maitres  de  la  Musique,  Alcan  Paris.  —  Lorrain,  M.: 
Guillaume  Lekeu,  sa  correspondance,  sa  vie  et  ses  oeuvres,  Morlanwelz  1923.  —  Mathieu:  Adolphe  Samuel.  Hayez, 
Briissel  1920.  —  Sere:  Musiciens  francais  d'aujourd'hui.  VI.  Aufl.  Mercure  de  France,  Paris  1921.  —  Solvay,  L.: 
Notice  sur  Jan  Blockx.  Hayez,  Briissel  1920.  —  Son  neck,  O.  G.:  Guillaume  Lekeu,  Miscellaneous  Studies  in 
History  of  Music,  p.  190ff.  Ed.  Macmillan,  New  York  1921.  —  Tinel,  Paul:  Edgar  Tinel.  Lombaerts,  Briissel 
1923.  —  A  Dictionary  of  modern  music  and  musicians.  Beitrage  der  Unterzeichneten  iiber  belgische Musiker. 
Dent,  London  1924.  Ernest  Closson.  Charles  van  den  Borren 


Die  romanische  Schweiz.  Die  franzosisch  sprechenden  Teile  der  heutigen  Schweiz 
sind  kulturell  naturgemafi  stark  vom  westlichen  GroCnachbar  beeinflufit  worden.  Auch  im 
Musikleben  zeigt  sich  dies  deutlich,  aufier  im  19.  Jahrhundert. 

Sachlich  greifbar  ist  vor  der  Reformation,  wie  auch  sonst,  in  erster  Linie  die  geistliche  Musik  und  Musikiibung, 
getragen  von  Klostern,  Abteien,  Domkirchen.  Sie  sind  aucK  in  der  romanischen  Schweiz  zunachst  Ausstrahlungen 
der  sich  zielbewufit  ausbreitenden  Kultur,  die,  begriindet  durch  Karl  den  Grofien  und  das  Karoiingische  Reich, 
fortgesetzt,  nach  dessen  Sturz,  durch  das  altburgundische  Konigtum  in  der  ganzen  heutigen  Westschweiz  schon 
urns  Jahr  1000  die  Entstehung  jener  Statten  bewirkte,  die  Trager  einer  allgemeinen  christlichen  Kultur  und  gewiB 
auch  liturgischer  Musikausiibung  waren,  Im  Hochmittelalter  gehort  das  Gebiet  zwischen  Jura  und  Alpen  stilistisch 
in  gewisser  Hinsicht  zum  germanischen  Minnesang.  Der  alteste  Schweizer  Minnesanger  ist  Rudolph  von  Fenis- 
Neuenburg,  dessen  deutsch  geschriebene  Lieder  (ca.  1200)  im  Cod.  Manesse  und  der  Weingartnerhandschrift 
enthalten  sind  und  die  altesten,  wenn  auch  indirekten  Zeugen  weltlicher  Musik  in  der  heutigen  romanischen  Schweiz 
darstellen.  Auch  der  Minnesanger  Gliers  aus  Pruntrut  gehort  ins  13.  Jahrhundert.  Die  ersten  Spuren  welt- 
licher  Instrumentalmusik  sind  die  Stadtpfeifereien,  nachweisbar  seit  dem  15.  Jahrhundert  (z.  B.  in  Neuenburg), 
wahrscheinlich  aber  bis  ins  1 4.  Jahrhundert  zuriickreichend. 

Auch  das  neuburgundische  Staatswesen,  dessen  Hohepunkt  in  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  fallt,  erstreckte  sich 
iiber  einen  guten  Teil  der  heutigen  Westschweiz.  Dem  siidlichen  Kulturkreis  Neuburgunds  (wallonisch-franzosischer 
Sprache)  entsprang  bekanntlich  eine  Emeuerung  und  Entwicklung  der  Kunstmusik  (Durchweltlichung  der  religiosen 
Musik  in  Form  der  Chansons).  Bis  zum  16.  Jahrhundert  hat  der  franzosische  Einflufi  technisch  und  stilistisch  iiber- 
wogen.  Calvin  lenkte  die  reformierte  Kirchenmusik  fast  ausschlieGIich  in  die  Bahn  des  unbegleiteten  einstimrnigen 
Psalmengesanges.  Doch  schon  zu  seinen  Lebzeiten  kamen  mehrstimmige,  einfache  oder  kunstvolle  Psalmenbearbei- 
tungen  heraus,  so  vom  Franzosen  L.  Bourgeois  (1547  in  Genf  naturalisiert),  der  auch  wahrscheinlich  die  Melodien 
der  von  Calvin  veranlafiten  Psalterausgaben  von  1542  schuf  oder  bearbeitete.  G.  Franc  von  Rouen  (gest.  1570, 
Kantor  und  Gesanglehrer  in  Genf)  bearbeitete  ebenfalls  den  franzosischen  Psalter.  Von  Goudimels  Psalmen- 
bearbeitungen  erschienen  mehrere  in  Genf  (Motetten  und  vierstimmige  Psalmen  1555—1580).  Erwahnt  sei  noch 
der  Belgier  S.  Mareschall  (gest.  1641 ,  Organist  in  Basel)  mit  vokalen  und  instrumentalen  Bearbeitungen  von  Psalter- 
melodien.  Der  Siidfranzose  Davantes  (1526-1561,  seit  1559  Genfer  Burger)  betatigte  sich  als  Theoretiker  mit 
einer  neuen  Notenschrift.  Gindron  in  Lausanne,  scheinbar  ein  Schweizer,  komponierte  1542  eine  Psalterausgabe 
und  mehrstimmige  Kirchenmusik.  Im  1 8.  Jahrhundert  hat  auch  der  italienische  Einflufl  neben  dem  franzosischen 
in  der  romanischen  Schweiz  sich  bemerkbar  gemacht,  allerdings  nicht  so  stark  wie  z.  B.  gleichzeitig  in  der  Inner- 
schweiz  (vgl  Meyer  v.  Schauensee,  S.  749).  Als  Musildehrer  und  Hausmusikmeister  hielten  sich  italienische 
Musiker  in  den  vornehmen  Familien  auf,  so  A.  Zingarelli  (vgl.  S.  904),  der  1790-1792  in  Colombier  weilte,  so 
Giotti  als  Organist  in  Yverdon  (1795),  der  Opernkomponist  Catrufo,  langere  Zeit  zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts 
in  Genf  sich  aufhaltend.  Allgemach  fing  das  offentliche  Konzertleben  an;  1738  wird  in  Genf  em  Theatersaal  em- 
gerichtet,  auch  der  Rathaussaal  dient  damals  zu  Konzertzwecken.  Aber  die  Zahl  der  Berufsmusiker  bleibt  ver- 
schwindend  klein,  Collegia  musica  gibt  es  nicht  wie  in  der  deutschen  Schweiz. 

Landesfremden  Musikern  in  der  romanischen  Schweiz  stehen  als  Gegenstuck  emheimische  Talente  gegen- 
iiber  die  im  Ausland  wirkten,  J.X.Lefevre  (1763-1829.  beriihmter  Klarinettist  in  Paris,  komponierte  fur 


1Q7S  Moderne:  Romanische  Schweiz 


sein  Instrument,  daneben  Kammermusik  und  Sinfonien),  J.  P.  Dupuy  (1773—1822,  zuletzt  Kapellmeister 
in  Stockholm,  mehrere  Opern,  Violinduette),  der  Harfenvirtuose  Elouis  (geb.  1752,  Werke  fur  Harfe).  Den 
Genfer  G.  Fritz  (Sohn  eines  eingewanderten  Deutschen,  1716—1783,  Sinfonien,  Sonaten,  Konzerte)  riihmte 
Burney  sehr.  J.J.Rousseau  (vgl  S.  745  u.  a.)  hat  sich  in  seinem  Vaterland  nicht  als  Komponist  betatigt 
oder  es  musikalisch  gefordert,  obwohl  er,  unter  einem  Pseudonym,  in  Lausanne  und  Neuchatel  als  Musik- 
lehrer  wirkte.  Die  Zahl  der  einheimischen  Musiker  von  einiger  produktiver  Ader  bleibt  auch  weiterhin  zunachst 
sering;  erst  gegen  Ende  des  1 9.  Jahrhunderts  wachst  ihre  Bedeutung.  IrnAusland  wirkten  L.  Bonvin  (geb.  1850, 
seit  1887  in  Buffalo,  Katholische  Kirehcnir.usJk,  Chore,  Lieder,  Orchesterwerke),  L.  Niedermeyer  (in 
Paris,  1802—1861,  Sohn  eines  eingewanderten  Deutschen,  Schuler  von  Moscheles  und  Zingarelli,  Opern, 
Kirchenmusik,  Orgel-  und  Klavierwerke,  Lieder).  Im  Lande  blieben  Fr.  Grast  (1803—1871,  Wmzerfest- 
spiele,  Chore.  Lieder,  Kantaten,  Orchesterwerke)  und,  als  vielleicKt  feinsinnigster  Vertreter  der  musikalischen 
Romantik  der  romanischen  Schweiz,  Ch.  Bovy-Lysbcrg  (1821—1873,  Chopinschiiler,  Opern,  Klavierwerke, 
Chore). 

Im  19.  JahrhundertuberwiegtzweifellosdergermanischeEinflufi.  Deutsche  und  Deutschschweizer  Musiker  organi- 
sieren  iiberall  in  der  romanischen  Schweiz  das  musikalische  Unterrichtswesen,  fuhren  den  Chorgesang  em,  grunden 
Konzertinstitute.  Genannt  seien  E.  Wehrstedt,  Schuler  C.  M.  v.  Webers,  seit  1827  in  Genf  (Chorkompositionen), 
A.  Spaeth,  seit  1821  in  Merges  (Opern,  Kantaten,  Lieder,  Chore,  Klavier-  und  Kammermusik),  H.  L.Plumhof, 
seit  1855  in  Vevey  (Kantaten,  Chore,  Festspiele),  F.Drasecke  (1863—1876  in  Genf  und  Lausanne),  L.  Kurz, 
seit  1838  in  Neuenburg  (Chore),  H.  v.  Senger  (1835—1893),  seit  1866  in  Lausanne  und  Genf  (Schuler  von  Moscheles 
und  M.  Hauptmann,  auch  stark  von  Berlioz  beeinfluflt;  Chore,  Lieder,  Festspiele,  Kantaten,  Orchesterwerke), 
E.  Munzinger  (seit  1868  in  Neuenburg,  Schuler  von  Gade;  Chore,  Oratorien,  Kantaten,  Sinfonien,  Klavierkonzert, 
Lieder),  J.  Vogt  in  Freiburg  i,  0.  seit  1833  (Chore,  Orgelwerke).  Schubert,  Schumann,  Weber,  Mendelssohn  und 
Chopin  sind  die  stilistischen  Vorbilder  dieser  Komponistengruppe,  wozu  noch,  namentlich  in  den  Festspielen,  die 
Verwendung  der  romanisclien  Volksliedmelodik  kam.  DieFesteder  Schweiz.  Musikgesellschaft  (vgl.  S.  1041)  in 
Genf,  Lausanne,  Freiburg,  Sitten  brachten  fruchtbare  Anregungen.  Fr.  Liszt's  Tatigkeit  als  Lehrer  und 
Konzertgeber  Jst  fur  die  romanische  Schweiz  besonders  durch  den  Genfer  Aufenthalt  (1835—1836)  wichtig 
geworden. 

Die  Volksmusik  der  romanischen  Schweiz  hangt  ihrem  Melos  nach  wahrscheinlich  eng  mit  dem  Alphornstil 
zusammen,  in  Form  melodischer  Akkordbrechung  auf  der  Grundlage  der  Durtonalitat.  Eine  gewisse  Weichheit 
und  Zartheit,  Sinn  fur  Idyllik,  freundliche  Frohlichkeit,  warmer  Ton  der  Heimatliebe  ist  ihnen  gemeinsam.  An  den 
Ufem  der  Seen,  im  Rebland  bestimmt  die  Lebensart  und  Hauptbeschaftigung  der  Einwohner  wieder  lolcale  Farbungen, 
die  sich  bis  zum  Sarkasmus  steigern  konnen;  in  den  Bergen  tont  es  oft  ernster  und  melancholischer,  namentlich 
in  den  Kuhreigen,  mit  schwebenden  Quint-  und  Terztonen.  Haufig  sind  Refrainlieder,  deren  Refrains  Jm  Sinn  der 
Proportio  lebhafteres,  ungerades  Tempo  aufweisen.  Tanztypen  und  -rhythmen,  etwa  sizilianoartig,  sind  nicht  selten; 
das  patriotische  und  religiose  Element  ist  fast  Jmmer  mitbestimmend.  In  den  entlegenen  Alpentalern  (z.  B.  in  Wallis) 
sind  noch  offenbar  sehr  alte  instrumentale  Traditionen  erhalten  (Tanzorchester  mit  Klarinetten,  Zupfinstrument, 
StreichbaB,  Schlagzeug).  Auf  dem  flachen  Lande,  im  See-  und  Rebgelande  xiberwJegt  die  Vokalmusik;  Hohepunkte 
sind  Landesfeste  historischen  Charalcters  oder  politischer  Natur.  Das  wichtigste  und  groBartigste  ist  das  Winzer- 
fest  in  Vevey,  das  vielleicht  auf  romisch-heidnische  Gotterkulte  zuriickgeht,  funfmal  im  Jahrhundert  stattfmdet, 
mit  durchkomponierter  Musik.  Wichtige  Anregungen  gingen  und  gehen  auch  von  den  Festspielen  in  Mezieres 
aus,  wo  u.  a.  Biihnenmusiken  von  Doret  und  Honegger  erstaufgefiihrt  wurden  (vgl.  unten).  Auch  das  Kinder- 
lied  wird  besonders  warm  gepflegt,  in  Verbindung  mit  einem  reich  entwickelten  Schulwesen.  Als  Abarten  des  Volks- 
liedes  der  romanischen  Schweiz  miissen  hier  eingegliedert  werden  die  italienisch  (bzw.  lombardisch)  gesungenen 
Lieder  des  Tessins  und  die  ratoromanischen  (im  EngadJn  ladinisch  und  im  Rheintal  sub-  und 
surselvisch  textierten)  Volkslieder  Graubiindens,  Das  tessinische  Volkslied  steht  naturgemafi  dem  oberitalienischen 
nahe,  das  ratoromanische  ist  von  alemannischer  und  deutschschweizerischer  Seite  her  stih'stisch  beeinflufit,  was 
dem  Vordringen  des  Deutschen  im  Rheintal  enspricht  Um  die  Pflege  des  ratoromanischen  Liedes  macht 
sich  neben  0.  Bar  hi  an  (vgl.  S.  1079)  der  Engadiner  R.  Cantieni  (geb.  1873,  Volks-  und  Schullieder) 
verdient. 

Seit  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  andert  sich  die  Struktur  des  Musiklebens  in  der  romanischen 
Schweiz  sichtlich.  Es  entsteht  eine  autochthone  Komponistengeneration,  die  die  Technik 
der  musikalischen  Moderne  sich  mehr  und  mehr  aneignet,  die  grofien  Formen  des  Musik- 
dramas,  der  Oper,  der  sinfonischen  Dichtung  pflegt,  dabei  aber  die  heimatliche  Volksmusik 
durch  eine  iiberaus  grofie  Zahl  volkstiimlicher  und  schlichtester  Lieder  gliicUich  bereichert, 
so  dafi  in  vielen  Fallen  das  Phanomen  der  Popularisierung  eines  neugeschaffenen  Liedes  bip 


Moderne:  Romanische  Schweiz  1079 


zum  eigentlichen  Volkshed  beobachtet  werden  konnte.    Durch  ihre  Studien  sowohl  mit  den 

nachromantischen  oder  durch  Wagner  stilistisch  beeinflufiten  Schulen  in  Deutschland  wie 

auch  mit  der  von  Cesar  Franck  und  Saint-Saens  begriindeten  und  ausgehenden  Pariser  jung- 

franzosischen  Richtung  in  Paris  vertraut,  bietet  sie  die  ersten  Beispiele  einer  im  guten  Sinn 

kosmopolitisch  orientierten  schweizerischen  Tonschule  auf  nationaler  Grundlage  mit  roma- 

nischem   Einschlag.    E.  Jaques-Dalcroze    (geb.   1865)    begann    nach   Studien jahren   bei 

Bruckner  und  Delibes   als   Komponist   von   Opern,   die  eine  Synthese  von  franzosischer 

komischer  Oper  und  lyrischem  Drama  darstellen  (,Janie",  ,,Sancho  Panza",  ,,Le  bonhomme 

jadis",  ,,Les  jumeaux  de  Bergame")-  Seit  1 907  wurde  seine  rhythmische  Gymnastik  weitbekannt, 

die  sich  zur  plastischen  Rhythmik  weiterentwickelte.  Seine  besondere  Begabung  fiir  das  nationale 

Festspiel  (Waadtlandische  und  Genfer  Zentenarfeiern)  erhielt  durch  den  erfolgreichen  Vor- 

stoB  in  das  Gebiet  direkter  Verbindung  von  Korperbewegung  und  musikalischem  Erleben 

neue   Nahrung.    So   entstanden   die   weitgespannten  Festspiele,  wo  Orchesterklang,  Chor- 

massen,  rhythmisch  bewegte  Gruppen  und  reichste  Farbenwirkungen  sich  vereinigten  (Fetede 

la  jeunesse  et  de  la  joie,  1923),  daneben  Chorwerke,  Violinkonzerte,  Orchesterdichtungen, 

Kammer-  und  Klaviermusik  sowie  vor  allem  eine  groBe  Zahl  von  Kinderliedern  und  sonstigen 

volkstiimlichen  Gesangen.    Bedeutender  und  schweizerisch-charakteristischer  ist  G.  Doret 

(geb.  1866,  u.  a.  Schiller  von  Massenet);  seine  Musik  ist  herber,  wenn  auch  rhythmisch 

weniger  verastelt,  die  Bergwelt  seiner  Heimat  machte  ihn  besinnlich,  aber  ebenso  auch  leiden- 

schaftlich  und  zu  dramatischem  Gestalten  befahigt.  Die  Opern  ,,Les  armaillis",  ,,Der  Zwerg 

vom  Hasital",  ,,La  nuit  des  quatre  temps**  beweisen  dies;  die  Verbundenheit  mit  der  engeren 

Heimat  gibt  den  Blihnenmusiken  zu  ,,TelI",  ,,Davel",  den  Festspielen  ,,Le  peuple  vaudois** 

und  zum  Winzerfest  von  1905  und  1927  eine  eigene  Intensitat.    Chore,  Kantaten,  weitere 

lyrische  Dramen,  Orchestersuiten  zeugen  von  vielseitigem  Schaffen  im  Sinne  sehr  gemafiigter 

Moderne,  aber  durchaus  nicht  ohne  Eigenart.  P.  Maurice  (geb.  1868)  ist  durch  Anlage  und 

Studien  trotz  langem  Aufenthalt  in  Miinchen  dem  Stil  der  Vorlaufer  des  Debussysmus  treu- 

geblieben,  den  er  durch  Pariser  Studienjahre  bei  Faure  und  Massenet  aufnahm;  Feinheit 

der  melodischen  Diktion,  duftige  Orchestrierung,  raffinierte  aber  doch  nicht  atonale  Harmonik 

zeichnen  ihn  aus.  ,,Die  weifie  Flagge",  ,,Mise  Brun",  ,,Lanvar*,  ,,Bei  Nacht  sind  alle  Katzen 

grau**  sind  seine  Hauptopern;  doch  auch  sinfonische  Dichtungen,  Mimodramen,  Orchester- 

lieder  sind  zu  nennen.    Zur  gleichen  Generation  gehoren   auch  J.  Laubei   (geb    186^^ 

Schiller  sowohl  von  Rheinberger  wie  von  Massenet,  mit  zahlreichen  Kammermusikwerken, 

Sinfonien,  Oratorien,  Kantaten,  Konzerten  von   leichter,   oft  witziger,   immer  gewandter 

Schreibart  und  bemerkenswerter  formaler  Rundung,  ferner  0.  Barblan,  ein  ladinischer 

Engadiner,  aber  seit  1887  inGenf,der  vielleicht  ernsthafteste  und  gelehrteste  Kontrapunktiker 

der  alteren  Generation  der  romanischen  Musiker  (geb.   1860),  mit  versonnenen  und  stil- 

sicheren  Orgelwerken,  Choren,  Kantaten,  Festspielen,  einer  Lukaspassion.  Er  steht  sowohl 

der  ernsten  Polyphonic  und  Harmonik  eines  Franck  wie  der  neudeutschen  Richtung  nahe. 

Mehren  sich  nun  in  der  Folge,  seit  1890,  in  rascher  Entwicklung  die  Werke  von  Kompo- 

nisten  der  romanischen  Schweiz,  die  auf  ein  allmahliches  Entstehen  einer  ernst  zu  nehmenden 

romanischen  Komponente  schweizerischen  Tonschaffens  schliefien  lassen,  so  dauert  es  doch 

eine  geraume  Weile,  bis  das  Vorbild  Francks  einem  wirklich  innerlich  begriindeten  modernen 

Stil  und  dessen  besonderer,  wenn  auch  nicht  notwendigerweise  atonaler  Harmonik  und  linearer 


1080 


Moderne:  Romanische  Schweiz 


Schreibweise  welcht.  So  hat  weder  die  bekannte  Gruppe  der  ,,Sixlt  in  Paris  (Auric,  Durey, 
Honegger,  Milhaud,  Poulenc,  Tailleferre;  vgl.  S.  1071  ft)  mit  ihrer  als  Reaktion  gegen  den 
Impressionisms  Debussys  zu  verstehenden  Polytonalitat  und  naturalistischen  Verachtung 
der  bisherigen  Klanggesetze,  noch  der  langere  Aufenthalt  von  Stravinsky  am  Genfer  See 
(seit  1913)  einen  nennenswerten  Einflufi  auf  die  Gruppe  der  jiingeren  Komponisten  der 
romanischen  Schweiz  ausgelibt,  wenn  auch  sichtlich  weitere  Kreise,  nicht  zuletzt  durch  das 
eifrige  und  iiberzeugte  Emtreten  des  Genfer  Dirigenten  E.  Ansermet,  einen  gewissen  Kon~ 
takt  mit  der  neuesten  Musik  fanden.  P.Benner  (gediegene  KirchenmusJk),  E.  Blanchet 
(virtuose,  zwischen  Chopin  und  Debussy  stehende  Klaviermusik),  A.  Denereaz  (formgewandte, 
eklektisch  gehaltene  Sinfonik  und  Kammermusik,  Kantaten  und  Chore),  W.  Montillet 
(Messen,  Motetten,  Orgelwerke)  mogen  als  BeispJele  der  zwischen  1870  und  1880  geborenen 
Generation  genannt  sein,  die  auch  stilistisch  sich  eher  konservativ  verhalt.  Zirka  em  Jahrzehnt 
jiinger  sind  E.BIoch  (nacb  deutschen  und  belgischen  Studienjahren  seit  1915  in  Amerika) 
mit  bewuBter  und  kraftvoller  Betonung  judischer  Empfindungs-  und  Stilelemente,  zweifellos 
eine  dramatische  Begabung  von  nahezu  internationalem  Format;  Straufl  wie  Debussy  be- 
einflu&en  ihn.  Das  Musikdrama  ,,Macbeth"  hat  Anlafi  zum  Vergleich  mit  ,,Elektra"  und 
,,Salomet4  gegeben,  Orchesterlieder,  Sinfomen  („  Israel",  1916),  Kammermusik,  Suiten  ver- 
raten  einen  heifien  und  kraftigen  Zug.  Ferner  J.  Duperier  (Orchesterwerke,  Orchesterlieder, 
Klavierlieder),  H.  Gagnebin  (Sinfonien,  Kammermusik,  Ouverttiren),  F.  Hay  (sinfonische 
Dichtungen,  Chorwerke,  vokale  Kammermusik,  Violinkonzert),  Ch.  Chaix  (Sinfonien,  Kan 
taten,  Motetten).  Bei  dieser  Gruppe  ist  schon  ein  ecbterer  moderner  Kompositionsstil  im 
Sinn  des  inneren  Miissens  spiirbar,  wenn  auch  die  Vorbilder  von  Franck  bis  Debussy  deutlich 
erkennbar  sind.  Obwohl  noch  einige  Jahre  jiinger,  sind  auch  A.  Fornerod  (Sinfonien, 
KammermusJk,  Motetten,  eine  Messe,  Orgelwerke)  und  F.  Martin  (Chorsinfonie,  Orchester 
lieder,  Kammermusik,  Biihnenmusik)  nicht  wesentlich  tiber  diese  Linie  hinausgegangen,  zeigen 
aber  ebenfalls  eine  eigene  Physiognomic.  Wenn  auch  genealogisch  aus  der  deutschen  Schweiz 
stammend,  so  ist  doch  A.  Honegger  (geb.  1 892)  kunstlerisch  in  ausscblaggebender  Weise  neben 
Schonbergdurch  Frankreichbeeinflufit  (vgl.  S.  1 072)  und  mufi  in  gewissem  Sinn  auch  als  Reprasen- 
tant  der  romanischen  Schweiz  betrachtet  werden.  Etwas  Gesundes  und  Bodenstandiges  ermog- 
licht  es  ihm,  harmonische  Kiihnheiten,  polymelodische  Freizugigkeiten  zu  bringen,  ohne  dafi  der 
Eindruck  der  schematischen  Uberspitzung  um  jeden  Preis  entsteht.  Eigenwillige  Kammer 
musik,  Quartette,  Sonaten,  vokale  Kammermusik,  sinfonische  Orchestermusik,  Klavier-  und 
Orgelstiicke,  Konzerte,  vor  allem  dramatische  Musik  zeigen  eine  ebenso  ungewohnliche  Produk- 
tionskraft,  wie  ernsten  und  tiefen,  personlichen  Stil,  der  sich  durchaus  nicht  in  der  Negation  des 
Impressionismus  erschopft  oder  einer  kalten  und  geistvollen  Sachlichkeit  ausschhefilich  buldigt 
(die  virtuose  Maschinenschilderung  ,,Pacific  231").  sondern  das  Gefiihl  sogar  als  den  not- 
wendigen  Imperativ  zum  kiinstlerischen  Schaffen  anerkennt,  obwohl  er  eine  gewisse  un- 
romanische  Verschlossenheit  besitzt.  Weitaus  am  erfolgreichsten  war  Honeggers  zu  emem 
,,Sinfonischen  Psalm"  umgearbeitetes  szenisches  Oratorium  ,,Konig  David* '.  Aus  der  aller- 
letzten  Zeit  stammen  noch  ,,Antigone"  und  .Judith",  Werke,  die  seine  Begabung  auf  dem 
Gebiete  der  grofien  vokalen  Konzertformen  eindringlich  bestatigen.  Man  darf  Honegger 
als  eine  wirkliche  Hoffnung  der  schweizerischen  oder  franzosiscben  nicht  nur,  sondern  der 
europaischen  Musik  betrachten. 


ir 


Moderne:  Hollander  ]Q8I 


Literatur 

Vgl.  S.  1044  zum  Abschnitt  , .Deutsche  Schweiz",  fernernoch  Anserrnet,  E. :  La  musique  en  Suisse  (Mercure 
musical  Paris,  juin  1906).— Becker,G.:La  musique  en  Suisse,  Neuausgabe  1923  (Henn.Genf).  — Cherbuliez,  A.  E.: 
Zeitgenossische  Schweizer  Musik  (Die  Kultur,  Wien  1927,  S.  796—801).  —  Currat,  P.:  Les  chants  et  coraules  de 
la  Gruyere  (1895).  —  Gagnebin,  H.:  Easier  KongreBbericht  (Breitkopf,  1924,  S.  147—150).  —  Humbert,  G.: 
Musique  et  musiciens  suisses  (Vie  musicale,  Lausanne,  juin  1908).  —  Kelber,  0.:  Die  Musik  in  der  Schweiz 
(,,GeschichtederMusik\191^^ 

Die  Moderne  Musik  (Handbuch  der  Musikwissenschaft  von Biicken,  Athenaion, Potsdam  1927).  — Montandon,M.: 
La  musique  en  Suisse  (Lavignacs  Encyclopedic  de  la  musique,  Delagrave,  Paris  1922).  —  Nef,  K.:  Bibliographic 
der  Schweiz.  Schriften  iiber  Musik  und  Volksgesang  (Bern  1908).  — Refardt,  Edg.:  Hist.-Biograph.  Musiker- 
lexikon  der  Schweiz  (Hug,  Zurich  1928).  Programmheft  des  Boston  Symphony  Orchestra  1929  iiber  A.  Honegger. 
—  Roland-Manuel:  A.  Honegger  (Paris  1925).  —  Rossat,  A.:  Chants  patois  jurassiens.  —  Vogler,  C.: 
DerSchweizerTonkiinstlerverein  (Hug,  Zurich  1925).  —  Schweiz.  Jahrbuch  fur  Musikwissenschaft,  Bd.  I,  II,  III. 
(Aufsatze  von  I.  Bovet,  A.  E.  Cherbuliez,  F.  Gysi,  J.  Handschin,  L.  Kathriner,  P.  Long,  P.  Marsop,  W.  Merian, 
E.  Refardt).  —  Schweiz.  Musikzeitung,  besonders  die  Festhefte  der  schweiz.  Tonkiinstlerfeste. 

A.  E.  Cherbuliez 


HOLLANDER 

Seit  Jahrhunderten  behauptet  Holland  in  der  Kulturgeschichte  einen  Ehrenplatz  als  das 
Land  der  Maler.  Als  solches  ist  es  auch  in  aller  Bewufitsein  lebendig.  Die  vielfaltigen  Bre- 
chungen  des  Lichtes  in  dem  feuchten  Seeklima,  die  zarten  Farben  der  verschwommenen  Uber- 
gange,  die  reichen  Formen  der  feingegliederten  Landschaft,  dabei  das  auf  gesunden  Realismus 
gestellte  ernste  und  derbfrohliche  Wesen  des  Volkes,  eine  eigene  alte,  hochstehende  Kultur 
und  die  all  diesen  Bedingungen  entsprechenden  Lebensformen,  dies  alles  waren  gegebene 
Grundlagen  far  eine  Entwicklung  des  Malerischen.  So  giinstig  in  dieser  Hinsicht  alle  Vor- 
bedingungen  waren,  so  wenig  kamen  sie  den  andern  Kunstzweigen,  der  Dichtung  und  der  Musik, 
entgegen.  Einer  Bliite  und  ,vor  allem  einer  f  ruchtbringenden  Auswirkung  der  Literatur  hat  stets 
die  relative  Begrenztheit  des  hollandischen  Sprachgebietes  im  Wege  gestanden.  Unddoch  wird 
man  allenthalben  schone  Ansatze  und  hier  und  da  hochst  wertvolle,  ja  wirklich  bedeutende 
Einzelerscheinungen  konstatieren  konnen.  Die  Sprache  der  hollandischen  Dichter  ist  reich  und 
ausdrucksfahig,  namentlich  auch  far  das  Malerische,  und  dabei  von  plastischer  Anschaulichkeit. 

Die  realistische,  unromantische  Lebensauffassung,  die  Eigenart  des  Hollanders,  die  der 
Entwicklung  der  Malerei  so  sehr  zugute  gekommen,  ist  einer  bedeutenden  Produktivitat  auf 
musikalischem  Gebiete  nicht  forderlich  gewesen.  In  gleichem  Sinne  iibte  wohl  auch  die  vor- 
nehmlich  seemannische  Betatigung  des  Hollanders  ihren  EinfluB,  eine  Riickwirkung,  die 
Willem  Harmans  dahin  charakterisierte,  ,,dafi  die  musikalische  Produktivitat  einer  Nation  im 
umgekehrten  Verhaltnis  steht  zu  ihrer  Bedeutung  als  Seemacht".  Ausgesprochen  musik- 
feindlich  ist  ja  auch  der  Calvinismus,  der  in  Holland  naturgemaB  starke  Wurzeln  fassen  mufite 
und  dessen  strenge  phantasietotende  Dogmen  das  Land  lange  Zeit  beherrschten  und  noch  heute 
den  Lebensformen  gewisser  Kreise  ihren  Stempel  aufdrticken. 

Zuriickblickend  iiber  die  Jahrhunderte,  sehen  wir  nur  einen  Namen  eines  hollandischen 
Komponisten  von  universeller  Bedeutung  hiniiberstrahlen,  das  ist  Jan  Pietersz  Sweelinck 
(s.  S.  541)  (1562 — 1621),  wahrend  die  sogenannte  ,,Niederlandische  Schule"  aus  der  zweiten 


]Qg2  Moderne:  Hollander 


Halfte  des  15.  Jahrhunderts  ihren  Schwerpunkt  mehr  im  siidlicheren  Flandem  hatte  und  nicht 
eigentlich  als  ,,hollandisch"  angesprochen  werden  kann. 

Aber  trotz  dieses  sehr  bescheidenen  Anteils  an  der  Geschichte  der  Musik  ist  der  Hollander 
im  Grunde  tief  empfanglich  und  begabt  fur  die  Tonkunst.  Das  beweisen  die  reichen  Schatze 
urkraftiger  Volksmusik,  die  zum  Teil  schon  zu  Anfang  des  1 7.  Jahrhunderts  von  Adrianus 
Valerius  unter  dem  Titel  ,,Nederlandtsche  Gedenk-CIanck"  gesammelt  noch  heute  Im 
Volke  lebendig  sind;  das  beweist  auch  die  Entwicklung  der  Musik  wahrend  der  letzten 
Dezennien.  Ihr  zufolge  mufi  man  Holland  heute  als  belangreichen  Faktor  im  europaischen 
Musikleben  werten.  Die  Neigung  und  Veranlagung  zur  Musik  hat  sich  bisher  am  auffalligsten 
im  Reproduktiven  gezeigt,  in  der  relativ  sehr  grofien  Anzahl  guter,  ja  bedeutender  ausiibender 
Kiinstler  hollandischer  Abstammung,  zumal  unter  den  Sangern  und  unter  den  Mitghedern 
der  Orchester  in  aller  Welt,  dann  im  Lande  selbst  in  der  starken  Pflege  der  Hausmusik  und  in 
der  Lebhaftigkeit  eines  hervorragenden  Konzertlebens.  Die  grofie  ,,Maatschappij  tot  be- 
vordering  der  Toonkunst"  kann  schon  auf  ein  hundertjahrigesBestehen  zuriickblicken.  Emzelne 
ihrer  zahlreichen  Ortsgruppen  haben  vorziigliche  Chore,  unter  diesen  steht  Willem  Mengel- 
bergs  Amsterdamer  Chor  als  einer  der  besten  Europas  an  erster  Stelle.  Die  Vorzuge  der 
hollandischen  Chore:  Klangschonheit  und  gute  Schulung  zeichnen  auch  eine  glanzende  Kette 
von  Sangern  und  Sangerinnen  aus.  Der  grofite  von  ihnen  war  Joh.  Messchaert  (1857— 1922), 
dessen  umfassende  Kiinstlerschaft  in  seiner  klassischen  Bach- Interpretation  gipfelte.  Aus 
Messchaerts  Schule  ragen  Frau  Noordewier-Reddingius,  eine  Oratoriensangerin  grofien 
Formats,  und  der  Bariton  Thorn.  Denijs  hervor.  Als  Liedersangerinnen  sind  vor  allem 
Julia  Gulp  und  Tilly  Koenen,  auf  der  Biihne  im  deutschen  Kulturkreis  aufgehend  Anton 
van  Rooy  und  Jac.  Urlus  als  bedeutsame  Erscheinungen  zu  nennen.  —  Eine  einzigartige 
Orchesterkunst  moge  noch  im  Zusammenhang  mit  der  jungeren  Komponistengeneration 
charakterisiert  werden,  deren  Geschmack  und  Ziele  sie  richtunggebend  beeinflufit. 

Im  19.  Jahrhundert  ist  das  hollandische  Musikleben  vollig  von  Deutschland  abhangig. 
In  dieser  Abhangigkeit  ist  es  recht  eigentlich  erstarkt.  Die  erste  energische  Ftihrer- 
personlichkeit  war  Johannes  Verhulst  (1816—91).  In  Jhm  ist  die  Vorherrschaft  der 
alteren  deutschen  Romantik  verkorpert.  Mit  Mendelssohn  und  Schumann  verband  ihn  per- 
sonliche  Freundschaft.  Auch  als  Komponist  war  Verhulst  fruchtbar;  er  schrieb  Orchester- 
werke,  Kirchen-  und  Kammermusik.  Zu  gleicher  Zeit  wirkte  Richard  Hoi  (1825 — 1904), 
der  als  Dirigent  und  Lehrer  das  Musikleben  in  Utrecht  zu  hoher  Bliite  brachte  und  zugleich 
als  Schriftsteller  und  vielseitig  begabter  Komponist  tatig  war.  Neben  Verhulst  und  Hoi  sind 
noch  der  aus  Leipzig  stammende,  1850  nach  Holland  iibersiedelte  und  lange  Jahre  in  Amster 
dam  wirksame  Gustav  Adolf  Heinze  (1820—1904)  und  der  Haager  Willem  F.  G.  Ni- 
colai  (1829 — 96)  als  leitende  Kopfe  jener  Epoche  zu  nennen.  In  den  70er  und  80 er  Jahren 
beginnt  der  EinfluC  Richard  Wagners  immer  starker  zu  werden.  Gegen  Jhn  und  die  heran- 
wachsende  Generation  bleibt  Verhulst  das  Haupt  der  Reaktion.  Die  Zeit  schreitet  iiber  ihn 
hinweg.  Mit  ihr  wachsen  neue  Talente  heran.  Obwohl  Oper  und  Musikdrama  dem  Hollander 
wesensfremd,  ist  es  gerade  Wagner,  der  das  hollandische  Musikleben  neu  belebt.  Aber  die  Kom~ 
ponisten  bleiben  trotz  starker,  durch  Wagner  empfangener  Anregungen  meist  der  Biihne  fern. 

Bernard  Zweers  (geb.  1854)  ist  das  Haupt  der  alteren,  von  Wagner  beeinfluBten  Kompo 
nistengeneration.  Er  schrieb  zahlreiche  Chor-  und  Orchesterwerke,  von  denen  seine  grofi- 


Moderne :  Hollander  \  Q83 


angelegte  III.  Symphonic  ,,An  mein  VaterlancT  ein  Ereignis  in  der  Geschichte  der  hollan- 
dischen  Musik  bedeutet.  Sie  ist  denn  auch  seit  der  Urauffiihrung  1890  im  Amsterdamer 
Concertgebouw  bis  heute  Repertoirestiick  geblieben.  Von  Zweers'  spateren  Werken  seien 
noch  genannt  die  Musik  zu  Vondels  ,,Gijsbrecht  van  Amstel*',  die  Ouvertiire  ,,Saskia"  und 
die  Ode  ,,Aan  de  schoonheid"  fiir  Chor  und  Orchester  (nach  P.  C.  Boutens).  Alle  seine  Chor- 
werke  und  Lieder  sind  auf  hollandische  Texte  komponiert. 

Auch  urspriinglich  von  Wagner  ausgehend,  aber  seiner  geistigen  Veranlagung  nach  ganz 
anders  gerichtet  und  im  Laufe  seiner  Entwicklung  neuen  Zielen  zustrebend,  ist  Alphons 
Diepenbrock  (1862 — 1921)  als  die  bedeutendste  Personlichkeit  unter  den  hollandischen 
Komponisten  anzusprechen.  In  den  Wandlungen,  die  Diepenbrock  durchmachte,  spiegeln  sich 
die  Wege  der  geistigen  und  musikalischen  Stromungen  Hollands  um  die  Jahrhundertwende. 
Diepenbrock  steht  als  einer  der  Fiihrer  in  der  kulturellen  Bewegung  der  80  er  Jahre  in  regem 
Austausch  mit  Personlichkeiten  aller  Zweige  des  geistigen  Lebens.  Als  em  warmer  Verehrer 
Gustav  Mahlers  gehorte  er  spater  zu  dessen  hollandischem  Freundeskreis,  der  in  Willem 
Mengelberg  und  dem  Amsterdamer  Concertgebouw  seinen  Mittelpunkt  hatte.  Obwohl 
vaterlicherseits  von  deutscher  Abstammung,  suchte  Diepenbrock  in  seinen  letzten  Jahren 
immer  mehr  und  fanatischer  Anschlufi  an  Frankreich  und  die  franzosische  Musik,  vor  allem  an 
Debussy  und  seine  Schule.  Dieser  Zwiespalt,  der  der  Erscheinung  Diepenbrock  eine  gewisse 
Tragik  gibt,  ist  auch  in  seiner  Kunst  fiihlbar.  Sie  wurzelt  im  deutschen  Geiste  —  aber  nicht 
tief  genug,  um  sich  zu  einer  absoluten  Hohe  aufzuschwingen ;  und  die  franzosische  Sonne, 
nach  der  sie  sich  sehnt,  gibt  ihr  keine  rechte  Warme  und  Kraft.  Von  Hause  aus  Altphilologe, 
in  der  Musik  Autodidakt,  in  seinem  Wesen  Mystiker  und  glaubiger  Katholik,  war  Diepen 
brock  mehr  eine  reflektierende  und  kritisch-griiblerische  Natur,  als  eine  impulsiv  gestaltende 
schopferische  Kraft.  Seine  Gesamterscheinung  hat  fraglos  etwas  Geniales,  und  seine  musi 
kalischen  Schopfungen  tragen  einzelne  durchaus  bedeutende  Ziige.  Eine  rituale  Messe  war 
sein  erstes  grofieres  Werk.  1897  komponierte  er  ein  machtvoll  inspiriertes  ,,Tedeum"  fur  Chor, 
Soli  und  Orchester.  Lieder  schrieb  er  auf  hollandische,  deutsche  und  franzosische  Texte, 
auBerdem  Orchestergesange  (nach  Holderlin  und  Novalis)  und  Chore.  Charakteristisch  fiir 
Diepenbrock  sind  verschiedene  begleitende  Biihnenmusiken,  wie  die  Musik  zu  Verhages 
Biihnenspiel  ,,Marsyas",  zu  Vondels  historischem  Drama  ,,Gijsbrecht  van  Amstel",  zu  Ari 
stophanes*  ,,Die  Vogel",  zu  Sophokles'  ,,Elektra"  und  zu  Goethes  ,,Faust". 

Weniger  phantasievoll  und  differenziert,  aber  geistig  und  technisch  geschlossener  als  Diepen 
brock  ist  Cornells  Dopper  (geb.  1870,  seit  1909  zweiter  Dirigent  des  Concertgebouw). 
Er  ist  der  hollandischeste  unter  Hollands  Komponisten.  Hollandisch  in  der  Schlichtheit, 
manchmal  geradezu  niichternen  Derbheit  seiner  Themen,  hollandisch  in  der  einfachen  klaren 
Plastik  der  Stimmfuhrung,  hollandisch  auch  in  .seinem  Humor  und  Sinn  fiir  das  Malerische. 
Seine  Orchesterbehandlung  ist  von  charaktervoller  Meisterschaf t :  sehr  farbig,  dabei  aber 
kernig  und  kraftvoll  in  den  Linien  und  sich  nie  verlierend  in  vagem  Experiment ieren.  Dagegen 
ist  die  thematische  Entwicklung  haufig  etwas  trocken  und  zerrissen.  Doppers  ungemein 
starke  Produktivitat  hat  sich  auf  alien  musikalischen  Gebieten  betatigt,  bevorzugt  aber  die 
Orchestermusik.  Von  seinen  sieben  Symphonien  tragt  die  zweite  den  Namen  ,,Rembrandt<<, 
die  sechste  heifit  ,,De  Amsterdamsche",  die  siebente  „ Zuiderzee-Symphonic".  Schon  diese 
Bezeichnungen  weisen  auf  die  Bodenstandigkeit  der  Dopperschen  Musik  hin.  Diese  offenbart 

69    H.d.M. 


1084 


Moderne:  Hollander 


sich  auch  in  dem  ausgesprochenen  Sinn  fur  das  Volkstiimliche  und  Burleske.  So  gibt  zum 
Beispiel  das  Finale  der  sechsten  Symphonic  die  Impression  eines  Amsterdamer  Volksfestes 
(,,Koninginnedag ')  hochst  originell  und  geistreich  wieder.  Es  ist  dieselbe  Psyche,  aus  der 
heraus  ein  Jan  Steen  seine  urwiichsigen,  derb-humorvollen  Szenen  make.  In  diese  Linie  ge- 
hort  auch  das  Scherzo  der  siebenten  Symphonic.  Mit  geradezu  genialer  Kiihnheit  das  Banale 
streifend,  schildert  es  aus  der  Fiille  drastischer  Anschauung  eine  hollandische  Bauernhochzeit 
und  ist  so  in  gewissem  Sinne  als  ein  niederlandisches  Gegenstiick  zu  Bruckners  oberoster- 
reichischen  Scherzi  anzusprechen.  Darin  manifestiert  sich  eine  wichtige  Seite  der  Bedeutung 
Doppers,  dafi  er  Melodien  von  ausgesprochen  national-hollandischem  Charakter  in  grofien 
Formen  verwertet  und  sie,  dank  einem  meisterhaft  beherrschten  personlichen  Stil,  aus  lokaler 
Atmosphare  zur  AHgemeingiiltigkeit  erhebt.  Auch  der  erste  Satz  der  Zuiderzee-Symphonic 
ist  durchsetzt  mit  alten  hollandischen  Volksweisen,  wahrend  der  langsame  Teil  dieses  ganz 
aus  dem  Erlebnis  der  hollandischen  Natur  heraus  erwachsenen  Werkes,  inspiriert  durch  emen 
Sonnenuntergang  auf  dem  Meere,  musikalisch-malerische  Stimmungen  von  grofier  Intensitat 
undEigenart  enthalt.  Eine  der  starksten  Schopfungen  Doppers  ist  seine  ,,Ciaconna  gothica" 
for  grofies  Orchester  (1920).  Sie  stellt  einen  Zyklus  von  Variationen  auf  ein  achttaktiges 
Grnndthema  ernsten  Charakters  dar,  Variationen,  die  trotz  ihrer  Gegensatzlichkeit  und  far- 
bigen  Belebtheit  den  wehmtitigen  Charakter  des  Themas  durchweg  wahren,  in  Jhrem  Verlauf 
steigern  und  in  dem  leise  und  langsam  verhallenden  SchluB  zu  intensiver  Stimmung  verdichten. 
Dopper  kompomerte  aufierdem  noch  verschiedene  einsatzige  Orcbesterwerke,  Suiten  und 
Konzerte  (u.  a.  ein  Cellokonzert  und  ein  Paukenkonzert !),  mehrere  Chorwerke,  drei  Opern 
und  Kammeimusik.  Nebenbei  hat  er  sich  durch  geschickte  Bearbeitungen  von  Werken  alter 
Meister  sehr  verdient  gemacht. 

Gewisse  nationale  Ziige  weist  auch  das  Schaffen  von  Johan  Wagenaar  auf,  der,  1862  in 
Utrecht  geboren,  lange  Zeit  als  Dirigent,  Organist  und  Lehrer  mit  dem  Musikleben  seiner 
Vaterstadt  aufs  engste  verkniipft  war  und  das  fruchtbare  Wirken  seines  Lehrers  Hoi  fortsetzte. 
Seit  1918  ist  Wagenaar  Direktor  des  Kgl.  Konservatoriums  im  Haag.  Zu  seinen  charakter- 
vollsten  Werken  gehoren  die  burlesken  Opern  ,,Der  Doge  von  Venedig"  und  ,,Der  Cid",  und 
die  humoristisch-parodistische  Kantate  ,,De  Schipbreuk"  (,,Der  Schiffbruch")-  Diese  Werke 
haben,  abgesehen  von  der  meisterhaften,  an  Berlioz,  R.  Straufi  und  Mahler  entwickelten  Be- 
herrschung  alles  Technischen,  eine  eigene  Farbe  durch  das  auf  realistischer  Lebensauffassung 
begriindete  Derb-Burleske,  Humoristisch-Satirische  ihres  Inhaltes.  Viel  Melodic  und  gesunder 
Rhythmus  ist  ihnen  nachzuruhmen.  Leider  stehen  die  von  Wagenaar  benutzten  Dichtungen 
literarisch  nicht  auf  einer  Hohe,  die  der  Musik  entspricht;  dabei  ist  diese  doch  wieder  so  eng 
verkniipft  mit  den  Wirkungen  der  hollandischen  Sprache,  dafi  ein  beispielsweise  ins  Deutsche 
iibertragener  Text  dem  Verstandnis  erheblich  hinderlich  sein  wiirde.  Auch  die  rein  instrumen- 
talen  Werke  Wagenaars,  darunter  eine  Anzahl  Ouvertiiren  (,,Cyrano  de  Bergerac",  ,,De  ge- 
temde  feeks"  u.  a.)  und  eine  stark  von  Mahler  beeinflusste  Sinfonietta  sind  beachtenswert. 
Zu  Wagenaars  vielverzweigtem  Schiilerkreis  gehort  der  Dirigent  des  von  Henri  Viotta, 
einem  fur  die  niederlandische  Musikkultur  verdienstvollen  Anreger,  1904  gegriindeten 
Residenzorchesters  im  Haag,  Peter  van  Anrooy  (geb.  1879),  der  sich  in  jungen  Jahren 
als  Komponist  der  ,,hollandischen  Rhapsodic"  fur  Orchester  ,,Piet  Hein"  einen  Namen 
machte. 


Moderne:  Hollander  1085 


Grofies  Verdienst  um  die  nationale  volkstiimliche  Kunst  hat  sich  Julius  Rontgen  durch 
reiche  Sammlungen  und  Bearbeitungen  althollandischer  Tanze  und  Lieder  erworben,  wah- 
rend  er  in  seinen  eigenen  Werken  eine  mit  der  hollandischen  Psyche  im  Wesen  zusammen- 
hangende  Eigenart  nicht  aufweist.  Er  ist  vielmehr  durch  Geburt,  Schule  und  Neigung  eng 
verkniipft  mit  der  deutsch-romantischen  Schule,  verbrachte  seine  Jugend  als  Kind  hollandischer 
Eltern  in  Leipzig  und  kam  dann  als  22jahriger  1877  nach  Amsterdam,  wo  er  u.  a.  als  Direktor 
des  Konservatoriums  eine  sehr  geachtete  Stellung  einnahm.  Eine  idealistische  Kiinstlernatur 
und  schopferische  Begabung  von  aufierordentlicher  Produktivitat,  hat  Julius  Rontgen  als  her- 
vorragende  Personlichkeit  des  Kreises  um  Brahms,  als  intimer  Freund  Griegs  und  so  mancher 
anderer  Meister  ein  bedeutsames  Stiick  Musikgeschichte  miterlebt  und  mitgebaut.  Er  schrieb 
Orchester-  und  Chorwerke,  Kammermusik,  Klavierwerke,  Lieder  und  zwei  Opern. 

Von  den  Komponisten,  deren  Tatigkeit  und  Schaffen  mehr  dem  deutschen  Kulturkreis  zu- 
gewandt  ist,  seien  noch  genannt:  Jan  Brandts  -  Buys,  dessen  komische  Oper  ,,Die  Schneider 
von  Schonau"  iiber  viele  Btihnen  ging,  Jan  Ingenhoven  (geb.  1876)  und  Jan  van  Gilse 
(geb.  1881),  der  u.  a.  fiinf  Symphonien  und  ein  Chorwerk  ,,Lebensmesse"  (nach  Dehmel) 
komponierte.  Als  begabter  Kammermusikkomponist  hat  sich  neben  vorziiglicher  pianistischer 
Tatigkeit  Di  r  k  Sch  af  er  (geb.  1 874)  erfolgreich  betatigt.  Er  schrieb  auBer  Klaviersachen  u.  a.  vier 
Violinsonaten,  ein  Klavierquintett,  ein  Streichtrio  und  ein  Streichquartett.  Auch  vom 
Klavier  kommend,  aber  in  seiner  weiteren  Entwicklung  mehr  zur  farbigen  Orchester- 
palette  hinneigend,  ist  G.  H.  G.  von  Brucken  -  Fock  (geb.  1859)  ein  auch  als  Maler  ver- 
anlagtes  Naturtalent.  Seine  Klavierstiicke,  seine  Lieder  und  Orchesterwerke  (darunter  zwei 
Symphonien)  gehen  vielfach  von  malerischer  Anschauung  aus  und  sind  vor  allem  durch  das 
Meer  in  seiner  ewig  wechselnden  Erscheinung  inspiriert1).  Ein  feinsinniger  Tondichter  nach- 
romantischer  Pragung  istWillem  Landre  (geb.  1874),  wahrend  Henri  Zagwijn  (geb.  1878) 
durch  seine  problematisch-suchende  Natur  fesselt. 

Mit  der  wachsenden  Ausbreitung  der  katholischen  Kirche  in  Holland  sind  auch  einige 
Komponisten  geistlicher  Richtung  hervorgetreten,  unter  ihnen  Hubert  Cuypers  (geb.  1873) 
und  TheovanderBijl,der  eine  Matthauspassion  fur  Chor,  Soli  und  Orchester  auf  den  latei- 
nischen  Text  komponierte,  ferner  der  vor  allem  als  Pianist  bekannte  Willem  Andriessen 
(geb.  1887)  und  sein  jiingerer  Bruder  Hendrik.  Bemerkenswert  ist  die  verhaltnismafiig  grofie 
Anzahl  begabter  Komponistinnen  hollandischer  Abstammung.  Von  ihnen  seien  genannt: 
HendrikavanTussenbroekundCatharinavanRennes,derencharaktervollehollandische 
Kinderlieder  und  Chore  eine  ganz  eigene  Physiognomic  haben,  weiterhin  Cornelie  van 
Oosterzee,  Anna  Lambrechts-Vos,  Elisabeth  Kuyper,  A.  Mesritz-van  Veldt- 
huyzen,  Henriette  Bosnians  u.  a. 

Bei  der  Betrachtung  der  letzten  Komponistengenerationen  wird  deutlich,  wie  Holland  sich 
allmahlich  aus  der  beengenden  Sphare  der  deutschen  Nachromantik  mehr  und  mehr  befreite, 
vielseitigen  Anregungen  zuganglich  wurde,  insonderheit  der  Beeinflussung  durch  Mahler  und 

l)  Der  Verfasser  dieses  Artikels  hat  seiner  kompositorischen  Tatigkeit  nicht  Erwahnung  getan:  Rudolf  Mengel  - 
berg  (geb.  1892  in  Krefeld)  wirkt  seit  1915  in  Amsterdam,  wo  er  als  kiinstlerischer  Direktor  des  Concertgebouw 
tatig  ist.  Er  entfaltet  eine  hochachtbare  kompositorische  Tatigkeit  in  Kammermusik,  Orchesterwerken,  Liedern 
und  hat  bei  der  Preisausschreibung  der  Maatschappij  tot  bevordering  der  Toonkunst  (Vorsitzender  der  Jury 
Johan  Wagenaar)  1929  den  Weltpreis  errungen.  Er  ist  kulturell  und  kiinstlerisch  tief  verwurzelt  im  hollandischen 
Boden  und  steht  der  Mahlerschen  Kunst  nahe,  fur  die  er  auch  literarisch  wirkt.  Der  Herausgeber. 

69* 


Moderne:  Hollander 


den  neufranzosischen  Impressionisms  nachhaltig  unterliegt,  um  zuglelch  aber  auf  einer 
breiterenErlebnisbasis  sein  eigenes  Wesen  starker  zu  entwickeln  und  erne  den  neuen  Inhalten 
entsprechende  reifere  Technik  zu  erlangen.  Hierbei  wirkte  die  durch  Willcm  Mengelberg 
(geb.  1871  in  Utrecht)  zu  hochster  Bliite  gelangte  individualisierte  Orchesterkunst  ausgesprochen 
stilschopferisch,  und  das  1888  ercffnete,  seit  1895  dauernd  unter  seiner  Leitung  stehende 
Amsterdamer  ,,Concertgebouw"  gewinnt  als  zentrales  Musikinstitut  richtunggebenden  Em- 
flufi.  /.Mengelberg  propagiert  in  hochster  Instanz  den  Idinstlerischen  Internationalismus, 
gebildet  aus  gleichberechtigten,  so  stark  und  so  rein  wie  moglich  geaufierten  Nationalismen. 
Ich  kenne  keinen  niederlandischen  Meister,  der  grofieren  Einflufi  auf  das  niederlandische 
MusiUeben  hat  als  Willem  Mengelberg"  (Willem  Pijper).  Ein  bedeutsamer  Hohepunkt  unter 
den  vielen  musikalischen  Ereignissen,  die  sich  im  Concertgebouw  in  den  ersten  dreifiig  Jahren 
dieses  Jahrhunderts  abspielten,  war  —  als  erstes  Internationales  Musikfest  nach  dem  Welt- 
kriege  -  das  grofie  Mahler-Fest  (Mai  1920),  auf  dem  alle  Werke  des  osterreichischen  Sym- 
phonikers  in  zyklischer  Folge  an  neun  Abenden  zur  Auffuhnmg  gelangten. 

In  der  lebhaften  Bewegung,  die  sich  im  gesamten  hollandischen  Musikleben  seit  dem  Welt- 
kriege  geltend  macht,  tritt  als  Fiihrer  einer  neuen  Sezession  Willem  Pijper  hervor.  Pijper 
(geb.  1894)  ist  eine  ausgesprochen  zerebrale  Natur,  mit  scharfem,  vielfach  zersetzendem 
Kunstverstand  begabt.  Ein  gewisser  Mangel  an  tieferen  musischen  Kraften  wird  durch  hervor- 
ragende  geistige  Disziplin  ersetzt.  Sie  gibt  Pijpers  gesamtem  Schaffen  einen  durchaus  person- 
lichen,  sachlich-strengen  Charakter,  der  nach  stets  pragnanteren  Formulierungen  strebt. 
Harmonisch  steht  er  ganz  auf  atonalem  Boden.  Im  Lyrischen  bleibt  eine  gewisse  Abhangigkeit 
von  Debussy  fiihlbar.  Die  Reihe  von  Pijpers  Werken  ist,  zumal  im  Hinblick  auf  ihre  starke 
Durcharbeitung,  schon  sehr  ansehnlich.  Sie  umfaBt  u.  a.  drei  Symphonien,  ein  Klavierkonzert, 
szenische  Musik  zu  Dramen  des  Sophokles  und  Euripides,  vier  Streichquartette,  ein  Septett 
und  ein  Sextett  (far  Blaser  und  Klavier),  Trios,  Sonaten,  Lieder,  Chore  und  Bearbeitungen 
alterer  Werke.  -  Der  betrachtlich  altere,  1881  geborene  Sem  Dresden  ist  als  Schiller  von 
Zweers  und  Pfitzner  mehr  traditionsbelastet  und  hat  sich  erst  allmahlich  den  neuen  Zielen 
zugewandt.  Der  Schwerpunkt  seines  Schaffens  liegt  in  der  Kammermusik  und  Vokalkompo- 
sition.  Der  problematische  Bernhard  van  Dieren  (geb.  1884)  ist,  seit  1909  in  London 
lebend,  dem  hollandischen  Kulturkreis  entwachsen.  In  der  Schule  von  Ravel  und  Roussel 
herangebildet,  schafft  Alex.  Voormolen  (geb.  1895),  vielfach  exzentrisch  suchend  Daniel 
Ruyneman  (geb.  1886).  Erwahnung  verdienen  noch  B.  van  Sigtenhorst-Meyer  (geb.  1888) 
und  die  friihreifen  Talente  H.  D.  van  Goudoever  (geb.  1898)  und  Emile  Enthoven 
(geb.  1903). 

Literatur 

Bottenheim,S.:HetConcertgebouwteAmsterdam.1888— 1913  —  Diepenbrock, A.:  Ommegangen  (Gesammelte 
Aufsatze).  Amsterdam  1922.  —  van  Dokkum,  J.  D.  C,  De  MaatscKappii  tot  bevorderbg  der  Toonkunst  in 
hare  wording  en  ontwikkeling.  Amsterdam  1918.  —  Derselbe,  Hondert  jaar  muziekleven  in  Nederland 
1829—1929.  Amsterdam  1929.  —  Dresden,  Sem:  Het  muziekleven  in  Nederland  sinds  1880.  Amsterdam 
1923.  —  Gedenkboek  Willem  Mengelberg.  's  Gravenhage  1920.  —  Riemsdyk,  J.  C.  M.  van:  Het  Stads- 
Muziekcollegie  te  Utrecht  (Collegium  Musicum  Ultrajectinum)  1631— 1881.  —  Scheurleer,  D.  F. : 
Mozart's  verbly  in  Nederland  en  het  muziekleven  aldaar  in  de  laatste  helft  der  18de  eeuw.  —  Derselbe, 
Het  muziekleven  te  Amsterdam  in  de  17de  eeuw.  —  Derselbe,  Het  muziekleven  te  s' Gravenhage 
in  de  tweede  helft  der  18de  eeuw.  —  Viotta,  Henri:  Onze  Hedendaagsche  Toonkunstenaars.  — 


Moderne:  Italiener  1087 


Harmans,  Willem:    Die    Entwicklung   der  Musik  in  Holland  (,,Die  Musikwelt",  Hamburg,   ILJahrg.,  drittes 

Heft).    —   Holland -Heft    der    ,,Neuen    Musikzeitung"    (41.  Jahrg.,    1920,  Heft  15). der  ..Musikwclt* 

(III.  Jahrg.,  erstes  Heft).  —  Bou  wsteenen ,  Jaarboeken  van  de  Vereeniging  voor  Nederlandsche  muziek- 
geschiedenis.  —  Tijdschrift  van  de  Vereeniging  voor  Nederlandsche  muziekgeschiedenis.  —  Geschiedenis  en 
handelingen  van  de  Maatschappij  tot  bevordering  der  Toonkunst. 

Rudolf  Mengelberg 


ITALIENER 

Wer  immer  die  Periode  der  musikalischen  Produktion  Italiens,  die  von  1880  bis  auf  unsere 
Tage  reicht,  aufmerksam  beobachtet,  wird  leicht  ein  typisches  Phanomen  in  der  Orientierung 
dieser  Produktion  zwischen  der  ersten  und  zweiten  Halfte  dieser  vierzig  Jahre  finden.  In  der 
ersten  bleibt  die  italienische  Oper  die  Hauptform,  in  welcher  die  Komponisten  Italiens  sich 
betatigen,  um  ihre  musikalischen  Energien  zu  messen  und  sich  als  Musiker  festigen;  in 
der  zweiten  macht  sich  immer  mehr  die  Tendenz  geltend,  aus  dem  geschlossenen  und 
fruchttreibenden  Gebiete  der  Oper  herauszukommen,  um  auf  dem  Felde  der  symphonischen 
Musik  und  des  lyrischen  Gesanges  zu  saen  und  um  die  Quellen  des  Volksliedes  und  der  histo- 
rischen  Forschung  genau  zu  priifen.  In  dieser  zweiten  Halfte  offenbart  sich  ein  Geist  des  Wett- 
eifers,  welcher  die  Komponisten  des  Landes  des  ,,Bel  Canto"  treibt,  in  all  das,  was  nur  Jmmer 
jenseits  der  Alpen  an  allermodernstem  erscheint,  einzudringen.  Die  sehr  verschiedenen  Ten- 
denzen,  die  vormals  im  fast  uniibersteigbaren  Gehege  der  Oper  enthalten  waren,  manifestieren 
sich  wie  ein  Springbrunnen,  der  iiberraschend  auBerhalb  des  nationalen  Bodens  hervorquillt. 
Trotz  des  jahen  Wechsels  der  Geschehnisse  Jst  es  noch  moglich  —  wenigstens  mit  Bezug 
auf  gute  zwei  Dritteile  dieser  Periode  — ,  klar  die  Abgrenzungslinie  zu  unterscheiden,  die 
einerseits  von  der  reinen  Furche  der  nationalen  Kunst,  andererseits  von  den  Einfliissen,  die 
seitens  der  fremdlandischen  Kunst  ausgeiibt  worden  sind,  gezogen  ist.  Daraus  ergeben  sich 
vier  charakteristische  Momente:  Im  ersten  Dezennium  entbrennt  der  Kampf  zwischen  dem 
Wagnerschen  Tondrama  und  der  traditionellen  Oper,  welche  den  ersten  Platz  behalt  und  mit 
dem  Erscheinen  der  ,,Cavalleria  rusticana"  die  veristische  Richtung  hervorruft,  die  wahrend 
des  zweiten  Dezenniums  nahezu  die  Hegemonic  erlangt.  Nun  folgt  die  Periode  des  Durch- 
sickerns  des  Debussysmus  in  Italien.  Wahrend  des  Ausbruches  des  grofien  -Krieges  entfacht 
sich  der  nationale  Geist  und  nahert  sich  wieder  dem  Gesichtspunkte  der  grofien  italiemschen 
Kunst  der  Vergangenheit,  und  unter  diesem  kunstlerischen  Gesichtspunkte  weckt  er  neue 
Reihen  von  Anhangern,  welche  bereit  sind,  den  Bahnen  der  Moderne  zu  folgen,  ifridem  sie 
der  Phantasie  moglichst  weite  Grenzen  ziehen  und  das  Tor'auch  jenen  Arten  offnen,  die  vom 
herrschenden  Geschmack  verschieden  sind,  und  zwar  ohne  AusschluB  irgendwelcher  Na~ 
tionalitaten.  Mit  dieser  Einteilung  haben  wir  nicht  die  Absicht,  hier  ein  System  aufzustellen, 
welches  einer  objektiven  Priifung  der  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  frei  waltenden  Geister  nicht 
standhalten  konnte. 

Als  Verdi  sich  im  Jahre  1880  Arrigo  Boito  naherte,  um  mit  ihm  die  Umarbeitung  seines 
,,Sirnon  Boccanegra"  vorzunehmen,  gab  er  (sicherlich  unfreiwillig)  Anlafi  zu  einer  Tatsache, 
welche  etwas  Symbolisches  enthalt.  Verdi,  der  hervorragendste  Reprasentant  der  traditionellen 


]Qgg  McxJerne:  Italiener 


italienischen  Opernliteratur,  und  Boito,  der  nach  der  giinstigen  Aufnahme  seines  ,,Mefistofele" 
in  Bologna  (1875)  das  Haupt  der  jungen  Krafte  von  der  revolutionaren  Seite  im  allgememen 
und  der  Wagnerianer  Jm  besonderen  geworden  war  —  diese  beiden  naherten  sich  emander, 
nachdem  sie  sich  wie  zwei  Antagonisten  gegeniiber  gestanden  waren,  und  schlossen  sich  sogar 
zu  gemeinsamer  Arbeit  zusammen.  Diese  Arbeitsgemeinschaft  zeitigte  als  erste  Frucht  im 
Jahre  1887  den  ,,0tello"  und  als  fertige  und  ausgereifte  im  Jahre  1893  den  .JFalstaff".  Eine 
derartige  Arbeitsgemeinschaft  konnte  nur  zum  Besten  der  Entfaltung  solch  starker  Personlich- 
keiten  ausfallen.  Und  in  der  Tat,  die  Umbildung  Verdis  im  ,,0tello"  kann  nicht  als  direkte 
Folge  der  Wagnerischen  Einwirkung  angesehen  werden,  laBt  sich  auch  nicht  auf  Grund  des 
Werkes  des  Librettisten  Boito  erklaren,  sondern  wurde  vielmehr  von  Verdi  selbst  als  eine  innere 
Notwendigkeit  gefuhlt,  unmittelbar  aus  dem  herrschenden  Zeitgeist  hervorgegangen.  Verdi 
konnte  dem  Wagnerianismus  nicht  entrinnen,  soweit  derselbe  den  Fortschritt  der  technischen 
Mittel,  einen  Kampf  gegen  die  Konvention  um  ihrer  selbst  willen,  dann  Steigerung  der  Aus- 
drucksmittel,  hervorgegangen  aus  der  Vereinigung  der  lyrischen,  dramatischen  und  szenischen 
Elemente  mit  denen  der  Musik,  bedeutete.  Und  in  diesem  Sinne  fand  Verdi  in  Arrigo  Boito 
einen  sehr  wirksamen  Verbiindeten,  in  dessen  Gesellschaft  er  die  falschen  Aufierlichkeiten 
der  grofien  Oper  des  franzosischen  Typus  (,,Vespri  Siciliani",  ,,Don  Carlos"  und  teilweise 
auch  ,,Aida")  abstoBen  und  Shakespeare  sich  nahern  lernte.  So  setzte  er  den  Inhalt  des  Shake- 
speareschen  Dramas  synthetisch  in  eine  librettistische  Form,  die  sozusagen  befreit  war  vom 
alten  Schnitt  der  Arie,  des  Rezitativs,  und  sich  poetisch  iiber  die  gewohnlichen  Libretti  erhob. 
Verdi  erfiihlte  auch  die  Mithilfe  des  Orchesters  im  Dienste  des  dramatischen  Ausdruckes,  alle 
Krafte  der  vereinigten  Jnstrumentalen  Elemente  zur  Charakteristik  der  Biihnengestalten.  Je- 
doch  fiihlte  er  sich  deswegen  nicht  bemiifiigt,  die  Vokalitat  der  Oper  zu  verleugnen.  Er  war 
ein  Deszendent  der  reinen  melodramatischen  Tradition  und  bewahrte  ihr  Treue.  Wer  daher 
den  ,,0tello"  in  der  Nahe  betrachtet,  wird  sehen,  wie  in  ihm  sich  die  mstrumentalen  Elemente 
den  vokalen  unterordnen.  In  der  Tat,  kein  Stuck  des  ,,0tello"  konnte  als  symphonische  Musik 
angesehen  werden,  keines  konnte  je  im  Programme  eines  Konzertes  Eingang  finden.  Die 
Vokalitat  einer  Oper,  welche  von  der  vollen  Auswirkung  der  Wagnerschen  Prinzipien,  mit 
Boito  als  Mitarbeiter,  ausgeht,  ist  die  Negation  dieser  Prinzipien.  Das  Um  und  Auf  der  Ver- 
dischen  Oper  besteht  immer  in  der  Fahigkeit  der  italienischen  Musik  im  allgemeinen  und 
der  Verdischen  im  besonderen,  unmittelbar  in  der  der  Wahrheit  am  nachsten  kommenden  Art 
die  immanente  Bedeutung  des  Wortes  zu  iibertragen.  Diese  Fahigkeit  der  Musik  ist  so  groB, 
daB  gewisse  ausdrucksvolle  dramatische  Momente  erhebliche  Vervollkommnungen  erhalten 
konnen,  so  gelegentlich  einer  lyrischen  Stelle.  Und  im  Gegensatze  dazu  ist  der  Fall  nicht 
selten,  wo  in  erregteren  Momenten  des  dramatischen  Rezitativs  sich  scharfe  dramatische 
Akzente  mit  weichen  fliefienden  Stellen  vermengen.  Das  asthetische  Terrain,  auf  welchem 
sich  die  erneuerte  sparsame  Technik  der  Verdischen  Oper  erhebt,  ist  somit  noch  jenes,  welches 
nach  dem  ,,Tell"  Rossinis  den  ,,Rigoletto"  moglich  gemacht  hat.  Diese  Asthetik  ist  es  auch, 
aus  welcher  namlich  ebenso  die  Schonheit  der  dramatischen  Schmahung  des  Rigoletto  gegen 
die  Hofleute,  wie  auch  der  diistere,  ironische  Ton  des  Credos  des  Jago,  ferner  die  siiBen 
lyrischen  Stellen  der  Gildarezitative  und  die  Desdemona-Parlandos  stammen. 

Mit  Verdi  bleibt  auch  eine  Gruppe  von  nicht  mehr  jungen  Komponisten  der  Vokaltradition 
treu,  welche  aber  um  1880  und  1890  ihr  Bestes  for  die  italienische  lyrische  Szene  geleistet 


Moderne:  Italiener  1089 


haben.  In  erster  Linie  Amilcare  Ponchielli,  dem  es  im  Jahre  1874  mit  der  ,,Gioconda" 
gelang,  eine  bisher  unerreichte  Popuiaritat  zu  erzielen,  der  im  Jahre  1880  seine  beste  Musik 
im  ,,Figliuol  Prodigo"  lieferte  und  sich  1885  im  ,,Marion  Delorme"  erschopfte.  Dieser  Periode 
gehoren  ferner  an:  Gomes  (,,Schiavo",  1889;  ,,Condor",  1891),  Cagnoni  (,,Francesca  da 
Rimini",  1878),  Bottesini  (,,Ero  e  Leandro",  1879),  Luigi  Mancinelli  (,,Isora  di  Pro- 
venza",  1884),  Auteri  Manzocchi  (,,Conte  di  Gleichen",  1887).  Die  Produktivitat  aller 
dieser  Autoren  blieb  zwar  vom  Wagnerschen  EinfluB  frei,  fand  aber  in  sich  nicht  geniigend 
Kraft,  um  sich  wie  Verdi  zu  erneuern,  noch  auch  mit  dem  Hauche  personlicher  Schopfung 
zu  entfalten  und  nachhaltig  zu  wirken.  Und  trotzdem  ist  das  geschilderte  Bild  von  der  ita- 
lienischen  Opernproduktion,  welche  von  Verdi  in  jenem  Dezennium  beherrscht  wird,  nicht 
vollstandig,  wenn  man  nicht  auch  den  Hintergrund  betrachtet  und  das  gewonnene  Bild  nicht 
durch  die  Tatsache  vervollstandigt,  dafi  sich  in  erster  Linie  die  jungen  Komponisten  und 
gleich  nach  ihnen  auch  das  Publikum  neue  Kenntnisse  erwarben,  indem  sie  von  derVerbrei- 
tung  der  Wagnerschen  Produktion  und  der  symphonischen  Oper  Nutzen  zogen* 

Jene  bei  Verdi  so  sehr  bewunderte  Vokalitat,  welche  dem  Baum  der  italienischen  Opern- 
tradition  immer  neue  Bliiteperioden  zu  sichern  schien,  bekam  gerade  damals  einen  Schlag 
seitens  einer  machtigen  Rivalin :  der  symphonischen  Musik.  Auf  diesem  Gebiete  hatte  die 
Verbreitung  der  Kenntnisse  der  symphonischen  Klassiker  und  Romantiker,  welche  der  ita 
lienischen  Sensibilitat  in  leidenschaftlicher  Weise  mit  den  Lockungen  der  Sentimentalitat  und 
mit  dem  bestrickenden  Zauber  des  Kolorits  entgegenkamen,  zu  Bundesgenossen  die  Orchester- 
stiicke,  welche  der  Wagnerschen  Musik  fur  den  Gebrauch  der  Konzertsale  entnommen  waren. 
Ein  Anzeichen  far  jene  langsame  Umbildung,  die  sich  im  Geschmack  der  studierenden  Ju- 
gend  vollzog,  ist  die  Tatsache  des  grofien  Erfolges,  den  der  ,,Lohengrin"  in  der  Scala  im 
Jahre  1888  errang,  wahrend  derselbe  ,,Lohengrin"  15  Jahre  friiher  bei  seinem  ersten  Er- 
scheinen  abgef alien  war.  Natlirlich  hatte  diese  Zustimmung  zur  Wagnerschen  Oper  in  Mai- 
land,  sowie  auch  der  Beifall,  den  1888  ,,Tristan"  in  Bologna  fand,  keinen  volkstiimlichen 
Charakter.  Die  Wagnersche  Reform  war  trotz  der  Bestrebungen  einzelner  italienischer  Kom 
ponisten,  Dirigenten  und  Schriftsteller  nicht  der  Ausgangspunkt,  der  in  Italien  eine  beifallige 
Aufnahme  der  ersten  Versuche  von  Auffiihrungen  Wagnerscher  Opern  hatte  bewirken  konnen. 
Immerhin  nahm  das  italienische  Publikum,  das  natiirlich  vor  jedem  asthetisch-theoretischen 
Kanon  zuriickschreckte,  jene  Auffiihrungen  als  geniale  Leistungen  auf.  Das  Problem  der 
Form  interessierte  es  wenig,  und  wenn  -auch,  so  reagierte  es  eher  in  negativer  Weise  ange- 
sichts  der  kiinstlerischen  Tat. 

Das  iibrigens  hindert  nicht,  dafi,  wie  wir  schon  gesehen  haben,  die  Sucht  nach  neuen  Zielen 
zu  einem  Erregungszustand  der  Gemiiter  fiihrte.  Die  Worter  ,,Polyphonie"  und  ,,Symphonis- 
mus",  welche  aufgefafit  wurden  als  Gegensatz  zur  Vokalitat,  wurden  immer  mehr  zwei  Ge- 
meinplatze  in  den  Diskussionen  der  Jungen,  besonders  in  den  Konservatorien.  Der  Gedanke 
eines  farbenreichen  Polyphonismus  erstrahlte  nunmehr  machtig  und  glanzend,  nicht  so  sehr 
als  ein  Element  einer  organischen  Reform  der  Oper,  sondern  vielmehr  als  eine  vereinzelte 
kiinstlerische  Tat.  Die  italienischen  Propagatoren  des  Wagnerianismus  nahmen  die  Partitur 
als  einheitliches  Ganze,  sie  fahlten  sich  beseelt  von  der  symphonischen  Offenbarung;  sie 
nahmen  nicht  viel  Riicksicht  auf  den  Gesamtwert  des  Werkes,  dem  diese  Teile  angehorten, 
sondern  machten  sich  gleich  an  die  Nachahmung.  Italien  war  voll  von  Wagnerianern  ein- 


Moderne:  Italiener 


seitigster  Art;  was  daraus  hervorging  war  ein  technischer,  kein  asthetischer  Fortschntt.  Es 
wurde  in  der  Oper  das  Prinzip  der  Vokalitat  zerstort,  ihre  Konstruktion  wurde  im  Namen  des 
polyphon-instrumcntafcn  Wagnerianismus  haltlos  und  somit  unfruchtbar  Die  zahlreichen 
Werke  dieser  Jungen  riefen  -  gerade  weil  sie  ein  traditionelles  Element  leugneten  ohne  es 
durch  etwas  Organises  oder  wahrhaft  Gefiihltes  zu  ersetzen,  das  iiber  die  oberflachliche 
Nachahmung  Wagners  hinausgegangen  ware  -  Debatten  hervor,  die  in  Wirkl.chke.t  kerne 
Folge  batten.  Dann  kam  die  Gegenstromung,  vorbereitet,  erleichtert  durch  die  Ermudung, 
welche  von  jenen  ungeniigenden  und  gekiinstelten  Anstrengungen  hervorgerufen  war.  bm 
Funke,  welcher  mit  einem  Erfolge  von  ungeheurer  Tragweite  die  angsthche  Erwartung  der 
Geister  des  italienischen  Publikums  zur  Entladung  brachte,  war  ,,Cavallena  rusticana  ,  er- 

schienen  1890.  .  „     . 

Man  konnte  in  der  Stromung  des  lyrisch-veristischen  Theaters  mit  der  ,,Cavallena  als 
Ausgangspunkt  eine  Mache  seitens  des  Verlegers  erblicken,  welche  den  Anlafi  far  emen  Wett- 
bewerb  geben  sollte,  der  in  Rom  1890  eroffnet  wurde.  Aber  kein  Interessenzwang,  kerne 
vorbedachte  Reklameinitiative  konnten  dem  Publikum  innerhalb  und  aufierhalb  Italiens  die 
allgemeine  Zustimmung  nehmen,  welche  die  ,,Cavalleria  rusticana"  und  die  Werke  ahnlicher 
Art  in  der  Folgezeit  erzielten.  Dieser  Wettbewerb  war  nur  die  zufallige  Ursache  dieser  Tat- 
sache,  welche  eine  Bedeutung  an  sich  hat,  die  durchaus  unabhangig  ist  von  der  Art  ihres  Ur- 
sprunges,  welcher  immer  auch  der  der  Oper  innewohnende  Wert  sein  mag  Die  ^Cavallena" 
bedeutete  zunachst  eine  einfache  Riickkehr  der  italienischen  Oper  zu  ihrer  Uberlieferung ;  zu 
einer  Tradition  des  Sujets,  das  sich  direkt  an  das  dramatische  Temperament  von  Kiinstler 
und  Publikum  Italiens  wendete;  einer  Musikertradition,  die,  indem  sie  die  von  den  Poly- 
phonisten  Wagnerscher  Art  vollzogene  Assimilation  vernachlassigte,  eine  Ruckkehr  der  ita 
lienischen  Oper  zu  ihren  vokalert  Anfangen  bedeutete.  Der  entscheidende  Schritt  vollzog  sich 
briisk,  wie  dies  bei  alien  impulsiven  GegenstoBen  der  Fall  ist.  Diese  Art  aufierte  sich  kiinst- 
lerisch  mit  einer  fast  brutalen  Gewalt  von  naiver  und  roher  veristJscher  Haltung,  wie  e?  am 
besten  pafite,  nicht  eine  Kunst,  die  sich,  um  zu  siegen,  in  der  Arena  der  Wagnerianer  zu 
messen  hatte.  Diese  unvorhergesehene  Unterbrechung  schien  und  war  auch  in  der  Tat  eine 
Herabminderung  der  asthetischen  Werte;  in  Wirklichkeit  jedoch  war  es  fur  die  italienischen 
Musiker  erwiinscht,  festzustellen,  wieviel  noch  die  alten  Ausdnicksmittel  der  Oper  vermochteru 
sobald  zwischen  Musik  und  Gegenstand  jenes  Integrationsphanomen  eintrate,  welches  die 
Wagnerianer  verkannt  batten.  Die  einfache  Diktion  des  Librettos  zusammengefafit  in  einem 
Stiicke  voll  kraftigster  Farben,  packendster  Sinnlichkeit  und  Leidenschaft,  findet  in  den  em- 
facheri  geftihlvollen  und  farbenreichen  Formen  Mascagnis  passenden  Ausdruck.  Jene  Musik, 
in  der  Volkslieder  aus  dem  schonen  Siiden  Italiens  durchklingen,  in  der  nichts  gekunstelt  er-: 
schien,  weil  der  bescheidenen  Idee  des  Musikers  und  den  gewahlten-  Formen  entspr^qhend, 
diese  Musik  schien  hervorzuquellen  aus  dem  dramatischen  Sujet  und  aus  der  Leidenscbaft, 
diedazu  den  Rahmen  bildete.  Es  kamen  dann  vom  selben  Meister  ,,Freund' Fritz  *  (1891) 
und  ,,Rantzau"  (1892),  dann  der  romantische  ,,Ratcliff"  (1895)  und  ,,Iris"  (1898),  denen  es 
an  starken  lokalkoloristischen  Einschlagen  und  geistreicher  Harmonisierung  nicht  -feblte,  je- 
doch  geht  diesen  Partituren  die  in  der  ,,Cavalleria" '  so  wirksame  naturalistische  Note  ab. 
Unter  unleugbaren  Spuren  von  Phantasie  des  Musikers  zeigen  sich  die  Anzeichen  von  Nach 
ahmung  in  Formen,  der  Verzerrung  der  melodischen  Linie  und  der  launenhaften  Art  der 


Moderne:  Italiener  JQQ] 


musikalischen  Durchdringung  nicht  weniger  auffallig.  Immerhin,  mit  der  ,,Cavalleria"  war 
der  Wiirfel  einer  Neuorientierung  des  italienischen  lyrischen  Theaters  im  veristischen  Sinne 
gefallen.  Mit  weniger  Phantasie  und  mithin  nicht  mehr  mit  der  Urspriinglichkeit  der  Mas- 
cagnischen  Einbildungskraft  ging  iiber  die  Biihnen  Italiens  der  ,,Bajazzo"  (1892)  von  Ruggiero 
Leoncavallo  (1858 — 1919),  in  den  von  der  ,,Cavalleria"  vorbereiteten  Spuren,  wobei  die 
Heftigkeit  der  Leidenschaft  und  die  Sinnlichkeit  des  musikalischen  Ausdrucks  der  ,,Cavalleria" 
noch  iibertroffen  wurde.  Auch  Leoncavallo,  als  er  den  Schauplatz  verliefi,  auf  dem  der  ,,Ba- 
jazzo"  einen  so  groBen  Erfolg  errungen  hatte,  fand  nicht  mehr  den  gleichen  Beifall  des  Publi- 
kums.  So  gingen  die  ,,Medici"  (1893),  ,,Chatterton"  (1896),  ,,Boheme"  (1897),  ,,Zaza"  (1900), 
,,Maia"  (1910)  voriiber,  ohne  dauernde  Spuren  zu  hinterlassen.  Ohne  eine  solche  blieben 
auch  die  ,,Zingari",  mit  welchen  der  Komponist  im  Jahre  1912  zu  den  Quellen  seines  Ruhms 
zuriickzukehren  trachtete.  Aber  die  Zeiten  und  die  Urspriinglichkeit  der  veristischen  Oper 
waren  vorbei. 

Mehr  ausgeglichen  und  eine  groBere  Personlichkeit,  wie  auch  in  stetiger  und  aufsteigender 
Entwicklung,  ist  Giacomo  Puccini  (1858-1924).  ,,Le  Villi"  (1884)  und  ,,1'Egar"  (1889)  er- 
schienen  wie  eine  VerheiBung,  bevor  noch  dem  Jtalienischen  Publikum  die  Namen  Mascagni 
und  Leoncavallo  bekannt  waren;  Puccinis  Ruhm  festigte  sich,  als  im  Jahre  1893  ,,Manon" 
die  sentimentale,  melodische  Ader  des  lucchesischen  Komponisten,  seine  dramatische  In 
tuition,  seinen  sicheren  Sinn  fur  Theatereffekte,  fur  das  MaBhalten,  far  die  Kunst  der  musi 
kalischen  Hebung  der  Personencharaktere  offenbarte.  Ohne  in  Tiefen  hinabzusteigen,  ohne 
sich  ideale  Hohen  zum  Ziel  zu  nehmen,  gewann  Puccini  durch  seine  menschlich  packende 
Note,  durch  eine  gewisse  aufiere  Eleganz,  die  an  die  Zierlichkeit  der  franzosischen  Musik  er- 
innert,  eine  der  ersten  Stellen  in  der  Reihe  der  Opernkomponisten,  die,  je  mehr  sie  produktiv 
waren,  desto  besser  aufgenommen  wurden.  Seine  Eigenart,  die  schon  in  ,,Manon"  fiihlbar 
ist,  wird  noch  typischer  und  personlicher  in  der  ,,Boheme"  (1896),  wahrend  ,,Tosca"  (1900) 
einen  Schwung  des  Meisters  nach  der  gewaltigen  Manier  hin,  gegen  das  Aufbriillen  der  Leiden- 
schaften  und  grausamen  Effekte  bedeutet.  Umberto  Giordano  (geb.  1867)  folgt  Puccini  in 
kurzer  Zeit  mit  ,,Andrea  Chenier"  (1896),  er  folgt  ihm  auch  in  gewisser  Riicksicht  beziiglich 
Art  und  Sujet,  die  auch  fiihlbar  sind  in  ,,Fedora"  (1898)  und  in  ,,Siberia"  (1903),  obwohl 
diese  Opern  durch  das  russische  Milieu  eine  von  dem  franzosischen  des  ,,Chenier"  verschie- 
dene  Farbung  suchen.  In  die  Reihe  der  Opernkomponisten  der  gleichen  Stromung  ist  auch 
Francesco  Cilea  (geb.  1866)  mit  ,,Adriana  Lecouvreur"  (1902)  zu  stellen. 

Immerhin,  neben  dieser  Reihe  —  die  m  Italien  vielleicht  die  jungitalienische  Schule  deshalb 
genannt  wird,  weil  sie  aus  jungen  Kraften  zusammengesetzt  von  gemeinsamen  Aspirationen 
und  Tendenzen  bewegt  schien  —  erlebt  das  lyrische  italienische  Theater  im  selben  Dezennium 
einige  andere  Ereignisse,  die  sich  klar  auf  seinem  Honzont  abzeichnen.  Auf  der  einen  Seite 
steht  ,,Falstaff  *,  die  letzte  Schopfung  des  Verdischen  Genius,  mit  welchem  der  Meister  von 
Roncole  seinem  bekannten  Ausspruch:  ,,Kehrt  zuriick  zur  Vergangenheit,  und  ihr  werdet 
einen  Fortschritt  machen",  konkreten  Ausdruck  gibt;  auf  der  andern  Seite  steht  eine  fast 
isolierte  Gruppe  von  Opernkomponisten,  wie  Catalan!,  Smareglia,  Franchetti,  auf 
welche  sich  der  Siegesmarsch  des  Verismus  in  der  Oper  nicht  erstreckte 

Weit  entfernt  von  der  Wagnerschen  Stromung  und  hoher  stehend  als  die  auf  dem  Gebiet 
des  Verismus  erzielten  Schopfungen  erhebt  sich  der  ,,Falstaff"  wie  ein  isoliertes  Denkmal, 


Moderne:  Italiener 


welches  auf  der  Vergangenheit  der  lyrisch-dramatischen  Kunst  fufit  und  auf  der  Gegenwart, 
mit  welcher  jene  Vergangenheit  sich  verbinden  sollte.  Die  Prinzipien  des  Realismus  und  der 
Vokalitat  sind  sowohi  im  ,,Falstaff '  als  auch  im  ,,0tello"  gewahrt.  Jedoch  als  Verdi  zur  vollen 
Reife  seiner  Jahre  und  seiner  kunstlerischen  Erfahrung  vom  Dramatischen  zum  Komischen 
gelangte,  gestaltete  sich  die  Idee,  das  Wahre  im  musikalischen  Bilde  zu  erreichen,  anstatt  in 
den  Schwingungen  des  dramatischen  Pathos.  Von  diesen  Schwingungen  schien  die  musi- 
kalische  Auffassung  vor  ,,Falstaff"  beherrscht,  immer  reiner,  bis  sie  sich  in  einem  Werke  von 
hochster  Schonheit  und  Klarheit  verwirklichte,  und  mithin  von  einer  Vollkommenheit  ist,  die 
eher  vereinzelt,  als  selten  zu  treffen  ist.  Nichts  eigentlich  Symphonisches  im  Orchester  unter- 
streicht,  erlautert  das  Orchester  im  ,,FaIstaff",  verwandelt  den  Ausdruck  des  Wortes  auf  in- 
strumentalem  Wege  in  ein  Klangbild.  Dieser  Wortausdruck  lafit  an  Wichtigkeit  nichts  ver- 
missen  gegeniiber  dem  musikalischen  Ausdruck,  zu  dem  er  sich  wie  ein  Schliissel  verhalt. 
Mittels  der  Assoziation  oder  auf  dem  besonderen  Gebiete  der  komischen  Oper  vollzieht  sich 
eine  vollkommene  Verschmelzung  zwischen  der  wahren  Plastik  der  Musikbilder  und  dem 
poetischen  Ausdruck  des  Wortes.  Die  wenigen  lyrischen  Stellen,  die  vollendet  in  die  Handlung 
eingefiihrt  sind  und  vom  idyllischen  Element  mitten  im  komischen  gefordert  erscheinen,  die 
kurze  Abschweifung  auf  das  Gebiet  des  Phantastischen  im  letzten  Akte  storen  nicht  die  orga- 
nische  Harmonic  in  der  musikalischen  Komodie.  In  dieser  fliefit  die  Natiirlichkeit  der  De- 
klamation  ununterbrochen,  reflektiert  durch  die  Stimmen  des  Orchesters,  in  dem  sie  Zu- 
sammenklange  mit  den  Motiven  findet,  ja  vielmehr  selbst  zum  Motiv  wird,  so  wie  es  die  In 
spiration  diktierte. 

Bei  Catalani,  Franchetti  und  auch  Smareglia  waren  die  Adern  der  Quelle,  aus  der  sie  schopften 
verschieden.  Alfredo  Catalani  (1854 — 93)  bezeichnet  den  Untergang  jener  Romantiker,  die 
das  letzte  Echo  der  verflossenen  Generation  sind,  vom  Hauch  der  Wagnerischen  Kunst  be- 
riihrt  und  beflissen,  in  ihrer  Seek  die  poetischen  Tone  dieser  Kunst  mit  den  natiirlichen 
Stimmungen  und  Anlagen  ihres  Genius  zu  verquicken.  In  der  ,,Loreley"  (1890)  und  in 
r,Wally"  (1892)  schien  ein  milder  Strahl  von  Poesie,  der  die  auserwahlte  und  edle  Personlich- 
keit  des  lucchesischen  Komponisten  durchdrang,  Schlaglichter  des  griinen  Toskana,  die  sich 
im  ersten  Werke  mit  dem  Schatten  der  nordischen  Phantasie,  im  zweiten  aber  mit  dem  unend- 
lichen  Blau  der  Tiroler  Berge  vermengten.  Auch  Antonio  Smareglia  (geb.  1854)  schifft  im 
vollen  romantischen  Fahrwasser.  Er  blieb  gleichgiiltig  gegen  die  Erfolge  des  Neo-Verismus,  er 
horchte  auf  die  Starke  Schumanns  und  Wagners,  die  in  seinem  Innern  sprach.  Vom  ,,Re  Nala" 
(1887)  bis  zum  ,,Abisso"  (1914)  nahm  der  milde  und  zarte  Ton  seiner  Musik  oft  den  Aus 
druck  heftigeren  Ausdruckes  an,  wie  im  ,,Vasallo  di  Szigeth"  (1889),  im  ,,Cornelio  Schutt" 
(1893),  in  den  ,,Nozze  istriane"  (1895),  in  ,,La  Falena"  (1896)  und  in  ,,0ceana"  (1903).  Aber 
sein  Stil,  der  nach  dem  ,,Vasall  von  Szigeth"  seine  Musik  als  von  italienischer  Seele  und  Me- 
lodie  beseelt,  aber  auch  von  deutscher  Genauigkeit  und  Wissenschaft  belebt  zeigt,  hat  ihn  dem 
italienischen  Publikum  entfremdet.  Auch  auf  das  erste  Werk  von  Alberto  Franchetti  (geb. 
1860),  ,,Asrael"  (1888),  wirft  die  Romantik  die  letzten  phantastischen  Strahlen.  Aber  der 
eklektische  Geist  der  Musik  Franchettis  war  nicht  darnach  angetan,  sich  immer  in  der  Welt  von 
Engeln  und  Damonen  zu  bewegen.  Durchtrankt  mit  akademischen  Prinzipien  und  bewandert 
in  einer  Technik,  die  auf  strengen  kontrapunktischen  Uberlieferungen  beruhte,  erscheint 
Franchetti  als  der  Herold  der  Schule  Rheinbergers,  in  der  er  studierte.  Franchetti  wurde 


Moderne:  Italiener  ]Q93 


es  also  leicht,  von  ,,Asrael"  zum  ,,Columbus"  (1892)  iiberzugehen,  ohne  den  Stil  zu  andern. 
Aber  mit  der  Annaherung  an  ein  historisches  Motiv  wurden  die  schwachen  Seiten  dieses 
Stiles  noch  ersichtlicher,  um  so  mehr,  als  Beriihrungspunkte  mit  dem  Meyerbeerschen  Eklek- 
tizismus,  die  ihm  vorgeworfen  wurden,  von  ihm  nicht  geleugnet  zu  werden  schienen.  Trotz 
alledem  ist  die  melodische  Ader  Franchettis  im  ..Colombo"  eine  ansehnliche,  und  er  hat  in 
dieser  Oper  sein  Bestes  gegeben.  Die  spater  erschienenen  Opern,  wie  ,,Fior  d'Alpe"  (1894), 
,,Signor  di  Pourceaugnac"  (1897),  ,,Figlia  di  Jorio"  (1906),  ,,Notte  di  leggenda"  (1915)  und 
,,Glauco"  (1922)  bezeichnen  einen  bemerkenswerten  Sturz  von  der  Erfindungsgabe  dieses 
Autors. 

Um  nun  mit  geniigender  Deutlichkeit  zu  erklaren,  auf  welche  Ursachen  die  von  den  ita- 
lienischen  Musikern  seit  Beginn  des  Jahrhunderts  bis  zum  heutigen  Tage  beschrittene  Bahn 
zuriickgeht,  miissen  wir  progressiv  vorgehen,  indem  wir  bei  den  von  der  Oper  gezogenen 
Grenzen  beginnen ;  um  sodann  in  jede  Art  von  Produktionen  und  Formen  einzudringen,  ist 
es  notig,  die  Stromungen  genauer  zu  beobachten,  die  langere  Zeit  hindurch  sich  parallel  zur 
lyrischen  Bewegung  in  dem  oben  geschilderten  Zeitraum  entwickelten.  Neo-Verismus,  ,,Fal- 
staff*  und  Untergang  der  Romantik  sind  bedeutsame,  aber  nicht  entscheidende  Ereignisse. 
Sicherlich  bedeutet  das  Schicksal  des  ersteren  eine  jah  absteigende  Kurve  in  der  Periode,  die 
unmittelbar  auf  seine  ersten  Erfolge  folgt.  ,,Falstaff"  blieb  ein  prachtvolles  Muster  der  ita- 
lienischen  Aktivitat,  jedoch  ohne  weitere  Einfliisse.  Der  Romantizismus  der  andern  Kom- 
ponisten,  der  vom  Wagnerismus  durchtrankt  war,  verschwand  als  solcher,  zusammen  mit  dem 
Zeitalter,  deren  letzter  Exponent  er  war.  Hingegen  blieb  der  Anstofi,  der  der  Kultur  der  Mu- 
siker  durch  die  Bekanntschaft  mit  den  fremden  lyrischen,  symphonischen  und  Kammermusik- 
werken  gegeben  worden  war,  mit  immer  wachsender  Tendenz  in  den  Theater-  und  Konzert- 
salen  Italiens  bestehen,  und  nahm  den  Charakter  einer  immer  mehr  fortschreitenden  inter- 
nationalen  Bewegung  an.  Schon  die  Scala  hatte  im  Jahre  1898  ein  schones  Beispiel  eines  An- 
stofies  gegeben,  indem  sie  auf  eine  in  Italien  bisher  fast  ganzlich  unbekannte  Kunstfunktion 
abzielte,  befreite  sie  sich  vom  jahrhundertealten  Joch  der  Impresarios,  um  eine  Kunst- 
institution  ohne  gewinnbringende  Zwecke  zu  werden.  Arturo  Toscanini  war  ihr  Befreier. 
Im  Umkreis  des  neuen  Horizontes,  in  dem  sich  die  Oper  und  die  Scala  bewegte,  fanden 
auch  die  Konzertsale  Zuwachs  aller  Art  (Mailand,  Rom,  Turin). 

In  der  Schule  begann  sich  der  Unterricht  zu  verjiingen. 

In  dieser  Periode  der  Annaherung  an  die  selbstandige  Instrumentalmusik  zeigten  sich 
G.  Mar  tucci  (1856— 1909)  und  G.Sgambati  (1843— 1914)  als  hervorragende  Komponisten, 
verschieden  an  Geschmack  und  Temperament,  aber  beide  hervorgegangen  aus  dem  sympho 
nischen  Klassizismus.  Die  Symphonie  in  D-Moll  (1896)  des  ersteren,  ein  Werk,  das  dem 
Stamme  der  9.  Symphonie  von  Beethoven  entwachsen  zu  sein  scheint,  ihr  folgend  die  andere 
Symphonie  in  F-Dur  (1905);  dazu  gesellt  sich  in  wiirdiger  Folge  das  Konzert  fur  Klaviei 
und  Orchester,  das  Klavierquintett,  das  Trio,  die  Cellosonate  und  eine  reiche  Sammlung  von 
Klavierstiicken.  Neben  Martucci  steht  Sgambati  mit  2  Symphonien,  2  Klavierquintetten; 
einem  Klavierkonzert  und  einem  Streichquartett. 

Neben  dem  allgemeinen  Erwachen  macht  sich  auch  die  Musica  sacra  auf  zwei  Wegen  geltend. 
Zuriickkehrend  zur  Liturgie  und  zu  den  groCen  Traditionen  der  alten  italienischen  Polypho- 
nisten.  Der  zweiteWeg  war  der  des  Oratoriums,  auf  welchem  Gebiete  mit  Erfolgen,  die  teil- 


|Q94  Modeme:  Italiener" 


weise  durch  die  Neuheit  gerechtfertigt  waren,  Don  Lorenzo  Perosi  (geb.  1872)  und  Enrico 
BossJ  (1861—1925)  auftraten. 

Somit  offnet  das  neue  Jahrhundert,  das  mit  dem  Tode  Verdis,  27.  Januar  1901,  so  ungliick- 
lich  begann,  seine  Pforten  dem  internationalen  Musikgeschmack.  Der  Reihe  nach  kommen 
StrauB,  Debussy,  Strawinsky  nach  Italien  und  driicken  der  allgemeinen  Musikrichtung  ihren 
Stempel  auf.  Der  erste  fiihrt  sich  speziell  in  der  Orchesterkomposition  ein  und  bestimmt 
hierin  die  Annaherung  zur  symphonischen  Dichtung;  er  bleibt  jedoch  auch  in  der  Oper  nicht 
fremd,  zumindest  im  technischen  Sinne  und  in  der  Farbung  der  thematischen  Idee.  Debussy 
wirkt  auf  engerem  Gebiete,  aber  vielleicht  nachhaltiger  als  StrauB;  insoweit  er  die  Kennzeichen 
seines  harmonischen  Stiles  aufdriickt,  womit  er  fast  iiberall  in  den  Kompositionen  der  schwa- 
cheren  Autoren  eine  Mischung  der  harmonischen  Elemente  im  hergebrachten  Sinne  mit  der 
Ganztonskala  herbeifiihrt.  Aber  die  italienische  Produktion^verdankt  vielleicht  Debussy  mehr 
als  StrauB  oder  den  andern  dem  Umstand,  da6  das  monodische  Kunstlied  sich  wieder  belebt. 
Die  feinen  Farbungen  Debussys  reizen  die  Komponisten,  und  er  treibt  sie  auf  das  Feld,  wo 
diese  Feinheiten  mit  Hilfe  des  Klaviers  leichter  erzielt  werden  konnen,  als  in  der  schwierigen 
Kombinationskunst  der  Instrumentierung.  So  entsteht  eine  Bliitezeit  vornehmer  vokaler 
Kammerkompositionen,  wie  sie  in  friiheren  Perioden  unbekannt  war.  Angesichts  der  Aller- 
modernsten  unter  den  neuen  Autoren  konnen  die  leuchtenden  Orchesterfarben  der  russischen 
Meister  von  Rimsky-Korssakow  bis  Strawinsky  nicht  unerwahnt  bleiben.  Exotische  Elemente 
drangen  sich  iiberall  ein  bifichen  hinein,  sei  es  aus  Liebe  zur  Technik  oder  des  Kolorits,  so- 
dafi  manchmal  von  ihnen  die  symphonische  Dichtung  neuesten  Datums,  wie  auch  das  Ballett 
nach  russischem  Vorbilde  durchdrungen  erscheint.  Mit  Riicksicht  auf  diese  allgemeine  Nei- 
gung  zur  Internationalisierung  ist  es  natiirlich,  dafi  selbst  Komponisten  mit  starkerer  person- 
licher  Note  dieser  Bewegung  nicht  langer  fernblieben.  Immerhin  kann  man  nicht  leugnen, 
dafi  die  hervorragendsten  unter  ihnen,  wie  Puccini  (f  1 924)  und  Mascagni,  sichmehr  als  die  andern 
gegeniiber  der  vokalen  Tradition  der  Oper  ehrfurchtsvoll  erwiesen  haben.  Jedoch  mufi  be-* 
tont  werden,  dafi  dieses  Prinzip,  ausgenommen  die  lyrischen  Teile  in  den  Opem  dieser  beiden 
Meister,  die  so  oft  an  die  alte  geschlossene  Form  erinnern,  mehr  formeller  als  reeller  Natur 
ist.  Sowohl  in  den  letzten  Werken  Puccinis,  als  in  denen  Mascagnis,  besitzt  deshalb  die  musi- 
kalische  Zeichnung  der  Deklamation  an  sich  keinen  absoluten  Ausdruckswert,  sondern  es  zeigt 
sich  vielmehr  eine  Uberstellung  iiber  die  Orchestersprache  ohne  immanente  Bedeutung.  Das 
Wort  besitzt  dergestalt  nicht  den  ihm  von  Verdi  verliehenen,  ausgepragten  Ausdruckswert. 
Und  nur  in  den  Punkten,  in  denen  die  instrumentale  Entfaltung  durchbrochen  werden  mufi, 
um  fiir  die  Deklamation  der  hervorspringenden  dramatischen  Momente  Platz  zu  machen,  ge- 
winnt  das  Vokale  seine  alten  Rechte.  Beziiglich  des  Stiles  gelingt  es  Puccini  in  ,,Madame 
Butterfly"  (1904),  im  ,,Madchen  aus  dem  Westen"  (1910),  im  ,,Triptichon"  (1917),  in  ,,Turan- 
dot"  (1926,  nachgelassenes  Werk,  in  der  letzten  Szene  erganzt  von  Franco  Alfano)  die  be- 
zeichnenden  Zuge  seiner  Personlichkeit  nicht  zu  entstellen,  wenn  er  auch  einige  harmonische 
Elemente  aus  der  franzosischen  Schule  entlehnt.  Mascagni  sucht  in  ,,Isabeau"  eine  <JuelJe 
poetischer  Idealitat,  die  moglichst  entfernt  ist  von  der  Art,  die  ihm  die  ersten  Erfolge  ein- 
getragen  hatte,  und  noch  weiter  entfernt  er  sich  von  dieser  Art  bei  der  Vertonung  des  ,,Pa- 
risina"  (1913),  der  kunstvoll  von  d'Annunzio  verfafit  worden  war*  Aber  um  so  grofier  der  Ab* 
stand  zwischen  der  freimiitigen  und  gesunden  Dramatik  der  ,,CavalIeria",  dem  rornantiscK* 


Moderne:  Italiener  ]Q95 


ritterlichen  Kolorit  in  ,,Isabeau",  und  dem  mystischen,  grausamen,  erotischen  Charakter  des 
Librettos  von  d'Annunzio  ist,um  somehr  macht  sich  das  innere  Schwanken  desMusikers  fiihl- 
bar,  wenn  er  seine  urspriingliche  Art  des  Fiihlens  und  Gestaltens  verandern  mufi.  BloB  in 
%,,Lodoletta"  (1917)  und  bis  zu  einem  gewissen  Punkte  im  ,,Kleinen  Marat"  (1921)  verein- 
facht  sich  Mascagni  merklich,  lafit  jedoch  ein  betrachtliches  Sinken  seiner  Erfindungskraft 
verspiiren.  An  der  italienischen  Oper  des  18.  Jahrhunderts  und  speziell  an  der  goldonischen 
Komodie  inspiriert  sich  Ermanno  Wolf-  Ferrari  (geb.  1876),  sei  es  mit  der  Auswahl  der 
Sujets,  sei  es  Jm  musikalischen  Stile.  ,,Le  donne  curiose"  (,,Die  neugierigen  Frauen"),  1903, 
,,I  quattro  rusteghi"  (,,Die  vier  Grobiane"),  1906,  schreiten  liber  den  Rahmen  hinaus,  in  dem 
sich  die  lyrische  Produktion  der  Zeit  einfiigt,  noch  mehr  als  ,,11  segreto  di  Susanna"  (,,Das 
Geheimnis  Susannens"),  1909,  ,,I  giojelli  della  Madonna"  (,,Der  Schmuck  der  Madonna"),  191 1 , 
und  ,,Amor  medico"  (,,Arzt  aus  Liebe"),  1913.  Munterkeit,  Natiirlichkeit,  fliefiende  Bewegung, 
zeitliches  und  ortliches  Kolorit  sind  die  hervorstechenden  Ziige  der  zwei  ersten  Opern,  iiber 
welche  ein  Hauch  venezianischer  Lagunendichtung  schwebt,  an  welche  sich  die  zarten  Schleier 
einer  leichten,  funkelnden  Instrumentation,  die  niemals  den  lebhaften  Gesang  deckt,  kniipfen. 
Nach  dem  ,,Falstaff"  hat  die  italienische  komische  Oper  nichts  Ahnliches  mehr  erreicht. 
Von  dieser  Gattung  hebt  sich  dennoch  ab  ,,Sly"  (1928)  wegen  der  darin  enthaltenen  phantasti- 
schen  und  romantischen  Elemente. 

Schwankend  zwischen  dem  Wagnerschen  Einflufi  und  dem  Debussys,  aber  mehr  den  ersten 
als  den  zweiten  spiiren  lassend,  geht  Italo  Montemezzi  (geb.  1875)  mit  ,,Giovanni  Gallurese" 
(1905),  mit,,Amore  dei  tre  Re"  (1913)  und  ,,Nave"  (1918);  wahrend  Riccardo  Zandonai 
(geb.  1883),  der  nach  ,,Conchita"  (1911)  vieles  von  sich  hoffen  lieB,  besonders  durch  die 
Komposition  der  d'Annunzioschen  ,,Francesca  da  Rimini"  (1914),  sich  sehr  von  Nach- 
ahmungen  frei  hielt,  aber  weder  mit  dem  ,,Weg  durchs  Fenster"  (,,La  via  della  finestra"),  1915, 
noch  mit  ,,Romeo  und  Julie"  (1922),  Opern,  in  denen  er  das  gewohnliche  MittelmaB  nicht 
iiberschritt,  hatte  er  Erfolg. 

Lediglich  aus  Griinden  der  chronologischen  Ordnung  mufi  an  dieser  Stelle  angefiihrt 
werden  die  Erscheinung  des  ,,Nerone"  von  Arrigo  Boito  in  der  Skala  am  1.  Mai  1924.  Boito 
war  im  Jahre  1918  gestorben;  schon  seit  seiner  friihesten  Jugend  hatte  er  sich  mit  der  neroni- 
schen  Tragodie  befafit,  noch  vor  dem  ,,Mefistofele"  im  Jahre  1 868,  einem  Werk,  das  in  lyrischer 
italienischer  Schaffensart  gehalten  war  wie  ein  Verkiinder  einer  neuen  Richtung.  Aber  wahrend 
Boito  sich  1901  entschlossen  hatte,  Nerone  als  literarische  Tragodie  ans  Licht  zu  bringen, 
hatte  seine  Unzufriedenheit  ihn  immer  wieder  streben  lassen,  den  Nerone  auf  der  lyrischen 
Biihne  darstellen  zu  lassen.  Endlich  aber  wurde  der  letzte  Anstofi  vom  Direktor  der  Skala 
Toscanini  gegeben,  und  dieser  war  von  Erfolg  begleitet.  In  der  neuen  Tragodie  fafit  Boito 
—  treu  dem  romantischen  Ideal  —  den  Kampf  zusammen  zwischen  dem  Romischen  Reiche  und 
<lem  entstehenden  Christentum,  Und  indem  er  die  in  Farbe  sehr  kontrastierenden  Szenen  vertonte, 
in  denen  die  Verkiindigung  des  heidnisch-orientalischen  Lebens  wechselt  mit  der  poetischen 
Darstellung  des  ersten  evangelischen  Lebens,  betritt  Boito  harmonische  und  instrumental  Wege 
von  bemerkenswerter  Modernitat,  besonders  im  Gegensatz  zu  denen,  die  er  im  ,,Mefistofele" 
eingeschlagen  hatte.  Aber  die  formale  Struktur  des  Nerone  und  die  musikalische  Auswahl  der 
Charaktere,  das  Hervortreten  der  Vokalitat  stellen  den  Nerone  aufierhalb  der  auslandischen 
Einfliisse  neben  den  ,,0tello"  von  Verdi  innerhalb  der  Grenzen  der  italienischen  Tradition. 


Moderne:  Italiener 


Sehr  befeuernd  fiir  die  nationale  Spannkraft,  besonders  der  jugendlichen,  war  der  Krieg. 
Ein  neuer  Tatigkeitseifer,  ein  iibermachtiges  Verlangen,  sich  auch  in  kiihnster  Weise  zu  messen, 
bestimmten  einige  Leistungen,  die  man  nicht  mit  Unrecht  als  ,,Arte  di  avanguardia"  (,,Vorhut- 
kunst")  bezeichnet.  Wie  gewohnlich  ist  die  vorbereitende  Stufe  fiir  diese  Manifestationeri 
in  der  vorhergegangenen  Richtung  zu  suchen,  die  wir  im  Fluge  vom  Anfang  unseres  Jahr- 
hunderts  beobachtet  haben.  Es  ist  somit  nichts  Seltenes,  da8  einige  dieser  stiirmischesten 
,,Vorhutler"  (,,Avanguardisti**)  sich  vor  dem  Kriege  im  Gefolge  der  schon  allgemein  an- 
erkannten  Anfiihrer  befanden.  Das  ist  zum  Beispiel  der  Fall  bei  Alfredo  Casella  (geb.  1883), 
dessen  iiberreiche  Produktion  auf  dem  Gebiete  der  symphonischen  und  KammeTmusik  par 
allel  lauft  mit  der  Entwicklung  der  kiihnsten  Ausdrucksarten  des  Auslandes,  von  denen  sie 
gleichsam  einen  Widerschein  zuriickwirft.  Auf  demselben  Boden,  der  von  den  auswartigen 
Kiinstlern  eroffnet  wurde,  wird  Bemerkenswertes  gesat  und  geerntet  von  Mario  di  Castel- 
nuovo  (geb.  1895),  der  jedoch  lyrische  Kammermusik  und  das  Klaviercharakterstiick  bevor- 
zugt;  Vincenzo  Tommasini  (geb.  1880),  bekannt  wegen  seiner  robusten  Instrumentation; 
Franco  A  If  ano  (geb.  1877),  der  von  der  veristischen  Operzu  komplizierteren  Formen  und  einer 
hoheren  Idealitat  iiberging  (,,Sakuntala",  1921 ;,, Madonna  Imperia",  1927)  und  der  sich  auf  die 
Technik  dieser  Oper  mit  einer  Symphonic  und  einem  Quartett  vorbereitete ;  Domenico  A 1  a  1  e  o  n  a 
(f  1928),  der  die  Theorien  der  neuen  Harmonik  durchforschte  und  auf  ein  ,,dodekaphonisches  Sy 
stem"  (mit  Rticksicht  auf  die  harmonischen  Obertone)  aufbaute,  das  er  praktisch  in  der  Komposition 
der  Tragodie  ,,Mirra"  (1920)  durchfiihrte;  Vittorio  Gui  (geb.  1885)  und  Francesco  Balilla- 
Pratella  (geb.  1880),  der  erstere  ein  sanfter  lyrischer  Komponist,  der  zweite  ein  wechsel- 
voller  und  unruhiger  Geist,  welche  beiden  trotz  ihrer  urspriinglichen  Anlehnung  an  das  Fu- 
turistische  sich  als  Kammermusikautoren  nach  und  nach  maBigten  (Lyrisches,  Sonate,  Trio); 
Francesco  Malipiero  (geb.  1882),  der  eine  geistige  Arbeit  von  ungefahr  einem  Jahrzehnt  seit 
einer  einfachen  Cellosonate  hinter  sich  hatte,  bis  er  zu  den  harmonischen  Grausamkeiten  und 
allermodernsten  Ausdrucksmitteln  in  dem  Orchesterwerk  ,,Pause  del  silenzio"  (,,Pausen  des 
Stillschweigens")  und  dem  in  Amerika  pramiierten  Streichquartett,  ferner  in  den  ,,Sette  can- 
zoni"  (7  Ideinen,  szenisch  dargestellten  symphonischen  Stiicken),  die  1920  in  der  Pariser  Oper 
aufgefiihrt  wurden,  gelangte. 

In  einer  reineren  modernen  Atmospha're  sind  einige  andere  Komponisten  aufgewachsen, 
deren  Schopfungen,  wenn  sie  auch  umstritten  wurden,  doch  breitere  und  uneingeschranktere 
Zustimmung  seitens  der  offentlichen  Meinung  fanden.  Einer  von  ihnen  ist  Ildebrando  Piz- 
zetti  (geb.  1880),  eine  bestandige,  nachdenkliche  Natur,  in  langsamem,  fortschreitendem 
Aufsteigen  begriffen.  Dem  Theater  gab  er  1915  eine,,Fedra",  nach  demBuche  d'Annunzios^ 
in  welcher  Pizzetti  sich  als  Bahnbrecher  einer  hochst  einfachen  Art  der  Deklamation  erweist, 
und  in  der  er  dem  Chor  die  Wiirdestellung  als  machtiges  dramatisches  und  lyrisches  Element 
verleiht.  Nachdem  die  ,,Fedra*'  in  der  Zahl  jener  Versuche  geblieben  war,  wie  sie  eher  im 
Gefolge  einer  Theorie  einherziehen,  als  unter  Zuhilfenahme  schwingender  Erfindungs-  und 
Ausdruckselemente,  erscheint  nach  je  einer  guten  Klavier- Violin"  und  Klavier-Cellosonate  im 
Jahre  1923  ,,Debora  und  Jaele"  in  der  Scala,  welchem  Werke  er  ein  Kammertrio  und  sein 
letztes  Werk  ,,Fra  Gherardo"  (1928)  folgen  liefi.  Die  Gregorianische  Kultur  Pizzettis,  die  orga- 
nischen  Elemente,  die  enthalten  sind  in  der  von  ihm  gebildeten  Theorie  des  musikalischen 
Dramas,  werden  in  ,,Debora  e  Jaele"  zu  lebendigen  Kunstfaktoren.  Die  Deklamation  der 


Modeme:   Italiener  ]Q97 


Hauptpersonen  mit  Einbeziehung  des  Chores  zeigt  eine  in  der  Oper  noch  nie  dagewesene 
Art.  Das  Orchester  zeugt  von  Verstandnis  far  Mafi;  auch  die  Deklamation  wird  nicht  iiber- 
deckt.  SchlieCIich  ist  ,,Debora"  auch  ein  guter  Libretto versuch,  welcher  die  Fahigkeit  Pizzettis, 
die  dramatische  Materie  nach  den  musikalischen  Notwendigkeiten  organisch  zu  verteilen,  be- 
weist.  Lebhafter  als  Pizzetti  in  der  Instrumentation  ist  Ottorino  Respighi  (geb.  1879),  wie- 
wohl  jener  aus  der  neurussischen  Schule  hervorging.  Respighis  erste  Versuche  als  Theater- 
komponist  —  ,,Konig  Enzio"  (1905)  und  ,,Semirama"  (1910)  —  erfahren  eine  reifere  Fort- 
setzung  im  ,,Belfagor"  und  in  ,,Die  versunkene  Glocke"  (1928).  Aber  inzwischen  hatte 
Respighi  fern  von  der  Biihne  Gelegenheit,  sich  als  starker  Komponist  von  symphonischen 
Dichtungen  —  ,,Le  Fontane  Romane"  (,,Die  romischen  Brunnen"),  1917,  ,,Ballata  delle 
Gnomidi"  (,,Gnomentanz"),  1920,  ,,I  Pini  di  Roma"  (1924),  ,,Trittico  Botticelliano"  (1927)  — 
von  Sonaten,Quartetten,  Konzerten  und  zahlreichen  lyrischen  Kammermusikstiicken  vornehmer 
Pragung  f estzusetzen .  Er  vernachlassigte  auch  nicht  das  Ballett  —  ,, Scherzo  Veneziano"  (,,Ve- 
nezianischer  Scherz")  und  ,,La  bella  addormentata"  (,,Die  schone  Schlaferin")  — ,  ftir  welche 
russische  Art  mimischer  Darstellung  er  auch  Rossinische  Klaviermusik  instrumentierte.  In 
der  Reihe  dieser  vornehmlich  symphonischen  Komponisten  sind  auch:  Victor  De  Sabata 
(geb.  1892),  Leone  Sinigaglia  (geb.  1 868),  Riccardo  Pick  -  Mangiagalli  (geb.  1882)  (spe~ 
ziell  Ballettautor),  Adriano  Lualdi  (geb.  1887)  (auch  Opernkomponist,  ,,Konigstochter",1921) 
und  Giacomo  Orefice(f  1922)  zu  nennen;  wahrend  in  der  Reihe  der  bekannteslen  Kammer- 
musikautoren  zu  nennen  sind :  Giuseppe  Frugatta,  Alberto  Gasco,  Muzio  Agostini,  Amil- 
careZanella,  Alessandro  Longo,  Carlo  Ravasenga,  Giacomo  Benvenuti,  RenzoBossi. 

Als  Fortsetzer  der  Form  des  Oratoriums,  das  von  Perosi  und  Enrico  Bossi  wieder  zu  Ehren 
gebracht  worden  war,  sind  zu  nennen:  Giocondo  Fino  und  Arnaldo  Furlotti.  Mit  den 
Meistern  Salvatore  Gallotti  (von  der  Metropolitankapelle  in  Mailand,  f  1928)  und  Oreste 
Ravanello  (Leiter  der  Antoniuskapelle  in  Padua),  Boezi,  Casimiri,  Refice,  Ferretti 
in  Rom,  Tebaldini  in  Loreto,  wurde  die  Kirchenmusik  wieder  zur  Hohe  gebracht  sowohl 
auf  praktischer  Grundlage  als  auch  auf  der  des  Unterrichtes  und  der  Wissenschaft,  zur 
Hohe  der  besten  Zeiten,  als  die  liturgische  Komposition  noch  keine  Vermischung  mit  dem 
Stile  anderer  Formen  kannte. 

Eine  bemerkenswerte  Belebung  auf  dem  Gebiete  des  Volksliedes  ist  der  Erweckung  des 
nationalen  Geistes  im  Kriege  zu  verdanken;  ebenso  eine  Belebung  zum  Vorteile  der  altita- 
lienischen  Musik  durch  spezielle  Publikationen. 

Aber  es  ist  zu  vermerken,  wie  trotz  der  getanen  vorbereitenden  Arbeiten  iiber  das  poetische 
Element  des  Volksliedes  die  Studien  iiber  das  musikalische  Element  ohne  genaue  Methode 
vor  sich  gegangen  sind.  Proben  hiervon  sind  gemacht  worden  in  verschiedenen  Gegenden 
Italiens  seitens  der  Oddone,  der  Sadero,  Sinigaglia  und  anderer,  aber  mehr  zu  praktischen 
als  zu  wissenschaftlichen  Zwecken.BloB  Giulio  Fara  (L'anima  musicale  d' Italia,  Rom  1921) 
wagte  es,  die  Frage  in  der  richtigen  Weise  und  mit  den  geeigneten  Bezeichnungen  zu  stellen, 
indem  er  namlich  die  Priifung  der  Gesange  vertiefte  mittels  der  vergleichenden  Methode 
und  indem  er  die  natiirlichen  Quellen  suchte  und  die  Melodietypen  "der  einzelnen  Land- 
schaften  feststellte.  Auch  diirfen  nicht  vergessen  werden  die  Besprechungen  Alaleonas  iiber 
die  Laudi  spirituali  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  (1909),  soweit  diese  sich  mit  den  weltlichen 
Liedern  verbinden  und  verweben. 


Moderne :  Spanier 


Literattir 

Accademia  di  Santa  Cecilia:  XX.  Anni  di  Concerti.  Roma  1915.  —  Alaleona,  D.:  ,,GJuseppe  Verdi." 
L'artista,  1'uomo,  il  cittadino;  Recanati  1914.  —  BastJanelli,  G.:  ,,Pietro  Mascagni",  con  nota  delle  opere  e 
ritratto.  Napoli  1910.  —  Derselbe;  Musicisti  di  oggi  e  di  ieri.  Milano  1914.  —  Bonaventura,  A.:  Saggio 
storico  sul  teatro  musicals  italiano.  Livorno  1913.  — .  Bragagnolo  e  Bettazzi:  La  vita  di  Giuseppe  Verdi. 
Milano  1905.  —  Cambiasi,  P.:  La  Scala.  1778—1906.  Milano  1 904.  {Continuazione  =  Marangoni  e  Vanbianchi: 
La  Scala.  Bergamo  1922.)  —  Cenni  storico-statistici  intorno  alia  Societa  del  Quartetto  di  Milano.  Milano  1892.— 
Colombani,  A.:  Lopera  italiana  nel  secolo  XIX.  Milano  1900.  —  Corio,  L.:  Ricerche  storiche  sul  R.  Conser- 
vatorio  di  musica  di  Milano.  Milano  1908.  —  Depanis,  G.:  I  concert!  popolari  ed  il  teatro  Regio  di  Torino. 
Torino  1915.  —  Galli,  Macchi  e  Paribeni:  ,,Umberto  Giordano"  nell*  arte  e  nella  vita.  Milano  1915.  — 
Gutierrez,  B.:  II  teatro  Carcano  (1803—1914).  Milano  1914.  —  Luciani,  S.  A.:  La  rinascita  del  dramma. 
Roma  1922.  —  Monaldi,  G.:  Le  prime  rappresentazioni  celebri.  Milano  1910.  —  Orefice,  G.:  ,,Luigi  Man- 
cinelli."  Roma  1921.  —  Pompeati,  A.:  ..Arrigo  Boito"  poeta  e  musicista.  Firenze  1919.  —  Prati,  R.:  ,,Giu- 
seppe  Martucci".  Torino  1914.  —  Roncaglia,  G.:  ,,Giuseppe  Verdi."  Napoli  1914.  —  Verdi,  Giuseppe:  ,,I 
Copialettere"  pubblicati  e  illustrati  da  G.  Cesari  e  A.  Luzio.  Milano  1913. 

Gaetano  Cesari 


SPANIER 

Das  aktuellste  Kapitel  der  modernen  Musik  in  Spanien  beginnt  wohl  mit  der  Entstehung 
der  Trilogie  ,,Les  Pyrenees"  von  Felipe  Pedrell,  und  seines  Manifestes  ,,Por  nuestra  musica" 
(,,Ftir  unsere  Musik",  1890),  worin  er  seine  Ansichten  dariiber  aufiert,  was  die  moderne  Musik 
unseres  Vaterlandes  sein  solite,  namlich:  ein  Wiederaufleben  unserer  groBen  Vokalkomponisten 
des  16.  und  Instrumentalisten  des  17.  Jahrhunderts,  durchdrungen  vom  Geiste  des  Volks- 
gesanges.  Zehn  Jahre  spater,  1900,  hatten  ,,Les  Pyrenees"  noch  nicht  das  Rampenlicht  ge- 
sehen,  aber  diePrinzipien,  die  dieses  Prachtwerk  enthielt,  hatten  schon  den  Weg  vorgezeichnet. 
Die  Erneuerung  der  spanischen  Musik  wurde  bereits  eine  Tatsache  und  alle  zehn  Jahre  ver- 
andert  sich  das  allgemeine  Bild  unserer  Musik  so  stark  und  charakteristisch,  da8  man  zum 
erstenmalseit  unserer  klassischen  Epoche  eine  lebendige,  heftig  vibrierende  kiinstlerische  Quelle 
findet.  Ziemlich  deutlich  unterscheidet  man  charakteristische  Phasen  in  unserer  Musik  von 
1910,  1920  und  der  jiingsten  Generation.  Einige  Worte  seien  hier  vorerst  iiber  das  19.  Jahr- 
hundert  eingefiigt:  Nach  der  Invasion  der  italienischen  Musik  im  18.  Jahrhundert  (eingeleitet 
1700  durch  den  Bourbonen  Philipp  V.),  die  die  autochthone  Musik  und  Oper  verdrangt  hatte 
und  nach  schwachen  Regungen  eingeborener  Kunstler  hielt  die  Wiener  klassische  Musik 
ihren  Einzug,  vorerst  die  Instrumentalmusik  Haydns,  der  an  L.  Boccherini  einen  Rivalen 
hatte.  Don  Pedro  Albeniz  (geb.  1795)  war  der  Verfasser  einer  vorziiglichen  Klavierschule. 
Eine  Reihe  spanischer  Komponisten  schlofi  sich  an  J.  Haydn  an:  Joaquin  Tadeo  Murguia 
(geb.  1 758),  Doyague,  Compta,  Secanillas,  Aranaz  und  besonders  Juan  Crisostomo  de  Arriaga 
(jung  gestorben  1826).  DerEinflufi  Bellinis  1st  bemerkbar  bei  Baltasar  Saldoni,  der  auch  auf 
dem  Geist  der  altspanischen  musikdramatischen  Spiele  (der  Zarzuela  und  der  Tonadilla) 
weiterbaute,  wie  Barbieri,  Gaztambide,  Oudrid.  Eslava  und  Barbieri  waren  gewiegte  Theore- 
tiker  und  Historiker,  ersterer  auch  Gesangspadagoge.  Obiols,  Araciel  und  Tintorer  bilden 
den  Obergang  zu  Pedrell.  Rodriguez  de  Ledesma  (geb.  1 778 ;  Oper  ,,Le  Revenant",  1 833)  zeigt 
eine  gewisse  Ahnlichkeit  mit  Weber.  Der  Rossinikultus  hielt  1814  seinen  Einzug  und  mit  ihm 
wieder  der  Italianismus.  Liszt  (1844)  und  Glinka  (1845)  liefien  starke  Spuren  zuriick.  Letzterer 


Moderne:  Spanier  JQ99 


schrieb  Werke  auf  Grund  spanischer  Volksmusik.  Der  Nationalismus  entfaltete  sich  und  mit 
ihm  die  Romantik.  Allem  die  Instrumentalmusik  war  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts 
von  der  Vokalmusik  zuriickgedrangt  —  nur  einzelne  Ausnahmen  von  Instrumentalkonzerten 
mit  banalem,  gemischtem  Programm.  1866  stellte  Asenjo  Barbieri  in  Madrid  ein  symphoni- 
sches  Orchester  zusammen,  daneben  eine  Chorvereinigung.  Miguel  Marques  brachte  eine 
Symphonic  zur  Auffiihrung.  Beriihmte  Gastdirigenten  wurden  berufen.  Seit  den  achtziger 
Jahren  fanden  Wagners  Opern  erhohte  Beriicksichtigung.  1882  wurde  zum  erstenmal 
Beethovens  ,,Neunte"  aufgefahrt,  ,JDie  Meistersinger**  1894.  Pedrell  war  einer  der  ersten 
Verteidiger  der  Wagnerschen  Kunst  in  Spanien,  fur  die  er  aucli  literarisch  eintrat.  Pedrell 
(gest.  1 922)  suchte  das  Verstandnis  far  die  grofie  musikalische  Vergangenheit  der  spanischen 
Musik  nebst  der  Neuverwendung  der  Schatze  der  Volksmusik  zu  weaken.  Letzteren  Zweck 
verfolgten  auch  die  Dichter  und  Komponisten  der  Volkstheater  mit  ihren  ,,Tonadillas", 
,Jacaras"  und  ,,Entremeses",  historisch  -  tradStionellen  Arten  von  Biihnenstiicken.  Pedrells 
kompositorische  Tatigkeit  fand  ihren  Hohepunkt  in  der  Trilogie  ,,Les  Pyrenees"  (1893,  auf 
gefiihrt  1902).  Im  letzteren  Jahre  komponierte  er  die  Tragikomodie  ,,La  Celestina"  iiber  einen 
spanischen  Text,  ein  schwungvolles  Werk  von  tiefer  Schonheit,  eine  Art  spanischer  ,,Tristan". 

Eine  eigene  Stromung  machte  sich  bemerkbar,  die  der  Musik  Barbieris  und  seiner  Genossen 
entsprungen  war  und  sich  an  die  historische  ,,Zarzuela"  anschloB.  Anmutig  leichte  Talente 
erwecken  neues  Leben  in  dieser  Gattung,  technisch  schwach:  Fernandez  Caballero  (1835 
bis  1906),  Rogel  (1829—90),  der  sich  Offenbach  nahert,  Brull,  Zabalza,  Chueca  (1846—1908), 
Jimenez  und  Valverde.  Technisch  reifer  sind  Ruperto  Chapi  (1851 — 1909),  Thomas  Breton 
(1850 — 1923)  und  Emilio  Serrano  (geb.  1850),  letzterer  mit  dem  Bestreben,  eine  ,,National- 
oper"  zu  kreieren.  Als  Komponisten  dieser  Zeit  sind  noch  zu  nennen:  Enrique  Morera 
und  Antonio  Nicolau.  Von  den  letztgenannten  Gruppen  ging  die  neue  nationale  Bewegung 
eigentlich  unter  Fiihrung  von  Barbieri  aus,  denn  die  Tendenzen  Pedrells  waren  mehr  gelehrt 
als  volkstiimlich,  entbehrten  der  Vi  tali  tat.  Die  ,,neue  Schule"  sammelte  sich  unter  dem 
Schlagwort  des  ,,Casticismo"  —  ins  Deutsche  schwer  iibersetzbar,  etwa  reiner  Stil  mit  Ver- 
wendung  landlichen  Volksgesanges,  volkstiimlich,  nicht  pobelhaft.  Der  Niedergang  der 
Technik  sollte  vermieden  werden,  ohne  in  den  von  Pedrell  begiinstigten  Wagnerismus  zu  ver- 
fallen.  Eine  Kombination  der  Bestrebungen  Pedrells  mit  dem  Vibrieren  der  ,,Castiza* '-Musik 
macht  sich  bemerkbar  bei  Isaac  Albeniz,  Enrique  Granados  und  Manuel  de  Falla.  Von  diesen 
sei  weiter  unten  als  den  Hoffnungen  der  Zukunft  gesprochen.  Vorher  mogen  die  Komponisten 
mehr  konservativen  Schlages  unserer  Zeit  Revue  passieren.  Seit  1898  war  die  musikalische 
Sphare  von  der  germanischen  Musik  erfallt.  Neben  Richard  StrauB  steht  aber  Cesar  Franck  als 
Gegenstand  der  Bewunderung.  Die  meisten  Komponisten  waren  Schiller  von  Breton  und 
von  Serrano  am  Konservatorium  zu  Madrid. 

Vicente  Zurron  (1871  in  Calatayud  geboren)  war  am  Konservatorium  ein  Schiller  des 
liebenswiirdigen  Komponisten  Arrieta.  Zurron  hinterliefi  nach  seinem  1915  erfolgten  Tode 
einige  Klavierwerke,  ein  Streichquartett  und  einige  Orchestersuiten. 

Manrique  de  Lara  (1863— 1929)  ist  der  einzige  Schiller  von  Ruperto  Chapi.  Neben  Studien 
iiber  spanische   Literatur-   und  Musikgeschichte   schrieb   er   eine   Symphonic   (1892)  und 
Stiicke  zu  einem  Musikdrama  ,,E1  Cid",  eine  Trilogie  ,,L'Orestiade"  far  groBes  Orchester 
(1890—94)  und  ein  Streichquartett. 
70    H.d.M. 


1 1  QQ  Moderne :  Spanier 


Jacinto  Manzanares,  bei  Logrono  geboren,  ehemaliger  Schiller  des  Konservatoriums, 
dessen  klassische  Lehren  er  verehrt,  iibertrug  dieselben  auf  seine  zahlreichen  Kammermusik- 
werke  und  einige  Orchesterdichtungen. 

Vicente  Arregui  (1871—1925),  ein  gebiirtiger Baske,  emtete  einen  der  Rompreise.  Er  ist  ein 
Gemafiigterund  trachtet,  sich  in  dieserund  jenerHinsicht  der  Moderne  anzupassen.  Em  dis- 
kreter  Nationalisms  ist  das  einigende  Moment  in  alien  seinen  Werken :  in  seiner  Symphonic, 
in  seinen  Quartetten,  Sonaten,  symphonischen  Dichtungen  und  einer  Oper  ,Jolanda". 

Facundo  de  la  Vina  ist  aus  Castilien.  Anfangs  begeisterter  Neuromantiker,  sucht  er  jetzt 
andere  Pfade.  Seine  Hauptwerke  sind  groBziigige  symphonische  Dichtungen,  Kammermusik 
und  eine  Oper. 

Conrado  del  Campo,  geboren  1879  in  Madrid,  ist  einer  der  fruchtbarsten  Komponisten. 
DieseReichhaltigkeit  riihrt  weder  von  mannigfaltiger  Inspiration  her,noch  von  seiner  Technik, 
die  aus  einer  Mischung  der  deutschen  Neuromantik  mit  dem  Franckismus  und  ein  wenig 
Nationalisms  und  VolksmaBigkeit  besteht.  Er  schrieb  Opern,  eine  Reihe  symphonischer 
Dichtungen  und  Streichquartette. 

Rogelio  Villar,  aus  dem  Lande  Leon,  erntete  zur  Zeit,  als  der  Nationalisms  im  Entstehen 
war,  leicht  errungenen  Beifall  durch  zahlreiche  Klavier-  und  Kammermusikwerke,  in  welchen 
er  das  Volkslied  seiner  Heimat  verwendet  und  die  einen  Zauber  fast  ahnlich  dem  von  Grieg 
iibten. 

Eduardo  Lopez  Chavarri,  aus  Valencia,  schrieb  nette  Quartette  und  Orchester-  sowie 
Klaviermusik.  Wie  der  vorher  Genannte,  zeichnete  auch  er  sich  durch  seine,  der  Moderne 
entgegenstehenden  kritischen  Schriften  aus.  Tulio  Gomez,  ein  Schiller  Serranos,  Fran 
cisco  Gales  und  Francisco  Esbri  sind  jiinger  als  die  oben  Genannten.  Jaime  Pahissa, 
ein  Katalonier,  verfafite  die  Opern  ,,La  Morisca"  (1914),  ,,Marianela"  (1923),  Juan  Manen,. 
auch  Katalonier,  schrieb  Kammermusik  und  das  ,,Goncerto  grosso"  ,,Iuventus",  dessen  tra- 
ditionelle  Technik  durch  anmutige  Musikalitat  mit  ein  wenig  katalonisch-volkstiimlichem 
Kolorit  gehoben  wird.  Jesus  Guridi,  ein  gebiirtiger  Baske,  ist  in  seiner  engeren  Heimat 
sehr  bekannt.  Er  ist  ein  Enkel  des  alten  Nicolas  Ledesma  und  einer  der  Schopfer  der  baskischen 
Oper,  so  z.  B.  schrieb  er  ,,Mirentxu".  Schlichte,  schone  Einfachheit  zeichnet  dieses  Werk 
aus,  wogegen  ,,Amaya"  zu  viel  Begeisterung  fur  Wagners  Art  zeigt.  J.  M.  Usandizaga, 
auch  ein  Baske,  der  1917  sehr  jung  starb,  gait  fiir  ein  dramatisches  Talent.  Er  neigte  ein  wenig 
zum  italienischen  Verismus.  Unter  anderm  schrieb  er  ein  Quartett,  eine  symphonische  Dich- 
tung  und  einige  Klavierstiicke.  A.  Isasi,  der  in  Deutschland  arbeitete,  ist  auch  ein  Baske. 

Die  nationalistisc!>en  Ideen  haben  mehr  oder  weniger  all  diese  Komponisten  inspiriert. 
Trotz  alledem  kennzeichnen  sich  dieselben  dadurch,  dafi  sie  die  Schule  verehren,  die  sich 
hier  und  da  Streifziige  in  die  Moderne  gestattetund  dabei  doch  den  asthetischen  Grundsatzen 
der  mitteleuropaischen  Musik  treu  bleibt. 

Mit  den  Musikern  des  Pedrell-Stammes  verandert  sich  die  Landschaft  griindlich  und  ge- 
wahrt  den  schonsten  Ausblick  auf  unsere  gegenwartige  Musik  und  auf  die  einzigen  Musiker 
ersten  Ranges.  Ihr  Nationalismus  greift  tief.  Denn  sie  dringen  in  das  Urwesen  von  Tonalitat,. 
Rhythmik  und  Koloristik  der  so  reichen  Instrumentalmusik  und  desGesanges  unsererBauern. 
Nach  Pedrells  Beispiel  straubten  sie  sich  dagegen,  sich  irgendeiner  aus  allerhand  Stiickwerk 
bestehenden  Volksmelodie  zu  bemachtigen  und  sie  als  ,,Sonatenthema"  zu  behandeln.  Da- 


Modeme:  Spanier  ]|01 


durch  wurde  die  stereotype  Aufeinanderfolge  zweier  harmonischen  Gruppen  im  Sonatensatz, 
die  ganze  Ausdrucksart  verandert.  An  die  Stelle  der  Romantik  trat  der  Impressionismus  und 
der  russische  und  franzosischeEinflufiverdrangtedengermanischen.  Es  ist  interessant,  zu  kon- 
statieren,  dafi  die  meisten  Musiker  dieser  Gruppe:  Albeniz,  Granados,  Falla,  Turina 
und  Oscar  Espla  lange  im  Auslande  gelebt  haben,  einige  in  Frankreich  und  Espla  sowohl 
in  Frankreich  wie  in  Deutschland.  BloB  M.  Bartolome  Perez  Casas  (geb.  1873)  entwickelte 
sich  als  Autodidakt  in  seiner  heimatlichen  Provinz,  Murcia,  am  Mittelmeer,  war  nie  gereist 
und  entdeckte,  ohne  es  beabsichtigt  zu  haben,  nur  durch  das  Studium  des  Volksgesanges  seines 
Vaterlandes  ein  lebendiges  Musikgenre  mit  eigenartigem  Kolorit,  ahnlich  der  Kunst  Rimsky- 
Korssakows.  (Eine  Verwandtschaft  zwischen  russischen  und  spanischen  Melodien  zeigt  sich 
wiederholt  in  verschiedenen  Regionen  unserer  Volksmusik).  Die  Serie  symphonischer  Ge- 
malde,  die  er  1890  begann,  tragt  den  Titel  ,,A  mi  tierra"  (,,Meine  Heimat")  und  ist  nach 
Pedrells  Werken  das  grofiziigigste  und  beste  unserer  MusikKteratur.  Perez  Casas,  von  Grund 
aus  Techniker,  ist  auch  einer  der  Mitbegriinder  unserer  modernen  Orchestration. 

Mit  Isaac  Albeniz  (geb.  1860)  erreicht  die  spanische  Musik  von  heute  ihren  Gipfelpunkt. 
Er  ist  eigentlich  niemandes  unmittelbarer  Schiller  und  hat  auch  keine  Schule  herangebildet. 
In  der  Musik  seiner  letzten  Lebensjahre  sind  Pedrells  Spuren  zu  erkennen,  aber  der  ,,Casti- 
cismo"  hatte  ihn  von  vornherein  gefesselt.  Als  besonders  begabter  Pianist  lernte  er  die  Grund- 
elemente  seiner  Kunst  am  Konservatorium  zu  Madrid,  doch  begann  er  mit  neun  Jahren  seine 
abenteuerlichen  Reisen,  auf  denen  er  sein  Brot  durch  Klavierspiel  verdiente.  Ein  Jahr  darauf 
versteckte  er  sich  auf  einem  Schiff,  das  nach  den  amerikanischen  Kolonien  fuhr.  Als  er  ent- 
deckt  wurde,  erwarb  er  sich  das  Geld  fur  seine  Fahrkarte  durch  Konzerte  an  Bord  des  Schiffes. 
So  reiste  er  durch  Kuba,  Puerto  Rico  und  die  Vereinigten  Staaten.  Mit  14  Jahren  begab  er 
sich  nach  Leipzig,  urn  daselbst  Kompositionslehre  bei  Jadassohn  und  Reinecke  zu  studieren. 
1877  machte  er  die  Bekanntschaft  von  Liszt,  der  ihn  zwei  Jahre  lang  bei  sich  behielt  und  ihn 
mit  nach  Weimar,  Rom,  Budapest  u.  a.  nahm.  Albeniz  schrieb  ,,Zarzuelas",  kleine  Klavier- 
stiicke  in  ziemlich  banaler  spanischer  Art.  Ein  reicher  englischer  Amateur  bot  ihm  Libretti 
aus  der  Geschichte  Englands  und  aus  den  Legenden  der  Tafelrunde  an.  Albeniz  komponierte 
sie,  aber  nach  einigen  Auffiihrungen  verschwanden  sie  (,,The  Magic  Opal",  London  1893; 
,,Henri  Clifford",  Barcelona  1895;  die  Trilogie  ,,Le  roi  Artus",  ,,Merlin",  ,,Lancelot",  ,,Gin- 
evra",  letztere  unvollendet).  Nur  die  einaktige  Oper  ,,Pepita  Jimenez",  ein  ziemlich  ungleiches, 
doch  auf  spanischen  Motiven  aufgebautes  Werk,  blieb  erhalten  (Barcelona  1877;  Prag  1899; 
Briissel  1904;  Paris  1923).  1893  installierte  er  sich  in  Paris.  Albeniz  nahrte  sich  von  der 
Musik  Debussys  und  arbeitet  auch  mit  D'Indy.  Es  folgen  seine  Hauptwerke:  ,,Catalonia"> 
eine  Rhapsodic  fur  Orchester  und  ,,Iberia",  eine  Reihenfolge  von  12  Klavierstiicken  (1908). 
Albeniz  starb  in  CamboJes-Bains,  48  Jahre  alt  (1909).  In  ,,Iberia"  sind  allzu  deutliche  Spuren 
der  Liszt-Technik,  des  Impressionismus  Debussys  und  eines  ziemlich  starken  Nationalismus 
zu  finden,  freilich  bedeutend  lauterer  und  edler  als  derjenige  unserer  Theaterkomponisten. 
Es  bedurfte  eines  Manuel  de  Falla,  um  die  Atmosphare  weiter  zu  heben. 

Eine  ahnliche  Mischung  vollzog  sich  in  Madrid,  gleichsam  als  eine  geistige  Erbschaft  der 
,,Tonadilleros"  und  ,,Zarzuelistas".  Es  entstand  eine  Art  Epidemic,  als  man  im  Maler  Goya 
den  ausgepragteren  Typus  fur  Madrid  dazumal  ,,entdeckte",  und  die  Musiker  beniitzten  diese 
Gelegenheit,  um  die  alten  Tonadillas  und  die  Musik  des  ersten  Teiles  dieses  Jahrhunderts 
70* 


]  |Q2  Moderne:  Spanier 


wieder  zu  wecken.  Enrique  Granados,  gest.  1916,  war  einer  der  begabtesten  Musiker,  den 
diese  Bewegung  packte.  Die  ,,Goyescas"  fiir  Klavier  sind  seine  beste  Leistung;  auBerdem 
schrieb  er  einige  ,,TonadiIIas"  fur  Gesang,  seine  schwachste  Arbeit.  Granados  (1868  geboren) 
war  zartfiihlenden  Temperamentes  und  hatte  eine  diskrete  Technik.  In  den  wertvollsten 
Stellen,  wo  er  Zuriickhaltung  iibt,  nahert  er  sich  der  duftigen  Poesie  Chopins.  Heftige 
Bemuhungen,  die  ,,Goyescas"  fiirs  Theater  umzuarbeiten,  erwiesen  sich  als  grundverfehlt. 
Die  Arrangements  ernteten  einige  Male  Beifall  in  Newyork,  doch  kostete  die  Reise  dahin 
Granados  Leben,  denn  das  Schiff,  auf  dem  er  und  seine  Frau  sich  befanden,  wurde  auf 
der  Rikkreise  torpediert.  Dieser  tragische  Tod  wob  einen  Glorienschein  um  seinen 
Namen;  daher  sind  Granados  Verdienste  als  Musiker  minder  einzuschatzen  als  seine  Be- 
riihmtheit.  Er  schrieb  einige  schone  ,,Zarzuelas",  eine  Sammlung  reizender  spanischer 
Tanze,  einige  nie  aufgefiihrte  symphonische  Dichtungen  und  veranstaltete  eine  gute  Edition 
der  Scarlatti-Sonaten. 

Manuel  de  Falla  wird  als  einer  der  wertvollsten  europaischen  Musiker  der  Jetztzeit  an- 
gesehen.  Wirklich  tragen  alle  Arbeiten  dieses  Meisters  den  Stempel  der  Vollkommenheit,  sind 
korrekt  und  exakt.  Falla  (geb.  1876)  war  einer  der  Schiller  Pedrells,  erhielt  1905  von  der 
Akademie  der  schonen  Kiinste  den  Preis  fur  seine  Oper  ,,La  Vida  Breve"  (,,Das  kurze  Leben*'), 
die  seine  Laufbahn  als  Komponist  einleitet.  Dieses  tiefe  und  schone  Werk  verwirklicht  durch 
tadellose  Technik  die  Tradition  des  gesunden  ,,Espagnolismus"  und  des  bewuCten  Nationalis- 
mus.  Damals  kannte  Falla  von  Albeniz  keinen  Ton  und  erst  nachdem  er  ,,La  Vida  Breve" 
komponiert  hatte,  sah  er  einige  Stellen  aus  Debussy- Werken,  die  ihn  bestimmten,  nach  Frank- 
reich  zu  reisen.  Debussy  und  Dukas  wurden  seine  Ratgeber  und  Ravel,  Roussel  und  Schmitt 
seine  Freunde.  Nach  Spanien  heimgekehrt,  schrieb  er  seine  reifsten  Werke:  die  ,,Nocturnes" 
fur  Klavier  und  Orchester  (,,Nachte  in  den  Garten  Spaniens",  1916),  ein  tief  poetisches 
Werk,  in  welchem  Nationalmusik  ohne  direkte  Obertragung  und  Impressionismus  sich 
glikklich  vereinigen.  Es  folgten  ,,Trois  pieces  espagnoles"  (1912)  und  die  ,,Fantasia 
Baetica"  (1921)  fur  Klavier.  Zu  seinen  Biihnenwerken  gehort  zunachst  die  kleine  Fantasie 
,,E1  Amor  Brujo"  (,,L'amour  sorcier",  1915),  ein  Bild  aus  dem  Zigeunerleben,  dessen 
eigenartige,  anziehende  und  geheimnisvolle  Atmosphare  dem  Tanz,  der  Pantomime,  dem 
Gesang  und  dem  stark  reduzierten  Orchester  Spielraum  gewahrt.  Eine  ahnliche  Orche 
stration,  quantitativ  noch  verringert,  findet  man  in  der  ersten  Version  (1917)  von  ,,Som- 
brero  de  tres  pi  cos"  (,,Le  Tricorne"),  einer  aus  Alar^ons  Roman  entnommenen  Pantomime. 
Daraus  wurde  auch  eine  ,,Suite"  zusammengestellt.  1923  liefi  Falla  in  Paris  sein  Mario- 
nettenspiel  ,,E1  Retablo  de  Maese  Pedro"  (,,Les  Treteaux  de  Maltre  Pedro")  auffiihren. 
Dieses  Werkchen,  aus  einer  Stelle  des  ,,Don  Quijote  de  la  Mancha"  entstanden,  ist  fiir 
Singstimmen,  20  Instrumente  und  Klavier  komponiert.  Fallas  ,,Sept  chansons  espagnoles" 
(1915)  und  die  ,,Trois  melodies"  aus  seiner  Pariser  Zeit  vervollstandigen  das  Werk  dieses 
feinen  Musikers.  Sein  letztes  Werk  ist  ein  Konzert  fur  Klavier  und  elf  Instrumente.  Er 
arbeitet  gegenwartig  an  einer  ,,Atlantide"  fiir  Chor  und  grofies  Orchester. 

Den  Genannten  unahnlich  und  der  Musik  Spaniens  entfremdet  ist  Oscar  Espla.  Er  hangt 
treuer  an  der  Musik  seiner  Heimat,  Alicante,  am  Mittelmeer,  wo  er  1886  geboren  ward,  als 
Falla  an  Andalusien  oder  Albeniz  an  Katalonien.  Seine  Schreibweise  ist  derjenigen  seiner 
Lehrer  entgegengesetzt,  denn  er  liebt  grofie  orchestrale  Aufmachungen,  komplizierte  sym- 


Moderne:  Spanier  1103 


phonische  Entwicklung  und  weitschweifige  thematische  Verbindung.  Espla  arbeitet  mit  Tona- 
litaten,  die  der  alicantischen  Musik  entstammen  und  baut  sich  seine  eigenen  Skalen,  wodurch 
sein  Vorgehen  eine  gewisse  Ahnlichkeit  mit  Scriabine  aufweist.  Wenn  Fallas  Musik  durch  voll- 
kommenes  Gleichgewicht  und  festaufgebaute  Tonalitat  neuklassisch  trotz  der  impressio- 
nistischen  Schreibweise,  die  von  Albeniz  stark  vertreten  ist,  genannt  werden  konnte,  so  ist 
Espla  bei  uns  der  einzige  Reprasentant  des  mitteleuropaischen  Expressionismus.  Sein  be- 
deutendstes  Werk  ist  eine  Orchester-,,Suite",  die  den  Preis  bei  der  in  Wien  191 1  ausgeschrie- 
benen  internationalen  Konkurrenz  gewann.  ,,Les  cimes",  eine  Serie  grofier  symphonischer 
Dichtungen,  ,,L'ambiance  de  la  danse  *,  ,,Sonatine  du  Sud",  ,,Le  Noel  du  Diable",  ,,La  veille 
des  armes  de  Don  Quijote",  eine  Dichtung  far  grofies  Orchester,  ,,Escenas  de  ninos"  und 
,,E1  Sueno  de  Eros"  gehoren  zur  ersten  Epoche,  in  der  er  mit  Max  Reger  in  Miinchen 
arbeitete.  Fur  Klavier  schrieb  er  die  ,,Chants  de  la  vendange",  ,,Danses  alicantines",  aufier- 
dem  eine  groBe  Sonate  fiir  Klavier  und  Violine  und  einige  Kammermusikstiicke,  ein  Ballett 
,,Ciclopes  de  Ifach"  und  eine  Oper  ,,La  belle  dormante  au  bois.*4  Auch  Joaquin  Turin  a, 
1882  in  Sevilla  geboren,  komponierte  national-impressionistisch,  sanft  und  bescheiden,  fur 
Klavier:  ,,Suite  Seville",  ,,Sonate  romantique  sur  un  theme  espagnol",  ,,Coins  sevillans", 
,,Danses  andalouses"  und  anderes.  Fiir  Orchester:  ,,La  procesion  del  Rocio",  ,,Sinfonia 
Sevillana  *.  Fur  Kammermusik  ein  Quartett,  ein  Quintett  und  ,,Scene  andalouse",  ferner 
einige  Biihnenstiicke,  von  denen  ,Jardin  d^rient*'  1923  am  Theater  Real  aufgefiihrt  wurde. 
Turina  lemte  bei  D'Indy  an  der  ,,Schola  Cantorum**  in  Paris.  Seine  Schreibweise  ist 
vornehm,  dabei  bescheiden  und  farbig  leuchtend.  Fehlt  es  ihm  an  Kraft,  so  ist  ihm  dafiir 
Zartgeftihl  eigen.  Jaime  Pah  is  s  a*,  im  katalonischen  Dialekt,  versucht  sich  in  Schonberg- 
scher  Richtung. 

Wahrend  der  letzten  Jahre  des  Weltkneges  bildete  sich  eine  ,,Gruppe  der  Neuen."  Es  sind 
deren  nicht  viele,  und  alle  genossen  ihreBildung  aufierhalb  der  offentlichen  Schulen.  Durch 
seine  zahlreichen  Propagandaschriften  zugunsten  der  modern  en  europaischen  Musik  und  als 
Sekretar  der  nationalen  Musikgesellschaft  wird  derVerfasser  dieses  Artikels  (Adolfo  Salazar) 
als  einer  der  Fiihrer  der  jungen  Generation  angesehen.  Ein  Jiinger  von  Pedrell  und  Schiller 
von  Manuel  de  Faila,  hat  er  auch  mit  Perez  Casas  gearbeitet,  ist  aber  grofitenteils  Autodidakt. 
Begeisterter  Anhanger  des  franzosischen  Impressionismus,  verbindet  er  diese  Schreibweise 
mit  den  polytonalen  Vermischungen,  deren  Geschmeidigkeit  im  harmonischen  Kolorit  er  liebt. 
Zu  seinen  Werken  gehoren  ,,Arabia",  fur  Klavier  und  Streichquartett  (1923),  Phantasiestiicke 
fiir  Streichquartett  ,,Rubaiyat*'  (1924),  ,,Pieces"  fiir  verschiedene  Instrumente  (1924),  ein 
Trio  iiber  japanische  Motive,  ein  Streichquartett,  ,,Trois  Preludes'*  und  ,,Rivieres"  far 
Klavier,  ,,Trois  potees  de  Verlaine"  urid  andere  Lieder,  die  Orchesterdichtungen ,  JDon  Juan 
aux  enfers",  ,,Paisages",  3  Praludien  fiir  Maeterlinckstiicke,  Chorsatze  usw. 

Federico  Moreno  Tor  rob  a,  auch  in  Madrid  geboren,  hat  eine  traditionelle  Technik  und 
ausgepragtes  Gefahl  far  den  kastilianischen  Volksgesang.  Er  schrieb  ,,Cuadros  Castellanos"  und 
andere  Orchesterkompositionen.  Juan  Jose  Mantle  on,  in  Galicia  geboren,  liebt  die  expres- 
sionistische  Art  mit  starker  sarkastischer  Farbung  und  scharfer  Ironie;  so  seine  Klavierstiicke 
,,Cirque<4.  Sein  Quintett  tragt  eher  romantisches  Geprage.  Federico  Mo  mpou,  ein  gebiirtiger 
Katalane,  schrieb  zarte  Klavierstiickchen  in  eigenartig  extra-impressionistischer  Schreibweise, 
die  in  Paris  viel  Anklang  fanden.  Rodolfo  Half  f ter,  in  Madrid  geboren,  nahert  sich  in  seinen 


Moderne:  Spanier 


expressionistischen  Klavierkompositionen  der  jungen  Wiener  Schule,  und  zwar  besonders 
Arnold  Schonberg;  er  genet  in  den  klassizistischen  EinfluB  Fallas  und  den  seines  Bruders 
Ernesto  Halffter.  Manuel  Blancaf ort,  em  junger  Katalonier,  entwickelt  sich,  an  Mompou 
ankniipfend,  zu  einer  interessanten  Personlichkeit.  Roberto  Gerhard,  in  Katalonien  geboren 
und  Schweizer  Abstammung,  war  ein  PedrelLSchiiler.  Er  schrieb  ein  Trio,  Klavierstiicke 
und  Lieder.  Jose  Maria  Franco,  ein  Baske,  liebt  den  allzu  heftigen,  doch  nicht  schroffen 
oder  unedlen  Nationalisms.  Auch  ein  Baske  ist  Norberto  Almandoz,  der  mehrere  reizende 
Chor-  und  Orchesterwerke  schrieb.  Eine  Eigenstellung  nimmt  P.Jose  Antonio  Donostia 
ein,  ein  baskischer  Franziskanermonch,  dessen  aufierst  sanfte  und  zarte  Musik  sich  zwischen 
Volksempfindung  und  franzosisch-impressionistischer  Art  bewegt.  Von  seinen  Werken  sind 
die  ,,Preludes  basques"  zu  erwahnen  und  seine  Vokal-  und  Orchesterdichtung  ,,Sainte-Cecilia" 
iiber  einen  Text  von  Henri  Gheon.  Auch  die  Valenzianer  Palau  und  Rodrigo,  die  Madrider 
S.  Bacarisse,  J.  Bautista  und  F.  Remacha,  Schiller  des  Konservatoriums,  sind  hier  einzu- 
reihen.  Im  jiingsten  und  genialsten  uns  erer  Musiker  sehen  die  fortgeschrittensten  spanischen 
Musiker  ihre Hoffnung,  ihren  Zukunftstraum,  und  seine  Leistungen  bereichern  unsere  Musik: 
Ernesto  Halffter,  1905  in  Madrid  geboren,  mit  lebhafter  Phantasie,  Schonheit  der  Ideen, 
dessen  freudiges,  strahlendes  Temperament  seit  Domenico  Scarlatti  nicht  seinesgleichen  fand. 
Als  ,,Scarlatti  des  XX.  Jahrhunderts"  wurde  er  bezeichnet,  der  trotz  seiner  Jugend  iiber  eine 
sichere,  dabei  schlichte,  klare  Technik,  frei  von  jeder  Obertreibung,  verfiigt.  Er  verwertet 
intelligent  und  energisch  alle  jetzt  bestehenden  Schulen,  hat  keine  davon  besucht,  erhielt  aber 
Ratschlage  von  Falla.  Der  Modernismus  seiner  Kammermusik  wird  sogar  von  den  Ge- 
mafiigtesten  begeistert  aufgenommen:  ein  Streichquartett  ,,Zwei  Skizzen",  (,,Paysage  mort** 
und  ,,La  Chanson  du  lanternier")  und  eine  ,,Sonatine~Fantasia",  auch  fur  Quartett.  Aufier- 
dem  schrieb  er  fur  Klavier  ,,Trois  pieces  enfantines"  (vierhandig),  ,,Marche  joyeuse"  und 
3  Sonaten.  Halffter  Jst  vaterlicherseits  germanischer  Abstammung,  doch  hat  er  eine  spanische 
Mutter  und  genoS  auch  spanische  Erziehung.  Sein  Geist  ist  typisch  heimischer  Art,  obwohl  er 
einige  deutsche  und  franzosische  Texte  vertonte,  neben  spanischen  ,,Canciones"  iiber  Gedichte 
von  R.  Alberti.  Fur  Orchester  komponierte  er  ,,Marcha  grotesca"  und  ,,Deux  portraits"  und 
kleinere  Stiicke  wie  eine  Sonatine  far  zwei  Sopranstimmen,  2  ,,Preludes  romantiques**  fur 
vier  Geigen.  Sein  erfolgreichstes  Werk  ist  seine  ,,Sinfonietta"  fur  Soli  und  Streichorchester  ; 
auch  sein  Ballett  ,,Sonatina"  enthalt  auBerordentlich  schone  Satze  fur  Klavier  und  Orchester ; 
einzelne  Stiicke  dieses  Balletts  fur  Klavier  vom  Komponisten  bearbeitet  gehoren  zum  besten  der 
gegenwartigen  Klaviermusik.  Schliefilich  gehort  nochsein  ,, Automne  malade"  iiber  Worte  von 
J.  Apollinairehierher,  far  Gesangund  Orchester,  weiters  Lieder  und  Klavierstiicke,  eine  Violin- 
senate,  ein  Klavierkonzert  und  seine  Oper  ,,La  Mort  de  Carmen",  Text  von  A.  Spaak,  eine 
Episode  aus  dem  Roman  Merimees  behandelnd,  die  von  Bizet  nicht  verwendet  wurde. 

Literatur 

Cassanes,  F.  Virella:  ,,La  Opera  en  Barcelona."  Barcelona  1888.  —  Chavarri,  E.  L:  ,,Historia  de  la 
Musica."  Barcelona  1914 — 15.  —  Collet,  Henri:  ,,La  Musique  en  Espagne."  Le  XIXe  siecle.  2e  partie.  La 
Renaissance  musicale.  vide  Mitjana,  —  Laparra,  Raoul:  ,,La  Musique  et  la  Danse  populaire  en  Espagne.*'  — 
Mitjana,  R.:  ,,La  Musique  en  Espagne.  Art  religieux  et  art  profane."  Dans  le  4e  vol.  de  1'EncycIope'die  du 
Conservatoire  de  Paris.  Delagrave  ed.  1920.  —  Munoz,  P.  Luis  Villalba:  ,,Ultimos  musicos  espanoles  del  siglo 


Mcxierne:  Portugiesen  ]  ] 


XIX."  Madrid,  Alier  ed.  1914.  —  Pen  ay  Goni,  A.:  ,,La  Opera  espafiola  y  la  musica  moderna  en  Espane  en  el 
siglo  XIX.  Madrid  1881.  —  Pedrell,  Felipe:  ,,Por  nuestra  musica".  Barcelona  1891.  —  Derselbe,  ,,Teatro 
lirico  espanol  anterior  al  siglo  XIX."  Coruna,  Berea  ed.  1897—98.  —  Derselbe,  ,,MusicaIerias."  Valencia, 
Sempere  ed.  1908.  —  Derselbe,  ,,Musicos  contemporaneos  y  de  otros  tiempos."  Paris,  OUendorf,  ed.  1910.  — 
Derselbe:  ,,Paginas  postreras."  Vails,  Castell  ed.  1922.  —  Salazar,  A.:  Programas  para  la  JSociedad 
nacional  de  Musica"  1915—1922.  —  Derselbe,  Musica  y  Musicos  de  hoy.  Madrid  1928.  —  Derselbe, 
Sinfonla  y  ballet.  Madrid  1 929.  —  Derselbe,  Die  Musik  der  Gegenwart  in  Spanien.  Madrid  1 929.  -—  Saldoni ,  B. : 
,,Efemerides  de  musicos  espanoles."  4  vols.  Madrid  1868—80.  —  Subira,  T.:  ,,La  Tonadilla  escenica."  Madrid 
J928/9.  —  Villar,  Rg.:  ,,Musicos  espafioles."  Madrid,  Mateu  ed.  1918.  A  ,  n  c  7 

Adotjo 


PORTUGIESEN 

Die  Namen  jener  zeitgenossischen  portugiesischen  Musiker,  die  in  ihrem  Lande  am  meisten 
bekannt  und  geschatzt  sind,  seien  nur  summarisch  angefiihrt.  Im  allgemeinen  ist  ihr  Mo- 
«dernismus  noch  nicht  weit  gediehen,  eine  Fortfiihrung  des  klassischen  Unterrichts.  DieVer- 
allgemeinerung  musikdramatischer  Auffiihrungen  und  die  Entwicklung  des  Musiksinnes  voll- 
zog  sich  wahrend  des  ganzen  19.  Jahrhunderts,  da  um  1825  die  ersten  Kiinstlervereinigungen 
gegriindet  und  1879  die  ersten  Orchesterkonzerte  in  Lissabon  gegeben  wurden.  Kurze  Zeit 
darauf  wurde  das  erste  grofie  Orchester  in  Lissabon  gebildet  und  die  Beethoven-Symphonien 
aufgefiihrt.  Neben  der  Hauptstadt  spielt  die  Stadt  Oporto  eine  wesentliche  Rolle  im  Musik- 
leben  der  Republik,  schliefilich  macht  auch  Coimbra  von  sich  reden,  die  dritte  Stadt  Portugals. 

Um  zwei  Hauptpersonen  gruppieren  sich  die  portugiesischen  Musiker:  Alexander  Rey- 
Colaco,  gestorben  1928  in  Lissabon,  und  Moreira  de  Sa,  der  auch  schon  einige  Jahre  tot 
ist,  in  Oporto. 

Die  vor  der  Zeit  gestorbenen  Komponisten  Marques  Pinto  und  Miguel  Angelo  Pereira 
berechtigten  zu  schonen  Hoffnungen.  Die  besten  Komponisten  sind:  Joao  Arroyo,  Minister 
zur  Zeit  der  Monarchic,  hat  mehrere  Opern  komponiert,  auch  einige  symphonische  Dichtungen 
und  Kammerstiicke.  Oscar  da  Silva  lernte  in  Frankfurt  bei  Clara  Schumann,  schrieb  die  Oper 
,,Dona  Mecia",  ferner  Sonaten  und  Quartette.  Carlos  Dubbin i  komponierte  symphonische 
Dichtungen,  Quartette  und  Lieder.  Von  David  de  Souza  gibt  es  eine  Oper  (,,Inez")  und 
Kammerstiicke.  Zu  erwahnen  ist  noch  der  sehr  geschatzte  Pianist  und  Tonsetzer  Vianna 
da  Motta. 

Unter  den  Jiingsten  sind  zu  nennen:  Luis  Costa,  der  Verfasser  anmutiger  Klavierstiicke. 
Freitas  Branco,  einer  der  Vorgeschrittensten  in  der  neuen  Generation,  studierte  in  Deutsch- 
land  bei  Humperdinck  und  in  Paris  bei  Grovlez  und  schrieb  symphonische  Werke,  sowie 
Fantasien  iiber  Baudelaires  ,,Paradis  artificiels".  Auch  ein  Schiller  Humperdincks  ist  Ruy 
Coelho,  begeisterter  Anhanger  der  grofiziigigen  Symphonienform  und  der  Oper.  Francisco 
de  Lacerda  vertritt  die  entgegengesetzte  Richtung  und  nahert  sich  vielmehr  der  modernen 
franzosischen  Schreibart.  Antonio  Fragoso  (1897—1918)  zahlte  zu  den  schonsten  Hoff- 
nungen  Portugals;  er  war  Schiller  von  Freitas  Branco  und  hinterliefi  mehrere  Werke,  dar- 
unter  ein  Orchesterstiick,  ein  Trio  far  Klavier,  Viola  und  Cello  und  anderes.  Ivo  Cruz, 
Vorkampfer  der  neuen  Generation,  aus  Lissabon  gebiirtig,  arbeitet  in  Deutschland,  Claudio 
Carneyro  lebt  gegenwartig  in  den  Vereinigten  Staaten.  Armando  Leca  ist  Komponist  und 
bedeutender  Musikforscher. 


1106 


Moderne:  Danen 


Auch  Portugal  ist  sehr  reich,  was  seine  Folklore  betrifft,  und  die  Geschichte  seiner  Natur- 
lieder  hat  engen  Zusammenhang  mit  der  Spaniens.  Unter  den  Volksgesangen  sind  gegenwartig 
am  meisten  verbreitet:  die  ,,Chulas"  im  Norden,  die  ,,Fados"  besonders  in  Lisboa  und  Cintra 
und  die  schon  etwas  aus  der  Mode  gekommene,,Modinha".  Die  ,,Modinha"  ist  in  Brasilien 
entstanden;  der  Ursprung  des  ,,Fado",  dieses  im  Auslande  verbreitetsten  portugiesischen 
Gesanges,  wird  vielfach  bestritten.  Die  einen  behaupten,  er  sei  spanischen,  die  andern  afn- 
kanischen  Ursprunges. 

Bei  der  Einreihung  der  portugiesischen  Volkslieder  nimmt  Antonio  Arroyo  die  geographische 
Einteilung  des  Landes  in  vier  klar  iibersichtliche  Zonen  als  Richtschnur:  1 .  Der  nordliche  Teil 
des  Tejo,  lebhafte,  frohliche  und  herbe  Lieder;  2.  die  Gegend  des  Douro  und  Estremadura, 
anmutige  Lieder  sanften,  zarten  Charakters;  3.  Alemtejo,  traurige,  langsame  Weisen,  bisweilen 
landlich-heiter;  4.  Algarve,  frohliche,  bewegte  Lieder.  Folgende  portugiesische  Volkslieder- 
sammlungen  sind  anzufiihren:  F.  0.  Milcent,  ,,Coleccao  de  Modinhas  e  Fados"  (1793), 
JosedeRego,  ,,Cancoes  populares  do  Alemtejo",  Rey-Colaco,  ,,Can£oes  daBeira  ',  Pedro  i-'er- 
nandes  Thomaz,  ,,Velhas  canc.oes  e  Romances  populares  portugezes"  (Lisboa  1913). 

Literatur 

Lambertini,  M.  A.:  La  musique  au  Portugal.  Paris  1920  (Encyclopedic  du  Conservatoire  IV).  —  Soubies, 
A.:  La  Musique  a  Portugal.  Paris  1890.  —  Vasconcellos,  J.  de:  ,,0s  Musicos  portuguezes."  Lisboa  1892.  — 
Vieira,  Ernesto:  Diccionario  biographico  dos  musicos  portuguezes.  Lisboa  1891.  —Viterbo,  Sousa:  ,,Artes  e 
Artistas  em  Portugal."  Lisboa  1892.  ^4fee  Cdmara-Santos  Halffter 


DANEN 

Klein  ist  das  Land  und  ungiinstig  gelegen  —  ungiinstig,  insofern  es  darauf  ankommt,  erne 
selbstandige  Kultur  zu  behaupten.  An  der  Siidgrenze  die  grofien,  stammverwandten  mittel- 
germanischen  Volker,  westlich,  in  ganz  kurzer  Zeit  erreichbar,  das  britische  Inselreich  und 
die  nordfranzosische  Kiiste,  noch  dazu  beinahe  territorial  mit  der  skandinavischen  Halbinsel, 
mit  Schweden  und  Norwegen  verbunden :  so  liegt  Danemark  heute,  und  so  lag  es  die  ganze 
historische  Zeit  hindurch  eng  eingekreist,  scharf  belagert  von  fremden,  machtigen  Kultur- 
volkern.  Und  dann  das  flache,  offene  Land,  wo  kein  Hindernis  der  Natur  eine  Isolierung  der 
Menschen  mit  sich  fuhrte,  wo  der  Begriff  ,,abseitig"  schon  jetzt  durch  ein  reich  und  fern  ver- 
asteltes  Eisenbahnnetz  beinahe  ganz  seine  Realitat  verloren  hat.  Endlich  die  anormale  Zentrali- 
sienmg  des  Geisteslebens :  Kopenhagen,  die  eine,  unverhaltnismafiig  grofie  Stadt  als  einzige 
Universitats-  und  Kunststadt,  deren  geistige  Eroberung  stets  die  Eroberung  des  ganzen 
Reiches  bedeutete.  Wie  man  sieht,  die  aufieren  Bedingungen  scheinen  fiir  die  Selbstandigkeit 
des  Geisteslebens  wenig  fordernd,  und  man  sollte  meinen,  daB  das  Land  eine  leichte  Beute  fiir 
jede  von  draufien  wehende  geistige  Regung  ware.  Wenn  es  doch  nicht  so  ist  —  und  es  ist 
in  der  Tat  nicht  so  — ,  hangt  dies  ausschliefilich  von  der  Volkspsyche  ab.  Ganz  einfach  ist 
aber  dieser  Geist  nicht  zu  definieren,  fein  nuanciert  und  sehr  individuell  veranlagt,  wie  er  ist. 
Els  gibt  gewifi  Lander  auf  der  Welt,  wo  Personlichkeit  eine  noch  haufigere  Erscheinung  ist 
als  in  Danemark.  Im  Zusammenhang  hiermit  steht,  dafi  der  Dane  Selbstgefuhl  besitzt,  doch 


Moderne:  Danen  ]]QJ 


gewohnlich  nur  im  eigentlichen  und  guten  Sinne  des  Wortes.  Er  bildet  sich  selten  etwas  ein, 
weder  auf  sich  noch  auf  seine  Nation,  hat  iiberhaupt  wenig  Sinn  fur  Fata  Morgana  und  der- 
gleichen ;  er  besitzt  aber  ein  ruhiges,  gesundes  Gefahl  far  das,  was  er  ist  und  was  ihm  ge- 
biihrt  und  frommt.  Der  Instinkt  far  seine  Lebensbedingungen  Jst  bei  ihm  sehr  fein  entwickelt, 
und  nur  das,  was  er  in  vollstandiger  Kontinuitat  mit  diesen  fiihlt,  wird  er  annehmen,  aus  dem 
iibrigen  macht  er  sich  nur  wenig.  In  diesem  vitalen  Auserwahlungsprozefi  wird  er  von  einem 
sehr  hoch  ausgebildeten  kritischen  Sinn  unterstiitzt.  Er  ist  sogar  manchmal  iiberkritisch,  im 
voraus  gegen  alles  Neue,  ob  es  fremd  oder  einheimisch  ist,  auf  der  Wacht.  Sieht  er  aber  endlich 
ein,  dafi  etwas  fiir  ihn  Wert  hat,  so  nimmt  er  es  vorbehaltlos  an,  weifi  es  daun  aber  gewohnlich 
individuell  zu  gestalten,  es  personlich  zu  pragen.  Diese  rezeptive  Art  der  Danen  ist  das  biindigst 
Entscheidende  fur  das  ganze  Wachstum  und  far  die  Entwicklung  der  Tonkunst  iiberhaupt  in 
Danemark  gewesen.  In  zweiter  Reihe  bestimmend  wirkt  dann  das  Volkstemperament.  Es  ist 
bei  den  Danen  vorwiegend  lyrisch  betont,  ein  wenig  kiihl  vielleicht,  was  das  Aufiere  be- 
trifft,  aber  mit  einer  sehr  zart  vibrierenden  Innerseite.  Das  Epische  hat  auch  der  Dane  in 
seiner  Gewalt,  far  kiihne,  grofiziigige  Linien  besafi  er  von  jeher  Sinn  —  dagegen  scheint  das 
Dramatische  ihm  nicht  recht  zu  liegen.  Vielleicht  hangt  dies  zusammen  mit  einer  gewissen 
Schiichternheit  oder,  richtiger  gesagt,  mit  einem  gewissen  Unannehmlichkeitsgefahl  gegen- 
iiber  dem  Pathetischen  oder  zu  off  en  und  direkt  Ausgesprochenen.  Wenn  etwas  den  Danen 
tief  bewegt,  schweigt  er  wohl  am  liebsten ;  muC  er  sich  dennoch  ausdriicken,  macht  er  es  urn 
so  beherrschter,  je  innerlich  erschiitterter  er  ist,  am  liebsten  sagt  er  es  dann  mit  einem  Scherz 
oder  gleichwie  en  passant.  Vielleicht  ist  dieser  Zug  etwas  spezifisch  Nordisches;  ich  mochte 
hier  erinnern  an  die  merkwiirdige,  negative  Art  der  islandischen  Sagenmenschen,  die  in  den 
entscheidendsten  Augenblicken  ihres  Daseins,  oft  wo  es  Leben  oder  Tod  gilt,  gewohnlich 
nur  ganz  wenige,  eiskalte  Worte  hervorbringen.  —  So  geistig  disponiert  begegnet  der  Dane 
alien  Erscheinungen  seines  Lebens  und  somit  auch  der  Musik. 

Ist  das  Volk  musikalisch?  Eine  komplizierte  Frage,  denn  es  ist  wohl  so,  dafi  jedes  Volk 
nur  epochenweise  als  musikalisch  zu  bezeichnen  ist,  da6  es  als  Musiknation  spriiht,  bluht  und 
entblattert,  um  vielleicht  erst  nach  mehreren  hundert  Jahren  als  solche  wieder  aufzubliihen. 
Jedenfalls :  einmal  war  das  danische  Volk  in  bedeutendem  Sinne  des  Wortes  musikalisch  zu 
nennen,  damals  namlich,  als  es  im  Mittelalter  seine  herrlichen  Volkslieder  hervorbrachte.  Dies 
steht  ohne  Zweifel  fest  als  seine  stolzeste  Tat  in  Tonen,  wie  sie  es  auch  poetisch  bedeutet. 
Die  danischen  Volkslieder  sind  gewohnlich  episch  gehalten  und  zeichnen  sich  durch  einen  sehr 
fuhlbaren  Sinn  far  die  Natur  und  ihre  mystische  Macht  iiber  die  Menschen  aus.  Rein  arti- 
stisch  gesehen  ist  ihre  Sprache  von  einer  wundervollen  Feinheit  und  Kultur  gepragt,  die  wohl 
niemals  spater  im  Danischen  erreicht  worden  ist.  Auch  musikalisch  haben  sie  die  hochste 
Weihe,  von  kerngesundem,  elementarem  Intervallgefahl  getragen  und  grofiziigig  in  plastischer 
Kiihnheit  aufgebaut.  Die  Zusammengehorigkeit  mit  dem  Gregorianischen  Gesang  ist  klar 
und  unleugbar.  Man  sehe  z.  B.  die  herbe,  sich  trotzig  aufbaumende  Weise  von  ,,Ebbe  Skam- 
melson"  (in  der  Ausgabe  Thomas  Laubs,  des  tiefen  Kenners  und  feinfahligen  Restaurators 
des  danischen  Volkslieds): 


Skam-mel  han     bor     sig        nor      i       Ty 


i  1  no  Moderne:  Danen 


Wer  wird  wohl  hier  die  beinahe  vollstandige  Ubereinstimmung  mit  der  bekannten,  typischen 
Intonationsformel  der  ersten  Kirchentonart  verkennen?  Aber  trotz  dieser  tiefen  inneren  wie 
auBeren  Verwandtschaft  des  danischen  Volkslieds  mit  dem  Cantus  gregorianus,  ist  doch  hier 
von  einer  vollstandig  originellen  und  eigenartigen  Kunst  die  Rede,  eine  Musik,  bis  in  die 
feinsten  Details  gepragt  von  ihren  besonderen  Ausdrucksbediirfnissen  und  Aufgaben  und  von 
dem  Volk,  das  sie  erschuf.  Sonst  ist  bis  in  die  Neuzeit  Danemark  kein  in  eigentlichstem  Ver- 
stand  musikalisches  Land  zu  nennen.  Musik  ist  allerdings  seit  einer  vorhistorischen  Ara  dort 
getrieben  — die  prachtvollen,  noch  schon  erhaltenen  Bronzeluren  sind  stoIzeZeugen  einer  mehr- 
tausendjahrigen  Tonkultur  —  aber  soweit  man  zur  Zeit  zu  beurteilen  vermag,  ist  ein  origineller 
Akzent  selten  anzutreffen.  Schade,  dafi  wir  nicht  wissen,  was  auf  den  Luren  einst  geblasen 
wurde!  Schade  ebenso,  da8  wir  ganz  im  unklaren  dariiber  sind,  was  hinter  der  bekannten 
Aussage  des  altenglischen  Historienschreibers  Giraldus  Cambrensis  (12.  Jahrhundert)  steckt, 
in  der  vermeint  wird,  daC  die  Mehrstimmigkeit  von  danischen  und  norwegischen  Wikingern 
nach  England  gebracht  wurde. 

Was  wir  von  danischen  Musikwerken  der  Vergangenheit  noch  besitzen,  scheint  meistens 
direkt  importiert  oder  ganz  unselbstandig  abhangig  von  fremden  Vorbildern  zu  sein,  wie  schliefi- 
lich  —  soweit  die  nur  sparsam  vorhandenen  Denkmaler  iiberhaupt  zu  einem  Urteil  berech- 
tigen  —  die  altere  danische  Musik  (wie  gesagt  mit  Ausnahme  des  Volksliedes)  wohl  kaum  far 
mehr  als  ziemlich  mechanische  Reflexwirkung  der  sukzessiven  europaischen  Musikentwicklung 
zu  halten  ist.  Wir  haben  lateinische  Sequenzen  aus  dem  12.  Jahrhundert  (in  ,,Liber  daticus 
Lundensis"  von  Angul  Hammerich  hervorgezogen),  die  von  franzosischen  Einwirkungen 
zeugen,  was  gut  damit  zusammenstimmt,  daB  die  danische  Kultur  dieser  Epoche  (,,Die  Walde- 
maren-Zeit")  in  der  Pariser  Sorbonne  eins  ihrer  Hauptzentren  hatte.  Wir  haben  Mensural- 
musik  aus  der  Zeit  Christians  III.  (ca.  1550),  von  Niederlandern  geschrieben,  die  vom  Konig 
berufen  waren;  wir  haben  auch  kirchliche  Kompositionen  und  Madrigale  einheimischer 
Tonsetzer,  so  von  Jacob  Orn,  Mogens  Pederson  und  Hans  Nielsen,  die  beiden  letztgenannten 
Schiller  des  beriihmten  Giovanni  Gabrieli  in  Venedig  und  dem  Musikstaate  des  grofien  Konigs 
Christian  IV.  (Anfang  des  17.  Jahrhunderts)  angehorig.  Der  friihere  Teil  der  Regierungszeit 
dieses  Fiirsten  ist  iiberhaupt  musikkulturell  als  eine  Bliitezeit  zu  bezeichnen.  Der  Konig  war 
selbst  sehr  musikfreudig,  und  zahlreiche  in-  wie  auslandische  Musiker  hatten  ihr  Brot  bei  ihm, 
ja  selbst  der  beriihmteste  unter  den  damaligen  deutschen  Komponisten,  Heinrich  Schiitz, 
weilte  mehrmals  in  Danemark  im  Dienste  des  Konigs.  Wir  haben  auch  die  italienische  Oper 
bei  uns  erlebt:  Bartolomeo  Bernardi  (f  1732),  Paolo  Scalabrini  (1713 — 1806)  und  Giuseppe 
Sarti  (1729 — 1802)  haben  in  Danemark  zeitweise  geweilt  und  geschaffen,  dasselbe  gilt  von 
deutschen  Komponisten  wie  Reinhard  Keiser  und  Chr.  W.  Gluck,  welch  letzterer  in  Kopen- 
hagen  1749  als  Kapellmeister  der  Mingottischen  Truppe  sich  aufhielt  und  hier  bei  Gelegenheit 
eines  Hoffestes  die  Serenata  ,,Tetide"  schrieb.  Aber  in  all  diesen  Jahrhunderten  ist  auch 
nicht  ei  n  danischer  Komponist  von  wirklicher  Bedeutung  und  selbstandiger  Begabung  hervor- 
getreten.  Doch  ja,  ein  einziger  ware  hier  zu  nennen:  Dietrich  Buxtehude,  ,,der  gewaltige 
Dane",  wie  deutsche  Musikhistoriker  ihn  genannt  haben.  In  Danemark  geboren  und  den 
grdfiten  Teil  seiner  Lehrjahre  hier  lebend,  ist  er  wohl  als  Dane  zu  bezeichnen,  aber  man  mochte 
immerhin  wunschen,  den  musikkulturellen  Zusammenhang,  in  welchem  er  in  seinem  Vater- 
land  aufgewachsen  ist,  genauer  zu  kennen,  als  es  bisher  moglich  war,  urn  die  Frage:  ,,danisch" 


Moderne:  Danen  ]  |Qg 


oder  ,,deutsch"  sicher  entscheiden  zu  konnen.  Die  Sache  ist  wohl  eben  die,  dafi  auBer  dem 
Gregorianischen  Gesang  bis  etwa  gegen  1800  keine  Musik  in  das  Volk  tiefer  eingedrungen  ist: 
die  meiste  Ausiibung  der  Tonkunst  ist  nur  mehr  hofische  Belustigung  gewesen  und  hat  nicht 
vermocht,  die  schopferischen  Impulse  der  Nation  neu  auszulosen.  Erst  gegen  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts  erklingen  nach  schier  uniibersehbaren  Zeiten  aufs  neue  Tone,  die  das  danische  Volk 
zum  Aufhorchen  bringen.  Es  ist  der  zu  Liineburg  1747  geborene  J.  A.  P.  Schulz  (1787—1 795 
danischer  Hofkapellmeister),  dem  mit  seinen  wundervollen  ,,Liedern  im  Volkston"  und  mit 
seinen  danischen  Singspielen  diese  tief  bedeutungsvolle  Tat  gelingt.  Schon  die  Zeitgenossen 
fiihlen  es  klar ;  so  aufiert  sich  der  feine  Dicker  Jens  Baggesen :  ,,Der  deutsche  Schulz  hat  Dane- 
mark  die  erste  danische  Musik  gebracht,  und  zwar  so  tief  vom  Grund  der  Quelle,  da8  kein 
Dane  sie  so  lauter  bringen  wird."  Und  er  hat  recht:  obwohl  deutsch,  besitzt  Schulz  in  ganz 
seltener  Weise  Eigenschaften,  die  gerade  der  Dane  verstehen  und  als  wesensverwandt  empfinden 
mufite:  Edle  Natiirlichkeit,  hochste  Disziplin  und  Okonomie  der  Ausdrucksweise,  kristallklare 
Heiterkeit  und  Frische.  Kein  Wunder,  dafi  Schulz  als  Ahnherr  der  neueren  danischen  Ton 
kunst  zu  gelten  hat,  und  dafi  die  Bewegung,  die  zum  Wiedereintreten  der  Danen  unter  die 
musikalischen  Nationen  fiihrte,  zu  ihm  zuriickreicht.  Und  was  Schulz  begonnen  hatte,  wurde 
von  andern  gleichartig  geistig  eingestimmten  Musikern,  wie  seinem  Amtsnachfolger  F.  L.  A. 
Kunzen  (1761—1817),  wieC.E.  F.  Weyse  (1774—1842)  und  FriedrichKuhlau(1786— 1832) 
fortgefiihrt.  Diese  drei  Genannten  waren  wohl  alle  Deutsche  von  Geburt,  aber  sie  kamen  friih, 
noch  im  Anfang  ihrer  Entwicklung,  nach  Danemark,  und  besonders  Weyse  —  vielleicht  einer 
der  feinsten  Musiker,  der  je  im  Norden  lebte  —  fiihlte  sich  vollig  als  Dane  und  wurde  als  solcher 
angesehen,  gehoren  doch  seine  Romanzen  und  Lieder  zum  echtesten  von  allem,  was  danisch 
genannt  wird.  Kunzen  und  der  iippig  musikalische  Kuhlau  waren  besonders  als  Dramatiker 
tatig;  die  Oper  von  Kunzen,  ,,Holger  Danske",  ist  unter  den  besten  Arbeiten  mit  danischem 
Text  zu  nennen,  und  von  Kuhlau,  der  aufierdem  noch  frische,  flott-musikantenfreudige  Opern 
wie  ,,Lulu",  ,,Die  Rauberburg"  und  ,,Hugo  und  Adelheid"  schrieb,  lebt  noch  in  seiner  Po- 
pularitat  ungeschmalert  die  Musik  zum  Nationalschauspiel  (von  J.  L.  Heiberg)  ,,Erlenhiigel" 
(Elverhoj),  1828  entstanden.  Kuhlau  verwendet  in  dieser  Arbeit  in  Reinkultur,  was  fur  die 
Folgezeit  als  spezifisch  danischer  Volkston  Autoritat  bekommen  sollte.  In  der  Tat  kehrt  er  in 
dieser  Musik  zu  den  nordischen  Volksweisen  zuriick  und  wird  hierdurch  ein  Pionier  for  Ten- 
denzen,  die  in  der  kommenden  Epoche  der  romantischen  Musik  in  Danemark  bedeutungsvoll 
hineinspielen.  1814  werden  in  der  Textausgabe  von  Abrahamsen,  Nyerup  und  Rahbek  die 
ersten  danischen  Volksmelodien  gedruckt.  Spater  folgt  die  Ausgabe  von  Weyse  und  die  von 
A.  P.  Berggreen  (1801 — 1880,  fleifiiger  Sammler,  dabei  tiichtiger,  aber  trockener  Komponist). 
Hiermit  ist  ein  grofies,  reichgegliedertes  volksmusikalisches  Material  den  Tonsetzern  vorgelegt, 
und  inter essant  ist  es,  zu  sehen,  wie  es  den  Weg  der  Komponisten  beeinflufit.  In  der  Weise, 
in  welcher  sich  die  schopferischen  Tonkiinstler  im  Anfang  des  1 9.  Jahrhunderts,  und  besonders 
die  Grofimeister  der  musikalischen  Hochromantik  in  Danemark,  N.  W.  Gade  (1817 — 90)  und 
J.  P.  E.  Hartmann  (1805—1900)  zum  Volkslied  verhalten,  hat  man  eine  Parallele  zur 
Haltung  der  dichterischen  Romantik  mit  ihrer  tief  entschefdenden  Anknupfung  an  Sage  und 
Volkslied  (Hauptreprasentant  der  tief  geniale  Adam  Oehlenschlager)  sehen  wollen.  Diese  Ver- 
gleichung  halt  doch  nicht  ganzStich;  denn  erstens  greifen  dieDichter  zuriick  zum  echten,  un- 
verfalschten  Volkslied,  wahrend  die  Musiker  mit  mehr  oder  weniger  chronologisch  entstellten 


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Modeme:  Danen 


Traditionen  vorliebnehmen;  zweitens  ist  wohl  uberhaupt  das  Verhaltnis  der  Dichter  zur  Volks- 
kunst  von  viel  grofierer  Innigkeit  und  Leben  getragen,  als  das  der  Musiker.  Besonders  im 
Auslande  ist  man  geneigt  gewesen,  Werke  der  Gade-Hartmann-Epoche  viel  zu  einseitig  unter 
dem  Gesichtspunkt  des  Volksliedes  sehen  zu  wollen.  Unverkennbar  ist  hier  eine  Verbindung 
vorhanden,  aber  keine  allzu  handfeste,  mehr  Anlehnung  und  Inspiration  (leider  meistens  von 
jiingern  und  weniger  charakteristischen  Melodien),  als  direkte  Ubernahme  und  Bearbeitung 
von  Motiven.  Ich  denke,  dafi  die  geschlossene,  liedhafte  Faktur  der  Themen,  die  uberhaupt 
fur  die  spateren  Romantiker  charakteristisch  war,  hier  Irrtumer  in  der  Auffassung  von  seiten 
der  Nichtdanen  veranlafit  haben  mag. 

Mit  N.  W.  Gade  und  J.  P.  E.  Hartmann  treten  uns  die  ersten  bedeutenden  Komponisten 
entgegen,  die  nicht  nur  Danen  vom  Geist,  sondern  auch  ihrer  Abstammung  nach  waren. 
Von  diesen  beiden  ist  Gade  sicher  der  aufierhalb  Danemark  bekannteste.  Seine  Ossian- 
Ouvertiire,  seine  Symphonien  (vor  allem  die  1.  in  C-Moll)  und  seine  Chorballade  ,,Erlkonigs 
Tochter"  (Elverslcud)  besitzen  noch  europaischen  Ruf.  Er  ist  eine  mit  Mendelssohn  auffallig 
verwandte  Erscheinung:  eine  gliicklich  begabte,  harmonische,  formvollendete  Natur;  aber 
doch  musikalisch  wie  menschlich  in  mancher  Beziehung  fur  sich  stehend,  was  auch  in  Deutsch- 
land  anerkannt  wurde.  Man  versteht  sehr  gut,  worauf  Robert  Schumann  zielte,  als  er  in  Ga- 
dens  Musik  die  danischen  Buchenwalder  zu  spiiren  vermeinte.  Weniger  universell  veranlagt 
als  der  eben  genannte  ist  J.  P.  E.  Hartmann,  doch  nicht  weniger  bedeutend  —  im  Gegenteil 
hat  er  eigentlich  eine  noch  originellere  Begabung,  die  eben  wegen  ihrer  ausgepragten  nationalen 
Eigenart  nur  schwer  aufierhalb  der  Grenzen  seines  Vaterlandes  vordringen  konnte.  Prachtige 
Musik  hat  er  geschrieben;  vor  allem  die  kleine,  gleichsam  blauaugige  Volksoper  ,,Die  kleine 
Christine  *  (Liden  Kirsten)  —  ein  wundervolles  Stuck  tonenden  Danischtums  —  und  die 
kraftstrotzende,  nordisch  gehaltene  Musik  zu  den  Balletten  ,,Die  Walkiire",  ,,Thriimskviden" 
und  (zusammen  mit  Gade)  ,,Eine  Volkssage";  auch  ein  sehr  wertvolles  Chorstiick  ,,Der  Wala 
Weissagung"  (Volvens  Spaadom),  ware  noch  hervorzuheben.  Zu  Gade  und  Hartmann  tritt 
als  dritter  Hauptmeister  dieser  Epoche  der  besonders  als  Liederkomponist  tatige  P.  A.  Heise 
(1830—79).  Erist  musikalisch  wie  poetisch  ein  echter,  iiberaus  feinsinniger  Kiinstler,  und 
es  ist  sehr  zu  bedauern,  dafi  seine  Musik  sich  so  intim  zur  danischen  Sprache  verhalt,  dafi 
seine  Lieder  allzuviel  durch  die  Ubersetzung  verlieren,  um  sich  im  Auslande  behaupten  zu 
konnen.  Aufier  Kleinkunst  hat  er  nur  wenig  geschrieben,  wirklich  hervorragend  ist  doch  eine 
Oper  mit  historisch-nationalem  Gegenstand,  ,,Konig  und  Marschall"  (Drot  og  Marsk.  1878). 

Vor  allem  ist  es  aber  Gade,  der  diese  ganze  Epoche  pragt.  Kraft  seines  iiberlegenen  Musiker- 
tums,  kraft  seines  europaischen  Ruhms  und  seiner  glanzenden  organisatorischen  Begabung, 
hat  er  eine  Autoritat  wie  keiner  neben  ihm  besessen,  und  mit  fast  unbeschrankter  Gewalt  hat 
er  bis  zu  seinem  Tod  (1890)  alles  im  Musikleben  Kopenhagens  nach  seinem  Willen  gestaltet. 
Als  Leiter  des  koniglichen  Konservatoriums  iibte  er  auf  die  jungen  Komponisten  tiefgehenden 
EinfluB;  unter  seinen  bekanntesten  Schiilern  sind  zu  nennen:  Asger  Hamerik  (1843 — 1923; 
6  Symphonien,  Suiten,  ein  6stimm.  Requiem  u.  a.),  Otto  Mailing  (1848 — 1915;  Orchester- 
sachen  und  Orgelmusik),  JorgenMalling(I836 — 1905;  Bruder  des  vorher  Genannten),  kom- 
ponierte  Lieder  und  Chorwerke,  Victor  Bendix  (geb.  1851 ;  4  Symphonien,  Kammermusik) 
und  der  gediegen-musikalische  und  eigenartige  Gustav  H  els  ted  (geb.  1857;  2  Symphonien, 
Chorwerke:  ,,Gurrelieder"  und  ,,Vort  Land",  Kammermusik,  darunter  eine  sehr  wertvolle 


Moderne:  Danen  j  i  i  i 


Violinsonate  in  G-Dur).  Dieser  Generation  von  Musikern  gehort  aucK  der  hauptsachllch 
autodidaktisch  ausgebildete  P.E.Lange-Miiller  (geb.  1850),  der  mit  herrlichen,  tief  poe- 
tischen  Uedern  die  Tradition  Heisens  fortgefiihrt  hat  und  zum  Marchenschauspiel  von 
HolgerDrachmann,  ,,Es  war  einmal",  eine  Musik  schrieb,  die  einfach  als  genial  zu  charak- 
tensieren  ist.  In  dieser  Verbindung  ist  auch  der  in  Leipzig  ausgebildete  C.F.E.  Home- 
man  (1840-1906)  zu  nennen,  ein  feuriges  Talent,  das  aufier  kleineren  Sachen  Schau- 
splelmus,k  und  Kantaten  schrieb.  Sein  Hauptwerk  ist  die  dramatisch  wohl  nicht  voll- 
standig  gelungene  Oper  ,,AIaddin",  die  aber  eine  glanzende,  festlich  -  inspirierte  Ouver- 
tiire  besitzt.  Endhch  diirfen  die  Namen  von  Emil  Hartmann  (1836-98,  Sohn  des 
J.  P.  E.  Hartmann),  Christian  Barnekow  (1837-1913;  hauptsachlich  Kirchenmusik) 
Jacob  Fabricius  (1840-1919)  und  August  Winding  (1835-99)  in  diesem  Zusammen- 
hang  nicht  iibergangen  werden. 

Wahrend  Gade  noch  auf  der  Hohe  seiner  Kraft  und  Macht  stand,  wurde  er  in  Kopenhagen 
von  emem  Idemen,  blutjungen,  fast  iiberbescheidenen  Militarmusiker  aus  der  Provinz  aufge- 
sucht,  welcher  ihm  einige  Kompositionen  vorlegte.  Carl  Nielsen  nannte  er  sich,  und  Gade 
hat  sicher  nicht  im  entferntesten  geahnt,  dafi  dieser  ,,der  neue  Mann"  war.  Er  war  es  aber 
trotz  aller  Unauffalligkeit,  denn  in  diesem  Bauernjiingling  wohnte  eine  solche  musikalische 
Urspriinglichkeit  und  Grofie,  eine  so  inbriinstige  Bildungszucht  und  Tiefe,  dafi  er  sich  natur- 
notwendig  zu  vielleicht  dem  bedeutendsten  unter  den  Musikern,  die  bis  jetzt  im  Norden  lebten, 
entwickeln  mufite.  Nachdem  Gade  wohlgefallig  seine  Kompositionen  angeschaut  hatte,  wurde 
er  nach  seinem  Rate  Schiller  des  Kopenhagener  Konservatoriums ;  er  ist  aber  wenig  weder  von 
Gade  noch  von  Hartmann,  die  hier  seine  Lehrer  waren,  beeinflufit  worden;  merkwiirdig  trau- 
mend  und  unberiihrt  ist  er  durch  seine  Studienjahre  gewandert,  ohne  sich  von  den  romantischen 
Stromungen,  die  ihn  umgaben,  im  geringsten  beriihren  zu  lassen.  Uberhaupt  ist  er  eine  ganz 
merkwiirdig  dastehende  atavistische  Erscheinung;  mit  den  frischen,  unverdorbenen  Sinnen 
ernes  Urmenschen  sieht  er  sich  ganz  unbeirrt  von  aller  Tradition  das  Material  an,  als  ob  er 
der  erste  ware,  der  es  iiberhaupt  sah,  und  es  bekommt  durch  ihn  eine  neue,  ungeahnte  Aus- 
drucksqualitat.  Er  besitzt  vor  allem  eine  lineare  Begabung  von  kiihner  und  mannlicher  Art. 
Seine  Melodien  sind  getragen  von  der  GroBziigigkeit  und  der  gesunden  Kraft  des  Grego- 
nanischen  Gesanges,  und  mit  eisenharter,  zuweilen  atemraubender  Konsequenz  weifi  er  sie 
miteinander  zu  verkniipfen.  Sein  Wille  zur  Form  ist  unbeugsam,  und  sein  Sinn  fur  architek- 
tonischen  Aufbau  von  souveraner  Sicherheit  gepragt.  Stolze  Zeugen  hierfur  sind  besonders 
seine  Symphonien:  Nr.  1  :  G-Moll,  Nr.  2:  ,,Die  vier  Temperamente",  Nr.  3:  ,,Sinfonia  es- 
pansiva",  Nr.  4:  ,,Das  Unausloschliche",  Nr.  5  (ohne  Angabe  der  Tonart)  und  Nr.  6  (,,Sin- 
fonia  semplice").  Aufierdem  schrieb  er  die  Chorwerke  ,,Hymnus  amoris'4,  ,,An  den  Schlaf" 
und  ,,Friihlmg  auf  Fiihnen",  die  Opern  ,,Saul  und  David"  und  ,,Mascarade"  (nach  Holberg), 
Klarinettenkonzert,  Flotenkonzert,  5  Streichquartette,  2  Violinsonaten,  verschiedene  Kammer- 
musikwerke  fiir  Holzblaser,  ,,Helios-Ouvertiire"  und  verschiedene  andere  Orchesterstiicke, 
ein  Violinkonzert,  Kantaten,  ein  Choralbuch,  ein  Gesangbuch  for  die  Volkshochschule, 
Klaviersachen,  Lieder  usw. 

Obwohl  kein  danischer  Komponist  sich  zur  Zeit  mit  Carl  Nielsen  messen  kann,  sind  doch 
aufier  ihm  noch  Manner  von  Bedeutung  da.  So  Fini  Henriques  (geb.  1867),  eine  reich  aus- 
geriistete  artistische  Begabung,  Louis  Glass  (geb.  1864),  gewandter  Symphoniker  (6  Sym- 


|]  J2  Moderne:  Danen 


phonien,  von  denen  besonders  die  vorletzte,  ,,Sinfonia  svastica",  durch  ihre  Bundigkeit  und 
Konzentration  fiirdieWeiterentwicklung  des  Komponisten  vielversprechend  ist),  August  En n a 
(geb.  I860),  Opernkomponist  von  internationalem  Schwung,  Rudolph  Berg h  (1859— 1924), 
besonders  Chorwerke  und  Lieder,  Ludolf  Nielsen  (geb.  1876),  Alfred  Toff t  (geb.  1865)  und 
Hakon  Borresen  (geb.  1876),  Schuler  des  hochbegabten  norwegischen  Komponisten  Johan 
Svendsen  (1840—191 1),  der  von  1883—1908  in  Kopenhagen  als  Hofkapellmeister  wirkte  und 
iiberhaupt  groBen  Einflufi  auf  die  Entwicklung  der  jungeren  danischen  Komponisten  ausiibte. 
Unter  den  jungeren  Talenten,  die  in  groBerem  Stil  als  Komponisten  hervortreten,  sind  endlich 
zu  verzeichnen:  EmilJus  Bangert  (geb.  1883),  Peder  Gram  (geb.  1881),  J.  L.  Emborg  (geb. 
1876),  Adolf  Riis-Magnussen  (geb.  1883),  Paul  Schierbeck  (geb.  1888),  Paul  v.  Klenau 
(geb.  1883),  Rudolph  Simonsen  (geb.  1889),  Roger  Henrichsen  (1876-1926)  und  Raa- 
sted  (geb.  1888).  Unter  den  jiingsten  Komponisten,  die  teilweise  unter  dem  iiberwaltigenden 
Einflufi  Karl  Nielsens  stehen,  teilweise  von  der  modernen  auslandischen,  besonders  franzosi- 
schen  Musik  gepragt  sind,  teilweise  sich  aber  auch  recht  selbstandig  und  vielversprechend 
geben,  ware  besonders  hervorzuheben:  RudLanggaard  (geb.  1893),  Jorgen  Bendzon  (geb. 
1897),  Kundage  Riisager  (geb.  1897)  und  Finn  Hoffding  (geb.  1899). 

Fragt  man  sich  zum  SchluB,  wie  denn  eigentlich  das  danische  Moment  in  der  Musik  zu 
definieren  sei,  mufi  man  leider  die  Frage  unbeantwortet  lassen,  jedenfalls  wenn  man  sich  nicht 
mit  undefinierbaren  Gefiihlsangaben  begnugen  will.  Wir  Danen  empfinden  bald,  ob  eine 
Musik  uns  heimisch  vorkommt  oder  nicht.  Wir  verstehen  auch  ganz  gut,  woran  Philipp  Spitta 
denkt,  wenn  er  einen  Melodietypus,  den  er  nur  bei  danischen  Komponisten  zu  f  inden  vermeinte, 
mit  ,,betauten  Rosen"  vergleicht.  Verlangt  man  aber  nach  genaueren  stilistisch-musiktech- 
nischen  Bestimmungen,  und  gibt  man  sich  nicht  mit  den  beliebten,  billig  gekauften  Parallelen 
zwischen  landschaftlicher  und  volksmusikalischer  Linie  und  dergleichen  zufrieden,  so  wird 
man  kaum  befriedigt  werden.  Wie  kann  man  es  aber  anders  erwarten,  wenn  zur  Zeit  nicht 
einmal  die  grobsten  Grundlinien  des  Nationalstil-Problems  einigermaBen  klargelegt  sind?  So 
ist  es  zum  Beispiel  moglich  —  bisher  unwiderlegt  —  die  Hypothese  aufzustellen,  dafi  vieles 
von  dem,  was  gewohnlich  als  national-musikalisches  Kriterium  angesehen  wird,  in  Wirk- 
lichkeit  vielmehr  chronologisch  bestimmt  ist.  Moglich,  daB  das,  was  in  einem  gegebenen 
Augenblick  einem  Volk  den  andern  Volkern  gegeniiber  musikalische  Eigenart  verleiht,  vielleicht 
oft  ein  Stoff  ist,  welcher  friiher  andere  Nationen  passiert  hat,  und  von  der  speziellen  rezeptiven 
Art  des  betreffenden  Volkes  abhangig,  hier  entweder  spater  eintraf  oder  sich  langer  behauptete. 
So  soil  (obwohl  mit  grofitem  Vorbehalt,  weil  noch  nicht  geniigend  untersucht)  der  leise  Ver- 
dacht  ausgesprochen  werden,  daB  der  ,,danische  Ton"  des  fruhen  1 9.  Jahrhunderts  in  einem 
gewissen  Zusammenhang  mit  alterer  italienischer  Musik,  besonders  des  Seicento  steht.  Genug 
der  wissenschaftlichen  Probleme !  Schliefilich  ist  die  Musik  eine  Kunst,  und  iiber  allem  steht  die 
Frage  vom  Wert.  Und  somit  ist  man  in  der  gliicklichen  Lage  folgendermaBen  konkludieren 
zu  konnen :  In  Danemark  ward  eine  musikalische  Kunst  von  wahrer  Bedeutung  Wirklich- 
keit,  sie  bliiht  jetzt  wie  vielleicht  nie  zuvor  und  ist  voraussichtlich  noch  im  Aufsteigen  begriffen. 

Literatur 

Aarbog  for  Musik  1922  (hrsg.  v.  d.  Dan.  Musikgesellsch.).  —  Abrahamsen,  Erik:  Liturgisk  Musik  i  den 
danske  Kirke  efter  Reformationen  (1919).  —  Derselbe:  Elements  rornans  et  allemands  dans  le  chant  grego- 
rien  et  la  chanson  populalre  en  Danemark  (1923).  —  Behrend,  W.:  Musikalische  Landerkunde  Danemarks. 


Modeme:  Norweger  1113 


Wiener  KongreBbericht  der  I.  Mf  G.  1909.  —  Dersclbc:  Weysc  und  Kuhlau  (..Die  Musik",  1903/04).  — 
Derselbe:  Peter  Heise  (Riemann-Festschrift  1909).  —  Derselbe:  N.  W.  Cade  (deutsch  1917).  —  Derselbe: 
J.  P.  E.  Hartmann  (1918).  —  Berggreen,  A.  P.:  C.  E.  F.  Weyse  (1875).  —  Hammerich,  Angul:  Dansk 
Musikhistorie  (bis  ca.  1700).  1921.  —  Ders  elbe:  Uber  die  altnordischen  Luren.  (Vjschr.  f.  MW.  1894).  — 
Derselbe:  Mediaeval  musical  relics  cf  Denmaik  (1912).  — Derselbe:  Musiken  ved  Christian  den  Fjerdes  Hof 
(1892).  —  Derselbe:  Musikforeningens  Historic  1836-66  (1886).  —  Derselbe:  J.  P.  E.  Hartmann  (1916).  — 
Kjerulf,  Ch.:  N.  W.  Gade  (1917).  —  Krogh,  Torben:  Zur  Geschichte  des  danischen  Singspieles  im 
18.  Jahrhundert  (1924).  —  Laub,  Thomas:  Musik  og  Kirke.  1920.  —  Derselbe:  Studier  over  vore 
Folkemelodiers  Oprindelse  og  musikalske  Bygning  (,,Dania",  1892).  Vore  Folkemelodier  og  deres  Fornyelse 
C.Danske  Studier",  1904).  —  Panum,  Hortense  und  William  Behrend:  Illustreret  Musikhistorie  (I.  Bd.  1897, 
II.  Bd.  1905).  —  Ravn,  V.  C.,  English  instrumentalists  at  the  danish  court  in  the  time  of  Shakespeare 
(Slbde.  I.  M.  G.  1906).  —  Derselbe:  Koncerter  og  musikalske  Selskaber  i  aldre  Tid  (1886).  —  Riess,  Otto: 
J.  A.  P.  Schulz  Leben  (Slbde.  I.  M.  G.  1914).  —  Skjerne,  Godtfred:  H.  C.  Lumbye  og  hans  Samtid  (1912).  — 
Spitta,  Ph.:  Niels  W.  Gade  (,,Zur  Musik",  1892).  -  Thrane,  Carl:  Fra  Hofviolonernes  Tid  (1908).  - 
Derselbe:  Sartiin  Kopenhagen  (Slbde.  I.  M.  G.  1901/2).  —  De  rse  Ibe:  Danske  Komponister  (1875).  — 
Derselbe:  Weyses  Minde  (1916).  —  Thuren,  Hjalmar:  Das  danische  Volkslied  (Z.  I.  M.  G.  1907/08). 

Knud  jeppesen 


NORWEGER 

Eine  Ubersicht  liber  norwegische  Musik  und  die  Bestimmung  des  Platzes,  den  sie  innerhalb 
der  Weltkultur  einnimmt,  konnte  mit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  und  den  folgenden 
Jahrzehnten  anfangen,  in  denen  unsere  grofien  Meister  Grieg,  Svendsen  und  Sinding  in 
die  Arena  treten  und  sich  im  Laufe  kurzer  Zeit  intemationale  Beriihmtheit  erwerben.  Aber 
in  Wirklichkeit  miifite  ein  solcher  Bericht  iiber  die  Musik  in  Norwegen,  wenn  er  vollstandig 
sein  soil,  mit  einem  weit  friiheren  Zeitpunkt  der  Entwicklung  beginnen.  Historisch  gesehen,. 
miifite  er  ein  ganzes  Jahrtausend  zuriickgehen. 

Die  alteste  Periode  von  Norwegens  Musik  ist  heute  auBerhalb  der  Landesgrenzen  noch  so 
gut  wie  unbekannt.  Erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  haben  norwegische  Musikforscher  wissen* 
schaftlich  und  systematisch  versucht,  iiber  dieses  fur  unser  nationales  musikalisches  Fiihlen 
so  bedeutungsvolle  Gebiet  Aufklarung  zu  schaffen.  Und  es  gliickte  ihnen  hier,  interessante 
Tatsachen  ans  Licht  zu  bringen.  Es  zeigt  sich,  dafi  die  Norweger  eine  uralte  instrumental 
und  vokale  Tonkunst  besitzen,  deren  Ursprung  bis  in  das  friihe  Mittelalter  zuriickgefuhrt 
werden  mufi.  Das  soil  hier  nur  fliichtig  gestreift  werden,  indem  naher  auf  das  mehrbandige 
Werk:  ,,Norwegens  Musikgeschichte",  das  vor  kurzer  Zeit  in  Oslo  erschienen  ist,  hingewiesen 
sein  mag.  Dies  Werk,  das  erste  seiner  Art  in  Norwegen,  ist  redigiert  von  0.  M.  Sandvik  und 
Gerhard  Schjelderup,  mit  Jens  Arbo  und  dem  Verfasser  dieses  Artikels  als  Mitarbeitern. 
Es  wird  hier  versucht,  unter  anderm  nachzuweisen,  dafi  die  Mehrstimmigkeit  in  der  Musik 
in  Wirklichkeit  eine  norwegische  Erfindung  sei,  die  aus  dem  Island  und  Norwegen  der 
Wikingerzeit  stammt.  Sandvik,  der  namentlich  die  alten  ,,01avssekvenzen"  zum  Gegenstand 
seines  Studiums  gemacht  hat,  glaubt  hierauf  die  Behauptung  griinden  zu  konnen,  dafi  die 
norwegische  Musik  die  Zeiten  hindurch  langer  als  1 000  Jahre  bestimmte  gemeinsame  Eigen- 
tiimlichkeiten  bewahrt  habe. 

Von  Kunstmusik  im  strengen  Sinne  kann  aber  in  Norwegen  erst  in  verhaltnismafiig  spater 
Zeit  gesprochen  werden.  In  dieser  Hinsicht  steht  Norwegen  etwas  hinter  den  Nachbarlandern 


[  ]  1 4  Moderne :  Norweger 


Danemark  und  Schweden  zuriick,  die  beide  eine  gewissermafien  klassische  Periode  in  ihrem 
Musikleben  aufweisen  konnen,  im  gleichen  Sinne,  wie  die  grofieren  Kulturlander.  Irgendeine 
derartige  klassische  Zeit  besitzt  die  norwegische  Musik  nicht;  diese  hat  sich  verhaltnismafiig 
spat  entwickelt.  Schuld  daran  sind  eine  Reihe  von  Umstanden  —  kulturellen  und  politischen  — , 
auf  die  einzugehen  hier  zu  weit  fiihren  wiirde.  Die  ausiibende  Tonkunst  ist  natiirlich  in  den 
groBeren  norwegischen  Stadten  fleiBig  gepflegt  worden  mit  Auffahrungen  alter  italienischer 
und  deutscher  Meisterwerke.  Aber  diese  Pflege  fremder  klassischer  Musik  vermochte  das 
norwegische  Gemiit  nicht  zu  einem  einzigen  Werk  von  irgend  bleibendem  Werte  zu  inspirieren. 
Der  klassische  Stil  mit  seiner  objektiven  und  formellen,  oft  etwas  beengenden  Strenge  lag 
dem  norwegischen  Temperament  relativ  fern.  Zur  Auslosung  des  eigenen  tonalen  Bediirf- 
nisses  des  norwegischen  Volkes  war  er  schlecht  geeig  net.  Erst  die  Romantik  —  die  National*- 
romantik  —  war  es,  mit  der  ein  durchaus  zielbewuBtes  kiinstlerisches  Schaffen  hierzulande 
einsetzte.  Die  Romantik  bot  grofiere  Freiheit  far  das,  was  norwegisches  Wesen  war  —  far 
lyrisch  freie  und  subjektive  Stimmungen  — ,  nicht  gebunden  von  zu  viel  Formen  und  Zwang. 
Dies  war  in  den  Zeiten  nach  Norwegens  Befreiungsjahr  1814.  Das  musikalische  Erwachen 
geht  Hand  in  Hand  mit  dem  politischen.  Die  Nation  entdeckt  sich  selber  aufierhalb  der  Mauern 
der  Stadte,  draufien  im  Volke.  Der  wichtigste  Name  ist  hier  der  des  Komponisten  Waldemar 
Thrane,  der  1824  die  erste  nationalgefarbte  Musik  in  Norwegen  schreibt,  das  Singspiel 
,,Fjeld-eventyret"  (Bergmarchen).  Wirklich  kann  man  alle  die  reichen  Tonkiinstler,  die 
jetzt  ein  paar  Generationen  hindurch  entstehen,  auf  diesen  volklichen  Durchbruch  als  einer 
Art  kiinstlerischer  Basis  zuriickfehren.  Und  die  jetzt  in  Norwegen  folgende  Musikbliite 
ist  verhaltnismaBig  die  reichste  und  bemerkenswerteste  der  Geschichte  aller  Lander. 

Edvard  Grieg  (1843—1907),  Christian  Sinding  (geb.  1856),  Johan  Svendsen(1840 
bis  1911)  und  Johan  Selmer(1844 — 1910)  sind  die  Haupttrager  der  modernen  norwegischen 
Musikentwicklung.  Die  ersten  drei  haben  Namen  von  internationaler  Bedeutung,  geradeso 
wie  Ole  Bull,  der  ,,Geigerkonig"  (1810 — 80).  Dagegen  diirfte  ein  f einer  Lyriker,  wie  der 
Romanzenkomponist  Halvdan  Kjerulf  (1815 — 68),  weiteren  Kreisen  allzuwenig  bekannt 
sein.  Das  gleiche  gilt  von  dem  etwas  jiingeren  und  kraftiger  gearteten  Komponisten  Richard 
Nordraak  (1842 — 66),  dem  Schopfer  der  norwegischen  Nationalhymne,  einer  groBen  Be- 
gabung  —  er  starb  schon  1 866  im  Alter  von  23  Jahren.  Auch  der  norwegische  Volkslieder- 
sammler  L.  M.  Lindeman  (1812 — 87)  verdiente  auBerhalb  der  Landesgrenzen  genannt 
zu  werden,  als  bahnbrechende  Erscheinung  in  unserer  nationalen  Romantik  der  40  er  Jahre. 
Lindemans  Sammlungen  norwegischer  Volksmelodien  bilden  in  Wirklichkeit  die  Grundlage 
far  wichtige  Teile  unserer  spateren  musikalischen  Produktion,  vokaler  wie  instrumentaler. 
Neben  diesem  nationalen  Grundgeprage  haben  auch  Stromungen  von  aufien  her  ihren  Ein- 
flu8  auf  die  Tonkunst  ausgeiibt. 

Halvdan  Kjerulf  erhielt  seine  Ausbildung  in  Leipzig  in  den  40 er  Jahren  und  empfing 
von  der  Leipziger  §chule  und  ihren  Meistern  starke  Impulse  far  seine  Klavier-  und  Romanzen- 
dichtung.  Auch  von  Schumann  hat  er  viel  gelernt.  Kjerulfs  Form  ist  die  Diminutivpoesie, 
wie  sie  Schumann  in  seinen  Liedern  und  kleineren  Klavierstiicken  geschaffen  hat,  eine  Kunst 
im  Kleinen  und  Intimen;  vor  grofieren  Formen  wich  er  zuriick,  und  das  Orchester  blieb  ihm 
immer  eine  verschlossene  Welt.  Es  liegt  ein  unverkennbarer  Duft  von  Norwegen  iiber  der 
einfachen,  feinen  und  wunderbaren  Lyrik  dieses  Stimmungsmusikers.  Mit  der  Kjerulfschen 


Moderne:  Norweger  1115 


Lyrik  verwandt  sind  die  feingestimmten  poetischen  Lieder  und  Klavierstiicke  von  Agathe 
Backer  Grondahl  (1847 — 1907),  sowie  auch  die  wenigen,  aber  wertvcllen  kleinen  Kompo- 
sitionen,  die  der  im  jungen  Alter  verstorbene  Per  Las  son  (1859—1883)  hinterlassen  hat. 
Hier  1st  auch  Per  Winge  (geb.  1858)  zu  nennen.  Was  nun  Edvard  Grieg  angeht, 
so  steht  auch  er  in  einiger  Schuld  bei  Schumann.  Eines  seiner  Hauptwerke,  das  Klavier- 
konzert  in  A-Moll,  leitet  hier  und  da  den  Gedanken  hin  zu  Schumanns  Konzert  in  der 
gleichen  Tonart.  Es  ist  dies  einer  jener  Falle  von  kiinstlerischer  Verwandtschaft,  fur  die 
wir  auch  ein  Beispiel  haben  in  dem  Verhaltnis  zwischen  Goethes  ,,Faust"  und  Ibsens  ,,Peer 
Gynt".  Griegs  Vertonung  dieser  letzteren  Dichtung  ist  ein  Kunstprodukt  vollendeter  Art, 
erne  ideale  Veremigung  von  Ton-  und  Dichtkunst,  auf  norwegischem  Boden  entsprossen 
und  erbliiht,  ein  in  sich  geschlossenes  Erzeugnis  aus  der  Personalunion  zweier  gleich- 
gesinnter  groBer  Geister.  Griegs  Ausbildung  in  Deutschland  (Leipzig)  war  die  Voraus- 
setzung  fur  seine  Beherrschung  der  Technik.  Das  ganze  norwegische  Leben  fafit  er  in 
seine  Tone  und  steht  mit  seinen  Werken  inmitten  des  groBen  kiinstlerischen  Weltverkehrs. 
Auch  dort,  wo  er  sich  ganz  und  ausschliefilich  auf  den  Volksboden  stellt,  wie  in  seinen 
,,Bildern  aus  dem  Volksleben",  in  Balladen,  Bauerntanzen  u.  a.  vermochte  er,  wie  die  nor- 
dischen  Nachbaren,  so  auch  Deutsche,  Englander  und  Franzosen  zu  fesseln .  Sein  Lebenswerk 
ist  fur  die  ganze  nachfolgende  Tonkunst  von  mitbestimmender  Bedeutung  geworden.  Nach 
Geist  und  Temperament  ist  Grieg  unvermischt  norwegisch,  der  meist  nationale  Tondichter; 
fiir  die  jiingere  und  jiingste  Generation  steht  Grieg,  was  dieVerschmelzung  nationalen  Gefiihls 
und  moderner  europaischer  Kunst  angeht,  da  als  Ideal  eines  Tondichters.  Im  groBen  und  ganzen 
kann  man  ruhig  behaupten,  dafi  die  Musik  inNorwegen,  trotz  aller  Einwirkung  von  auBen,  mit 
echterem  und  ursprunglicherem  Geprage  von  Nationalitat  und  Volkseigentiimlichkeit  dasteht 
als  vielleicht  sonst  in  irgendeinem  musikkultivierten  Lande.  So  besitzt  Z.B.Christian  Sin- 
ding,  auch  Schiller  des  Leipziger  Konservatoriums,  der  in  seinen  Orchesterwerken  An- 
hanger  Wagners  ist,  einen  so  deutlich  norwegischen  Tonfall  in  seiner  gesamten  Produktion,  dafi 
man  an  seiner  Nationalitat  gar  nicht  zweifeln  kann.  Vorziiglich  auf  dem  Gebiet  der  Instrumen* 
talmusik  tatig(Symphonien,  Kammermusikwerke,  Konzerte),  schrieb  er  auch  Lieder  und  eine 
Oper  (,,Der  heilige  Berg"),  die  1914  in  Dessau  aufgefiihrt  wurde.  Von  jiingeren  Musikern 
sind  die  beiden  bedeutenden  Komponisten  Hjalmar  Borgstrom  (1864—1925)  und  Ger 
hard  Schjelderup  (geb.  1859),  auch  als  zur  deutschen  Schule  gehorend,  zu  bezeichnen, 
und  doch  wurde  wiederholt  hervorgehoben  und  richtig  erkannt,  welch  starker  nationaler  Zug 
durch  ihre  Werke  geht. 

Dies  ist  in  seinen  wichtigsten  Ziigen  der  deutsche  Einflufi  auf  die  norwegische  Musik.  Auch 
von  italienischem  und  gallischem  Geiste  hat  Norwegen,  wenn  auch  weit  schwachere  Impulse 
empfangen.  So  steht  Ole  Bull  im  Gefolge  von  Paganini,  wahrend  Thomas  Tellefsen 
(1823 — 74)  als  Schiiler  Chopins  sich  seinem  Lehrer  anschloB  unter  Hervorkehrung  norwegischer 
Eigenheiten;  Johan  Selmer  (1844 — 1910)  war  Anhanger  der  Berliozscben  Richtung.  Wollte 
man  die  Spuren  gallischer  Einwirkung  in  der  norwegischen  Tonkunst  noch  welter  verfolgen, 
so  miiBte  man  einen  Sprung  bis  ganz  in  die  Musik  von  heute  machen,  zur  Debussy schule. 

Es  ist  klar,  dafi  in  einer  kurzen  Ubersicht,  wie  dieser,  eine  ganze  Reihe  von  bedeutenden 
Komponisten  entweder  nur  fliichtig  genannt  oder  ganz  unerwahnt  bleiben  muB.  Der  alteste 
der  jetzt  lebenden  norwegischen  Komponisten  ist  Otto  Wintrier  Hjelm  (geb.  1837). 
71  H.d.  ML 


I  ]  I  £  Moderne :  Norweger 


Johannes  Haarkloti  (1847-1925)  nimmt  einen  hervorragenden  Platz  in  der  norwegischen 
Musik  ein.  Seine  umfassende  Produktion  besteht  aus  Oratorien,  symphonischer  Musik, 
einigen  Opern  sowie  einer  Reihe  von  Liedern  und  Klavierstiicken.  Haarklou  ist  in  Leipzig 
ausgebildet,  und  die  deutschen  Klassiker,  namentlich  Bach  und  Mozart,  stehen  semem 
Herzen  nahe.  Ole  Olsen  (1850-1927)  hat  ebenfalls  kleinere  Opern  und  verschiedene 
Arbeiten  for  Orchester  und  Chor  geschrieben,  und  er  ist,  ebenso  wie  Haarkloa,  verschiedent- 
lich  in  Deutschland  und  sonst  im  Auslande  aufgeftihrt  worden.  Andere  Komponisten  smd 
Iver  Holter  (geb.  1850),  Catharinus  Elling(geb.  1858),  der  mit  Erfolg  die  Arbeit  des  oben- 
genannten  L.  M.  Lindeman  als  Volksmusiksammler  fortgesetzt  hat,  ferner  Johan  Halvorsen 
(geb.  1864),  dessen  frisch  geschriebene  und  instrument erte  Orchesterstiicke  auch  im 
Auslande  grofie  Verbreitung  gefunden  haben,  und  der  oben  erwahnte  Gerhard  Schjelderup, 
der  eine  Reihe  von  Opem  geschrieben  hat,  von  denen  mehrere  mit  grofiem  Erfolg  auf 
deutschen  Biihnen  aufgefiihrt  worden  sind.  Der  allzu  friih  verstorbene,  hoch  begabte 
Sigurd  Lie  (1871—1904)  hat  durch  seine  Lieder,  Chorwerke  und  seine  unter  Wagners 
Einflufi  stehenden  Instrumentalarbeiten  einen  unsterblichen  Namen  in  der  norwegischen 
Tonkunst  errungen. 

Der  bedeutendste  norwegische  Komponist  der  Zwischengeneration,  der  Komponist,  der  am 
ehesten  mit  den  drei  GroBen  Grieg,  Svendsen  und  Sinding  zusammen  genannt  werden  kann, 
ist  Hjalmar  Borgstrom.  Seine  Richtung  ist  die  Programmusik  modemen  deutschen  Stils> 
und  er  hat  auf  diesem  Gebiete  Werke  hervorgebracht,  die  zu  den  besten  in  der  nordischen 
symphonischen  Kunst  gehoren.  Die  wichtigsten  hiervon  sind  die  symphonischen  Dichtungen 
,Jesus  in  Gethsemane",  ,John  Gabriel  Borchmann"  (nach  Ibsens  Drama),  ,,Hamlet"  for 
Klavier  mit  Orchester,  und  eine  hochst  eigenartige  symphonische  Dichtung,  ,,Der  Gedanke", 
der  mit  grofier  orchestraler  Schonheit  und  Intensitat  ein  sehr  hochschwebendes  kosmologisches 
Sujet  ethisch-idealistischen  Inhaltes  behandelt.  Der  Komponist  hat  zu  dieser  letzten  Arbeit 
einen  Prolog  in  Versen  geschrieben,  und  sie  ist  ohne  Zweifel  eines  der  bedeutendsten  Werke 
der  neunorwegischen  und  nordischen  Musik  seit  Sinding  und  Sibelius. 

Verschiedentlich  jiinger  als  Borgstrom  und  jeder  ein  in  seiner  Art  hervorragendes  Talent  sind 
Halfdan  Cleve  (geb.  1879),  Eyvind  Alnas  (geb.  1872)  und  Alf  Hurum  (geb.  1882).  Namentlich 
der  zweite  ist  einer  der  hervorragendsten  Namen  des  jungen  Norwegen  (2  Sinfonien,  Konzert 
for  Klavier  und  Orchester,  Lieder  und  Chorwerke).  Wahrend  Cleve  in  seinem  Stil  im  Grunde 
der  deutschen  Schule  angehort,  ist  Hurum  ein  erklarter  ,,Debussyaner" ;  des  weiteren 
hat  dieser  neufranzosische  Impressionismus  auch  bei  einzelnen  Komponisten  der  jiingsten 
Gruppe  Spuren  hinterlassen,  wie  bei  Pauline  Hall  und  David  Monrad  Johan  sen  (geb.  1888). 
Der  letztgenannte  Komponist  gehort  so  wie  auch  die  jungen  Kiinstler  Irgens  Jensen  (geb.  1894) 
Harald  Saverud  (geb.  1897),  Moaritz  Ulfrstad  (geb.  1890)  und  Arvid  Kleven  (geb.  1900) 
entschieden  zu  den  starksten  Begabungen  der  jiingsten  Tonkunst,  es  sind  Talente,  so  frisch 
und  eigenartig,  dafi  man  vollends  von  einer  neuen  und  sehr  uppigen  Bltite  in  der  norwegischen 
Musik  sprechen  kann. 

Seit  Grieg  hat  die  weitere  Entwicklung  einer  eigenen  nationalen  Richtung  ziemlich  gestockt. 
Es  hat  sich  gezeigt,  dafi  der  alte  Meister  schwer  zu  umgehen  war,  die  meisten  Versuche  sind 
unweigerlich  in  eyiem  mehr  oder  weniger  ausgepragten  Epigonentum  stecken  geblieben,  wie- 
wohl  sich  die  feinsten  Gehore  selber  sagen  konnten,  dafi  Grieg  keinesfalls  das  letzte  Wort 


Moderne :  Nonveger  1117 


im  genuinen  norwegischen  Tonsinn  ausgesprochen  hatte.  Derjenige  Komponist,  von  dem 
man  eine  wirkliche  Erneuerung  unserer  Musik  in  volkstiimlich  nationalem  Geiste  erwarten 
darf,  und  der  eine  solche  schon  deutlich  markiert  hat,  ist  der  obenerwahnte  Monrad  Johansen, 
der  vor  einigen  Jahren  seinen  ersten  Erfolg  mit  einem  iibergrofi  angelegten  Werke  for  Manner- 
chor  ,,Draumkvade",  feierte  —  ein  Passionsgedicht  aus  dem  Mittelalter,  das  iiber  eine  Volks- 
lieddichtung  aus  einem  der  norwegischen  Gebirgstaler  aufgebaut  ist.  Noch  entschiedener 
aber  hat  Monrad  Johansen  seine  Bedeutung  als  Stilerneuerer  manifestiert  durch  sein  jiingst 
erschienenes  und  in  Oslo  mit  aufierordentlichem  Erfolg  aufgefiihrtes  Chorwerk  mit  Orchester 
und  Soli:  ,,Voluspaa",  das  ebenfalls  ein  mittelalterliches  Sujet  von  der  Dbergangszeit  zwischen 
Heiden-  und  Christentum  behandelt,  —  ,,DieProphezeiungVoIvens",  ein  Lied  der  Entstehung, 
des  Unterganges  und  der  Erneuerung  der  Welt,  aus  der  alteren  Edda  geholt.  Dafi  hier  zum 
Teil  alte  Kirchentonarten  in  Anwendung  gebracht  sind,  ist  erklarlich.  Das  Werk  ist  aber 
durch  und  durch  personlich  erlebt  und  von  einer  intensiv  primitiven  Kraft  auf  volkstumlichem 
Boden  gepragt  —  aus  einem  alteren  Toninstinkt  als  dem  jetzt  iiblichen  geboren.  Eine  ganz 
neue  nationale  Seite  ist  hier  in  der  norwegischen  Tonkunst  angeschlagen. 

Gleich  wie  Monrad  Johansen  folgt  auch  der  junge  Irgens  Jensen  der  modernen  Stromung 
von  jeglicher  romantischen  Richtung  und  Tendenz  in  der  Musik  weg.  Er  unterscheidet 
sich  aber  von  seinem  alteren  und  mehr  subjektiv  betonten  Kollegen  durch  sein  starker  aus- 
gepragtes  formales  Interesse  Jm  Geiste  des  Neuklassizismus.  Seine  Begabung  liegt  mehr  in 
der  stilistischen  und  polyphonen  Richtung.  Seine  letzte  grofie  Arbeit  fiir  Orchester  ,,Passa~ 
caglia"  ist  ein  kompositionstechnisches  Meisterwerk  ersten  Ranges  und  eines  der  bedeutendsten 
Werke  der  neueren  norwegischen  Musik.  Bei  der  Schubertkonkurrenz  1928  wurde  Irgens 
Jensens  ,,Passacaglia"  mit  dem  2.  Preis  der  nordischen  Sektion  dekoriert. 

Die  beiden  talentvollen  Komponisten  Sverre  Jordan  (geb.  1889)  und  AmeEggen  (geb.  1881} 
schliefien  sich  in  ihren  Arbeiten,  Orchesterwerken  und  Romanzen,  hauptsachlich  an  die 
nationale  Richtung  in  Griegs  Geiste  an,  wahrend  man  von  einem  so  eigenartigen  und  fein- 
gestimmten  Musiker  wie  Fartein  Valen  (geb.  1887)  sagen  kann,  dafi  er  viel  von  Besten  in  der 
neudeutschen  Musik  gelernt  hat,  vielleicht  am  meisten  von  Max  Reger  und  Arnold  Schon- 
berg.  Zum  Schlufi  miifite  hier  auch  noch  ein  produktiver  Romanzenkomponist  wie  Johan 
Backer-Lunde  (geb.  1874)  und  Komponisten  wie  Borghild  Holms  en  (geb.  1865),  Signe 
Lund  (geb.  1868),  F.W.Gomnas  (geb.  1868),  Alfred  Andersen  Wingar  (geb.  1869),  Per 
Reidarson  (geb.  1879),  Trygve  Torjussen  (geb.  1885),  Oskar  Morcman  (geb.  1892), 
Odd  Griiner-Hegge  (geb.  1899),  Fridtjof  Kristoffersen,  Arild  Sandvold,  Bjarne 
B  rust  ad,  Eyvind  Groven  und  andere  mehr  genannt  werden. 

Im  grofien  ganzen  darf  man  sagen,  dafi  die  norwegische  Musik  in  letzter  Zeit  eine  neue 
Bliite  fand,  sozusagen  eine  Renaissance  erlebte.  Kraftige  und  eigenartige  Talente  stehen 
bereit,  das  Erbe  der  alten,  grofien  Tondichter  zu  iibernehmen.  Und  trotz  all  der  Impulse, 
die  diese  Musik  in  formeller  Hinsicht  von  fremden  Stromungen  und  Stiltypen  empfangen 
hat,  bewahrt  sie  doch  nach  ihrem  Inhalt  ein  unverkennbares  norwegisches  Geprage.  Von 
den  jiingeren  und  jtingsten  Komponisten  sind  schon  mehrere  mit  ihren  Schopfungen  im 
Ausland  durchgedrungen.  So  sind  zum  Beispiel  Cleve  und  Sverre  Jordan  6'fters  in 
Deutschland  gespielt  und  gesungen  worden,  wahrend  Alnas,  Hurum,  Signe  Lund 
und  Torjussen  sich  in  Amerika  eingebiirgert  haben.  Unter  den  ganz  jungen  haben  be- 

71* 


{  ]  1 8  Moderne :  Schweden 


senders  Talente  wie  Morcman,  Kleven  und  vor  allem  Saverud  und  Ulfrstad  in  den 
nordischen  Nachbarlandern  achtungsvolle  Anerkennung  gefunden. 

Literatur 

BerckenHaff,  M.:  Boken  von  Filharmonien.  —  Bisgaard,  J.  Chr.:  Fr.  Musikkens  verden.  — 
Conradi,  J.  G.:  Musikens  Historic.  —  Eggen,  E.:  Edvard  Grieg.  —  Derselbe:  Skalastudien.  —  Elling,  C: 
Norske  Folkemelodier.  —  Gronvold,  A.:  Norske  Musikere.  —  Groven,  Eyvind:  Naturskalaen.  —  Reiss,  G.: 
To  sekvenser  for  St.  Olav.  —  Sandvik,  0.  M.,  und  G.  Schjelderup:  Norges  Musikhistorie.  —  Sandvik,  0.  M.: 
Folkemusiken  i  Gudbrandsdalen.  —  Schjelderup,  G.:  Edvard  Grieg.  —  Derselbe:  Richard  Wagner.  — 
Smith,  Gustav:  Om  musikkens  dobbeltvirkning.  —  Ober  Ole  Bull:  0.  Vik,  J.  Lie,  H.  Wergelani 

Reidar  Mjden 


SCHWEDEN 

Das  Jahr  1880  ist  in  vielen  Beziehungen  sehr  wichtig  in  der  schwedischen  Musikgeschichte. 
Das  Interesse  ftir  das  Volkstiimliche,  das  schon  seit  2  Jahrzehnten  mit  immer  grofierem  Erfolg 
sich  geltend  gemacht  hatte,  tritt  mit  dem  Jahre  1880  in  den  Vordergrund  der  nationalen  Be- 
strebungen.  August  Soder  man  (1832 — 76)  hatte  schon  in  den  fiinfziger  Jahren  die  Richtung 
bestimmt,  indem  er  in  seinen  Orchesterballaden,  Sololiedern,  in  seiner  dramatischen  Musik  usw. 
dem  schwedischen  Volkston  zu  folgen  versucht  hatte.  Nach  ihm  kam  IvarHallstrom,  der 
schwedische  Nationalopern  mit  Motiven  aus  der  Volkssage  unter  reichlicher  Benutzung  der 
Volksweisen  schrieb.  Seine  Oper  ,,Den  Bergtagna"  (Die  Bergentrlickte,  1874)  wurde  lange 
als  die  beste  Nationaloper  des  Landes  gepriesen.  Besonders  in  die  achtziger  Jahre  fielen  die 
meisten  seiner  folgenden  Opern:  ,,Silverringen"  (Der  Silberring),  ,,Per  Svinaherde"  (Der 
Schweinehirt),  ,,Melusina"  usw.  Das  allgemeine  Interesse  an  dem  Volkstiimlichen,  das  durch 
mehrere  Vereine  aufrechterhalten  wurde,  kam  dieser  Richtung  iiberall  entgegen.  Die  Volks- 
lieder  und  Volkstanze  wurden  im  ganzen  Lande  aufgezeichnet,  Vereine  fiir  Neubelebung  der 
Volkstanze  wurden  gegriindet  (,,Philochoros"  in  Uppsala,  und  ,,Der  Volkstanz"  in  Stockholm), 
die  Museen  fiir  schwedische  Volkskultur  (das  Nordische  Museum  in  Stockholm,  das  Kultur- 
historische  Museum  in  Lund  u.  a.)  veranstalteten  Volksfeste  mit Volksmusik  und  -Tanz.  Musik- 
auffiihrungen  von  bauerlichen  Spielern  hatten  iiberall  voile  Hauser,  und  man  glaubte  fest  an 
eine  national-schwedische  Kuristmusik,  die  sich  neu  erheben  sollte,  ebenso  wie  Edw.  Grieg 
die  norwegische  Kunstmusik  in  die  Hohe  getragen  hatte.  Es  dauerte  aber  nicht  lange,  bis  man 
einsah,  dafi  zuviel  Dilettantismus  in  der  ganzen  Bestrebung  steckte.  Die  Komponisten  be- 
safien  nicht  geniigende  Schulung  oder  Individualitat,  um  eine  solche  Kunstmusik  schaffen  zu 
konnen,  und  schon  1890  hatte  man  sich  andern  Kunstbewegungen  zugewendet. 

In  den  achtziger  Jahren  bliihten  gleichzeitig  die  Liszt-  und  Wagner-Richtung  auf .  Das  Mu~ 
sikdrama  Wagners  war  ja  schon  mit  dem  Nibelungenring  ,,nordisch**  gefarbt,  und  der  Meister 
von  Ba^euth  hatte  gezeigt,  dafi  gerade  die  altnordische  Sage  starke  Moglichkeiten  in  sich 
trug,  um  eine  germanische  Volkskunst  zu  schaffen.  Auch  Liszts  Programmusik  eignete  sich 
vorziiglich  fiir  musikalische  Landschaftsmalerei  in  nationalem  Sinne.  Die  russischen  und 
bohmischen  Komponisten  hatten  mit  Erfolg  symphonische  Dichtungen  iiber  Sagenstoffe  ge- 
schrieben.  Auch  diese  Bewegung  blieb  den  schwedischen  Komponisten  nicht  fremd. 


Moderne:  Schweden  ]  J  |9 


Die  Wagnerdramen  waren  schon  in  den  sechziger  und  siebziger  Jahren  nach  Stockholm  ge- 
kommen  (,,Rienzi",  1865,  ,,Der  fliegende  Hollander",  1872,  ,,LohengrnT,  1874  und  ,,Tann- 
hauser",  1878),  aber  die  schwedischen  Komponisten  verhielten  sich  dieser  Richtung  gegeniiber 
noch  abwartend.  Der  eigentliche  Wagnerdurchbruch  fand  erst  1887  statt,  als  ,,Die  Meister- 
singer"aufgefiihrt  wurden.  Schon  vorher  hatte  aber  Andreas  Hallen  (1846—1925)  das  neue 
Musikdrama  in  seine  szenischen  Werke,  wie  in  die  Oper  ,,Harald  der  Wiking",  aufgenommen, 
die  zwar  in  Leipzig  1881  —  auf  Empfehlung  Uszts  —  ihre  Uraurfuhrung  hatte,  aber  erst  1884 
in  Stockholm  gegeben  wurde.  Es  war  erst  der  ,,Tannhauser",  der  in  dieser  Weise  in  Schweden 
seinen  Einzug  hielt,  doch  man  wollte  das  Neue  nicht  anerkennen,  und  die  Oper  war  bald 
vom  Repertoire  verschwunden. 

Nicht  viel  besser  ging  es  mit  der  symphonischen  Dichtung.   Zwar  wurde  Liszts  ,,Tasso" 

1886  und  ,,Les  preludes"  1887,  Berlioz'  Symphonic  phantastique  1888  aufgefiihrt,  aber  die 
Kritik  war  gegen  die  ganze  Richtung  und  die  Komponisten  wagten  sich  nicht  hervor.  Andreas 
Hallen  versuchte  auch  hier  fur  das  Neue  einzutreten  und  schrieb  u.  a.  die  beiden  sympho 
nischen  Dichtungen  ,,Frithiof"  (die  schon  1875  in  Gotenburg  aufgefiihrt  wurde)  und  ,,Eine 
Sommersage"  (in  Stockholm  1889  aufgefiihrt).  Der  Boden  war  noch  nicht  recht  for  die  neu- 
romantische  Schule  bereitet.  Etwas  grofieren  Erfolg  hatte  das  Chorwerk  im  Sinne  Berlioz* 
(,,Faust")  und  Liszts  (,,Elisabeth").   Mendelssohn  und  Gade  wurden  in  den  Chorvereinen 
fleifiig   gepflegt    und    schwedische    Komponisten    folgten    nach   (Soderman,   Norman, 
Hallstrom,  Svedbom  u.  a.).    Andreas  Hallen  war  in  den  siebziger  Jahren  Chormeister 
in  Gotenburg  und  schrieb  schon  damals  ,,Vom  Pagen  und  der  Konigstochter"  (Gotenburg 
1871),  ,,Das  Ahrenfeld"  (1880)  und  ,,Vineta '  (1882).    In  Stockholm  griindete  er  1885  die 
,,Philharmonische  Gesellschaft",   welche  er   10  Jahre  hindurch  mit  grofiem  Erfolg  leitete. 
Hier  konnte  er  fur  die  neue  Kunst  eintreten  und  auch  seine  eigenen  Chorwerke  zur  Auf- 
fiihrung  bringen.   In  den  achtziger  Jahren  wurden  u.  a.  aufgefiihrt:  ,,Der  Traumkonig",  1886, 
,,DasZauberschlofi",  1889,  ,,Styrbjorn  Starke"  (Nordlandskampf),  1889,  ..DieBufierin",  1890. 

Im  iibrigen  wurde  zu  dieser  Zeit  nur  das  Lied  gepflegt,  und  zwar  mit  grofiem  Erfolg  von 
Emil  Sjogren.  Die  alte  Mendelssohn-Schumann-Richtung,  der  vorher  von  vielen  Kompo 
nisten  gehuldigt  worden  war  (Norman,  Svedbom,  Korling,  Myrberg),  wurde  von  einer 
norwegisch-danischen  Stromung  (Heise,  Lange- Miiller,  Grieg)  verdrangt.  Soderman 
schuf,  unbeirrt  von  dem  in  den  fiinfziger  und  sechziger  Jahren  iiblichen  Stil,  seine  markanten 
Romanzen  und  Balladen,  und  Sjogren  wurde  sein  Nachfolger,  obgleich  dieser  mehr  zur 
lyrischen  Poesie  hinneigte.  Zu  seinen  besten  Liedersammlungen  gehoren  ,,Sieben  Gesange 
aus  Tannhauser"  (1881).  Von  Sjogren  wurde  auch  ein  individueller  Pianostil  geschaffen  (Ero- 
tikon  1883). 

Die  Kammermusik  wurde  in  den  achtziger  Jahren  von  dem  Aulin-Quartett  (gegriindet 

1 887  von  T  o  r  A  u  1  i  n ,  1 866— 1914)  gepflegt,  obgleich  sehr  wenig  einheimische  Komponisten 
fur  diese  Stilart  schrieben.  Vorher  hatten  Nor  man  und  Berwa  Id  markante  Werke  geschaffen, 
aber  die  neueren  Komponisten  wandten  sich  andern  Musikgattungen  zu.  Nur  Sjogren  schrieb 
seine  zwei  ersten  Violinsonaten  1886  und  1889. 

Mit  den  neunziger  Jahren  siegte  die  neuromantische  Richtung,  und  die  alten  Komponisten, 
welche  im  vorigen  Jahrzehnt  um  die  Gunst  des  Publikums  gerungen  hatten,  wurden  jetzt 
iiberall  anerkannt  und  gepriesen.  Die  Sjogrenromanze  erklang  iiberall  im  Lande,  Andreas 


]J20  Moderne:  Schweden 


Hallen  erhielt  den  Auftrag,  die  Festoper  zur  Eroffnung  des  neuen  Operngebaudes  zu  schreiben 
(,,Der  Schatz  Waldemars",  1899).  Die  symphonische  Dichtung  wurde  Modesache  (Hallen 
fiihrte  auf :  ,,Toteninser,  1898,  ,,Im  Herbst",  1895  u.  a.),  und  das  Chorwerk  far  Soli,  Chor 
und  Orchester  florierte  mit  Hallen  (,,Die  Wasasage",  1897,  ,,Die  Weihnacht",  1895)  und  Erik 
Akerberg. 

Unter  den  jiingeren  Komponisten,  die  jetzt  auftraten,  verdienen  Wilhelm  Stenhammar 
(1871  — 1927)  undHugoAlfven  (geb.  1872)  genannt  zu  werden.  Jener  errang  seinen  ersten 
groBen  Erfolg  18%  mit  dem  Chorwerk  ,,SnofricT  (schon  1892  war  das  Chorwerk  ,,Die  Prin- 
zessin  und  der  Page"  gegeben)  und  1897  mit  einer  Festkantate.  Bald  danach  versuchte  er  sich 
im  Musikdrama:  ,,Tirfing '  (Stockholm  1898)  und  ,,Das  Fest  auf  Solhaug"  (Stuttgart  1899; 
Stockholm  1902).  Im  letzteren  blieb  er  dem  Wagnerstil  treu,  obgleich  er  durch  eine  liedmafiige 
Fuhrung  der  Melodien  das  Rezitativische  zuriickdrangen  wollte.  Stenhammar,  der  auch  als 
Pianist  und  Dirigent  hervortrat,  schrieb  auBerdem  mehrere  Lieder,  die  starke  Aufmerksamkeit 
erweckten.  Der  Kammermusik  gab  er  einige  mit  Erfolg  gespielte  Streichquartette.  Das  Aulin- 
Quartett  wurde  in  denneunziger  Jahren  fortgesetzt,  und  Stenhammar  gehorte  mehrere  Jahre 
diesem  Ensemble  als  Pianist  an.  1897 — 1900  war  er  auBerdem  Dirigent  der  Philharmonischen 
Gesellschaft. 

Hugo  Alfven  errang  grofien  Erfolg  mit  seinen  2Symphonien  (F-Moll,  1897  undD-Dur, 
1899).  Mit  seiner  Jahrhundertkantate,  1900,  betrat  er  die  Chorkomposition.  Aufierdem  schrieb 
er  Lieder. 

Die  schwedischen  Volksmelodien  als  Unterlagen  fur  grofiere  Kompositionen  und  die  na- 
tionalen  Bestrebungen  waren  in  dieser  Zeit  fast  zuriickgetreten,  obgleich  Ivar  Hallstrom  noch 
in  der  alten  Richtung  schrieb.  Mit  Wilhelm  Peterson-  Berger  (geb.  1867)  kam  jedoch 
wieder  das  national  Gefarbte  zum  Vorschein,  und  seine  Lieder  errangen  sich  einen  immer 
wachsenden  Kreis  von  Bewunderern.  Mit  dem  Festspiel  ,,Sveagaldrar"  (1897)  begann  er  seine 
Wirksamkeit  fur  die  Buhne.  Der  modernen  Orchestersuite  wurde  in  den  neunziger  Jahren 
u.  a.  von  Hallen  und  Aulin  (,,Meister  Olof")  gehuldigt.  Das  Orchestergemalde  pflegte  u.  a. 
BrorBeckman. 

Die  franzosische  Musik  trat  zu  dieser  Zeit  wenig  hervor,  obgleich  mehrere  Werke  von  Mas 
senet,  Saint-Saens  und  C.  Franck  aufgefiihrt  wurden.  Im  Orgelspiel  machte  sich  die  franzo 
sische  Richtung  mehr  geltend :  die  Werke  von  Widor,  Guilmant  und  Franck  wurden  iiberall 
gespielt.  Als  namhafter  Orgelspieler  (und  Komponist)  ist  Gustaf  Hagg  (1867—1925)  zu 
nennen. 

Im  ersten  Jahrzehnt  des  neuen  Jahrhunderts  drang  allmahlich  auch  die  neuere  deutsche 
Musik  durch.  Mit  wachsendem  Erfolg  wurden  die  symphonischen  Werke  von  Richard  Straufi 
(,,Till  Eulenspiegel",  1 901 ,  ,,Macbeth",  1 906,  ,,Don  Juan",  1 907,  ,,Tod  und  VerUarung",  1910) 
aufgefuhrt.  Auch  Max  Reger  wurde  bekannt  (Serenade,  1 906,  Weihnachtskantate,  1910).  Die 
letzten  Wagnerwerke  kamen  in  diesem  Jahrzehnt  auf  die  schwedische  Buhne.  Die  ,,Walkiire" 
(Valkyrian)  war  zwar schon  1895  gegeben,  aber  ,,Rheingoldt4  folgte  erst  1901,  ,,Siegfried4<,  1905, 
,,Gotterdammerung",  1907,  ,,Tristan"  in  demselben  Jahre.  Auch  andere  Komponisten  er- 
zielten  hiibsche  Erfolge,  darunter  besonders  d'Albert  (,,Tiefland",  1908,  .Jzeyl",  1910).  Von 
den  Neuitalienern  horte  man  mit  Vorliebe  Puccini  (,,Boheme",  1901,  ,,Tosca*,  1904,  ,,Madame 
Butterfly",  1908). 


Moderne :  Schweden  ]  [  2 1 


Die  schwedischen  Komponisten,  die  die  deutsche  Kunst  weiter  verfolgten,  waren  dieselben 
\vie  vorher.  Stenhammar,  Alfven  und  Peterson-Berger  waren  noch  die  fiihrenden  Geister. 
Stenhammar  schrieb  u.a.  ein  Violinkonzert,  1901,  ,,Ein  Volk"  (Chorwerk),  1905,  ,,Ithaka" 
(Bariton  mit  Orchester),  ,,Midvinter"  (Chor  und  Orchester),  1 908,  ein  Klavierkonzert  in  D-Moll, 
1908  (vorher  eines  in  B-Moll  1894);  aufierdem  noch  Kammermusik  und  Sololieder.  Hugo 
Alfven  fiihrte  eine  dritte  Symphonic  in  E-Dur,  1906,  auf,  ein  Chorwerk  ,,Vater  unser",  1902, 
Festspiel,  1 909,  und  die  fast  iiberall  im  Norden  gegebenen  Orchesterrhapsodien  , ,Midsommar- 
vaka",  1904,  und  ,,Eine  Scharensage",  1905. 

Peterson-Berger  erzielte  seine  groBten  Erfolge  im  Musikdrama,  das  Wagnersche  Musik- 
drama  in  nationaler  Richtung  weiter  verfolgend :  ,,Ran",  1903,  und  ,,Arnljot",  1910.  Das  letzt- 
genannte  Werk  hat  einen  nachhaltigen  Erfolg  errungen  und  gilt  als  die  bedeutendste  National- 
oper  der  Jetztzeit.  In  der  Symphonie  ,,Das  Banner",  1904,  wandte  er  sich  auch  der  groBen 
Orchesterform  zu,  seine  Lieder  und  Pianokompositionen  erfreuen  sich  auch  grofier  Beliebtheit. 

Fur  die  Bekanntmachung  der  schwedischen  Komponisten  im  Ausland  wirkte  mit  grofiem 
Erfolg  Aulin,  der  zusammen  mit  Stenhammar  mehrere  Musikfeste,  besonders  in  Deutschland, 
veranstaltete.  Beide  griindeten  in  Stockholm  1 902  einen  Verein  fur  Orchesterkonzerte.  Mit 
der  Griindung  eines  Orchestervereins  in  Gotenburg  1905  trat  allmahlich  auch  die  zweite 
Handelsstadt  im  Musikleben  hervor,  und  mit  Stenhammar  und  Aulin  als  Dirigenten  konnte 
Gotenburg  einige  Jahre  sogar  die  Fiihrung  iibernehmen. 

Das  zweite  Jahrzehnt  bezeichnet  einen  bedeutenden  Aufschwung  in  dem  schwedischen 
Musikleben.  Die  deutschen  Einfliisse  sind  noch  die  weitaus  nachhaltigsten,  doch  beginnt  all 
mahlich  auch  der  franzosische  EinfluB  hervorzutreten,  obgleich  die  Orchesterprogramme  nur 
vereinzelte  franzosische  Werke  aufzuweisen  haben.  Richard  Straufi  als  Musikdramatiker  ist 
dem  schwedischen  Publikum  nicht  unbekannt  geblieben(,,Salome",  1908,  ,,Der  Rosenkavalier", 
1920),  doch  hat  man  sich  gegeniiber  seinen  Neuerungen  ziemlich  reserviert  verhalten.  Auch 
d'Albert  konnte  mit  seinem  Musikdrama  ,,Die  toten  Augen"  (1920)  nicht  durchdringen. 
Einen  nicht  unbedeutenden  Erfolg  hatte  Rabaud  1915  mit  ,,Marouf". 

Die  schwedischen  Komponisten  schrieben  in  diesem  und  dem  folgenden  Jahrzehnt  ofter  fur 
die  Biihne,  doch  hat  keines  dieser  Werke  einen  nachhaltigen  Erfolg  gehabt.  Peterson- 
Berger  ist  mit  zwei  Werken  hervorgetreten :  ,,Die  Propheten  des  Jiingsten  Gerichts",  1919 
und  ,,Adils  und  Elisiv",  1927.  Von  neuen  Komponisten  wurden  aufgeftihrt:  Natanael  Berg, 
,,Leila",  1912,  Kurt  Atterberg,  ,,Harvard  der  Harfenspieler ',  1919,  und  ,,Backa- 
hasten",  1925,  TureRangstrom,  ,,Mittelalterlich",  1921 ,  und  ,,DieKronbraut",  1922  (Stutt 
gart  1920).  Berg  und  Atterberg  sind  auch  mit  PantomimbaHetten  hervorgetreten.  Von  Alfven, 
der  vorher  nicht  fur  die  Biihne  geschrieben  hatte,  wurde  (1 923)  ein  Ballett  ,,Der  Bergkonig"  auf- 
gefiihrt  Der  Wagnerstil  wird  allmahlich  mehr  moderiert,  die  melodische  Linie  tritt  immer 
mehr  hervor  und  damit  auch  die  geschlossenen  Musikformen.  Die  schwedischen  Biihnen- 
werke  sind  nur  oberflachlich  vom  Impressionismus  beeinflufit. 

In  den  Orchesterwerken  tritt  dagegen  der  neue  Geist  mehr  in  den  Vordergrund,  obgleich 
auch  hier  eine  gewisse  MaBigung  zu  bemerken  ist.  Die  namhaftesten  Komponisten  fur  Or 
chester  sind  Kurt  Atterberg  (5  Symphonien,  die  meisten  auch  in  Deutschland  in  den  letzten 
Jahren  mit  Erfolg  gegeben,nebsteinerneuesten,  die  1 928  von  der  internationalen  Jury  in  Wien 
mit  dem  ersten  (Columbia-)  Preise  bedacht  wurde,  Konzerte  fur  Violine,  1913,  Cello,  1923,  ein 


[{??  Moderne:  Finnen 


St  reichquartett ,  Orchesterrhapsodie,  Konzertouverture,Requiem,  1 9 1 4,  u .  a.),T  ureRangstrom 
(StrindbergsymphonieJ9I5,mehrereOrchestergemalde:,,DasMeersingttt,,,Dithyrambe'4,,,Ein 
Mitlsommerstikk" ;  Kammermusik,  Lieder  und  Klavierstiicke),  Natanael  Berg(symphomsche 
Werke:  ,,Traumge  waken",  ,,AlIes  endet,  was  entsteht",  ,,Die  Jahreszeiten" ;  Chorwerk:  Lob- 
gesang;  Saul  und  David;  ferner  Klavierquintett,  Lieder  u.  a.)  und  Oscar  Lindberg  (sympho- 
nische  Dichtungen,  Konzertouvertiiren  u.  a.).  Von  den  vorher  erwahnten  Komponisten  ist 
Alfven  mit  einer  neuen  (4.)  Symphonic  (1919)  hervorgetreten,  Peterson-Berger  mit  2  Sym- 
phonien  ,,Sunnanfard",  1913  und  ,,Lappland", 191 7,  mehreren  JFestkantaten  usw.,  Stenhammar 
mit  einer  Festkantate  fur  die  Musikakademie,  1 921,  ,,Das  Volk  in  Nifelhem44,  ,,Friihlings- 
nacht**  usw. 

Im  Musikleben  der  Zeit  nach  1923  sind  wenige  Veranderungen  eingetreten.  Die  neuere 
Tonkunst  ist  mehr  geachtet  worden,  und  man  hort  jetzt  ofter  Werke  von  Schreker 
(,,Der  feme  Klang",  1927),  Schonberg  (,,Gurrelieder",  1925),  Stravinsky  (,,Pul- 
cinella",  1927),  Hindemith,  Honegger,  Bartok  u.  a.  Zu  der  neueren  Richtung 
unter  den  schwedischen  Komponisten  gehort  HiIdingRosenberg,dermit Symphonien, 
Kammermusik,  szenischer  Musik,  Sololiedern,  Chorgesangen  und  Pianostiicken  aufgetreten  ist. 

Literatur 

Norlind,  Tobias:  Allmant  MusJHexikon  (2.  Aufl.  1929)  und  Svensk  Musikhistoria  (2.  Aufl.  I9I8).  —  Der- 
selbeu.  Mo  rales,  0. :  K.  Mus.  Akad.  1771— 1921(1921).  —  Ders  elbe  u.  Troba  ck,E.:  K.  Hovkapellets 
historia  1526  bis  1926  (1926).  —  Vretblad,  Patrik:  J.  H.  Roman  (1914)  und  Konsertlivet  i  Stockholm  under 
1700-talet  (1918).  —  Hillman,  Adolf:  Franz  Berwald  (1920),— Jeanson,  G.:  Aug.  Soderman  (1926).— 
Flodmark,  J.  H.  A.:  Elisabeth  Olinoch  CarlStenborg  (1903).  — Nyblom,  Holger:  Gustaf  III:  s  opera  (1923). 
—  Personne,  Nils:  Svenska  teatern  (1918ff.).  —  Mehrere  bedeutende  Studien  der  schwedischen  Instrumenten- 
kunde  sind  von  Daniel  Fryklund  herausgegeben.  —  Eine  in  deutscher  Sprache  abgefaBte  Ubersicht  der 
schwedischen  Musikgeschichte  ist  in  der  ,,Musik",  1904,  (von  T.  Norlind)  zufinden;  in  englischer  Sprache  ,,Swedish 
Music"  (auch  von  T.  Norlind)  in  ,,The  Swedish  Year-book  1922"  (spanisch:  Suecia  1923). 

Tobias  Norlind 


FINNEN 

Die  Tonkunst  Finnlands  erfreut  sich  seit  etwa  den  letzten  fiinf  Jahrzehnten  einer  reichen 
Entwicklung  auf  nationalem  Boden  und  unter  dem  Einflusse  eines  regen  Musiklebens.  Die 
Geschichte  einer  kiinstlerischen  Musikiibung  im  engeren  Sinne  des  Wortes  reicht  bis  in  die 
zweite  Halfte  des  18.  Jahrhunderts,  die  des  Kirchen-  und  Schulgesanges  in  das  Mittelalter,  in 
die  Zeit  der  Einfuhrung  des  Christentums  und  der  schwedischen  Eroberung  (Mitte  des  1 2.  Jahr- 
hunderts).  Wahrscjiemlich  befinden  sich  in  der  finnischen  Volksmusik  Elemente  aus  noch 
friiherer  Zeit.  Es  sind  besonders  die  am  wenigsten  von  der  modernen  Kultur  beriihrten  Teile 
des  finnischen  Volkes,  die  Kareler  diesseits  und  jenseits  der  ostlichen  Grenze,  die  auf  dem 
Gebiete  der  Volksmusik,  wie  auch  der  Volksdichtung,  das  alteste  aufbewahrt  haben.  Im  ganzen 
kann  man  drei  verschiedene  Schichten  in  der  finnischen  Volksmusik  wahrnehmen.  Die  alteste 
wird  durch  rezitativische  und  improvisierende  Melodik  von  engem  Tonumfang  in  Verbindung 
mit  einer  Art  von  Prosadichtung  reprasentiert  (die  ,Joiku"-Gesange  und  die  Klageweisen 


Moderne:  Finnen  ]  J23 


der  Kareler).  Eine  mehr  entwickelte  Stufe  stellen  die  Runenmelodien  mit  ihrem  festen  rhyth- 
mischen  Bau  dar  (mehrere  rhythmische  Typen,  von  denen  der  ftinffiifiige: 

!  IN  1 1  i  1 1  1 1  i 
j  •  i  *  * i 0  • i !  &  i  & 

besonders  charakteristisch).  Der  melodische  Ambitus  ist  auch  noch  hier  gering,  oft  eine 
Quinte  oder  eine  Quart e.  Als  die  dritte  und  neueste  Schicht,  die  allerdings  altere  und  jiingere 
Elemente  in  sich  birgt,  kann  die  noch  heute  iiberall  lebendige  Volksmusik  von  verschiedenen 
Formen  betrachtet  werden.  Charakteristisch  fur  das  neuere  Volkslied,  das  in  seinen  besten 
Erscheinungen  durch  eine  ausdrucksvolle,  schone  Melodik  gekennzeichnet  wird,  ist  ein  rhyth- 
mischer  Typus  von  zwei  Zeilenpaaren  mit  langen  Schlufitonen: 

It:   I    111    III    Ml    I  I  I  I  I   !    I  I J  I   1:11 
il'j    41*    *  i  *    *  I  4    ^  I  *  *  I  *    *  \&  \  et    " 

Von  neueren  Einfliissen  abgesehen  zeigt  sich  in  den  finnischen  Volksweisen  manchmal  eine 
Verwandtschaft  mit  den  mittelalterlichen  Kirchentonarten  und  dem  Minnelied.  Eine  besondere 
Gruppe  bilden  die  geistlichen  Volkslieder,  Varianten  von  kirchlichen  Choralen  und  von  geist- 
lichen  Gesangen  oder  mehr  selbstandige  Erzeugnisse.  Neuerdings  hat  man  mit  diesen  oft 
wertvollen  Melodien  das  Kirchenlied  bereichern  konnen. 

Das  traditionelle  nationale  Tonwerkzeug  war  der  in  der  alten  Volkspoesie  geriihmte  Kantele, 
dessen  alteste  Typen  fiinfsaitig  sind.  Ein  interessantes  Streichinstrument,  der  mit  dem  kel- 
tischen  Crwth  nahe  verwandte  dreisaitige  Jouhikantele  lebte  bis  heute  in  einigen  entfernten 
Gegenden.  Von  andern  alten  Instrumenten  des  Volkes  sind  das  ,,Bockhorn"  und  die  Luren  und 
Pfeifen  (aus  der  Birken-  und  Weidenrinde)  des  Hirten,  von  den  jiingeren  besonders  die  Geige 
und  die  Klarinette  und  in  jtingster  Zeit  die  Ziehharmonika  als  Tanzinstrumente  zu  nennen. 
Die  alteren  mit  Klarinette  und  Geige  gespielten  Tanzmelodien  hatten  offenbar  oft  Jhre  Vor- 
bilder  in  der  Kunstmusik  des  17. — 18.  Jahrhunderts. 

Der  finnischen  Volksmusik  begann  man  um  1800  Aufmerksamkeit  zu  widmen,  und  nament- 
lich  seit  der  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  ist  die  Arbeit  des  Sammelns  und  spater  auch  des 
Herausgebens  plangemafi  fortgefuhrt  worden.  Eine  Monumentaledition  ,,Suomen  kansan  sa- 
velmia"  umfaBt  bis  jetzt  ca.  5000  Melodien  in  5  Teilen,  von  Ilmari  Krohn  (Teil  1 — 3)t 
ArmasLaunis(Teil4)und  A.O.  Vaisanen  (Teil  5)  redigiert.  Auf  dem  finnischen  Gebiet  sind 
im  ganzen  ca.  1 5  000  Melodien  gesammelt  worden.  Fur  die  neuere  Entwicklung  der  finnischen 
Tonkunst  war  die  Volksmusik  von  grofier  Bedeutung. 

Die  altesten  geschichtlichen  Denkmaler  der  Musik  sind  Neumenschriften  aus  dem  1 1. — 12. 
Jahrhundert,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  aus  den  Landen  am  Niederrhein  stammen. 
Von  der  ganzen  katholischen  Zeit,  die  bis  in  das  1 6.  Jahrhundert  dauerte,  haben  sich  zahlreiche 
Codices  des  romischen  Kirchengesanges,  zu  betrachtlichem  Teil  leider  nur  als  Fragmente,  er- 
halten.  Im  spateren  Mittelalter  war  der  Kirchengesang  Finnlands  von  der  Dominikanerliturgie 
stark  beeinflufit.  Weiter  ist  besonders  eine  Sammlung  von  Schulliedern,  ,,Piae  Cantiones", 
von  dem  finnischen  Studenten  TheodoricusPetriRuutaim  Druck  herausgegeben  (Greifs- 
wald  1582;  zahlreiche  spatere  Auflagen)  zu  nennen.  Diese  ein-  bis  vierstimmigen  Lieder 
waren  Jm  ganzen  schwedischen  Reich  bekannt,  namentlich  aber  in  Finnland  heimisch  und  sehr 
wahrscheinlich  zum  Teil  auch  hier  verfafit:  ein  ansehnlicher  Teil  der  Lieder  findet  sich 
nicht  in  auslandischen  Sammlungen.  Auch  spatere  Denkmaler  des  Schulgesanges  sind 


]  ]24  Moderne:  Finnen 


erhalten.  Einer  selbstandigen  musikalischen  Arbeit  begegnen  wir  welter  in  der  Refor- 
mationszeit,  wo  manche  alte  Melodien  des  lateinischen  Kirchengesanges  mit  finnischem 
Text-  versehen  und  den  Anforderungen  der  neuen  Worte  angepaBt  wurden.  Gregoria- 
nische  Elemente  erhielten  sich  iiberhaupt  lange  auch  nach  der  Einfiihrung  des  protestantischen 
Chorals,  zumal  und  in  gewissem  Grade  bis  heute  in  den  Ordinariummefigesangen.  Die  welt- 
liche  Musik  der  alteren  Zeit  ist  bis  jetzt  wenig  untersucht  worden;  sie  konnte  kaum  eine  grofiere 
Bedeutung  gewinnen,  weil  die  Gunst  eines  Flirstenhofes  fast  gar  nicht  hier  zur  Hand  war. 
Doch  sei  erwahnt,  dafi  der  musikliebende  Herzog  Johann  (1556—63;  spater  Konig  Johann  III. 
von  Schweden)  in  Abo  (finnisch  Turku)  sich  eine  eigene  Kapelle  hielt  unter  J  or  en  van  He i- 
den,  der  spater  in  Stockholm  tatig  war.  Die  Stadt  Abo  hatte  ihre  Stadtpfeifer  wenigstens  im 
17.  Jahrhundert,  und  in  der  Universitat  zu  Abo  (gegriindet  1640)  war  man  im  17—18.  Jahr- 
hundert  auch  wissenschaftlich  mit  den  Fragen  der  Musik  beschaftigt. 

Die  zweite  Halfte  des  18.  Jahrhunderts,  ,,die  gustavianische  Zeit",  ward  in  Schweden-Finn- 
land  fur  Kunst  und  Wissenschaft  gtinstig.  Da  begann  in  Finnland  ein  eigentliches  kunstle- 
risches  Musikleben  im  AnschluB  an  das  uberall  in  dieser  Zeit  aufbliihende  Konzertwesen. 
Eine  musikalische  Gesellschaft  in  Abo  wurde  1 790  gegrundet  —  Konzerte  fanden  von  1 773 
an  statt  — ,  und  ein  reges  und  recht  bedeutungsvolles  Musikleben  (Orchester,  Chore,  Kammer- 
musik,  Konzerte  reisender  Virtuosen)  dauerte  bis  in  das  Jahr  1827,  wo  die  Stadt  durch  einen 
verheerenden  Brand  zerstort  wurde.  In  dieselbe  Periode  gehort  der  erste  bedeutende  finnische 
Komponist,  der  weitberiihmte  Klarinettenvirtuose  Bernhard  Henrik  Crusell  (1775—1838), 
der  wahrend  seiner  besten  Jahre  in  Schweden  tatig  war.  Als  Komponist  ist  Crusell  bekannt 
durch  eine  Reihe  von  wertvollen  Klarinettenkompositionen,  eine  Oper  (,,Lilla  slafvinnan"), 
sowie  Lieder,  besonders  diejenigen  zu  Tegners  ,,Frithiofs-Sage". 

Inzwischen  war  die  politische  Stellung  Finnlands  eine  andere  geworden,  indem  das  Land 
1 809  als  autonomer  Staat  mit  RuBland  vereinigt  wurde.  Nach  dem  Brand  von  Abo  wurde  die 
Universitat  in  die  neue  Hauptstadt  Helsingfors  (Helsinki)  versetzt,  wo  von  da  an  das  geistige 
Leben  sich  konzentrierte.  Das  Musikleben  wurde  hier  besonders  durch  Fredrik  (Friedrich) 
Pacius  (1809—1891),  einen  geborenen  Hamburger,  Schuler  von  Spohr  und  Hauptmann,  in 
den  Zeichen  des  klassisch-romantischen  Stils  befordert  Sein  Name  lebt  namentlich  in  dem 
Nationallied  Finnlands  vom  Jahre  1848  (Text  von  Runeberg)  und  in  andern  patriotischen 
Liedern.  Aber  auch  seine  Biihnenwerke  ,,Kung  Karls  Jakt"  und  ,,Prinsessan  af  Cypern" 
(Texte  von  Topelius,  der  Stoff  des  letzteren  aus  dem  Volksepos  Kalevala),  sowie  ,,Loreley" 
(deutscher  Text  von  Geibel),  sind  bemerkenswert  als  erste  Erzeugnisse  der  einheimischen 
Opernkomposition.  Neben  Pacius  erschienen  einheimische  Komponisten,  die  namentlich 
schlichte,  innige  Lieder  und  Chore  von  dauerndem  Wert  schufen.  Unter  ihnen  sind  in  erster 
Linie  zu  nennen:  F.  A.  Ehrstrom  (1801—1850),  A.  G.  Ingelius  (1822—1868;  komponierte 
u.  a.  eine  Sinfonie  und  eine  Oper),  K.  Collan  (1828—71),  G.  Linsen  (1838—1914)  und 
J.  F.  von  Schantz  (1835 — 65),  der  in  seiner  ,,Kullervo"~Ouverture  schon  einen  Stoff  aus  der 
Volkspoesie  programmatisch  behandelte.  Die  Komponisten  dieser  Zeit,  Pacius  eingesdhlossen, 
haben  auch  schon  aus  der  Volksmusik  einigermafien  Eindriicke  genommen.  Als  ein  wiirdiger 
Nachfolger  Pacius'  kann  der  ebenfalls  in  Deutschland  (Danzig)  geborene  Richard  Faltin 
(1835 — 1918)  betrachtet  werden,  ein  gediegener  Musiker,  Komponist  grofierer  und  kleinerer 
Vokalwerke,  Arrangeur  von  finnischen  Volksweisen  und  Beforderer  des  Kirchengesanges. 


Moderne:  Finnen  1125 


Faltin  nahm  auch  als  Kapellmeister  tell  an  der  ersten  Tatigkeit  der  finnischen  Oper,  die  1870 
bis  1879  unter  der  Leitung  des  Schopfers  des  finnischen  Theaters,  K.  Bergbom,  mit  groBem 
Enthusiasmus  aufrechtgehalten  wurde. 

Die  Periode  des  modernen  Musiklebens  tritt  mit  dem  Jahre  1882  ein :  da  begannen  ihr  Lebens- 
werk  zwei  bedeutende  einheimische  Musiker  mit  gediegener  ktinstlerischer  Bildung,  Martin 
Wegelius  (1846 — 1906)  als  Direktor  des  neugegriindeten  Konservatoriums  (Musikinstitut) 
und  Robert  Kajanus  (geb.  1856;  der  derzeitige  Dirigent  des  Stadtischen  Orchesters  zu  Hel 
sinki)  als  Dirigent  eines  neuen  zeitgemafien  Orchesters.  Die  ausgepragt  nationale  Richtung 
in  der  schaffenden  Tonkunst  bekam  in  Kajanus  ihren  ersten  bedeutenden  Vertreter  auf  fin- 
nischem  Boden.  Schiiler  des  Leipziger  Konservatoriums  und  des  norwegischen  Komponisten 
Joh.  Svendsen,  fing  Kajanus  an,  Volksweisen  in  grofierer  Orchesterform  zu  bearbeiten  (zwei 
finnische  Rhapsodien)  oder  Stoffe  aus  der  alten  Volkspoesie  orchestral  darzustellen  (,,Aino"*- 
Symphonic,  ,,Kullervo"-Trauermarsch).  Zuseinen  Kompositionen  gehoren  weiter  emeOrche- 
stersuite,  ,,Sinfometta",  Kantaten,  Solo~  und  Chorheder  usw.  Die  kompositonsche  Tatigkeit 
Wegelius*  umfafit  Kantaten,  Lieder  u.  a.  von  kultivierter,  feinfuhliger  Art,  tritt  aber  vor  seiner 
iiberaus  bedeutungsvollen  padagogischen  Wirksamkeit  zuriick. 

Um  1890tratmit  den  ersten  Werken  hervor  Jean  Sibelius  (geb.  1 865),  derjenige  Komponist, 
der  vor  allem  die  finnische  Musik  zur  Geltung,  nicht  nur  innerhalb  der  heimatlichen  Grenzen  ge- 
bracht  hat.  Schon  in  seinen  Jugendarbeiten,  die  hauptsachlich  Kammer-musikwerke  sind,  zeigte 
Sibelius  ein  ausgesprochen  eigenartiges  Talent .  Nach  Studien  unter  Wegelius  sowie  spater  in  Berlin 
und  Wien  begann  Sibelius  mit  ganzer  Kraft  einer  urwiichsigen,  reichen  Phantasie  und  im  Besitz 
eines  gediegenen  orchestralen  Konnens  zunachst  die  alte  Sagenwelt  des  finnischen  Volkes 
musikalisch  zu  illustrieren.  Der  eigene  Stil,  den  Sibelius  schuf,  ist  nahe  verwandt  dem 
finnischen  Volkslied,  namentlich  in  dem  archaistischen  Ton  der  Melodik;  Volksweisen  als  solche 
hat  er  aber  iiberhaupt  nicht  benutzt.  Diese  prachtigen,  herben  Tonmalereien  sind  einer  ge- 
nialen  intuitiven  Vertiefung  in  die  national-mythischen  Stoffe  als  nachststehend  zu  betrachten 
und  wurden  auch  von  Anfang  an  als  eine  neue  nationale  Tonkunst  begniBt  Die  erste  Schaffens- 
periode  des  Komponisten  reicht  etwa  bis  zum  neuen  Jahrhundert  Neben  den  eigentlichen 
Kalevalawerken:  ,,Kwllervo4t-Symphonie,  die  Orchestersuite  ,,Lemminkainen"  (darin  die  be- 
kannten  Tondichtungen  ,,Der  Schwan  von  Tuonela**  und  ,,Lemminkainen  zieht  heimwarts"), 
MDer  Ursprung  des  Feuers**  und  die  etwas  spateren  ,,Pohjolas  Tochter'*  und  ,,Luonnotar*\ 
umfafit  sie  andre  verwandtc  und  oft  patriotische  Tondichtungen  (,,Eine  Sage**,  ,,Karelia**- 
Suite,  ,,Finlandiau,  ,,Fruhlingslied**),  Vokalwerke  mit  Orchester  (,,Snofridu,  ,,Gesang  der 
Athener*\  ,,Des  F^hrmanns  Braute'*),  die  Buhnenmusik  zu  Adolf  Pauls  ,,Konig  Kristian  11." 
u.  a,,  sowie  eine  hftchst  bernerkenswerte  Produktion  von  Solo-  und  Chorliedern  (Texte  z,  B.  von 
Runeberg,  Froding,  Kivi  und  aus  der  Volkspoesie),  in  denen  oft  das  malerische  und  das  musi* 
kalische  Element  zu  einer  harmonischen  Zusammenwirkung  von  vollendeter  Schonheit  sich  ver- 
einigen.  Auch  die  erste  Symphonic  (1899)  gehort  zu  dieser  Periode.  Die  zweite  Symphonic  (1 902) 
darf  als  ein  Wendepunkt  Jm  Schaffen  des  Komponisten  angesehen  werden.  Die  elementare 
Kraft  seinerTonsprache  erreicht  hier  den  Gipfel,  und  die  folgende  Zeit  wird  durch  eine  ruhigere* 
mehr  nach  innen  gewandte  Kunst  gekennzeichnet.  Der  Schwerpunkt  des  Schaffens  wird  gleich- 
zeitig  von  der  Programmusik  auf  das  rein  instrumental  Gebiet,  namentlich  die  Symphonic,  ver~ 
setzt,  DJese  Entwicklung  spiegelt  sich  deutlich  in  den  (bis  jetzt)  7  Symphonien  Sibelius'.  Wahrend 


I  ]  26  Moderne :  Finnen 


in  den  beiden  ersten  das  klassische  Formenschema  mit  eigenartigem  und  iridividuell  behan- 
deltem  thematischen  Material  erfullt  wird,  zeigen  die  spateren  in  hoherem  Grade  einen  Drang 
nach  Individuality  auch  in  formaler  Hinsicht,  sie  werden  knapper  und  mehr  intim  gehalten. 
Die  starke  Naturstimmung  Sibelius' wendet  sich  in  der  vierten  und  funften  Symphonic  in  das 
Mystisch-Kontemplative.  Auch  die  iibrige,  reiche  Produktion  verrat  in  grofien  Ziigen  dieselbe 
Entwicklung.  Besonders  seien  noch  genannt:  die  Orchesterwerke  ,,Nachtlicher  Ritt  und  Son- 
nenaufgang"  und  ,,Die  Okeaniden",  das  Violinkonzert  in  D-Moll,  das  Streichquartett  „  Voces 
intimae",  die  Biihnenmusiken  ,,Pelleas  und  Melisande",  ,,Svanehvit",  ,,Belsazars  Gastmahl", 
,,Kuolema"  (,,Der  Tod",  von  Arvid  Jarnefelt;  enthalt  die  bekannte  ,,Valse  triste")  und  ,Jeder- 
mann",  die  Pantomime  ,,Scaramouche",  Chorwerke  mit  Orchester  (,,Die  gefangene  Konigm"). 
Lieder,  Klavierstikke,  Kompositionen  fiir  Geige,  Cello  usw. 

Sibelius  ist  in  hohem  Grade  eine  kiinstlerisch  einsam  stehende  Erscheinung,  ohne  bestimmten 
Zusammenhang  mit  dieser  oder  jener  Richtung  in  der  zeitgenossischen  Tonkunst.  Einflusse 
sind  freilich  da  —  so  z.  B.  von  Tschaikowsky  — ,  sind  aber  bei  der  wahren  schopferischen 
Eigenart  seiner  Kunst  von  sekundarer  Bedeutung.  Fiir  die  finnische  Musik  muB  seine  Bedeu- 
tung  als  epochemachend  angesehen  werden.  Die  geniale  Personlichkeit,  die  aus  seinen  Werken 
sprach,  hat  sicher  viel  dazu  mitgewirkt,  daB  der  friihere  etwas  konventionelle  Ton  aus  der 
jiingeren  Musik  Finnlands  im  allgemeinen  gebannt  und  durch  ein  Streben  nach  individueller 
und  nationaler  Bedeutsamkeit  ersetzt  wurde. 

Von  den  Zeitgenossen  und  Nachfolgern  von  Sibelius  sei  zuerst  Armas  Jarnefelt,  der  der~ 
zeitige  Hofkapellmeister  in  Stockholm  (geb.  1869)  genannt,  ein  hochbedeutender  Musiker 
und  Komponist.  Er  schuf  eine.  ziemlich  eng  begrenzte,  aber  wertvolle  Produktion,  deren 
heimatlicher  und  mit  Sibelius  verwandter  Grundton  leicht  zu  erkennen  ist  (symphonische 
Dichtung  ,,Korsholm",  kleinere  Orchestersachen,  Buhnenmusik  ,,Luvattu  maa",  Lieder 
und  Chore  von  zarter  nordischer  Stimmung).  Erkki  Melartin  (geb.  1875,  Direktor  des 
Konservatoriums)  hat  fast  alle  Gebiete  der  Komposition  beriihrt,  ist  aber  im  Grund  als 
ein  ausgepragter  Lyriker  von  elegischer,  gefiihlsgesattigter  Natur  zu  fassen.  Seine  fliefiende 
Melodik  wandelt  gern  in  den  Bahnen  des  finnischen  Volksliedes,  wahrend  sein  Stil  im 
allgemeinen  von  kunstvoller  Polyphonic  bis  zu  den  Tendenzen  des  Impressionismus  und 
neuerdings  auch  des  Expressionismus  reicht  (vorziigliche  Biihnenmusiken,  6  Symphonien, 
symphonische  Orchesterwerke,  Streichquartette,  Lieder,  Klaviersachen,  auch  eine  Oper 
,,Aino"  mit  Stoff  aus  Kalevala).  Ein  vielversprechendes  Talent  war  der  jung  ver- 
storbene  Ernst  Mielck  (1877 — 99;  ,,Dramatische  Ouvertiire"  u.  a.).  Selim  Palmgren 
(geb.  1878,  bedeutender  Pianist)  komponierte  zahlreiche  beliebte  impressionistische  Kla- 
vierstiicke,  Lieder  und  Chore  —  besonders  wertvoll  und  eigenartig  sind  seine  Mannerchore — , 
sowie  grofiere  Werke,  wie  eine  Oper  ,,Daniel  Hjort"  nach  dem  Drama  J.  J.  Wecksells,  Or- 
chestersuiten  (,,Aus  Finnland"),  Biihnenmusiken  (,,Tuhkimo")  undmehrere  effektvolle  Klavier- 
konzerte  (,,Der  Flufi",  ,,Metamorphosen**,  ,,April").  Auch  Palmgren  benutzte  ziemlich  oft  Volks- 
melodien,  nahert  sich  aber  im  iibrigen  in  gewissem  Grade  dem  Kosmopolitismus  in  seiner 
koloristisch  wirkungsvollen  Schreibart.  Eine  der  gefiihlsstarksten  Personlichkeiten  der  fin 
nischen  Tonkunst  war  Toivo  Kuula  (1884 — 1918;  zur  Zeit  des  Freiheitskrieges  tragischer- 
weise  ermordet).  Kuula  verschaffte  sich  in  der  Heimat  und  im  Auslande,  Italien  (bei  Bossi) 
und  Paris  ein  solides  technisches  Konnen  und  nahm  daneben  Eindriicke  aus  der  modernen 


Moderne:  Finnen  ]  ]  27 


Iranzosischen  Musik,  die  eigentliche  Quelle  seines  Schaffens  war  aber  die  Volksmusik  und  die 
Nfatur  seiner  Heimat,  des  siidlichen  Osterbottens.  Ein  gliihendes  Gefiihl,  eine  reiche  musi- 
kalische  Phantasie  und  oft  eine  gewisse  Volkstiimlichkeit  sind  seinen  WerJcen  eigen:  zwei 
,,0sterbottmsche  Suiten"  fiir  Orchester,  prachtige  Tonmalereien  enthaltend,  Orchester-  und 
Chorwerke,  ein  Klaviertrio,  eine  Violinsonate,  Kantaten,  Lieder  und  Chore,  u.  a.  groBe  poly- 
phon  bearbeitete  Kompositionen  a  cappella  (,,0menapuut",  ,,Auringon  noustessa").  Ein  mehr 
nach  innen  gekehrter  und  verfeinerter  Charakter  erscheint  in  dem  ebenbiirtigen  Schaffen  des 
Leevi  Madetoja  (geb.  1887).  Ein  feinsinniger  Harmoniker  und  Kolorist,  ist  Madetoja 
emigermafien  durch  die  moderne  franzosische  Musik  beeinfluBt,  bewahrt  aber  stets  die  klare 
Tonalitat  nebst  einem  geist-  und  stimmungsvollen,  oft  elegisch  verschleierten  musikalischen 
Inhalt,  Neben  symphonischen  Dichtungen,  Chorwerken  mit  und  ohne  Orchester,  Solostiicken, 
Klaviersachen,  Liedern  usw.  schrieb  Madetoja  drei  durch  ihren  personlichen  Gehalt  bemer- 
kenswerte  Symphonien  und  eine  Oper  ,,Pohjalaisia".  Mit  gediegenen  Orchester-  und  Kammer- 
musikwerken  trat  Erik  Furuhjelm  (geb.  1883)  hervor. 

Von  den  jiingeren  Opernwerken  wurden  oben  einige  genannt.  Auf  diesem  Gebiete  trat  als 
Bahnbrecher  auf  Oskar  Merikanto  (1868 — 1924;  Organist  und  Operndirigent),  der  die  erste 
Oper  in  finnischer  Sprache  ,,,Pohjan  neiti"  (1899)  schuf;  seine  spateren  Opern  stellen  eine 
bedeutende  technische  Entwicklung  in  der  Richtung  des  itahenischen  Verismus  dar:  ,,EHnan 
surma"  (,,Der  Tod  Elinas",  nach  von  Numers)  und  ,,Regina  von  Emmeritz"  (nach  Topelius). 
Merikanto  ist  in  weitesten  Kreisen  bekannt  durch  seine  grofie  beliebte  popular-melodische 
Liederproduktion.  Der  Opernkomponist  Armas  Launis  (geb.  1884;  betrat  zuerst  die  musik- 
wissenschaftliche  Bahn  mit  Studien  liber  lappische  und  Runenmelodien)  zeigt  individuelle 
Tendenzen  in  seinen  Opern  ,,Seitseman  veljesta"  (deutsch:  ,,Die  Sieben  vom  Jochenhof ')  und 
,,Kullervo"  —  die  Texte  nach  Kivi  und  Kalevala  —  durch  reichliche  kiinstlerische  Anwendung 
von  Mitteln  der  primitiven  Volksmusik  und  durch  die  konsequente  Ausbildung  eines  finnisch- 
rezitativischen  Stils.  Das  Gebiet  des  Oratoriums  hat  zuerst  Ilmari  Krohn  (geb.  1867;  Ver- 
treter  der  modernen  Musikwissenschaft  an  der  Universitat  zu  Helsingfors)  mit  seinem  Werke 
,,Ikiaartehet"  (,,Die  ewigen  Schatze",  1912)  betreten.  Krohn,  der  in  seinen  Schopfungen  spe- 
ziell  auf  den  architektonischen  Bau  zielt,  ist  auch  sonst  ein  fruchtbarer  Komponist:  er  schrieb 
Kantaten,  Lieder,  Chore,  speziell  auch  geisthche,  sowie  neuerdings  eine  Oper  ,,TuhotuIva", 
(,,Die  Siindflut",  1919). 

Von  den  Komponisten,  die  hauptsachlich  nur  die  kleineren  Formen  des  Solo-  und  Chor- 
lieds  pflegten,  sind  besonders  zu  nennen:  Emil  Genetz  (geb.  1852;  vorziigliche  patriotische 
Mannerchore),  P.  J.  Hannikainen  (1854-1924),  Karl  Flodin  (1858-1925),  Otto  Koti- 
lainen  (geb.  1868),  Axel  von  Kothen  (1871-1927),  MikaelNyberg  (geb.  1871)  und  Axel 
Tornudd  (1874 — 1923).  Eine  Sonderstellung  hat  der  vielverdiente  Chordirigent  und  Schrift- 
steller  Heikki  Klemetti  (geb.  1876;  Schopfer  und Leiter  des ausgezeichneten Chors ,,Suomen 
Laulu**);  er  trat  mit  stilvoll  ausgearbeiteten  Choren  und  vorziiglichen  Arrangements  von 
historischer  und  Volksmusik  auf.  Eine  Reform  des  Kirchengesanges  auf  nationalgeschicht- 
lichem  Grund  wurde  von  Krohn,  Klemetti  und  Nyberg  ausgefiihrt. 

Mit  der  staatlichen  Selbstandigkeit  trat  eine  neue  Periode  im  Leben  des  finnischen  Volkes 
ein.  Die  oben  charakterisierte  musikalische  Produktion  gehort  im  wesentlichen  zu  den  Jahr- 
zehnten  vor  diesem  Wendepunkt,  Der  Boden,  auf  dem  sie  gewachsen,  wurde  von  einem  EinfluB 


]  1 28  Moderne :  Esten 


der  deutschen  klassisch-romantischen  Kunst  befruchtet.  Spater,  bei  dem  Suchen  nach  ihrer 
Eigenart,  nahm  sie  mehr  Eindrucke  von  den  modernen  Richtungen  der  romanischen  und  sla- 
wischen  Musik.  Unter  diesen  Beziehungen  zu  der  auslandischen  Musik  entstand  auf  eigenem 
Boden  eine  kultivierte,  im  einzelnen  verschiedenartige,  in  dem  ernsten  nationalen  Grundton 
aber  viele  gemeinsame  Ziige  aufweisende  musikalische  Kunst.  Die  Komponistengeneration, 
die  hauptsachlich  in  den  letzten  Jahren  hervorgetreten  ist,  schliefit  sich  zum  Teil  an  diese 
Tradition.  So  namentlich  Lauri  I kon en ,  der  bis  jetzt  2  Symphonien  in  ernstem  ungekiinstelten 
Orchesterstil,  Lieder,  Chore,  Kammerrmisik  u.  a.  schrieb,  wahrend  in  den  Kompositionen  von 
Heino  Kaski  (Orchester-  und  Klavierkompositionen,  Lieder),  Ernst  Linko  (Pianist;  u.  a. 
2  Klavierkonzerte)  und  Armas  Maasalo  (Chore,  auch  neuerdings  grofiere  Kompositionen) 
eine  mehr  popular  und  volkstumlich  gehaltene  Schreibweise  erscheint.  Aufierdem  hat  auch 
dieexpressionistischeRichtungVertretergefunden.  Besonders  sind  zu  bemerken  die  groCge- 
dachten  Orchesterwerke  von  Vain 6  Raitio  (,,Nocturne",  ,,Fantasia  estatica",,,  Antigone"; 
auBerdem  Symphonie,  Quintett,  Streichquartett  u.a.).  Auf  modernem  Boden  steht  auch  der 
Liederkomponist  Yr  jo  Kilpinen,  der  eine  reiche Produktion  von  ausdrucksvoller,  stark  indivi- 
dueller  Lyrik  schuf.  Von  den  iibrigen  jiingeren  Tonsetzern  seien  weiter  Aarre  Merikanto 
(Symphonie,  symphonische  Dichtungen  u.a.),  der  hervorragende  Pianist  Ilmari  Hanni- 
kainen  (Klavierkonzert),  Bengt  Carlson  (Kammermusik) ,  Arvo  Laitinen,  Eino 
Linnala,  Uuno  Klami  und  Sulho  Ranta  genannt. 


Literatur 

Eine  zusammenfassende  Geschichte  der  Tonkunst  Finnlands  fehlt  vorlaufig.  Von  Studien  und  Artikeln  seien 
genannt : 

Andersson,  Otto:  Inhemska  musikstrafvanden.  Helsingfors  1907.  —  Andersson,  Otto:  J«J.  Pippingskold 
och  musiklivet  i  Abo  1808 — 1827.  Helsingfors  1921.  —  Flodin,  Karl:  Finska  musiker  och  andra  uppsatser  i 
musik.  Helsingfors  1 900.  —  Derselbe:  Martin  Wegelius.  Helsingfors  1 922.  —  Haapanen,  T.:  Die 
Neumenfragmente  in  der  Univ.  Bibl.  Helsingfors,  1924.  —  Krohn,  L:  Geistliche  Volksmelodien  in  Finnland. 
1899.  —  Launis,  A.:  Estnisch-finnische  Runenmelodien.  Monographien  iiber  Sibelius  von  E.  Furuhjelm 
(1916;  schwedisch  und  finnisch),  W.  Niemann  (Leipzig  1917)  und  die  englische  von  R.  Newmarch  (1905; 
deutsch  1906). 

Toivo  Haapanen 


ESTEN 

Die  Musik  Estlands  ist  relativ  jungen  Datums.  Noch  bis  1819  befand  sich  das  Bauernvolk 
der  Esten  (ugro-finnischer  Volksstamm)  in  Leibeigenschaft  der  herrschenden  deutsclvbalti'- 
schen  Minoritat,  die  einst  als  Ordensritter  im  13.  Jahrhundert  das  Land  eroberte.  Beweise 
fur  eine  reich  ausgepragte  Musikalitat  der  Esten  lassen  sich  aus  den  altesten  Zeiten  erbringen : 
die  Verehrung  des  Gesanggottes  ,,Wanemuine"  (,,Altester  der  anderen",  —  finnisch 
,,Wainamoinen"),  die  Sagen  und  Lieder,  in  denen  die  tiefe  Musikalitat  des  Volkes  Ausdruck 
fand,  schliefilich  der  grofie  erhaltene  Volksmelodienschatz.  Bisher  sind  ca.  15000  Melodien 


Moderne:  Esten  ]  |29 


gesammelt  worden       eine  fur  das  Einmillionenvolk  verhaltnismafiig  hohe  Zahl.  Die  Schaffung 
eines  Melodienkataloges  ist  zur  Zeit  in  Angriff  genommen  worden. 

Unter  den  Volksmelodien  finden  sich  zwei  scharf  getrennte  Gruppen.  Die  alteren  sog. 
,,Runenmelodien4t  sind  kurze  melodische  Floskeln,  zu  denen  litaneiartig  (meist  durch  Vor- 
sanger  und  Chor)  langere  Texte  vorgetragen  resp.  improvisiert  wurden.  Es  sind  kurze  4- 
resp.  8-Takter,  am  haufigsten  in  der  Motivgliederung  aa*  oder  a  b  a'b',  mit  dem  fur  sie  charak- 
teristischen  Quartenambitus  und  starken  Spuren  der  alten  Kirchentone.  Die  zweite  Gruppe, 
die  der  eigentlichen  ,,Lieder",  ist  bedeutend  jiingeren  Datums  (19.  Jahrhundert) :  hier  zeigen 
sich  bereits  erdriickende  Einwirkungen  deutscher  (auch  russischer)  volkstumlicher  Melodik 
sowie  Einfliisse  der  Kunstmusik. 

Nicht  minder  rege  entwickelt  war  auch  die  Instrumentalmusik  im  Volke.  Das  alteste  und 
popularste,  -in  den  Sagen  und  Liedern  meistgenannte  Nationalinstrument  war  die  noch  bis  ins 
19.  Jahrhundert  allgemein  im  Gebrauch  gewesene  ,,Kannel"  (finn.  Kantele),  ein  Halb- 
psalterium  in  Vogelfliigelform,  als  Brettzither  aus  einem  einzigen  Holzblock  geschnitzt,  mit 
bootartig  ausgehohltem  Resonanzkorper,  dem  eine  Schalldecke  angeheftet  wurde.  Ein  Teil 
der  Instrumente  (besonders  der  aus  den  russischen  Grenzgebieten  siidlich  des  Peipussees) 
weist  eine  freigeformte,  den  Schallkorper  tiberragende  Verlangerung  der  Resonanzdecke  auf . 
Die  Zahl  der  Drahtsaiten  war  durchschnittlich  sechs  bis  sieben,  in  manchen  Gegenden  bis  neun. 
Als  ,,rootsi  kannel"  (Schweden-Kannel)  war  in  den  Kiistengebieten  und  auf  den  Inseln  die 
sog.  nordische  Harfe  (tallharpa)  im  Gebrauch,  eine  viersaitige,  mit  dem  Bogen  gespielte  Streich- 
leier.  Eines  der  beliebtesten  Instrumente,  hauptsachlich  zur  Besorgung  der  Tanzmusik, 
war  der  Dudelsack  unter  dem  Namen  ,,toropir  (,,torupiir).  Verbreitung  fand  auch  die  rund- 
biigelige  Maultrommel  (,,parmupiir*)  und  unter  der  Benennung  ,,mollpiir*  ein  mit  dem 
Bogen  gestrichenes  Monochord.  Schliefilich  seien  noch  die  zahlreichen  Arten  von  Hirten- 
schalmeien  (nvile*4),  Horner  aus  Holz,  Horn,  Metall  (,,sarv")  und  die  aus  Holzleisten  gefertigten 
und  durch  Basturnwicklung  zusammengehaltenen,  oft  bis  2  m  langen  ,,Hirtenposaunen" 
(,,karjapasun")  genannt. 

Beeintrachtigt  wurde  die  Entwicklung  der  Volksmusik  einerseits  durch  das  schwere  Sklaven- 
leben,  anderseits  durch  die  zu  Beginn  des  19.  Jahrhundcrts  sich  im  Volke  immer  mehr  aus- 
breitende  Herrnhuter  Briidergemeinde,  die  einen  direkten  Kreuzzug  gegen  das  Volkslied 
unternahm,  wodurch  viel  wertvolles  Gut  verloren  ging.  Die  durch  dlese  Sekte  in  ihrem  Be- 
stande  gefahrdete  lutherische  baltische  Kirche  suchte  das  Volk  wieder  an  sich  zu  ziehen  durch 
eine  Pflege  geistlichen  Chorgesanges,  die  im  Volke  regen  Anklang  fand.  Es  gelang  den  deut- 
schen  Pastoren  auf  dem  flachen  Lande  eine  Chorgesangbewegung  ins  Leben  zu  rufen :  aller- 
orts  entstanden  Bauernchore  -  und  hierrm't  setzt  die  eigentliche  estnische  Kunstmusikpflege 
ein.  Besondere  Bedeutung  erlangte  ein  Chor  im  Flecken  Oberpahlen,  um  1840  vom  dortigen 
Schulmeister  Martin  Willberg  (Schiiler  eines  Nagelijiingers)  gegriindet.  Der  hochbegabte 
ortliche  Pastor  Emil  Horschelmann  (1810  1854)  verfaCte  fur  diesen  Chor  die  ersten 
estnischsprachigen  geistlichen  Originalkompositionen  schlichte,  aber  tief  gehaltvolle  Chor- 
geseinge,  die  in  ihrer  Art  zwischen  Choral  und  evangelischer  Motette  stehen. 

In  Joh.  Wold.  Jannsen  ersteht  dem  Volke  ein  nationaler  Fiihrer,  der  die  Gesangbewegung 
aus  den  Grenzen  einer  volkserzieherisch-religiosen  in  die  Bahnen  einer  volkisch -abolition isti** 
schen  lenkt.  Er  organisiert  1869  anlafilich  des  SOjahrigen  Befreiungstages  von  der  Leibeigen- 


1130  Moderne:  Esten 


schaft  in  Tartu-Dorpat  ein  erstes  allgemeines  estnisches  Gesangfest,  dem  bald  weitere  Sanger- 
feste  folgten.  Diese  Gesangbewegung  wurde  zum  Hauptfaktor  im  raschen  kulturell-sozialen 
Aufstiege  der  Esten. 

Gleichzeitig  traten  die  ersten  estnischen  Vokalkomponisten,  anfangs  noch  Dilettanten,  auf 
den  Plan,  um  eigene  a-cappella-Lieder  zu  schaffen  (die  Schullehrer  Briider  A.  Sabelmann- 
Kunileid,  Fr.  Sabelmann,  A.  Thomson  u.  a.).  Infolge  Chorliteraturmangel  setzte  aber  ein 
immer  starkerer  Import  deutscher  Liedertafellieder  ein,  besonders  unter  dem  Nachfolger 
Jannsens,  Karl  August  Hermann  (1851—1908),  unter  dessen  Leitung  die  estnische  Gesang 
bewegung  aufierlich  allerdings  Jhren  glanzendsten  Kulminationspunkt  erreichte,  der  aber  das 
ganzeLand  mit  billigen,  musikalisch  wertlosen  Chorliedchen  (auch  Hunderten  eigener  Pro- 
duktion)  iiberschwemmte.  Die  nachstfolgenden  Komponistengenerationen,  Absolventen  des 
Petersburger  Konservatoriums,  hatten  Mtihe,  den  eingerissenen  seichten  Liedertafelstil  quali- 
tativ  zu  heben,  anfangs  durch  Anlehnung  an  die  deutsche  romantische  Liedschule  (Mendels 
sohn).  Hier  sind  zu  nennen  Johannes  Kappel  (1855  —  1907),  Konstantin  Tiirnpu  (1865 
bis  1927),  Miina  Hermann  (geb.  1864)  —  letztere  auch  als  Chorleiter  von  Bedeutung.  Erst 
Alexander  Sprenk-Late  (geb.  1860)  gelang  es,  in  seinem  Liedschaffen  nationale  Tone  an- 
zuschlagen,  ihm  folgte  Artur  Kapp  (geb.  1878).  Volksttimliche  melodische  Wendungen, 
Tonmalereien,  Humor  sind  die  neuen  Elemente  ihres  kraftvoll  urwiichsigen  Schaffens,  Be- 
lebung  der  Mittelstimmen  und  hier  und  da  auch  polyphone  Schreibweise  ihre  technischen 
Hilfsmittel.  Den  Hohepunkt  eines  nationalen  Liedschaffens  erreichte  der  geniale  Mart  Saar 
(geb.  1882),  unerschopflich  geistreich  im  Verarbeiten  und  Imitieren  volkstiimlicher  Motive. 

Zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  beginnt  auch  ein  Instrumentalmusikschaffen  sich  zu  regen. 
An  erster  Stelle  steht  der  Altmeister  Rudolf  Tobias  (1873—1918).  Nationale  Motive  werden 
mit  starker  personlicher  Eigenart  durchtrankt,  die  Darstellungsweise  ist  oft  herbe,  wuchtig 
und  dramatisch  gespannt,  bei  voller  technischer  Beherrschung  der  Ausdrucksmittel.  Von 
seinen  Werken  seien  nur  genannt  die  Oratorien  ,,Jenseits  des  Jordan"  und  ,  Jonas",  die  Kan- 
tate  ,,Ecclesia",  Ballade  ,,Sest  ilmaneitsist",  Ouvertiire  ,  Julius  Casar",  ,,Capriccio",  Klavier- 
konzert,  dazu  Kammermusiken,  Lieder,  Klavier-  und  Orgelwerke  sowie  ein  ,,KalewaIa"- 
Opernfragment.  Dberschatzt  wurde  der  leider  jungverstorbene  Orgelkomponist  Peter  Slid  a, 
der  nur  weniges  hinterliefi.  Neben  A.  Late  (,,Kalewala"-Ouverture,  Streichquartett  u.  a.  m.) 
und  A.  Kapp  (,,Suite  iiber  estnische  Volksweisen",  Ouvertiire  ,,Don  Carlos",  Kantate  ,,Zur 
Sonne",  Oratorium  ,,Hiob",  Kammermusiken  und  Orgelwerke)  ist  Mihkel  Liidig  (geb.  1880, 
erster  Direktor  des  Konservatoriums  zu  Tallinn;  Orchesterwerke :  Suite  ,,Lembit",  ,,0uver- 
tiire-Phantasie",  ,Johannisnacht")  zu  nennen.  Die  beiden  letzteren  weisen  in  ihrer  Instru- 
mentalmusik  russischen  EinfluB  auf  (Tschaikowsky),  ebenso  in  ihren  Liedern  mit 
Klavierbegleitung,  die  sich  dem  russischen  Romanzenstil  nahern.  Epigonenhaft  muten  die 
Kompositionen  des  ausgezeichneten  Klaviervirtuosen  Artur  Lemba  (geb.  1885)  an:  bald 
klassizistisch  gerichtet,  wie  etwa  in  den  Fugen  und  seinem  Meisterwerk,  der  monumentalen 
Toccata,  —  bald  romantisch  angehaucht,  wie  im  Klavierkonzert  und  den  Symphonien 
Nr.  1  und  2  (,,Auf  dem  Lebenswege");  letzteres  Werk  spielt  in  den  beiden  SchlufisStzen 
schlieClich  ins  Gebiet  der  billigen  Volksliederpotpourris  hintiber,  von  dem  leider  nur  zu 
viele  estnische  Komponisten  ein  gewisses  rationales"  Geprage  fur  ihr  Schaffen  erhofften,  — 
eine  bedauerliche  Verirrung  auf  der  Suche  nach  dem  nationalen  Stil.  Ein  starkes  Talent 


Moderne :  Russen  |  ]  3 1 


trat  jiingst  mit  Heino  Eller  (geb.  1887)  in  Erscheinung:  unter  Verzicht  auf  jegliche  melo^ 
dische  Anlehnung  an  Volksgut  und  Vokalschaffen,  sind  hier  Orchesterwerke  entstanden, 
die  trefflich  den  Stimmungsgehalt  des  nordischen  Landschaftscharakters  mit  impressionisti- 
schen  Mitteln  wiedergeben  (die  symph.  Bilder  ,,Abenddammerung "  und  ,,Morgenrote", 
,,Nachtliche  Klange",  ,, Scherzo",  ,, Symph.  Legende").  Ellers  Partituren  sind  mosaikartige 
Filigranarbeit,  bei  Neigung  zu  zarter  Pastellmalerei  (Klavierpreluden!).  Mit  den  ,,Phantomen" 
und  einem  Streichquartett  trat  in  seinem  Schaffen  eine  Wendung  zum  Expressionismus  ein. 
In  letzterer  Richtung  arbeitet  auch  Adolf  Vedro  in  seinen  Orchesterwerken  mit  stark  pro 
grammusikalischem  Emschlage  (,,Sinfometta",  ,,Wiegensang",  ,, Scherzo"  und  verschiedene 
Biihnenmusiken).  Mit  eigenen  Orchesterwerken  (,,Schlacht  bei  Kriuscha",  ,,Phantasie  iiber 
Volksweisen",  Salonstiicke  fiir  Orchester)  ist  auch  der  hervorragende  estnische  Dirigent 
Raimund  Kull  an  die  Offentlichkeit  getreten.  Als  vielversprechende  jiingste  Musiker  waren 
noch  zu  nennen  Arkadius  Krull  und  Ewald  Aaw  mit  seiner  Oper  ,,Die  Wikinger"  (Estonia- 
Oper,  Tallinn,  1928).  Die  ganze  estnische  Instrumentalmusik  ist  noch  ungedruckt.  Neuer- 
dings  wurden  vom  staatlichen  Kulturfond  Kompositionen  zwecks  Drucklegung  erworben. 

Dem  aufsteigenden  Instrumentalschaffen  gegeniiber  befindet  sich  das  a-cappella-Schaffen, 
das  seinen  Hohepunkt  iiberschritten  hat,  im  Verfall.  Hier  wird  seit  der  staatlichen  Selbstandig- 
keit  in  Anlehnung  an  eine  grofie  Vergangenheit  nur  Epigonenarbeit  geleistet.  Von  neueren 
Vokalkomponisten  waren  nur  zu  nennen  der  Lyriker  Juhan  Aawik  (geb.  1884)  und  Juhan 
Simm  (geb.  1885;  auch  Orchestersachen,  Biihnenmusik  zu  ,,Kalewipoeg  und  der  Gehornte"), 
die  u.  a.  als  populare  Sangerfestdirigenten  bekannt  sind. 

Fiir  die  Fortfuhrung  der  Gesangpflege  im  Lande  als  einer  historischen  Tradition  sorgt 
der  ,,Eesti  Lauljate  Liit"  (Estnischer  Sanger-Bund),  der  in  funfjahrigen  Intervallen  (1923, 
1928  usw.)  allgemeine  Gesangfeste  veranstaltet  und  der  alle  Chore  des  Landes  umfaflt,  ebenso 
wie  die  zahlreichen  Blaservereinigungen,  deren  Aufbliihen  hauptsachlich  der  Privatinitiative 
eines  alten  Dorfschulmeisters,  D.  0.  Wirkhaus,  und  seiner  Familie  zu  vefdanken  war. 

Literatur 

Volksmusik,  Hermann,  K.  A.:  Ober  die  estnischen  Volksweisen.1  Verh.  d.  Gel.  Estn.  Ges.  zu  Dorpat, 
1891.  —  LaunJs,  Armas:  uher  Art,  Entstchung  und  Verbreitung  der  cstnJsch-finnischen  Runcnniclodicn.  Helslng- 
fors  1913.  —  Graf,  Walter:  Das  estnische  Volkslied.  Wiener  Diss. 

HistorischcK.  Tammann,  A,;  Die  estnischen  allgemelnen  Gesangfeste  irn  XIX.  Jahrhunclert.  (Estnisch,  ohne 
Jahreszahl).  —  Neumann,  Lennart:  Einigc  Kapitel  aus  der  estnischen  Musik^eschichtc.  ,, Looming",  1924. 
(Estnisch.)  —  Kasemets,  Anton:  Aus  der  Vergangenheit  der  estnischen  Chorhcwegung,  und:  Strcif/iigc  auf 
dem  Gebict  der  estnischcrj  Musjkgeschichte.  ,,Muu8»kaleht<4,  1925L  (Estnisch,)  —  Arro,  El  mar:  Cher  das 
Musikleben  in  Estland  im  XIX.  Jahrhundert.  Diss,  Wien  1928. 

Elmar  Arro 


RUSSEN 

Rutland  hat  seinen  Part  im  Konzerte  der  grofien  europaischcn  Kulturmachtc;  als  Ictztc  erst 
um  die  Wende  des  18.  Jahrhunderts  ubcrnornmen,  Viel  weiter  zuruck  fiihrt  natiirlich  die 
Geschichte  des  russischen  Volksliedes  und  der  russischen  Kirchcnmusik,  die  jcdoch  anfan^s 
von  gar  keiner  Bedeutung  fiir  die  weltliche  Kunstmusik  in  Rutland  wart;n.  Mrst  zu  Boujinn 

'2    H,  d.  M. 


1 1 32  Moderne :  Russen 


des  19.  Jahrhunderts  wurde  die  Ergiebigkeit  dieser  zwei  unerschopflichen  Musikquellen  er- 
kannt.  Spater  waren  es  dann  gerade  die  Elemente  des  russischen  Volksliedes  und  des  litur- 
gischen  Kirchengesanges,  die  der  russischen  Kunstmusik  ihr  eigenartiges,  von  jeder  andern 
Musik  so  vollig  verschiedenes  Geprage  verliehen.  Das  Verdienst,  diese  Elemente  —  von  denen 
die  auf  den  alten  Kirchentonarten  aufgebaute  Harmonik  und  die  leittonlose  Melodik  sowie 
der  freie  unsymmetrische  Rhythmus  die  wichtigsten  sind  —  sinngemafi  in  die  Kunstmusik 
eingefuhrt  zu  haben,  gebiihrt  dem  ,,Vater  der  russischen  Musik",  Michael  Glinka.  Seinen 
Nachfolgern  war  es  vorbehalten,  die  weitgehendsten  Konsequenzen  aus  den  dadurch  ge- 
wonnenen  stilistischen  Grundprinzipien  zu  ziehen. 

Die  Geschichte  des  russischen  Volksliedes  reicht  in  die  Zeiten  grauen,  sagenumsponnenen 
Altertums  hinein.  Sie  ist  alter  als  die  des  russischen  Reiches,  zu  dem  sich  im  9.  Jahrhunderte 
die  verschiedenen  slawischen  Stamme  vereinigten.  Schon  im  6.  Jahrhundert  erzahlen  byzan- 
tinischeSchriftsteller  von  gefangenen  Slawen,  die  zwar  keine  Waffen  zu  handhaben  verstanden,. 
wohl  aber  die  ,,Gusli"  meisterten,  jenes  alteste  russische  Volksinstrument,  das  sich  iiber  ein 
Jahrtausend  lang  im  Gebrauche  des  musizierenden  russischen  Volkes  erhalten  hat.  Die  musi- 
kalische  Ethnographic,  deren  Forschungen  in  Rufiland  auf  Grund  uoerreich  vorhandenen 
musikalischen  Materials  zu  den  interessantesten  und  uberraschendsten  Ergebnissen  gefuhrt 
haben,  ist  es  sogar  gelungen,  Zusammenhange  der  russischen  Volksmusik  mit  dem  griechischen 
Altertum  aufzuzeigen. 

Die  Geschichte  der  russischen  Kirchenmusik  lafit  sich  bis  ins  9.  Jahrhundert  hinein  ver- 
folgen,  d.  h.  bis  zu  der  Zeit,  als  der  apostolische  Fiirst  Wladimir  der  GroBe  von  Byzanz  her 
das  Christentum  und  mit  ihm  den  ,,engelgleichen"  Gesang  der  byzantinischen  Kirche  iiber- 
nahm.  Den  dokumentarischen  Beweis  fiir  den  genetischen  Zusammenhang  der  russischen  und 
byzantinischen  Kirchenmusik  enthalten  die  altesten  Notenhandschriften  beider  Lander.  Aus. 
ihnen  geht  zur  Evidenz  die  (Jbereinstimmung  der  altbyzantinischen  Neumen  mit  den  alt- 
russischen  —  den  sogenannten  ,,Krjuki"  —  hervor.  Das  vergleichende  Neumenstudium  hat 
auf  diesem  Gebiete  noch  manche  interessante  Aufgabe  zu  losen. 

Die  ersten  Anfange  der  Kunstmusik  in  RuBland  liefien  von  ihrer  spateren  erstaunlichen 
Entwicklung  nichts  ahnen.  Unter  den  Moskauer  Zaren  hatte  die  weltliche  Musik  in  Rufiland 
jahrhundertelang  Perioden  schwerster  Verfolgungen  zu  iiberstehen.  Musik  aufierhalb  des 
kirchlichen  liturgischen  Gebrauches  gait  geraume  Zeit  als  ,,eitel  Fleischeslust  und  Teufels- 
spuk*'  und  wurde  von  den  um  das  Seelenheil  ihrer  Untertanen  mehr  als  notig  besorgten  Mos 
kauer  Zaren  und  Patriarchen  m  Acht  und  Bann  getan.  Noch  im  Jahre  1636  wurde,  auf  Grund 
eines  Dekrets  des  Moskauer  Patriarchen  Joasaph,  ein  Autodafe  von  Musikinstrumenten  am 
Ufer  der  Moskwa  abgehalten,  wobei  mehr  als  50  Fuhren  Instrumente  zu  Lob  und  Preis  Gottes 
eingeaschert  wurden. 

Mit  dem  Regierungsantritt  Peters  des  GroBen  begann  in  Rufiland  eine  Zeit  blinder  Nach- 
ahmung  alles  ,,Westeuropaischen",  auf  dem  Gebiete  der  musikalischen  Kunstiibung,  ebenso 
wie  auf  dem  Gebiete  der  Staatsverwaltung,  des  Gesellschaftslebens,  der  Literatur  und  der  bil- 
denden  Kiinste.  Bcsonders  die  prunkvolle  und  verschwenderische  Hofhaltung  der  weiblichen 
Beherrscherinnen  Rufilands,  der  Zarinnen  Anna,  Elisabeth  und  Katharina  II,,  war  der  Bliite 
aller  Kiinste,  also  auch  der  Musik,  giinstig.  Der  Bedarf  an  Musik  und  Musikern  wurde  vor- 
laufig  allerdings  fast  ausschliefilich  aus  Italian  gcdeckt.  Francesco  Araja,  Baltasaro  Galuppi, 


Moderne:  Russen 


Tomaso  Traetta,  Giovanni  Paesiello,  Giuseppe  Sarti,  Vincenzo  Martin  ,,il  spagnolo",  Do- 
menico  Cimarosa  nahmen  nacheinander  die  sehr  erstrebte,  weil  glanzend  dotierte  Stellung  eines 
russischen  Hof  kapellmeisters  ein.  Die  Zahl  der  Opern,  die  diese  Maestri  fiir  die  Peters  burger 
Biihne  schrieben,  ist  Legion,  doch  befindet  sich  keine  darunter,  die  ftir  die  musikgeschichtliche 
Entwicklung  RuBlands  irgendwelche  Bedeutung  gewonnen  hatte.  Der  erste  von  den  am  rus 
sischen  Hofe  tatigen  italienischen  Komponisten,  der  seine  Aufmerksamkeit  der  russischen 
Volksmusik  zuwandte  und  insofern  als  Vorlaufer  Glinkas  bezeichnet  werden  kann,  war  Cat- 
terino  Cavos  (1776 — 1840),  der  im  Verlaufe  eines  Vierteljahrhunderts  die  Rolle  eines  musi* 
kalischen  Diktators  in  Petersburg  spielte,  nachdem  er  sich  aus  bescheidensten  Anfangen  zu 
hochsten  musikalischen  und  hofischen  Ehren  emporgeschwungen  hatte.  In  seinen  zahllosen 
Opern  benutzte  er  hin  und  wieder  russische  Volksmelodien,  freilich  ohne  zu  ahnen,  welch 
eine  gewaltige  musikalische  Kraft  in  diesen  Tonen  schlummerte.  Seine  letzte  Oper  ,,Iwan 
Sussanin"  ist  dadurch  bemerkenswert,  dafi  in  ihr  derselbe  Stoff  verarbeitet  ist  wie  in  Glinkas 
,, Leben  fiir  den  Zaren". 

Obgleich  auch  um  die  Wende  des  18.  Jahrhunderts  noch  das  offizielle  Musikleben  RuBlands 
ausschliefilich  von  Italienern  bcherrscht  xvurde,  so  begannen  um  diese  Zeit  doch  die  ersten 
einheimischen  musikalischen  Krafte  sich  schiichtern  zu  regen.  Auf  den  Opernblihnen  er- 
schienen  Werke  russischer  Schiiler  der  italienischen  Maestri.  Ihre  Namen  sind  uns  grofiten- 
teils  nicht  erhaltcn,  dcnn  in  der  Mehrzahl  der  Falle  handelte  es  sich  um  Leibeigene  beguterter 
Aristokraten,  deren  Namen  ihren  Zcitgenosscn  nicht  wichtig  gcnug  erschienen,  um  der  Nach- 
wclt  uberliefert  zu  werden.  Eine  Ausnahrne  bildet  ein  gewisser  Fomin,  der  mit  seinen  Sing- 
spielopern  ,,Anjuta'4  und  ,,Der  Miiller"  (1779)  sensationellen  Erfolg  errang.  Charakteristisch 
ist,  da(i  diese  ersten  musikalischen  Biihnenwerke  russischer  Verfasser  aus  Moskau,  dem  Herzen 
Ruftlands,  starnmten  und  nicht  immer  bis  nach  Petersburg  drangen.  In  Petersburg  machten 
die  auf  dem  Gcbictc  der  Liederkomposition  dilettierenden  Hofkavaliere  von  sich  reden: 
A  lab  jew,  dessen  ,,Nachtigair  mehr  als  ein  halbes  Jahrhundert  lang  das  popularste  Lied  in 
Rutland  gewcsen  ist,  War  la  mow,  dessen  Lied  ,,Der  rote  Sarafan"  bald  zum  Volksliede 
wurde,  Gurilcw,  Titow,  Graf  Wielhorski  u.  a.  Zwei  Petersburger  Komponisten,  Bere- 
sowski  (1745 — 1777)  und  Bortnjanski  (1751 — 1825),  die  auf  dem  Gebiete  der  Kirchenmusik 
Bedeutendes  l<;isteten»  kommen  fiir  die  Entwicklung  der  profancn  Musik  in  Rufiland  so  gut 
wie  gar  nicht  in  Betracht.  Der  einzige  russische  Komponist  weltlicher  Musik,  der  in  Rufiland 
vor  Glinka  Werke  geschaffen  hat,  die  der  Zeit  einigermaBen  erfolgreich  getrotzt  haben,  ist 
Alexei  Werstowski  (1799 — 1862).  In  seiner  Oper  ,,Askolds  Grab",  die  noch  am  Anfange 
des  20.  Jahrhunderts  zum  Repertoire  vieler  Opern buhnen  in  Rutland  gehorte,  spurt  man  schon 
ein  wtjnig  vom  Hauche  echter  Volkstumlichkeit  und  von  jenem  wahrcn  Verstandnis  fiir  den 
Geist  der  russischen  Volksmusik,  aus  dem  spater  die  Meisterwerke  Glinkas,  Mussorgskis  und 
Rimski-Korssakows  geboren  werden  sollten. 

Michael  Glinka  (1804 — 1857)  wird  in  Rufiland  mit  Recht  als  eine  Art  musikalischer  Na- 
tionalheiliger  verehrt.  Seine  beiden  Opern,  ,,Das  Leben  fiir  den  Zaren**  und  ,, Russian  und 
Ludmilla'*  (nach  dem  gleichnamigen  Marchenpoem  von  Puschkin),  sind  tatsachlich  die  Ur- 
quellen,  aus  denen  alle  Strdmungen  der  russischen  Musik  hervorgegangen  sind,  Das  Erschei- 
nen  der  Erstlingsoper  Glinkas*  ,,Das  Leben  fiir  den  Zaren'*,  erregte  einen  wahren  Aufruhr  in 
den  Musikkreisen  und  in  der  gesamten  kunstverstandigen  Gesellschaft  Petersburgs.  Die  ita- 

72* 


I  ]  34  Modeme :  Russen 


lienische  Musik  mit  ihrer  zuckersiifien  Melodik  und  wenig  aufregenden  Harmonik  und  die 
bodenstandige  russische  Kunst  Glinkas,  nicht  ohne  Schlacken  noch,  doch  kraftig,  eigenartig 
und  hochst  bedeutungsvoll  als  Gesamterscheinung  und  in  vielen  Einzelheiten,  standen  sich 
als  Rivalen  gegeniiber.  Die  Anhanger  beider  Richtungen  bekampften  sicb  nicht  weniger  leiden- 
schaftlich,  als  seinerzeit  etwa  die  Gluckisten  und  Piccinnisten  in  Paris.  Der  endgtiltige  Sieg 
blieb,  obgleich  das  Kriegsgluck  anfangs  schwankte,  den  Werken  Glinkas.  Ihre  Bedeutung  liegt 
nicht  darin,  dafi  Glinka  gelegentlich  volkstiimliche  russische  Meiodien  verwandte  oder  ahnlich 
klingende  erfand.  Das  hatten  andere  vor  ihm  auch  schon  getan.  Die  befreiende  Tat  Glinkas 
bestand  vielmehr  darin,  dafi  er  den  nationalen  Geist,  den  Gesamtcharakter  der  russischen 
Volksmusik  erfafite  und  in  seinen  Werken  wiederzugeben  bestrebt  war  —  kurz,  dafi  es  ihm 
gelang,  einen  eigenartigen,  fur  alle  seine  musikalischen  Nachfolger  in  Rufiland  vorbildlichen 
musikalischen  Stil  zu  begriinden.  An  der  Vervollkommnung  dieses  hochst  charakteristischen 
nationalrussischen  Musikstils  hat  Glinka  sein  Leben  lang  gearbeitet,  ohne  doch  selbst  von  den 
erreichten  Resultaten  wirklich  befriedigt  zu  sein.  Seine  Musik  geriet  ihm  fur  den  eigenen  Ge- 
schmack  bald  ,,zu  italienisch",  bald  ,,zu  deutsch",  entsprechend  den  beiden  Etappen  seines 
musikalischen  Bildungsganges  in  Italien  bei  Francesco  Basili  und  in  Berlin  bei  Siegfried  Derm, 
dem  verdienten  Musikgelehrteri  und  Bibliothekar  der  Koniglichen  Musikbibliothek.  Noch  als 
Dreiundfiinfzigjahriger  begab  sich  Glinka  zum  zweiten  Male  nach  Berlin,  urn  in  gemeinsamem 
Studium  mit  dem  von  ihm  iiber  alles  verehrten  Dehn  den  Schliissel  zur  naturlichen  Harmoni- 
sierung  der  russischen  Kirchenkantilenen  und  Volkslieder  zu  suchen  und  um,  wie  er  sich  aus- 
driickte,  ,,den  abendlandischen  Fugenstil  mit  den  Grundbedingungen  der  russischen  Musik 
durch  die  Bande  einer  legitimen  Ehe  zu  verkniipfen".  Der  Tod  vereitelte  dieses  Streben,  von 
dem  sich  die  russische  Musik  die  bedeutungsvollsten  Resultate  versprechen  durfte.  Mit  seiner 
ersten  Oper  hatte  Glinka  der  Kunst  die  russische  Wirklichkeit  erschlossen,  die  nachher  Mus- 
sorgski  zu  so  unerhort  genialen  Leistungen  inspirieren  sollte.  Mit  der  zweiten,  ,, Russian  und 
Ludmilla",  die  dem  ,,Leben  fiir  den  Zaren"  in  musikalischer  und  stilistischer  Hinsicht  weit 
iiberlegen  ist,  begab  er  sich  aufs  vielverheifiende  Gebiet  der  russisch-orientalischen  Marchen- 
phantastik,  das  nachher  Rimski-Korssakow  die  Anregung  zu  seinen  reizvollsten  Kunstwerken 
bieten  sollte. 

Der  unmittelbare  Nachfolger  Glinkas  als  tonangebende  musikalische  Personlichkeit  in  Rufi- 
land  wurde  Alexander  Dargomyshski  (1813 — 1869).  Obgleich  nur  wenige  Jahre  jiinger 
als  Glinka,  ist  Dargomyshski  nie  als  sein  Rivale  aufgetreten,  sondern  immer  als  getreuer  Huter, 
Vorkampfer  und  Verkunder  der  von  Glinka  ausgehenden  klinstlerischen  Ideen.  Seine  erste 
Oper,  die,  wie  es  lange  schien,  auch  seine  einzige  bleiben  sollte,  ,,Russalka"  (,,Die  Nixe")» 
ordnet  sich  vollkommen  den  von  Glinka  aufgebrachten  Stilprinzipien  unter.  Die  ,,Russalka" 
gehorte  seit  ihrem  Erscheinen  neben  der  erstgeborenen  Oper  Glinkas  zu  den  beliebtesten  Re- 
pertoirestucken  samtlicher  russischer  Opernbiihnen.  Doch  liegt  die  Bedeutung  Dargomyshskis 
fiir  die  musikgeschichtliche  Entwicklung  seines  Landes  nicht  in  diesem  Werke.  Dargomyshski 
beschrankte  sich  nicht  nur  darauf,  fremde  Art  mit  Geschick  nachzuahmen,  er  trug  auch  seine 
eigenen  Ideen  in  die  von  ihm  gepflegte  Kunstgattung  hinein.  Schon  in  seinen  spateren  Liedern, 
deren  er  ebenso  wie  der  Schopfer  des  ,,Russlan"  viele  iiberaus  sangliche  und  melodienreiche 
geschrieben  hat,  aufierte  sich  ein  iiber  Glinka  hinausgehendes  Bestreben  nach  musikalischer 
Charakteristik  und  wahrheitsgetreuer  Deklamation.  An  der  Schwelle  des  Grabes  stehend 


Moderne:  Russen  1135 


schrieb  er  dann  das  Werk,  das  gleich  Glinkas  beiden  Opern  eine  Fundgrube  von  Anregungen 
fur  das  spatere  musikalische  Schaffen  in  Rufiland  werden  sollte:  den  ,,Steinernen  Gast"  —  eine 
wortgetreue  Vertonung  von  Puschkins  gleichnamigem  dramatischen  Gedicht.  Dieses  Werk 
ist  ein  bewufiter  Reformversuch  auf  dem  Gebiete  der  musikalischen  Biihnenkunst.  Gleich 
Wagner  —  von  dem  er  jedoch  unbeeinflufit  war  und  den  er  kaum  kannte  —  wollte  Dargo 
myshski  beim  musikalischen  Biinnenkunstwerk  das  ,,Dramat4  ins  Zentrum  des  Interesses-  ge- 
riickt  sehen.  Dadurch,  dafi  er  das  fertig  vorliegende  Drama  Puschkins  durchkomponierte, 
wurde  er  dazu  gefiihrt,  auf  formale  musikalische  Gliederungen  im  Sinne  der  alten  ,,0per"  zu 
verzichten.  Der  ,,Steinerne  Cast"  bewegt  sich  in  freiem  rezitativischem  Flufi,  und  das  Haupt- 
gewicht  des  musikalischen  Ausdrucks  liegt  eben  in  diesem  ,,melodischen"  Rezitativ,  nicht,  wie 
tei  Wagner,  im  Orchester,  das  bei  Dargomyshski  die  musikalische  Charakteristik  nur  unter- 
streicht,  chne  sich  jemals  zu  selbstandiger  Bedeutung  zu  erheben.  Dargomyshski  starb,  bevor 
er  sein  letztcs  Werk  vollendet  hatte.  Seinem  Wunsche  entsprechend  hat  Cesar  Cui  die  Schlufi- 
takte  der  ersten  Szene  nachkomponiert  und  Rimski-Korssakow  die  ganze  Oper  instrumentiert. 

Das  musikalische  Vermachtnis  Glinkas  und  Dargomyshskis  wurde  von  einer  Gruppe  junger 
Musiker  ubernommen,  die  sich  in  den  sechziger  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  in  Petersburg 
gebildet  hatte  und  die  von  kiihnen,  fortschrittlichen,  ja  revolutionaren  musikalischen  Ideen 
beseelt  war.  Von  ihren  Widersachern  wurde  die  Gruppe  dieser  ,,Funf"  anfangs  als  ,,machtiges 
Hauflein"  verspottet  und  verlacht.  Der  alternde  Dargomyshski,  den  sie  als  ihr  geistiges  und 
musikalisches  Oberhaupt  bctrachteten,  erkannte  jedoch  mit  sicherem  Blicke,  dafi  von  diesen 
musikbegeisterten  Junglingen  viel  Bedeutsames  fiir  die  kiinstlerische  Zukunft  Rufilands  zu  er- 
warten  sei.  Der  Verlauf  der  Dinge  hat  ihm  recht  gegeben.  Von  den  ,,Fiinf  *  war  damals 
cigentlich  nur  ein  einzigcr  ,,gclernter"  Musiker:  Mili  Balakirew.  Die  iibrigen  waren:  der 
Fahnrich  der  Garde  Modeste  Mussorgski,  der  Artillerieleutnant  Cesar  Cui,  der  Midship 
man  der  Flotte  Nikolai  Rimski-Korssakow  und  der  Student  der  Militarmedizinischen 
Akademie  Alexander  Borodin. 

Der  weitaus  bedeutendste  Geist  von  ihnen  war  unzweifelhaft  Mussorgski  (1835 — 1881). 
In  Rutland  ist  das  erst  etwa  ein  Vierteljahrhundert  nach  seinem  Tode,  im  iibrigen  Europa 
noch  viel  spatcr  erkannt  worden.  Mussorgski  war  in  jungen  Jahren  —  was  er  spater  in  ge- 
wisser  Hinsicht  selbst  bedauert  hat  —  der  typische  musikalische  Revolutionar.  Er  hielt  nichts 
von  iiberliefcrtcr  musikalischer  Weisheit  und  war  aus  Grundsatz  Autodidakt  Zu  seiner  kunst- 
lerischen  Lebensaufgabe  machte  er  —  nachdem  er  den  Militardienst  quittiert  hatte  —  an- 
schliefiend  an  die  Ideen  Dargomyshskis  die  Reform  der  Oper  und  der  Liedkunst.  Auf  beiden 
Gebieten  hat  er  Ureigenstes,  in  seiner  Art  unerhort  Geniales  geleistet.  ,,Zu  neuen  Ufern 
lautete  die  Losung,  die  er  auf  sein  kunstlerisches  Banner  geschrieben  hatte.  Seine  beiden 
Opern,  die  er  selbst  ,,musikalische  Volksdramen*  nannte,  gehoren  zweifellos  zu  den  bedeut- 
samsten  Erscheinungen  der  musikdramatischen  Weltliteratur.  Dem  ,3oris  Godunow"  dienten 
die  gleichnamigen  dramatischen  Szenen  Puschkins  als  textliche  Unterlage,  zu  der  ,,Chowansch- 
tschina  *  (,,Die  Fiirsten  Chowanski")  verfafite  er,  unter  Assistenz  des  russischen  Kunsthisto- 
rikers  und  Musikschriftstellers  Wladimir  Stassow,  selbst  den  Text.  In  beiden  Werken  entrollt 
Mussorgski,  geleitet  vom  Streben  nach  kiinstlerischer  Wahrheit,  eine  Reihe  musikalischer 
Kulturbilder  von  fast  unheimlicher  Naturtreue  und  Ausdruckskraft.  Dasselbe  gilt  im  kleinen 
seinen  zahlreichen,  von  niemandem  erreichten,  geschweige  denn  iibertroffenen  Liedern, 


von 


1136 


Moderne:  Russen 


unter  denen  besonders  die  drei  Zyklen  ,,0hne  Sonne",  ,,Lieder  und  Tanze  des  Todes"  (zu 
Gedichten  von  Graf  Golenischtschew-Kutusow)  und  ,,Die  Kinderstube"  (Text  von  Mussorgski) 
hervorragen.  Die  geniale  Vielseitigkeit  der  kunstlerischen  Begabung  Mussorgskis  aufiert  sich 
unter  anderem  darin,  dafi  er  fur  Situationen  von  burlesker  Komik  und  fur  solche  von  tiefster 
erschiitternder  Tragik  gleich  iiberzeugende  musikalische  Ausdrucksformen  zu  fmden  ver- 
mochte. 

Ganzlich  andere  kiinstlerische  Bahnen  schlug  der  um  10  JaKre  jiingere  Rimski  -  Korssa- 
kow  (1844 — 1908)  ein.  Von  den  gleichen  nationalistischen  Idealen  beseelt,  wandte  er  sich 
dock  nicht,  gleich  Mussorgski,  der  historischen  Wirklichkeit  zu,  sondern  der  unhistorischen, 
darum  aber  nicht  weniger  reizvollen  und  anziehenden  russischen  Marchen-  und  Sagenwelt. 
Hatte  Mussorgski  den  Wert  der  Technik  auf  dem  Gebiete  der  {Composition  unterschatzt,  sd 
mafi  ihr  Rimski-Korssakow  eine  fast  iibertriebene  Bedeutung  zu.  Durch  strenge  Selbstzucht 
(er  schrieb  iiber  ein  Jahr  lang  taglich  eine  Fuge)  entwickelte  er  sein  satztechnisches  Konnen 
bis  zur  Hochstgrenze.  In  Anwendung  dieses  aufierordentlich  starken  Konnens  hat  er  dann, 
unterstiitzt  durch  seine  reiche  musikalische  und  dichterische  Phantasie,  eine  lange  Reihe  musik- 
dramatischer  Kunstwerke  von  hochstem  Wert  geschaffen.  An  erster  Stelle  stehen  darunter 
die  Marchenopern  ,,Snegurotschka"  (,,Schneeflockchen")>  ,,Sadko",  ,,Das  Marchen  vom 
Zaren  Saltan",  ,,Das  Marchen  von  der  Stadt  Kitesh",  ,,Das  Marchen  vom  Goldenen  Hahn- 
chen".  Unter  seinen  iibrigen  Opern,  deren  Stoffe  der  historischen  Wirklichkeit  entnommen 
sind,  ist  die  ,,Zarenbraut"  die  bedeutendste.  In  dem  einaktigen  Musikdrama  ,,Mozart  und 
Salieri"  wiederholte  Rimski-Korssakow  das  Experiment  Dargomyshskis :  ein  dramatisches  Ge- 
dicht  von  Puschkin  wortgetreu  und  ohne  Kiirzungen  in  Musik  zu  setzen.  Auch  auf  dem  Ge 
biete  der  symphonischen  Musik  hat  Rimski-Korssakow  sehr  bemerkbare  Spuren  hinterlassen 
mit  der  Symphonic  ,,Antar"  und  der  symphonischen  Marchensuite  ,,Scheherezade" .  Rimski- 
Korssakow  war  ein  gewaltiger  Meister  der  Instrumentierungskunst.  Er  hat  dem  Orchester 
seine  raffiniertesten  Klanggeheimnisse  abgelauscht,  die  er  dann  in  seinem  xiberaus  wertvollen 
,,Handbuch  der  Instrumentationslehre"  weiter  verraten  hat. 

Im  Gegensatze  zu  Mussorgski  und  Rimski-Korssakow,  die  den  Militar-  bzw.  Marinedienst 
quittierten,  um  sich  ganz  der  Musik  zu  widmen,  blieb  Borodin  (1834 — 1887)  dem  von  ihm 
gewahlten  biirgerlichen  Berufe  treu.  Er  starb  als  Professor  der  Militarmedizinischen  Akademie 
in  Petersburg,  an  der  er  zur  Zeit  seiner  kunstlerischen  Sturm-  und  Drangperiode  Student  ge- 
wesen  war.  Die  berufsmafiige  Beschaftigung  mit  der  medizinischen  Wissenschaft  brachte  es 
mit  sich,  da6  Borodin  nicht  viel  Zeit  zum  Komponieren  fand.  Auch  war  die  Produktionskraft 
seines  eigenartigen  Talentes  ohnehin  nicht  sehr  stark.  Seine  einzige  Oper  ,,Fiirst  Igor"  ist 
ein  reifes  Meisterwerk,  besonders  bemerkenswert  durch  das  darin  mit  grofiem  Geschick  und 
feinem  Verstandnis  zur  Anwendung  gebrachte  orientalische  Kolorit.  In  dieser  Beziehung  ist 
Borodin  fur  alle  seine  Zeitgenossen  und  Nachfolger  vorbildlich  geblieben.  In  der  sympho~ 
nischen  und  Kammermusikliteratur  hat  sich  Borodin  durch  seine  beiden  Symphonien  und 
seine  zwei  Streichquartette  einen  festen  und  ehrenvollen  Platz  gesichert. 

Viel  fruchtbarer,  aber  auch  viel  weniger  bedeutend  war  der  vierte  im  Bunde,  Cui  (1835 
bis  1915),  der  von  Geburt  Franzose,  der  Erziehung  und  Gesinnung  nach  jedoch  durch  und 
durch  Russe  war.  Cui  hatte  das  Talent,  sowohl  als  Komponist  wie  auch  als  Schriftsteller  einen 
sehr  glatten,  leicht  dahinfliefienden  Stil  zu  schreiben,  dem  das  lesende  und  horende  Publikum 


Moderne :  Russen  1 1 37 


ohne  Anstrengung,  und  deshalb  gerne,  folgte.  Es  fehlt  ihm  nicht  an  graziosen  und  pikanten 
Einfallen,  doch  geht  seinem  musikalischen  und  literarischen  Schaffen  die  Tiefe  und  die  GroBe 
ab.  Ftir  die  Entwicklung  der  russischen  Musik  waren  wichtiger  als  seine  zahlreichen  Opern 
(,,Ratkli£P,  ,, Mademoiselle  Fifi",  ,,Die  Hauptmannstochter"  u.  a.)  die  polemischen  und  musik- 
kritischen  Aufsatze,  die  er  fast  ein  halbes  Jahrhundert  lang  in  einer  der  gelesensten  Petersburger 
Tageszeitungen  geschrieben  hat.  Die  schriftstellerische  Tatigkeit  Cuis  war  trotz  oder  wegen 
ihrer  Einseitigkeit  von  unzweifelhafter  Bedeutung  fur  die  Popularisierung  der  von  ihm  und 
seinem  Kreise  vertretenen  fortschrittlich-nationalistischen  musikalischen  Ideen  in  RuBland. 

Der  am  wenigsten  produktive  von  den  Begriindern  der  ,,neurussischen  Schule"  —  diese 
Bezeichnung  wurde  fiir  die  Bestrebungen  der  ,,Fiinf  *  in  Rufiland  selbst  gepragt  —  war  Bala- 
kirew  (1837 — 1910).  Dennoch  kommt  ihm  eine  nicht  geringe  Bedeutung  zu.  Die  Uberlegen- 
heit  seiner  musikalischen  Kenntnisse  pradestinierte  ihn  von  vorneherein  zu  einer  fiihrenden 
Rolle  inmitten  seiner  anfangs  nur  dilettierenden  musikalischen  Gesinnungsgenossen,  die  ubri- 
gens  alle,  mit  Ausnahme  von  Rimski-Korssakow,  einige  Jahre  alter  waren  als  er.  Diese  Fiihrer- 
rolle  behielt  er  auch  spater  bei,  als  die  andern  selbst  langst  zu  ,,Meistern"  geworden  waren. 
Balakirew  verftigte  iiber  einen  sehr  scharfen  Verstand  und  ein  iiberaus  sicheres  autontatives 
Urteilsvermogen.  Seine  Ansicht  wurde  infolgedessen  meist  als  Orakelspruch  anerkannt.  Wenn 
auch  nicht  Erzeuger,  so  war  er  doch  zum  mindesten  der  geistige  Pate  der  meisten  Meister- 
werke  der  neurussischen  Schule.  Und  nicht  nur  dieser,  denn  auch  der  einem  ganz  andern 
Lager  angehorigc  Tschaikowski  nahm  gerne  manche  von  Balakirew  gebotene  Anregung  auf. 
Er  selbst  komponierte  wenig,  vorzugsweise  fiir  Klavier,  da  er  selbst  ein  bemerkenswerter 
Pianist  war  (,,lslamey"),  und  Lieder.  An  seiner  Orchesterfantasie  ,,Tamara"  hat  er  fast  sein 
ganzes  Leben  lang  gearbeitet.  Eine  von  den  Grundlagen  der  nationalen  musikalischen  Ent 
wicklung,  die  von  den  Mitgliedern  der  neurussischen  Schule  ausging,  war  natiirlicherweise  das 
russische  Volkslied.  Die  folkloristische  Forschung  hatte  sich  bis  dahin  vorzugsweise  mit  der  text- 
lichen  Seite  der  russischen  volkstiimlichen  Liedkunst  befafit.  Balakirew  und  Rimski-Korssakow 
gebiihrt  das  Verdienst,  wertvolle,  wenngleich  nicht  sehr  umfangreiche  Sammlungen  russischer 
Volkslieder  in  eigener,  vollkommen  stilgerechter  Harmonisierung  herausgegeben  zu  haben. 

Ncbcn  der  von  Glinka  und  Dargornyshski  angebahnten,  von  Mussorgski  und  Rimski-Korssa 
kow  zur  hochsten  Bliite  gebrachf-en  fortschrittlich  national  gefarbten  Musikrichtung  kamen 
in  RuBland  von  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  an  auch  gemafiigtere  Internationale"  musika- 
lische  Grundsiitze  zur  Geltung,  die  sich  nach  den  von  der  westeuropaischen,  speziell  der  deut- 
schcn  Musikentwicklung  gebotenen  Richtlinien  orientierten,  Ihre  Vertreter  nannte  man  mit 
Entlehnung  eines  Ausdrucks  aus  der  politischen  Terminologie :  ,,die  Westlinge".   Der  erste 
bedeutende  unter  ihnen  war  Alexander  Sseroff  (1820—1871),  eine  hochst  bizarre  Person- 
lichkeit,  dessen  Wirken  als  gefiirchteter  und  einfluBreicher  Musikkritiker  fiir  die  Entwicklung 
les  musikalischen  Geschmacks  in  Rufiland  zeitweise  von  bestimmender  Bedeutung  war. 
Sseroff  polernisierte  mit  Leidenschaft  gegen  die  nationalistischen  musikalischen  Bestrebungen 
les  ,,machtigen  Haufleins"  der  Fiinf  und  brach  nicht  ohne  Erfolg  Lanze  um  Lanze  fiir  die  in 
^ufiland  zu  seiner  Zeit  nicht  sonderlich  beliebte  Kunst  Richard  Wagners,  an  dern  Sseroff  mit 
;iner  an  Vergotterung  grenzenden  Schwarmerei  hing.  Erst  als  Vierziger  wagte  Sseroff  seinen 
•rsten  Versuch  als  Opernkomponist  mit  der  nicht  etwa  im  Wagner-,  sondern  im  Meyerbeerstil 
componierten  ,,gro(W  flinfaktigen  Oper  ,Judith<4.  Das  Werk  erzielte  einen  durchschlagen^ 


1  138  Moderne:  Russen 


den  Erfolg  und  hat  sich,  ebenso  wie  die  zweite  Oper  Sseroffs,  ,,Rogneda",  bis  zur  jiingsten 
Zeit  im  Repertoire  der  russischen  Opernbiihnen  erhalten.  Weniger  glucklich  war  Sseroff  mit 
seiner  letzten  Oper  ,,Feindesmacht",  die  er  unvollendet  hinterliefi.  In  diesem  Werke,  dessen 
hochdramatische  Fabel  (nach  einem  Drama  von  Ostrowski)  dem  russischen  Dorfleben  ent- 
nommen  ist,  tritt  die  Armut  der  musikalischen-  Erfindung  Sseroffs  —  etwa  im  Vergleich  zu 
Mussorgski  —  in  erschreckender  Weise  zutage. 

Zwei  weitere  Vertreter  der  „  international"  Musikrichtung  in  Rufiland  waren  die  Briider 
Anton  und  Nikolai  Rubinstein  (1829—1894  bzw.  1835—1881).  Das  Gebahren  Anton 
Rubinsteins  als  Komponist  war  in  so  hohem  Grade  weltbiirgerlich,  dafi  er  in  dieser  Beziehung 
fur  die  russische  Musikgeschichte  nicht  in  Betracht  kommt,  trotz  seiner  in  Rufiland  iiberaus 
popularen  Oper  ,,Der  Damon"  (nach  dem  gleichnamigen  Poem  von  Lermontow).  Von  hochster 
Bedeutung  fur  Rufiland  dagegen  war  die  administrative  musikalische  Wirksamkeit  der  beiden 
Briider.  Anton  Rubinstein  war  einer  von  den  Begriindern  und  der  eigentliche  Initiator  der 
unter  dem  Protektorat  der  Prinzessin  Helene  von  Sachsen-Altenburg  im  Jahre  1861  ins  Leben 
gerufenen  ,,Kaiserlich  Russischen  Musikgesellschaft".  Er  und  sein  Bruder  Nikolai  waren  die 
Direktoren  der  beiden  ersten  Konservatorien  in  Rufiland,  in  Petersburg  und  in  Moskau,  um 
die  sich  bald  eine  uniibersehbare  Menge  von  Tochteranstalten  fast  in  samthchen  Provinz- 
stadten  Rufilands  gruppierte.  Die  Kaiserlich  Russische  Musikgesellschaft  bot,  bevor  die  Re 
volution  von  1917  ihr  ein  Ende  bereitete,  mit  ihren  Konservatorien,  Musikschulen  und  Kon- 
zertunternehmungen  das  Bild  einer  so  grofiartigen  musikalischen  Organisation,  wie  sie  kaum 
em  anderes  Land  aufzuweisen  gehabt  hat. 

Der  erste  russische  Komponist,  der  den  Ruhm  der  russischen  Musik  weit  iiber  die  Grenzen 
seines  Vaterlandes  hinaustrug  und  die  Aufmerksamkeit  der  ganzen  Welt  auf  sich  zog,  war 
Peter  Tschaikowski  (1840 — 1893).  Das  nationale  Element  erkannte  er  nur  als  gelegentliche 
Wiirze  des  musikalischen  Stils  an  und  befleifiigte  sich  im  iibrigen,  eine  musikalische  Welt- 
sprache  zu  reden,  die  uberall  ohne  vorherige  Vorbereitung  verstanden  werden  konnte.  Der 
ungeheure  Erfolg,  den  seine  Werke  in  der  ganzen  Welt  gefunden  haben,  beweist,  dafi  es  ihm 
gelungen  ist,  seine  Absicht  zu  erreichen.  Tschaikowskis  verschwenderisch  begabte  musika 
lische  Natur  versuchte  sich  auf  alien  Gebieten  der  Komposition  mit  dem  gleichen  Erfolge.  Der 
starke  ungekiinstelte  Ausdrucksgehalt  seiner  Musik  verhilft  ihr  selbst  zu  einer  unmittelbaren 
fortreifienden  Wirkung.  Tschaikowski  ist  immer,  auch  in  seinen  umfangreichsten  Werken,  Ly- 
riker.  Er  spricht  immer  von  sich  selbst.  Aber  was  er  zu  sagen  hat,  ist  meistens  so  interessant 
oder  doch  anziehend,  dafi  man  ihm  diese  musikalische  Selbstbespiegelung  nicht  veriibeln  mag. 
Hin  und  wieder  lafit  er  seinem  ungebundenen  slawischen  Temperament  die  Ziigel  schiefien. 
Doch  ist  das  kein  Nachteil,  sondern  eher  ein  Vorzug  seiner  Werke,  besonders  in  einer  Zeit, 
in  der  echtes  Empfinden  so  oft  durch  gekiinstelte  Maniriertheit  ersetzt  wird.  Am  bedeutendsten 
ist  Tschaikowski  in  seinen  Symphonien,  von  denen  die  sechste  ,,Pathetische"  eine  von  kaum 
einem  andern  Werke  der  modernen  symphonischen  Literatur  erreichte  Popularitat  in  der 
ganzen  Welt  errungen  hat.  Ebenso  erging  es  in  Rufiland  seiner  Oper  ,,Eugen  On6gin",  deren 
Melodien  bald  jedermann  auswendig  kannte,  ebenso  wie  die  Verse  des  Jhr  zugrunde  liegenden 
Puschkinschen  Romans.  Von  einer  zweiten  Oper,  deren  Stoff  einem  Prosaroman  von  Puschkin 
entnommen  ist,  ,,Pique  Dame",  wurde  der  Erfolg  des  ,,0n6gin"  fast  erreicht.  Dagegen  ver*- 
sagte  das  Talent  Tschaikowskis  gegeniiber  den  Anforderungen  grofier  historischer  Opern 


Moderne :  Russen  1139 


(,,Die  Jungfrau  von  Orleans",  5,DieOpritschniki",  u.  a.)  Fur  die Behandlung  derartiger  Stoffe 
fehlte  ihm  die  epische  Ruhe  und  die  Objektivitat  des  iiber  seinem  Stoffe  stehenden  Drama- 
tikers,  Seine  Kammermusik  und  viele  seiner  iiberaus  zahlreichen  Lieder  wurden  im  An- 
schlusse  an  seine  Symphonien  bald  in  der  ganzen  Welt  bekannt,  ebenso  sein  1.  Klavier- 
konzert,  das  von  Hans  von  Billow,  dem  es  gewidmet  ist,  mit  beispiellosem  Erfolg  in  die  Kon- 
zertsale  Europas  und  Amerikas  eingefiihrt  wurde. 

Gegen  Ende  des  19.  Jahrhunderts  verschiebt  sich  der  Schwerpunkt  des  russischen  Musik- 
lebens  von  PeL°rsburg  nach  Moskau.  Schon  Tschaikowski  war,  obgleich  er  seine  Schul-  und 
Studienjahre  in  Petersburg  verlebt  hatte,  mehr  Moskowiter  gewesen  als  Petersburger.  1 1  Jahre 
lang  (1866 — 1877)  wirkte  er  als  Professor  am  Moskauer  Konservatorium,  und  als  er  diese 
Stellung  aufgab,  wahlte  er  ein  nahe  bei  Moskau  gelegenes  Landhaus  (in  Klin)  zu  seinem 
standigen  Aufenthaltsorte.  Den  Ubergang  von  Tschaikowski  zur  nachsten  Musikergeneration 
bildet  in  Moskau  sein  bedeutendster  Schiller  und  jiingerer  Freund  Sergei  Tanejew1)  (1856 
bis  1916),  der  auch  sein  Nachfolger  als  Professor  des  Kontrapunktes  und  der  freien  Komposi- 
tion  am  Moskauer  Konservatorium  wurde.  Tanejew  verfiigte  iiber  eine  erstaunliche  Fiille 
musiktheoretischer  Kenntnisse.  Mit  seinem  grundlegenden  zweibandigen  Werke  ,,Der  imi- 
tierende  (verschiebbare)  Kontrapunkt  im  strengen  Stil"  hat  er  sich  ein  unvergangliches  Denk- 
mal  als  Musikgelehrter  gesetzt.  Auf  dem  Gebiete  der  Komposition  leistete  Tanejew  besonders 
in  der  Kammermusik  hochst  Gediegenes  und  Wertvolles,  wenngleich  es  ihm  an  wirklicher 
Eigenart  gebrach.  Ein  Oratorium  „ Johannes  von  Damaskus"  ist  in  Rufiland  vielfach  aufgefiihrt 
worden,  auch  seine  Operntrilogie  ,,0resteia".  Von  grofiter  Bedeutung  fiir  die  musikalische 
Kultur  seines  Landes  war  die  padagogische  Tatigkeit,  die  Tanejew  fast  40  Jahre  lang  am 
Moskauer  Konservatorium  ausgeiibt  hat.  Die  Tanejew~Schuler  bildeten  in  Moskau,  ebenso 
wie  die  Rirnski-Korssakow-Schiiler  in  Petersburg,  eine  ,,Klasse"  fiir  sich. 

Der  bedeutendste  Schiller  Tanejtws  ist  Alexander  Skrjabin  (1872 — 1915)  —  zweifellos 
die  hervorragendste  musikalische  Personlichkeit,  die  das  an  eigenartigen  Talenten  so  reiche 
Rufiland  nach  Mussorgski  und  Tschaikowski  hervorgebracht  hat.  Die  Musik  Skrjabins  schien 
anfangs  ganzaus  dem  Geiste  Chopins  und  Liszts  geboren.  Zeugnis  davon  legen  seine  zahlreichen 
Klavierkompositionen  clwa  bis  Opus  34  (vierte  Sonate)  und  seine  ersten  beiden  Symphonien 
ab.  Allmahlich  entaufierte  sich  die  musikalische  Sprache  Skrjabins  immer  mehr  aller  fremden 
Einwirkungen  und  rang  sich  zu  einer  vollkommen  selbstandigen,  im  hochsten  Sinne  des  Wortes 
originalen  Ausdrucksweise  durch.  Die  spateren  Orchesterwerke  Skrjabins  (,,Poemc  divin", 
,,Po£me  de  Textase'*,  ,,Prometheus")  sind  der  kiinstlerische  Ausdruck  eines  schopferischen 
Hochgcfiihls,  das  von  der  philosophischen  Weltanschauung  Skrjabins  inspiriert  wurde:  Vcr^ 
gottlichung  des  Menschen,  ZusammenbrucK  und  Neuschaffung  des  Weltengebaudes  in  eincm 
zu  errcichenden  Zustandc  hochsler  schdpferischer  Ekstase,  Obergang  zu  eincm  neuen  ,,Da- 
seinsplan'*.  Skrjabin  traumte  nicht  nur  von  einer  synthetischen  Zusammenfassung  siimtlicher 
Ktinstc  in  einem  Gcsamtkunstwerke,  sondern  wollte  alle  Sinneseindrucke  iiberhaupt  der  Kunst 
dienstkar  machcn.  In  der  sym^honischcn  Dichtung  ^Prometheus44  wird  die  Musik  schon  von 
einer  Farben-  und  Lichlsymphonie  begleitet,  die  auf  eincm  besonderen  System  der  Partitur 
notiert  ist  (,,Clavier  a  lumiire*4).  In  seinem  ,,Mysterium",  das  halb  rituelle  Handlung,  hall) 

l)  Nicht  zu  vervwelu'eln  mit  soincm  Ohdm,  dem  welt  wcniger  bcdeutemlon  K«i»ponisten,  Hofmeistcr  des  Kaiser- 
lichen  Hofc*»»  Alexander  Tancjcw, 


Moderne:  Russen 


Kunstwerk  sein  sollte,  beabsichtigte  er  dann,  die  hochste  Synthese  aller  moglichen  Kunst- 
und  Sinneseindriicke  zu  vollbringen  und  damit  selbst  den  Anstofi  zur  Verwirkhchung  semes 
philosophischenLebenstraumes  im  Sinne  eines  weltgeschichtlichen,  ja  kosmischen  Vorganges 
zu  geben.  Das  Ringen  und  Streben  Skrjabins  war  gigantisch.  Der  Tod  setzte  ihm  em  Ziel, 
indem  er  den  knapp  Zweiundvierzigjahrigen  im  ersten  Jahre  des  Weltkrieges  dahinraffte.  Die 
Gegenwart  steht  dem  kiinstlerischen  Schaf  fen  Skrjabins  noch  zu  nahe,  urn  ein  endgiiltiges  Urteil 
daruber  zu  fallen.  Bemerkenswert  ist  die  harmonische  Evolution,  die  sich  in  seiner  Musik  voll- 
zieht  und  die  ihn  endlich — auf  dem  Wege  der  Intuition  und  nick  auf  dem  theoretischer  Speku- 
lation  —  zu  einer  neuen  Grundharmonie,  dem  sechstonigen  Quartenakkorde  f unite,  der  zum 
ersten  Male  im  ,,Prometheus"  in  Erscheinung  tritt.  Damit  hatte  Skrjabin  einen  der  vielen 
Wege  gefunden,  auf  dem  eine  weitere  Entwicklung  und  Bereicherung  der  musikalischen 
Ausdrucksmittel  erreicht  werden  kann.  Spatere  Zeiten  werden  daruber  urteilen,  ob  es  der 

richtige  war. 

Einen  weniger  hohen  Plug  nahm  das  starke  Talent  Sergei  Rachmaninows  (geb.  1872). 
Rachmaninow  schreibt  keine  transzendentale  Weltanschauungsmusik,  sondern  fufit  rmt  semen 
Kompositionen  mitten  in  alltaglichster  Wirklichkeit.  In  unmittelbarer  Anlehnung  an  Tschai- 
kowski  hat  Rachmaninow  doch  viele  bedeutende  Werke  geschaffen.  Allerdings  verleugnen  sie 
nur  selten  ihren  epigonenhaften  Charakter,  trotz  der  stark  persbnlichen  Note,  die  sie  durch- 
dringt.  Am  wertvollsten  sind  seine  Klavierkompositionen,  unter  diesen  wieder  die  vier  Kon- 
zerte.  Eine  Jugendoper  ,,Aleko"  sowie  zwei  spatere  einaktige  Opern  ,,Francesca  da  Rimini" 
und  ,,Der  geizige  Richter '  haben  in  Moskau  Erfolg  <gehabt.  Mit  dem  letztgenannten  Werke 
setzte  Rachmaninow  das  Experiment  Dargomyshskis  und  Rimski-Korssakows  fort,  indem  er 
als  textliche  Vorlage  zu  seiner  Oper  wortgetreu  und  ohne  Ktirzung  die  gleichnamige  drama- 
tische  Szene  Puschkins  benutzte.  Von  seinen  zwei  Symphonien  ist  die  erste  nur  emmal  m 
Petersburg  aufgefiihrt  und  nicht  herausgegeben  worden,  wahrend  die  zweite,  ebenso  wie  eine 
gedankentiefe  und  inhaltsreiche  viersatzige  Chorkantate,  ,,Die  Glocken",  sich  rasch  m  den 
Konzertsalen  eingeburgert  hat.  Aufierordentliche  Popularitat  hat  Rachmaninow  in  Rufiland 
als  Liederkomponist  erreicht.  Auch  auf  diesem  Gebiete  folgte  er  den  Traditionen  Tschai- 
kowskis  und  nicht  denen  Mussorgskis. 

In  den  Werken  aller  Moskauer  Komponisten  ist  im  Gegensatz  zu  ihren  Petersburger  Kol- 
legen  nichts  von  ,,offiziellemu  Nationalismus  zu  spiiren.  Es  fehlt  ihnen  die  mitunter  etwas 
aufdringlich  wirkende  melodische  und  harmonische  Etikette  des  ,,made  in  Russia*'.  Sieht  man 
naher  hin,  so  wird  man  sich  iiber  die  Nationalitat  der  betreffenden  Verfasser  wahrscheinlich 
nicht  lange  im  Zweifel  sein,  doch  mufi  zu  dieser  Feststellung  immerhin  schon  die  psycholo- 
gische  Sonde  benutzt  werden.  Auf  Grund  rein  aufierlicher  Merkmale  kann  sie  nicht  gemacht 
werden.  Eine  Sonderstellung  in  bezug  auf  seine  Nationalitat  nimmt  unter  den  Moskauer 
Komponisten  Nikolai  Medtner  (geb.  1879)  ein.  Zwei  Seelen  kampfen  sozusagen  in  seiner 
Brust.  Medtner  ist  Deutschrusse.  Das  tritt  in  seiner  Musik  deutlich  zutage.  Er  hat  das  Gliick, 
nicht  die  Nachteile,  sondern  die  Vorziige  beider  Nationen  in  sich  zu  vereinigen:  den  weit- 
herzigen  Schwung  der  slawischen  Natur  mit  dem  tiefen  Ernst  und  der  Gnindlichkeit  des 
Deutschen,  Ein  eigenartiges  und  kostbares  Besitztum  der  russisch-deutschen  Musikliteratur 
ist  der  Liederschatz  Medtners  (drei  Folgen  Goethelieder,  zwei  Folgen  Puschkinlieder,  Texte 
von  Nietzsche,  Tjutschew,  Fet  u.a.)-  Der  Schwerpunkt  seines  kiinstlerischen  Schaffens  liegt 


Moderne :  Russen  1141 


jedoch  in  seiner  Klaviermusik.  Sie  umfafit  eine  stattliche  Reihe  bedeutender  Werke  (Sonaten, 
zwei  Konzerte,  Marchen,  Novelletten,  Dithyramben  u.a.),  in  denen  sich  Medtner  als  wtirdiger 
Schiiler  des  grofien  Kontrapunktikers  Tanejew  zeigt. 

Weitere  Tanejew-Schiiler  sind  Reinhold  Gliere  (geb.  1874),  hauptsachlich  durch  seine 
Kammermusik,  die  leicht  an  den  Stil  Borodins  anklingt,  und  seine  Lieder,  aber  auch  durch 
einige  symphonische  Werke  (,,Die  Sirenen")  bekannt;  Sergei  Wassilenko  (geb.  1872), 
dessen  Erstlingswerk,  eine  Kantate,  denselben  Stoff  behandelt,  wie  Rimsky-Korssakows  my- 
stische  Oper  ,,Kitesh"  unjd  der  im  iibrigen  sowohl  in  seinen  Liedern  als  auch  in  seiner  sym- 
phonischen  Musik  (,,Der  Garten  des  Todes",  nach  Oscar  Wilde  u.  a.)  eine  ausgesprochene 
Vorliebe  fur  ,,pandamonische"  Stoffe  bekundet.  .Einen  ehrenvollen  Platz  nimmt  unter  den 
Moskauer  Komponisten  der  zweitjiingsten Generation  George  Catoire  (geb.  1861)  ein,  der 
gleich  Cui  seiner  Abstammung  nach  Franzose  ist,  in  seiner  Musik  jedoch  ein  durchaus  sla- 
wisch  anmutendes  Naturell  bekundet.  Catoire  ist  ein  sehr  feiner,  etwas  griiblerischer  Kopf, 
dessen  iiberaus  reizvolle  Kammermusikwerke  noch  nicht  die  ihnen  gebuhrende  Beachtung  ge- 
funden  haben. 

Dasselbe  Monopolrecht,  das  Tanejew  als  Padagoge  in  Moskau  ausiibte,  lag  in  Petersburg 
in  den  Handen  Rimski-Korssakows,  seit  er  im  Jahre  1871  die  Professur  fur  freie  ^Composition 
am  Petersburger  Konservatorium  iibernommen  hatte.  Tanejew  bemiihte  sich  mit  Erfolg, 
seinen  stockrussischen  Schiilern  seine  internationale  musikalische  Weltsprache  beizubringen, 
Rimski-Korssakow  dagegen  gelang  es,  sogar  der  musikalischen  Ausdrucksweise  seiner  Schiiler 
nichtslawischer  Nationalitat  (der  Lette  Wihtol,  der  Italiener  0.  Respighi,  sein  nachrnaliger 
SchwJegersohn  M.  Steinberg  u,  a.)  einen  leichten  russischen  Akzent  zu  verleihen. 

Der  bedeutendste  Rimski-Korssakow-Schuler  der  alteren  Generation  ist  zweifellos  Alex 
ander  Glasunow  (geb.  1865),  seinerzeit  das  ,,Wunderkind"  der  neurussischen  Schule.  In 
anderthalb  Jahren  absolvierte  Glasunow  den  gesamten  Kursus  der  Kompositionslehre  und 
brachte  schon  als  Sechzehnjahriger  seine  erste  Symphonic,  der  bis  jetzt  noch  sieben  weitere 
nachgefolgt  sind,  zur  Auffiihrung.  Glasunow,  der  das  nationale  Element  in  der  Musik  weniger 
auffallend  unterstreicht,  als  die  iibrigen  Mitglieder  der  neurussischen  Schule,  ist  der  einzige 
reinbliitige  Symphonikcr  unter  den  Petersburger  Komponisten.  Furs  Theater,  das  ihn  me 
sonderlich  gereizt  hat,  hat  er  nur  ein  Ballett  ,,Raimonda"  geschrieben,  das  neben  den  Balletten 
von  Tschaikowski  (,,Dornroschenu  und  MDcr  Schwanensee")  zu  den  prunkvollsten  Ausstat- 
tungsstikken  des  Grofien  Theaters  in  Moskau  und  des  Marientheaters  in  Petersburg  gehorte. 
Nach  dcm  Tode  Rirnski-Korssakows  wurde  Glasunow  scin  Nachfolger  nicht  nur  als  Professor 
der  freien  Komposition,  sondcrn  auch  als  Direktor  des  Petersburger  Konservatoriurns. 

Von  alteren  Rimski*Korssakow-Schulern  haben  sonst  noch  rnerklichc  Spurcn  in  der 
russischen  Musik  hinterlassen:  Anatol  Ljadow  (geb.  1855),  der  fcinsinnige  Klavier-  und 
Qrchesterpoet,  Nikolai  Tschcrepnin  (geb.  1873),  der  gleich  Glasunow  die  Phantastik  der 
Rimski-Korssakowschen  Orchestcrfarbcn  dcm  Ballette  dienstbar  machte  (..Pavilion  der 

Armida**). 

Ganx  ncuc  Wcgc  schlug  dor  Himptvortwtcr  (iinor  jiingeren  Generation  Rimski-Korssakow- 
Schiilor  ein,  Igor  Stravinskl  (gob.  1882).  Nicht  unbecinflufJt  durch  die  zu  Anfang  des 
20.  Jahrhundcrts  in  cler  frarr/osi schon  Malcrel  und  Musik  auftauchcndon  Riohtungcn  —  Stra- 
vinski  Icbtc  nach  AbsolvMjrung  des  Pctersburgcr  Konscrvatoriums  clauernd  in  Paris  und  in  der 


j  1 42  Moderne :  Russen 


Schweiz— ,  zog  Stravmski  in  seiner  Musik  die  letzten  Konsequenzen  dieser  Bewegung,  der  die 
Farbe  alles,  die  Zeichnung  nur  wenig  bedeutete.  Blendendes  Orchesterkolorit,  spruhender 
Geist  und  Witz  einer  skrupellosen  Kontrapunktik  verrnogen  wohl  einen  vergniiglichen  Ohren- 
schmaus  zu  bereiten  —  das  beweist  der  Welterfolg  der  Musik  Stravinskis  — ,  dock  ware  es 
zum  mindesten  ubereilt,  in  den  Seitenspriingen  solcher  geistreichen  Harlekinaden  den  emzig 
folgerichtigen  Entwicklungsgang  der  Tonkunst  zu  sehen.  Die  Hauptwerke  Stravinskis  sind  die 
furs  russische  Ballett  in  Paris  geschriebenen  Ballette :  ,,Petruschka",  ,,Le  sacre  du  prmtemps" , 
,,Le  renard",  die  Oper  ,,Mavra"  (Text  nach  Puschkin),  und  die  symphonischen  Werke  ,,Der 
Feuervogel"  (Jar  ptiza)  und  ,,Feuerwerk".  Etwa  urn  das  Jahr  1924  vollzog  sich  ein  radikaler 
Bruch  in  der  Kompositionstechnik  Stravinskis.  Er  war  es,  der  auch  fur  die  Musik  den  Grund- 
satz  der  ,,modernen  Sachlichkeit"  aufstellte  und  ihren  Verzicht  auf  rein  emotionelle  Gehalte 
forderte.  Stilistisch  aufierte  sich  das  als  Zurtickgreifen  auf  vorklassische  Muster,  wobei  dieser 
Neo-Klassizismus  durch  ein  seltsames  Gemisch  von  Raffinement  und  Primitivitat,  Askese  und 
Uberschwang  charakterisiert  wird.  Die  Hauptwerke  dieser  Art  sind:  ein  Klavierkonzert  mit 
Blasorchester  und  Kontrabassen,  eine  Klaviersonate,  ,,Sinfonien"  fur  Blaser,  das  szenische 
Oratorium  „ Oedipus  rex"  (auf  lateinischen  Text)  und  das  antikisierende  Ballett  ,,Apollon 
Musagete"  (Streichorchester).  —  Ein  jiingerer  talentvoller  Nachahmer  Stravinskis  ist  Sergei 
Prokofieff  (geb.  1891),  der  die  Prinzipien  der  friihen  Stravinskischen  Kompositionstechnik 
aus  dem  Theater  auch  auf  reine  Konzertmusik  iibertragt  (drei  Klavierkonzerte,  ,,Sarcasmen" 
und  andere  Klavierstiicke).  Von  seinen  Opern  wurde  ,,Die  Liebe  zu  den  drei  Orangen"  in 
vielen  Landern  Europas,  auch  in  Deutschland,  und  in  Amerika  aufgefuhrt,  eine  andere: 
,,Der  Spieler"  (nach  Dostojewski),  nur  in  Amerika.  Unaufgefuhrt  sind  eine  Jugendoper 
,,MagdaIena"  und  sein  neuestes  Blihnenwerk  ,,Der  feurige  Engel".  In  alien  diesen  Werken 
und  auch  in  seinem  Ballett  ,,Le  Bouffon  (,,Das  Marchen  vom  Tolpel,  der  sieben  Tolpel  iiber- 
tolpelte")  ist  der  iiberlegen  ironische,  ja  witzige  Stil  seiner  glanzenden  Orchesterbehandlung 
bemerkenswert. 

Man  sollte  glauben,  dafi  die  russische  Revolution  von  1917,  die  das  ganze  staatliche  und  wirt- 
schaftliche  Leben  des  Landes  von  unterst  zu  ofcerst  kthrte,  auch  auf  dem  Gebiete  der  Musik 
zu  den  iiberraschendsten  Ergebnissen  hatte  fiihren  miissen,  wurde  doch  m  der  Sowjetrepublik 
der  ,,Futurismus"  zeitweilig  zur  staatlich  beglaubigten  offiziellen  Kunstrichtung  erklart.  Allein 
die  russischen  Musiker  haben  den  politischen  Machthabern  des  Landes  nicht  den  Gefallen 
getan,  nun  auch  ,,bolschewistisch"  zu  komponieren  und  die  politischen  Expenmente  auf  musi- 
kalischem  Gebiete  nachzuahmen.  Eher  machte  sich  eine  leichte  Reaktion  bemerkbar.  Uber  die 
Vertreter  dieser  jiingsten  Komponistengeneration  Rufilands  ist  ein  abschliefiendes  historisches 
Urteil  natiirlich  noch  nicht  mb'glich,  handelt  es  sich  bei  ihnen  alien  doch  erst  um  Anfange. 
Die  vielversprechendsten  Namen  dieser  jiingsten  russischen  Komponistengeneration  sind: 
Nicolai  Mjaskowski  (geb.  1881),  Verfasser  von  10  Symphonien,  der  konservativen  Richtung 
angehorend,  Nikolai  Roslawez  (geb.  1881),  in  seinen  zahlreichen  Kammermusikwerkcn  Ver 
treter  der  extrem  linken  Gruppe  der  russischen  Komponistcn,  die  Briadcr  Grigori  und 
Alexander  Krein  (geb.  1879  bzw.  1883),  Samuel  Feinberg  (geb.  1890),  Anatol  Alexan- 
drow  (geb.  1888),  deren  Stil  sich  hauplsa'chlich  aus  dem  Skrjabins  hcrangchildet  hat,  Leon  id 
Polowirkin  (geb.  1900),  Leo  Knipper  (geb.  1900),  Wassili  Schirinski  (geb.  1904)  u.  a. 
Ganz  besonders  ragt  unter  ihnen  Issai  Dobrowen  (geb.  1893)  liervor,  i-eil  1923  als  Immigrant 


Abb,  87*  L  S  t  r  a  v  i  n  s  k  i ;  S  %  e  n  e  n  b  il  cl  z  u  „  D  e  r  F  c  u  e  r  v  o  g  e  I "  von  N.  Gontcharowa,  1 926,  zwcilcs  BiicL 

Aus  Gregor-Fiilop,    Das  russischc  Theater,   Wien,    Amalthea  Verlag. 


](44  Moderne :  Polen 


im  Auslande  lebend,  dessen  Klavierkompositionen,  Kammermusik  (Violinsonate)  und  Lieder 
beweisen,  dafi  man  auch  heute  noch  auf  dem  Gebiete  der  Musik  durchaus  Eigenartiges  und 
Neues  zu  geben  vermag,  ohne  harmonische  Logik  durch  atonales  Chaos  zu  ersetzen. 

In  der  zweiten  Halite  des  19.  und  im  ersten  Viertel  des  20.  Jahrhunderts  hat  Rufiland  eine 
nicht  geringe  Bedeutung  fur  die  Entwicklung  der  europaischen  Musik  gewonnen.  Die  von 
Skrjabin,  Mussorgski,  Stravinski  entdeckten  Wege  werden  nun  ja  auch  von  andern  Nationen 
mit  Erfolg  begangen.  Ob  einer  von  diesen  Wegen  zu  neuen  Hohen  und  Gipfeln  fiihren  wird, 
dariiber  Jst  uns  Zeitgenossen  das  Urteil  versagt.  Eines  scheint  sicher:  ganz  im  Sande  verlaufen 
werden  sie  sich  nicht. 

Literatur 

Russisch 

Stassow,  W.:  Gesammelte  Werke  Bd.  Ill  (enthalt  seine  samtlichen  musikwissenschaftlichen ,  kritischen, 
historischen,  biographischen  Arbeiten,  darunter  die  Mussorgski  -  Biographic),  Bd.  IV  (als  Nachtrag,  Petersburg 
1906).  —  Findeisen,  N.,  M.  J.  Glinka.  Petersburg  1898,  Neuausgabe  1923.  —  Derselbe:  A.  N.  Sseroff. 
Moskau  1904.  —  Iwanow,M.  M.:  Geschichte  der  russischen  Musik.  Petersburg  1913.  —  Tschaikowski,  M.: 
Das  Leben  Peter  Iljitsch  Tschaikowskis.  Moskau  1900—1902.  —  Ssabanejew,  L.:  N,  A,  Skrjabin,  Moskau 
1916.  —  Rimski-Korssakow:  Chronik  meines  musikalischen  Lebens.  Petersburg  1909.  —  Glebow,  Igor; 
,,Syrr>phonische  Etuden",  Leningrad,  1922. 

Franzos  isch 

Olenine  d'Alheim,  M.:  Le  legs  de  Mussorgski.  Paris  1908.  —  Calvocoressi,  D.:  Moussorgski  (1909 
in  Chantavoines  ,,Maitres  de  la  Musique").  —  Cui,  C.:  La  musique  en  Russie.  Petersburg. 

Deutsch 

Tschaikowski,  M.:  Das  Leben  P.  J.  Tschaikowskis.  Deutsch  von  P.  Juon.  Petersburg  1904.  —-Stein,  Rich.  H.: 
P.  I.  Tschaikowskij.  Stuttgart  1927.  —  Rimski-Korssakow,  N.A.:  Chronik  meines  musikalischen  Lebens. 
Stuttgart  1926.  —  Riesemann,  0.  v.:  Monographien  zur  russischen  Musik.  Bd.  I.  Mtinchen  1923.  Bd.  II. 
1925  (Mussorgski).  —  Derselbe:  Die  Notationen  des  altrussischen  Kirchengesangs.  Leipzig  1909.  — 
Ssabanejew-Riesemann,  Geschichte  der  russischen  Musik  (Leipzig  1926). 

Oskar  von  Riesemann 


POLEN 

In  Chopins  genialen  Klavierdichtungen  und  in  Stanislaw  Moniuszkos  (1819 — 72) 
Liedern  und  romantisch-nationalen  Opern  hat  sich  der  Geist  der  polnischen  Kultur  im  1 9.  Jahr- 
hundert  in  musikalischer  Beziehung  klar  ausgedriickt.  Alles,  was  in  Polen  wahrend  der  trau- 
rigen  Zeit  nach  der  dritten  Teilung  vor  Chopins  Auftreten  geschaffen  wurde,  urn  nur  die 
Namen  G.  Eisners  und  K.  Kurpinskis  zu  nennen,  mufite  sich  vor  dem  Glanze  Chopinscher 
Kunst  in  den  Schatten  der  Verges s en heit  zuriickziehen.  Je  tiefer  seine  Werke,  welche  ja  aus 
dem  Urschofie  der  polnischen  Nation  zur  Welt  gebracht  wurden,  in  das  geistige  Leben  des 
Volkes  eindrangen,  desto  schwieriger  gestaltete  sich  die  Aufgabe  anderer  zeitgenossischer 
polrascher  Komponisten,  sich  auf  der  Oberflache  des  musikalischen  Lebens  in  seiner  Nahe 
zu  erhalten.  Moniuszko  verstand  es  instinktiv,  sich  den  von  Chopin  vernachlassigten  Formen 


Moderne:  Polen 


zuzuwenden  und  begriindete  seine  fur  die  polnische  Musikgeschichte  epochemachende  Be- 
deutung  durch  seine  seit  dem  Jahre  1838  herausgegebenen,  spater  in  Heften  verbundenen 
Lieder  (beinahe  300),  denen  er  seine  zahlreichen  Opern  an  die  Seite  stellte,  bis  er  im  Jahre  1858 
in  der  Warschauer  Fassung  der  ,,Halka"  und  im  Jahre  1865  in  der  Oper  ,,Das  Gespenster- 
schlofi"  zu  den  Gipfeln  seines  Schaffens  gelangte.  In  der  Zeit  nach  Chopins  (1849)  und 
Moniuszkos  (1872)Tode  bis  1900  erglanzte  zwar  der  polnischen  Musik  kein  dem  ersten  eben- 
biirtiges  Genie  auf  dem  Felde  der  reinen  Instrumentalmusik  und  kein  dem  zweiten  gleiches 
lyrisches  und  dramatisches  Talent,  dennoch  aber  erschienen  von  1880  bis  heute  in  dem  sich 
Jmmer  reger  gestaltenden  musikalischen  Leben  in  Polen  einige  bedeutende  kunstlerische  Per- 
sonlichkeiten,  welche  dasNiveauder  polnischen  Musik  auf  eine  wiirdige  Hb'he  zu  heben  im- 
stande  waren.  Manche  aufierliche  giinstigere  Verhaltnisse,  betreffend  die  Organisation  des 
Musiklebens,  trugen  das  ihrige  zur  Entwicklung  der  musikalischen  Kultur  und  zu  dem  Gedeihen 
der  schopferischen  Talente  bei. 

Von  einigen  polnischen  Komponisten,  welche  noch  zu  Chopins  Lebzeiten  geboren  wurden 
und  nach  Moniuszkos  Tode  im  Hohepunkt  ihres  Wirkens  sich  befanden  (wie  Alexander 
Zarzycki,  Adam  Miinchheimer,  Ludwik  Grosman,  Henryk  Jarecki,  Ignacy  Krzyza- 
nowski,  Emanuel  Kania  u.  a.)  muB  an  erster  Stelle  Wtadyslaw  Zelenski  (1837—1921)  ge- 
nannt  werden.  Er  trat  zwar  schon  im  Jahre  1865  als  Liederkomponist  hervor  und  bald  nach- 
her  veroffentlichte  er  auch  eine  Klaviersonate  (op.  5),  seine  wichtigsten  Werke  ctammen  je- 
doch  aus  der  Zeit  nach  1880.  Zelenski  kultivierte  mit  einem  weit  hoheren  Eifer  als  alle  die 
andern  polnischen  Komponisten  ncbcn  und  nach  Chopin  die  grofien  zyklischen  Formen  in 
alien  Gattungen  der  Kammer-  und  Orchesterrnusik  (Klaviersonate  op.  20,  Streichquartette 
op.  21,  28  u.  42,  Klaviertrio  op.  22,  Klavierquartett  op.  61,  2  Violinsonatcn,  op.  30  u.  78, 
Klavierkonzert  op.  60,  zwei  grofie  Symphonien).  Ein  vollkommencr  Beherrscher  der  Formen 
und  der  technischcn  Mittcl,  ein  fanatischer  Anhanger  der  Klassiker,  von  denen  er  Gluck 
am  moisten  verehrte,  suchte  Zelenski  in  seinen  Kunstwerkcn  ihre  Ideale  zu  vcrfolgen. 
Die  romantische  Welt-  und  Kunstanschauung  blieb  ihm  nicht  fremd  und  Schumannsche  Ein- 
fliisse  sind  in  seiner  Kunst  fuhlbar.  Dabei  hatte  Zelenski  manche  Zlige  mit  Brahms  gemein. 
Der  Stil  seiner  Lieder  erinnert  bei  alien  polnischen  Mcrkmalen  ihrer  melodischen  Mittel 
und  des  mneren  Wcscns  an  den  Wiener  Meistcr.  Die  lyrischen  Traditionen  Moniuszkos  er- 
hielten  in  Zelenskis  mehr  als  70  Liedern  eine  Bekriiftigung.  Als  dramatischer  Komponist  be- 
reicherte  Zelenski  den  geringen  polnischen  Opernschatz  urn  vicr  Werkc;  im  Jahre  1885  wurde 
,,Konrad  Wallenrod"  (nach  Mickiewiczs  Dichtung)  aufgefiihrt,  1892  folgtc  die  roman 
tische  Oper  ^Goplana"  (nach  einem  Trauerspiel  von  Slowacki),  1900  ,Janek"  (eine  zwei- 
aktigeVolksoper)  und  1907  ,,Stara  basn"  (,,Einc  alte  Mahre",  nach  Kraszewskis  gleichnamigem 
Roman).  Zelenski  war  kein  geborener  Musikdramatiker;  er  verblieb  in  seinen  Opern  e*n 
mehr  absoluter  als  ein  theatralischer  Komponist  und  tastete  die  alten  vorwagnerischen  Formen 
nicht  an»  Wagners  stilistische  Errungenschaften  sowie  der  Geist  seiner  Harmonik  und  die 
unerreichte  Pracht  seiner  Instrumentationskunst  blieben  Zelenski  fremd.  W~>hl  aber  hat  er 
an  vielen  Stellen  seiner  Opern  durch  den  Reiz  seiner  melodischen  Einfalle  zu  wirken  gewuflt 

Der  zweite  bedeutende  polnische  Komponist  der  Epoche  nach  Moniuszko  war  Zygmunt 
Noskowski  (1846 — 1909),  ein  vielseitiges  und  leicht  produzierendes  Talent,  ein  guter  Kontra- 
punktist  und  Orchesterkomponisl.  Seine  2  Symphonien  und  die  symphonischen  Dichtungen 


1146  Modeme:  Polen 


,,Morskie  Oko"  (Tatra  See)  und  ,,Die  Steppe",  sowie  ein  Zyklus  Orchestervariationen  ,,Aus 
dem  Leben"  iiber  das  A-Dur-Praludium  von  Chopin  bilden  die  Grundsteine  der  modernen 
polnischen  Orchestermusik.  Nur  eine  voriibergehende  Bedeutung  hatten  Noskowskis  3  Opern 
,,Uvia  Qumtilla"  (1900),  ,,Das  Urteil"  (1907)  und  ,,Die  Rache"  (1909,  nach  AI.  v.  Fredros 
gleichnamiger  Komodie)  sowie  ein Jge  Vaudevilles.  Seinen  Werken  fehlte  es  an  tieferer  poe- 
tischer  Erfassung  und  an  anziehendem  Lyrismus.  Von  seinen  zahlreichen  Klavierkompo- 
sitionen,  iiber  100  Liedern,  einigen  umfangreichen  Kantaten  mit  Orchesterbegleitung  und 
Kammermusikwerken  wie  Chorliedern  erfreuten  sich  mehrere  einer  Popularitat,  sind  aber 
nicht  tiefer  in  das  kulturelle  Leben  Polens  eingedrungen.  Ein  lang  nachhallendes  Echo  in 
-der  Zeit  nach  1880  verblieb  in  der  polnischen  Musik  nach  den  glanzenden  und  meisterhaft 
geformten,  wie  in  poetischer  Beziehung  wertvollen  Violinwerken  von  Henryk  Wieniawski, 
welcher  eben  an  der  Schwelle  dieser  Penode  aus  dem  Leben  geschieden  war  (1835 — 80). 

Die  groBeren  polnischen  Stadte,  in  denen  sich  das  geistige  Leben  konzentriert,  waren  fur 
•die  Pflege  der  Musik  nicht  in  dem  Ma6e  reich  an  Mitteln,  wie  fur  die  bildenden  Kiinste  und 
das  Theater.  Warschau  besafi  zwar  eine  grofistadtische  Oper,  doch  war  der  Zutritt  zu  ihr  fur 
die  polnischen  Werke  aufierst  schwer.  Vor  der  Griindung  der  Philharmonie  mit  einem  stan- 
digen  Symphonieorchester  im  Jahre  1902  konnte  man  nicht  die  grofieren  Instrumentalformen 
und  Chorwerke  leicht  auffiihren.  Ubel  stand  es  um  die  Musik  in  Krakau  und  in  Posen,  ein 
wenig  besser  in  Lemberg,  wo  es  allerdings  zu  einer  standigen  Oper  (1900)  und  zu  einer  ephe- 
meren  Philharmonie  (1903)  kam.  Man  mufite  sich  mit  den  kleinen  Instrumental-  und  Lied- 
formen,  mit  dem  Mannergesang  begniigen.  Das  Beste,  was  einige  Komponisten  aus  den  letzten 
zwei  Dezennien  des  19.  Jahrhunderts  schufen,  ist  eben  das  Lied.  Stanislaw  Niewiadomski 
(geb.  1859)  ist  der  anmutigste  lyrische  Komponist  in  Polen  in  der  Epoche  nach  Moniuszko 
bis  gegen  das  Ende  des  19.  Jahrhunderts.  Er  ist  riihrend  und  temperamentvoll,  lustig  und 
melancholisch  wie  in  seinem  volksmafiig  stilisierten  Liederzyklus  ,Jaskowa  doia"  (,,Hansens 
Geschick"),  so  in  dem  eleganten,  salonmafiigen  Zyklus  ,,Z  wiosennych  tchnien"  (,,Im 
Friihlingshauch")  und  in  mehreren  andern  Liedern  zu  Mlckiewicz'  Worten,  im  Zyklus 
,,Slonko"  (,,Das  Sonnchen")  und  in  den  ,,Chansons  d'avril",  in  denen  er  kosmopolitische 
Formen  sicher  bewahrt.  Seine  melodische  Erfindung  spricht  durch  ihre  edle  Anmut  an, 
alliiberall  in  seinen  Liedern  kornmt  seine  Personlichkeit  zum  Vorschein.  Niewiadomski  war 
niemals  ein  Fortschrittler.  Neben  seinen  wertvollen  und  in  Polen  ungemein  popularen 
Liedern  hat  Niewiadomski  eine  grofiere  Anzahl  Chorlieder  (weltliche  und  kirchliche)  und 
kleinerer  Klaviersachen  veroffentlicht,  sowie  sich  auch  in  der  Kammermusik  und  Symphonic 
erprobt.  Niewiadomski  war  im  Jahre  1882  Schiiler  von  Krenn  in  Wien,  spater  auch  von 
Jadassohn  in  Leipzig. 

Ein  an  melodischer  Erfindungsgabe  sehr  reiches  Talent,  aber  ohne  starkere  musikalische 
Kultur,  war  Jan  Gall  (1856—1912),  welcher  durch  einige  schone  Lieder  und  eine  Menge 
von  ongmellen  und  aus  verschiedenen  Volksgesangen  bearbeiteten  Mannerchoren  (im  Lieder- 
tafelstil)  sich  eine  ungemeine  Popularitat  —  speziell  in  Galizien  —  erwarb  und  einen  starken 
Einflufi  auf  das  Musikleben  ausiibte.  Mit  mehr  Willenskraft  und  mehr  musikalischer  Fach- 
bildung  ware  Gall  imstande  gewesen.  auch  bedeutendere  Werke  zu  schaffen.  Was  Gall  und 
Niewiadomski  for  Galizien,  bedeutet  for  Kongrefipolen  Piotr  Maszynski  (geb.  1855).  Sein 
schones,  lyrisches  Talent  driickte  sich  in  iiber  100  Liedern  und  Dutzenden  von  vortrefflichen 


Moderne:  Polen  \  147 


Chorgesangen  aus.  Maszynski  hat  sehr  viel  zu  der  Entwicklung  der  Musikkultur  in  Polen 
durch  seine  organisatorische  und  seine  Dirigententatigkeit  beigetragen.  Als  Opern-  und  Ora- 
torienkomponisten  derselben  Generation  polnischer  Musiker  sind  an  erster  Stelle  Statkowski 
und  Soltys  zu  nennen. 

Roman  Statkowski  (1859—1925)  wurde  fur  seine  beiden  Opern  ,,Philenis"  und  ,,Marja" 
mit  ersten  Preisen  ausgezeichnet,  fur  die  erste  m  London  an  dem  mternationalen  Opernpreis- 
ausschreiben  1903,  fiir  die  zweite  in  Warschau  1905.  Die  beiden  Werke  sind  in  dem  Uber- 
gangsstil  zwischen  der  vorwagnerischen  Opernform  und  dem  wagnerischen  Musikdrama  ge~ 
halten,  zeichnen  sich  durch  edle  ariose  Einfalle  und  feine  Instrumentation  aus.  Er  hat 
auch  gute  Klavierstticke,  drei  Streichquartette  und  Orchesterwerke  geschrieben.  Mieczyslaw 
Soltys  (geb.  1863),  ein  Schtiler  von  Krenn  in  Wien  und  von  Gigout  und  Saint-Saens  in  Pans, 
hat  die  ersten  zwei  groBen  polnischen  Oratorien  geschaffen.  Sein  Talent  hat  sich  in  dem 
Rahmen  dieser  Gattung  besser  zurechtgefunden  als  in  seinen  5  Opern  (nur  drei  von  ihnen 
wurden  aufgefiihrt).  In  den  Reihen  der  mehr  konservativ  schaffenden  polnischen  Komponisten 
haben  sich  neben  den  genannteneingefunden:ErazmDlu ski  (1858 — 1923),  HenrykPachulski 
(1859—1920),  Feliks  Starczewski  (1868),  Michal  Swierzynski  (1868).  Den  klassischen 
Kirchenmusikstil  pflegte  mit  grofiem  Eifer  P.  Jozef  Surzynski  (1851 — 1918),  welcher 
nach  1880  zum  Hauptforderer  der  musikhistorischen  Forschung  in  Polen  wurde. 

Als  einer  der  ersten,  welcher  die  Neuerungen  der  nachchopinschen  Epoche  in  sich  aufnahm 
und  einer  Weiterentwicklung  fahig  war,  trat  in  Polen  Juliusz  Zarebski  (1854 — 85)  mit  seinen 
brillanten  Klavierkompositionen  hervor,  Ein  Schiller  von  Dachs  in  Wien  und  von  Liszt, 
hat  sich  Zarebski  im  allgemeinen  dem  Chopin-Lisztschen  Klavierstil  anzupassen  gewufit  und, 
ein  wenig  an  Alkan  erinnernd,  betrat  er  schon  die  Wege  des  Impressionisrnus.  Eine  feine 
Intelligenz  und  der  Wille,  sich  in  erneuerten  Formen  und  mit  frischen  Mitteln  auszudrucken, 
ist  aus  seinen  33  Klavierwerken  und  einern  Klavierquintett  herauszufiihlen.  Auf  dem  Felde 
der  Liedkomposition  war  gleichzeitig  Eugenjusz  Pankiewicz  (1857—1898)  eine  vielver- 
sprechende  Erscheinung;  er  schrieb  iiber  40  Lieder  und  Chorkompositionen. 

In  Ignacy  Jan  Pader^wski  (geb,  1860  in  Kurylowka)  erbliihte  der  polnischen  Musik  der 
Zeit  nach  Chopin  und  Moniuszko  die  prachtigste  Personlichkeit.  Seinem  uberwaltigenden 
reproduktiven  Genius  stellte  Paderewski  ein  den  hohen  Kunstzielen  zustrebendes  Schaffen 
an  die  Seite.  Er  bewaltigt  meisterhaft  die  groBen  Formen  und  wendet  sich  mit  Vorliebe 
der  Klavierfuge  zu.  Seine  Klaviervariationen  (op.  10,  14,  23),  die  grofiangelegte  Klavier- 
sonate  op.  21 »  Klavierkonzert  und  Klavierfantasie  mit  Orchester  sowie  die  Symphonic  in 
H-Moll  ,,Polskau  G,Polen")  bergen  viele  pathetische  Ideen  in  sich.  Eine  einzige  Opernprobe 
Paderewskis,  ,,Manru"  (der  Inhalt  entnommen  einem  Roman  von  Kraszewski),  kann  man 
nicht  zu  seinen  gelungensten  Kompositionen  zahlen.  Er  errang  als  Pianist  Weltruf ;  mit  dem 
Ausbruch  des,  Weltkrieges  unterbrach  er  seine  Virtuosenlaufbahn  und  stellte  sich  in  den  poli- 
tischen  Dienst  seines  Volkes:  1919  ward  er  Ministerprasident  der  polnischen  Republik.  Zwei 
andere  vortreffliche  polnische  Pianisten:  Zygmunt  Stojowski  (geb,  1869)  und  Henryk 
Melcer  (1869--1928),  haben  sich  einen  sehr  respektablen  Platz  in  der  neueren  polnischen 
Musik  gesichert,  der  erste  mittels  eines  Klavierkonzerts  Fis-IVIoll,  einer  breitangelegten  Sym 
phonic  (D-Moll)  und  vieler  Salonstiicke,  der  zweite  durch  zwei  grofie  Klavierkonzerte  und 
eine  in  moderner  Faktur  gesetzte  Oper  nMarja"  (eine  von  den  zahlreichen  polnischen  Opern» 

73    H,d.  M. 


1148 


Moderne:  Poien 


welche  sich  auf  die  romantische  Dichtung  von  Antoni  Malczewski  ,,Marja '  stiitzen).  Eme 
Violinsonate  und  einige  Lieder  (auch  zu  Dehmels  Texten)  liefien  Melcer  in  der  Zeit  ihrer 
Abfassung  und  ihres  Erscheinens  (1907-10)  zu  der  modernsten  Richtung  beirechnen.  Von 
den  Komponisten,  welche  zu  derselben  Generation  gehoren,  mogen  noch  folgende  genannt 
werden:  FelicjanSzopski  (geb.  1865),  welcher  in  einerOper  ,,Lilje"  (1917,  Stoff  entnommen 
einer  Ballade  von  Mickiewicz)  im  Wagnerschen  Stil  und  einigen  spateren  Liedern  in  nova- 
torischer  Manier  die  Proben  seines  —  leider  epigonenhaften  —  Talentes  ablegte;  Franciszek 
Brzeziriski  (1867),  ein  meistens  in  kontrapunktischen  Formen  sich  auslebender,  ernsthafter, 
obwohl  auch  zu  musikalischen  Spafien  geneigter  Komponist  von  gediegenen  Klavier-  und 
Kammerwerken  (Suite  polonaise  op.  4,  Triptique  op .  5,  eine  Violinsonate  us  w.)  ;  Emil  M  i  y  n  a  r  s  k  i 
(geb.  1870),  ein  ausgezeichneter  Dirigent,  zeitweise  Direktor  des  Staatskonservatoriums  und  der 
-Oper  in  Warschau,  hat  in  einem  Violinkonzert,  einer  rnonumentalen  Symphonic  op.  1 4  mit  einem 
patriotisch-allegorischen  Programm  und  einer  lyrischen  Oper  ,,Eine  Sommernacht"  (Warschau 
1923)  groBe  technische  Gewandtheit  und  ernste  Begabung  zum  Vorschein  gebracht;  Henryk 
Opienski  (geb.  1870),  welcher  neben  seinen  zahlreichen  musikwissenschaftlichen  Publika- 
tionen  mit  zwei  symphonischen  Dichtungen  und  zwei  Opern  (Marja,  1924,  und  Jakob  der 
Lautenist,  1927)  sowie  mit  einigen  gelungenen  Liedern  hervorgetreten  ist  und  sich  im  Opern- 
und  Konzertleben  zu  erhalten  wuBte.  Eine  hervorragende  Stellung  in  dieser  Gruppe  fallt 
dem  im  Jahre  1873  geborenen  Witold  Maliszewski  zu.  Seine  vier  Symphonien  und  einige 
meisterhafte  Kammerwerke  sowie  die  Ballettoper  ,,Sirene"  (1928)  lassen  eine  aufierst  sichere 
Hand  und  eine  edle  Erfindung  (in  klassizistischer  Richtung  mit  Wagnerschen  Nachklangen) 
erkennen.  Tadeusz  Joteyko  (geb.  1872)  hat  als  Komponist  von  zwei  historischen  Opern 
(Zygmunt  August,  1925,  und  Hedwig,  1928)  einen  Massenerfolg  errungen,  vermochte  aber 
mit  seinen  anderen  Werken  kein  besonderes  Interesse  zu  erwecken.  Als  ein  Komponist, 
dessen  Schaffen  hauptsachlich  auf  Massenwirkung  berechnet  zu  sein  scheint,  will  Feliks 
Nowowiejski  (geb.  1877)  betrachtet  werden.  Von  seinen  Orator  Jen  und  Opern  mufi  man 
in  erster  Linie  das  Oratorium:  Quo  vadis?  (1907)  und  die  Oper:  ,,Baltische Legende"  (1924) 
nennen.  Ungemein  feiner  in  seinen  Opern:  ,,Megae"(1912)  und  ,,Wyzwolony"  (1928),  einem 
Ballett  ,,Lalita"  (1924)  sowie  symphonischen  Dichtungen  und  Kammerwerken  ist  Adam 
Wieniawski  (geb.  1879),  welcher  auch  einige  anspruchsvolle  Lieder  geschaffen  hat.  Juljusz 
Wertheim  (geb.  I860,  gest.  1928  am  Dirigentenpult  wahrend  der  Auffuhrung  des  Meister- 
singervorspiels  in  der  Warschauer  Philharmonic)  huldigte  der  klassizistischen  Richtung  (viele 
Lieder,  Klavier-  und  Kammerwerke,  auch  Orchestersachen).  Sehr  fortschrittlich  war  da~ 
gegen  Gregor  Fitelberg  (geb.  1879)  veranlagt,  und  nachdem  er  sich  friih  in  einigen  preis- 
gekronten  Kammerwerken  erprobte,  hat  er  die  kompositorische  Tatigkeit  zugunsten  seiner 
machtigen  Dirigierkunst  fast  ganzlich  vernachlassigt.  In  seinen  Liedern  und  einer  symphoni 
schen  Dichtung  ,,Das  Lied  von  dem  Falken",  op.  18,  hat  sich  Fitelberg  den  aufiersten  Grenzen 
der  Chromatik  und  der  Dissonanzharmonik  genahert. 

Einige  polnische  Komponisten,  welche  in  den  ersten  Jahren  des  20.  Jahrhunderts  hervor 
getreten  sind  (hauptsachlich  aus  dem  Warschauer  Konservatorium  hervorgegangen)  und  spater 
eine  Gesellschaft  zur  Herausgabe  ihrer  Werke  bildeten,  erhielten  gemeinsam  den  Namen: 
Musikalisches  Jung-Polen.  Zu  dieser  Gruppe  wurden  gezahlt:  Mieczyslaw  Karlowicz, 
Karol  Szymanowski,  Ludomir  Rozycki,  Apolinary  Szeluta  und  Fitelberg.  In  Mie* 


Moderne :  Polen  ]  )  49 


czyslaw  Karlowicz  (geb.  1876,  gest.  1909  in  einer  Schneelawine  im  Tatragebirge)  erbliihte 
der  polnischen  Musik  das  erste  symphonische  Talent  in  hoherem  Stil.  Unter  starkem  Einflufi 
von  Liszt  und  noch  mehr  von  Richard  StrauB  entwickelte  sich  Karlowicz  zu  einem  modernen 
Symphoniker  programmatischer  Richtung,  indem  er  der  von  den  Schopfern  der  symphonischen 
Dichtung  ererbten  Form  seinen  ihn  verzehrenden  Weltschmerz,  seine  slavische  Melancholic 
und  seine  Sehnsucht  nach  dem  All  und  dem  Ewigen  einordnete.  Rein  technisch  genommen, 
ging  Karlowicz  nicht  iiber  Straufi  hinaus  (ausgenommen  die  vielfache  Teilung  der  Geigen- 
chore  in  ,,Stanislaw  i  Anna  OswiQcimowie")  und  hatte  in  seinen  Themen  manche  Anklange, 
ebenso  an  den  Komponisten  der  symphonischen  Dichtungen  ,,Don  Juan"  und  ,,Zara- 
thustra",  wie  auch  an  Wagner.  Seinem  starken  Willen,  nur  monumentale  Tongebilde  zu 
schaffen,  entsprach  nicht  immer  die  Potenz  seines  Talents,  er  vermochte  aber  immer  in  seinen 
symphonischen  Dichtungen  den  gewahlten  Grundgedanken  und  die  ihm  passende  Stimmung 
wiederzugeben  und  sich  in  der  Ausarbeitung  der  Details  interessant  zu  zeigen.  Karfowicz' 
Hauptwerke  sind  die  folgenden:  Symphonic  op.  7  (Renaissance),  ,,Wiederkehrende  Wellen" 
(symph.  Dichtung  op.  9),  ,,3  Urewige  Lieder"  (,,Ewige  Sehnsucht",  ,,Liebe  und  Tod", 
,,Allsein";  symph.  Dichtung  op.  10),  ,,Litauische  Rhapsodic",  op.  11,  ,,Eine  traurige 
Mare",  op.  12,  ,,Stanislaw  i  Anna  OswiQcimowie",  op.  13,  und  ,,Ein  Drama  auf  dem 
Maskenball**.  Die  letzte  von  diesen  Dichtungen  hat  Karlowicz  nicht  zuEnde  instrumentieren 
konnen. 

Mit  der  programmatischen  symphonischen  Dichtung  begann  seine  kompositorische  Lauf- 
bahn  auch  Ludomir  Rozycki  (geb.  1883).  Seine  jugendlichen  Werke,  wie:  ,,Stanczyk", 
,,Pan  Twardowski"  und  ,,Bolesiaw  der  Kiihne",  hatten  mehr  Charakter,  starker  ausgepragte 
Thematik  und  mehr  Leben  im  Rhythmus,  als  die  spateren,  der  mystisch  gestimmte  ,,Anhelli" 
(nach  Slowacki),  oder  der  in  Liebe  vcrgehende  ,,Konig  Kofetua"  (nach  J.  Zeyer),  ,,War~ 
szawianka"  und  ,,Monna  Lisa",  Rasch  hat  er  sich  als  Dramatiker  entwickelt.  1909trat  er  mit 
dem  Musikdrama  ,,Boleslaw  der  Kiihne"  hervor,  Im  Jahre  1913  folgte  ,,Meduza"  (Lionardo 
da  Vinci  als  Held)  und  1916  ,,Eros  und  Psyche"  (die  Dichtung  nach  Jerzy  Zulawski's  gleich- 
namigem  Drama),  die,  von  Breslau  ausgehend,  auf  vielen  deutschen  und  polnischen  Btihnen 
mit  groftem  Erfolg  gegeben  wurde.  Es  folgte  dann  eine  komische  Oper  ,,Casanova"  1923  und 
zuletzt  eine  tragische  ,»Beatrix  Cenci"  1927,  beide  in  Warschau,  sowie  ein  Ballett  ,,Pan  Twar 
dowski"  1921 ,  welches  auf  der  Btihne  des  Warschauer  grofien  Theaters  iiber  300  Auffuhrungen 
erreichte.  Rozycki  hat  ein  stark  entwickeltes  Biihnengefuhl  und  weifi  sehr  treffend  alle  Elemente 
des  rnusikalischen  Ausdrucks  den  dramatischen  Vorgangen  (in  plastischer  und  psychologischer 
Perspektive)  anzupassen.  Seine  Motive  und  Themen,  in  ihrer  rhythmischen,  melodischen, 
harrnonischen  und  koloristischen  Behandlung  gehen  direkt  von  der  szenischen  Situation  aus. 
In  den  zahlrdchen  Klavierstticken,  Liedern,  Kammermusikwerken  Rozyckis  iiberwiegen  ton- 
inalerische  Elemente  iiber  alien  anderen  Faktoren,  doch  es  mufi  bemerkt  werden,  dafi  ihre 
melodischen  Konturen  von  einer  reichen  und  sicheren  ErHndung  Zeugnis  ablegen, 

Eine  Gruppe  von  gemaBigter  fortschrittlicher  Tendenz,  welche  auch  Rozyckis  Schaffen 
immer  kennzeichnete,  bilden  folgende  Komponisten,  die  derselben  Altersklasse  wie  er  mit- 
angehoren:  Piotr  Rytel  (geb.  1884)  betrat  auf  dem  Gebiete  der  symphonischen  Dichtung  den 
sicheren  Weg  der  Liszt  ^Wagnerschen  Orchesterkunst,  um  nach  einer  Reihe  von  Werken 
dieser  Gattung  (Grazyna,  Korsarz,  Dantes  Traum,  Der  heilige  Hain,  St.  Georg)  auf  das  Feld 

73* 


t  15Q  Moderne:  Polen 


der  Oper  iiberzugehen  (Ijola).  Michal  Rogowski  (geb.  1881)  trachtet  immer  seine  Werke 
durch  aparte  Klangwirkungen  und  orientalische  Motive  interessant  zu  machen.  Er  hat  eine 
Oper  ,,Tamara",  ein  Ballett,  einige  Lieder  und  kurze  impressionistische  Orchestersatze  ge- 
schrieben.  Wahrend  Bronislaw  Szulc  (geb.  1881)  und  Wlodzimierz  Kenig  (1883)  als  ge- 
wandte  symphonische  Dirigenten  sich  mehr.  der  Orchesterkomposition  widmen,  hat  den 
eminenten  Krakauer  Chorleiter  Boleslaw  Wallek-Walewski  (geb.  1885)  seine  diesbeziigliche 
Tatigkeit  in  erster  Reihe  zum  Chorkomponisten  gestempelt.  Walewskis  groBe  A-cappella- 
Chorwerke  (einige  andere  mit  Begleitung  von  solistischen  Instrumenten,  der  charakteristischen 
Wirkung  zuliebe  benutzt)  zeichnen  sich  durch  originelle  Technik  und  Jmpressionistische  Ziige 
aus.  Als  Dramatiker  hat  Walewski  zwei  interessante  Werke  zu  eigenen  Texten  geschaffen, 
namlich  ,,Das  Verhangnis"  (1919)  und  ,Jonteks  Rache"  (1927,- eine  dramatische  Konsequenz 
der  Halka  von  Moniuszko).  Die  weltbekannten  Klaviervirtuosen  Ignacy  Friedmann 
(geb.  1881)  und  Raul  Koczalski  (geb.  1885)  huldigen  vor  allem  dem  virtuosenhaften  Klavier- 
stil,  Koczalski  hat  aber  auch  als  Oratorien-  und  Opernkomponist  (,,Rymond"  1902  und  ,,Die 
Siihne"  1909)  auf  sich  die  Aufmerksamkeit  zu  lenken  gesucht.  Stanislaw  Lipski  (geb.  1880), 
ebenfalls  vom  Klavier  ausgehend,  ist  ein  beliebter  Liederkomponist  geworden. 

Alle  andern  iiberragend,  erhebt  sich  in  der  heutigen  polnischen  Musik  die  kompositorische 
Personlichkeit  von  Karol  Szymanowski  (geb.  1883).  Er  begann,  ganz  instinktiv,  als  ein 
feiner  Klavierdichter  mit  kleinen  Formen  (op.  1,9  Praludien)  und  zeigte  eine  Geistesvcrwandt- 
schaft  mit  Chopin,  bald  aber  (nach  einer  episodischen  Anlehnung  an  Scrjabin)  erwies  er  sich 
als  eine  starke  konstruktive  Kraft  und  als  ein  Meister  imitatorischer  Technik.  Szymanowskis 
tondichterische  Natur  umfafit  die  lyrischen  Regungen  des  menschlichen  Wesens  von  den 
tiefsten  Abgriinden  der  Seele  bis  zu  den  gliickseligsten  Hohen  einer  erhabenen  Entziickung. 
Er  ist  unvergleichlich  originell  und  fein  in  seinen  vielen  Liedern  (vor  allem  op.  13,  dann  ,,Bimte 
Lieder**,  op.  22,  ,,Des  Hafis  Liebeslieder",  op.  24,  ,,Lieder  des  verliebten  Muezzin",  op.  42). 
Seine  zweite  Klaviersonate  A-Dur,  op.  21,  und  seine  zweite  Symphonic  B-Dur,  op.  19  (beide 
Werke  mit  Variationenzyklen  den  2.  und  3.  Satz  vertretend  und  mit  prachtigen  Endfugen)  und 
die  Violinromanze,  op.  23,  gehoren  wohlzum  Besten,  was  die  moderne  absolute  Musik  zu  verzeich- 
nen  hat.  Als  Opernkomponist  ist  Szymanowski  in  der  1912  entstandenen  ,,Hagith"  (Text  von 
Felix  Dormann)  Straufischen  Beispielen  (,,Elektra")  gefolgt.  Im  Vollbesitz  aller  musikalischen 
Mittel  verfeinerte  Szymanowski  ununterbrochen  seine  Ausdrucksweise  bis  zu  dem  Subtilsten 
und  Raffiniertesten.  Schon  ein  frillies  Orchesterlied,  ,,Penthesilea",  und  die  12  Lieder  op.  17 
lassen  die  spatere  Entwicklung  Szymanowskis  als  Harmoniker  ahnen.  Nach  op.  24  verlieB 
Szymanowski  immer  mehr  den  Boden  der  tonalen  Harmonie  und  djiickt  sich  heute  mehr- 
fach  in  atonaler  Weise,  oft  ohne  konsonierende  Harmonieen  und  mit  Hilfe  von  radikalster 
Heterophonie  aus.  Dabei  bleibt  er  treu  den  strengen  Formprinzipien  und  in  imitatorischer 
Beziehung  bietet  er  kuhne  Leistungen.  Die  Tendenz,  durch  koloristische  Phanomene 
auf  den  Horer  zu  wirken,  hat  Szymanowski  zur  Entdeckung  ganz  eigenartiger  Effekte 
gefiihrt.  Von  diesem  Standpunkt  betrachtet,  sind  die  3  Violinstiicke  ,,Mythes",  op.  30 
(,,La  Fontaine  d'Arethuse",  ,,Narcisse",  ,,Dryades  et  Pan")  eine  hochst  bemerkenswerte 
Erscheinung.  Den  Gipfel  seines  bisherigen  Schaffens  darf  man  in  dem  Violinkonzert  op.  35, 
einem  Werke,  welches  auf  einer  poetischen  Basis  gebaut  (ein  phantastisches  Gedicht  von 
Tadeusz  Micinski:  Friihlingsnacht),  die  hochsten  Errungenschaften  von  Szymanowskis  In- 


Moderne :  Polen  j  j  5  j 


strumentaltechnik  in  sich  schliefit,  sehen.  Das  Konzert  folgte  der  dritten  Symphonic  op.  27 
mit  einem  Tenorsolo  und  Endchor  zu  den  Worten  einer  Poesie  von  Mevlana  Djelaleddin  Rumi. 
Nach  einem  Zyklus  von  hochst  originellen  Klavierwerken  (zwolf  Etiiden  op.  32,  Masques 
op.  34  und  einer  dritten  Sonate  op.  36)  hat  Szymanowski  seine  zweite  Oper  ,,Konig  Roger" 
geschaffen.  Dem  Werke,  zu  Jaroslaw  Iwaszkiewicz'  gemeinsam  mit  dem  Komponisten  ge~ 
schriebenen,  die  dionysische  Ideologic  darstellenden  Texte  mufi  in  der  Reihe  der  zeit- 
genossischen  Opern  eine  Ausnahmestellung  gewahrt  werden,  ebenso  wegen  seiner  erhabenen 
poetischen  Anlage,  wie  auch  wegen  des  hohen  Fluges  der  Inspiration,  welche  aus  Elementen 
der  antiken  Musik,  des  altgriechischen  Kirchengesanges,  aus  orientalischen  Motiven  und 
einer  fiirwahr  dionysischen  Entziickung  ein  unvergleichliches  Ganzes  gebildet  hat.  Auf  dem 
Gebiete  der  religiosen  Musik  hat  Szymanowski  ein  wundersames  ,,Stabat  Mater"  op.  53  seinen 
religiosen  Liedern  und  seinen  beiden  Opern  an  die  Seite  gestellt.  Die  grofie  Zahl  seiner  Werke, 
deren  Verschiedenheit  der  Formen  und  die  hohe  Meisterschaft  der  Klangmittel  haben  Szyma 
nowski  zur  fiihrenden  Personlichkeit  in  der  heutigen  polnischen  Musik  und  zu  einem  der 
originellsten  Komponisten  der  Welt  gemacht. 

Ein  reges  Schaffen  herrscht  in  der  Gruppe  der  jiingeren  und  jiingsten  polnischen  Kompo 
nisten,  woraus  auf  eine  schone  Zukunft  der  polnischen  Musik  gerechnet  werden  darf.  Dieser 
Gruppe  schlieBt  sich  Lucjan  Kamieriski  (geb.  1885)  mit  seinen  vielen  Liedern,  Kammer- 
musikwerken  und  einer  nesigen  Symphonic  mit  Soli  und  Chb'ren  an.  Adam  Soltys  (Sohn 
von  Mieczyslaw,  geb.  1890)  und  Kazimierz  Sikorski  (1892)  liefien  sich  als  feinfiihlende 
Symphoniker  schatzen.  Unter  Tadeusz  Jareckis  (geb.  1889)  zahlreichen  Orchester-  und 
Kammerwerken  zeichnet  sich  vor  allem  das  meisterhafte  Streichquartett  op.  16  aus.  Seine 
Musik  gehort  der  fortschrittlichsten  Richtung  an.  Sehr  progressiv  in  seinen  Kompositionen 
ist  Czeslaw  Marek  (geb.  1891),  welcher  mit  seiner  ungemein  edlen  Orchestersuite  und  der 
,,Sinfonia  brevis"  ein  groBes  Interesse  erweckt  hat.  Marek  tritt  vor  die  Dffentlichkeit  nur  mit 
wahrhaft  vollwertigen  Werken.  Aleksander  Tans  man  (geb.  1895)  produziert  mit  einem 
unerhorten  Temperament  viele  Werke  in  alien  Formen  und  Gattungen.  Er  kann  als  ein 
polnisches  Pendant  zu  Darius  Milhaud  betrachtet  werden.  Mehr  konservativ  ist  Witold 
Friemann  (geb.  1889)  in  seinen  zahlreichen,  auBerst  feinen  Liedern.  In  Karol  Rathaus 
(geb.  1895)  vielen  Instrumental-,  Chor-  und  Biihnenwerken  hat  die  zeitgenossische  Musik 
Werke  von  dauerndem  Werte  erhalten.  Auch  an  einzelnen  Werken  gernessen  stellen  'sich 
die  schopferischen  Moglichkeiten  einer  Reihe  von  jiingeren  polnischen  Komponisten  wie 
Stanislaw  Wiechowicz  (Chorwerke  grofierer  Dimensionen),  Jerzy  Fitelberg  (Sohn  von 
Gregor  Fitelberg,  eine  Orchestersuite,  ein  Streichquartett  und  eine  Rhapsodic  fur  vier  Klaviere), 
Pawel:  Klecki  (Klavierkompositionen),  Jerzy  Lefeld  (ein  Streichsextett),  Piotr  Pcrkowski 
(ein  Ballett),  Michal  Kondracki  (eine  Orchesterpartita)  und  Jan  Adam  Maklakiewicz 
(ein  Klavierkonzert  mit  Sopransolo),  sehr  giinstig  vor. 

Literatur 

Jachimecki,  Zd.:  Historja  muzyki  polskiej.  Krakau.  Gebethner  i  Wolff .  1920.  —  Derselbe:  Polish  music. 
,,The  Musical  Quarterly".  New  York-Boston  1920.  —  Derselbe:  Karol  Szymanowski.  ,,The  Musical 
Quarterly."  1922.  —  Derselbe:  Karol  Szymanowski  rys  dolychczasowej  tworczosci.  Krakau  1927.  — 
—  Opienski,  H.:  La  musique  polonaise.  Paris  1918  und  1929.  —  Muzyka  Polska:  Eine  Sammel- 
monographie.  Muzyka  Warschau  1927.  Red.  Mateusz  Gliriski,  ZdzislaW  Jachimecki 


]  ]52  Moderne:  Letten 


LETTEN 

Das  historische  Schicksal  des  slawischen  Volksstammes  der  Letten  war  in  seiner  Ver- 
gangenheit  nicht  nur  politisch,  sondern  auch  kulturell  eng  mit  dem  seines  baltischen  Nachbar- 
volkes  der  Esten  verbunden:  einerseits  die  eine  freie  Entwicklung  des  Volkes  behindernde 
Leibeigenschaft  unter  der  Vorherrschaft  einer  deutschen  Minoritat  des  Landes,  andrerseits 
die  dadurch  vollzogene  Vermittlung  deutschen  Kulturgutes  in  jenen  ehemaligen  russischen 
Ostseeprovinzen. 

Insbesondere  Riga  als  ein  Zentrum  deutsch-baltischen  Geisteslebens  war  in  den  ver- 
flossenen  Jahrhunderten  Hort  einer  hochstehenden  Musikpflege. 

Eine  eigene  deutsch-baltische  Musikgeschichte  liefie  sich  seit  der  Reformation  verfolgen. 
Riga  erhielt  bereits  1530  ein  eigenes  Gesangbuch.  Die  geistliche  Musik  wurde  besonders 
gepflegt,  so  dafi  man  versucht  ware,  von  einer  Hochbliite  evangelischer  Kirchenmusik  des 
1 7.  Jahrhunderts  im  Baltikum  zu  reden.  Die  Kantoreien,  die  engste  Heranziehung  der  Stadt- 
musikanten  zu  den  Gottesdiensten,  die  zahllosen  Erwahnungen  von  geistlichen  Musiken  und 
kirchlichen  Gelegenheitskompositionen  in  jener  Zeit  wiirden  dazu  berechtigen.  Die  Chorale 
des  li viand ischen  Landrates  Gustav  v.  Mengden  (1627—88)  sindwohl  eines  der  interessan- 
testen  erhaltenen  Denkmaler  baltischer  geistlicher  Tonkunst  aus  jener  Zeit,  wahrend  sonst 
das  meiste  leider  verlorengegangen  ist  —  so  z.  B.  die  nachweisbar  in  Riga  geschriebenen  und 
aufgefiihrten  Werke  hervorragender  deutscher  Meister  ihrer  Zeit,  wie  Joh.  Val.  Meder  (1649 
bis  1719;  Domorganist  zu  Riga),  Joh.  Gottfr.  Miithel  (1728—90;  Organist  zu  St.Petri), 
des  jungen  G.  Mich.Telemann  (1748—1831;  Domorganist  und  Musikdirektor  der  Stadt 
Riga)  u.  a.,  die  alle  im  Baltikum  Asyl  und  fruchtbares  Wirkungsfeld  fiir  ihr  Schaffen  fanden. 
Nicht  zuletzt  sei  auch  noch  die  Oper  am  Hofe  der  Herzoge  von  Kurland  erwahnt,  ganz  ab- 
gesehen  von  manchem  weiteren  musikhistorisch  interessanten  und  zum  grofien  Teil  noch 
nicht  erforschten  Material  im  alten  Baltikum.  Im  19.  Jahrhundert  sehen  wir  eine  ganze  Reihe 
baltischer  Musiker  in  Deutschland  wirken,  wie  auch  heute  noch  unter  den  fiihrenden  deutschen 
Komponisten,  ausiibenden  Kiinstlern  und  Musikwissenschaftlern  sich  einige  gebiirtige  Balten 
finden  als  letzte  Reprasentanten  ihres  durch  die  Umwalzungen  verflossener  Dezennien  sozial 
entwurzelten  Volksstammes. 

Das  Erbe  einer  grofien  kulturhistorischen  Vergangenheit  iibernehmen  nun  in  durchaus 
vielversprechender  Weise  die  Letten,  die  sich  in  der  zweiten  Halfte  des  1 9.  Jahrhunderts 
lebhaft  zu  regen  begannen.  Auffallend  ist  vor  allem  die  kunstlerische  Begabung,  die  geistige 
AgiIJtat  und  Anpassungsfahigkeit  dieses  Volkes.  Bereits  die  Volkslieder  der  Letten,  die 
,,Dainas",  zeigen  den  Typus  des  hochentwickelten  neueren  europaischen  Volksliedes,  wobei 
trotz  mancher  deutscher  und  russischer  Einfliisse  sich  melodische  Eigenarten  erhalten  haben. 
Die  in  ihren  Anfangen  von  den  baltischen  geistlichen  Kreisen  auf  dem  flachen  Lande  an- 
geregte  Gesangbewegung  kommt  auch  auf  dem  siidlichen  lettischen  Territorium  in  einer 
Reihe  allgemeiner  lettischer  Gesangfeste  zu  einer  gewissen  Bliite,  ohne  allerdings  jene  unv 
fassend  tiefe  Bedeutung  fur  die  kulturelle  Entwicklung  des  Volkes  zu  f inden,  wie  es  bei  den 
nordischen  Nachbarn,  den  Esten  (s.  dort),  der  Fall  war. 

Das  Lehrerseminar  zu  Walk,  eigentlich  ein  ,,Musikseminar"  zur  Ausbildung  landlicher 
Organisten  und  gleichzeitig  Schulmeister,  wurde  dank  seinem  Leiter  J.  Zimse,  der  als  erster 


Moderne:  Letten 


bei  den  Zoglingen  ein  Interesse  fiir  die  Lieder  des  Volkes  weckte,  zum  Ausgangspunkt  einer 
volkischen  Musikbewegung. 

Der  alteste  lettische  Komponisl  nationaler  Richtung  ist  Andrejs  Jurjans  (1856—1922; 
Symph.  Dichtung,  Volkstanze,  Marsche,  Kantaten,  diverse  Instrumentalwerke,  Lieder  und 
Chore),  der  allerdings  bis  zum  Weltkriege  in  Charkow  wirkte,  fiir  die  Heimat  aber  vor  allem  als 
einer  der  ersten  Verarbeiter  lettischer  Volksmotive  bedeutsam  wurde.  Er  ist  der  alteste  und 
begabteste  von  vier  Briidern,  die  sich  alle  um  die  lettische  Musikentwfcklung  Verdienste 
erwarben.  Der  eine  Bruder  Juris  arbeitete  anfangs  ebenfalls  in  Charkow,  kehrte  aber  schon 
friiher  in  die  Heimat  zuriick  und  bemiihte  sich  hier  eifrig  um  die  Belebung  des  lettischen 
Konzertwesens.  Von  altesten  Musikern  sind  noch  E.  Wiegners  als  Musikpadagoge  und 
Ludw.  Behtins  als  Klaviervirtuose  zu  nennen. 

Der  hervorragendste  unter  den  Komponisten  der  alteren  Generation  ist  Josefs  Wihtols 
(geb.  1863),  Nestor  der  lettischen  nationalen  Tonschule,  der  jedoch  in  seinem  meisterhaften 
Schaffen  (Symphonic,  Suite,  ,,Lihgo",  Ouverturen,  Chorwerke,  Streichquartett,  Klavierstiicke, 
Lieder  u,  v.a.)  weit  iiber  die  Grenzen  des  eng  Nationalen  hinausragt.  In  einer  Reihe  von  Werken 
werden  von  ihm  Volkslieder  in  gediegenster  Weise  hineingeflochten  und  verarbeitet;  von  seinen 
verschiedenen  Volksliederbearbeitungen  seien  die  von  ihm  herausgegebenen  ,,200  Volksweisen" 
mit  Klavierbegleitung  hervorgehoben.  Auch  Wihtols  lebte  bis  zum  Kriege  in  Rufi- 
land,  wurde  spa'ter  Operndirektor  in  Riga  und  1919  Griinder  und  Direktor  des  lett- 
landischen  staatlichen  Konservatoriums,  Em  hochbegabter,  interessanter  Kiinstler  ist 
Alfred  Kalnins  (geb.  1879),  Orgelvirtuose  und  Komponist  mit  stark  nationalem  Ein- 
schlage.  Er  verfaBte  Orchesterwerke  (,,Latwija",  ,,Meine  Heimat*',  ,,Heimatlied"),  Chor 
werke,  Lieder,  Klavierstucke,  Buhnenrnusiken  u.  a.  Als  altere  Komponisten  wa'ren  noch  zu 
nennen  Emils  DarzinK,  Jazeps  Me  dins  und  Emils  Melngails,  der  gleichzeitig  als 
Volksliedforscher  arbeitet. 

Aus  der  jiingeren  Musikcrgeneration  ragt  als  starkstes  Talent  Janis  Medims  (geb. 
1890)  hervor,  einer  der  moderngcrichtetsten  und  vielversprechendsten  lettischen  Ton- 
kunstler.  In  der  Komposition  Autodidakt ,  schrieb  er  bisher  eine  Symphonie,  die  sym- 
phonische  Dichtung  ,,Imanta",  eine  Suite  in  altem  Stil,  Kantate,  Cellokonzert,  Klavier 
stucke,  Lieder  u.  a, 

Das  Gebiet  der  drarnatischen  Musik  wird  bei  den  Letten  besonders  liebevoll  gcpflegt.  Die 
erste  lettische  Oper  ,,Spoku  stunda"  von  S.  Ozols  kam  1893  in  Riga  heraus.  Eine  Oper 
,,Rozainas  dienas'*  von  E.  Damns  blieb  unbeondet.  Der  Orgelvirtuose  und  Komponist 
Adam  Ore  schrieb  seine  Vokalwerke  (u.  a.  die  Oper  ,,Gunda")  noch  uber  dcuUche  Tcxtc. 
In  den  letzten  Vorkriegsjahrcn  kam  es  zu  einer  Reihe  von  Opernauffiihrungen  im  Lettischen 
Verein  zu  Riga  auf  Initiative  des  Dirigenten  Pawuls  Jurjans,  der  auch  die  Organisation  lettischer 
Symphoniekonzerte  betricb  und  nebcn  zahlrelchen  musikpadagogischen  Lehrbiichcrn  selbst 
eine  lyrische  Oper  ,,S^hrdeenite*'  und  eine  ,,Dramatische  Ouvcrture"  verfalite,  Wiihrend  cles 
Krieges  wurde  7-ur  Griindung  einer  lettischen  Operngesellschaft  geschritten,  Heute  ist  die 
daraus  entstandene  Nationaloper  in  Riga  ein  Kunstinstitut  ersten  Ranges,  als  deren  hervor- 
ragende  Dirigenten  Theodor  Reiters  und  jungst  Kmil  Cooper  zu  nennen  sind.  Seit  der  staal- 
lichen  Selbstandigkcit  sind  in  Riga  folgende  bcachtcnswerte  Opernwerke  zur  Auffiihrung  ge- 
kommen:  ,,BanjuU"  (1920)  und  ,,Salinickit4  (Die  Insulaner;  1925)  von  Alfred  Kalninw;  die 


1154 


Moderne:  Litauer 


Oper  ,,Uguns  un  nakts"  (Feuer  und  Nacht;  1921),  ,,Dievi  un  cilveki"  (Cotter  und  Menschen; 
1922)  und  ,,Spriditis"  (Daumling;  1925)  von  Jlnis  Medins;  zur  10.  Jahresfeier  der  Republik 
1927  ,,Waideloteu  (Die  Vestalin)  von  Jazeps  Medins. 

Literatur. 

Busch,  Nik.:  Zur  Geschichte  des  Rigaer  Musiklebens  im  1 7.  Jahrhundert  (Sitzungsber.  d.  Ges.  f.  Gesch.  u. 
Altertumskunde  a.  d.  J.  1910),  Riga  1911.—  Falck,  Paul  Th.:  Zur  Geschichte  der  Musik  im  Baltenlande,  Bait. 
Monatsschrift  Bd.  73,  1911,  und  Das  Kirchenlied  im  Baltenlande,  ebd.  Bd.  74,  1912.  —  Perl,  C.  J.:  Drei 
Musiker  des  17.  Jahrhunderts  in  Riga,  Zeitschr.  f.  Musikwiss.  I.  12,  1919.  —  Rudolph,  Moritz:  Rigaer 
Theater-  und  Tonkiinstler-Lexikon,  Riga  1890. 

Straumes,  Jahnis:  Muhsu  musikas  mahksleneeki,  Monografiski  apraksti  (Unsere  Musik-Kiinstler,  Mono- 
graphische  Deskriptionen),  Riga  1922.  Elmar  Arro. 


LITAUER 

Grundlagen  der  neueren  nationalen  Tonschulen  sind  die  uralten  Lieder  des  Volkes.  Die 
litauischen  Volkslieder  enthalten  manches  Charakteristische  und  Eigenartige  fiir  das  Ohr  eines 
Fremden,  ohne  daft  jedoch  diese  Eigenart  analytisch  leicht  feststellbar  ist.  Der  Umfang  der 
Lieder  ist  verschieden,  iibersteigt  aber  selten  eine  Oktave.  Die  Tonalitat  der  Melodien  lafit 
sich  nicht  ohne  weiteres  in  unser  Dur  und  Moll  einfassen,  am  ehesten  lieBe  sich  hier  noch  das 
griechische  Tonsystem  zugrunde  legen,  wobei  wohl  am  haufigsten  das  Hypodorische  und 
Aolische  anzutreffen  ware.  Dazwischen  treten  immer  wieder  unerwartet  und  iiberraschend 
Halbtonfolgen  auf.  Besonders  wechselvoll  ist  die  Rhythmik  der  Gesange.  Die  oft  nach  dem 
Prinzip  der  unendlichen  Melodic  litaneiartig  gegliederten  Strophenfolgen  (indem  der  Schlufi- 
ton  einer  melodischen  Phrase  durch  eine  dominantische  Wendung  wieder  zum  Anfangston 
zuriickleitet)  werden  in  ihrer  daraus  resultierenden  Einformigkeit  durch  standiges,  oft  auch 
textlich  bedingtes  rhythmisches  Variieren  gemildert.  Dieses,  wie  ebenfalls  eine  oft  in  Er- 
scheinung  tretende  psalmodierende  Deklamationsweise  (im  Charakter  jener  gewissen,  als 
typisch  slawisch  gekennzeichneten  monotonen  Schwermut)  diirften  wohl  phylogenetisch  als 
Uberreste  alterer,  primitiverer  Entwicklungsstufen  anzusehen  sein.  Obwohl  in  jiingeren  Zeiten 
die  Terzenbegleitung  durch  eine  zweite  Stimme  sehr  beliebt  wurde,  ist  das  litauische  Volks- 
lied  (jedenfalls  bis  in  das  18.  Jahrhundert)  einstimmig  gewesen.  Zur  Begleitung  des  Gesanges 
findet  sich  auch  hier  als  ,,kankles"  das  bei  den  Nachbarvolkern  am  siidlichen  Ostseestrand 
beliebte  Psalterium  im  Kantele-Typ  vor  (bei  den  Letten  ,,Kohkleu)-  Das  16.  und  17.  Jahr 
hundert  ist  als  die  Bliitezeit  der  wandernden  Volkssanger  und  Kanklesspielcr  anzusehen,  die 
die  Volkslieder,  die  sog.  ,,dainos",  miindlich  iiberlieferten.  Zahlreiche  Dainen  sind  aber  auch 
in  Niederschriften  aus  jenen  alteren  Zeiten  (u.  a.  in  verschiedenen  Kodizes)  erhalten. 

Von  Volksinstrumenten  finden  sich  bei  den  Litauern  neben  der  in  zwei  Formen,  einer 
grofieren  darmsaitigen  und  einer  kleineren  drahtsaitigen,  vertretenen  Kankles  noch  eine  Reihe 
von  Blasinstrumenten  vor:  eine  Trompete  .jtrimitas*'  (als  ehemaliges  Kriegsinstrument),  ein 
Horn  ,,ragas"  und  eine  Pfeife  ,,birbyne<4  (beides  angeblich  noch  Altarinstrumente  aus  dem 
heidnischen  Zeitalter),  eine  Querflb'te  ,,skudutis",  eine  Langflote  aus  Rohr  ,,skurduczei'\  eine 


Moderne :  Litauer  |  ]  55 


Pansflote  aus  12  Holzpfeifen  ,,skaudumas",  schlieBlich  als  ein  Streichinstrument  vom  Rebec- 
Typus  das  ,,birbininke". 

Infolge  der  zur  Zeit  der  Russenherrschaft  so  spat  erfolgten  Befreiung  des  Volkes  von  der 
Leibeigenschaft  beginnt  ein  volkisch-kultureller  Aufstieg  im  Lande  erst  in  den  80 er  Jahren 
des  vorigen  Jahrhunderts,  so  dafi  die  Litauer  unter  alien  ihren  Nachbarvolkern  am  spatesten 
zu  einer  nationalen  Kunstmusikpflege  gelangen.  In  den  Anfangen  derselben  tritt  vor  allem 
ein  starkes  Interesse  an  geistlicher  Musik  in  Erscheinung.  Als  Vorlaufer  hierzu  konnen  in 
alterer  Zeit  die  in  Litauen  gedruckten  lutherischen  Chorale  imd  die  Kirchenlieder  des  1 7.  Jahr 
hunderts  angesehen  werden.  Kalvaitis  (Organist  an  der  Kathedrale  zu  Kowno)  schreibt 
1886  die  erste  litauische  Messe,  J.Starka  um  die  Jahrhundertwende  eine  feierliche  Messe. 
Ein  Nachfolger  des  ersteren  an  der  gleichen  Kirche,  Juozas  Naujalis  (geb.  1869;  studierte 
u.  a.  an  der  kirchenmusikalischen  Hochschule  zu  Regensburg),  verfafite  einige  weitere  Messen 
(Casimir-Messe,  Messe  der  Jungfrau  Maria,  Missa  solemnis),  ein  Requiem,  Canti  sacri, 
Kirchenhymne,  und  gab  u.  a.  auch  ,,Dainos"  und  Orgelwerke  heraus;  gleichzeitig  griindete 
er  eine  Organistenschule  (die  nach  der  Reichsbegriindung  zur  staatlichen  Musikschule  wurde) 
und  setzte  sich  fur  die  Einfuhrung  des  gregorianischen  Kirchengesanges  in  Litauen  ein.  Der 
ihm  an  Bedeutung  gleichstehende  Theodor  Brazys  (geb.  1870,  Organist  und  Priester, 
studierte  noch  ab  1905  zu  Regensburg,  1907—17  Chorleiter  an  der  Kathedrale  zu  Wilna), 
ebenfalls  ein  Reformator  des  gregorianischen  Gesanges  in  Litauen,  schrieb  zahlreiche  Kirchen- 
musiken,  wie  z.  B.  einige  Messen,  Responsorien,  Vespern,  Kantaten,  ein  Tedeum,  Comple- 
torium  usw.  und  gab  eine  Liedersammlung,  ein  Gesangslehrbuch  und  eine  ,,Musiktheorie"  heraus. 
An  Choralsammlungen  erschienEnde  des  vorigen  Jahrhunderts  die  noch  unter  star kem  deutschen 
Einflufi  stehende  des  Ereminas;  eine  Sammlung  von  Choralen  ,,Litauische  Klange'*  veroffent- 
lichte  im  Jahre  1922  A.  Kacanauskas,  der  auch  Chore,  Lieder  und  Klavierstiicke  verfafite. 

In  zweiter  Linie  zeigt  sich  fur  die  Vokalmusik,  speziell  natiirlich  fur  die  heimatlichen  Dainen, 
ein  starkes  Interesse  der  schaf fenden  Kiinstler.  Gegen  Ende  des  1 9.  Jahrhunderts  erschien 
etwa  ein  halbes  Hundert  von  V.  Kudirka  als  Mannerchore  herausgegebener  Dainen  (dar- 
unter  die  jetzige  Staatshymne).  Kurz  darauf  fanden  eine  Reihe  anonym  verfafiter  gemischter 
Chorlieder  weite  VerbreHtung.  Auch  der  fur  die  litauische  Musik  bedeutsame  und  hoch* 
verdienstvolle  Naujalis  veroffentlichte  Chorlieder  und  griindete  in  Kowno  einen  Chor,  mit 
dem  er  unter  dem  Druck  der  politischen  Verhaltnisse  im  geheimen  iiben  muBte.  In  Amerika, 
unter  den  litauischen  Auswanderern,  wirkte  Miskas  Petrauskas  fiir  die  Chorpropaganda : 
er  ist  ein  vielgedruckter  Komponist  (auch  einiger  Operetten),  sein  Bruder  Kipras  ist  ein 
bekannter  Opernsanger  der  ehemaligen  russischen  Hofoper,  Mitbegriinder  der  litauischen 
staatlichen  Oper  im  Jahre  1921.  Auf  dem  Gebiete  des  Vokalschaffens  liegt  auch  die  Haupt- 
bedeutung  des  hochtalentvollen  Stasys  Simkus  (geb.  1887,  Schiller  Naujalis  und  der  Kon- 
servatorien  zu  Wilna,  Warschau  und  Petersburg):  er  hat  ca.  1000  Volkslieder  gesammelt,  war 
wahrend  des  Krieges  in  Amerika,  wo  er  eine  litauische  Musikzeitschrift  ,TMuzika"  herausgab, 
und  komponierte  zahlreiche  Chore  und  Lieder,  eine  Klaviersonate,  Klaviertrio,  Streich- 
quartett  und  die  Opern  »,Die  Zigeuner"  und  ,,Der  Auswanderer".  Juozas  Talat-Kelpna 
(geb.  1 888 ;  Organist,  spater  noch  Schiiler  am  Petersburger  Konservatorium  und  an  der  Berliner 
Hochschule,  dann  Direktor  der  Musikschule  und  Opernchef  zu  Kowno)  ist  hauptsachlich 
als  Volksliederbearbeiter  zu  werten,  gab  auch  eigene  Lieder  und  Chore  heraus  und  schrieb 


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eine  Orchestersuite  und  eine  Biihnenmusik.  Als  Vokalkomponisten  sind  des  weiteren  zu 
nennen:  Ceslovas  Sasnauskas  (u.a.  dieKantate  ,,Broliai"),  Juozas  2ilevicius  (Chore;  auch 
als  Musikschriftsteller  tatig,  unterhalt  ein  1923  gegriindetes  Symphonieorchester),  J.  Guda- 
vicius  (Chore  und  Lieder)  und  schliefilich  J.  Gruodis  (Chore  und  Klavierwerke),  der  als 
einziger  der  litauischen  Musiker  neben  der  Verarbeitung  von  Volksmotiven  modernistischen 
Tendenzen  huldigt.  Als  Instrumentalkomponist  wirkte  Ciurlionis,  dessen  Symphonien 
und  Klavierwerke  leider  Manuskript  blieben. 

Literatur 

In  deiitscher  Sprache  erschienene  und  benutzte  Literatur:  Gerhard,  C.:  Die  Volkspoesie  der  Litauer,  Neue 
Musikzeitung  1893,  Nr.  2 — 3.  —  Sachs,  Curt:  Die  litauischen  Musikinstrumente,  Intern.  Arch.  f.  Ethno 
graphic  1916. —  Einstein,  Alfred:  Das  Neue Musiklexikon,  1926. —  Greiser,  Wolfgang:  Litauische  Musik, 
Musik  XXI,  5,  1929.  Elmar  Arro. 


TSCHECHOSLOWAKEN 

BC)HMEN.  Der  Schopfer  der  modernen  tschechischen  Musik  ist  Friedrich  (Bedrich)  Sme- 
tana  (1824 — 84).  Seine  Grofie  liegt  in  der  Erreichung  der  Hohe  seiner  Bestrebungen 
und  in  der  Harmonic  seiner  Fahigkeiten.  Sein  Hauptlebenswerk  bildet  allerdings  seine  Kompo- 
nistentatigkeit,  jedoch  gesellten  sich  dazu  noch  weitere:  seine  Dirigenten-  und  seine  literarische 
und  virtuose  Betatigung.  Smetana  hat  durch  Organisierung  einer  Konzertbewegung  in  Prag 
die  reproduktive  Kunst  auf  ein  die  strengste  Kritik  vertragendes  Mafi  gehoben.  Dadurch 
half  er  das  Publikum  nicht  nur  musikalisch,  sondern  auch  gesellschaftlich  zu  erziehen.  Als 
Korrespondent  der  Zeitschrift  ,,Slavoj"  und  als  Musikreferent  der  ,,Narodni  lisiy"  fiihrte 
er  einen  erbitterten  Kampf  gegen  den  italienischen  Opernschlendrian  und  fur  die  Verwirk- 
lichung  des  Musikdramas.  Als  Dirigent  des  Gesangvereines  ,,Hlahol"  hob  er  das  Niveau  auch 
der  iibrigen  Gesangsvereinigungen  in  Bohmen,  denen  der  Prager  ,,HIahor  als  Muster  diente. 
In  der  Fremde  genofi  er  einen  klangvollen  Namen  als  Klaviervirtuose  und  als  Dirigent  sym- 
phonischer  Konzerte,  besonders  in  Goteborg.  Endlich  sehen  wir  ihn  mit  grofiem  Erfolg  am 
Dirigentenpult  im  Prager  Interimstheater  tatig.  Dennoch  gait  er  in  seinem  Vaterlande  nicht 
als  Prophet;  man  verstand  ihn  nicht.  Seine  Oper  ,,Dalibor"  fand  eher  Widerstand  als  Be- 
geisterung,  denn  eine  feindliche  Partei  (Pivoda)  witterte  in  ihm  Wagnerianismus  und  Deutsch- 
turn.  Aber  Smetana  ist  kein  Wagnerepigone,  steht  eher  im  Gegensatz  zu  Wagner.  Smetana 
reprasentiert  den  tschechischen  Volkstypus.  In  seiner  symphonischen  Dichtung  ,,Mein  Vater- 
land"  nahert  er  das  Heldentum  der  grauen  Vorzeit  der  Gegenwart,  weckt  das  Nationalbewufit- 
sein  und  das  Vertrauen  in  die  Zukunft.  In  der  Oper  ,,Libuse*'  ist  er  selbst  der  Prophet, 
welcher  dem  tschechischen  Volke  eine  glanzende  Zukunft  weissagt  Desgleichen  ist  der 
tschechische  Humor  ein  spezifischer  Teil  von  Smetanas  Musik.  Bohmische  Polkas  und  boh- 
mische  Tanze  schakern  in  launigen  Weisen.  Smetanas  Humor  ist  verschieden  von  jencm 
Mozarts,  so  in  seinen  komischen  Opern  ,,Prodana  nevesta  *  (,,Verkaufte  Braut*'),  ,,HubickaA* 
(,,Der  Ku6").  Beide  sind  durchleuchtet  von  einer  zauberhaften  Lyrik  und  getrankt  mit  dem 
einfachen  Gesang  des  Volkes.  In  seiner  Oper  ,,Dve  vdovy"  (,,Zwei  Witwen")  kontrastiert 
reizvoll  der  salonmafiige  Konversationston  mit  dem  herzlichen  Tone  des  Landlebens  und  in 


Moderne:  Tschechoslo waken  1 157 


seiner  Oper  ,,Tajemstvi"  (,,Geheimnis")  entwickelt  er  mit  einem  Hauch  von  Romantik  alle 
Qualitaten,  die  man  schon  in  seinen  friiheren  Werken  findet.  Speziell  mittels  der  Polyphonic 
vermag  er  dem  tschechischen  Humor  charakteristischen  Ausdruck  zu  geben.  In  seiner  Oper 
,,Certova  stena"  (,,Teufelswand")  weicht  Smetana  von  der  bisherigen  Linie  der  komischen 
Oper  ab  und  fligt  dem  Humor  parodistische  Tone  bei.  Sein  Quartett  ,,Z  meho  zivota"  (,,Aus 
meinem  Leben")  bedeutet  in  seiner  Stellung  innerhalb  der  tschechischen  Kammermusik 
dasselbe,  was  die  Oper  ,,Libuse"  auf  dem  Gebiete  der  Opernschopfung.  Auch  in  jenen  Schop- 
fungen,  in  denen  Smetana  seinem  Conner  Liszt  —  ,, Richard  der  III.",  ,,VaIdstyniiv  tabor" 
(,,Wallensteins  Lager")  und  ,,Hakon  Jarl"  —  seine  Dankbarkeit  zum  Ausdruck  bringt  und 
gegen  sein  Lebensende,  da  sein  Talent  gebrochen  erscheint  und  er  dennoch  eine  Oper, ,, Viola" 
und  eine  Orchestersuite  ,,Prager  Karneval"  (,,Prazsky  Karneval")  schreibt,  kommt  sein  Genie 
zum  Vorschein,  so  auch  in  dem  zweiten  Quartette  aus  dem  Jahre  1883,  welches  programm- 
mafiig  dem  ersten  angegliedert  ist.  Sein  aufieres  Schicksal,  so  seine  Ertaubung,  ahnelt  dem 
des  groBen  Beethoven.  Das  tschechische  Volk  bezeichnet  Smetanas  Musik  als  Nationaleigen- 
tum  und  in  der  heimischen  Musikwelt  nimmt  sie  den  ersten  Rang  ein. 

Antonin  Dvorak  (1841 — 1904)  hatte  in  der  Heimat  seinen  ersten  Erfolg  erst  in  seinem 
30.  Jahr,  den  er  durch  seinen  ,,Hymnus"  fur  gemischten  Chor  und  Orchester  errang.  Als 
ein  Vierziger  fand  er  grofie  Anerkennung  in  England  durch  seine  Oratorien  und  Kirchen- 
kompositionen.  In  seinem  50.'Lebensjahr  ist  er  der  weltberiihmte  Komponist  und  erklimmt 
den  hochsten  Gipfel  seines  Ruhmes.  In  seinen  Schopfungen  verlegt  Dvorak  den  Schwerpunkt 
auf  die  absolute  Musik,  worm  er  sich  wesentlich  von  Smetana  unterscheidet.  In  der  absoluten 
Musik  und  besonders  in  der  Symphonic  und  Kammermusik  kniipft  er  an  die  Tradition  der 
Klassiker  und  Romantiker  an  und  bringt  einen  nationalen  Einschlag  in  ihre  Formen.  Ins- 
besondere  finden  wir  dies  in  seiner  Symphonic  ,,Z  nove"ho  sveta"  (,,Aus  der  neuen  Welt"), 
worin  er  einen  glanzenden  Reichtum  von  rhythmischen  und  orchestralen  Kunstmitteln  zur 
Schau  stellt  Als  Symphonien  im  kleinen  Mafie  erscheinen  seine  ,,Suite"  im  Tanzrhythmus 
und  seine  ,,Slovanske  tance"  (,,Slavische  Tanze"),  welche  urspriinglich  fur  Klavier  vier- 
handig  komponiert  wurden.  Es  sind  dies  keine  Paraphrasen  bestimmter  Volksweisen,  sondern 
freie  Fantasien  iiber  Tanzmotive  aus  tschechischen,  slovakischen,  kleinrussischen  und  jugo- 
slavischen  Tanzmelodien.  Als  tschechischer  Tanztypus  kommt  der  ,,Furiant"  zur  Geltung 
und  dies  nicht  nur  in  den  ,,Slavischen  Tanzen",  sondern  auch  in  den  Symphonien.  Nebst 
symphonischen  Werken  in  zyklischen  Formen  kultiviert  er  die  Ouvertiire  in  Sonatenform  und  im 
Syrnphoniestil,  letztere  nicht  nur  als  einen  Opernbestandteil,  sondern  auch  als  selbstandiges 
Konzertstiick.  Die  zurEroffnung  des  Nationaltheaters  komponierte  ,,Hussitenouvertiire"  tragt 
tschechisches  Geprage.  Hingegen  sind ,,V  pffrode"  (,In  der  Natur"),  MKameval",  T,0thello" 
Schopfungen,  welche  die  Natur,  das  Leben  und  die  Liebe  zum  Gegenstand  haben.  In  der 
Kammermusik  folgt  er  den  Spuren  von  Beethoven  und  Brahms.  Eine  Sondererscheinung  ist 
eine  Reihe  von  ,,6  Dumkas"  (MDumky ')  fur  Klavier,  Violine  und  Cello.  In  der  dramatischen 
Musik  nahert  sich  Dvoraks  Individualitat  der  Neuromantik  Wagners  und  Liszts:  ,,Kr£l 
a  uhltf"  (,,Der  Kdnig  und  der  Kohler14).  ^Spater  zeigt  er  Neigung  zu  den  Opern  von  Mozart 
und  Lortzing.  Er  befleifiigt  sich  dabei  einer  Verbindung  einzelner  Szenen  durch  eine  ge- 
schlossene  Szenenform  und  belebt  seine  Tonschopfungen  durch  den  Geist  der  tschechischen 
-  nach  dem  Vorgang  Smetanas:  ,,§elma  sedlak"  (,,Der  Bauer  ein  Schelm").  Spater 


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nahert  er  sich  der  Tradition  der  grofien  Meyerbeerschen  Oper  (,,Dimitrij",  ,Jakobin"),  und 
sucht  in  seinen  letzten  Opern  den  Anforderungen  des  modernen  dramatischen  Stiles  zu  ent- 
sprechen,  und  zwar  in  den  Neubearbeitungen  von  ,,Dimitrij"  und  ,,Cert  a  kaca"  (,,Die  Teufels- 
kathe"),  ferner  in  ,,Armida"  und  besonders  in  der  ,,Rusalka",  die  seine  Absichten  verwirk- 
lichen.  In  der  letztgenannten  Oper  kommt  seinen  Fahigkeiten  das  gute  Libretto  von  Kvapil 
entgegen.  Seine  religiose  Begeisterung  brachte  Dvorak  auf  ein  von  andern  gemiedenes  Feld, 
zur  Kantate  und  zum  Oratorium :  ,}Stabat  Mater",  ,,Sv.  Ludmila",  ,,Requiem",  ,,Tedeum" 
und  die  ,,Geisterbraut". 

Zdenko  Fibich  (1850 — 1900),  der  dritte  von  den  verewigten  Schopfern  der  tschechischen 
modernen  Musik,  ist  ein  Anhanger  der  Wagnerreform,  jedoch  immer  bestrebt,  das  eigene 
Geprage  zu  wahren.  Er  baut  das  moderne  tschechische  Musikdrama  und  das  szenische  Melo 
drama  auf  und  geht  andere  Wege  als  Smetana  und  Dvorak,  welche  bestrebt  waren,  musika- 
lische  Schopfungen  als  Ausdruck  der  slavischen  Rasse  zu  bringen,  wie  es  damals  die  Zeit 
und  der  politische  Kampf  um  die  Erhaltuhg  des  Slaventums  erforderten.  Fibich  stellte  sich 
schon  mehr  aufierhalb  des  Romantisch-Nationalen  und  schlug  eine  andere  Richtung  ein,  eine 
kosmopolitische,  auch  in  der  Wahl  der  Stoffe.  Er  fand  sie  bei  Schiller,  Shakespeare,  Byron  und 
auch  in  derAntike,  so  in  der  Trilogie  ,,Hippodamie",  doch  vernachlassigte  er  die  tschechische 
Geschichte  nicht,  so  in  seinen  Opern  ,,§arka"  und  ,,Pad  Arkuna"  (,,Der  Fall  Arkonas"),  die 
der  Geschichte  der  Elbeslaven  entnommen  sind.  Alle  diese  so  verschieden  gewahlten  Texte 
sind  vornehmlich  ein  Ausdruck  seines  inneren,  subjektiven  Lebens,  in  dem  die  Hauptrolle 
das  Weib  und  die  Natur  spielen.  Sein  Gedankenreichtum  und  sein  LebensprozeB  spiegeln 
sich  in  seinen  wunderbar  gezeichneten  Frauengestalten  in  den  Opern  ,,Die  Braut  von  Messina", 
,,Trilogie",  ,,Heda"  und  ,,Der  Fall  Arkonas"  wider.  Nebst  engelhaften  und  nebst  damo- 
nischen  Frauengestalten  ist  es  hauptsachlich  die  Natur,  welche  ihn,  den  auf  dem  Lande  erzoge*- 
nen  Forsterssohn,  ganz  besonders  fesselt.  Er  interessiert  sich  auch  nach  Bendl  und  Dvorak 
fur  die  Ballade,  welche  er  entweder  in  Form  des  Melodramas  (,,Der  Wassermann",  ,,Hakon"), 
oder  in  Form  der  symphonischen  Dichtung  behandelt.  Im  Anschlufi  an  Schumann  erzielt 
er  in  Klavierkompositionen  einen  ergreifenden  Ton  und  Intimitat.  Hier  besingt  er  die  Natur 
(,,Aus  den  Bergen")  und  entfaltet  seine  inneren  ,,Stimmungen,  Eindriicke  und  Erinnerungen" 
(352  Klavierkompositionen).  Ein  intimer  lyrischer  Zauber  aufiert  sich  auch  in  seinen  Liedern. 

Der  alteste  lebende  tschechische  Komponist  ist  J.  B.  Foerster  (geb.  1859).  Sein 
Grundmerkmal  ist  der  Subjektivismus,  in  welchem  der  Kiinstler  sich  selbst  zum  Objekt 
wird.  Auch  im  Drama  dramatisiert  Foerster  sich  selbst.  Seine  Symphonic  ist  ein  Drama  und 
seine  Oper  eine  dramatisierte  Syrrfphonie.  Den  Ausgangspunkt  und  den  Mittelpunkt  seiner 
Werke  bildet  das  psychologische  Problem.  Dadurch  unterscheidet  er  sich  von  Smetana, 
welcher  ein  objektiver  Dramatiker  nach  dem  Schlage  Glucks  war,  und  er  lost  in  seinem  Sub 
jektivismus  psychologische  Probleme  des  gegebenen  Operntextes,  welchen  er  oft  selbst  ge- 
schrieben  hat.  In  seiner  Lyrik  schliefit  er  sich  Fibich  an.  Das  Geheimnis  seiner  Schopfungen 
bildet  die  reine  Liebe  zu  allem,  was  erhaben  ist.  Er  liebt  seine  Mutter  als  das  reinste  Weib, 
er  liebt  die  Schonheit  seines  Vaterlandes,  er  liebt  die  Natur,  er  verneigt  sich  vor  Gott, 
aber  anders  als  Dvorak  (,,Stabat  Mater",  ,,Hymnus  der  Engel",  ,,Getsemane",  III.  und 
IV.  Symphonic).  In  den  Opern  verlegt  er  den  dramatischen  Schwerpunkt  von  den  aufieren 
Geschehnissen  in  das  Innere  der  handelnden  Personen.  In  dieser  Richtung  bewegen  sich  alle 


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semeOpern:  ,,Debora",  ,,Eva",  ,Jessika",  ,,Nepremozenf '  (,,Die  Uniiberwundenen")  und  die 
letzte  Oper:  ,,Srdce"  (,,Herz4').  Eben  als  Opernkomponist  wird  er  zum  Schopfer  des  psycho- 
losrischen  Dramas,  und  im  Vokalstil  bringt  er  besonders  neue  Akzente  in  die  Mannerchor- 
literatur.  Im  Liede  ahnelt  er  zumeist  Hugo  Wolf  und  versteht  es,  solche  Texte  zu  wahlen, 
in  denen  er  am  besten  das  eigene  Innere  schildern  kann.  Sein  letztes  groBes  Werk  ist  das 
Oratorium  ,,Svaty  Vaclas"  (Der  hi.  Wenzeslaus)  1929.  In  seiner  vielfachen  Tatigkeit  kommt 
er  Smetana  nahe,  obwohl  seine  Lebensverhaltnisse  anders  waren.  Stiinde  er  nicht  an  hervor- 
ragender  Stelle  als  Komponist,  neben  seinen  Zeitgenossen  in  Bb'hmen,  so  wiirde  er  eine  ehren- 
volle  Erwahnung  als  literarischer  Essayist,  als  padagogischer  Fiihrer,  als  Professor  und  Rektor 
des  Prager  Konservatoriums  finden.  Die  Charakteristik  seines  Lebens  und  seines  Schaffens 
bezeichnet  am  besten  das  seiner  Autobiographic  eingefugte  Motto:  ,,Das  schnellste  Pferd, 
das  dich  zur  Vollkommenheit  bringt,  ist  der  Schmerz."  Und  eben  in  dieser  Lebenslinie  unter- 
scheidet  er  sich  am  scharfsten  von  seinem  jiingeren  Kollegen  Vitezslav  Novak. 

Novak  wurde  imjahre  1870  geboren.  Seine  Tatigkeit  als  junger  Komponist  leitet  dieOppo- 
sitionsara  gegen  die  altere,  schon  aussterbende  Generation  ein.  Noch  in  seiner  ersten  Jugend 
neigt  er  zum  Romantizismus.  Die  Einfliisse  von  Schubert,  Liszt  und  Byron  zeigen  sich  in  der 
Programmouvertiire  ,,Korsar"  und  in  der  ,,Ballade",  op.  2  (Byrons  ,,Manfred")-  Er  lehnte  sich 
an  die  intime  Lyrik  Dvoraks  an,  und  dies  zeigt  sich  insbesondere  in  seinen  ersten  Liedern 
(,,Das  Marchen  des  Herzens")  und  in  seinen  Klavierwerken  (Zyklus  ,,In  der  Dammerung", 
op.  13,  ,,Eklogen4',  op.  11,  ,,Barcarole",  op.  10,  und  ,,Bagatellen",  op.  5).  Auch  an  Brahms, 
bei  welchem  er  durch  seinen  Lehrer  Dvorak  eingefiihrt  wurde,  sucht  er  Anlehnung,  doch  ver- 
lafit  er  den  Weg  seines  Lehrers,  weil  ihm  der  unmittelbare  musikalische  Ausdruck  fremd  ist. 
Hingegen  zieht  ihn  Brahms'  Intellektualismus  an,  welcher  besonders  in  seinen  Kammermusik- 
werken  zutage  tritt  (Klavierquartett  C-Moll,  op.  7  und  Klavierquintett,  A-Moll,  op.  12).  Zu 
diesem  Intellektualismus,  welcher  bald  ein  ironisches  Geprage  annimmt,  kommt  noch  sein 
eigener  Erotismus,  ohne  jedoch  den  Ironiker  jemals  zu  verleugnen,  was  klar  aus  seiner  Klavier- 
serenade  und  aus  seiner  Serenade  fur  kleines  Orchester  hervorgeht.  Doch  bald  entzieht  sich 
Novak  Brahms' und  TschaikowskysEinflufi  und  spezialisiert  seine  Ausdrucksmittel  durch  dieEin- 
driicke  aus  Mahren  und  der  Slowakei.  Einen  mahrischen  Einschlag  weist  ein  Zyklus  von  4 Balladen 
(,,Ranosa",  ,,Zakleta  dcera",  ,,Vrazedny  mily",  ,,Nescastna  vojna")  for  gemischten  Chor  und 
Orchesterbegleitung  auf.  Slowakischen  Charakter  zeigen  ferner  seine  ,,Slowakische  Suite**, 
sein  Streichquartett  in  G-Dur,  op.  22,  insbesondere  die  ,,Sonata  Eroica**,  op.  24,  und  seine 
symphonische  Dichtung  ,,In  der  Tatra**,  op.  26.  Das  letztgenannte  Werk  bildet  zugleich  einen 
Ubergang  von  der  slowakischen  Periode  des  Meisters  zur  Periode  des  Impressionismus.  Diese 
neue  Richtung  verfolgen  auch  seine  symphonischen  Dichtungen  ,,0  vecne  touze"  (,,Von  ewiger 
Sehnsucht")  und  ,Toman  a  lesni  pana**  (,,Toman  und  die  Waldfee")  und  seine  Lieder. 
Gesteigert  ist  Novaks  Impressionismus  in  seinem  ,,SturnV'  (,,Boure"),  einer  Meeresphan- 
tasie  fiir  grofies  Orchester,  Solostimmen  und  gemischten  Chor  auf  die  Worte  von  Svatopluk 
Cech  (op.  42).  Es  ist  dies  ein  Werk  von  glanzender  Kantatenform,  worin  Novak  es  verstanden 
hat,  die  dramatischen  Momente  elementar  hervorzuheben.  Mit  alien  zur  Verfugung  stehenden 
musikalischen  Mitteln  schildert  er  hier  den  endlichen  Untergang  derjenigen,  die  sich  Wellen 
anvertrauen.  Als  Gegensatz  zu  diesem  machtig  konzipierten  Werke  stellt  Novak  ,,Pan"  (op.  43) 
auf,  ein  Kunstwerk  von  feinster  Intimitat.  Hier  schildert  der  Autor  sich  selbst,  seine  Liebe 


I  ]  50  Moderne :  Tschechoslowaken 


zum  Meer,  zu  den  Bergen  und  zum  Weibe.  Hier  konzentriert  er  seine  impressionistische 
Kunst  und  druckt  sie  ursprunglich  durch  das  Klavier  aus  (spater  instrumentiert).  Das  Werk 
ist  gewissermafien  das  Ideenresultat  der  friiher  geschriebenen  Werke.  Im  ,, Sturm* *  und 
,,Pan"  gelangt  Novak  auf  den  Gipfelpunkt  seiner  impressionistischen  Kunst.  In  der  Kan- 
tate  ,,Die  Totenbraut",  op.  48,  will  er  Neues  aufstellen  gegeniiber  Dvorak,  welcher  den 
gleichen  Stoff  komponiert  hatte.  Endlich  entschlieBt  sich  Novak  zu  einer  Opernkomposition. 
Er  wahlt  ein  launiges  Libretto,  ,,Zvikovsky  rarasek"  (,,Der  Burgkobold"),  worin  er  sein  gliick- 
liches,  zufriedenes  Familienleben  zum  Ausdruck  bringen  will.  Es  ist  dies  sein  letztes  Werk 
aus  der  Periode  des  Impressionismus.  Wahrend  des  Krieges  finden  bei  Novak  patriotische 
Motive  Widerhall  (die  Oper  ,,Karlstein",  op.  50).  Die  gleiche  Tendenz  finden  wir  auch  in 
seinen  kleineren  Vokalkompositionen,  welche  er  dem  Reprasentanten  des  Staates  und  den- 
jenigen,  die  ihn  aufgebaut  haben,  widmet.  Zu  Novaks  dramatischen  Werken  der  letzten  Zeit 
gehort  das  vieraktige  musikalische  Marchen  ,,Lucerna"  (Die  Laterne),1923,  ein  lyrisches  Sing- 
spiel,  ferner  ,,Deduv  odkaz"  (Grofivaters  Vermachtnis),  1926,  dessen  Handlung  auf  die  Slowakei 
lokalisiert  wurde,  und  zwei  Pantomimen,  1 928.  Er  setzt  die  Harmonisierung  des  slowakischen 
Liedes  aus  der  Sammlung  (Manuskript)  von  Plicka  fort,  wo  in  der  Klavierbegleitung  der 
Geist  des  Volkssangers  zum  Ausdruck  kommt.  Novaks  ganzer  Charakter,  die  Leiden  seiner 
Jugend  und  die  Existenzkampfe  aufiern  sich  als  Neigung  zur  Melancholic,  zum  bitteren  Humor, 
zur  Ironie  und  Eruptivitat  in  alien  seinen  Werken.  Sein  Kennzeichen  ist  Kontrast,  Pragnanz 
der  Auffassung,  Mannigfaltigkeit  und  Sicherheit  im  Charakterisieren  von  Personen  und 
Situationen.  Dadurch  unterscheidet  er  sich  wesentlich  von  Dvorak  und  J.  B,  Foerster. 

In  einem  gewissen  Gegensatz  zu  dem  Philosophen  und  Rationalisten  Novak  steht  das  Mit- 
glied  des  ,,Bohmischen  Quartettes",  Josef  Suk  (geb.  1874),  ein  feiner  Lyriker,  wie  solche 
in  der  franzosischen  Schule  zu  finden  sind.  Hatte  sich  Novak  von  seinem  Lehrer  Dvorak  ent- 
fernt,  so  sehen  wir  Suk,  welcher  eine  Tochter  Dvoraks  ehelichte,  nahe  an  Dvorak  in  der  Breite 
der  Melodik  und  den  lyrischen  Passagen  verbleiben.  Suk  will  im  Anschlufi  an  Beethoven, 
Brahms  und  Dvorak  zeigen,  dafi  er  ein  geborener  Polyphoniker  ist  (sein  Jugendwerk ,, Serenade 
fur  Streichorchester").  Und  aus  dieser  Polyphonic  entstehen  iiberraschende  harmonische 
Folgen,  weich  und  vertraumt  klingend.  Und  eben  durch  diese  ertraumte  Welt  von  weicher, 
siifier  Schonheit  unterscheidet  sich  der  Meister  von  der  Realitat  Dvorakscher  Farben,  voll  von 
sprudelndem  Leben.  Diese  weiche  Lyrik  spiegelt  sich  hauptsachlich  in  seinen  Werken  ,,Stim- 
mungsbilder",  ,,Wiegenlieder",  ,,Sommereindrucke",  ,,Suite"  und  ,,Vom  Mtitterchen".  Er 
findet  Gefallen  an  dem  gleichgestimmten  tschechischen  Dichter  Zeyer  und  komponiert 
die  Musik  zu  dessen  Marchen  ,,Raduz  und  Mahulena".  Auch  seine  Schauspielmusik  zur 
,,Legende  vom  Apfelbaum"  (op.  20)  ist  eine  musikalische  Illustration  Zeyerscher  Verse,  in 
Wirklichkeit  aber  ein  Hymnus  auf  das  Familiengliick.  Seine  Klavierzyklen  ,,Fruhlingt4  und 
,,Sommereindrucke"  bilden  die  Fortsetzung  hiervon.  So  schafft  der  Meister  in  seiner  Jugend 
unberiihrt  von  Schmerz.  Aber  auch  ihm  bleibt  er  nicht  erspart.  Schwer  getroffen  wird  er 
durch  seines  Meisters  und  seiner  Frau  Tod.  Die  Trauersymphonie  ,,Asraer  (op.  27)  besingt 
die  Majestat  des  Todes,  welche  das  Liebste  hinwegrafft.  Er  sehnt  sich  nicht  nur  riach  denen, 
die  ihn  auf  immer  verliefien,  auch  nach  Prag  *st  ihm  bange:  symphonische  Dichtung  ,,Praga" 
(op.  26).  Seine  weiteren  symphonischen  Werke  ,,Pohadka  leta"  (,,Sommermarchenu)  und 
,,Zrani"  (,,Das  Reifen",  op.  35)  sind  voll  ausgereifte  Werke.  In  der  Kriegszeit  rief  eine  Be- 


Moderne :  Tschechoslo waken  1161 


geisterung  seine  ,,Meditation  auf  den  St.  Wenzeslaus-Choral"  fur  Streichquartett  (oder 
Orchester)  hervor. 

Nebst  den  Genannten  wirkte  vor  dem  Umsturz  am  Prager  Konservatorium  Karel  Stecker 
(186 1  —  1 91 8)  als  Kompositionslehrer  in  der  Orgelabteilung,  mit  dem  Hauptaugenmerk  auf 
die  Kirchenmusik  in  reformiertem  Geiste  der  vokalen  Polyphonic  (Orgelsonate,  Missa  solemnis, 
Requiem,  Te  Deum,*  Motetten).  Zu  seinen  Schiilern  gehort  Ludvik  Vitezslav  Celansky, 
geb.  1870,  welcher  sich  in  der  letzten  Zeit  der  spiritualen  Richtung  zuwendet  (Die  Trilogie 
Adam,  Noe,  Moses,  Hold  slunci  —  Huldigung  an  die  Sonne),  Jaroslav  Kricka,  geb.  1882 
(nebst  witzigen  Liedchen  und  Parodien  eine  breit  angelegte  Kantate  Pokuseni,  die  Ver- 
suchung,und  die  symphonische  Dichtung  Adventus).  Kricka  zeigt  eine  lebhafte  Aufnahms- 
fahigkeit  fiir  Elemente  und  Richtungen  der  Weltliteratur.  Aus  Steckers  Schule  ist  auch  der 
fruhzeitig  verstorbene  Jaroslav  Jeremias  (1889— 1916),  der  Autor  des  Oratoriums  Jan  Hus, 
hervorgegangen. 

Smetana  hat  durch  gliickliche  Ausnutzung  von  weltmusikalischen  Mitteln  im  Rahmen  der 
Neoromantik,  doch  im  tschechischen  Geiste,  den  Grund  zur  heimatlichen  musikalischen 
Tradition  gelegt.  Direkte  Schiller  hatte  er  nicht,  denn  es  blieben  ihm  die  Tore  des  Prager 
Konservatoriums  verschlossen.  Dvorak  hat  als  Lehrer  der  {Composition  eine  ganze  Reihe 
von  Schiilern  gehabt :  Vitezslav  Novak,  Josef  Suk,  0.  Hornik,  Oskar  Nedbal,  Rudolf 
Karel  und  Frantisek  Spilka.  Die  Fiihrung  der  neuen  Generation  ubernahm  Vitezslav  Novak. 
Er  bildete  eine  Reihe  von  Schiilern  aus,  welche  die  strenge  Erudition  der  Kompositionstechnik 
des  vielseitigen  Schaffens  ihres  Meisters  in  sich  aufnehmend,  ihre  eigene  Richtung  einschlugen. 
LadislavVycpalek,  geb.  1882,  blieb  der  logischen  Konstruktion,  welche  er  in  der  mahrischen 
Ara  von  Novak  fand,  treu.  Die  Polyphonic  spielend  beherrschend,  verblieb  er  in  der  Diatonik. 
Seine  Krafte  weiht  er  dem  Liede  und  der  Kantate  in  religiosem  Stile.  Seine  Kantate  ,,0  posled- 
nich  vecech  8loveka"  (,,Vonden  letzten  Dingen  desMenscheni4)hat  einen  Wiederhall  auf  dem 
internationalen  Festival  in  Prag  und  auch  in  der  Fremde  gefunden.  Boleslav  Vomacka, 
geb.  1887,  einst  ein  getreuer  Bekenner  von  Nov&ks  Chromatik,  schreitet  parallel  mit  Vycpalek 
in  der  Diatonik  in  seiner  Kantate  ,,2ivf  mrtvjrirT  (,,Die  Lebenden  den  Toteni>ndim,,Lieder- 
zyklus  1914".  Der  schaffensreiche  Jindrich  bietet  ein  Pendant  zu  Novaks  Impressionisms 
und  kniipft  hierbei  an  dieVolkstradition  der  Choden  an.  Otakar  Jeremias,  geb J 892,  schreibt 
ahnlich  wie  JanAfiek  sozial  eingestellte  Chore  (,,Celove6erni  Cyclus  Zborov",  Zyklus  von 
Chdren  Zborov)  und  nebst  zahlreichen  Symphonic-  und  Kammerwerken  die  Oper  ,,Die  Briider 
Karamasoff",  das  Sujet  von  Dostojewsky  1929.  Er  wird  von  Smetanas  Geiste  beeinflufit. 
Der  Direktor  des  Brtinner  staatlichen  Konservatorium,  Jan  Kunc,  geb.  1883,  lehnt  sich 
an  Novak  an  (Ostrava),  er  bringt  in  geeigneter  Art  die  mahrische  Volkspoesie  zum  Ausdruck. 
Auch  Werke  von  groBerem  Umfang  hat  er  herausgegeben  (,,Siebzigtausend"  fur  Chore ^und 
Orchester,  die  symphonische  Dichtung  ,,Pisen  mladi",  Das  Lied  der  Jugend,  ,,Z  prazdnJn44  21 , 
Aus  den  Ferien),  Vaclav  fitepan,  geb.  1889,  zeigt  in  seiner  Kammermusik  den  Einflufi 
seines  Lehrers  und  das  Studiurn  der  gleichzeitigen  franzosischen  Musik  (Klavierquartett, 
Streichsextettop.  1  If  5 Hefte von Bearbeitungen tschechischer Lieder).  K.B.  Jirik, geb.  1891, 
ein  Schiller  von  Novik  undFoerster,  errang  sich  bald  unter  den  ersten  Komponisten  der  jungen 
Generation  durch  seine  Werke  (die  Oper  Apollonius  von  Tyana,  2  Symphonien,  Psalm  23, 
Liederzyklen,  Streichquartett  c-Moll)  einen  hervorragenden  Platz.  Seine  Musik  weist  bei 


Moderne:  Tschechoslowaken 


allem  modernen  Stil  und  bei  aller  Polyphonic  einen  gesunden  tschechischen  Kern  auf.  Emil 
Axmann,  geb.  1887,  bringt  sich  durch  Kantaten  (Balada  o  ocich  topicovych,  Die  Ballade 
von  den  Augen  des  Heizers),  durch  Symphonien  sowie  durch  Mannerchore  im  mahrischen 
Schlag  auf  dem  internationalen  Forum  zur  Geltung.  Otakar  Zitek,  geb.  1892,  Operndramaturg 
und  nach  Neumann  Direktor  des  Brunner  Nationaltheaters,  widmet  sich  der  Opernkomposition. 
Alois  Haba,  geb.  1893,  ging  zwar  auch  aus  Novaks  Schule  hervor,  doch  wurde  er  in  der 
Theorie  und  Praxis  Bahnbrecher  des  Vierteltonsystems.  Er  verwendet  melodisch  und  har- 
monisch  die  Vierteltoneinteilung  und  in  neuester  Zeit  die  Sechsteltoneinteilung.  Ihm  zur 
Seite  steht  sein  Bruder  Karel  Haba. 

Auch  die  jiingste  Generation  weist  viele  Vertreter  der  Novakischen  Schule  auf.  Es  sind 
dies  der  Dirigent  Aim,  Blaha  Mikes s,  Miroslav  Krejci  (Violinsonate,  Orgelpraludium  und 
Fuge,  funfstimmige  Messe  ohne  Credo,  Caniculae  polyphonicae,  Suite  fur  Orchester  Konig 
Uvra),  ferner  der  Dirigent  Vidav  Kilfk,  geb.  1891 ,  der  in  Amerika  lebende  Vladimir  Poll  vka, 
geb.  1896  (symphonische  Dichtung  Der  Fruhling,  Suite),  Felix  Zrno,  geb.  1890  (Vokalwerke), 
der  talentvolle  Jar.  Novotny  (1886-1918),  I.  Tomasek,  K.  Konvalinlca  und  andere. 

Aus  Dvoraks  Schule  ging  ferner  Josef  Suk  hervor,  in  dessen  Meisterschule  fur  ^Composition 
am  Prager  Konservatorium  noch  Spuren  der  Tradition  seines  Meisters  zutage  treten.  Zu  dieser 
Schule  gehortBorkovec  und  hauptsachlich  Frantisek  Pic  ha,  ein  sehr  fleifiiger  Komponist 
von  Choren  und  Liedern.  Er  pflegte  auch  die  grofie  Form:  die  Symphonic  Osvobozem  cloveka 
(Die  Befreiung  des  Menschen)  und  die  Kantate  Slavne  vysiny  (Beriihmte  Hohen),  op.  15. 
Bohuslav  Martinu,  geb.  1890,  zeigt  eine  besondere  Vorliebe  far  das  Russische  und  besonders 
fur  Stravinsky,  obwohl  nebstSuk  auch  der  Pariser  Roussel  als  seine  Lehrer  zu  betrachten  sind 
(TschechischeRhapsodien  furChore  undOrchester,  die  Ballette  Istar  und  ,,Wer  ist  am  machtig- 
sten  in  der  Welt'*,  das  Orchester-Rondo  Halftime  und  die  komische  Oper  ,,Der  Soldat  und 
dieTanzerin").Zu  den  direkten  Schiilern  Dvoraks gehorten auch  noch OskarNedbal,  Frantisek 
Spilka  und  Rudolf  Karel.  Oskar  Nedbal,  geb.  1874,  widmet  sich  hauptsachlich  der  Kompo- 
sition  von  Balletten,  welche  eine  frische  Invention  und  die  Dvoraksche  glanzende  Instrumen 
tation  aufweisen  (Polska  krev  [Polenblut],  Pohadka  o  Honzovi  [Der  faule  Hans],  und  die 
Oper  Sedlak  Jakub  [Der  Bauer  Jakob]).  Frantisek  Spilka,  geb.  1877,  hervorragend  als  Dirigent 
tatig,  schrieb  2  Opern  und  eine  Rhapsodic  fur  grofies  Orchester,  Sonaten  und  Chore.  Rudolf 
Karel,  geb.  1881,  bildet  mit  Vycpalek  und  Jirak  ein  Trifolium.  Seine  Domane  ist  die  absolute 
Musik.  In  seinen  slavischen  Tanzweisen  und  slavischen  Scherzi  findet  man  die  Spuren 
seines  Lehrers.  3  Symphonien,  ferner  die  symphonische  Dichtung  ,,Idealy"  (Die  Ideale),  Damon 
zeigen  die  Regersche  Polyphonic.  Die  Oper  .Jlscino  srdce"  (Uses  Herz)  ist  noch  im  alteren 
Stil  gehalten.  Die  Kantate  ,,Vzkrfseni"  (Die  Auferstehung)  entstand  in  der  Kriegszeit.  Er 
iiberwindet  hier  Form  und  Materie  in  einer  iiberraschenden  Weise. 

Fibich  hatte  ein  gleiches  Schicksal  wie  Smetana.  Er  war  nicht  Professor  am  Prager  Kon 
servatorium,  hatte  aber  eine  Reihe  von  Privatschulern.  Unter  den  alteren  ist  Emanuel 
Chvala  (1851  —  1924),  ein  Musikkritiker.  Er  kniipft  in  seinem  Streichquartett  und  in  seiner 
Oper  Zaboj  an  die  Smetana-Tradition  an,  ferner  der  ehemalige  Opernchef  des  Prager  National- 
theaters  Karel  Kovarovic  (1862—1920),  er  verwertet  seine  Buhnenerfahrungen  im  Aufbau 
von  effektvollen  Opern  in  eklektischem  Stil:  Psohlavci  (Die  Hundskopfe),  Na  star6m  belidle 
(Auf  der  alten  Bleiche).  Antonin  Vojtech  Horak  (1875-1910)  ehrte  seinen  Meister  durch 


Moderne :  Tschechoslowaken  1  ]  63 


die  Opern  ,,Na Vecer  bile soboty" (Am Ostersabbat)  und  ,,Babicka" (Das Groflmiitterchen). Karel 
Weiss,  geb.  1882,  zeigt  einen  lebhaften  Sinn  fur  dramatische  Situationen  im  Opernaufbau: 
,,Polsky  zid"  (Der  polnische  Jude). 

Von  den  jiingeren  Komponisten  steht  Otakar  Ostrcil  (geb.  1879)  Fibich  am  nachsten. 
Er  ist  gegenwartig  Opernchef  am  Prager  Nationaltheater.  In  seinen  Werken,  die  Oper  Vlasty 
skon  (Vlastas  Tod),  A-Dur-Symphonie,  Symphonietta,  Streichquartett,  iibernahm  er  des 
Meisters  Kompositionstechnik.  Zum  Impressionismus  neigt  er  in  seinen  weiteren  Opern 
Kunalovy  oci  (Kunalas  Augen)  und  Poupe  (Die  Knospe).  Als  moderner  Polyphoniker  zeigt 
er  sich  in  seinen  letzten  Werken  (Die  Legende  von  Erin  und  in  dem  Choralwerk  Die  Legende 
von  der  hi.  Zita).  Auch  in  seiner  Vorliebe  fur  das  Melodramatische  verleugnet  er  nicht  seinen 
Lehrer  (Vom  toten  Schuster  und  von  der  Tanzerin,  Die  tschechische  Ballade).  Zu  seiner 
letzten  Schopfertatigkeit  gehort  die  ,,Synfonicke  Vanoce"  (Symphonische  Weihnacht)  und 
,,Kffzova  cesta"  (Der  Kreuzweg).  Ostrcil  bringt  als  Opernchef  des  Prager  Nationaltheaters 
nebst  j'ungen  tschechischen  Komponisten  (Jeremias)  die  eminenten  Erscheinungen  der  Welt- 
literatur  (Berg)  zur  Geltung.  Zu  Ostreils  Richtung  bekennt  sich  I.Zelinka  (Orchester, 
Chore,  Opera  buffa). 

Bei  Otokar  Zich  (1879),  Professor  der  Asthetik  an  der  Prager  Universitat,  wachst  sein  eine 
personliche  Note  tragendes  Werk  aus  der  Volksmusik  empor,  deren  hervorragender  Kenner 
er  ist,  ferner  aus  der  Smetana-Tradition :  ,,0sudna  svadba"  (Die  verhangnisvolle  Hochzeit), 
,,0eska  suita"  (Tschechische  Suite).  Friihzeitig  wendet  er  sich  der  dramatischen  Musik  zu,  worin 
er  von  dem  Einakter  ,,Malirsky  napad'*  (Der  Einfall  eines  Malers)  zum  kompromifilosen 
Modernismus  und  zur  Polytonalitat  in  der  tragischen  Oper  ,,Vina"  (Die  Schuld)  schreitet. 
Einen  richtigen  Sinn  fiir  das  Komische  bringt  er  in  ,,Preciezky"  zur  Geltung. 

Aus  Fibichs  Schule  kommt  auch  indirekt  J.  Vojac;ek,  welcher  bei  Lauber  in  Genf  studierte. 
Er  kniipft  an  denpolytonalenStil  der  franzosischen  Meister  an  (Symphonic  fiir  grofies  Orchester, 
Streichquartett,  Kammersymphonie  fiir  14  Instrumente).  In  seinen  letzten  Werken  klart  sich 
sein  Stil  (geistliches  Oratorium  Litania,  II.  Missa).  Zur  neuesten  Richtung  der  franzosischen 
,,Groupe  de  six"  und  zu  Hindemith  bekennen  sich  Jiraks  Schiiler  Ua  Krej'c i  (Chore,  Diverti- 
ments  fiir  Blasinstrumente,  Symphonien),  Bohuslav  Taraba  (1894)  mit  seinen  Orchestral- 
werken  (3  Meditationen  fiir  10  Instrumente,  2  Symphonien,  Pantomime  Kain),  Emil  Nemecek 
(1902),  dessen  jugendliches  Werk  ,,Kralovnin  omyl"  (Der  Irrtum  der  Konigin)  schon  in  seinem 
19.  Lebensjahre  im  Prager  Nationaltheater  aufgeftihrt  wurde,  Kalaw  (Doma/Jicka  --  Tausser- 
Symphonic).  Zu  den  wichtigen  Vertretern  der  Symphonik  gehort  fttedron.  Jaroslav  Je'/ek 
verwendet  Jazzlnstrumente  bei  modernen  Tanzweisen.  E,  F.  Burian  fiihrt  in  die  Musik 
Voiceband  ein,  Jaromir  Weinberger  (1896),  aus  der  Schule  von  Krioka  hervorgegangen, 
sucht  sich  seine  Themen  in  dem  slowatochen  Volkslied  und  in  Smetanas  und  Dvoraks  Werkent 
welche  er  witzig  ineinanderflicht  und  instrumentiert  (Ouverttire  zum  Marionettenspiel,  Die 
Pantomime  Die  Entfiihrung  der  Eveline  und  die  Volksoper  ftvanda  Dudak). 
MAHREN.  Leo.s  Janac'-ek  (1854  1928)  steht  in  einem  absoluten  Kontraste  mit  der  neo- 
romantischen  Schule,  mit  deren  Polyphonic  und  deren  Leitmotlven.  Doch  verschrnahl  or 
stellenweise  nicht  harrnonische,  farbige  Motive,  Seine  Melodien  sind  koine  Plagiate  dos  Volks- 
mundes,  sondern  stilisiert.  Melodische  und  rhythmisch«  Linie  des  Idbcndcn  Worles  Jst  ftir 
ihn  das  wirkungsvollate  Mittel  zur  Erruichunj?  des  dramatischen  Ausdruckcs,  Die  Harmonic 

74    H.  <!,  M. 


]  ]64  Moderne:  Tschechoslowaken 


ist  zeitweise  bis  zur  Orgiastik  explosiv,  dann  wieder  inbriinstig  oder  schiichtern.  Durch 
solistische  Instrumentation  verhindert  er  die  Ubertaubung  der  menschlichen  Stimme  durch 
das  Orchester.  Seine  Bedeutung  liegt  in  der  Opern-  und  Vokalkomposition.  Er  wiederholt 
sich  nirgends  und  schreitet  in  seinen  Opern  schrittweise  empor,  von  ,Jejf  pastorkyna"  (Jenufa) 
zur  Burleske  Die  Abenteuer  des  Herrn  Broucek  in  2  Teilen :  Vylet  pana  Broucka  na  mesi'c 
(Ausflug  des  Herrn  Broucek  auf  den  Mond)  und  Vylet  pana  Broucka  do  XV.  stoleti  (Ausflug 
des  Herrn  Broucek  in  das  15.  Jahrhundert),  zur  Kata  Kabanova,  zur  Liska  bystrouska  (Das 
listige  Fiichslein)  bis  zur  Vec  Makropulos  (Die  Sache  des  Makropulos).  Gleichfalls  schreitet 
er  kiihn  in  Choren  vor:  von  der  Kantate  Amarus  bis  zu  seinem  grandiosen  Werk  Glagolska  mse 
(Glagolitische  Messe).  Das  mahrische  Volkslied  hat  in  ihm  den  besten  Kenner  gefunden  und 
in  seinem  Kunsthede  nimmt  den  ersten  Platz  ,,Zapisnik  Zmizeleho"  (Tagebuch  des  Ver- 
schollenen)  ein.  Seine  Sinfonietta,  2  Quartette  und  die  Rhapsodic  Taras  Bulba  riefen  in 
der  Musikwelt  Enthusiasmus  hervor.  Seine  Mannerchore  bilden  ein  prominentes  Repertoire 
des  Singvereins  Moravssti  ucitele  (Die  mahrischen  Lehrer).  Janacek  hat  seine  Zeit  und  die 
jiingsten  Komponisten,  welche  vordem  Popularitat  erreichten,  iiberschritten,  nachdem  er 
lange  Zeit  unbekannt  war.  In  seinen  Spuren  schreiten  in  Mahren  einige  Komponisten,  ob- 
wohl  sie  zumeist  in  der  Prager  Schule  wurzeln.  Von  den  mahrischen  Komponisten  kommt 
hauptsachlich  in  der  Vokalmusik  Kunc,  in  der  Kammermusik  J.  Kvapil  (geb.  1893)  und 
V.  Petrzelka,  in  der  Opernkomposition  0.  Zitek  zur  Geltung. 

Dieslowakische  Musik  hatte  in  Ungarn  vor  dem  Umsturze  ein  dilettantisches  Geprage. 
Ihr  Zweck  war  nicht  Kunstbetatigung,  sondern  blofi  ein  Mittel,  das  sterbende  National- 
bewufitsein  zu  erhalten.  Die  Autoren  harmonisierten  das  slowakische  Volkslied  oder  sie 
komponierten  in  dessen  Geiste  Chore  und  Gesange.  Zu  ihnen  gehoren:  Bui  la,  Franc  is  ci, 
Izak-Lihoveck^-,  M.  Lichard,  Moyzes  sen.,  Sasko.  Neuere  Richtungen  verfolgen 
Figus-Bystrj?-  in  der  Kantate  Slovenska  pfsen  (Slowakisches  Lied)  und  in  der  Oper  Detvan, 
welche  auf  einem  falsch  aufgefafiten  Folklorismus  basiert,  weiter  Schneider"Trnavsk^T 
in  der  Harmonisation  des  slowakischen  Volksliedes  und  des  Kunstliedes.  Desider  Lauko 
komponiert  hauptsachlich  Klaviersachen.  Der  Direktor  der  Prefiburger  Musikakademie  Frico 
Kafenda  schrieb  Lieder,  Violin-  und  Cellosonaten,  Quartett,  Fragment  einer  slowakischen 
Oper.  Zu  der  jiingsten  slowakischen  Generation  gehoren  Frano  Dostal  ik  (Violinsonate,  Oper) 
und  Moyzes  jun.  (Symphonic  D-Dur,  Streichquartett).  Die  grofite  Bedeutung  aber  unter 
den  slowakischen  Autoren  hat  deren  Nestor  Jan  Levoslav  Bella,  der  einen  Platz  neben  den 
tschechischen  grofien  Neoromantikern  einnimmt.  Wahrend  seiner  40jahrigen  Tatigkeit  in  der 
Slowakei  widmete  er  sich  hauptsachlich  in  seinen  polyphon  gehaltenen  Werken  der  Reform 
der  katholischen  Kirchenmusik.  Er  schreibt  Lieder  im  Geiste  von  Schubert  und  Schumann. 
In  Hermannstadt  widmet  er  sich  bis  zum  Umsturz  der  evangelischen  Kantate.  Nebst  seiner 
symphonischen  Dichtung  ,,SchicksaI  und  Ideal"  ist  sein  Hauptwerk  die  dreiaktige  Oper , , Wieland 
der  Schmied",  urtextlich  von  Schlemm  nach  einer  Skizze  Richard  Wagners  bearbeitet.  Sie 
gelangte  erst  nach  50  Jahren  mit  einem  slowakischen  Texte  von  Roy  zur  Auffiihrung,  ferner 
schrieb  er  die  slowakische  Kantate  Svadba  Janosika  (Janosiks  Hochzeit)  und  slowakische 
Chore  und  Lieder. 

Von  den  tschechischen  Autoren  sind  in  der  Slowakei  tatig:  Emanuel  Marst'k,  ein  Schiiler 
der  Budapester  Akademie:  Opern  Oern^r  leknfn  (Die  schwarze  Seerose)  und  Studentska  laska 


Moderne :  Siidslawen  ]  ]  65 


(Studentenliebe),  symphonische  Dichtungen  und  Lieder;  Zdenko  Folprecht:  der  Einakter 
Lasky  hra  osudna  (Der  Liebe  Schicksalsspiel),  die  Kantate  Vzkrisem  (Auferstehung). 

Literatur 

Axmann:  Moraoa  v  ceske  hudbe  XIX.  stoleti.  —  Bartos,  Josef:  Antonin  Dvorak.  Prag  1914.  —  Batka. 
Rich.:  Die  Musik  in  Bohmen.  Berlin  1906.  —  Batka  und  Nagel:  Gesch.  d.  M.  d.  19.  Jahrh.  Stuttgart.  — 
Branberger,  Jan:  Katechismus  vseobecnych  dejin  hudby.  Prag  1905.  — Helfert:  Tvurci  rozvoj  B.  Sme- 
tany,  Prag  1924  und  B.  Smetana,  Briinn  1924.  — Houlicka:  Rozkledy  po  Zivoste  a  vyznamu  Smetany,  Prag 
1924.  —  Hostinsky,  0.:  Vzpominky  na  Fibicha.  —  Hudba  v  Cechach.  Prag  1900.  —  Krejci,  F.  V.:  Fried- 
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1916.  —  Vitezlav  Novak.  Studie  a  kritiky.  Prag  1921.  —  Ceska  moderni  zpevohra  po  Smetanovi.  Prag  1912.  — 
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1924.  —  Smetaniana  1924.  —  B.  Smetana,  I.  Prag  1924.  —  Richter,  Carl  A.:  Zdenko  Fibich.  Prag  1898.  — 
Rychnowsky,  Smetana,  Stuttgart  1924,  —  Sourek,  0.  S.,  2ivot  a  dilo  Ant.  Dvoraka,  Prag  1922. 

Dobroslav  Orel 


SUDSLAVEN 

Die  siidslawische  Musik  resultiert  aus  den  Kulturkomponenten  des  Westens  und  des  Ostens, 
sowie  der  nationalen  Eigenart  des  Volkes.  Bei  den  Slowenen  und  Westkroaten  ist  die  abend- 
landische  Komponente  starker  betont.  Die  Ostkroaten  lei  ten  zu  den  Serben  und  Bulgaren 
iiber,  wo  die  Ostkultur  noch  die  Oberhand  hat.  Allen  diesen  Stammen  ist  jedoch  ein  ent- 
schiedener  Drang  nach  Westen  eigen. 

Die  Slowenen  kamen  zuerst  unter  den  EinfluB  der  romanisclvgermanischen  Kultur. 
Sie  ubernahmen  die  spatantike  Musik  von  Aquileia  und  Salzburg,  ohne  ihre  eigenen  heid- 
nischen  Lieder  aufzugeben.  Mit  dieser  vereinigten  Musikkultur  gingen  sie  durch  das  ganze 
Mittelalter.  Sie  lernten  auch  die  Polyphonic  friih  kennen.  Vertreter  derselben  sind  Georg 
v.  Slatkonja  (1456-1522),  der  Organisator  und  Leiter  der  Wiener  Hofkapelle  seit  1498, 
Primus  Trubar  (1508-1586),  der  das  erste  protestantische  Kirchengesangbuch  fur  die 
Slowenen  zusammenstellte,  und  Jakob  Gallus1  (1550—1591),  der  zu  den  ausgezeichnetsten 
Tonsetzern  uberhaupt  zahlt.  Diese  hatten  eine  Reihe  von  Musikern  slowenischer  Abkunft 
zu  Zeitgenossen,  wie  Andreas  Legat  (ca.  1549),  Joh.  Globokar  (ca.  1560),  Michael  Voglar 
(ca.  1564),  Joh,  Andreas  Kapelle  (ca.  1615)  u.  a.  m.  Adam  Bohoric  (1525-1598)  sei  als 
Reprasentant  der  Lehrer  und  Kantoren  angefiihrt.  Er  besafi  eine  Musikaliensammlung  (iiber 
2000  Stuck),  die  er  dem  Lande  Krain  schenkte.  Im  17.  Jahrhundert  stieg  die  Musikkultur. 
Der  Bischof  Thomas  Chron  von  Laibach  (1560—1630)  forderte  die  Tonkunst,  verschrieb 
Musiker  aus  Bohmen,  fuhrte  Jnstrumentierte  Kirchenmusik  ein  und  errichtete  Studenten- 
stipendien  mit  der  Bedingung,  dafi  die  Geniefier  Musik  lernen  miissen.  Die  erste  Oper  wurde 
in  Laibach  1650  von  Italienern  aufgefiihrt;  1662  sang  daselbst  eine  deutsche  Operntruppe. 
Dann  erhielt  Laibach  1742  eine  Biihne  in  der  Landesburg  und  1765  ein  eigenes  Theater- 
gebaude.  Die  erste  MPhilharmonische  Gesellschaft'*  Europas  wurde  hier  Jm  Jahre  1702  ge- 

l)  Latinisiert  filr  ,»Handr't  vielleicht  ,,Petclin44  —  demnach  ist  die  ursprungliche  Namensform  nicht  sichergestellt. 
Er  leke  und  wirkte  in  Wien,  Olmutz,  Prag  (a.  S.  355f.)-  ^«r  Herausgeber. 

74* 


Moderne :  Sudslawen 


griindet  und  besteht  noch  heute.  Auch  Oratorienkomponisten  aus  dieser  Epoche  kennen  wir, 
so  Mihael  Omersa  (1679-1742),  der  zwischen  1709—1713  fiinf  Oratorien  komponierte. 
Istrien  war  seit  dem  1 6.  Jahrhundert  von  der  italienischen  Kunstmusik  abhangig.  Das  National- 
moment  war  nur  im  alten  Volksliede  verankert.  Die  erste  slowenische  Originaloper  ,,Belm" 
(Musik  von  Jakob  Zupan)  ging  zu  Laibach  1780  in  Szene.  Mehrere  Slowenen  bereicherten 
auch  die  deutsche  Opernliteratur,  wie  Georg  Micheuz  (1805—1882),  der  fur  Wien  fiinf 
Opern  und  anderes  schuf. 

Die  Slowenen  hielten  also  mit  der  westeuropaischen  Musikkultur  Schritt,  mogen  ihre 
Leistungen  den  Kulminationspunkt  auch  nicht  erreicht  haben.  So  blieb  es  bis  etwa  1850, 
wo  das  erwachte  Nationalbewufitsein  diesen  Charakter  schiichtern  umzumarkieren  begann. 
Gleichzeitig  erwachte  das  Bedurfnis  nach  tieferer  musikalischer  Ausbildung ;  man  suchte  sie 
in  Graz,  Wien,  Prag,  Mailand  und  selbst  in  Paris.  Ein  markanter  Fall  ist  Kamillo  Masek 
(1830—1859),  der  begeistert  aus  Wien  zuriickkehrte  und  eifrig  zu  reformieren  begann,  jedoch 
zu  friih  starb.  Volksmafiige  Kunstlieder  schrieb  der  Domchorleiter  Gregor  Rihar  (1796  bis 
1863).  Ihm  folgten  —  durch  50  Jahre  —  andere  indigene  Komponisten,  deren  Schaffen  mehr 
in  der  nationalen  Begeisterung,  als  in  der  Musik  gipfelte.  Unterdessen  kam  —  durch  tiichtig 
geschulte  Musiker  aus  Bohmen  —  frischeres  Kunstleben  ins  Land,  ohne  der  nationalen  Seite 
Abbruch  zu  tun.  So  war  Anton  Nedved  (1828—1896)  Padagog,  Komponist  und  Dirigent, 
eine  wertvolle  Akquisition  far  Laibach.  Er  und  Anton  Foerster  (1837—1926),  der  iiber  600 
Kompositionen,  darunter  zwei  Opern,  schrieb,  waren  ihren  Zeitgenossen  gute  Wegweiser. 
Zu  diesen  gehoren  Miroslav  Vilhar  (1818-1871)  sowie  die  Bruder  Benjamin  (1829-1908) 
und  Gustav  Ipavec  (1831-1908).  Selbstandiger  war  Davorin  Jenko  (1835-1914),  Kapell 
meister  in  Belgrad,  wo  alle  Theatermusik  durch  ein  Vierteljahrhundert  auf  seinen  Schultern 
ruhte.  Aufier  31  Biihnenwerken  schuf  er  ,,Die  slowenische  Marseillaise* '  (Naprej  zastava  slave) 
und  die  serbische  Nationalhymne  (Boze  pravde).  Franz  Gerbic  (1840—1917)  war  Opern- 
sanger,  Komponist  (zwei  Opern,  Instrumentalwerke)  und  Padagog.  Anton  Stoeckl  (1850  bis 
1902)  schrieb  eine  Operette  u.  a.  m.  Jakob  Aljaz  (1845—1927)  komponierte  weltliche  Chore. 
P.  Hugolin  Sattner  (geb.  1851)  schreitet  gemafiigt  mit  der  Zeit;  er  schrieb  das  erste  slowe 
nische  Oratorium  (Assumptio),  vier  grofie  Kantaten,  eine  Oper  u.  a.  m.  Franz  S.  Vilhar  (1852 
bis  1928),  ist  Komponist  von  292  Werken,  darunter  vier  Opern,  eine  Operette,  eine  Burleske. 
Viktor  Parma  (1858—1924)  ist  mit  vier  Opern,  vier  Operetten  und  vielen  anderen  Werken 
vertreten.  Friedrich  v.  Sirca  (geb.  1859)  gab  den  Slowenen  drei  Opern,  eine  dramatische 
und  mimische  Szene  u.  a.  Anton  Schwab  (geb.  1868)  ist  Schopfer  einer  Operette  und 
anheimelnder  Chore.  Oskar  Dev  (geb.  1868)  tat  sich  als  Liederkomponist  und  Sammler 
slowenischer  Volkslieder  aus  Karnten  hervor.  Gojmir  Krek  (geb.  1875)  behauptet  als 
Komponist  und  Reformator  einen  Ehrenplatz. 

Hier  setzt  die  Moderne  ein;  individuelle,  subjektive  Musik.  Sie  landet  dort,  von  wo  sie 
ausgegangen  war:  in  der  allgemein-europaischen,  von  alien  Seiten  beeinfluBten  Kunst.  Zu 
den  besten  Vertretern  derselben  gehoren:  Emil  Hochreiter  (geb.  1871),  mit  einer  Oper, 
einem  Oratorium  usw.  Emil  Adamic  (geb.  1877)  mit  iiber  200  Werken;  hervorragend : 
Tatarische  Suite,  Laibacher  Aquarelle.  Anton  La  jo  vie  (geb.  1878),  Schdpfer  gediegener 
Musik  (41.  und  42.  Psalm  fur  Soli,  Chor  und  Orchester,  Lieder  u.  a.).  Franz  Kimovec 
(geb.  1878),  vertreten  mit  Kirchengesangen ;  ist  auch  Sammler  von  Volksliedern  im 


Moderne :  Siidslawen 


inselgebiet.  Stanislaus  Premrl  (geb.  1880),  fruchtbarer  Komponist  mit  iiber  660  Werken. 
Karl  Adamic  (geb.  1887)  schafft  fiir  die  Kirche  und  den  Konzertsaal.  Janko  Ravnik  (geb. 
1891),  Pianist  (Lieder,  Klaviermusik).  Slavko  Osterc  (geb.  1895)  ist  mit  einer  Operette, 
Liedern  u.  a.  hervorgetreten ;  ist  auch  Propagator  der  Vierteltontheorie.  Marius  Kogoj  (geb. 
1895)  hat  eine  Oper  und  viele  Lieder  komponiert.  Lucian  M.  Skerjanc  (geb.  1900),  begabter 
Komponist  von  Liedern,  Choren,  zwei  Quartetten  u.  a.  Eine  Auffiihrung  anderer  verbietet 
der  Raummangel. 

Die  Kroaten  besiedelten  ihr  Land  im  7.  Jahrhundert.  Das  Christentum  erhielten  sie  aus 
Aquileia  und  Salzburg.  Die  Musikdenkmaler  des  hohen  Mittelalters  in  Kroatien  stammen 
durchwegs  aus  dem  Westen.  Doch  bestand  seiner  Zeit  auch  ein  byzantinischer  Einflufi. 
Das  alteste  Inventar  liturgischer  Biicher  ist  aus  dem  Jahre  1 042 ;  es  verzeichnet  nur  import ierte 
Codices.  Die  Musikkultur  war  eine  respektable,  doch  keine  kroatisch-nationale,  ausgenommen 
die  alten  Volkslieder.  Diese  wirkten  modifizierend  auch  auf  die  gregorianischen  Melodien. 
Jiingere  Forscher  wollen  darin  einen  ,,slawischen"  Choral  sehen.  Reste  solcher  Zwitter- 
melodien  sind  erhalten.  Das  Volk  unterschied  verschiedene  Provenienzen  (Melodien  von 
Vrbnik  usw.)  und  hielt  festliche  (vela  nota)  und  gewohnliche  (mala  nota)  Gesange  auseinander. 
Die  alteste  Niederschrift  eines  kroatischen  Kirchenliedes  ist  vom  Jahre  1320.  —  AuCerdem 
ist  eine  (importierte)  Osterliturgie  (12.  Jahrhundert),  ein  Passionsspiel  und  ein  Mysterium 
,,Kreuzabnahme"  (15.  Jahrhundert)  erhalten.  Organisten  sind  in  verschiedenen  Stadten 
bezeugt:  in  Zagreb  seit  1363,  in  Zara  seit  1392;  es  waren  meist  heimische  Leute,  darunter 
viele  Priester.  Im  16.  Jahrhundert  sind  mehrere  Musiker,  meist  nur  dem  Namen  nach,  be 
zeugt.  P.Anton  Tudrovie  (gest.  1506),  Simon  Klimantovic  (gest.  1544),  Simon  Glavic 
(gest.  1564),  Emanuel  Zlataric  (gest.  1570),  P.  Benedikt  Babic  (gest.  1591),  P.Gabriel 
Tamparica  (gest.  um  1600  in  Wien),  Secundus  Brugnoli  (gest.  um  1600),  P.  Nikolaus 
Gaudencije  (gest.  1601),  P.  Serafin  Razzi  (gest.  1611),  Innocenz  Jerkovic  (gest.  1636), 
Ivan  LukacSie  (gest,  1649),  P.  Nikola  Krajacevic  (gest.  1653)  und  P.Franz  Gucetic 
(gest.  1658).  Eine  griindliche  Durchforschung  der  kroatischen  Musikgeschichte  wird  diese 
Reihe  vervollstandigen.  Es  ist  bei  der  Musikliebe  der  Kroaten  einerseits  und  angesichts  des 
venetianischen  Einflusses  in  Dalmatien  undenkbar,  dafi  keine  grofiere  Anzahl  von  Tonkiinstlern 
vorhanden  gewesen  ware.  Aus  dem  1 7.  Jahrhundert  kennt  man  mehrere  kroatische  Lieder- 
bxicher.  So  A,  Georgiceo  (1635),  ein  Pauliner  Gesangbuch  (Manuskript  vom  Jahre  1644), 
P.  N.  Krajacevic  (1651),Cithara  octochorda  (1/1701, 2/1723,  3/1757),  Herovic  (Manu- 
skript  1799),  Unter  diesen  ist  manche  Perle  des  kroatischen  Liedes  erhalten. 

Das  weltliche  Lied  friiherer  Zeiten  ist  durchwegs  Nationalschopfung.  Die  friiheste  Auf- 
zeichnung  solcher  Volksgesange  bietet  P.  Hektorovic'  zu  Venedig  1568  gedruckte  Idylle 
,,Ribanje"  (mit  zwei  Weisen).  Das  Verstandnis  fiir  Volkslieder  entfaltete  sich  indessen  erst 
in  unserer  Zeit,  wo  mehrere  Sammler  rayonweise  tatig  sind  (§.  Bosiljevac,  M.  Brajsa- 
Rasan,  A.  Dobroni6,  L.  Kuba,  F.  Kuha6,  M,  Lang,  L.  Lukic,  Z.  Spoljar,  S.  Vraz, 
V.  2ganec),  Dieses  Volkslied  ist  weniger  widerstandsfahig  als  das  serbische;  es  erhalt 
sich  traditionell,  doch  ohne  Lebensenergie. 

Die  Kunstmusik  hatte  in  Kroatien  zwej  Hauptstiitzen :  die  Kirche  und  den  Edelsitz.  Im 
1 7.  Jahrhundert  war  die  Entwicklung  fihnlich  wie  bei  den  Slowenen,  nur  bedachtiger,  Der 
Wohlstand  lockte  in  den  Bann  der  westlichen  Musikkultur,  vorab  in  den  Wiens.  Man  ver- 


I  58  Moderne :  Siidslawen 


langte  von  Kiinstlern  gebotene  Musik,  was  nur  Begiiterte  erschwingen  konnten.  Zwei  Stadte 
waren  als  Musikzentren  beriihmt:  Varazdin  und  Zagreb.  Fremde  MusJker  zog  es  hin  oder 
sie  wurden  verschrieben.  Die  oberen  Schichten  lernten  so  moderne  Werke  kennen.  Im 
Jahre  1827  griindete  Karl  Wiesner  v.  Morgenstern  (1783—1855)  in  Zagreb  den  ersten 
Musikverein  und  dieser  eine  Musiklehranstalt.  Albert  v.Striga  (1821  —  1897)  rief  1841 
einen  Gesang-  und  Musikverein  ins  Leben;  dieser  sollte  den  Nationalgesang  pflegen. 

Der  bedeutendste  Musiker  war  damals  Vatroslav  Lisinski  (1819—1854);  er  komponierte 
die  erste  kroatische  Oper  (,,Ljubav  i  zloba"),  deren  Premiere  1846  stattfand.  Eine  zweite 
Oper  (,,Porin")  wurde  1897  aufgefiihrt. 

Im  Jahre  1861  forderte  die  Landesverwaltung  Opernauffiihrungen.  Begonnen  wurde  mit 
der  Operette;  die  Musik  war  international;  1902  muBte  die  Oper  aufgelassen  werden.  Nun 
vertieften  sich  die  Kroaten  ins  Musikstudium  und  warfen  sich  vielfach  auf  die  groCen  Formen, 
wie  Niko  Strmic  (1840-1906)  mit  zwei  Opern,  Gjuro  Eisenhuth  (1841-1891)  mit  drei 
Opern  und  anderem.  Es  folgte  V.  Kolander  (1848—1912)  als  Organist  und  Kirchenkom- 
ponist,  Vj.Klaic  (1849-1928),  als  Violinist  und  Organisator.  V.v.Bersa  (1864-1927) 
schrieb  vier  Opern  u.  a.  Oton  Zert  (1866—1907)  war  Violinist  und  Komponist.  A.  v.  Vancas 
(1867-1888)  schuf  Instrumentalsachen..  S.Albini  (geb.  1869)  folgt  mit  fiinf  Operetten. 
Vj.Rosenberg-Ruzic  (geb.  1870)  ist  Padagog  und  Komponist.  J.  Muhvic  (geb.  1876), 
Militarkapellmeister  und  Komponist.  H.  Tomicic  (geb.  1879),  lehnt  sich  an  die  Nordlander 
an.  J.  Mandic  (get>.  1883)  mit  einer  Oper  und  Orchestersachen. 

Die  Opernvorstellungen  wurden  1909  restituiert  und  jiingere  kamen  zum  Wort.  So  B.  Bersa 
(geb.  1873),  J-  Tkalcic  (geb.  1877),  J.  Hatze  (geb.  1879),  L.  §afranek-Kavi6  (geb.  1882), 
Grafin  Dora  v.  Pejacsevich  (1885—1924)  und  B,  girola  (geb.  1889),  dieser  mit  neuen 
Problemen,  auch  Musikgelehrter.  Dann  F.v.  Lucic  (geb.  1889),  K.  Baranovic  (geb.  1894) 
als  Eklektiker  auf  nationaler  Grundlage.  A.  Brlic  (geb.  1893),  2.  Hirschler  (geb.  1894), 
R.  Taclik  (geb.  1894),  J.  Stoker  (geb.  1896)  mit  der  symphonischen  Oper  ,,Stvarjenje". 
Diese  Gruppe  beschliefit  der  modernste  und  extrem  nationale  Komponist  J.  Gotovac  (geb. 
1895)  mit  seinen  Richtungsgenossen  Z.  Grgosevic  (geb.  1900),  A.Novak  u.  a. 

Die  Serb  en  waren  lange  nach  der  Besiedlung  ihrer  Gebiete  mit  der  Westkultur  in  sehr 
lockerer  Beriihrung.  Sie  bewahrten  ihr  altes  nationales  Musikgut  fast  unberiihrt.  Es  waren 
Tanzlieder  mit  charakteristischen  Ausdrucksgebarden,  religiose  und  epische  Gesange  sowie 
lyrische  Lieder.  Die  Epen  durften  alle  aus  der  christlichen  Epoche  sein.  Die  christliche 
Liturgie  ubernahmen  sie  von  der  griechischen  Kirche  unter  Heraklios  (610—614).  Es  war 
demnach  byzantinische  Kirchenmusik.  Auf  nationaler  Grundlage  organisierte  die  serbische 
Kirche  erst  der  hi.  Sava  (gest.  1237).  In  der  Zeit  vom  9.  bis  13.  Jahrhundert  hat  die  serbische 
Kirche  die  iibernommenen  Melodien  nach  ihrem  Empfinden  umgestaltet,  d.  h.  nationalisiert. 
Ein  frischeres  Leben  begann  nach  1882,  d.  i.  nach  Errichtung  des  Konigreichs  Serbien.  Dann 
erst  begann  man  russischen  Kirchengesang  einzufuhren,  besonders  D.  Bortnianskys  Kompo- 
sitionen,  ohne  das  Alte  ganz  aufzugeben.  Serbien  bewahrt  noch  alte  Kirchen-  und  Profan- 
melodien;  letztere  werden  gesungen  wie  vor  1000  Jahren.  An  diesen  Stand  der  Musikpflege 
kniipft  die  Modern isierung  vor  100  Jahren  an.  Der  Pfadsucher  war  Militarkapellmeister 
Jos.  Schlesinger  (1829  nach  Belgrad  berufen),  der  Marsche  auf  bekannte  Nationalmotive 
schrieb.  Seither  ist  in  Serbien  der  Zug  nach  Westen  standig  geblieben :  alle  dortigen  Musiker 


Moderne :  Siidslawen  ]  ]  69 


studierten  seither  in  Wien,  Miinchen,  Leipzig,  Berlin,  Paris,  Italian,  London,  Budapest  und 
Prag.  Doch  war  das  Bestreben  immer  lebendiger,  mit  der  neuen  Technik  Nationalmotive 
zu  verarbeiten.  Nun  begann  das  Sammeln  der  Volkslieder  (Kolarovic,  Kalaus,  Stanko- 
vic,  Marinkovic). 

Zu  Beginn  der  serbischen  Musikrenaissance  wirkt  entscheidend  der  Slowene  Davorin 
Jenko  (s.  oben).  Nach  M.  Topalovic  (1849-1912)  und  J.  Marinkovic  (geb.  1851)  erhielt 
Serbien  eines  seiner  grofiten  Talente:  S.  Stojanovic  (Mokranjac,  1855—1914).  Er  stu- 
dierte  in  Leipzig,  Miinchen  und  Italien ;  wirkte  als  Komponist,  Dirigent,  Lehrer  und  Organi- 
sator.  Aufier  seinen  15  ,,Rukoveti"  (verarbeitete  serbische  Volkslieder),  schrieb  er  auch  Litur- 
gien  mit  Nationalmotiven.  Neben  ihm  sind  zu  nennen  B.  Joksimovic  (geb.  1868),  V.  Djor- 
djevic  (geb.  1869),  u.  a.,  als  Sammler  der  Volksmusik.  Es  folgte  Stan.  Binicki  (geb.  1872) 
mit  einer  Oper,  Liturgien  u.  a.  Griinder  der  Musikschule  ,,Stankovic",  vorziiglicher  Dirigent. 
Neben  ihm  P.J.Krstie  (geb.  1877),  begabter  Instrumentalkomponist,  Direktor  der  Bel- 
grader  Musikschule.  Vertreter  teils  romanischer,  teils  russisch-expressionistJscher  Rich- 
tung  ist  S.  K.  Hristic  (geb.  1885),  Schiiler  M.  Regers,  vervollkommnet  in  Moskau,  Rom 
und  Paris;  begabter  Komponist:  Opern,  Instrumentalstiicke,  Kirchengesange  u.a.;  auch 
Musikschriftsteller.  In  Serbien  und  Kroatien  wirkt  P.  Konjovic  (geb.  1883)  als  Dirigent 
und  Komponist  moderner  Richtung  (Oper,  Symphonic,  Klaviersachen  usw.);  auch  Schrift- 
steller.  Eine  iiberaus  reiche,  allseitige  Tatigkeit  entfaltet  Miloje  Milojevic  (geb.  1884). 
Studierte  in  Miinchen,  Paris  und  Prag.  National-modern  in  seinen  Werken,  subjektiv.  Schreibt 
fur  Orchester,  auch  Lieder,  Chore  u.a.;  hervorragender  Musikschriftsteller.  Ein  Arbeiter, 
an  den  auch  die  Musikwissenschaft  ihre  Hoffnungen  kniipft.  Mit  diesem  schafft  K.  P.  Ma- 
nojlovic  (geb.  1890).  Studierte  in  Miinchen  und  Oxford.  Schrieb  Kirchengesange,  Chore, 
Kammermusik,  Klaviersachen.  Sammler  von  Nationalliedern,  Fachschriftsteller.  M.Pauno- 
vic  (1889-* -1925),  Schiiler  des  Prager  und  Leipziger  Konservatoriums  (Riemann,  Reger), 
komponiert  fur  Orchester  und  Biihne,  Kapellmeister  und  Lehrer. 

Die  Bulgaren  blicken  auf  eine  wesentlich  einfachere, aber  auch  sprunghaftere  Entfaltung 
ihrer  Musik  zurtick.  Das  Stammtongut  waren  heidnische  Gesange  ritueller,  epischer,  choreuti- 
scher  odor  lyrischer  Natur.  Das  Christentum  kam  aus  Byzanz,  samt  dem  Kirchengesang. 
Dieser  erfuhr  cine  nationale  Modifizierung.  Gegen  Ende  des  10.  Jahrhunderts  iibernahmen 
ihn  die  Russen  von  den  Bulgaren.  Im  15.  Jahrhundert  vertrieben  Fanarioten  die  bulgarischen 
Popen.  Diese  fltichtcten  und  brachten  einen  national  entwickelteren  Gesang  nach  Rufiland. 
Noch  heute  heifit  dort  die  altere  Fassung  ,,bolgarski  razpjev",  die  entwickeltere  ,,Kievo^ 
peeerski  razpjev".  In  Bulgarian  wurde  der  Kirchengesang  im  1 9.  Jahrhundert  durch  den 
spatgriechischen  ersetzt. 

Im  Volke  sproBte  das  profane  Lied,  als  Ausdruck  gedrikkter  Seelen,  weiter.  Die  Bulgaren, 
politisch  den  Ttirken,  geistig  den  Griechen  untergeordnet,  verloren  ihre  eigene  Kultur.  Auch 
die  Musiktradition.  Man  mufite  beide  neu  schaffen  und  schickte  die  Jugend  ins  Ausland, 
woher  sie  fremde  Musik  brachte  und  bulgarische  Lieder  nach  importierten  Melodien  sang. 
Urn  1890  begann  man  die  Weckarbeit  mit  literarisch-musikalischen  Abenden,  mit  Schulen 
(Musiklehrbiicher  verfaBten  Machan,  Paunov,  Bajdanov,  Kod^amanov)  und  schlichten  Kom- 
positionen.  Daran  beteiligte  sich  die  erste  Generation:  E.  Manolov  (1860—1902),  A,  Badov 
(1863  -1908),  tiichtiger  Komponist  und  Forscher  (Rhythmische  Grundlagen  des  bulgarischen 


[]7Q  Moderne:  Ungarn 


Volksliedes);  auch  guter  Dirigent.  D.  Christov  (geb.  1875),  Dvoraks  Schiiler,  schrieb  Chore, 
zwei  Orchestersuiten,  eine  Operetta  u.  a.  A.  Bukorestliev  (1868-1918),  erster  bulgarischer 
Pianist  und  Organist,  Sammler  von  Volksliedern  (3500).  P.Naumov,  erster  bulgarischer 
Violinist,  Padagog  und  Komponist  (Lieder,  bulgarische  Rhapsodien,  Dorftanz  fur  Orchester) 
u.  a.  P.  Bojadzijev  konzertierte  als  erster  mit  bulgarischen  Choren  im  Ausland  und  schrieb 
eine  Operette  (,,Snezanka"). 

Eine  modernere  Schicht  der  ersten  Generation  stellten  folgende  dar:  G.  Atanasov  (geb. 
1 872),  Schiiler  des  Bukarester  Konservatoriums  und  P.  Mascagnis ;  Komponist  von  fiinf  Opern, 
und  mehreren  Operetten,  verdienter  Militarkapellmeister,  Volksliederforscher.  D.  Georgiev, 
Prager  Schiiler,  Komponist  (Lieder,  zwei  Opern),  einer  von  den  Grundern  der  Musikschule 
in  Sofia.  D.  Karadzov,  Wiener  Schiiler,  Komponist,  schrieb  mehrere  Opern,  darunter  die 
impressionistische  ,,Pilatus'  Tochter",  und  ,,Der  junge  Konig"  (Urauffuhrung  in  Wien).  - 
Ferner  N.  Atanasov,  A.Stojanov,  Professor  an  der  Musikakademie  in  Sofia,  auch  guter 
Komponist.  Endlich  noch  SasaPopov,  Slavko Popov,  L.  Vladigerov,  B.  Konstantinov, 
A.  Vapordziev  —  alle  Komponisten  und  Musiklehrer. 

Die  modernste  Richtung  vertritt  Panco  Vladigerov  (geb.  1899),  Berliner  Schiiler  (P.  Juon, 
Georg  Schumann).  War  schon  in  Berlin  Kapellmeister  (Reinhardt-Theater).  Instrumental- 
komponist.  (Charakteristisch :  10  Impressionen  for  Klavier,  Burlesken  fur  Violine  und  Or 
chester,  Exotische  Praludien  for  Klavier).  Neben  ihm  sind  zu  nennen  A.Dimitrov,  And. 
Stojanov,  H.Nestorov,  V.Bobcevski,  C.Cankov,  D.  Tumangelov,  M.Todorov, 
P.Stefanov,  S.Stefanov  (geb.  1881)  und  D.Georgiev. 

Literatur 

Tancev,  F.,  Liturgijsko-obredne  igre  u  Zagrebackoj  stolnoj  crkvi.  (Liturgische  Spiele  in  der  Zagreber  Dom~ 
kirche.)  Narodna  starina  1925.  (Kroat.)  —  Goglia,  A.:  Hrvatski  glazbeni  zavod  1827—1927.  (Das  kroatische  Musik- 
institut.)  Zagreb  1927.  (Kroat.)  —  Kamburov,  J,:  OnepHO  HSKyCTBO  H  HaiUH  onepHH  Wm\il.  (Die 
Opernkunst und  unsere Opernkomponisten.)  Co(|)Ha,s.a.  (Bulg.)  —  Kamburov,  J.:  BJirapCKtlTa  MyiUlKU. 
MunaJlo  if  ci>BpeMeHOCTt.  IIcTOpiiMecKH  npiiHOCH.  (Bulgarische  Musik.  Vergangenheit  und  Jetztzeit. 
Historische  Beitrage.)  Co(f)na,  s.  a.  1926.  (Bulg.)  —  Manojlovi6,  K.:  Srpska  muzika,  (Serbische  Musik.)  In: 
Narodna  enciklopedija  II  S.  1089—1095.  (Serbisch.)  — Mantuani,  J.:  0  jugoslovanski  glasbi.  (Ober siidslawische 
Musik.)  In:  ,,Zbori",  Jg.  II  bis  III.  Ljubljana  1926—1927.  (SloweniscL)  —  D  e  r  s  e  1  b e  :  Zgodovinski  razvoj 
slovenske  cerkvene  pesmi.  (Die  geschicntliche  Entwicklung  des  slowenischen  Kirchenliedes.)  In:  ,,Ccrkveni  Glas- 
benik",  1911.  Auch  separat.  (Slowen.)  —  Ogrizovi6,  M.:  Hrvatska  opera  1870—1920.  (Die  kroatische  Oper 
1870—1920.)  Zagreb  1920.  (Kroat.)  —  Sirola,  B.:  Pregled  povijesti  hrvatske  muzike.  (Oberblick  iiber  die 
Geschichte  der  kroatischen  Musik.)  Zagreb  1922.  (Kroat.) 

Josef  Mantuani. 


UNGARN 

Der  modernen  ungarischen  Musik  gebiihrt  ein  besonderer  Platz  in  der  europaischen  Musik- 
literatur:  diese  Musik  ist  das  Produkt  eines  Volkes  asiatischer  (ugrischer)  Abstammung,  das 
zur  Entwicklung  einer  hoheren,  polyphonen,  also  der  abendlandischen  Tonkunst  vergleich- 
baren  und  doch  autochthonen  Kunstmusik  gelangte.  Diese  Entwicklung  vollzog  sich  unter 
dem  Einflusse  der  europaischen  Kultur,  der  sich  das  Ungarvolk  bald  nach  seiner  Emwande- 


Moderne:  Ungarn  j]7] 


runganschlofi.  Der  indogermanische  Einflufi  konnte  jedoch  nicht  die  aus  Asien  mitgebrachten 
Keime  einer  orientalischen  Weltanschauung  ersticken,  im  Gegenteil :  die  alte,  urspriingliche 
Weltanschauung  wurde  durch  die  Einwirkungen  des  Abendlandes  zu  steter  eigenartiger 
Weiterentwicklung  getrieben  und  blieb  demnach  vor  einer  —  fiir  die  iibrigen  asiatischen 
Kulturen  typischen  —  Erstarrung  bewahrt. 

Als  altesten  Zeugen  der  vom  westlichen  Einflufi  noch  unberiihrten  ungarischen  Musiksprache  konnen  wir  die 
pentatonische  (G-B-C-D-F,  vgl.  die  Pentatonik  der  Vogulen-  oder  Tscheremissen-Musik)  Urschicht  der  ungarischen 
Volksmusik  betrachten.  Da  finden  wir  straff  isometrisch  rhythmisierte  von  barbarischer,  elementarer  Urkraft 
strotzende  Tanzlieder  im  ,,tempo  giusto",  zu  denen  sich  diistere,  leidenschaftliche,  tragisch-visionare  Volksballaden 
im  ,,Parlando-Rubato"-Stil  gesellen.  Der  Formwille  dieser  ungemein  ausdrucksvollen  und  konzisen  Weisen  kennt 
noch  keinen  architektonischen  Bau.  Wahrscheinlich  im  weiteren  Verlauf  der  Entwicklung  wird  die  Pentatonik  durch 
verzierungsartige  Ubergangs-  oder  Schleiftone  (vgl.  ,,Pientone"  in  der  chinesischen  Musik)  —  die  Tonleiter  G — B — 
C — D — F  durch  A  oder  As  als  2.  Stufe,  E  oder  Es  als  6.  Stufe  —  erweitert  und  spater,  durch  die  regelrechte  Heran- 
ziehung  dieser  anfanglich  nur  iibergangsweise  beriihrten  Stufen,  zu  dorischen,  phrygischen,  aolischen  Tongattungen 
umgestaltet.  (Gewisse  pentatonische  Wendungen  bleiben  aber  auch  weiterhin  hochst  charakteristisch.)  Die  Iso- 
rhythmik  weicht  einer  Heterorhythmik  des  Strophenbaues,  die  Gliederung  der  Melodielinien  wird  eine  immer 
differenziertere.  Auch  inhaltlich  zeigt  sich  eine  Gliederung  der  Formen,  die  Gesange  werden  (teils  unter  auswartigem 
Einflufi)  an  verschiedene  Gelegenheiten  gebunden:  neben  der  tausend  und  abertausend  Bliiten  treibenden  Liebes- 
lyrik  erscheinen  tragische  Nanien,  zarte  ,,Aubaden,"  taufrische  Kinderlieder,  frohliche  Hochzeitsweisen  usw,, 
einen  fast  beispiellosen  Reichtum  origineller  Melodien  und  Rhythmen  entfaltend. 

Trotz  dieser  aufierordentlich  fruchtbaren  Volksmusikunterlage  konnte  Ungarn  Jahrhunderte  hindurch  nur  bis 
zu  gewissen  primitiven  Ansatzen  einer  bodenstandigen  Kultur  derKunstmusik  gelangen.  Das  soil  aber  nicht  be- 
deuten,  dafi  die  hohe  Kunstmusik  in  Ungarn  unbekannt  war.  Unser  Land  beherbergte  von  je  her  auslandische  Kiinstler 
ersten  Ranges  (z.  B.  Oswald  v.  Wolkenstein,  Behaim,  Stolzer,  Willaert,  erne  ganze  Reihe  vorziiglicher  italienischer 
und  burgundischer  Musiker  am  Hofe  des  Konigs  Matthias  Corvinus)  und  forderte  Talente  (z.  B.  der  beriihmte 
Lautenmeister  des  16.  Jahrhunderts  Valentin  Bakfark,  die  Briider  Neusiedler;  im  17.  Jahrhundert  Johann  Kusser). 
Doch  in  dem  von  unerbittlichen  historischen  Sturmen  immer  wieder  zerrutteten  Lande  konnten  diese  wertvollen 
inneren  Regungen  und  aufieren  Anregungen  nicht  zu  einer  bodenstandigen  hohen  Tonkunst  fortgedeihen.  Es 
fehlte  die  ruhige,  organische,  kontinuierliche  Entwicklung  der  Kultur  und  Zivilisation ;  auch  blunt  das  musikalische 
Gemeinschaftswesen  bei  einem  in  seiner  Musik  par  excellence  auf  Homophonie  eingestellten  Volke,  wie  es  das 
ungarische  ist,  verhaltnismafiig  langsamer  auf. 

Den  ersten  Ansatz  zu  einer  Kunstmusik  bildet  das  Spielleutentum,  das  parallel  mit  dem  abendlandischen 
erscheint.  Bis  zum  16.  Jahrhundert  fehlen  leider  musikalische  Dokumente.  Es  ist  aber  feststellbar,  dafi  diese  Spiel- 
leute  neben  ausl&ndischen  auch  autochthone  ungarische  Reprasentanten  hatten,  die  infolge  der  Zeiten  verschiedene, 
wechselnde  Schichten  bildeten,  —  Das  Spielleutentum  erreicht  im  16.  Jahrhundert  eine  besonders  hohe  Bedeutung. 
Musikalische  Dokurnente  zeugen  von  einer  verbreiteten  und  mannigfaltigen  Kultur  des  originellen  historischen 
und  biblischen  Gesanges  (Reimchroniken,  Versnovellen).  Die  Spielleute  dieser  Epoche  —  es  waren  die  Zeiten  der 
schwersten  Tiirkenkrlege  —  waren  von  den  diisteren  Schicksalen  ihres  Volkes  umwolkte  Dichtergeister  (der 
hervorragendste :  Sebastian  Tin6di,  der  LautenschlSger) ;  sie  erhoben  sich  iiber  ihr  Volk  und  zeigten  ihm  die  Lage, 
in  der  es  sich  befand,  sie  zeigten  sie  mit  einem  oft  gliihend  hervorbrechenden,  lyrischen  Pathos,  das  auch  den  zugleich 
aufbltihenden  geistlichen  Volksgesang  durchstromt.  So  spiegelt  sich  in  diescn  Gesangen  ein  wcnn  auch  fragmen" 
tarisches,  doch  gewaltig  ausdrucksvolles  Seelenbild  einer  um  das  Leben  ringenden  Nation. 

Diese  vokale  Kultur  cpischen  Charakters  wird  allmShlich  von  einer  des  lyrischen  Gesanges  (sog.  ,,Blumengesange") 
abgeUtet,  die  in  der  Aristokratenmusik  des  17.  Jahrhunderts  ihren  Gipfelpunkt  erreicht.  Die  Musik  dieser 
Stilperiode  bliiht  an  den  Magnatenreaiclenzen  und  ftihrt  durch  eifrige  Pflege  der  Hausmusik  zu  einer  instrumental 
Kultur.  Virginaltranskriptionen  geben  Nachricht  von  einer  reichen  Liebesliedlyrik  und  volkstiimlichen  Tanzmusik. 
Verschicdencn  Gelegenheiten  gema'fi  bilden  sich  mannigfaltige  instrumentale  Ensembles  aus  Geigen,  Virginalen, 
Trompeten,  ,,Turkenpfeifen*',  Krumrnh8rnern,  Zithern,  Zimbalen,  Lauten,  Sackpfeifen,  Pauken.  Dieses  Jahrhundert 
wurzelt  noch  stark  in  den  einheimisch-volkischen  Traditionen,  Auch  die  beriihmten  Soldatengesange  und  Tanze 
der  Kurutzenkriege  (Rik<kzy-Zeiten)  zcigen  noch  cntschieden  volkischen  Charakter. 

Im  18.  Jahrhundert  wcndet  sich  schon  die  Aristokratie  von  der  vdlkischen  Tradition  schroff  ab  und  huldigt 
allcin  der  hohen  abendlandischen,  vorziiglich  der  dsterreichischen  Musik  (J,  Haydn  ais  Kapellmeister  beim  Fiirsten 
Esterha'zy,  Michael  Haydn,  Dittersdorf,  Albrechtsberger;  sp&ter  Beethoven  und  Schubert  als  G&ste  ungarischer 
MagnatenhHuscr).  Auch  in  den  Stadten  lassen  sich  deutsche  Musikmeister  nieder.  Durch  sklavische  Nachahmung 
des  deutschen  Liedes  entsteht  allm&hlich  eine  der  ungarischen  Prosodie  fremde  Kunstliedliteratur,  Inmitten  dieaer 


I  j  72  Moderne :  Ungarn 


Germanisierung  wird  jetzt  der  berufene  Weiterfuhrer  einheimischer  Musikalitat  eine  untere  Schicht  der  Edelleute, 
der  sog.  ^Kleinadel",  der  noch  imstande  war,  die  auslandischen  Einfliisse  mit  der  bodenstandigen  volkischen  Tradition 
lest  zu  verweben.  In  den  Kollegien  der  Reformierten  erstand  eine  interessante  primitive  Chorkultur.  In  der 
Instrumentalmusik  erscheint  ein  (vielleicht  an  die  erwahnten  Virginaltranskriptionen  volkischer  Tanze 
ankniipfender)  ganz  neuer  Stil,  der  einen  eigenartig  ungarisch-kolorierten  Melodientyp  und  punktiert-synkopierten 
Rhythmus,  den  sog.  Verbunkos-  (Werbungstanz-)  Rhythmus  entwickelt.  In  diesen  herrlichen  Werbungstanzen 
spiegelt  sich  vielleicht  am  bewuBtesten  die  Heldennatur  der  Nation:  sie  sind  halb  Tanz-,  halb  Kriegsklange,  stolz, 
edel,  feurig,  doch  von  tragischer  Glut  durchgltiht  und  mit  einer  eigenartigen,  mannlichen  Wehmut  (dem  polnischen 
,,Zal"  vergleichbar)  durchtrankt.  Diese  Musik  erreicht  ihren  kiinstlerischen  Hohepunkt  am  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts  in  der  Pflege  virtuoser  Volksmusikanten  der  Geige,  an  deren  Spitze  Janos  Bihari  (der  mutmaBliche  Schopfer 
des  Rakoczy-Marsches),  ferner  CserrnakundLavotta  stehen.  Die  Musik  dieser  Werbungstanzformen  liegt  mit 
ihrer  Dur-Molltonalitat  und  ihrem  architektonischen  Aufbau  schon  naher  dem  abendlandischen  Formensinn  und 
gait  Ga  sie  gilt  oft  auch  noch  heutzutage)  im  AllgemeinbewuBtsein  des  Auslandes  falschlich  als  ,,die"  ungarische 
Musik,  obwohl  sie  nur  eine  kleine  Schicht  davon  reprasentiert.  Sie  befruchtete  auch  europaische  Musiker,  indem 
sie  dieselben  zu  zahlreichen  ,,Hungarismen"  (all'ongarese)  inspirierte. 

Inzwischen  fand  auch  im  Volkslied  eine  groBere  Umwandlung  statt.  Das  alte  Volkslied  ging  in  ein  moderneres 
iiber  (architektonisch,  Dur-Mollstil),  in  dem  das  Bauernvolk  viele  fremde  Elemente  sich  zu  eigen  gemacht  hatte 
und  ganz  originell  neugestaltete.  Diese  neue  sog.  ,,silberne"  Schicht  hangt  mit  der  alten  ,,goldenen"  organisch 
zusammen,  lafit  in  der  Melodiebildung  die  Spuren  der  Pentatonik  deutlich  erkennen  und  bildet  einen  hochst  ursprung- 
lichen,  homogenen  Stil. 

An  der  Schwelle  des  1 9.  Jahrhunderts  finden  wir  vier  Hauptquellen  des  musikalischen  Lebens  in  Ungarn :  1 .  das 
neue  Volkslied  (mit  dem  sich  die  Vokalmusik  der  Kollegien  eng  verband),  2.  den  Werbungsmusikstil,  3.  die 
nach deutschem  Muster  gebildete  Kunstliedliteratur,  endlich  4.  als  eine  Abzweigung der  Verbunkmusik  die  unter 
dem  EinfluB  eingewanderter  deutsch-osterreichischer  Musiker  aufkeimende  primitive  Kammermusik.  Aus  diesen 
Stilrichtungen  entstand  im  1 9.  Jahrhundert  ein  grbfies  Stilgemisch,  in  dessen  Zustandekommen  die  Zigeuner- 
musikantendie Hauptrolle  gespielt  hatten.  Die Zigeuner  verstanden  mit  grofier  Empfanglichkeit  und  chamaleon- 
artiger  Scbmiegsamkeit  sich  jeder  Stilrichtung  in  den  Dienst  zu  stellen.  Was  sie  erlernten,  das  haben  sie  mit  ihrer 
originellen,  iippigen,  sich  durch  reiche  Verzierungen  und  iiberschwengliche  ,,Rubatos"  auszeichnenden  Vortrags- 
kunst  ausgestattet.  Ihr  Wanderleben  pradestinierte  sie  zum  Vermittlertum.  In  dem  so  entstandenen  Stilgemisch 
fiihrt  auch  schon  die  Chromatik  ein  bedeutendes  Wort  (die  zwei  falschlich  als  ,,typisch4t  ungariscn  geltenden  Tonleitern 
G—^s—H— C— D— Es— Fis— G  und  G— A— B—Cis— D— Es— Fis— Gl).  Aus  den  durch  die  Zigeuner  vermittelten 
musikalischen  Stoffen  schufen  mehr  oder  minder  begabte  stadtische  Dilettanten  (Simonffy,  Szentirmay)  eine  reiche, 
volkstiimliche  Liedliteratur,  die  unter  der  Devise  ,,ungarisches  Volkslied"  auch  im  Auslande  allgemein  bekannt 
wurde.  Diese  pseudovolkische  Literatur  entwickelte  zwar  gewisse  charakteristische  Lied-  und  Tanzmusiktypen 
(die  Verb unksmusik  ging  in  den  vierziger  Jahren  zum  Teil  in  eine  mehr  salonmaBige  Tanzliteratur  [R6zsavolagi],  zum 
Teil  in  die  Csardasmusik  iiber),  doch  sie  lieB  die  innere  Homogenitat,  die  reine  Musikalitat,  die  konzise  Ausdrucks- 
kraft  und  den  mit  ihr  verbundenen  originellen  ,,asthetischen  Lakonismus"  des  echten  Bauernliedes  vermissen  und 
fiihrte  so  zu  einer  immer  grofieren  Verf lachung.  So  ging  im  1 9.  Jahrhundert  im  BewuBtsein  der  hoher  stehenden 
Volksklassen  die  alte,  tiefdurchgeistigte  ungarische  Musiktradition  verloren,  sie  wurde  von  dem  loseren  pseudo- 
volkischen  Stilgemisch  des  Jahrhunderts  ganzlich  verschiittet. 

Dies  geschah  gerade  zu  der  Zeit,  als  mit  dem  Durchbruch  demokratischer  Ideen  die  hohe  abendlandische  Musik" 
kultur  aus  den  exklusiven  Aristokratenpalasten  hinausdrang,  also  die  groBen  deutschen,  italienischen,  franzosischen 
Musikwerke  durch  eifrige  Pflege  Gemeingut  wurden,  und  als  der  grofie  nationale  Aufschwung  —  der  in  der  Dicht- 
kunst  (weniger  pragnanter  auch  in  der  Malerei)  Meisterwerke  ersten  Ranges  in  Erscheinung  treten  lieB  —  seine 
Macht  auch  auf  das  Gebiet  der  Musik  ausbreiten  wollte.  An  der  Spitze  dieser  Bewegung  stand  bald  kein  Geringerer 
als  Franz  Liszt.  Mit  ihm  teilten  noch  zwei  hochbegabte  starke  kunstlerische  Personlichkeiten,  Franz  Erkel  (Kom- 
ponist  der  grofien  Nationalopem  ,,Hunyadi  Lassl6"  und  ,,Ba"nkban")  und  Michael  Mosonyi,  die  geistige  Fiihrer- 
schaft.  Das  ,,Ungarische"  in  der  Musik  dieser  MeJster  beschrankt  sich  auf  ein  aus  dem  ungarischen  Stilgemisch 
des  Jahrhunderts  entlehntes  nationales  Kolorit,  das  wir  im  Falle  Liszts  den  Saint-Saensschen  ,,Exotismen*\  im 
Falle  Erkels  und  Mosonyis  dem  Tschaikowskyschen  ,,Russentum"  vergleichen  konnten.  Die  groBe  Bedeutung  dieser 
Meister  liegt  darin,  dafi  sie  sich  der  zeitgenSssischen  Musik  des  Abendlandes  vorbehaltlos  anschlossen  und  dabei 
die  Mo'glichkeit  einer  bodenstandig-ungarischen  hohen  Kunstmusik  ahnen  lieBen.  ,,Ungarisieren"  und  ,,sich  der 
abendlandischen  Tonkunst  anschlieBen",  diese  zwei  Tendenzen  kennzeichnen  auch  die  Weiterfuhrer  der  Liszt- 
Erkelschen  Epoche.  Obwohl  diese  zwei  Tendenzen  miteinander  fest  verbunden  sind,  konnen  wir  die  ihnen  folgenden 
Musiker  doch  in  zwei  Gruppen  teilen.  Die  eine  sah  ihre  Aufgabe  eher  in  dem  immer  starkeren  ,,Ungarisieren" 
(Alexander  Bertha,  der  durch  seinen  virtuosen  Klavierstil  hervorragende  Lisztschiiler  Aladar  Juhdsz,  weiterhin 
Henrik  Gobbi,  Agghazy,  Beliczay  u.  a.),  die  andere  mehr  in  einer  hochkultivierten  Anpassung  an  die  abend" 


Moderne :  Ungarn  ]  |  73 


landische  Musik  (Viktor  Herzfeld,  der  feinsinnige  Wagnerepigone  Edmund  Michalovich  u.  a.).    Aus  diesen 
beiden  Gruppen  fuhren  die  Faden  direkt  in  die  Gegenwart. 

Erkels  ,,ungarisierende"  Tendenz  hat  eine  Art  patriotischer  Tradition  gegriindet,  die  in 
der  Pflege  einiger  riickschrittlicher  Musiker  alsbald  erstarrte  und  verseichte.  Diese  Musiker 
(Jeno  Hub  ay,  Bela  Szabados  und  der  verstorbene  Arpad  Szendy)  schreiben  iibrigens 
eine  Musik  im  Stile  der  vorwagnerschen  kleineren,  meist  deutschen  Romantiker  (Hubay  stiitzt 
sich  in  seinen  Violinkompositionen  hauptsachlich  auf  Vieuxtemps),  ausgeschmiickt  mit  Zieraten 
der  Zigeunermusik.  Als  wertvollstes  Aufglimmen  der  Erkelschen  Tradition  miissen  wir  die 
komische  Oper  ,,Hochzeit  im  Fasching"  von  Eduard  Poldini  erwahnen,  eine  in  dramatischer 
Hinsicht  gut  durchdachte,  stimmungsreiche,  modernere  ,,Buffa"~Schwester  <jer  heroischen 
Opern  Erkels.  Poldini  folgt  der  internationalen  Musikentwicklung  bis  Wagner  und  macht 
Exkursionen  bis  R.  StrauB,  ahnlich  wie  sein  mehr  konservativer  Zeitgenosse,  der  Symphoniker 
Peter  Konig. 

Bedeutendere  Entwicklung  ging  von  der  Gruppe  der  sich  nach  internationalen  Idealen 
orientierenden  ungarischen  Musiker  hervor.  ,,Europaisiertes  Ungartum"  war  ein  Losungs- 
wort,  das  bisher  das  individuelle  Streben  unterdriickte,  ein  Ideal,  dem  die  Komponisten  des 
19.  Jahrhunderts,  personliche  Probleme  beiseitelassend  und  so  in  der  grofien  Allgemeinheit 
der  Kulturtendenz  verschwebend,  ihre  Opfer  darbrachten.  Zu  Beginn  des  20.  Jahrhunderts 
wich  diese  allgemeine  Kulturtendenz  bald  einem  kraftigeren  individuellen  Schaffensdrang. 
Es  erschien  eine  Gruppe  von  Tonkiinstlern,  die  in  Ungarn  nicht  blofi  eine  Heimstatte  des 
musikaliscnen  Europaertums  begriinden  wollte,  sondern  in  dieser  Kulturheimat  ein  freies, 
unbefangenes,  personliches  Ktinstlerleben  fiihrte.  Einige  aus  dieser  Kiinstlergeneration  ver- 
ankerten  sich  ganz  in  auslandischer  Kultur:  so  Erwin  Lendvai,  Eugen  Zador,  Albert  Siklos 
in  den  neueren  osterreichisch-deutschen  Stilrichtungen,  Desider  Antalffy-Zsiross,  Theodor 
Szanto,  Tibor  Harsanyi  im  franzosischen  Impressionismus.  Andere  schlossen  sich  enger 
an  ihre  Heimat  an,  so  der  fruhverstorbene,  hochbegabte  Aladar  Rado  und  Nikolaus  Radnai. 

Durch  ihre  volkstumlich  ungarischen  Beziehungen  gewann  auch  die  Brahmssche  Kunst  fiir 
die  ungarische  Musik  groOe  Bedeutung.  Hans  Kofilers  Schule  entwuchs  Ernst  Dohnanyis 
(geb,  1877)  vornehme  Meisterschaft,  welche  die  poetischen  Errungenschaften  der  in  Wagner 
wurzelnden  Spatromantik,  jedoch  im  Geiste  des  Brahmsschen  Klassizismus  mit  leichter,  form- 
sicherer  Hand  zusammenfalite*  In  seinen  Jugendwerken  erweist  sich  Dohnanyi  als  bedeutend- 
ster  Nachfolger  des  Wiener  Meisters ;  doch  schon  zeigen  seine  eleganteren  Formen  seine  leicht- 
fliefiende  Satztechnik  (Quartett  Des-Dur)  und  insbesondere  die  dem  Wesen  des  Instrumentes 
prachtig  angepafite  Behandlung  des  Klaviers  (Passacaglia)  den  originellen  Kammermusik- 
gestalter.  Die  spatromantische  Ideologic  findet  hier  harmonisch  geschlossene  Form,  und  so 
konnen  wir  Dohnanyis  Stil  als  den  Gegenpol  zu  der  drarnatisch  gegliederten  aUfresko-Schreib- 
weise  der  Weitergestalter  der  neudeutschen  Schule  betrachten.  Als  geniale  Beispiele  dafiir 
konnen  die  4Rhapsodien  fiir  Pianoforte  und  das  II.Klavierquintett  gelten.  Auch  seine Blihnen- 
musik  (,,Der  Schleier  der  Pierrette*4,  Pantomime,  ,,DerTurm  des  Vojwoden**,  Oper  in  5  Bildern, 
,,Der  Tenor**)  fesselt  durch  die  Auflosung  dramatischer  Momenta  in  symphonischer  Ge- 
staltung.  Dohnanyi  ist  einer  der  hervorragendsten  Vertreter  der  absterbenden  asthetisch 
verfeinerten  biirgerlichen  Kammcrmusik  (3  Streichquartette,  1  Trioserenade).  Den  sehn- 
siichtigen  Blick  auf  das  unerreichbare  Wiener  Klassikertum  gerichtet,  schwebt  sein  Geist  in 


I  ]  74  Modeme :  Ungarn 


milder  Melancholic,  die  selbst  seine  ergotzlichen  Humoresken  (Kinderliedvariationen  fur 
Klavier  und  Orchester)  durchdringt,  wie  ein  geheimes  Trauern,  das  wir  mit  der  zu 
parnassistischen  Formen  fliichtenden  Resignation  eines  Thomas  Mann  vergleichen  konnen. 
Von  den  Schatten  klassischer  Vergangenheit  unangefochten,  sprudelt  die  glanzende  Invention 
des  aufierst  formgewandten  Meisters  Leo  Weiner  (geb.  1885).  Unfehlbare  musikalische 
Sicherheit,  auch  im  Strenghorizontalen  koloristisch  reiche  Fantasie,  schwarmerische  Melodien- 
seligkeit  belebt  seine  2  Klavier-Violin-Sonaten,  die  2  Streichquartette  (darunter  das  mit  dem 
Coolidge-Preis  gekronte  Fis-moll-Quartett),  die  Orchesterhumoreske  ,,Fasching'4,  die  grofi- 
angelegte  Buhnenmusik  zu  Vorosmartys  Marchendrama  ,,Csongor  und  Tiinde".  Ein  echtes 
Scherzotalent,  das  die  Technik  franzosischer  Impressionisten  mit  hochstem  Geschmack  und 
originellem  Humor  auszubeuten  versteht. 

Wenn  wir  nun  diese  im  19.  Jahrhundert  aufbliihende  und  in  das  20.  Jahrhundert  auslaufende 
Entwicklung  iiberblicken,  so  miissen  wir  in  ihr  die  letzten  ,,Schuljahre"  der  ungarischen 
Musik  erkennen.  In  dieser  Zeit  gingen  zwar  die  originellsten  und  wertvollsten  musikalischen 
Traditionen  des  Ungartums  verloren,  doch  das  Musikertum  des  Landes  lernte  inzwischen 
alles,  was  in  der  hochsten  Schule  der  zeitgenossischen  Musikkultur  zu  erlernen  waY.  An  dieser 
Arbeit  beteiligten  sich  auch  zahlreiche  deutsche  Meister,  die  sich  im  Lande  niederliefien  oder 
da  wenigstens  eine  geraume  Zeit  lang  wirkten  (vollkommen  eingegliedert :  Franz  und  Karl 
Doppler;  bestandig:  Robert  Volkmann,  D.  Popper,  H.  Koessler;  voriibergehend :  G.  Mahler; 
als  oft  begriiCter  Cast:  J.  Brahms).  —  Die  Entwicklung  der  ungarischen  Musik  gelangte  viel- 
leicht  jetzt  zum  kritischsten  Punkte.  Es  gait  ja  nun  die  Frage:  wird  der  urwiichsige  Genius 
der  ungarischen  Musikalitat  den  abendlandischen  Einfliissen  unterliegen  oder  wird  er  die 
iibernommene  europaische  Kultur  mit  den  Kraften  seiner  eigensten  Weltanschauung  ganzlich 
durchdringen,  umbilden  und  so  daraus  etwas  vollig  Neues  und  Bodenstandiges  entstehen 
lassen?  Die  glinstige  Losung  dieser  Frage  konnten  nur  urwiichsige  kiinstlerische  Individual^ 
taten  herbeifiihren.  Als  solche  bewiesen  sich  die  beiden,  alles  bisherige  iiberragenden  Meister 
der  ungarischen  modernen  Musik:  Bela  Bart 6k  (geb.  1881  in  Nagyszentmiklos)  und  Zoltan 
Kodaly  (geb.  1882  in  Kecskemet).  Wohl  lehnte  sich  Bartok  in  seinen  Erstlingswerken 
auch  an  die  ungarisierenden  Schopfungen  Liszts,  doch  bei  ihm  war  das  nationale  Geprage 
der  Rhythmen  und  Melodiefiihrung  schon  keine  aufierliche  Tendenz,  sondern  eine  damals 
einzige  Moglichkeit  des  ersten  grofien  Emporstrebens  des  ungarischen  Kunstwillens,  der 
sich  noch  keine  eigene  Sprache  gestaltete  und  sich  darum  mit  den  von  fremdem  Geiste 
durchdrungenen  Formen  begniigte.  Die  Hauptwerke  dieser  Epoche  (die  symphonische 
Programmdichtung  ,,Kossuth",  1903,  die  Rhapsodic  fur  Klavier  und  Orchester,  1904, 
die  I.  Orchestersuite,  1904)  zogen  die  Formen  noch  etwas  in  die  Breite,  iiberluden  sie 
mit  kostlichen  Episoden.  Ihre  Motive  waren  den  alteren  Melodien  der  zweiten  Volkslied- 
periode  nachgebildet,  die  temperamentvollen  Tanzsatze  atmeten  frische  und  uberschaumende 
Jugendkraft.  Das  Orchester  stand  auf  der  aufiersten  technischen  Hohe  StrauBscher  Instru-- 
mentierungskunst,  die  Harmonik  mit  ihren  kiihnen  Auflosungen  geht  den  Weg,  den  Liszt 
eingeschlagen,  Liszt  war  der  erste,  der  durch  die  Verwendung  der  Ganztonskala,  durch  die 
Einfiihrung  der  ,,schwebenden  Tonalitat"  und  der  Mischung  verschiedener  Tonarten  an  den 
Ausgangspforten  des  Dur-Moll-Systems  riittelte,  und  so  den  ungarischen  Neuerern  unbewufit 
den  Weg  bahnte.  Die  zweite  groOe  Anregung  verdanken  unsere  Modernen  dem  franzosischen 


Moderne:  Ungarn  1  1  75 


Impressionismus,  der  mit  der  Erscheinung  Debussys  die  bisherige  deutsche  Vorherrschaft 
tangierte  und  so  zur  gesteigerten  Nationalisierung  der  Tonkunst  fiihrte. 

Das  eigentliche  Epochemachende  war  aber  die  Entdeckung  des  alten  Volksliedes  durch  die 
unermiidlichen  Folklonsten :  Bartok  und  Kodaly.  Das  Schaffen  Debussys,  dessen  Einflufi  sich 
im  Werke  Kodalys  und  nach  ihm  bei  Bartok  zeigte,  war  nur  eine  Notbriicke,  die  das  Uber- 
steigen  jenes  Abgrundes  erleichterte,  der  die  bisherige  ungarische  Kunstmusik  von  der  Formen- 
welt  der  altesten  pentatonischen  Volksdichtungen  getrennt  hatte.  Die  Beziehung  zwischen 
Bartok^Kodaly  und  der  Volksmusik  ist  kemeswegs  eine  romantische.  Debussy  nahm,  durch 
Mussorgsky  beemflufit,  von  der  russischen  Volkskunst  nur  die  neuen,  asthetisch  anregenden 
Moglichkeiten,  nicht  aber  den  Geist;  seine  orientalischen  beziehungsweise  iberischen  Stim- 
mungen  sind  Zeugnisse  daflir,  dafi  ihn  im  Volklichen  nur  eine  romantische  Exotik  anzog.  Der 
Hang  zum  Volklichen  zeichnet  sich  bei  den  jungen  Ungarn  durch  eine  tiefe  Objektivitat  aus, 
die  nur  bei  Komponisten  moglich  war,  welche  die  neuentdeckte  Formensprache  als  etwas 
natiirlich  Gegebenes,  als  ihre  eigene  Muttersprache  empfanden.  Das  alte  Volkslied  gab  frische 
urwiichsige  Phraseologie,  ungeahnt  reiche  Rhythmen,  Keime,  aus  denen  eine  neue  Harmonik 
sprofi,  und  ermoglichte  so  den  weiten  Sprung,  mit  dem  Kodaly-Bartok  iiber  den  damals  herr- 
schenden  Impressionismus  hinaus  zu  einem  konstruktiven  Klassizismus  gelangten.  Das  neue 
Melodienmaterial,  der  alten  Pentatonik  entspriefiend,  eliminierte  die  iiberfeinerte  Chromatik 
und  die  iibertrieben  harmonisch  bestimmten  Linien;  die  Melodie  bestimmte  das  Harmonische, 
das  Horizontale  trat  wieder  in  seine  Rechte  und  verdrangte  die  Herrschaft  des  vertikalen  Prin- 
zipes,  das  seit  dem  Romantizismus  in  der  Tonkunst  die  Uberhand  gewonnen  hatte.  Das  Nur- 
Koloristische  verschwand,  alles  drangte  zu  logischer  Geschlossenheit.  Das  horizontal  Prinzip 
fiihrte  zu  einer  neuen  Kontrapunktik,  die  sich,  wie  bei  Schonberg,  aus  dem  Melodischen  er- 
klaren  lafit.  Das  Dur-Moll-System  loste  sich  in  mannigfaltigste  Formen  der  modernen  Har 
monik  auf,  ohne  sich  im  Netze  ausgekliigelter  Theorien  zu  verfangen.  Neben  dem  Gebrauch 
der  schwebenden  Tonalitat  baut  Bartok  gerne  das  harmonische  Gebaude  auf  zwei  Grund- 
akkorde,  die  sich  zueinander  wie  Tonika  und  Dominante  verhalten ;  seine  letzten  Werke  er- 
setzen  die  Tonalitat  durch  bedeutungsvoll  wiederkehrende  einzelne  Tone,  von  Antal  Molnar 
treffend  ,,Tonsymbole"  genannt.  Die  Volksmusik  bot  den  ungarischen  Neuerern  nur  frische 
Urelemente  der  Tonsprache;  urn  grofie  Formen  zu  finden,  mufiten  beide  Fiihrer,  Kodaly 
und  Bart6kt  aus  sich  selbst  schopfen,  und  da  schlug  ein  jeder  seinen  eigenen  Weg  ein.  Zur 
ersten  grofien  Epoche  des  zu  eigener  Sprache  gelangten  Bart6k  fuhren  2  Orchesterwerke :  die 
II,  Suite  (1905/7)  und  die  ,,Zwei  Portraits"  (1907),  in  denen  wir  schon  zwei  der  interessan- 
testen  Gesichte  Bart6kscher  Kunst  beobachten  konnen.  Beide  bilden  sich  zwar  aus  der  Volks- 
musJk,  doch  beide  weisen  mit  ihrem  Blicke  iiber  das  Nationalvolkliche  hinaus.  Das  eine  ist 
das  Lyrisch-Subjektive  des  romantischen  Kiinstlers,  in  dessen  Ziigen  wir  Einsamkeit,  Insich- 
versenken  lesen,  dessen  Temperament  zwar  orgiastisch  nach  Befreiung  kampfen  kann,  doch 
es  windet  sich  auch  so  im  Banne  personlicher  Probleme.  Das  andere  Gesicht  blickt  in  ent- 
gegengesetzter  Richtung  nach  dem  Allgemeinprimitiven,  Urinstinktiven,  wo  es  einen  Blick 
Strawinskyscher  Kunst  auffangen  kann.  Bart6ks  zum  Grotesken  neigende  fieberische  Phan- 
tasie  gelangt  hier  zu  bedeut'ender  Rolle,  doch  seine  bittere  Ironic  hat  gar  nichts  Dadaistisch- 
Negatives,  nichts  von  dem  grofiartigen  Zynismus  Strawinskys.  Hier  waltet  nur  die  oft  grotesk 
wilde  GegensStzlichkeit  der  Leidenschaften  primitiver  Seelen.  In  trotzigen,  in  ihrer  unend- 


I  I  75  Moderne :  Ungarn 


lichen  Differenziertheit  und  Kapriziositat  doch  mechanisch  straffen  Rhythmen  kampfen  sich 
re  volution  a' re  Urtriebe  durch.  Die  zwingendste  Pragnanz  gewinnt  das  im  beriihmten  ,, Allegro 
barbaro"  (1911)  und  im  Scherzo  des  II.  Streichquartetts  (1915/17).  In  Bartoks  plastischen 
Charakterbildern(z.B.die  ,,DreiBurIesken",  1910)  spiegelt  sich  seine  romantisch-humoristische 
Art.  Die  T,Zwei  Elegien"  (1908)  fuhren  ganz  in  die  Welt  des  einsamen  Romantikers.  Die  hier 
angewandte  glanzende,  doch  weniger  konzentrierte  GroBtechnik  verleiht  auch  den  beiden 
,,Rumanischen  Tanzen"  (1910)  romantischen  Charakter.  Der  Tanzrhythmus  bietet  hier,  wie 
in  den  Chopin-Polonasen,  prachtige  Gelegenheit  zu  groBziigiger  Kriegsmusik. 

Mogen  diese  romantischen  Exkursionen  in  die  GroBtechnik,  in  die  pianistische  Vollgriffig- 
keit  Bartoks  Farbenskala  noch  so  bereichern,  die  eigentliche  Grundlage  seines  Schaffens  bilden 
die  knappen,  aufierst  konstruktiven  Volksliedbearbeitungen,  die  in  seinem  Oeuvre  das  spezial 
Klassische  darstellen.  Die  Jahre  1908/09  brachten  3  Sammlungen  dieser  Art  (,,Fiir  Kinder", 
4  Hefte,  ,,Zehn  leichte  Klavierstiicke",  ,,Bagatellen").  Die  sonore,  homophon  gehaltene  Me- 
lodie  stiitzt  sich  auf  ein  Akkompagnato,  das  einen  streng  analytischen  Charakter  zeigt,  also 
sich  von  jeder  Umschreibung  fern  halt.  Die  iibliche  Form  dieser  Kompositionen  ist,  dem  stro- 
phischen  Bau  des  Volksliedes  entsprechend,  die  Variation,  wozu  insbesondere  die  verschiedene 
Auffassung  der  tonalen  Beziehungen  der  Melodie  kiihn  und  logisch  als  Mittel  angewendet  wird. 
Zu  dieser  Stilart  gehoren  auch  Stiicke  mit  eigener  Melodie,  an  deren  Spitze  die  feierlich  ein- 
fachen  ,,Vier  Naenien"  (1910)  stehen.  Die  an  die  Monumentalitat  Bachscher  Choralbearbei- 
tungen  mahnende  Grandiositat  dieser  kleinen  Werke  weist  schon  deuthch  auf  die  Grofiziigig- 
keit  des  Kiinstlers  der  grofien  Formen  hin. 

Bartoks  grofie  Form  war  anfangs  die  Suite,  also  eine  Folge  kleinerer  Stticke.  Neben  diesen 
stehen  Orchesterwerke,  in  zwei,  miteinander  stark  kontrastierende  Satze  geteilt,  so  die  ,,Zwei 
Bilder"  (1910),  die  Bartok  auf  der  Hohe  der  abgeklartesten  Instrumentierungskunst  zeigen. 
Die  Zusammenfassung  der  Suitensatze  in  eine  grofie  einheitliche  Linie  reprasentiert  sein  Ein- 
akter  ,,Herzog  Blaubarts  Burg".  Das  Libretto  von  Bela  Balazs  off  net  die  diistere  Seele  des  nach 
Liebeserlosung  suchenden  Blaubarts  durch  sieben  verriegelte,  doch  auf  den  Wunsch  der  Ge- 
liebten  Judith  aufspringende  Pforten  der  herzoglichen  Burg.  Dementsprechend  entwickelt 
Bartok  sieben  herrlich  gesteigerte  symphonische  Bilder.  Epochemachend  war  im  Werke  die 
Losung  der  ungarischen  Gesangsdiktion.  Man  kann  sich  kaum  einen  geeigneteren  dramatischen 
Stil  denken,  als  den  aus  dem  leidenschaftlich  dramatischen,  expressionistisch-gedrungenen  Ton 
der  Volksballaden  entwickelten  Klassizismus  Bartoks  und  Kodalys.  Wir  gehen  nicht  zu  weit, 
wenn  wir  das  Rezitativ  des  Einakters,  der  seinesgleichen  in  der  modernen  Musik  nur  in  Kodalys 
Orchesterliedern  findet,  an  reichen  Ausdrucksmoglichkeiten  mit  Wagners  und  Monteverdis 
Sprechgesang  vergleichen.  Das  zweite  Buhnenwerk  Bartoks,  die  Pantomime  ,,Der  holzge- 
schnitzte  Prinz"  (1914/16),  zeigt  wieder  streng  geteilte  musikalische  Abschnitte.  Doch  das 
bedeutet  keineswegs  Riickkehr  zur  Suitenform,  denn  hier  bewahrt  Bartok  die  dramatisch-musi- 
kalische  Einheit  durch  Verwendung  der  Reprise  mit  veranderten  Themen.  Die  Pantomime 
(Text  von  Balazs)  entwickelt  ein  musikalisches  Weltbild  im  Sinne  der  Mozartschen  ,,Zauber- 
flote".  Im  Mittelpunkt  steht  die  tiefmenschliche  Gestalt  des  Prinzen,  dessen  Kampf  urn  das 
Weib,  die  von  der  seelenlosen,  aufierlich  geschmuckten  Holzpuppe  verleitet  wird,  doch  endlich 
emiichtert,  sich  zum  wahren  Prinzen  ihre^r  Leidenschaft  bekennt.  Das  Damonisch-Leere, 
Mechanisch-Seelenlose  des  Lebens  findet  tiefgreifende  Schilderung  in  der  Tanzmusik  der 


Moderne :  Ungarn  ]  ]  77 


prinzenhaft  geputzten  Holzfigur,  die  sich  in  der  Desillusionsszene  (veranderte  Reprise)  in 
lacherlicher  Groteskheit  entlarvt.  Dem  Menschlichen  und  Mechanischen  gegeniiber  stehen 
die  Urkrafte  der  Natur  im  Ballettchor  als  Wald,  Blumen  und  Bach  symbolisiert. 

Was  den  Aufbau  betrifft,  reihen  sich  die  besprochenen  Werke  Bartoks  unter  zwei  verschiedene 
Formprinzipien,  die  ihre  reifste  architektonische  Betatigung  in  seiner  Kammermusik  finden. 
Das  erste  Formprinzip  ruht  auf  einer  Art  fortspinnender  Technik,  das  sich  auch  auf  die 
Attaccasatzfolge  ausdehnt  und  die  Senate  als  psychologisch  aus  sich  selbst  entwickelnde  Ein- 
heit  auffaBt.  Diese  Formenbestrebung  gestaltet  das  I.  Streichquartett  (1908),  das  auch  die 
erste  grofie  Stichprobe  der  neuen  polyphonen  Kunst  ist.  Auf  den  Beethovenschen  Tiefsinn 
des  Meisterwerkes  wurde  schon  von  verschiedensten  Seiten  hingewiesen,  und  wahrhaft  spiegelt 
diese  Schopfung  mit  ihrem  einheitlichen  Gufi,  mit  ihren  sich  psychologisch  entwickelnden 
Stimmungen  etwas  vom  Geiste  der  letzten  Beethoven  quartette.  Das  andere  Formprinzip,  das 
die  Senate  in  drei  streng  geschiedene,  scharf  kontrastierende  Satze  gliedert,  herrscht  im 
II.  Streichquartett,  das  mit  dem  erschiitternd  tragischen  LentoschluBsatz  zu  den  tiefsten 
Offenbarungen  Bartokscher  Kunst  gehort. 

In  Bartoks  Stil  vollzog  sich  indessen  eine  weitere  Entwicklung.  Die  ,,Rumanischen  Volks- 
tanze"  und  ,,Ungarischen  Bauernlieder"  fiir  Pianoforte  aus  dem  Jahre  1915  weichen  von  den 
friiheren  Volksliedbearbeitungen  durch  breitere,  vollgriffige  Behandlung  des  volklichen  Stoffes 
ab.  Die  ,,Drei  Etiiden"  (1918)  entwickeln  die  aufierste  technische  Virtuositat  seines  Klavier- 
satzes.  In  den  ,,Improvisationen  iiber  ungarische  Volkslieder  *  (1920)  erfolgt  die  Konzentra- 
tion  der  neueren  technischen  und  harmonischen  Errungenschaften  in  einer  bisher  unerhort 
pragnanten  und  logisch  strengen  Weise.  Die  Nebenstimmen  gewinnen  hohere  polyphone 
Bedeutung,  die  einzelne  Strophen  trennenden  Zwischenspiele  wachsen  zu  monumentalen 
Visionen.  Die  umfassenden  Werke  dieser  letzten  Periode  sind  (neben  der  Pantomime  ,,Der 
wunderbare  Mandarin",  1926)  zwei  grofie  Sonaten  fiir  Klavier  undVioline.  Die  erste  Senate 
(1921)  ist  die  monumentalste  Pragung  der  in  3  Teile  gegliederten  Bartokschen  Sonaten- 
form.  Diese  Form  iiberwindet  das  Transzendental-Symmetrische  durch  die  ebenso  formale 
wie  gehaltliche  Verwandlung  der  Themen  in  der  Reprise.  Das  Pessimistische  wird  in  der 
Adagioandacht  zwar  verklart,  doch  nicht  aufgehoben.  Ein  echt  ungarischer  Zug  in  Bartoks 
Kunst  ist,  daft  er  trotz  seiner  pessimistischen  Lebensauffassung  und  trotz  der  iiberreich  quellen- 
den  visionar'-exaltierten  Phantasie  mit  bauerlicher  Ntichternheit  dem  transzendentalen  Gebiete 
unglaubig  gegeniibersteht  und  sich  mit  tragischer  Liebe  oder  mit  herbem,  eft  tretzigem  Humor 
immer  zum  Leben  bekennt.  So  strotzt  der  iibermiitige  Schlufisatz  des  I.  Streichquartetts  von 
kiihnem  Lebensmut,  und  so  singt  Bart6k  im  Rondo  der  I.  Sonate  ein  urkraftiges,  das  Blut 
aufpeitschendes  Kampflied.  Die  'beiden  Instrumente  haben,  ihrem  verschiedenen  Charakter 
gemafi,  verschiedene  Partien,  sie  iibernehmen  also  voneinander  die  Themen  nicht,  sie  finden 
sich  nur  in  der  klanglichen  Synthese  zusammen.  In  der  II.Klavier-Violin-Senate  (1922)  nimmt 
Bart 6k  wieder  den  Faden  der  fortspinnenden  Attaccaform  des  L  Quartetts  auf.  Eine  kurze 
Fantasie  fiihrt  gleich  zum  Rondo,  das  vielleicht  das  inhaltlich  Reichste  ist,  was  Bart6k  in  einem 
Satze  bisher  geschaffen.  Das  Volksliedthema  steht  hier  wieder  im  Mittelpunkte,  von  dem  aus 
Bart6ks  Fantasie,  vielleicht  hier  am  eklatantesten,  einerseits  nach  dem  subjektiv  Einsamen, 
andererseits  nach  dem  primitiv  Grotesken  greift.  Seine  jiingsten  Werke  sind  2  Streich- 
quartette  und  ein  Klavierkonzert  (1926). 


H78  Moderne:  Ungarn 


Dem  revolutionaren  suchenden  Kiinstlertum  Bartoks  gegenuber  steht  Zoltan  Kodaly 
(geb.  1882)  als  typischer  zusammenfassender  Geist  der  volkischen  Musikkultur  Ungarns.  Das 
vollige  Eingewurzeltsein  im  vaterlandischen  Geistesleben  gab  seiner  Musik  einen  reinen, 
schlackenlosen  Ton,  eine  Ausdrucksweise,  die  mit  der  inneren  poetischen  Vorstellung  ursprung- 
lich  zusammenfallt,  eine  Form,  die  seine  kunstlerische  Weltanschauung  selber  bedeutet.  Ko 
dalys  Entwicklung  von  der  mit  impressionistischem  Geist  durchdrungenen  Spatromantik  zu 
konstruktiver  Geschlossenheit  ging  rasch  ihren  Weg.  Das  I.  Streichquartett  (1910)  und  die 
Cello-Klavier-Sonate  (1910)  fallen  noch  in  diese  Ubergangepoche.  Die  Sonatenform  ist  schon 
hier  festgepragt,  das  Ideal  der  primaren,  die  Romantik  absorbierenden  Sonatenform  schon 
erreicht;  der  umschreibende  Charakter  kommt  eher  von  den  reichen  Episoden.  Im  Violin- 
Cello-Duo  (1914)  finden  wir  Kodaly  schon  am  Ziel. 

Was  den  Stil  Kodalys  in  erster  Reihe  festlegt,  ist  das  ungehemmt  stromende,  herrlich  ge- 
schwungene  Melos,  das  mit  keuscher  Leidenschaft  emporschwillt  und  durch  eigengeschaffene 
tonale  Gesetze  bestimmt  zum  Ruhepunkte  heimkehrt.  Diese  Melodie  bringt  von  seiner  volk- 
lichen  Quelle  die  meistens  dorische,  phrygische  und  mixolydische  Thematik,  zu  der  sich  die 
Harmonik  fester  als  bei  Bartok  halt.  Die  Wesenhaftigkeit  und  innerste  Geschlossenheit  der 
Melodie  teilt  seine  Sonatenexpositionen  in  melodisch  scharf  getrennte,  doch  durch  kunstvolle 
Polyphonic  leicht  ineinander  iibergreifende  Satze.  Die  Reprise  baut  sich  nach  der  kurzen 
Durchflihrung  ganz  frei  auf,  wodurch  die  Themen  besonders  neue  positionale  Bedeutung  ge- 
winnen.  Vielleicht  das  Originellste,  was  Kodaly  der  modernen  Tonkunst  gab,  war  die  neue 
Bewertung  des  grofiangelegten  langsamen  Satzes.  Der  Gesang  entfaltet  sich  hier  mit  seiner 
ganzen  lyrisch-dramatischen  Macht;  der  herben  Tragik  Bartoks  gegenuber  hebt  sich  da  ein 
inniger,  geheimer  Klagelaut,  eine  mannliche  Melancholic,  die  die  Wehmut  der  Gedichte  des 
ein  Jahrhundert  friiher  lebenden  Csokonay  in  uns  wachruft.  In  Bartoks  Kunst  geht  ofter  die 
Phantasie  dem  Lyrismus  voran.  Bartok  ist  oft  der  Besessene  seiner  eigenen  fiebenschen  Vi- 
sionen,  Kodalys  Schaffen  spiegelt  die  vollige  Einheit  des  phantastischen  und  lyrischen  Ele- 
mentes,  die  rniteinander  harmonisch  durchdrungen  sind.  Auch  in  der  Kodalyschen  Sonate 
bedeutet  der  letzte  Satz  eine  Aussohnung  mit  dem  tragischen  Leben ;  doch  der  urlebensmutigen 
Kampfstimmung  dem  Bartokschen  Finale  gegenuber  fxihrt  uns  Kodaly  in  die  harmonische  Welt 
des  Volkstanzes,  den  er  in  seinem  abgeklartesten  poetischen  Wesen  ergreift.  Die  rondoartige 
Form  bringt  in  den  Episoden  oder  Trios  oft  lyrische  Bilder  aus  dem  ungarischen  Volksleben. 
Nach  breiten,  langsamen  Satzen  geht  dem  Tanzsatz  gewohnlich  eine  grofiere,  zum  Ideengehalt 
des  ersten  Satzes  zuriickgreifende  Einleitung  voran,  die  an  das  Praludieren  alter  ungarischer 
Instrumentalmusik  mahnt.  Im  II.  Streichquartett  ist  das  Finale  mit  dem  Adagio  program- 
matisch  zusammengeflochten :  ein  Finalethema  erscheint  inmitten  der  erschiitternden  Adagio- 
tragik  ,,quasi  lontano".  Doch  solche  programmatische  Schilderungen  haben  bei  Kodaly  nichts 
Literarisch-Deskriptives.  Hierhandelt  es  sich  nur  um  die  Anwendung  musikalischer  Formen, 
die  ihre  Entstehung  dem  Volksleben  verdanken,  und  so  ihre  Beziehungen  zu  diesem  lebendig 
bewahren.  Der  programmatische  Inhalt  gehort  also  von  vornherein  zu  der  Form,  und  so  triibt 
er  nie  die  stilistische  Reinheit  des  Absolut-Musikalischen.  Das  schonste  Beispiel  dafiir  bietet 
die  Serenade  fur  2  Violinen  und  Bratsche  (1920),  das  abgeklarteste  Werk,  das  Kodaly  uns 
bisher  geschenkt  hat.  Nach  der  Entratastimmung  des  ersten  Satzes  entwickelt  sich  im  klein- 
malerischen  Lento  ein  Dialog  der  Bratsche  und  der  I.Violine,  halb  sehnsiichtig,  halb  humori- 


Moderne:  Ungarn  ]  ]  79 


stisch,  \vie  das  nachtliche  Zwiegesprach  zweier  Liebenden.  Nach  der  Beruhigung  heimlicher 
Leidenschaften  setzt  das  launische  Musizieren  des  Volkstanzfinales  ein. 

Das  Kodalysche  Melos  flihrt  zum  Einzelinstrument.  Das  Einswerden  der  Melodic  mit  dem 
ausfiihrenden  Instrument,  das  wir  bei  Mozart  bewundern,  ist  auch  die  hochste  Tugend  Ko- 
dalyscher  Kammermusik.  Das  Jnnerste  Wesen  des  Instrumentes  wird  hier  ergriffen,  und  so 
verliert  sich  das  Solistische  auch  in  der  ungewohnlich  reichen  Synthese  nicht,  mit  der  Kodaly 
vertikale  Moglichkeiten  auszubeuten  versteht  So  gelangt  Kodaly  in  der  Solo-Cello-Sonate  (1915) 
zu  einer  Wiederentdeckung  des  Einzelinstrumentes.  Auch  im  grofien  Orchester  bewahrt 
Kodaly  diese  eigenartige  Verwendung  der  Instrumente.  Die  ,,Zwei  Orchesterlieder",  Ver- 
tonungen  von  Gedichten  von  Berzsenyi  und  Andreas  Ady  (neben  Petofi  der  grofite  ungarische 
Lyriker),  ziehen  auch  das  Koloristische  in  den  Dienst  konstruktiven  Aufbaues.  Durch  die  ge- 
schlossene  Melodielinie  findet  Kodaly  auch  den  Weg  zu  der  reinsten  Form  der  Lieddichtung. 
Sie  verhilft  der  Gesangstimme  zu  obligater  Herrschaft,  sodafi  sie  sich  im  Gewebe  der  Be- 
gleitungsstimmen  nie  als  Stimme  unter  Stimmen  verliert;  doch  geht  sie  auch  nicht  so  riick- 
sichtslos  straff  ihren  Weg  liber  der  Begleitung  wie  die  Gesangspartien  der  Strawinsky-Lieder. 
Sein  vokales  Oeuvre  besteht  aus  einer  Liedersammlung  liber  Volksliedtexte,  aus  Volkslied- 
hearbeitungen  und  Choren  und  einer  Reihe  von  Liedern  liber  Texte  von  Ady,  Csokonay, 
Arany,  Berzsenyi  und  Kolcsey,  Kodalys  sostenuto-appassionato  oder  parlando-rubato  breit- 
slromendes  Melos  cntspricht  mehr  dem  Wesen  der  Streich-,  wie  dem  der  Schlaginstrumente. 
Sein  Klaviersatz  cntwickelte  sich  darum  langsamer;  in  seinem  strengokonomischen  Schaffen 
konntc  das  Pianoforte  nicht  die  libliche  Rolle  des  Instrumentes  der  Improvisation  spielen.  Die 
auf  und  ab  wogende,  ausflillende  Begleitung  der  ,,largamente'*  Motive  mufite  vorerst  ersetzt 
werden.  Das  gcschah  im  II.  Hcfte  seiner  ,,Klaviermusiklt  (1918)  durch  eine  originelle  Aus- 
nlitzung  des  vcrschiedencn  Charakters  der  entferntesten  Klavierlagen.  So  bewegt  sich  die 
Melodic  des  ,, Lento"  in  grofien  Intervallen,  die  Phantasie  des  Zuhorers  wird  gezwungen,  um 
die  Charakter-  und  Timbreverschiedenheit  der  einander  fernliegenden  Tone  zu  verbinden, 
grofie  Wege  zu  durchlaufcn,  das  Gleichgewicht  der  Phrase,  das  ganze  Tongebaude  gerat  da- 
durch  ins  Sdhwanken  und  so  gewinnt  das  Stuck  einen  vehementen  Charakter,  der  trotz  des 
langsamen  ZeitmaCes  und  der  Klirzc  (23  Alla-breve-Takte)  zu  bedeutender  Grofie  emporwachst. 
Um  die  sonore  einfache  Volksmelodielinie  dramatisch  zu  betonen,  wendet  sich  JCodalys  Kla- 
vier.stil  zu  mannigfaltigen  Fiorituren,  die  also  ihre  alte  Bedeutung  wiedergewinnen.  So  werden 
in  den  Szeklerlied-Variationen  die  Vor-  und  Nachschlagverzierungen  Mitte)  zur  Variation 
und  die  Variation  ein  Mittel  zu  dramatischer  Steigerung.  Sein  bedeutendstes  Werk  der  jiingsten 
Zeit  ist  der  ,,PsaImus  Hungaricus"  fur  Tenorsolo,  Chor  und  Orchester,  1923.  Weiter  sind 
zu  nennen  die  Singspielmusik  ,,Hary  Janos*',  2  Violinsonaten  und  weitere  Chore. 

Bart6k  und  Kodaly  sind  Exponenten  der  osteuropaischen  Musiklcultur,  die  der  abendlan- 
dischen  Musik  frische  volkliche  Elcmente  zuflihren.  Sie  gehoren  zu  den  Begriindern  des 
neuen,  sich  vom  Impressionismus  lossagenden  konstruktiven  Stils,  der  durch  den  EinfluB 
Strawinskys  insbesondere  in  Frankreich  und  Italicn  Schulc  machte.  Auf  der  positiven  Basis 
cler  Volksmusik  stehend,  haben  sie  nichts  Gemeinsames  mit  der  sogenannten  ,,Negermusik4< 
der  abendlandischen  Moderne,  denn  sie  sind  aus  fester  Tradition  erwachsen  und  reihen 
sich  organisch  in  die  Musikentwicklung  unserer  revolutionaren  Epoche  ein.  In  Ungarn  haben 
sie  die  junge  Generation  fur  sich  gewonnen.  Die  ersten,  die  sich  der  modernen  ungarischen 

75    H.  U,  M. 


1180 


Moderne:  Griechen 


Tonkunst  anschlossen,  waren  Ladislaus  Lajta,  Anton  Molnar  und  Endre  Szabo.  Ihnen 
folgte  eine  Reihe  vorziiglich  geschulter,  teils  auch  hochbegabter  junger  Musiker :  Eugen  Adam, 
LudwigBardos,  CezaFrid,  Paul  Hermann,  Paul  Kadosa,  Hugo  Kelen,  GeorgKerenyi, 
Georg  Kosa,  Ervin  Major,  Matthias  Scheiber,  Franz  Szabo,  Stephan  Szelenyi,  Zoltan 
Szekely  u.  a.  Alexander  Jemnitz  (aus  der  Schule  Regers  und  Schonbergs  hervorgegangen)> 
obzv/ar  von  Geburt  Ungar,  ist  ein  reprasentativer  Sendbote  modernster  deutscher  Musik  in 
Ungarn. 

Literatur 

Abranyi,  Komel:  Erkels  Leben  und  Wirken.  1895.  —  Bartalus,  Stephan:  Die  liturgischen  Gesange  der  unga 
rischen  Konfessionen  im  16.— 17.  Jahrhundert.  1869;  Beitrage  zur  Geschichte  der  ungarischen  Musik  (iiber  Bak- 
fark  und  P.  Eszterhazy).  Neue  Beitrage  usw.  1882.  —  Bartok:  La  musique  populaire  hongroise.  Revue  MusJcale 
1920;  Primitive  Volksinstrumente  in  Ungarn.  1917;  Die  Instrumente  des  ungarischen  Volkes.  Ethnographia 
1911  —  12;  Das  ungarische  Volkslied.  1924.  —  Bartok-Kodaly:  Siebenbiirgische  Volkslieder.  1923.  —  Fabo, 
Bertalan;  *Die  musikalische  Entwicklung  des  ungarischen  Volksliedes.  —  Isoz,  Koloman:  Musikalische  Kulturge- 
schichte  der  Stadt  Budapest,  1. 1926.  Studien  iiber  Liszt  und  Erkel.  —  Kodaly:  Pentatonik  in  der  ung.  Volksmusik. 
1917;  Strcphenbau  im  ungarischen  Volkslied.  1906;  Die  Argirus-Weise.  1921 ;  Bela  Bartok.  Revue  Musicale  1920.  — 
Major.  Erwin:  Johannes  Bihari.  1928;  Johann  Fufl  und  seine  Zeit.  1925;  Ungarische  Tanzweisen  in  Haydn-Be- 
arbeitung.  1928;  Die  Quellen  von  Liszts  ungarischen  Rhapsodien.  1929.  —  Matray,  Gabriel:  Melodien  unga- 
rischer  historischer,  biblischer,  satyrischer  Gesange  aus  dem  16.  Jahrhundert.  1859.  —  Molnar,  Anton:  Neue 
ungarische  Musik.  1926;  Csokonay  und  das  Kunstlied.  1929.  —  Molnar,  Ge"za:  Theorie  der  ungarischen  Musik. 
1904.;  Ungarische  Tanze  aus  dem  16.  Jahrhundert.  1907.  — Seprodi,  Johann:  Die  literatur-  und  musikgcschicht- 
lichen  Beitrage  des  Codex  Kajoni.  1909.  —  Szabolcsi,  Benedikt:  Die  ungarischen  Spielleute  des  Mittelalters.  (Ein 
Auszug  davon  auch  in  der  ,,Abert-Gedenkschrift4'  1928);  Die  Musik  von  Sebastian  Tinodi.  1929;  Die  ungarische 
Magnaten-Musik  des  17.  Jahrhunderts.  1928;  Die  ungarischen  Chorpartituren  des  18.  Jahrhunderts.  Zeitschr.  f. 
Musikwiss.  1929;  Probleme  der  alten  ungarischen  Musikgeschichte.  Zeitschr.  f.  Musikwiss.  1929;  Beitrage  zur  Ge 
schichte  der  altungarischen  metrischen  Gesange.  1929.  —  Sztank6,  B^la:  Die  Tanze  des  Tahulaturbuches  von 
Locse  (Leutschen).  1927.  Aladdr  von  Tdth. 


GRIECHEN 

Bis  zum  Abzug  der  Turken  (1824)  bestanden  keinerlei  musikalische  BezJehungen  zwischen 
Griechenland,  und  Europa.  Die  Turken  unterdriickten  jeden  geistigen  Verkehr  rnit  dem 
Westen  und  hatten  sogar  Gastspiele  italienischer  Stagiones  verboten,  Das  Musizieren  be- 
schrankte  sich  auf  die  byzantinische  Kirchenmusik,  die  (noch  heute  gepflegten)  arabischen 
Schattenspiele  und  das  Volkslied.  Von  groCer  Schonheit  sind  die  Lieder  der  Klephten,  der 
nationalen  Banden,  welche  die  Befreiung  Griechenlands  vorbereitet  haben.  Diese  Volkslieder, 
einstimmig  und  unbegleitet  gesungen,  haben  sich  bis  heute  lebendig  erhalten.  Die  Lieder 
und  Tanze  der  Volksmusik  —  die  wissenschaftlich  noch  nicht  erschopfend  aufgearbeitet 
sind  —  weisen  auf  den  verschiedenen  Landstrichen  und  Inseln  groBe  Verschiedenbeiten  auf. 
Zumeist  melancholisch  bis  monoton,  webt  ein  kompliziertes  rhythmisches  Leben -in  ihnen. 
Was  am  griechischen  Volkslied  als  spezifisch  griechisch  anzusehen  ist,  dariiber  gehen  die 
Ansichten  auseinander.  Es  spiegelt  sich  in  ihm  die  Geschichte  des  Landes  wieder.  Ver- 
schiedene  Einfliisse  durchsetzen  es;  slawische,  albanische,  italienische,  tiirkisch-arabische. 
Konstantin  Psachos  hat  eine  Anzahl  Volkslieder  aufgenommen  und  in  byzantinischer  Nota 
tion,  die  heute  noch  in  derKirche  in  Geltung  ist,  herausgegeben.  Er  hat  einige  Harmoniums 


Moderne:  Griechen  1181 


bauen  lassen,  auf  welchen  die  Oktave  in  die  42  ungleichen  Teile  der  byzantinischen  Musik 
geteiltist,  die  er  auch  als  das  grundlegende  System  der  Volksmusik  ansieht,  und  hat  Bearbei- 
tungen  sowie  eigene  Kompositionen  (auch  mit  Chor)  der  Offentlichkeit  vorgefiihrt. 

Europaische  Musik  wurde  zuerst  nach  Griechenland  gebracht  durch  die  Konzerte  der 
bayerischen  Militarkapellen  (1830—1860).  Von  groGerer  Bedeutung  wurden  die  seit  1838 
haufigen  Gastspiele  italienischer  Stagiones.  Mit  Begeisterung  nahm  man  die  italienische 
Musik  auf.  Italiener  leiteten  die  musikalische  Erziehung.  Rafael  Parisini  (1830—1875) 
griindete  die  erste  Musikschule  und  schrieb  die  erste  Musiktheorie  in  griechischer  Sprache. 
Die  ersten  griechischen  Komponisten  schrieben  italienische  Opern:  N.Mantzaros,  Spir. 
Xyndas  (1814—1892),  Pavlos  Karrer  (1829-1896),  Al.  Katakouzinos  (1824-1892).  Die 
erste  Oper  mit  griechischem  Libretto  ist  ,,Der  Bewerber**  (1857)  von  Xyndas.  Zu  grofier 
Popularitat  gelangte  Spiro  Samara  (1863—1917)  aus  Korfu,  Schuler  von  Delibes.  Sein  Stil 
ist  noch  stark  italienisch,  trotz  einzelner  griechischer  Motive  und  Wendungen.  Einige  seiner 
Opern  wurden  auch  im  Ausland  gespielt:  ,,Flora  mirabilis"  (Mailand  1886),  ,,Medge"  (Rom 
1888),  ,,La  Biondinetta"  (Gotha  1906),  ,,Mamsell  Belle  Jsle'*  (Berlin  1909),  ,,Rhea*'  (Florenz 
1908).  Am  Ende  seines  Lebens  wandte  er  sich  mit  wenig  Gliick  der  Operette  zu.  Operette 
und  Vaudeville  erschienen  ab  1873  durch  franzosische  Ensembles.  Man  begann  nach  franzo- 
sischem  Vorbild  Operetten  zu  schreiben,  die  stellenweise  griechisches  Kolorit  aufweisen  (Lud. 
Spinellos,  gest.  1901,  Dim. Kokkos,  gest.  1892,  Sakelaridisu.a.).  Napoleon  Lambelett 
(geb.  1864)  wandte  sich  nach  dem  Erfolg  seiner  Oper  ,,Fenella"  der  englischen  Operette  zu. 
,,Yasniak*',  ,,Potpourri**,  ,,The  Transit  of  Venus",  ,,Prince  Valencia**  wurden  in  London 
aufgefiihrt.  Der  Stil  (und  Kffolg)  dieser  Opern  und  Operetten  wurde  bestimmend  fiir  die 
iiberaus  beliebte  Gattung  des  volks  turn  lichen  Liedes:  italienische  Trivialitat,  reichliche 
Sentimentalitat,  em  wenig  franzosischer  Esprit  mit  etwas  orientalischem  Aroma.  Solche 
Lieder  schrieben  Dim.  Rodios,  Georg  Lambiris,  Nik.  Kokkinos,  Samara,  Nap. 
und  Georg  Lambelett,  Timoth.  Xanthopoulos,  Joh.  Psarouda,  Sakelaridis  u.a. 
Dionysios  Lavranca  (geb.  1864  auf  Kephalonia,  Schuler  von  Massenet,  Griinder  und  Leiter 
der  ,,Griechischen  Oper**)  steht  dieser  Gruppe  nahe.  Seine  Oper  ,,Dido"  hat  ihn  auch  im 
Ausland  bekannt  gemacht  Weitere  Opern:  ,,Elda  di  Vorn",  ,,La  vita  e  un  sogno",  ,,Zwei 
Briider",  ,,Der  schwarze  Schmetterling".  Sinfonische  Werke:  zwei  griechische  Suiten,  Reli 
giose  Bilder,  Sinf.  Ouverture,  Jota  Navarra,  Romaneska,  Lyrisches  Intermezzo  sind  mit  Fein- 
heit  instrumentiert. 

Bedeutungsvoll  fur  die  musikalische  Entwicklung  Griechenlands  war  die  Griindung  des 
,,Athener  Konservatoriums**  ('l^Wor  \'l"fhjr<7)r)  im  Jahre  1871,  welches  seit  1890  unter  der 
Leitung  von  Georg  Nasos  steht.  Sowohl  als  Schule  wie  durch  Konzerte  (Orchester,  Chor, 
auswartige  Solisten)  bildetc  cs  das  Musikleben  in  der  Gesellschaft  Athens  heran.  Andere 
Musikschulen  grundete  in  Athen  und  in  der  Provinz  Manuel  Kalomiris  (geb.  1883  in  Smyrna, 
Schuler  von  Gradener  und  Sturm  in  Wien,  1906—1910  in  Charkow,  seither  in  Athen).  Er 
sucht  ,,dic  Musik  ins  Volk  zu  tragen**  und  leistete  verschiedene  organisatorische  Arbeit,  wie 
Reform  der  Militarmusik,  Forderung  von  Noten-  und  Instrumentenhandel  usw.  Seine  Opern 
,,Dcr  Obermeister*'  (1915),  ,,Das  Ringlein  der  Mutter'4  (1917)  sind  starker  mit  griechischen 
Elcmenten  durchsetzt  als  die  Werke  seiner  Vorganger.  Er  schrieb  ferner  zwei  Symphonien 
(Symphonic  der  Schonheit,  Symphonie  der  unwissenden  und  guten  Menschen),  sinf .  Dichtung 

75* 


|g2  Moderne:  Rumanen 


,JDodekanes",  Kammermusik,  Klavierstucke,  Lieder.  Der  Professor  der  Theorie,  Georg 
Sklavos  (geb.  1888  zu  Braila,  Schiller  von  Marsyck)  schrieb  die  Opern  ,,Niobe",  ,,Lestenitza", 
das  Melodram  ,,Kyra  Phrosyni",  fiir  Orchester  eine  ,,Kretensische  Fantasie",  eine  ,,Arkadische 
Suite",  ,,Heroische  Dichtung"  und  Idyllen,  durchaus  ernste,  gediegene  Musik.  Von  Marios 
Warwoglis  (geb.  1883  Brussel)  liegt  vor  eine  ,,0per  im  griechischen  Stil",  ,,Die  hi.  Barbara**, 
zwei  Orchesterstucke  (,,Kirchweih*'  und  ,,Griechisches  Capriccio"),  ein  Streichquartett  und 
Lieder. 

Die  musikalische  Moderne  reprasentiert  Dimitri  Mitropolos,  1896  in  Athen  geboren, 
studierte  bei  Wassenhoven,  Marsyck,  Gilson  und  Busoni;  glanzender  Pianist,  Leiter  der 
Symphoniekonzerte  in  Athen.  Seine  ,,Kretensische  Suite"  fur  Orchester  ist  ein  sehr  gliick- 
licher  Versuch  eines  neugriechischen  Stils,  eine  Synthese  aus  Volksmusik  und  zeitgemafiem 
Musikempfinden.  Die  ,,Inventionen"  fiir  Sopran  und  Klavier  (nach  Gedichten  von  Cavaffy) 
sind  streng  nach  Schonbergs  1 2-Ton-Theorie  gearbeitet.  Ein  neuer  Stilversuch  ist  sein 
,, Concerto  grosso"  fiir  Orchester.  Jeder  Satz  ist  einheitlich  aus  einem  Intervall  entwickelt. 
Urspriinglicher  wirken  eine  Klavierpassacaglia  und  eine  Sonate  fur  Geige  und  Klavier. 
Die  jiingeren  Tondichter  zeigen  in  ihrem  Schaffen  entweder  ihre  Herkunft  vom  franzosischen 
Impressionismus,  wie  der  kultivierte  Emil  Ryadis,  oder  ihre  Abstammung  von  deutscher 
Schule,  wie  Dim.  Lalios,  Kontis  (geb.  1888,  Klavierstucke,  Lieder),  Loris  Margaritis 
(geb.  1894,  Klavierstucke,  Lieder,  Tanzspiel  ,,Nausikaa").  Zu  erwahnen  sind  noch  Be- 
arbeitungen  von  Volksmelodien  durch  Petro  Petridis,  Theodor Spathys.  Das  musikalische 
Leben  hat  sich  bisher  ausschliefilich  auf  Athen  beschrankt.  Seit  einigen  Jahren  beginnt  Sa- 
loniki,  wo  Margaritis  und  Ryadis  wirken,  sich  zu  einem  zwei  ten  Kunstzentrum  zu  entwickeln. 
Die  meisten  der  erwahnten  Werke  sind  noch  Manuskript.  Ein  grofierer  griechischer  Verlag 
existiert  noch  nicht.  Gedruckt  werden  hier  meist  nur  ,,beliebte"  Lieder.  Einige  Werke  sind 
im  Selbstverlag  und  einige  im  Ausland  erschienen  (Paris,  Senart). 

Li teratur 

SynadJnos,  Theodor  N.:  GeschicKte  der  neugriechischen  Musik  von  1824 — 1919.  Erster  Teil,  Athen  1919.  — 
Derselbe:  Das  griechische  Lied  (5  Vortrage).  Athen  1922.  —  Psachos,  Konstantin:  Volkslieder  Gortiniens,  in 
byzantinischer  und  europaischer  Notenschrift.  (1.  Sammlung.)  Athen  1923.  —  Derselbe:  Die  Zeichenkunde  der 
byzantinischen  Musik.  (H IIAPA2HMAXTHKH).  Athen  1917.  —  Economo,  Konstantin:  Studien  iiber  das  neu- 
griechische  Volkslied.  Wiener  Diss.  —  Remandas,  A.,  und  Zacharias,  P.  D.,  Arion,  Sammlung  griechischer 
Weisen  von  den  altesten  Zeiten  bis  auf  die  Gegenwart.  Athen  1917.  —  Musika  Chronika.  Musikalische  Monats- 
schrift,  gegrundet  und  geleitet  von  Georg  Lambelett  (seit  1927).  Felix 


RUMANIEN 

Das  Volkslied.  Die  ersten  aufgezeichneten  rumanischen  Volkslieder  und  Tanze  sind  in  der  ,,Geschichte  des 
transalpinischen  Dakiens"  (1781  Wien,  Rudolf  Graffer)  von  Franz  Josef  Sulzer  zu  finden.  Die  hier  ver/eichneten 
griechischen,  walachischen  und  turkischen  Lieder  blieben  aber  der  Musikwelt  ziemlich  unbekannt,  denn  im  4.  Jahrg. 
der  Slbde.  d.  IMG.  schreibt  Otto  Heilig  irrtumlicherweise  die  Jm  Jahre  1781  gedruckten  Lieder  Sulzers  einem  Cnv. 
de  Florio  (1835)  zu.  Und  doch  ist  Sulzer  derjenige,  der  gegen  die  vom  ersten  Musiktheoretiker  Rumaniens,  dem 
Moldauer  Fiirsten  Dimitrie  Cantemir,  hochgepriesene  turkische  Vierteltonmusik  (in  der  ,,Geschichte  des  osmanischen 
Reiches"  1712)  polemisch  eintritt.  In  der  ersten  Halfte  des  19.  Jahrhunderts  waren  die  in  by/antinischer  Notation 
aufgezeichneten  Liebeslieder  und  Weihnachtssternlieder  von  Anton  Pann  sehr  verbrcitet.  Dieser  war  ein  beriihmter 


Moderne:  Rumanen  1183 


Dichter,  Lehrer  und  Kirchensanger  an  der  Metropohe  in  Bukarest.  Die  von  Alexander  Berdescu  aufgezeichneten 
Volkslieder  und  Tanze  (1860—1862,  5  Hefte)  stammen  von  Zigeunermusikanten  (Lautari).  Von  den  spateren  guten 
Bauernliedersammlungen  Altrumaniens  sei  hier  die  von  Ciorogariu  (,,Cantece  din  popor",  60  Melodien,  Bukarest 
1909)  verfafite  erwahnt.  Erst  mit  den  phonographischen  Melodieaufnahmen  Gustav  Weigands  (Dialekte  der  Buko- 
wina  und  Bessarabiens  1904,  Leipzig),  Pompiliu  Parvescus  (,,Hora  din  Cartal" ,  mit  63  instrumentalen  Tanzmelodien, 
Bukarest  1908,  von  der  Academia  Romana  herausgegeben)  und  iiberhaupt  Bela  Bartoks  (,,Chansons  populaires  du 
departement  de  Bihor",  371  Melodien  mit  Text,  ebenfalls  von  der  Academia  Romana  1913  herausgegeben)  begann 
sich  die  rumanische  Musikwelt  fur  das  echte  Volkslied  zu  interessieren.  Dimitrie  Kiriak  (1866—1927),  einer  der 
ersten  strebsamen  Volksliedforscher,  setzte  beste,  einfachste,  in  Volksgeist  gehaltene  Klavierbegleitung  zu  ausge- 
wahlten  Volksliedern;  als  Musterbeispiel  sei  sein  Volkslied  ,,Unde~aud  cucul  cantand"  (deutsch:  ,,Wenn  ich  den 
Kuckuck  singen  bore")  zitiert.  Zu  derselben  Zeit  erscbienen  aucb  zablreiche  mit  Klavierbegleitung  versehene  Volks- 
liederbande  von  Tiberius  Bredicianu.  Als  bekannte  Volksliedforscber  und  Bearbeiter  seien  hier  auch  C.  Brailoiu 
und  Borgovan  (beide  in  Bukarest)  genannt.  Fur  Chor  bearbeitete  Kiriak  mit  einfachen  und  wirksarnen  harmonischen 
und  rhythmischen  Mitteln  zahlreiche  Volkslieder.  Erfolgreicb  trat  auch  der  Banater  Komponist  Vidu  mit  Volks- 
liederchorwerken  hervor.  Heutzutage  ist  die  Fuhrung  der  volkstumlichen  Chorkomposition  in  den  Handen  von 
Cucu.  Auch  Sabin  Dragoiu  aus  Temisoara  (Banat),  der  junge  Autor  der  im  rumanischen  Volksgeist  komponierten 
Oper  ,,Napasta",  hat  sich  eben  in  diesem  Werke  als  Meister  des  volkstumlichen  Chorstiles  erwiesen.  Von  rumanischen 
musikwissenschaftlichen  Abhandlungen  iiber  das  ruma'nische  Volkslied  ist  nur  der  Aufsatz  von  Breazul  zu  erwahnen 
(Zeitschr.  ,,Ideea  Europeana"  1924).  Breazul  gelang  es  Jm  Jahre  1926,  die  in  diesem  Aufsatze  enthaltene  Idee,  die 
Grlindung  eines  Staatsphonogrammarchivs  far  Volkslieder  in  Bukarest,  zu  verwirklichen.  Mit  Heranziehung  der 
nicht  ganz  einwandfreien  letzten  theoretischen  Aufstellungen  Bela  Bartoks  (,,Volksmusik  der  Rumanen  von  Mara- 
mures"  und  ,,Das  ungarische  Volkslied")  sei  hier  iiber  das  rumanische  Volkslied  im  heutigen  Stadium  der  Forschung 
Nachfolgendes  gesagt'): 

Der  gesangliche  im  Brustton  gehaltene  Vortrag  des  rumanischen  Volksliedes  ist  einstimmig.  Eine  Ausnahme 
bildet  das  Volkslied  der  Rumanen  von  Makedonien  und  Albanien,  das  archaisch  heterophon  zweistimmig  oder 
dreistimmig  gesungen  wird.  Das  rumanische  Hirtenvolk  kannte  seit  jeher  den  Cimpoiu-  bzw.  Sackpfeifenvortrag. 
Charakteristisch  sind  bei  diesem  alten  doppelklarinettartigen  Instrument  die  vikarierenden  und  die  liegenden 
Borduntone,  die  der  Melodie  harmonische  Stutzen  geben.  Als  Nachahmung  des  Cimpoiuspiels  weisen  auch  heute 
Floten-  und  Violintanzweisen  wie  auch  Gesange  die  vikarierende  leere  Quart  unterhalb  des  Grundtones  auf.  Die 
gefltisterten  Stiitztone  am  Anfang  der  Lieder  und  die  Quartfalle  der  Kadenzen  geben  diesen  Gesangen  einen  latenten, 
liegend  harmonischen  Charakter.  .  Der  verzierte  Vortrag  mancher  Liederarten  (Hora  lunga  und  Doina)  ist  aber  mit 
dem  alten  byzantinischen  Kirchengesang  sowie  auch  mit  dem  islamischen  orientalischen  Makame  verwandt  Die 
Hora  lunga  wird  nur  auf  der  Langsflote  ohne  Grifflocher  und  ohne  Mundstiick  von  Bauern  gespielt.  Im  allgemeinen 
ist  der  Vortrag  des  rumanischen  Volksliedes  fihnlich  dem  Vortrage  mit  der  Flote,  und  zwar  durch  Schleifer,  primitive 
Portamenti,  Riickschlage,  Scotshsnaps,  langausgehaltene  Tone  und  typische  Verzierungen  gekennzeichnet. 

Das  lockere  Verh&ltnis  zwischen  Text  und  Gesang  ware  schon  dadurch  charakterisiert,  dafl  die  typische  acht- 
silbige,  fallend  spondfiische  oder  trochaische  Verszeile  schon  sprachlich  verschobene  Betonungen  enthalt  und  sich 
den  mannigfaltigst  synkopterten  mehrzeitigen  Rhythmen  anpafit.  Die  haufig  verschobene  Betonung  des  Sechs- 
und  Achtsllblers  ist  auf  den  Einflufl  des  Tanzzurufes  zuruckzufiihren,  bei  welchem  der  straffe  Tanzrhythrnus  den 
improvisierten  Versen  das  einheitliche  beschwingte  Schema  verleiht.  Andererseits  gab  aber  der  arhythmische 
Parlando-Rubatovortrag  wie  auch  die  rezitierende  Hora  lunga  diesem  rhythmischen  akzentuierten  Schema  durch 
Solmisatiomsilben  (Mclismen  auf  einem  Vokal)  eine  groBe  Freiheit.  Die  alte  Vortragsweise  kniipft  aber  niemals 
einen  einzigen  Text  an  eine  Melodie  an,  und  umgekehrt:  Melodien  und  Textverse  bleiben  heterogen  in  der  Uber~ 
lieferung  erhalten, 

Das  typische  ruma'nische  Volksliedintervall  ist  die  fallende  Quart.  Grofie  Intervalle  alternieren  im  Auf^  und  Ab- 
steigen  mit  kleineren.  Die  im  rumanischen  Volkslied  haufig  vorkommende  pentatonische  Skala  ist  als  gewohnliche 
siebenstufige  anzusehen,  wobei  zwei  Stufen  fehlen  konnen.  Die  dorische,  phrygische,  hypodorische  und  mixolydiscbe 
Skala  ist  sehr  verbreitet.  Neutrale  Intervalle  kommen  auch  vor.  Chromatik  trifft  man  eher  in  den  stidostlichen 
Provinzen  RurnSniens,  dagegen  die  Pentatonik  im  Gebirge  und  hauptsa'chlich  in  Transsylvanien.  Das  Vorkommen 
des  Dur-Mollsystems  (Tonika-Dommanteverhaltms)  ist  ganz  neuen  Datums  und  auf  Beeinflussung  westeuropaischer 
stsdtischer  Gassenhauer  zurUckzufiihren. 

Der  Rhythmus  des  rumHnischen  Volksliedes  ist  bald  durch  den  Impetus  des  Parlando-Rubato-  oder  rezitierenden 
Stils,  bald  durch  Tanzlieder  oder  andere  Vortragsmomente  bedingt.  Das  Rezitierende  bzw.  Parlandoartige  wird  mit 
dem  streng-rhythmischen  Element  kombiniert  und  je  nachdem  es  sich  um  Tanzweisen,  WeihnacKtsIieder  (G>lmdie), 


^)  Der  Verfasser  dlieserAbhancllung  hat  auf  Grund  seiner  Wiener  Dissertation  ,,Studien  zum  rumanischen 
liecT  (1927)  ein  grdlkresWerk  in  Vorbereitung.    D.  Hgbr, 


|]§4  Moderne:  Rumanen 


Trauerlieder  (Bocete).  schwermutige  oder  leichtbeschwingte  Lieder  handelt,  erhalt  dieses  oder  jenes  Ausdrucks- 
mittel  den  Vorzug.  Die  Hora-  oder  Doinalieder,  die  sich  trotz  ihres  Parlando-Rubatostils  dem  Tanzliede  nahern, 
haben  meistens  eine  parallele  periodische  Gliederung  (achtteilig  gegliedert,  manchmal  rhythmisch  achttaktig  er- 
scheinend);  dies  wird  besonders  durch  die  harmonische  Gegenuberstellung  der  Hauptzasur  auf  der  3.  Stufe  mit 
Unterganztonwirkung  der  7.  Stufe  und  des  Schlusses  auf  der  1.  Stufe  hervorgehoben.  In  den  Schlufiformeln  ist 
die  latente  Harmonic  der  zerlegten  Akkorde  abwechselnd  Dur  und  Moll;  dissonant  zerlegte  Akkorde  kommen  nur 
bei  den  Zasuren  vor.  Der  Hora-Iunga-Stil  (orientalisches  Geprage)  hat  nicht  den  aktiv  gestaltenden  Charakter  der 
Hora  (europaisches  Geprage).  Seine  konzentiscben  SchluGformeln,  aucb  solmisierte  Interludien,  baben  stets  einen 
linearen  Ablauf.  Die  Hora  lunga  verleiht  durch  das  stete  Zasurieren  auf  derselben  Schlufttonika  den  Versteilen  einen 
Satzgruppencharakter.  Vermag  man  tiefer  zu  blicken,  so  erkennt  man  ein  jahrhundertaltes  Ringen  zwischen  den 
den  siidosteuropaischen  Landern  eigentiimlichen  Koloraturen  und  Rezitativen  des  altertiimlichen  Psalmod»erens 
einerseits  und  andererseits  den  melodisch  vereinfachten,  aber  hingegen  aktiv  rhythmischen  mit  zerlegten  Akkord- 
wirkungen  und  plastischen  Motiven  versehenen  nordwesteuropaischen  (germanisch-romanisch-keltischen)  und  nord- 
osteuropaischen  (tartarisch-ugrofinnischen)  Volksliedern. 

Der  liturgische  Gesang.  Die  byzantinische Oberlieferung  der  orthodoxen  Kirche  hat  sich  auch  in  Rumanien 
erhalten,  freilich  mit  alien  Vor-  und  Nacbteilen  der  Textubersetzung  ins  Rumanische  aus  dem  Altgriechischen  und 
Slawischen.  Zunachst  ist  die  byzantinische  Notation  sowohl  aus  dem  Banat,  Siebenbiirgen  und  der  Bukowina  wie 
auch  aus  Bessarabien  durch  das  westeuropaische  Musiknotensystem  verdrangt  worden.  Die  mehrstimmigen  Liturgien 
Mandyczewskis  (Bukowina),  Vidus  und  neuerlich  die  von  Sabin  Dragoiu  (Banat)  lehnen  sich  an  den  kirchlichen 
Chorsatz  an.  In  Bessarabien  ist  die  mehrstimmige  russische  kirchliche  (italienisierende)  Musik  durch  Muzicescu 
bestimmend  gewesen.  In  Altrumanien  ist  man  dem  Oktoech  und  der  um  1820  durch  den  Mcinch  Makarie  durch- 
gesetzten  Reformation  der  byzantinischen  Notation  treu  geblieben,  aber  nur  im  Sologesang.  Die  mehrstimmige 
Kirchenmusik  Flechtenmachers  und  Wachmanns  in  Bukarest  ist  vom  deutschen  Kirchenstil,  die  von  Muzicescu 
(Jassy)  vorn  russischen  beeinfluBt.  Erst  Kiriak  brachte  durch  seine  im  rumanischen  Volksgeist  erfaBten  kirchlichen 
Gesange  einen  neuen  rumanischen  Kirchenliederstil  (als  Muster  gilt  ..Ingerul  a  strigat4',  deutsch:  ,,Der  Engel  hat 
gerufen4').  Cucu  ist  heute  derjenige,  auf  welchen  alle  Hoffnungen  gesetzt  werden.  Von  den  jungeren  Banater  Kom- 
ponisten  sei  Sabin  Dragoiu  mit  seiner  imposanten  Liturgie  ..Heiliger  Johann",  1926  fur  Mannerchor  komponiert, 
erwahnt.  Dieselbe  steht  allerdings  nicht  in  so  naher  Beziehung  zum  altbyzantinischen  Stil  wie  die  liturgischen  in 
einfach  erhabener  wirkungsvoller  Mehrstimmigkeit  gehaltenen  Kompositionen  von  Cucu.  In  Bukarest  wird  eben 
noch  das  altbyzantinische  Psalmodieren  mit  Vierteltonwendungen  von  beriihmten  Opernsangern,  wie  dem  Bassisten 
Folescu,  dem  Baritonisten  Athanasiu  usw.  und  von  samtlichen  griechisch-orthodoxen  Priestern  sowie  alien  ehe- 
maligen  Schulern  des  Bukarester  theologischen  Seminars  vom  Blatt  nach  der  byzantinischen  Notation  vorgetragen. 
Zum  Zwecke  des  Wiederauflebens  der  byzantinischen  kirchlichen  Gesangspflege  wurde  1928  unter  dem  Protektorate 
des  Patriarchen  Miron  Christea  eine  Musikakademie  an  der  rumanischen  Patriarchie  mit  besten  Lehrkraften  gegrundet. 

Wie  wir  vom  Fiirsten  Dimitrie  Cantemir  und  Franz  Josef  Sulzer  bereits  wissen,  wurde 
im  18.  Jahrhundert  noch  tUrkische  Musik  an  walachischen  und  moldauischen  Fiirstenhofen 
gepflegt.  Noch  am  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  wird  die  furstliche  Meterchane  (turkisches 
Blaser-  und  Schlagwerkorchester)  am  Bukarester  Hofe  in  den  Zeitchroniken  erwahnt.  Das 
aristokratische  Bukarester  Publikum  kam  1819  durch  Vermittlung  von  Friedrich  v.  Gentz, 
der  ein  Gastspiel  des  Wiener  Opernensembles  in  Bukarest  ermoglichte,  in  engere  Beziehung 
mit  der  westeuropaischen  Musik  Mozarts,  Rossinis  usw.  Die  rumanischen  Komponisten, 
die  allmahlich  gegen  das  Ende  des  1 9.  Jahrhunderts  auftauchten,  fuhren  noch  in  fremden 
Gewassern,  und  zufolge  nicht  geniigenden  Konnens  konnten  sie  auch  nichts  Bedeutendes 
leisten.  So  weit  ging  die  Anlehnung  an  die  deutsche  und  italienische  Musik,  daB  sogar  die 
rumanische  Nationalhymne  von  Hiibsch  oder  die  noch  heute  wirksamen  patriotischen  Lieder 
vom  Transylvaner  Ciprian  Porumbescu  sowie  die  zu  den  rumanischen  Gedichten  anmutig 
vertonten  Lieder  Dimas  (1847—1927),  ferner  die  historischen  Opern  Eduard  Caudellas  eher 
an  Westeuropa  als  an  das  orientalische  Rumanien  erinnern.  Allmahlich  aber,  angestachelt 
durch  das  Beispiel  der  Russen  und  vermoge  einer  debussystischen  gegen  Wagner  gerichteten 
Bewegung,  erstrebt  die  jiingere  rumanische  Schule  ein  neues  kiinstlerJsches  Niveau,  das  ge- 
festigt  wird  durch  Verwendung  und  Einarbeitung  des  rumanischen  Volksliedes  und  so  all- 


Moderne:  Rumanen  |  ]  §5 


mahlich  zu  einem  eigenartigen  Stil  sich  emporringt.  Allerdings  iibernahm  fast  jeder  junge 
Autor  die  Kunstgriffe  der  zeitgenossischen  franzosischen,  deutschen  oder  tschechischen  Schule, 
die  er  zur  Vollendung  seines  Kompositionsunterrichtes  besucht  hatte.  An  dieser  Stelle  mu6 
man  als  bedeutendsten  Kompositionslehrer  an  der  Musikakademie  in  Bukarest  neben  K  i  r  i  a  c 
den  Italiener  Alfons  Castaldi  nennen. 

Georg  Enescu  (geb.  19.  August  1881  in  der  Moldau,  Rumanien)  besuchte  die  Wiener 
und  die  Pariser  Musikschule  und  lebt  seit  1900  in  Paris,  zeitweise  auch  in  Bukarest. 
Zahlreiche  Orchesterwerke,  3  Symphonien,  2  Suiten,  3  Rhapsodien,  ferner  Kammermusik 
(3  Sonaten  fur  Geige  und  Klavier,  1  Quartett,  2  Klaviersuiten  usw.),  franzosische  ,,Clement 
Marot-Lieder"  und  endlich  seine  breit  angelegte  Oper  ,,0dipus",  Text  von  Edmond  Fleg, 
zeugen  von  einer  grofien  entwicklungsfahigen  Kompositionsbegabung,  die,  wenn  auch  alter- 
nierend  vom  rumanischen  Volkslied  und  von  westeuropaischer  moderner  Musiktechnik  ge- 
farbt,  interessante  Originalitat  aufweist.  Enescu  stiftete  1912  einen  Nationalpreis  in  Bukarest, 
der  von  den  jungen  rumanischen  Komponisten  Otescu,  Cuclin,  Alessandrescu,  Jora,  Enacovici, 
Lazar,  Negrea,  Andricu,  Stan  Golestan  und  Dragoiu  errungen  wurde.  Nona  Otescu,  seit  1919 
Direktor  des  rumanischen  Konservatoriums  in  Bukarest,  trat  zunachst  (noch  vor  dem  Kriege) 
mit  einem  im  franzosischen  Geist  komponierten  Orchesterwerk  ,,Enchantement  d'Armide" 
und  sodann  mit  der  Buhnen-  und  Ballettmusik  zu  ,,Ilderim"  und  ,,Ileana  Cosanzeana",  ge- 
dichtet  von  Konigin  Maria,  auf .  Der  eigentlich  rumanische  Charakter  aber,  der  in  der  Kompo- 
sitionstechnik  Otescus  vom  Volksgeist  fein  und  witzig  gesattigt  ist,  zeigte  sich  als  wirkliche 
Offenbarung  in  2  Orchesterbruchstucken  aus  der  Oper  ,,Dela  Mateiu  citire".  Michail  Jora 
hatte  einen  groBen  Erfolg  mit  seiner  Orchester^Suite  ,,Moldauische  Landschaften",  1923  auf- 
gefiihrt  Er  erwies  sich  auch  mit  seinen  Kammerorchester-  und  Klavierstiicken  als  Meister 
in  der  modernen  Klangfarbungstechnik,  sich  an  rumanische  Volksliedwendungen  anlehnend; 
obwohl  er  ein  Schiller  Stephan  Krehls  in  Leipzig  war,  hat  seine  Kompositionstechnik  eher 
Debussy-  und  Strawinsky-Anklange,  die  sich  am  besten  in  der  Ballettmusik  ,,Am  groBen 
Markt'4  (1928)  u,  a.  zeigen.  Daher  steht  er  der  modernen  franzosischen  Richtung  naher. 
Alfred  Alessandrescu  mit  seinen  Orchesterwerken  ,,Didonna"  und  ,,Acteon**  ist  in  die 
moderne  Debussy^Schule  einzureihen,  Filip  Lazar  mit  seinem  „ Divertissement"  fur  Orchester 
hat  auch  franzosische  Pragung  in  der  Komposition  und  Instrumentierungstechnik,  verwendet 
aber  auch  rumanische  Volksliedmotive.  Michail  Andricu,  Stan  Golestan,  Rogalski  und 
Michalowitsch  sind  alte  und  junge  Vertreter  der  modernen  rumanischen  Schule,  die  durch 
franzosisch-russische  Kunstgriffe  der  Debussy-Strawinsky-Schule  sehr  modern  wirken.  Zwei 
junge  Transylvanier,  Martian  Negrea  (Cluj)  und  Sabin  Dragoiu  (Temesoara)  sind  eher 
als  Schiiler  der  deutschen  modernen  Ridhtung  zu  bezeichnen.  In  Negreas  Werken  erkennt 
man  den  polyphonen  Orchest ersatz  Max  Regers,  \vahrend  in  Dragoius  Werken  die  tschechische 
Schule  Dvoraks  und  JanacSeks  ab  und  zu  zum  Vorschein  kommt.  Beide  sind  hoffnungsvolle 
Talente,  die  immer  mehr  an  Klarheit  und  Originalitat  gewinnen  dadurch,  dafi  sie  entschieden 
rumSlnisch-volkstumHche  Weisen  zu  thematisch  grofi  angelegten  Orchester--  und  Chor- 
werken  heranziehen,  Die  Oper  ,,Napasta"  nach  einem  Drama  von  Girageale,  Musik  von 
Sabin  Dragoiu,  hat  im  Jahre  1928  einen  grofien  Erfolg  gehabt  und  ist  dadurch  bedeutend, 
dafi  sie  das  ruminische  Volkslied  durch  eine  feine  Orchestration  und  Stimmfiihrung  der 
Ch5re  in  europaisches  Gewand  kleidet.  Es  zeigt  sich  in  dieser  Oper  em  gewisser  Einflufi 


[  ]  86  Moderne :  Amerika 


von  Mussorgski.  Besonders  eines  der  ,,Lieder  des  wahnsinnigen  Jon*'  erinnert  an  Stellen 
in  ,, Boris  Godunow",  Puccinismen  finden  sich  in  den  hohen  Lagen  des  Liebes-  und  Hafi- 
duetts  (Anka  und  Dragomir).  So  kreuzen  sich  moderne  Einfllisse  verschiedener  Art  und 
diirften  einer  Eigenentfaltung  der  rumanischen  Musik  nicht  im  Wege  stehen. 

Emil  Riegler-Dinu 


AMERIKA 

Unter  Amerika  kurzweg  verstehe  man  hier  den  nordamerikanischen  Staatenbund,  Diese 
Vereinigung  umfafit  48  Staaten  mit  einer  Bevolkerung  von  iiber  110  100000  Seelen  (1923) 
und  einem  Flachenraum  von  rund  3  026700  (amerikanischen)  Quadratmeilen,  (Im  Jahre  1800 
war  das  Verhaltnis:  17  Staaten,  5  300  000  Seelen,  892000  Quadratmeilen.)  Die  Zahl  der  in 
dieser  Bevolkerung  aufgegangenen  oder  noch  im  Verschmelzen  begriffenen  Rassen  ist  eine 
erhebliche.  Fast  alle  Volkerschaften  Europas  sind  darin  vertreten,  obzwar  ein  deutliches  Ober- 
gewicht  auf  seiten  des  angelsachsischen  Stammes  liegt,  wie  auch  die  englische  Sprache  die 
fiihrende  ist.  Hierzu  kommt  der  nicht  unbetrachtliche  Einschlag  afrikanischer  Rassen,  der 
sich  in  den  verschiedenen  Graden  der  Negerkreuzungen  zu  erkennen  gibt,  den  mehr  oder 
weniger  reinen  Abkommlingen  der  urspriinglichen  Sklaven.  Auch  Asiaten,  wie  Tlirken,  Ar~ 
menier,  Chinesen,  Japaner,  geben  dem  allgemeinen  Volksleben,  speziell  in  den  Grofistadten 
und  in  gewissen  Gegenden,  ein  eigentiimliches  Geprage.  Die  sparlichen  Reste  der  indianischen 
Ureinwohner  leben  meistens  abgesondert  in  den  ihnen  zugewiesenen  ,,Reservationen"  und 
nehmen  an  der  Kulturentwicklung  des  Landes  keinen  Anteil.  Trotz  des  unvermeidlichen  An- 
schlusses  von  Stammesgenossen  zu  engerem  gesellschaftlichen,  geistigem  und  wirtschaftlichem 
Verkehr  unter  sich  halt  diese  buntscheckige,  vielsprachige  Masse  dennoch  an  einem  einheit- 
lichen  nationalen  Gedanken  fest  und  fiihlt  sich  eins  unter  den  edlen  und  grofiziigigen  Prin- 
zipien,  die  der  republikanischen  Verfassung  vom  Jahre  1787  zugrunde  liegen. 

Der  Wille  zu  politischer  Einheit  und  Unabhangigkeit  regte  sich  zuerst  unter  den  britischen 
Kolonisten  des  Ostens,  unter  den  Bewohnern  der  Europa  zugewendeten  Kiiste.  Dort  stand 
auch  die  Wiege  amerikanischen  Geisteslebens  und  Kunstbediirfnisses.  Die  politische  Selb- 
standigkeit  wurde  nach  blutigem  Ringen  (1775—1783)  siegreich  erzwungen.  Die  friedlichere 
Errungenschaft  einer  geistigen  und  kiinstlerischen  Autonomie  ist  bis  auf  den  heutigen  Tag 
noch  nicht  erreicht.  Die  Ostkiiste  dieser  neuen  Welt  ist  nach  wie  vor  die  empfindsame  Stelle, 
der  Schofi  intellektuellen  Antriebes,  der  den  befruchtenden  Pollen  von  den  Keimtragern  einer 
alteren.Zivilisation  empfangt.  Diese  Befruchtung  hat  sich  bereits  seit  mehreren  Jahrzehnten 
weithin  iiber  den  Westen  des  Kontinents  erstreckt  und  hat  dort  auch  zu  Erscheinungen  ge- 
fiihrt,  die  vielleicht  lebensfahiger  und  selbst  national  typischer  sind  als  die  Mischerzeugnisse 
der  stets  von  Europa  beeinflufiten  Entwicklung  des  Ostens.  Und  doch  lafit  es  sich  nicht 
leugnen,  dafi  der  schmale  Kiistenstreifen,  der  noch  bis  in  den  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 
hmein  der  einzig  bildungsrege  Landstrich  war,  auch  heute  noch  der  tonangebende  ist,  weil  eben 
dort  die  Riesenmarkte  liegen,  wo  neben  den  Lagerhausern  voll  ungezahlter  Ballen  und  Kisten 
mit  importierten  Giitern  die  Faktoreien  der  Phantasie,  die  Wechselstuben  des  Geschmacks, 
mit  den  Reichtiimern  des  menschlichen  Genies  einen  unermefilichen  Welthandel  treiben. 


Moderne:  Amerika 


Weit  andere  waren  die  Zustande  wahrend  der  ersten  300  Jahre  nach  der  spanischen  Besitz- 
ergreifung  Zentralamerikas  durch  Kolumbus  (1492).  Die  Verhaltnisse  fur  kiinstlerische  Be- 
strebungen  jeder  Art  hatten  kaum  ungiinstiger  sein  konnen.  Daher  hat  auch  Amerika  keine 
kiinstlerische  Geschichte,  speziell  keine  musikhistorische  Vergangenheit  im  Sinne  Europas. 
Die  grofite  Zahl  der  Ansiedler  wagte  sich  in  die  ungewisse  und  dock  lockende  Feme,  weil 
politische  oder  religiose  Meinungsverschiedenheiten  ein  Bleiben  im  Vaterlande  unerwiinscht 
oder  unmoglich  machten;  weil  strafbare  Verfehlungen  zur  Flucht  drangten;  oder  weil  der 
Hunger  nach  Gewinn  und  die  Lust  nach  Abenteuern  groCer  waren  als  die  Furcht  vor  den  zu 
bestehenden  Gefahren.  Die  friihesten  Ansiedlungen  durch  Englander  fallen  in  die  ersten  zwei 
Dezennien  des  17.  Jahrhunderts.  Eine  der  wichtigsten  war  das  Eintreffen  der  sogenannten 
,,Pilgrims"  in  Massachusetts  (Plymouth  1620).  Es  war  eine  Gruppe  religioser  Separatisten, 
die  auf  heroische  Weise  sich  von  der  Natur  und  den  Rothauten  Existenzberechtigung  er~ 
kampften.  Zu  ihnen  gesellten  sich  im  Laufe  der  nachsten  20  Jahre  Mitglieder  der  englischen 
Puritanergemeinde  in  grofierer  An2ahl.  Zusammen  fanden  sie  hier  eine  zweite  Heimat,  ,,Neu- 
England".  Ihr  Leben  stand  im  Zeichen  der  Postille  und  Pistole.  Stets  auf  Angriffe  der  Wilden 
gefafit,  verbrachten  sie  die  ersten  Jahre  in  einem  bestandigen  Belagerungszustand.  Wider- 
standskraft  und  Trost  fanden  sie  in  ihrer  Gottesfurcht  und  ihren  Erbauungsbiichern.  Ge- 
lehrte,  besonders  theologische  Studien  fanden  friihzeitig  regsame  Pflegestatten  (Harvard  Col 
lege,  Cambridge,  Massachusetts  1636;  William  and  Mary  College,  Williamsburg,  Virginia 
1693).  Musik  hingegen,  im  allgemeineren  Sinne,  vertrug  sich  nicht  recht  mit  den  Anschau- 
ungen  dieser  ehrbaren  Leute.  Und  dieses  Vorurteil  hat  sich  noch  auf  Jahre  hinaus  fuhlbar 
gemacht,  wenn  auch  nicht  in  dem  Mafie,  wie  es  manche  Historiker  glauben.  Dem  wider- 
sprechen  die  Tatsachen.  Das  Singen  beschrankte  sich  in  erster  Reihe  auf  Psalmen,  in  metri- 
scher  Umdichtung,  und  andere  geistliche  Gesange.  Den  meisten  dieser  Weisen  fehlte  zwar 
die  tippige  Melodik  der  barocken  Kirchenmusik  Italiens  oder  die  herbe  Harmonik  des  Bach- 
schen  Chorals.  Immerhin  entwickelte  sich  gerade  in  diesem  Felde  eine  ungewohnlich  reiche 
Literatur,  die  vielleicht  am  ehesten  verdiente,  als  Ersatz  fur  die  fehl^nden  Volkslieder  an- 
gesehen  zu  werdcn. 

Den  ,,Pilgern",  die  auf  der  winzigen  ,,MayfIower"  den  weiten  Ozean  kreuzten,  diente  noch 
der  ,,Psalter"  von  Ainsworth  (1612  in  Amsterdam)  und  die  Psalmensammlung  von  Sternhold 
und  Hopkins,  die  seit  1560  in  verschiedenen  Ausgaben  in  London  erschienen  war.  Doch  selbst 
diese  diirftige  musikalische  Betatigung  fand  unter  den  schwierigen  Lebensverhaltnissen  dieser 
Ansiedler  nicht  den  notigen  Boden  zu  intensiverer  Entfaltung,  bis  mit  dem  wachsenden  Ge^ 
meindesinn  und  dem  Eingreifen  kirchlicher  Propaganda  das  Singen  wieder  zu  Ehren  kam. 
Die  Pflege  instrumentaler  Musik  in  Neu-England  war  noch  ein  Ding  hochster  Seltenheit. 

Ungefahr  mit  dem  Jahre  1 720  hob  ein  neuer  sanglicher  Aufschwung  an,  der  sich  hauptsachlich 
auf  kirchliches  Gemeindesingen  stiitzte.  Die  Veroffentlichung  und  Verbreitung  sogenannter 
Tune  -  Books  nahm  rasch  an  Zahl  und  Ausdehnung  zu.  Es  waren  dies  Gesangblicher,  denen 
in  den  meisten  Fallen  kurze  theoretische  und  naive  stimmtechnische  Anweisungen  voran- 
gingen.  An  Stelle  geschulter  Musiker  waren  es  gewohnlich  mehr  oder  weniger  begabte  Dilet- 
tanten,  welche  die  Herausgabe  dieser  Sammlungen  besorgten,  Unter  ihnen  sind  zu  nennen 
der  Gerber  William  Billings  (1746 — 1800),  der  Zimmermarm  Oliver  Holden  (1765  bis 
1834?),  der  ,,Gesanglehrer"  Andrew  Law  (1748 — 1821)»  und  besonders  der  Prediger  James 


1 88  Moderne :  Amerika 


Ly o n  (1 735—1 794).  Sein  um  das  Jahr  1 761  erschienenes  Buch  ,,Urania '  enthalt  Proben  eigener 
Komposition  und  1st  historisch  bemerkenswert.  0.  G.  Sonneck  hat  in  James  Lyon  den  ersten 
kirchlichen  und  in  Francis  Hopkinson  (1737 — 1791)  den  ersten  weltlichen  Komponisten 
amerikanischer  Goburt  nachgewiesen,  denen,  wenn  auch  nur  in  bescheideriem  Mafie,  der  Name 
Komponist  unbedingt  zukommt.  Zu  erwahnen  ist  noch  unter  den  Herausgebern  von  geistlichen 
Gesangbiichern  des  18.  Jahrhunderts  Josiah  Flagg  (1738 — 1794)  aus  Boston;  jedoch  sein 
Hauptverdienst  besteht  in  Konzertunternehmungen,  die  er  von  etwa  1 765  fast  1 0  Jahre  lang 
in  Boston  leitete  und  in  denen  er  bereits  Vertrautheit  mit  Werken  von  Handel,  Stamitz,  Abel 
und  dem  Londoner  Bach  bezeugte.   Auch  der  in  England  geborene  William  Selby  (1738 
bis  1798)  verdient  Erwahnung  als  einer  der  tatkraftigsten  Forderer  des  Bostoner  Musikwesens 
gegen  das  Ende  des  18.  Jahrhunderts.  Wie  die  ersten  Psalmenbucher  sich  noch  stark  an  Tallis, 
Ravenscroft,  Playford  u.  a.  lehnten,  so  wirkte  auch  in  der  Folge  englischer  EinfluB  auf  die  Ent- 
wicklung  der  vielen  Hymn-books,  Anthems  und  spateren  Gospel  Hymns  (von  ca.  1875  an). 
Der  letztere  Typus,  im  allgemeinen  seicht,  ist  oft  nicht  ohne  weltlichen  Anklang.   Wenn  von 
solcher  Dutzendware  Notiz  genommen  wird,  so  geschieht  es,  um  die  Geschmacksrichtung 
einer  spateren  Generation  zu  erhellen,  die  zum  groBen  Teil  an  diesen  suBlich-sentimentalen 
Erzeugnissen  grofi  geworden.   Der  bekannteste  Komponist  und  Bearbeiter  solcher  Lieder  ist 
zweifellos  Ira  David  Sankey  (1840 — 1908).  Als  Sanger  begleitete  er  den  eifernden  Prediger 
D.  L.  Moody  auf  seinen  weiten  Streifzligen  durch  Amerika  und  England.  Dem  eindringlichen 
Vortrag  dieser  Gesange,  vor  Tausenden  von  zerknirschten  und  religios  exaltierten  Zuhorern, 
ist  es  wohl  beizumessen,  wenn  von  Sankeys  verschiedenen  Biichern  die  stattliche  Anzahl  von 
rund  50  Millionen  Exemplaren  verkauft  warden. 

Von  diesem  Hintergrunde  hebt  sich  um  so  scharfer  das  Profil  Lowell  Masons  (1792 
bis  1872)  ab.  In  diesem  einfachen,  aber  echten  Musiker,  in  diesem  fortschrittlichen,  aber 
griindlichen  Erzieher  verkorperte  sich  wahre  Liebe  zur  Kunst,  vereinigten  sich  die  Talente  eines 
spontan  empfindenden  Komponisten  und  eines  iiberzeugenden  Fiihrers.  Seine  schopferische 
Begabung  beschrankt  sich  zwar  auf'Kirchengesange,  doch  haftet  diesen  ein  wertvollerer  Zug  an 
und  viele  davon  sind  als  Tradition  in  den  Gottesdienst  der  protestantischen  Kirche  Amerikas 
eingegangen.  Mason,  in  seiner  erzieherischen  Tatigkeit,  ist  vorbildlich  geworden. 

In  den  mehr  siidlich  gelegenen  Teilen  der  langsam  erschlossenen  Kolonien  machten  sich 
friihzeitig  andere  religiose  Genossenschaften  ansassig.  Bethlehem  in  Pennsylvania  verdankte 
seine  Griindung  den  Moravischen  Briidern  (Herrnhuter),  aus  deren  sangesfrohen  Nachkommen 
sich  der  beriihmte  Chor  gebildet  hat,  der  sich  heute  in  hervorragender  Weise  dem  Kultus  der 
Musik  des  groBen  Bach  widmet.  Ebenso  brachten  die  deutschJutherischen  Gemeinden  eine 
gesunde  Vorliebe  for  Frau  Musika  mit,  und  in  bis  heute  geschichtlich  noch  nicht  klar  auf~ 
gedeckter  Weise  verschiedene  deutsche  Mystikersekten,  die  sich  vom  Ende  des  1 7,  Jahrhunderts 
ab  in  Pennsylvania  niederliefien. 

Wenn  hier  an  erster  Stelle  von  der  musikalischen  Betatigung  in  kirchlichem  Zusammen- 
hange  die  Rede  gewesen  ist,  so  soil  damit  nicht  der  Eindruck  erweckt  werden,  dafi  darin  die 
grundlegenden  Triebe  der  musikalischen  Entwicklung  Amerikas  liegen.  Es  ist  vielmehr  in 
der  Absicht  geschehen,  eine  wichtige,  aber  nicht  mafigebende  Seite  fliichtig  zu  streifen  und 
damit  abzutun,  wenngleich  auf  ihr  das  heute  noch  stark  vorherrschende  Interesse  fiir  kirch- 
Iiche  Komposition  fufit.  Um  eine  kritische  Wiirdigung  der  musikhistorischen  Vergangenheit 


Moderne:  Amerika  I  189 


der  Vereinigten  Staaten  zu  ermoglichen,  mufi  an  der  Tatsache  festgehalten  werden,  dafi  die 
beiden  Hauptfaktoren,  die  dem  Musikwesen  des  damaligen  Europas  zugute  kamen,  hier  absolut 
fortfielen:  der  kostspielige  Vergniigungssinn  und  die  materielle  Unterstiitzung  der  Fiirsten 
und  Adligen,  sowie  die  unerschopflichen  Bediirfnisse  und  das  stete  Wohlwollen  der  katholischen 
Kirche.  Obwohl  dieser  Fortfall  unfraglich  Nachteile  mit  sich  brachte,  besonders  was  die  Bik 
dung  einer  feineren  Geschmacksrichtung  anbetrifft,  so  hat  er  doch  nicht  die  allgemeine  Musik- 
betatigung  aufzuhalten  vermocht.  Es  ware  durchaus  falsch,  zu  glauben,  dafi  sich  unter  den 
ersten  Ansassen  des  17.  Jahrhunderts  und  spateren  Einwanderern  des  18.  Jahrhunderts  nicht 
viele  begabte  und  gebildete  Elemente  befunden  hatten.  Wie  sich  aus  den  Forschungen  0.  G. 
Sonnecks  klar  ergeben  hat,  war  das  musikalische  Interesse  in  der  Kolonialzeit  nicht  gering, 
sondern  unverhaltnismaBig  groB.  In  dem  seit  1607  besiedelten  Virginia,  unter  den  nach  1685 
in  Karolina  eingewanderten  Hugenotten  und  s.peziell  unter  den  besseren  Gesellschaftsklassen 
solcher  Stadte  wie  Charleston,  Annapolis,  Georgetown,  Baltimore,  Philadelphia,  Neuyork 
und  Boston  land  schon  friih  eine  Obertragung  des  heimatlichen  Musizierens  in  die  Neue  Welt 
statt.  Es  war  wohl  nur  naturgemaB,  dafi  die  Art  dieses  Musizierens  in  der  englischen  Kunst- 
iibung  ihr  Vorbild  suchte  und  dafi  bis  in  den  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  London  in  Sitten 
und  Gebrauchen,  in  Unterhaltung  und  Kunst  zur  Nachahmung  einlud.  Ebensowenig  darf 
iibersehcn  werden,  dafi  gerade  urn  die  Zeit  der  ersten  britischen  Niederlassungen  England  in 
musikalischer  Beziehung  zu  reifer  Blute  gelangt  war.  Es  ist  fur  unsere  Zwecke  hier  nicht  so 
belangreich,  dafi  es  einen  Byrd,  einen  Gibbons  oder  gar  einen  Purcell  besessen,  sondern  daB 
Pepys  in  seinem  kostlichen  und  an  musikalischen  Hinweisen  so  reichen  Tagebuch  unter  dem 
27.  Juli  1663  berichten  konnte,  er  sei  in  Epsom  Wells  auf  eine  Gruppe  singender  Leute  ge- 
kommcn,  die  er  erst  fur  fahrende  Strafienmusikanten  hielt;  wie  es  sich  herausstellte,  waren  es 
zufallig  zusammengctroffene  Burger  des  Fleckchens,  die  in  fehlerloser  Weise  vier-  und  fiinf- 
stimmige  Lieder  improvisiert  zum  besten  gaben.  Solche  Streiflichter  sind  charakteristisch  fiir 
die  Kreise,  aus  denen  die  meisten  englischen  Kolonisten  Amerikas  stammten.  Aus  den  vor- 
nehmeren  Schichten  wuchsen  die  kolonialen  Patrizierfamilien,  die  an  Stolz  und  Klassenvor- 
urteilen  kaum  hinter  ihren  europaischen  Vettern  zuruckstanden.  Zu  den  Pfhchten  der  vor- 
nehmen  Welt  gchorte  es,  hin  und  wieder  cin  wenig  Musik  zu  horen.  Es  nimmt  daher  nicht 
wunder,  dafi  Konzertvcranstaltungen  schon  gegen  den  Anfang,  Opernvorstellungen  schon  urn 
die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  nicht  mehr  zu  den  Seltenheiten  rechneten. 

Vor  1800  war  Philadelphia  die  groBte  Stadt  der  jungen  Republik.  Dort  fand  am  4.  Juli  1776 
die  denkwiirdige  Unabhangigkeitserklarung  der  13  Urstaaten  statt.  Unter  den  Zeichnern  dieses 
Dokuments  befand  sich  der  Philadelphier  Francis  Hopkinson  (1737—1791),  Staatsmann, 
Jurist,  Komponist,  Dichter  und  Verbesserer  des  Harpsichords.  Dort  war  der  eigentliche 
Wirkungskreis  ernes  andern  Zeichners,  des  aus  Boston  gebxirtigen  Benjamin  Franklin 
(1706—1790),  Drucker,  Schriftsteller,  Diplomat,  Erfinder  des  Blitzableiters  und  Vervollkomm- 
ner  der  »,musikalischen  Glaser",  Harmonika  genannt.  Der  Ruhm  dieses  groBen,  schlichten 
Mannes  war  fruhzeitig  international  Unter  den  bei  Abukir  1798  versenkten  Schlachtschiffen 
der  Franzosen  war  ems,  das  seinen  Namen  trug.  Aus  Frankreich  gesellten  sich  seit  der  Re 
volution  wirksame  Einflusse,  die  neben  den  vorherrschenden  englischen  einherliefen.  Be- 
rechtigte  Betonung  geblihrt  der  seit  1750  in  Amerika  immer  wachsenden  Vorliebe  fiir  die  eng- 
Ksche  ,,Balladenoper4<  und  Op^ra  comique,  aus  deren  Nachwirkungen  sich  leicht  der  fort- 


Moderne:  Amerika 


bestehende  Hang  zur  Operette  und  Musical  comedy  erklaren  lafit.  So  ist  es  kaum  zu  verwun- 
dern,  dafi  auch  auf  amerikanischen  Konzertprogrammen  der  Zeit  neben  den  Englandern  Arne, 
Shield,  Storace,  Dibdin  und  Hook  Franzosen  wie  Gretry,  Monsigny,  Dalayrac  und  Gossec 
regelmafiig  anzutreffen  sind.  Des  ofteren  finden  wir  vor  1800  die  Namen  (Johann  Christian) 
Bach,  Handel,  Gluck,  Stamitz,  Vanhall,  Haydn,  Kozeluch,  Mozart,  Pleyel,  Gyrowetz.  An 
Italienern  treten  hervor  Sacchini,  Piccinni,  Boccherini,  Guglielmi,  Paesiello.  Diese  Liste  ist 
selbstverstandlich  nicht  erschopfend.  Sie  zeigt  aber  zur  Geniige,  daft  zeitgenossische  Musik 
bald  ihren  Weg  nach  Amerika  gefunden.  So  gelangte  z.  B.  der  Handelsche  ,,Messias",  mit 
einigen  Auslassungen,  in  New  York  bereits  1 770  unter  William  Tuckey  (1 708 — 1 781)  zur  Auf- 
fiihrung,  2  Jahre  bevor  Deutschland  das  Werk  zu  horen  bekam. 

Es  entsprach  dem  Bedurfnisse  der  noch  stark  auf  sich  selbst  angewiesenen  Bevolkerung,  daB 
sich  bald,  und  in  ziemlich  rascher  Folge,  in  alien  groBeren  Stadten  immer  mehr  Vereinigungen 
bildeten,  die  im  gemeinsamen  Musizieren  Zerstreuung  und  Genufi  suchten.  Schon  um  1759 
hatte  Philadelphia  einen  Orpheus  Club;  wenige  Jahre  darauf  bildete  sich  eine  St.  Cecilien-Ge- 
sellschaft  in  Charleston.  Die  Namen  derselben  Schutzpatrone  zierten  unzahlige  ahnliche  Ver- 
eine  wahrend  der  nachsten  einundeinhalb  Jahrhunderte,  und  sind  auch  heute  noch  allerorten 
in  Amerika  anzutreffen.  Die  Griindung  der  Bostoner  Handel  and  Haydn  Society,  eines  treff- 
lichen  Chores,  reicht  bis  auf  das  Jahr  1815  zuriick.  Schon  um  1820  gab  es  in  Portland  (Maine) 
eine  Gesellschaft,  die  sich  mit  Beethovens  Namen  schmiickte.  Mendelssohns  ,,Paulus" 
wurde  in  New  York  1838  von  der  Sacred  Music  Society  gegeben,  2  Jahre  nach  der  Diissel- 
dorfer  Erstauffiihrung. 

Verbesserte  Verkehrsmittel  fingen  an,  die  Entfernung  zwischen  dem  alten  und  dem  neuen 
Erdteil  zu  klirzen.  Lorenzo  da  Ponte,  Mozarts  Librettist,  brachte  noch  86  Tage  und  Nachte 
auf  dem  Wasser  zu,  als  er  1805  die  Uberfahrt  unternahm,  um  sein  bewegtes  Leben  in  New  York 
als  Sprachlehrer  und  Theaterdirektor  zu  beschliefien.  20  Jahre  spater  konnte  Manuel  Garcia, 
der  Vater  der  Malibran  und  Pauline  Viardot,  es  wagen,  mit  einer  ganzen  Operntruppe  den 
weiten  Weg  nach  dem  Lande  des  Dollars  zu  machen.  Der  unheimlich  wachsende  Reichtum 
des  Handelsstandes  und  der  Grundbesitzer,  die  nicht  immer  zu  den  geistig  gebildetsten  Schich- 
ten  des  Publikums  gehorten,  gaben  dem  Konzertwesen,  dem  Drama  und  der  Oper  allmahlich 
das  Geprage  des  Sensationellen,  des  Virtuosenhaften,  des  viel  Geld  Kostenden.  Der  ,,Star" 
ward  geboren.  Das  Zeitalter  der  Reklame  brach  an.  Das  Credo  Barnums  wurde  zum  allein- 
seligmachenden.  Mit  dem  Triumphzug  Jenny  Linds  (1850 — 52)  war  ein  konzertgeschichtlicher 
Wendepunkt  erreicht. 

Eine  heilsame  Gegenstromung  kam  gliicklicherweise  von  Deutschland  her.  Zuerst  wieder 
aus  politischen  Griinden,  setzten  gegen  1848  die  Einwanderungen  vieler  vortrefflicher  Deut- 
schen  ein,  die  in  das  nationale,  geistige  und  kiinstlerische  Getriebe  Amerikas  energisch  und 
zielbewufit  eingriffen.  Immer  weiter  verbreitete  sich  dieser  segenspendende  Zuflufi.  Die 
nachsten  Jahre  brachten  Karl  Anschiitz  (1862,  die  erste  deutsche  Oper),  Karl  Bergmann 
(1850,  Dirigent  des  Germania-Orchesters),  Adolf  Neuendorf f  (1871 ,  Lohengrin;  1877,  die  Wai- 
kiire,  erstmalig  in  New  York),  Carl  Zerrahn  (in  Boston  viele  Jahre  Dirigent  der  Handel  and 
Haydn  Society  und  des  Harvard  Orchesters),  Theodor  Thomas  (vielleicht  der  grofite  musi- 
kalische  ,,Erzieher"  des  amerikanischen  Publikums,  1864  Griinder  des  nach  ihm  benannten 
Orchesters)  und  Leopold  Damrosch  (1871;  Griinder  der  Oratorio  Society,  1873,  und  des 


Moderne:  Amerika  1191 


New  Yorker  Symphonieorchesters,  1877).  Die  Deutschen  machten  Schule.  Als  Henry  Lee  Hig- 
ginson  mit  groBartigem  geschaftlichen  Weitblick  sah,  daB  einem  Bankhause  mit  internationalen 
Beziehungen  nichts  so  gut  ansteht,  als  wenn  sein  Chef  den  Weltruf  eines  uneigenniitzigen  Kunst- 
patrons  genieBt,  nef  cr  1881  das  Bostoner  Symphony  Orchester  ins  Dasein.  Zuerst  der  Leitung 
Georg  Henschels  anvertraut,  wurde  es  spater  unter  Wilhelm  Gericke,  Arthur  Nikisch  und  Karl 
Muck  zu  einem  Instrument  hochster  Vollendung.  Aus  ihm  ging  das  Kneiselquartett  hervor,  eine 
Meistervereinigung,  die  liber  25  Jahre  hindurch  eine  wahre  Missionstatigkeit  in  der  heiligen 
Sache  der  Musik  geiibt  hat.  Dem  Orchester  gehorten  auch  urspriinglich  die  bedeutenden 
Komponisten  Charles  Martin  Loeffler  (Boston)  und  Gustav  Strube  (Baltimore)  als 
Geiger  an. 

Der  amerikanische  Blirgerkrieg  (1861 — 65)  inspirierte  die  unausbleiblichen  und  unzahligen 
Gesange  und  Marsche,  die  in  der  Neuzeit  derartige  Erscheinungen  zu  begleiten  pflegen.  Nur 
einige  Lieder  (wie  Tramp,  tramp,  tramp)  von  George  Frederick  Root  (1820 — 95)  und 
(wie  Marching  through  Georgia)  von  Henry  Clay  Work  (1832 — 84)  haben  die  endgliltige 
Wiederherstellung  der  Union  iiberlebt.  Weit  grofierer  Popularitat  erfreut  sich  das  1859  fur 
eine  ,,Minstrer*-Truppe  komponierte  ,,Dixie"  von  Daniel  Decatur  Emmet  (1818 — 1904). 
Es  ist  ein  Volkslied  im  besten  Sinne  des  Wortes.  Oberragt  wird  es  nur  durch  die  zum 
Allgemeingut  gewordenen  Lieder  von  Stephen  Collins  Foster  (1826 — 64).  Die  Neger- 
frage,  die  einer  der  Griinde  zum  Kriege  gewesen,  hatte  in  Wort  und  Weise  manchen  senti- 
mentalen  oder  humorvollen  Widerhall  gefunden.  Euphemistisch  sprach  man  von  ,,Aethiopian 
Ballads".  Die  sogenannten  ,,Ministrel  Shows"  spezialisierten  darin.  Es  war  Foster,  einem 
WeiBen,  vorbehalten,  die  ergreifendsten  darunter  zu  schreiben.  Mit  einer  harmonischen 
Schlichtheit,  die  ganz  volkstiimlich  ist,  verbindet  sich  eine  Melodik,  die  oft  selbstandige 
Wege  geht;  die  besten  unter  diesen  Liedern,  wie  Old  folks  at  home,  Old  black  Joe, 
My  old  Kentucky  home,  haben  sich  weit  iiber  Amerika  hinaus  heimisch  gemacht,  eben 
weil  sie  doch  mehr  der  Ausdruck  eines  tief  empfindenden  WeiBen  sind,  als  wie  etwas  dem 
Negerstamme  Eigentiimliches. 

Vielleicht  diirfte  es  hier  am  Platze  sein,  einige  Bemerkungen  iiber  die  sogenannten  Negro- 
songs  und  Negro -spirituals  einzuschalten.  Sie  bilden  den  hauptsachlichsten  Beitrag  der 
Negerbevolkerung  zu  der  Musik  Amerikas.  Diese  alten  Sklavengesange  —  teils  Arbeitslieder 
von  den  Baumwollpflanzungen  desSiidens,  teils  religiose  Litaneien  einer  heidnisch-christlichen 
Mixtur  und  kindlichen  Naivitat  —  sind  von  hochstem  ethnologischen  und  musikologischem 
Interesse;  sie  verdienen  vollstens  das  eingehende  Studium,  das  ihnen  in  letzter  Zeit  gewidmet 
worden  ist.  Die  Neger  sind  musikalisch  hochbegabt.  Ihre  Originalitat  ist  nicht  immer  auf 
der  Hohe  ihrer  Nachahmungsfahigkeit.  Eine  gesellschaftliche  Annaherung  der  Weifien  und 
Schwarzen  ist  vorlaufig  absolut  ausgeschlossen.  Daher  diirfte  es  unkritisch  und  libertrieben 
erscheinen,  wenn  man  den  von  der  schwarzen  Rasse  herrlihrenden  Beitrag  als  die  spezifisch 
volksmaBige  oder  gar  ,,nationale"  Musik  des  gesamten  amerikanischen  Volkes  charakterisiert, 
wie  es  nur  zu  oft  geschieht 

Erstens  ist  diese  Negermusik  keineswegs  rein,  sondern  lehnt  sich  haufig  an  ,,weifie"  Vor- 
bilder  an,  Zweitens  sind  eine  Anzahl  der  popularsten  Negerlieder  das  eigenste  Werk  WeiBer, 
wie  die  erwahnten  Lieder  Fosters.  DaB  die  amerikanische  populare  Musik  im  Laufe  der  Zeit 
beeinflufit  worden  ist  von  den  rhythmischen  Verschiebungen,  den  Synkopen  des  ,, rag-time  , 


I  ]  92  Moderne :  Amerika 


von  gewissen  faszinierenden  Besonderheiten  in  der  Art  der  Neger  zu  musizieren,  das  stellt 
wohl  niemand  in  Frage.  Dieser  Einflufi  ist  vergleichbar  mit  dem,  den  die  maurische  Herr- 
schaft  in  Iberien  auf  die  spanische  Volksmusik  ausgeiibt  hat.  Das  Aufpfropfen  eines  fremd- 
artigen  Zweiges  hat  der  Frucht  des  Baumes  eher  genutzt  als  geschadet.  Doch  die  Wurzel  hat 
es  nicht  beriihrt.  Auf  die  kunstmafiige  Benutzung  und  die  ktinstliche  Harmonisierung  von 
Negermelodien,  wie  auch  Melodien  der  Indianer,  wird  noch  die  Rede  kommen.  Nur  sei  hier 
um  den  Gedankengang  dieser  Parenthese  zu  schliefien,  die  Behauptung  gestattet,  dafi  die  Ver- 
suche,  mit  solchen  Anleihen  vonMohren  undRothauten  eine  national-amerikanische  ,,Schule" 
zu  griinden,  gescheitert  sind  und  scheitern  mufiten,  trotz  Dvoraks  wohlgemeinten,  aber  irre- 
flihrenden  Ratschlagen. 

Nach  Beendigung  des  Biirgerkrieges  setzte  ein  allgemeiner  Aufschwung  ein,  wenigstens  in 
dem  siegreichen  Norden  und  dem  mit  Riesenschritten  vorwartseilenden  Westen.  Trotz  der 
politischen  Einheit,  die  fur  die  Zukunft  gesichert  war,  blieb  doch  eine  Gesinnungskluf t  zwischen 
dem  nordlichen  und  siidlichen  Teil,  die  sich  noch  auf  iange  Zeit  hinaus  fiihlbar  machte. 

Wahrend  im  18.  Jahrhundert  das  Musikinteresse  bei  den  siidlichen  Pflanzern,  bei  den  Ari- 
stokraten  Virginias,  bei  den  Handelspatriziern  Philadelphias  und  Baltimores  reger  gewesen  als 
in  dem  puritanisch  angehauchten  Boston,  machte  sich  seit  der  Mitte  des  1 9.  Jahrhunderts  ein 
deutlicher  Umschwung  geltend.  Der  einzige  Komponist  des'Stidens  aus  dieser  Periode, 
dem  man  eine  gewisse  Bedeutung  beimessen  kann,  ist  Louis  Moreau  Gottschalk  (1829 
bis  1869),  ein  franzosischer  Kreole,  aus  New  Orleans  gebiirtig.  Das  Zentrum  seiner  musika- 
lischen  Empfindungswelt  lag  in  Paris;  sein  Herz  hing  an  den  tragen  Tagen  und  schwiilen 
Nachten  Westindiens.  In  den  Salons  des  Faubourg  Saint-Germain  lernte  er  von  Chopin 
und  der  Pariser  Noblesse.  In  dem  wirren  Negerviertel  seiner  Geburtsstadt  sah  und  horte 
er  die  verponte  Bamboula.  Aus  diesen  gegensatzlichen  Eindriicken  wufite  der  glanzende 
Klaviervirtuose  und  rastlose  Wandervogel  nichts  Tieferes  zu  ziehen,  als  hofliche  Salonmusik 
und  Bravourstiicke  mit  leicht  exotischer  Farbung. 

Als  Vorlaufer  der  nordlichen  Komponistengruppe  seien  3  Namen  genannt:  William  Fry 
(1813—64),  George  Bristow  (1825—98)  und  Stephen  Emery  (1841—91).  Die  ersten 
beiden  gingen  so  weit,  sich  in  Opern  und  Symphonien  zu  versuchen.  Der  dritte,  in  Leipzig 
unter  Richter  und  Hauptmann  geschult,  trat  als  Lehrer  in  das  1 867  gegriindete  New  England 
Conservatory  in  Boston  ein  und  gehorte  der  Anstalt  bis  zu  seinem  Tode  an.  In  alien  dreien 
fand  sich  mit  hoherem  Wollen  wenigstens  ein  reiferes  Konnen  gepaart,  obzwar  in  keinem  von 
ihnen  der  gottliche  Funke  schlummerte.  Hier  mag  unverhohlen  zugegeben  werden,  dafi  die 
Historiker,  die  den  besagten  gottlichen  Funken  auch  in  alien  anderen  und  spateren  amerika- 
nischen  Komponisten  vermissen,  vielleicht  nicht  ganz  unrecht  haben.  Verglichen  mit  den 
Heroen  der  Tonkunst,  die  uns  die  Alte  Welt  geschenkt,  hat  Amerika  allerdings  noch  nichts  auf- 
zuweisen,  das  einem  Beethoven,  Wagner  oder  Debussy  nahe  kommt.  Und  dennoch  soil  der 
Versuch  gemacht  werden,  in  knappster  Folge  eine  nicht  unbetrachtliche  Zahl  von  Kompo 
nisten  anzufiihren,  die  durch  Gediegenheit,  durch  Vielseitigkeit,  oft  durch  personliche  Eigen- 
art,  und  zuweilen  durch  ausgesprochene  Genialitat  den  zweifellosen  Beweis  liefern,  dafi  Ame 
rika  —  neben  den  Hunderten  von  minderwertigen  Dilettanten,  an  denen  auch  Europa  keinen 
Mangel  leidet  —  eine  musikalische  Moderne  besitzt,  die  in  mannigfarbiger  Abtonung  ein  reiches 
und  bewegtes  Bild  schopferischer  Tatigkeit  bietet.  Bald  vielleicht  werden  in  dem  Gebiete  der 


Moderne:  Amerika  ]]93 


Murik  Manner  auftreten,  die  solchen  Amerikanern,  wie  Poe,  Whitman,  Emerson,  Whistler, 
Sargent,  St.  Gaudens  und  Edison  ebenbiirtig  zur  Seite  stehen. 

Bereits  bei  dem  Stammvater  der  Bostoner  Komponistengruppe  —  ,,Schule"  kann  man  es 
kaum  nennen,  obwohl  Harvard  und  das  New  England  Conservatory  in  der  Folge  gewissermafien 
musikerzieherische  Brennpunkte  wurden  — ,  bereits  bei  John  Knowles  Paine  (1839 — 1906) 
miissen  wir  die  deutschen  Grundlagen  hervorheben.  Mit  wenigen  Ausnahmen  wurde  es  nun 
Brauch,  in  Deutschland  musikalische  Studien  zu  treiben.  Deutscher  EinfluB  wurde  daher  vor- 
herrschend.  Paine  war  Orgelschiiler  Haupts.  Er  war  nicht  nur  ein  ausgezeichneter  Organist, 
sondern  besafi  eine  hohe  und  weitreichende  musikalische  Bildung.  Diese  Eigenschaften  fuhrten 
dazu,  da6  bei  der  Besetzung  des  1862  errichteten  Lehrstuhles  fur  Musik  an  der  Harvard-Uni- 
versitat  die  Wahl  auf  ihn  fiel.  43  Jahre  sind  eine  lange  Lehrtatigkeit.  DaC  sie  nicht  ebenso 
gesegnet  als  lang  gewesen,  lag  wohl  daran,  dafi  Paines  Personlichkeit  nicht  markant  genug  war, 
um  seinen  vielen  Schiilern  mehr  als  handwerksmafiige  Anleitung  zu  geben.  Seine  zahlreichen 
Kompositionen  zeugen  von  Formensinn  und  technischer  Gewandheit;  ihnen  fehlt  aber  das 
innere  Leben,  das  sie  vor  friihem  Vergessen  schiitzen  kann. 

Weit  ausgepragter  ist  das  musikalische  Profil  von  George  Whitefield  Chadwick  (geb. 
1854),  der  heute  (1929)  noch  an  der  Spitze  des  New  England  Conservatory  zu  Boston  steht. 
Jadassohn  und  Reinecke  dankte  er  wertvollen  Unterricht.  Doch  ist  er  nicht  bei  den  Idealen 
eines  Leipzig  der  siebziger  Jahre  stehengeblieben.  Seine  verschiedenen  Symphonien  und  gro- 
Ceren  Orchesterdichtungen  zeugen  von  einer  individuellen  Entfaltung,  die  bis  in  seine  jiingsteri 
Werke  reicht.  Er  stellt  heute  den  Altmeister  unter  amerikanischen  Komponisten  dar  und  tragt 
sein  Amt  mit  einer  Wiirde,  der  sich  feiner  Humor  als  trefflicher  Gefahrte  beigesellt.  Diese 
Note  froher  Bejahung  f  inden  wir  am  starksten  in  denjenigen  seiner  Kompositionen,  die  durch  ur~ 
wiichsige  Frische  einem  amerikanischen  ,,Stilu  am  nachsten  kommen.  Seine  ,,Vagrom  Ballad4' 
fiir  Orchester  ist  ein  leuchtendes  Beispiel  dafur.  In  seiner  Kammermusik  bewahrt  er  dieselbe 
voile  Btherrschung  der  Mittel,  die  sein  symphonisches  Scherzo  ,,Tam  O'Shanter"  auszeichnet 

Unter  die  Bostoner  Komponisten,  die  auf  den  Bahnen  der  deutschen  Nachromantik  wan- 
deln,  zahlen  hauptsachlich  der  in  Amerika  geschulte,  vortreffliche  Kiinstler  Arthur  Foote 
(gcb.  1853),  der  viele  Jahre  in  Berlin  ansassige  Arthur  Bird  (1856— 1923),  sowie  die  ge- 
wandte  Klavierspielerin  und  fruchtbare  Komponistin  Frau  H.  H.  A,  Beach  (1867).  Zu  der- 
selben  Generation  und  Stilrichtung  gchoren  der  aus  Pittsburgh  geburtige  Adolphe  Martin 
Foerster  (1854— 1927),  dermit20Jahren  nach Amerika ausgewanderteWestfaleBrunoOskar 
Klein  (1858 — 1911),  und  der  1862  zu  St.  Louis  geborene  Ernest  Richard  Kroeger.  Reifes 
und  ehrliches  Musikertum  ist  hier  mit  dem  Stempel  epigonenhafter  Abhangigkeit  gezeichnet. 
Selbstandiger  und  von  weitaus  tieferer  Beseelung  und  dichterischer  Potenz  erfullt  ist  die  Musik 
Edward  MacDowells  (1861 — 1908).  Seit  Jahren  nimmt  sie  eine  Art  Ehrenstellung  unter 
den  Werken  amerikanischer  Musiker  ein;  scit  Jahren  hat  sie  sich  auch  in  Europa  eingeburgert, 
wo  sie  eigentlich  zuerst  bekannt  geworden.  Mac  Dowell  war  Schiller  Teresa  Carefios  in  New 
York,  spater  war  er  in  Marmontels  Klasse  am  Pariser  Conservatoire  (Studiengenosse  Debussys), 
zuletzt  erhielt  er  KompositJonsunterricht  von  Joachim  Raff  in  Frankfurt.  Sudamerikanische, 
franzosische  und  deutsche  Lchrmeister  haben  es  nicht  vermocht,  Mac  Dowell  von  seincm 
eigensten  Pfade  abzulenken,  ihn  seinem  angestammten  Wesen  zu  entfremden.  Wenn  von  einer 
geistigen  Verwandtschaft  hier  die  Rede  sein  kann,  so  besteht  sie  vielmchr  mit  Grieg  oder  dem 


1194  Moderne:  Amerika 


keltischen  Urstock,  dem  MacDowells  Vorfahren  entsprungen.  Ein  leichter  Hauch  nb'rdlicher 
Schwermut,  das  krankhafte  ,,Hellsehen"  einer  Rasse,  die  seit  undenklichen  Zeiten  mit  Elfen 
und  Geistern  auf  vertrautem  Fufie  gestanden,  der  ritterliche  Zug  des  mittelalterlichen  Helden- 
epos,  die  traute  Beschaulichkeit  des  stillen  Neu-England-Dorfchens,  dessen  schneeweifie 
Hauser  sich  still  an  die  grunen  Hiigel  schmiegen,  der  Duft  des  sommerlichen  Waldes,  die 
salzige  Seeluft  —  alle  finden  sie  sich  in  den  ausdrucksvollen  Miniaturen,  den  Bravourstiicken 
und  den  Sonaten  fiir  Klavier,  in  den  Liedern  und  Orchesterwerken.  Die  Harmonik  Mac  Do- 
wells  ist  nicht  uberreich,  der  ,,Satz"  oft  sparlich.  Und  doch  weifi  Mac  Dowell  mit  meister- 
hafter  Okonomie  seine  Ziele  zu  erreichen.  Unter  den  2  Orchestersuiten  verdient  die  ,,In- 
dianische"  besondere  Erwahnung,  da  sie  vielleicht  die  bis  jetzt  vornehmste,  ktinstlerischste 
und  treffendste  Verwendung  indianischer  Motive  in  symphonischer  Form  darstellt. 

Wie  Mac  Dowell  in  den  letzten  Jahren  vor  seiner  geistigen  Umnachtung  als  Professor  der 
Musik  an  der  New  Yorker  Columbia-Universitat  gewirkt,  so  ist  der  Name  Horatio  Parkers 
(1863—1919)  eng  mit  der  seit  1893  an  der  Yale-Universitat  in  New  Haven  eroffneten  Musik- 
abteilung  verkniipft.  Wahrend  aber  in  Mac  Dowells  Musik  der  ,,akademische"  Ton  fast  ganz- 
lich  fehlt,  gibt  er  sich,  wenn  auch  nicht  in  alien,  so  doch  in  den  meisten  von  Parkers  Werken 
klar  zu  erkennen.  Ein  Schiller  Rheinbergers,  haftete  ihm  lange  eine  gewisse  formale  Strenge 
an,  die  der  natiirlichen  Ausdrucksart  Zwang  aufzulegen  schien.  Wo  dieser  Zwang  angebracht 
war,  wie  in  der  Vertonung  der  alten  Hymne  ,,Hora  Novissima"  fiir  Chor  und  Orchester  (1893), 
da  hat  Parker  ein  vollgultiges  Meisterwerk  geschaffen.  Seine  Opern  sind  preisgekront  worden 
und  vom  Repertoire  verschwunden.  Fiir  den  Kirchengebrauch  hat  er  manches  geschrieben, 
das  semen  Namen  lange  im  Gedachtnis  erhalten  diirfte. 

In  der  Komposition  von  Chorwerken  haben  Amerikaner  iiberhaupt  Vorziigliches  geleistet. 
Der  stetige  Bevolkerungszuwachs,  die  Einwanderurig  aus  sangesfrohen  Gesellschaftsschichten 
Deutschlands  hauptsachlich,  schuf  bald  den  bestehenden  Chorvereinigungen  die  Moglichkcit, 
grofiere  stimmliche  Mittel  zuerlangen  und  hohere  kiinstlerische  Zwecke  anzustreben.  Die  Ein- 
fuhrung  von  Sangerfesten  und  Musikfesten  in  fast  alien  grofien  Stadten  des  Landes  gab  Man- 
nernwieDudleyBuck(1839— 1909),  Frank  van  derStucken  (1858- 1929), Peter  Lutkin 
(1858),  Albert  Stanley  (1851),  Gelegenheit,  sich  als  tiichtige  Komponisten  und  gewandte 
Dirigenten  zu  bewahren.  Mehr  nach  der  Seite  der  Orchester-  und  Kammermusik  neigt  der 
verdienstvolle  und  auch  in  Deutschland  ruhmlichst  bekannte  Edgar  Still  man  Kelley  (1857), 
obzwar  sein  am  meisten  aufgefuhrtes  Werk,  eine  Jugendarbeit,  die  Musik  zu  der  Dramati- 
sierung^des  ,,Ben  Hur"  ist.  In  der  ,,New  England  Symphony",  in  seinem  Chorwerk  ,,The 
Pilgrim's  Progress"  finden  sich  unerschlaffte  Erfindungsgabe  neben  womoglich  noch  sichercr 
Ausfiihrung.  Ein  anderer  Zeitgenosse  dieser  Gruppe  ist  der  schon  seit  langem  in  der  Schweiz 
lebende  George  Templeton  Strong  (1856). 

Das  musikalische  Interesse  des  Westens  begann  sich  in  den  achtziger  Jahren  machtig  zu 
regen.  Wie  Stillman  Kelley  fruchtbringende  Jahre  in  San  Francisco  verbrachte,  so  gewann 
Chicago,  neben  Theodor  Thomas,  in  Frederic  Grant  Gleason  (1848--1903)  cinen  cner- 
gischen  und  hochbegabten  Pionier,  dessen  symphonische  Werke  oft  von  Thomas  aufgefuhrt 
wurden.  In  New  York,  bevor  dort  sieben  vollzahligc  Symphonicorchcsler  glcichzeitig  exi- 
stierten,  waren  es  die  Sohne  Leopold  Damroschs,  Frank  (1859)  und  Walter  (1862),  die 
ihres  Vaters  Traditioncn  aufrecht  erhieltcn;  der  alterc  der  Bruder  in  crstcr  Reihe  als  Leitcr 


Moderne:  Amerika  )  195 


der  Oratorio  Society  und  als  Direktor  des  Institute  of  Musical  Art  in  New  York;  der  jungere 
als  Nachfolger  seines  Vaters  in  der  Leitung  des  New  York  Symphony  Orchestra  und  als  be- 
geisterter  Forderer  der  Wagnerschen  Sache.  Seine  eigenen  Opern  haben  es  nicht  zu  mehr  als 
einem  Achtungserfolg  gebracht.  Zwei  Rheinberger  Schiiler,  die  in  Kammermusik  ihr  Bestes 
geleistet  haben,  sind  Henry  Holden  Huss  (1862)  und  Arthur  Whiting  (1861).  Wenn  man 
die  Summe  dieser  Entwicklungsperiode  zieht,  so  erhalt  man  allerdings  ein  Kompositum  der 
Leipziger  Schule  Mendelssohn-Reinecke,  mit  einem  stetig  zunehmenden  Quantum  Wagner 
vermengt. 

Diese  oft  etwas  unerquickliche  Stilmischung  wurde  noch  komplizierter,  als  amerikanische 
Komponisten,  im  Bestreben  ihrer  Musik  einen  nationalen  Charakter  zu  verleihen,  sich  darauf 
besannen  —  oder  vielleicht  durch  Dvoraks  Vorbild  dazu  verleitet  wurden  — ,  die  Motive  der 
Neger-  und  Indianergesange  thematisch  zu  verwerten.  Schon  lange  vor  Dvorak  war  Anton 
Philipp  Heinrich  (1 781 — 1861)  auf  den  Gedanken  gekommen,  indianische  Weisen  zu  seinen 
wundersamen  und  etwas  hohlen  Werken  zu  benutzen.  Aber  es  war  doch  erst  Anfang  der  neun- 
zigerJahre,dafidieseBewegungintensiveres  Leben  gewann.  Aus  ehrlichster  Uberzeugung  und 
selbstlosester  Hingabe griindete  Arthur  Farwell  ( 1872) die  Wa-wan-Gesellschaft und begann 
die  indem,,neuenGeiste"geschriebenen  Werke  —  meistens  Lieder  und  Klavierstiicke — seiner 
Anhanger  zu  drucken.  Er  selbst  hat  in  der  Harmonisierung  von  Indianer-  und  Cowboymelo- 
dien  manchen  gliicklichen  Wurf  getan.  Der  fraglos  feinfiihligste  Musiker  dieses  Kreises  ist 
Harvey  Worthington  Loomis  (1865).  Ebenso  gewandt  in  der  Behandlung  von  Neger- 
weisen  wie  von  Beschworungs-  und  Kriegsgesangen  der  verschiedenen  Indianerstamme,  hat  er 
doch  vielleicht  wie  kein  anderer  Amerikaner,  sicher  als  erster,  einen  personlichen  Liedstil  ent- 
wickelt,  in  dem  es  an  graziosen  Einfallen,  an  treffender  Untermalung  und  reizvollen  Klang- 
neuheiten  nicht  fehlt.  Sein  reiches  Talent  hat  in  ungezahlten  kleineren  und  groBeren  Chor- 
liedern  fiir  Schulen  der  amerikanischen  Jugend  einen  grofien  Dienst  geleistet.  Mehr  der  wissen- 
schaftlich-musikalischen  Beschaftigung  mit  den  Indianern  ergaben  sich  Frederick  Russel 
Burton  (1861 — 1909),  Thurlow  Lieurance  (1880),  und  vorallem  die verdienstvolle  undzu 
friih  ver$chiedcneForscherinNatalieCurtisBurlin(f  1921).  Auf  gefallige,  aber etwas seichte 
Art  haben  Charles  SanfordSkilton  (1868)  in  Orchestertanzen,  und  besonders  der  sehr  pro- 
duktive  Charles  Wakefield  Cad  man  (1881)  in  vielen  Liedern  und  Klavierstiicken  aus  diesem 
Zwitterstil  Gewinn  gezogen.  Des  letzteren  Oper  ,,Shanewis",  sowie  Victor  Herberts  ,,Na- 
tomau,  fufien  auf  indianischen  Stoffen  und  Motiven.  Verschiedene  Musiker,  die  der  Negerrasse 
angehoren,  haben  Proben  kompositorischer  Begabung  abgelegt.  Wahrend  Henry  T.  Bur  lei  gh 
(1866),  von  Beruf  Sanger,  sich  mehr  auf  die  Liedform  beschrankt,  haben  Will  Marion  Cook 
und  der  geschultere  Nathaniel  Dett  (1882)  auch  interessante  Instrumentalmusik  geliefert. 

Angeregt  durch  Mac  Dowell,  dessen  Schiiler  er  war,  und  von  Natur  auf  den  ,,Volkston"  ge- 
stimmt,hatHenryF,  Gilbert  (1868— 1928)die  symphonische  Brauchbarkeit  von  Neger- und 
Indianermotiven  in  gl&nzender  Weise  bewiesen.  Seine  ,,Comedy  Overture  on  Negro  Themes4*, 
seine  ,,Negro  Rhapsody**,  die  ,,Indian  Sketches**,  ,,Dance  in  Place  Congo",  sind  unum- 
stofiliche  Belege  seiner  eigene  Pfade  suchenden  Schaffenskraft.  Dafi  sie  aber  eine  wirkliche 
nationale  Kunst  darstellen,  ist  wohl  zu  bezweifeln.  Sie  sind  exotisch  und  versinnbildlichen 
nur  eine  noch  unverschmolzene  Minderheit  des  amerikanischen  Volkes.  In  ihnen  finden  wir 
eine  Parallelerscheimmg  der  auch  in  Europa  sich  verbreitenden  Exotik  als  Rettung  aus  dem 
76  H.a,M. 


Moderne:  Amerika 


Stildilemma.  Gilbert  hat  auch  in  keltischen  Melodien  ebenso  anregenden  Stoff  gefunden 
(Overture  to  Synge's  ,,Riders  to  the  Sea"),  hat  sie  in  herbe,  tiefergreifende  Klange  gekleidet 
und  damit  dem  Vorwurf  der  Einseitigkeit  den  Boden  entzogen. 

Einer  eigentlich  nationalen  Schule  entbehrend,  bisher  noch  frei  von  nationalen  Vorurteilen 
oder  Chauvinismus,  ist  Amerika  in  Sachen  der  Kunst  um  so  leichter  fur  fremde  Anregung 
empfanglich  gewesen,  ist  um  so  williger  auslandischen  Vorbildern  gefolgt.  In  den  letzten  1 5 
oder  20  Jahren  macht  sich  eine  starke  und  strenge  Spaltung  bemerkbar;  auf  der  einen  Seite 
ist  es  der  auf  Wagner  folgende  Einflufi  von  Brahms  und  Richard  StrauB,  dem  endlich  die 
Jiinger  Mahlers  anzureihen  sind;  auf  der  anderen  Seite  sind  es  franzosische  Tendenzen,  wie  sie 
von  Gabriel  Faure,  Franck,  Debussy  und  Ravel  ausgehen.  In  jiingerer  Zeit  haben  naturgemafi 
die  Russen  Rimsky-Korsakoff,  Scriabin  und  Strawinsky,  sowie  der  Wiener  Arnold  Schonberg 
den  Schopfungen  einer  schnell  wechselnden  Geschmacksrichtung  ein  neues  Geprage  verliehen. 

Bevor  \vir  zu  einer  stilmafiigen  Trennung  der  zeitgenossischen  Generation  schreiten,  verdient 
ein  Musiker  besondere  Beachtung,  weil  sich  in  ihm  diese  Wandlung  am  besten  verfolgen  laBt 
und  weil  er  wohl  am  meisten  dazu  beigetragen  hat,  die  Wiirdigung  moderner  franzosischer 
Musik  in  Amerika  zu  beschleunigen.  Abgesehen  von  diesen  aufierlichen  Grunden  Hegt  aber 
noch  der  innere  Zwang  vor,  Charles  Martin  Loeffleran  erster  Stelle  zu  nennen,  weil  ihm 
ein  iiberragender  Platz  als  Ktinstler  zusteht.  Elsasser  von  Geburt  (1861),  wurde  er  in  Berlin 
bei  Joachim  und  in  Paris  bei  Leonard  ausgebildet.  Mogen  seine  Jugendwerke  auch  Spuren 
einer  Vorliebe  fur  Brahms  aufweisen,  mag  seine  Orchestertechnik  in  der  Obergangsperiode 
von  den  damaligen  Kiihnheiten  eines  Richard  Straufi  gelernt  haben,  so  kam  doch  schon  friih- 
zeitig  bei  diesem  Musiker  von  deutscher  Griindlichkeit  ein  Hang  nach  gallischem  Wesen  zum 
Durchbruch.  Ohne  im  geringsten  einer  blofien  Nacl'ahmung  zu  huldigen,  hat  sein  geistreiches, 
zart  abgetontes  Musizieren  einen  unverkennbar  franzosi^rhen  Anstrich.  Tiefes  Studium  des 
Gregorianischen  Gesanges  hat  in  Loefflers  Melodik  manchen  Nachklang  hinterlassen.  Die 
meisterhafte  Polyphonie,  die  seinem  ,, Pagan  Poem'4,  seiner  ,,Hora  mystica"  (Symphonic  mit 
Mannerchor)  und  seiner  Kammermusik  ein  so  bewegtes,  schillerndes  Lehen  verleiht,  ist  stets 
einem  hyperkritischen  Klangsinn  unterworfen,  der  in  erster  Reihe  auf  sinnliche  Schonheit  be^ 
dacht  ist. 

Eine  Gruppierung,  wie  sie  hier  in  weiterem  Sinne  vorgenommen  wird,  hat  notwendiger- 
weise  etwas  Mangelhaftes.  Die  unterschiedlichen  Merkmale  sind  oft  zu  fein,  um  sich  in  eine 
grofiere  Gruppe  einreihen  zu  lassen.  Dennoch  kann  man  bei  Komponisten  wie  Frederick 
S.  Converse  (1871),  Rubin  Goldmark  (1872,  dem  Neffen  Karls),  Henry  Hadley  (1871), 
Arne  Oldberg  (1874),  Howard  Brockway  (1870),  Daniel  Gregory  Mason  (1873), 
Louis  Adolph  Coerne  (1870 — 1922),  L.  V.  Saar  (1869),  von  einer  gewissen  Stilverwandt- 
schaft  sprechen,  da  ein  jeder  von  ihnen,  trotz  der  oft  differenzierten  Ziige,  auf  das  Architek- 
tonische  und  Formale,  das  fur  Brahms  und  StrauB  kennzeichnend  ist,  das  Hauptgewicht  legt. 
Auch  in  der  Harmonik  schreiten  sie  nicht  weit  iiber  die  Grenzen  dieser  deutschen  Meister, 
was  die  Folge  davon  sein  diirfte,  da6  die  Mehrzahl  unter  ihnen  entweder  in  Deutschland  stu- 
diert  oder  dort  langere  Zeit  gelebt  hat.  Ihnen  kann  man  als  Fortsetzung  dem  zum  Regeri- 
sieren  geneigten  Mortimer  Wilson  (1876)  und  den  Max  Schillings-Schiiler  Philip  Greely 
Clapp  (1888)  anreihen,  der  in  dem  orchestralen  Aufbau  seiner  Symphohien  stark  an  Mahler 
gemahnt.  Auf  der  Schwelle  zwischen  der  deutschen  Moderne  und  derp  franzosischen  Inv 


Moderne:  Amerika  ]  ]97 


pressionismus  stehen  der  elegante  Klaviervirtuose  Ernest  Schelling  (1876)  und  der  viel- 
seitige  David  Stanley  Smith  (1877),  Horatio  Parkers  Nachfolger  an  der  Yale  Universitat. 

Stimmungszauber,  Klangkitzel,  wie  sie  von  den  Franzosen  in  den  letzten  20  Jahren  ver- 
feinert  worden,  sind  der  Strebepunkt,  auf  den  die  zweite  Gruppe  zielt.  Zu  Jhr  gehoren  Ed 
ward  Burlingame  Hill  (1872),  Gustav  Strube  (1867)  und  John  Alden  Carpenter 
(1876),  der  begabteste  Schiller  des  lange  in  Chicago  ansassigen  hervorragenden  Theoretikers 
Eeir.hard  Ziehn  (1845 — 1912).  Ein  jeder  dieser  drei  beherrscht  in  souveraner  Weise  den 
modernen  Orchesterapparat.  Carpenters  ,,Perambulator  Suite"  ist  ein  Erzeugnis  feinsten 
amerikanischen  Humors  mit  gallischer  Grazie  gepaart.  Seine  zahlreichen  Lieder  zeichnen  sich 
durch  feinfiihlige  Prosodie  und  Charakterisierungskunst  aus.  In  seiner  Pantomime  ,,Krazy 
Kat"  und  in  seinem  Ballett  ,,Skyscrapers"  (1926  in  New  York,  1928  in  Munchen)  hat  er  den 
Versuch  gemacht,  die  modernste  Form  der  amerikanischen  popularen  Musik,  P,Jazz", 
kunstlerisch  zu  verwenden.  Dafi  die  lange  in  Paris  lebenden  Blair  Fairchild  (1877)  und 
Campbell  Tipton  (1877—1919)  im  Fahrwasser  der  franzosischen  Schule  schwimmen, 
ist  unvermeidlich.  Von  dieser  Schule  ging  auch  der  vielversprechende  Charles  T.  Griff es 
(1884 — 1920)  aus,  gelangte  aber  vor  seinem  friihzeitigen  Tode  zu  einer  bedeutend  personliche- 
ren  Manier,  die  zu  den  schonsten,  nun  leider  vereitelten  Hoffnungen  Anlafi  gab.  Seine  Lieder, 
Klaviersonate,  eine  symphonische  Dichtung  und  ein  ,,PoerrT  fur  Flote  und  Orchester  sichern 
ihm  einen  unbestrittenen  Platz  im  Vordergrund  der  modernen  Bewegung.  Eine  Sonderstellung 
gebuhrt  dem  gewandten  (Joseph)  Deems  Taylor  (1885),  der  nicht  nur  auf  symphonischem 
Gebiete  mit  Werken  wie  ,,Through  the  Looking-glass "  (1922)  und  ,Jurgen"  (1925),  sondern 
mit  seiner  Oper  ,,The  King's  Henchman"  (Metropolitan,  New  York,  1 927)  nachhaltige  Erfolge 
erzielt  hat,  die  noch  zu  hb'heren  Erwartungen  berechtigen.  Raffinierte  Exotik  zeichnet  die 
besten  Lieder  und  Orchesterstucke  Emerson  Whithornes  (1884),  Stuart  Masons  (1883) 
und  Henry  Eichheims  (1870)  aus.  Mehr  oder  weniger  im  Banne  Cesar  Francks  stehen  die 
Organisten  Edward  Shippen  Barnes  (1887),  Edwin  Grasse  (1884),  Eric  de  Lamarter 
(1880)  und  John  Lawrence  Erb  (1877),  die  hauptsachlich  fur  ihr  eigenes  Instrument  ge- 
haltvolle  und  gediegenc  Werke  geschricben  haben.  Unter  den  katholischen  Organisten 
zeichnen  sich  Anton  Gloetzner  (1850—1928)  durch  meisterhafte  Kontrapunktik,  Pietro 
AlessandroYon  (1886)  durch  effektvolle  Sonaten  und  Konzerte  fur  die  Orgel  und  Nicola 
Aloysius  Montani  (1880)  durch  Offertorien  und  Messen  im  reinsten  Kirchenstil  aus. 

Hattc  Amerika  nichts  anderes  aufzuwcisen  als  diese  wenn  auch  dichtgescharte  Phalanx,  die 
noch  in  europaJschern  Kunstsold  steht,  so  konnte  schwerlich  von  einer  amerikanischen  Mo 
derne,  im  eigentlichen  Sinne,  die  Rede  sein.  Ein  regcs  und  anregendes  Musiktreiben  wiirde 
damit  wohl  bezeugt  sein,  aber  noch  kein  Abschwenken  in  selbstandige  Bahnen,  fur  welche  die 
Bezeichnung  ,,amerikanisch"  mehr  als  lokale  Bedeutung  hatte.  Aber  ein  solches  Abschwenken 
macht  sich  augenblicklich  doch  bemerkbar.  Obzwar  auch  hier  wieder  ein  Zusammenfassen  in 
groBere  Gruppen  die  Gefahr  bringt,  nicht  jedem  individuellen  Merkmale,  nicht  alien  Graden 
intellektueller  Unabhangigkeit  gerecht  werden  zu  konnen,  so  darf  man  wohl  schon  von  einer 
,,amerikanischen  Schule4,  von  einer  ,,amerikanischen  Moderne44  sprechen,  zumal  diese 
Richtung  begonnen  hat,  einen  riicklaufendcn  EinfluC  auf  gewisse  Musiker  Europas  auszuiiben. 
Da  diese  Schule  noch  im  Werden  begriffen  ist,  Isfit  sich  von  ihr  ein  abgerundetes  Bild  nicht 
geben.  Immerhin  ist  eine  neu  erwachende  Pragnanz,  ein  kiihneres  Vordringen  auf  unge- 

76* 


I  1 98  Moderne :  Amerika 


wohnten  harmonischen  Pfaden  zu  verzeichnen,  ohne  da8  sich  bei  jedem  Schritt  ein  Schielen 
nach  den  Neuerern  der  ,,Alten"  Welt  bemerkbar  macht.  In  seinen  ,,Amerikanischen  Tanzen" 
fur  Violine  und  Klavier  spricht  Albert  Stoessel  (1894)  eine  durchaus  idiomatische  Sprache; 
ebenso  John  Powell  (1882)  in  seiner  ,,Rhapsodie  Negre"  fur  Klavier  und  Orchester;  Arthur 
Shepherd  (1880)  im  letzten  Satz  seiner  schon  1908  geschriebenen  Klaviersonate ;  A.  Walter 
Kramer  (1890)  in  seinem  ,,Chant  Negre";  Cecil  Burleigh  (1885)  in  seinen  ..Plantation 
Sketches"  und  ,,Prairie  Sketches";  Albert  Spalding'(1888)  in  seinem  ..Alabama";  Leo  So- 
werby  (1895)  in  einem  Klavierkonzert  und  in  Kammermusik;  Marion  Bauer  in  reizvollen 
Klavierstiicken ;  Frederick  Jacobi  (1891)  in  seinem  Streichquartett  iiber  Indianische  Motive; 
Louis  Griinberg  (1883)  in  seinem  ,,Daniel  Jazz"  und  0.  G.  Sonneck  (1873—1928)  in 
stimmungsvollen  Liedern.  Der  letztere  ist  hauptsachlich  als  hervorragender  Schriftsteller 
auf  musikhistorischem  Gebiet  bekannt,  und  sein  groBter  Ruhm  bleibt  der  glanzende  Ausbau 
der  musikalischen  Abteilung  in  der  Nationalbibliothek  zu  Washington  (Library  of  Congress), 
dem  er  15  Jahre  seines  Lebens  widmete.  SeitSonnecks  Tode  nimmt  unter  den  Musikwissen- 
schaftlern  Amerikas  Otto  Kinkeldey  (1878)  die  fuhrende  Stellung  ein.  Er  leitet  zur  Zeit 
die  Musikabteilung  der  New  Yorker  Bibliothek.  Die  Leitung  der  Musikabteilung  der  Library 
of  Congress  in  Washington  hat  Carl  Engel  iibernommen.  < 

Die  Wogen  der  europaischen  Ultramoderne  haben  auch  die  Ufer  Amerikas  bespiilt  und  in 
den  jiingsten  Werken  von  Edward  Royce,  des  Busoni-Schiilers  Louis  Griinberg  (1883), 
CarlRuggles  (1876)  und  anderer  einen  deutlichen  Niederschlag  zuriickgelassen.  Doch  sind 
es  vier  im  Auslande  geborene  und  jetzt  in  Amerika  lebende  Komponisten,  die  hier  als  Fiihrer 
zu  nennen  sind:  der  Russe  Leo  Ornstein  (1895),  der  Australier  Percy  Grainger  (1882), 
der  hispano-franzosische  Carlos  Salzedo  (1885),  bahnbrechend  auf  dem  Gebiet  der  kompo- 
sitorischen  Verwendung  der  Harfe,  und  die  unter  alien  kiinstlerisch  starkste  Gestalt  des  Schwei- 
zers  Ernest  Bloch  (1880).  Die  spezifisch  hebraischen  Ziige,  die  Blochs  Musik  noch  bis  vor 
kurzem  eigen  waren,  haben  sich  seit  seinem  Aufenthalt  in  Amerika  zu  einem  reicheren  und 
mannigfaltigeren  Ausdrucksvermogen  erweitert.  Schon  jetzt  zahlt  er  mit  seiner  Oper  ,, Mac 
beth",  der  „ Israel* '-Symphonic,  dem  hochoriginellen  Streichquartett  und  Klavierquintett  und 
der  wundervollen  Suite  fur  Bratsche  und  Klavier  (auch  orchestriert)  unter  die  allerbedeutend- 
sten  Komponisten  der  gesamten  heutigen  Musikwelt.  Mit  seiner  symphonischen  Dichtung 
,,Amerika"  (1928)  hat  er  ein  historisch-musikalisches  Panorama  geschaffen,  das  in  Anlage 
und  Wirkung  woW  einzig  dasteht.  Diesen  Haupttragern  des  Banners  der  Moderne  folgen 
viele  noch  nicht  ausgereifte  Talente,  die  jedoch  auf  eine  verheifiungsvolle  Zukunft  weisen. 

Zu  diesen  ,,Neutonern"  treten  seit  den  letzten  Jahren  Howard  Hanson  (1896;  jetzt 
Direktor  der  Eastman  School  of  Music  in  Rochester,  N.  Y.)  mit  Kammermusik  und  Orchester- 
sachen,  Roger  Huntington  Sessions  (1896;  Schiller  von  Bloch)  mit  einer  Symphonic 
(1927),  und  Aaron  Copland  (1900;  Schiiler  von  Nadia  Boulanger  in  Paris)  mit  einer  Sym 
phonic  far  Orgel  und  Orchester  und  einem  Klavierkonzert.  Henry  Cowell,  Charles 
E.  Ives,  Dane  Rudyar  (recte  Rudyar  D.  Chenneviere)  und  Edgar  Varese  (1885)  gehen 
in  ihrer  Musik  teilweise  bis  zu  den  aufiersten  Grenzen  des  Bizarren.  Den  bleibenden  Wert 
dieser  Werke  mufi  die  Nach  welt  bestimmen. 

Selbst  dieser  skizzenhafte  UmriC  der  amerikanischen  Musik  wiirde  eine  unverzeihliche 
Liicke  aufweisen,  wenn  nicht  wenigstens  mit  einem  Worte  der  umfangreichen  Lied-  und 


Moderne:  Amerika  ]  ]99 


Balladenliteratur  und  der  Salonstiicke  gedacht  wurde,dienebeneinerunglaublichen  Anzahldes 
minderwertigsten  Zeuges  doch  Vertreter  fanden,  die  Achtbares  geleistet  haben.  Am  bekann- 
testen  diirfte  Ethelbert  Nevin  (1862 — 1901)  sein,  der  Komponist  von  ,,Narcissus"  und  ,,The 
Rosary",  die  sich  tatsachlich  liber  die  ganze  Erde  verbreitet  haben.  Als  Liederkomponisten 
von  leichter  Einganglichkeit  und  viel  Geschick  miissen  auch  James  H.  Rogers,  Sidney 
Homer  und  Brainbridge  Crist  gelten,  wahrend  in  den  Gesangen  von  Frank  Laforge, 
Henry  Clough  -  Leighter,  Kurt  Schindler  und  Percy  Atherton  ansprechende  Me- 
lodik  sich  mit  tieferem  Kunstsinn  und  grb'fierem  Konnen  verbindet.  Doch  hier  ist  eine  auch 
nur  annahernd  erschopfende  Nennung  der  Namen  unmb'glich. 

Steigen  wir  mutig  eine  Stufe  hinab,  so  begegnen  wir  einer  leichteren,  aber  ausnehmend 
pikanten  Muse,  zu  deren  Dienern  treffliche  Musiker  zahlen,  wie  Victor  Herbert  (1859  bis 
1924),  der  Komponist  von  iiber  40  teils  reizenden  Musical  comedies,  sowie  Reginald  de 
Koven  (1861  —  1920),  der  mit  der  Operette  ,, Robin  Hood"  ein  klassisches  Werk  geschaffen. 
Unter  den  derzeitigen  amerikanischen  Operettenkomponisten  zeichnen  sich  Jerome  Kern 
(1885)  durch  feinfiahlige  Rhythmik  und  Harmonik,  und  Irving  Berlin  (1888)  durch  un- 
bedingten  Sinn  fur  einschmeichelnde  Melodik  aus.  Zu  ihnen  zahlt  auch  George  Gershwin 
(1898),  doch  ist  der  letztere  auf  ein  ernsteres  symphonisches  Gebiet  vorgedrungen  mit  seiner 
,, Rhapsody  in  Blue"  und  mit  einem  Konzert  fur  Klavier  und  Orchester,  dessen  zweiter  Satz 
unleugbar  zu  den  eigenartigsten  Erzeugnissen  einer  typisch  amerikanischen  Moderne  gehort. 
Ubertroffen  wird  es  nur  in  Frische,  Geist  und  orchestraler  Technik  durch  Werner 
Jans  sen's  (1899)  symphonische  Dichtung  ,,New  Year's  Eve  in  New  York"  (1928).  Die 
Schlager  dieser  Komponisten  sind  Gemeingut  der  an  leichter  Musik  zehrenden  Welt  ge- 
worden,  Zu  internationaler  Anerkennung  hat  es  auch  der  ,,Marschkonig"  John  Philip  Sousa 
(1854)  gebracht.  Immer  mehr  verbreiten  sich  amerikanische  Lieder  und  Tanze  ernes  popularen 
Charakters  und  finden  ihren  Weg  nach  Europa.  Wenn  die  von  Wien  importierte  Operette  noch 
hier  und  da  am  Broadway  auftaucht,  so  ist  es  gewohnlich  des  ,,Buches4<  wegen.  Die  Musik  be- 
kommt  unter  den  Handen  berufener  Umarbeiter  neuen  Odem  eingeflofit,  iiber  den  nur  Amerika 
verfiigt.  Diese  Einfuhr  halt  aber  kaum  Schritt  mit  der  immer  mehr  zunehmenden  Ausfuhr  von 
typisch  amerikanischen  Hits  (Schlagern),  die  oft  eines  unnachahmlichen  Schwunges,  einer 
kecken  Harmonik  nicht  entbehren.  Ja,  heute  sehen  wir,  wie  nach  den  vielen  Jahren  der  musika- 
lischen  Abhangigkeit  von  Europa  die  todeskranke  Zivilisation  des  Mutterbodens  sich  angstlich, 
fast  phrenetisch,  an  die  Exportwaren  der  amerikanischen  Belustigungszauberer  klammert;  und 
jeder  Notenschreiber  sucht  sein  Heil  in  ,,Bostons",  ,,Shimmies",  ,,Foxtrotts"  und  dem  kro- 
nenden  Erzeugnis  einer  larmenden,  vielstimmigen  Metropole,  der  sogenannten  ,,Jazz"-Musik. 
Uber  ,Jazz"  Jst  in  Europa  noch  mehr  diskutiert  worden  als  in  Amerika.  Franzosische,  deutsche, 
englische  Kritiker  haben  ihm  eingehende  Abhandlungen  gewidmet.  Unter  den  durch  Gram- 
mophonplatten  uberall  bekannten  , Jazz-bands**  sind  einige,  die  aus  wirklichen  Orchester- 
virtuosen  bestehen.  Europaische  Musiker  haben  sich  dem  neuartigen  Reiz  dieser  Orchester- 
technik  nicht  entziehen  konnen.  Die  Tanzwut  des  Mittelalters,  durch  die  kriegsgelahmte  und 
pestentnervte  Volker  wieder  mit  dem  Lebenstrieb,  mit  dem  Willen  zur  blinden  Fortpflanzung 
aufgepeitscht  wurden,  holt  sich  heute  in  Amerika  die  aphroditischen  Rhythmen,  die  hysterischen 
Unlaute  dieser  grandiosen,  im  Werden  begriffenen  Volksmusik.  Verpont,  wie  es  die  erste 
Sarabande,  der  erste  Walzer  waren,  liegt  doch  auch  in  ihr  etwas  Zwingendes,  etwas  Dyna- 


1200 


Moderne:  Amerika 


misches  und  der  Entwicklung  Fahiges,  das  sich  nicht  von  der  Hand  weisen  lafit.  Mit  blofiem 
Naseriimpfen  kann  man  diese  Musik  nicht  abtun.  Auch  hat  Amerika  es  nicht  notig,  sich  ihrer 
zu  schamen;  denn  sie  wird  mehr  wie  aufgewogen  durch  die  ernsten,  kiinstlerischen  Be- 
strebungen,  die  mit  jedem  Tage  der  amerikanischen  Moderne  einen  grofieren  und  gefestigteren 
Raum  in  der  Musikgeschichte  sichern. 

In  den  letzten  Jahren  hat  sich  in  Amerika  das  musikalische  Macenatentum  stark  entwickelt. 
Unter  den  grofiherzigen  und  weitblickenden  Forderern  der  Kunst  nimmt  Elizabeth  Sprague 
Coolidge  eine  besondere  Stellung  ein;  es  ist  ihrer  Initiative  zu  verdanken,  dafi  durch  ihre 
der  Nationalbibliothek  (Library  of  Congress)  in  Washington  gemachte  Stiftung  (1925)  end- 
lich  die  amerikanische  Regierung  dahin  gebracht  worden  ist,  an  der  Auffiihrung  und  Ford^rung 
von  Kunstmusik  einen  vorerst  kleinen,  aber  nicht  zu  unterschatzenden  Anteil  zu  nehmen. 

Die  allgemeine  Verbreitung  des  Musizierens  in  ganz  Amerika  wachst  stetig.  Durch  hervor- 
ragende  Orchester,  wie  diejenigen  von  Boston  (Serge  Koussevitzky),  Philadelphia  (Leopold 
Stokowski),  Detroit  (Ossip  Gabrilowitsch),  Cleveland  (Nikolai  Sokoloff),  Chicago  (Frederick 
A.  Stock),  San  Francisco  (Alfred  Hertz)  ist  fur  eine  weitgehende  Verfeinerung  des  Geschmacks 
gesorgt.  Die  offentliche  Meinung  wird  von  wirklich  kunstverstandigen  Kntikern,  wie  Philip 
Hale,  Lawrence  Gilman,  William  J.  Henderson,  Paul  Rosenfeld,  H.  T.  Parker,  immer  tiefer 
und  eingehender  geschult.  Die  Musikerziehung  des  Volkes,  vom  „  Kindergarten"  bis  zur 
Universitat,  ist  heutigen  Tages  eine  wahre  Riesenindustrie.  Der  ,,Rundfunk"  tut  das  iibrige. 

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Carl  Engel 


REPRODUZIERENDE  KUNST 

Erst  allmahlich  entwickelt  sich  aus  der  Improvisation  durch  immer  starkere  Variation 
die  freie  kiinstlerische  Gestaltung.  So  kommt  es,  dafi  bei  jenen  Volkern,  bei  denen  die  Im 
provisation  im  Vordergrund  der  Kunst  steht,  das  Spielmannswesen  sich  langer  erhalten 
und  einen  hoheren  Stand  hat,  als  bei  jenen  Volkern,  bei  denen  die  Improvisation  durch  eigen- 
wertige  Gestaltung  iiberwunden  wurde.  Altertum,  Orient  und  Naturvolker  kennen  keinen 
Unterschied  zwischen  Komponisten  und  Spielmann  und  jene  Volker,  die,  wie  die  Orientalen, 
Siidlander  oder  Slawen,  der  Natur  naherstehen,  haben  relativ  mehr  Virtuosen  hervorgebracht 
als  die  Mitteleuropaer.  Wahrend  im  Mittelalter  die  kirchliche  Musik  in  den  Handen  der 
Geistlichkeit  liegt,  ist  die  weltliche  Musik  von  der  kirchlichen  vollig  gesondert.  Die  welt- 
lichen  Spielleute  bilden  eine  gesonderte  Zunft,  deren  Angehorige  auf  eine  Stufe  mit  der 
untersten  Schicht  des  Volkes  gestellt  werden  —  zum  Teile  ein  Erbe  spatromischer  Kaiser- 
zeit,  da  ja  bereits  nach  romischem  Recht  die  Musiker  Ehrbeschrankungen  unterworfen  waren. 
Der  Sachsenspiegel  stellt  Spielleute  und  solche,  ,,die  sich  to  egene  geven"  (Lustknaben),  gleich, 
und  nach  einigen  Rechten  waren  Spielmannskinder  vom  Erbrecht  ausgeschlossen.  Gelegent- 
lich  wird  der  Spielmann  als  Mensch  bezeichnet,  der  ,,Gut  um  Ehre"  nimmt.  Diese  soziale 
Minderwertigkeit  des  weltlichen  Musikers  und  insbesondere  des  ausiibenden  Kunstlers 
hat  erst  allmahlich  einer  Gleichbewertung  Platz  gemacht  vor  allem  infolge  der  steilen  Auf- 
wartsentwicklung  der  Kunst  selbst,  wozu  nicht  wenig  der  Umstand  beitrug,  dafi  Landes- 
fiirsten  und  hoher  Adel  um  die  Wette  an  ihren  Hofen  Musik  hielten.  So  wurden  von  Fiirsten 
Unsummen  Geldes  fur  die  Musik  verausgabt  und  aus  der  urspriinglichen  Pracht-  und  Auf- 
wandsgier  entwickelt  sich  mit  der  Zeit  ein  ehrliches  Mazenatentum,  das  seinerseits  die  Ur- 
sache  der  sozialen  Emanzipation  des  Kiinstlerstandes  wird.  Aber  erst  durch  die  Emanzipation 
der  Kunst  vom  Mazenatentum  selbst  entwickelt  sich  der  freie  und  vollwertige  Musikerstand, 
wie  ihn  das  19,  Jahrhundert  kennt,  frei  auch  von  den  gelegentlichen  Uberwertungen  des 
Virtuosentums  im  18.  Jahrhundert. 

Sehr  zeitlich  machen  sich  die  nationalen  Unterschiede  bei  der  Bewertung  der  Spielleute 
geltend.  Im  Roman  de  Cleomades  werden  neben  den  bohmischen  Flotern  die  deutschen 
Geiger  geriihmt.  Der  Hof  von  Ferrara  lafit  1441  deutsche  Trompeter  anwerben,  wahrend 
in  anderen  Quellen  franzosische  Geiger  genannt  sind.  Die  ersten  ausiibenden  Musiker,  liber 
deren  Kunst  wir  gewichtigere  Zeugnisse  besitzen,  sind  Organisten.  Stand  ja  die  Orgel  seit 
friihester  Zeit  im  Vordergrund  der  Musikpflege,  und  alte  Abbildungen  (Reliefs)  beweisen,  daB 
die  Orgel  im  Abendland  bereits  bekannt  war,  bevor  Kaiser  Constantin  Kopronymos  757 
dem  Konig  Pippin  eine  Orgel  schenkte.  Sowohl  in  Deutschland  als  in  Italien  geht  die  Ent- 
wicklung  des  Orgelbaues  Hand  in  Hand  mit  jener  des  Orgelspiels.  Man  begegnet  im  14.  Jahr 
hundert  dem  gefeierten  blinden  Orgelvirtuosen  Francesco  Landino  (1325^  97),  der  nicht 
nur  die  Orgel  und  ein  selbst  konstruiertes  Klavierinstrument  (Serena  serenorum)  meistert, 
sondern  auch  Laute,  Gitarre  und  Flote  spielt  Im  15.  Jahrhundert  bliiht  Antonio  Squarcia- 
lupi  (auch  Antonio  degli  organ!  genannt),  dessen  Tod  von  Lorenzo  Magnifico  tief  betrauert 
wird,  Der  bedeutendste  und  grofite  Organist  jener  Zeit  ist  der  blinde  Konrad  Paumann 
(1410—73),  tiber  den  sein  Landsmann  Hans  Rosenpltit  ein  interessantes  Zeugnis  ausstellt, 
das  bekundet,  welche  Bewertung  ernes  auBerordentlich  hochstehenden  Kiinstlers  in  jener 


J-202  Keproduzierende  Kunst 


Zeit  in  biirgerlicher  Umwelt  moglich  1st.  Das  Zeugnis  des  Rosenpliit  zeigt  aber  auch,  daB 
man  bereits  im  15.  Jahrhundert  einen  genauen  Unterschied  machte  zwischen  Improvisation 
und  notierter  Kunst. 

Wahrend  Orgel  und  Klavier  infolge  der  festen  Intonation  und  der  nur  beschrankten  Be- 
einflussungsmoglichkeit  der  Klangerscheinung  das  Virtuose  im  Rahmen  der  technischen 
Moglichkeiten  des  Instrumentes  entwickelt  haben,  hat  die  Ausbildung  des  Violins piels 
und  des  Gesanges  verhaltnismaBig  bedeutend  groBere  Dimensionen  angenommen,  wenn  man 
in  Betracht  zieht,  dafi  hier  die  Entwicklung  der  Reproduktion  nur  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  von  der  Technik  der  Klangquelle  abhangig  ist.  Denn  die  Violine  hat  mindestens  seit 
dem  Anfang  des  1 7.  Jahrhunderts  dieselbe  Gestalt  wie  heute,  ihr  Bau  ist  demnach  seit  dieser 
Zeit  vervollkommnet  worden,  wahrend  das  yiolinspiel  selbst  sich  technisch  ganz  gewaltig 
entwickelt  hat,  freilich  nicht  in  einheitlicher  Richtung.  So  geht  die  Entwicklung  des  Geigen- 
spiels  in  Italien  mehr  nach  der  kantablen,  mehr  monophonen  Seite  hin,  wahrend  das  deutsche 
Violinspiel  im  17-  Jahrhundert  in  einer  Weise  nach  der  polyphonen  Seite  hin  zustrebte,  wie 
dies  bis  auf  den  heutigen  Tag  nicht  mehr  der  Fall  war.  Wie  bei  den  iibrigen  Instrumenten 
sind  in  alterer  Zeit  im  Gegensatz  zur  Gegenwart  die  Geiger  auch  Komponisten  und  Inter- 
preten  ihrer  technisch  aufierordentlich  anspruchsvollen  Werke.  Dies  gilt  insbesondere  von 
den  alteren  italienischen  Meistern  der  Mantuaner  Schule,  deren  Begriinder  Monteverdi 
ist,  die  insbesondere  das  Spiel  in  den  hohen  Lagen,  den  springenden  Bogen  und  andere 
Requisite  der  Violinistik  zur  Ausbildung  brachten.  Man  wird  kaum  fehlgehen,  die  Haupter 
der  Mantuaner  Geigerschule,  zu  denen  die  Vertreter  der  ersten  Instrumentalmonodie,  wie 
Salomone  Rossi,  Biagio  Mar  in  i  und  Giovanni  Battista  Buonamente  gehb'ren,  mit  der 
Wiener  Geigerschule,  deren  Begriinder  Giovanni  Valentini,  Antonio  Bertali  und  deren 
Spitzen  Johann  Heinrich  Schmelzer  und  der  Deutschbohme  Heinrich  Franz  von  Biber 
sind,  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Biber  und  Schmelzer  haben,  wie  das  Haupt  der  sachsi- 
schen  Geigerschule,  Johann  Jakob  Walther,  insbesondere  die  Scordatura  (,,Verstiimbung") 
gepflegt,  mittels  welcher  besondere,  der  Klangkultur  des  Barock  entsprechende  Effekte  er- 
zielt  wurden.  In  der  erhaltenen  Korrespondenz  Schmelzers  mit  dem  Fiirstbischof  Karl 
Liechtenstein  Kastelkorn  von  Olmutz  kommt  in  bezeichnender  Weise  zum  Ausdruck,  wie 
solche  ,,verstumbte"  Sachen  in  damaliger  Zeit  gesucht  waren.  Die  Technik  der  Skordatur 
wurzelt  im  Lautenspiel,  das  insbesondere  von  Frankreich  aus  im  1 7.  Jahrhundert  einen  mafi- 
gebenden  EinfluB  nicht  nur  auf  das  Violinspiel,  sondern  insbesondere  auch  auf  das  Klavier- 
spiel  (der  ,,gebrochene"  Klavierstil  Frobergers)  nahm.  Die  bedeutendsten  Vertreter  des 
virtuosen  Lautenspiels,  dessen  Klangbild  heute  nur  schwer  rekonstruierbar  ist  und  das  be- 
stimmenden  EinfluB  auf  den  Klang  des  barocken  Orchesiers  nahm,  sind  die  Mitglieder  der 
Familie  Gaultier,  Gallot,  Dufaut  u.  a.  Die  bedeutendsten  Vertreter  des  deutschen 
Lautenspiels,  das  bereits  im  16.  Jahrhundert  in  Spanien,  Italien  und  Deutschland  seine  erste 
Bliitezeit  erlebt  hat,  sind  Esaias  Reusner,  Leopold  Sylvius  Weiss,  Graf  Losy,  Questen- 
berg  u.  A. 

Mit  dem  Abklingen  de*  Lautenspiels  besinnen  sich  die  Geiger  wieder  auf  die  monophone 
Natur  ihres  Instruments,  wozu  auch  die  Rekonstruktion  des  Bogens  beitrug.  Der  nicht  straff 
gespannte  Bogen  in  seiner  alten  Form  sowie  der  flache  Steg  ermoglichten  das  polyphone 
Spiel  in  bedeutend  hoherem  Mafie  als  die  heutigen  Formen  von  Bogen  und  Steg.  Die  italie- 


Reproduzierende  Kunst  1203 


nischen  Meister  haben  sich  seit  jeher  der  Skordatur  enthalten.  Beispiele  spaterer  Skordatur 
finden  sich  bei  Paganini,  der  die  Saiten  um  einen  halben  Ton  hoher  stimmt,  damit  sein  Fla- 
geolett  hoher  klinge.  Aber  auch  Mozart  stimmt  in  seiner  ,,Symphonie  concertante"  fiir  Violine 
und  Viola  die  Bratsche  um  einen  halben  Ton  hoher.  In  Vieuxtemps'  ,,Norma"-Fantasie  sowie 
in  einigen  Stiicken  Beriots  finden  sich  noch  Auslaufer  dieser  alten  Gepflogenheit,  (Vgl.  auch 
das  Scherzo  von  Mahlers  IV.  Symphonic  und  Saint-Saens'  ,,Danse  macabre".) 

Das  1 8.  Jahrhundert  f indet  das  Geigenspiel  auf  dem  Boden  der  durch  die  Opernarie  be- 
einflufiten  monophonen  Melismatik.  Die  bedeutendsten  Meister  sind,  abgesehen  von  den 
noch  ins  17.  Jahrhundert  fallenden  GroBmeistern  Arcangelo  Corelli  (1653—1713),  Giuseppe 
Torelli  (1660-1708):  Antonio  Vivaldi  (1680-1743),  Pietro  Locatelli  (1693-1764), 
Francesco  Maria  Veracini  (1685  —  1750),  Nicola  Porpora  (1686—1766)  und  der  Begriinder 
der  sogenannten  Piemonteser  Schule  Giovanni  Battista  Somis  (1676—1763),  deren  Haupter 
I.M.Leclair  (1697-1764)  und  Gaetano  Pugnani  (1731-98)  sind.  Alle  diese  Klinstler 
werden  jedoch  durch  das  Spiel  Giuseppe  Tartinis  (1692—1770)  verdunkelt,  dessen  Haupt- 
werk,  die  ,,Teufelstrillersonate",  neben  den  Solosonaten  Bachs  eine  eigenartige  Synthese 
mono-  und  polyphonen  Spiels  bedeutet.  Eine  der  besten  theoretischen  Fassungen  der  Er- 
rungenschaften  des  Violinspiels  im  18.  Jahrhundert  ist  Leopold  Mozarts  ,,Griindliche 
Violinschule",  die  Bibel  der  beiden  nachsten  Geigergenerationen.  Bedeutungsvoll  fiir 
das  Violinspiel  erscheint  insbesondere  die  Mannheimer  Schule,  an  ihrer  Spitze  Johann 
Stamitz,  die  ganz  besonders  die  dynamischen  Mb'glichkeiten  des  Instrumentes  zur  Ent- 
wicklung  brachte.  Das  moderne  Violinspiel  geht  auf  Giovanni  Viotti  (1753—1824)  zuriick, 
der  eigentlich  die  drei  grofien  Richtungen  des  19.  Jahrhunderts,  die  franzosisch-belgische, 
die  Wiener  und  die  Prager  Schule,  inauguriert  hat. 

Die  franzosisch-belgische  Violinschule  geht  auf  Rudolf  Kreutzer  zuriick  (1766 
bis  1831),  der  allerdings  urspriinglich  Schiiler  Anton  Stamitz'  ist  und  welchem  Beethoven 
seine  Violinsonate  Op.  47  widmete,  die  freilich  urspriinglich  dem  mulattischen  Geiger  Bridge- 
tower  gewidmet  war,  dessen  aufierordentliches  temperamentvolles  Spiel  den  Beifall  Beethovens 
fand.  Als  Mitbegriinder  der  alteren  franzosisch-belgischen  Schule  gilt  auch  Pierre  Francois 
Baillot  (1771  1842),  vor  allern  aber  Pierre  Rode  (1774-1830),  dessen  ,,24  caprices"  zum 
Besten  der  instruktiven  Violinliteratur  gehoren  und  dessen  ,,Air  vane**  ein  Glanzstiick  der 
Catalan!  war.  Mit  Kreutzer  zusammen  war  er  auch  an  Baillots  ,,Methode  de  Violon"  beteiligt. 
Der  Begriinder  der  modernen  Richtung  ist  jedoch  Francois  Antoine  Habeneck  (1781  —  1849), 
ein  Schiiler  Baillots,  der  Jm  iibrigen  die  noch  heute  als  Padagogen  wichtigen  Geiger  Jaques 
F.Mazas  (1782  1849),  Josef  L.Meerts  (1800-63),  Charles  August  Beriot  (1802-72) 
und  LB,  Ch.Dancla  (1818  1907)  schulte.  Die  feine,  hauptsachlich  bogentechnisch  voll- 
kommene  Art  der  franzosischen  Geigerschule  gipfelt  in  Pablo  de  Sarasate  (1 844— 1908), 
dessen  eminentes  Virtuosentum  in  einer  reinen  Intonation  und  in  dem  hinreiBenden  Zauber  der 
Tongebung  bestand.  Demgegeniiber  hatte  vielleicht  Henri  Vieuxtemps  (1820—81)  ein  um- 
fassenderes  Repertoire  und  einen  grofieren  Wirkungskreis.  Bedeutende  Vertreter  dieser  Schule 
sind  noch  Johann  Christian  Lauterbach  und  Emil  Sauret.  Aus  der  Schule  Habenecks 
sinderwahnemwert:  D.Alard(1815  88),  H.Leonard  (1819  90),  Philipe  Sainton  (1813 
bis  1890),  B,  W.Besekirsky  (geb.  1835  in  Moskau),  C  Thomson  (geb.  1857),  der  lange 
Zeit  als  der  bedeutendste  Techniker  nach  Paganini  gait,  und  M.P.  I.  Marsick  (geb.  184H), 


]2Q4  Reproduzierende  Kunst 


der  der  Lehrer  bedeutender  moderner  Geiger,  wie  Karl  Fleschs,  wurde.  Direkt  von 
R.  Kreutzer  stammt  der  auch  als  Padagoge  zahlende  L.  I.  Massart  (181 1  -92),  unter  dessen 
Schiilern  wiederum  Henri  Wieniawski  (1835-80),  Isidor  Lotto  (geb.  1840),  Franz  Ries 
(geb.  1846),  Frant.Ondricek  (1859-1922)  hervorragen. 

Als  Begriinder  der  Wiener  Geigerschule  gilt  Beethov  ens  Freund  IgnatzSchuppanzigh, 
der  ja  auch  Lehrer  Beethovens  war,  und  dessen  Freund  May  seder,  diemit  Weifi  und  Lin  eke 
im  Schuppanzigh-Quartett  vereinigt,  die  beruhmtesten  zeitgenossischen  Interpreten  der  Kam- 
mermusik  der  Klassiker  waren.  Zwischen  Schuppanzigh  und  Mayseder  ist  Franz  Clement 
zu  nennen,  dem  Beethoven  sein  Violinkonzert  widmete.  In  diesen  Zusammenhang  gehort 
Josef  Bohm,  der  Fortsetzer  des  Schuppanzighschen  Quartettspiels,  aus  dessen  Schule  die 
DynastieHellmesberger  hervorging:  GeorgHellmesbergerVater(1800— 73),  Georg  Hellmes- 
berger  Sohn  (1830—52),  Josef  Hellmesberger,  der  Sohn  des  alteren  Georg  Hellmesberger 
(1828-93)  und  dessen  Sohn  Josef  (1855-1907),  Klinstler,  die  das  Quartettspiel  besonders 
erfolgreich  pflegten.  Der  bedeutendste  Schiller  Josef  Bohms  ist  Joseph  Joachim(1831  —1907), 
ein  hervorragender  Mittler  klassischer  Musik,  der  insbesondere  durch  seinen  Kontakt  mit 
Mannern  wie  Spohr  und  Mendelssohn  berufen  war,  die  klassische  Art  der  Reproduktion, 
die  durch  restloses  Eingehen  auf  das  Kunstwerk  und  Herausholung  der  letzten  Geheim- 
nisse  derselben  gekennzeichnet  ist,  fortzufiihren  und  sie  zu  verbinden  mit  jener  Brahms' 
und  dessen  Zeitgenossen.  Joachim  ist  der  Lehrer  einer  bedeutenden  Anzahl  groBer  Geiger, 
wie  Karl  Halir  (1859-1909),  Henri  Petri,  des  Linksgeigers  Richard  Barth.  Schiiler 
Josef  Bohms  war  auch  Heinrich  Wilhelm  Ernst  (1814—65),  der  einzige  Rivale  Paganinis. 
Niccolo  Paganini  (1782—1840)  gilt  als  der  grofite  Violinvirtuose  aller  Zeiten,  unerreicht 
durch  seine  Technik.  Diese  Wirkung  seiner  Technik  erklart  sich  aus  der  bis  zu  seiner  Zeit 
unerhorten  Art  seiner  Passagen  und  Flageolette  (hauptsachlich  Doppelflageolett),  gesteigert 
wurde  sie  noch  durch  die  sein  romantisches  Zeitalter  anziehende  geheimnisvolle  Damonie 
seiner  Personlichkeit.  Seine  Capricen  bedeuten  heute  noch  das  letzte  technische  Problem 
und  letzten  Endes  wurzeln  in  Paganinis  Interpretation  fast  samtliche  heutigen  Geiger  von 
Weltbedeutung.  Von  den  Schulen  der  Gegenwart  ist  es  besonders  die  Sevciks,  die  Paganinis 
Kunst  lehrt,  ohne  die  originelle  Personlichkeit  Paganinis  vermitteln  zu  konnen.  Paganinis 
Antipode  in  Deutschland  war  der  grofite  deutsche  Geiger  Louis  Spohr  (1784—1859),  der 
im  Gegensatz  zu  Paganini  auch  das  Quartettspiel  erfolgreich  pflegte.  Spohrs  Violinspiel  ent- 
sprach  besonders  dem  Wesen  der  deutschen  Romantik  mit  ihrem  Hang  zu  chromatischer 
Weichlichkeit,  aber  auch  mit  gewissen  Aufierlichkeiten  (Spohrsche  Trillerchen).  Spohrs 
Schiiler  ist  Ferdinand  David  (1810—73),  der  wiederum  Lehrer  August  Wilhelm js  ist 
(1845—1908).  Wilhelmj,  der  Freund  Richard  Wagners,  ist  als  Konzertmeister  der  Bayreuther 
Festspiele  erwahnenswert.  Neben  Paganini  sind  noch  sein  einziger  Schiiler  E.  C.  Sivori 
(1815—94),  ferner  die  bertihmten  Geigerinnen  A.  Marie  und  Theresa  Milanello  erwahnens 
wert,  auch  Theresina  Tua  (geb.  1867)  und  Antonio  Bazzini  (1818—97). 

Die  Prager  Schule  wurde  vom  Mannheimer  Pixis  begriindet.  Ihre  vorziiglichsten  Re- 
prasentanten  sind  Moritz  Mildner  (1812— 65),  dessen  Schiiler  Ferdinand  Laub  (1832—75), 
einer  der  grofiten  Geiger  des  19.  Jahrhunderts,  der  bedeutende  Prager  Padagoge  Anton  Benne- 
witz  (1833  -1926)  und  Johann  Hrimal,f  (geb.  1844)  sind. 

Bekannt  sind  das  englische  Geigerpaar  Alfred  und  Henri  Holmes,  die  nordischen  Violin- 


Reproduzierende  Kunst  1205 


spieler  Waldemar  Tofte  (1832-1907),  Tor  Aulin  (1866-1914),  Ole  Bull  (1810-90)  und 
Johann  S.  Svendsen  (1840-1911). 

Kurz  charakterisiert,  legt  die  franzosisch-belgische  Schule  ihr  Hauptaugenmerk  auf  eine 
leichte  Bogenfiihrung,  frei  aus  dem  Gelenk,  bevorzugt  die  springenden  Stricharten,  sieht  auf 
moglichst  siiBe  Tonentfaltung  und  Glatte.  Die  Wiener  Schule  bevorzugt  mehr  die  Innigkeit 
und  Warme  des  Vortrags,  dabei  Temperament  und  em  gewisses  schwebendes  Rubato;  die 
Bogen-  und  Fingertechnik  ist  natiirlicher  als  die  finessenreiche  der  franzosischen  Schule. 
Die  Prager  Schule  sieht  auf  eine  pemlich  saubere  Fingertechnik,  die  der  Interpretation  ein 
besonderes  Niveau  gibt;  die  geistige  Auffassung  entbehrt  oft  jeder  Sentimentalitat,  neigt 
aber  gelegentlich  zu  melancholisch-slawischem  Einschlag.  Die  deutsche  Schule  endlich  be- 
zieht  ihre  Anregungen  von  den  Klassikern;  vor  allem  auf  Griindlichkeit,  Exaktheit,  breite 
Tonentfaltung,  polyphones  Spiel,  Interpretation  der  Bachschen  Solosonate  und  Pflege  der 
Kammermusik  richtet  sich  ihr  Augenmerk. 

Von  den  heute  lebenden  Geigern  stammen  aus  der  franzosisch-belgischen  Schule  der 
Massartschiiler  Fritz  Kreisler  (geb.  1875),  der  als  Wiener  die  Vorztige  der  Wiener  Schule 
und  der  franzosischen  Schule  vereint:  bliihender,  warmer  Ton,  geschmeidige  Bogen 
fiihrung,  Geist  und  Witz  vereint  mit  seelenvollem  Vortrag;  am  besten  gelingen  ihm  Mozart, 
Schubert,  kleinere  Stiicke  besonders  in  seinen  eigenen  feinen  Bearbeitungen,  die  Klassisches 
und  Modernes  umfassen;  Henri  Marteau  (geb.  1874),  der  einst  gefeierte  Interpret  be 
sonders  deutscher  Meister  und  Freund  Max  Regers,  als  Theoretiker  nicht  geringer  wie  als 
ausiibender  Kiinstler,  dessen  Kunst  als  eine  Synthese  modernen  Geigenspiels  angesprochen 
werden  kann;  Bronislav  Huberman  (geb.  1882),  einer  der  temperamentvollsten  Geiger, 
dessen  belcanto  schwer  nachahmbar  ist;  Willi  Burmester  (geb.  1869),  dessen  Starke  ins- 
besondere  die  rechte  Hand  ist,  gilt  als  einer  der  besten  Bachspieler,  freilich  ist  sein  Spiel 
stadc  auf  virtuose  Effekte  bedacht;  Eugen  Ysaye  (geb.  1858),  der  glanzendste  Vertreter 
franzosisch-belgischer  Richtung,  dern  man  gewisse  Willkurlichkeiten  beim  Vortrage  von 
Werken  Beethovens  und  Brahms'  vorwarf,  immerhin  bedeutet  er  durch  die  schwelgerische 
Schonheit  des  Tons  und  die  Leichtigkeit  beider  Hande,  nicht  weniger  auch  durch  sein  aufieres 
Auftreten,  den  Gipfelpunkt  der  virtuosen  franzosischen  Geigenkunst;  als  Lehrer  verdient 
Ysaye  Erwahnung  durch  seinen  Schuler  Geza  von  Krecz;  neben  Hugo  Herrmann  (geb. 
1844)  gehoren  hierher  noch  Jacques  Thibaud  (geb.  1880),  Konzertmeister  der  GroCen  Oper 
in  Paris,  Karl  Flesch  (geb,  1873)  mit  mehr  kuhler  und  sachlicher  Interpretation,  der  sich 
in  letzterZeit  als  Theoretiker  einenNamen  machte,  und  Adolf  Rebner  (geb.  1876),  der  sich 
mehr  der  Kammermusik  widmete. 

Schuler  Sevciks  (der  selbst  Schuler  von  Bennewitz  war  und  seine  Adepten  zu  fast  unfehl- 
barer  Sicherheit  auf  dem  Griffbrett  und  zu  ausgesprochen  virtuosen  Geigern  heranbildete) 
sind  Jan  Kubelik  (geb.  1880),  der  ,,tschechische  Paganini'4  genannt.  Er  gait  lange  Zeit  als 
der  Inbegriff  der  technischen  Vollkommenheit  und  hatte  die  groBten  Publikumserfolge,  doch 
litt  seine  Interpretation  unter  dem  EinfluB  der  einseitig  ausgebildeten  Technik  an  Kiihle 
und  Seelenmangel;  Jaroslav  Kocian  (geb.  1884)  wandelte  in  Kubeliks  Bahnen,  ohne  jcdoch 
seinen  Ruhm  zu  erreichen;  Erika  Morini,  deren  Spiel  merkwurdig  an  Sarasate  gernahnt; 
Va&a  Prihoda,  der  moderne  beste  Interpret  Paganinis  und  der  Virtuosenliteratun  Aus 
Bennewitz1  Schule  stammen  weiter  Karl  Hoffmann,  der  mit  Josef  Suk,  Neclbal  und  Wihan 


)206  Reproduzierende  Kunst 


das  beriihmte  tschechische  Streichquartett  griindete;  besonders  Oskar  Nedbal  ist  einer 
der  bedeutendsten  Bratschisten.  Als  Schiiler  des  tschechischen  Geigers  Hrimaly  konzertieren 
heute  mit  grofitem  Erfolg  Alexander  Petschnikoff  (geb.  1873)  und  der  Tscheche  Franz 
Adler,  der  auch  zur  Schule  Bennewitzens  gehort. 

Das  deutsche  Viol inspiel  hat  durch  die  iiberragende  padagogische  Tatigkeit  Joseph  Joachims 
(1 83 1  — 1907)  die  meisten  Kiinstler  aufzuweisen.  Erwahnenswert  sind  vor  allem  Leopold  v. 
Auer  (geb.  1845),  friiher  einer  der  gefeiertsten  Virtuosen,  dessen  Lehre  durch  seine  heute  in 
der  ganzen  Welt  gefeierten  Schiiler  J.  Heifetz,  Efrem  Zimbalist  und  Mischa  Elmann 
vertreten  ist.  Zu  Joachims  Schiilern  gehorten  auch  Eugen  Hubay ,  dessen  Schiiler  A.  Szigeti 
und  Vecsey  Weltruhm  erlangten;  E.  F.  Arbos,  H.  Handler,  Issays  Barmas,  Bram  Elde- 
ring,  Gustav  Havemann,  Karl  Prill,  Marie  Soldat-Roger,  die  eine  der  mannlichsten 
Spielerinnen  ihrer  Zeit  war  und  ein  vorziigliches  Streichquartett  griindete.  Auch  der  heute  als 
der  grofite  deutsche  Geiger  gezahlte  Adolf  Busch  (geb.  1891)  geht  durch  seinen  Lehrer  Bram 
Eldering  auf  Joachim  zuriick.  Busch,  dessen  Spiel  voll  Innerlichkeit  und  Noblesse  Jst,  hat  in 
der  Interpretation  der  deutschen  Meister  kaum  einen  Rivalen.  Arnold  Rose  (geb.  1863),  aus 
der  Wiener  Schule  Bohms  (durch  dessen  Schiiler  Heifiler),  hat  seine  Hauptbedeutung  durch 
das  von  ihm  begriindete  Quartett,  das  seit  46Jahren  die  Tradition  der  Quartette  Joachims 
und  Hellmesbergers  fortsetzt  und  in  der  Wiedergabe  Beethovens,  Mozarts  und  Schuberts 
kaum  zu  iiberbieten  ist.  Rose  ist  .als  Konzertmeistei1  und  Solist  im  Orchester  in  jeder  Hin- 
sicht  vorbildlich.  Noch  zu  nennen  sind:  der  italienische  Geiger  A.  Serato  (geb.  1877), 
F.  Guarnieri,  der  spanische  Geiger  Joan  Man  en  (geb.  1883),  der  als  Virtuose  iiberall 
Triumphe  feiert  und,  ohne  die  Siifie  des  Spiels  Sarasates  zu  besitzen,  diesem  in  der  Technik 
ahnelt.  Besonders  hervorzuheben  ist  Paul  Hindemith  (geb.  1895),  der  mit  seinem  Quartett 
nicht  weniger  als  der  Wiener  Linksgeiger  Kolisch  Kiinder  moderner  Musik  ist. 

Wahrend  in  friiherer  Zeit  Viola  da  Gamba  und  Viola  d'amour  nur  gelegentlich  Meister 
fanden, soOrazioBassani  (della  Viola),  um  1600,  Christopher  Simpson  (1610 — 77),  Andree 
M.augars,  um  1620  (beriihmt  durch  seinen  Bericht  iiber  italienische  Musik  seiner  Zeit),  Marin 
Marais  (1656—1728),  der Grofimeister  des  Gambenspiels,  Roland  Marais,  Karl  Stamitz, 
D.  Funck,  A.  Kiihnel,  M.  Kiihnel,  Blainville,  Karl  Friedrich  Abel,  ist  das  Violon 
cello  hinsichtlich  der  Vollendung  des  Spiels  der  Violine  heute  nahezu  gleichberechtigt.  Seit 
dem  17.  Jahrhundert  hat  das  Cello  die  Gambe  immer  mehr  verdrangt.  Der  erste  Cellist  an 
San  Petronio  in  Bologna,  einer  der  Hauptstatten  des  Kammermusikspiels  im  1 7.  Jahrhundert, 
warPetronio  Franceschini.  Der  Schopfer  des  heutigen  Cellofingersatzes  mit  Daumeneinsatz, 
der  den  Anstofi  zur  eigentlichen  Cellovirtuositat  gab,  ist  Jean  Louis  Duport  (1749—1819). 
Er  und  seinBruder  Jean  Pierre  (1741— 1818),  der  der  erste  Cellist  der  Berliner  Hofkapelle  war, 
gehorten  zu  den  bedeutendsten  Cellisten  ihrer  Zeit.  Hierzu  gesellen  sich  noch  I,  C.  Fr  dal- 
1'Abaco  (1709—1805),  ebenso  wie  sein  Vater,  der  beriihmte  Komponist,  E.  F.  dalTAbaco 
(1675—1742),  MarinBerteau  (gest.  1756),  der  erste  namhafte  franzosische  Cellist  und  Lehrer 
von  J.  B.  Coup  is,  der  selbst  eine  Cello-  und  Bratschenschule  herausgab,  die  beiden  Briider 
Alessandro  und  Josef  Canavasso,  die  (1735—53)  in  Paris  lebten,  Salvatore  Lanzetti 
(1710—1780),  Luigi  Boccherini  (1743—1805),  der  beriihmte  Komponist,  der  seiner  er- 
haltenen  Kammermusik  nach  zu  schliefien,  eineFiille  neuer  Figurationsformen  geschaffen  hat, 
insbesondere  auch  die  Dynamik  des  Instrumentes  bereicherte  und  den  virtuosen  Salonstil  im 


Reproduzierende  Kunst  1  207 


guten  Sinne  des  Wortes  begriindete,  Giacomo  Basse vi  detto  Cervetto  (1682—1783), 
Henri  und  Pierre  Francois  Levasseur  (1753- 181 5),  J.  J.  Friedrich  Dotzauer  (1783-1860), 
Schiller  des  bedeutenden  Cellisten  Bernhard  Rom  berg  (1767—1841),  der  einer  der  ersten 
Virtuosen  war,  die  auswendig  spielten,  Robert  Lindley  (1776—1855),  ein  Schiiler  Cer- 
vettos,  Karl  Ripfel  (1799—1870),  von  Bernhard  Romberg  als  der  grofite  Techniker  seines 
Instrumentes  bezeichnet,  Christian  Kellermann  (1815—66),  Schiiler  Merks  (1795  —  1852), 
N.J.Platel  (1777-1835),  Schiiler  von  L.  Duport,  Max  Bohrer  (1785- 1867),  Josef  Menter 
(1808—56,  Schiiler  Merks),  Seligmann,  Karl  Schubert,  Sebastian  und  Louis  Lee, 
Friedrich  August  Kummer,  der  insbesondere  als  Lehrer  Julius  Goltermanns  (1825—76) 
bekannt  ist,  David  Popper  (1843  —  1913),  der  hauptsachlich  das  virtuose  Element  aus- 
bildete  und  die  halsbrecherischesten  Kunststiicke  auf  seinem  Instrumente  ausfiihrte,  Karl 
Davidow  (1838—89),  der  pseudoklassischen  Richtung  des  Cellospiels  angehorend,  dessen 
Spiel  W.  Hutor  zum  Gegenstand  einer  eigenen  Monographic  machte;  von  den  Modernen 
de  Swert,  Liibeck,  A.  Lindner,  Hugo  Becker,  F.  Hilpert,  Hausmann,  der  beriihmte 
Cellist  des  Leipziger  Gewandhausorchesters  Julius  Klengel,  der  auch  als  Gambist  hervor- 
tretende  und  als  Mitarbeiter  Hindemiths  ausgezeichnete  Spieler  Maurits  Frank.  Weitaus 
in  allererster  Reihe  nicht  nur  der  Cellisten,  sondern  auch  aller  ausiibenden  Kiinstler  der 
Gegenwart,  steht  Pablo  Casals  (geb.  1876),  der  hinsichtlich  Technik  und  urspriinglicher 
grandioser  Musikalitat  seinesgleichen  nicht  hat. 

Wahrend  das  Kammermusikspiel  bis  ins  19.  Jahrhundert  hinein  zur  Domane  des  Hauses 
gehorte,  hat  sich  desselben  im  letzten  Jahrhundert  auch  das  Konzertpodium  bemachtigt. 
Es  haben  sich  mit  der  Zeit  standige  Kammermusikvereinigungen  herausgebildet,  die  auf  die 
Ensembles  bei  den  adeligen  und  hcfischen  Orchestern  zuriickgehen.  Als  eine  der  altesten 
Kammermusikvereinigungen  im  modernen  Sinne  gilt  das  beriihrnte  Rasumowsky-Quartett, 
nach  dem  Fiirsten  Andreas  Rasumowsky  genannt,  der  1808—16  ein  Streichquartett  unter- 
hielt,  in  dem  er  selbst  die  zweite  Violine  spielte,  wahrend  die  erste  Geige  Schuppanzigh,  die 
Bratsche  WeiB  und  das  Cello  Lincke  vertraten  und  auch,  nachdem  der  Fiirst  sich  von  der 
Vereinigung  zuriickgezogen,  beisammen  blieben,  Beethoven  widmete  Rasumowsky  die  drei 
Quartette  Op.  59.  —  Die  bekanntesten  Quartettvereinigungen  des  19.  Jahrhunderts  sind 
das  Bohrer-Quartett,  das  durch  den  Violinisten  Jakob  Zeugheer  1824  begriindete  pseudo- 
nyme  Streichquartett  Gebriider  Herrmann,  das  bis  1830  mit  grofiem  Erfolg  Westeuropa 
bereiste,  das  1866  von  dem  Violinvirtuosen  Jean  Becker  begrundete  Florentiner  Quartett 
(zweite  Violine  Enrico  Masi,  Bratsche  Chiostri,  Cello  Hilpert),  das  infolge  seiner  Leistungen 
in  hohem  Ansehen  stand  und  erst  1880  auseinanderging,  das  Schroder -Quartett,  das  aus 
den  vier  Brudern  Herrmann  (erste  Violine),  Franz  (zweite  Violine),  Alwin  (Viola)  und  Karl 
(Cello)  bestand  und  grofien  Ruf  genofi;  das  Dan  cla- Quartett,  in  dessen  Quartettsoireen 
aufier  dem  Violinisten  Charles  auch  seine  Briider  Arnaud  und  Leopold  mitwirkten,  das 
Joachim -Quartett,  das  Meisterleistungen  vor  allem  in  der  Auffuhrung  der  letzten  Beethoven- 
quartette  vollbrachte  (de  Ahna,  Kruse,  Halir,  Hausmann),  das  Hellmesberger- Quartett, 
gegriindet  1849  (Hellmesberger,  Durst,  Heifiler,  Schlesinger),  das  Petersburger  Quartett, 
das  Maazer- Quartett  in  Stockholm,  das  Petri-Quartett,  das  nach  der  Schweizer  Besitzung 
des  New  Yorker  Bankiers  de  Coppet  genannte  Flonzaley-Quartett,  das  Rose-,  das 
Fitzner-,  das  Adolf  Busch-,  das  Leipziger  Gewandhaus-Quartett,  das  Schachte- 


|2QQ  Reprocluzierende  Kunst 


beck-Quartett,  das  Amar-Hindemith-Quartett,  das  tschechische  Zika-Quartett  und 
das  hauptsachlich  der  neuesten  Musik  gewidmete  Kolisch-Quartett. 

Als  im  Mittelalter  und  insbesondere  in  der  Neuzeit  groBere  Klangkorper,  wie  Chor  und 
Orchester,  selbstandige  Ton-  und  Musikquellen  wurden,  erlangten  auch  ihre  Leiter,  die 
Dirigenten,  Eigenbedeutung  als  ausubende  Kiinstler.  Da  die  individuelle  Auffassung 
des  Einzelkiinstlers  im  Ensemble  zurikktreten  mufi,  im  Hinblick  auf  das  asthetische  Grund- 
gesetz  der  Einheit  in  der  Mannigfaltigkeit,  die  nur  durch  den  Willen  eines  Einzelnen  zum 
Ausdruck  gebracht  werden  kann,  wurde  die  Auffassung  des  Dirigenten  allein  mafigebend, 
dessen  Tatigkeit  eigentlich  nur  in  der  Willensubertragung  und  dessen  Wert  im  grofieren 
oder  geringeren  Grade  der  Dbertragungsfahigkeit  liegt.  Die  Mittel  des  Dirigenten  als 
eines  ausiibenden  Kiinstlers  sind,  verglichen  mit  jenen,  denen  die  Bearbeitung  des  Klang- 
materials  unmittelbar  obliegt,  wesentlich  beschrankt,  wenigstens  bei  der  Auffuhrung  selbst. 
Er  wirkt  aufierlich  durch  ein  Minimum  an  Handbewegungen,  wahrend  die  tatsachliche 
Wirkung  dem  Zuschauer  unsichtbar  bleibt  und  dem  Zuhorer  nur  mittelbar  durch  das  Er- 
lebnis  des  Orchester-  oder  Chorklanges  bewufit  wird.  Der  Dirigent  kann  freilich  wahrend 
der  Proben  und  in  den  Zwischenpausen  durch  verschiedentliche  Instruktion  wirken;  dies 
kommt  aber  bei  der  modernen  gerauschlosen  Taktierweise  wahrend  der  Auffuhrung  nicht 
in  Betracht. 

Schon  im  Altertum  kannte  man  das  Taktschlagen  und  aus  der  Zeit  des  Gregorianischen 
Chorals  wissen  wir,  dafi  jene  Sangergemeinschaft,  die  Gregor  der  Grofie  gegriindet  haben 
soil,  die  ,,schola  cantorum"  in  Rom,  einheitliche  Regeln,  daher  auch  Dirigierregeln  hatte. 
Der  Dirigent  der  ,,schola  cantorum"  hiefi  ,,Primicerius".  Der  Bericht  iiber  eine  Osterfeier  in 
Ingolheim  besagt,  dafi  der  Kantor  nach  dem  ,,Halleluja  Pasca  nostrum"  die  Hand  erhob, 
um  die  Weisen  der  Sequenz  mit  der  Hand  zu  malen.  Das  heifit  also,  dafi  die  Sequenz  nicht 
taktiert,  sondern  ,,mit  der  Hand  in  die  Luft  gemalt",  mit  anderen  Worten,  da8  die  Melodic 
durch  Handbewegungen  veranschaulicht  wurde.  Man  nennt  diese  Art  des  Dirigierens  die 
Cheironomie,  eine  Dirigierweise,  die  nicht  nur  im  Mittelalter,  sondern  schon  im  Altertum 
gebrauchlich  war  und  vermutlich  aus  dem  Osten  stammt,  Das  Amt  des  Vorsangers,  das  im 
jiidischen  Tempelgesang  vorgebildet  erscheint,  bekommt  in  der  Liturgie  des  Abendlandes 
besondere  Bedeutung.  Aus  den  cheironomischen  Zeichen  entwickeln  sich  die  Neumen, 
in  denen  die  cheironomischen  Bewegungen  graphisch  niedergelegt  erscheinen.  Wie  etwa 
im  13.  Jahrhundert  dirigiert  wurde,  zeigt  eine  von  Schunemann  zitierte  Stelle  aus  der  ,,Scientia 
artis  musicae"  von  Elias  Salomon,  in  der  die  Direktion  eines  Satzes  im  Organalstil  beschrieben 
wird.  Nach  Salomon  geht  im  Organalstil  Vorsingen  und  Dirigieren  Hand  in  Hand.  Nach 
Art  des  heutigen  Chorgesanges  wird  jeder  einzelnen  Stimme  der  Ton  angegeben,  bis  die 
Harmonie  sichergestellt  ist.  Die  Sanger  haben  der  Stimme  des  Chorleiters  zu  folgen,  natur- 
lich  so,  dafi  alle  Stimmen  in  gleicher  Bewegung  gehen,  Bei  Kadenzen  hat  der  Chorleiter 
die  rhythmische  Bewegung  durch  Handbewegung  anzudeuten.  Nach  einer  Pause  beginnt 
der  Dirigent  wieder  als  erster  mit  seiner  Stimme;  wahrend  des  Gesanges  wird  auf  die  Noten, 
die  man  zu  singen  hat,  wegen  leichterer  Orientierung  mit  einem  Finger  oder  Stabchen  hin- 
gewiesen. 

Grofiere  Bedeutung  erlangt  die  Direktion  in  der  Periode  der  Mensuralmusik.  Auch  hier 
finden  wir  die  schon  im  Altertum  gehandhabte  Dbung  des  Taktschlagens,  Die  Takteinheit 


Reproduzierende  Kunst  1209 


ist  ursprtinglich  die  ,,Longa",  seit  der  Zeit  der  ars  nova  jedoch  die  ,,Brevis".  Aus  den  Dar- 
stellungen  der  bildenden  Kunst  jener  Zeit  geht  hervor,  daB  das  Taktieren  mit  Auf-  und 
Niederschlagen  der  Hand  oder  des  Fingers  etwas  ganz  allgemeines  war.  Der  Taktstock  ist 
bereits  seit  dem  16.  Jahrhundert  als  Direktionsmittel  verbreitet.  Man  taktiert  nach  Art  des 
Metronoms,  also  rein  mechanisch,  ohne  Expression.  Die  Affektdirektion  ist  eine  Errungen- 
schaft  der  Renaissance,  deren  Vorboten  allerdings  bereits  im  16.  Jahrhundert  zu  spiiren  sind, 
so  wenn  SchneegaB  in  seiner  ,,Isagoge  musicae"  sagt,  daB  nach  MaBgabe  des  Textes  bis- 
weilen  eine  langsamere  Taktart  zu  fiihren  sei  und  in  dieser  die  Anmut  und  Erhabenheit 
eines  Gesanges  zu  suchen  ware. 

Erst  das  17.  Jahrhundert  und  die  zur  Weltherrschaft  gelangende  Oper  hat  einen  volligen 
Umschwung  in  der  Bedeutung  des  Dirigierens  und  hiermit  des  Dirigenten  als  ausiibenden 
Kiinstlers  gebracht.  Die  grofie  Bedeutung  der  Improvisation  gelegentlich  der  Opernauf- 
fiihrungen,  mit  der  die  ,,stenographische  Notation**  im  engsten  Zusammenhange  steht,  bot 
der  Individuality  des  Dirigenten  den  weitesten  Spielraum.  Wir  wissen,  daB  in  den  erhaltenen 
Opernpartituren  nur  der  geringste  Teil  der  aufzufiihrenden  und  aufgefiihrten  Musik  ent- 
halten  ist,  so  wenn  bei  nur  notierter  GeneralbaB-  und  Singstimme  die  zur  Verwendung  ge~ 
dachten  Instrumente  nur  genannt  werden.  Da  hatte  der  Dirigent,  der  freilich  in  dieser  Zeit 
fast  immer  der  Komponist  selbst  war,  die  Aufgabe,  die  Art  und  Weise  der  Ausfiihrung  des 
Generalbasses,  mithin  die  Harmonik  und  Stimmfiihrung  selbst,  sowie  die  Auswahl  der  In 
strumente  vorzunehmen  und  zu  iiberwachen.  Hier  fallt  demnach  dem  reproduzierenden 
Kiinstler  ein  groBer  Teil  der  Schopfung  des  Kunstwerkes  selbst  zu,  oder  besser  gesagt,  es 
lafit  sich  fur  diese  Zeit  die  Trennung  des  schopfenden  und  reproduzierenden  Kiinstlers 
schwer  vornehmen.  Der  Kapellmeister  sitzt  zu  dieser  Zeit  am  Cembalo,  er  regelt  die  Auf- 
stellung  der  Spieler,  gibt  dynamische  Hinweise,  besorgt  und  kontrolliert  die  Anfertigung 
und  Verteilung  der  Intavolaturen  und  sorgt  dafiir,  dafi  die  Spieler  mit  ihren  Improvisationen 
nicht  den  Gesang  iibertonen.  Das  Taktschlagen  erhalt  sich  neben  der  Cembalodirektion 
weiter,  wobei  die  Verwendung  der  verschiedensten  Taktiermittel  bezeugt  ist,  wie  nach  Ban- 
chieri  das  Schnupftuch,  nach  andern  ein  Schliissel  usw.  Die  Mensur  geschieht  zu  dieser 
Zeit  in  der  Weise,  daB  die  geraden  Takte  in  Halften,  die  ungeraden  in  ungleiche  Teile  geteilt 
werden.  Das  Bild  einer  mehrchorigen  Kirchenmusik finden  wir  im  ,,Theatrum  Instrumentorum" 
des  Michael  Praetorius.  Man  sieht  den  Hauptchor  mit  dem  Dirigenten,  der  aus  einem  Noten- 
buch  clirigiert,  wahrend  rechts  und  links  auf  Emporen  je  ein  Musikchor  postiert  ist,  der  von 
einem  Subdirektor  aus  Noten  dirigiert  und  von  einer  kleinen  Orgel  begleitet  wird. 

Sobald  Opern  und  grofiere  Chorwerke  durch  Druck  der  Allgemeinheit  bekanntgegeben 
waren,  machte  sich  auch  das  Bediirfms  geltend,  durch  Expressivbezeichnungen  dem  Berufs- 
dirigenten  (nicht  Komponisten)  Handhaben  zur  Auffiihrung  zu  bieten.  Das  Zeitalter  der 
Renaissance  hat  in  dieser  Hinsicht  einen  volligen  Umschwung  herbeigefiihrt  und  man  er- 
kennt  etwa  aus  dem  Vorwort  des  ersten  Tokkatenbuches  von  Frescobaldi,  daB  es  um  diese 
Zeit  ein  wohlverstandenes  Rubato  gibt:  ,,Die  Art  des  Spielens  darf  nicht  dem  strengen  Takt 
schlagen  unterworfen  sein.  Man  mufi  diese  Stiicke  vielmehr  in  der  Art  der  modernen  Madri- 
gale  vortragen,  die,  obschon  schwierig,  dennoch  fiir  die  Auffassung  erleichtert  werden  durch 
den  Wechsel  im  Zeitmafie,  indem  man  bald  schmachtend,  bald  rasch  singt,  bisweilen  den 
Ton  gleichsam  in  der  Luft  hemmt,  wie  es  gerade  der  Ausdruck  des  Affekts  verlangen  mag 


1210  Reproduzierende  Kunst 


und  der  Sinn  des  Wortes."  —  So  wird  in  der  Renaissance  die  Freiheit  der  Wiedergabe  grofier, 
als  sie  heutzutage  ist.  Die  neue  Form  des  gruppenartigen  Taktierens  scheint  aus  Italien  zu 
kommen,  wenigstens  gibt  Lorenzo  Penna  (,,Le  primi  albori  musicali")  ein  Taktierschema, 
das  darin  besteht,  dafi  beim  4/4-Takt  der  erste  Teil  durch  den  Niederschlag,  der  zweite  durch 
ein  ma'Biges  Heben  der  Hand  (un  poco  ondeggiando),  der  dritte  durch  einen  Aufschlag  und 
der  vierte  durch  das  vollige  Heben  der  Hand  zustande  kommt,  wahrend  im  Tripeltakt  der 
erste  Teil  auf  den  Niederschlag,  der  zweite  auf  das  Wiegen  der  Hand  und  der  dritte  auf  den 
Aufschlag  kommt.  Die  franzosischen  Musiker  dirigieren  nicht  wie  die  italienischen  vom 
Cembalo  aus,  sondern  mit  dem  Taktstock,  dies  wohl  in  Anbetracht  dessen,  dafi  in  der  franzo 
sischen  Oper  und  im  Ballett  auf  die  scharfste  rhythmische  Exaktheit  Gewicht  gelegt  wurde 
und  dafi  der  Dirigent  mit  dem  Ballettmeister  Hand  in  Hand  arbeitete,  wahrend  in  Italien 
die  Primadonna  und  der  Primuomo  im  Vordergrund  des  Interesses  standen.  So  ist  eigentlich 
Lully,  der  bekanntlicherweise  beim  Dirigieren  mit  einem  langen  Stock  sich  eine  Fufiver- 
letzung  zuzog,  an  deren  Folgen  er  starb,  der  erste  moderne  Operndirigent,  da  er  Gesang, 
Instrumentalmusik  und  Tanz  auch  in  der  Direktion  als  Syn these  auffafite.  Italienische  und 
franzosische  Dirigierweise  spielten  auch  im  Kampfe  zwischen  italienischer  und  franzosischer 
Oper  eine  Rolle,  und  Melchior  Grimm  nennt  im  ,,Petit  Prophete  de  Boehmisch  Broda"  den 
franzosischen  Dirigenten  einen  ,,bucheron",  einen  Holzhacker.  Nicht  weniger  spotten  Rous 
seau,  Casanova  u.  a.,  ebenso  Quantz,  Hiller  und  Mattheson  iiber  diese  Taktierung.  Noch 
Goethe  sah  im  Kloster  ,,dei  Mendicanti"  den  Chordirigenten  auf  franzosische  Weise  horbar 
den  Takt  schlagen  und  war  dariiber  entsetzt,  in  Italien  diese  Unart  vorzufinden.  Im  Taktieren 
selbst  hat  man  zwischen  italienischer  und  franzosischer  Form  zu  unterscheiden,  indem  die 
erstere  auf  wiederholtem  Auf-  und  Niederschlagen  beruht,  wahrend  die  Franzosen  auf  den 
ersten  Taktteil  den  Niederschlag  geben  und  die  iibrigen  Zeiten  in  Seitenbewegungen  aus- 
fiihren.  Die  franzosische  Form  des  Taktierens  ist  nicht  nur  exakter,  sondern  gestattet  rhyth 
mische  Feinheiten  und  Differenzierungen,  wodurch  sich  diese  Taktierform  mit  den  Taktier- 
figuren,  wie  sie  heute  iiblich  sind,  auch  gegen  den  Widerstand  Deutschlands  und  Italiens 
die  Welt  erobert  hat. 

Die  Entwicklung  des  Continuospiels  im  17.  Jahrhundert  und  des  Generalbasses  iiber- 
haupt  hat  in  Oper,  Kirche  und  Kammer  die  Praxis  der  Doppeldirektion  herausgebildet, 
indem  der  maestro  di  cembalo  vom  Fltigel  und  der  erste  Violinspieler  vom  Pult  aus  dirigierten. 
Die  Oberdirektion  oblag  dem  Cembalisten,  wahrend  das  Orchester  oder  die  Ripienisten  vom 
ersten  Geiger  gefuhrt  wurden.  Dem  Kapellmeister  oblag  nicht  nur  die  Auswahl  der  Opern 
und  Konzertstiicke,  sondern  er  hatte  meist  Komponierverpflichtung,  wahrend  dem  ersten 
Violinisten  die  Leitung  des  Orchesters  zufiel.  Das  Prinzip,  dafi  sich  der  Kapellmeister  auch 
fiir  fremde  Kompositionen  einzusetzen  hat,  ist  verhaltnismafiig  neu;  erst  Mattheson  verlangt, 
dafi  der  Kapellmeister  ,,anderer  Leute  lobliche  Arbeit  nicht  gantz  unter  die  Banck  wiirfe". 
Aus  dieser  Zeit  datiert  die  eigentliche  Trennung  von  Komponist  und  Kapellmeister,  die 
sich  allmahlich  durchsetzt.  Wahrend  des  ganzen  1 8.  Jahrhunderts  kann  sowohl  von  der 
Geige  als  auch  vom  Cembalo  her  dirigiert  werden.  Gyrowetz  dirigiert  seine  Symphonien 
in  Neapel  mit  der  Geige,  Paisiello  am  Klavier  und  Josef  Haydn  mufi  in  London  seine  grofien 
englischen  Symphonien,  die  langst  keinen  Continue  notwendig  haben,  vom  Klavier  her 
dirigieren.  Ebenso  wechselt  die  Art  der  Direktion  bei  Mozart;  er  dirigiert,  wie  bei  der 


Reproduzierende  Kunst  121  1 


Wiener  Auffiihrung  der  ,,Entfiihrung",  vom  Klavier  aus,  wahrend  er  gelegentlich  wieder 
von  der  Geige  her  fiihrt.  Im  ganzen  und  grofien  leitet  man  in  der  Oper  vom  Klavier, 
bei  der  Symphonic  von  der  Geige  aus.  Schon  im  18.  Jahrhundert  haben  einzelne  Dirigenten 
den  Ruf  besonderer  Exaktheit  und  Einfiihlung  in  das  Kunstwerk  erworben.  Besonders  in 
Frankreich  hatte  man  auf  Egalitat  des  Tones  und  der  Bogenfuhrung  gesehen,  ein  Vermachtnis 
der  Lullyschen  Schule.  Der  Ruhm  der  Dresdner  Kapelle  unter  Masses  Leitung  beruht 
zum  Teil  auf  der  franzosischen  Erziehung  des  Orchesters  durch  Volaumier  und  Pis  en  del, 
besonders  letzterer  soil  einer  der  genauesten  ,,Anfiihrer"  gewesen  sein,  nicht  weniger  Carl 
Heinrich  Graun  oder  Franz  Ben  da.  Immer  mehr  sind  die  Konzertmeister  die  maBgebenden 
Faktoren  und  der  Ruf,  den  einzelne  Orchester  erlangen,  riihrt  von  der  Personlichkeit  und 
Geschicklichkeit  ihrer  ,,Anfiihrer"  her.  Das  beriihmteste  Orchester  des  18.  Jahrhunderts, 
das  ,,Mannheimer",  verdankt  sein  prazises  Spiel  der  Erziehung  durch  Joh.  Stamitz  und 
Christian  Cannabich,  der  nach  Schubart  alle  Zaubereien  des  Orchesterspiels  erf  and,  die 
Europa  bewunderte,  zu  denen  vor  allem  das  beriihmte  Mannheimer  Crescendo  gehorte. 
Der  tiefere  kiinstlerische  Hintergrund  der  Dirigentenleistungen  des  1 8.  Jahrhunderts  lafit 
sich  wohl  durch  sinngemafie  Anwendung  der  Affektenlehre  erschliefien .  Der  Dirigent  hat 
die  Gedanken  eines  Stiickes  zu  bestimmen,  er  mufi  die  ausgedruckten  Affekte  erkennen  und 
danach  die  Direktion  einrichten.  Uber  die  Art  der  Direktion  der  beruhmtesten  Dirigenten 
des  18.  Jahrhunderts  gibt  es  unzahlige  Anekdoten.  Schon  von  Lully  wird  berichtet,  dafi  er  ein 
aufierordentlich  strenges  Regiment  fiinrte  und  ,,demjenigen  die  Violin  auf  dem  Puckel  entzwei 
schlug,  welcher  sie  nicht  zu  gebrauchen  wuGte.  Aber  nach  geendigter  Probe  ruffte  er  ihn  zu 
sich,  bezahlet  ihm  die  Violine  doppelt  und  behielt  ihn  bei  sich  zu  Gaste".  Auch  Handel 
und  Gluck  nahmen  wenig  Rticksicht  auf  Primadonnen  und  Instrumentalisten,  und  besonders 
von  letzterem  wird  erzahlt,  daB  er  Passagen,  die  nicht  gingen,  zwanzig-  und  dreifiigmal  wieder- 
holen  lieB. 

Das  1 9.  Jahrhundert  bildet  bei  strenger  Scheidung  des  Komponisten  vom  Dirigenten  und 
Abspaltung  dieses  vom  Konzertmeister  das  Berufskapellmeistertumaus,  im  Zusammen- 
hang  rnit  der  Emanzipation  der  Musikpflege  vom  adeligen  Mazenatentum  und  der  Ubernahme 
der  Musikkultur  durch  das  Biirgertum  einerseits,  andererseits  durch  Zuriickdrangung  des 
Generalbasscs.  Im  Anfang  hat  freilich  die  franzosische  Taktiermethode  und  die  Ausschaltung 
des  Fliigels  Mifibilligung  auch  der  grofieren  Geister  gefunden,  und  noch  der  junge  Schumann 
und  Moritz  Hauptmann  nahmen  Anstofi  am  Taktstock.  Unter  den  ersten,  die  fur  die  neue 
Direktionsart  eintreten,  stehen  Karl  Maria  v.  Weber,  Spohr,  Spontini,  Mendelssohn.  Ins- 
besondere  hat  Spohr  in  London  unter  allgememem  Aufsehen  mit  Taktstock  dirigiert,  wo 
man  vorher  ausschlieftlich  vom  Cembalo  aus  dirigicrtc.  Der  erste  Dirigent  im  modernen  Sinne 
war  vielleicht  Beethoven,  der  laut  ubefkommenen  Berichtcn  seine  Intentionen  mit  dem 
allergroBten  Nachdruck  und  mit  einem  nie  dagewesenen  Gebarden-  und  Mienenspiel  ver- 
folgtc,  das  an  die  Manieren  einiger  modernster  Dirigenten  erinnert.  Der  allgemcinen  Stagna 
tion  der  Wiener  nachklassischen  Zeit  unter  Lannoy,  Klenim,  Holz,  Assmayer,  Rand- 
hartinger,  Georg  Hellmesberger  u.  a.  machten  erst  die  Dirigentenleistungon  Otto  Nicolais 
(1842)  c'in  Kncta  Nicolai,  cine  echte  Dirigentenbcgabung  voller  Energie,  Unerhittlichkeit 
und  Strenge,  rnachte  mit  den  kitschigen  Prograrnmen  und  Auffuhrungcn  von  einzelnen 
Symphonicsatzen  und  Virtuosenkunststiicken  SehlulJ.  Nach  1847  vcrflacht  wieder  das 

77    R  <1,M, 


J212  Reproduzierende  Kunst 


Wiener  Konzertleben  unter  dem  alteren  Georg  Hellmesberger,  bis  Carl  Eckert  (1820—79) 
als  Reformator  auftritt.  Als  Dirigent  hat  sodann  Carl  Spohr  grofies  Aufsehen  erregt,  der  mit 
einer  Papierrolle  vollig  gerauschlos  das  Orchester  dirigierte,  einen  ungemein  exakten  Vortrag  und 
eine  aufierordentliche  Willensiibertragung  erzielte.  Neben  Spohr  war  einer  der  bedeutendsten 
Dirigenten  seiner  Zeit  Spontini,  vielleicht  einer  der  Ersten,  der  durch  seine  faszinierende 
Damonie  an  die  Ubertragungskraft  der  heutigen  Dirigenten  erinnert.  Richard  Wagner  schreibt 
in  seinen  ,,Erinnerungen  an  Spontini",  dafi  er  iiber  die  Forderungen,  die  dieser  bei  der  Dresdner 
Auffiihrung  der  ,,Vestalin"  an  die  Musiker  stellte,  geradezu  erschreckt  war;  er  legte  das 
Hauptgewicht  auf  scharfe  Unterstreichung  der  rhythmischen  Akzente  und  auf  Korrespondenz 
zwischen  Szene  und  Musik.  Carl  Maria  v.  Weber  gilt  als  Reformator  der  Direktion  und  des 
Orchesters;  er  stellt  das  Orchester  nach  neuen  Gesichtspunkten  auf,  beginnt  mit  ,,Ein- 
fiihrungen",  indem  er  auf  die  Programme  historische  und  asthetische  Skizzen  setzt,  raumt 
mit  der  Klavierdirektion  auf  und  beginnt,  besonders  in  Prag,  mit  der  obligatorischen  Takt- 
stockdirektion ;  er  nimmt  Richard  Wagners  Gesamtkunstwerk  vorweg,  indem  er,  wie  er  an 
den  Prager  Theaterdirektor  Liebich  schreibt,  ein  Kunstwerk  wiinscht,  ,,wo  alle  Teile  sich 
zum  Schonen,  Ganzen  runden".  Weber  ist  einer  der  ersten  Asthetiker  der  Direktion,  seine 
Ideen  sind  in  zahlreichen  Schriften  niedergelegt.  Felix  Mendelssohn-Bartholdy  war 
gegeniiber  dem  deutschen  Organisator  Weber  und  dem  romanischen  Feuerkopf  Spontini 
mehr  der  elegante,  asthetisch  geschulte  und  iiberlegene  Routinier,  vielleicht  an  Wein- 
gartner  erinnernd,  dessen  schnelle  Tempi  zum  erstenmal  seiner  Zeit  auffielen.  Im  Range  wohl 
unter  Mendelssohn  steht  der  von  Richard  Wagner  mit  ihm  unter  den  ,,Musikbankiers"  genannte 
Giacomo  Meyerbeer,  der  vielleicht  einer  der  Ersten  ist,  bei  dem  sich  die  Dirigierkunst 
von  der  Schopfergabe  scharf  abhebt ;  er  ist  unsicher,  und  das  Dirigieren  bereitet  ihm  seelische 
Pein.  Von  den  zeitgenossischen  Dirigenten  sind  zu  erwahnen  Georg  Miiller,  Heinrich 
Marschner,  Franz  Lachner,  Julius  Rietz.  Ein  iibersichtliches  Bild  der  Direktion  dieser 
Zeit  gibt  das  kleine  Biichlein  von  F.  S.  Gassner  ,,Dirigent  und  Ripienist"  (1844). 

Die  Kunst  der  Neudeutschen  bringt  in  der  zweiten  Halfte  des  19.  Jahrhunderts  eine  neue 
Direktionsmethode  und  eine  neue  Kunstauffassung,  die  vor  allem  von  Paris  ausging.  Ein 
Pionier  dieser  neuen  Richtung  war  Franz  Habeneck,  der  erste  Fanatiker  der  Exaktheit  und 
der  modernen,  bis  zur  Selbstverzehrung  gehenden  restlosen  Ausschopfung  des  Kunstwerkes ; 
trotzdem  erlaubten  er  und  mit  ihm  die  Dirigenten  dieses  Kreises  sich  Freiheiten,  die  heute 
unverstandlich  sind.  Seine  Direktion  hat  auch  auf  Berlioz  entsprechend  Einflufi  genommen, 
der  im  Gegensatz  zu  Habeneck  weniger  als  Interpret  der  klassischen  Musik,  als  seiner  eigenen 
Werke  zu  werten  ist,  deren  Wiedergabe  sich  unter  seiner  Fiihrung  durch  besondere  Klang- 
wirkungen  auszeichnete.  In  seiner  ,,Instrumentationslehre"  hat  er  eine  Reihe  von  theoreti- 
schen  Anweisungen  fur  den  Dirigenten  gegeben.  Seine  Ideen  wurden  vor  allem  durch  Franz 
Liszt  in  Deutschland  verbreitet,  dessen  Dirigentenkunst,  gemafi  seiner  allgemeinen  Kunst 
auffassung,  auf  der  Habeneckschen  Exaktheit  und  der  Berliozschen  synthetischen  Auf- 
fassung  des  Kunstwerkes  beruhend,  der  poetischen  Idee  des  Kunstwerkes  gerecht  wird.  Er 
ist  als  Dirigent  ein  Vertreter  der  Wagnerschen  Inhaltsasthetik;  dazu  kommt  ein  zum  erstenmal 
auftretender  Sinn  fur  die  Phrasierung,  sofern  er  Themengruppen  und  Perioden  in  einer 
bisher  unbekannten  Weise  ad  aures  fiihrte.  In  der  Geste  ist  er  gegeniiber  dem  mecha- 
nischen  Trigonal-  und  Polygonalschlagen  seiner  Vorganger  ebenfalls  neu,  indem  er  ahnlich 


Reproduzierende  Kunst  1213 


der  Cheironomie  der  altesten  Zeiten  versucht,  durch  visuelle  Darstellung  des  Melos  in 
den  Handbewegungen  von  dieser  Seite  her  das  Orchester  zu  beeinflussen ;  das  Orchester 
wurde  bald  ein  vollkommen  beherrschtes  Instrument  unter  seinen  Handen,  das  sich  seinem 
Willen  restlos  unterordnete,  so  dafi  er  sich  gelegentlich  auch  gestatten  konnte,  ganz  ohne 
Dirigierstab  und  Handbewegungen  zu  ,,dirigieren".  Richard  Wagners  Direktion  ist 
gekennzeichnet  durch  seine  Stellung  und  Propagierung  des  ,,Gesamtkunstwerkes".  Sein 
klassisches  Werk  ,,Uber  das  Dirigieren"  fafit  die  Errungenschaften  der  nachklassischen 
Direktion  zusammen,  bringt  jedoch  in  ahnlichem  Sinne  wie  Liszt  in  Temponahme,  prak- 
tischen  Vorschlagen  und  Analysen  das  Originellste  und  Beste,  was  auf  diesem  Gebiete  iiber- 
haupt  geleistet  wurde.  Der  moderne  Operndirigent,  der  gleichzeitig  Orchester,  Sanger  und 
Szene  bis  in  die  subtilsten  Beleuchtungseffekte  beherrscht,  ist  ohne  Wagner  undenkbar. 
Wichtig  ist  auch  seine  Neuerung,  das  Opernorchester  durch  Tieferlegung  und  Verdeckung 
klanglich  abzudampfen,  eine  Reform,  die  an  ahnliche  Mafinahmen  der  Renaissance  erinnert. 
Von  den  nachwagnerischen  Dirigenten  sind  hervorzuheben  Hans  v.  Biilow,  ein  Kunst- 
fanatiker  von  gelegentlich  skurriler  Art,  der  oft  merkwiirdige  Mafinahmen  zur  Erzielung  nicht 
dagewesener  Orchestereffekte  zu  treffen  verstand,  Experimente  mit  einer  Orchesterdynamik 
machte,  die  durch  das  sukzessive  Einsetzen  mehrerer  Geigenpulte  eine  Art  Mannheimer  Cre 
scendo  erzielte ;  gelegentliche  Differenzierung  von  Phrasierungen  in  einer  und  derselben  Stimme 
u.  v.  a.  zeigen  das  Launenhafte  und  Sprunghafte  seiner  Personlichkeit.  Die  Meininger  Kapelle 
wurde  durch  ihn  das  Vorbild  des  deutschen  Orchesters.  Blilows  bedeutendster  Schiiler  ist 
Richard  Straufi,  der  freilich  besonders  in  den  letzten  Jahren  den  abgeklarten  Dirigenten- 
typus  darstellt.  Arthur  Nikisch  (1855—1922),  geborener  Ungar,  hat  seine  ostliche  Ab~ 
stammung,  was  Temperament  und  Sinnlichkeit  der  Ausdeutung  der  klassischen  und  romanti- 
schen  Kunstwerke  betrifft,  nie  recht  verleugnen  konnen,  daneben  war  er  ein  vorziiglicher  Inter 
pret  Brahmsscher  und  Brucknerscher  Musik.  Als  eine  Art  Reaktion  gegen  die  Biilowsche 
Darstellungsweise  ist  die  ebenmafiige  und  weniger  problematische  Auffassung  Felix  v.  Wein- 
gaitners  (geb.  1863)  zu  erwahnen,  wahrend  Felix  Mottls  (1856—1911)  Interpretation  sich 
durch  Warme  und  begeisterte  Verve  auszeichnete.  So  wie  MottI  ist  auch  Hermann  Levi 
(1839—1900)  exstatischer  Wagnerdirigent,  nicht  weniger  wie  Hans  Richter  (1843-  1916), 
Karl  Muck  (gob.  1859),  Siegmund  Hausegger  (geb.  1872).  Ist  Mucks  Direktion  mehr  mann- 
lich,  energisch,  so  ist  Hauseggers  Wesen  von  starkem  Pathos  getragen  und  ein  wenig  uberethisch 
und  asthetisch.  Einer  der  genialstcn  Dirigenten  der  neueren  Zeit  war  Gustav  Mahler  (1860 
bis  191 1),  dcssen  Encrgie,  clie  er  zur  Darstellung  des  Kunstwerkes  verwendete,  zu  Ubermafi 
und  Selbstverzehrunff  ging.  Aus  Mahlers  Schule  sind  zu  erwahnen  Arthur  Bodanzky  (geb. 
1877),  Alexander  Zcrnlinsky  (geb.  1872),  Oskar  Fried  (gebJ8/l),  Otto  Kl^mperer 
(geb.  1885)  und  der  bcdeutendste  Mahlerschiiler  Bruno  Walter  (geb.  1876),  einer  der  geist- 
vollsten  Orchester-  und  Operndirigenten  der  Gegenwart.  Von  den  noch  iihrigen  deutschen 
Dirigenten  seicn  angefuhrt:  Franz  Schalk,  Wilhelm  Furtwiingler,  einer  der  crfolg- 
reichsten  Dirigenten  der  Gegenwarl,  LeoBlech,  Gustav  Brecher,  Fritz  Busch,  Robert 
Heger,  Franz  v,  Hasslin,  Gerh.  v.  Keussler,  Erich  Klciber,Hans  Knappertsbusch, 
Clemens  Kraus,  Richard  Lert,  Franz  v.  Mikorcy,  Rudolf  Nilius,  Bcrnhard  Paum- 
gartner,  Egon  Pollak,  Leopold  Reichwein.  Fritr  Reiner,  Josef  Rosenstock,  Paul 
Scheinpflug,  Hermann  Scherchen,  Hermann  v.  Schmeidel,  Rudolf  Schul/.-Dorn- 

77* 


1214  Reproduzierende  Kunst 


burg,  Fritz  Stein,  Ernst  Steinbach,  Hans  Wilhelm  Steinberg,  Joseph  Stransky, 
Georg  Szell,  Eugen  Szenkar, 

Die  bedeutendsten  franzosischen  Dirigenten  sind:  Henri  Busser,  Gabriel  Grovlez 
(geb.  1879),  Pierre  Montex,  H.  C.  Gabriel  Pierne  (geb.  1863),  Rhene-Baton,  Ruhl- 
mann,  Straram,  George  Martin  Witkovski,  Albert  Wolf.  —  Englische  Dirigenten  sind: 
Thomas  Beecham  (geb.  1879),  Aldrian  Cedric  Boult  (geb.  1889),  Eugen  Goossens 
(geb.  1893),  Hamilton  Harty  (geb.  1879),  —  Italiener:  Arturo  Toscanini,  einer  der  be 
deutendsten  Dirigenten  der Gegen wart,  Pietro  Mascagni,  Barvagnoli,Belezza,  Alfredo 
Casella,  Vittorio  Gui,  Gino  Marinuzzi,  Bernardo  Molinari,  Roberto  Moranzoni, 
Leopoldo  Mugnone(geb.  1858),  Pampanini,  EttorePanizza(geb.  1875),  GiorgioPolacco, 
Vittorio  de  Sabata,  Tullio  Serafin  (geb.  1878),  Egisto  Tango,  Arturo  Vigna, 
Edoardo  Vitale.  —  Ungarn  :  Alexander  Dohnanyi,  Anton  Fleischer,  Jeno  v.  Hubay, 
Aladar  Szendrei.  —  Polen:  Gregor  Fitelberg,  Ernst  Mlynarski,  Leopold  Stokovski. 
—  Spanier:  Benedittoy  Vives.  —  Russen:  Glasunow,  Emil  Kuper,  Kussewitzky, 
Malko,  Safonoff.  —  Tschechen:  K.  B.  Jirak,  Karel  Kovarovic,  Jaroslav  Kricka, 
Jaroslav  Krupka,  Karel  und  Oskar  Nedbal,  Franz  Neumann,  Ottakar  Ostrcil, 
Frantisek  Spilka,  Vaclav  Talich,  Ferdinand  Vach.  —  Amerikaner:  Ossip  Gabri- 
lowitsch,  Leopold  und  seine  Sohne  Frank  Heino  und  Walther  Johannes  Damrosch, 
Alfred  Herz  s.  S.  1190  u.  1200  -  Hollander:  Peter  von  Anrooy,  Willem  Mengel- 
berg,  Johan  Wagenaar. 

•  Im  Anschlusse  an  das  oben  (S.  121 1 )  tiber  Orchesterleitungen  Gesagte  seien  noch  genannt: 
Gleichzeitig  neben  dem  Mannheimer  das  Dresdner  Orchester  unter  Hasse,  im  19.  Jahr- 
hundert  das  Wiener  Opern-  (philharmonische)  Orchester,  das  schon  in  der  Zeit  der  Klas- 
siker  hohen  Rang  einnahm,  das  Pariser  Conservatoire-Orchester,  das  Londoner  philharmo 
nische  Orchester,  das  Orchester  der  Scala  in  Mailand  und  in  alien  Stadten  samtlicher 
musikalischer  Kulturlander  Europas  und  Amerikas  eine  grofie  Anzahl  von  mehr  oder 
weniger  wohldisziplinierten  Orchesterverbanden  mit  ihren  Dirigenten  von  Rang.  Ohne 
Anspruch  auf  Vollstandigkeit  seien  hinzugefiigt:  die  philharmonischen  Orchester  in  Berlin, 
Budapest,  Dresden,  Hamburg,  Madrid,  New  York,  Petersburg,  Prag,  Warschau;  das  Ge- 
wandhaus-Orchester  in  Leipzig,  das  Augusteo  in  Rom;  die  Symphonic-  und  Tonkiinstler- 
orchester  in  Berlin,  Boston,  London,  New  York,  Wien;  das  Konservatoriumsorchester  in 
Paris;  das  Museumsorchester  in  Frankfurt  a.  M.;  die  Staats-  (Hof-)  und  stadtischen  Orchester 
in  Berlin,  Hamburg,  Koln  (Giirzenich),  Mainz,  Meiningen,  Stuttgart,  Weimar;  schliefilich 
die  Privatorchester  Concertgebouw  in  Amsterdam,  Casals  in  Barcelona,  Queens-Hall  und 
Albert-Hall  in  London,  Colonne  und  Lamoureux  in  Paris,  Tonhalle  in  Zurich,  sowie  solche 
in  Basel,  Oslo  und  Stockholm.  In  all  diesen  Stadten  sind  auch  geschulte  Chorvereinigungen. 

Die  Technik  des  Klavierspiels  zeigt  in  ihrer  Entwicklung  den  gleichen  Gegensatz  wie 
die  Entwicklung  des  Instrumentes  vom  Clavichord  und  Clavicembalo  in  ihren  primitiven 
Formen  zum  Hammerklavier  eines  Steinway  und  eines  Bliithner.  Vom  Anfang  des  schwer- 
falligen  Tastenschlagens  bei  Verwendung  eines  unnatiirlichen  Fingersatzes  bis  zu  dem  heute 
erreichten  Stand  der  Spieltechnik,  die  auf  dem  Bau  der  Hand  gegriindet  ist  und  Arm,  Ober- 
korper  und  die  gesamte  Muskulatur  in  den  Dienst  der  Sache  stellt,  ist  ein  waiter  Weg  zuriick- 
gelegt  worden.  Die  primitivste  Technik,  die  Daumen  und  funften  Finger  ausschlieBt,  wird 


Reproduzierende  Kimst  1215 


in  der  altesten  Klaviermusik,  von  1450—1600,  verwendet  von  den  Koloristen,  denen  gegen- 
iiber  die  englischen  Virginalisten  etwas  fortgeschrittener  erscheinen  und  bereits  Dreiklang- 
und  Oktavzerlegungen,  Dbersetzen  der  linken  iiber  die  rechte  Hand  kennen,  die  vor  allem 
in  ihren  Variationen  zum  erstenmal  aus  dem  Geiste  des  Instrumentes  geborene  Musik 
schaffen  und  in  John  Bull  (1563—1628)  den  ersten  reisenden  Klaviervirtuosen  hervorbringen. 
Von  den  Englandern  beeinflufit  sind  die  Franzosen,  die  gegeniiber  dem  rein  virtuosen  Spiel 
jener  mehr  das  galante  Moment  zum  Ausdruck  bringen,  dessen  Wesen  in  einer  iiberaus  reichen 
barocken  Verzierungstechnik  sowie  in  der  ,,gebrochenen  Spielweise",  die  wiederum  in  der 
barocken  Auflosung  der  Linie  besteht,  liegt.  Chambonnieres  (1602—70)  und  Francois 
Couperin  (1668—1733)  sind  die  unerreichten  Meister  dieser  frtihen  franzosischen  Virtuosen- 
schule.  Der  erste  Vertreter  des  modernen  konzertierenden  Virtuosentums  ist  Domenico 
Scarlatti  (1683—1757),  dessen  brillantes  feuerspriihendes  Spiel  fiir  lange  Zeit  unerreicht 
war.  Wahrend  Girolamo  Frescobaldi  (1583-1643)  und  Bernardo  Pasquini  (1637-1710) 
die  grofiten  italienischen  Orgel-  und  Klavierspieler  des  1 7.  Jahrhunderts  sind  und  insbesondere 
Pasquini  das  Klavier  von  der  Orgel  emanzipiert  hat,  hat  Scarlatti  das  Klavier  aus  seiner 
dienenden  Stellung  als  Generalbafiinstrument  erlost  und  zum  selbstandigen  Soloinstrument 
erhoben.  Er  bedeutet  die  Emanation  italienischer  Freude  am  Klang,  den  er  in  seinem  In 
strument  unvergleichlich  beherrscht.  Leichtigkeit  und  Beweglichkeit,  moglichste  Verkettung 
der  beiden  Hande  bei  geteilter  Bewegung  und  souverane  Beherrschung  der  damaligen  Klang- 
moglichkeiten  des  Instrumentes  zeichnen  diesen  ersten,  wahrhaft  weltbiirgerlichen,  genialen 
Virtuosen  aus.  Den  Gipfelpunkt  deutscher  Klaviermusik,  die  bis  zu  seiner  Zeit  insbesondere 
in  Johann  Jakob  Froberger  von  Frankreich  und  Italien  abhangig  ist,  bedeutet  Johann  Seb. 
Bach,  der  ebenso  groB  wie  als  Schopfer  auch  als  Nachschaf fender  war  und  von  seinen  Zeit- 
genossen  als  der  grofite  Klavierspieler  geriihmt  wird.  Man  sagt  ihm  die  grofite  Ruhe  und 
Okonomie  der  Bewegungen,  Deutlichkeit  und  Plastik  des  Anschlages  sowie  Beweglichkeit 
der  Finger  in  einem  ausgebildeten  Untersetzungssystem  des  Daumens,  der  bis  dahin  nur 
bei  grofien  Spannungen  gebraucht  worden  war,  wie  auch  der  mittleren  Finger,  wobei  immer 
nur  ein  kleinerer  einem  grofieren  untersetzt  werden  durfte,  nach.  Seine  Fingerhaltung  war 
dem  Geiste  des  Instrumentes  seiner  Zeit  angepafit,  indem  die  fiinf  Fingerspitzen  iiber  den 
Tasten  eine  gerade  Linie  bildeten,  wobei  der  Anschlag  nur  durch  eine  geringfiigige  Bewegung 
erfolgte  und  nachher  die  Finger  nach  der  Innenflache  der  Hand  mit  einer  gleichfalls  gering- 
fiigigen  Bewegung  abgezogen  wurden,  eine  Spielart,  die  nur  die  vorderen  Fingerglieder 
verwendet,  was  nur  moglich  ist  bei  der  Beniitzung  eines  leicht  spielbaren  Instrumentes,  wie 
des  Clavichords  oder  Clavicembalos.  Bach  war  ein  unerreichter  Meister  der  Improvisation, 
dem  vielleicht  nur  G,  Fr.  Haendel  und  in  unserer  Zeit  Anton  Bruckner  anzureihen  sind. 
Ein  Teil  der  Gesamtpersonlichkeit  Bachs  ist  uns  heute  unfafibar,  weil  wir  iiber  die  Grofie 
seines  Vortrags  doch  nur  dokumentarisch  unterrichtet  sind.  Erst  die  Erfindung  und  Vervoll- 
kommnung  des  Hammerklaviers  brachte  die  Losung  des  techmschen  Problems  des  Klavier^ 
Instrumentes  und  fuhrte  somit  Klavierkomposition  und  Klavierspiel  der  Vollendung  ent- 
gegen.  Die  Zeit  nach  Bach  wird  reprasentiert  durch  Karl  Philipp  Emanuel  Bach,  der  die 
strenge  Kontrapunktik  zugunsten  des  galanten  Stils  aufgibt.  Sein  ,,Versuch  iiber  die  wahre 
Art  das  Klavier  zu  spielen"  (1753)  behandelt  ausfuhrlich  Vortrag  und  Applikatur,  wobei 
der  Daumen  zur  Grundlage  des  Spiels  erhoben  wird,  mit  dessen  Hilfe  man  das  Untersetzen 


Reproduzierende  Kunst 


der  beiden  Hande  bewerkstelligt.  Auf  seinem  Werk  fufit  Friedrich  Wilhelm  Marpurgs 
,,Anleitung  zum  Klavierspiel". 

Wahrend  Haydns  Spiel  als  nicht  bedeutend  bezeichnet  wird,  war  Mozart  im  selben 
Grade  Klaviervirtuose  wie  schaffender  Kiinstler;  seit  friihester  Jugend  hatte  er  sich  Klang- 
fiille  und  Kantabilitat  angeeignet;  besonders  wird  ihm  die  Ausnutzung  der  dynamischen 
Moglichkeiten  des  Instrumentes  sowie  zierliche,  perlende  Passagentechnik  und  reiner  An- 
schlag  nachgeriihmt.  Ein  ganz  GroBer  am  Klavier  war  wieder  Beethoven,  der  als  Spieler 
geschildert  wird,  der  seine  Horer  zutiefst  zu  packen  verstand,  dessen  fur  seine  Zeit  fabel- 
haftes,  das  Pianistische  fast  durchbrechendes  und  ans  Orchestrale  gemahnendes  Spiel  hochst 
naturalistisch  und  Aufsehen  erregend  war.  Wahrend  fur  Beethoven  die  Technik  nur  Mittel 
zum  Zweck  war,  ist  eine  Reihe  von  Zeitgenossen  des  Meisters  lediglich  vom  virtuosen  Stand- 
punkt  zu  werten.  Es  folgt  die  Zeit  des  Epigonentums,  da  die  groCe  klassische  Schule  eine 
solche  Fiille  technischer  Probleme  gezeitigt  hatte,  die  nun  Selbstzweck  warden.  Es  macht 
sich  dies  auch  in  der  Herausbildung  klaviertechnischer  Schulen  geltend,  die  zum  Teile  ihre 
Erfahrungen  in  Lehrbuchern  niedergelegt  haben,  wie  die  von  Adam,  Hummel,  Kalkbrenner 
und  Czerny.  Luis  Adam  (1758—1848)  war  Lehrer  von  Kalkbrenner  und  Verfasser  einer 
,,Methode  des  Klavierspiels"  (1802)  sowie  einer  ,,Methode  ou  principe  general  de  doigter" 
(1798),  in  der  nach  Erlangung  der  Alleinherrschaft  des  Hammerklaviers  die  verschiedenen 
Anschlagarten  untersucht  werden,  die  notig  sind,  um  das  Spiel  recht  niiancenreich  zu  ge- 
stalten.  Auch  der  Gebrauch  des  Pedals  wird  bereits  behandelt,  das  I.  N.  Hummel  (1778 
bis  1837),  ein  Schxiler  Mozarts,  vollkommen  verabscheut.  Er  hat  in  seiner  ,,Ausfuhrlichen 
Anweisung  zum  Pianoforte-Spier'  (1 828)  ein  wohldurchdachtes  System  des  Klavierspiels  ge~ 
geben.  Friedrich  Kalkbrenner  (1788—1849),  Verfasser  einer  ,,Methode  pour  apprendre 
le  pianoforte*'  (Paris  1830),  vereinfacht  die  Hummelsche  Methode  und  zeigt  bereits  An- 
fange  einer  Phrasierungslehre ;  sein  Prinzip  war  die  Ausbildung  der  Fingerfertigkeit  ohne 
Aufwendung  von  Armkraft;  man  fiihrt  auch  die  Methode  des  Oktavenspiels  sowie  die 
seit  seiner  Zeit  besonders  gepflegte  Aufmerksamkeit  auf  das  Spiel  der  linken  Hand  auf 
ihn  zuriick.  Carl  Czerny  (1791  —  1857),  Schiller  Beethovens?  dessen  Etiidenwerke  heute 
noch  in  Ansehen  stehen,  war  vorwiegend  ein  auf  das  Praktische  gerichteter  Theoretiker,  der 
von  einer  der  natiirlichen  Beschaffenheit  der  Finger  angepafiten  Verwendungsmoglichkeit 
ausgeht.  Sein  Vortrag  war  vor  allem  auf  Entwicklung  der  Gelaufigkeit  und  moglichst  rasche 
Bewegung  gerichtet.  Mittelpunkt  ernes  jeden  Systems  dieser  Zeit  ist  die  Spielmechanik, 
so  in  Luis  Plaidys  (1852)  ,,Technischen  Studien"  und  Luis  Kohlers  (1857)  ,,Systematischer 
Lehrmethode  fiir  Klavierspiel  und  Musik".  Im  allgemeinen  herrschen  unter  alien  Klavier" 
theoretikern  von  Bach  und  Turk  bis  zu  Kalkbrenner,  Lebert  und  Stark  nur  ganz  gering^ 
fiigige  Abweichungen  iiber  Hand-  und  Fingerhaltung,  die  Finger  sind  leicht  gekrlimmt, 
mit  den  Ballen  auf  der  Taste  aufruhend,  der  Arm  leicht  herabfallend. 

Wie  in  der  Geschichte  des  Violinspiels,  kann  man  auch  in  jener  des  Klavierspiels  gewisse 
lokale  Zentren  unterscheiden.  Solche  sind:  Frankfurt  a.  M. :  Georg  Johann  Vollweiler 
(1770-1847),  Alois  Schmitt  (1788-1866).  Leipzig:  Felix  Mendelssohn  (1809-47), 
Rob.  Schumann  (1810-56),  Ignaz  Moscheles  (1794-1870),  Schiiler  von  Dionys  Weber 
zu  Prag.  London:  Johann  Christian  Bach  (1735-82),  Josef  Haydn  (1732  1809),  Ignaz 
Pleyel  (1757-1831),  der  Italiener  Muzio  dementi  (1746-1832),  Paris:  Johann  Gotl- 


Reproduzierende  Kunst  1217 


fried  Eckardt  (1735-1809),  Johann  Schobert  (gest.  1767),  Luis  Adam  (1758-1848), 
Hyacinthe  Jadin  (1769-1800),  Friedrich  Kalkbrenner  (1788-1849).  Petersburg:  Der 
Englander  John  Field  (1782-1837),  die  Deutschen  Johann  Wilhelm  Hafiler  (1747-1822, 
1792-94  in  Petersburg,  1794-1822  in  Moskau),  Ludwig  Berger  (1777-1839),  Schiller 
dementis,  1804-1812  in  Petersburg),  August  Alexander  Klengel  (1783-1852,  verliefi 
Petersburg  und  lieB  sich  1814  in  Dresden  nieder).  Wien  :  Hierher  gehoren  Techniker  von 
europaischem  Ruf,  ihr  Kennzeichen  ist  Brillanz  des  Spiels.  Carl  Czerny  (1791—1857),  der 
Vollenderder  Wiener  Technik  und  Lehrer  Liszts,  Josef  Wolfl  (Wolf fl)  (1772-1812),  Schuler 
von  Leopold  Mozart  und  Michael  Haydn,  I.  N.  Hummel  (1778—1837),  Schuler  Mozarts, 
Anton  Eberl  (1766-1807).  Prag:  Friedrich  Dionys  Weber  (1766-1842),  Schuler  von 
Abt  Vogler,  Wenzel  Johann  Tomaschek  (1774—1850),  sowie  seine  Schuler  Johann  Fried- 
rich  Kittl  (1806—1868),  Ignaz  Amadeus  Tedesco  (1817—82),  Alexander  Dreyschock 
(1818-69),  Julius  Schulhoff  (1825-98),  Josef  Proksch  (1794-1864),  Anton  Proksch 
(1804-66),  Theodor  Proksch  (1843-76),  Heinrich  von  Kaan-Albest  (1852-1926), 
Schuler  von  Blodek  und  Skuhersky,  Karl  Hoffmeister  (geb.  1868),  Schuler  von  Kaan, 
Romeo  Finke  (geb.  1868),  Wilhelm  Kurz  (geb.  1872),  Schuler  von  I.  V.  Holfeld  und  Knittl, 
Jan  Hermann,  V.  Stepan,  Ilona  Kurz-Stepan. 

Nach  Meistern,  welche  die  Schule  begriinden,  kann  man  unterscheiden  eine  Schule  Mozarts, 
Beethovens,  Clementis,  Bergers,  Hummels.  1.  Schule  Mozarts:  Wolffl,  Hummel,  Francesco 
Pollini  (1763-1846).  2.  Schule  Beethovens:  Erzherzog  Rudolf,  Ferdinand  Ries  (1784 
bis  1838),  C.  Czerny  (Beethovenschiiler  1800-03).  3.  Schule  Clementis:  Johann  Baptist 
Cramer  (1771—1858),  John  Field,  Aug.  A.  Klengel,  Ludwig  Berger.  4.  Schule  Hummel: 
Julius  Benedict  (1804-85),  Ferdinand  Hiller  (1811-85),  Sigismund  Thalberg  (1812-71), 
Heinrich  Rudolf  Willmers  (1821-78),  Ernst  Pauer  (1826-1905),  Schuler  von  W.  A.  Mozart 
(Sohn),  der  selbst  ein  Schuler  Hummels  war.  5.  Schule  Czernys:  Franz  Liszt  (1811—86), 
Anna  Belleville-Oury  (1808-80),  Theodor  Dohler  (1 81 4- 1856),  Theodor  Kullak  (1818-82), 
Alfred  Jaell  (1832-82).  6.  Schule  Bergers:  Heinrich  Dorn  (1804-92),  Wilhelm  Taubert 
(1811-91),  Albert  Loschhorn  (1819-1905). 

Die  Bliitezeit  der  Technik  bringt  eine  besondere  Gattung  zur  Entfaltung,  die  Etude,  die 
ein  Motiv  rein  auf  den  technisch-pianistischen  Zweck  hin  zur  Entfaltung  gelangen  lafit; 
diese  Form  wird  bei  den  Romantikern  (Schumann,  Moscheles)  zum  Trager  bestimmter 
romantischer  Stimmungen.  Von  den  grofien  romantischen  Pianisten  mu6  an  erster  Stelle 
genannt  werden  Friedrich  Chopin  (1810—49),  der  wegen  seines  zarten,  weichen  und  poetisch- 
traumerischen  Spiels,  ebenso  wie  John  Field  (1782—1837)  vor  allem  eine  starke  Verwendung 
des  Rubatos  und,  entsprechend  seiner  ostlichen  Herkunft,  das  formauflosende,  improvisations- 
mafiige  Spiel  pflegte,  nach  der  techmschen  Seite  hin  sich  durch  Weitgriff igkeit,  Selbstandigkeit 
der  Finger  und  durch  einen  fur  den  jeweiligen  Vortrag  zweckmafiigen  Fingersatz  (Verwendung 
des  Daumens  fur  die  Obertasten,  ebenso  wie  Liszt  und  Biilow,  oder  Verwendung  eines  Fingers 
fur  zwei  Tasten)  auszeichnete.  Chopin  war  der  vollendetste,  verfeinertste  und  empfindlichste 
Klavierpoet  des  19.  Jahrhunderts. 

Franz  Liszt  (1811—86)  ist  der  Begriinder  der  modernen  Klavierkunst.  Die  Entwicklung 
seines  Spiels  steht  einerseits  unter  dem  Einflufi  Paganinis,  andererseits  unter  dem  Erlebnis 
der  Klangftille  und  Mannigfaltigkeit  des  neueren  Orchesters.  So  ergibt  sich  sein  Klavier- 


1218  Reproduzierende  Kunst 


satz  und  die  Technik  seines  Spiels  aus  der  Tendenz,  auf  dem  Klavier  orchestrale  Wirkungen 
zu  erzielen,  und  diesem  Ziele  strebt  er  mit  neuen  pianistischen  Mitteln  zu,  wie  Spriingen, 
Tremolis,  weiten  Intervallen,  deren  Voraussetzung  allerdings  die  einzigartige  Lisztsche  Hand 
war,  Glissandis,  Ineinandergreifen  der  Hande,  besonderen  Fingersatzen  zur  Erzielung  eines 
expressiven  Spiels,  insbesondere  dort,  wo  ein  kantables  Rezitativ  erreicht  werden  soil,  usw. 
Liszt  war  der  erste  Virtuose,  der  ausschlieBlich  Klavierkonzerte  gab,  ahnlich  wie  Paganini 
faszinierte  er  seine  Mitwelt,  insbesondere  die  Frauen,  und  verkehrte  als  ein  Konig  seiner 
Kunst,  als  par  inter  pares  mJt  den  Grofiten  seines  Zei takers.  Die  Lisztsche  Epoche  des  Klavier- 
spiels  ist  noch  gekennzeichnet  durch  Anton  Rubinstein  (1829—94),  einen  Pianisten  grofien 
Formats  von  leidenschaftlichster  Ausdruckskraft  und  subjektivstem  Spiel,  das  gelegentlich 
bis  zur  Unkorrektkeit  ging,  im  Gegensatz  hierzu  Hans  v.  Biilow  (1830—94),  Schiller  von 
Franz  Wieck  und  Liszt,  der  mit  scharfem,  analysierendem  Verstand,  vielleicht  etwas  doktrinar, 
die  Klassiker  oft  serienweise  (er  ist  der  Begriinder  dieser  Art  von  Konzertpflege)  zum  Vor- 
trag  brachte,  und  Carl  Tausig  (1841—71).  Liszt  hat  eine  Anzahl  von  Virtuosen  heran- 
gebildet,  die  zum  Teil  heute  noch  leben:  Eugen  d' Albert  (geb.  1864),  Alfred  Reisenauer 
(1863-1907),  August  Stradal  (geb.  1860),  Bernhard  Stavenhagen  (1862-1914),  Friedrich 
Lamond  (geb.  1868),  Conrad  Ansorge  (geb.  1862),  Arthur  Friedheim  (geb.  1859), 
Moritz  Rosenthal  (geb.  1862),  Emil  Sauer  (geb.  1862),  Alexander  Siloti  (geb.  1863). 
Unter  alien  ragt  als  Lehrer  hervor  Theodor  Leschetizky  (1830—1915),  em  Schiiler  Czernys, 
seit  1878  in  Wien,  an  dessen  Unterricht  sein  Schiiler  I.  Friedmann  grofien,  singenden  Ton, 
Transparenz  und  Differenzierung  der  Klangfarben,  rhythmische  Prazision,  Nuancenreichtum 
und  Zuspitzen  auf  offentlichen  Vortrag  und  Wirkung  als  besondere  Starke  sieht,  wahrend 
Ossip  Gabrilowitsch  das  Hervorheben  des  Geistigen  und  Improvisatorischen  gegeniiber  dem 
spezifisch  Technischen,  die  grofite  Beriicksichtigung  des  Klanglichen  als  besondere  Kenn- 
zeichen  anfuhrt.  Unter  der  iiberaus  grofien  Zahl  von  Pianisten,  die  bei  ihm  in  die  Lehre 
gingen,  sind  noch  zu  nennen:  Ignaz  Paderewski,  Annette  Essipoff,  Mark  Hambourg  und 
Arthur  Schnabel. 

Die  nach-Lisztsche  Zeit  seit  1900  ist  vor  allem  durch  eine  aufierordentliche  Erweiterung 
des  Kreises  Klavierspielender  und  zwar  auch  Dilettanten,  gekennzeichnet,  eine  Erscheinung, 
die  vor  allem  durch  den  steilen  Aufstieg  des  Klavierbaues  und  die  faszinierende  Personlichkeit 
Liszts  bedingt  ist.  Diese  Flut  ist  erst  in  letzter  Zeit  durch  Grammophon  und  Radio  ein- 
gedammt  worden.  Die  Bedeutung  des  Klavierspiels  bedingte  Bestrebungen  nach  Neu- 
gestaltung  des  Musikunterrichtes,  der  nicht  nur  das  rein  Technische,  sondern  das  geistig 
Musikalische  in  den  Vordergrund  stellte  (Kullak,  Klauwell,  Breslaur).  Die  Folge  hiervon 
war  ein  starkes  Anwachsen  der  klaviertheoretischen  Literatur,  aus  der  hervorzuheben  sind: 
Riemann,  ,,Theoretisch-praktische  Klavierschule",  Lebert  und  Stark,  ,,Grofie  Klavierschule", 
Mayer-Mahr,  ,,Die  Technik  des  Klavierspiels",  Busoni,  ,,Klavieriibungen",  Joseffy,  ,,Meister- 
schule  des  Klavierspiels",  Pischna,  ,,60  Exercices  pour  piano",  Plaidy,  ,,Technische  Studien 
fur  das  Pianoforte",  Mertke,  ,,Technische  Studien",  Germer,  ,,Die  Technik  des  Klavier 
spiels",  Jiranek,  ,,Technische  Studien";  die  padagogischen  Klavierwerke  von  Wiehmayer 
und  Zuschneid,  Theodor  Kullak,  ,,Schule  des  Oktavenspiels",  und  theoretische  Werke  von 
Adolf  Kullak,  Emil  Breslaur,  Alfred  Richter,  Karl  Zuschneid,  A.  F.  Christiani,  Gustav  Stowe, 
Elisabeth  Caland,  Marie  Jaell,  R.  M.  Breithaupt,  Malvine  Br6e,  F.  A.  Steinhausen,  Tony  Band- 


Reproduzierende  Kunst  1219 


mann,  Eugen  Tetzel,  Xaver  Scharwenka,  Ludwig  Riemann,  Leonid  Kreutzer.  Die  Methodik 
des  Klavierunterrichtes  erfolgte  auf  neuer  psycho-physiologischer  Grundlage  unter  Ausniitzung 
der  naturgegebenen  Funktionen  des  gesamten  Spielapparates.  Wahrend  das  Spiel  friiher 
auf  Fingern,  Hand  oder  Vorderarm,  sowie  den  entsprechenden  Gelenken  beruhte,  wurde  es 
nunmehr  zu  einem  Arm-  und  Gewichtsspiel,  zu  einem  Spiel  des  freien  Wurfs,  des  Schwungs 
und  der  Gelenksrollung.  Hauptvertreter  dieser  Methode  ist  vor  allem  R.  M.  Breithaupt. 
Der  neue  Unterricht  nimmt  auch  Bedacht  auf  die  geistige  und  korperliche  Individuality 
des  Spielers,  wobei  vollstandige  Beherrschung  des  Technischen  selbstverstandliche  Voraus- 
setzung  des  Spieles  ist,  dessen  wichtigste  Erfordernisse  Nuancierung  des  Anschlages,  Klang- 
schattierung  und  Tonfarbigkeit  sind.  Gegenliber  der  romantischen  gefiihlsschwelgerischen 
Spielart  bevorzugt  man  heute  (nach  dem  Prinzip  der  neuen  Sachlichkeit)  ein  mehr  objektives, 
klihles  Spiel,  wahrend  eine  Reihe  von  bedeutenden  Spielern  mehr  das  Expressionistische  und 
Impressiomstische  pflegt  (Gieseking). 

Ein  groBer  Teil  der  modernen  Pianisten  war  beeinflufit  durch  die  iiberragende  Personlich- 
keit  Francesco  Benvenuto  Bus  on  is,  des  grofiten  Meisters  seit  Liszt  und  Rubinstein,  dessen 
technische  Vollendung  nur  Hintergrund  einer  tiefst  geistigen  Auffassung  des  Klavierspiels 
war.  So  hat  er  nicht  nur  Bach,  sondern  auch  Mozart  in  letzter  Zeit  formlich  neu  entdeckt. 
Besonders  hervorzuheben  ware  unter  seinen  Schiilern  der  als  Vorkampfer  der  Modernen 
bekannte  Eduard  Steuermann,  ein  durchaus  durchgeistigter  Virtuosentyp,  dem  man  ins- 
besondere  die  Nahebringung  Schonbergscher  und  anderer  modernster  Werke  zu  verdanken 
hat.  Seine  besondere  Art  plastischer  Verdeutlichung  speziell  der  modernen  Werke  ist  durch 
den  logischen  Weg  iiber  Klassiker  und  Romantiker  begriindet.  Ohne  irgend  Anspruch  auf 
Vollstandigkeit  zu  erheben,  seien  noch  genannt :  Isaac  Albeniz,  Wilhelm  Backhaus,  Bela  Bartok, 
Harold  Bauer,  Alfred  Cortot,  Ernst  von  Dohnanyi,  Mac  Dowell,  Edwin  Fischer,  Ignaz 
Friedmann,  Ossip  Gabrilowitsch,  Leopold  Godowsky,  Enrique  Granados,  Alfred  Griinfeld, 
Mark  Gtinzburg,  Mark  Hambourg,  Ignaz  Paderewski,  Ernst  Pauer,  Max  Pauer,  Raoul 
Pugno,  Serge  Rachmaninoff,  Edouard  Risler,  Julius  Rontgen,  Moriz  Rosenthal,  Anton  und 
Nikolaus  Rubinstein,  Wassili  Safonoff,  Dirk  Schafer,  Xaver  Scharwenka,  Arthur  Schnabel, 
Jose  Vianna  da  Motta;  Therese  Carerlo,  Annette  Essipoff-Leschetizky,  Sophie  Menter,  Elly 
Ney,  Varette  Stepanoff,  Clara  Wieck-Schumann.  Ferner  von  Vertretern  des  neuen  Virtuosen- 
systems:  Walter  Gieseking,  Eduard  Erdmann,  Rudolf  Serkin,  Erwin  Schulhoff,  Franz 
Osborn,  Friedrich  Wuhrer,  Arthur  Rubinstein,  Jean  Wiener,  Carlo  Zuchi,  George  Antheil, 
Paul  Otto  Mockel, 

Von  alien  Musikinstrumenten  ist  das  vollendetste  die  menschliche  Stimme,  wohl  aus 
dem  Grunde,  weil  kein  anderes  Instrument  so  unmittelbar  zum  Menschen  sprechen  kann 
und  seelische  Erlebnisse  wiederzugeben  imstande  ist  als  jenes,  das  dem  Menschen  am  nachsten 
steht.  Das  hochste  Lob  fur  Geiger  und  Klavierspieler  bedeutet  die  Bezeichnung  ,,singen". 
Freilich  ist  vom  Briillen  und  vom  ,,Urschrei"  des  Primitiven  bis  zur  vollendetsten  Gesangs^ 
kultur  ein  weiter  Weg  und  in  der  Geschichte  der  Gesangskunst  spiegelt  sich  jeweils  die  Ge- 
schichte  der  Musik.  Wenn  nach  der  Theorie  Spencers  der  Gesang  aus  der  gesteigerten  Er- 
regung  beim  Sprechen  entstand  und  nach  der  Ansicht  Darwins  das  Singen  die  Sublimierung 
der  Geschlechtslockrufe  ist,  wahrend  nach  der  Anschauung  Stumpfs  der  Gesang  aus  den 
gemeinschaftlichen,  zu  Klangen  organisierten  Signalrufen  entstand,  so  diirfen  wir  annehmen> 


1220  Reproduzierende  Kunst 


dafi  die  altesten,  vor  allem  nordischen  Volker,  ebenso  wie  die  Primitiven  vorerst  mit  dem 
Stimmaterial  zu  kampfen  hatten,  wie  dies  noch  aus  dem  alten  Sprichwort  ,,Frisia  non  cantat" 
hervorgeht,  und  dafi  von  einer  Stimmkultur  vorerst  noch  keine  Rede  war.  Auch  die  antiken 
Volker  dlirften  der  Gesangskunst  als  solcher  nicht  jene  Aufmerksamkeit  geschenkt  haben, 
wie  das  Abendland,  well  dort  Dichter  und  Sanger,  Poesie  und  Musik  eine  Gemeinschaft 
bildeten,  die,  wenn  man  auch  von  einem  Virtuosentum  bei  den  alten  Griechen  und  Romern 
spricht,  eine  Gesangsvirtuositat  schwerlich  aufkommen  liefi.  Gesangsvirtuositat  mag  sich 
vor  allem  im  Orient  ausgebildet  haben,  wo  seit  jeher  das  Melos  an  sich,  unabhangig  vom  Wort, 
die  grofite  Rolle  spielte ;  und  so  sehen  wir,  dafi  mit  der  Ubertragung  orientalischer  Gesangs- 
weise  nach  dem  Westen  vor  allem  durch  die  Ubernahme  ostlicher  Liturgie  auch  dem  Gesangs- 
wesen  erhohte  Bedeutung  geschenkt  wird.  Schon  im  5.  Jahrhundert  soil  unter  Papst  Hilarius 
in  Rom  eine  Sangerschule  gegriindet  worden  sein,  nach  deren  Muster  in  Metz  und  St.  Gallen 
bertihmte  Schulen  entstanden,  deren  es  im  Mittelalter  eine  grofie  Zahl  gab;  die  beruhmtesten 
waren  aufier  der  romischen  ,,Schola  cantorum"  jene  zu  Paris  und  Cambrai.  Die  Kompositionen 
des  15.  und  16.  Jahrhunderts  weisen  in  ihren  verschnorkelten  Einzelstimmen  auf  einen  hohen 
Stand  der  Gesangstechnik  hin,  wenn  man  nicht  etwa,  wie  Riemann  und  Schering,  wenigstens 
einen  Teil  der  Stimmen  Instrumenten  zuweisen  will.  Auch  in  der  Palastrina-Epoche  wird 
zum  Teil  eine  ubermaftig  melismatische  Gesangstimme  bevorzugt;  die  Tatsache  der  Re- 
duktion  der  niederlandischen  konstruktiven  Kompositionsart  auf  den  a  cappella-Stil  selbst 
bedeutet  vom  gesangstechnischen  Standpunkt  aus  eine  fortschrittliche  Neuerung.  Der  liber- 
mafiige  Tonumfang  der  Kompositionen  seit  dem  Ende  des  1 6.  Jahrhunderts  bis  zu  drei 
Oktaven,  die  Hoquetus-Manier,  der  cantus  fractus,  der  Trillo,  die  zum  Teil  heute  nicht 
mehr  gebrauchlich  smd,  smd  Zeichen  hochstehender  Gesangsvirtuositat.  Wie  in  dieser  Zeit 
die  Musikstlicke  sowohl  von  Instrumenten  als  auch  von  Gesangstimmen  ausgefuhrt  werden 
konnten  (,,per  sonare  e  cantare"),  so  wird  oft  die  Gesangskunst  in'allgemeinen  Musiklehr- 
biichern  behandelt,  von  denen  in  diesem  Zusammenhange  zu  erwahnen  sind :  die  von  Girolamo 
della  Casa  (1584),  Francesco  Rognone  Taegio  (1592),  Bovicelli  (1594),  und  als  das  wich- 
tigste  das  des  Lodovico  Zacconi  (1592).  Leider  wissen  wir  iiber  das  in  Italian  und  auch 
in  Spanien  hochbltihende  Improvisatorentum  fast  nichts.  Andeutungen  mancher  Schrift- 
steller,  wie  etwa  G.  B.Basile  u.  a.,  lassen  vermuten,  dafi  wir  in  dieser  Hinsicht  noch  vor 
musikgeschichtlichem  Neuland  stehen.  Die  Forschungen  Einsteins  iiber  Normalmelodien 
auf  die  Nationalepen,  wie  die  ,,Aria  di  Ruggiero",  werden,  sobald  sie  abgescKlossen  sind, 
zeigen,  dafi  es  in  Italien  abseits  der  Zunft  ein  hochstehendes  Volksvirtuosentum  gab.  Es 
mag  wohl  durch  die  aufkommende  iiberragende  Macht  der  Oper,  die  erst  recht  ein  eigemV 
liches  Gesangsvirtuosentum  mit  sich  brachte,  in  den  Schatten  gestellt  worden  sein.  Gleich 
die  ersten  Opernkomponisten,  wie  Peri  und  Caccini,  waren  bedeutende  Sanger  und  Caccini 
hat  wohl  in  seiner  Vorrede  zur  ,,Nuove  musiche"  1602  gezeigt,  welche  Anforderungen  man 
gerade  damals  an  einen  Sanger  stellte.  Die  ersten  Gesangsvirtuosinnen,  von  denen  wir  wissen, 
sind  die  beiden  Tochter  Caccinis,  Lucia  und  Settimia,  ferner  Vittoria  Archil ei  und  die 
beruhmte  Schwester  Giov.  Battista  Bas iles ,  ,,La  bella  Adriana",  vielleicht  jene  erste  Sangerin, 
die  nicht  nur  durch  Jhre  Stimme,  sondern  auch  durch  ihre  Schonheit  sich  Italien  zu  Ftifien 
zwang.  Von  den  deutschen  Opernhofen  des  17.  Jahrhunderts  werden  uns  die  Namen  einer 
ganzen  Reihe  von  Sangern  und  Sangerinnen  gemeldet,  und  es  entwickelt  sich  friihzeitig  ein 


Reproduzierende  Kunst  J221 


freilich  noch  nicht  berufsmafiiges  Impresariotum.  Theaterklatsch  und  Intriguen  sind  schon 
zur  Zeit  der  venezianischen  Oper  nicht  unbekannt,  wie  etwa  aus  dem  Briefwechsel 
J.  H.  Schmelzers  hervorgeht,  der  iiber  die  Sangerin  Giulia  Masotti,  die  als  etwas  abge- 
takelte  Primadonna  am  Wiener  Hof  gelandet  war,  nicht  unergotzliche  Geschichten  zu  be- 
richten  weifi. 

Im  17.  Jahrhundert  verbreitet  sich  das  Kastratenwesen,  das  bereits  in  Italien  seit  langer 
Zeit,  mindestens  seit  dem  16.  Jahrhundert,  bekannt  war;  die  Kastration  hat  den  Zweck,  die 
mit  dem  Eintritt  der  Pubertat  stattfindende  Mutierung  zu  verhuten  und  so  die  Knaben- 
stimme  zu  konservieren,  die  ganzen  Generationen  mehr  Reiz  als  die  Frauenstimme  zu  bieten 
vermochte,  allein  die  Unschuld  der  Knabenstimme  war  verwischt  und  ladiert.  Gewifi 
haben  die  Kastraten  die  Vorziige  des  Timbres  und  der  Tonlage  des  Knaben  mit  der  Atem- 
technik  und  Kraft  des  Mannes  veremigt,  da  ja  Lunge  und  Brust  mannlich  entwickelt  waren; 
dazu  komm- ,  daB  der  musikalische  Barock  mit  seiner  verschnorkelten  Unnatur  das  rein 
Instrumental  der  Menschenstimme  vor  dem  Personlichen  bis  zur  Vernachlassigung  des 
Geschlechtes  bevorzugt.  Durch  die  iiberlegene  Atemtechnik,  die  Absolvierung  von  end- 
losen  Passagen  und  eine  heute  ungekannte  Ausbildung  des  ,messa  di  voce*  ermoglicht, 
standen  die  Kastraten  bis  gegen  1800  im  Vordergrund  des  theatralischen  Interesses.  Natlirlich 
waren  auch  an  deutschen  Hof  en  Kastraten  bekannt  (,,Kapaunen"  genannt),  und  es  gab  auch 
eigene  Erziehungsstatten  fur  solche,  an  denen  der  entsprechende  Wundarzt  nicht  fehlen  durfte. 
Von  den  beriihmtesten  Kastraten  des  18.  Jahrhunderts  seien  nur  genannt:  Loreto  VI t tori 
(auch  Dichter  und  Komponist),  Francesco  Bernardi,  genannt  Senesino,  der  in  dem 
Handel  zwischen  Buononcini  und  Handel  eine  grofie  Rolle  spielte,  Giovanni  Cares  tin! 
(1705—60),  der  sich  zu  Ehren  der  ihn  protegierenden  Mailander  Familie  Cusani  Cusanino 
nannte  und  zu  Rom,  Prag,  Mantua,  Venedig  und  1733—35  unter  Handel  in  London,  spater 
in  Berlin  und  Petersburg  sang.  Quantz  ruhmt  seine  Contra- Altstimme  als  eine  der  kraftigsten, 
schonsten  und  umfangreichsten  (d— g")>  er  war  auch  eine  der  gliicklichsten  Theatererschei- 
nungen.  Besondere  Virtuositat  und  Langatmigkeit,  gepaart  mit  einem  vorziiglichen  belcanto, 
vereinigte  Baldassare  Ferri,  der  in  polnischen  und  osterreichischen  Diensten  stand.  Antonio 
Bernachi  (1685  ~1756)  war  Schiiler  des  beruhmten  Begrunders  der  Bologneser  Gesang- 
schule  Francesco  Pistocchi  (1659—1726).  Pistocchi  ist  der  erste  Gesangsvirtuose,  der  sich 
ausschlieBlich  der  Theorie  und  dem  Unterricht  zuwandte,  nachdem  er  als  ausiibender  Sanger 
erfolglos  geblieben  war.  Um  1 700  soil  er  zu  Bologna  jene  beriihmte  Gesangschule  gegrundet 
haben,  die  ihm  dauernden  Ruhm  eintrug  und  in  der  zum  erstenmal  ein  streng  methodischer, 
in  verschiedene  Klassen  eingeteilter  Unterricht  erteilt  wurde.  Gaetano  Majorano,  nach 
seinem  Entdecker  Caff  aro  Caff  are  Hi  genannt  (1703—83),  wird  besondere  Koloraturfertig- 
keit,  Technik  chromatischer  Laufe  und  Starke  im  pathetischen  Gesang  nachgeriihmt.  Einer 
der  letzten  und  bedeutendsten  Kastraten  war  Girolamo  Crescentini  (1766—1846),  der  sich 
erst  1812  von  der  Biihne  zuruckzog.  Als  aufierlich  hafilicher  Halbmann  wird  der  durch  seinen 
geschmaekvollen  Vortrag  bekannte  Gasparo  Pacchiarotti  (1744—- 1821)  geruhmt.  Dafi 
man  im  18.  Jahrhundert  blofie  Stimmhelden  von  guten  Darstellern  zu  unterscheiden  ver 
mochte,  lehrt  das  Zeugnis  Burneys  iiber  Giovanni  Manzuoli,  der  noch  1771  von  Leopold 
und  Wolfgang  Mozart  gehort  wurde  und  der  sich  weniger  durch  Koloraturfertigkeit  als  durch 
Darstellungskraft  auszcichnete.  Welchen  Weltruf  einzelne  Kastraten  im  18.  Jahrhundert 


1222  Reproduzierende  Kunst 


genossen,  zeigen  oft  zeitgenossische  Briefwechsel  und  Memoirenwerke,  deren  Autoren  mit 
der  Bekanntschaft  dieser  Sanger  oft  prahlen,  wie  die  Denkwiirdigkeiten  Casanovas,  der  sich 
vor  allem  der  Bekanntschaft  Carestinis,  Felice  Salimbenis  (1712—51)  und  des  beruhm- 
testen  aller  Kastraten,  Carlo  Broschis,  genannt  Farinelli  (1705—82),  riihmt.  Farinelli  hat  in 
letzter  Zeit  eine  Monographic  durch  Franz  Habock  erfahren,  der  auf  Grund  der  einzelnen 
Arien  und  Partien,  die  fur  den  Sanger  geschrieben  waren,  vor  allem  durch  Leonardo  Leo, 
Leonardo  Vinci,  Hasse,  Porpora,  Ariosti  u.  a.,  die  Entwicklung  der  Stimme  des  Sangers  nach- 
weist.  Schon  als  halbwiichsiger  Knabe  erlangte  er  in  Italien  Beriihmtheit  unter  dem  Namen 
,,11-ragazzo"  (der  Bube),  1722  feierte  er  zu  Rom  in  Porporas  Oper  ,,Eumene"  einen  trium- 
phalen  Erfolg ;  vor  allem  wird  sein  ,messa  di  voce*  geruhmt,  sowohl  hinsichtlich  der  Tondauer 
als  Starke,  nicht  weniger  seine  Koloratur;  mit  Karl  VI.  war  er  personlich  bekannt,  Philipp  V. 
von  Spanien  konnte  ohne  seinen  Gesang  nicht  leben  und  auch  der  Nachfolger  Philipps, 
Ferdinand  VI.,  stand  unter  seinem  politischen  EinfluB.  Fur  die  grofie  Musikgeschichte 
Jst  Farinelli  deswegen  von  Bedeutung,  weil  Handel  in  London,  als  seine  Gegner  Farinelli 
in  ihr  Lager  zogen,  die  Oper  iiberhaupt  aufgeben  und  sich  dem  Oratorium  zuwenden  mufite 
(1734). 

Gegeniiber  den  Kastraten  spielen  die  iibrigen  Sanger  der  betreffenden  Zeit,  wie  die 
Tenoristen  (Anton  Raaff,  fur  den  Mozart  die  Partie  des  Idomeneo  schrieb,  Paita,  Venanzio 
Rauzzini  u.  a.)  eine  verhaltnismafiig  geringe  Rolle.  Die  Reinigung  des  italienischen  Musik- 
barocks  durch  die  deutschen  klassischen  Meister  brachte  auch  eine  wohltuende  Anderung 
des  Geschmacks  mit  sich;  man  wandte  sich  vom  Kastratentum  ab  und  iiberliefi  das  Koloratur- 
wesen  den  Sangerinnen.  Neben  dem  Primo  uomo  spielt  in  der  italienischen  Oper  des 
18.  Jahrhunderts  die  Primadonna  die  grofite  Rolle.  Von  den  bedeutendsten  Sangerinnen 
sind  zu  erwahnen  vor  allem  Faustina  Hasse,  geb.  Bordoni,  die  in  Venedig,  Bologna  und 
Neapel  1722,  etwas  spater  in  Miinchen  und  Wien  phanomenale  Erfolge  errang,  1726  von 
Handel  fur  London  engagiert  wurde  und  dort  1726—28  mit  FrancescaCuzzoni  rivalisierte. 
Anna  Maria  Strada,  die  an  der  Seite  Handels  stand,  Lucrecia  Agujari,  deren  Stimm- 
umfang  nach  der  Hohe  fast  unglaublich  war,  und  die  noch  auf  dem  dreigestrichenen  /  trillerte 
und  das  viergestrichene  c  sang,  Luiza  Rosa  de  Agujari  verheiratete  Todi,  die  beriihmteste 
Sangerin  portugiesischer  Abkunft,  die  mit  Gertrud  Elisabet  Mahrer  am  Ende  des  18.  Jahr 
hunderts  zu  Paris  in  heftigster  Rivalitat  stand,  die  Goethesangerin  Corona  Schr 6 ter,  die 
Glucksangerin  Marianne  Pirker  und  Regina  Mingotti,  die  Gattin  des  bekannten 
Opernunternehmers,  waren  als  die  bedeutendsten  Sangerinnen  des  18.  Jahrhunderts  zu 
nennen. 

Der  Verfall  der  italienischen  Oper  im  1 9.  Jahrhundert  brachte  auch  den  Niedergang  des 
bel  canto  mit  sich,  der  freilich  auch  jetzt  noch  praktisch  und  theoretisch  gepflegt  und  be- 
handelt  wurde.  Der  beriihmte  Altist  Giuseppe  Aprile  (1738-1814),  Schuler  von  Girolamo 
Abos  und  Lehrer  von  Cimarosa,  verfafite  eine  noch  heute  beliebte  Gesangschule  mit  Sol- 
feggien,  ebenso  Ambrogio  Minoja  (1752-1825),  der  ,,lettere  sopra  il  canto"  1812  und.  einen 
sehr  verbreiteten  ,,metodo  pratico  di  canto  italiano  per  camera"  verfafite,  und  Giulio  Marco 
Bordogni,  Schuler  von  Simon  Mayr  und  Lehrer  von  Henriette  Sontag,  der  sehr  verbreitete 
Vocalisen  herausgab.  Am  meisten  werden  aus  dieser  Zeit  die  Solfeggien  von  Concone  (1810 
bis  1861)  verwendet.  Beriihmt  als  Gesanglehrerin  war  auch  Mathilde  Marchesi  geb.  Grau- 


Reproduzierende  Kunst  1223 


mann  (1821  1913),  Schulerin  von  Otto  Nicolai  und  Manuel  Garcia  (1805-1906)  in 
Paris,  der  seinerseits  als  Erfindei  des  Kehlkopfspiegels  und  Verfasser  der  gekronten  Akademie- 
schrift  ,,memoire  sur  la  voix  humaine"  und  ,,Traite  complet  du  chant"  eine  grofie  Rolle 
in  der  Gesangspadagogik  spielt.  Er  gehorte  als  Sohn  des  Manuel  del  Popolo  Vicente  Garcia 
und  Enkel  des  Jeronimo  Rodriguez  und  der  Marianne  geb.  Aguilar,  einer  Sangerdynastie  an. 
Seine  beruhmtesten  Schulerinnen  sind  seine  beiden  Tochter  Maria  Malibran  (1808—36), 
deren  Altstimme  von  enormem  Umfang  war,  und  Pauline  Viardot  (1821—1910).  Zu  er- 
wahnen  sind  in  diesem  Zusammenhang  auch  Angelica  Catalan i  (1780  —  1849),  die  mit  korper- 
licher  Schonheit  besondere  Stimmittel  vereinigte,  sich  vom  getragenen  Gesange,  zu  dem 
ihr  die  Eignung  fehlte,  dem  Ziergesang  zuwandte  und  ganz  Europa  in  Taumel  versetzte. 
Mit  der  Catalani  wetteiferte  Henriette  Sontag  (1806—54),  die  sich  vor  allem  in  den  Weber- 
schen  Opern  und  als  Rosine  im  ,,Barbier  von  Sevilla"  gelegentlich  der  Catalani  uberlegen 
erwies.  Als  eine  der  bedeutendsten  Sangerinnen  ihrer  Zeit  gilt  Jenny  Lind  (1820—87), 
bekannt  als  die  ,,schwedische  Nachtigall",  die  wegen  des  herrlichen  Klangs  ihres  Soprans, 
wegen  ihrer  Koloratur,  ihrer  Triller  und  ihres  Staccatos  angestaunt  wurde  und  wohl  die  best- 
bezahlte  Sangerin  ihres  Jahrhunderts  war. 

Durch  Richard  Wagner  hat  sich  die  Antithese  zwischen  dramatischen  und  lyrischen 
Sangern  herausgebildet,  von  denen  jene  mehr  den  bel  canto  und  das  rein  Musikalische,  diese 
das  Dramatische  und  Darstellerische  bevorzugten.  Freilich  wurde  auch  durch  Wagner 
und  die  moderne  Vokalmusik  die  Pflege  der  Stimme  zugunsten  des  Darstellerischen  etwas 
in  den  Hintergrund  gestellt.  Von  den  iibrigen  Gesangslehrern  der  jiingeren  Zeit  und  der 
Gegenwart  seien  nur  erwahnt  Franz  Hauser  (1794—1870),  Julius  Stockhausen  (1826 
bis  1906),  dessen  Bestreben  es  war,  eine  Stilbildungsschule  fur  den  Vortrag  deutscher  musik- 
dramatischer  Werke  zu  schaffen  und  der  ein  grofies  gesangpadagogisches  Werk  ,,Deutscher 
Gesangunterricht"  herausgab,  eine  aufierordentlich  grtindliche  Methode,  den  Schiller  von 
den  Anfangen  der  Tonbildung  bis  zur  hochsten  kunstlerischen  Reife  zu  flihren,  Josef  Genz- 
bacher,  R.  v.  zur  Miihlen  und  August  Iffert.  -Von  Sangern  und  Sangerinnen  seien  noch 
erwahnt:  Wilhelmine  Schroder-Devrient  (1804—60),  die  mehr  dramatische  Leidenschaft 
und  Darstellungskraft  als  Musikalitat  und  Stimme  besafi,  Pauline  Anna  Milder-Haupt- 
mann  (1785—1838),  die  Stimmittel  und  Darstellungstalent  vereinigte  und  fiir  die  Beet 
hoven  die  Rolle  des  Fidelio  schrieb,  Charlotta  und  Adelina  Patti,  letztere  (1843— 1919) 
berlihmt  als  Koloratursangerin,  deren  nicht  sehr  starke  Stimme  besonderen  Wohllaut  hatte, 
Emma  Albani  (geb.  1852),  Schulerin  von  Duprez  und  Lamperti,  besonders  als  dramatische 
Sangerin  bekannt,  und  schliefilich  aus  der  Zahl  der  beruhmtesten  Sanger  und  Sangerinnen 
der  letzten  Vergangenheit  und  Gegenwart:  Sigrid  Arnoldson  (geb.  1861),  Gemma 
Bellincioni  (geb.  1864),  Emmy  Destinn  (geb.  1878),  Geraldine  Farrar  (geb.  1882), 
Elena  Gerhardt  (geb.  1883),  Maria  Ivogiin  (geb.  1891),  Berta  Kiurina,  Selma  Kurz 
(geb.  1877),  Lilli  Lehmann  (1848-1929),  Pauline  Lucca  (1841-1908),  Amalie  Mater na 
(1845-1918),  Nellie  Melba  (geb.  1861),  Marie  Renard  (geb.  1863),  Ernestine  Schumann- 
Heink  (geb.  1861),  Marcella  Sembrich  (geb.  1858).  -  Mattia  Battistini  (1857-1928), 
Th.  Bertram  (geb.  1869),  Enrico  Caruso  (1873-1921),  BenjaminoGigli  (geb.  1890),  Ernst 
Kraus  (geb.  1863),  Luigi  Lablache  (1794-1858),  Richard  Mayr  (geb.  1877),  Theodor 
Reichmann  (1849-1903),  Anton  van  Rooy  (geb.  1870),  Emil  Scaria  (1838-86),  Feodor 


|224  D'f>  F-nUickluns  der  MusikthtorJe  scil  dcrn  Endc  dc-s  15    Jahrhundcrts 

Ivanowitsch  Schaljapin  (geb.  1873),  Leo  Slezak  (geb.  1875),  Franz  Wild  (1792-1860), 
Hermann  Winkelmann  (1849-1912).  Wie  viele  waren  noch  zu  nennen! 

Literatur 

Beckmann:  Das  Violinspiel  in  Deutschland  vor  1700.  -  Bie,  Oscar,  Das  Klavicr.  -  De  rse  Ibe:  Die 
Primadonna.  —  De  r  selbe:  Der  Virtuose.  —  De  rse  1  be:  Das  Klavier  und  seine  Meister.  -  Einstein:. 
Das  neue  Musiklexikon.  —  Fantoni:  Storia  universale  del  canto.  —  Fetis:  Biographic  universellc.  — 
G  a  6  n  e  r :  Dirigent  und  Ripienist.  —  G  o  1  d  s  c  h  m  i  d  t :  Die  italienische  Gesangsmethode  des  1 7.  Jahrhunderts .  — 
'Habock:  Die  Gesangskunst  der  Kastraten.  —  Kinkeldey:  Orgel  und  Klavier  in  der  Musik  des  16.  Jahr 
hunderts.  —  Moser,  Andreas:  Geschichte  des  Violinspiels.  —  Niemann,  Walter:  Meister  des  Klaviers. 
—  Riemann-Einstein:  Musiklexikon,  II.  Auflage.  —  Schunemann:  Geschichte  des  Dirigierens.  — 
Weitzmann:  Gescbichte  des  Klavierspiels. 

Paul  NettL 


DIE  ENTWICKLUNG  DER  MUSIKTHEORIE  SEIT  DEM 
ENDE  DES  15.  JAHRHUNDERTS 

In  der  zweiten  Halfte  des  15.  Jahrhunderts  wurde  das  Studium  der  Musiktheorie  durch 
den  Einflufi  des  Humanismus  stark  belebt.  Boethius  trat  wieder  in  den  Mittelpunkt  des 
Interesses  und  bereltete  den  Weg  zum  Verstandnis  der  erhaltenen  griechischen  Quellen- 
schriften,  die  bald  im  Druck  herauskamen.  Erschienen  doch  1475  die  Probleme  des  Aristo 
teles  in  Mantua,  1491-99  die  ersten  Boethius-Ausgaben,  1497  Euklid,  Vitruv  und  Censorinus, 
1498  Martianus  Capella,  um  nur  ein  paar  herauszuheben.  Die  Zeit  ist  aucb  nicht  fern,  wo 
vulgarsprachliche  Ubersetzungen  von  Aristides  Quintilian,  Bryennius,  Bacchius,  Ptolemaeus 
angefertigt  wurden;  Ercole  Bottrigari  wirkt  in  dieser  Richtung  besonders  anregend. 

Einen  eifrigen  Vertreter  fand  die  Sache  des  Boethius  neben  Ugolino  von  Orvieto  und 
neben  Georg  Anselm  von  Parma  in  Vittorino  da  Feltre  in  Mantua.  Aus  seiner  Schule 
ging  Johannes  Gallicus  Carthusiensis  (ca.  1415—73)  hervor,  der  auf  viele  Theoretiker 
des  15.  Jahrhunderts  bestimmend  einwirkte.  Tinctoris,  Ramis,  Burzio  fiihren  ihn  als  Autoritat 
an.  Sein  Streben  nach  einfachen  Verhaltnissen  wird  bekundet  durch  seine  Stellung  zur  guido- 
nischen  Solmisation,  der  er  keine  grofiere  Bedeutung  beimifit  als  den  Silben  ba  be  bi  bo  bu  bam, 
und  seine  Abwehr  gegeniiber  der  verzwickten  Zeichengebung  der  Mensuralmusik  mit  ihren 
vielen  Ziffern  und  Zeichen.  Nicht  unbedeutend  war  auch  sicherlich  Johannes  Godentag 
alias  Bonadies,  der  als  Lehrer  von  Gafori  genannt  zu  werden  verdient.  In  Neapel  sehen 
wir  damals  drei  niederlandische  Theoretiker  tatig:  Ycaert,  Guarnerius  und  Tinctoris, 
von  denen  der  letzte  (gest.  1511  zu  Nivelles)  zu  den  bedeutendsten  Theoretikern  aller  Zeiten 
zu  rechnen  ist.  Kein  anderer  hat  damals  wie  er  so  enge  Fiihlung  mit  der  Praxis,  weiB  jedes 
Kapkel  der  Musiktheorie  so  lebendig  zu  gestalten.  Im  ,,Liber  de  arte  contrapuncti"  findet 
sich  die  beachtenswerte  Bemerkung,  dafi  erst  in  den  letzten  vierzig  Jahren  Kompositionen 
geschaffen  seien,  die  die  Gebildeten  fur  beachtenswert  ansahen.  Zwei  seiner  Arbeiten  kamen 
bereits  zu  semen  Lebzeiten  in  Druck  heraus:  das  ,,Diffinitorium",  das  alteste  terminologische 
Lexikon,  um  1495,  gedrudkt  mit  Typen  von  Gerardus  de  Lisa  in  Treviso,  und  der  Trakat 


Die  Entwicklung  der  Musiktheorie  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  1225 

,,De  inventione  et  usu  musicae",  der  wahrscheinlich  schon  1488  von  Francesco  del  Tuppo 
in  Neapel  zum  Druck  gebracht  worden  ist.  Eine  Gesamtausgabe  seiner  Schriften  besorgte 
Ed.  de  Coussemaker. 

Eine  nicht  unbedeutende  Rolle  spielte  in  jener  Zeit  auch  der  Karmeliter  John  Hothby, 
ein  Englander,  der  nach  vielen  Reisen  durch  Spanien,  Frankreich,  Deutschland  und  Italien 
1467  in  Lucca  festen  Fufi  fafite  und  dort  eine  segensreiche  Tatigkeit  als  Gesanglehrer  der 
Kleriker  entfaltete,  1486  aber  nach  England  zuriickberufen  wurde  und  dort  1487  starb. 
Wir  kennen  aus  den  Veroffentlichungen  Coussemakers  eine  ganze  Reihe  seiner  theoretischen 
Schriften,  unter  denen  mehrere  Streitschriften  gegen  den  Spanier  Ramis  besonders  heraus- 
zuheben  sind.  Sein  bedeutendstes  Werk  ist  die  ,,Calliopea  legale",  eines  der  umfassendsten 
Lehrbiicher  des  cantus  planus,  das  auch  das  chromatische  Tonmaterial  in  die  Betrachtung 
einbezieht. 

Richtunggebend  wurde  fur  die  Theorie  des  16.  Jahrhunderts  der  Spanier  Ramis  de  Pareia. 
Er  war  ein  Schiller  des  Johannes  de  Monte  und  bereits  in  Salamanka  als  Interpret  des  Boethius 
bekannt,  als  er  seinTatigkeitsfeld  nach  Bologna  verlegte.  Gafori  bezeichnet  ihn  als  ,,illitteratus". 
Seine  1482  in  Bologna  erschienene  ,,Musica  practica",  fur  Laien  aufgerissen,  enthalt  neben 
altem  Ballast  aus  Boethius  Neues  in  der  Monochordteilung,  die  im  AnschluB  an  Didymus 
und  Ptolemaeus  die  beiden  Ganztone  9:8  und  10:9  und  damit  die  natiirlichen  Terzen  5:4 
und  6:5  als  gesetzmaBJg  anerkennt.  Nun  liegt  der  Weg  klar  vor  uns,  den  schlichtern  bereits 
Walter  Odington  betreten  hat,  und  liber  Fogliano  schreitet  die  Entwicklung  zu  Zarlino  weiter. 
Abgelehnt  wird  die  Funfteilung  des  Ganztons,  die  Marchettus  von  Padua  lehrte.  Gebrochen 
wird  auch  mit  der  guidonischen  Solmisationslehre  durch  Aufgabe  des  Hexachords  zugunsten 
des  Oktochords  und  durch  Anwendung  der  Silben:  (p)sal,  li,  tur,  per,  vo,  ces,  is,  tas.  Damit 
ist  die  schwierige  Mutationslehre  im  Prinzip  ad  acta  gelegt,  vor  der  Hand  aber  nur  fur  ihn 
und  seinen  Kreis.  Bis  ins  18.  Jahrhundert  hinein,  bis  hin  zu  dem  Streite  von  Mattheson 
und  Buttstedt  (1717),  steht  sie  noch  voll  in  Bliite,  wenn  auch  durch  andere  Solmisationen, 
wie  die  von  David  Montard  (bo,  ce,  di,  ga,  lo,  ma,  ni)  und  Graun  (da,  me,  ni,  po,  tu,  la,  be)  neben 
manchen  andern,  ihre  Reichweite  etwas  eingeengt  wurde.  Drittens  bemerkenswert  ist  bei  Ramis 
die  Lehre  von  den  semitonia  subintellecta.  Zwar  altes  Musikergut  aus  der  Zeit  des  Diskants, 
hat  sie  nie  vorher  so  pragnanten  Ausdruck  gefunden :  unvollkommene  Konsonanzen  (Terzen, 
Sexten)  sind  grofi  bci  Auswartsbewegung  der  Stimmen,  klein  bei  Innen-  und  Seitenbewegung. 
Auch  der  Uberblick  xiber  die  Mensuraltheorie  ist  nicht  ohne  Belang  trotz  aller  Kiirze,  und 
selbst  die  wenigen  knappen  Bemerkungen  zur  Instrumentenkunde  sind  nicht  ohne  Wert, 

Diese  Arbeit  des  Ramis  entfesselte  einen  Theoretikerstreit,  der  beispiellos  in  der  Musik- 
geschichte  dasteht.  Zwei  todeswurdige  Verbrechen  werden  Ramis  besonders  zur  Last  gelegt: 
die  Abkehr  von  der  pythagoraischen  Intervallberechnung  und  von  der  guidonischen  Solmi- 
sation.  In  den  Streit  griffen  zuerst  ziemlich  sachlich  Hothby  als  Verteidiger  des  Pythagoras 
und  durchaus  personlich  Nicolao  Burzio  in  seinem  ,,Florum  libellus"  1487  als  Racher 
des  Gmdo  ein.  Burzio  wird  durch  den  Ramis-Schiiler  Giovanni  Spataro  bald  erledigt. 
Dagegen  ersteht  diesem  ein  gefahrlicher  Gegner  in  Franchino  Gafori  (1451  —  1522)  aus 
Lodi,  der  seit  1484  am  Dome  zu  Mailand  wirkte.  Hatte  er  bereits  in  seiner  ,,Harmonia  musi- 
corum  instrumentorum"  (1518)  gegen  die  Monochordteilung  des  Ramis  Front  gemacht, 
so  griff  er  in  seiner  ,,Apologiau  (1520)  die  ganze  Bologneser  Schule  an.  Spataro  antwortet 


]226  Die  Entwicklung  der  Musiktheorie  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts 

ihm  1521  mit  seinen  ,,Errori  di  Franchino  Gafori"  und  seiner  ,,Dilucide  et  probatissime 
Dimonstratione".  Einen  klaren  Uberblick  tiber  die  theoretische  Tatigkeit  Gaforis  verdanken 
wir  Paul  Hirsch,  der  in  einer  ausgezeichneten  Studie  das  umfassende  Schrifttum  Gaforis 
klargestellt  hat.  Herausgehoben  seien:  ,,Theorica  musicae"  1480  und  1492,  ,,Practica  musicae" 
1496,  1497,  1502,  1508  und  1512,  ,,Angelicum  ac  divinum  opus'*  1508,  ,,De  harmonia  musi- 
corum  instrumentorum"  1518,  ,,Apologia  adversum  Spatarum"  1520.  Unter  diesen  Schriften, 
zu  denen  noch  ein  paar  nur  handschriftlich  in  Bologna  bewahrte  Traktate  treten,  nimmt  die 
,,Practica  musicae"  die  selbstandigste  Stellung  ein.  Dafi  bereits  um  etwa  1490  eine  Nieder- 
schrift  derselben,  vielleicht  als  Kolleg,  vorhanden  gewesen  sein  mufi,  beweist  der  ,,Trattato 
vulgare  de  canto  figurato"  des  Gafori-Schiilers  Francesco  Caza,  der  1492  bei  Leonard 
Pachel  in  Mailand  erschien.  Neues  bietet  die  ,,Practica"  herzlich  wenig;  zu  erwahnen  ware 
vielleicht  die  Einfiihrung  der  Terz  iiber  der  Finalis  als  chorda  judicialis  zum  Zwecke  der 
Tonartbestimmung:  Liegen  mehr  Tone  iiber  derselben  als  unter  ihr,  so  ist  die  Tonart  authen- 
tisch,  sonst  plagal.  Wichtig  ist  auch  sein  Eintreten  fur  die  semibrevis  als  Takteinheit,  charak- 
teristisch  fur  die  Zeit  die  Proportionslehre,  die  aber  Dberraschendes  kaum  darbietet. 

Als  Kampfer  auf  seiten  von  Spataro  lernen  wir  Pietro  Aron,  Giovanni  del  Lago  und 
Frate  Aiguino  kennen.  Aron,  um  1490  zu  Florenz  geboren,  kam  1516  mit  seiner  ,,Institutio 
harmonica",  1523  mit  seinem  ,,Toscanello  in  musica",  1525  mit  seinem  ,,Trattato  della  natura 
et  cognitione  di  tutti  gli  tuoni  di  canto  figuratou  und  1545  mit  seinem  ,,Lucidario"  heraus, 
nicht  zu  vergessen  den  undatierten  ,,Compendiolo  di  molti  dubbi".  Seine  Bedeutung  Hegt 
in  der  trefflichen  Darstellung  der  Kontrapunktik  und  in  seinem  Versuch  der  Temperatur 
der  Tasteninstrumente.  Auch  sein  Ruf  ,,Los  von  der  Lehre  der  semitonia  subintellecta"  be-- 
weist  eine  neue  Zeit.  Der  Brescianer  Aiguino  war  ein  Schiller  Arons. 

Unberiihrt  von  dem  Theoretikerstreit  wirkte  der  aus  Potenza  gebiirtige  Petrus  de  Ca- 
nuntiis,  dessen  in  Dialogform  abgefafite,  lexikalischen  Charakter  tragende  ,,Regulae  florum 
musices"  1510  in  Florenz  erschienen.  Bedeutsam  tritt  Giovanni  Maria  Lanfranco  1533 
mit  seinen  ,,Scintille  di  musica"  auf,  dessen  Darstellung  fur  die  Instrumentenkunde  be* 
sondere  Wichtigkeit  hat;  die  Stimmungen  der  verschiedensten  Instrumente  werden  an- 
gegeben.  In  dem  gleichen  Jahre  erschien  auch  das  ,,Recanetum  de  musica  aurea"  des  Stef  ano 
Vanneo,  das  in  klarer  Gruppierung  den  alten  Stoff  des  cantus  planus  und  cantus  mensuratus 
darbietet.  Gleich  angeschlossen  sei  auch  Angelo  da  Picitono,  der  stark  auf  deutsche 
Theoretiker  wie  Georg  Rhau,  Ottomar  Luscinius  und  Sebaldus  Heyden  zuriickgreift  und 
mit  seiner  Darstellung  von  comma  / \  diesis  /^,  kleinem  >$<  und  grofiem  ^  Halbton  auffallt. 
Gefolgschaft  findet  erinVincenzoLusitano.  Bemerkenswert  ist  weiter  Luigi  Dentice, 
der  1553  mit  ,,Due  dialoghi  della  musica"  herauskam.  Fur  die  Zeit  ganz  charakteristisch 
ist  die  Einleitung  des  zweiten :  Auf  der  Strafie  begegnen  sich  Antonio  Serone  und  Paolo  Soardo, 
der,  eben  aus  einem  trefflichen  Konzert  im  Hause  der  Johanna  von  Aragon  kommend,  von 
dem  Ohrenschmaus  erzahlt,  den  ihm  Sanger  und  Instrumentalisten  bereiteten;  im  Hand- 
umdrehen  sind  beide  in  ein  tiefes  Gesprach  iiber  musikalische  Satzkunst  verwickelt. 

An  die  Ramissche  Lehre  von  der  Abmessung  der  Intervalle  schKefien  sich  Ludovico 
Fogliano  und  Giuseppe  Zarlino  an,  Fogliano  (gest.  1539)  in  seiner  ,,Musica  theorica" 
von  1529,  Zarlino  (151 7—90)  in  seinen  ,,Istitutioni  harmoniche"  von  1558.  Giuseppe 
Zarlino,  dieser  grofie  Chioggiote,  Schiller  von  Adrian  Willaert,  bestimmt  fur  Jahrhunderte 


Die  Entwicklung  der  Musiktheorie  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  1227 

den  Gang  der  Theorie.  Seine  ,,Istitutioni  harmoniche"  (1558),  seine  ,,Dimostrationi  har 
moniche"  (1573)  und  seine  ,,Sopplimenti  musicali"  (1588)  sind  geradezu  Fundgruben  musi- 
kalischen  Wissens.  Heben  wir  nur  die  Hauptgedanken  heraus.  Die  Sechszahl  unter  Zuhilfe- 
nahme  der  ersten  Kubikzahl  enthalt  alle  konsonanten  Intervalle.  Fiir  die  Instrumente  halt 
er  eine  Temperatur  fiir  notig.  Die  Kunstlehre  der  Alten  beschaftigt  ihn  lebendig:  zu  ihrer 
Veranschaulichung  bedient  er  sich  eines  Gravicembalo  von  Domenico  Pesarese  (1548).  Ziem- 
lich  gleichzeitig  kam  Nicola  Vicentino  mit  seinem  Archicembalo  heraus.  Hochst  bedeutsam 
ist  die  Kontrapunktlehre  Zarlinos  mit  ihrer  meisterlichen  Behandlung  von  Kanon  und  Fuge. 
Nicht  zu  iibersehen  ist  seine  Intervallcharakteristik.  Grofie  Terzen  und  Sexten  erschemen 
ihm  munter,  kleine  lieblich  mit  Neigung  zum  Traurigen  und  Schmachtenden ;  ihre  haufige 
Verwendung  bestimmt  den  Charakter  des  Tonstiickes.  Dissonanzen  sind  Jhm  Bindemittel 
zwischen  den  Konsonanzen.  Als  Hauptregeln  gelten  ihm:  1.  Eine  Komposition  mufi  im 
wesentlichen  aus  Konsonanzen  bestehen  und  eingemischt  Dissonanzen  aufweisen.  — 
2.  Der  Satz  mufi  sich  gut  entwickeln.  —  3.  Melodic  und  Harmonic  miissen  mannigfaltig 
sein.  —  4.  Das  Tonstiick  muB  einem  bestimmten  Ton  angehoren.  —  5.  Die  Harmonien 
miissen  dem  Wortinhalte  entsprechend  gewahlt  werden.  Er  betont  die  Bedeutung  der 
Kadenzen. 

Die  ganze  Zeit  steht  unter  dem  Einflusse  der  Renaissance.  Die  Erkenntnis  des  griechischen 
Geisteslebens  wird  angestrebt,  die  Sehnsucht  nach  der  Wiederbelebung  der  Antike  macht 
sich  auch  in  der  Musik  geltend.  Zwei  Theoretiker  verdienen  in  dieser  Richtung  besondere 
Beachtung:  Nicola  Vicentino  und  Vincenzo  Galilei.  Vicentino,  der  Verfasser  der  ,,An- 
tica  musica  ridotta  alia  moderna  prattica"  (1555),  glaubt  allein  das  Wesen  der  antiken  Musik 
erfafit  zu  haben.  Er  sucht  die  drei  Klanggeschlechter  der  Griechen  wieder  in  die  Praxis 
einzufuhren,  komponiert  in  ihnen  und  schafft  Instrumente  (Arciorgano  und  Archicembalo), 
die  die  Wiedergabe  seiner  chromatischen  und  enharmonischen  Kompositionen  ermoglichen. 
Der  Punkt  uber  und  unter  einer  Note  zur  Bezeichnung  der  Erhohung  und  Vertietimg  um 
eine  Diesis  spielt  in  seinen  Werken  eine  Rolle.  Seine  Bestrebungen  werden  gestiitzt  durch 
Ercole  Bottrigari  (1531  —1612),  einen  vornehmen  Bolognesen,  der  sich  in  seinem  ,,Melone" 
1599  bedingt  als  ein  Anhanger  des  Vicentino  entpuppt  und  sich  im  ,,Patrizio"  (1593)  und 
auch  im  ,,Desiderio"  (1594)  durchaus  als  Aristoxeniker  zu  erkennen  gibt.  Er  hat  ein  f eines 
Verstandnis  fiir  die  Theorie  der  Antike  und  hat  sich  Boethius  und  Macrobius  durch  Uber- 
setzungen  zuganglich  gemacht. 

Zarlino,  Vicentino  und  Bottrigari  werden  bekampft  durch  Giovanni  Maria  Artusi, 
einen  streitbaren  Bolognesen,  der  sich  in  seiner  ,,Arte  del  contraponto"  (1586)  als  ein  txich- 
tiger  Theoretiker  erweist  und  in  seinem  ,,Artusi"  betitelten  Werke  (1600—03)  besonders 
gegen  die  Kompositionstechnik  von  Claudio  Monteverdi  anrennt. 

Die  groGten  Erfolge  beim  Studium  der  Antike,  in  dem  er  reichste  Unterstiitzung  vom 
Grafen  Bardi  di  Vernio  in  Florenz  fand,  konnte  Vincenzo  Galilei  (1533  bis  nach  1589) 
buchen,  dessen  ,,Dialogo  della  musica  antica  et  della  moderna"- 1581  und  in  2.  Auflage  1602 
erschien.  Er  legt  als  erster  griechische  Melodien  in  der  originalen  Notation  vor.  Als  ein 
scharfer  Gegner  des  Zarlino  erweist  er  sich  in  seinem  ,,Discorso"  vom  Jahre  1 589.  Wie  ernst 
es  die  damaligen  begiiterten  Kreise  mit  dem  Studium  der  Musik  nehmen  und  welche  gesell- 
schaftliche  Macht  diese  bedeutete,  das  ersehen  wir  aus  den  Briefen  des  Kardinals  Pietr 
78  H.d.M. 


1 228  Die  Entwicklung  der  Musiktheorie  seit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts 

Bembo  und  des  Niirnberger  Patriziers  Christof  Kress,  das  zeigt  uns  vor  allem  der  ,,Cortigiano" 
(Hofmann)  des  Baldassare  Castiglione  (1528),  und  auf  englischem  Boden  der  ,,Compleat  Gentle 
man"  von  Henry  Peacham  1622.  Es  gehorte  zur  guten  Erziehung,  einen  Part  vom  Blatt  zu 
singen  und  aus  dem  Stegreif  spielen  zu  konnen. 

Auch  Deutschland  hat  seit  der  Zeit  Adams  von  Fulda  an  der  theoretischen  Entwicklung 
regsten  Anteil.  Bedeutsam  tritt  die  Literatur  hervor,  die  im  Reformations] ahrhundert  far 
den  Gesanguntemcht  der  evangelischen  Schulen  geschaffen  worden  ist.  Da  diese  am  lateini- 
schen  wie  deutschen  Kirchendienst  beteiligt  wurden,  so  mufiten  sie  sowohl  den  Gregorianischen 
Choral  als  auch  die  Figuralmusik  beherrschen  lernen.  Gern  wird  der  ganze  elementare  Lehr- 
stoff  in  Dialogform  behandelt.  Aus  der  Masse  der  ziemlich  gleichartig  gestalteten  Arbeiten 
seien  die  Musiklehren  von  Martin  Agricola  (1528)  far  Magdeburg,  von  Georg  Rhau  (1530) 
und  Listenius  (1533)  fur  Wittenberg,  von  Sebald  Heyden  (Ars  canendi  1537)  fur  Nurn- 
berg,  von  Lucas  Lossius  (1563)  fur  Liineburg,  von  Wolfgang  Figulus  (1565)  fur  Meifien, 
von  Callus  Dresler  (1571)  fur  Magdeburg,  von  Heinrich  Faber,  Gregor  Faber,  Ambrosius 
Wilphlingseder  und  anderen  herausgehoben.  Selbst  ein  so  umfassendes  Werk  wie  das 
Dodekachord  von  Glarean  aus  dem  Jahre  1547  fand  im  Schulbetrieb  Verwendung. 
Historisch  aufgerissen,  voll  tref fender  Urteile  iiber  das  kiinstlerische  Schaffen  so  manchen 
alten  Meisters,  liegt  seine  Hauptbedeutung  in  der  theoretischen  Erorterung  von  zwolf  Ton- 
arten  gegeniiber  den  acht  des  Mittelalters ;  die  aus  der  Volkskunst  bekannten  Leitern  auf 
den  Stufen  a  und  c  (Moll  und  Dur)  werden  in  das  System  einbezogen.  Besonders  heraus 
gehoben  sei  auch  der  ,,Micrologus"  des  Andreas  Ornitoparch  von  1517,  weil  hier  die  ver- 
schiedenen  Praktiken  des  aus  dem  Sprachgesang  herausfliefiendeh  kirchlichen  accentus  ein- 
gehend  behandelt  werden.  Die  Lehre  von  den  Kirchenakzenten,  wie  sie  in  den  rezitativischen 
Weisen  der  Kirche  wirken,  liegen  hier  vor. 

Bedeutsamen  Anteil  am  Ausbau  der  Theorie  nimmt  von  jeher  England.  Erinnert  sei  nur 
an  Namen  wie  Alkuin,  Jo.  Cotto,  Ailred,  John  of  Salisbury,  Adam  von  Dover,  Gregor  von 
Bridlington,  an  den  englischen  Anonymus,  der  gegen  1270  die  Musikverhaltnisse  an  Notre 
Dame  in  Paris  erforscht,  an  Jo.  Garlandia  den  Alteren,  Pseudo-Aristoteles,  Walter  Odington, 
Jo.  Garlandia  den  Jungeren,  Hanboys,  Robert  of  Brunham,  Robert  Trowell,  Jo,  de  Muds, 
Simon  Tunstede,  Theinred,  John  Torksey,  Richard  Cuttell  und  wie  sie  alle  heifien,  die  vom 
8.  bis  zum  15.  Jahrhundert  an  der  theoretischen  Erkenntnis  mitgearbeitet  haben.  Wir  ge- 
denken  der  beiden  Musiker  Lionel  Power  und  Chilston,  die  um  die  Wende  des  14.  zum 
15.  Jahrhundert  mit  Guilelmus  Monachus  vornehmlich  iiber  die  englischen  Kontra- 
punkttechniken  von  Gymel  und  Fauxbourdon  im  Zusammenhange  mit  der  Lehre  von  den 
sights  berichten,  Techniken,  die  wie  ein  harmonischer  Sauerteig  die  ganze  festlandische 
Kontrapunktik  durchsetzen.  Hingewiesen  sei  auch  noch  einmal  auf  den  bereits  beriihrten 
John  Hothby,  besonders  mit  seiner  ,,Calliopea  legale".  Das  1 6.  Jahrhundert  kennt  eigent- 
lich  nur  einen  bedeutenden  englischen  Traktat,  die  ,,Plaine  and  easie  introduction  to  practicall 
musicke"  von  Thomas  Morley  aus  dem  Jahre  1597;  eine  zweite  Ausgabe  erschien  1608, 
ein  Neudruck  1 771 .  In  Dialogform  abgefafit,  gibt  er  im  ersten  Teil  das  allgemeine  musikalische 
Riistzeug,  um  dann  im  2.  und  3.  Teil  Mehrstimmigkeit  und  Kontrapunkt  zu  behandeln. 
Anschliefien  lassen  sich  Thomas  Ravenscrofts  ,,Brief  discourse  of  mensurable  musick44 
(1614)  und  Thomas  Campions  Kontrapunktlehre  von  1618. 


Die  Entwicklung  der  Musiktheorie  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts 1229 

Die  Entwicklung  zur  Monodie  im  1 6.  Jahrhundert  fuhrt  notwendigerweise  zur  General- 
baBpraxis,  die  sich  auf  einer  alten  Organistenpraxis  aufbaut.  Italien  ging  voran.  Viadana 
sei  besonders  erwahnt  mit  der  Vorrede  zu  seinen  ,,Concerti  ecclesiastic! "  (1602).  Neben 
kurzen  Erorterungen  in  Emilio  de*  Cavalieris  ,,Rappresentazione  di  anima  e  di  corpo"  und 
Peris  ,,Euridice",  von  der  Verwendung  der  Zahlen  in  Caccinis  ,,Euridice"  ganz  zu  schweigen, 
verdienen  die  Traktate  von  Bianciardi  (Breve  regola  per  imparar'a  sonare  sopra  il  basso 
con  ogni  sorte  d'istrumento",  21  sett.  1607)  und  Agazzari  (Del  sonare  sopra  '1  Basso  con 
tutti  11  stromenti  e  dell'uso  loro  nei  conserti"  1607)  besonders  genannt  zu  werden.  Die  Ab- 
weichungen  von  den  tonalen  Dreiklangsharmonien  werden  in  Zahlen  notiert  Auf  deutschem 
Boden  geben  Gregor  Aichinger,  Michael  Praetorius,  Heinrich  Albert,  S.Th.  Stade 
zuerst  theoretisch  Rechenschaft  iiber  den  Generalbafl,  der  schnell  Allgemeingut  wird,  weil 
er  mit  der  neuen  Praxis  fest  verwachsen  ist.  Und  auch  die  alte  Literatur  eines  Lasso  und 
Palestrina  unterwirft  sich  ihm  vollig.  Eine  Flut  von  Generalbafilehren  ergiefit  sich  iiber  alle 
Under.  Von  deutschen  hebe  ich  nur  heraus:  Werckmeister  (1698),  Heinichen  (171 1), 
Telemanns  ,,Sing-,  Spiel-  und  Generalbafiiibung"  (1733/34),  deren  ausgefiihrte  Bei- 
spiele  besonders  lehrreich  sind,  Mattheson  (1731),  Sorge  (1760),  Marpurg  (1745,  1752), 
C.  Ph.  E.  Bach  (1762),  Kirnberger  (1781),  Turk  (1791)  und  viele  andere  mehr.  Haben  die 
Generalbafilehren  bis  zum  Ende  des  18.  Jahrhunderts  praktische  Bedeutung  und  als  Ziel, 
den  Generalbassisten  fur  Kirche,  Theater,  Konzert  und  Haus  zu  bilden,  so  bedeuten  sie 
fur  das  19.  Jahrhundert,  wo  der  praktische  Zweck  hinfallig  geworden  ist,  nur  mehr  eJne  Schule 
der  Harmonik  und,  wie  zu  Bachs  Zeit,  eine  Vorschule  der  Komposition. 

Der  Sinn  fur  Harmonic  wird  schon  im  Mittelalter  lebendig.  Ihre  eigentliche  Begrundung  er- 
fuhr  die  Harmonielehre  aber  erst  in  Frankreich  durch  Jean-Philippe  Rameau  (1683-1764). 
Er  knupft,  wenn  auch  nicht  gleich,  an  Zarlinos  dualer  Begrtindung  der  Harmonic  an  und 
benutzt  Sauveurs  seit  1700  vorliegende  Erkenntnis,  dafi  der  Ton  etwas  Zusammengesetztes 
sei  und  aus  Grundton  +  Obertonen  bestehe.  Auch  Tartinis  Aufdcckung  der  Kombinations- 
tone,  die  bis  in  das  Jahr  1714  zuriickgeht,  konnte  ihm  bekannt  geworden  sein.  Ihm  kommt  es 
darauf  an,  die  wahren  Grundlagen  der  Harmonic  aufzuweisen.  Bei  jedem  Ton  klingen  nach 
ihm  mit  Oktav  -f  Quinte  und  Doppeloktav  +Terz,  die  angenahert  den  Durdreiklang  ergeben, 
und  schwingen  mit  die  ticfere  Oktave  +  Quinte  und  tiefere  Doppeloktave  +  Terz,  die  an- 
gcnahcrt  zum  Molldreiklang  fiihren  sollen.  Beide  Quinten  eines  Grundtons  vereinigen  sich 
aber  im  Septimenakkord,  der  Grundlage  aller  Dissonanzen.  Die  Quinten  sind  harmonic 
bildend,  die  Terzen  variieren  sie.  Dem  Generalbafi  stellt  er  seinen  GrundbaC  (basse  fonda^ 
mentale)  gegenuber,  der  die  Grundtone  aller  Akkorde  in  der  Stammlage  verbindet^  zwar 
nicht  erklingt,  aber  die  harmonischen  Beziehungen  klarlegt.  Hat  er  doch  im  ,,Traite'  von 
1722  auf  die  Identitat  der  Akkorde  in  Stammlage  und  Umkehrungen  hingewiesen.  Er  erkennt 
die  leiterbildende  Bedeutung  der  Dreiklange  von  Dominante  und  Subdominante  und  ftigt 
dem  Dominantdreiklang  die  Septime  und  dem  Subdominantdreiklang  die  Sexte  hinzu.  Rar 
meaus  Lehre  fand  geteilte  Aufnahme:  gegen  sie  erklarten  sich  z.B.  der  Akustiker  Cartel, 
J.J.Rousseau  und  die  Enzyklopadisten  (Baron  Grimm),  zu  schweigen  von  Kirnberger; 
fur  sie  traten  ein  d'Alembert,  dessen  Rameaus  ,,D^monstration4'  glossierende  ,,Elemens  de 
musiquc"  (1752)  bereits  1757  von  Marpurg  ubersetzt  wurden,  und  neben  Marpurg  auch 
der  Deutsche  Daube.  Von  Rameaus  Arbeiten  seien  besonders  sein  ,,Nouveau  systeme  thfo- 


78* 


]  930  ^e  Entwicklung  der  Musiktheorie  seit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts 

rique"  (1726),  seine  ^Generation  harmonique"  (1737)  und  seine  ,, Demonstration  du  principe 
de  rharmonie4'  (1750)  herausgehoben. 

Auf  die  Verschiedenheit  der  Bezifferung  will  ich  nicht  eingehen,  sondern  nur  die  Regel- 
losigkeit  auf  franzosischem  Boden  betonen,  die  durch  Rameaus  Tabelle  in  seiner  ,,Dissertation*' 
von  1732  evident  wird.  Darin  schafft  auch  er  nicht  Wandel.  Erst  Gottfried  Weber  (1822) 
fuhrt  Rameaus  Reformgedanken  erfolgreich  weiter;  der  grofie  Buchstabe  verkorpert  ihm 
den  Durdreiklang,  der  kleine  den  Molldreiklang. 

Aus  der  weiteren  Entwicklung  seien  besonders  die  Bestrebungen  von  Moritz  Hauptmann 
(,,Natur  der  Harmonik"  1853)  und  A.  von  Oettingen  (,,Harmoniesystem  in  dualer  Ent 
wicklung"  1866)  herausgehoben,  die  Moll  als  Umkehrung  von  Dur  ansehen.  Oettingen 
zieht  auch  die  Konsequenz  daraus  und  betrachtet  den  Molldreiklang  von  seiner  Dominante 
aus:  <T  bedeutet  ihm  C-dur  (C  E  G),  g°  c-moll  (g  es  c),  Vorwarts  schritt  auf  diesem  Wege 
Hugo  Riemann  mit  seinen  Funktionsbezeichnungen,  die  den  Gang  der  Modulation  vollig 
klarstellen.  Jeder  Akkord  wird  nach  der  Bedeutung  seines  Grundtons  als  Tonika-  (T),  Do 
minant-  (D)  und  Subdominantklang  (S)  als  Dur-  (+)  oder  Molldreiklang  (o),  als  Paralleling 
(p),  welcher  statt  der  Quinte  die  Sexte  verwendet,  als  Leittonwechselklang  usw.  bezeichnet. 
Ein  Mittelsmann  zu  seiner  Theorie  war  ihm  Otto  Tiersch,  dessen  ,,System  und  Methode" 
1868  erschien. 

Es  ware  miifiig,  alle  die  Theorielehren  aufzufuhren,  die  sich  zum  Teil  auf  den  Forschungen 
von  Rameau  aufbauen.  Ihre  Zahl  ist  unendlich  grofi.  Darunter  befindet  sich  so  manches 
treffliche  Werk  von  Vogler,  Reicha,  Fetis,  Dehn  iiber  Harmonielehren  eines  Richter, 
Jadassohn,  Louis  und  Thuille,  Schreyer,  Juon,  Krehl,  Schenker,  Georg  Capellen  mit  seiner 
neuen  Terminologie  bis  hin  zu  Werken  eines  Schonberg,  der  richtunggebend  fur  die  Theorie 
der  Neueren  wurde. 

Neben  den  Harmonielehren  bewahrten  aber  die  Kontrapunktle  hren  ihre  Bedeutung. 
Zar linos  geniale  Arbeiten  wirkten  sich  in  der  Theorie  des  ganzen  Kontinents  aus.  Sein  Schiiler 
Jan  Pieter  Sweelinck  schuf  ihm  in  den  Niederlanden  Anerkennung  und  durch  dessen  Schiiler 
Praetorius,  Scheidt,  Schild,  Siefert  auch  in  Norddeutschland  Boden.  Ebenso  erlag  Mittel- 
deutschland  dem  Einflusse  Zarlinos.  Seth  Calvisius,  Lippius,  Baryphonus,  Johann 
Cruger  und  manchen  andern  sehen  wir  in  seinem  Gefolge.  Aber  bei  aller  Gebundenheit 
lassen  sich  bei  diesen  doch  eigene  Ziige  beobachten,  die  vor  allem  in  der  harmonischen  Durch- 
dringung  des  kontrapunktischen  Stoffes  zu  erkennen  sind,  noch  schwach  bei  Calvisius  in  seiner 
,,Melopoiia"  von  1592  und  bei  Lippius  in  seiner  ,,Synopsis  musica"  von  1 612,  immer  deut- 
licher  aber  bei  Baryphonus  in  seinen  ,,Plejades  musica**  von  1615  und  bei  Johann  Cruger, 
dem  Berliner  Kantor  an  St.  Nikolai,  in  seiner  „ Synopsis  musica**  von  1624,  die  auch  unter 
Sweelinckschem  Einflusse  steht,  gerade  so  wie  die  handschriftlich  erhaltenen  ^Compositions- 
regeln  Johann  Adam  Re  in  kens.  Ja,  bis  in  die  neuere  Zeit  reicht  Zarlinos  EinfluB.  Denn 
was  Fux  1725  in  seinem  ,,Gradus  ad  Parnassum",  und  im  AnschluB  daran  Heinrich  Seller- 
mann  in  seinem  ,,Kontrapunkt**  darbietet,  ist  zum  Teil  auf  Zarlinos  Lehre  aufgebaut. 

Eine  zweite  Gruppe  von  Arbeiten  schlieBt  sich  an  Heinrich  Schlitz  an,  der  nur  gelegentlich 
in  der  Vorrede  zu  seiner  ,,Geistlichen  Chormusik*'  (1648)  die  Grundgedanken  seiner  Theorie 
erkennen  lafit,  aber  sich  ganz  in  den  theoretischen  Arbeiten  seines  Schulers  ChristopH  Bern- 
hard  offenbart.  Drei  Arbeiten  Bernhards  stehen  in  Frage:  seine  ,,Singekunst",  die  die  Jugend 


Die  Entwicklung  der  MusiktKeorie  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  1231 

zum  Singen  anleiten  und  in  die  {Composition  einfuhren  will,  sein  ,,Bericht  von  dem  Gebrauch 
der  Kon-  und  Dissonanzen"  und  sein  ,,Tractatus  compositionis  augmentatus",  in  dessen 
Mittelpunkt  wie  bei  Zarlino  die  Behandlung  des  doppelten  Kontrapunktes  steht.  Diesen 
Traktaten  sind  gleich  die  ,,Fundamenta  compositonis"  Johann  Kuhnaus  von  1703  an- 
zuschliefien,  die  sich  auf  Bernhard  stiitzen.  Eine  dritte  Gruppe  nimmt  von  Michael 
Praetorius  (1571  —  1621),  dem  Wolfenbiittler  Kapellmeister,  Ausgang.  Als  Praktiker  be- 
sonders  fur  die  kirchliche  Kunst  von  hoher  Bedeutung,  hat  er  auch  als  Theoretiker  mit 
seinem  ,,Syntagma  musicum"  wertvollstes  Gut  hingestellt.  Das  Werk  ist  geradezu  der 
Schliissel  fur  die  Auffiihrungspraxis  seiner  und  der  vorangehenden  Zeit.  Dazu  werden  alle 
Fragen  der  Theorie  behandelt  und  eine  Instrumentenkunde  geboten,  wie  sie  besser  jene  Zeit 
nicht  kannte.  Von  ihm  abhangig  ist  der  Niirnberger  Johann  Andreas  Herbst  (1588—1666), 
Kapellmeister  zu  Frankfurt  a.  M.,  der  besonders  mit  seiner  ,,Musica  poetica"  1643  und 
seiner  ,,Arte  prattica  et  poetica*'  1653  in  den  Vordergrund  riickt.  Charakteristisch  fur  jene 
Zeit  ist  auch  die  Tatigkeit  von  Andreas  Werckmeister.  Seine  Werke  stehen  in  engster 
Beziehung  zur  zahlengemafien  Erfassung  der  Musik;  er  ist  nach  Versuchen  mit  ungleich 
schwebender  Temperatur,  die  sich  bei  Arnold  Schlick  (1511),  Pietro  Aron  (1523),  Fogliano 
(1529),  Vicentino(1555),  Zarlino  (1558),  Robert  Smith,  Mersenne,  Gio.  Battista  Doni,  Sorge 
und  vielen  anderen  nachweisen  lassen,  wohl  der  erste,  der  mit  Nachdruck  fur  die  gleich- 
schwebende  Temperatur  eintritt.  Seine  Hauptwerke  sind:  der  ,,Hodegus  musicae  mathe- 
maticae"  von  1686,  die  ,,Musikalische  Temperatur"  von  1697  und  die  auf  dem  GeneralbaB 
aufgebaute  Kompositionslehre,  die  ,,Harmonologia  musica"  von  1702.  Ihm  anzureihen  ist 
Johann  GeorgNeidhardt,  der  in  drei  Werken  (,,Die  beste  und  leichteste  Temperatur  der 
Monochordi",  1706,  ,,Sectio  canonis",  1724,  und  ,,Ganzlich  erschopfte  mathematische 
Abteilung",  1732)  zur  Temperatur  Stellung  nahm,  und  auch  Marpurg  mit  seinem 
,,Versuch  iiber  die  musikalische  Temperatur"  (1776), 

Ansehen  besafi  um  die  Wende  des  17.  Jahrhunderts  auch  der  ,,Musico  Prattico"  von  Gio 
vanni  Maria  Bononcini  (1673);  in  einer  Ubersetzung,  die  1701  bei  Treu  in  Stuttgart  ausging, 
scheint  das  Werk  ziemliche  Verbreitung  gefunden  zu  haben.  Ebenso  spielt  Giacomo  Caris- 
simis(?)  ,,Wegweiser"  in  der  theoretischen  Literatur  eine  Rolle.  GewissermaBen  eine 
Synthese  aller  dieser  Werke  stellt  Johann  Gottfried  Walt  hers  ,,Kompositionslehre"  dar. 

Das  18.  Jahrhundert  ist  nicht  gerade  reich  an  umwalzenden  Problemen.  Es  weist  eine 
Reihe  von  Musikern  auf,  die  nicht  nur  als  Praktiker  ihren  Mann  stehen,  sondern  auch  iiber 
ihre  Kunst  nachdenken  und  zu  schreiben  vermogen,  wie  Kuhnau,  Fux,  Mattheson,  Tele- 
mann,  Walther,  Marpurg,  Kirnberger,  Reichardt,  eine  Reihe,  die  sich  im  19.  Jahrhundert  fort- 
setzt:  man  denke  nur  an  C.  M.  v.  Weber,  Schumann,  Liszt,  Wagner,  P.  Cornelius,  Pfitzner, 
Schreker,  Schenker  u.  a.  m.  Nicht  zu  vergessen  sind  auch  Quantz,  C.Ph.  E.  Bach,  Leopold 
Mozart,  Jo.  Friedr.  Agricola,  Jo.  Adam  Hiller  und  auf  franzosischem  Boden  J.  P.  Rameau, 
J.J.Rousseau,  Gr&ry,  Berlioz. 

Beriihrt  sei  jedoch  nochmals  die  praktische  Theorie.  Es  ist  im  ganzen  genornmen  keine 
grofie  Entwicklung  zu  erkennen  trotz  der  grofien  Wandlungen,  die  sich  in  der  Musik  voll- 
/ogen.  Dickleibige  Werke  erscheinen,  die  den  ganzen  Bereich  der  praktischen  Theorie  zum 
Teil  mit  neuen  Methoden  zu  umfassen  suchen,  wie  Abt  Voglers  ,,Mannheimer  Tonschule", 
wie  Reichas  ,,TraIte  de  haute  composition",  Marx'  ,,Lehre  von  der  musikalischen  Korn- 


J232  Die  Entwicklung  der  Musiktheorie  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts 

position",  Sechters  Werke  oder  Anton  Andres  ,,Lehrbuch  der  Tonsatzkunst",  urn  nur 
wenige  herauszugreifen.  Es  erschienen  aber  auch  umfassende  Einzeldarstellungen,  wie 
Cherubinis  wertvoller  ,,Cours  de  contrepoint",  Fetis  interessanter  ,,Traite  de  contrepoint 
et  de  la  fugue"  oder  Prouts  ,,Counterpoint".  Der  Inhalt  blieb  jedoch  im  wesentlichen  un~ 
verandert;  das  Schulbeispiel  herrschte  meist.  Kein  Wunder,  dafi  da  der  Gedanke  auftauckte, 
die  Theorie  starker  mit  der  lebendigen  Kunst  zu  verbinden.  War  diese  Sachlage  doch  im 
16.  Jahrhundert  die  gegebene,  und  hatte  auch  schon  z.  B.  Padre  Martini  in  seinem  Werke 
,,Esemplare  o  sia  saggio  fondamentale  pratico  di  contrappunto"  gezeigt,  wie  anschaulich  und 
gangbar  dieser  Weg  war.  Im  19.  Jahrhundert  kniipfen  besonders  Hugo  Riemann  in  seiner 
,,GroCen  Kompositionslehre",  Johannes  Schreyer,  Ernst  Kurth  und  Schenker  in  seinen 
,,Neuen  musikalischen  Theorien"  (1906—22)  hieran  an. 

Daneben  wurden  auch  bisher  mehr  oder  weniger  vernachlassigte  Gebiete  der  Tonsetzkunst 
angebaut.  Hector  Berlioz  verfafit  seinen  ,,Traite  ^instrumentation",  der  noch  heute  seine 
Giiltigkeit  hat.  Rudolf  Westphal,  Hugo  Riemann,  Matthis  Lussy,  Jaques-Dalcroze, 
Wiehmayer,  Tetzel  und  bedingt  auch  Rutz  wenden  sich  der  Rhythmik  zu.  Der  Erziehung 
des  Musiksinns  wird  seit  Max  Battke  grofiere  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Besonders  im 
Bereiche  der  Schule  entsteht  eine  z.T.  bedeutsame  Literatur;  erinnert  sei  nur  an  Namen 
wie  Jode,  Henselt,  Marcus,  Miinnich,  Walter  Ktihn.  Dem  Musikdiktat  wird  mit 
Recht  hoher  Wert  beigemessen.  Der  Bau  von  Melodien  und  Satzen  wird  untersucht,  der 
Wert  der  Analysen  erkannt,  aber  auch  zum  Teil  iiberschatzt.  Die  Phrasierungslehre  Hugo 
Riemanns  ist  ohne  Frage  erkenntnisfordernd,  aber  zu  stark  betont  worden  (Phrasierungs- 
ausgaben).  Der  angestrebte,  viel  starkere  geistige  Einschlag  ist  besonders  in  Ernst  Kurths 
Werken  herauszuheben,  in  denen  sich  Theorie,  Geschichte,  Psychologic  und  Asthetik  die 
Hand  reichen.  Hingewiesen  sei  nur  auf  seine  ,,Romantische  Harmonik"  und  seine  ,,Grund- 
lagen  des  linearen  Kontrapunkts"  (1917). 

Eine  neue  Zeit  bricht  an,  nicht  erst  durch  den  verlorenen  Krieg  in  die  Wege  geleitet,  sondern 
bereits  angebahnt  durch  die  starke  modulatorische  Bewegung  bei  Meistern  des  ausgehenden 
19.  Jahrhunderts.  Die  Theorie  hat  bereits  begonnen,  fur  diese  Neuerungen  klare  Formeln 
zu  suchen.  Erinnert  sei  nur  an  Schriften  wie  Schonbergs  Harmonielehre,  Gentilis 
,,Nuova  teoria  dell'harmonia",  Erpfs  ,,Studien  zur  Harmonic-  und  Klangtechnik  der 
neueren  Musik"  oder  an  die  Joseph  Hauers,  wie  z.  B.  seine  ,,Zwolftontechnik". 

Literatur 

Gaza,  Francesco:  Tractate  vulgare  de  canto  figurato.  Mailand  1492.  Neuausgabe  Joh.  Wolf.  Berlin  1922.  — 
Coussemaker,  E.  de:  Histoire  de  1'harmonie  au  moyen  Sge.  Paris  1852.  —  Derselbe:  Scriptorum  de  musica 
medii  aevi  nova  series  t.  I — IV.  Parisiis  1864 — 67.  —  Derselbe:  Joannis  Tinctoris  tractatus  de  musica.  Insulis 
1875.  —  Gehrmann,  Hermann:  Johann  Gottfried  Walther  als  Theoretiker.  Vierteljahrsschrift  f.  Musikwissenschaft 
VII  (1891),  S.  468  ff.  —  Derselbe:  Composition  Regain  Herrn  M.  Johan  Peterssen  Sweling.  Werken  van  Jan 
Pietersen  Sweelinck.  Deel  X.  's  Gravenhage-Leipzig  1901.  —  Gerbert,  Martin:  Scriptores  ecclesiastici  de 
musica  sacra  potissirnum.  Typis  San-Blasianis  1784.  —  Haas,  Robert:  Das  Generalbafiflugblatt  Francesco 
Bianciardis  in:  Festschrift  fur  Johannes  Wolf  (Berlin  1929),  S.  48 ff.  —  Hirsch,  Paul:  Bibliographic  der  musik- 
theoretischen  Drucke  des  Franchino  Gafori  in:  Festschrift  fur  Johannes  Wolf  (Berlin  1929),  S.65ff.  —  Hogler, 
Fritz:  Bemerkungen  zu  Zarlinos  Theorie.  Z.  f.  MW.  1927.  —  Kinkeldey,  Otto:  Orgel  und  Klavier  in 
der  Musik  des  16.  Jahrhunderts.  Leipzig  1910.  —  Miiller-Blattau,  Josef  Maria:  Die  Komoositionslehre  Hein- 
rich  Schutzens  in  der  Fassung  seines  Schiilers  Christoph  Bernhard.  Leipzig,  Breitkopf  &  Hartel,  1926.  —  Rie 
mann,  Hugo:  Geschichte  der  Musiktheorie  im  9.  bis  19.  Jahrhundert.  Leipzig  1898.  —  Sannemann,  Friedrich: 


Musikwissenschaft  ]  233 


DieMusik  als  Unterrichtsgegenstand  in  den  evangelischen  Latelnschulen  des  16.  Jahrhunderts.  Berlin  1904.— 
Schmidt,  Anton  Wilhelm:  Die  Calliopea  legale  des  Johannes  Hothby.  Leipziger  Dissertation.  Leipzig  1897.  — 
Schneider,  Max:  Die  Anfange  der  Basso  continuo  und  seiner  Bezifferung.  Leipzig  1918.  —  Wolf,  Johannes: 
Musica  Practica  Bartolomei  Kami  de  Pareia.  Leipzig  1901.  -—  Tanaka,  Shohe:  Studien  im  Gebiete  der  reinen 
Stimmung.  Vierteljahrsschrift  f.  Musikwissenschaft  VI,  S.  I  ff. 

Johannes  Wolf. 


MUSIKWISSENSCHAFT 

Guido  Adler  hat  1885  die  ,,VierteIjahrsschrift  fur  Musikwissenschaft"  mit  der  Studie 
,,Umfang,  Methode  und  Ziele  der  Musikwissenschaft"  eroffnet,  worin  dieser  Erkenntniszweig 
folgendermafien  abgegrenzt  wird: 

I.  Historischer  Teil:       A.  Notenschriftwesen. 

B.  Kunstform  (in  modern  wissenschaftlicher  Erfassung). 

C.  Theorie  des  Tonsatzes  (in  zeitgenossischer  Formulierung). 

D.  Instrumente. 

Hilfswissenschaften :        Palaographie,    Chronologie,   Diplomatik,    Literaturgeschichte, 

Biographistik. 
II.  Systematischer  Teil;  A.  Spekulative  Theorie  (Harmonik,  Rhythmik,  Metrik). 

B.  Asthetik. 

C.  Padagogik     (Elementarlehre,    Harmonielehre,    Kontrapunkt, 
Komposition,  Instrumentation,  Methodik). 

D.  Musikologie  (musikalische  Ethnographic). 
Hilfswissenschaften :        Akustik,  Mathematik,  Physiologic,  Psychologic,  Logik,  Gramma- 

tik,  allgemeine  Padagogik,  allgemeine  Asthetik. 

In  dieser  erschopfenden  Umgrenzung  bedeutet  die  Musikwissenschaft  selbst  fur  die  moderne 
Forschung  noch  ein  vielfach  erst  zu  erfullendes  Programm.  Moderne  Werke,  die  beide  Teile, 
von  den  Hilfswissenschaften  ganz  abgesehen,  durcharbeiteten,  gibt  es  (aufler  Lexicis  und 
wenigen  in  grofien  Ziigen  orientierenden  Biichern,  wie  Hugo  Riemanns  ,,Grundrifi  der  Musik 
wissenschaft**  )  noch  nicht.  Die  Oberfiille  der  Erkenntnisse  und  Probleme  zwingt  zu  weit- 
gehender  Spezialisierung.  Auch  die  modernste  Literatur  behandelt  entweder  den  historischen 
oder  den  systematischen  Teil.  Von  historischen  Werken  gibt  es  allgemeine  Musikgeschichten 
(Originalarbeiten  und  Kompendien),  Spezialarbeiten  (nach  Kompositionsgattungen,  Zeitab- 
schnitten  und  Territorien  gesondert),  Biographien  einzelner  Meister,  ferner  Neudrucke  von 
Musikwerken  und  theoretischen  Schriften  alterer  Epochen,  endlich  erkenntnistheoretische 
Werke  (wie  Guido  Adlers  ,,Stil  in  der  Musik"  und  ,,Methode  der  Musikgeschichte").  Die 
systematische  Literatur  entbehrt  sogar  zusammenfassender  Kompendien  iiber  alle  Jhre 
vier  Zweige  ganz;  sie  besteht  aus  kompositionstechnischen  Arbeiten,  die  ausnahmslos  Lehr- 
zwecke  verfolgen  und  daher  die  theoretischen  Auseinandersetzungen  mit  didaktischen  Obungen 
verbinden  (die  grofien,  von  der  Elementarlehre  bis  zur  Instrumentation  handelnden  Kompo- 
sitionslehren),  Einzeldarstellungen  aus  diesen  Gebieten  (Harmonielehren,  Kontrapunktlehren 
usw,)»  Instrumenten-  und  Gesangsschulen,  Werken  iiber  Musikasthetik  und  solchen  liber 


Musikwissenschaft 


Musikologie,  die  sich  zur  ,,vergleichenden  Musilcwissenschaft"  entwickelt  hat.   Es  sei  nun  in 
groBten  Ziigen  die  allmahliche  Herausbildung  dieser  Verhaltnisse  der  Gegenwart  untersucht. 

Wie  auf  alien  Erkenntnisgebieten  standen  die  Griechen  auch  in  der  Musikwissenschaft 
auf  einer  Hohe,  die  nach  der  Zerstorung  der  antiken  Kultur  durch  die  Volkerwanderung  erst 
allmaHich  im  Laufe  vieler  Jahrhunderte  wieder  erreicht  werden  konnte.  Freilich  war  die 
griechische  Kultur  das  Endergebnis  einer  langen  in  Vorderasien  und  Agypten  vollzogenen 
Entwicklung,  deren  Verlauf,  wenigstens  in  der  Musikwissenschaft,  so  gut  wie  unbekannt  ist. 
Was  die  griechische  und  die  nach  ihrem  Vorbilde  angelegte  romische  musiktheoretische  Lite- 
ratur  auszeichnet,  ist  das  Vorkommen  vollstandiger  systematischer  Kompendien  (die  Musiko- 
logie  ausgenommen),  in  die  auch  die  gesamte  Akustik  aufgenommen  ist.  Naheres  daruber  ent- 
halt  das  betreffende  Kapitel  dieses  Handbuches.  Historische  Notizen  finden  sich  nur  gelegent- 
lich,  das  Interesse  fur  die  Musik  der  Vergangenheit  war  Idein,  die  Praxis  der  jeweiligen  Gegen 
wart  steht  im  Vordergrunde.  Daneben  sind  zahlreiche  Abhandlungen  iiber  Einzelgebiete  aus 
Theorie,  Akustik  und  Asthetik  erhalten. 

Die  Musikwissenschaft  des  Mittelalters  ist  wie  die  aller  Zeiten  als  Bestandteil  der  all- 
gemeinen  Erkenntnis  von  der  Jewells  herrschenden  philosophischen  Denkungsart  abhangig, 
also  in  diesem  Falle  von  der  scholastischen  Philosophic.  Deren  Grundprinzipien  waren  die 
Vereinbarung  der  antiken  Erkenntnisse  mit  den  kirchlichen  Dogmen  und  kunstlerischen  An- 
schauungen  und  ein  gewisses  Bestreben,  Fernerstehende  durch  formale  Schwierigkeiten  der 
Gedankenfassung  am  Eindringen  in  den  Wissensschatz  zu  behindern.  So  stellt  sich  die  mittel- 
alterliche  Theorie  anfangs  als  schwacher  Versuch  dar,  die  antike  kompendiose  Vereinigung  von 
Akustik,  Notations-  und  Kompositionslehre  in  mehr  oder  minder  den  neuen  Verhaltnissen 
(Gregorianischer  Choral  usw.)  angepafiter  Art  weiterzuf iihren .  Auch  hier  sei  betreffs  der 
wichtigen  Werke  und  Autoren  auf  die  Spezialkapitel  des  Handbuches  verwiesen.  Wieder  fehlt 
ernsthafte  Beschaftigung  mit  vergangenen  Verhaltnissen  fast  ganz,  die  historischen  Riickblicke 
beschranken  sich  auf  Zusammenstellungen  die  Musik  betreffender  Stellen  aus  der  Bibel  und 
antiken  Sagen.  Die  Absicht,  Laien  abzuschrecken,  ist  oft  unverkennbar,  wenn  einfache  Dinge 
in  ein  geheimnisvolles  Gewand  gekleidet  und  wichtige  Punkte  umgangen,  offenbar  mundlicher, 
unmittelbarer  Unterweisung  vorbehalten  werden.  Auch  die  Notationspraxis  zeigt  vielfach 
dieses  Bestreben.  Neben  den  grofien  Kompendien  erscheinen  zahlreiche  Traktate  iiber  Einzel 
gebiete.  Erst  vom  13.  Jahrhundert  an  ftihrt  die  durch  das  Oberhandnehmen  der  Mehrstimmig- 
keit  erfolgte  vollstandige  Anderung  der  Musikverhaltnisse  zur  allmahlichen  Ablosung  von  der 
antiken  Theorie,  aber  freilich  erst  recht  nicht  zum  Interesse  fur  die  musikalische  Vergangenheit. 

Die  seit  dem  14.  Jahrhundert  immer  wieder  einsetzenden  Renaissancebestrebungen 
bringen  mit  der  empirischen  und  rationalistischen  Philosophic,  dem  Humanismus  und  der 
Erfindung  des  Buchdrucks  auch  der  Musikwissenschaft  neue  Antriebe.  Die  Autoren  befleifiigen 
sich  klarerer  Formulierungen  und  im  16.  Jahrhundert  (theoretische  Hauptwerke  Henricus 
Loritus  Glareanus  ,,Dodekachordon ',  Basel  1547,  und  Gioseffo  Zarlino  ,,Istituzioni  har- 
moniche",  1558,  ,,Dimostrazioni  harmoniche",  1571,  ,,Sopplimenti  musicali",  1588)  erwacht 
endlich  auch  historisches  Interesse,  allerdings  nur  fur  die  antike  Musik.  Dieses  Interesse  lauft 
in  Plane  zur  Wiederbelebung  der  griechischen  Tonkunst  aus  und  unternimmt  drei  Vorstofie 
in  die  musikalische  Praxis  (um  1500  die  ,,Humanistenodeni<,  um  1540  die  ,,Neue  Chromatik" 
im  Madrigal,  um  1580  die  ,,Monodie").  Die  gleichzeitig  einsetzende  starke  Vermehrung  der 


Musikwissenschaft  ]  235 


Literatur,  besonders  der  gesangs-  und  instrumentaltechnischen,  geht  mit  auf  die  groBere 
Verbreitungsmoglichkeit  solcher  Werke  durch  den  Buchdruck  zurlick. 

Auch  das  17.  Jahrhundert  und  die  erste  Halfte  des  18.  kennt  historische  Aufmerksamkeit 
nur  fur  die  antike  Musik.  Die  grofien  Kompendien  freilich  (von  Marin  Mersenne,  1588 
bis  1648,  Giovanni  Battista  Doni,  1593—1647,  Rene  Descartes,  1596—1650,  Athana- 
sius  Kircher,  1602 — 80,  und  anderen)  weisen  eine  solche  Materialflille  und  Grundlichkeit 
auf,  dafi  die  Hb'he  der  antiken  Musiktheorie  endlich  wiedererreicht  erscheint,  wenn  auch  unter 
ganz  andern  Verhaltnissen ;  daran  andert  der  Umstand  nichts,  da8  neben  ausgezeichneten  Be- 
obachtungen  oder Deduktionen  Beweise  naivster  Vertrauensseligkeit  fremden  ,,Beobachtungen" 
gegeniiber  stehen.  Auch  die  padagogischen  Spezialarbeiten  der  Zeit  (von  Caccinis  Vorrede 
zuden  ,,Nuove  musiche",  1602,  und  Michael  Prat  or  i  us*  ,,Syntagma  musicum",  1615—20, 
bis  zu  Pier  Francesco  Tosis  ,,Anleitung  zur  Singkunst",  1723,  Joachim  Quantz'  ,,Versuch 
einer  Anweisung,  die  Flote  traversiere  zu  spielen",  1752,  Philipp  Emanuel  Bachs  ,,Versuch 
iiber  die  wahre  Art,  das  Clavier  zuspielen",  1753—62,  und  Leopold  Mozarts  ,,Versuch  einer 
griindlichen  Violinschule",  1 756)  lassen  an  Grundlichkeit  und  Klarheit  nichts  zu  wiinschen  tibrig. 

Erst  die  zweite  Halfte  des  18.  Jahrhunderts,  das  Zeitalter  der  Aufklarungsphilosophie,  wandte 
ihr  Interesse  der  Kunst  der  Vergangenheit  zu  und  zwar  bezeichnenderweise  unter  Englands 
Fiihrung.  Wie  nach  Eintritt  des  Verfalls  der  griechischen  Musik  im  4.  Jahrhundert  vor  Christus 
die  Musiktheorie  emporgebliiht  war,  so  traten  in  England  nach  dem  Versiegen  der  eigenen 
Produktion  (um  1700)  Theorie  und  Geschichte  der  Musik  in  den  Gesichtskreis  zahlreicher 
Musikbeflissener.  1710  begriindete  Dr.  Johann  Christoph  Pepuschin  London  die  „ Academy 
of  ancient  music"  und  1776  erschienen  ,,A  general  history  of  the  science  and  practice  of  music*' 
von  John  Hawkins  (1719—1789)  und  der  erste  Band  von  ,,A  general  history  of  music"  des 
Dr.  Charles  Burney  (1726—1814,  letzter  Band  1789).  Vorher  (1756)  hatte  freilich  schon  das 
Werk  eines  Italieners  zu  erscheinen  begonnen,  die  ,,Storia  della  musica"  von  Padre  Giam- 
battista  Martini  (1706—84,  letzter  Band  1781),  doch  kam  dieser  iiber  die  griechische  Musik 
nicht  hinaus,  wahrend  die  beiden  englischen  Musikgeschichten  den  gesamten  Stoff  erledigten. 
1780  folgte  dann  der  ,, Essay  sur  la  musique  ancienne  et  moderne"  von  Jean  Benjamin  de 
Labor de  und  1788—1801  das  erste  deutsche  Werk  dieser  Art,  die  ,,AUgemeine  Geschichte 
der  Musik"  von  Johann  Nikolaus  Forkel  (1749—1818),  die  leider  mit  dem  Jahre  1500  ab- 
schliefit,  Ein  ahnliches  Schicksal  hatten  die  spateren  Werke  von  August  Wilhelm  Ambros 
(1816—76)  ,,Geschichte  der  Musik"  (1862—82  erschienen,  geht  bis  zum  Beginn  des  17.  Jahr 
hunderts)  und  Francois  Joseph  F6tis  (1784—1871),  ,,Histoire  generale  de  la  musique"  (er 
schienen  1869—75,  reicht  bis  1500).  Die  Oberfulle  des  Materials  erforderte  eben  Speziali- 
sierung  der  Forschungsarbeit  und  so  ist  es  erklarlich,  dafi  selbst  das  ,,Handbuch  der  Musik- 
geschichte"  von  Hugo  Riemann  (1905 — 13  erschienen)  trotz  des  Versuches  der  Zusammen- 
fassung  nur  als  eine  Folge  von  Spezialstudien  iiber  einzelne  Probleme  erscheint,  die  den  Autor 
besonders  fesselten.  Die  englische  ,,0xford  history  of  music"  (1901—05  erschienen)  suchte 
die  Aufgabe  durch  Zuweisung  der  einzelnen  grofien  Epochen  an  verschiedene  Bearbeiter  zu 
erfiillen  (H.  Ellis  Wooldndge,  Hubert  H.  Parry,  John  Alexander  Fuller  -Maitland, 
William  Harry  Hadow,  Edward  Dannreuther),  wahrend  die  von  Hermann  Kretzschmar 
herausgegebenen  ,,Kleinen  Handbiicher  der  Musikgeschichte"  den  Stoff  in  seine  Einzelgebiete 
(Instrumentalkonzert,  Qratorium,  Motette,  Messe,  Lied  usw.)  auflosen,  die  von  SpezialJsten 


]236  Musikwissenschaft 


bearbeitet  werden.  Einen  ganz  neuen,  beide  eben  erwahnten  Arbeitsmethoden  kombmierenden 
Weg  schlagt  das  vorliegende  Handbuch  ein,  das  im  Rahmen  eines  einheitlichen  Werkes  Spe- 
zialistenarbeiten  iiber  die  einzelnen  Perioden  und  Abschnitte  der  Entwicklung  zusammen- 
schliefit.  Sehr  zahlreich  sind  dagegen  seit  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  die  kompilatorisch 
gearbeiteten  Handbiicher,  von  denen  genannt  seien  Arrey  von  Dommers  ,, Handbuch  der 
Musikgeschichte"  (3.  Auflage  1914  von  Arnold  Sobering  neubearbeitet),  August  ReiB- 
manns  ,,Allgemeine  Geschichte  der  Musik*',  John  Frederic  Rowbothams  ,,A  history  of 
music",  Adolf  Prosniz'  , Compendium  der  Musikgeschichte*',  Emil  Naumanns  ,,Illustrierte 
Musikgeschichte*'  (neubearbeitet  von  Eugen  Schmitz  1908),  Heinrich  Adolf  Kostlins 
,,Musikgeschichte  im  Umrifi",  Karl  Storcks  ,, Geschichte  der  Musik",  Hugo  Riemanns 
,,Kleines  Handbuch  der  Musikgeschichte"  und  Johannes  Wolfs  ,, Geschichte  der  Musik." 
Die  Hauptmasse  der  modernen  musikhistorischen  Literatur  bilden  naturgemafi  Spezialarbeiten 
und  Biographien;  letztere  werden  ebenfalls  seit  den  englischen  Forschern  am  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  (z.  B.  Hawkins' Monographic  liber  Corelli  1777)  reichlicher.  Die  metho- 
disch  und  in  ihren  Resultaten  wichtigsten  Lebensbeschreibungen  sind  in  den  Literatur- 
angaben  der  einzelnen  Abschnitte  des  Handbuches  verzeichnet. 

Die  musikgeschichtlichen  Arbeiten  bis  ungefahr  1800  waren  nach  dem  Prinzip  abgefaflt, 
die  Erkenntnis  iiber  eine  Zeit  einzig  deren  eigenen  AuBerungen  zu  entnehmen.  Die  Methode 
besteht  also  in  der  Aneinanderreihung  und  Auslegung  von  Zitaten  aus  Schriftstellern  des  be- 
treffenden  Zeitraumes,  erhartet  und  erlautert  durch  Musikbeispiele.  So  entstehen  in  erster 
Linie  grofie  Materialsammlungen.  Die  erste  Halfte  des  1 9.  Jahrhunderts  schuf  zwei  weitere 
Arbeitsweisen :  eine  rein  gefiihlsmafiige,  vom  Standpunkt  des  ,, modernen**  Musikers  aus 
asthetisierende  und  eine  an  die  altere  Methode  ankniipfende,  die  aber  auch  der  eigenen  An- 
schauung  und  sachlichen  Beurteilung  ihren  Platz  einraumt.  Dabei  wird  auf  sprachlich  vollendete 
Darstellung  gesehen  und  nur  das  Ergebnis,  nicht  der  zu  diesem  fiihrende  analytisch-synthe- 
tische  Weg  vorgefiihrt.  Den  Hohepunkt  dieser  z.  B.  von  Rafael  Kiesewetter  in  seiner  ,,Ge~ 
schichte  der  europaisch-abendlandischen  und  unserer  heutigen  Musik'*  (1834)  vertretenen 
Arbeitsweise  bilden  die  Werke  von  Ambros  und  F&is.  Natiirlich  fehlt  es  nicht  an  alien  er- 
denklichen  Verquickungen  der  asthetisierenden  und  der  exakten  Geschichtsschreibung.  Seither 
ist  man  bemiiht,  da's  Asthetisieren  zu  einer  wirklichen  Musikasthetik  auszubauen  und  so  den 
Inhaltsproblemen  der  Tonkunst  beizukommen  (Hermann  Kretzschmars  ,,Musikalische 
Hermeneutik'*).  Andererseits  wurde  von  Guido  Adler  die  exakte  stilkritische  Methode  be- 
hufs  Ausbaues  einer  kompositionstechnisch,  kulturhistorisch,  psychologisch  und  iisthetisch 
fundierten  Stilgeschichte  begriindet  und  erlautert  (,,Stil  in  der  Musik'*  und  ,,Methode  der 
Musikgeschichte**).  Letzterer  Arbeitsweise  haben  besonders  die  analytischen  Untersuchungen 
der  englischen  Forscher  George  Grove  (1820—1900),  Ebenezer  Prout  (1835—1909)  u.  a, 
vorgearbeitet.  Selbstverstandlich  wird  als  Kontrolle  der  Autopsie  nach  wie  vor  die  eigene 
Literatur  der  zu  untersuchenden  Epoche  herangezogen  und  grofies  Gewicht  auf  die  Wirkung 
moglichst  originalgetreuer  Auffiihrungen  alter  Musik  gelegt.  Der  Ermoglichung  dieser  Kon- 
trollmittel  dienen  Neuausgaben  alterer  Tonwerke  und  Musiktraktate,  hervorgegangen  aus  den 
Notenbeispielen  und  Zitaten  der  ersten  Geschichtswerke.  Die  erste  grofie  Sammlung  mittel- 
alterlicher  Musiktheoretiker  sind  die  ,,Scriptores  ecclesiastici  de  musica  sacra  potissimum4'  des 
Furstabtes  Martin  Gerbert  (1784  erschienen,  1908  neu  gedruckt),  1864—76  folgten  die 


Musikwissenschaft  1 237 


,,Scriptores  de  musica  medii  aevi"  von  Charles  Edmond  Henry  de  Cousse maker  (gleichfalls 
1908  neu  aufgelegt).  Ein  Internationales,  von  Guido  Adler  geleitetes  ,,Corpus  scriptorum  de 
musica"  mufite  vorlaufig  zuriickgestellt  werden.  1771  veranstaltete  Burney  eine  Ausgabe  der 
Gesange  der  Karwoche  in  der  Sixtinischen  Kapelle  zu  Rom  und  gab  damit  den  Anstofi  zu 
zahlreichen  mehr  oder  weniger  originalgetreuen  Editionen  alterer  Musik,  die  in  der  zweiten 
Halfte  des  19.  Jahrhunderts  durch  die  wissenschaftlich-kritischen  Gesamt-  und  Denkmaler- 
ausgaben  abgelost  wurden.  Diese  sind  in  den  Literaturverzeichnissen  der  einzelnen  Kapitel 
des  Handbuches  zu  ersehen;  in  Deutschland  beziehungsweise  Osterreich  verkniipfen  sich  da 
mit  in  erster  Linie  die  Namen  der  Forscher  Friedrich  Chrysander  (1826—1901),  Robert 
Eitner  (1832—1905),  Franz  Commer  (1813—1887),  Otto  Kade  (1819—1900),  Philipp 
Spitta  (1841—94),  Guido  Adler  (geb.  1855),  Rochus  Freih.  von  Liliencron  (1820—1912), 
Hermann  Kretzsch mar  (1848— 1924)  und  Adolf  Sandberger  (geb.  1864).  Ein  1887  den 
Regierungen  von  Osterreich  und  Deutschland  vorgelegter  Plan  Guido  Adlers,  die  musikalischen 
Denkmaler  aller  Kulturnationen  im  Verein  herauszugeben,  fand  in  Deutschland  keine  Folge 
und  es  begannen  1892  die  ,,Denkmaler  deutscher  Tonkunst"  und  1894  die  ,,Denkmaler  der 
Tonkunst  in  Osterreich*'  zu  erscheinen.  Die  wichtigsten  aufierdeutschen  Denkmaler-Edi- 
toren  sind  fur  Frankreich:  Henry  Expert  (geb.  1863),  Alexander  Guilmant  (1837  bis 
1911),  Vincent  d'Indy  (geb.  1851)  und  Charles  Malher be  (1853—1911),  fur  Italian: 
Gaetano  Cesari  (geb.  1870),  Oskar  Chilesotti  (1848—1916)  und  Luigi  Torchi  (1858 
bis  1920),  fur  England:  John  Alexander  Fuller-Maitland  (geb.  1856),  William  Barclay 
Squire  (geb.  1855)  und  H.  Ellis  Wooldridge  (geb.  1845),  fur  die  Niederlande: 
Robert  JulienvanMaldeghem(1810— 1893)  und  Albert  Smijers  (geb.  1888),  fiirSpani  en: 
Francesco  Asenjo  Barbieri  (1823—1894),  Don  Miguel  Hilarion  Eslava  (1807—1878)  und 
Felipe  Pedrell  (1841-1922),  fur  Polen:  Josef  Surzyriski  (1851-1919). 

Mit  einem  Teile  der  eben  angefiihrten  Namen  ist  auch  die  Aufstellung  und  Inswerksetzung 
der  modernen  Musikwissenschaft  verbunden.  Chrysander  liefi  1863  und  1867  ,Jahr- 
biicher  fiir  musikalische  Wissenschaft"  erscheinen,  deren  1 .  Band  eine  knappe  programmatische 
EJnleitung  enthalt.  1 884  begriindete  Adler  mit.Chrysander  und  Philipp  Spitta  die  ,,Viertel- 
jahrsschrift  fiir  Musikwissenschaft*',  deren  Programm  die  eingangs  zitierte  Studie  Adlers 
iiber  ,,Umfang,  Methode  und  Zicle  der  Musikwissenschaft"  festlegte.  Damit  war  der  Begriff 
aufgestellt  und  scharf  umrissen  und  gleichzeitig  ein  wissenschaftliches  Organ  fiir  Arbeiten  auf 
alien  Teilgebieten  geschaffen.  Die  Musikologie  wuchs  sich,  ausgehend  von  den  (oft  sehr 
merkwiirdigen)  Notizen  der  Forscher  des  17.  und  18.  Jahrhunderts,  im  19.  zur  ,,Verglei~ 
chenden  Musikwissenschaft"  aus.  Die  wichtigsten  Etappen  dieser  Entwicklung  be- 
zeichnen  die  Namen  Alexander  John  Ellis  (1814—90),  Richard  Wallaschek  (1860—1917), 
Karl  Stumpf  (geb.  1 848),  Erich  M.  vonHornbostel(geb.  1877),  Julien  Tier  sot  (geb.  1857), 
Pierre  Aubry  (1874—1910)  und  Robert  Lach  (geb.  1874).  Ein  Hinweis  auf  die  machtige 
Erweiterung  der  iibrigen  Literatur  des  systematischen  Teils  der  Musikwissenschaft  ist  kaum 
notwendig.  Die  Lexikographie,  mit  dem  ,,Terminorum  musicae  difinitorium"  des  Johannes 
Tinctoris  (um  1475)  beginnend,  nahm  erst  im  Zeitalter  der  Enzyklopadisten  einen  grofieren 
Aufschwung  (Johann  Gottfried  Walthers  ,,Musikalisches  Lexikon",  1732,  J.J.Rousseau, 
,,Dictionnaire  de  musique**,  1767),  hatte  in  der  Zeit  der  ersten  Musikgeschichten  ihren  Haupt- 
vertreter  in  Ernst  Ludwig  Gerber  (Lexika  von  1791 — 92  und  1812 — 14)  und  wuchs  im 


]  238  Musikwissenschaft 


19.  Jahrhundert  seit  der  ,,Biographie  universelle  des  musicians"  von  Fetis  (1837—44)  gewaltig 
an.  Nur  Riemanns  ..Musildexikon"  und  George  Groves  Dictionary  of  music  and  musi 
cians*'  seien  hier  genannt. 

Mit  den  .Jahrbiichern"  Chrysanders  und  der  ,,Vierteljahrsschrift"  haben  wir  das 
Gebiet  periodischer  Veroffentlichungen  betreten. 

Rein  musikwissenschaftliche  Tendenz  vertreten  die  ,,Monatshefte  fur  Musikge- 
schichte"  (redigiert  von  Robert  Eitner,  1869—1905),  ,,Kirchenmusikalisches  Jahr- 
buch"  (1886—1911),  die  Publikationen  der  ,,Internationalen  Musikgesellschaft" 
(,,Zeitschrift",  ,,Sammelbande'  ',  ,,Beihefte' ',  ,,Kongrefiberichte",  1899—1914),  das  ,,Jahr~ 
buch  der  Musikbibliothek  Peters"  (seit  1895),  die  ,,Zeitschrift  fiir  Musik 
wissenschaft"  der  Deutschen  Musikgesellschaft  (seit  1918)  und  das  ,,Archiv  fiir 
Musikwissenschaft"(1918—  1 927)  des  Musikwissenschaftlichen  Instituts  in  Biickeburg1) ; 
als  Jahrbiicher  erscheinen  seit  1913  die  ,,Studien  zur  Musikwissenschaft,  Bei- 
hefte  der  Denkmaler  der  Tonkunst  in  Osterreich".  Von  nichtdeutschen  Or- 
ganen  dieser  Art  sind  besonders  hervorzuheben :  ,,Rivista  musicale  Italiana"  (Bocca, 
Turin,  seit  1894),  ,,Tribune  de  St.  Gervais"  (seit  1895),  ,,Revue  musicale'  (seit  1901, 
neu  1920),  ,,The  musical  Antiquary"  (1909—13),  ,,The  musical  Quarterly"  (New  York, 
seit  1915),  ,,Tijdschrift  der  Vereeniging  voor  Noordnederlands  Muziekgeschiedenis", 
,,Svensk  Tidskrift  for  Musikforskning"  (seit  1919). 

Die  wichtigsten  verstorbenen  Musikwissenschaftler  des  19.  und  20.  Jahrhunderts  aufier  den 
schon  Genannten  sind:  Hermann  A b e r  t  (1871  — 1927,  Antike,  Oper,  Mozart),  Pierre  Aubry 
(1874—1910,  Hauptgebiet:  Ars  antiqua),  Alessandro  Ademollo  (f  1891,  Oper),  Wilhelm 
Baumker  (1842—1905,  Katholisches  Kirchenlied),  Friedrich  Bellermann  (1795—1874, 
griechische  Musik),  Heinrich  Bellermann  (1832 — 1903,  Notation  und  Theorie  der  a-cappella- 
Zeit),  Eduard  Bernoulli  (1867—1927  Notation,  Musik  der  Renaissancezeit),  Michel 
Brenet  (1858-1918),  Georges  Cucuel  (1889-1918),  Lionel  Dauriac  (1847-1923), 
M.  Dietz  (1857-1928),  Jules  Ecorcheville  (1872—1915),  Ludwig  Erk  (1807—83, 
deutsches  Volkslied),  Gaetano  Gaspari  (1807—1881),  August  Gevaert  (1828—1908, 
griechische  Musik),  Franz XaverHaber  1(1840 — 1910,  Gregorianischer Choral  und  a~cappella~ 
Musik),  Eduard  Hanslick  (1825-1904,  Asthetik),  Friedrich  von  Hausegger  (1837—1899), 
Ottokar  Hostinsky  (1*847-1910),  Gustav  Jacobsthal  (1845—1912,  Notation  und  Theorie 
des  Mittelalters),  Otto  Jahn  (1813—69,  Mozart),  Carl  von  Jan  (1836—99,  antike  Theorie), 
Ludwig  von  Kochel  (1800—77,  Wiener  Hofkapelle,  J.  J.  Fux,  Mozart),  Victor  Mahillon 
(1841-1924),  Eusebius  Mandyczewski  (1857—1929),  Adolf  Bernhard  Marx  (1795 
bis  1866,  Beethoven,  Kompositionslehre),  Don  G.  Morphy  (1836 — 99,  spanische  Lauten<- 
musik),  Ludwig  Nohl  (1831—1885,  Musik  des  18.  und  19.  Jahrhunderts),  Federico  Pari- 
sini  (1825-1891),  Dom  Joseph  Pothier  (1835-1923,  Choral),  Arthur  Pougin  (1834 
bis  1921),  Karl  Ferdinand  Pohl  (1819-87,  Haydn),  Hemy  Quitta  rd  (1864-1919),  Hein 
rich  Rietsch  (1860-1927,  Minnesanger,  18.  und  19.  Jahrhdt),  August  Gottfried  Ritter 
(1811—1885,  Orgelmusik),  D.F.Scheurleer  (1855-1927),  Anton  Schmid  (1787—1857, 
Gluck),  A.  Seidl  (1863-1928),  0.  G.  Sonneck  (1873-1928,  Leiter  der  Musikabteilung 
der  Library  of  Congrefi  in  Washington),  Philipp  Spitta  (1841  —  1894,  Bach  und  seine  Zeit, 

*)  Die  der  Musikkritik  zugewendeten  Zeilschriften  s.  S.  1241  ff. 


Musikwissenschaft  ]  239 


Schiitz),  Edmund  van  der  Straeten  (1826—1895,  niederlandische  Musik),  Alexander 
Wheelock  Thayer  (1817—97,  Beethoven),  Luigi  Alberto  V  ill  an  is  (1863—1906),  Joseph 
von  Wasielewski  (1822 — 96,  Instrumentalmusik  des  16.— 18.  Jahrhunderts,  Schumann), 
J.B.Weckerlin(1821— 1910),CarlWeinmann(1873-1929),A.Wei6mann(1873-1929), 
Karl  Friedrich  Weitzmann  (1808—1880,  Klaviermusik),  Rudolph  Westphal  (1826—92, 
antike  Musik  und  Theorie),  Karl  von  Winterfeld  (1784—1852,  protestantische  Kirchen- 
musik,  G.  Gabrieli  und  seine  Zeit),  Philipp  Wolf  rum  (1854—1919,  evangel.  Choral,  Bach), 
Theodor  de  Wyzewa  (1862-1917,  Mozart).  • 

Seit  der  Errichtung  musikwissenschaftlicher  Lehrkanzeln  und  Arbeitsinstitute  an  Uni- 
versitaten  und  andern  Hochschulen  sind  unter  Fiihrung  hervorragender  Fachvertreter  ganze 
Schulen  von  Forschern  entstanden.  In  Deutschland  und  Osterreich  kommen  in  erster  Linie 
in  Betracht:  Wien  (Guido  Adler),  Berlin  (Philipp  Spitta  und  Hermann  Kretzschmar), 
Leipzig  (Hugo  Riemann),  Miinchen  (Adolf  Sandberger),  Strafiburg  (Gustav  Jacobsthal). 
Der  Wiener  Schule  gehoren  u.  a.  an:  Hugo  Botstiber,  Erwin  Felber,  Rudolf  Picker, 
Wilhelm  Fischer  (Innsbruck),  Josef  Gregor,  Zdzistaw  Jachimecki  (Krakau),  Knud Jep- 
pesen  (Kopenhagen),  Adolf  Koczirz,  Oswald  Koller,  Ernst  Kurth  (Bern),  Josef  Man- 
tuani  (Laibach),  Alfred  Orel,  Dobroslav  Orel  (Prefiburg),  Heinrich  Rietsch  (Prag), 
Albert  Smijers  (St.  Michielsgestel),  Egon  Wellesz,  Josef  Zuth.  Heinrich  Rietsch  hat 
in  Prag  eine  eigene  Schule  begriindet,  der  Robert  Lach,  Robert  Haas  und  Paul  Nettl  ent- 
stammen.  Philipp  Spittas  Schiller  sind  u.  a.  Franz  Bolsche,  Oskar  Fleischer,  Max 
Friedlander,  Hermann  Gehrmann,  Karl  Krebs,  Willibald  Nagel,  Karl  Pasler,  Adolf 
Sandberger,  Rudolf  Schwartz,  Max  Seiffert,  Hermann  Springer,  Emil  Vogel,  Jo 
hannes  Wolf.  Von  Hermann  Kretzschmar  resp.  Johannes  Wolf  wurden  herangebildet : 
Hermann  Abert,  Wilhelm  Gustav  Beckmann,  Eduard  Bernoulli,  Edward  Buhle,  Hans 
David,  Wolfgang  Graeser,  Karl  Hasse,  Alfred  Heufi,  Otto  Kinkeldey,  Wilhelm 
Krabbe,  Torben  Krogh,  Josef  Kromolicki,  Robert  Lachmann,  N.  Lott,  Kathi 
Meyer,  Hans  J.  Moser,  Karl  Nef,  Friedrich  Noack,  Arthur  Priifer,  Curt  Sachs, 
Arnold  Schering,,  Max  Schneider,  Georg  Schiinemann,  Adam  Soltys,  Arno  Wer 
ner,  Werner  Wolffheim,  Philipp  Wolfrum.  Auch  Hugo  Leichtentritt  und  Albert 
Mayer -Reinach  entstammen  der  Berliner  Schule.  Enkelschuler  Kretzschmars  sind 
Moritz  Bauer  (Bernoulli),  Hans  Schnoor  (Schering)  und  Fritz  Stein  (Wolfrum). 
Gustav  Jacobsthals  bedeutendste  Schiiler  sind  Friedrich  Ludwig  und  Peter  Wagner; 
aus  des  ersteren  Schule  sind  Higini  Angles,  Heinrich  Besseler,  Friedrich  Gennrich, 
August  Mahrenholz,  Josef  M.  Miiller-Blattau  und  H.  Spitta  hervorgegangen,  aus 
Wagners  Schule  Karl  Weinmann  und  Josef  Gmelch.  Hugo  Riemann  leitete  die  musik- 
wissenschaftliche  Ausbildung  von  Gustav  Becking,  Bernhard  Engelke,  Wilibald  Gurlitt, 
Kurt  Rudolf  Mengelberg,  Karl  Mennicke,  Oskar  von  Riesemann,  Rudolf  Steglich, 
Albert  Thi  erf  elder  u.  a.  Adolf  Sandberger  bildete  u.  a.  heran:  Ernst  Biicken,  Adolf 
Chybinski,  Alfred  Einstein,  KarlG.  Fellerer,  Edgar  Istel,  Theodor  Kroyer,  Alfred  0. 
Lorenz,  Erich  Schenk,  Ludwig  Schiedermair,  Eugen  Schmitz,  Hans  Scholz,  Oskar 
Son  neck,  Hermann  Stephani,BertaAntonia  Wai  In  er,  Theodor  Wilhelm  Werner.  Theodor 
Kroyers  Schiiler  sind  Herbert  Birtner,  Hermann  H  a  Ibig,  KurtHuber,  Gustav  Friedrich 
Schmidt,  Helmut  Schultz,  Otto  Ursprung  und  Hermanr  Zenck.  Mehr  oder  weniger 


]  240  Musikwissenschaft 


autodidaktisch  war  der  musikwissenschaftliche  Studiengang  von  Theodor  Frimmel,  Georg 
Kinsky,KarlStiehl, Hermann  W.Walt  ershausen, Ernst  von  WerraundFriedrichZelle. 

Die  wichtigsten  lebenden  Vertreter  der  franzosischen  Musikwissenschaft  auCer  den 
schon  Genannten  sind  Paul  Bergmans  (Belgier),  Ch.  van  den  Borren  (Belgier),  Jean 
Chantavoine,  Ernest  Gloss  on  (Belgier),  Maurice  Emmanuel,  Amedee  Gastoue,  Louis 
Laloy,  L.  de  la  Laurencie,  Dom  Andre  Mocquereau,  Andre  Pirro,  J.  G.  Prod'- 
homme,  Henry  Prunieres,  Remain  Rolland,  Georges  Comte  de  Saint-Foix,  Albert 
Schweitzer,  J.B.E.  Julien  Tiersot,  A.  Wotquenne  (Belgier).  Von  englischcn  Musik- 
forschern  waren  aufier  den  schon  genannten  Mitarbeitern  der  ,, Oxford  musical  history"  und 
Editoren  noch  Herbert  Antcliffe,  Henry  Davey,  Edward  Deht,  R.  W.  H.  Frere, 
W.  J.  Lawrence,  John  South  Shedlock  und  A.  H.  Fox  Strangways  anzufiihren. 
Italian  ist  durch  Arnaldo  Bonaventura,  Leonida  Busi,  Raffaele  Casirniro  Casimiri, 
Gaetano  Cesari,  Stefano  Davari,  Lodovico  Frati,  Salvatore  di  Giacomo,  Guido 
Pannain,  Giuseppe  Radiciotti,  Corrado  Ri  cci ,  G.  Tebaldini,  Fausto  Torrefranca, 
Francesco  Vatielli  u.  a.  vertreten,  Schweden  durch  Tobias  Norlind,  Norwegen 
durch  0.  M.  Sandvik  und  Gerh.  Schjelderup,  Finnland  durch  Ilmari  Krohn,  Heikki 
Klemetti  und  Toivo  Haapanen,  Rutland  durch  Jean  Baptist  Thibaut.  IndenVei- 
einigten  Staaten  von  Nordamerika  wirken  besonders  Carl  Engel,  Waldo  Pratt 
und  Albert  Stanley.  Die  Erforschung  des  judischen  Tempelgesanges  hat  sich  A.  Z.  Idel- 
sohn  zur  Aufgabe  gemacht. 

Von  lebenden  Musikforschern  und  -schriftstellern  seien  noch  genannt  (ohne  Anspruch 
auf  Vollstandigkeit) : 

A.  Aber,  W.  Altmann,  M.  Arend,  H.  Bauerle,  G.  Bagier,  P.  Bekker,  F.  K.  Benndorf, 
H.  Bewerunge,  E.  Bezecny,  0.  Bie,  I.  Biehle,  E.  Bienenfeld,  F,  Blume,  I.  Branberger, 
R.  Buchmayr,  M.  Burkhardt,  G.  Calmus,  A.  E.  Cherbuliez,  H.  Daffner,  E.  Decscy, 
I.  Dimitrowitsch  Engel,  R.  Englander,  H.  Erpf,  M.  Graf,  P.  Griesbacher,  K.  Grunsky, 

F.  Gysi,  A.  Hammerich,  M.  Hasse,  W.  Heinitz,  VI.  Helfert,  R.  St.  Hoffmann,  R.  H.  Hohen- 
emser,    W.   Kahl,     L.   Kamiensky,    J.   Kapp,     0.    Kaul,    H.   Keller,     A.  M.   Klafsky, 
W.  Klatte,  Karl  Kobald,  H.  Kralik,  L.  Landshoff,  A.  Leitzmann,  L.  v.  Liitgendorff,  P.  Mar- 
sop,  W.  Merian,  H.  Mersmann,  E.  Meumann,   K.  G.  Meyer,  P.  Mies,  P.  R.  F.  Molitor, 

G.  Molnar,  P.  Moos,  E.  und  H.  Miiller,  K.  Navratil,  Karl  Nef,  A.  Neisser,  Zd.  Nejedly, 
W.  Niemann,  H.  v.  d.  Pfordten,   S.  Pisling,   A.  Polinski,  R.  v.  Prochazka,  E.  Refardt, 
J.  L.  ReiC,   G.  Renker,   L.  Riemann,  E.  Rychnowski,   K.  L.  Schaefer,   X.  Scharwenka, 
H.  Schenker,    F.  Scherber,    Leopold,    Ernst,    Karl,    Anton,    W.  Schmidt,    A.  Schmitz, 
G.  Schulz,     K.  Singer,    J.  Smend,    R.  Sondheimer,    R.  Specht,    H.  Spies,    Fr.  Spitta, 
H.  Springer,  P.  Stefan,  R.  Stein,  E.  Steinhard,  M,  Steinitzer,  H.  Stephani,  Jose  Subira" 
Puig,   G.  Thouret,  W.   Trendelenburg,  B.  Ulrich,  M.   und   G.  H.  Unger,    F.  Volbach, 
C.  Vivell,  F.  W.  Walter,  F.  Weingartner,  J.  H.  Wetzel,  L.  und  E.Wolff,  H.  P.  v.  Wolzogen. 

Dem  Vorgang  der  Komponisten  folgend,  die  namentlich  zurZeit  der  Romantikim  19.  Jahr- 
hundert  sich  schriftstellerisch  betatigten,  wie  in  hervorragender  Weise  Berlioz,  Schumann, 
Liszt,  Wagner,  Cornelius,  Saint-Saens,  A.  Boito,  haben  auch  Tonsetzer  unserer  Zeit  ihre 
,,Bekenntnisse"  mitgeteilt,  so  V.  Stanford,  H.  Parry,  F.  B.  Busoni,  H.  Pfitzner,  A.  Schon- 
berg  u.  a.  Wilhelm  Fischer 


MUSIKKRITIK 

Mit  der  Ausbildung  der  als  Musikkritik  bezeichneten  Funktion  und  mit  der  Sicherung 
der  Grundlage,  auf  welcher  diese  Funktion  moglich  wird,  hat  der  Begriff  Musikkritik  eine 
Umgrenzung  gewonnen.  Musikkritik  im  engeren  Sinne  dieses  Begriff s  setzt  eine  standige 
und  offentliche  Musikiibung  voraus  und  ein  Instrument,  welches  die  musikkritische  Aufierung 
verbreitet.  Dieses  Instrument  ist  die  periodische  Presse.  So  wird  jetzt  unter  Musikkritik 
die  mehr  oder  minder  regelmafiig  fur  die  Offentlichkeit  verantwortlich  gegebene  Urteils- 
aufierung  u'ber  musikalische  Werke  und  Leistungen  verstanden.  Urteile  iiber  Zustande  und 
Einrichtungen  des  Musiklebens  greifen  in  den  Bereich  der  Musikpolitik  iiber:  sie  sind  nur 
in  einem  uneigentlichen  Sinne  zur  Musikkritik  zu  rechnen. 

Die  musikkritischen  Anfange  reichen  bis  zum  Beginn  des  1 8.  Jahrhunderts  zuriick.  Dber 
Ansatze  und  Versuche,  die  in  alteste  Zeiten  zuriickfuhren,  hat  Arnold  Schering  wertvolles 
Material  zusammengetragen.  Die  englischen  und  franzosischen  Zeitschriften,  das  ,,Gentle- 
rnans  Magazine**,  Addisons  ,, Spectator",  der  ,,Tatler",  ,,der  ,,Mercure  galant",  bezogen 
musikalische  Dinge  und  Ereignisse  in  ihrer  Gesellschaftsbetrachtung  ein.  Urteile  und  Be- 
richte  in  Reisedarstellungen,  in  Korrespondenzen,  in  asthetischen  und  historischen  Werken 
suchten  Ersatz  zu  geben  fiir  die  regelmafiige  kritische  Information  iiber  musikalische  Dinge. 
Burney  fiigt  in  den  dritten  Band  seiner  General  History  einen  ,,Essay  on  musical  criticism4' 
ein,  in  welchem  er  das  Nichtvorhandensein  einer  Musikkritik  in  England  bedauernd  fest- 
stellt  und  mit  psychologischer  Einsicht  Winke  fiir  die  Urteilsfindung  gibt.  Zu  der  Zeit,  wo 
Burney  schrieb,  war  in  Deutschland  bereits  eine  musikkritische  Fachpresse  begriindet.  Der 
Weg,  derdicseEntwicklungbezeichnet,  beginntbeiMattheson.  Seine,, Critica musica" ( 1722), 
sein  ,,Musikalischer  Patriot"  (1728),  Lorenz  Mizlers  ,,Musikalische  Bibliothek"  (1736), 
Scheibes  ,,Critischer  Musicus"  (1737),  Marpurgs  ,,Historisch-Kritische  Beitrage  zur  Auf- 
nahme  der  Musik"  (1755)  und  ,,Kritische  Briefe  iiber  die  Tonkunst"  (1760)  bezeichnen  die 
Hauptstationen.  Diese  altesten  musikalischen  Zeitschriften  waren  stiickweise  erscheinende 
Arbeiten  eines  einzelnen  Autors  iiber  musikasthetische  Gegenstande,  durch  dogmatische 
Enge  und  hemmungslosc  Streitsucht  gezeichnet.  Grundsatzliche  Polemik,  mit  mafiloser 
Grobheit  gefiihrt,  erdriickte  oft  die  positive  kritische  Arbeit.  Mattheson  entstellt  diehochst 
ausfuhrliche,  in  alle  Einzclheiten  gehende  Untersuchung  der  Handelschen  Johannispassion 
durch  eine  bosartige  Grausamkeit.  Zunftkritik  im  engsten  Sinne,  geht  das  Urteil  meist  vom 
Handwerksmafiigen,  von  der  theoretischen  Regel  aus.  WennMizler  sich  mit  Graefes  Samm- 
lung  verschiedcner  und  auserlesener  Oden  von  1 737  beschaftigt,  so  interessiert  ihn  im  wesent- 
Jichen  nur  die  falsche  Deklamation  und  formales  Detail.  Ein  freierer  Geist,  wie  Scheibe, 
der  Gottscheds  Bahnen  folgtc,  wurde  bei  seiner  negativen  Bachkritik,  die  sich  zu  hart- 
nackigcm  Strcit  auswirktc,  als  bewufiter  Vertreter  neuer  kiinstlerischer  Zeitideen  immerhin 
von  tieferen  Grunden  bestimrnt.  Die  individuelle  Kunsterscheinung  trat  zurikk  hinter  dem 
Interesse  an  der  asthelischen  Theorie  und  ihrer  Verteidigung.  Man  wandte  sich  nicht  an 
den  groBen  Kreis  der  Musikfreunde,  sondern  hielt  sich  an  die  Spczialkenner  und  suchte  bei 
ihnen  recht  xu  behaltcn.  Das  Urteil  wurde  in  rationalistischem  Sinne  engen  Bindungen 
untcrworfcn,  untcr  wclchen  der  Schematismus  der  Affoktenlehre  besonders  miichtig 
wurde. 


]  242  Musikkritik 


Der  Schritt  von  asthetischer  Polemik  zu  f reier  kritischer  Einstellung  gegenuber  dem  kiinst- 
lerischen  Objekt  wurde  bald  getan.  Die  Basis  der  musikliterarischen  Arbeit  wurde  verbreitert. 
Die  ,,Wochentlichen  Nachrichten  und  Anmerkungen  die  Musik  betreffend",  die  Johann 
Adam  Hiller  anonym  herausgab  (1766),  machten  zuerst  den  Versuch,  Erscheinungen  und 
Ereignisse  des  Musiklebens  in  grofierer  Mannigfaltigkeit  in  ihren  Gesichtskreis  einzubeziehen. 
Gefordert  wurde  diese  Tendenz  durch  die  zunehmende  Bewegung  im  offentlichen  Musik- 
leben.  Neben  Nachrichten  iiber  auswartige  Ereignisse  finden  sich  kritische  Berichte  iiber 
Auffuhrungen.  Langsam  erkannte  man  die  Aufgabe,  die  wir  heute  der  Musikkritik  als  eine 
der  wichtigsten  zusprechen:  das  Ganze  der  musikalischen  Erscheinungen  einfuhrend  und 
wertend  in  ein  Bild  zu  fassen.  Die  Kritik  kam  aus  der  Beschranktheit  des  Fehler  suchenden 
Rezensenten  heraus.  Sierjewohnte  sich  daran  zum  Musikliebhaber  zu  sprechen,  ihn  zu  unter- 
richten  und  aufzuklaren.  Diese  musikliterarische  Arbeit  wurde  in  den  beiden  letzten  Jahr- 
zehnten  des  achtzehnten  Jahrhunderts  besonders  rege.  Unter  den  zum  Teil  nur  kurzlebigen 
Zeitschriften  wurden  Forkels  ,,MusikaIisch-kritische  Bibliothek",  Cramers  ,,Magazin  der 
Musik", Bosslers,,MusikalischeReaI-Zeitung"wichtig.  Voglers,,Betrachtungen  der  Mann- 
heimerTonschule"vertraten  gegenuber  diesen  mehr  popularen  Organen  in  ihren  eingehenden 
Analysen  theoretische  Fachkritik.  In  Johann  Friedrich  Reichardt  erstand  eine  einflufi- 
reiche  Kritikerpersonlichkeit  von  grofiter  Aktivitat,  bedeutend  als  kiinstlerisches  und  kri- 
tisches  Temperament,  gedankenreich,  von  starkem  Mitteilungsdrange,  oft  verletzend  und 
riicksichtslos :  der  Typus  des  impulsiven  Kritikers,  ungiinstig  beeinfluBt  von  seinem  Selbst- 
bewuBtsein  als  Komponist,  widerspruchsvoll,  in  bezug  auf  die  Sachlichkeit  des  Urteils  nicht 
unanfechtbar. 

Die  Kritik  spiegelt  den  geistigen  Zustand  der  Zeit.  Nach  der  Starrheit  des  schreib-  und 
streitlustigen  Rationalismus  drangte  das  freie  Personlichkeitsgefiihl  zur  Entfaltung.  Rei 
chardt,  der  schon  friih  mit  kritischen  Broschuren  heraustrat,  gewann  durch  sein  ,,Musikali~ 
sches  Kunstmagazin"  (1782)  und  mehrere  andere  Zeitschriften  autoritativen  Einflufi.  Eine 
anonyme,  Jhm  mit  Unrecht  zugeschriebene  Publikation  ,,Bemerkungen  ernes  Reisenden  iiber 
die  1787—1788  zu  Berlin  gegebenen  offentlichen  Musiken",  rief  eine  Entgegnung  hervor, 
welche  die  erste  kritische  Arbeit  von  Karl  Friedrich  Re  11  stab  darstellt.  Dieser  hatte  nicht 
nur  den  leidenschaftlichen  Willen  zu  kritischem  Wirken,  sondern  er  fuhlte  auch  die  Eignung 
und  die  Berufung  dazu.  Die  Tageszeitungen  hatten  ihren  Interessenkreis  immer  mehr  auf 
die  Musik  ausgedehnt:  in  Berlin  befafiten  sich  die  Spenersche  und  die  Vossische  Zeitung 
vorbereitend  und  berichtend  mit  musikalischen  Werken  und  Ereignissen.  Karl  Friedrich 
Rellstab  ubernahm  1808  das  musikkritische  Amt  in  der  Vossischen  Zeitung  und  fiihrte  es 
ftinf  Jahre  hindurch  bis  zu  seinem  Tode.  In  Reichardt  und  in  K.  F.  Rellstab  formte  sich 
zum  ersten  Male  das  Bild  des  Berufskritikers.  Im  Jahre  1 798  begann  die  Allgemeine  Musicalische 
Zeitung  in  Leipzig  bei  Breitkopf  &  Hartel  zu  erscheinen:  Friedrich  Rochlitz  bereitete  den 
Weg  fur  eine  freiere  Auffassung  vom  Wesen  der  Tonkunst  und  der  schopferischen  Personlich- 
keit.,  Seine  Zeitschrift  hat  sich  den  weiten  kritischen  Blick  offen  gehalten.  Hier  erschien  um 
1810  E.  T.  A.  Hoffmann  mit  seiner  Beethovendeutung,  die  eine  geniale  kritische  Tat  und 
einen  Markstein  in  der  Geschichte  der  Musikkritik  bedeutet.  Hoffmann  vereinigt  analytischc 
Fundierung  des  Urteils  mit  einer  Intuition  der  geistigen  Krafte.  Die  romantische  Musik- 
auffassung,  die  in  einem  mystischen  Untergrund  wurzelt,  spricbt  sich  im  bildmalJigen  Er- 


Musikkritik  1243 


fassen  des  Kunstwerks  aus.  Mit  Hoffmann  erhebt  sich  die  Musikkritik  zu  Leistungen  von 
schopferischem  Eigenwert.  Auch  Carl  Maria  von  Weber  griff  in  personlicher  Art  in  die 
musikkritische  Bewegung  ein.  In  Wien  sammelte  sich  eine  ebenso  griindliche  wie  begeisterte 
Kritikarbeit  in  der  ,, Wiener  Allgemeinen  Musikalischen  Zeitung"  (1818),  wo  I.  von  Mosel. 
Kanne  und  I.  von  Seyfried  schrieben.  Gottfried  Webers  1824  begriindete  ,,Cacilia" 
gab  ernsthaften  kritischen  Arbeiten  Raum,  Adolph  Bernhard  Marx  kampfte  in  seiner  ,,Berliner 
allgemeinen  musicalischen  Zeitung"  von  1824  an  als  Wegebereiter  Beethovens  und  mufite  von 
Dorn  in  der  Cacilia  einen  Tadel  fiir  die  Einseitigkeit  horen,  die  nur  das  Hochste,  Bach  und 
Beethoven,  anerkenne.  Mit  der  Verbreiterung  des  Konzert-  und  Virtuosenbetriebs  trat  neben 
der  Beurteilung  der  Werke  die  Auffuhrungskritik  immer  mehr  in  den  Vordergrund.  Anonyme 
Beitrage,  zum  grofien  Teil  von  Dilettanten  herriihrend,  nahmen  einen  breiten  Raum  ein. 
Sie  haben  mcist  lediglich  den  Wert  eines  Tatsachenberichts.  Die  Anonymitat  der  Kritik, 
welche  das  Moment  der  personlichen  Verantwortlichkeit  aufhebt,  und  die  im  Laufe  der  Zeit 
fast  ganz  verschwunden  ist,  wurde  friiher  mit  seltsamen  Griinden  verteidigt.  Als  Kritiker 
der  Vossischen  Zeitung  gelangte  Ludwig  Rellstab,  der  Sohn,  zu  einer  Machtstellung, 
die  er  durch  seinen  iibereifrigen  Kampf  gegen  Spontini  befestigte:  er  begriindete  1830  eine 
eigene  Zeitschrift  ,,Iris",  die  bald  ebenso  wie  die  nach  Rochlitz'  Tode  von  G.  W.  Fink  ge- 
leitete  Leipziger  Zeitung  in  ihrer  kritischen  Frische  und  Regsamkeit  zuriickging. 

Im  Jahre  1834  erschien  Robert  Schumann  mit  seiner  ,,Neuen  Zeitschrift  fiir  Musik" 
und  loste  die  Kritik  aus  der  Erstarrung,  die  nach  einer  Zeit  des  Aufschwungs  eingetreten 
war.  Schumanns  Personlichkeit  als  Kritiker  hebt  sich  aus  der  ihn  umgebenden  Mittelmafiig- 
keit  urn  so  bedeutender  heraus.  Der  schaffende  Musiker  war  zugleich  ein  geborener  Kritiker. 
Wert  und  Einflufi  seiner  kritischen  Tatigkeit  lag  im  sicheren  Erfiihlen  der  neuen  Werte  und 
im  kiinstlerischen  Schwung  der  Formulierung.  Von  Mattheson  bis  Schumann  fuhrt  der 
Weg  aus  gelehrtem  nuchternem  Spezialistentum  zu  freier  begeisterungswilliger  Empfangs- 
bereitschaft  Das  intuitive  Erkennen  des  schopferisch  Neuen,  das  Hinausschauen  iiber  asthe- 
tische  Theorie,  das  Mitschwingen  der  kiinstlerischen  Personlichkeit  war  die  Geburt  der 
Musikkritik  in  ihrem  hochsten  Sinne. 

In  geistiger  Nahe  von  Robert  Schumann  steht  Berlioz:  der  Bedeutendste  unter  den 
Schaffenden,  die  Beruf  skritiker  waren.  Fast  dreifiig  Jahre  lang  wirkte  er  am ,  Journal  des  Debats" : 
mit  wundervollem  Schwung,  wo  er  sich  begeistern  kann,  gereizt  und  uberscharf  in  der  Ab- 
lehmmg  des  Mittelmafiigen,  oft  gewaltsam,  von  Zorn  und  Hafi  getrieben.  In  Frankreich, 
wie  iiberall  aufierhalb  Deutschlands,  hatte  sich  der  Ausbau  des  musikkritischen  Schrifttums 
langsamer  vollzogen,  Von  1827  an  wirkte  Fetis  als  Herausgeber  und  Kritiker  der  von  ihm 
begriindeten  ,,Revue  Musicale"  und  der  ,,Revue  et  Gazette  Musicale",  die  bis  in  das  letzte 
Vicrtel  des  19.  Jahrhunderts  die  bedeutendste  kritische  Zeitschrift  Frankreichs  darstellte.  In 
England  tat  sich  die  Monatsschrift  ,,The  Harmonicon"  von  1823  an  durch  umfassende  und 
griindlJche  Berichte  hervor.  In  Italien  beherrschte  die  bei  Ricordi  seit  1 842  erscheinende  ,,Gazetta 
Musicale  di  Milano"  vor  allem  unter  Filippo  de  Filippi  das  musikkritische  Gebiet. 

In  der  zweiten  Jahrhunderthalfte  wurde  Stoff  und  Antrieb  der  Musikkritik  von  der  neuen 
Kunst  gegeben,  die  durch  Wagner,  Liszt  und  die  neudeutsche  Schule  bezeichnet  wird.  Aus 
dem  Streit  der  Meinungen  wurde  eine  Parteisache.  Die  Schumannsche  Zeitschrift,  die  sich 
von  Anfang  an  auf  ein  Programm  der  Erneuerung  und  Bewegung  eingestellt  hatte,  prokla- 

79    H,  cl,  M. 


1 244  Musikkritik 


mierte  unter  ihrem  neuen  Herausgeber  Franz  Brendel  den  Kampf  far  einen  ,,musikalischen 
Fortschritt".  Die  alteren  Fachorgane  sammelten  sich  zu  einer  Reaktion  gegen  den  Vorstofi: 
die  Tagespresse  verstarkte  die  Spaltung  der  kritischen  Meinung.  Wagner  selbst  hat  im  Gegen- 
satz  zu  Schumann  und  Berlioz  trotz  der  Fiille  seiner  kritischen  Wertungen  und  Perspektiven 
nicht  als  Kritiker  im  eigentlichen  Sinne,  sondern  als  Vorkampfer  seiner  Reformideen  zu  gelten. 
Der  schaffende  Kiinstler  ist  meist  um  so  weniger  zum  Kritiker  berufen,  je  starker  und  eigen- 
williger  seine  schopferische  Personlichkeit  ist.  Der  Zustand  einer  parteimafiigen  Stellung- 
nahme  dauerte  als  eine  schwere  Gefahr  fur  die  geistige  und  ethische  Haltung  der  Musikkritik 
auch  dann  noch  an,  als  der  Kampf  um  Wagner  beendet  war  und  neue  Probleme  klinstlerischer 
Wandlung  das  Musikschaffen  und  die  Musikkultur  beherrschten. 

Aus  dem  Bilde  unerfreulicher  Zerrissenheit  treten  Erscheinungen  wie  Ambros  heraus, 
der  auch  als  Tageskritiker  arbeitete.  In  Wien  stand  Eduard  Han  slick  als  starkste  Personlich 
keit  und  machtigster  Wortfuhrer  der  konservativen  Richtung  da.  Umfassendes  Wissen, 
logische  Scharfe  und  fliissige  Darstellungskunst  verschafften  seiner  kritischen  Stimme  den 
grofiten  Einflufi.  Seine  Linie  wird  heute  von  Julius  Korngold,  seinem  Nachfolger  an  der 
„ Neuen  Freien  Presse",  fortgesetzt.  Ludwig  Speidel,  der  Feuilletonredakteur  des  Blattes, 
und  K.  E.  Schelle  wirkten  in  gleicher  Richtung  wie  Hanslick.  Fur  die  Berliner  Art  dieser 
Kunstbetrachtung  sind  Manner  wie  Heinrich  Ehrlich,  Gustav  En  gel,  Otto  Gumprecht 
bezeichnend,  die  eifrig  und  nlichtern  das  kritische  Amt  versahen.  In  Berlin  stand  in  Wilhelm 
Tappert  der  starkste  Vorkampfer  und  Parteiganger  der  Wagnerschen  Kunst  auf.  In  diesen 
Kampf  en  kam  die  Kiitik  nur  allzu  leicht  in  die  Gefahr,  zu  kunstpolitischer  Polemik  herab- 
zusinken.  Ein  merkwiirdiges  Beispiel  bietet  die  kurze  musikkritische  Tatigkeit  des  jungen 
Hugo  Wolf ,  die  heute  mit  Recht  in  ihrem  positiven  Werte  anerkannt,  aber  auch  iiberschweng- 
lich  idealisiert  wird.  Durch  Mafilosigkeit  und  Feindseligkeit  des  Urteils  und  ungeheuerlichen 
Schimpfton  brachte  sich  seine  oft  so  notwendige,  kiinstlerisch  begriindete  und  prachtvoll 
formulierte  Kritik,  sein  mit  jugendlicher  Leidenschaft  gefuhrter  Streit  gegen  die  starrsinnige 
Ablehnung  des  Neuen  um  alle  Wirkung. 

Einige  Namen  mogen  Richtung  und  Wirken  der  Musikkritik  vom  ausgehenden  19.  Jahr- 
hundert  bis  zur  Gegenwart  andeuten.  Unter  den  (S.  1 238  ff.)  verzeichneten  Musikschriftstellern 
haben  sich  viele  auch  als  Musikkritiker  betatigt.  Als  Wortfuhrer  an  Tageszeitungcn  im 
deutschen  Sprachbereich  seien  Richard  Batka,  Elsa  Bienenfeld,  H.  Chevalley,  Ernst 
Decsey,  Max  Graf,  Karl  Holl,  Max  Kalbeck,  Wilhelm  Klatte,  Heinrich  Kralik, 
Carl  Krebs,  Max  Marschalk,  0.  Neitzel,  Bernhard  Pfohl,  Leopold  Schmidt, 
W.  Schrenk,  Richard  Specht;  als  kulturpolitisch  eingestelltc  Krafte  Arthur  Seidl, 
Karl  Storck,  Paul  Marsop  genannt.  Personlichkeiten  von  scharfer  Pragung,  wie  Oscar  Bie, 
PaulBekker,  Adolf  Wei C man n,  bezeichnen  die  Mannigfaltigkeit  der  individuellen  Leistung, 
Namen  wie  Alfred  Einstein  und  Alfred  HeuC,  die  Verbundenheit  mit  der  wissenschaft- 
lichen  Forschung1)-  Die  kritische  Bewegung  im  Zeitschriftengebiet  wird  durch  die  Heraus- 
gebernamen  E.  W.  Fritsch,  Otto  LeBmann  mit  seinem  Nachfolger  P,  Schwers  bis  zu 
Bernhard  Schuster,  Paul  Stefan,  E.  Steinhard,  Hans  Mersmann  belcgt.  Die  neuere 
Musikkritik  Frankreichs  fiihrt  von  Adolphe  Jullien  iiher  Carnille  Bellaigue,  Alfred 
Bruneau,  Jean  Marnold,  George  Servieres,  Julien  Tiersot  bis  /,u  J.  Chantavoine, 

])  Der  geehrte  Verfasser  dieser  Studie  ist  da  mit  an  erster  Stelle  zu  nennen.   Der  Heraiis^'ljcr. 


Musikkritik  ]  245 


Hugues  Imbert,  Louis  Laloy,  Henry  Prunieres,  Emile  Vuillermoz.  Ernest  Newman, 
W.Barclay  Squire,  A.  H.  Fox  Strangways,  Edward  J.  Dent,  Edwin  Evans,  Dunton 
Green,  A.  Eaglefield-Hull  belegen  Personlichkeiten  und  Tendenzen  der  Musikkritik  in 
England.  Gaetano  Cesar i,  Guido  M.  Gatti,  Fausto  Torrefranca  wirken  fuhrend  m 
Italien.  Ftir  Amerika  sind  H.  E.  Krehbiel,  W.  J.  Henderson,  James  Huneker, 
0.  Downes,  0.  G.  Th.  Sonneck,  Carl  Engel,  I.  Schwerke  zu  nennen;  fiir  Spanien 
Rogelio  Villar  und  Adolf o  Salazar;  fiir  Skandinavien  Angul  Hammerich  (Danemark), 
Tobias  Norlind  (Schweden),  Reidar  Mjoen  (Norwegen);  fiir  Belgien  M.  Kufferath, 
E.  Closson;  fur  Holland  L.  M.  G.  Artzenius,  W.  Pi j per,  H.  Rutters,  P.  Sanders;  fiir 
Polen  der  dem  1 9.  Jahrhundert  angehorende  Josef  Sikorski,St.Niewiadornsk],M.Gliriski, 
Z.  Jachimecki,  L.  Kamienski ,  F.  Szopski;  fiir  die  Tschechoslowakei  J.Lowenbach, 
Z.NejedlyjfurRuBlandA.N.Seroff,  V.  Derschanovsky,  J.  Gleboff ,  V.  M.  Belaiev. 
Aufgaben  und  Pflicbten  der  Musikkritik  sind  immer  scharfer  erkannt  worden.  Der  Zen- 
suren  erteilende  Rezensent,  der  am  AuBeren  der  Erscheinungen  hangende  Berichterstatter 
verschwindet  immer  mehr  hinter  dem  auf  die  grofien  ktinstlerischen  und  kulturellen  Zu- 
sammenhange  blickenden  Kritiker.  Die  tiefgreifenden  Veranderungen  der  Zeit  haben  neue 
Aufgaben  geschaffen.  Neben  den  rein  kiinstlerischen  Zielen  treten  die  kunstpolitischen 
starker  denn  je  hervor.  Die  mitten  in  den  Kampfen  um  neue  Stilprobleme  stehende  Kritik 
von  heute  sieht  die  Pflicht,  tiber  den  Parteistandpunkt  hinaus  sachliche  Fundierung  mit  zeit- 
verbundener  geistiger  Haltung  zu  vereinigen.  Diese  Kritik  wehrt  sich  gegen  die  von  radikaler 
Seite  versuchte  Politisierung :  gegen  Hafireaktion  und  agitatorische  Leidenschaft,  Die  Festi- 
gung  der  Musikkritik  wird  von  der  Musikwissenschaft  gefordert.  Immer  mehr  wird  die 
kritische  Arbeit  musikwissenschaftlich  gebildeten  Kraften  anvertraut.  Der  im  Jahre  1913 
begriindete  Verband  deutscher  Musikkritiker  richtet  seine  Tatigkeit  auf  die  Hebung  des 
Kritikerstandes  und  auf  die  Kontrolle  des  Berufslebens.  Entgegen  dem  Paradoxon  Oscar 
Wildes,  nach  dem  jede  Kritik  ungerecht  sein  miisse,  schwebt  die  von  Guido  Adler  fiir  den 
Historiker  geforderte  Objektivitat  auch  der  Musikkritik,  die  man  oft  mit  einem  gewissen  Recht 
angewandte  Musikwissenschaft  genannt  hat,  als  erreichbares  Ziel  vor.  Die  Bedingungen 
geistiger,  psychologischer,  ethischer  Art,  die  als  Grundlagen  der  Berufseignung  gelten  miissen, 
werdcn  tiber  alle  Unterschiede  der  Welt-  und  Kunstanschauung,  des  Temperaments  und  der 
individuellen  Personlichkeit  hinaus  anerkannt.  In  der  Richtung  eines  Zusammenfassens 
aller  Forderungen  des  musikkritischen  Berufs  wird  die  Sicherung  einer  vollwertigen  und 
produktiven  Arbeit  gesucht, 

L iteratur 

Freystatter,  W.:  Die  musikalischen  Zeitschriften.  1884.  —  Krome,  F. :  Die  Anfnngc  des  musikalischen  Jour- 
nalismus  in  Deutschland.  1897.  — -Striffling,  L,:  Esquisse  d'une  histoire  du  gout  musical  en  France  au  XV I  lie  s. 
1912.  —  Stege,  P.:  Die  deutsche  Musikkritik  des  18.  Jahrhundcrts  unter  clem  EinfluB  der  Affeklenlehre.  Zeitschr, 
f.  Musikwias.  Jg.  10.  —  Sobering,  A.:  Aus  der  Geschichte  der  musikalischen  Kritik  in  Deutschland.  Jahrbuch  der 
Musikbihliothek  Peters  ftir  1928.  —  Kaiser,  G.:  Beitrage  zu  einer  Charakteristik  C.  M,  von  Wehers  als  Musikschrifl- 
steller.  1910.  —  Guttmann,  0.;  J,  K.  F.  Rcllstab,  Diss.  Leipzig  1910.  —  Kroll,  E.:  Hoffmanns  musikalische 
Anschauungen.  Diss.  Konigsberg  1909,  •— -Bckker,  P.:  Das  deutsche  Musikleben.  1916.  —  Calvocorcssi,  M.:  The 
principles  and  methods  of  musical  criticism.  1923.  —  Friedland,  M.:  Kritik  als  kulturphilosophischcs  Problem. 
1925.  —  Springer,  H.;  Normen  und  Fehlerqucllen  der  Musikkritik.  Melos  1925.  —  Matzke,  H.:  Musik- 
Skonomik und Musikpolitik.  1927.— -Mah ling,  F. :  Musikkritik.  Umversitas-Archiv 23, 1929. 

Hermann  Springer 

79* 


VERZEICHNIS  DER  NOTENBEISPIELE 

Nr.  Seite 

1 — 17:  Musikstiicke  exotischer  Naturvolker. 

1.  Gesang  der  Bellakula-Indianer 5 

2.  Gesang  der  Chippewa-Indianer 6 

3.  Gesang  der  Wedda  auf  Ceylon 6 

4.  Gesang  der  Wedda 6 

5.  Gesang  der  Murray  ~  Insulaner  in  der  Torresstrafie 6 

6.  Gesang  der  Indianer  aus  Britisch  -  Kolumbien 6 

7.  Gesang  der  Murray  -  Insulaner 6 

8.  Gesang  der  Salomo  -  Inselbewohner 6 

9.  Musikstuck  der  Nutka  -  Indianer,  Britisch  -  Kolumbien 7 

10.  Musikstiick  der  Indianer  aus  Britisch  -  Kolumbien 7 

1 1.  Musikstiick  der  Indianer  aus  Britisch  -  Kolumbien 7 

12.  Musikstiick  der  Kwakiutl  ~  Indianer 7 

13.  Instrumentalstiick  der  Salomo  -  Inselbewohner 8 

14.  Musikstiick  der  Salomo  -  Inselbewohner 8 

15.  Desgleichen     9 

16.  Desgleichen 9 

17.  Gesang  der  Wasukuma 9 

18 — 29:  Musikstiicke  orientalischer  Kulturvolker. 

18.  Chinesischer  Ahnenhymnus „  13 

19.  Chinesisches  Volkslied 14 

20.  Siamesischer  Fachertanz 21 

21.  Annamitisches  Musikstiick 21 

22.  Kasantatarisches  Musikstiick 21 

23.  Sibirisch -tatarisches  Musikstiick 21 

24.  Kirgisisches  Musikstiick 21 

25.  Baschkirisches  Musikstuck 21 

26.  Mischerisches  Musikstuck '.   •  21 

27.  Altarabischer  Gesang  von  Abdolkadir  ben  Isa 25 

28.  Krimtatarisches  Maqam 28 

29.  Javanisches  Gamelanstiick 29 

30.  Delphischer  Hymnus  an  Apollon 63 

31.  LieddesSeikilos 66 

32.  Jemenische  Weisen  (Fragmentc) ;   .    ,    -  77 

33.  Englische  Neumen  des  1 1 .  Jahrhunderts 103 

34.  St.  Caller  Neumen  mit  Literac  significativae  des  10.  Jahrhunderts  ....  105 

35.  Germanische  Neumen  (Hufnagelschrift)  des  15.  Jahrhunderts 107 

36.  Chor-  und  Solopsalmodie  im  Gregorianischen  Choral  (Fragmente)  .    .   .  109 

37.  AntiphoneEcceSacerdosnachKodex391,St  Gallen,  p.  186 112 


1 248  '  Verzeichnis  der  Notenbeispiele  Nr.  38—73 

Nr.  Seite 

38.  AntiphoneStatuit  nach  Kodex  339,  St.  Gallen,  p.  27 112 

39.  AllelujaBenedictusnachKodex339,  St.  Gallen,  p.  115 113 

40.  Hymnus  Veni  redemptor 113 

41 .  Alleluja  und  daraus  gebildete  Notkersche  Sequenz  Grates  mine  omnes 114 

42.  Hymnus  Tous  phosteras,  aus  Kodex  883,  Nationalbibliothek  Athen 131 

43.  Stereoson  mou  ton  noun  aus  Kodex  Grottaferrata  E.?'.  II 136 

44.  Sticheros  des  6.Echos.  Ubertragung  einer  russischen  Kr Juki-Notation  ...   145 

45.  Fragmente  jiidischer  Bibelweisen 130 

46.  Kolnidremelodie 151 

47.  Fragment  einer  jiid  ischen  Weise • 152 

48.  Pilgergesang  0  Roma  nobilis  aus  Rom,  Vat.  3227  und  Monte  Cassino  Q  318  .    .    161 

49.  Aurea  personet  lyra  aus  Florenz,  Bibl.  Naz.  Conv.  soppr.  F  3,  565 162 

50.  Organum  nach  der  Musica  enchiriadis 164 

51 .  Zweistimmiger  Hymnus  auf  den  heiligen  Magnus  aus  Upsala,  Kodex  C  233.    167 

52.  Fragmente  aus  der  Lamentatio  Rachel  aus  Paris,  Bibl.  Nat.  lat.  1 139 169 

53.  Fragmente  aus  dem  Sponsus-Spiel  aus  Paris,  Bibl.  Nat.  lat.  1139 170 

54.  Zweistimmiges  Organum  Alleluja  Angelus  domini  aus  Chartres  109  .    .    .    .    175 

55.  Anfang  eines  zweistimmigen  Benedicamus  aus  Paris,  Bibl.  Nat.  lat.  3719  .    .    .    179 

56.  Anfang  des  zweistimmigen  Viderunt  Hemanuel  aus  Paris,  Bibl.  Nat.  lat.  3719     179 

57.  Anfang  des  zweistimmigen  Viderunt  Hemanuel  aus  Paris,  Bibl.  Nat.  lat.  3549  179 

58.  Fragment  aus  dern  zweistimmigen  Nostra  phalanx  aus  Santiago,  Kodex  Calix- 
tinus      182 

59.  Fragment  aus  dem  zweistimmigen  Gratulantes  aus  Santiago,  Kodex  Calixtinus  182 

60.  Dreistimmiger  Benedicamus-Tropus   Congaudeant  aus  Santiago,    Kodex 
Calixtinus 182 

61.  Rondellus  En  ma  dame  und  Veni  sancte  spiritus  spes 184 

62.  Fragmente  aus  Veritas,  equitas,  largitas  corruit  aus  Paris,  Bibl.  Nat.  frc.  196  185 

63.  Conductus  Beata  viscera  Marie  vonPerotin  aus  Wolfenbiittel  Helmst.  1099  187 

64.  Dirai  vos  von  Marcabru 189 

65.  Lancan  vei  la  folha  von  Bernart  von  Ventadorn 190 

66.  Tanzlied  Kalenda  may  a  von  Raimbaut  von  Vaqueiras  und  Sou  vent 
souspire 190 

67.  Romanze  En  un  vergier 195 

68.  Refrainlied   Joliement    doi    chanter  aus  dem  Chansonnier  de  Noailles  mit 
Refrain-Parallelen 196 

69.  Hofisches  Minnelied  De  fine  amor  von  Thibaut  de  Champagne  und   sein 
geistliches  Kontrafaktum  Vivre  touz  temps 197 

70.  Streitgedicht  Adan,  vauries  vous  manoir  von  Adam  de  la  Halle  aus  Paris, 
BJbl.Nat.fr?.  25566,  Arras  657  und  Rom,  Vat.  Reg.  1490 199 

71.  Kreuzlied  Nu  alerst  lebe  ich  mir  werde  von  Walther  von  der  Vogelweide  204 

72.  Mailied  Der  wait  undeangher  von  Fiirst  Wizlaw  von  Riigen 205 

73.  Meistersingerweise  Wer  ler  in  den  geschrifften  such  von  Michel  Beheim 

aus  Heidelberg  31 2  und  nach  Adam  Puschman      206 


Verzeichnis  der  Notenbeispiele  Nr.  74—100  ]249 

Nr.  Seite 

74.  Silberweise  Salve,  ich  grus  dich  schone  von  Hans  Sachs 206 

75.  Weihnachtslaude  Gloria  in  cielo  ausCortona91  und  Florenz,  Bibl.  Naz.  II  I  122  211 

76.  Lauda  Stella  nuova  'nfra  la  gente  aus  Cortona  91 211 

77.  Lauda  Sancto  Lorenzo  aus  Florenz,  Bibl.  Naz.  II  I  122 211 

78.  Fiinf  Fragmente  aus  den  Cantigas  de  S.  Maria  von  Alfons  X 213 

79.  Fragment  aus    dem    zweistirnmigen    Oster-Alleluja    Pascha   nostrum    aus 
Leonin's  Magnus  Liber 216 

80.  Anfang  des  zweistimmigen  Oster-Graduals  Hec  dies  aus  Leonin's  Magnus 
Liber 217 

81 .  Anfangeder  zweistimmigen  Conductus.  Mac  in  die  rege  nato  und  Mac  in  die 
Gedeonis 223 

82.  Anfang  des  Versus    des  dreistimmigen  Alleluja  Nativitas  von  Perotin  aus 
Montpellier  H  196 226 

83.  Anfang  des  vierstimmigen  Weihnachts-Graduals  Viderunt  von  Perotin  aus 
Florenz,  Laur.  pi.  29,  1  mit  der  vierstimmigen  Motette  Vide  prophecie  .    .    .  229 

84.  Anfang  einer  zweistimmigen  Clausula  Et  gaudebit  und  der  aus  ihr  abgeleiteten 
zwei-  und  dreistimmigen  Motetten  und  Doppelmotetten 234 

85.  Anfang  einer  zweistimmigen  Clausula  In  Bethleem  und  der  aus  ihr  abgeleiteten 
Motette  und  Doppelmotette 237 

86.  Schlufi  einer  zweistimmigen  Clausula  Ne  und  der  aus  ihr  abgeleiteten  Motetten 
und  Parallelen  zum  Refrain  Qi  mon  cuer  et  mon  cors  a 240 

87.  Fragmente  aus  der  dreistimmigen  Doppelmotette  He  amours  und  Amou- 
rousement  mit  Refrain-Parallelen 242 

88.  Fragmente  aus  drei   den   Refrain   Dieus   je  n'i  os  aler  usw.   benutzenden 
Doppelmotetten 244 

89.  Zweistimmige Motette  Tot  le  premier  jor  de  mai  aus  Miinchen  mus.  4775  .  246 

90.  Zweistimmige  Motette  L'en  dit  qe  j'ai  am 6  aus  Wolfenbiittel  Helmst.  1099  .  247 

91.  Zweistimmige  Motette  Maniere  esgarder  aus  Miinchen  mus.  4775  ....  248 
92*  Anfang  der  Doppelmotette  Aucun  ont  und  Lonctens  me  sui  von  Petrus  de 

Cruce 254 

93.  Anfang  der  Doppelmotette  Descendi  in  ortum  mit  drei  verschiedenen 
Tripla ' 257 

94.  Fragment  aus  La  seconde  Estampie  Royal  aus  dem  Chansonnier  du  Roi ....  261 

95.  Vierstimmige  Doppelballade  Ne  quier  veoir  und  Quant  Theseus  von 
Guillaume  de  Machaut 270 

96.  Fragmente  aus  dem  zweistimmigen  Madrigal  Un  bel  sparver  von  Jacopo  von 
Bologna     283 

97.  SchluC  des  zweistimmigen  Madrigals  Nel  mezzo  a  sei  paon  von  Giovanni 
daCascia 284 

98.  Schlufi  der  dreistimmigen  Caccia  Con  bracchi  assai  von  Piero 284 

99.  Dreistimmiges  Tripelmadrigal  Musica  son,  Ciascun  vuole  und  Gia  furon 
von  Francesco  Landini , 287 

100.  Fauxbourdon  Pange  lingua     . 299 


]  250  Verzeichnis  der  Notenbeispiele  Nr.  101— 142 

—  — 

101.  Anfang  des  Salva  nos  domine  des  Duf  ay 300 

102.  Fragmente  aus  Hobrechts  Salve  regina 311 

103.  Fragment  aus  Hobrechts  Missa  L'hommearme 314 

104.  Fragment  aus  Josquins  Motette  Inviolata,  integra 315 

105.  Fragment  aus  Josquins  Motette 316 

106.  Kyrie  aus  Josquins  Missa  Pange  lingua      318 

107.  H.  Jsaac,  In  Gottes  Namen  fare  wyr 321 

108.  Kolorierung  der  Choralweise  Benedicta  sit  sancta  trinitas  in  Tr.  88  und 

im  Chor.  Const.  Heinrich  I  saacs 324 

109.  Fragment  aus  der  Sequenz  Solemnia  celebrantes  aus  Isaacs  Chor.  Const.  324 

1 10.  Anfang  von  Isaacs  Missa  paschalis 325 

111.  Clemens  non  Papa,  Motette  Levavi  oculos,  Anfang 328 

1 12.  Pierre  Cl  ereau,  Missa  In  me  transierunt,  Kyrie 330 

113.  Orlando  Lasso,  Mofcette  In  hora  ultima,  Fragment 332 

114.  —Madrigal  Christe,  dei  soboles,  Anfang 333 

115.  G.  P.  Palestrina,  Lamentatio  Hieremiae  prophetae,  nach  Arch.  Mus.  Lat.  Cod.  59  337 

116.  —  Umgestaltung  des  Modells  in  der  Missa  Dum  complerentur 340 

117.  — Motette  Crucem  sanclam  subiit,  Anfang 342 

118.  —Motette  Alleluja,  tulerunt,  Schlufi 343 

119.  —  Geistliches  Madrigal  Vergine  bella,  Fragment 344 

120.  — Motette  Dum  ergo  essent,  Fragment 345 

121.  — Motette  Vidi  turbam,  Fragment .  fc 346 

122.  Chr.  Morales,  Matutin-Responsorium  0  vos  omnes,  Fragment 348 

123.  T.  L.  da  Victoria,  Canticum  Zachariae,  Fragment 349 

124.  A.  Wi  I  la  ert,  Paternoster,  Fragment 349 

125.  — Magnifikat,  Fragment 350 

126.  Cl.  Merulo,  Motette  In  Deo  speravit,  Fragment 351 

127.  G.  Gabrieli,  Tedeum,  Fragment 352 

128.  —  Motette  Ego  dormivi 353 

129.  —  Imitationsthema  Timor  et  tremor 354 

130.  J.  Callus,  Ave  Maria,  Anfang 355 

131.  —  Michael  coeli  signifer,  Anfang 356 

132.  — -  Motette  Estote  fortes  in  bello,  Anfang 356 

133.  — Motette,  Fragment 356 

134.  AnonymeFrottole.  Lib.  VII  mo,  Nr.  27.  Poi  chel  ciel 360 

135.  J.  Arcadelt,  Madrigal  Ancidete-mi  pur  grievi  martiri 363 

136.  CipriandeRore,  Madrigal,  Lib.  Imo,  Strane  rupi,  Fragment 366 

137.  LucaMarenzio,  Madrigal,  Lib.  Imo,  Strinse  Amarilli,  Fragment 367 

138.  A.  Willaert,  Canzona  villanesca  alia  Napolitana,  Cingari  simo 370 

139.  G.  L.  Primavera,  Canzon  Napolitana,  Dolce  mi  seria  uscir 372 

140.  Jo.  Baston,  Chanson  amoureux,  Fragment 374 

141.  Passereau,  Chanson  II  est  bel  et  bon,  Fragment 374 

142.  Lorenz  Lemlin:  Schelmenlied,  Der  gutzgauch  auf  dem  zaune  safi 377 


Verzeichnis  der  Notenbeispiele  Nr.  143—182  1251 

_  — . 

143.  Conrad  Paumann,  Bearbeitung  des  Liedes  Der  summer  aus  dem  Lochheimer 
Liederbuch.   Fundamentum  organisandi 384 

144.  G.  Cavazzoni,  Ricercar,  Fragment 388 

145.  — Choralbearbeitung  Christe  redemptor,  Fragment 392 

146.  L.  Kleber,  Praambulum 393 

147.  G.  Gabrieh,  Intonazione  secundo  tono 393 

148.  Anfang  eines  Rei gens  und  entsprechenden  Nachtanzes 396 

149.  J.  A.  Dalza,  Italienische  Lautentabulatur 398 

150.  Anriquez  de  Valderavano,  Spanische  Lautentabulatur 400 

151.  J.  B.  Besardiis,  Altere  franzb'sische  Lautentabulatur 402 

152.  Ph.  Fr.  Le  Sage  de  Richee,  Neufranzosische  Lautentabulatur 404 

153.  Me  Ic  hi  or  News  idler,  Altdeutsche  Lautentabulatur 406 

154.  Bernhard  Schmid,  Deutsche  Orgeltabulatur 408 

155.  Peri,  Orfeo,  Rezitativfragment,  Che  sospirar 418 

155a.Caccini,  Orfeo,  Rezitativfragment  der  gleichen  Stelle      419 

156.  Cl.  Monteverdi,  Orfeo,  Tokkata,  Anfang 420 

157.  St.  Land i,  S.  Alessio,  Scherzlied  der  Pagen,  Fragment 422 

158.  Cl.  Monteverdi,  Incoronazione  di  Poppea,  Duett  Pur  timiro,  Fragment     .    .   ,    .425 

159.  Cavalli,  Dafne,  Lamento,  Fragment 425 

160.  —  Le  Nozze  di  Teti  e  Pelide,  Sinfonia,  Anfang 426 

161.  — Giro,  Vorspiel,  Fragment 427 

162.  L.  Luzzaschi,  Madrigal  Ch'io  non  t'a  mi  cor  mio,  Fragment 431 

163.  Sig.  d'India,  Canzonetta  Le  Musiche 433 

164.  — Madrigal  Intenerite  voi,  Le  Musiche,  Fragment 433 

165.  Cl.  Monteverdi,  Partenza  amorosa,  Rezitativ  Se  pur  destina,  Fragment     ....  436 

166.  G.  P.  Bert  i,  Kantate  Oh  con  quanta  vaghezza 437 

167.  A.  Falcon ieri,  Kantate,  Deh  dole'  anima  mia 438 

168.  M.  A.  Cesti,  Kantate  Tu  m'aspettasti  al  mare 439 

169.  Nun  bitten  wir  den  heiligen  Geist,  aus  Walters  Gesangbuch  nach  Babst 448 

170.  Christ  ist  erstanden  aus  J.  Walters  Gesangbuch,  Fragment 449 

171.  H.  Schiitz,  Psalm  84,  Wie  sehr  lieblich  und  scheme,  Anfang 453 

172. —Passion  nach  Matthaus,  Fragment 455 

173.  Tob.  Michael,  Musicalische  Seelenlust  11/3,  Fragment 458 

174.  Joh.  Herm.  Schein,  Christ,  unser  Herr,  zum  Jordan  kam 459 

175.  H,  Schutz,  Kleine  geistliche  Konzerte  Nr.  4,  0  siifier,  o  freundlicher,  o  gutiger 
Herr  Jesu  Christe 461 

176.  Joh.  Cr tiger,  Frohlich  soil  mein  Herze  springen 465 

177.  Frey ling h aus ensches  Geistreiches  Gesangbuch,  Fragmente 466 

178.  Reinhard  Keiser,  Passion,  Fragment 469 

179.  S.  Scheldt,  Choralmotette  Wir  glauben  all  an  einen  Gott,  Fragment 471 

180.  G,  Fr,  Anerio,  Dialog  zwischen  Jesus  und  der  Samariterin,  Fragment 488 

181.  Dialoglauda  Anima  e  Corpo,  Anfang 489 

182.  Lauda  Grida  qual  trornba  grida,  Fragmente 489 


]  252  Verzeichnis  der  Notenbeispiele  Nr.  183—225 

—                                                                             —                                              '  toto 

183.  G.  Carissi mi,  Oratorium  Baltazar,  Fragment 496 

184.  A.  Stradella,  Oratorium  S.  Giov.  Battista,  Fragment 500 

185.  A.  Ari os ti,  Passion,  Togliete,  cruciate,  Fragment 501 

186.  Leopold  I.,  Oratorium  Erlosung  des  menschlichen  Geschlechtes,  Fragment    ...  503 

187.  H.  Schiitz,  Wemnachtsoratorium,  Intermedium  I.  Fragment 505 

188.  G.  Gabrieli ,  Motette  Surrexit  Deus,  Fragment 508 

1 89.  —  Motette  In  deo  salutari  meo,  Fragment 508 

190.  A.  Banchieri,  Concert!  ecclesiastic!,  Ave  hostia,  Fragment 509 

191.  J.  Stadlrnayr,  Pfingsthymnus  Veni  creator,  Fragment 512 

192.  Chr.  Straus,  Messe  Veni  sponsa  Christi,  Fragmente 513 

193.  A.  Bertali,  Missa  semiminima,  Fragment 515 

194.  J.  K.  Kerll,  Missa  a  trechori,  Fragment 518 

195.  — Requiem,  Fragment 520 

196.  H.  J.  F.  Biber,  Missa  St.  Henrici,  Fragment 521 

197.  — Requiem,  Fragment -521 

198.  J.  H.  Schmeltzer,  Missa  nuptialis,  Fragmente 522 

199.  J.K.  Kerll,  Requiem,  Fragment 523 

200.  H.J.  F.  Biber,  Josephslitanei,  Fragment 523 

201.  J.  J.  Fux,  Missa  canonica,  Fragment 526 

202.  —  Missa  purificationis,  Fragment 526 

203.  A.  Scarlatti,  Messe  A-Dur,  Ritornellfragment 527 

204.  P erg olese,MesseD-Dur,  Anfang 528 

205.  J.  A.  Has se,  Requiem  in  C,  Fragmente 530 

206.  —  Messe  in  Es,  Fragment 53 1 

207.  A.  Gaidar  a,  Missa  dolorosa,  Fragmente 532 

208.  G.  Frescobaldi,  Canzona,  Fragmente 542 

209.  J.  J.  Froberger,  Themen  von  Ricercaren,  Canzonen  usw 543 

210.  J.  B.  Lull y,  Ouvertiire  einer  Orchestersuite,  Anfang 553 

21 1.  A.  Vivaldi,  Violinkonzert,  C-Dur,  op.  7/2,  Fragment 557 

212.  J.  S.Bach,  Klavierkonzert  D-Moll,  Fragment 557 

213.  G.  Frescobaldi,  Tokkata,  Fragment 560 

214.  Paul  P cue rl,  Themen  der  Variationssuite  Nr.  7 565 

215.  Passacaglienbasse 570 

216.  S  chul  dram  a  Daniel,  Conductus  referentium  vasa 641 

217.  Adam  de  la  Halle,  Jeu  de  Robin  et  Marion,  Fragment 641 

218.  Ballet  comique  de  la  Royne,  Fragmente 644 

219.  J.  B.  Lully,  Alceste,  Fragmente ' 649 

220.  —  Thesee,  Fragment .  651 

221 .  —  Alceste,  Fragment 652 

222.  J.  Ph.  Rain eau,  Hippolite  et  Aricie,  Parzentrio,  harm.  Schema 655 

223.  —  Zoroastre,  Fragmente 655 

224.  H.  Puree  11,  Dido  and  Aeneas,  Fragmente 660 

225.  Kloster  Engelberg,  Ostergesang  Quern  quaeritis,  Fragment      668 


Wr^cichnis  clcr  Notcnhcispiclc  Nr.  226 — 268  ]  253 

Mr.  Seite 

226.  J.  K.  Kerll,  Fia  ct  fortis  mulier,  Fragmente 671 

227.  J.  W.  Franck,  Cara  Mustapha,  Fragment 675 

228.  G.  F.  Handel,  Almira,  Fragment 676 

229.  R.  Keiser,0ctavia,  Fragmente 677 

230.  Pratorius,  Jodelet,  Fragment 678 

231.  J.  J.  Fux,  Costanza  e  fort ezza,  Fragmente 680 

232.  J.  S.  Bach,  Kantate  Nr.  2.  Ach  Gott,  vom  Himmel  sieh  darein,  Rezitativ,  Fragment  684 

233.  G.  F.  Handel,  Kronungsanthem  Zadock  der  Priest er,  Fragment 688 

234.  H.  Albert,  Auf,  mein  Geist!   Und  nun  erhebe,  Fragment 691 

235.  A.  Krieger,  Weicht,  ihr  Gedanken,  Fragment 693 

236.  Sperontes,  Ungezahlter  Blumen  Menge,  Anfang 696 

237.  K.  Fr.  Hurlebusch,  Melindens  Auge  sen  ich  nicht 697 

238.  J.A.  P.  Schulz,Mailied,  Anfang 700 

239.  G.  B.  Pergolese,  Giuseppe,  Fragment 709 

240.  A.  Draghi,  L'Esclamar  a  gran  voce,  Pianto  der  Maria 711 

241.  J.  Matthes on,  Die  heylsame  Geburth,  Fragment 713 

242.  G.  Ph.  Tel  em  an  n,  Die  Tageszeiten,  Fragmente 714 

243.  A.  K.  Kunz en,  Absalon,  Fragment 717 

244.  A.  Scarlatti,  Rosaura,  Fragmente 719 

245.  L.Vinci,  Zite  'n  galera,  Fragment 721 

246.  G.  B.  Pergolese,  Flaminio,  Fragment 722 

247.  —  Serva  padrona,  Fragment 722 

248.  —  Frate  'nnamurato,  Fragment 722 

249.  —  Livietta  e  Tracollo,  Fragment 722 

250.  J.A.  Has  se,  AttilioRegolo,  Fragment 724 

251.  T.  Tract  ta,  Ar  mi  da,  Fragment 726 

252.  Ch.  W.  Gluck,  Orfeo,  Che  puro  ciel,  Fragment 731 

253.  —  Orfeo,  Fragment r.    .    .  733 

254.  —  Alceste,  Fragmente 734 

255.  —  Paride  ed  Elena,  Fragmente 735 

256.  A.  Schweitzer,  Alceste,  Fragment      741 

257.  N.  Piccini,  Cecchina,  Fragment 744 

258.  P.  A.  Monsigny,  Fugenthemen  aus  Rose  et  Colas  und  Le  Deserteur 746 

259.  E.  M.  Gretry,  Richard  Lowenherz,  Fragment 747 

260.  E.  N.  Mehul,   Ariodant,  Fragment 748 

261.  L.  Cherubini,  Fragment 748 

262.  —  Der  Wassertrager,  Fragmente 749 

263.  J.  Haydn,  Der  aufs  neue  begeisterte  und  belebte  Bernardon,  Fragmente 750 

264.  C.  Stand fufi,  Der  lustige  Schuster,  Fragment 751 

265.  J.A.  Hiller,  Die  Jagd,  Fragment 752 

266.  G.  Benda,  Ariadne,  Fragmente 752 

267.  W.  A.  Mozart,  Schuldigkeit des  ersten  Gebotes,  Fragment 756 

268.  —  Idomeneo,  Fragmente 758 


|?54  Vcrzcichnis  dor  Notcnbcispiolc  Nr.  269— 298 

Nr.  Seite 

269.  W.  A.  Mozart,  Cos!  fan  tulte,  Fragmente 760 

270.  —  Don  Giovanni,  Fragmente 762 

271.  —  Zai'de,  Fragment 763 

272.  L.  v.  Beethoven,  Leonore,  I.  Fassung,  Fragment 766 

273.  Fr.  Conti,  Pallade  trionfante,  Sinfonia,  Fragmente 797 

274.  J.  Stamitz,  Sinfonia  D-Dur,  Fragmente 803 

275.  G.  B.  Pergolese,  Fragmente  aus  Serva  Padrona  und  Triosonaten 804 

276.  Fragmente  von  7  Seitensatzen  Pergolesis,  Monns,  Stamitz'  und  Wagenseils  805 

277.  Seufzermotive 806 

278.  Fragmente  von  2  Epilogen  Monns  und  Stamitz' 806 

279.  Fragmente  aus  kontrastierenden  Sonatenhauptsatzen  Monns,  Stamitz',  Wagen 
seils,  J.  Haydns     806 

280.  J.Haydn,  Quartett  op.  2,  Nr.  6,  Fragment 811 

281.  J.  Starzer,  Roger  und  Bradamante.  Ballett,  Fragment     .    .    ." 812 

282.  J.Haydn,  Quartett  op.  33,  Nr.  3,  Fragment 812 

283.  W.  A.  Mozart,  Fragmente  aus  den  Symphonien  G-Moll  und  Es-Dur 816 

284.  — Don  Giovanni,  Ouverture,  Fragment 817 

285.  L.  v.  Beethoven,  Fragment  aus  Trio  op.  1/3  und  Sonate  op.  2/1 821 

286.  —  Bagatelle,  op.  33/3,  Fragment 822 

287.  J.  Haydn,  Erste  Messe,  F-Dur,  Fragment 834 

288.  —  Cacilienmesse,  Fragment 837 

289.  —  Missa  in  B,  Harmoniemesse,  Fragment 844 

290.  —  Stabat  mater,  Fragment 845 

291 .  M.  Haydn,  Missa  in  Dominica  Palmarum  secundum  cantum  choralem,  Fragment  846 

292.  — Missa  Sti.  Francisci,  Fragment 847 

293.  Fr.  Schubert,  Messe  Es-Dur,  Fragment       854 

294.  Fr.  Liszt,  Missa  choralis,  Fragment 860 

295.  —  Graner-Messe,  Fragment 860 

296.  A.  Bruckner,  D-Moll-Messe,  Fragment 862 

297.  K.  Lo ewe,  Erlkonig,  Fragment 945 

298.  EbbeSkammelson,  Fragment,  nach  Th.  Laube 1107 


VERZEICHNIS  DER  ABBILDUNGEN 

Nr.  Seite 

1.  Neumen  englischer  Herkunft,  intervallmafiig    geschrieben.    11.  Jahrhundert. 
Fragm.  A  1284  der  kgl.  Bibl.  Stockholm      102 

2.  Neumen  mit  Literae  signifivativae,  Cod.  359  St.  Gallen,  10.  Jahrhundert  .    .    104 

3.  Germanische  Neumen  (Hufnagelschrift)  auf  Linien,   15.  Jahrhundert.    Cod.  35 
des  Miinsterschatzes  in  Aachen 106 

4.  Mittelbyzantinische  Notation,   13.  Jahrhundert,  Cod.  Grottaf errata  E.J.  II   .    135 

5.  Russische  Krjuki-Notation  mit  Ubertragung  in  quadratische  und  gewohnliche 
Notenschrift  nach  einem  Originalnotenblatt.  Nach:  Riesemann,  Die  Notationen  des 
Altrussischen  Kirchengesanges 144 

6.  Perot inus,    Quadruplum    Viderunt,    Florenz,  Bibl.   Medicea  Laurenziana,   Cod. 
PIut.29,  Uol.  1     228 

7.  Francesco  Landini,  Tripelmadrigal  Musica  son,  Ciascun  vuole  und  Gia  furon, 
Codex  Squarcialupi,  Florenz,  Bibl.  Laur.  pal.  87 286 

8.  Heinrich  Isaac,  Autograph,  In  Gottes  Namen  fare  wyr,  Preufi.  Staatsbibliothek  .  320 

9.  G.  P.  da  Palestrina,  Autograph,  Lamentatio  Hieremiae  prophetae,  Archivio  Musi- 
cale  Lateranense,  Cod.  59,  f.  1 .  Nach  Casimiri,  II  Codice  59 336 

10.  Joanambrosio  Dalza,  IntabulaturadeLauto,  Libro  Quarto fol. 5, OttavianoPetrucci, 
Venedigl508 398 

11.  Anriquez  de  Valderavano,  Libro  llamado  Silva  de  Sirenas,  Valladolid  1547  .    .  400 

12.  Joannes  Baptista  Besardus,  Thesaurus  Harmonicus  Divini  Laurencini,  Coloniae 
Agrippinae  1 603 402 

13.  Philipp  Franz  Le  Sage  de  Richee,  Cabinet  der  Lauten 404 

14.  Me  Ichi  or  News  idler,  Teutsch  Lautenbuch,  Strafiburg  1574 406 

15.  BernhardSchmid,  Tabulatur  Buch  von  Allerhand  auserlesnen  Schonen  Lieblichen 
Praeludijs,  Toccaten  .  .  .  auff  Orgeln  und  Instrumenten  zugebrauchen,  1607    ....  408 

16.  M.  A.  Cesti,  II  Pomo  d'Oro,  Blick  auf  Biihne  und  Zuschauerraum  bei  der  Wiener 
Auffiihrung  1 666  nach  dem  Entwurf  von  L.  Burnacino 429- 

17.  Positiv,  Harfe,  Alt -Tenorfiedel.    Van  Eyck,  Center  Altar,  Gent,  St.  Bavo. 
KHalfte  15.  Jahrhundert 574 

18.  Psalterium,  Trurnscheit,   Laute,   Trompete  in  Schleifenform ,   Pommer. 
Memling,  Antwerpen,  Museum.   Um  1480 576 

19.  Trompeten,    Portativ,    Harfe,    Fiedel.     Memling,    Antwerpen,    Museum. 
Um  1480 577 

20.  Querflote,    Laute    und    Lautenkasten.    Wien,   Galerie  Harrach.    1.   Halfte 

1 6.  Jahrhundert 579 

21.  Kielfliigel,  Violine,  Viola,   Violoncello,    van   Loo,  Petersburg,  Eremitage. 

18.  Jahrhundert 581 

22.  Flofipsalterium,  Kinderspielzeug  aus  Oberagypten.  Wien,  Musikwissenschaftliches 
Seminar  der  Universitat 585 

23.  Hackbrett   Berlin,  Staatliche  Sammlung  alter  Musikinstrurnente.    Nach:  Sachs, 
Sammlung  alter  Musikinstrumente 585 


1 256  Verzeichnis  der  Abbildungen  Nr.  24 — 48 

Nr.  Seitc 

24.  Docke  von  einem  KielUiigel.    Nach:   Kinsky,   Katalog  des  Musikhistorischen 
Museums  von  W.  Heyer  in  Koln 586 

25.  Clavichordtaste.    Nach:  Kinsky,  Katalog  des  Musikhistorischen  Museums  von 

W.  Heyer  in  Koln 587 

26.  Gebundenes     Clavichord.     Wien,      Musikwissenschaftliches      Seminar      der 
Universitat 588 

27.  Englische  Fliigelmechanik,  Modell.  Berlin,  Staatliche  Sammlung  alter  Musik- 
instrumente 588 

28.  Giraff  enfliigel  (geoffnet).   Wien,  Gesellschaft  der  Musikfreunde 589 

29.  Deutsche  Fliigelmechanik,  Modell.   Berlin,  Staatliche  Sammlung  alter  Musik- 
instrumente 589 

30.  Antike  Lyra,  von  der  Sapphovase  in  Miinchen.   Nach:  Furtwangler-Reichhold, 
Griechische  Vasenmalerei 590 

31.  Crwth.    Wien,  Gesellschaft  der  Musikfreunde 591 

32.  Chitarrone  von  Mathias  Albanus.  Nach:  Liitgendorff,  Die  Geigen-  und  Lauten- 
macher 592 

33.  Mandola.    Bart.  Vivarini,  Venedig,  Frarikirche.    1474 593 

34.  Geige  (Rebec).   Pinturicchio,  Rom,  Aracoeli.  1484 593 

35.  Colascione.  Berlin,  Staatliche  Sammlung  alter  Musikinslrumente.   Nach:  Liitgen 
dorff,  Die  Geigen-  nnd  Lautenmacher 594 

36.  Wolbgitarren.    Berlin,  Staatliche  Sammlung  alter  Musikinstrumente 594 

37.  Gitarre  und  Gitarrekasten.    Marc  Antonio  Raimondi,  1510 — 15 596 

38.  Lira  da  braccio,  Laute.    Cima  da  Conegliano,  Venedig,  Akademie.    1.  Viertel 

16.  Jahrhundert 597 

39.  Tenorviola     da    Gamba.     Leipzig,    Instrumenten  -  Museum    der  Universitat. 
Nach:  Kinsky,  Katalog  des  Musikhistorischen  Museums  von  W.  Heyer 598 

40.  Viola  d'amore,  Sammlung  Wildhagen.    Nach:   Liitgendorff,  Die  Geigen-   und 
Lautenmacher 599 

41.  Baryton.  Berlin,  Staatliche  Sammlung  alter  Musikinstrumente.  Nach:  Liitgendorff, 
Die  Geigen-  und  Lautenmacher 599 

42.  Violine  von  Niccolo  Amati.   Wien,   Sammlung  Reti.    Nach:   Liitgendorff,   Die 
Geigen-  und  Lautenmacher 600 

43.  Violine  von  Antonio  Stradivari.    Cremona   1709.    Wien,  Sammlung  Hammerle. 
Nach:  Liitgendorff,  Die  Geigen- und  Lautenmacher .    .  601 

44.  Violine  von  Giuseppe  Guarneri  del   Gesu.    1736.     Stuttgart,    Hamma  u.   Co. 
Nach:  Liitgendorff,  Die  Geigen- und  Lautenmacher 602 

45.  Violine  von  Jakob  Stainer.  1658.  Stuttgart,  Hamma  u.  Co.  Nach:  Liitgendorff, 
Die  Geigen-  und  Lautenmacher 603 

46.  Cister  von  Girolamo  de  Virchi.  Brescia  1574.  Wien,  Staatl.  Sammlung  alter  Musik- 

. instrumente.   Nach:  Schlosser,   Unsere  Musikinstrumente '.    ,    .  604 

47.  Drehleier.   St.  Jago  di  Compostella,  Portico  della  Gloria.  12.— 13.  Jahrhundert  .  605 

48.  Altagyptische  Harfe  aus  dem  Grabe  Ramses  III.    Urn  1160  v.  Chr.    Nach: 
Sachs,  Die  Musikinstrumente  des  alten  Agypten 607 


Verzeichnis  der  Abbildungen  Nr.  49—76  1257 

Nr-  Seite 

49.  Blockfloten:  a)  16.  Jahrhundert;  b)  um  1700.  Berlin,  Staatliche  Sammlung  alter 

Musikinstrumente.    Nach :  Sachs,  Sammlung  alter  Musikinstrumente 609 

50.  Einhandflote   mit  Trommel,   gerade  Trompeten,  Pauken,   Schalmei. 
Lorenzetti,   Siena,  S.  Leonardo  al  Lago.   14.  Jahrhundert 610 

51.  Schema  derZungen:  a)  Gegenschlagzunge,  b)  Aufschlagzunge,  c)  Durchschlag- 
zunge.  Nach:  Sachs,  Die  Musikinstrumente  Indians  und  Indonesians 611 

52.  Sopranklarinette  von  Denner.    Berlin,  Staatliche  Sammlung  alter  Musikinstru 
mente.  Nach:  Sachs,  Sammlung  alter  Musikinstrumente 612 

53.  Bassetthorn.     Wien,     Staatliche    Sammlung    alter    Musikinstrumente.     Nach: 
Schlosser,  Unsere  Musikinstrumente 613 

54.  Altsaxophon.      Wien,    Staatliche    Sammlung    alter    Musikinstrumente.     Nach: 
Schlosser,  Unsere  Musikinstrumente 613 

55.  Aulos  und  Klappern.  Von  einer  Schale  des  Epiktet,  London,  British  Museum. 
Nach:  Furtwangler-Reichhold,  Griechische  Vasenmalerei 614 

56.  Englischhorn.     Wien,    Staatliche    Sammlung    alter    Musikinstrumente.     Nach: 
Schlosser,  Unsere  Musikinstrumente 615 

57.  Fagott.    16.  Jahrhundert.  Wien,  Gesellschaft  der  Musikfreunde 615 

58.  Krummhorn.   Carpaccio,  Venedig,  Akademie.   1510 616 

59.  Diskantrackett.    Wien,   Staatliche    Sammlung    alter    Musikinstrumente.    Nach: 
Schlosser,  Unsere  Musikinstrumente 617 

60.  Sackpfeife.  Wien,  Staatliche  Sammlung  alter  Musikinstrumente.  Nach:  Schlosser, 
Unsere  Musikmstrumente 618 

61.  Japanisches  Muschelhorn  (Horanokai).  Wien,  Gesellschaft  der  Musikfreunde  .  619 

62.  Krummer  Zink.    Wien,  Staatliche    Sammlung   alter  Musikinstrumente.    Nach: 
Schlosser,  Unsere  Musikinstrumente 620 

63.  Serpent.  Wien,  Gesellschaft  der  Musikfreunde 621 

64.  Ophikleide.  Wien,  Gesellschaft  der  Musikfreunde 622 

65.  Soprankornett.  Wien,  Gesellschaft  der  Musikfreunde 623 

66.  Waldhorn.   Wien,  Staatliche  Sammlung  alter  Musikinstrumente.   Nach:  Schlosser, 
Unsere  Musikinstrumente 624 

67.  Tenorzugposaune.    Wien,  Staatliche  Sammlung  alter  Musikinstrumente.   Nach: 
Schlosser:  Unsere  Musikinstrumente 625 

68.  Regal  u«d  Regal pfeife.   Berlin,  Staalliche  Sammlung  alter  Musikinstrumente    .  626 

69.  Schellentrommel,  Becken.  Niccolo  Pizzolo,  Padua,  Eremitanerkirche.  15.  Jahr 
hundert  630 

70.  Triangel.  Le  Sueur,  Paris,  Louvre.   1 7,  Jahrhundert     631 

71.  Xylophon.  Holbein,  Totentanz.  Um  1525 632 

72.  Nagelgeige.  Wien,  Gesellschaft  der  Musikfreunde 632 

73.  Ballet  comiquede  la  Royne,  Szenenbild  nach  einem  zeitgenossischen  Stich    .   .  643 

74.  J.B.  Lully,  Szenenbild,  Schlummerszene  aus  der  Oper  Atys,  nach  dem  Entwurf 
von  B^rain 650 

75.  J.S.Bach,  Autograph,  H-Moll-Messe,  Crucifixus,  Preuft.  Staatsbibliothek   ....  687 

76.  G.  Fr.  Handel,  Autograph,  Messias,  Halleluja,  King's  Library,  London 690 


1258  Verzeichnis  der  Abbildungen  Nr.  77—87 

Nr.  Seite 

77.  W.A.Mozart,  Szenenbild  zur  Zauberflote.  Historisches  Museum  der  Stadt  Wien  765 

78.  J.  Haydn,  Autograph,  Streichquartett  op.  76,  Nr.  3,  Kaiser-Quartett,  Preufi.  Staats 
bibliothek     771 

79.  W.  A.  Mozart,  Autograph,  Symphonie  C-Dur,  K.  V.  551,  Jupitersymphonie,  Preufi. 
Staatsbibliothek 775 

80.  L.  v.  Beethoven,  Autograph,  Klaviersonate  As-Dur  op.  26,  Preufi.  Staatsbibliothek  777 

81 .  R.  Wagner,  Autograph,  Meistersinger,  Vorspiel,  Germanisches  Museum,  Niirnberg  .   877 

82.  R.  Wagner,   Szenenbild,   Siegfried,   Briinhildes   Erwachen,   Nach  der  Bayreuther 
Urauffiihrung  gezeichnet  von  KnutEkwald,  Richard- Wagner- Museum,  Eisenach     .    .881 

83.  G.Verdi,   Szenenbild,    Othello,    l.Akt,   Der  Sturm.   Nach   der  Auffiihrung  der 
Mailander  Scala  gezeichnet  von  A.  Bonamore 909 

84.  G.Verdi,  Autograph,  Falstaff,  G.Ricordi  &  Co.,  Mailand 913 

85.  Fr.  Schubert,  Autograph,  Erlkonig 943 

86.  R.  Straufi,  Szenenbild,  Rosenkavalier,  1 .  Akt,  Wiener  Staatsoper,  von  Alfred  Roller. 
Adolph  Fiirstner,  Berlin 1031 

87.  I.Stravinsky,    Szenenbild,    der  Feuervogel,  von  N.  Gontcharowa.  Nach:  Gregor- 
Fiilop,  Das  russische  Theater 1141 


INDEX 

Personen-  und  Sachregister,  zusammengestellt  von  K.  A.  Rosenthal. 
Die  Aatorennamen  in  den  Literaturverzeichnissen  am  Ende  jedes  Kapitels  sind  hier  nlcht  aufger 


Aaw,  Ewald  1131. 
Aawilc,  Juhan  1131. 
dall'Abaco,  Evaristo  Felice  551,  555, 

571,   1206. 

dall'Abaco,  I.C.F.  1206. 
Abbatini,  Antonio  M.  420,  511. 
Abel,  Karl  Friedrich  800,  1206.. 
Aber,  A.  1240. 
Abert,  Hermann  1238,  1239. 
Abert,  Johann  Joseph  883. 
Abos,  Girolamo  1222. 
Abt,  Fr.  1040. 

Adam,  Adolphe  Charles  892, 893,894. 
Adam  de  la  Halle  I93f.,  198ff.,  258, 

262.,  641  f. 
Adam,  Eugen  1180. 
Adam,  Luis  1216,  1217. 
Adam  von  Dover  1228. 
Adam  von  Fulda  123,  377,  385. 
Adam  von  St.  Victor  88,  173. 
Adamic,  Emil  1166. 
Adamic,  Karl  1167. 
Addison,  John  662,  1241. 
Ademollo,  Alessandro  1238. 
Adler,  Franz  1206. 
Adler,Guido,431  #.,  1233, 1236, 1237, 

1239  u.a.O. 

Adlgasser,  Ant  Cajetan  712,  814,838. 
Aerophone  607  ff. 
Agathon  60. 

Agazzari,  Agostino  421  f.,  509,  1229. 
Agghazy  1172. 
Agostini,  Marco  1097. 
Agostini,  Paolo  511. 
Agr^ments  550,  570. 
Agricola,  Alexander  326. 
Agricola,  Joh.  Friedr.  1231. 
Agricola,  Martin  385,  448,  451 ,  1228. 
Aguiar  539. 

Aguilar,  Marianne  siehe  Garcia. 
Agujari,  Lucrecia  1222. 
Agujari,  Luiza  Rosa  siehe  Todi. 
Agypten  12f.,  5 If, 
Ahlc,  Joh.  Gcorg  462,  506,  694. 
Ahle,  Joh.  Rudolph  462,  506,  568, 

694. 

Ahlstrtim,  J.  N.  917. 
Aibl!ng<%  J.  C.  855. 
Aichinger,  Gregor  1229. 
Aiguino,  I'Vate  1226. 
m  H,  d.  M. 


Ailred  1228. 

Aim  1162. 

Ainsworth  1 187. 

Air  (Aria)  569. 

Akerberg,  Erik  1120. 

Akklamationen  128f. 

Akkompagnement,   obligates    789 ff., 

811,  812,  850f. 
Akkordion  628. 
Alabjew,  Alexander  1133. 
Alaleona,  Domenico  1096,   1097. 
Alard,  D.  1203. 
d'Alayrac,  Nicolaus  747,  749. 
Albani,  Emma  1223. 
Albeniz,  Don  Isaac  915,  1099,  1101, 

1219. 

Albeniz,  Don  Pedro  1098. 
d'Albert,  Eugen  875,  883,  887,  1035, 

1120f. 

Albert,  Heinrich  465,  691  f.,  1229. 
Alberti,  Domenico  800,  802,  808. 
Albicastro,  B.  1039. 
Albini,  S.  1168. 
Albinoni,  Tommaso  555. 
Albinus,  Caeionius  Rufus  38. 
Albrechtsberger,  Johann  Georg  773, 

820,  846,  1171. 
Albrici,  Vincenzo  451. 
Alcuinus  Flaccus  116,  1228. 
Alder,  C.  1038. 
Aldrich,  Henry  537. 
d'Alembert,  Jean  le  Rond  1229. 
Alessandrescu,  Alfred  1185. 
d'Alessandri,  Giulio  500, 
Alexandrow,  Anatol  1142. 
Alfano,  Franco  1094,  1096. 
Alfons  X.  der  Weise  183,  212. 
Alfven,  Hugo  1120,  1121,  1121 
Algarotti,  Francesco,  Graf  723,  730. 
Aljaz,  Jakob  1166. 
Alkaios  56. 

Alkman  aus  Sardes  56. 
Allegri,  Gregorio  495. 
Alleluia  86ff.,  llOf.,  113,  114. 
Allemande  564f.,  566 f.,  975,  977 f. 
de  Alma  1207. 
Alrnandoz,  Norhcrto  1 104. 
Alrnenrader,  Karl  580,  618. 
Alnas,  Eyvind  1116,  1117. 
Alpaerts,  F.   107"). 


Alpharabius  19. 

Altenburg,  Mich.  464. 

Alteration  252 f.,  307. 

Altfldte  612. 

Altmann,  W.  1240. 

Alypios  37,  42. 

Amalar  92. 

Amati,  Andrea  600. 

Amati,  Antonio  600. 

Amati,  Gerolamo  600. 

Amati,  Nicola  600. 

Amar-Hindemith-Quartett  1208. 

Ambros,  August  Wilhelm  51,  1235. 

1236,  1244. 

Ambrosius,  Bischof  79f .,  1 11,115,137. 
Ambrosius,  Hermann  1014. 
Amener  975. 
Amenfuge  516. 
Ammerbach   (Amerbach),   Elias   N. 

385,  451. 

d'Ana,  Francesco  335. 
Anakreon  von  Teos  56. 
Anastasios  130. 
Anders,  Erich  1014. 
Andre*,  Anton  1232. 
Andre,  Johann  701,  752,  944. 
Andrea  da  Firence  279. 
Andreae,  Volkrnar  1042. 
Andreas  Antiquus  326. 
Andreas  von  Fleury  175. 
Andreas  von  Kreta  131. 
Andreozzi,  Gaetano  905. 
Andres,  Johann  946. 
Andricu,  Michail  1185. 
Andriessen  Hendrik  1085. 
Andriessen,  Willem  1085. 
Andricu  Contredit  von  Arras  195. 
Andrieu,  F.  274. 

Anerio,  Felice  347,  490,  495,  5 1  to. 
Aneno,   Giovanni   Francesco   488 f,. 

491,  492,  510. 

Anfossi,  Pasquale  709.  744,  757. 
Angerer,  G.  1040. 
Anglaise  568 f. 
AngK\s.  Higini  1239. 
d'Anglehert,  Joan  Henri  571. 
AnhemitonischelVntatonik  siehe  Pcn- 

tatonik. 
Animuccia  Giovanni  3r5f.,  339,  484 

490, 


1260 


Index:  Anrooy  —  Ballad-opera 


Anrooy,  Peter  van  1084,  1214. 
Anschutz,  Karl  1190. 
Ansermet,  E.  1080. 
Ansorge,  Konrad  1014,  1218. 
Antaffy-Zsiross,  Desider  1173. 
Antcliffe,  Herbert  1240.    • 
Antegnati,  Costanzo  547. 
Antheil,  Georg  1219. 
Anthem  473. 
Anthimus  130. 
Antiphon  79,  112f. 
Antiphonar  82,  83. 
Antiphonie  129  u.  a.  0. 
Antonius  de  Arena  981. 
Aeolsharfe  866. 
Aoden  53. 
Apiarius  1039. 
Apostrophes  93. 
Appenzeller,  B.  1038. 
Aprile,  Giuseppe  1222. 
Arabisch-Persischer  Kulturkreis  18ff. 

23  ff.,  25,  33. 
Araciel  1098. 
Araja,  Francesco  1132. 
Aranaz  1098. 

Arbeau,  Toinot  396,  977ff. 
Arbeiterchore  1028f. 
Arbo,  Jens  1113. 
Arbos,  E.F.  1206. 
Arbter,  Alfred  1015. 
Arcadelt,  Jacob  361 , 363  ff.,  375, 376. 
Archicembalo  1227. 
ArchJlei,  Vittoria  1220. 
Archilochos  von  Paros  56. 
Architektonik,  musikalische 

Anfange  6; 

der    Orientalischen    Kulturvolker 

24f.; 

Archiv  f.  Musikwissenschaft  1238. 
Archytas  von  Tarent  36. 
Arciorgano  1287. 
ArditJ,  Luigi  908. 
Arebbo,  A.  472. 
Arend,  M.  1240. 
Arensky,  Anton  E.  924. 
dall'Argine,  Costantino  912. 
Aria  siehe  Air  (Tanzstiick). 
Aribo  von  Freising  100,  112. 
Arie  vide  Oper  u.  Oratorium  436 ff., 

708,  739,  743,  757  f. 
d'Arienzo,  Nicola  912. 
Ariette  701  u.  a.  0. 
Arion  58. 
Ariost  363. 
Ariosti,  Att.  500f. 
Aristides  Quintilianus  37,  115,  1224. 
Aristophanes  61. 


Aristoteles  36,  44,  46,  49,  416,  974, 

1224. 
Aristoxenos  von  Tarent  36 f.,  42,  44, 

46,  54,  416. 
Armenier  137,  139f. 
Armonie  siehe  Radleier. 
Ame,  Tomas  A.  662,  929,  962. 
Arnold,  G.  1039. 
Arnold,  Samuel  929. 
Arnold  von  Bruck  377,  378,  450. 
Arnoldson,  Sigrid  1223. 
Aron,  Pietro  1226,  1231. 
Arpeggione  603. 
Arregui,  Vicente  1100. 
Arresti,  Giul.  Cesare  500. 
de  Arriaga,  Juan  Crisostomo  1098. 
Arrieta,  Juan  1099. 
Arroyo,  Antonio  1106, 
Arroyo,  Joao  1 105. 
Ars  antiqua  163ff. 
Ars  nova  266  ff. 
Arsis  42,  67. 

Artusi,  Giov.  Maria  1227. 
Artzenius,  L.  M.  G.  1245. 
Aschylus  58,  59. 
Asplmayer,  Franz  752,  81 4  f. 
Assmayer,  J.  855,  1211. 
Asthetik  1236. 
Asthetik  der  Griechen  48  ff. 
Aston,  Hugh  536,  537. 
d'Astorga,  Emanuele  443. 
Atanasov,  G.  1170. 
Atanasov,  N.  1170. 
Athanasiu  1184. 
Athenaios  aus  Naukratis  38. 
Atherton,  Percy  1199. 
Atherwellenmusik  1005. 
Athiopier  138f. 
Atonalitat  1003. 

Attaignant,  Pierre  326,  374,  395  f. 
Attenhofer,  C.  1039. 
Atterberg,  Kurt  1121. 
Atterbury  929. 
Auber,  Daniel  Francois  Esprit  889, 

892,  893f, 

Auberlen,  S.  G.  1040. 
Aubert,  Louis  1064,  1071. 
Aubry,  Pierre  1237,  1238. 
Auer,  Leopold  v.  1206. 
Aufschnaiter,  Benedikt  553,  568,  571 . 
Augustinus  Aurelius    115,159. 
Aulin,  Tor  1119,  1121f.,  1205. 
Aulodie  55. 
Aulos43,46,  47,  52,  53,  58,61,573, 

614,  616. 

Aurelianus  von  Reome  117,  134. 
Auric,  Georges  1073, 


Auteri-Manzocchi,  Salvatore  914. 
d'Auvergne,  A.  657,  745,  746. 
d'Avenant,  Sir  William  658 f. 
Axman,  Emil  1 162. 
Ayrer,  Jacob  669. 
Azzaiuolo,  Filippo  371. 

Babic,  Benedikt  1167. 

Babst  447f. 

Bach,  August  Wilhelm  479. 

Bach,  Carl  Philipp  Emanuel  468, 474, 

557,  563,  697, 699, 700,  776, 800f., 

802f.,  806,  808ff.,  814,  823,  826, 

929,  1215f.,  1229,  1231,  1235. 
Bach,  Johann  Christian  739,  800f., 

802,  804,  808,  1216. 
Bach,  Johann  Christoph  Friedr.  462, 

506,  717,  800f. 
Bach,  Johann  Ernst  698,  700. 
Bach,Joh.Seb.602,617,683ff.,1215. 

Fugen  usw.  543f.,  545ff.,  562f. 

Kirchenmusik470, 472, 559ff.,696. 

Kirchensonaten  55 If.,  553 f. 

Konzerte  546,  555,  557f. 

Oratorien  (Kantaten)  482,  71 7f. 

Suiten568,569f.,571f.,801,977ff. 

Verschiedenes  562  f.,  580,  697. 
Bach,    Wilhelm    Friedemann    560, 

800f.,  831. 

Bache,  Francis  Edward  919. 
Bachelet,  Alfred  1062. 
Bachgesellschaft,  N<sue  480. 
Bachrich,  Ernst  1025. 
Backer-Lunde,  Johan  1117. 
Backhaus,  Wilh.  1219. 
Backofen,  K.  1039. 
Badia,  C.A.  679,  686,  710. 
Badov,  A.  1169f. 
Baena,  Lope  de  539. 
Bagge,  S.  1040. 
Bagier,  Guido  1018,  1240. 
Barf,  J,  A.  375,  379,  642. 
Baillot,  Pierre  Francois  1203. 
Bajdanov  1169. 
Bakcheios  37. 
Bakchylides  57. 
Balafo  32. 
Balakirew,  Mily  A.  921,  972,  1135 

1137. 

Baldamus,  G.  1040. 
Balducci,  Franc.  493. 
Balfe,  Mich,  William  9 19, 
Balilla-Pratella,  Francesco  1096, 
Ballade  (Balada)  944f, 

fran/osischc  192,  268 f.,  276. 

italienische  209,  21()f.,  278 f. 
Ballad-opera  662,  1044,  1189. 


Index:  Ballard  —  Bernardi 


1261 


Ballard  278,  648,  649. 
Ballett  81 4f. 

franzosisches  Hof-  642  ff. 
Ballett  (Schautanz)  395. 
Balletto  (Tanzlied)  372. 
Ballettsuiten  566. 
Balmer,  Luc.  1043. 
Baltazarini  siehe  Beaujoyeulx. 
Banchieri,  Adriano  373,394, 414,508, 

509,  1209. 
Bandler,  H.  1206. 
Bandmann,  Tony  1218. 
Bandoneon  584,  628. 
Bangert,  Emilius  1112. 
Banister,  John  659. 
Banjo  32,  584,  596. 
Bantock,  Granville  962,  1048. 
Barabra  15. 
Baranovic,  K.  1168. 
Barbier,  R.  1076. 
Barbieri,    Carlo    Emanuele    di    915, 

1098. 

Barbieri,  Franc.  Ascnjo  1099,   1237. 
Barbitos  47,  56. 
Barblan,  0.  1078,   1079. 
Bardu  Giovanni  414,4l6f., 421, 1227. 
Bardos,  Ludwig  1180. 
Barmas,  Issays  1206. 
Barnard,  John  473,  536. 
Barnekow,  Christian  1111. 
Barnes,  Edward  Shippen  1197. 
Barnett,  John  918. 
Barock  70  u.  a.  0.      • 
Bartay,  Andreas  926. 
Battels,  Wolfgang  1015. 
Barth,  Richard  1204. 
Bnrtok,B<'la926, 1122,  117411,1183, 

1219. 

Bartolino  von  Padua  279,  281,  291. 
Bartolnmeo  da  Bologna  292. 
Bartsch,  K.  188. 
Bnrvagnoli  1214. 
Baryphomus  1230. 
Baryton  599,  784. 
Basel!,  Fritz  887, 
Basevi,  Abrarno  908. 
Bnsile,  Adriana  1220. 
Basilc,  G.  B.  1220. 
Hanili,  Francesco  905,  1 1 34, 
Bns.sani,  G.  Batt.  500,  548  f.,  571, 
BuHHani,  Ora/io  <l<;lla  Viola  1206, 
Basse  danc<*  J%. 
Biiswlthorn  580,  615,  615,  784. 
BasHcvi  dcttoC'<irv<'tlo,(»iaa)mol217. 
Bullhorn,  ckngliHfhos  621. 
HaUklarinotto  615, 
BHHHO  oHtinatu  ">70. 


BaGtuba  622. 
Baston,  Jo.  374. 
Bataille,  Gabriele  645. 
Bateson,  Thomas  381. 
Bathyllus  Alexandrinus  62. 
Batka,  Richard  1244. 
Battanchon,  Felix  972. 
Battistini,  Mattia  1223. 
Battke,  Max  1232. 
Bauer,  Harold  1219. 
Bauer,  Marion  1198. 
Bauer,  Moritz  1239. 
Bauerle,  H.   1240. 
Baumgartner,  W.   1039. 
Baumker,  Wilhelm  1238. 
Baufinern,  Waldemar  von  887,  1014. 
Bax,  Arnold  1054. 
Bazin,  Francois  E.  J.  894. 
Bazzini,  Antonio  908,   1204. 
Beach,  H.  H.A.  1193. 
Beauchamps  648,  980. 
Beaujoyeulx,  Balthasar  de  642  ff.,  977. 
Beaulieu,  Lambert  de  642. 
Beccaria  981. 
Beck,  Franz  800. 
Beck,  K.  1043. 
Bccken  574,  630  f. 
Becker,  Albert  477  f. 
Becker,  Cornelius  453. 
Becker,  Dierlrich  568,  571. 
Becker,  Hugo  1207. 
Becker,  Jean  1207. 
Becker,  Rcinhold  884. 
Becking,  Gustav  1239. 
Beckman,  Bror  918,  1120. 
Beckmann,  Wilh.  G.   1239. 
Beda  Venerabilis  82,  84. 
Beecham,  Thomas  1051,   1214. 
Beer,  Max  J.  885. 
Beer-Waldbaum,  Anton   1013. 
Beethoven,  Ludwig  van  769 ff..  819, 

1171,  1211,  1216,  1217. 

Instrumcntalmusik     580,     819ff., 
824  f.,  826 ff. 

LJcder  702L,  941,  1048. 

Mcssen  849ff. 

Opem  766 f.,  866. 

Oratorienversuche  788,  927,  9*2. 

Tmue  984,  987. 
I,,c  Bf<bgue,  Nicolas  Antoiiu1  571. 
Boheini.  Michi'l  206.  1171. 
Berlins,  Ludw.   11) 3. 
Beier,  Fran/  886. 
Bdlschmiilt,  Curt  1015, 
Brkkcr,  Paul  1240,  1244. 
Bclaicv,  V.  M.  U45. 
Bcle//.a  1214. 


Beliczay   1172. 

Bella,  Jan  Levoslav  1164. 

Bella,  Rudolf  1015. 

Bellaigue,  Camille  1244. 

Bellere  375. 

Bellermann,  Friedrich  1238. 

Bellermann,  Heinrich   477,    1230, 

1238. 

Belleville  645. 
Belleville-Ourv,  Anna  1217. 
Bellincioni,  Gemma  1223. 
Bellhaver  394. 
Belli,  Domenico  421. 
Bellini,  Vincenzo  907,  908. 
Bembo,  Pietro  362,  1228, 
Benda,  Franz  1211. 
Benda,  Georg  752f.,  815,  929. 
Bendidia,  Lucrezia  370. 
Bendix,  Victor  1110. 
Bendl,  Karl  925. 
Bendzon,  Jorgen  1112. 
Benedict,  Julius  1045,  1217. 
Benevoli,  Orazio  510L,  517,  582f. 
Benndorf,  F.  K.  1241. 
Benner,  P.   1080. 
Bennett,   William  Sterndale    972, 

1044,  1055. 

Bennewitz,  Anton  1204. 
Benoit,  Peter  937,  962,  I074F. 
Benserade,  Isaac  de  646,  647. 
Benvenuti,  Giacomo  10Q7. 
Benvenuti,  Tomaso  912. 
Berdescu,  Alexander  1183. 
Berens,  Hermann  883. 
Beresowski,  Maxim  146,  1133. 
Beretta,  G.  B.  499. 
Berg,  Alban  1025,  1036f. 
Berg,  Natanael  1121,  1122. 
Brrgamasca  980. 
Bergbom,  K.  1125. 
Berger,  Ludwig  958,  1217. 
Bergsreen,  A.  P.  1109. 
Bergh,  Rudolph  1112. 
Bergmann,  Karl  1190. 
Bergmann-Sserow,  Val.  923. 
Bergmans,  Paul  1240. 
Bcriot,  Charles  A.  1203. 
Berlin  699ff.u.a.O. 
Berlin,  Irving  1  W. 
Berlio/,  Hektor  615,  621,  733,  856, 

8^5 f.,  90(>,  937,  962,  963  f.,  970, 

1058,1243,  1212, 1231,1232, 1240. 
Bernabei,  Ercole'672, 
Bernacchi,  Antonio  1221. 
Bernard!,  Bartolormro  1108. 
Bernard!,  Francesco  1221. 
Bernard!,  Steffano  517, 


1262 


Index:  Bernardoni  —  Branco 


Bernardoni  503. 

Bernart  vonVentadorn  183, 188,189f. 

Berner,  Friedrich  W.  478,  479,  506. 

Berners,  Lord  1054. 

Bernhardt,    Christoph    460,    46 If., 

1230f. 

Bernier,  R.  1076. 
Bemo  von  der  Reichenau  87, 89,  1 20, 

164. 

Bernoulli,  Eduard  1238,  1239. 
Berr,  Jose  1033. 
Bersa,  B.  1168. 
Bersa,  V.  v.  1168. 
Bertali,  Antonio  451,  503,  51 5f.,  521 , 

548,671,  1202. 
Berteau,  Marin  1206. 
Bertha,  Alexander  1172. 
Berti,  Ant.  499. 
Berti,  Giovan  Pietro  437  f, 
Bertolotti  da  Salo,  Gasparo  600. 
Bertom,  F.  G.  709,  733. 
Bertram,  Th.  1223. 
Bertran  de  Born  188. 
Berwald,  Fr.A.  1119. 
Besardus,  Joannes  Bapt.  402  f. 
Besch,  Otto  1015. 
Besekirsky,  B.W.  1203. 
Besseler,  Heinrich  1239. 
Bettleroper  1044. 
Beverini,  Franc.  413. 
Bewerunghe,  H.  1240. 
Bezecny,  E.  1240. 
Bharata  17. 

Bianchi,  Francesco  904. 
Bianchini  499. 
Bianciardi  1229. 
Biarent,  A.  1076. 
Biber,  Heinrich  Johann  Franz  von 

516,  517, 521,  523, 551,  572f.f  671, 

1202. 

Biber,  Karl  Heinrich  von  838. 
Bibiena,  Fr.  Galli  679. 
Bibl,  Andreas  855. 
Bibl,  Rudolf  856. 
Bicilli  499. 

Bie,  Oskar  1240,  1244. 
Biehle,  J.  1240. 
Bienenfeld,  Elsa  1240,  1244. 
Bienstock,  Heinrich  1033. 
Bihari  1172. 

van  der  Bijl,  Theo  1085. 
Billeter,  Ag.  1039. 
Billings,  William  1187. 
Binchois,  Gilles  298,  358  f. 
Binder,  Karl  991. 
Binicki,  St.  1169. 
Bird,  Arthur  1193. 


Birtner,  Herbert  1231. 

Bistropha  93. 

Bitonalitat  1003f. 

Bittner,  Julius  632,  1036. 

Bizet,     Alexandre     Cesar    Leopold 

Georges  630,  892,  899,  1060f. 
Blainville  1206. 
Blamont,  Colin  de  654. 
Blancafort,  Manuel  1104. 
Blanchet,  E.  1080. 
Blangini,  Giuseppe  905. 
Blaramberg,  Paul  J.  924. 
Blasinstrumente  580f.,  607ff. 
Blasinstrumente  der  Griechen  47  f. 
Blavet,  Michel  745. 
Blech,  Leo  875,  1014,  1036,  1213. 
Blemmydes,  Metrophanes  132. 
Bleyle,  Karl  1028. 
Bliss,  Arthur  1054. 
Bloch,  Ernest  1080,  1198. 
Blockflote  609f. 
Blockx,  Jan  1075. 
Blodek,  Wilhelm925,  1217. 
Blondel  von  Nesles  194. 
Blow,  John  661. 
Bluhmel  580. 
Blum  447. 
Blum,  Robert  1043. 
Blume,  F.  1240. 
Blumner,  Martin  477,  935. 
Bobcevski,  V.  1170. 
Boccherini,  Luigi  792,  814,  1206f. 
Bock  754. 

Bodanzky,  Arthur  1213. 
Bodenschatz,  Erhard  453,  462. 
De  Boeck,  Auguste  1075. 
Boehe,  Ernst  1012. 
Boesset,  Antoine  645,  648. 
Boesset,  J.  B.  646. 
Boetius,  A.M.T.S.38,  115f.,  416, 

1224. 

Boezi  1097. 
Bogen-Gitarre  602  f. 
Bohm,  Georg  470,  472,  543,  558 f., 

568,  571,  595. 
Bohm,  Josef  1204. 
Boehm,  Theobald  580,  61 1,616,  618. 
Bohnke,  Emil  1015. 
Bohoric,  Adam  1165. 
Bohrer,  Max  1207. 
Bohrerquartett  1207. 
Boieldieu,  Francois  Adrien  893. 
Du  Bois,  L.  1075. 
Boito,  Arrigo  912,  1088,  1095,  1240, 
Bojadzijev,  P.  1170. 
Bolero  983. 
Bolsche,  Franz  1239. 


Bomhart  siehe  Pumhart. 

Bonadies  siehe  Godentag,  Joh. 

Bonaventura,  Arnaldo  1249. 

Bonini,  Severe  417. 

Bonno,  Josef  709. 

Bononcini,    Giov.   Maria   500,    555, 

662,  665,  679,  709,  71  Of.,  1231. 
Bononcini,  Marc' Antonio  662,  709, 

711. 

Bontempi,  G.  A.  673. 
Bonvin,  L.  1078. 
Bordes,  Charles  1059,  1060. 
Bordini,  Faustina  siehe  Hasse. 
Bordogni,  Giulio  Marco  1222. 
Boretti,  G.  Antonio  428. 
Borgovan  1183. 

Borgstrom,  Hjalmar  1115,   1116. 
Borkovec  1162. 
Borodin,  Alexander  P.  922,  972,  1 135, 

1136. 

Borren,  Ch.  van  den  1240. 
Borresen,  Hakon  1112. 
Bortnjanski,  Dimitri  146,  924,  1133, 

1168. 

Bosiljevac,  S.  1167. 
Bosnians,  Henriette  1085. 
Bossi,  Enrico  857,  962f.,  1094. 
Bossi,  Renzo  1097. 
Bossinensis,  Franciscus  387,  431. 
Bofiler  1242. 
Boston  983. 
Botstiber,  Hugo  1239. 
Bott,  Jean  J.  883. 
Bottegari,  Cosimo  431. 
Bottesini,  Giovanni  908,  1089. 
Bottrigari,  Ercole  1227. 
Boulanger,  Lili  1071. 
Boult,  Aldrian  Cedric  1214. 
Bourree  568,  980. 
Bourgault-Ducoudray,     Louis    Alb. 

904. 

Bourgeois,  Loyo  298,  1077. 
Bovicelli  1220. 
Bovy-Lysberg,  Ch.  1078. 
Boyce,  William  473,  539,  928,  -962. 
Brade,  William  564. 
Bradsky,  W.  Theodor  925. 
Brahms,   Johannes   915,    945,    949, 

950ff.,953,961,968f.,  1013, 1174. 
Brailoiu,  C.  1183. 
Brajsa-Rasan,  M.  1167. 
Brambach  936. 
Brambilla,  Paolo  905. 
Branberger,  J.  1240. 
Branca,  Guglielmo  914. 
Brancaccio,  Antonio  908. 
Branco,  Luiz  de  Freitas  1105. 


Index:  Brand  —  Carissimi 


1263 


Brand,  Max  1037. 

Brand  (Brandt),  Michael  926,  1172. 

Brandts-Buys,  Jan  1085. 

Branle  564,  975  ff. 

Brasart  de  Leodio,  J.  298. 

Bratschisten  1206. 

Braun,  Fritz  3. 

Braun,  Rudolf  1013f.f  1015. 

Braunfels,  Walter  923,  1028,  1029. 

Brazys,  Theodor  1155. 

Breazul  1183. 

Brecher,  Gustav  1213. 

Bredicianu,  Tiberius  1183. 

Bree,  Malvine  1218. 

Breitenbach,  Fr.  J.  1040. 

Breithaupt,  R.  M.  1218. 

Brendel,  Franz  1244. 

Brenet,  Michel  1238. 

Breslaur,  Emil  1218. 

Breton,  Thomas  1099. 

Breton  y  Hernandez  Tomas  915. 

Breville,  Pierre  de  903,  1060. 

Brevis  91,  252,265. 

Bridge,  Frank  1053. 

Bridgetower  1203. 

Briegel,  W.  K.  466. 

Bristow,  George  1 1 92. 

Brlic,  A.  1168. 

Broadwood,  Lucy  1049. 

Brockes,  Heinrich  468, 469, 473,  717. 

Brockway,  Howard  1196. 

Bronner  466. 

Bronner,  Georg  674. 

Bronsart,  Hans  von  883. 

Bronsart,  Ingeborg  von  884. 

Broschi,  Carlo  1222. 

Brosig,  Morltz  479,  856. 

Browne,  William  Denis  1051. 

Bruch,  Max  884,  936,  949,  961 ,  972. 

von  Brucken-Fock,  G.  H.  G.  1085. 

Bruckner,  Anton  623,  861  ff.,  963, 

965,  971  f.,  1006,  1215. 
Brugnoli,  Secundus  1167. 
Bruhns,  Nikolaus  472. 
Brull  1099. 

Briill,  Ignaz  884f.,  949. 
Brumagne,  F.  1076. 
Brumel,  Antoine  326. 
Brun,  Fritz  1042. 
Bruneau,  L.  Ch.  B.  Alfred  892,  901, 

903,  1062,  1244. 
Bruno  von   Foul  89, 
Brustad,  Bjarne  1117. 
Bryennios,  Manuel  38,  107,  1224. 
Brzezitiski,  Franciszek  1148. 
Bucenus  455. 
Bucher,  Karl  4,  974, 


Buchmayr,  R.  1240. 

Buck,  Dudley  1194. 

Buck,  Rudolf  1029. 

Biicken,  Ernst  1239. 

Buffonistenstreit  654  f. 

Buhle,  Edward  1239. 

Buini,  G.  M.  742. 

Bukorestliev,  A.  1170. 

Bull,  John  390,  473,  1215. 

Bull,  Ole  91 6, 972, 1114, 1115,  1205. 

Bulla  1164. 

Biilow,  Hans  von  876, 883, 972, 1213, 

1218. 

Bungert,  August  884,  949. 
Buonamente,  G.  B.  1202. 
Buongiorno,  Crescenzo  914. 
Burck,  Joach.  v.  455. 
Burian,  E.  F.  1163. 
Burk  Mangold  202. 
Burkhard,  W.  1043. 
Burkhardt,  M.  1240. 
Burleigh,  Cecil  1198. 
Burleigh,  Henry  T.  1195. 
Burleska  572. 

Burlin,  Natalie  Curtis  1195. 
Burmester,  Willi  1204. 
Burnacini,  Giov.  670. 
Burney,  Charles  1235,  1237,  1241. 
Burton,  Frederick  Russel  1195. 
Burzio,  Nicolao  1225. 
Busch,  Adolf  1206. 
Busch,  Fritz  1213. 
Buschquartett  1207. 
Busi,  Leonida  1240. 
Busine  siehe  Trompete. 
Busnois,  Antoine  304. 
Busoni,  Ferruccio  914,  1004,  1005, 

1019,  1041,  J218.  1219,  1240. 
Busser,  H.P.  904. 
Buti,  Fr.  647. 
Butter  worth,  George  1051. 
Butting,  Max  1021,  1028. 
Buttstedt  470,  472,  1225. 
Buus,  Jacob  383,  388. 
Buxtehude,  Dietrich  461  f.,  464,  472, 

504,  506,  543,  551  f,,  558f.,  561, 

572,  1108. 

Buxtehude,  Job.  544.          , 
Buzzola,  Antonio  908. 
Byrd,  William  381  f.,  390,  472,  536, 

538f. 
Byzantinische  Kirchenmusik  126ff,, 

1168. 

C-aballero,  Fernandez  1099, 
Cabezon,  Felix  Antonio  de  388,391, 
Caccia  278,  282  ff. 


Caccini,  Francesca  421,  432 f. 
Caccini,Giulio414,416,  417,  418f., 

445,644,  1220,  1229,  1235. 
Caccini,  Lucia  1220. 
Caccini,  Settimia  1220. 
Cacilianismus  857  ff. 
Cacilienverein  480,  857. 
Caffarelli  siehe  Majorano,  Gaetano. 
Cadman,  Charles  Wakefield    1195. 
Cagnoni,  Antonio  908,  1089. 
Caland,  Elisabeth  1218. 
Calata  396. 
Caldara,  Antonio  444,  509,  531  ff., 

551,681,686,709,710,722,798. 
Caldicott,  Alfred  James  919. 
Qles,  Fr.  1100. 
Caletti-Bruni,  Pier- Francesco,  siehe 

Cavalli. 

Calrnus,  G.  1240. 
Calsabigi,  Ranieri  di  726,  729f. 
Calvisius,  Sethus  452,  453,  1230. 
Cambefort,  Jean  646,  649. 
Cambert,  Robert  648,  659. 
Cambini,  Giov.  Giuseppe  904. 
Camerata,   Florentiner  416ff.,  430, 

432  ff. 

Campion,  Thomas  658,  1228. 
del  Campo,  Conrado  1100. 
Campra,  Andre  444,  553,  653  f. 
Canario  568,  980. 
Canavasso,  Alessandro  1206. 
Canavasso,  Josef  1206. 
Cancov,  C.  1170. 
Cannabich,  Christian  800,  1211. 
Cantata  da  Camera  434ff. 
Cantemir,  Fiirst  Dimitri  1182. 
Canti  Carnascialeschi  370f.,  414f. 
Cantieni,  R.  1078. 
Cantus  planus  99. 
Canuntiis,  Petrus  de  1226. 
Canzon  siehe  Kanzone. 
Canzonetta  372,  433  f. 
Capellen,  Georg  1230. 
Cap  let,  Andre  1071. 
Capriccio  387,  543. 
Capricornus,  Samuel  497. 
Caproli,  Carlo  646. 
Capucci,  Giov.  Antonio  904. 
Cara,  Marchetto  359,  431. 
Carafa  de  Colobrano,  MJchele  892, 

905. 

Cardoso,  Manuel  540. 
Careno,  Therese  1219, 
Carestini,  Giov.  1221. 
Carey,  Henry  662. 
Carissimi,  Giacomo  427,  439,  .445, 
451,  498,  688,  705,  1231. 


1264 


Index:  Carl  VI.  -  Coerne 


Carl  VI.  524. 
Carlson,  Bengt  1128. 
Carmen  274. 
Carmina  Burana  187  f. 
Carneyro,  Claudio  1105. 
Caro,  Paul  886. 
Caron,  Philipe  304. 
Caroso  978,  981. 

Carpenter,  John  Alden  1197. 

Carraud  901. 

Caruso,  Enrico  1223. 
.Casali  709. 

Casals,  Pablo  1207,  1214. 

Casas,  M.  Bartolome  Perez  II 01. 

da  Cascia,  Donato  279. 

da  Cascia,  Giovanni  278,  281. 

Casella,  Alfredo  1096,  1214. 

Casella,  Pietro  905. 

Caserta ,  Phillipotus  von  274, 276, 29 1 . 

delta  Casa,  Girolamo  1220. 

Casimiri,  R.  C.  1097,  1240. 

Casimiro  da  Silva,  Joaquim  915. 

Cassiodorius  Magnus,  Aurelius  38, 
88,  115. 

Castaldi,  Alfons  1185. 

Castel,  L.B.  1229. 

Castelnuovo,  Mario  di  1096. 

Casticismo  1099,  1101. 

Castiglione  Bald.  431,  575. 

Castim,  Vila  539. 

Catalani,  Alfredo  1091f. 

Catalani,  Angelica  1223. 

Catalano,  Ottavio  495. 

Catch  382. 

Catoire,  George  1141. 

Catrufo  1077. 

Caudella,  Eduard  926. 

Caurroy,  Eustache  de  375. 

Cavalieri,   Emilio   de1   414,    416ff., 
421  f.,  487,  492,  1229. 

Cavalli,  Francesco  425  f.,  509,  645, 
646L,  670. 

Cavazzoni,  Girolamo  387,  388f.,  392. 

Cavos,  atterino  905,  920,  1133. 

Caza,  Francesco  1226. 

Cazzati,    Maurizio   500,    509,    547, 
548L,  571. 

Celansky,  L.  V.  1161. 

Celesta  583,  632. 

Cellier,  Alfred  919,  1055. 

Celtes,  Conrad  379,  668. 

Cembalo  siehe  Clavicembalo. 

Cennani  499. 

Cent  16. 

Cephalicus  94. 

Certon,  Pierre  330,  375. 

Cervantes  978  f. 


Cesari,  Gaetano  1237,  1240,  1245. 

Cesaris,  Joh.  274,  358. 

Cesti,   Marc'Antonio  427  ff.,  439ft, 
445,  497,  670,  671  f. 

Cesti,  Remigio  427. 

Chabrier,  Alexis  Emanuel  900,  1064. 

Chace  267. 

Chaconne  570,  980. 

Chadwick,  George  Whitefield  1 193. 

Chaillou  de  Pesstain  266. 

Chaix,  Ch.   1080. 

Chalumeau  612. 

Champion  de  Chambonnieres,  Jac 
ques  564,  1215. 

Chanson  191  f.,  358f.,  373ft,  386. 

Chanson,  instrumental  siehe  Kanzone. 

Chantavoine,  Jean  1240,  1244. 

Chapi  y  Lorente,  Ruperto  915,  1099. 

Charpentier,  Gustave  892,  901,  903, 
1062. 

Charpentier,  Marc-Antoine  497,  647, 
936. 

Chausson,  Ernest  903,  1059. 

Chavarri,  Eduardo  Lopez  1 1 00. 

Cheironomie  95,  1208. 

Chelius,  Oskar  von  886. 

Chelys  47. 

du  Chemin  374. 

Chenneviere,  Rudyard  D.  siehe  Do 
nald  Rudyard. 

Cherbuliez,  A.E.  1240. 

Cherubini,  Luigi  738, 748  f.,  766, 779, 
822,  855,  904,  1232. 

Chevalley,  H.  1244. 

Chevallier  645. 

Chiabrera,  Gabrielo  416,  418,  421, 
433. 

Chilese,  Bastiano  547. 

Chilesotti,  Oskar  1237. 

Chilston  292,  299,  1228. 

Chinesen  13 ff.,  20f. 

Chiostri  1207. 

Chitarra  battente  575,  595. 

Chitarrone  577,  592,  593. 

Choirilos  59. 

Chomonie  142f. 

Chopin,  Fre*deYic  Francois  963,  964, 
966f.,  1144f.,  1217. 

Choral,  evangelischer  379,  446ft 

Choralfantasie  392,  471 ,472,559. 

Choralkantace  460. 

Choralvariation  392,  451,  471,  558f. 

Choralvorspiel  392,  451,  472,  558f. 

Chorgesang: 
Byzantinischer  126ft 
Evangelischer  446ft 
Gregorianischer  75  ff. 


Chorgesang:  Griechischer  55  f.,  57 ff. 

Jiidischer  149ft 

Russischer  140ff. 
Chormusik  955  ff.    u.  a.  0. 
Christea,  Miron,  Patriarch  1184. 
Christiani,  A.  F.  1218. 
Christov,  D.  1170. 
Chromatik  der  Griechen  44,  60. 
ChrSn,  Thomas  1165. 
Chrotta  260. 

Chrysander,  Friedrich  1237,  1238. 
Chrysanthos  136. 
Chrysaphos,  Manuel  132. 
Chrysothemis  51. 
Chueca,  Federico  1099. 
Chvala,  Emanuel  1 162. 
Chybinski,  Adolf  1239. 
Ciacona  siehe  Chaconne. 
Ciampoli  492. 

Ciconia,  Johannes  292,  298,  358. 
Cilea,  Francesco  916,  1091. 
Cimarosa,  Domenico  709,  744f,  904, 

1133. 

Cimbalon  586. 
Ciorogariu  1183. 
Grille  720. 
Cister  591,  603,  604. 
Ciurlionis  1 1 56. 
Clapisson,  Antoine  Louis  894. 
Clapp,  Philip  Greely  11%, 
Clarino  578,  623  f. 
Clasing,J.H.933. 
Clausula  218ft,  232,  252 f. 
Clavicembalo  260,  383,  575,  586f., 

I214f. 
Clavichord  260,   383,   575,   587f., 

1214f. 

Clayton,  Thomas  662. 
Clemens  non  Papa,  Jacob  327 f.,  375. 
Clement,  Franz  1204. 
dementi,  Muzio  825,  1216,  1217. 
Clerambault,  Louis  Nicolas  444. 
Clereau,  Pierre  330. 
Cless,  Johann  669. 
Cleve,  Halfdan  1116,  1117. 
de  Cleve,  Johannes  328. 
Climacus  93,  251. 
Clivis  93,  251. 
Clodius,  Christian  696. 
Closson,  Ernest  1240,  1245. 
Clough-Leighter,  Henry  1199. 
Coccia,  Carlo  905. 
.Coccon,  Nicolo  908. 
Codax,  Martin  183. 
Coelestinl.  81. 
Coelho,  Ruy  1105. 
Coerne,  Louis  Adolphe  11%. 


Index:  Cohen  —  Demestische  Notation 


1265 


Cohen-Linaru,  M.  926. 

Coignet,  Horace  752,  815. 

Colascione  591,  594,  595. 

Colasse,  Pascal  553,  653. 

Coleman,  Ch.  659. 

Coleman,  E.  658 f. 

Collan,  K.   1124. 

Collegium  tibicmum  62. 

Colonna,  G.  Paolo  500. 

Colonne  897,  1214. 

Color  siehe  Mensuralnotation. 

Coltellini,  Marco  726,  729,  733. 

Come"die-ballet  647. 

Commedia  del  arte  371,  373,  415. 

Commemoratio  brevis  91  f. 

Commer,  Franz  477,  1237. 

Compere,  Loyset  304. 

Compta  1098. 

Concertino  555. 

Concerto  siehe  Konzert. 

Concerto  grosso  555. 

Concorie,  Giuseppe  908,  1222. 

Conductus    167,    171,    183,    184ff., 

221  ff.,  264,297. 
Conon  v.  B^thune  194. 
Conradi,  August  883. 
Conradi,  Job.  Georg  674. 
Conradi,  Job.  Gottfried  916. 
tonti,  Francesco  662,  681,  686,  709, 

710,  722,  797f.,  799,  804. 
Continue  siehe  GeneralbaB. 
Converse,  Frederick  S.  1196. 
Cook,  Will  Marion  1195. 
Cooke  296. 
Cooke,  Henry  659. 
Coolidge,  Elisabeth  Sprague  1200. 
Cooper,  Emil  1 153. 
Coperario  (Cooper),  Jobn  658. 
Copland,  Aaron  1198. 
Coppola,  Pier  Antonio  908. 
Copula  223,  226,  259. 
Coquard,  J.  A.  900,  904. 
Corbus,  Jacobus  279. 
Cordelia,  Giacomo  905. 
Corder,  Frederick  919,  1048, 
Cordier,  Baude  358. 
Corelli,  Arcangelo  548ff.,  555,  568, 

571,  688,  1203. 
Corezarius,  Job.  B.  279. 
Cornazaro  981. 
Corneille  646. 
Cornelius,   Peter  875,   948,  961  f., 

1231,  1240. 

Cornemuse  siehe  Sackpfeife  619. 
Cornet  a  pistons  621. 
Cornctti  621. 
Cornetto,  Antonio  414. 


Cornisb,  William  381. 

Coronaro,  Gaetano  914. 

Corri,  Domenico  904. 

Corsi,  Giuseppe  499. 

Corsi,  Jacopo  416ff. 

Corsini,  Bonavitus  279. 

Cortot,  Alfred  1219. 

Cossoni,  Don.  500. 

Costa,  Luis  1105. 

Costa,  Micbele  908. 

Costeley,  Guillaume  375. 

Cotto,  Johannes  97,  112,  120,   165, 

176,  1228. 

Coucy,  Kastellan  von  194. 
Couperin,  Francois  568,  571,  1215. 
Couperin,  Louis  564. 
COUDJS,  J.B.  1206. 
Couplet  ifn  Rondeau  569. 
Courante  564f.,  566f.,  975,  978. 
Courtois  375. 

Courvoisier,  Walter  888,  1013,  1042. 
de  Coussemaker,  E.  H.  124,  1237. 
de  Cousu,  Antoine  304. 
Cowell,  Henry  1198. 
Cowen,  Frederic  Hyman  919,  1047. 
Cramer,  Johann  Baptist  833,  1217. 
Cramers  Magazin  der  Musik  1242. 
Cras,  Jean  1060. 
Crequillon,  Thomas  375. 
Crescentini,  Girolamo  1221. 
Crist,  Brainbridge  1199. 
Cristofori,  Bart.  588 f. 
Cruger,  Johann  465,  1230. 
Crusell,  Bernhard  Henrik  1124. 
Cruz,  Agostinho  da  540. 
Cruz,  Ivo  1105. 
Crwth  591. 
Csermak  1172. 
Cuclin  1185. 
Cucu  1183,  1184. 
Cucuel,  Georg  1238. 
Cui,  CasarA.  921  f.,  1135,  1136L 
Gulp,  Julia  1082. 
Cunn,  Hanish  Mac  920. 
Curti,  Franz  886,  1040. 
Cusanino  siehe  Carestini,  Franc. 
Cuttell,  Richard  1228. 
Cuvelier,  Jean  274,  275. 
Cuypers,  Hubert  1085. 
Cuzzoni,  Francesca  666,  1222. 
Czardas  982  f. 

Czernohorsky,  Bohuslav  800,  846. 
Czemy,  Karl  833,  1216,  1217. 

JL/ach,  Simon  691. 
Daffner,  H.  1240. 
Damo  1152,  1154. 


Dalza,  Joanambrosio  387,  398. 

Damasus  81 . 

Damett  296. 

Damo'n  von  Athen  36,  49. 

Damrosch,  Frank  1194f.,  1214. 

Damrosch,  Leopold  1190,  1214. 

Damrosch,  Walter  1194f.,   1214. 

Dancla,  J.  B.  Ch.  1203,  1207. 

Danclaquartett  1207. 

Daneau,  N.  1075. 

Dannreuther,  Edward  1045,  1235. 

Dantz  396,  564,  976. 

Danzi  742. 

Daquin,  Louis  Claude  571. 

Dargomyshky,    Alexander    S.    148, 

920 f.,  972,  1134f. 
Darwin,  Charles  3,  1219. 
Darzins,  Emil  1 153. 
Dasianotation  99,  118,   159,   164. 
Dassoucy  646,  648. 
Daube  1229. 
Dauriac,  Lionel  1238. 
Davari,  Stefano  1240. 
Davenant,  Sir  William  siehe  d'Ave- 

nant. 

Davey,  Henry  1240. 
David,  Felicien  Cesar  896,  972. 
David,  Ferdinand  972,  1204, 
David,  Hans  1239. 
David,  K.  H.  1042. 
Davidow,  Karl  1207. 
Davies,  Henry  Walford  1048. 
Davis,  John  David  920. 
Day,  John  538. 
Daza,  Esteban  431. 
Debain,  Alexandra  Francois  627. 
Debussy,  Claude  A.  878,  904,  998, 

1058,  1065f. 
Decker,  W.  1040. 
Decsey,  E.  1240,  1244. 
Dedekind,  Konstantin  Christian  673, 

693. 

Degtarew,  Stephan  147. 
Dehn,  Siegfried  477,  875,  920,  1 134, 

1230. 

Delage,  Maurice  1071. 
Delannoy,  Marcel  1073. 
Delcroix,  L.  1076. 
Delibes,  Leo  901  f.,  1061. 
Delincourt,  Claude  1074. 
Delius,  Frederick  617,  920,   1019, 

1020,  105  If. 

Deller,  Florian  726,  729,  814. 
Dellinger,  Rudolf  886. 
Delune,  L.  1076. 
Demantius,  Christof  380,  455. 
Demestische  Notation  141. 


1266 


Index:  Demokritos  —  Ellerton 


Demokritos  36,  49. 

Denereaz,  A.  1080. 

Denijs,  Thomas  1082. 

Denkmaler  der  Tonkunst  in  Oster- 

reich  1237. 

Denkmaler  deutscher  Tonkunst  1 237. 
Denkmalerausgaben  1237. 
Denner,  J.  C.  612. 

Dent,  Edward  1240,  1245. 

Dentice,  Luigi  1226. 

Derschanovsky,  V.  1245. 

Descartes,  Rene  1235. 

Desmarets  653. 

D6sormrere  1074'. 

Destinn,  Emmy  1223. 

Destouches,  Andre*  553,  653,  654. 

Dett,  Nathaniel  1195. 

Deuring,  B.  1039. 

Deutscher  (Tanz)  981  f.,  984f. 

Dev,  Oskar  1166. 

Devise  443. 

Devozioni  491. 

Dezede  747. 

Diabelli,  A.  855. 

Dialoglauden  210,  487  ff. 

Didymos  Alexandrinus  37. 

Diepenbrock,  Alphons  1083. 

van  Dieren,  Bernhard  1054,  1086. 

Dieter,  Chr.  L.  752, 

Dietrich,  Albert  H.  883. 

Dietrich,  Sixt  377,  378,  450. 

Dietrichstein,  M.  Graf  703. 

Dietz,  M.  1238. 

Dimas  1184. 

Diminution  458f.,  550f. 

Dimitrov,  A.  1170. 

Dionysios  37. 

Dirigenten  1085, 1 190f.,  1200, 1208ff. 
Diruta,  Girolamo  394,  492. 
Discantus  99,  215ff.,  259. 
Diskant-Messe  299ff. 
Diskant-Tenor-Messe301 ,303f.,306. 
Dithyrambus  58f.,  60. 
Dittersdorf,  Karl  Ditters  v.  709,  71 1, 

754f.,  814,  846,  1171. 
Divertimento  785f.,  796,  802,  823. 
Divertissement  568. 
Divitis,  Antonius  326. 
Djordjevic",  V.  1169. 
Dluski,  Erazm  1147. 
Dobronic,  A.  1167. 
Dobrowen,  Issai  1142,  1144. 
Doebber,  Johannes  887. 
Dohler,  Theodor  1217. 
Dohnanyi,  Ernst  von   926,    I173f.. 

1214,  1219. 
Doles,  Joh.  Friedrich  473. 


Dolza,  J.A.,  siehe  Dalza. 

Domarto,  P.  de  304. 

Dominiceti,  Cesare  908. 

Dommer,  Arrey  von  1236. 

Donfried  453. 

Doni,  Giovanni  Battista  493,   1231, 
1235. 

Donizetti,  Gaetano  892,  894,  907. 

Donostia,  Jose  Antonio  1 1 04. 

Doppelpedalharfe  607. 

Dopper,  Cornells  1083f. 

Doppler,  A.Franz  926,  1174. 

Doppler,  Karl  926,  1174. 

Doret,  Gustave  1079. 

Doring,  Gottfried  476. 

Dorn,  Heinrich  1217. 

Dorn,  Heinrich  L.  E.  873,  1243. 

Dostalik,  Frano  1164. 

Dotzauer,  Friedrich  972,  1207. 

Dowell,  Edward  Mac  1193f.,  1219. 

Dowland,  John  390. 

Downes,  0.  1245. 

Doyague  1098. 

Draeseke,  Felix  A.  B.  884,  978,  1078. 

Draghi,  Antonio  503  f.,  524, 672,  710, 
711. 

Draghi,  G.  B.  659. 

Dragoiu,  Sabin  1 183,  1184,  1185  f. 

Drama,  geistliches  158,  168f.,  484, 

490f.,  641,  667 f. 
Dramma  per  musica  siehe  Oper,  An- 

fa'nge  der. 
Drechsler,  J.  855. 
Drehleier  siehe  Radleier. 
Dresden  530  f.,  544, 673, 71 1  f.  u.  a.O. 
Dresden,  Sem  1086. 
Drese,  Adam  694. 

Dressel,  Erwin  1037. 

Dressier,  Callus  453. 

Dretzel  466. 

Dreyschock,  Alexander  972,  1217. 

Dritteltone  1005. 

Dubbini,  Carlos  1105. 

Diiben,  Gustav  472  f.,  917. 

Dubois,  F.C1.  Theodore  901,  937. 

Ducis,  Benedikt  326,  377,  378,  379, 

450. 

Ductia  260,  395,  975  f. 
Dudelsack  siehe  Sackpfeife. 
Duett  444f. 
Dufaut  1207. 
Dufay,  Guillaume  298ff.,  309,  310, 

358. 

Dukas,  Paul  904,  1067f. 
Dulichius,  Philippus  453,  456. 
Duni,  Egidio  R.  746. 
Dunstable,  John  273,  295. 


Duparc,  Henri  1059. 

Duperier,  J.   1080. 

Duplum   177. 

Dupont,  A.   1075. 

Dupont,  Gabriel  1062f. 

Duport,  Jean  Louis  1206. 

Duport,  Jean  Pierre  1206. 

Duprato,  Jules  L.  902. 

Duprez  1223. 

Dupuis,  A.  1076. 

Dupuis,  Syivain  1075. 

Dupuy,  I.P.  1078. 

Dupuy,  J.B.Ed.  917. 

Durante,  Francesco  443,  502,  528, 

709,  800,  802. 
Durante,  Ottavio  492,  509. 
Durazzo,  Giacomo,  Graf  726,  729. 
Durey,  Louis  1074. 
Durst  1207. 

Dussart,  Johannes  (de  Sarto)  304. 
Dussek,  Ladislaus  825. 
Dvorak,  Anton  973,  1157f.,  1161. 
Dynamis  42. 

Eaglefield-Hull,  A.  1245. 

East  381. 

Eberl,  Anton  703,  774,  825,  1217. 

Eberlin,  Joh.  Ernst  712f.,  749,  802, 

814,  838. 

Ebner,  Wolfgang  544,  565. 
Eccard,  Johann  380,  452  f. 
Eccles,  John  662. 
Eckardt,  Joh.  Gottfr.  1217. 
Eckert,  Karl  A.  F.  883,  1212. 
Ecorcheville,  Jules  1238. 
Ecossaise  985,  988. 
Edele,  J.  1040. 
Edingius  454. 
Editio  Medicaea  124. 
Editio  Vaticana  125. 
van  den  Eeden,  J.  B.  819,  1075. 
Eggen,  Arne  1117. 
Egidius  Velut  298. 
EglJ,  J.  H.  1039. 
Ehrlich,  Heinrich  1244. 
Ehrstrdm,  F.  A.  1124. 
Eichheim,  Henry  1197. 
Einhandtee  610. 
Einstein,  Alfred  1239,  1244. 
EisenHuth,  Gjuro  1168. 
Eisler,  Edmund  993. 
Eitner,  Robert  1237,  1238. 
Eldering,  Bram  1206. 
Elgar,  Edward  962,  1047. 
Elias  Salomonis  122. 
Eller,  Heino  1131. 
Ellerton,  John  Lodge  919. 


Index:  Elling  —  Fistula 


1267 


Elling,  Catharinus  916,  1116. 

Ellis,  J.A.  16,  1237. 

Elmann,  Mischa  1206. 

Elouis  1078. 

Eisner,  G.  1144. 

Eisner,  Josef  964. 

Elster,  J.  D.   1040. 

Emborg,  J.L.   1112. 

Emery,  Stephen  1 192. 

Emmanuel,  Maurice  1240. 

Emmet,  Daniel  Decatur  1191. 

Enacovic  1 185. 

Enesco,  Georges  1064,  1185. 

Engel.  Carl  1198,  1240,  1245. 

Engel,  Gustav  1244. 

Engel,  J.  Dimitrowitsch  1240. 

Engelbert  von  Admont  122. 

Engelke,  Bernhard  1239. 

Engender,  R.  1240. 

Englischhorn  614,  615,  617. 

EnharmonikderGriechen44f,,54,60. 

Enna,  August  1112. 

Enthoven,  Emile  1086. 

Entstehung  der  Musik: 

Brauns  Theorie  3. 

Biichers  Theorie  4. 

Darwin s  Theorie  3. 

Groos'  Theorie  3. 

Hackers  Theorie  4. 

Spencers  Theorie  3,  24. 

Stumpfs  Theorie  4. 

Torrefrancas  Theorie  4. 

Wallaces  Theorie  3. 

Wallascheks  Theorie  4. 
Ephraem  von  Nisibis  137. 
Epigoneion  47. 
Epikur  37,  49. 
Epinikien  57. 
Epiphonus  94. 
Epstein,  Julius  1007, 
Erard,  S<£bastien  581,  589,  607. 
Erart,  Jehans  195. 
Eratosthenes  Alexandrinus  37. 
Erb,  John  Lawrence  1197. 
Erbach,  Christian  543. 
Erdmann,  Eduard  1219. 
Ereminas  1155, 
Erk,  Ludwig  1238. 
Erkel  Franz  926,  1072. 
Erlanger,  Camille  904,  1062. 
Erlebach,  Philipp  Heinrich  553,  568, 

571,  674,  695. 
Ernst,  Heinrich  Wilh.  1204. 
Erpf,  H.  1232,  1240. 
Ertel,  Jean  Paul  1012. 
Erzcister  604. 
Erzlauten  592  f. 


Esbry,  Fr.  1100. 
Eschenburg,  Johann  J.  754. 
Eschmann,  J.  K.  1040. 
Escobedo,  Bartholomeo  347. 
Eslava,  Don  M.  Hilarion  915,  1098, 

1237. 

Espagne,  Franz  858. 
Espla,  Oscar  1101,  1102f. 
Esposito,  Michael  914. 
Esser,  Heinrich  873,  972. 
Essipoff-Leschetizky,  Annette  1218, 

1219. 
Ethoslehre  der  Griechen  39,  42,  46, 

48ff. 
Ethoslehre  der  Primitiven  und  Exo~ 

ten  30. 

Ett,  Kaspar  855. 
Ettinger,  Max  1014. 
Eukleides  37,  1224. 
Euphonium  622. 
Euripides  60. 
Evans,  Edwin  1245. 
Mac  Ewen,  John  Blackwood  1048. 
Expert,  Henry  1237. 
Expressionismus  998,  1003f. 
Eybler,  J.  855,  933. 
Eysler,  Edmund  993. 

raber,  Gregor  1228. 
Faber,  Heinrich  448,  505,  1228. 
Fabricius,  Jacob  1111. 
Faccio,  Franco  912. 
Fago,  Nicola  430,  502. 
Fagott  576,  578,  615,  618. 
Fahrbach,  Philipp  988. 
Fairchild,  Blair  1197. 
Fairfax,  Robert  326,  537. 
Faiflt,  Immanuel  G.  Fr.  479. 
Falconieri,  Andrea  438  f. 
Fall,  Leo  993,  1035. 
de  Falla,  Manuel  587, 1 099, 1 1 01 , 1 1 02. 
Faltin,  Richard  1124f. 
Famintzin,  Alexander  S.  924. 
Fandango  983. 
Fantasia  385,  390,  541. 
Fantasie  563,  808,  832. 
Fara,  Giulio  1097. 
Farbenklavier  1005,  1139. 
Farinelli  siehe  Broschi,  Carlo. 
Farjeon,  Harry  920. 
Farmer,  John  381. 
Farnaby  381. 
Farrar,  Geraldine  1223. 
Farsa  88. 

Farwell,  Arthur  1195. 
Fasch,  Johann  Friedrich  470,  553 f., 
568,  571,  717. 


FaBbander,  P.  1040. 

Faure,  Gabriel  M.  901 ,  1063f.,  1068, 

1071. 

Fauxbourdon  291,  299,  309,"  1228. 
Favart,  Charles  745,  897. 
Feinberg,  Samuel  1142. 
Felber,  Erwin  1239. 
Fellerer,  K.  G.  1239. 
Fellinstrumente  628  ff. 
Fenis,  Rudolf  v.  202. 
Feo,  Francesco  709,  798. 
Ferdinand  III.  524,  670. 
Ferrabosco,  Alfonso  658. 
Ferrari,  Benedetto  438,  500. 
Ferretti,  Don  Paolo  1097. 
Ferri,  Baldassare  708,  1221. 
Ferroud,  P.O.  1073. 
Fesca,  Alexander  Ernst  873. 
Fesca,  Fr.E.  873. 
Fesch,  W.  de  929. 
Festa,  Costanzo  335,  363. 
Fetis,  Francois  Joseph   1075,   1230, 

1235,  1236,  1237,  1243. 
Feuillet  980. 
Fevrier,  Henri  1062. 
Fibich,  Zdenko  973,  1158,  1162. 
Ficker,  Rudolf  1239. 
Fidula  siehe  Fiedel. 
Fiebach,  Otto  885. 
Fiedel  260,  574,  577,  591,  596  ff. 
Field,  John  833,  1216,  1217. 
Fielding  707. 
Figulus,  Wolfg.  1228. 
Figus-Bystry  1 164. 
Filippi,  Filippo  de  1243. 
Filke,  Max  856. 
Filtz,  Anton  774,  800. 
Finale  744. 
Finalis  117. 

Finck,  Heinrich  336,  376f,,  385. 
Fink,  G.W.  1243. 
Finke,  Fidelio  F.  1025. 
Finke,  Romeo  1217. 
Fino,  Giocondo  1079. 
Finolt  505. 

Fioravanti,  Valentino  905. 
Fioravanti,  Vincenzo  908. 
Fischer,  A.  476. 
Fischer,  Edwin  1219. 
Fischer,  Gotth.  479, 
Fischer,  Johann  Kaspar  Ferdinand 

544,  553,561,  568,  571. 
Fischer,  Karl  August  479. 
Fischer,  Wilhelm  1239. 
Fischhof,  Robert  1015. 
Fischietti  709,  712,  743. 
Fistula  siehe  Flote. 


1268 


Index:  Fitelberg  —  Gandolfi 


Fitelberg,  Gregor  1148,  1214. 

Fitelberg,  Jerzy  1151. 

Fitzner-Quartett  1207. 

Flageolett  610. 

Flagg,  Josiah  1188. 

Flechtenmacher  926,  1184. 

Fleischer,  Anton  1214. 

Fleischer,  Oskar  1239. 

Le  Flem,  Paul  1060. 

Flesch,  Karl  1204,  1205. 

Flexa  93. 

Flexaton  584,  631. 

Flodin,  Karl  1127. 

Flondor,  Th.  de  926. 

FIonzaley-Quartett  1207. 

Floquet,  E.J.  737. 

Flor  472. 

Florentiner  Streichquartett  1207. 

Florenz'416ff.,  432  ff.,  502  u.  a.  0. 

Florio,  Cav.  de  1182. 

FloBpsalterium  585. 

Flote  12,  260,  574f.,  576,  579,  580, 

581,  609ff. 

Flotow,  Friedrich  v.  875. 
Fliigelhorn  580,  621. 
Flury,  R.  1043. 
Foggia,  Francesco  497,  499. 
Fogliano,  Ludovico  1226,  1231. 
Folescu  1184. 
Follia  (Folie)  570,  980. 
Folprecht,  Zdenko  1165. 
Folquet  von  Marseille  188. 
Fomin  1133. 
Fontaine,  Petrus  358. 
Fontana,  Giovanni  Battista  548. 
Fontes  539. 
Foote,  Arthur  1193. 
Forchhammer,  Th.  1039. 
Forgeron,  Charles  siehe  Kovarovic, 

Karl. 

Forkel,  Joh.Nikolaus  928, 1235, 1242. 
Formen,  musikalische 

des  Gregorian  Jschen  Chorals  108ff. 

der  Halblculturvolker  25  ff. 

der    orientalischen    Kulturvolker 
25  ff. 

siehe  einzelne  Abschnitte. 
Formschneider,    Hieronymus    3 1 9, 

326. 

Fornerod,  A.  1080. 
Foroni,  Jac.  917. 
Forster,  Georg  376. 
Foerster,  Adolphe  Martin  1193. 
Foerster,  Anton  1166. 
Forster,  Caspar  463,  470,  497,  506. 
Forster,  Christoph  553  f.,  568,  571. 
Forster,  Em.  Alois  825. 


Foerster,  J.  B.  1158f. 

Fortsch,  J.Ph.  674. 

Foster,  Stephen  Collins  1191. 

Foxtrott  974. 

Fragoso,  Antonio  1105. 

Franc,  G.  1077. 

Franceschini,  Petronio  1206. 

Franchetti,  Alberto  914,  109HL 

Francisci  1 1 64. 

Franck,  Cesar  Aug.  855,  902,  937, 

972,  998,  1058f.,  1075f. 
Franck,  Johann  Wolfgang  674  f.f  692, 

695. 

Franck,  Melchior  380,  452,  564. 
Franck,  Salomo  467. 
Franckenstein,  Clemens  v.   1014. 
Franco,  Jose"  Maria  1 1 04. 
Franco  von  Koln  254,  261. 
Franco  von  Paris  261. 
Francceur  654. 
Frank,  Ernst  875,  885. 
Frank,  Maurits  1207. 
Frankl,  Paul  1009. 
Franklin,.  Benjamin  633,  1189. 
Frantz,  W.  475. 
Franz,  Robert  476,  947 f.,  961. 
Franziscus  von  Assisi  207. 
Frati,  Lodovico  1240. 
Frauenberg  1038. 
Freeh  475. 
Frei,  J.  1040. 
Frere,R.W.  H.  1240. 
Freschi,  Domenico  429,  500. 
Frescobaldi,   Girolamo  472,  54  Iff., 

547,  558,  560,  567,  1209f.,  1215. 
Frestele  siehe  Flote. 
Freudenberg,  Wilhelm  884. 
Frey,  E.  1042. 
Frey,  Walter  304. 
Freylinghausen  466. 
Friberth,  Karl  701. 
Frid,  Geza  1180. 
Fried,  Oscar  1029,  1213. 
Friedheim,  Arthur  1218. 
Friedlander,  Max  1239. 
Friedmann,  Ignaz  1150,  1218,  1219. 
Friemann,  Witold  1151. 
Frimmel,  Theodor  1240. 
Frischenschlager,  Friedrich  1015. 
Fritsch,  E.  W.  1244. 
Fritz,  G.  1078. 
Froberger,  Johann  Jakob  472,  543, 

561,  562,  566,571,  1215. 
Frohlich,  E.  1040. 
Fromm,  Andreas  506. 
Frottola  335,  359ff.,  370,  379. 
Frugatta,  Giuseppe  1097. 


Frutolf  von  Michelsberg  121. 

Fry,  William  1192. 

Fuchs,  Albert  886. 

Fuchs,  Ferdinand  Karl  873. 

Fuchs,  Robert  887,  949,  1007,  1015. 

Fuenllana,  Miguel  de  387,  401  f.,  431 . 

Fuge  542,  545  f. 

Fuge,  Vorformen  der  278,  541  ff. 

Fiihrer,  R.  856. 

Fuller-Maitland,    John-Alexander 
1049,  1235,  1237. 

Funck,  D.  1206. 

Fundamentinstrumente  587. 

Funfstufigkeit  siehe  Pentatonik. 

Furlotti,  Arnaldo  1097. 

Furtwangler,  Wilh.  1213. 

Furuhjelm,  Erik  1127. 

Futterer,  K.  W.  1042. 

Fux,  Johann  Joseph  524ff.,  547,  548, 
551, 553, 568, 571, 679ff.,  686, 709, 
710,  778,  780,  1230,  1231. 

Gabrieli,  Andrea  352,  356,  367,  388, 

389,  390,  394,  414,  452,  455,  540. 
Gabrieli,  Giovanni  352  ff.,  388,  390  f., 

393 f.,  455,  460,  507 f.,  547,  548. 
Gabrielli,  Domenico  500. 
Gabrielli,  Conte  Nicole  908. 
Gabrilowitsch,    Ossip    1200,    1214, 

1218,  1219. 
Gace  Brute  194. 
Gade,  Niels  Wilhelm  935  f.,  949, 961, 

972,  1109L 
Gaffi,  Bernardo  499. 
Gafurius,    Franchinus    308,    309  f., 

1225  f. 
Gagliano,  Marco  di  Zanoti  da  417, 

420,  421,  509. 
Gagliarda  siehe  Galliarde. 
Gagnebin,  H.  1080. 
Gil,  Hans  1015,  1028,  1033. 
Galilei,  Vincenzo  416,  432,  1227. 
Galiot,  Jean  274. 
Gall,  Jan  1146. 
Galli,  Amintore  914. 
Galliarde  (Caillarde,  Gagliarda)  3%, 

564f.f  975,  978. 
Galiot  1202. 
Gallotti,  Salvatore  1097. 
Gallus  (Handl),  Jacobus  355 f.,  453, 

1165. 

Galopp  988, 
Galuppi,  Baldassare  146,  709,  739, 

742,  743f.,  840,  1132. 
Gamben  575, 
Gamelan  32. 
Gandolfi,  Riccardo  C.D.D.  912. 


Index:  Gangler  —  Gotovac 


1269 


Gangler,  Th.   1040. 

Gansbacher,  J.  B.  855. 

Ganz,  R.   1042. 

Garcia,    Jeronimo    Rodriguez    1223. 

Garcia,  Manuel  905,   1190,   1223. 

Garcia,  Manuel  del  Popolo  Vicente 

1223. 

Garcia,  Marianne  1223. 
Gardano,  Antonio  326. 
Gardiner,  Balfour  1052. 
Gasco,  Alberto  1097. 
Gaspari,  Gaetano  1238. 
GaiJmann,  Florian  709,  712,  733,  740, 

743,  744,  754,  755,  846. 
Gafiner,  F.  S.  1212. 
Cast,  Peter  885. 

Gastoldi,  Giov.Giac.  372,  451,  452. 
Gastoue,  Amed£e  1240. 
Gatti,  Guide  M.  1245. 
Gatty,  Nicholas  1056. 
Gaudencije,  Nikolaus  1167. 
Gaudentios  37. 

Gaultier,  Denis  405,  564,  1202. 
Gautier  de  Coincy  262. 
Gautier  de  Dargies  194, 
Gaveaux,  P.  766. 
Gavinie's,  Pierre  800. 
Gavotte  568,  976. 
Gay,  John  662,  707. 
Gaztambide,  Joaquim  1098. 
Gazzaniga  761  f. 
Gebirgszither  585  f. 
Gedalge  1068. 
Gehrrnann,  Hermann  1239. 
Geierhaas,  Gustav  1014. 
Gcigc  260, 574, 591 ,  593,  595  u.  siehe 

Violine. 

Geigenfiedel  599. 
Geiger  1202ff. 
Geijer,  Gosta  918. 
Geiringer,  Else  1015. 
Geisef,  W.  1043. 
Grisler,  Paul  886. 
Gelinek,  Josef  825. 
Gellius  38. 
Genu'indelted, 

cvangcli.sche.s  447. 

katholisehes  847  ff, 
Geminiani,  Francesco  551,  557,  571, 

8fX). 

Genee,  Richard  993. 
GeneralbaB  380,  417,  432,456,  464, 

508,550,691,1209f.J229u.a.O. 
General!,  Pietro  905,  908. 
Genet/.,  Kmil  1127. 
Gennrich,  Friedrich  1239. 
Gentili  1232. 


Genzbacher,  Josef  1223. 

Georg  Anselm  von  Parma  1224. 

Georges,  Alexander  904. 

Georgiceo,  A.   1 167. 

Georgiev,  G.  1 1 70. 

Gerber,  Ernst  Ludwig  1237. 

Gerbert,  Furstabt  Martin  124,  1236f. 

Gerbic,  Franc  1 166. 

Gerhard,  Roberto  1104. 

Gerhardt,  Elena  1223. 

Gericke,  Wilhelm  1191. 

Gerle,  Hans  388. 

German,  J.  Edward  (Jones,  German 

Edw.)  91 9f.,  1045. 
Germer  1218. 
Gernsheim,  Friedrich  936. 
Gero  363. 

Gershwin,  Georg  1 1 99. 
Gervais,  Ch.  H.  654. 
Gesellschaftslied,  deutsches  376ff. 
Gesellschaftstanz  395  ff.,  973  ff. 
Gesius,  Bartholomaus  452,  454,  455, 

464. 
Gesualdo  da  Venosa,  Carlo  363,  367, 

369,  417. 

Gevaert,  August  82,  1074,  1238. 
Gewandhausquartett  1033,  1207. 
Ghirardello  279. 
Ghiselin,  Jean  326. 
Giacomelli,  Gemmiano  528. 
Giacomo,  Salvatore  di  lz4Q. 
Gianotti,  Ant.  500. 
Gibbons,  Christoph  659. 
Gibbons,  Orlando  381  f.,  536,  539. 
Gibbs,  Cecil  Armstrong  1054. 
Gieseking,  Walter  1219. 
Gigli,  Benjamino  1223. 
Gigue  siehe  Geige. 
Gigue  (Instrumentalstiick)  564,  567, 

979. 

Gil,  Pero  539. 
Gilbert,  Henry  F.  1195f. 
Gillebert  von   Berneville   194,    195. 
GillJers,  Ch.  745. 
Gilman,  Lawrence  1200. 
van  Gilse,  Jan  1085. 
Gilson,  Paul  1075,  1076. 
Gindron  1077. 
Gintzler,  Simon  395. 
Giordano,  Umberto  1091. 
Giosa,  Nicola  de  908. 
Giotti  1077. 

Giovanelli,  Ruggiero  375,  510. 
Giovannini  697, 
Giraffenklavier  589,  590. 
Giraldus  Cambrensis  166,  1108. 
Gitarre  260,  574f.,  591,  595 f. 


Giustiniani,  Vincenzo  431. 
Glareanus,  Heinrich  Loris357,  1039, 

1228,  1234. 
Glaser,  Franz  873. 
Glasharmonika  633,  866,  1189. 
Glass,  Louis  11 1 1  f. 
Glasunow,  Alexander  922, 1041, 1214. 
Glaukos  von  Rhegion  36. 
Glavic,  Simon  1 167. 
Gleason,  Frederic  Grant  1194. 
Gleboff,  J.  1245. 
Glee  382. 
Glettle  1039. 
Gliere,  Reinhold  1141. 
Gliers  von  Pruntrut  1077. 
Glinka,   Michael   Iwanowitsch    147, 

148,  920,972,  1133f. 
Glinski,  M.  1245. 
Globokar,  Joh.  1165. 
Glockenspiel  632. 
Gloetzner,  Anton  1197. 
Gluck,  Christoph  Willibald  554, 629, 

699,  728ff.,  745,  747,  754,  769 f., 

792, 805, 813,  814, 816f.,  928, 929, 

1108,  1211. 
Glykys,  Johannes  132. 
Gmeindl,  Walter  1034. 
Gmelch,  Josef  1239. 
Gobelinus  Person  123. 
Godard,  L.  P.  Benjamin  901. 
Godentag,  Joh.  1224. 
Godowsky,  Leopold  1219. 
Goes,  Damaib  539. 
Golbi,  Henrik  1172. 
Goldmark,  Karl  873,  949,  972. 
Goldmark,  Rubin  1196. 
Goldoni,  Carlo  742  f. 
Goldschmidt,  Adalbert  von  885,  936, 

1029. 

Goldschmidt,  Berthold  1027,  1034. 
Golestan,  Stan  1185. 
Goller,  Vinzenz  858,  1015. 
Goltermann,  Julius  1207. 
Gombert,  Nicolas  327 f.,  375. 
Gomes,  Amadeo  Carlos  1089. 
Gomez,  T.  1100. 
Gomnas,  F.  W.  1117. 
Gong  632. 

Goossens,  Eugene  1054,  1214. 
Goepfart,  Karl  E.  886. 
Corner,  Valentin  698,  955. 
Gospel  Hymns  1188. 
Gossec,  Franz  Joseph  737,  747,  800, 

936. 

Gofiwin,  Anton  379. 
Gotik  69  u.  a.  0. 
Gotovac,  J.  1168. 


1270 


Index:  Gottschalk  —  Hall 


Gottschalk,  Louis  Moreau  1192. 
Goetz,  Hermann  875,  949,  972,  1040. 
Goudimel,  Claude  3301,  375,  379, 

452,  453,  1077. 

van  Goudoever,  Henri  D.   1086. 
Gounod,  Charles  Francois  855,  895, 

896  f.,  937. 
Grabert,  Martin  579. 
Grabner,  Hermann  1018f.,  1028. 
Grabu,  Louis  659. 
Graf,  Max  1240,  1244. 
Grafe,  Friedrich  697. 
Graffigna,  Achille  908. 
Grainger,  Percy  1052,  1198. 
Gram,  Peder  1112. 
Grammann,  Karl  884. 
Granados,  Enrique  1099,  11 01,  1 102. 

1219. 

Grandi,  Alessandro  509 f. 
Graener,  Paul  1033. 
Graser,  Wolfgang  1239. 
Grasse,  Edwin  1 197. 
Grast,  Fr.  1078. 
Gratiani,  Bonif.  497. 
Gratiosus  von  Padua  279. 
Graumann,  Mathilde  siehe  Marchesi. 
Graun,  Johann  Gottlieb  800,  801. 
Graun,  Karl  Heinrich  473,  474,  679, 

697,  699,  712,  728,  800,  801,  929, 

1211,  1225. 

Graupner,  Christoph  470,  557,  678. 
Gravicembalo  1227. 
Gray,  Alan  1048. 
Greco,  Gaetano  502,  709. 
Green,  Diinton  1245. 
Greff,Bakfark,  Valentin  387  fM  1171. 
Grefflinger  693. 
Gregor  von  Bridlington  1228. 
Gregor  I.,  der  GroBe,  Papst  82f., 

116. 

Gregor,  Josef  1239. 
Gregori,  Lorenzo  555. 
Gregorianischer  Gesang  75  ff.,  339. 

Entstehung  75  ff. 

Formen  108ff. 

geschichtliche  Bedeutung  75. 

Niedergang  123  f. 

nordische,    germanische    Fassung 
85,  100. 

Reform  100,  124,  339. 

Stilarten  UOff. 

Theorie  I14ff. 

TonscHrift  90ff. 

Verbreitung  84  ff. 
GreiBle,  Felix  1025. 
Greith,  Karl  855,  858,  1039. 
Grell,  E.  A.  477. 


Grenon,  Nic.  298. 

Gretry,  Ernest  Modeste  737,  746, 
747,  1231. 

Gretschaninow,  Alexander  T.    147, 
924. 

Gr?o*evic,  Z.  1168. 

Griechen  35  ff. 
Asthetik  der  Griechen  48ff. 
Instrumente  der  Griechen  47  f. 
Notenschrift  der  Griechen  35  ff. 
Theorie  der  Griechen  39  ff. 
Ursprung  der  Musik  der  Griechen 
50ff. 

Grieg,  Edvard  916,  962,  972,  1113, 
1114,  1115,  1119. 

Grlepenkerl,  W.R.891. 

Griesbacher,  Peter  858,  1240. 

Griffes,  Charles  T.  1197. 

Griff i,  Horatio  488f.,  490  ff. 

Griffloch  608. 

Grimace  274. 

Grisar,  Albert  894. 

Grondahl,  Agathe  Backer  1115. 

Gronostay,  Walter  1025,  1037. 

Groos,  Karl  3. 

Grosman,  Ludwik  1145. 

Grossi,  Carlo  428. 

Grossi,  Ludovico,  siehe  Viadana. 

Grossin  de  Parisiis  298. 

Grosz,  Wilhelm  1021. 

Ground  570. 

Grove,  George  1236,  1238. 

Groven,  Eyvind  1117. 

Grovlez,  Gabriel  1214. 

Griinberg,  Louis  1 1 98. 

Griiner-Hegge,  Odd  1117. 

Griirtewald  70L 

Grunfeld,  Alfred  1219. 

Grunsky,  K.  1240. 

Gruodis,  J.  1156, 

Grutzmacher,  Friedrich  972. 

Guami,  Joseffo  394,  547. 

Guarini  363,  415,  435. 

Guarneri,  F.  1206. 

Guarneri,     Giuseppe     del    Gesu 

601  f. 

Guarnerius  1224. 
Gucetic,  Franz  1167. 
Gudavicius,  J.  1 1 56, 
Guedron,  Pierre  645. 
Gueranger,  Dom  Prosper  124. 
de  la  Guerre,  Michel  648. 
Guerrero,  Francisco  348. 
Guglielmi,  Pietro  709,  739,  744. 
Gui,  Vittorio  1096,  1214. 
Guidiccioni,  Laura  414,  421,  492. 
Guido  d'Eu  von  Longpont  122. 


GuidovonArezzo92,98,  112,  119f., 

164ff.,  176. 

Guido  von  Cherlieu  122. 
Guilelmus  monachus  299,  309. 
Guillaume  le  Grant  298. 
Guilleaume  le  Heurteur  330. 
Cuilmant,  Alexander  1237. 
Guilmant,  F.  855. 
Guiot  von  Dijon  195. 
Guirand,  Ernest  902,  1065,  1067. 
Guitar,  English  604. 
Gumbert,  Ferdinand  883. 
Gumpeltzhaimer  452. 
Gumprecht,  Otto  1244. 
Gungl,  Joseph  988. 
Giinzburg,  Mark  1219. 
Guridi,  Jesus  1 100. 
Gurilew,  Leo  147,  1133. 
Gurlitt,  Cornelius  883. 
Gurlitt,  Manfred  1015. 
Gurlitt,  Wilibald  1239. 
Giirzenich   1214. 
Gusla  1132. 

Gyrnel  309, 1228,  siehe  Fauxbourdon. 
Gyrowetz,  Adalbert  823,  873. 
Gysi,  F.  1240. 
Gyttering  296. 

Haan,  Willem  de  885. 

Haapanen,  Toivo  1240. 

Haarklou,  Johannes  916,  1116. 

Haas,  Joseph  1018. 

Haas,  Robert  1239. 

Haba,  Alois  1005,  1025,  1034,  1162. 

Haba,  Karel  1162. 

Habeneck,  Fr.  A.  1203,  1212. 

Haberl,  Franz  X.  858,  1238. 

Habert,  J.  E.  856. 

Hackbrett  260,  575,  585,  586. 

Hacker  4. 

Hadlaub  1038. 

Hadley,  Henry  11%. 

Hadow,  William  Harry  1235. 

Haeser,  G.  1040. 

Hafner  750. 

Hagg,  Gustaf  1120. 

Hagiopolites  133. 

Hahn,  Reynaldo  1062. 

Hakenharfe  606. 

Hakenneumen  93  f. 

Halbif,,  H.  1239. 

Hale,  Philip  1200. 

Halevy,  Jaques  Fromental  891,  894. 

Halffter,  Rodolfo  1103f. 

Halffter,  Ernesto  1104. 

Halir,  Karl  1204,  1207. 

Hall,  Pauline  1116. 


Index:  Halle  -  Hiller 


1271 


Halle,  Charles  1045. 

Hallen,  Andreas  918,   1119,   1120. 

Haller,  Michael  858. 

Hallstrom,  Ivar   917f.,    1118,    1119, 

1120. 

Halm,  August  1020. 
Halslauten  591  ff. 
Halversen,  Johan  1116. 
Hambourg,  Mark  1218,  1219. 
Hamburg  468 f.,  543,  663,  674ff.f 

713ff.  u.a.O. 
Hamerik,  Asger  1110. 
Hammerich,  A.  1240,  1245. 
Hammerklavier  581,  588 ff.,  1215f. 
Hammerschmidt,  Andreas  451,  462, 

506,  547,  565,  692,  693. 
Hanboys  1228. 
Handel,  Georg  Friedrich  686f".,!21 1, 

1215, 

Anthems  473. 

Konzerte  555,  557. 

Opern  662,  663 ff.,  676 f. 

Oralorien  473,  474,  481  ff.,  704ff. 

Suiten  568,  571,  801. 

Verschiedenes  443,  468,  469,  473, 

551  f.,  553f. 

Hannikainen,  Ilmari  1128. 
Hannikainen,  P.  J.  1127. 
Hans,  Lio  1015. 
Hanslick,  Eduard  1238,  1244. 
Hanson,  Howard  1198. 
Hanssens,  Ch.  855. 
Harfe  260,  573,  574,  575,  577,  590, 

606  f. 

Harmonielehren  1229  f. 
Harmonika  633,  784. 
Harmonium  627  f. 
Harnisch  464. 
Harpsichord  1189. 
Harsanyi,  Tibor  1 173. 
Hartmann,  Emil  1111. 
Hartmann,  J.  P.  E.  I109F. 
Harwood,  Basil  1048. 
Harty,  Hamilton  1214. 
Hasse,  Faustina  666,  1222. 
Hasse,  Johann  Adolf  474,  530  f.,  679, 

709,  710,  71  If.,  722,  723 ff.,  800, 

801,  1211. 

Hasse,  Karl,  1018,  1239. 
Hasse,  M.  1240. 
Hasslcr,  Hans  Leo  356f.,  380,  452, 

456,  543. 

Hftsslcr,  Wilhelm  1217. 
Hatton,  John  Liptrot  919. 
Hatze,  J.  1168. 
Hauer,  Josef  M.  1025,  1232. 
ff,  G,  1040. 


Haug,  H.  1043. 

Haultin,  Pierre  326. 

Hauner,  N.  849. 

Haupt,  Karl  August  479. 

Hauptmann,  Moritz  478,  960 f.,  1211, 

1230. 

Hausegger,  Friedrich  v.  1238. 
Hausegger,  Siegmund  von  888,  1012, 

1213. 

Hauser,  Franz  1223. 
Hausmann  1207. 
Haussmann,  Valentin  380,  564. 
Havemann,  Gustav  1206. 
Hawkins,  John  1235,   1236. 
Hay,  F.  1080. 
Haydn,  Joseph  599,  605,  769ff.,809f., 

1171,  1210,  1216. 

Instrumentalmusik  802,  807,  808, 
81  Iff.,  81 8f.,  824. 

Lieder  701  f.,  1048. 

Messen  833  ff.,  843 ff. 

Oratorien  709,  927,  929ff. 

Singspiele  750. 

Tanze  984. 
Haydn,  Michael  750,  774,  791,  809, 

829,  838,  846 f.,  848 f.,  870,  957, 

1171. 

Heck,  Johann  696. 
Heckel,  Emil  617,  703. 
Heckel,  Wolf  388. 
Heckelphon  617. 
Hegar,  Friedrich  949,  1040. 
Heger,  Robert  1015,  1213. 
van  Heiden,  Jb'ren  1124. 
Heifetz,  J.  1206. 
Heifler  1206,  1207. 
Heim,  J.  1040. 
Heinichen,  Johann  David  530,  709, 

712,  1229. 
Heinilz,  W.   1240. 
Heinrich,  Anton  Philipp  1195. 
Heinze,  Gustav  Adolf  1082. 
Heise,  P.  A.  1110,  1119. 
Hektorovic  1167. 
Helbig  467. 
Helfert,  VI.  1240. 
Helikon  580. 

Heller,  Hans  Ewald  1036. 
Heller,  Stephen  972. 
Hellmesberger,  Georg   1204,    1207, 

1211. 

Hellmesberger,  Josef  1204. 
Hellmesbergerquartett  1204,  1207. 
Helsted,  Gustav  1 11  Of. 
Henderson,  William  1200,  1245. 
Henke,  Joh.  Jakob  1061. 
Hennebcrg,  Richard  918, 


Henri  d'Andeli  194. 
Henrichsen,  Roger  1112. 
Henriques,  Fini  1111. 
Henry,  Michel  645. 
Henschel,  Georg  885,  1045,  1191. 
Henselt,  Adolf  972,  1232. 
Herakleides  Ponticus  36. 
Herberigs  1075. 
Herbert,  Victor  1195,  1199. 
Herbing,  Valentin  698  f. 
Herbst,  Joh.  Andreas  1231. 
Hericus  von  Paris  89. 
Hermann,  Jan   1217. 
Hermann,  Karl  August  1130. 
Hermann,  Minna  1130. 
Hermann,  Nikolaus  450,  452. 
Hermann,  Paul  1180. 
Hermannus  Contractus  87,  120,  164. 
Hermeneutik  1236. 
Hermesdorff,  Michael  124. 
Herold,    Louis    Joseph    Ferdinand 

893,  894. 

Heron  von  Alexandria  37 
Herovic  1167. 
Herrmann,  Hugo  1028,  1034,   1037, 

1205. 
Gebrtider  Herrmann-Streichquartett 

1207. 

Hertz,  Alfred  1200,  1214. 
Herve  siehe  Ronger,  Florimond. 
Herz,  Henry  972. 
Herzfeld,  Viktor  1173, 
Herzog,  Joh.  G.  479. 
Herzogenberg,  H.  von  477  f . 
Hesse,  Ernst  Chr.  479. 
Hesiod  52,  54. 
Hesychios  38. 
Heterophonie  68,  999. 

der  Griechen  39,  56. 

der  Ostasiaten  27  f. 
Heuberger,  Richard  Fr.  J.  885,  1015, 

1036. 

Heu6,  Alfred  1239,  1244. 
Heuschkel,  Peter  870. 
Hexachorde  120. 
Heyden,  Sebald  1228. 
Heydrich,  R.  Bruno_887. 
Hieronymus  81. 

Hieronymus  de  Moravia  122,  261  f. 
Hildegard  von  Bingen  89. 
Hill,  Edward  Burlingame  1197. 
Hill,  Wilhelm  884. 
Hillemacher,   Lucien    J.   E.   901, 

904. 

Hillemacher,  Paul  J.  W,  901,  904. 
Hiller,  Ferdinand  883,  934  f.,  949 

972,  1217. 


1272 


Index:  Hiller  —  Intrada 


Hiller,  Johann  Adam  473,  474,  699 f.f 

751  f.,  754,956,1210,1231,1242. 
Hilpert,  F.  1207. 
Hilton,  John  381. 
Himmel  709. 
Hindemith,  Paul    616,    621,     1020, 

1028,  1037,  1122. 
Hindemith-Quartett  1206. 
Hinno  392. 
Hinton,  Arthur  920. 
Hippasos  von  Metapont  36. 
Hirschbach,  Hermann  883. 
Hirschler,  Z.  1168. 
Historian  453 f,  504f. 
Hjelm,  Otto  Winther  1115. 
Hobrecht,  Jacobus  310ff.,  359. 
Hochberg,  Bolko  Graf  884. 
Hochreiter,  Emil  1166. 
Hoeree,  Arthur  1074. 
Hoffding,  Finn  1112. 
Hoffer,  Paul  1034. 
Hoffmann,  Ernst  Theodor  Amadeus 

793f.,829ff.,865,866,869,  I242f. 
Hoffmann,  Karl  1205. 
Hoffmann,  Leopold  814. 
Hoffmann,    Rudolf   Stephan    1015, 

1240. 

Hoffmeister,  Karl  1217. 
Hofhaimer,  Paul  377,  379,  668. 
Hofmann  701. 

Hofmann,  Heinrich  K.  J.  884,  949, 
Hogarth,  George  707. 
Hoger  von  Werden  118. 
Hohenemser,  R.  H.  1240. 
Hoi,  Richard  1082. 
Holbrooke,  Josef  1048,  1056. 
Holden,  Oliver  1187. 
Holfeld,  I.V.  1217. 
Holl,  Karl  1244. 
Hollander,  Christian  328,  380. 
Holmes,  Alfred  1204. 
Holmes,  Augusta  M.  A.  904. 
Holmes,  Henry  1204. 
Holmes,  William  H.  919. 
Holmsen,  Borghild  1117. 
Hoist,  Gustav  von  612,  920,   1053, 

1056. 

Holstein,  Franz  von  873. 
Holter,  Iver  916,  1116. 
Holtzner,  Anton  543. 
Holz  1211. 
Holzbauer,  Ignaz  709,  729,  742,  774, 

800. 

Holzer  701. 
Holzhauser,  H.  524. 
Holzstabspiel  siehe  Xylophon. 
Homberg  1038. 


Homer  52  f. 

Homer,  Sidney  1199. 

Homilius,  G.  A.  473,  929. 

Homophonie  68. 

Honegger,  Arthur  1072f.,  1080, 1 122. 

Hopffer,  Ludw.  Bernh.  884. 

Hopkins  1187. 

Hopkinson,  Francis  1188,  1189. 

Hoquetus  259  f.,  1220. 

Horak,  Vojtech  1162f. 

Hora  lunga  1183f. 

Horenstein,  Sascha  1034. 

Horheim,  Bernger  v.  202. 

Horn  260,  573,  580,  620ff. 

Horn,  Camillo  949,  1015. 

Horn,  Charles  Edw.  918. 

Hornborstel,  E.  M.  v.  1237. 

Horneman,  C.  F.  E.  1111. 

Horninstrumente  620  ff. 

Hornik,  0.  1161. 

Hornpipe  563  f. 

Horschelmann,  Emil  1229. 

Horwitz,  Karl  1025. 

HoBlin,  Franz  von  1213. 

Hostinsky,  Ottokar  v.  1238. 

Hothby,  John  123,  308,  1225,  1228. 

Houdret,  Ch.  1076. 

Howells,  Herbert  1053. 

Hnmaly,  Adalbert  925. 

Hrimaly,  Johann  1204. 

Hristic,  S.K.  1169. 

Hubay,  Jeno  (Huber>  Eugen)  926, 

1173,  1206,  1214. 
Hubay,  (Huber)  Karl  926. 
Huber,  F.F.  1039. 
Huber,  Hans  199,  1040. 
Huber,  Kurt  2349. 
Huberman,  Bronislaw  1206. 
Huberti  1075. 
Hucbald  v.  St.  Amand  89,  94 f.,  118, 

134,  163. 
Hudson,  G.  659. 
Hue,  Georges  A.  904,  1062. 
Hufnagelschrift  98,  106. 
Hughes  707. 
Hiibsch  1184. 
Humanistendrama  668  f. 
Humanistenmusik  379. 
Humfrey,  Pelham  659. 
Hummel,  Ferdinand  886. 
Hummel,  Johann  Nepomuk  825,  830, 

855,  1216,  1217. 
Humperdinck,  Engelbert  885  f. 
Huneker,  James  1245. 
Hupfauf  396,  975. 
Hure,  Jean  1071. 
Hurlebusch,  Konrad  Friedrich  697 f. 


Hurum,  Alf  1116,  1117. 

Hufl,  Henry  Holden  1195. 

Husen,  Friedrich  v.  202. 

Huybrechts,  A.  1076. 

Hyagnis  51,  52. 

Hydraulos  625. 

Hymnen  79f.,  87,  111,  113L,   126 

129ff.,  157f. 

Hymnen,  armenische  139. 
Hyporchema  55. 

Ibert,  Jacques  1073. 

Ibykos  von  Rhegion  56. 

Idelsohn,  A.  Z.  1240. 

Iffert,  August  1223. 

Ikonen,  Lauri  1128. 

Imbert,  Hugues  1245. 

Imitation  301,  305. 

Imperfection  252,  265,  307. 

Impressionisms  998,  1002f.,  1065f. 

Inder  17,  22 f.,  24,  33. 

d' India,  Sigismondo  433  f. 

Indianer  1195. 

d'Indy,  P.  M.  Th.  Vincent  855,  903 

1059,  1237. 

Ingegneri,  Marc- Antonio  347. 
Ingelius,  A.  G.  1124. 
Ingenhoven,  Jan  1085. 
Inghelbrecht  1071. 
Innozenz  III.  88. 
Instrumentalmusik 

der  Prirnitiven  und  Exoten  30  ff. 

im  evang,  Gottesdienst450f,  456  ff. 

inderOper419f.,  424  u.  a.  0. 
Instrumentalmusik 

der  Griechen  39,  47,  55. 

der  Romer  62. 

des  13.  und  14.  Jahrhunderts  260 f., 
280. 

von  1450-1600  382ff, 

von  1600—1750  540ff. 

von  1750—1828  795  ff. 

von  1828-1880  963  ff. 

moderne  1 006  ff.  und  in  den  Einzel- 

abschnitten  der  Moderne. 
Instrumentalnotenschrift   der   Grie 
chen  46. 

Instrumente  der  Griechen  47  f. 
Interjektionen  im  Gesang  9,  10,  29, 

142f. 

Intermedien  414. 
Intermezzi  der  Oper  422  f.,  722. 
Intermezzi  der  Suite  568 ff. 
Internationale  Musikgesellschaft,  Pi> 

blikationen  1238. 
Intonazione  392 ff.,  560. 
Intrada  564 f. 


Index:    Invention  —  Kattnigg 


1273 


Invention  des  Waldhorns  622. 

Ipavec,  Gustav   1166. 

Ippolitow-Iwanoff,  Michael  M.  924. 

Ireland,  John  1053. 

Isaac,  Heinrich  319ff.,  354,  376 f. 

Isasi,  A.  1100. 

Isidor  von  Sevilla  115. 

Iso  86,  88. 

Isortilli,  Dorisio  492. 

Isouard,  Niccolo  892,  905. 

Istel,  Edgar  1013,  1239. 

Iten/W.   1034. 

Ivcs  658. 

Ives,  Charles  E.  1198. 

Ivogtin,  Marie  1223. 

I/ak-Lihovecky   1164. 

Jacchini,  Giuseppe  ,555. 
Jachimecki,  /d/.islaw  1239,  1245. 
Jacobi,  Frederick  1198. 
Jacobsthal,  Gustav  1238,  1239. 
Jacobus  von  Liittich  122f.,  254 f. 
Jacopo  da  Bologna  278,  280  ff.,  291. 
Jacopo  da  Fircnce  279. 
Jaooponfi  da  Todi  88,  169,  207. 
Jacques-Dalcroze,  E.  1079,  1232. 
Jadassohn,  S.  1230. 
Jadin,  Hyacinthc  1217. 
Jacll,  Alfred  1217. 
Jaell,  Mane  1218. 
Jahn,  Otto  1238. 
Jahrbuch  der  Musikbibliothek  Peters 

1238. 

Jakob  von  Edessa  137. 
Jakob  von  Sarug  137. 
Jakobnohn  153, 
Jan,  Carl  von  1238. 
Janacek,  UoS  624,  1163f. 
Jannequin,  Clement  330,  375,  572. 
JnnnHen,  Joh.  Wald.  1129L 
Jans8ttn,  Werner  1199. 
Japans  15,  24,  34. 
Jarecki,  Henryk  1 145. 
Jarrcki,  Tadcus/,  1151. 
Jared  138f. 

JarnacK  Philipp  914,  1019,  1020. 
jHrncfeh,  Armas  1126. 
Jarno,  Georg  887. 
Javaner  5,  16f.»  32. 
Jar/,  584,  596,  610f.,  616,  617,  622, 

624,  628,  629,  631,  983,  1199f. 
Jeep,  Joh,  380,  452. 
Jchan  Bretel  198f. 
Jehan  de  Lescurfl  266. 
Jelmoli,  H.  1042. 
Jemnitz,  Alexander  1180. 
Jenko,  Davorin  1166,  1169. 


Jensen,  Adolf  886,  949. 

Jensen,  Irgens  1 1  16f. 

Jeppesen,  Knud  345,   1239, 

Jerkovic,  Innozenz  1167. 

Jeremias,  Jaroslav  1161. 

Jeremias,  Otakar  1161. 

Jesuitendrama  668  ff. 

Jeu  parti  198ffM  641. 

Jezek,  Jaroslav  1 165. 

Jimenez,  Jeronimo  1099. 

Jindrich   1161. 

Jirak,  K.  B.  1161  f.,  1214. 

Jiranek  1218. 

Joachim,  Joseph  972,  1204,  1206. 

Joachimquartett  1204,  1207. 

Jochlautcn  590f. 

Jode,  Fritz  1020,  1232. 

Johannes  Aegidius  von  Zamora  122. 

Johannes  de  Garlandia  122,  261 ,  272, 

1228. 

Johannes  de  Groccheo  122, 260, 965  f. 
Johannes  de  Monte  1225. 
Johannes  de  Muris  123,  307,  1228. 
Johannes  Eriugena  163. 
Johannes  Gallicus  Carthusiensis  1 224. 
Johannes  von  Damaskus  131f.,  133. 
Johansen,  David  Monrad  I116f. 
John  of  Salisbury  1228. 
Johnson,  Robert  658. 
Joksimovic,  B.  1169. 
Jomelli,  Niccolo  709,  7 10,  723,  725 f., 

726,  739,  840. 
Joncieres,  Victorin  de  902. 
Jones,  German  Edw.,  siehe  German, 

J.  Edward. 
Jonge,  Nicholas  381. 
Jongen,  Joseph  1076. 
Jongen,  L.  1076. 
Jora  Michael  1185. 
Jordan,  Sverre  1117. 
Josef  fy  1218. 
foseph  I.  524,  710. 
Josquin  dePres  314ff.,  326,  359,  373, 

386. 

Jota  983, 

Jotcyko,  Tadeusz  1148. 
Judenkunig,   Hans  392,   395,  403, 

407. 
Judischer  Tempelgesang  149ff. 

EinflulJ  auf  den  Gregoriamschen 

Choral  76  ff. 
Juhasz,  Aladar  1172. 
Julien,  Adolphe  1244. 
Junta,  Luca  Antonio  326. 
Juon,  Paul  1014,  1042,  1230. 
Jurjans,  Andrejs  1 1 53. 
Jurjans,  Juris  1 1 53. 


Jurjans,  Pawuls  1 1 53. 
Justinian  130. 

Kaan-Albest,Heinrich  von  925, 1217. 

Kacanauskas,  A.   1155. 

Kachel,  J.  Chr.   1039. 

Kade,  Otto  476,  1237. 

Kadenz,  306,  309. 

Kadosa,  Paul  1180. 

Kafenda,  Frico  1164. 

Kahl,  W.  1240. 

Kajanus,  Robert  1125. 

Kalas   1163. 

Kalaus  1169. 

Kalcher,  J.  N.  870. 

Kalik,  Vaclav  1162. 

Kalkbrenner,  Ferdinand  Wilh.  833. 

Kalkbrenner,  Friedr.  1216,  1217. 

Kalliwoda,  W.  959. 

Kalnins,  Alfred  1153. 

Kalomiris,  Manuel  1181f. 

Kalvaitis  1155. 

Kambodschaner  17,  27. 

Kamienski,  Lucian  1151,  1240,  1245. 

Kaminski.HeinricK  1018, 1028,  1029. 

Kammerduett  444  f. 

Kammermusik  1207f. 

Kania,  Emanuel  1145. 

Kanitz,  Ernst  1029,  1034. 

Kanne  1242. 

Kanondichtung  129ff.,  137. 

Kantate  434ff.,  466f. 

Kantatenmesse  532. 

Kantele  (Kannel,  Kankles,  Kohkle) 

1123,  1129,  1154. 
Kantorate  449,  462,  474. 
Kanzone  374,  387 ff.,  390,  542f. 
Kapelle,  Joh.  Andreas  1165. 
Kapp,  Artur  1130. 
KaPP,  J.  1240. 
Kappel,  Johannes  1 1 30. 
Kapsberger,  Joh.  Hier.  509. 
Karadzov,  D.  1170. 
Karel,  Rudolf  1161,  1162. 
Karl  VI.  710. 
Karl  der  Grofie  85. 
Kartowicz,  Mieczystaw  I148f. 
Karrer,  Pavlos  1181. 
Kaschperow,  Wladimir  N.  924. 
Kasia  131. 
KaskJ,  Heino  1128. 
Kassation  785,  796. 
Kastagnetten  583,  630. 
Kastalski,  Alexander  147. 
Kastraten  1121f. 
Katakouzinos,  AL  1181. 
Kattnigg,  Rudolf  1015. 


1274 


Index:    Kauder  —  Korita 


Kauder,  Hugo  1009. 
Kauer,  Ferdinand  755. 
Kaul,  0.  1240. 
Kaun,  Hugo  1014. 
Kayser,  H.  E.  901. 
Keck,  Johannes  123. 
Keiser,  Reinhard  468,  469,  470,  473, 
663,  675  ff.,  686,  717,  789,  1108. 
Keldorfer,  Viktor  1029. 
Kelen,  Hugo  1180. 
Keller,  H.  1240. 
Kellermann,  Christian  1207. 
Kelley,  Edgar  Stillman  1194. 
Kellner  472. 
Kelterborn,  L.  1043. 
Kempis,  Nicolaus  548. 
Kempter,  Karl  856. 
Kempter,  Lothar  884,  1040. 
Kenig,  Wlodzimierz  1050. 
Kerenyi,  Georg  1180. 
de  Kerle,  Jakob  328. 
Kerll,  Johann  Kaspar  472,  5 16 f.,  518, 
519f.t  522f.,  544,  561,  566,  568, 
571,  572,  670f. 
Kern,  Jerome  1199. 
Kern,  Kurt  1014. 
Kesseltrommel  628  f. 
KeBler,  Wendelin451. 
Keuchenthal  450. 
KeuBler,  Gerhard  v.  1014,  1213. 
Kiel,  Friedrich  477  f.,  935,  1046. 
Kielfliigel  581,  586  f. 
Kienzl,  Wilhelm  599,  886,  949, 1036. 
Kiesewetter,  Rafael  261,  1236. 
Kilpinen,  Yrjo  1128. 
Kimovic,  Franz  1166f. 
Kindermann,  Joh.  Erasmus  462,  472, 

506,  543. 
Kinesias  60. 

Kinkeldey,  Otto  1198,  1239. 
Kinsley,  Georg  1240. 
Kirchengesang,  ambrosianischer  80, 

82  f. 

byzantinischer  126  ft,  1168,  1184. 
bulgarischer  1169. 
evangelischer  siehe  Choral,  evang. 

1152. 

gallikanischer  80. 
gregorianischer  siehe  Greg.  Gesang. 
romischer  80ff. 
russischer  140  ft,  1132,  1184. 
spanisch-mozarabischer  80. 
Kirchengesangverein,       Deutscher 

evangelischer  480. 
Kirchenlied,  evangelisches447, 464ft, 
474  f. 
katholisches  847  ft 


Kirchenmusikalisches  Jahrbuch  1238. 
Kirchensonate,  Entwicklung  der 

547  ff. 

Kirchentone  306,  357  u.  a.  0. 
Kircher,  Athanasius  1235. 
Kirchhof  472. 
KirchI,  Adolf  1029. 
Kirchner,  Th.  1040. 
Kiriak,  Dimitrie   1183,    1184,   1185. 
Kirnberger,  Johann  Philipp  547,  944, 

1229,  1231. 
Kissar  15,  28. 
Kistler,  Cyrill  885. 
Kithara  42,  43,  47,  52,  53,  60,  62, 

573,  590. 
Kitharodie  54  f. 
Kittel,  Johann  Chr.  474,  479. 
Kittl,  Joh.  Friedrich  1217. 
Kitzler,  Otto  861,  965. 
Kiurina,  Berta  1223. 
Kjerulf,  Halvdan  1114f. 
Klafsky,    Don   Anton   Maria    1015, 

1240. 

Klaic,  Vj.  1168. 
Klami,  Uuno  1128. 
Klappe  608. 
Klappenhorn  621. 
Klapper  614,  630  ff. 
Klarinette  578,  580,  612ff. 
Klatte,  W.  1240,  1244. 
KlaudiosPtolemaios37,61,416,1224. 
Klauwell  1218. 

Klavicembalo  siehe  Clavicembalo. 
Klavichord  siehe  Clavichord. 
Klavicymbel  siehe  Clavicembalo. 
Kiaviermusik  des  16.  Jahrh.  390,  394. 
Kleber,  Leonhard  392  f. 
Klecki,  Pawel  1151. 
Kleemann,  Karl  884. 
Kleiber,  Erich  1213. 
Klein,  Bernhard  933,  957,  958. 
Klein,  Bruno  Oscar  1193. 
Klein,  Walther  1015. 
Kleinmichel,  Richard  885. 
Klemm  1211. 

Klemetti,  Heikki  1127,  1240. 
Klemperer,  Otto  1213. 
v.  Klenau,  Paul  1112. 
Klengel,  August  Alexander  833,  1217. 
Klengel,  Julius  1207. 
Klenowski,  Nikolai  S.  924. 
Kleoneides  37. 
Kleven,  Arvid  1116,  1118. 
Klimantovic,  Simon  1 1 67. 
Klimow,  M.  G.  148. 
Klingen  1038. 
Klonas  von  Tegea  55. 


Klose,    Friedrich   886,    1029,    1035, 

1041,  1042. 

Klotz  (Violinbauer)  602. 
Klug  447  f. 

Klughardt,  August  885. 
Knab,  Armin   1016. 
Knappertsbusch,  Hans   1213. 
Knecht,  Justin  H.  479. 
Kneiselquartett   1  191. 
Knipper,  Leo  1 142. 
Knittl  1217. 

Knochel,  Wilhelm  1028. 
Knodt,  Heinrich   1015. 
Knorr,  Iwan  885,  1052. 
Knosp,  G.  1076. 
Kniipfer,  Sebastian  462,  506. 
Kobald,  Karl  1240. 
Kobelius,  J.  A.  679. 
Koch,  E.  E.  476. 

Koch,  Friedrich  Ernst  886, 93 1 , 1028. 
Koch,  Karl  858. 
Kochel,  Ludwig  von  1238. 
Kocher,  Konrad  475. 
Koechlin,  Charles  1064,  1071. 
Kocian,  Jaroslav  1205. 
Koczalski,  Raul  1150. 
Koczirz,  Adolf  1239. 
Kodaly,  Zoltan  1074f.,  1078f. 
Kodzamanov  1 1 69. 
Koenen,  Tilly  1082. 
Kogoj,  Marius  1 167. 
Kohler,  E.  931. 
Kohler,  Louis  883,  1216. 
Kokkinos,  Nik.  1181. 
Kokkos,  Dim.  1181. 
Kolander,  V.  1168. 
Kolarovic  1169. 
Kolisch  1206. 

Kolischquartett  1206,  1208. 
Koller,  Oswald  1239. 
Kolon  59. 
Kolor  266,  307. 
Kolorierung  296,  298,  299f. 
Koloristen    (deutsche    Orgelkompo- 

nisten)  384ft,  451,  1215. 
Komodle  der  Griechen  60  f. 

der  Romer  6 1  f . 
Kompositionslehren  1231  f. 
Komzak,  Karl  993. 
Kondakarien-Notation  141. 
Kondracki,  Michal  1151. 
Konig,  J,  B.  466. 
Konig,  Peter  1173. 
Konjovic,  P.  1169. 
Konnemann,  Arthur  886, 
Konstantinov,  B.  1170. 
Konta,  Robert  1036. 


Index:  Kontakion  —  Lambrechts-Vos 


1275 


Kontakion  130f. 

Kontertanz  981. 

Kontis   1182. 

KontrabaB  599. 

Kontrafagott  580,  618. 

Kontrafaktur   194,   197f.f  238,  276, 

333,  378,  379. 
Kontrapunkt  308ff.,  384. 
Kontrapunktlehren   1 230  f . 
Kontratenor  268. 
KonvalJnka,  K.   1162. 
Konzert    444,   456 ff.,  462,   507  ff., 

554  ff.f  797,  808,  813,  816,  822, 

967  u.  a.  O. 
Konzertform  555 f. 
Konzertsymphonie  555. 
Kophl,  Wolf  453. 
Kopten  138. 
Korling,  Sven  A.  1119, 
Kornauth,  Egon   1015. 
Korner,  Chr.  G.  479. 
Kornett  621,  623. 
Korngoia,  Erich  Wolfgang  1035. 
Korngold,  Julius  1244. 
Kosa,  Georg  1180. 
Koselitz,  Heinrich  siehe  Peter  Cast. 
Kosmas  von  Jerusalem   131  f.,   133. 
KoeBler,  Hans  885,   1174. 
Kostlin,  Heinrich  Adolf  1236. 
von  Kothen,  Axel  1127. 
Kotilainen,  Otto  1127. 
Kotillon  981,  988. 
Koto  15,  32  f. 
Kotter,  H.  1038, 
Koussevitzky,  Serge  1200,  1214. 
Kovatovic,  Karel  925,  1162,1214. 
de  Koven,  Reginald  1199. 
Kowalski,  Max  1014. 
Kozeluch,  Leopold  709,  711,  825. 
Krabbe,  Wilhelm  1239. 
Krafft,  Ludwig  304. 
Krajacevic,  Nikola  1167. 
Kralik,  H.  1240,  1244. 
Kramer,  A.Walter  1198. 
Kraus,  Clemens  1213. 
Kraus,  Ernst  1223. 
Kraua,  J.  M.  929. 
Krause,  Christian  Gottfried  699. 
Krebs,  Johann  Ludwig  560. 
Krebs,  Karl  1239,  1244. 
Krecz,  Geza  von  1205. 
Krehbiel,  H.  E.   1245. 
Krehl,  Stephan  1230. 
Krejci,  ISA  1163, 
Krejci,  Miroslaw  1162. 
Krein,  Alexander  1142. 
Krein,  Grigori  1142, 

81    H,  <1  M 


Kreisler,  Fritz  1205. 

Kremberg,  Jacob  694. 

Krenek,    Ernst    1021,    1028,    1034, 

1037f. 

Krenn,  F.  856. 
Krenn,  Theodor  1007. 
Kreta  52,  55. 
Kretzschmar,   Hermann   482,    1235, 

1236,  1237,  1239. 
Kreutzer,  Leonid   1219, 
Kreutzer,  Rudolf  1203. 
Kreuzer  (Kreutzer),   Konradin  873, 

889,  959,  1039. 
Krexos  60. 

Krezschmer,  Edmund  873. 
KrTcka,  Jaroslav  1161,   1214. 
Krieger,  Adam  693 f.,  696. 
Krieger,  Johann  451,  470,  472,  544, 

571. 
Krieger,  Joh.  Phil.  451 , 470, 472,  506, 

553,  563,  571,  663,  674. 
Kristoffersen,  Fridtjof  1117. 
Kritiker  1200,  1241ff. 
KrjukJ-Notation  Miff.,  1132. 
Krlk,  Gojmir  1.166. 
Kroeger,  Ernest  Richard  1193. 
Krogh,  Torben  1239. 
Krohn,  Ilmari  1123,  1127,  1240. 
Kromolicki,  Josef  1239. 
Kroyer.  Theodor  1239. 
Krstic,  J.  1169. 

Krufft,  Niklas  Freiherr  v,  703. 
Krug-Waldsee,  Joseph  886. 
Kruger,  Johann  694. 
Krull,  Arkadius  1131. 
Krummhorn  616,  619. 
Krupka,  Jaroslav  1214. 
Kruse,  Joh.  S.  1207. 
Krusis  56. 

Krzyzanowski,  Ignacy  1145. 
Ktesibios  625. 
Kuba,  L.  1167. 
Kubelik,  Jan  1205. 
Kudircka,  V.  1155. 
Kuen,  Johannes  695. 
Kufferath,  M.  1245. 
Kuhac,  F.  1167. 
Kuhlau,  Friedrich  1109. 
Kiihn,  Walter  1232. 
Kuhnau  474. 
Kuhnau,  Johann  467,  468,  544,  551, 

561,563,568,  571,  572,  1231. 
Kuhnel,  A.  1206. 
Kuhnel,  M.  1206. 
Kukuzeles,  Johannes  132,  133. 
Kukuzeles,  Josaphat  133. 
Kull,  R.  1131. 


Kullak,  Adolf  1218. 

Kullak,  Theodor  1217,  1218. 

Kulenkampff,  Gustav  885. 

Kummer,  Fr.  A.  1.207. 

Kiimmerle,  S.  476. 

Kunc,  Jan  1161,   1164. 

Kundigraber,  Hermann  1015. 

Kunz,  E.   1042f. 

Kunzen,  Adolph  Karl  717. 

Kunzen,  Aemilius  701,  740,  929. 

Kunzen,  F.L.A.  1109. 

Kuper,  Emil  1214. 

Kurpinski,  K.  1144. 

Kurth,  Ernst  1232,  1239. 

Kurth,  Otto  885. 

Kurtz-Bernardon  750. 

Kurz,  L.  1078. 

Kurz,  Selma  1223. 

Kurz,  Wilh.  1217. 

Kurzoper  1037. 

Kurz-Stepan,  Ilona  1217. 

Kusser,  Johann  Sigmund  568,  674 

675,  1171. 

Kiister,  Hermann  477. 
Kuula,  Toivo  1126f. 
Kuyper,  Elisabeth  1085. 
Kvapil,  J.  1164. 

Lablache,  Luigi  1223. 
Laborde,  Jean  Benjamin  de  1235. 
de  Lac6pede  747. 
de  Lacerda,  Francisco  1 1 05. 
Lach,  Robert  1015,  1237,  1239. 
Lachner,  Franz  855,  873,  931,  944, 

972,  1212. 

Lachner,  Ignaz  873,  972. 
Lachner,  Vincenz  972. 
Lachmann,  Robert  1239. 
Lacombe,  Louis  Brouillon  901. 
Ladmirault,  Paul  1064,  1071. 
Lafite,  Carl  1029. 
Laforge,  Frank  1199. 
del  Lago,  Giovanni  1226, 
Laitinen,  Arvo  1128. 
Lajovic,  Anton  1166. 
Lajta,  Ladislaus  1180. 
Lalios,  Dim.  1182. 
Lalo,  Edouard  V.  A.  900,  1061. 
Laloy,  Louis  1240,  1245. 
de  Lamarter,  Eric  1197. 
Lambelett,  Georg  1181. 
Lambelett,  Nap.  1181. 
Lambert,  Constant  1054. 
Lambert,  Lucien  904. 
Lambert,  Michel  646,  649. 
Lambiris,  Georg  1181. 
Lambrechts-Vos,  Anna  1085 


1276 


Index:  Lamento  —  Litolff 


Lamento  425,  660. 

Lamond,  Friedr.  1218. 

Lamoureux,  Charles  897,  1214. 

Lampe  662. 

Lamperti  1223. 

Lampugnani,  G.  B.  739. 

Landegg  1038. 

Landi,  Stefano422,  495. 

Landini,  Francesco  470ff.,  1201. 

Landler  981. 

Landre,  Willem  1085. 

Landshoff,  L.  1240. 

Lanfranco,  Giov.  Maria  1226. 

Lang,  M.  1167. 

Lang,  W.  1043, 

Lange,  Hieronymus  Gregor  380. 

Lange-Muller,  P.  E.  1111,  1119. 

Langer,  Ferdinand  884. 

Langert,  Job.  August  Ad.  884. 

Langgard,  Rud.  1112. 

Laniere,  Nicolas  658. 

Lanner,  August  988. 

Lanner,  Joseph  985  ff. 

Lannoy,  Eduard  1211. 

Lantins,  Arnold  de  298. 

Lantins,     Hugo  de  298. 

Lanzetti,  Salvatore  1206. 

Laparra,  Raoul  1062. 

Laquai,  R.  1043. 

de  Lara,  Manrique  1099. 

Laruette,  Jean  Louis  745. 

Laska,  Gustav  885. 

Laskaris,  Johannes  132. 

Lasos  von  Hermione  36. 

Lassen,  Eduard  883. 

Lasso,  Orlando  331  ff.,  362,  367, 371, 

375,  379  f.,  457,  642. 
Lasson,  Per  1115. 
Late,  A.  1130. 
Latilla,  Gaetano  722,  739. 
Laub,  Ferdinand  1204. 
Laub,  Thomas  1107. 
Lauber,  J.  1079. 
Lauden  183,  208ff.,  485 ff. 
Lauko,  Desider  1164. 
Launis,  Armas  1 1'23,  1127. 
Laur,  F.  1040. 
Laurencie,  L.  d.  1240. 
Laute  260,  383,  385,  387 f.,  392,  395, 

398 ff.,  574f,  576,  579,  590,  591, 

592 f.,  597. 

Lauteninstrumente  590ff. 
Lautenisten  1202. 
Lautenkonzert  571. 
Lauterbach,  Job,  Chr.  1203. 
Lavater,  H.  1042. 
Lavigna,  Vincenzo  910. 


Lavotta,  Johann  1172. 

Lavranca,  Dionysios  1181. 

Law,  Andrew  1187. 

Lawes,  Henry  658  f. 

Lawes,  William  658. 

Lawrence,  W.  J.  1240. 

Layolle,  Fran£ois  330, 

Layriz  475. 

Lazar,  Filip  1185. 

Lazarini,  Seb.  499. 

Lazarus,  Daniel  1073. 

Lazarus,  Gustav  886. 

Lazzari,  Sylvio  886,  903,  1063. 

Lebert,  Sigmund  1218. 

Leborne,  F.  1075. 

Lebrun  1075. 

Leca,  Amando  1 1 05. 

Lechner,  Leonhard  379,  453. 

Lechthaler,  J.  858. 

Leclair,  L  M.I  203. 

Lecocq,  Alexander  Charles  898. 

de  Ledesma,  Rodriguez  1098,  1100. 

Leduc,  Simon  800. 

Lee,  Louis  1207. 

Lee,  Sebastian  1207. 

Lefebvre,  Charles  Ed.  904,  937. 

Lefeld,  Jerzy  1151. 

Lefevre,  J.  X.  1077f. 

Legat,  Andreas  1165. 

Legrenzi,  Giovanni  428,  500,  509, 

548. 

Lehar,  Franz  993. 
Lehmann,  Lilli  1223. 
Leich  (lai)  158. 

Leichtentritt,  Hugo  1014,  1239. 
Leier  260,  573,  590f. 
Leinentrommel  629. 
Leisentritt  567, 
Leitmotiv  747,  748,  858,  867,  911, 

922,  970  u.  a.  0. 
Leitzmann,  A.  1240. 
Lejeune,  Claude  330,  375. 
Lekeu,  Guillaume  1076. 
Lemacher,  Heinrich  1015. 
Lemoyne,  J.  B.  737. 
Lemba,  Artur  1130. 
Lemlin,  Lorenz  377. 
Lendvai,  Erwin  1021,  1028,  1173. 
Lenepveu,  Ch.  Ferdinand  902.  . 
Leo,  Leonardo  528,  709,  710,  721, 

798. 

Leonard,  H.  1203. 
Leoncavallo,  Ruggiero  914f.,  1091. 
Leone  1  296. 
Leoninus  214ff. 
Leopold  I.  503 f.,  524,  67 If. 
Leroux,  Xavier  H.  N.  901 , 904, 1062. 


Lert,  Richard  1213. 

Lesbos  55,  56. 

Leschetizky,  Theodor  1218. 

Leslie,  Henry  David  919. 

Lessmann,  Otto  1244. 

Letaldus  von  Micy  89. 

Levasseur,  Henri  1207. 

Levasseur,  Pierre  F.  1207. 

Levi,  E.  1043. 

Levi,  Hermann  876,  1213. 

Lexikographie  1237. 

Licenza  682. 

Lichard,  M.  1164. 

Lichfield381. 

Lie,  Sigurd  1116. 

Liebe,  E.  L.  1040. 

Liebert,  Reginald  298,  302f. 

Liebesoboe  siehe  Oboe  d'amore. 

Lied,  geistliches  172f.,  378f. 

Liedertafel  957  f. 

Liedkomposition 691  ff.,  939ff.  u.a.O. 

Lieurance,  Thurlow  1195. 

Ligatur  251. 

Liliencron,  Rochus  Frhr.  v.  476  f., 

1237. 

Lillo,  Giuseppe  908. 
Lind,  Jenny  891,  894,  1190,  1223. 
Lindberg,  Oscar  1122, 
Lindblad,  A.  917, 
Lindeman,  L.  M.  1114,  1116. 
Lindley,  Robert   1207. 
Lindner,  A.  1207. 
Lindpaintner,  P.  J.  v.  873,  931,  972. 
Ling-lun  13. 
Linke  1204,  1207. 
Linko,  Ernst  1128. 
Linnala,  Eino  1 1 28. 
Linsen,  G.  1124. 
Lippenpfeifen  607,  609ff. 
Lippius,  Johann  1230. 
Lipski,  Stanislaw  1150. 
Liqueszenz  94. 
Lira  da  braccio  597. 
Lira  da  gamba  597. 
Lissenko,  Nikolai  W.  924. 
Lissinsky,  Watroslaw  926,  1168. 
Liste,  A.  1040. 
Listenius,  Nikolaus  1228. 
Liszt,  Franz  479,  963,  964 f.,  970. 

1078,  1118,  1119,  1172,  1212f., 

1217f.,  1231,  1240. 

Lieder  944,  948. 

Messen  859  ff. 

Oratorien  937  ff. 
Litaneienprinzip     der    Halbkultur- 

volker  25. 
Litolff,  Henry  Charles  898,  972. 


Index:  Litterae  —  Marcello 


1277 


Litterae  significativae  97. 

Ljadow,  Anatol  1141. 

Locatelli,  Pietro  551,  557,  571,  1203. 

Lobo,  Duarte  540. 

Lobwasser,  Ambrosius  453,  472. 

Lochamer  (Lochheimer)  Liederbuch 

376,  385. 

Locke,  Matthew  472,  539,  566,  659. 
Loder,  Edward  J.  919. 
Loeffler,  Charles  Martin  1191,  1196. 
Logroscino,  Nicolo  722,  742,  743. 
Lohet,  Simon  542. 
Lohner,  Johann  674,  694. 
Lolli,  Giuseppe  833. 
Lomakin,  Gabriel  147. 
Longa  91,  252. 
Longo,  Alessandro  1097. 
Loomis,  Harvey  Worthington  1195. 
Lorenz,  A.  0.  1239. 
Lorenz,  K.  Adolf  884,  936. 
Lorenz,  Oswald  1040. 
Loreto,  Vittorio  422,  493. 
Loris-Glareanus,  Heinrich,  siehe  Gla- 

reanus. 

Lortzing,  Albert  874. 
Loschhorn,  Albert  1217. 
Lossius,  Lukas  447,  1228. 
Losy,  Graf  1202. 
Lotosflote  611. 
Lott,  N.  1239. 
Lotti,  Antonio  444,  509,  530,  679, 

709,  710. 

Lotto,  Isidor  1204. 
Loufenberg,  Heinrich  172. 
Louis,  Rudolf  1230. 
Loure  568  f. 
Low,  R.  1040. 

Loewe,  Johann  Jakob  568,  674,  694. 
Loewe,  J.  Karl  G.  476,  873,  933 f., 

940,  944f.,  958. 
Lowenbach,  J.  1245. 
Lowenstern,  Matheus  670. 
Lualdi,  Adriano  1097. 
Liibeck,  Louis  1207. 
Liibeck,  Vincentius  472. 
Lucca,  Pauline  1223. 
Lucchesi,  Andrea  904. 
Lucic,  F.  v.  1168. 
Lucretius  Carus,  T.  38, 
Ludecus  454. 
Ludig,  Mihkcl  1130. 
Ludwig  XIII.  645. 
Ludwig  XIV.  645  ff. 
Ludwig,  Friedrich  1239. 
Luftinstrumente  607  ff. 
Lukacic,  Ivan  1 167. 
Lukic,  L.  1167. 


Lully,  Jean  Baptist  539,  553,  571, 

646ff.,  649ff. 
Lund,  Signe  1117. 
Lunssens,  M.  1075. 
Lupot,  Nicolaus  602. 
Luren  573,  620. 
Lusitano,  Vincenzo  1226. 
Lussy,  Ma.tthis  1232. 
Lustgarten,  Egon  1009. 
Liitgendorff,  L.  v.  1240. 
Luther,  Martin  378,  446  ff. 
Lutkin,  Peter  1194. 
Luython,  Carolus  328,  362,  542. 
Luzzaschi,  Luzzasco  394,  431  f.,  541, 

547. 

Lwow,  Alexis  147,  148. 
Lyon,  James  1 188. 
Lyra  47,  62,  573,  590. 
Lyra,  Justus  Wilh.  476. 
Lyraflugel  590. 

Maasalo,  Armas  1128. 

Maazer-Quartett  1207. 

Mabellini,  Teodulo  909. 

Maccioni  670. 

Macfarren,  Alex.  937. 

Machan  1169. 

Machaut  (Machault),  Guillaume  de 

267ff.,  305. 
Mackenzie,  Alexander  Campbell  972, 

1047,  1055. 

Macrobius,  Theodosius  38. 
Madeira  539. 
Mader,  Raoul  M.  886. 
Madetoja,  Leevi  1127. 
Madrigal 

geistliches  344  f. 

konzertierendes  444. 

weltliches  278f.,  335,  359,  361  ff., 

376,  381  f,  386,  415,  431  ff. 
Madrigalkantate  444. 
Madrigalkomodie  373,  415. 
Magadis  47. 
Magalha^s,  Filipe  540. 
Mager,  Jorg  1005,  1025. 
Maggini,  Giovanni  Paolo  600. 
Magnard,  Albenc  1059L 
Mahillon,  Victor  1238. 
MahW,  Gustav  595,  596,  615,  621, 

631,  632,  863,  944,  949 f.,  951, 

952f.,  997f,,  1006,  1007f£,  1029, 

1174f  1203,  1213. 
Mahrenholz,  August  1239. 
Mahrer,  Elisabeth  1222. 
Mahu,  Stephan  450. 
Maillart,  Louis  Aim<£  894. 
Le  Maistre,  MatthSus  379,  453. 


Majo,  Francesco  709,  712,  728,  736, 

739. 

Major,  Erwin  1080. 
Majorano,  Gaetano  1221. 
Makarie  1184. 

Maklakiewicz,  Jan  Adam  1151. 
Malaguena  983. 

Maldeghem,  Robert  Julien  van  1237. 
Maleingreau  1070. 
Maler,  Wilhelm   1025. 
Malherbe,  Charles  1237. 
Malibran,  Maria  908,  1223. 
Maliczewski,  Witold  1148. 
Malipiero,  Francesco  1096. 
Malko  1214. 
Mailing,  Jorgen  1110. 
Mailing,  Otto  1110. 
Malvezzi,  Cristofano  414,  417. 
Manara  500. 
Mancinelli,  Luigi  1089. 
Mandic,  J.   1168. 
Mandl,  Richard  1029. 
Mandola  574 f.,  591,  593. 
Mandoline  575,  593  ff. 
Mandyczewski,  Eusebius  1015,  1238. 
Manelli,  Francesco  423. 
Man6n,  Joan  916,  1100,  1206. 
Manesse  von  Zurich  1038. 
Mangold,  Karl  873. 
Mangold,  Wilhelm  873. 
Manieren  550. 
Mann  siehe  Monn, 
Mannerchore  957 ff.,  1029. 
Mannheim  774 ff.,  800 ff.,  1203  u.a.O. 
Manni,  Ag.  492. 
Manns,  August  1045. 
Manojlovic,  K.  P.   1169. 
Manolov,  E.  1169. 
Mansfeld,  Edgar  siehe  Pearson,  Henri 

Hugh, 

Mantecon,  Juan  Jose  1103. 
Mantuani,  Josef  1239. 
Mantzaros,  S.  1181. 
Manuel,  Roland  1073. 
Manzanarcs,  Jacinto  1 1 00. 
de  Manziarly,  1073. 
Manzocchi,  Auteri  1089, 
Manzuoli,  Giovanni  1221. 
Maqam  18ff.,  22,  25  f. 
Marais,  Marin  653,  1206. 
Marais,  Roland  1206. 
Marazzoli,  Marco  422,  492,  645. 
Marbeck,  John  536. 
Marcabrus  188f. 
Marcelle  980. 
Marcello,  Benedetto  443,  444,  557, 

723,  800,  802. 


81* 


1278 


Index:  Marchand  —  Mesritz 


Marchand,  Louis  571. 

Marches!,  Mathilde  1222f. 

Marchetti,  Filippo  908. 

Marchettus  vonPadua  122,  291 ,  1225. 

Marcorelli  497. 

Marcus  1232. 

Marechal,  Henri  904. 

Marek,  Czeslaw  1151. 

Marenco,  Romualdo  912. 

Marenzio,  Luca  367  ff.,  414,  490. 

Mareschall,  S.  1077. 

Margaritis,  Louis  1182. 

Marimba  32,  584. 

Marini,  Biagio  548,  550,  1202. 

Marinkovic,  J.  1169. 

Marino  363. 

Marinucci,  Gino  1214. 

Mariotte,  Antoine  1060. 

Markull,  Friedrich  Wilh.  883. 

Marmontel,  A.  Fr.  897. 

Marnold,  Jean  1244. 

Marot,  Clement  375. 

Marpurg,  Fr.  W.  1216,  1229,  1231. 

1241. 

Marquard  von  Echternach  89. 
Marques,  Miguel  1099. 
Marschalk,  Max  1244. 
MarscKner,  HeinrichAug.872f.,958, 

959,  970,  1212. 
Marsick,  A.  1076. 
Marsick,  Emanuel  1164f. 
Marsick,  M.  P.  1203L 
Marsop,  P.  1240,  1244. 
Marsyas  51,  52. 
Marteau,  Henri  1205. 
Martianus  Capella  38,  115,  1224. 
Martin,  F.  1080. 

Martin  y  Soler,  Vincenzo  762,  1 133. 
Martini,  Padre  Giambattista  146,  709, 

801,  840,  1232,  1235. 
Martini,  Giov.  Marco  500. 
Martini,  Jo.  304. 
Martini,  J.  P.  E.  747 f.,  985. 
Martinu,  Bohuslav  1162, 
Martucci,  Giuseppe  1093. 
Marty,  Georges  Eugene  901. 
Marx,  Adolf  B.  934,  123 If.,  1-238, 

1243. 

Marx,  Eduard  964. 
Marx,  Joseph  1026. 
Marx,  Karl  1014. 
Mascagni,  Pietro  914,  1090f.f  1094, 

1214. 

Maschera,  Florentio  390,  547. 
Mascherata  415. 
Masek,  Kamillo  1166. 
Masi,  Enrico  1207. 


Masini,  Lorenzo  279. 
Maskenspiele,    englische,    Masques 

658  f. 

franzosische  642. 
Mason,  Daniel  Gregory  1196. 
Mason,  Lowell  1188. 
Mason,  Stuart  1 197. 
Masotti,  Giulia  1221. 
Massainus,  Tiburtius  517,  547. 
Massart,  L.  I.   1204,  1205. 
Masse,  Victor  (Felix  Marie)  894. 
Massenet,  Jules  E.  F.  599,  892,  901, 

902,  937,  1061  f. 

Maszynski,  Piotr  1 146. 

Materna,  Amalie  1223. 

MatKeis,  Nicola  680. 

Mathieu,  Em.  1075. 

Matteo  von  Perugia  292. 

Mattheson,  Johann  468,  470,  473, 
525, 675,  678, 686,  713f.,  717,979, 
1210,  1225,  1229,  1231,  1241. 

Mauduit,  Jaques  375. 
Maugars,  Andre  1206. 
Mauice,  Wilhelm  1033. 
Maultrommel  866. 
Maurice,  P.  1079. 
Mayer,  Lise  Maria  1015. 
Mayer-Mahr,  Moritz  1218. 
Mayer-Reinach,  Albert  1239. 
Mayr,  Richard  1223. 
Mayr,  Simon  709,  766,  905  f. 
Mayseder,  Joseph  1204. 
Mayshuet,  Joan  de  274. 
Mazas,  F.  1203. 
Mazurka  982. 
Mazzaferrata,  G.  B.  445. 
Mazzinghi,  Jos.  905. 
Mazzocchi,  Domenico  422,  492  f. 
Mazzochi,  Virgilio  422, 495, 497, 511. 
Mazzucato,  Alberto  908. 
Meder,  Joh.  Valentin  497,  1152. 
Mederitsch,  Johann  Gallus  766. 
Medins,  Janis  1153f. 
Medins,  Jazeps  1153f. 
Medrascha  137. 
Medtner,  Nikolai  1140f, 
Meerts,  Josef  L.  1203. 
Megel,  Daniel  668. 
Mehrchorigkeit  312, 3 1 6f.,  333, 350f. 

355f. ,  391,  510ff. 
Mehrstimmigkeit  159,  214ff.  u.a.O. 

der  Naturvolker  8f. 

der  Orientalischen  Kulturvolker 

27f. 
Mdwl,  Etienne  Nicolas  748, 749, 822, 

855. 
Mef,  Girolamo  416. 


Meier,  Peter  692. 

Meiland,  Jacob  380,  454. 

Meinardus  935. 

Meifiner  754,  897. 

Meister,  C.  1040. 

Meistersinger  202,  206. 

del  Mel,  Rinaldo  490. 

Melani,  Jacopo  428. 

Melani,  Otto  428. 

Melanippides  60. 

Melartin,  Erkki  1126. 

Melba,  Nellie   1223. 

Melcer,  Henryk  1147F. 

Melgaco,  Diogo  539 f. 

Melichar,  Josef  1025. 

Melngails,  Emils   1153. 

Melodram  752 £,  814f. 

Melodramma  423. 

Membree,  Edmond  902. 

Menantes,  Hunold  468,  473. 

Mendel,  J.  J.  1046. 

Mendelssohn,  Arnold  479,  880. 

Mendelssohn,  Felix  475,  476,  479, 

873,  932,  934,  945 f.,  958,  959 f., 

963f.,  965 f.,  1211,  1212,  1216. 
Mendes,  Manuel  540. 
Meneghetti  798. 
Mengden,  G.  v.  1 152, 
Mengelberg,  K.  Rudolf  1015,  1085, 

1239. 
Mengelberg,    Willem    1082,     1080, 

1214. 

Mengewein,  Karl  88  X 
Mennicke,  Karl  1239. 
Mensuralnotation  251  ff.,  265  f.,  277, 

307,  399,  511. 
Menter,  Josef  1207. 
Menter,  Sophie  1219. 
Menuett  568,  979,  981. 
Mercadante,  G.  Saverio  R.  906,  908. 
Merian,  W.  1240. 
Merikanto,  Aarre  1128. 
Merikanto,  Oskar  1127. 
Merk,  Joseph  1207. 
Merkel,  G.  A.  479. 
Mermet,  Auguste  902. 
Merques,  C.  298. 
Merques,  N,  298. 
Mersenne,  Marin  1231,  1235. 
Mersmann,  H.  1240,  1244. 
Mertke,  Eduard  883  f.,  1218. 
Merula,  Tarquinio  509 f.,  548,  566 f, 
Merulo,  Claudio  351,  388,  394,  414, 

547. 

Mesarites,  Nikolas  131. 
Mesenez,  Alexander  142,  I43f. 
Mesritz  van  Veldthuyzen,  A.  1085. 


Index:  Messager  —  Miiller 


1279 


Messager,   Andre   Ch.  P.   895,   898, 

1063. 

Messchaert,  Joh.   1082. 
Messe  293,  297  ff.,  302 ff.,  313,  317f.f 

325,  328ff.f  330,  334,  339ff.,  356, 

833  f  f. 

Messe,  deutsche  446 f.,  848f. 
Messe,  Entstehung  der  81. 
Messe,  protestantische  446 f. 
MeBner,  Joseph  1014. 
Mestdagh,  K.  1075. 
Metallstabspiel  632. 
Metastasio,  Pietro  494,  503,  666,  682, 

708,  723. 

Methfessel,  Alb.  Gottl.  873. 
Methfessel,  E.  1040. 
Metzdorff,  Richard  884. 
Meulemans,  E.  1075. 
Meumann,  E.  1240. 
Meyer,  Eduard  51. 
Meyer,  Fr.  W.  1009. 
Meyer,  Gri  1038. 
Meyer,  K.  G.  1239,  1240. 
Meyer    Leonti  v,   Schauensee  749, 

1039. 
Meyerbeer,   Giacomo   (Beer,  Jakob 

Liebmann)  599,  890 f.,  1212. 
Mezzapunto  51 2  f. 
Michael,  Rogier  452. 
Michael,  Tobias  458,  462. 
Michalowitsch  1185, 
Michel  de  la  Guerre  648. 
Micheuz,  Georg  1 1 66. 
Mielck,  Ernst  1126. 
Mies,  P,  1240. 
Migot,  Georges  1073. 
Mihalovich,  Edmund  von  926,  1173. 
Mikess,  Blaha  1162. 
Mikorey,  Franz  von  1213. 
Milan,  Luiz  387,  401,  431. 
Milanello,  A.  Marie  1204, 
Milanello,  Therese  1204. 
Milcent,  P.O.  1106. 
Milder-Hauptmann,   Pauline   Anna 

1223. 

Mildner,  Moritz  1204, 
Milhaud,  Darius  1072. 
MillScker,  Karl  884,  993, 
Milojevic,  Miloje  1169. 
Mimus  6H. 

Minato,  Nice.  426,  503,  672. 
Mincu8»  Ludwig  902. 
Mingotti,  Regina  1222. 
Minima  255,  265. 
Minnesang,  deutscher  183,  200ff. 
Minoja,  Ambrogio  1222. 
Missa,  Edmond  J.L.  901. 


Mitropolos,  Dimitri  1182. 
Mitterer,  Ignaz  858. 
Mittler,  Franz  1015. 
Mizler,  Lorenz  Christof  1241. 
Mjaskowski,  Nicolai  1142. 
Mjden,  Reidar  1113,   1245, 
Mtynarski,  Emil  1 148. 
Mlynarski,  Ernst  1214. 
Mockel,  Paul  Otto  1219. 
Mocquereau,  Dom  Andre  124,  1240. 
Modalnotation   193,  25 If.,  265. 
Moisisovich,  Roderich  v.  1015. 
Mokranjac,  S.  siehe  Stojanovic,  S. 
Molier,  Louis  646. 
Molieres,  Baptiste  647  f. 
Molinari,  Bernardo  1214. 
Molitor,  Joh.B.  858. 
Molitor,  P.R.  F.  1240. 
Molitor,  V.  1039. 
Moellendorf,  Willy  1005,  1025. 
Molnar,  G.  1240. 
Molza,  Tarquinio  370. 
Mompou,  Federico  1103. 
Monatshefte  f .  Musikgeschichte  1 238. 
Monch  von  Salzburg  172,  201,  202. 
Mondonville  657. 
Moniuszko,  Stanislaw  1144f. 
Monn,  Georg  Matthias  547,  800, 802, 

805 f.,  808. 

Monochord  47,  115,  260,  588. 
Monodie4!5ff.,430ff.,492ff.u.a.O. 
Monodie,  instrumentale  391,  548. 
Monpou,  Hippolyte  894. 
Monsigny,  Pierre  AL  745,  746 f. 
Montani,  Nicola  Aloysius  1 1 97. 
Montard,  David  1225. 
de  Monte,  Philipp  328,  362,  367. 
Montecassino  96. 
Monteclair,  M.  P.  654. 
Montemezzi,  Italo  1095. 
Monteverdi,  Claudio  367, 369, 41 9ff ., 

423ff.,  436f.,  455,  552,  627,  676, 

1202,  1227. 

Monteverdi,  Giulio  Cesare  421. 
Montex,  Pierre  1214. 
Montillet,  W.  1080. 
Montirande"  976. 
Moos,  P.  1240. 
Morales,  Christobal  347f. 
Moranzoni,  Roberto  1214. 
Morcman,  Oskar  1117,  1118. 
Moreira  de  Sa  1105. 
Morera,  Enrique  1099. 
Moresca  974,  980. 
Morini,  Erika  1205. 
Moritz  622. 
Morlacchi,  Francesco  709,  905. 


Morley,Thomas381  f.,  390,472, 1228 
Morphy,  Don  G.  1238. 
Mortelmans,  L.  1075. 
Mortimer,  Peter  475. 
Morungen,  Heinrich  v.  202. 
Mosca,  Giuseppe  905. 
Mosca,  Luigi  905. 
Moscheles,  Ignaz  833',  1216. 
Mosel,  I.  von  742,  1243. 
Moser,  Franz  1015. 
Moser,  Hans  Joachim  1239. 
Moser,  R.  1043. 
Mosewius,  Joh.  Theodor  478. 
Mosonyi  siehe  Brand,  Michael. 
Moszkowski,  Moritz  885. 
Motette  159,  221, 227,  232ff.,  255ff., 
263 f,   267,   272 ff.,   279,   296f., 
310ff.,316f.,319ff.,331ff.,342ff., 
355 f.,  386,  449,  462. 
Motettenpassion  313f.f  455. 
Motetus  233. 
da  Motta,  Vianna  1105. 
Mottl,  Felix  886,  907,  1213. 
Moulaert,  R.  1076. 
de  Moulu,  Pierre  330. 
Mouret,  Jean  654. 
Mouton,  Jean  326,  349,  400f. 
Moyzes  1164. 
Mozart,  Leopold  776,  810,  814,  838, 

1203,  1231,  1235. 

Mozart,  Wolfgang  Amadeus  595, 615, 
632,  769ff.,  810,  826,  917,  1210f., 
1216,  1217. 
Instrumentalmusik  580, 8 1 4, 8 1 5ff ., 

823f.,  1203. 
Lieder  702,  941. 
Messen  530,  834,  839ff.      , 
Opern  423,  709,  753,  754,  755  ff. 
Oratorien  712. 
Mozart,  W.  A.  (Sohn)  1217. 
Mraczek,  Joseph  Gustav  1033. 
Muck,  Karl  1191,  1213. 
de  Mudarra,  Alonso  431. 
Muffat,  Georg  544,  554,  555,  563, 

568,  571,  671. 
Muffat,  Gottlieb  547,  568,  571,  572, 

801. 

Mugnone,  Leopoldo  1214. 
von  zur  Muhlen,  R.  1223. 
Muhvic,  J.  1168. 
Muller,  Adolf  884,  1040. 
Miiller,  Chr.  Gottlieb  875. 
Muller,  E.  1240. 
Muller,  Georg  1212. 
Muller,  H.  1240. 
Muller,  Johannes  1025. 
Muller,  P.  1043. 


1280 


Index :  M tiller  —  Novotny 


Miiller,  Wenzel  755,  764. 
Miiller-Blattau,  Josef  1239. 
MuIIer-Hartmann,  Robert  1015. 
MuIIer-Hermann,  Johanna  1015. 
Miinchen  516f.,  544,  670f.,  672f., 

855f.,  I013f.  u.a.O. 
Miinchheimer,  Adam  1 145. 
Munday,  John  572. 
Muneira  983. 
Munktell,  H.  918. 
Munnich,  Richard  1232. 
Munzinger,  E.  1039,  1078. 
Munzinger,  K.  1039. 
Muret  375. 

Murguia,  Joaquin  Tadeo  1098. 
Musa  siehe  Sackpfeife. 
Muschelhorn  619,  620. 
Muset,  Colin  194. 
Musette  569,  619. 
Musica  Enchiriadis  118,  159,  163ff. 
Musica  falsa  308. 
Musica  ficta  308. 
Musicaplana  122. 
Musical  Antiquary  1238. 
Musical  Quarterly  1238. 
Musikdrama  der  Orientalen  33  f. 
Musikschriftsteller 

byzantinische  38. 

griechische  35ff.,,61. 

moderne  1238ff.,  1244f. 
Musikwissenschaft  1233ff. 

vergleichende  3,  1237. 
Mussorgski,     Modeste    Petrowitsch 

914,  921,  972,  997,  1035f.,  1070. 
Miithel,  Joh.  Gottfr.  1152. 
Muzicescu  1184. 
Myrberg,  Aug.  M.  1119. 
Mysliweczek,  Joseph  712,  800. 
Mysterien  667 f.  u.a.O. 

Nachtanz  396,  976. 

Nagel,  Willibald  1239. 

Nagelgeige  632f. 

Nageli,  Hans  Georg  475,  957,  1039. 

Nanino,  Giovanni  Bernardino  510. 

Nanino,  Giovanni  Maria  339,  347, 
490,  510. 

Naprawnik,  Eduard  Fr.  924,  925. 
Narses  aus  Mahalletha  137. 
Narvaez,  Luis  de  431. 
Nasos,  Georg  1181. 
Naturvolker,  Musik  der  5ff. 
Naue,  J.  Fr.  475. 
Naujalis  Juozas  1155. 
Naumann,  Emil  883,  1236. 
Naurnann,  Joh.  Gottl.  531,  709,  712, 
740,  743f.,  917. 


Naumov,  P.  1170. 

Navratil,  K.  1240. 

Neapel  498 ff.,  527ff.  u.a.O. 

NeapolitanischeSchule428ff.,498ff., 

527ff.,  707ff.,  718E,  739ff.,  799ff. 
Nedbal,  Karel  1214. 
Nedbal,   Oskar    925,     1161,    1162, 

1205f.,  1214. 
Nedved,  Anton  1166. 
Neefe,  Christian  Gottlob  699,  752, 

753,  819. 

Nef,  Karl  1239,  1240. 
Negrea,  Martinu  1185. 
Negri,  Cesare  978,  981. 
Negro-songs  1191f. 
Negro-spirituals  1191f. 
Neidhardt,  Joh.  Georg  1231. 
Neidhart  von  Reuenthal  201. 
Neisser,  A.  1240. 
Neitzel,  Otto  885,  1244. 
Nejedly,  Zd.  1240,  1245. 
Nemecek,  Emil  1163. 
Neri,  Filippo  339,  344,  481,  484 ff. 
Neri,  Massimiliano  547,  548,  555. 
Nero  62. 

Nerses  Schnorhali  139. 
NeBler,  Viktor  E.  884. 
Nestorov,  H.  1170. 
Nesvera,  Joseph  925. 
Nettl,  Paul  1239. 
Neubauer,  Johann  565. 
NeueZeitschrift  fur  Musik  968, 1243. 
Neuendorff,  Adolf  1190. 
Neukomm,  S.  v.  703,  855. 
Neumann,  Franz  1033,  1214. 
Neurnark,  Georg  694. 
Neumeister,  Erdmann  467. 
Neumen 

byzantinische  134ff. 

Intervallbedeutung  94ff. 

lateinische  90ff.,  159f. 

Rhythmik  90ff. 

russische  141  f. 

Tabellen  90. 
Neuplatoniker  50. 
Neupythagoraer  50. 
Nevin,  Ethelbert  1199. 
Newman,  Ernest  1245. 
Newsidler,  Hans  387,  395,  406ff., 

1171. 

Ney,  Elly  1219. 
Niccolini,  Giuseppe  904. 
Niccolo  von  Perugia  279. 
Nicode~,    Jean    Louis     949,     1012, 

1029. 

Nicolai,  Otto  874f.,  1211. 
Nicolai,  Phil.  452. 


Nicolai,  Willem  F.  G.  1082. 
Nicolau,  Antonio  1099. 
Niederlandische  Schulen  298ff. 
Niedermeyer,  L.  1078. 
Nielsen,  Carl  1111. 
Nielsen,  Hans  1108. 
Nielsen,  Ludolf  1112. 
Niemann,  Walter  1014,  1240. 
Niewiadomski,  Stanislaw  1 146,  1245. 
Niggli,  Franz  1042. 
Nikisch,  Arthur  1191,  1213. 
Nikomachos  Gerasenus  37. 
Nilius,  Rudolf  1213. 
Noack,  Friedrich  1239. 
Noderman,  P.  918. 
Nodnagel,  Ernst  Otto  1009. 
Noelte,  Albert  1033. 
Noetzel,  Hermann  1033. 
Nohl,  Ludwig  1238. 
Nola,  G.  Domenico  da  372. 
Nomos  53  f.,  60. 
Nonnengeige  605. 
Nordewier-Reddingius  1082. 
Nordraak,  Richard  916,  1114. 
Noren,  Heinrich  G.  886. 
Norlind,  Tobias  1240,  1245. 
Norman,  Ludwig  1119. 
Norman-Neruda  1045. 
Noskowski,  Zygmunt  1145f. 
Notation 

armenische  139f. 

byzantinische  134ff. 

Daseia-99,  118,  159f.,  164. 

der  italienischen  Laudi  209  f, 

der  Minnesinger  203  f. 

der  spanischen  Cantigas  213. 

der  Trouveres  193. 

gregorianische  90ff. 

griechische  46ff. 

judische  149f. 

Mensural- 25 Iff.,  265 f.,  277,  307, 
399,  511. 

Modal-  193,  25 Iff.,  265. 

russische  141  ff. 

Tabulatur-  383,  385  f.,  398  ff. 
Notationsreform,  russische  142ff. 
Notendruck  326  f. 
Notenlinie  98. 
Notker  Balbulus  86,  97,  114,  117, 

667,  1038. 
Notker  Labeo  117. 
Notturno  785,  796. 
Novak,  A.  1168. 
Novak,  Vitezslav  1159f.,  1I6K 
Noverre,  Jean  Georges  726,  729, 814, 

980. 
Novotny,  Jar,  1162, 


Index:  Nowowiejski  —  Pamphos 


1281 


Nowowiejski,  Feliks  1148. 
Nuffel,  J.  van  1075. 
Nuove  Musiche  41 7  f.,  432  f.,  434. 
Nux,  Veronge  die  la  904. 
Nyberg,  Mjkael  1127. 

Obertone  608. 

Obiols  1098. 

obhgat  789. 

Oboe  578,  580,  61 6f. 

Oboe  d'amore  578,  614,  617. 

Obrecht  siehe  Hobrecht. 

Ochs,  Siegfried  886. 

Ochsenkuhn,  Seb.  388. 

Oddone  1097. 

Oderannus  von  Sens  120. 

Odington,  Walther  91,  1 12,  122,  261 

1228. 

Odo  von  Clugny  112,  119,  164. 
Oeglin,  Erhard  326, 
Oettingen,  A.  v.  1230. 
Offenbach,  Jacques  897 f.,  990f. 
OginskJ,  Michael  Kleophas  831  f. 
Okeghem,  Johannes  304  ft,  314. 
Oktavengattungen 

byzantinische  133f, 

griechische  41  ff. 

indische  17f. 

mittelalterliche  118,  121. 
Oktoechos  131,  137. 
Oldberg,  Arne  1196. 
Olen  51. 
Olifant  620. 

Olivier  de  la  Marche  642. 
d'Ollone,  Max  901,  904,  1062. 
•  Olsen,  Ole  916,  1116. 
Olympos  46,  51,  52,  53  f. 
Ornersa,  Michael  1166. 
Ondricek,  Franc.  1204. 
van  Oosterssee,  Cornelie  1085. 
Oper  4I3ff.,  863 ff. 

deutsche  667,ff.,   740 ff.,   864ff., 
1029ff.  u.a,0. 

englische  658  ff. 

Florentiner  416ff, 

franzosische  641  ff,  659,  735 ff., 
889  ff.  u.a.O. 

Jtalienisehe    645  ff.,    662,    670ff., 
718ff.,  904 ff.  u.a.O. 

Neapolitaner  429  ff. 

Stoftxebiet  423  u.  a.  0, 

Venezianer  423  ff.,  670 ff. 

in  Arnerika  1189ff. 

in  Bcihmen  924 f.,  1156ff, 

in  Bulgarien  1 170. 

in    Deutschland    667  ff.,  740 ff,, 
864ff.J029ff.  u.a.O. 


Oper: 

in  Danemark  1106ff. 

in  England  658ff.,  918ff.,  1054ff. 

in  Estland  1131. 

in  Finnland  1124ff. 

in  Frankreich641ff.,889ff.,1060ff. 

in  Griechenland  1180ff. 

in  Holland  1081  ff. 

in  Italien    413ffM   718ff.,    904ff 
1087ff. 

in  Kroatien  926,  1167f. 

in  Mahren  1163f. 

in  Norwegen  916,  1113ff. 

in  Polen  1144ff. 

in  Portugal  915,  1105f. 

in  Rumanien  926,  1184f. 

in  RuBIand  920 ff.,  1133ff. 

in  Schweden  91 7f.,  1118ff. 

in  Serbien  1 1 69. 

in  der  Slowakei   1164f. 

in  Slowenien   1165ff. 

in  Spanien  915,   1098ff. 

inUngarn  926,  1172ff.  u.a.O. 
Opera buffa 422, 721  ff.,  742 ff.  u.a.O. 
Ope"ra  comique  738,  745  ff.,  892 ff. 

u.a.O. 

Opera  seria  721,  723,  739ff.  u.  a.  0. 
Operette  697 f.,  990 ff.,  1199. 
Ophikleide  580,  621,  622. 
Opienski,  Henryk  1148. 
Oratorio  centone  502. 
.Oratorio  erotico  497. 
Oratorium   463  f.,   481  ff.,   704ff., 

927ff. 
Orchester  510,  520f.,  529,  579ff., 

784f.,  807f.,  825f.,  827 f,  1006, 

1190,  1200,  1214. 
Orchestermusik  390,  396  u.  a.  0. 
Ordre  (Suite)  568. 
Ore,  Adam  1153. 
Orefice,  Giacomo  721,  1097. 
Orel,  Alfred  1239. 
Orel,  Dobroslav  1239. 
Organisten  1197,  1201  f. 
Organistrum  siehe  Radleier. 
Organum99,  122,  159,  163ff.,214ff.f 

225 ff.,  262,  293. 
Orgel  62,  85,  260,  383,  388,  393 f., 

408L,  450f.,  471,  479,  573,  578, 

625  ff. 

Orgel  bei  den  Byzantinern  128. 
OrJentaliscKe  Kulturvolker  12ff. 
Oriscus  94. 

Orlandi,  Fernando  905. 
Orlandi,  Vine.  500. 
Orn,  Jacob  1108. 
Ornamentinstrumente  577  f. 


Ornithoparch,  Andreas  1228. 
Ornstein,  Leo  1025,  1198. 
Orpheus  51. 
Ortiz,  Diego  385. 
Ortwein,  Magnus  858. 
Osborn,  Franc  1219. 
Osiander,  Lucas  378 f.,  452. 
Osterc,  Slavko  1167. 
Ostrcil,  Otakar  1163,  1214. 
Oswald  von  Wolkenstein  202,  203, 

276,  1171. 
Otescu,  Nona  1185. 
Ott,  Hans  376. 
Ottolino  da  Brescia  279. 
Oudrid  1098. 
Ouverture  siehe  Oper  813, 816f.,  822 

831  u.a.O. 
Ouverture,  franzosische  552f.,  568, 

646  u.  a.  0. 

neapolitanische  554,  568,  719,  796 

u.  a.  0. 
Ozols,  S.  1153. 

lacchiarotti,  Gasparo  1221. 
Pachelbel,  Johann     472,   544,  558, 

561,  571. 

Pachulski,  Henryk  1147. 
Pachymeres,  Georgios  38. 
Pacini,  Giovanni  908. 
Pacius,  Fredrik  1124. 
Paderewski,  Ignacy  Jan  1147,  1218, 

1219. 

Padovana,  Paduana,  siehe  Pa  vane. 
Padovano,  Annibale  383. 
Paer,  Ferdinando  709,  712,  740,  766, 

905,  906. 
Paesiello,   Giovanni   (Paisiello)   709, 

712,  738,  743,  744f.,  904,  1133, 

1210. 

Paganelli,  Giovanni  Antonio  800. 
Paganini,  Nicolo  972,  1203,  1204. 
Pagliardi  428. 
Pahissa,  Jaime  1100,  1103. 
Paian  55. 

Paine,  John  Knowles  1193. 
Paita  1220. 
Paix,  Jacob  385,  451. 
Paladilhe,  Emile  902. 
Palestrina,  Giovanni  Pierluigi  336  ff., 

367,  484,  490,  857f 
Palla,  Scipio  della  417. 
Pallavicino,  Carlo  428,  500,  673. 
Palmgren,  Selim  1126. 
Parner,  Fritz  Egon  1015. 
Pamer,  Michael  985. 
Pampanini  1214. 
Pamphos  51. 


1282 


Index:  Panain  —  Pindaros 


Panain,  Guido  1240. 

Pandora  603. 

Pamzza,  Ettore  1214. 

Pankiewicz,  Eugeniusz  1147. 

Pann,  Anton  1182f. 

Pannard  745. 

Panpfeife  48. 

Pantaleon  586. 

Pantomimus  62. 

Paolo  da  FJrence  279,  291. 

Papadike  133,  136. 

Parakataloge  56,  61. 

Pariati  503. 

Paris  745 ff.  u.  a.  0. 

Parisini    Federico  1238. 

ParisinJ,  Raffael  1181. 

Parker,  Horatio  962,  1194,  1200. 

Parma,  Viktor  1166. 

Parodiemesse    328ff.f    334,    339ff., 

512ff.,  525. 
Parry,  Charles  Hubert  Hastings  972, 

1045f.,  1055,  1235,  1240. 
Parry,  Joseph  919. 
Parsley,  Osbert  536. 
Parthenien  56. 
Partita  (Partie)  567,  802. 
Parvescu,  Pompiliu  1 1 83. 
Pasdeloup,  J.  E.  897,  899,  1214. 
Pasler,  Karl  1239. 
Pasquini,   Bernardo  499,   500,   799, 

1215. 

Passacaglia  561,  570,  980. 
Passamezzo  396,  978. 
Passepied  568,  979. 
Passereau  374  f. 
Passion  313,  454 f.,  468f.,  473,  482, 

668f..  717. 
Passo  dobie  983. 
Pastoraldrama  (363),  415,  648. 
Patti,  Adelina  902,  1223. 
Patti,  Carlotta  1223. 
Pauer,  Ernst  1217,  1219. 
Pauer,  Max  1219 
Pauke  574,  575,  580,  610,  628  f. 
Paumann,    Conrad   384,    391,    407, 

1201  f. 

Paumgartner,  Bernhard  1033,  1213. 
Paunov  1169. 
Paunovic,  M.  1169. 
Pavane  395,  564 f,  975,  977,  978. 
Pavesi,  Stefano  905. 
Peacham,  Henry  1228. 
Pearson     (Pierson),     Henry     Hugh 

(Mansfeld,  Edgar)  919. 
Pedalharfe  606 f. 
Pederson,  Mogens  1108. 
Pedrell,  Felipe  1098f.,  1237. 


Pedrotti,  Carlo  908. 
Peifil.  Frhr.  von  931. 
Pejacsevich,  Dora  v.  1 1 68. 
Pektis  47. 
Pelogtonleiter  17. 
Pena,  Lorenzo  1210. 
da  Pena,  Peirolo  539. 
Pentatonik,  anhemitonische 

der  Agypter  12. 

der  Chinesen  13. 

der  Griechen  14,  46. 

der  Japaner  15. 

der  keltischen  Volker  14. 

der  Laos  17. 

der  Ungarn   1171. 
Pentenrieder,  Fr.  X.  883. 
Peperara,  Laura  370. 
Pepping,  Ernst  1034. 
Pepusch,  Joh.  Chr.  662,  1235. 
Peranda  451,  673. 
Pereira,  Miguel  Angelo  1105. 
Perez,  David  709,  712,  728. 
Perfectio  251  ff.,  265. 
Perger,  Richard  von  885. 
Persolesi,  Giovanni    Battista    474, 

528f.,    709,    721  ff.,   739,    800, 

801  ff. 

Peri,  Achille  908. 
Peri,  Jacopo  416,  41 7f.,  421,  432, 

1220,  1229. 
PerkowskJ,  Piotr  1151. 
Perosi,  Don  Lorenzo  936,  1094. 
Perotinus  Magnus   186,  214,  216ff., 

224,  225 ff.,  263. 
Perrin  d'Angecourt  194,  241  f. 
Perrin,  Pierre  648. 
Persiani,  Giuseppe  908. 
Persisch-arabischer  Kulturkreis  18ff., 

23ff.,  25,  33. 
Perti,  Jac.  Ant.  500. 
Pes  93,  251. 
Pesarese,  Dom.  1227. 
Pescetti,  Giovanni  Battista  800. 
Pestalozzi,  H.  1042. 
Peterka,  Rudolf  1015. 
Peters,  Guido  1015. 
Peters,  Rudolf  1015. 
Petersburger  Streichquartett  1207. 
Petersen,  Wilh.  1015. 
Peterson-Berger,  Wilhelm  918,  1120, 

1121,  1122, 
Petit,  Raymond  1074. 
Petrarca,  Francesco  362. 
Petrauskas,  Kipras  1155. 
Petrauskas,  Miskas  1155. 
Petrejus,  Johann  326. 
Petrella,  Enrico  908. 


Petri,  Henri  1204. 

Petri-Quartett  1207. 

Petridis,  Petro  1182. 

Petrucci,   Ottaviano  304,   317,   326, 

335,  359,  387,  395,  398  f. 
Petrus  de  Cruce  254 ff.,  262. 
Petrus  Picardus  261. 
Petrzelka,  V.  1164. 
Petschnikoff,  Alexander  1206. 
Petyrek,  Felix  1025,  1028,  1034. 
Peuerl,  Paul  548,  564f.,  571. 
Peutinger  326. 
Pfeife  siehe  Flote. 
Pfeiffer  819. 
Pfitzner,  Hans  612,  887f.f  952,  1013 

1026,  1029,  1030,  1231,  1240. 
Pfleger  497. 
Pfohl,  Bernhard  1244. 
Pfordten,  H.  v.  d.  1240. 
Phalese  375,  978. 
Philammon  51. 
Philidor,    Francois     Andr<§     645, 

746. 

Philipp  de  Grevc  185. 
Philipp  von  Vitry  266,  267,  273. 
Philipps,  Peter  390. 
Philodemos  aus  Gadara  37. 
Philolaos  36. 

Philoxenos  aus  Kythera  60. 
Phinot,  Dominicus  330. 
Phorminx  47,  53. 
Phrynichos  59. 
Phrynis  aus  Mytilene  6Q. 
Pianino  590. 
Pianisten  1214ff, 
Pianoforte  578,  588  ff.,  808. 
Piatti,  Alfred  972. 
Picander  467,  718. 
Piccini,  Luigi  905. 
Piccinni,  Niccolo  709,  712,  737,  739, 

742,  743,  744. 
Piccoloflote  61 1  f. 
Pichl,  Wenzel  814. 
Picitono,  Angelo  da  1226. 
Pick-Mangiagalh",  Riccardo  1097. 
Picka,  Fr.  1162. 
PIern<£,  H.  C.  Gabriel  901,  904,  1060, 

1214. 

Piero  279,  282. 
Pierre  de  Corbie  240  f. 
Pierre  de  la  Rue  326,  359. 
Pierre  des  Molins  274. 
PJerson,  H.  H.  1045. 
Pietismus  468. 
Pijper,  Willem  1086,  1245, 
Pilkington,  Francis  381. 
Pindaros  von  Theben  57. 


Index:  Pinsuti         Questenbers 


1283 


Pinsuti,  Giro  908. 

Pinto,  Marques    1  105. 

Pirani,  Eugenic  914. 

Pirker,  Marianne   1222. 

Piron  745. 

Pirro,  Andre  1240. 

Pisador,  Diego  431. 

Pischna,  Johann   1218. 

Pisendel,  Johann  Georg  557,  1211. 

Pisk,  Paul  Amadeus  1025. 

Plsling,  S.  1240. 

PistocchI,  Franc.  Ant.  500,  1221. 

Piston  623. 

Pitra,  J.B.  130. 

Piva  396. 

Pizzetti,  Ildebrando  I096f. 

Pizzi,  Emilio  914. 

Plaidy,  Louis  1216,  1218. 

Planquette,  Robert  898. 

Platania,  Pietro  908. 

Platel,  N.J.  1207. 

Platerspiel  260,  619. 

Platon  36,  39,  42f.,  52. 

Plautus  61. 

Playford  1188. 

Plektron  47,  586. 

Plefi,  Hans  1009. 

Pleyel,  Ignaz  825,  1216. 

Plica  94,  252. 

Plinius  major  38. 

Plotin  50,  62. 

Pluddemann,  Martin  945. 

Plumhof,  H.  L.  1078. 

Plutarch  5,  37,  46,  54. 

Pneuma  24. 

Pochette  595. 

Podatus  93,  251. 

Podbertsky,  Theodor  885. 

Poglietti,  Alessandro  544,  568,  571, 

572. 

Pohl,  Karl  Ferd.  1238, 
Poise,  J.  A.  Ferdinand  902. 
PoissI,  J.  N.  742. 
Polacco,  Giorgio  1214. 
Poldini,  Eduard  926,  1173. 
Polinski,  A.  1240. 
Polivka,  Vladimir  1162. 
Poliziano  413, 
Polka  982,  988, 
Pollak,  Egon  1213. 
Pollarolo,  Carlo  Francesco  428,  500. 
Pollini,  Francesco  1217. 
Pollux,  Julius  38. 

Polonaise  (PolonSse)  568f,,  831  f.,  982. 
Polowirkin,  Leonid  1142. 
Polymnestos  von  Kolophon  55. 
Polvtonalitat  1003,  1072. 


Pommer  576,  616. 

Ponchielli,  Amilcare  908,  1089. 

Poot,  M.  1076. 

Pope  707. 

Popov,  Sasa  1170. 

Popov,  Slavko  1170. 

Popper,  D.  1174,  1207. 

Porpora,  Nicola  530,  709,  710,  721, 

739,  798,  800,  1203. 
Porrectus  93,  251. 
Porsile,  Giuseppe  686,  709. 
Porta,  Constanzo  347, 
Portamento 

der  Naturvolker  5. 

der  orientalischen  Kulturvolker  29. 
Portativ  260,  575,  577,  627. 
do  Porto,  Pero  539. 
Portogallo,  Marcos  (Portugal)  904 f. 
Porumbescu,  C.  925,  1184. 
Posaune  580,  624  f. 
Posch,  Isaak  565. 
Positiv  260,  574,  575,  627. 
Postel,  C.  H.  468,  473,  674. 
Pothier,  Dom  Joseph  124,  1238. 
Pottgiefier,  Karl  886. 
Pougin,  Arthur  1238. 
Poulenc,  Francis  1073. 
Powell,  John  1198. 
Power,  Lionel  292,  299,  1228. 
Praludium  und  Fuge,  Entwicklung 

561  ff. 

Pratinas  59. 

Pratorius,  Hieronymus  453,  462. 
Pratorius,  Jacob  472. 
Pratorius,  Michael  453,  456ff.,  464, 

576,616,621,977,979,1209,1229, 

1231,  1235. 
Pratt,  Waldo  1240. 
Predieri  709. 
Preindl,  Jos.  855. 
Premrl,  Stanislaus  1167. 
Pressus  94. 
Preyer,  G.  856. 
Priamel     (Preamel,     Praeambulum) 

392  f. 

Prihoda,  Vasa  1205. 
Prill,  Karl  1206. 
Primavera,  Giov.  L.  372. 
Primitive  Musik  5ff. 
Pringsheim,  Klaus  1014. 
Prinner  696. 
Prinzipalregister  626. 
Proch,  Heinrich  873. 
Procha"zka,  Rudolf  von  887,   1015, 

1240. 

Prod'homme,  J.  G,  1240. 
Programmusik  375,  572 f.  u.  a.  0. 


Programmusik  in  derOper652f.,655, 
813u.a.O. 

Prohaska,  Carl   1015,  1029. 

Prokofieff,  Sergei  1142. 

Proksch,  Anton  1217. 

Proksch,  Josef  1217. 

Proksch,  Theodor  1217. 

Prolatio  265. 

Pronomos  von  Theben  47. 

Proporz  396,  975. 

Proprium  missae  81  f. 

Prosa  87. 

Prosdocimus   de  Beldomandis    29], 
307  f. 

Proske,  Karl  857. 

Prosniz,  Adolf  1236. 

Prout,  Ebenezer  1232,  1236. 

Provencalische  Lyrik  183,  188ff. 

Provenzale,Francesco  428  f.,  527, 709. 
Priifer,  Arthur  1239. 
Prunieres,  Henry  1240,  1245. 
Psalmen,  jiidische  76 ff.  ' 
Psalmlied  453  f. 
Psalmodie  79,  108ff. 
Psalterium  47, 260, 574, 575, 576, 586. 
Psaronda,  Johann  1181. 
Psellos,  Michael  38. 
Pseudoaristoteles  261, 
Pseudomonodie  370,  430ff. 
Puccini,  Giacomo  599,  625,  632, 915. 

1091,  1094,  1120. 
Puccita,  Vincenzo  905. 
Pugnani,  Gaetano  800,  1203. 
Pugni,  Cesare  908. 
Pugno,  St.  Raoul  904,  1219. 
Pujet,  Paul  904. 
Pumhart  408. 

Punctum  92ff.,  98,  253,  266. 
Purcell,  Daniel  662. 
Purcell,  Henry  473,  539,  551,  553, 

659,  660 ff.,  707. 
nuschmann,  Adam  202,  206. 
Pycard  296. 

Pylades  aus  Cilicien  62. 
Pyramidenklavier  590. 
Pyrrhiche  55,  62, 
Pythagoraer  37. 
Pythagoras  von  Samos  25,  52. 

Quadrat-Notation  98,   193,  251  ff. 

u.  a.  0. 

Quadrille  981,  988. 
Quagliati,  P.  394,  495. 
Quantz,  Johann  Joachim  474,  699, 

1210,  1231,  1235. 
Querflote  575,  579,  61 1  f. 
Questenberg  1202. 


1284 


index:  Quilisma  —  Richter 


Quilisma  94. 

Quilter,  Roger  1052. 

Quinault,  Philippe  646,  647,  649  f. 

Quinet,  F.  1076. 

Quinterne  260,  596. 

Quittard,  Henry  1238. 

Quodlibetkompositionen  377,  6%. 

rvaaff,  Anton  1222. 

Raasted  1112. 

Rabaud,  Henri  901 , 904,  1062,  1 121 , 

Rachmaninow,  Sergei  W.  147,  924, 

1140,  1219. 
Rackett  617,  619. 
Radecke,  A.  M.  Robert  883. 
Radicati,  Felice  905. 
Radiciotti,  G.  1240. 
Radleier  578,  579,  591,  604 f. 
Radnai,  Nikolaus  1173. 
Rado,  Aladar  1173. 
Raff,  Joachim  931,  935,  949,  972. 
Raguenet,  Abbe"  654. 
Raida,  Karl  Alexander  885. 
Raimann,  Rudolf  886. 
Raimbaut  v.  Vaqueiras  190. 
Raimondi,  Pietro  905,  936. 
Rainald  von  Langres  89. 
Raitio,  Vaino  1128. 
Rameau,  Jean  Philippe  444,  552,  554, 

571,654ff.,800f.,  1229f.f  1231. 
Ramin,  Giinther  1014. 
Ramis  de  Pareia,  Bart.  1225. 
Randegger,  Alberto  908. 
Randel,  A.  917. 
Randhartinger,   Benedikt  856,   873, 

1211. 

Rangstrom,  Ture  1121,  1122. 
Rankl,  Karl  1025. 
Ranta,  Sulko  1128. 
Raphael,  Giinther  1014. 
Rappresentazione  415. 
Rappresentazione  sacra  421,  491. 
JRaselius,  Andreas  452. 
Rasse,  F.  1076. 
Rastrelli,  Joseph  908. 
Rasumovskyquartett  1207. 
Rathaus,  Karol  1034,  1151. 
Rathgeber,  Valentin  696,  955. 
Ratsche  583. 
Ratselkanon  305. 
Rauchenecker,  Georg  884,  1040. 
Rauzzini,  Venanzio  904,  1222. 
Ravanello,  Oreste  1097. 
Ravasenga,  Carlo  1097. 
Ravel,  Maurice  1063,  1064,  1068  ft 
Ravenscroft  1188,  1228. 
Raway,  Erasme  1075. 


Rawnik,  Janko  1167. 

Raynaud,  G.  194. 

Razzi,  Serafin  1167. 

Rebab  595. 

Rebec  33,  260,  593,  595. 

Rebel  654. 

Rebello,  Joao  Lourenco  540. 

Rebikow,  Wladimir  J.  924. 

Rebner,  Adolf  1205. 

Redlich,  H.F.   1019. 

Reed,  Thomas  German  919. 

Refardt,  E.  1240. 

Refice  1097. 

Refrainchanson  192,  195f. 

Refrainkantate  439. 

Refrainmotette  239  ff. 

Regal  626,  627. 

Reger,  Max  479,  998,  1013,  1015  ff., 

1027,  1029,  1120. 
Regino  von  Prum  118f.,  134. 
Regis,  Johannes  304. 
Register  626. 
Regnart,  Jacob  379,  452. 
Rego,  Jos£  de  1116. 
Reicha,  Anton  1230,  1231. 
Reichardt,  Gustav  957. 
Reichardt,  Johann  Friedrich  700 f., 

709,  740,  866,  940,  944,  956,  959, 

1231,  1242. 
Reichel,  Ad.  1040. 
Reichmann,  Theodor  1223. 
ReichWein,  Leopold  1213. 
Reidarson,  Per  1117. 
Reidinger,  Friedrich  1034. 
Reiff,  Lili  1040. 
Reigen  396. 
Reimann  466. 
Reimsequenz  88. 
Reindl,  K.  1039. 
Reinecke,  Karl  K  C.  883,  949. 
Reiner,  Fritz  1213. 
Reinken,   Johann  Adam   472,   506, 

543,551. 558f.,  561, 568, 571, 1230. 
Reinmar  der  Alte  202. 
Reinthaler,  Karl  M.  883. 
Reisenauer,  Alfred  1218. 
Reiss,  L.  J.  1240. 
Reissiger,   Carl   Gottlieb  873,   958, 

972. 

Reissiger,  Fr.  Aug.  916. 
Reissmann,  August  1236. 
Reiter,  E.  M.  1040. 
Reiter,  Josef  1029. 
Reiters,  Theodor  1153. 
Rellstab,  Karl  Fr.  1242. 
Rellstab,  Ludwig  957,  1243. 
Remigius  von  Auxerre  117. 


Remigius  von  Paris  89. 

Renaissance  69  f. 

Renard,  Marie  1223. 

Rendano,  Alfonso  914. 

Renker,  G.   1240. 

Renner,  Josef  856. 

van  Rennes,  Catharina  1085. 

Reproduktion  310,   120 Iff. 

Resende,  Andre  de  539. 

Resende,  Garcia  de  539. 

Resinarius  450. 

Respighi,  Ottorino  1097,  1141. 

Reti,  Rudolf  1025. 

Retirada  566. 

Reuchlin  668. 

Reusner,  Esajas  568,  1202. 

Reusz,  August  888,  1013. 

Reutter,  Georg  535  f.,  544,  709,  710, 

800,  802. 

Reutter,  Hermann  1037. 
Reutter,  Johann  Georg  535 f.,  709. 
Revue  musicale  1238. 
Rey-Colaco,  Alexander  1105,  1106. 
Reyer,  L.  E.  Ernest  (Rey)  902,  1061. 
Rezitativ 

der  Inder  24. 

der  Japaner  24. 

der  Oper,  siehe  Oper  a.  v.  0. 

liturgisches  108. 
Reznicek,  Emil  Nikolaus   von   875, 

1012,  1033. 
Rhapsoden  54. 
Rhau,  Georg  326, 378, 448, 450, 451 , 

1228. 
Rheinberger,  Josef  479,  855  f.,  949, 

972. 

Rhene--Baton  1214. 
Rhythm  ik 

als  Ursprung  der  Musik  3. 

der  Naturvolker  7. 

der    orientalischen    Kulturvolker 
20ff. 

Jm   Verhaltnis    zur    sprachlichen 

Metrik  23,  25. 
Ribera,  J.  212  f. 
Ricci,  Corrado  1240. 
Ricci,  Federico  908. 
Ricci,  Luigi  908. 
Ricercar  387ff.,  540ff. 
Richafort,  Jean  327. 
Richard,  Louis  658. 
Richter,  Alfred  1218. 
Richter,  Ernst  Friedrich  478,  1230. 
Richter,  Ferd.  Tobias  504,  544,  562, 

670. 

Richter,  Franz  Xaver  800. 
Richter,  Hans  876,  1045,  1213. 


Index:  Riegler-Dinu  —  Sainton 


1285 


Riegler-Dinu,  Emil  1183. 
Riemann,  Hugo  54,  203  f.,  482,  1218, 

1230,1232,1233,1235,1236,1238, 

1239. 

Riemann,  L.  1219,  1240. 
Riemenschneider,  Georg  885. 
Ries,  Ferdinand  873,  933. 
Ries,  Franz  949. 
Riesemann,  Oskar  v.  1239. 
Rietenburg,  Burggraf  v.  202. 
Rietsch,  Heinrich  1015,  1238,  1239. 
Rietz,  Julius  883,  949,  1212. 
Rigaudon  568,  979. 
Righini,  Vincenzo  904. 
RJhari,  Gregor  1 166. 
Riis-Manussen,  Adolf  1112, 
Riisager,  Kundage  1112. 
Rimsky-Korssakow,  Nicolai  A.  147, 

921,  922,  972,  1135,  1136,  1142. 
Rinaldini,  Josef  1015. 
Rinaldo  da  Capua  722,  742. 
Ringwaldt  452. 
Rinuccini,  Ottavio414, 416,  418, 421, 

433,  644  f. 
Rlpfel,  Karl  1207. 
Risler,  Eduard  1219. 
Rist,  Joharm  465,  692. 
Ristori,  Giovanni  A.  530,  679,  709, 

712. 

Ritornell  278,  424. 
Ritornell  im  Rondeau  569,  818. 
Ritter,  Alexander  875,  949. 
Rittcr,  A.  G.  479,  1238. 
RivisJ;a  musicale  Italiana  1238. 
Robert  de  Handle  261  f. 
Robert  de  la  PJere  195. 
Robert  of  Brunham  1228, 
Rochlite,  Friedrich  1242. 
Rode,  Pierre  1203. 
Roder,  Martin  885. 
Rodios,  Dim.  1181. 
Rodriguez,  Johannes  259. 
Rogalski  1185. 
Rogel,  Jos<5  1099. 
Roger-Ducasse  1064,  1071. 
Rogers,  Benjamin  566, 
Rogers,  James  H.  1199. 
Rogowski,  Miehal  L.  1150. 
Rtthrenglocken  583,  632. 
Rtihrentrornrnc!  573,  629* 
Rokoko  70, 

Holland,  Romain   1240, 
Rollc,  Joh,  Heinrich  473,  474,  929. 
Rom  334  ff.,  421  f.,  5 1  Off.  ti.n.O. 
Roman  de  Fauvel  266  f, 
Roman,  Johari  H.  917, 
RcmianeHca  196,  437. 


Romanini  394. 

Romanos  87. 

Romanos  aus  Edessa  130. 

Romantik  70,  793 f.,  825 f.,  864 ff., 

932 ff.,  939 ff.,  963  ff. 
Romanusbuchstaben  97. 
Romberg,  Bernhard  1207. 
Romer  38,  50,  61  f. 
Romhild,  J.  Th.  470. 
Rondeau  569. 
Rondell  183f.,  192. 
Rondo  818f. 
Rondokantate  439. 
Ronger,  Florimond  (Herve)  897. 
Ronsard,  Pierre  375,  379,  642. 
Rontgen,  Julius  1085,  1219, 
Root,  George  Frederick  1191. 
Rootbam,  Cyril  1053. 
Rooy,  Anton  van  1082,  1223. 
Ropartz,  Guy  903,  1060. 
de  Rore,  Cyprian  35 1 , 362, 365 f.,  388. 
Rose",  Arnold  1206. 
Rosenberg,  Hilding  1 122. 
Rosenberg-Ruzic,  Vj.  1168. 
Rosenfeld,  Paul  1200. 
Rosenhain,  Jakob  883. 
Rosenmuller,  Johann  451,  461,   506, 

548,  566,  568,  571. 
Rosenstock,  Josef  1034,  1213. 
Rosenthal,  Moritz  1218,  1219. 
Rose'quartett  1207. 
Rosini,  Girolamo  493. 
Roslawez,  Nic.  1142. 
Rossi,  Lauro  908. 
Rossi,  Luigi  428,  439,  645  f, 
Rossi,  Michelangelo  422. 
Rossi,  Salomone  153,  548,  566,  570, 

1202. 
Rossignol,  Fe"lix  Ludger  (siehe  Jon- 

cieres,  Victorin  de). 
Rossini,  Gioacchino  831,  889,  905, 

906f. 

Rofiler  875. 
Rosthius  505. 
Rotruenga  191,  194. 
Rotsohi,  L.  1040. 
Rotter,  L.  856. 
Roullet,  Jo.  298. 
Rousseau,  J.  J.  745,  752,  772,  815, 

1078,  1210,  1229,  1231,  1237. 
Rousseau,  Samuel  A.  904,  1062. 
Rousscl,  Albert  I070f. 
Rovctta,  Giovanni  509 f. 
RowUhmn,  J.  F.  5,  \2 36. 
Roycc,  Kclward  1198. 
Royllurt,  Philipp  27). 
Ko/koisny,  Joseph  R.  92), 


Rozsavolagyi  1172. 

Rozycki,  Ludomir  1148.  1149. 

Rubebe  siehe  Rebec. 

Rubenson,  Alb.  918. 

Rubert,  Jobann  Martin  568. 

Rubinstein,   Anton   923,   935,   949. 

972,  1138,  1218,  1219. 
Rubinstein,  Artur  1219. 
Rubinstein,  Nicolai  1 138,  1219. 
Riickauf,  Anton  886. 
Rudnick,  Wilhelm  885. 
Rudolf,  Hans  Albrecht  503. 
Rudolf,  Tobias  1130. 
Rudolph,  Joh.  Joseph  726,  814, 
Rudolph  von  Fenis-Neuenburg  1077. 
Rudyar,  Done  1198. 
Rufer,  Philippe  B.  884. 
Ruhlmann  1214. 
Ruhrtrommel  629. 
Ruggi,  Francesco  905. 
Ruggles,  Carl  1198. 
Rupprecht  701,  755. 
Russischer    Kirchengesang     140ff., 

1132. 

Rust,  Friedrich  Wilh.  825. 
Ruta,  Michele  908. 
Rute  583,  631. 
Riiter,  Hugo  886. 
Rutters,  H.  1245. 
Rutz,  Ottmar  1232. 
Ruuta,  Theodoricus  Petri  1l23f. 
Ruyneman,  Daniel  1086. 
Ryadis,  Emil  1182. 
Rychnowski,  E.  1240. 
Ryelandt,  J.  1075. 
Rytel,  Piotr  1149f. 

Saar,  L.  V.  1196. 

Saar,  Mart  1130. 

De  Sabata,  Victor  1097,  1214. 

Sabelmann,  Fr.  1130. 

Sabelmann-Kunileid,  A.  1130. 

Sablieres  648. 

Sacchetti,  Franc.  279,  282. 

Sacchini,  Antonio  709,  712,  738,  905. 

Sachlichkeit,  Neue  1004f.,  1143. 

Sachs,  Curt  1239. 

Sachs,  Hans  206  f. 

Sackpfeife  260,  575,  578,  618,  619. 

Sacrati,  Francesco  426,  428,  645. 

Sadero  1097. 

Safonoff,  Wassili  1214,  1219. 

Safranek-Kavic   1168. 

1  .e Sage  dc  Richie,  Ph.  Fr.  404 f.,  745. 

Sailer,  Sebastian  749. 

Snint-Foix,  Georges  Comic  cle  1240. 

Sainton,  Philipp  1203. 


1286 


Index:  Saint-Saens  —  Schnabelflole 


Saint-Saens,  Ch.  Camille  617,  632, 

855,  892,  895,  899 f.,  902,  937, 

1061,  1203,  1240. 
Saiteninstrumente  584  ff. 

der  Griechen  47. 

der  Primitiven  und  Exoten  31  f. 
Sakadas  aus  Argos  49,  55. 
Sakellaridis  1181. 
Salazar,  Adolfo  1103,  1245. 
Saldoni,  Baltasar  1098. 
Salendrotonleiter  16. 
Salicus  94. 
Salieri,  Antonio  709,  736,  738,  740, 

754,  773,  820,  829,  855,  904. 
Salimbensis,  Felice  1222. 
Salmhofer,  Franz  1015. 
Salmon,  Thomas  642. 
Salomon,  Elias  1208. 
Salomon,  Joh.  P.  929. 
Salomon,  Siegfried  917. 
Saltarello  3%,  976,  978. 
Salvayre,  G.  Bernard  902. 
Salzburg  51 7, 671,  838, 846 f.  u.  a.O. 
Salzedo,  Carlos  1198, 
Samara,  Spiro  916,  1181. 
Samazeuilh  1060. 
Sammartini,  Giovanni  Battista  800, 

840. 

Samuel,  Ad.  1075. 
Samuel-Holeman  1076. 
Sances,  Joh.  Fel.  516,  671. 
Sandberger,  Adolf  887,  1237,  1239. 
Sanders,  0.  1245. 
Sandrin  375. 

Sandvik,  0.  M.  1113,  1240. 
Sandvold,  Arild  1117. 
Sanger  121 9  ff. 
Sangerschule 

romische  81  ff.,  339, 1208, 1220. 

russische  147f. 

von  St.  Gallen  85f.,  95f,,  117f. 

von  Metz  84f.,  96. 

von  Reichenau  120f. 
Sankey,  Ira  David  1 188. 
Sannazzar  363. 
Sappho  56. 

Sarabande  564f.,  566f.,  978f. 
Saracini,  Claudio  509. 
Sarasate,  Pablo  de  1203. 
Sardana  983, 
Sarly,  H.  1076. 
Sarri,  Dom.  430. 
Sarrus  617. 
Sarrusophon  581,  617. 
Sarti,  Giuseppe  146,  738,  739,  762, 

1108,  1133. 
Sasko  1164. 


Sasnauskas,  Ceslovas  1156. 

Satie,  Erik  1064f. 

Sattner,  Hugolin  1166. 

Sauer,  Emil  1218. 

Sauret,  Emil  1203. 

Sauveur,  Joseph  1229. 

Savard,  M.  G.  A.  901. 

Saverud,  Harald  1116,  1118. 

Savioni,  Mario  439. 

Sax,  Adolphe  615, 

Sax,  Minnesinger  1038. 

Saxophon  581,  613,  61 5f. 

Scalabrini,  Paolo  728,  1108. 

Scalmani  499. 

Scandello,  Antonio  379, 454, 455, 505. 

Scandicus  93,  251. 

Scaria,  Emil  1223. 

Scarlatti,  Alessandro  430,  443,  502, 

527f.,530,  554,  662,  708f,,  719ff., 

799. 
Scarlatti,  Domenico  572,  799,  801, 

804,  1215. 

Scarlatti,  Giuseppe  743. 
Schachtbret  siehe  Clavicembalo. 
Schachtebeckquartett  1207f. 
Schadaeus  453. 
Schafer,  Alexander  N.  924. 
Schafer,  Dirk  1085,  1219. 
Schafer,  K.  L.  1240. 
Schafhautl,  Karl  v.  611. 
Schaidurow,  I  wan  142. 
Schaljapin,  Fedor  1224. 
Schalk,  Franz  1213. 
Schalmei  260,  574,  610,  616. 
von  Schantz,  J.  F.  1124. 
Scharwenka,  Franz  Xaver  885,  1219, 

1240. 

Scharwenka,  Philipp  949. 
Schattmann,  Alfred  1033. 
Scheibe,  Joh.  A.  791,  1241. 
Scheiber,  Matthias  1180. 
Scheidernann,  Heinrich  472, 543,  561 , 

692. 
Scheldt,  Samuel  451,  456,  460,  471, 

543,  558,  561. 
Schein,  Joh.  Herm.  380,  453,  456, 

459f.,  464f.,  547,  565,  977. 
Scheinpflug,  Paul  1012,  1213. 
Schelle,  Johann  462,  506. 
Schelle,  K.E,  1244. 
Schellen trommel  630, 
Schelling,  Ernest  1197. 
Schemelli,  Georg  Chr.  466,  696. 
Schenk,  Erich  1239. 
Schenk,  Johann  755,  773,  820, 
Schenker.H,  1230,  1231,1232,  1240. 
Scherber,  Ferdinand  1015,  1240. 


Scherchen,    Hermann     1C09,    1028, 

1041,   1213. 

Schering,  Arnold  48 If.,  1236,  1239. 
Scherzo  572,  821,  965. 
Scheu,  Josef  1028. 
Scheurleer,  D.  T.  1238. 
Schicht,  J.  G.  473,  474. 
Schiedermair,  Ludwig  1239. 
Schiedermayr,  J.  B.  855. 
Schierbeck,  Paul  1112. 
Schildt,  Melchior  543,  561. 
Schillings,  Max  von  617,  887,  1012. 

1035. 

Schimon,  Adolf  883. 
SchindelmeiBer,  Ludwig  883. 
Schindler,  Kurt   1199. 
Schira,  Francesco  908. 
Schirasi,  Mahmud  24 f. 
Schirinski,  Wassili  1142. 
Schirmer,  D.  673. 
Schjelderup,    Gerhard    916,    1112, 

1115,  1116,  1240. 
Schlaginstrumente  628  ff. 
Schlager,  Hans  883. 
Schlecht,  Raymond  124. 
Schlesinger,  Jos,  1168. 
Schletterer,  H.  Michel  883. 
Schlettner  709, 
Sthlick,  Arnold  385,  1231. 
Schlogel,  A.  858. 
Schldger,  Matthaus  800,  808. 
Schmalstich,  Clemens  1014. 
Schmeidel,  Hermann  v,  1213. 
Schmeltzl,  Wolffgang  377. 
Schmelzer,  Joh.  Heinr.  (Schmeltzer) 

504,  516,  521  f.,  548, 568,  571, 672, 

1202. 

Schmicorer,  J.  A.  553,  568,  571. 
Schmid,  Anton  1238. 
Schmid,  Bernhard  385,  408  f.,  451, 
Schmid,  Heinrich  Kaspar  1026, 
Schmidlen,  S.  1039. 
Schmidt,  Anton  1240. 
Schmidt,  Ernst  1240, 
Schmidt,  Franz  1015,  1033. 
Schmidt,  G.Fr.  1239. 
Schmidt,  Johann  Christian  530. 
Schmidt,  Karl  1240. 
Schmidt,  Leopold  1240,  1244. 
Schmidt,  W,  1240. 
Schmitt,  Alois  1216. 
Schmitt,  Florent  1064,  1070. 
Schmitz,  A.  1240. 
Schmitz,  Eugen  1236,  1239. 
Schnabel,  Artur  1021,  1218,  1219. 
Schnabel,  J.  J.  478. 
Schnabelfldte  574,  609f. 


Index:  SchneegaB  —  Simpson 


1287 


Schneegafi,  Cyriacus  1209. 
Schneider,  J.  Ch.  Friedr.  479,  873, 

933,  958. 

Schneider,  J.  Gottlob  479. 
Schneider,  Max  1239. 
Schneider-Trnavsky  1 1 64. 
Schnoor,  Hans   1239. 
Schmiffis,  Laurentius  von  695. 
Schnyder    von    Wartensee,    Fr.   X. 

1034. 

Schoeberlein,  L.  476. 
Schobert,  Johann  800,  808,  1217. 
Schoeck,  Othmar  1042. 
Schoffer,  Peter  d.  J.  326. 
Scholz,  Bernhard  E.  884. 
Scholz,  Hans  1239. 
Scholze,  Johann  Sigismund  696 f. 
Schoemaker,  M.   1076. 
Schonberg,  Arnold  581  f.,  595,  615. 

624,   998,    1004,    1009,    1021ff., 

1027f.,  1029,   1030,  1036,  1122, 

1230,  1232,  1240. 
Schop,  Johann  465,  692. 
Schott,  Gerhard  274,  275. 
Schreck,  Gustav  479. 
Schreiber,  Fritz  1009. 
Schreker,  Franz  595,  627,  632,  1029, 

1030,  1033f.,  1122,  1231. 
Schrems,  Joseph  858. 
Schrenk,  W.  1244. 
Schreyer,  Johann  1230,  1232. 
SchrSder,  Karl  885,  1207, 
Schroder-Devrient,  Wilhelmine  908, 

1223. 

Schrdderquartett  1207. 
SchrSter,  Korona  940,  1222. 
Schrfltter  (SchrSter),  Leonhard  453, 

456, 
Schubart,   Chr.    Fr.    Daniel   577 f., 

1211. 
Schubart,  Franz  603,  773,  781,  784, 

787,  794,  829,  1171. 

Lieder  und  Balladen  701,  940ff., 

944,  958f. 

Me8senl780,  849,  852  ft, 

Opcrn  742,  868  f. 

Oratorien  933. 

Tanze  984f. 
Schubert,  Ferd.  855. 
Schubert,  Karl  1207. 
Schubiger,  Anselm  124, 
Schuldrama  379,  668 f,,  749. 
Schuihoff,  Erwin  1025,  1219. 
Schulhoff,  Julius  972,  1217. 
Schulliedfder  Humanisten  379, 
Schultheifl,  W.  1043, 
Schuitz,  Hclmuth  1239. 


Schultz-Dornburg,  R.  1215f. 

Schulz,  G.  1240. 

Schulz,  Johann  Abraham  Peter  700, 

955  f.,   1109. 
Schumann  447. 
Schumann,  Georg  479,  1028. 
Schumann,   Robert  479,   856,   873, 

935,  942,  944,  945,  946  f.,  960, 

963,  964,  967 f.,  1211,  1216,  1231, 

1240,  1243. 

Schumann-Heink,  Ernestine  1223. 
Schunde,  W.  616. 
Schiinemann,  Georg  1239. 
Schuppanzigh,  Ignaz  1204,   1207. 
Schuppanzigh-Quartett   1204,    1207. 
Schurer,  Joh.  Georg  531,  709,  712. 
Schurmann,  G.  Ch.  679. 
Schuster,  Bernhard  1033,  1244. 
Schuster,  J.  709, 7 12,  740,  743  L,  929. 
Schiitt,  Eduard  949,  1014. 
Schtitz,  Heinrich  451,  453  ff.,  456, 

460ff.,  463, 472,  505 f.,  669 f.,  1108, 

1230. 

Schwab,  Anton  1166. 
Schwalm,  Robert  884. 
Schwartz,  Rudolf  1239. 
Schwartzendorf  siehe  Martini,  I,  P.E. 
Schwegel  610. 
Schweitzelsperg  679. 
Schweitzer,  Albert  1239,  1240. 
Schweitzer,  Anton  740ff.,  752. 
Schweitzerpfeife  611. 
Schwemmer  472. 
Schwerke,  I.  1245. 
Schwers,  Paul  1244. 
Scontrino,  Antonio  914. 
Scordatura  siehe  Skordatur. 
Scott,  Cyril  1052. 
Scotto,  Ottaviano  326. 
Sebastiani,  Joh.  463,  506, 
gebor,  Karl  925. 
Secanillas  1098. 
Sechter,  Simon    855,  861,  965, 

1232. 

Sedaine  897. 
Seeger,  Johann  8CO. 
Seguedilla  983. 
Seidl,  A.  1238,  1244. 
Seiffert,  Max  1239. 
Seikilos  66  f. 
Selbstklinger  630  ff. 
Selby,  William  1188. 
Selden-Goth,  Gisella  1015. 
Selesses  siehe  Senleches. 
Seligmann  1207. 
Selle,  Thomas  462,  506,  691. 
Selmer,  Johan  1114,  1115. 


Selneccer,  Nikolaus  450,  452. 
Sembrich,  Marcella  1223. 
Semet,  Thdophile  A.  E.  902. 
Semibrevis  252,  265. 
Semiminima  265. 
Senesino  siehe  Bernardi,  Franc. 
Senfl,  Ludwig  319,  354,  377,  378, 

379,  450,  668,  1038. 
Senger,  H.  v.  1078. 
Senleches,  Jac.  de  274. 
Sepolcro  503,  672. 
Sequenz  86 ff.,   Ill,  114,   158. 
Serafin,  Tullio  1214. 
Serato,  A.  1206. 
Serenade  785,  796. 
Sergios,  Patriarch  v.  Konstantinopel 

130f. 

Serkin,  Rudolf  1219. 
Sermisy,  Claudin  de  330,  375. 
Serpent  621. 

Serrao,  Emilio  (Serrano)  915,  1099. 
Servieres,  George  1244. 
Sessions,  Roger  Huntington  1198. 
Sevcik,  Otokar  1204,  1205. 
Se\erac,  D<$odat  de  1060. 
Severus  von  Antiochia  137. 
Sextus  Empiricus  37. 
Seydelmann,  Fr.  531,709,  712,  740 
Seyfried,  Ign.  R.  v.  855,  1243. 
Seyfried,  Josef  1028. 
Sgambati,  Giovanni  1093. 
Sharp,  Cecil  1049. 
Shaw,  Martin  1052. 
Shedlock,  J.S.  1240. 
Shepherd,  Arthur  1198. 
Sibelius,  Jean  1125f. 
Siciliano  568  f. 
Siefert,  Paul  543,  561. 
Siegl,  Otto  1015. 
van  Sigtenhorst-Meyer.  B.  1086. 
Siklos,  Albert  1173. 
Sikorski,  J6sef  1245. 
Sikorski,  Kazimierz  1151. 
Silcher,  Ph.  Friedrich  475,  958. 
Siloti,  Alexander  1218. 
da  Silva  Leite,  Antonio  904. 
da  Silva,  Oscar  1105. 
Silver,  Charles  901,  904. 
Simeon  von  Gesir  137. 
Simkus,  Stasys  1155. 
Simm,  Johann  1131. 
Simon,  James  1014. 
Simonffy  1172. 
Simonides  von  Keos  57 
Simonsen,  Rudolph  1112, 
Simpson,  Christoffer  1206. 
Simpson,  Thomas  564. 


1288 


Index:  Binding  —  Steinhard 


Sinding,  Christian  972,  1113,  1114, 

1115. 

Sinfonia  424,  568,  796,  799  ff. 
Singenberg  1038. 
Singende  Sage  584,  631. 
Singer,  K.  1240. 
Singspiel,  deutsches  749ff.  u.  a.  0., 

Wiener  754ff. 
Sinigaglia,  Leone  1097. 
Sirca,  Friedrich  v.  1 1 66. 
Sirola,  B.  1168. 
Sivori,  E.  C.  1204. 
Sjogren,  Emil  1119. 
Skala 

Entstehung  lOff. 

arabisch-persischel  7f. 

byzantinische  133f. 

chinesische  12f. 

griechische  40ff. 

indische  17. 

japanische  15f. 

javanische  16f. 

siamesische  16. 

temperierte  544  f. 
Skerjanc,  Lucian  M.  1167. 
Skilton,  Charles  Sanford  1195. 
Sklavos,  Georg  1182. 
Skordatur551,  1202f. 
Skrjabin,  Alexander  1005,  1139f. 
Skroup,  Franz  925. 
Skroup,  Johann  Nepomuk  925. 
Skuhersky,  Z.  Franz  925,  1217. 
Slatkonja,  Georg  v.  1165. 
Slezak,  Leo  1224. 
Smareglia,  Antonio  914,  109!f. 
Smend,  J.  1240. 

Smetana,  Friedrich  973, 1 156f.,  1 161. 
Smijers,  Albert  1237,  1239. 
Smith,  David  Stanley  1197. 
Smith,  John  Christopher  928. 
Smith,  Robert  1231. 
Smyth,  Ethel  M.  919,  1056. 
Sodermanjoh.  Aug.  918,  1118,1119. 
Soghdische  Punktnotation  127. 
Sogitha  137. 
Sohier,  Mathias  330. 
Sohier,  Valentin  330. 
Sokolow,  Nikolai  A.  924,  1200. 
Solage  274,  275. 
Soldat-Roger,  Marie  1206. 
Solmisation  120,  122,  1224f. 
Solokonzert  555  u.  a.  0. 
Solomon,  Edward  105^ 
Solooratorium  497. 
Solosonate  548,  550f. 
Solowjew,  Nikola  Th.  923,  924. 
Soltys,  Adam  1151,  1239. 


Soltys,  Mieczyslaw  1147. 
Somervell,  Arthur  1048. 
Somis,  G.  B.  1203. 
Sommer-Kanon  264,  381. 
Sommer-Zincke,  Hans  875. 
Sonata  da  camera  566  f. 
Sonata  da  chiesa  549. 
Sonata  im  1 6.  Jahrhundert  387ff. 
Sonatenform  547,  552,  554,  562 f., 

567,  783,  795 ff.,  815. 
Sondheimer,  R.  1240. 
Sonneck,OskarG.  1198,  1238,  1239, 

1245. 

Sontag,  Henriette  1222,  1223. 
Sophisten  36,  49. 
Sophokles  58,  59,  414. 
Sophronius  von  Jerusalem  130. 
Sorge,  Georg  A.  472,  1229,  1231. 
Soriano,  Francesco  siehe  Suriano. 
Souris,  A.  1076. 
Sousa,  John  Philip  1199. 
Sousaphon  622. 
de  Souza,  David  1105. 
Sowerby,  Leo  1198. 
Spagna,  Arcangelo  487,  494,  499. 
Spalding,  Albert  1198. 
Spangenberg,  Job.  447,  448,  450. 
Spanischer  Tanz  983. 
Sparta  52,  55,  56. 
Spataro,  Giovanni  1225f. 
Spath,  A.  1078. 
Spathys,  Theodor  1 1 82. 
Specht,  R.  1240,  1244. 
Spechtshart  von  Reutlingen,  Hugo 

122. 

Spee,  Friedrich  694. 
Speidel,  Ludwig  1244. 
Spencer,  Herbert  3,  24,  1219. 
Speratus,  Paulus  446. 
Sperontes  696  f. 
Spharophon  1005. 
Spies,  H.  1240. 

Spilka,  Frant.  1161,  1162,  1214. 
Spinellos,  Ludwig  1181. 
Spinett  586 f. 
Spinnacino,  Fr.  387. 
Spitta,  Fr.  1240. 
Spitta,  H.  1239. 
Spitta,  Philipp  478,    1237,    1238, 

1239. 
Spohr,  Ludwig  329ff.,  869, 886, 933, 

1204,  1211,  1212. 
Spontini,  Gasparo  L.  P.  889f,?  905, 

906,  1200,  1212. 
Sprenk-Late,  Alexander  1130. 
Springdantz  396,  975. 
Springer,  Hermann  1239. 1240. 1244. 


Springer,  Max  858,  1015. 
Squarcialupi,  Antonio  281,   1201. 
Squire,  William  Barclay  1237,  1245. 
Sseroff,  Alexander  N.  922f,,  1 137f., 

1245. 

Sseroff,  Valentine  923. 
Stade,  S.  Th.  1229. 
Staden,  Johann  462. 
Staden,  Sigmund  Theophil  462,  670, 

692,  694. 

Stadler,  Abbe  Max  855,  933. 
Stadlmayr,  Johann  512,  517. 
Stadtfeldt,  Alexander  883. 
Stainer,  Jakob  601,  603. 
Stalder,  I,  D.  1139. 
Stamigna  499. 
Stamitz,  Anton  1203. 
Stamitz,  Johann  774,  800,  802,  803, 

805ff.,  1203,  1211. 
Stamitz,  Karl  1206. 
Stampiglia,  S.  503,  681. 
Standfufi,  C.  751. 
Stanford,   Charles   Villiers    1045ff., 

1048,  1055,  1240, 
Stanley,  Albert  1194,  1240. 
Stanley,  Ch.  J.  929. 
Stantipes  260,  395,  076. 
Starczewski,  Feliks  1147. 
Stark,  Ludwig  1218. 
Starka,  J.  1155. 
Starzer,  Josef  812,  814. 
Statkowski,  Roman  1147. 
Staudt  670. 
Staufer,  G.  602. 
Stauffer,  Th.  1040. 
Stavenhagen,  Bcrnhard  1218. 
Stecker,  Karel  1161. 
Stedron  1163. 
Stefan,  Paul  1240,  1244. 
Stefanov,  P.  1 1 70. 
Stefanov,  S.  1170. 
Steffan,  Johann  Anton  701, 
Stefiani,  Agostino  439,  445,  553,  568 , 

672f. 

Steglich,  Rudolf  1239. 
Stegmann,  Karl  David  465,  752, 
Stegreifkomodie,  Wiener  749  f. 
Stehle,  E.  856,  1040. 
Steibelt,  Daniel  825. 
Steigleder,  Adam  542. 
Steigleder,  Johann  Ulrich  543. 
Stein,  Fritz  1214,  1239. 
Stein,  Richard  H.  1025,  1240. 
Steinbach,  Ernst  1214. 
Steinberg,  M.  1141. 
Steinberg,  Wilh.  Hans  1214. 
Steinhard,  E.  1240,  1244. 


Index:  Steinhausen  —  Tadolini 


1289 


Steinhausen,  F.  A.  1218. 

Steinitzer,  M.  1240. 

Steinmar  1038. 

Stenborg,  K.  917. 

Stenhammar,    Wilhelm    918,    1120, 

1121,  1122. 

StSpan,  Vaclav  1161,  1217. 
Stepanoff-Leschetizky,  Varette  1219. 
Stephan,  Rudi  1021. 
Stephani,  Hermann  1239,  1240. 
Sterkel,  Franz  825. 
Sternhold  1187. 
Stesichoros  von  Himera  56. 
Steuerlin  455. 
Steuermann,  Eduard  1219. 
Stiehl,  Heinrich  F.  D.  883. 
Stiehl,  Karl  1240. 
Stil,  arios-rezitativischer  508ff. 
Stil,  galanter  770ff.,  788. 
Stilarten  der  Griechen  43. 
Stile  concertato  507  ff. 

concitato  421. 

espressivo  493. 

nuovo  413ff.,  430ff. 

obligato  507,  512. 

oratorio  482. 

rappresentativo  417,  419, 434,  493. 

recitativo  417,  419,  434,  493. 
Stilkritik  1236. 
Stilperioden  68  ff. 
Stimmer,  Karl  1015. 
Stiva  siehe  Sackpfeife. 
Stivori,  Fr.  387. 
Stobaus,  Job.  453. 
Stock,  Frederick,  A.  1200. 
Stockhausen,  Julius  1050,  1223. 
Stdckl,  Anton  1166. 
StShr,  Richard  949-,  1015. 
Stoiker  49, 
Stojanov  1170. 
Stojanovic,  S.  1169. 
Stojowski,  Zygmunt  1147. 
Stokowski,  Leopold  1200,  1214. 
Stoltzer,  Thomas  326,  377,  378,  385, 

450,  1171. 

StSizel,  G,H.  470,  580,  717. 
Stoker,  J.  1168. 
Stopfen  (des  Horns  usw.)  622. 
Storck,  Karl  1236,  1244. 
Stoessel,  Albert  1198. 
Stdwe,  Gustav  1218. 
Strada,  Anna  Maria  1222. 
Stradal,  August  1218. 
Stradella,  Alessandro  428  ff.,  443,500. 
Stradivari,  Antonio  600 f. 
Straesser,  Ewald  1014, 
Straeten,  Ed.  v.d.  1239. 


Strangways,  A.  H.  Fox  1240,  1245. 

Stranitzky  750. 

Stransky,  Josef  1214. 

Straram  1214. 

Strata,  Giov.  B.  488. 

Straube,  Karl  479. 

Straus,  Christoph  512ff. 

StrauB,  Eduard  993. 

StrauB,  Franz  1009. 

StrauB,  Johann  993. 

StrauB,  Johann  d.A.  985,  986 ff. 

StrauB,  Johann  d.  J.  988ff.,  992f., 

1035. 

StrauB,  Josef  993. 
StrauB,  Oskar  888,  993. 
StrauB,  Richard  614,  615,  616,  617, 

623,624,625,631,632,737,878, 

887,  997f.,  1009ff.,  1026f.,  1029, 

1030ff.,  1120,  1121,  1213. 
Stravinsky,  Igor  583 f.,  586,  612,  624, 

1041,  1069,  1074,  1122,  1141  ff. 
Streicher,  Theodor  1026. 
Streichinstrumente  596ff. 
Streichquartette  1204ff. 
Strepponi,  Giuseppina  910. 
Striegler,  Kurt  1015. 
Striggio,  Alessandro  375,  414,  415, 

419. 

Strija,  Albert  v.  1168. 
Strmic,  Niko  1168. 
Strohfiedel  siehe  Xylophon. 
Strong,  George  Templeton  1194. 
Strozzi,  Piero  416. 
Strube,  Gustav  1191,  1197. 
Strungk,  Nikolaus  Adam  544,  551, 

673,  674,  679. 
Struntz,  K.  855. 
van  der  Stuc^en,  Frank  1 1 94. 
Studien  zur  Musikwissenschaft  1 238. 
Stumpf,  Karl  4,  11,  1219,  1237. 
Stunz,  J.  J.  1039. 
Sturgeon  296. 
Sturm,  W.  1040. 
StiiB,  Fr.  1042. 
Stuttgart  725  ff.  u.a.  0. 
Subira-Puig,  Jose"  1240. 
Succo,  Reinhold  477. 
Suda,  Peter  1130. 
Le  Sueur,  Jean  Francois  748,  855, 

936  f. 

Suidas  38. 
Suite  563  ff.,  566  ff. 

Ballett*  566. 

deutsche  564  f. 

engHsche  563  f. 

franzSsische  564,  566  ff. 

italienische  566. 


Suitenvorspiele  568. 

Suk,  Josef  1160f.,  1162,  1205. 

Suk,  Vasa  925. 

Sullivan,  Arthur  Seymour  898,  919, 

1055,  1056. 
Sulzberger,  J.  1039. 
Sulzer,  Fr.  J.  1182. 
Sulzer,  Salomon  153. 
Sumerer  51. 
Suppe",  Franz  von  991  f. 
Suriano,  Francesco  347,  490,  510. 
Surzynski,  J6zef  1147,  1237. 
Susato,  Tylman  326,  375,  978. 
Susay,  Jean  274. 
SiiBmayer,  Franz  X.  759,  766,  774, 

843,  873. 

Suter,  Hermann  1041f. 
Svarovsky,  Hans  1025. 
Svedbom  1119. 
Svends  Tidskrift  for  Musikforskning 

1238. 
Svendsen,   Johan  972,    1112,    1113, 

1114. 

Svendsen,  Job.  S.  1205. 
Sweelinck,  Jan  Pieters  375,  471  f., 

541  ff.,  546,  558,  561,  564,  1081, 

1230. 

Swegel  siehe  Flote. 
de  Swert,  Jules  1207. 
Swierzynski,  Michal  1147. 
Sylvester  I.  81. 
Symphonia  siehe  Radleier. 
Symphonic   als   Opernvorspiel    552 

u.  a.  0. 
Syrer  137. 
Syrinx  48. 

Szabados,  Bela  1173. 
Szab6,  Endre  1180. 
Szab6,  Franz  1180. 
Szant6,  Theodor  1173. 
Szekelyi,  Zoltan  1180. 
Szetenyi,  Stephan  1180. 
Sze-11,  Georg  1012,  1214. 
Szeluta,  Apolinary  1148. 
Szendrei,  Aladar  1033,  1214. 
Szendy,  Arpad  1173. 
Szenkar,  Eugen  1214. 
Szentirmay  1 1 72. 
Szigeti,  Joseph  1206. 
Szopski,  Felicjan'1148,  1245. 
Szulc,  Bronislaw  1150. 
Szymanowski,  Karol  1148,  1150. 

Tabourot,  Jean  siehe  Arbeau,Toinot. 
Tabulatur  383,  385f.,  398ff. 
Tadik,  R.  1168. 
Tadolini,  Giov.  909. 


1290 


Index:  Taegio  —  Torrefranca 


Taegio,  Franc.  Rognone  1220. 

Tafeiklavier  590. 

Tailhandier,  Pierre  274. 

Tailleferre,  Germaine  1073. 

Takt  22,  46f.,  307. 

Taktierschemen  1210. 

Taktzeichen  265. 

Tala  22. 

Talat-Kelpsa,  Juozas  1155. 

Talich,  Vaclav  1214. 

Tallis,  Thomas  381,  390,  473,  536, 
538  f. 

Tamburin  630. 

Tamparica,  Gabriel  1 1 67. 

Tam-Tam  583,  633. 

Tanbur  595. 

Tanejew,  Alexander  S.  924,    1139, 
1142. 

Tanejew,  Sergei  J.  147,  924,  1139. 

Tango,  Egisto  1214. 

Tansman,  Aleksarider  1151. 

Tanzform  567,  797  u.  a.  0. 

Tanzmusik383, 394 ff.,  563  ff.,  831  f., 
973  ff. 

Tapissier  274. 

Tappert,  Wilhelm  1244. 

Taraba,  Bohuslaw  1163. 

Tarchan  el  Farabi   19. 

Tarogato  616. 

Tartini,  Giuseppe  55 1 ,  571 , 800, 808, 

1203,  1229. 

Tasso,  Torquato  363,  415. 
Tataren  21  f. 
Taubert,  K.  G.  Wilhelm  873,  949, 

1217. 

Tausig,  Karl  1218. 
Taverner,  John  536,  537 f, 
Taylor  (Joseph),  Deems  1197. 
Taylor,  Samuel  Coleridge  1048. 
Tebaldini,  Giovanni  1097,  1240. 
Tedesco,  Ign.  Amadeus  1217. 
Telemann,  Georg  Philipp  468,  469, 
470,473,551,  553 f,  557, 568,  571, 
663,  679,  686,  698,  714ff.,  717, 
929f.,  U29,  1231. 
Teiemann,  K  Michael  1152. 
Telestes  von  Selinunt  60. 
Tellefsen,  Thomas  1115. 
Temperatur  544 f.,  1231  u.  a.  0. 
Tenor  108,  177. 
Tenorhom  621  f. 
Terpander  5,  44,  55. 
Terradellas,  Domenico  728. 
Terrasse,  Claude  1063. 
Terziani,  Eugenio  908. 
Teschler  1038. 
Testo  im  Oratorium  482,  487f f . ,  493  f , 


Testudo  47,  590. 
Tetrachord  der  Griechen  40. 
Tetzel,  Eugen   1232,  1239. 
Teyber,  Franz  766. 
Thalberg,  Sigismund  972,  1217. 
Thaletas  von  Gortyn  51,  55. 
Thayer,  Alex.  W.  1239. 
Theile,  Job.  463,  506,  674. 
Theinred  1228. 
Theoger  von  Metz  121. 
Theophrast  36. 
Theorbe  577,  593. 
Theorie 

der  Byzantiner  38,  133f. 
des  Gregorianischen  Chorals  114ff. 
der  griechischen  Musik  35  ff.,  1234. 
der  mittelalterlichen  Musik  163f,. 
176f.,  259f,  261  f.,  291,  1234 f. 
der  romischen  Musik  38. 
der  russischen  Musik  142. 
seit  dem  15.  Jahrhundert  1224ff. 
Theremin  1005. 
Thesis  42,  67. 
Thespis  58. 
Thibaud,  Jaques  1204. 
Thibaut,  Anton  Fr.  J.  475,  857. 
Thibaut  de  Courville  642. 
Thibaut,  Graf  v.  d.  Champagne  1 94, 

197f. 

Thibaut,  Jean  B.  1240. 
Thiebaut,  H.  1075. 
Thiele,  J.  Fr.  Ludwig  479. 
Thierfelder,  Albert  884,  1239. 
Thoma,  Rudolf  883. 
Thomas  a  Sancta  Maria  401. 
Thomas,  Arthur  Goring  855,  919, 

1056. 
Thomas,   Charles   Louis   Ambroise 

895. 

Thomas,  Kurt  1040. 
Thomas,  Theodor  1190,  1194. 
Thomas  von  Aquin  88. 
Thomas  von  Celano  88. 
Thomaz,  Pedro  F.  1106. 
Thome\  Fr.  L.  J.  904. 
Thomson,  A.  1130. 
Thomson,  C.  1203. 
Thouret,  G.  1240. 
Thrane,  Waldemar  916,  1114. 
Thuille,  Ludwig  886,  949,    1013, 

1230. 

Tibia  siehe  Aulos. 
Tiento  387. 
Tierhorn  620. 
Tiersch,  Otto  1230. 
Tiersot,  J.  B.  E,  Julien  1237,  1240, 
1244. 


Tiessen,  Heinz  1004f.,  1021,  1028. 
Tijdschrift    der    Vereeniging    vooi 
Noordnederlands    Muziekgeschie- 
denis  1238. 
Timokles  130. 
Timotheos  von  Milet  60. 
Tinctoris,  Johann  99,  123,  295,  309, 

1224  f.,  1237. 

Tinel,  Edgar  855,  962,  1075. 
Tinodi,  Sebastian  1171. 
Tintorer  1098. 
Tipton,  Campbell  1197. 
Titow  1133. 
Tkalcic,  J.  1168. 
Tobler,  A.  1039. 

Toccata  385,  387,  394,  41 9f.,  560 ff. 
Toch,  Ernst  1020,  1037. 
Todi,  Luiza  Rosa  1222. 
Todorov,  M.  1170. 
Toeschi,  Carlo  Giuseppe  800. 
Tofft,  Alfred  1112. 
Tofte,  Waldemar  1205. 
Toggenburg  1038. 
Tomadini,  Jac.  936. 
Tomaschek,  Johann  Wenzel  830,855, 

1217. 

TomAsek,  J.  1162. 
Tomcic,  H.  1168. 
Tomkins,  Thomas  381  f.,   536,  539 
Tommasini,  Vincenzo  1096. 
Tomtom  629. 
Tongeschlechter 
der  Byzantiner  133f. 
der  Griechen  44  ff. 
Tonkiinstlersozietat  711. 
Tonmaterial  der  Naturvolker  5f. 
Tonschrift  siehe  Notation. 
Tonsysteme 
der  Byzantiner  133f. 
Entstehung  lOff. 

des  Gregorianischen  Chorals  1 14ff. 
der  Griechen  40  ff. 
der  Naturvolker  lOf. 
der    orientalischen     Kulturvo'lker 

12ff. 

der  Russen  142. 
Topalovic,  M.  1169. 
Topfer,  Joh.  Gottlob  479. 
Torchi,  Luigi  1237. 
Torcuius  93,  251. 

Torelli,  Giuseppe  55 1 , 555, 571 , 1203. 
Torelli,  Jacomo  645. 
Torjussen,  Trygve  1117. 
Torksey,  John  1228. 
Tornudd  Axel  1 127. 
Torroba,  Federico  Moreno  1103. 
Torrefranca,  Fausto  4,  1240,  1245. 


Index:  TorrJ  —  Vielle 


1291 


Torn,  Pietro  500,  679. 

Toscanini,  Arturo  1093,  1095,  1214. 

Tosi,  Pierre  Franc.  1235. 

Tourdion  975,  976. 

Touront,  Jo.  304. 

Tovey,  Donald  Francis  920,  1048. 

Trabacci,  Giovanni  Maria  567. 

Traetta,  Tomaso  725,  726ff.,   733, 

736,  749,  1133. 
Tragodie  der  Griechen  57  ff. 

der  Romer  61  f. 

Transponierende  Instrumente  61 3  f. 
Trapassi  siehe  Metastasio. 
Trapp,  Max  1014. 
Traquenard  980. 
Trauneck,  Ludwig  1025. 
Trebor  274,  275. 
Trendelenburg,  W.  1240. 
Trento,  Vittorio  904. 
Trezza  980. 
Triangel  574,  631. 
Tribune  de  St.  Gervais  1238. 
Trienter  Codices  296. 
Trienter  Konzil  338,  339. 
Trigon  94. 
Trigonon  47. 
Triller,  Valentin  450. 
Trio  569. 
Trionfi  415,  642. 
Triosonaten  548,  550  f. 
Tripla  565. 
Tristropha  93. 
Tritonius,  Petrus  379,  668f. 
Tromboncino,  Bartol.  335,  359,  431. 
Trommel  610,  629f. 
Trompete  574,  576 f.,  580, 610,  623f. 
Trompete  der  Griechen  48,  260. 
Trompeteninstrumente  620,  623  ff. 
Trompette  marine  605. 
Tronsarelli  492. 
Troparien  130. 
Tropus  88,  158. 
Trotto  976. 

Troubadours  183,  188ff. 
Trouveres  173,  183.  191  ff. 
Trowell,  Robert  1228. 
Trubar,  Primus  1165. 
Truhn,  Fr.  Hieronymus  883. 
Trumba  siehe  Trompete. 
Trumscheit  573,  575,  576,  579,  591, 

605  f. 

Trunk,  Richard  1029. 
Tsai-Yu  13. 
Tschaikowsky,  Peter  J.   147,  923f, 

972,  1138f. 

Tscherepnin,  Nikolai  N.  1141. 
Tua,  Theresiha  1204. 


Tuba  108. 

Tuben  580,  622. 

Tucher,  Gottlieb  v.  475. 

Tuckey,  William  1190. 

Tudor  Church  Music  473,  536ff. 

Tudrovic,  Anton  1167. 

Tudway,  Thomas  537. 

Turck,  D.G.  473,  479,  929,  1229. 

Tuma,  Franz  800,  846. 

Tumangelov,  D.  1 1 70. 

Tunder,  Franz  462. 

Tunstede,  Simon  1228. 

Tuotilo  88,  667,  1038. 

Turba  313,  454  u.  a.  0. 

Turina,  Joaquin  1101,  1103. 

Turini,  Francesco  5C9. 

Turniermusiken  642. 

Turnpu,  Konst.  1130. 

Turtschaninow,  Peter  147. 

van  Tussenbroek,  Hendrika  1085. 

Twinger  von  Konigshofen  276. 

Tye,  Christopher  381,  473,  538. 

Typp,  W.  296. 

Tyrtaios  55. 

Uberblasen  608. 
Oberlee  935. 
Uccelini,  Marco  548. 
Udalschalk  von  Augsburg  89. 
Udbyes,  M.A.  916. 
UgolJno  von  Orvieto  123,  1224. 
Ukulele  596. 
Ulbrich,  B.  755,  1240. 
Ulenberg  454. 

Ulfrstad,.  Moaritz  1116,  1118. 
Ullmann,  Viktor  1025. 
Umlauff,  Ignaz  701,  754,  755. 
Umlauft,  Paul  885. 
Unger,  G.  H.  1240. 
Unger,  Hermann  1018. 
Unger,  Max  .1014,  1240. 
Urlus,  Jacques  1082. 
Urspruch,  Anton  875. 
Ursprung  der  Musik  4ff. 
Ursprung,  Otto  1239. 
Usandizaga,  I.  M.  1100. 
Uthmann,  G.A.  1028. 
Uttendal,  Alexander  328. 
Uttini,  Fr.A.B.  917. 

Vach,  Ferdinand  1214. 

Vade,  Jean  Joseph  745. 

Vaet,  Jakob  328. 

Vaillant,  Jean  274. 

Vaisanen,  A.  O.  1123. 

Valderavono,  Anriquez  de400ff.,431. 

Valen,  Fartein  1117. 


Valentini,  Giovanni  512,  515,  548, 

1202. 

Valerius,  Adriamis  1082. 
Valverde,  Joaquim   1099. 
Valverde  Quirino  1099. 
Vancas,  A.  v.  1168. 
Vanhall  siehe  Wanhal. 
Vanneo,  Stefano  1226. 
Vapordziev,  A.  1170. 
Varese,  Edgar  1198. 
Variation  563  ff.,  569f.  u.a.O. 
Variation  in  der  Wiener  klassischen 

Schule  783f.,  823f. 
Variationensuite  564  f. 
Variationsprinzip  der  orientalischen 

Kulturvolker  26f.,  28. 
Variationsricercar  541  ff. 
Varro,  M.  Terentius  38. 
Vatielli,  Francesco  1240. 
Vaudeville  745. 
Vecchi,  Orazio  372,  373,  415. 
Veczey,  Franz  v.  1206. 
Vedro,  Adolf  1131. 
Veglien  415. 

Vehe,  Michael  446,  847. 
Venatorini,  Giuseppe  siehe  Mysli- 

weczek. 

Venedig349ff.,415,423f.  u.  a.  0. 
Venezianische  Schule  498. 
Ventil  609,  622f. 
de  Vento,  Ivo  380. 
Ventura,  Domenico  981. 
Veracini,  Antonio  551,  571. 
Veracini,  Francesco  Maria  551,  555, 

571,  798. 
Verbunko  1172. 

Verdelot,  Philippe  361,  363,  431. 
Verdi,  Giuseppe  856f.,  892,  %9ff., 

998f,  1087ff.,  109H. 
Verhulst,  Johannes  1082. 
Verismus  914f.,  998,  I090f. 
Verovio,  Simone  431,  485,  490. 
Verso  391,  542. 
Verschmelzungstheorie  11 
Versette  542,  547. 
Verzierungsmanieren  9f.,  28  ff. 
Viadana,  Ludovico  (Grossi)  451 , 455 

508f.,  1229, 

Vianna  da  Motta,  Jos6  1219. 
Viardot,  Pauline  1223. 
Vicente,  Gil  539. 
Vicentino,  Nicola  1227,  1231. 
Victoria,  T.  Ludovico  da  347ff. 
Vidal,  Paul  A.  901,  904. 
Vidu  1183,  1184. 
Vielk  siehe  Fredei 
Vielle  siehe  Radleier. 


82    H.  d.M. 


1292 


Index:  Vierling  —  Weber 


Vierling,  Georg  479,  936. 
Vierteljahrsschrift  fiir  Musikwissen- 

schaft  1237. 
Vierteltone 

der  Griechen  44  f. 

der  Inder  17f. 

der   neueren   Musik    1003,    1025, 

1150,  1167  u.a.O. 
de  la  Vieuville,  Freneuse  654. 
Vieuxtemps,  Henri   1203. 
Vigna,  Arturo  1214. 
Vilhar,  Franz  S.  1166. 
Vilhar,  Miroslaw  1166. 
Villanella  361,  370ff.,  376. 
Villanis,  Luigi  Alb.  1239. 
Villar,  Rogelio  1100,  1245. 
de  la  Vina,  Facundo  1100. 
Vincent  645. 

Vincenzo  von  Imola  279. 
Vincenzo  von  Rimini  279. 
Vinci,  Leonardo  528,  665,  709,  721, 

739,  793. 

Viola  260,  581,  597  ff. 
della    Viola,    AlfonsD    355,    363, 

414. 

Viola  bastarda  593. 
Viola  d'amore  578,  598  f. 
Viola  da  bracclo  597  f. 
Viola  da  gamba  335,  597 1 
Viola  pomposa  602. 
Violine578,  581,  597 ff.  u.a.O. 
Violinisten  siehe  Geiger. 
Violoncellisten  1206f. 
Violoncello  581,  599. 
Viotta,  Henri  1034. 
Viotti,  Giovanni  Battista  825,  1203. 
Virchi,  Girolamo  da  604. 
Virdung,  Sebastian  385. 
Virelai  192. 
Virga  92ff.,  93. 
Virginalisten,  englische  390, 558,  563, 

1215. 

Vitale,  Edoardo  1214. 
Vitali,  Giov.  Batt  500,  54Sf.,  571. 
Vitruvius  Pollio,  M.  38,  1224. 
Vittori,  Loreto445,  497,  1221. 
Vittoria  siehe  Victoria. 
Vittorino  da  Feltre  1224. 
Vivaldi,  Antonio   551,   555ff.,   562, 

571,  796f.,  793,  1203. 
Vivarino,  Innocenzio  548, 
Vivell,  C.  1240. 
Vives,  Benedetto  y  1214. 
Vladigerov,  L/ 1170. 
Vladigerov,  Panco  1170. 
Vogel,  Emil  1239. 
Vogel,  J.  Chr,  737  f. 


Vogel,  Wladimir  1020. 
Vogelgesang  3,  4f. 
Voglar,  Michael  1165. 
Vogler,  Abb6  Georg  Joseph  479»  829, 
855,  870,  890,  1217,  1230,  1231, 
1242. 

Vogler,  C.  1042. 
Vogt,  J.  1078. 

Vogtlander,  Gabriel  692 f.,  696. 
Vojacek,  J.  1163. 
Vokalnotenschrift      der      Griechen 

46. 

Volaumier  1211. 
Volbach,  F.  1240. 
Volckmar,  Wilhelm  V.  479. 
Volkmann,  Robert  949,  972. 
Volkslied,  bslgisches  1076. 
bulgarisches  1169. 
danisches  1107f. 
deutsches  206. 
englisches  1048ff. 
estnisches  1l28f.  ' 
finnisches  1 122f. 
griechisches  1180f. 
kroatisches  1167. 
lettisches  1152. 
litauisches  1154. 
portugiesisches  1 1 06. 
,    rumimischss  1182ff. 
russisches  1132,   1137. 
schwedisches  1118. 
schweizer  1078. 
serbisches  1163f. 
ungarisches  1 1 71,  1172,  1175. 
Volkstanz  394f.,  973  ff. 
Vollerthun,  Georg  1033. 
Vollweiler,  Georg  Joh.  1216. 
Volta  979f. 

Voma'cka,  Boleslav  1161. 
Voormolen,  Alex.  1086. 
Vorspiele  der  Suiten  568. 
Vortragsweise 
der  Naturvolker  9. 
der    orientalischen    Kulturvolker 

28ff. 

Vottgr,  Romanus  695. 
Vraz,  S.  1167. 
Vreuls,  Victor  1076. 
Vrieslander,  Otto  1026. 
Vulpius,  Melchior  454,  462. 
Vycpalek,  Ladislav  1161. 

Wachmann,  Ed.  926,  1184. 
Wackernagel,  Phil.  476. 
Waelput,  H.  1075. 
Waelrant  375. 
Wagenaar,  Johan  1084,  1214. 


Wagenseil,    Georg    Christoph    536, 

709,711,730,  800,  802,805,807, 

808,  809. 

Wagner,  J.  F.  993. 
Wagner,"  Peter  1239. 
Wagner,  Richard  582,  615,  617,  623, 

625, 629, 63 1 , 632, 737, 875  ff.,  928, 

934,  963,  965,  970f.,  1213,  1231, 

1240,  1244. 

Lieder  948. 

in  Frankreich  897,  898. 

in  Italien  1089f. 

in  Schweden  918,  1118f.,  1121. 

in  Spanien   1099. 
Wagner,  Siegfried  888. 
Wagner-Schonkirch,  Hans  1029. 
Wagnertuba  623. 
Waldhorn  578,  622f.,  624. 
Waldhorntuba  623. 
Walder,  J.  J.  1039. 
Waldis,  Burkhard  453. 
Wallace,  William  3. 
Wallace,  William  V.  919,  1048. 
Wallaschek,  Richard  4,  1237. 
Wallek-Walewski,  Boleslav  1150. 
Walliser,  Chr.  Th.  452. 
Wallishauser,  E.  870. 
Wallner,  Berta  Antonia  1239. 
Wallnofer,  Adolf  885. 
Walter,  August  1040. 
Walter,  Benno  1009. 
Walter,  Bruno  1009,  1213. 
Walter,  F.  W.  1240. 
Walter,  Johann  378,  447,  448,  449f., 

451,  454,  668. 
Waltershausen,  Hermann  Wolfgang 

von  1013,  1033,  1240. 
Walther,  Joh.  Gottfr,  472, 1231, 1237. 
Walther,  Johann  Jakob  551,  1202. 
Walther  von  der  Vogelweide  202 

204f. 

Walton,  William  1054. 
Waltrammus  87. 
Walzer  831,  981  f.,  985ff. 
Wanhal   (Vanhall),   Johann   Baptist 

814,  846. 

Wanley,  Humphrey  537. 
Wannenmacher,  J.  1039. 
Ward,  John  382. 
Warlamow,  Alex.  J.  1133. 
Warner,  Waldo  1053. 
Warwoglis,  Marios  1182. 
Wasielewski,  Joseph  von  1239. 
Wassilenko,  Sergei  1141. 
Wead,  Ch.  11. 
Webbe,  Samuel  962. 
Weber,  Bernhard  Chr.  545, 


Index:  Weber  —  Zacconi 


1293 


Weber,  Carl  Maria  von  829  ff.,  856, 

869ff.f  944,958,  959,  1211,  1212, 

1231,  1243. 

Weber,  Friedr.  Dionys  1217. 
Weber,  G.  1040. 
Weber,  Gottfried  1230,   1243. 
Weber,  J.  R.  1039. 
Weber,  Ludwig  1020. 
Weber,  Miroslaw  886. 
Weberbeck,  Chr.  1039. 
Webern,  Anton  1025. 
Wecker,  Georg  Kaspar  462,  472. 
Weckerlin,  J.  B.   1239. 
Weckmann,  Mathias  461  f.,  463,  504, 

506,  543. 

Wedel,  Artem  147. 
Weelkes,  Thomas  38 If. 
Wegelius,  Martin   1125. 
Wehrli,  W.   1043. 
Wehrstedt,  E.  1078.      • 
Weigand,  Gustav  1183. 
Weigl,  Josef  709,  755,  873. 
Weigl,  Karl  1009,  1029. 
Weill,  Kurt  1021,  1037. 
Weinberger,  Jaromir  1 1 63. 
Weinberger,  Karl  Rud.  886. 
Weiner,  Leo  1174. 
Weingartner,  Paul  Felix  von  887,  949, 

1213,  1240. 
Weinlig,  Ch.  E.  875. 
Weinmann,  Karl   1239. 
Weiamann,  Julius  1014. 
Weismann,  Wilh.  1028. 
WeiB,  Franz  1204,  1207. 
Weiss,  Karel  886,  925,  1163. 
WeiB,  Leopold  Sylvius  1202. 
WeiBe  447. 
WeiBe,  Chr.  F.  751. 
Wcifiheimer,  Wendelin  884. 
Weissmann,  A.  1239,  1244. 
Weitzmann,  Karl  Fr.  1239. 
Welleaz,  Egon  923,  1025,  1036,  1239. 
van  der  Wense,  Jiirgen  1025. 
Werckmeister,  Andreas  544f.,  1229, 

1231. 

Werner,  Arno  1239. 
Werner,  Gregor  Joseph  813. 
Werner,  Theodbr  Wilhelm  1239. 
Werra,  Ernst  von  1240. 
Werstowski,  Alexei  N.  920,  1133. 
de  Wert,  Giaches  (Jacquca)>2,  370, 

431. 

Wertheim,  Julius/.  1148. 
Wesley,  S.S.  1046. 
Wentphal,  Rudolph  1232,  1239, 
Wetchy;  Gthmar  1015. 
Wetterharfc  866. 


Wetzel,  J.H.   1240. 
Wetzler,  H.  H.   1014. 
Weyse,  C.  E.  F.   1109. 
Whithorne,  Thomas  381. 
Whithornes,  Emerson  1197. 
Whiting,  Arthur  1195. 
Whittaker,  W.  G.   1052. 
Whvte,  Robert  536,  538. 
Widor,  Charles  Marie  901. 
Wiechowicz,  Stanislaw  1151. 
Wieck,  Franz   1218. 
Wieck-Schumann,  Clara  964,   1045, 

1219. 

Wiegners,  E.  1153. 
Wiehmayer,   Theodor    1218,    1232. 
Wielhorski  1133. 
Wien  427,  502 f.,  517,  524ff.,  530, 

531  ff.,  544,  565 f.,  670ff.,  679  ff., 

701  ff.,  710L,  728ff.,  749ff.,  754 ff., 

776ff.,  809ff.,  833ff.,  981  f.,  984ff. 

u.  a.  0. 
Wiener     klassische    Schule    579f., 

701ff.,76Sff.,809ff.f833ff.u.a.O. 
Wiener,  Jean  1219. 
Wiener,  Karl  1009. 
Wieniawski,  Adam  1148. 
Wieniawski,  Henryk  1146,  1204. 
Wieprecht  622. 

Wiesner  v.  Morgenstern,  Karl  1168. 
Wiesner,  R.  1040. 
Wihan,  Hans  1205. 
Wihtols,  Joseph  1141,  1153. 
Wilbye,  John  381  f. 
Wild,  Franz  1224. 
Wilhelm,  G,  L.  962. 
Wilhelm  von  Hirschau  121. 
Wilhelmj,  August  1204. 
Willaert,  Adrian  349 ff.,   362,  363, 

365, 370f.,  375,  383, 388, 431,  541, 

1171. 

Willberg,  Martin  1129. 
Williams,    Ralph   Vaughan    1050L 

1056. 

Willmers,  Heinr.  Rudolf  1217. 
Willner,  Artur  1014. 
Wilphingseder,  Ambrosius  1228. 
Wilsing,  Daniel  Fr.  E.  935. 
Wilson,  Mortimer  1196. 
Winchester,  Makebiite  von  173. 
Winchester,  W.  von  173,  263. 
Winding,  August  II II. 
Windsperger,  Lothar  1021. 
WJndt,  Herbert  1025. 
Wingar,  Alfred  Anderssen  1117. 
Winge,  Per  1115. 
Winkclrnann,  Hermann  1224. 
Winli  1038. 


Winter,  Peter  v.  765  f.,  855,  906,  931. 

Winterfeld,  K.  v.  475,  1239. 

Wipo  87,  169,  667. 

Wirbel  591. 

Wirbeltrommel  629. 

Wirkhaus,  D.O.  1131. 

Wise,  Michael  539. 

Witkowski,    Georges   Martin    1060, 

1214. 

Witt,  Chr.  Fr.  466,  472. 
Witt,  Franz  X;  857f. 
Wittgenstein,  Paul  101 1. 
Wizlaw  von  Riigen  205. 
Wohlgemuth,  Gustav  1029. 
Wolbgitarre  575,  594,  595. 
Wolf,  Albert  1214. 
Wolf,  E.  W.  752. 
Wolf',  Hugo  875*,  944,  950,  954ff., 

962,  1025,  1244. 
Wolf,  Johannes  1236,  1239. 
Wolf,  Max  884. 

Wolf-Ferrari,  Ermano  915,  1095. 
Wolff,  Erich  J.  1026,  1240. 
Wolff,  L.  1240. 
Wolff heim,  W.  1239^ 
Wolfl,  Josef  823,  825,  1217. 
Wolfrum,  Philipp  476,  1028,  1239. 
Wolfurt,  Kurt  v.   1018. 
Wolpe,  Stefan  1015,  1239. 
Woltz,  Johann  385. 
Wolzogen,  H.P.  v.  ,1240. 
Wood,  Charles  1048.  ' 
Wood,  Henry  Jos.  920. 
Wooldrige,  H.  Ellis  ]235,  1237. 
Work,  Henry  Clay  1191. 
Wormser,  Andre1  A.  T.  904. 
Worotnikow,  Paul  147. 
Worzischek,  Johann  Hugo  830. 
Wotquenne,  A.  1240. 
Woyrsch,  Felix  1029. 
Wramtzky,  Paul  755,  766. 
Wuerst,  Richard  F.  883,  949. 
Wuhrer,  Friedrich  1219.  ' 

Wundt,  W,  973. 
Wyzewa,  Theodor  de  1239. 

Xanthopoulos,  Timoth.  1181. 
Xylophon  575.  583,  63 If. 
Xyndas,  Spin  1181. 

Ycaert  1224. 

Yon,  Pietro  Alessandro  1197. 
Ysaye,  Eugen  1205. 
Ysaye,  Th6o  1076. 

Zabalza  1099. 

Zacconi,  Lud.  453,  1220. 


82* 


1294 


Index:  Zach  —  Zwyssig 


Zach,  Johann  800. 
Zacharias,  Nic.  278;  279,  291. 
Zacher,  J.  M.  524,  670. 
Zachow,  Friedrich  Wilhelm  469, 470, 

544,  ,663/707. 
ZSdor,  Eugen  1173, 
Zagwijn,  Henry  1085. 
Zahn,  Johannes  475,  476. 
Zaijcek-Blankenau,  Ferdinand  1033. 
Zambonini  670. 
Zamponi,  Giuseppe  646. 
Zandonai,  Riccardo  1095. 
Zanella,  Amilcare  1097. 
Zanetti  540. 

Zanninus  de  Peraga  279. 
Zarebski,  Juliusz  1147. 
Zarfino,  Giuseppe  357, 415, 416,  541 , 

12261.,  1230,  1231,  1234. 
Zarzuela  915f.,  1099ff. 
Zarzycki,  Alexander  1145. 
Zaytz  (Zajic),  Giovanni  von  926. 
ZeitscKrift     fur     Musikwissenschaft 

1238. 
Zeitschriften 

musikkritische  1241ff. 

musikwissenschaftliche  1238. 
Zelenka,  Johann  Dismas  530, 709, 7 1 2. 


Zelenski,  Wladysiaw  1145. 

Zelinka,  I.  1163. 

Zelle,  Friedrich  1240. 

Zeller,  Karl  993. 

Zelter,  Karl  Fr.  701,  866;  957,  963. 

Zemlinsky,  Alexander  von  888,  1009, 
1029,  1034f.,  1213. 

Zenck,  Herm.  1239. 

Zengers,  Max  884. 

Zeno,  Apostolo  494,  503,  681  f.,  708, 
723. 

Zepler,  Bogumil  886. 

Zerrahn,  Carl  1190. 

Zert,  Oton  1168. 

Zeugheer,  Jakob  1207. 

Zeuta,  Hermann,  siehe  Holmes,  Au 
gusta  M,  A. 

Zganec,  V.  1167. 

Ziani,  M.Ant.  427,  428,  524,  679, 
709. 

Ziani,  Pietro  Andrea  428,  509,  672. 

Zich,  Otokar  1163. 

Zichy,  G<§za  Graf  926. 

Ziehharmonika  628. 

Ziehn,  Bernhard  U97. 

Ziehrer.  C.  M.  993. 

Zieritz,  Crete  1015. 


Zigeuner  28,  1172. 
Zihaquartett  1208. 
Zilcher,  Hermann  1013L 
Zilevicius,  Juozas  1 1 56. 
.  Zillig,  Hermann  1025. 
Zimbalist,  Efrem  1206. 
Zimse,  J.  1153. 

Zingarelli,  Nic.  Antonio  904,  1077. 
Zink  260,  620,  621. 
Zitek,  Otakar  1162,  1164. 
Zither  585 f.,  603. 
Zlataric,  Emanuel  1167. 
Zollner,  Heinrich  885,  949,  958. 
Zrno,  Felix  1162. 
Zucchi,  Carlo  1219. 
Zumpe,  Hermann  875. 
Zumsteeg,  Johann  Rudolf  701,  752, 

944. 

Zunfttanz  974f. 
Zungenpfeifen  607,  611,  612ff. 
Zupan,  Jakob  1166. 
Zurron,  Vicente  1099. 
Zuschneid,  Karl  1218. 
Zuth,  J.  1239. 
Zweers,  Bernard  1082f. 
Zwolftonmusik  1004,  1182,  1232. 
Zwyssig,  A.  1039. 


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