780.9 A25h v.2/ 62-256W
reference
collectio
book
Kansas city
public library
kansas city,
missouri
ADLER / HANDBUCH DER MUSIKGESCHICHTE
HANDBUCH
DER
MUSIKGESCHICHTE
UNTER MITWIRKUNG VON FACHGENOSSEN
H E R A U S G E G E B E N VON
GUIDO ADLER
MIT VIELEN NOTENBEISPIELEN
UND ABBILDUNGEN ZUR GESCHICHTE DER NOTENS CH RIFT,
DER MUSIKINSTRUMENTE, DER OPERNDARSTE LLU NG
UND MIT WIEDERGABEN VON AUTOGRAPHEN
UNVERANDKRTER NACHDRUCK DER ZWEITEN, VO LLSTANDIG
DURCHGESEHENEN UND STARK ERGANZTEN AUFLAGE
ZWEITER TEIL
VERLEGT BE1 HANS SCHNEIDER, TUTZING 1961
ZWEITER TEIL
MIT 15 ABBILDUNGEN UND 83 N Q TE N B K IS PI ELE N
© 1961 BY VERLAG HANS SCHNEIDER, TUTZING
DRUCK: JOSEP DESCHLER, MONCHEN 5
DRITTE STILPERIODE
R«**reno, (Fortsetzung)
DIE FRANZOSISCHE OPER BIS 1750
Als Grundlagen der Operngeschichte treten in Frankreich ahnliche Erscheinungen hervor wie
in Italien. Die geistlichen Schauspiele finden sich derart stark und friih entwickelt vor, daB
die Franzosen ihre Entstehung lange als besonderes Nationalverdienst buchten. Heute weiB
man, daB auch die franzosischen Anfange stilistisch auf die St. Gallener Tropen- und Sequen-
zenkunst zuriickgehen. Die Musik lauft durchwegs durch das ganze Spiel, wie ein Blick in
de Coussemakers Sammlung liturgischer Dramen zeigt. Das dramatisch groBartigste Beispiel
darin ist das Schuldrama ,JDaniel" aus Beauvais (ca. 1 140), das in zwei Teilen Belsazars Ende
und die Priifung in der Lowengrube behandelt. Die Musik verwendet zahlreiche Strophen-
formen, besonders in den Aufziigen (Conductus), z. B.
Conductus referendum vasa ante Danielem
— r- E=»
Re - gis va - sa re - fe - ren - tes, Da - ni - c - li ap - plau - den - tes,
quern Ju - dae - ae tre - munt gen - tes. usw.
Das ganze Stuck durchzieht eine stehende Tonformel far den GruB vor dem Konig.
c^:r:*i^liii:»!igr:i^rBizzz. gzmgm^rzr:
Rex in c - ter - num vi - vcl
Das Nikolausspiel vom Sohn Getrons verwendet nur einige wenige Melodien, die schablonenhaft
an die einzelnen Figuren gebunden sind, die Erweckung des Lazarus wird gar durchlaufend
liber eine einzige stehende Strophe abgesungen. Die groBen Volkskomodien der Eselsfeste,
Karnevalsfeiern wie die M^re-folies in Dijon, Moralitaten und andere Veranstaltungen sind
gleichfalls von Musik getragen, Trouveres und Troubadours bilden die weltlicheKomodie
mit reichen Liedeinlagen, sowie halbdramatische Komodienszenen (Jeux parties) aus, erhalten
sind von Adam de la Halle, dem ,,Schelm von Arras" (ca. 1240—1287) zwei Liederspiele,
doch handelt es sich hier um letzte Glieder einer reich gepflegten Kunstgattung. Zum ,Jeu
Adam** (Arras, ca. 1262) fehlen Noten, vollstandiger ist das Bild des ,Jeu de Robin et Marion"
(Neapel, 1285) bezuglich der Musik iiberliefert. Zu diesem Schaferspiel gehoren 28 Lied-
melodien, die doch wohl nicht alles darstellen diirften, was wirklich gesungen wurde; die
ersten zwei Szenen beanspruchen schon fast alle Lieder fiir sich, im ganzen langen iibrigen
Stuck sind nur mehr ganz wenige Satzchcn eingestreut, darunter cines, das von alien Personen
gesungen wird. Die Melodien gehtfren als Strophenlieder und Dialogteile solcher zueinandcr,
so daB nur 15 verschiedene, teils ganz kurze Weisen oder Refrains zu unterscheiden sind.
Eine Tanzmelodie lauft so eindringlich achtmal abwechselnd zwischen dern Schaferpaar hin
und her.
£42 Die franzosische Oper bis 1750
Diese Lieder sind aber nicht etwa von Adam komponiert, sondern es ist Text und Musik alterer
Volkslieder iibernommen, z. B. der Jodler
Trai - ri de ~ lu - riau, de - hi - riau, de - lu - rie - le.
Gesprochener Versdialog verbindet sie.
Mit Musik und Tanz durchsetzt waren dann vom 14. Jahrhundert an Mummercion und Auf-
zuge bei festlichen Gelagen der Hofe von Frankreich und Burgund (Entremets), sowic die
gern ins Allegorische und Romantische gewendeten Einleitungen zu den Turnieren (cartels,
defis, caroussels). Alle diese Veranstaltungen aber wurden durch die grofien italicnischcn Hot-
festlichkeiten, die canti und trionfi, beeinflufit, bei denen aile Ktinste sich virtuos vereiniglen.
Besonders gut sind wir von den grandiosen Festen des Jahres 1 454 am burgundischen Hoi durch
Olivier de la Marche unterrichtet, wobei die Musik mehrfach genau beschrieben ist, so gelegent-
lich des Fasanengeliibdes.
Von 1550 an wurde die gesungene Maskerade in Frankreich besonders beliebt, die erstcn
Dichter der Nation beteiligtcn sich daran, Ronsard, Jodelle u.a, Ein Mitglied tier Pl^iadc, der
DichterundMusiker J. A.Bai'f , begriindete 1 570 mit dem Musi ker Thibautde Courvillo in Paris
eine Academic de musique et de poesie mit ahnlichen Absichten, wie die der spateren Flo-
rentiner Camerata waren: Vereinigung von Musik und Dichtkunst, Erneuerung des Theaters
nach der Antike. Auch der Biihnentanz gehorte in dieses Re formprogramm, er hatte an Katha-
rina von Medici eine machtvolle Forderin. Diese Furstin suchte alle Pracht der Hofhaltung im
Stil der Florentiner Heimat fur ihre politischen Zwecke zu entfalten. Dor italienische EinfluB
in Kunstdingen wuchs unter ihr, 1548 wird in Lyon Bibbienas ,,Calandra" mit grolien Inter-
medien von den Messieurs des Nations aufgefuhrt, 1550 stellt man in Rouen bcim Einzug H<kn-
rys II. nach italienischem Muster den pythischen Kampf Apollos mit Musik dar. Als Hem-
rich II. bei einem Turnier todlich verunglikkte, loste das Ballett die ritterlichen Kanipfspielc
als Nationalvergniigen ab. Die Religionskriege sind von Balletten cingefuhrt uncl begltutet-
Vier Tage vor der Bartholomausnacht gab man in den Tuilerien ein grofies gesungenes Ballett,
wobei das Paradies gegen irrende Ritter, die vergeblich Einlafi begehren (die Hugcnotten)* v^^**
teidigt ist. Die Ketzer werden in die Holle gestiirzt. 1 573 folgte das beriihmte polnische Ballett,
an dem Roland von Lassus beteiligt war, gelegentlich des Abschieds des zurn polnischen
Konig erhobenenHerzogs von Anjou.Geleitet wurde diese Festlichkeit schon von dem Picmontcscn
Baltagerini, genanntBalthasardeBeau joy eulx, der seit 1555 als Violinspicler in Frankreich
weilte und 1567 Kammerdiener und Ballettregisseur bei Katharin'a von Medici geworden war,
Dieser Mann nimmt das Verdienst fur sich in Anspruch, Plan und Leitgcdanken zu dern
Hauptwerk des Ballet de Cour ersonnen und angeregt zu haben, zum ,»Ballet co mique d e la
Royne1, das an Stelle der friiheren skizzenhaften Maskeraden ein dramatisch einheJtHches
handlungsreiches Ganzes setzte und alle Theaterkiinste grofiziigig und schon durchaus oj>ern-
haft zusammenfafite. An der Ausfiihrung sind viele Hande beteiligt. Die ersten Dichter und
MusiJcer des Hofs waren allerdings anderweitig beschaftigt, die Handlung Jst der Circe des
Agrippa d'Aubigne" entlehnt, die Verse lieferte der Almosenier des Kdnigs, Sieur de la Chesnayt%
die Musik dessenLehrer Lambert deBeaulieu, genannt Arion de France, und Jacques Salmon,
v - :'
v^sppp
Ahl>. 71 »,!,« Ballttl (',<nni(|u<! <!«' la Koyni'.1*
UiiiMollun^ <l*H' Saul'., intMi«Mil»il<l isarb «*ii»«'ui /«Mtn<'iH».»is<'l«'« Stifh <U>s Texllmdu's, Pmih l^B2.
Im llmt«'t«tum(l (!iur /aultu^aitrn, links; \on»r tlio f,w»M«'U«' Wolkr", rcchfs clir I ,aulw Pans,
644
Die franzosische Oper bis 1750
die der beiden Ballette wohl Baltagerini selbst, die Ausstattung besorgte Jacques Patin. Die
Auffuhrung fand statt am 15. Oktober 1581 im Louvre, als Hohepunkt der mehrwochigen Ver-
mahlungsfestlichkeiten der Stiefschwester Heinrichs III. mit dessen Giinstling, dem Herzog
von Joyeuse. Konigin Luise wirkte als Najade, der Konig im grofien Ballett mit. Circes Zauber-
garten war mit allerhand Tieren bevolkert, prachtige Aufzuge rollten als Intermedien durch den
Saal, auf Flugmaschinen eilten die Cotter zum Kampf gegen die Zauberin herbei, in der ,,Voute
doree" ahmten zehn verschiedene „ Concerts de musique" dieSpharenmusik nach, auch die Laube
Pans ertonte von Gesang und Positiven. Gesprochene Deklamation eroffnete nach einer In-
strumentaleinleitung, sie wechselt auch spater mit Musik und Tanz. Die dramatisch belebte
Handlung,der nur die steten lakaienhaften Huldigungen an denHof abtraglich sind, zerfallt in
zwei, durch Ballette geschlossene Teile; die zehn Musikstucke, abgesehen von den beiden
langen Balletten, sind zumeist funfstimmige Chorsatze, die durchwegs Strophenform haben
und vorwiegend dialogieren, gern mit Echowirkungen, daneben stehen zwei monodische Solo-
gesange, ejnstimmig und ohne Bafi notiert, namlich
Jupiter (herabfliegend) (Y* verkurzt)
*=£=$=&=
ta fa - veur
sen - ke mich
je vlens i - c
her - ab von des
des ci - eux, je
Him - mels Hohn, den
suis clu mon - de,
Wir - ren die * »cr
IP
o Pal - las,
Welt gna -
sou - ci - eux.
bei - zu - stehn.
Das wird zur Laute gesungen, ein ebenso behandelter Wechselgesang (Rezitativ) geht voran*
Glauque (l/2 verkiirzt)
ceste <£
die - ser
cail - le
Fcst - glanz
nou - vel - lc*,
be - deu *• ten?
que je suis d'un pe - cheur en
Rings - um - her seh ich strah - len
dieu ma - rin for - me?
Mee - res - got - ter - pracht,
Diese Ballettkomodie blieb in Frankreich eine Ausnahmserscheinung, denn wenn sich auch
das Ballet de Cour als Lieblingsform dauernd behauptete, so tauchen doch groOzOgigere Ver-
suche erst dreiBig Jahre spater, und auch da nur vereinzelt und in engen zeitlichen Grenzen
wieder auf. Unter Henry IV. und Lully herrschen kleinere und meist komische Ballette vor
(Ballettmaskeraden), bizarre Kostiime sind beliebt, Tiirken, Chinesen, Janitscharen ; hauptsHch-
lich das Auge will erfreut sein. Zu den Entries wird es iiblich, Gedichte auf fliegenden BlSttern zu
verteilen, so daC das Ballett die ,,Versu, die ,,Entrees'* und die ,,R<kit$44 umfafit, Letztere wurdcn
gesprochen oder gesungen. Von 1 605 an verschwindet das gesprochene Ricit im kdniglichen Bal •
lett, wahrend es sich in der Provinz erhalt. Diese Neigung zur Musik, die bald darauf irnmer ent*
schiedener zur Geltung kommt, scheint mit dem Aufenthalt Rinuccinis und Caccinis am franzd*
sischen Hofe zusammenzuhangen, an der Florentiner Musiktragodie ging man bezeichnender-
Die franzosische Oper bis 1750 645
weise, trotz der personlichen Beziehungen achtlos vorbei. Hingegen bildete Rinuccini dieEin-
driicke des Pariser Hofballetts in Italien nach, zuerst im ,,Ballo delle Ingrate", worin aber natiir-
lich der gesprochene Vortrag aufgegeben ist. Fur die italienische Ausstattungskunst hatte man in
Paris mehr Anteil als fur die musikdramatischen Bestrebungen, die Briider Francini machten als
Theaterarchitekten Karriere, sie sind bei den grofien romantischen Ausstattungsballetten unter
Ludwig XIII. tatig. Die Musik tritt nun 1610 — 1620 starker hervor, sie wird auch vor dramati-
schere Aufgaben gestellt, so im ,JBallet d'Alcina" (1610), im ,, Ballet des Argonautes" (1614), dem
,, Ballet de la delivrance de Renault" (161 7), dem ,,BalletdeTancredeenlaforestenchantee" (1619).
Prunieres Rekonstruktion des Renault-Balletts zeigt, dafi sich die Musik in kleinen Formen halt,
ein fiinfstimmiger Chor eroffnet, spater folgen weitere Chore, darunter ein Chordialog (Einsied-
ler und Soldaten), einige Solostiicke — Rolland hat eines nachgetragen — , viele Tanzstiicke.
Unter den Gesangsnummern sind mehrere Strophenformen, einiges hat einen Anflug von
dramatischer Kraft, das riihrt von Pierre Guedron her, daneben wirken von Musikern noch
Antoine Boesset und Gabriele Bataille mit, in der Tanzmusik Belleville, auch an der Dichtung
sind mehrere Autoren beteiligt, das grofie Konzert gegen Ende erwahnt 92 Sanger und 45 In-
strumente. Ahnlich kompiliert waren alle Hofballette, auch Ludwig XIII. komponierte Ballett-
arien, das ,, Ballet de Merlaison" 1635 sogar hauptsachlich selbst. Die Tanzstiicke \vurden
vom Ballettmeister beigesteuert, z. B. in der Zeit 1587 — 1617 von Chevallier. Nach 1620 sank
das Ballet de cour wieder zu einfachen Unterhaltungsstticken herab, die Ausstattung trat ganz
in den Vordergrund, Tanzszenen reihten sich ohne hohere dramatische Zwecke aneinander
(Ballet a entrees), unter dem Due de Nemour, der die Ballette leitete, verfiel die Gattung ins
Spielerische (Bouffonneries, Boutades).. Gefallige Musik lieferten Boesset, Vincent u. a. Die
Texte der Hofballette sind in der Ausgabe von Lacroix zuganglich, die Musik erhielt sich
nur in Auswahl, die Sammlung von Michel Henry gilt als verloren, auch die Sammlung
Philidor, die die Tanzmusik iiberliefert, hat starke Liicken, von urspriinglich 59 Banden sind
nicht weniger als 26 in Verlust geraten. Immerhin ware es an der Zeit, hier durch Neudrucke
den Blick zu offnen, insbesondere fur Lullys Jugendwerke.
Das Hofballctt kam unter Ludwig XIV. zu besonderer Bliite, in seinen ersten Regierungs-
jahren wird aber Paris unter Anna von Osterreich und Mazarin zunachst endlich mit der ita-
li en is c hen Oper bekannt, allerdings in Mischformen mit dem herrschenden Lokalgeschmack.
Mazarins standhaftes Eintreten fur die Vcnezianer und die romische Oper blieb allerdings erfolg-
los, sie hat viel Widerspruch entfacht, aber das franzosische Theater stark beeinflufit und dem
franzosischen Musikdrama den Boden bcreitct. Die erste italienische Oper in Paris war nach
Prunieres eine Musikkomodie des Ro'mers M, Marazzoli im Karneval 1645, ein halbes Jahr
darauf folgte Sacratis ,»La Finta Pazza" (Text von Strozzi), ein italienisches Repertoirestiick
(Venedig 1641, Piacenza 1644, Bologna I647)-uber den beliebten Opernstoff des wciblich ver-
kleideten Acliillcs in Scyrus. Vollon Beifall fanden in Paris nur die Inszenierungskiinste des be*
riihmten J. TorolH, d(kr das Textbuch clieser Festa Tcatrale mit Kuptern herausgab. Der Ka-
stratengfsang wurde abgelehnt. Das Textbuch besagt, da(i mancherlei gesprochen vorgetragen
wurde, die Ballette Balbis sind darin nicht erwahnt, denn sie wurdem eigens gedruckt; daB sie
auffallond zirkusartig waren, ist mit Riicksieht auf das Konigskind zu deuten. 1646 wurde noch
Cavallis ^Egisto" gegeben, 1647 folgte Luigi Rossis ,,0rfeo<4 (Text von Francesco Buti),
den dor Koniponist eigcns fur Paris schrieb und zwar ahnlich wie Monteverdi seinen ,,0rfeo
£A£ Die franzosische Oper bis 1750
am Totenbett der Gattin. Trotz des grofien Widerstands, dern das Werk wegen seines schwa-
chen Textes bei den Franzosen begegnete, hat es starke Nachwirkung erzielt. Textlich bot sich
fur Quinault spater manches brauchbare Theaterrequisit darin, die Musik kam mit ihrer Be-
vorzugung der weichen, elegischen Seiten dem Nationalempfinden sehr entgegen. Sie ist sti-
listisch an die von Monteverdis ,,11 Ritorno d'Ulisse" ausgehende Liedoper angeschlossen und
weist in der musikalischen Behandlung starke Ahnlichkeiten mit Giuseppe Zamponis,,UHsse
nell' isola di Circe*' auf, der ersten Oper, die 1 650 in Brussel gegeben wurde. Das Rczitativ
tritt zuriick, hingegen ist auf Ensemblestellen viel Sorgfalt verwendet : Die Liedarie halt den Vor-
dergrund, Refrainbindungen, kleine Da Capi, Strophenformen, Basso ostinato, zweiteilige Arien
stehen nebeneinander. In vollstimmiger Begleitung greift das Orchester ein, die komischen Epi-
soden zeigen musikalischen Witz. Auch bedeutende Reste der romischen Choropar fallen auf,
insbesondere im Prolog, wo der Chor dreifach geteilt ist. Die Ballette, die diese Oper wiedcr
reich umrankten, waren wohl von einem Franzosen vertont. Rossi iibersiedelte ganz von Rom
nach Frankreich, wo er 1 653 starb. Mit dem ,,0rfeo" endet der erste italienische Opernvorstofi
in Paris. Im Gefolge hatte er mehrere Tragodien mit reichem Musik- und Maschinenschmuck,
darunter Corneilles ,,Andromeda" 1650, mit Musik von Dassoucy, 1653 reihte sich ein
zweiter Versuch mit der italienischen Oper an, Carlo Caprolis ,,Lc Nozze di Peleo c di Ted"
(Text von Buti) mufite wieder groCe Zugestandnisse an das Ballett machen, Buti hat sie mit
einem Ballet de Cour verquickt, zu dem Benserade die Verse schrieb, Dern Dichter Isaac de
Benserade verdankte das Ballet de Cour die neue Bliite als literarische Gattung, die untor dem
Eindruck der italienischen Oper mit seinem Erstling ,,Cassandre" (1651) anhebt, worm Lud~
wig XIV. zum erstenmal tanzte. In der Musik taten sich Louis Molier, J. B. Boesset, Jean Cam*
befort u. a. hervor, auch Michel Lambert, der spatere Schwiegervater Lullys, vor allem Lully
selbst, der bald alle Vorganger verdrangte.
Jean Baptiste Lully (1632 — 1687), der 1646 als Knabe nach Frankreich gekommen war, be-
trat 1 653 im ,,Ballet de la nuit" die Biihne, dem ersten groBen Schauballett nach Muster der ita~
lienischen Vorstellungen, er tanzte und spielte an der Seite des Konigs, bald fiigte er auch ita
lienische Gesangseinlagen in die Hofballette ein, von 1 657 — 1 67 1 schrieb er dann etwa 30 Ballette,
von denen aber kein einziges noch veroffentlicht ist. Die Musik versorgt er nun vorwiegend oder
ganz allein. Der klassische Vertreter der franzosischen Musiktragodie begann also — cine Aus-
nahmserscheinung — in burlesken Szenen, und zwar als Schauspieler, Tanzer und Komponist.
Prunieres hat einen travestierenden Dialog zwischen der franzosischen und italienischen Musik
aus dem ,,Ballet de la raillerie'* (1 659) und einen ,,R^cit des preneurs de Tabac" aus dem »,Ballet de
1 'impatience" (1661) mitgeteilt, besonders beriihmt war spater die tiirkische Zeremonie aus dem
„ Bourgeois gentilhomme" (1670), wobei Lully zu einer Zeit wieder ins Italienische verfiel, wo er
das Franzosische schon ganz voranstellte und sich urn einen franz5sischen Buffostil bemOhte.
Das ,,Ballet d'Alcidiane*' (1658) ist bereits mit der bekannten Ouvertiirenform Lullys er6ffnett
wahrend die friiheren Hofballette mit einfachen Tanzsatzen eingeleitet waren. Der Ausdruck
Ouverture ist da bis etwa 1640 zuriick zuverfolgen. Das Ansehen Lullys wird rasch gefestigt,
1660 wirkt er bei der Hochzeit Ludwigs mit Maria Therese von Osterreich neben CavallL
Dieser Grofimeister kommt personlich nach Paris, um seinen beruhmten MSerse" herauszu*
bringen, 1 662 schreibt er eine eigene Oper fiir Paris (,,L'Ercole amante**)- Es war das der dritte
und letzte Versuch, die italienische Oper in Frankreich einzubiirgern, er endete mit dem vollen
Die franzosische Oper bis 1750 547
Triumph der franzosischen Musik; Mazarin starb dariiber (1661). Der ,,Serse" hatte wieder
starke Eingriffe zu erleiden, wesentliche Bestandteile bei der Auffuhrung, die nicht Torelli, son-
dern schon Vigarani ausstattete, waren die Ballette Lullys, der auch eine groBe franzosische
Ouvertiire beistellte und wohl den Prolog komponierte. Der ,,Ercole amante'* ist von Fr.Buti
wieder im Stil der fur Paris so bezeichnenden Mischung zwischen Oper und Ballet de Cour ver-
fafit, an der Buti selbst besonderen Anteil hat. Sie wird 1 661 als Neuerung in Florenz aufgegriffen
(,,Ercole in Tebe"), in Briissel ist eine ahnliche Verquickung schon 1650 beim ,,Ulisse" zu be-
obachten (mit dem ,,BalIet du monde"). Ihre Ausgestaltung wird fur das Verstandnis der Rolle
des Balletts in Lullys Tragodien von entscheidender Bedeutung. Auch in der Verteilung von
Duetten, Trios und Chorstellen hat Buti fur Quinault Muster geboten, wahrend Lully wieder
in Cavallis Musik bleibende Eindriicke empfangen hat, besonders in Rezitativ, Ensemble und
Chor. Der Prolog insbesondere, die selbstandigen Prologe ,,0rfeos" und der ,,Nozze di Ted"
iiberbietend, war die grofiartigste Chorleistung Cavallis. Aber auch die Maschinentragodien, die
im Schatten der italienischen Oper hervorsprossen, insbesondere die von Boyer, lieferten Muster
zum Lullyschen Prolog. Die Musik spielte in diesen Dramen eine grofie Rolle und war mit den
Stiicken organisch verwachsen, so daB man sie Opern ohne Rezitativ, das Theatre du Marais
aber Wiege der Academic de Musique genannt hat.
Das Ballet de Cour erlebt auch nach Cavallis Opern wieder neuen Aufschwung, seit 1661
setzen Molieres Plane einer Verschmclzung von Komodie, Musik und Tanzein, die aus der
Not eines eingeschrankten Personalstands die Tugend des genialen Formgedankens der
Com^die-ballets zu schopfen wufiten, von 1664 an arbeiten die beiden groBen Baptiste mit-
einander (,,Le Mariage force'*, 1664, ,,La Princesse d 'Elide'*, 1664, ,,L'Amour medecin",
1665). Musik und Tanz war aber doch nur Aufputz der Komodie, die ganz gesungenen
und getanzten Pastoral- oder Buffoszenen waren nur eingefiigt und wurden von getrenntem
Personal bestritten. Lully hatte da Gelegenheit, seine Vorliebe furs Ensemble zu betatigen.
Auch Benserade spannte seine Krafte an, so im ,,Ballet des arts" ( 1663) oder dem ,,Ballet de
la naissance de Venus*4 (1665), Nebeneinander traten beide Rivalen, Benserade und Moliere,
im ,,Ballet des Muses** (1666) vor den Konig. Dieses Ballett bestand aus einem Prolog —
Dialog zwischen la Mernoire und den 9 Musen — und 14 Entrees, zumeist von Benserade
gedichtet, Es sind Szenen zwischen Sternen und Planeten, Pyramus und Thisbe, ein Kampf
zwischen Alexander und Porus, cin Auftreten des Orpheus, den Lully darstellte — er spielte
ein Violinkonzert, ein Recit hatte er auch zu sprechen — , ein Wettstreit zwischen Pieriden
und Muaan u. a, m. Dazwischen waren kleine Komodicn eingeschaltet, die ,,Pastorale comi-
que'* von Moliire, zu der nur die Gesangstexte erhalten sind, ,,Les poetes" von einem unbe-
kanntcn Autor, mit eincr Mascarade cspagnole, und, 1667 zugefiigt, ,,LeSicilien** von Moliere,
in einer der spateren komJschen Oper nahestchenden Form mit gesprochenem Dialog, Bense
rade zog sich 1669 zuruck (,,Ballet de Flore"), Moliere schrieb zwar noch einige Hauptwerke
(,,M, de Porceaugnac'*, 1669, ,,Lcs amants rnagnifiques'*, 1670, ,,Le bourgeois gentilhomme*',
1670), auch das Com^die-ballet aber mufite der Musiktragodie weichen, die das Ballett in sich
aufsog* Molieres letzte Arbeit mit Lully war ,,Psyche*', 1671 , unter Teilnahme P. Corneilles, sie
wurde 1678 dann in eine Musiktragodie urngegossen. Nach seinem Bruch mit Lully zog Mo-
liire Charpentier heran (f,Le Malade Imaginaire*'). Ludwig XIV. trat vom Ballett zuruck, er
liefi 1681 das Ballet de Cour noch einmal aufleben, ohne aber selbst mitzutanzen (,,Le
Die franzosische Oper bis 1 750
triomphe de i'amour" von Benserade und Quinault), erst damals wurden Tanzerinnen zugelassen.
Das selbstandige Ballett lebte nun nur mehr in Schulkollegien fort, insbesondere bei den Je-
suiten, wo Tanzallegorien weitergepflegt wurden. 1 720 gab es endlich unter Ludwig XV. ver-
gebliche Wiederbelebungsversuche mit dem Ballet de cour.
Die italienische Oper hat aber in Paris nicht blofi auf das Ballet de cour und das gesprochene
Drama bereichernd eingewirkt, sie hat auch geradezu franzosische Nachahmungen angeregt. Erne
Reihe von franzosischen Pastoralen verdanken ihr die Entstehung. Bald nach dem ,,0rfeo"
schreibt Dassoucy die Comedie en musique: ,,Les Amours d'Apollon et de Daphne", wobei er
aber wieder gesprochenen Dialog benutzt, spater folgen andere Versuche, die ganz in Musik ge-
setzt wurden, wie die Idylle ,,Le triomphe de 1* Amour" von Charles de Beys, Musik von Michel
de la Guerre (1654), oder Camberts ,,La Muette ingrate" (1658), kleine kantatenhafte Gebilde,
deren Musik nicht erhalten ist. Im Zug dieser Bestrebungen liegt die vielgenannte ,,Pastorale
d'Issy" von Perrin und Cambert, die der Dichter selbstgefallig erste franzosische Musik-
pastorale nannte. Auch ihre Musik ist verloren, Perrin liefi (1660) mit Cambert eine Musik-
komodie ,,Ariadne et Bacchus" und mit Boesset eine Musiktragodie ,,La mort d 'Adonis" folgen,
beide blieben unaufgefiihrt. Ein Jahrzehnt spater, 1669, erlangte Perrin endlich das konig-
lichePrivileg, franzosische Opern aufzufiihren, worauf er sich mit Cambert und zwei anderen
Personlichkeiten zur Begriindung eines Opernunternehmens vereinigte, das 1671 mit der Pa
storale ,,Po mone", in fiinf Akten und einem Prolog, eroffnet wurde. Von Camberts Musik sind
wieder nur Bruchstiicke erhalten (Prolog, erster Akt, fiinf Szenen des zweiten), bei Ballard ge-
druckt; sie bleibt an Bedeutung hinter dem zuriick, was Lully damals bereits an franzosischen
Texten geleistet hatte, ist vielmehr davon beeinflufit. Schon textlich ist das Stuck als zu breit
angelegte Idylle mifigluckt, die Musik teilt die Mangel an dramatischem Leben, hochstens das
weiche Rezitativ des werbenden Autumne, das den Akt beschliefit, hebt sich etwas ab. Chor und
Ensemble tritt haufig hervor, beliebt sind Chansons, die vom Chor wiederholt werden, so ist
gleich die erste Szene durch eine solche Wiederholung im Terzett artig geschlossen, auch im
Innern formal geschickt und wirksam gruppiert, der Prolog, eine Dialogszene, wird thematisch
an den Anfang der Ouvertiire angeschlossen, die Lullys Form verschmaht und eine vierteilige
Kanzone verwendet. Lullys Ouvertiire war aber schon 1661 von Beauchamps iibernommen
worden. Vor dem ersten Akt folgt eine zweite, zweisatzige Ouvertiire, wahrend Lully an dieser
Stelle meist die Anfangsouvertiire wiederholen laBt ; dem Ballett ist in dieser Pastorale keine
hervorragende Beteiligung vorbehalten. Die Notation zeigt den bei Lully schon friiher iiblichen
Taktwechsel nach der Deklamation. Im Text der spateren Akte sind Theatereffekte, wie in der
Drachenszene, herangezogen. Camberts Begabung lafit sich auch nach dem wieder allein er~
haltenen ersten Akt der zweiten Pastorale ,,Les peines etles plaisirsdel'amour", 1672, nicht
hoher bewerten, die Lullys Form nahestehende Ouvertiire greift am SchluB direkt zu Lullys
pathetischem Sprachschatz. Den Text zu dieser Oper schrieb Gilbert, denn der Abenteurer
Perrin safi in Schuldhaft, sein Unternehmen krankte unheilbar an inneren Differenzen. So war
es nur selbstverstandlich, wenn die Leitung an den bewahrten Theaterfachmann Lully iibcrging,
der Perrin sein Privileg abkaufte und die Academic Royale de Musique, wie sich die Pariser
Oper nannte, alsbald zu unerhortem Ansehen brachte. Im November 1671 war zu Versailles
ubrigens noch eine Pastorale ,,Diane et Endymion" von Guichard und Sab litres aufgefiihrt
worden, deren Musik heute wieder fehlt.
Die franzosische Oper bis 1750 649
Auch Lully eroffnete die konigliche Musikakademie mit einer Pastorale — ,,Les fetes de
1'Amour et de Bacchus*' — , einem aus wirksamen Hauptszenen seiner Ballettkomodien von Ver
sailles, Chambord und St. Germain zusammengesetzten Gelegenheitsstiick, 1673 setzte sich die
Oper nach Molieres Tod im koniglichen Palais fest, und der Florentiner schrieb nun bis zu sei-
nem vorzeitigen Tod alljahrlich eine grofie Tragodie: 1673 ,,Cadmus et Hermione", 1674 ,,A1-
ceste", 1675 ,,Thesee", 1676 ,,Atys", 1677 ,,Isis", 1678 ..Psyche ', 1679 ,,Bellerophon", 1680
,,Proserpine", 1682,,Persee", 1683,JPhaeton", 1684,, Amadis", 1685 ..Roland", 1686 flArmide '.
Daneben stehen einige Balletteund Pastoralen: 1681 ,,Le Triomphe de 1'Amour", 1685 Racines
,,Idylle de Sceaux" und ,,Le Temple de la Paix", 1686 ,,Acis et Galathee". Alle liefi der Konig
bei Ballard gedruckt herausgeben. Lully wandte sich also von der Modegattung der Pastorale
ab, die er schon 1667 gepflegt hatte, der auch sein letztes Werk gait, allerdings in neuer Auf-
fassung, wahrend er 1674 La Fontaines ,,Daphne" zuriickwies. Er suchte vielmehr sein Vorbild
im franzosischen Nationaldrama Corneilles und Racines und er brachte die herrschenden
asthetischen Anschauungen seiner Umgebung, die einseitige Verstandesnchtung, den Rationa-
lismus des Geschmacks im Musikdrama zu voller Auswirkung. Die Musik vermeidet absicht-
lich alles blofi sinnlich Schone, sie hebt nur Wort und Dichtung, stellt daher das Drama als
solches in den Vordergrund. Dieses folgt dem breiten Pathos der Sprechdramas, auch seiner
ganzen Technik, der Teilung in fiinf Akte, dem Vertrautensystem, dem Versbau (Alexandriner)
u. a. Die Venezianer Einmengung komischer Partien wird nach der ersten Oper, Cadmus, wo
sie aufgegriffen Jst, vollstandig beseitigt. Lullys Textdichter Qui nault , von dem fast alle seine
Opemtextiertsind— mitAusnahme von „ Psyche" und,, Bellerophon'", die Thomas Corneille und
Fontenelle dichteten, und ,,Acis et Galathee", das Campistron schrieb — , war gezwungen, sich
ganz Lullys Ideen anzupassen. Den Stoff wahlte der Konig mit, Lully, die Verse wurden von
der Academic des belles lettres sorgsam iiberpriift, dann aber von Lully nach f reiem Ermessen
gehandhabt. Quinault mischte unter die Alexandriner nach Muster der Recits im Ballet de
cour, auch nach italienischem Beispiel, kiirzere lyrische Versmafie, besonders vierfiifiige Jam-
ben, Lully macht fast alle Jamben unkenntlich und giefit sie zumeist in Anapaste urn. Die
musikalische Deklamation halt sichdabei eingestandenermafien an das Muster des Sprechtheaters,
insbesondere an die Vortragskunst der beriihmten Marie Desmares-Champsmesle, die von Lully
geradezu studiert wurde ; er schuf aber aus sich selbst heraus etwas durchaus Eigenartiges, was
friihere Vers'uche Lamberts, Cambeforts u. a. im Air de cour und in Dialogen weit hinter
sich liefi. Dieses realistisch deklamierende Rezitativ, dessen Streben nach Wahrheit des Aus-
drucks schon in der Aufzeichnung, im hauf igen Taktwechsel sich kundtut, dampft gleichwohl
Leidenschaften und Personen gleichmafiig ab und duldet weder gefiihlsmafiige noch per-
sonliche Akzente, schliefit sich aber andererseits an die altere Art der Durchdringung mit
ariosem Vortrag an,
Alccste, 5. Alct, Admete
Je meurs, charmante Al - ce - ste, mon sort est as - sez doux, puis que je meurs pour vous,
Ich ster - be leicht, Al - ke - ste, und froh ist mir zu Mut, fur dich geb' ich- mein Blut.
Die franzosische Oper bis 1750
651
Alceste, 5.
Akt, Admete
S: * ^ ^ ^ ^ ~ £ * ~
b
Quel -
Welch
• le dou - leur se - ere - te rend mon ame in - qui - e - te, et trou-ble, mon a-
ein ge -hei - mes Ban - gen macht das Herz mir be - fan -gen und lafit ihm kei-ne
q . £J * .
l| P
6 ?6
6 ,.6 6 7 6
mour : Al - ce - ste voit en - core le
Ruh : Al - ke-sten seh - net es sich
jour, Mais c'est pour im au - tre qu'Ad - me - te.
zu, doch wann werd ich sie noch urn - fan - gen !
Mit ausgesuchter Kunst sind Wiederholungen einzelner Partien und Refrainbindungen, auch
von Szene zu Szene, eingeflochten, und Orchesterbegleitung beigezogen. Die Einheitlichkeit
der Behandlung aber, die bis zur Einformigkeit geht, hat ebensosehr Bewunderung wie Wider-
spruch erregt, sie verzichtet jedenfalls auf dramatische Charakterzeichnung. Hier tritt auch die
Arie nicht in die Bresche, deren Ausbildung als grofiere Gesangsform den asthetischen Anschau-
ungen Lullys widersprach. Das Air hebt sich in der Regel kaum vom Rezitativ ab und bringt es nur
zu einfachen kleinen Gebilden, ist zumeist zweiteilig, mit typischer Wiederholung des Anfangs
(ausgeschrieben), daneben auch dreiteilig mit Da Capo, hat also einfache Liedformen, ohne me-
lodisch und gesangstechnisch hohere Anforderungen zu stellen. Die Melodik schlieBt sich fran-
zosischen Vordermannern an, weicht volkstumlichem Einschlag aber aus. Immerhin nahert sich
mancher Gesang dem Vaudeville, wie umgekehrt das Vaudeville gern zu Lully griff. Kolo-
raturen sind verpont, schleichen sich aber doch bei Wortmalereien hier und da ein, nach dem
Tod Lullys wurden auch seine Opern mit Gesangsverzierungen belebt. Selten ist die Rondo-
form in der Arie (z. B. Alceste III, Isis V), selten auch der ostinate Bafi (z. B. Atys I, Szene 3
und 4, Persee II, Roland III). Freiere Formen, Ariosi und durchkomponierte Arien finden sich
gelegentlich gern in bedeutungsvollen Monologen, wie insbesondere in dem beriihmten Gesang
Renauds (Armide II). Zumeist sind diese Monologe, die Brennpunkte der inneren musikali-
schen Dramatik, durchaus rezitativisch, mit Wiederholungen markanter Stellen, wie:
Thes^e, 2. Akt, Mede-e
S-OMHH*
^fe35-
=*-*-B^
:r5f=?Ezzr?n:
— " H r^ —
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dem Neid mein L
m'a - ban
e - ben
p C -1- j
-H-l- —
m
h- ~
vous!
weiht!
In den spateren Werken ist gern Orchesterbegleitung ausgebreitet, z. B. in Roland IV. Das Rezi
tativ wird auch von zweien oder vom Chor gesungen. Kleine Duettstellen oder Trios begegnensehr
haufig, viel ofter als in der Oper der Italiener,das Zusammensingen erfolgt aber regelmafiig Note
42 H. d. M.
Die franzosische Oper bis 1750
gegen Note. Grofie Bedeutung hat in Luilys Oper der Chor, seine Teilnahme geht iiber alles
bisher dagewesene Mafi hinaus. Lully kniipfte hier, wie in der allgememen Hochstellung von
Wort und Dichtung, an das Florentiner Musikdrama an — Florenz war seine Heimat — , er lehnt
sich aber zugleich an die Traditionen des Ballet de cour und an Butis Mischformen von Ballett
und Oper an. Fur eine zwingende aufiere Theatralik ist die ganze Prachtentfaltung von Ballet
de cour und Maschinenoper derBarberini aufgeboten, sie war fur die nationale Musiktragodie
ebenso wesentlich wie das Seelendrama selbst. Ballette, Aufziige und grofier Chor, getragen
von verschwenderischer Beteiligung der szenischen Kiinste, — die Ausstattung besorgUn To-
relli, Vigarani, Errard, Rivani u. a. — geben den glanzenden Rahmen ab zu der emheithch ge-
fuhrten Handlung, deren Grundgedanken — Ruhm und Liebe — sie mit grofiem Schaugeprange
versinnlichen. Der romantische und damomsche Apparat schneidet aber auch tief in die mnere
Dramatik ein. Die machtigen, ganz selbstandigenProloge zu Ehren des Konigs, die jede Vor-
stellung einleiten, sind selbst kleinere Ballets de cour und auf glanzvolle Vereinigung aller
Theaterkiinste abgestimmt. In dieser Art sind sie in der italienischen Oper Seltenheit (z. B. in
Cestis ,,Pomo d'oro"), Lully lafit hier das Pastorale hervortreten, wodurch sie sich von den
kriegerischen, priesterlichen oder damonischen Massenszenen der Oper selbst abheben. In ty~
pischen Refrain wendungen ist der Zusammenhang mit dem italienischen Opernprolog, der vom
Strophenlied ausgmg, noch immer gewahrt.
Alceste, Prolog, NympKe der Seine
Le He - ros que j'at - tens, ne re - vien - dra - t'il pas?
Un - ser Held kehrt zu - ruck, nach dem es uns ver - langt.
Die musikalische Satzarbeit des Chors ist dabei fast durchwegs homophon, die Form lied- oder
tanzartig, gern in grofieren Verhaltnissen rondomafiig abgerundet. Die Ausarbeitung oblag zum
grofien Teil der musikalischen Kanzlei Luilys, der die Detailausfuhrung uberlassen blieb. Wir
finden Frauen-, Manner-, Echochore, geteilte Chore, Chore hinter der Szene u. dgl. In den
Tanzen und der sonstigen Instrumentalmusik wagt sich das rein Musikalische gewohnlich
am weitesten vor. Die Tanze wurden popular, die zahlreichen kleinen Ritornelle aber sind drama-
tisch von grofiter Bedeutung, zumal da von Lully ihre pantomimische Ausdeutung streng durch-
gearbeitet wurde. Sind sie so dramaturgisch deskriptiv gedacht, so stehen daneben viele Satze
rein auBerer Programmusik, neben Schlachtengemalden, Seestiirmen, Erdbeben, Schmiede-
szenen Bilder zarter Naturpoesie. Das Orchester ist mit vielen Feinheiten gehandhabt. Luilys
Ouvertiire hat in Form und Ausdrucksgehalt lange Zeit nachgewirkt, die Sorgfalt in der Fiihrung
der Mittelstimmen wurde mustergiiltig, die grofien Chaconnen und Passacaillen der Ballette
iibten gleichfalls auf dem Theater und auCerhalb desselben starken Einflufi aus, auch das Me-
nuett kam durch Lully in Mode.
Lully herrschte 15 Jahre unumschrankt in der Koniglichen Musikakademie, er war das erste
Beispiel eines Theaterdiktators in der Operngeschichte, der alle Zweige der vielgliedrigen
Opernorganisation unter einen eisernen Willen zwang, seine Personlichkeit beherrscht aber
Die franzosische Oper bis 1750 653
auch in der Folgezeit bis Gluck die franzosische Oper. Er hatte das Musikdrama dem franzo-
sischen Zeitempfmden nahegebracht und eine gesungene Theaterkunstform festgelegt, die der
gesprochenen klassischen Tragodie an die Seite trat, ja sie an Anziehungskraft uberfliigelte.
Seine Biihnenwerke werden bis in die siebziger Jahre des 1 8. Jahrhunderts aufgefuhrt, sie leben
aber auch in der Opernproduktion Frankreichs bis auf Rameati fort. Seine Schule pflegt die
lyrische Tragodie in fiinf Akten und Prolog, dabei spielen die drei Sohne des Meisters eine
untergeordnete Rolle, bedeutender wirken Colasse, Desmarets, Marais, Campra, Destouches.
Quinaults Vorbild bleibt fur dessen viel talentlosere Nachfolger mustergiiltig. Griechische und
romische Mythologie und Sage liefern vorwiegend den Stoff, der Ubertritt Quinaults zur mittel-
alterlichen Heldengeschichte in seinen letzten Dichtungen findet seltener Nachahmung, seine
Texte werden bis in die Revolutionszeit neu komponiert, sein grofies Wort- und Schaugeprange
wird nachgemacht, das einfache Schema der Handlung: Trennung zweier Liebender durch
einen machtigen Nebenbuhler, der gern durch Zauberkrafte gestiitzt ist, bleibt gewahrt. Der
Situationsmusik ist schematisch Gelegenheit geboten, besonders der Schilderung von Gewitter
und Sturm. Die ersten solchen Tempetes sind in Colasses ,,Thetis et Pelee" (1689), in Campras
,,Hesione" (1 700) und „ Idomenee" (1 7 1 2), in Marais ,,Alcyone" ( 1 706) zu finden. UberKaupt wer
den musikalischeStimmungsbildermitentfalteterOrchesterbegleitung besonders von Campra und
Destouches sorgfaltig entworfen, Naturgemalde, Schlummerszenen, die Schrecken der Unter-
welt,"Beschworungen, Orakel und ahnliches eindringlich gestaltet. In all dem, wie im Formalen,
ist Lully vorbildlich. Die Pastorale tritt gegeniiber der Tragodie zuriick (,,Isse" von Destouches,
1697, u. a.), hingegen nimmt von Lullys ,,Fete de 1'Amour" eine Gegenstromung gegen die
gleichformige mythologische grofie Oper Ausgang, die das alte Ballet de cour ohne Tanz der
Hofgesellschaft im Rahmen der Oper aufleben lafit und dem Opernballett in alien Gesellschafts-
kreisen, in Paris und in der Provinz, enormen Anhang gewinnt. Die dramatische Handlung wird
zuriickgedrangt, ihre Einheitlichkeit aufgegeben, jeder Akt selbstandig gemacht, es besteht nur
ein loser Zusammenhang allgemeinen Charakters, Musik und Tanz ist die Hauptsache, die Stoffe
sind grazios, galant. Das ,,Ballet desSaisons" von Pic und Colasse (1695), teilweise mit Musik
von Lully, oder die Pastorale ,,La Naissance de Venus" (1 696) zeigen schon JmTitel den Anschlufi
ans Hofballett. Pascal Colasse, Lullys Sekretar, wurde librigens zeitlebens des Plagiats an Lully
beschuldigt, er hat auch Lullys unvollendete Tragodie ..Achille et Polyxene" beendet. Beson-
cieren Beifall hatte mit aneinandergereihten Ballettszenen Andre Campra (1660—1744), der
von der Kirchenmusik zur Oper iiberging. Sein erstes Werk, ,,L'Europe galante" (1693), Text
von Houdard de la Motte, das er unter dem Namen seines Bruders erscheinen liefi, war gleich
ein schlagender Erfolg. Nach einem Prolog reihen sich Liebesszenen in vier Landern aneman-
der; die Musik wird geschmeidiger und nimmt Anlehnung an italienische Art. Im Rezitativ
fallen Parlandostellen auf, die Arie gewinnt grofieres Ansehen und Ausdehnung, Da-Capo-Arien
treten hervor, Breiter Raum ist dem Tanz gegonnt. Schon stofflich wird Italien herangezogen,
noch mehr in spateren Karnevalsballetten, wie in ,,Carnaval de Venise" (1699) und ,}Les Fetes
Venitiennes** (1710), Text von Danchet. Im erstgenannten treffen wir drei Kantaten nach der
italienischen Mode, sowie eine italienische Sinfonie vor der eingeschalteten kleinen Oper ,,0rphee
aux Enfers", dann den Siziliano. Die venezianischen Feste vereinigten Prolog (,,Carnaval dans
Venise") und 3 bis 4 Entrees, die bei verschiedenen Auffiihrungen wechselten. So hat Campra
nacheinander folgende Bilder komponiert: ,,Fetes des Barqueroles" , ,,Les Serenades et les
£C4 Die franzosische Oper bis 1750
Joueurs", ,,L'Amour Saltimbanque ', ,,LaFete marine44, ,,LeBal ou le Maitre aDanser \ ,,Les
Devins de la place St. Marc", ,,L'Opera ou le Maitre a chanter", ,,Le Triomphe de la Folie."
Auch aus anderen Opern wurden Prologe oder Einlagen eingemengt. Hier sind schon geradezu
italienisch textierte Arien eingeschaltet — eine Koloraturarie im ausfiihrlichen Wettstreit zwi-
schenGesangs-und Tanzmeisterwirdnachdem Hauptteil abgebrochen -—, daneben zahlreiche
Da-Capo- undBravour- Arien mit franzosischem Text, auch mitDevise, einmal mit ausgeschrie-
benem Da Capo; haufig wird der Hauptteil der Arie nachtraglich als Tanz wiederholt. Daneben
stehen zweiteilige Airs und mehrere Rondoformen. Auch zwei Kantaten sind ausdriicklich be-
zeichnet. Hervorzuheben ware noch ein belebender Zug im Rezitativ, den Rameau iibernommen
hat, namlich das Ankiindigen folgender Instrumentalmusik mit ihren erstenTakten (Annonce).
Bei der Verwendung italienischer Einlagen hatte Campra in Destouches einen Vorganger, der
1704 in der Ballettkomodie ,,Le Carnaval et la Folie" die beruhmte Szene des Professeur de la
Folie ganz in italienischer Sprache eingelegt hatte. Andre Destouches (1672—1 769), Campras
Schiller, der auch in ,,L'Europe galante" mitarbeitete, ist in der Ubergangszeit zu Rameau neben
Campra die markanteste Erscheinung. Nach abenteuerlichen Lebensjahren, erst Jesuit, dann
Soldat, kam er zur Musik und brachte insbesondere in die lyrischen Partien der franzosischen
Oper einen frischeren Zug, wobei er gern reichere harmonische Mittel wahlte. Die Form seiner
Stimmungsmonologe entfaltet Lullys Anlagen zu ausgedehnteren MaBen, so gleich in seinem
(1708 umgearbeiteten) Erstlingswerk ,,Isse" (1697), wo die erste Szene Isses in ein Da Capo,
die zweite rondoartig zusammengefaBt ist. Als Arienbegleitung fallen in dieser Oper Floten und
Violinen allein auf, was auch von Rameau Iibernommen ist. Die ,,0mphale" (1 701 ), deren Wie-
derholung 1 752 den Buffonistenstreit veranlafit hat, zieht neben dem Rondo zweimal den Basso
ostinato in wichtigen Stimmungsmonologen heran, so im Lamento der Omphale. Auch das weist
auf italienischen Einflufi hin. Damals setzten (1702) mit der Kampfschrift des Abbe Raguenet
fur die italienische Oper, die Freneuse de la Vieuville (1 704) als Anwalt der franzosischen Oper
leidenschaftlich beantwortete, die asthetischen Auseinandersetzungen iiber die franzosische
Musiktragodie ein, deren literarische Fehde fast das ganze Jahrhundert andauerte und oft sehr
sturmische ZusammenstoBe verursachte. Nach Art der italienischen Pasticcios wurden von
Campra die sogenannten ,,Fragmente" in Mode gebracht, wobei zunachst Bruchstiicke von
Lully vereinigt waren (1702), dann in den ,,Fragments modernes ou Telemaque" (1704) eine
Reihe neuerer franzosischer Komponisten zusammengespannt wurde. Diese Einfiihrung be-
hielt grofien Beifall. Die gemeinsame Arbeit mehrerer Tonsetzer an einem Opern werk war schon
friiher in Frankreich etwas Gewohnliches, der Freundschaftsbund Rebel und Francoeur be-
scherte der Musikakademie spater eine groBe Zahl von erfolgreichen Opern; die beiden standen
auch gemeinsam 1751 — 1767 an der Spitze der Akademie. Vor und neben ihnen wirkten noch
Charles Hubert Gervais, Colin de Blamont, Jean Mouret u. a. Entscheidenden Eindruck auf
Rameau machte die biblische Oper ,Jephte" von Abbe Pellegrin und Monteclair (1732), schon
im Stoff eine vereinzelte Erscheinung in Frankreich. Im folgenden Jahr trat Rameau mit der
ersten Oper hervor.
Jean Philippe Rameau (1683 — 1764), die Hauptpersonlichkeit unter den von Geburt fran
zosischen Musikdramatikern, wandte sich erst fiinfzigjahrig der Oper zu, als seine theoretischen
Arbeiten schon Ansehen genossen. Seit 1723 hatte ihn zwar sein Landsmann Piron an einem
Vorstadttheater bei Komodienmusiken beschaftigt 1 727 trat er dann vergeblich an den beriihm-
Die franzosische Oper bis 1750
ten Librettisten Houdard de la Motte um ein Textbuch her an, 1732 begann Voltaire eine
biblische Oper ,,Samson" fur ihn, die an der Musikakademie zuruckgewiesen wurde. Von 1733
bis 1 760 brachte Rameau etwa 25 Biihnenwerke zur Auffiihrung, begegnete anfangs starkem
Widerspruch, wurde als Anhanger der italienischen Richtung heftig angefeindet, seit dem
Buffonistenstreit aber als Nationalkomponist gefeiert und neben Lully gestellt. Seine Werke
umfassen fiinf lyrischeTragodien, namlich seinen Erstling ,,Hippolyte et Aricie" (1733), nach
Racines Phedre, ,,Castor et Pollux" (1737), ,,Dardanus" (1739), ..Zoroastre" (1749) und ,,Aba~
ris ou les Boreades" (unaufgefiihrt). Nacb Lullys Schema bestehen sie aus Prolog und funf Ak-
ten, doch hat der ,,Zoroastre" den Prolog aufgegeben. Der Text ist immer fur Rameau Neben-
sache, mehr noch in den Ballettopern und Pastoralen, seine Librettists sind unbedeutend (Pel-
legrin, Gentil Bernard , Cahuzac u. a.), die Divertissements uberwuch^rn, die Schaulust wird
reichlich bedacht. An dramatischer Einheitlichkeit sind Lully und Quinault iiberlegen, doch ist
die musikalische Gestaltung nun sehr bereichert, die dramatische Spannkraft einzelner Hohe-
punkte eine unmittelbar packende und ganz gewaltige, die technischen Mittel werden sehr ge-
steigert aufgeboten, der Orchesterapparat ist glanzend gehandhabt, das Formengertisterweitert,
Kontrapunkt und besonders Harmome groBziigig ausgebreitet. Die freie harmonische Gebah-
rung trug, etwa gleich im Parzentrio der ersten Oper,
Schema
manchen Tadel ein (,,Destillateur barocker Akkorde"). Im allgemeinen gilt immer noch Lullys
Stilmuster weiter; so fur die Ouverture, die wieder nach dem Prolog wiederholt wird. Spater
lost Rameau das Schema durch freiere Mischgebilde mit der italienischen Symphonie ab, in ,,La
Princesse de Navarra" und im „ Zoroastre". Der Hang der Franzosen zur Programmusik fiihrt
zu mehreren Programmouverturen, die das Chaos schildem oder einen Titanenkampf, ein
Feuerwerk, oder wo den Klagen iiber Volksunterdruckung ein Gemalde gliicklicher Zeiten gegen-
ubersteht (Zoroastre). Auch sonst huldigt das Orchester gern desknptiven Neigungen, sowohl
in selbstandigen Satzen als auch bei der Untermalung von Rezitativ und Chorstellen. Das Her-
abgleiten der Gottheiten (Descente), Ungewitter und Donnerschlage (Tonnerre, Orage, Tern -
pete), der Kampf mit Ungeheuern in ,,Hippolyte" und in ,,Dardanus", das Erdbeben und der
Vulkanausbruch in ,,Les Indes galantes1' u. a. m., sind symphonisch breit ausgesponnen, auch
werden die Akte regelmaBig von ausdrucksstarken Ritornellen eingeleitet, z. B.
Zoroastre, Anfang des 3. Akts. Chor hinter den Kulissen
Lent
doux
Dieux 0
Gott I
^ N, ^ \^~JL
i *
656
Die franzosische Oper bis 1750
Die Ritornelle sind gern fugiert gearbeitet, wie in den ,,Indes galantes". Ein Hauptgewicht
legte Rameau auf die Tanzstiicke, die er auch selbstandig zu ,,Concerts" far Klavier emrichtete ;
sie sind mit Gesangspartien durchsetzt und ofters zu grofieren Einheiten verbunden. Hier
zeigt sich grofie Anmut, z. B.
Zoroastre, 1. Akt, Chcsui gradeux
Doux
Am Abschlufi der Werke werden weite Chaconnen gespannt. Der Chor hat grofie Aufgaben zu
bewaltigen, ganze Szenen sind von massiven Cho'ren getragen, von denen sich nicht selten
Solostimmen oder Soloensembles loslosen, wie in der Szene der Hohenpriesterin in ,,Hippo-
lyte", im Unterweltsakt von ,,Castor", in Finalesatzen von ,,Platee" oder ,,Zoroastre". Trios
und Duette sind verhaltnismafiig haufig, Quartettstellen seltener. Die Monologe halten sich
manchmal noch ganz an Lully, mit Refrainbindung (,,Hippolyte" IV x) oder Abrundung des
Rezitativs durch ein knappes Air (,, Zoroastre" V zweimal), als Soloformen stehen neben vielen
kurzen Airs und dem seltenen Rondo (,,Castor" IV) auch stets Da-Capo- Arien, und zwar
gern grofiere Formen mit zweiteiligem Hauptsatz und Koloraturen, z. B.
Zoroastre, 2. Akt
Gai, un pea pointe *
S=
£
Ai-mez
Eu-re
Str.(f)
vous a*mez
Lie - be sei
vous sans ces~se ra"mour va lan-cer tous ses traits,
oh - ne Gren-zen, ge -horcht ih - rer sanf - ten Ge - wait.
u. s. f.
(•-• ^ --- '
- - "
m
Gelegentlich findet sich auch eine Dal-Segno-Arie wie in ,,Les Indes galantes", wo auch eine zwei-
satzigeArie auftaucht. Unter den Ballettopern ist Rameaus grofiter Versuch Fuzeliers ,,Les Indts
galantes'* (1735), bestehend aus Prolog und drei Akten, zu denen spater ein vierter kam, wobei
jeder in einem andeten exotischen Landstrich spielt (,,Le turc genereux", ,,Les Incas de Perou'\
Die franzosische Oper bis 1750 657
,, Fetes Persanes", ,,Les Sauvages"). Die musikalische Szenenfiihrung ist auch da reichhaltig
und \veit greif end. Als komische Oper sei schliefilich noch die ,,Platee" von 1745 hervor-
gehoben, deren frische Ouvertiire von allerlei Naturlauten wiederhallt; ihr Einleitungsteil
kehrt dann notengetreu im 2. Akt beim Einzug der Narrheit wieder. Die Geschichte der
gefoppten Nymphe ist auch sonst von Tierstimmen begleitet (Eselsgeschrei, Froschquartett-
satz ,,Quoi, quoi" u. a.).
In Rameaus Lebzeiten f allt das Anwachsen der komischen Oper, vor der die ernste Oper und
die Ballettoper rasch weichen mufiten. Mit Reprisen, Fragmenten, Festen und Pastoralen fristet
die Musikakademie eine diirftige Zeit bis zum Auftreten Glucks, von Komponisten kommen be-
sonders in Betracht Dauvergne und der Violinist Mondonville, dessen ,,Titon et FAurore" von
1 753 der italienischen Melodienfreude besonders nachstrebt. Die grofie Oper lebt erst durch
Gluck wieder auf.
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Neuere Ausgaben
E. de Coussemaker, Drames liturgiques du moyen-age. Rennes 1860. — Derselbe: CEuvres completes du
Ada m de la Hale. — Le Jeu de Robin et Marion, Klav.-Ausg. v. E. Langlois. Paris 1896. — Lully, Le Mariage
force, Klav.-Ausg. von L,. Celler. Paris 1867. Le Bourgeois gentilhomme, Klav.-Ausg. Paris 1876. — Armide,
Prolog und 2 Akte in Eitners Publikationen XIV, 1885. — Rameau, Gesamtausgabe (C. Saint-Saens und
Ch, Malherbe) Bd. 6ff.: Opern. — Chefs d'oeuvre classiques de 1'opera francais (Collection Michaelis), Klavier-
au;uuge\om Ballet comique de la reine(1882); vonCamberts Pomone und Les peines . . .; Lullys Alceste,
Armide, Atys, Bellerophon, Cadmus, Isis, Persee, Phaeton, Proserpine, Psyche, Thesee; Campras L'Europe
galante, Les festes Venitiennes, Tancrede; Destouches Isse, Omphale, Les Elements (mit Lalande);
Rameaus Castor, Dardanus, Les festes d'Hebe, Hippolyte, Les Indes galantes, Platee, Zoroastre (Leipzig,
Breitkopf & Hartel). ' Robert Haas
DIE OPER IN ENGLAND BIS 1740
Wie in Frankreich das Hofballett, so war in England vor Einfuhrung der Oper das Masken-
s pi el (Masque) ausgebildet. Es wurde zu Anfang des 16. Jahrhunderts aus Italien, und zwar
wahrscheinlich liber Frankreich ubernommen und bildete den Mittelpunkt der Festlichkeiten
des englischen Hofes, bestehend aus halbdramatischen Dichtungen mythologischen oder alle-
gorischen Inhalts in Verbindung mit kiihnen Maschinerien, Musik und Tanz. Die Musik hatte
schon in den alteren Disguisings eine besondere Rolle gespielt, Tambour und Fifer waren darin
bezeichnende Gestalten gewesen, auch die Miracle-plays und Moral-plays hatten die Musik
nicht beiseite gelassen, die grofie Musikliebe des Englands der Konigin Elisabeth spiegelte sich
dann in den Spielen der konigl. Kapellknaben und im Maskenspiel, wie in der reichen
musikalischen Ausstattung des gesprochenen Dramas wieder. Die Stiicke von Shakespeare,
Ben Jonson, Beaumont und Fletcher zeichnen sich durch breiten Musikschmuck aus.
Die Maske hatte ihre BliitezeJt als literarische Gattung unter Ben Jonson, der von 1605
bis 1631 nahezu allein die Dichtungen verfafite und sie durch Einschaltung der komischen
Antimasque urn groteske Charakterszenen bereicherte, bei denen der Instrumentalmusik
dankbare Aufgaben erwuchsen. Mit Jonson arbeitete als Architekt Inigo Jones, die Musik
trat mit immer starkeren Kraften heraus, als die polyphone Kunst abklang und die Rich-
tung zum Sologesang machtig wurde. Die Monodie drang in Ayrs und Dialogues sehr rasch
r.ach England ein, wahrend der Chordialog schon fruher eifrig gepflegt worden war. Der Dich-
terkomponist (und Arzt) Thomas Campion, Alfonso Ferrabosco und Robert Johnson wurden die
ersten beriihmten Maskenkomponisteri, ihr Aufgebot an Sangern und Instrumentisten war dabei
mitunter ganz erheblich. Die Maske zu Ehren der Hochzeit des Lord Hay (1607) zum Beispiel,
zu der Campion die Musik schrieb,beschaftigte dreiverschiedene,getrennt aufgestellteOrchester :
A) 5 Lauten, 1 Bandora, 1 Trombone, 1 Harpsichord, 2Violonen; B) 9Violinen und 3 Lauten;
C) 6 Horner; aufierdem beim Eintritt des Konigs Oboen. Die Musik bestand aus Choren,
Dialogen und Einzelgesang zur Laute und hatte volkstiimliche Haltung. 1610 werden 69 Mu-
siker genannt. In der ,,Masque of Lords" (1613) versuchte Campion die Deklamation mit Mu
sik zu begleiten, ,,Mercury vendicated" (1 61 5) und ,,The golden age restored'* (1 61 6) waren aber
ganz gesungen, ebenso ,,The vision of delight" (1617), wobei die Vortragsweise ausdriicklich
stylo recitativo heifit. Im selben Jahr wurde auch das Spiel ,,Lovers made men" nach italie-
nischer Art im Rezitativstil gesungen. Diese Versuche, die vereinzelt blieben, machte Nicolas
Laniere, ein aus Greenwich gebiirtiger Musiker, Schauspieler und Maler italienischer Ab-
stammung. Neben ihm wirkten unter Karl I. Coperario (Cooper), Coleman, Ives und die B ru
der Lawes, Henry und William. Von Henry Lawes riihrt die Musik zu Miltons ,,Comus" her
(1 634), ausgebreiteter ist die Musik in Shirleys ,,Triumphe of Peace" beteiligt, die William Lawes
und Ives schrieben — sie ist unvollstandig erhalten und belegt die Fortfuhrung des Dekla-
mationsstils — , oder in D'Avenants ,,The Prince d'Amour" (1636), von beiden Lawes. 1636
geht da die Musik nach einem kurzen gesprochenen Prolog durch die ganze Maske hindurch,
Tanze und Gesange wechseln miteinander ab wie im Ballet de cour. Zur letzten Maske,
die vor dem Biirgerkrieg gegeben wurde (D'Avenants ,,Salmacida Spolia") setzte die Musik
ein Franzose, Louis Richard.
Die Oper in England bis 1740 659
Der politische Umsturz um die Mitte des Jahrhunderts hatte fur die Theatermusik ganz un-
erwartete Folgen. Unter dem Commonwealth waren zwar die Theater geschlossen, die Kirchen-
musik wurde von den Puritanern gliihend verfolgt, die Masken aber waren merit verhoten, die
weltliche Musik liefi man unbehelligt, ja Cromwell hatte fur diese Musik sogar Vorliebe. 1653
wurde Shirleys „ Masque of Cupid and Death" mit Musik von Mathias Locke und Christoph
Gibbons gegeben und spater wiederholt; mit Shirleys ,,Ajax and Ulysses", Musik von
E. Coleman (1653), bezeichnet sie das Ende der Maskenperiode. Auch die Musik zu „ Cupid
and Death" ist uns erhalten, allerdings in einer 1659 datierten Fassung, deren flussiges Re-
zitativ auffallt, wahrend von den folgenden Opernversuchen D'Avenants leider kein einziges
Notenblatt mehr Kunde gibt. Der Dichter Sir William D'Avenant, der auf seiner
Flucht in Paris Rossis ,,0rfeo" und wohl auch Corneilles ,,Andromeda" gesehen hatte, kam nach
seiner Rlickkehr nach London auf den Gedanken, das Drama in England auf dem Umweg uber
d i e 0 per wieder zur Geltung zu bringen. Er brachte eine Reihe opernahnlicher Stiicke zur Auf-
fiihrung. ,,The first days entertainment at Rutland house" (1656) waren lose Szenen, Dekla-
mation und Musik ,,nach Art der Alten" gemengt, eine Art Akademie unter Mitwirkung von
vier Komponisten. Ganz gesungen war dann ,,The siege of Rhodus", worm auch auf die
reiche Ausstattung der Maskenspiele gegriffen ist. Die Musik schrieben Henry Lawes, Cook,
Locke, Ch. Coleman und G. Hudson, die beiden letzten die Instrumentalmusik, der Vater Purcell
wirkte als Sanger mit (Mustapha). Diese erste englische Oper wurde vorbildlich fur die in der
Restaurationszeit modischen Heroic plays. In ,,The Cruelties of the Spaniards in Peru" (1658)
fiihrte D'Avenant auch die Pantomimen und burlesken Tanze der Antimaske ein, 1659 liefi er
noch ,,The history of Francis Drake" und ,,The Manage of Ocean and Britannia" folgen.
Die Maske wurde nun von der Oper verdrangt und sank in der Zeit nach der Restauration
zum Intermedium herab, das haufig in alte und neue Stlicke eingestreut ist. So war ernes der
popularsten Werke Purcells die ,,Masque of Cupid and Bacchus" in Shadwells Bearbeitung von
Shakespeares ,,Timon of Athen" (1694), zu der in der ursprunglichen Fassung von 1677/78
Grabu die Musik geliefert hatte. Auch Purcells ,,Dido and Aeneas" wurde als Maske in vier
Zwischenspielen 1700 einer Bearbeitung von Shakespeares Mafi fur Mafi eingelegt. Im
18. Jahrhundert taucht der Titel Maske bei Opern wieder auf, so bei Pepuschs ,,Venus and
Adonis" oder ,,Apollo and Daphne", bei Handels ,,Acis" usw. Unter Opera oder Drammatic
Opera verstand man in der Zeit nach D'Avenant ein gesprochenes Theaterstuck mit Musikem-
lagen. Eine italienische Operngesellschaft gab allerdings 1660 bei Hof Vorstellungen, 1662
wurde auch die ,,Belagerung von Rhodus" erweitert wieder gegeben, und seither blieb die
Oper standig in Pflege, aber fast durchaus mit gesprochenen Hauptteilen. D'Avenant
bearbeitete Shakespeare opernmafiig, ihm folgten Dryden und Shadwell, es war Mode, alle
Theaterstiicke in Opern umzuwandeln. Die Musik lag hauptsachlich in den Handen von
Mathias Locke und Henry Purcell. Die Tragodie ,,Psyche" von Shadwell und Locke,
die nach Molieres Ballettkomodie 1673 entstand, heifit im Vorwort des Musikdrucks von
1675 ,,The english opera", wobei Locke frei fur die Mischung von Musik und Sprechtheater
eintritt, die er seinem Land fur angemessen erklart. Neben Locke wirkten G. B. Draghi, der
Bruder Antonios, John Banister, Pelham Humfrey u. a. Daneben gelangte bei Hof die franzo-
sische Stilrichtung, dank der Matresse Karls, in Gunst, Lully schlug einen Antrag Karls aus, da-
fur liefi sich Cambert gewinnen und Louis Grabu schrieb fur London u. a. Drydens politische
660
Die Oper in England bis 1740
Oper ,,Albion and Albanius" (1685), die ganz durchkomponiert war. Dryden trat warm
fur die schwachlichen Produkte Grabus ein, wobei er bei der Vereinigung von Wort und
Ton in der Oper einseitig der Musik das Vorrecht zugesteht. Die italienische Musik behielt
aber gegenuber den franzosischen Einflussen im Urteil Englands die Oberhand, die
englisch-nationalen Bestrebungen hielten sich einstweilen lebendig und kamen in Henry
Purcell (1658—1695), dem grofiten englischen Komponisten, zu machtiger, weithin leuch-
tender Erscheinung.
Purcell tritt in den achtziger Jahren am Theater hervor, die zeitliche Folge seiner 54 Buhnen-
werke ist durch BarclaySquire gegenuber friiheren Vorurteilen einschneidend berichtigt worden,
sodafi wir nun erkennen, dafi zunachst nur vereinzelte Versuche entstanden, wahrend sich Pur
cells Haupttatigkeit in den letzten fiinf Lebensjahren des Meisters zusammendrangte, in Jahren
von wunderbarer Fruchtbarkeit. Lees ,,Theodosius" (1680) enthalt ziemlich viel Musikein-
lagen, in den Zwischenakten Gesang statt der Act-tunes, dann erfolgen nur einige Gelegenheits-
arbeiten, bis der erste grofie Wurf , zugleich das einzige ganz durchkomponierte Werk die eigent-
licheTheaterlaufbahn Purcells einleitet. Das ist Nahum Tates ,,DidoandAeneas", aufgefiihrt
1689 in der Pension des Tanzmeisters Josias Priest zu Chelsey. Es umfafite nach einer
franzosischen Ouvertiire einen Prolog — zu dem die Musik noch nicht gefunden ist — und drei
Akte mit vier Bildern. Durch die Vertonung ist die schwachliche Dichtung zu grofier Wirkung
gehoben, besonders sind es die zahlreichen, meist kurzen, schlagkraftigen Chorsatze, die f risches
Leben in die Darstellung bringen. Sie folgen dem Muster Lullys, auch in ihrer gern homopho-
nen Satzweise, iibertreffen es aber weitaus in der musikalischen Ausdruckskraft, die schon Han-
dels Wucht atmet, sowie in der haufigen Untermengung kontrapunktischer Partien, die auf An
them und Oratorium weist. Hier singt der gediegene Kirchenmusiker, wahrend andererseits
wieder oft die englische Volks- und Tanzmusik vorklingt, wie in den Synkopen dpr dreizeitigen
Rhythmen.
Dido and Aeneas. 1. Akt, Duett und Chor
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Fear no dan - ger to en - sue the He - ro lo - ves as well as you.
Gib dich ganz - der Freu - de hin, Ae - ne - as liebt dich, wie du ihn.
Das erste Bild enthalt so fiinf Chornummern neben zwei Arien, vierRezitativen und abschliefien-
dem Tanz — es ist tonartlich geschlossen (c-MolI — C-Dur) — , das zweite Bild, die wieder to
nal geschlossene Hexenszene (f-Moll — F-Dur) hat vier Chorstellen neben fiinf begleiteten
Rezitativen, einem Duett und Schlufitanz. SchluBchor und Furientanz sind auf den Echoeffekt
eingestellt, das Hohnlachen der Hexen erscheint zweimal im Verlauf der Szene, das zweitemal
transponiert, die Sorceress wurdespater BaBrolle. Hochdramatisch ist Abschieds- undTodesszene
im letzten Bild entworfen, in England schreckte man vor dem tragischen SchluB nicht zuriick.
Die beiden Chore, die Didos Klage umrahmen, geben ihrem Gesang den packenden Grundton.
Purcells Kunst in der technischen Beherrschung der Ostinatoarbeit ist in diesem beriihmten
Lamento mit seelenvoller Durchdringung der Deklamation gepaart. Bekanntlich liebte der
Meister die Ostinatovariation ganz besonders, die in dieser Oper in den grofieren Einzelge-
Die Oper in England bis 1740
661
sangen vorherrscht. Im ersten Bild singt Dido schon eine Ostinatoarie — zweiteilig, mit glei-
chem RefrainabschluC, —
Dido and Aeneas, I . Akt, Dido (Anf ang)
Jm dritten Bild folgt wieder eine solche mit gehendem Bafi. Daneben steht im ersten Bild nur
eine Da-Capo-Arie der Belinda. Diese Arie und Didos Lamento sind instrumental begleitet,
wahrend alle anderen Gesange Kontinuoarien sind, von Instrumentalritornellen geschlossen,
die die Arie oft sehr breit ausklingen lassen. Das Rezitativ ist reich an ariosen Partien, der Ab-
schied zwischen Dido und Aeneas bloB rezitativisch behandelt, in einer kurzen Duettpartie
gipfelnd. Auch sonst hat die Partitur mehrere Duette. In Rezitativ und Arie folgt also Purcell
der venezianischen Musik, wahrend das Ganze von seiner selbstandigen, reichen Personlichkeit
Zeugnis gibt, der eine gewisse Schwermut ihr besonderes Geprage verleiht.
Die Anregung zu Purcells einzigartigem Stilversuch der Didopartitur bot ihm sein Lehrer
John Blow mit der ,,Masque" ,,Venus and Adonis" (zwischen 1680 und 1687), die gleich-
falls im Stil der italienischen Kammerkantaten durchkomponiert ist und auf Grund dieser
Stilubernahme zu echter englischer Ausdruckskunst vortastet.
In den iibrigen Theatermusiken Purcells ist der musikalische Teil durchwegs nur Zutat zum
gesprochenen Drama, das also mit Lied- oder Choreinlagen, Instrumentalmusik, Zwischen-
aktsmusik, Tanz und ganzen grofien musikalischen Szenen durchsetzt ist. Die grofite Ausdeh-
nung haben diese Musikbilder in folgenden drei Stucken, die mit reicher Schaupracht im Dorset
Garden Theatre (Queens Theatre) aufgefiihrt wurden: ,,Dioclesian*' von Beaumont und Flet
cher, Einrichtung von Betterton (1 690), ,,King Arthur" von Dryden (1 691 ), ,,The Fairy Queen \
eine anonyme Bearbeitung von Shakespeares ,,Sommernachtstraum" (1692). In ,,Dioclesian"
ist die Kronung des Kaisers im 2., dann der Kampf mit den Persern im 4, Akt musikalisch reich
untermalt, mit vielTrompetenmusik, auch eincr Kontinuoarie mit obligaterTrompete, im 5. Akt
bildet die grofie Masque in C-Dur den Hohepunkt, ,,King Arthur" hat gleichfalls mehrere gro-
562 Die Oper in England bis 1740
Cere maskenartige Szenen, so die empragsame Frostszene (Cold Genius, Cupid und Chor), die
an Lullys Trembleurchor in Isis gemahnt, oder den Sturm auf dem britischen Ozean ; Nymphen
und Waldgeister tanzen und singen eine grofiangelegte Passacaglia; Shakespeares Geist lebt im
Elfendialog, der Arthur bald hierhin, bald dorthin lockt. Daneben wird vor Woden geopfert.
hort man Britons und Saxons kampfen, erschallt der zweistrophige Siegeschor der Bnten. Die
,,Fairy Queen" teilt leider an Purcell keinWort des Shakespeareschen Textes zu, alle Einlagen
sind neu zugedichtet. Sehr fnsch und in freier Form smd mehrere heitere Szenen entwickelt,
so die „ Scene of the drunken Poet", der ,,Dialogue between Coridon and Mopsa", die lustigc
Chinesenszene am Schlufi des Ganzen, die den Basso ostmato mehrmals verwendet und mil
einem frohlichen Trumpet Solo charakterisiert ist. Der bleibende Bafi fiihrt auch das Lamento
(Plaint) einer Da-Capo-Arie. Echt romantische Stimmung klingt aus den Nacht- und Elfen-
intermezzi, die mit Echos, Sordinen, Ostinatobassen, Fugatosatzen, Kanons u. a. arbeiten. Ein-
mal leitet eine grofie Symphonic ein, vier Satze mit einer breiten Canzona an zweiter Stelle.
Solche Symphonien streut Purcell auch sonst gern in seine Dramenmusiken ein, so gleich zwei
in ,,The Indian Queen" (1695), eines seiner letzten Werke, das sein Bruder Daniel beendigt hat.
Vor dem ersten Akt steht regelmaBig eine franzosische Ouvertiire, der noch eine First Music
(,,Fairy Queen"), eine First und Second Music (,,Dioclesian", „ Indian Queen") vorangehen,
meist mit Bezug auf den Prolog, der z. B. in der „ Indian Queen" ganz durchkomponiert ist
(Dialog zwischen einem Indianerknaben und einem Indianermadchen).
Neben und nach Purcell treten nur wenige Englander mit ernsthafter Theatermusik mehr her-
vor, z. B. John Eccles, alsbald warf sich London der italienischen Oper vollstandig in die Arme
— die franzosische Richtung hatte schon um 1690 ausgespielt. 1705 fiihrte Thomas Clayton,
ein vielgereister Mann, mit seiner ,,Arsinoe, queen of Cyprus" die italienische, ganz durchge-
sungene Manier ein. Der Text war englisch, stellt aber nur die Ubersetzung eines Librettos
von Tomas Stanzani vor, die Musik war grofienteils aus italienischen Partituren zusammenge-
klaubt. 1 707 folgte Claytons ,,Rosamond", Dichtung von Addison, der eine englische Oper nach
italienischem Muster versuchte, dabei an der schwachen Musik Claytons scheiterte. Inzwischen
war 1706 Bononcims ,, Camilla*' in Ubersetzung und mit Ersatzarien 1706 aufgefiihrt worden
— Ncapel 1 696, Wien 1697, wobei die Frage, welchem der beiden Bruder diese Oper zugehort,
noch nicht einwandfrei entschieden ist — , Opern von Scarlatti, Conti erfreuten sich groBen Bei-
falls. Die italienische Sprache, obwohl nicht verstanden, drang mit dem Jtalienischen Personal
ein, zunachst in den Arien, seit 1710 uberhaupt. Addison eiferte vergeblich gegen die italie
nische Opernmode, 1711 feierte Handel seinen ersten Triumph (,,Rinaldo"). Nach 1720 ist
London unter Handel ein Hauptplatz der italienischen Kunst, heimische Krafte halten sich von
der grofien Oper dauernd fern, doch regt sich scharfe Kritik in den Ballad operas, besonders in
John Gays ,,Beggars opera" (1727). Diese Gattung, die sich, wie die Opera comique, auf volks-
tumliche Lieder stiitzt, gewinnt ungeheure Verbreitung, hier und in Schauspielmusiken oder
Masken regen sich noch heimische Krafte wie Henry Carey oder Tomas Arne. Carey schrieb
auch Texte zu englischen Opern, die Deutsche vertonten (Lampe und Schmidt), der Preufie
Pepusch pafite sich gleichfalls den englischen Verhaltnissen an, Arne wieder setzte noch
1733 Addisons ,,Rosamond", 1738 Miltons ,,Comus" neu in Musik, Mehr als ortliche Be-
deutung gewinnen diese Stlicke nicht mehr.
Handels Opern 663
Literatur
G. E. P. Arkwright, Early Elizabethan Stage Music. The Musical Antiquary I, IV, — W. Barclay Squire,
Purcells dramatic Music, S. I. M. G. V. — R. Brotanek, Die englischen IVIaskenspiele. Wien 1902 (Wiener Beitrage
zur englischen Philologie 15). — G. Calmus, Die beggars opera. S. I. M. G. VIII. — F. Chrysander, Handel.
Leipzig 1858 (I. S.251ff.) ; H.Carey, Jahrb. f. rnus. Wiss. I. Leipzig 1863. — G. H. Cowling, Music on the
Shakespearian Siage. Cambridge 1913. — E. J. Dent, Foundations of English Opera. Cambridge 1928. — W. Nagel,
Geschichte der Musik in England, StraBburg 1894. — E. Naylor, Shakespeare et la musique. London 1896. —
H. Parry, Oxford History of Music III. Oxford 1902. — E. F. Rimbault, An historical sketch of the history of
dramatic music in England, Einleitung zu Purcells Bonduca, Mus. Antiqu. Soc. 1848. — P. Reyher , Les masques
anglais. Paris 1909. — R. Roll and , L'opera anglais au ]7e siecle in Lavignacs Encyclopedie II. Paris 1914.
Neuere Ausgaben
J. Blow, Venus and Adonis, hg. v. G. E. P. Arkwright in The Old English Edition. — Th. Campion,
Masque in honour of Lord Hayes, Klav.-Ausg. von Arkwright. London 1889 (vgl, M. f. M. 27, S. 27). — Pur eel I, Aus
gaben der Mus. Ant. Soc., Bd. 3: Dido, Bd. 7: Bonduca, Bd. 10: King Artur ( 1843). — Derselbe: Gesamtausgabe
der Purcell Society, gegriindet 1876: Bd.2: Timon (1882), Bd. 3: Dido (1889), Bd. 9: Dioclesian (1900), Bd 12"
Fairy Queen (1903), Bd. 16: Dramatic Music I. (1906), Bd. 19: Indian Queen, Tempest (1912), Bd. 20. Diamatk
Music II. (1916), Bd. 21: Dramatic Music III. (1917). — J. Gay u. Pepusch, The beggars opera. hcrnus<j
v. G. Calmus Berlin 1912. Robert Haa*
Handels Opern. Die zu dramatischem Ausdruck neigende Musik seines Halhschen
Lehrers Friedrich Wilhelm Zachow, Beziehungen zu dem benachbarten WeiiJenfels, dessen
Musikpflege in den deutschen Opern Johann Philipp Kriegers gipfelte, zuletzt auch freund-
schaftlicher Verkehr mit Georg Philipp Telemann, der im nahen Leipzig als Leiter und Konv
ponist der deutschen Mefioper tatig war, mogen die besondere Entfaltung einer eingeborenen
Anlage Handels gefordert haben: die dramatische Musik, zunachst fur Jahrzehnte die Oper
wird das Kerngebiet des Handelschen Schaffens.
In Hamburg, dem damals von Reinhard Keiser beherrschten Hauptplatz der deutschen
Oper, sucht Handel den Abschlufi der Hallischen Lehrjahre. Er erobert sich das Publikum
mit seiner ersten Oper ,,Almira" (1705), der wenige Wochen darauf ,,Nero" und spaterhin,
auf zwei Abende verteilt, ,,Florindo und Daphne" folgen. Nur ,,Almira'4 ist erhalten. Ihr
Text zeigt alle Zersetzungserscheinungen damaliger Hamburger Opernblicher: das Durch-
einander von Pathos und Posse, von angeblicher Hofluft und wirklichem Gassenduft, von
deutscher und italienischer Sprache. Die Handelsche Musik dagegen ist frisch und jugendlich.
Die vielfaltigen, doch meist knappen Formen der Hamburger Opern (vom ,,trocknen" und ,,be~
gleiteten" Rezitativ, der steifen Liedform des alteren Jahrhunderts, der lebendigen volkstiim-
lichen Lied- und Tanzweise bis zu den kunstvolleren dreiteiligen Formen, der freieren lied-
haften deutschen Arie und der mit Vorliebe kolo&turverbramten italienischen Da-capo-Arie)
einheitlich seelisch zu fallen mit personlichem Ausdruck, dazu fehlt es Handel noch an Kunst-
und Lebenserfahrung. Wo aber der Text wirklich an tragisches Schicksal riihrt oder an reines
Naturgefiihl, greifen doch schon personlichere, starke Klange ans Herz. Und schon diese
Jugendoper neigt, der Grundstimmung der Zeit gemaB, zu planvollem ZusammenschluB der
Einzelstiicke zunachst zu Paaren, aber auch dariiber hinaus zu grofjeren, symmetrisch ge-
bildeten Gruppen, bestimmt durch Gegensatz und Verwandtschaft der Affekte und Tonalitaten
innerhalb des Gesamtablaufs. Den Ban des klarsten und grofizugigsten 3. Akts veranschaulicht
564 Handels Opern
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folgender Plan, jedes Stuck durch Tonart und Taktart (Tempoangabe fehlt zumeist), die
Paare der Handlung durch Zahlen, Bildwechsel durch 1 bezeichnend :
Festlicher Aufzug
1 2a 2b
i i ; i i i
g B D d F F ;
Tanz Tanz Tanz
Wie jede Arie das Bleibende (Typische) einer Gemiitserregung aus der im Rezitativ
vorgetragenen Handlung heraushebt, so hebt das Gefuge der Arien das Bleibende des Ge-
samtablaufs empor zu reiner musikalischer Anschauung. Wie ja auch die Philosophic
dieses Zeitalters nicht nur das Bleibende in den veranderlichen Erscheinungsweisen der Dinge
und Ereignisse sucht (die essentiae in den modi, mit Spinoza zu red en), sondern auch das
System der Formen und Gesetze, welches das Bleibende des Weltganzen zu reiner philo-
sophischer Anschauung bringt.
Angesichts des Verfalls der ersten Biihne der deutschen Oper sucht Handel seine Weiter-
bildung Jn dem klassischen Opernland Italien. Die Mischung jugendlichen uberschwangs
mit dem Einflufi der zu klassischer Reife gediehenen italienischen Meister gibt den beiden in
Italien entstandenen Opern ,,Rodrigo" (Florenz 1707) und ,,Agrippina" (Venedig 1709) ihren
eigentiimlichen Reiz. Zwar nimmt die Mannigfaltigkeit der Formen ab, die Da-capo-Arie
Scarlattischer Pragung tritt die Vorherrschaft an. Aber Handel gewinnt dabei einen lebens-
volleren, flussigeren, grofizugigeren Ausdruck — eine Frucht des Umgangs mit Komponisten
wie den Scarlatti und Corelli, mit den Grofien der italienischen Gesangskunst und auch der
Versenkung in die italienische Volksmusik. Mehr noch als dem ,,Rodrigo" kommt das der
,,Agrippina" zugute, die, auch dank ihres Textbuchs, eines der starksten Sturm- und Drang-
werke der Opernbiihne geworden ist. Die zwischen den beiden Opern meist in den Kreisen
derArcadiaRoms undNeapels zumTeil geradezuals Opernersatzgeschriebenen Kantaten sind
nicht nur als Gedankenquelle fur spatere Opern, sondern fur die Durchgeistigung des Handel-
schen Opernstils iiberhaupt bedeutsam geworden, vor allem auch fur den Ausdruck schwe-
bender, pastoraler Stimmungen.
Bereits m Handels erster Londoner Oper ,,Rmaldo" (171 1) ist der Sturm- und Dranggeist
zu mannlich-reiferem Wesen erniichtert. Textlich und szenisch aber droht in diesem Schau-
und Spektakelzauberstlick dasselbe Verhangnis, dem Hamburg erlegen war: die Verpobelung
der italienischen Oper, die, zumal aufierhalb ihres Mutterlandes, nur als Kunst einer europaisch
gebildeten Gesellschaftsschicht moglich, hier dennoch Volksoper sein sollte. Jetzt steht der
Opernkomponist Handel vor der Aufgabe, eine Losung des Zwiespalts Gesellschaftsoper —
Volksoper zu finden. Er erprobt zunachst das in Italien Erlebte. Er tritt, mehr in Erinnerung
an die romische Arcadia als in Rticksicht auf das Londoner Publikum, fur die italienische Opern-
kultur ein mit dem ,, Pastor fido" (1712) — das Publikum bleibt kuhL Er packt es wieder mit
zwei nach dem Vorbild des erfolgreichen ,,Rinaldo" angelcgten Zauberopern ,,Teseo" (1713)
und ,,Amadigi" (1715). Aber er gibt dern ,,Teseo" mehr von der Kultur des Pastorale mit,
vor allem indem erden ublichcn Kchrausjubel zu jencm erclonthobcMU'n tiinzerischcn Schweben
Handels Opern 665
erhoht, das von nun an die Schliisse seiner Opern verklart. Auch der seltsame, einen ernsten,
schweren Operntext mit einer leichten, gliicklichen Kammermusik umgebende ,,Silla" (1714,
wohl nie aufgefiihrt) ist diesem Streben verwandt. Und er beseelt endlich im ,,Arnadigi" das
Zauberwesen: die liberlebensgroB-intrigantenhafte Zauberin wird tragische Heldin. Doch
erst die Griindung der ,,Koniglichen Akademie der Musik", eines Opern -Aktienunternehmens,
fiihrt Handel aus emem Leben in englischen Adelskreisen, das sich denn auch im Stile jener
Opern spiegelte, ganz in die Offentlichkeit. Nun erst setzt er sich selbst ganz fiir jene Aufgabe
ein. Der ,,Radamisto" (1720) begniigt sich zwar zunachst noch, auf dem bisherigen Wege
fortzuschreiten — vollig frei von Zauberspuk erscheinen nunmehr liber der Handlung die
sittlichen Ideen. Eine zweite Fassung der Oper aber bringt eine neue Wendung, am klarsten
im letzten Akt : dessen acht Arien mit Schlufichor sind aufier einer neunten Arie noch ein be-
gleitetes Rezitativ, ein Duett und ein Quartett zugefiigt. Die gleichformigeren Glieder der
italienischen Architektur werden von innen heraus bewegt — selbst auf Kosten der Klarheit
des Gesamtbaus. Neben die einfachen, stehenden Affekte der Arien alter Art treten nun
haufiger Ballungen von Affekten in mehraffektigen Arien, in Ensemblesatzen (doch aufier
dem schon eingebiirgerten Duett nur selten), in Choren, ja selbst bewegte Empfindungen, vor
allem in begleiteten Rezitativen, als Bausteine der Architektur. Der Handelsche Orchestersatz,
von Haus aus kontrapunktisch reicher und feingliedriger als der der Jtalienischen Oper, kommt
dieser Entfaltung entgegen. Dies alles ist wohl nicht nur Anzeichen einer Wandlung des Zeit-
stils, sondern hauptsachlich, wie auch jene zunehmende Neigung, das Ethos den Affekten iiber-
zuordnen, Ausdruck einer Germanisierung der Oper. Und ebendeshalb ist es ein wesentlicher
Schritt von der italienischen Gesellschaftsoper zur deutsch-englischen Volksoper.
Voriibergehend hemmt auf diesem Wege das Erscheinen Giovanni Battista Bononcinis in
London, der auf andere Weise, durch kleingliedrige, leichte, liedhafte Formen zu einer volks-
tiimlichen Oper zu gelangen schien. Handel gibt zunachst in seinem 3. Akt der Wettbewerbs-
oper ,,Muzio Scevola" (1721) ein bis dahin unerreichtes Muster in der Verbindung seiner
eigenen Kunst, schwierigste seelische Probleme musikalisch zu bewaltigen, mit italienischer
Formklarheit. Der Plan dieses Aktes kennzeichnet die seit der ,,Almira * erreichte Vollendung
des symmetrischen Aufbaus. Als dessen charakteristische, noch mannigfaltiger und zugleich
gedrangter als in der ,,Almira" ausgepragte musikalische Ziige erscheinen tonale Nachst-
verwandtschaft innerhalb der Einzelpaare, Gegensatzwirkung durch Tonalitatsspriinge,
Spitzenbildung in der Mitte, Verklammerung durch tonale Beziehungen iiber die Paare und
Gruppen hinweg:
Ouv. ' I
g F D
Entwicklung der tra- gischen Handlung.
Die nachsten Opern, ,,Floridante ' (1721), ,,0ttone ' (1723) und ,,Flavio" (1723) nahern sich
Bononcinis Art, mit gliicklicherem Ergebnis nur der ,,0ttone", der denn auch bezeichnender-
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Chor
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.( Idyll ) ....
_ — -
Handels Opern
weise .
j Handels volkstiimlichste, aber nicht eigenste Oper geworden ist. Dann aber erhebt sich
Handel mit ,,GJulio Cesare" (1724), der die Ergebnisse der bisherigen Entwicklung kiihn zu-
sammenfafit und steigert, mit dem noch strenger durchgearbeiteten tragischen ,,Tamerlano"
(1724) und, nach den erregteren Architekturen dieser beiden, mit der klassisch geklarten
,,Rodelinda ' (1725) zu Gipfelwerken seines eigenen neuen Stils, bedeutsam fortschreitend zur
Bildung grofier, musikalischer Szenen aus symphonischen, rezitativischen und ariosen Bestand-
teilen oder auch in Verbindung mit Arie und Chor. ,,Scipione" (1726), ,,Alessandro" (1726),
,,Admeto" (1727) und ,,Riccardo I." (1727) folgen ihnen darin, doch nur der durch besondere
Innigkeit ausgezeichnete ,,Admcto" stellt sich ihnen an Kraft und Eigenart zur Seite. Not-
wendige Rucksicht auf zwei streitbare Primadonnen (Cuzzoni und Faustina) mochte seit dem
,,Alessandro" hemmend wirken, doch ist andererseits die Musik dieses ,,Alessandro" in aufier-
gewohnlichem Mafie von der Schonheit und Kunst der prachtvollen Gesangsstimmen an-
geregt. Eine Art Gegenstiick hierzu ist der ,,Tolomeo" (1 728) mit seiner durch ganz besondere
Frische und SuBe auffallenden Melodik — Handels Antwort auf die Bettleroper, jene volks-
tiimliche Opernparodie, welche im Verein mit andern, politischen und nationalistischen Geg-
nern die Akademie zu Fall brachte. Inzwischen werden, seit 1724, Einflusse der neuesten
italienischen Opernmusik, vor allem des dramatischen Alfrescostiles Leonardo Vincis spiirbar,
ohne Handels Wegrichtung zu verandern. Da erfolgt 1728 mit ,,Siroe" und ,,Tolomeo"
plotzlich ein Riickschlag zur italienischen Arienoper, offenbar veranlafit durch den in den
Rezitativen redseligeren, in den Arien, zumal den Gleichnisarien abstrakteren Siroetext des
jungen Metastasio. Metastasio aber, der an der italienischen Gesellschaftsoper festhalt, sie
nur in neuer Art empfindsam literarisiert, wird der Operndichter Europas fur das nachste
Menschenalter. Auch hier ist eine Gegenkraft, die auf das weitere Schicksal der Oper Handels
entscheidend einwirkt.
Unter den 6 Opern, die Handel fur die bald nach dem Zusammenbruch der erst en ge-
grundete zweite Akademie schreibt: ,,Lotario" (1729), ,,Partenope" (1730), ,,Poro" (1731),
,,Ezio" (1732), ,,Sosarme*s (1732) und ,,0rlando" (1733) sind zwei metastasianische: ,,Poro'*
und ,,Ezio". Ihre reiche und schone Musik zeugt von der Anregungskraft der poetischen
Gedanken und der musikalischen Sprache des Dichters. Die andern aber haben wieder die
reichere Handelsche Szenenbildung, vor allem ,,Partenopets und, am kiihnsten, ,,0rlando*\
dessen Text Handel wohl deshalb so stark anregte, weil er die Idee des aus dem Gegensatz
der Geschlechter entspringenden Kampfes zwischen Heldentum und Liebe durch eine ins
Symbolische erhobene Zauberhandlung besonders rein darstellt, wahrend sie den meisten
andern Opernblichern nur abgeschwacht oder verderbt zugrunde liegt. Am Ende dieses Zeit-
abschnitts kommt Handel wieder zum Oratorium, dort findet er schliefilich freiere Rahn fur
seinen Weg. Noch aber flihrt Handel den Kampf urn die Oper (schon um seiner Ehre willen)
weiter, da seine Gegner ihm ihre eigne Oper entgegenstellen. Nach der ,,Arianna" (1734)
nutzt er voriibergehend in einer Neubearbeitung des ,,Pastor fido", einem Pasticcio ,,0reste",
in ,,Ariodante*' (1734) und ,,Alcina" (1735) die Anwesenheit franzosischer Tanzkiinstler zur
Einfiihrung von Ballettszenen nach franzosischem Vorbild. Unter den so bereicherten, prachtig
und breit angelegten Opern ist,,Alcina" — amstarksten in der Idee — wiederum dem Problem
Heldentum und Liebe zugewandt, wiederum auch musikalisch die starkste. Es folgen, bis das
Unternehmen fast gleichzeitig mit dem der Gegenoper zusammenbricht, eine Reihe von
Die Oper in Deutschland bis 1750
Werken wechselnden Charakters, meist in breiten, ruhigen Formen gehalten : ,,Atalanta" (1 736),
em festliches, mit Choren ausgestattetes Schaferspiel, darauf in einem Jahre (1737) der farb-
losere ,,Arminio", der grofier und tiefer angelegte ,,Giustino" und ,,Berenice", die mitunter
schon die weiche Schwarmerei Johann Christian Bachs vorausnimmt. Und noch mehr als
diese laBt die letzte Folge Handelscher Opern erkennen, dafi eine gemeinsame Zielrichtung
f lir die Opern fehlt, da nun das Oratorium in den Vordergrund des Handelschen Schaffens ge-
treten 1st. ,,Faramondo" (1738) lauft nach einer vielversprecbenden Ouvertiire und einer
Eingangsszene in gewbhnlichen Ariengeleisen weiter. Z\vei Pasticcios, ,,Alessandro severe"
(1737) und ,Jupiter in Argos" (1739), folgen. Dazwischen stellt ,,Serse" (1738) alte Ham
burger Erinnerungen neben jiingste Romanzenklange — eine Komodie menschlicher Liebes-
wirren, erhoben in den hohen Raum pantheistischer Geistigkeit. Dber dem kleinen ,,Imeneo"
(1740) liegt zarte, glikkliche Schaferstimmung — ein letztes Pastorale auf der Opernbuhne.
,,Deidamia" endlich beschliefit (1741) das Opernschaffen Handels mit einer letzten reifen
Gestaltung seines Lieblingsproblerns Heldentum und Liebe ; befruchtet von der Buffooper,
strebt sie, wie vordem ,,Serse", iiber diese hinaus, sucht Tragik und Humor auf hoherer
Ebene in einem wahrhaften Dram ma giocoso zu vereinen.
Literatur
Samtliche erhaltenen Opern Handels sind neugedruckt in der Gesamtausgabe der Deutschen Handelgesellschaft
Lief. 55 — 94, davon ,,Muzio Scevola" (64) und ,,Alcina" (86) mit deutscher Ubersetzung und Klavierauszug. Aufier-
dem sind im Klavierauszug mit deutschem Text neu veroffentlicht von Victorie Gervinus nach obiger Ausgabe
,,Floridante" (Breitkopf & Hartel), von OskarHagen in moderner Bearbeitung ,Julius Casar", ,,Rodelinde", ^Xerxes"
(Peters) und ,,0tto'* (Chrysander), von Herman Roth ,,Tamerlan" (Breitkopf & Hartel), von Franz Notholt ,,Ezio*'
(Benjamin). Die Texte zu ,,Rhadamist", ,,Sosarme" und ,,0rlando" (dieser auch in neuer Bearbeitung von
Hans Joachim Moser) sind in deutscher Ubersetzung von G. G. Gervinus erschienen.
Chrysander, Fr.: G. F. Handel I, II. — Abert, H.: Handel als Dramatiker. (Mitteil. des Universitatsbundes
Gottingen III, 17ff.). — Steglich, R.: Handels Oper ,,Rodelinde" und ihre neue Gottinger Biihnenfassung
(Ztschr. MW. Ill, 518ff.). — Derselbe: Handels ,,Xerxes" und die Gottinger Handel-Opern Festspiele 1924
(Ztschr. MW. VII, 21 ff).
Rudolf Steglich
DIE OPER IN DEUTSCHLAND BIS 1750
Die deutsche Schweiz und Siiddeutschland sind durch die umfassenden Klarstellungen Wil-
helm Meyers als Wiege des mittelalterlichen geistlichen Schauspiels gekennzeichnet, das
auf der St. Gallener Tropen- und Sequenzbewegung fufit. Es war anfangs ganz durcKgesungen
und wurde also mit Recht besser geistliches Singspiel genannt. Das WeihnacKtsspiel geht von
Tutilos Tropus ,,Hodie cantandus" aus, es umfafite die Hirtenszene, dann die der drei Weisen
bei Herodes und den Kindermord, mit der an Notkers Sequenz ,,Virgo plorans*' angescblossenen
Rachelklage, die Osterfeier vom Tropus ,,Quem quaeritis", sie wurde zur umgedichteten Frauen-
szene am Grab nebst Apostellauf erweitert und durch die Sequenz Wipos ,,Victimae paschali*'
43 H. d. M.
Die Oper in Deutschland bis 1750
am Schlufi gesteigert. In Schubigers ,,Spicilegien" ist die Musik dieser Gestaltungen zugang-
lich, z. B.
Osterfeier, Kloster Engelberg, 13. Jh.
chro, o chri - sti - co-lae?
In ihrer dramatischen Einstimmigkeit sind die genanntenTropen, dann Antiphonen und Se-
quenzteile verbunden. Ober Limoges drang die St. Caller Kimst in Nordfrankreich em, iiber
die rheinischen Lande und die Niederlande breiteten sich die Mysterien bis nach England aus.
In Siiddeutschland gehen mit textlichen Neuschopfungen musikalische frtihzeitig Hand in
Hand, die deutschen Ubersetzungen werden die Hauptsache, das Volk nimmt mit ,,KindeI-
wiegenliedern" oder abschliefienden Gemeindegesangen teil, so ist das Lied,, C 'iris t ist er-
standen" schon im 12. Jahrhundert in Bayern und Osterreich belegt.
Die Osterfeier f indet durch Zusatz der Magdalenen- und Kramerszenen, sowie durch Mantm-
klagen ihre Erweiterung zum Osterspiel. Christus selbst erscheint auf der Mysterienbuhnt-,
die Holle, Erde und Himmel gleichzeitig darstellt, das Passionsspiel greift auf deutschem Boden
selbstandig weiter aus, das gesprochene Theater dringt dabei vor, die Musik behalt aber einc
hervorragendeStellungbei, die oft weit iiber das imTextVerlangte hinausging, wie die ^Rodel"
des Luzerner Osterspiels (Auffiihrungsanweisungen) dartun. Eigene Korperschaften werden
zu seiner Pflege gegrtindet, besonders in Siiddeutschland wachsen ungeheuer beliebte Volks-
schauspiele grofi, die bis ins 18. Jahrhundert, in Resten noch bis heute reichen.
Das protestantische Deutschland nimmt das Beispiel der geistlichen Spiele auf, Meister-
singer, Handwerkergilden, Lateinschulen, Kantoreigesellschaften pflegen das Theater, in Mo-
ralitaten, Fastnachtsspielen, Schul- und Studentenkomodien ist der Musik mehr oder weniger
breiter Raum gegonnt! Die liturgische Choralpassion selbst wird von Luther beibehalten, von
J. Walther musikalisch festgelegt, wobei die alten Formeln in einfacher Gestalt gewahrt sind,
die Turbasatze unter Einf luB der Obrechtschen Motettenpassion falsobordonoartig mehrstimmig
ausgesetzt werden, mit dem Passionston als Cantus firmus im Tenor. Auch die Spuren der
protestantischen Choralpassion reichen bis in die Gegenwart. Im Humanisten- und Schul-
drama des 16. Jahrhunderts tritt die Musik zuriick, immerhin sind zumindest Chorsatze so-
wohl nach antiken Vorbildern wie nach Muster der italienischen Hoffeste ein wichtiger Be-
standteil. Die metrisch antikisierende Satzweise, die Celtis veranlafit, Tritonius, Hofhaymer
und Senfl von Wien aus eingefiihrt haben, dringt hier in weite Kreise, bis in die Schweiz und
die Niederlande. Der Chor 'ist zumeist in den Zwischenakt gebannt, daneben hat auch das
Drama selbst musikalische Einlagen. Reuchlins Henno (,,Scenica Progymnasmata"), der Aus-
gangspunkt des deutschen Humanistendramas, hat bei der Erstauffuhrung in Heidelberg 1498
an vier Aktschltissen, also in den Zwischenakten, einstimmige Chore von Daniel Megel, die
Wiener Ausgabe von 1523 dann drei- und vierstimmigen Satz, wobei Megels Weisen in ver-
schiedenen Stimmen durchlaufen, em Chor auch einen Proporzteil (Tanz) im dreiteihgenTakt.
1501 wird in Linz der ,,Ludus Dianae* von Celtis vor Kaiser Max gespielt, em Festspiel nach
italiemschem Muster; die Chore folgen Reuchlins Verwendungsart, der Satz ist meist Note
gegen Note im Anschlufi an das Textmetrum. 1507 gab Tritonius seine Melopoiiae von Wien
Die Oper in Deutschland bis 1750
aus heraus, 1515 ist seine Satzart im Schulspiel des Schottenabts Benedict Chelidonius: ,,Vo-
luptatis cum virtute disceptatio" in Wien iibernommen. Liliencron hat diese ersten Versuche,
sowie viele spatere Chormusik des Schuldramas mitgeteJlt, ihre metrische Behandlungsweise
reicht bis weit an das 1 7. Jahrhundert ; auch Prufer gibt Beispiele, so die reichhaltige Musik von
Johann Cless zu ,,Aiax Lorarius", Strafiburg 1587. Das katholische Schuldrama Siiddeutsch-
lands, insbesondere das Jesuitendrama nahm dann im 17. Jahrhundert bald an den Rezitativ-
stil Anlehnung. Auch die Schweizer Volksschauspiele, die im 1 6. Jahrhundert zunachst unab-
hangig vom Humanistendrama starke Verbreitung fanden — ihre Darsteller waren Burger,
nicht Schiller — , batten viel musikalische Ziige, insbesondere tat sich darin die Instrumental-
musik hervor.
Ebenfalls reichlich mit Musik durchsetzt waren die Stiicke der englischen Komodianten, denen
die englischen Instrumentisten vorangingen. Hier sind die Muster fur Jacob Ayrers ,,Singet-
spiel", das nach einer Melodie die ganze Komodie bankelsangerartig absingen lafit. (S.S.641). Im
1 7. Jahrhundert war liberhaupt das Schauspie 1 , wie in England, mit Musik derart verquickt,
dafi der Ubergang zur Oper verfliefit, die Grenzen zwischen Oper und musikalischem Schau-
spiel oder Singekomodie keine s chart gezogenen sind, sondern fur dasselbe Stiick ofters mehrere
Bezeichnungen gelten. An Hofen und in Stadten bleiben das ganze Jahrhundert hindurch
nebeneinander allegorische Festspiele, Schaferspiele, Mischspiele, Gesangspiele, Waldkomo-
dien, Aufziige, Ballette, Tanzspiele, Wirtschaften, Konigreiche, Maskeraden, Turniere, Actus
oratorii u. a. beliebt, und zwar vor und neben der Oper, zu der sie iiberleiten.
Wie in Frankreich und England zeigt sich auch in Deutschland die Neigung eingewurzelt,
das Sprechtheater mit Musik zu iiberbauen, wahrend die ganz durchmusizierte Biihnen-
form nur allmahlich <ius Italien einzieht und Jmmer wieder vor der Mischung mit gesprochenem
Vortrag zuriicktritt. Andererseits ist in Deutschland der musikdramatische Stil Italiens viel
frtiher als sonstwo in grofiem Mafie anerkannt und nachgebildet worden, leider hat es das po-
litische Ungliick des deutschen Volkes mit sich gebracht, dafi eine groBe nationale Opern-
bewegung damals daraus nicht voll erwachsen konnte, wie sie in Frankreich der Italiener Lully
angeregt hat. Vielmehr wird der deutsche Boden, dem so reiche instrumentale und geistliche
Kunst entsproB, im Theaterleben zu gutem Teil Tummelplatz italienischer Krafte, deren Art
sich mancher deutsche Kiinstler wohl oder iibel anschlieBen mufite. Unterstiitzt wurde dieser
Verlauf durch eine gewisse anfangliche Geringschatzung der dramatischen Monodie in der
Kunstanschauung des technisch hochstrebenden deutschen Musikers, dem die geistliche Vo~
kalkunst und die Instrumentalmusik ungleich schwierigere und reichere Aufgaben boten;
auch erhielt sich, insbesondere im protestantischen Norden, lange die Ansicht von der Musik
als einer vorwiegend geistlichen Kunst, und diese Vorliebe fur kirchliche Musik brachte denn
auch das geistliche Musikdrama in Deutschland zu besonderer Entfaltung, das Oratorium aber
zu seinen groBen deutschen Kunstwerken. Der Mangel einer einheitlichen und ruhigen Ent-
wicklung in der deutschen Operngeschichte wird allerdings reichlich wettgemacht durch ihre
aufierordentliche Gestaltenfiille, sie umfaBt ja auch hochwichtige italienische Partien.
Die Wxirdigung der deutschen Kunst ist dabei sehr erschwert durcK den bedauerlichen Urn-
stand, daB die meisten Partituren deutscher Herkunft des 17. Jahrhunderts verschollen sind,
so gleich die dramatischen Arbeiten von Heinrich Schiitz, die die deutsche Oper so be-
deutungsvoll eroffnen. Fiir eine sachsische Hochzeit in Torgau schrieb Schiitz 1627 mit dem
43*
670 Die Oper in DeutscKland bis 1750
Haupt der schlesischen Dichterschule, Martin Opitz, zusammen die Oper ,, Daphne", die
Rinuccinis Dichtung mit kleinen Anderungen verdeutscht. Es war also der Anlage nach eine
Choroper Florentiner Art, wohl mit Hauptgewicht auf dem Chorsatz. Furs Rezitativ geben
allerdings die Passionen des Meisters mit ihren freien, unbegleiteten, ausdruckstiefen Gestal-
tungen ein vielsagendes Gegenstiick. Die grofien dramatischen Fahigkeiten Schiitzens be-
leuchtet auch eine erhaltene Chorszene aus dem gleichen Jahr 1627 (Da pacem), wo dem in
der Kirche urn Frieden flehenden Volk ein zweiter Chor aufierhalb der Kirche entgegentritt,
der den Jubel der Menge beim Einzug der Kurfiirsten schildert. Schon 1617 hatte sich Schiitz
mit einem Dialog ,,Apollo und die neun Musen" dramatiscH versucht, 1 638 folgte das Ballett
,,0rpheus und Eurydike", gedichtet von Buchnen Opitz schrieb 1635 noch eine ,Judith",
mit Choren von Matheus Lo wens tern, ein vorwiegend gesprochenes Stiick, das an Schul- und
geistliches Drama anschliefit. Auch ein anderer fiihrender Kopf der deutschen Literatur,
Philipp Harsdorfer, griff das italienische Drama per musica auf, in seinen Gesprachsspielen,
Niirnberg 1644, stehen mehrere ,,Freudenspiele", die sich an Moralitat und Schulstiick halten.
Die Musik dazu setzte Sigmund Gottlieb Staden (1607 — 1655), das Hauptspiel ist das geist-
liche Waldgedicht ,,Seelew£g", das durchaus gesungen wurde. Zum eigentlichen Rezitativ
sind aber hier nur ungelenke Ansatze vorhanden, auch der Chor ist gemieden, Strophenlieder,
Wechselgesange, durchkomponierte Stellen reihen sich schwerfallig aneinander. Zweimal sind
Sonette zu bewaltigen, eine Nachtigallenarie wird gesungen, Echowirkungen, Madrigalkoloratu-
ren, auch Choralmelodien sind eingestreut. Ganz anders sieht die Komposition des gleichen, sehr
beliebten allegorischen Stoffes aus, die ungefahr gleichzeitig das italienische ,,Dramamusicum"
des Kaisers Ferdinand III. in Wien zeigt(1649). Es stellt einen bedeutsamen selbstandigen
Versuch im Venezianer Stil vor, mit ariosen Sekko- und Akkompagnatorezitativen, Strophen-
arien mit vollem Orchester oder mit Kontinuo allein, Sonaten, Duett- und Quartettsatzen.
Der osterreichische Hof hatte die italienische Oper auffallend bald eingefiihrt, zur Zeit, wo
der niederlandische Musikeinflufi vom welschen abgelost wurde. 1626 werden aus Mantua,
der Heimat der Kaiserin, Sanger verschrieben, wohl die Truppe der Fedeli, die in Wien singen
und spielen, 1627 in Prag eine Musikpastorale auffiihren. Unter Ferdinand III. (1637—1657)
lehnt sich Wien alsbald mit grofien Auffuhrungen im Tanzsaal am Tumblplatz an das Vene
zianer Muster an, dessen Grofimeister zum kaiserlichen Hof in Beziehung treten. Monteverdi
hat personliche Verbindung mit dem Herrscherpaar, sein ,,Ritorno d'Ulisse" erfahrt eine Neu-
fassung ftir Wien, von Cavalli erlebt man hier die Erstauffiihrung eines seiner fruhen Werke
C,L'Egisto" 1642), Cesti wird spater kaiserlicher Vizekapellmeister. 1653 erregt die Wiener
Hofoper am Reichstag zu Regensburg grofies Aufsehen, wo Giovanni Burnacini ein zerlegbares
Opernhaus mitbringt. Im gleichen Jahr veranlafit der Besuch des Kaisers in Munchen die
erste Opernvorstellung (,,L'arpa festante" von Maccioni), an die sich andere dramatische Kan-
taten und Ballette von Zambonini und Wendler, Opern von Johann Kaspar Kerll (1 627—1 693)
anreihen, alle italienisch. Daneben waren hier die lateinischen geistlichen Spiele lebendig, wie
die in Paris erhaltene ,,Co media sacra Philothea" von 1643 bezeugt, die 1658 wiederholt
wurde, die Jesuitendramen waren uberhaupt in Siiddeutschland im 1 7. Jahrhundert opern-
mafiig ausgestaltet, und zwar in der Nebenhandlung, die neben dem gesprochenen Hauptstiick
emherlauft. So insbesondere die Ludi caesarei in Wien, liber die zahlreiche Partituren der
Leopoldinischen Zeit Kunde geben (von Staudt, F. T. Richter, Zacher u. a.). Hierher gehort
Die Oper in Deutschland bis 1750
671
auch das einzige dramatische Produkt Kerlls, das sich erhalten hat — von seinen Miinchner
Opern wie dem Eroffnungsstiick des Opernhauses ,,1'Oronte" 1657, .,,rErinto" 1661 u. a.
sind nur die Textbiicher iiberliefert — : die Legende der hi. Natalie OJPia et fortis mulier",
Wien 1677). Hier spiirt man starke dramatische Krafte, besonders im 5. Akt, wo Aeolus mit
einem Bafiquartett der Winde die Flucht der Heiligen zu hemmen sucht,
Quatuor Venti
1. U - lu - la- bo
2. Si - bi - la - bo
tr
1. U - lu-la-bo
2. Si-bi - la-bo
3. Et to-na
4. bo - a -bo. bo - a
bo
bo
et to-
oder in der bald darauffolgenden Schlummerszene der Heldin.
Cantus pro conciliando somno (mit Violen)
Das Drama als solches ist ganz gesprochen, die Musik betrifft wieder nur allegorische Zwi-
schenhandlungen und einige wenige Einlagen. Auf die opernhafte Ausbildung des Schuldramas
im deutschen Siiden weist auch ein Seitenblick nach Salzburg, wo die Spuren der Oper bis
1618 zuruckfiihren und spater Manner wie Georg Muffat und Franz Heinrich Biber das
Theaterwesen der Benediktineruniversitat und des erzbischoflichen Hofes fordern.
In Wien hebt sich die Oper unter Leopold I. (1658—1705) zu vollem Glanz, der unter
Josef I. und Karl VI. sorgsam gewahrt wird. Sie bleibt weiter ganz in Handen der Italiener,
es werden nur deutsche Textiibersetzungen von eigenen deutschen Hofpoeten verfertigt. Die
ungleich wohlbestallteren welschen Hofpoeten legen ihre Libretti, die bald in der ganzen Welt
Ansehen gewinnen, grofienteils als prunkvolle Ausstattungsstucke an, die Lodovico Burnacini
in glanzende Biihnenbilder umsetzt. Antonio Bertali, Felice Sances vertonen sie auch unter
diesem Kaiser, der die Pracht des franzosischen Hofes iiberbieten wollte und besonders seine
Hochzeiten mit grandiosen Prunkopern feiern liefi. War nach Paris Cavalli berufen worden,
so sicherte sich Leopold einen Marc' Antonio Cesti , der iiber Innsbruck nach Wien kam und
hier 1666—1669 in kaiserlichen Diensten stand. 1666 schrieb er das Festspiel ,,Nettuno e
Flora" und die Festoper ,,11 Porno d W, fur die ein riesiges Holztheater auf der Cortina
gebaut wurde. Sie wurde aber erst 1668 aufgefuhrt. Schon der groCe Chorprolog, dessen
Eingangschor in der Sinfonia als Mittelsatz anklingt, nimmt eine Sonderstellung in der
halienischen Opernliteratur ein, im iibrigen ist die Part itur wieder vorwiegend solistisch, sie
672 Die °Per in Deutschland bis 1750
hat verhaltnismafiig wenig Rezitativ, viele kurze Arien und Ariosos, zahlreiche Symphonien.
Die geschlossenen Arien sind meist Strophenlieder, wobei die emzelnen Strophen an ver-
schiedene Personen verteilt sein und Veranderungen erfahren konnen ; sie sind auch nicht immer
tonal geschlossen. Die Strophe selbst folgt gern der bei Cesti beliebten zweiteiligen Form
mit Wiederholung des zweiten Teils, die auch die grofitangelegte Arie beherrscht, namlich
den pathetischen, instrumental begleiteten Eroffnungsgesang Proserpinas. Das Orchester ist
nach der Stimmung abgetont, so begleiten die Infernoszenen Zinken, Posaunen, Fagotte und
Regale. Wie die meisten Opern seiner Zeit enthalt der Pomo d'oro eine vom Kaiser selbst
vertonte Szene.
Neben Cesti stehen andere Venezianer, wie P. A. Ziani (der Altere), von 1669 an beherrschen
aber durch fast drei Jahrzehnte Antonio Draghi aus Rimini und sein Textdichter Nicolo
Minato das Hoftheater nahezu allein. Sie arbeiten mit ungeheurer Leichtigkeit, so dafi Draghi
liber 200 Biihnenwerke nachgezahlt werden, darunter mehrere komische Opern, wobei er an-
fangs auch Texte selbst verfertigte. Fliichtigkeit und eine gewisse Trockenheit kennzeichnen
die zumeist nur als Gedachtnisbehelf hingeworfenen Partituren, deren Skizzen schon aufierlich
eine streng konservative Gesinnung kundgeben, die weit in eine garende Zeit hinein sich be-
hauptet. Wichtig ist die Rolle der Blasinstrumente in Draghis Orchester, sowie die eigen-
artige solistische Verwendung der Blaser, die die Wiener Instrumentierungen bis in vicl spatere
Zeit auszeichnet. Sorgfaltiger notiert und gediegen wirken Draghis Sepolcromusiken, die fur
szenische Karfreitagsvorstellungen in der Hofkapelle bestimmt waren und eine Mittelstellung
zwischen Konzert und Theater einnehmen. Bei Sepolcro und Oratorium tauchen in Wien auch
Versuche in deutscher Sprache auf , wahrend auf dem Theater nur schwache Ansatze zu deu tscher
Textgestaltung vorkommen, wie in mehreren Komodienmusiken des Kaisers selbst. Deutsche
Komponisten waren einstweilen auf einen schmalen Pflichtteil im Ballett gesetzt, wo be-
sonders J. H. Schmelzer die heimische Volksmusik nicht verschmahte, wahrend auch fruV
zeitig (1661) franzosische Vorbilder in Wien eindrangen.
Auch in Miinchen entwickelt sich die Oper nach Kerll vollig italienisch weiter, 1 674 wird
der Romer Ercole Bernabei Hofkapellmeister, auch sein Sohn tritt in bayrische Dienste, ganz
besondere Bedeutung gewinnt aber Agostino Stef fani aus Venetien (1654—1728), der Schii-
. ler Kerlls, der in Miinchen aufwuchs. Seine 18 Biihnenwerke, die zwischen 1681 und 1696,
1 707 und 1 709 entstanden — er wurde der Musik durch seine diplomatische Tatigkeit lange
entzogen — , und zwar in Miinchen, seit 1689 in Hannover, endlich far Diisseldorf, haben in
der Operngeschichte Deutschlands ein Gewicht, das mit Lullys Auftreten in Frankreich ver-
ghchen worden ist. Seine kiinstlerische Verwendung der gebundenen Schreibart wurde vor~
bildhch, als einer der ersten vollgiiltigen Vertreter der ausgesprochenen Arienoper riickte er
betrachtlich von der alteren Venezianer Art ab; die Da~Capo-Arie, mit Devise, herrscht in
knappen Gebilden vor, vielfach mit ausgearbeiteter Instrumentalbegleitung, das Ritornell wird
selbstandig ausgebaut vor oder nach der Arie abgespielt, manchmal trennt sogar ein Sekko
diese symphonische Wiederholung der Hauptziige der Arie von ihr selbst, das Rezitativ ist
nun sinnfallig von der Arie geschieden. Dabei wird in Miinchen besonders der ostinate Bafi
noch auffallend stark gepflegt, sowohl in eigenen Arien als auch in den Da-Capo-Formen, aber
auch andere Arienformen sind gewahlt, z. B. in ,,Alcideu eine dreisatzige. Ahnlich wie bei Le-
'grenzi werden stets mehrere Duette eingeflochten, die kunstvollen Satz entfalten. Auch
Die Oper in Deutschland bis 1750 673
Lullys Oper wirkt auf Steffani ein, die Ouvertiirenform iibernimmt er sogleich, nur da6 1681
noch ein Menuett angehangt ist, aber auch im begleiteten Rezitativ zeigt sich dieser Einflufi,
so in den beiden instrumental begleiteten durchkomponierten Szenen Amphions in der
,,Niobe" (1688). Die eine wird von zwei Orchestern untermalt, darunter einem Violenquartett
hinter dem Theater, wahrend Cembalo undTheorbe den ganzen Auftritt hindurch schweigen
— er gipfelt in einer Da-Capo-Arie mit ostinatem BaB — , die zweite Stelle, die ins Sekko
miindet, hat acht Soloinstrumente zur Verfiigung. Aus szenischen Grlinden lost Steffani ge-
legentlich die Form auf, so bricht eine Arie Amphions jah ab oder das Einschlafen wird in
,,Alarico" realistisch vertont. Steffanis Sekko ist schon recht verarmt, doch finden sich noch
ariose Reste.
In Hannover hatte man bereits ein Jahrzehnt vor Steffani italienische und franzosische Opern
und Ballette aufgefiihrt, 1682—1688 wirkte hier N. A. Strungk, aber ohne mit eigenen Ar-
beiten hervorzutreten. Immerhin wahlte man wenigstens gelegentlich vaterlandische Stoffe,
wie zur Eroffnung des neuen Opernhauses 1689 bei Steffanis ,,Enrico Leone*', der in deutscher
Ubersetzung (Fidlers) in Hamburg 1696 und in Braunschweig 1697 aufgegriffen wurde. Ein
anderer groBer deutscher Hof, an dem der italienischen Oper Tur und Tor geoffnet war, ist
endlich der sachsische. In Dresden lafit sich das Ballett bis 1 622 zuruckverfolgen, dazu brauchte
man franzosische Tanzmeister, doch war die Dichtung deutsch, D.Schirmer, spater Chr. Dede-
kind taten sich hervor, Schaferspiele, Waldkomodien, zur Musik bequemte geistliche Schau-
spiele liefen nebenher. Mit G. A. Bontempis ,,11 Paride" halt dann 1662 die italienische
Oper im nordlichen Deutschland ihren Einzug, wobei die Partitur in Dresden gedruckt wurde,
ein Ausnahmsfall in der italienischen, seit 1650 handschriftlich iiberlieferten Oper. Auch eine
deutsche Ubersetzung des vom Komponisten stammenden Textes ist verlegt worden, darm
sind die vielen Strophenarien der Partitur stets mit ,,Lied" bezeichnet. Neben diesen zwei- bis
dreistrophigen Liedsatzen wird nur ganzselten eine Da-Capo-arlige Arie gesungen, so von Elena
im 4. Akt. Im ersten Akt treten lebhafte Triostellen der streitenden Gottinnen frisch heraus.
Bontempi schrieb mit Peranda 1671 noch eine deutsche Oper ,,Daphne<4, die in die ursprung-
liche Handlung zahlreiche Volksfiguren eingestreut hat. 1667 war ein neues Komodien- und
Opernhaus eroffnet worden, zur Pflege von Oper und Ballett, 1686 schritt man endlich an die
Errichtung einer standigen italienischen Oper unter Carlo Pallavicino, der seit 1667 in sach-
sischen Diensten stand, aber schon 1688starb. Er schrieb for Dresden 1687 ,,La Gerusalemme
liberata", worin wie beJ Steffani die kurze Da-Capo-Arie vorherrscht. Auch ist die Ritornell-
behandlung mit Steffani gemeinsam im Bestreben, das Ritornell vor oder nach der Arie
breit ausgefiihrt zur Geltung zu bringen. Pallavicinos ,,Antiope", von seinem Sohn Stefano
textiert, wurde von Strungk (1640— 1700) beendet, der aus Hannover nach Dresden be-
rufen wurde. Zwischen Italienern und Deutschen gab es ernstliche Reibereien, die Oper
blieb weiterhin italienisch, wurde aber 'schon 1694 wieder aufgegeben; man druckte wie
in Wien deutsche Obersetzungen. Hingegen griindete Strungk 1692 in Leipzig ein deutsches
Opernunternehmen, in einem von Girolamo Sartorio errichteten neuen Opernhaus. Die
Musik seiner 20 Opern, die meist iiber Renaissancestoffe textiert sind, ist wieder ganz
verschollen.
In den fiinfziger Jahren tritt Braunschweig und Weifienfels auf den Plan der Opernbewegung,
und zwar vorwiegend mit deutschen Werken. Die Musik zu einem Festspiel des Jahres 1652
£74 Die Oper in Deutsdiland bis 1750
in Braunschweig von der Herzogin Elisabeth ist noch erhalten, geistliche Singspieltexte wie
,,Amelinde" (1657), ,,]akobs Heirat" (1662), der ,,Hofmann Daniel" (1663) verfaBte Herzog
Anton Ulrich, Hauptkomponist war Johann Jakob Lowe, den Schiitz empfohlen hatte. Mit
Lowes Abgang nach Zeitz gerieten die Singspiele 1663 ins Stocken und wurden erst nach
Teilnahme Anton Ulrichs an der Regierung seit 1 685 in starkerem Mafie wieder aufgegriffen. Man
wetteiferte mit Hamburg, flihrte aber auch Opern in italienischer und franzosischer Sprache
ein, soLullys ,,Proserpine" 1685, psyche" 1686, Gianettinis ,,Ermione" 1686, Draghis ,,Har-
pocrate" 1690 u.a. 1690 wurde ein grofies offentliches Opernhaus errichtet und Johann Sigis-
mund Kusser (1660 bis 1727), der Schiller Lullys, berufen, der als Kapellmeister in der Art
seines Meisters ganz hervorragend wirkte, aber mit dem Hofdichter und Intendanten Bressand in
Zwiespaltigkeiten geriet, die ihn schon 1693 nach Hamburg trieben. Kusser schrieb 7 deutsche
Opern und eine italienische Serenade, doch sind nur 38 Arien aus der ,,Ariadne" von 1692 er
halten, in denen franzosische Liedtanze, coupletartige Lieder und kurze Da-Capo-Arien neben-
einanderstehen. Von deutschen Komponisten wurden noch P. H. Erlebach und J. Philipp
Krieger aufgefiihrt. Krieger hatte in WeiBenfels die Oper zu stiitzen, die sich ganzlich deutsch
erhielt. Der Hof lieB auch fremdsprachliche Einlagen nicht zu und wufite zugleich grobe Ver-
stofie gegen die Anstandigkeit zu vermeiden, wie sie in Hamburg vorkamen. Von biblischen
Stoffen schritt man zu romischer Sage und Geschichte, liefi aber auch groBen Fragen der
politischen Gegenwart in musikalischen Vorreden das Wort. Krieger stammte aus Niirnberg,
wo Johann Lohner mit deutschen Opern, biblischen und Renaissancestticken zu Ende des
Jahrhunderts wirkte, dessen knappe Arien sich teilweise erhalten haben.
Die grofite Bedeutung erlangte die deutsche Oper in Hamburg, wo einige Privatpersonen
1 678 fur deutsche Opernspiele ein offentliches Theater am Gansemarkt auftaten und das Ve-
nezianer Vorbild vierzig Jahre spater nachahmten. Diese Griindung, die also volkstiimhchen
Neigungen entgegenkam, hielt sich sechzig Jahre lang und stellte 253 Singspiele heraus, die
in der ersten Zeit ganz, spater weitaus iiberwiegend deutsche Geisteserzeugnisse waren. Die
leitenden Personlichkeiten, an der Spitze der Senator Gerhard Schott, machten mit der geist-
lichen Oper den Anfang, sie gewannen einen der tiichtigsten Musiker ihrer Zeit, den Schlitz-
schuler Johann Theile, der das Eroffnungsstiick Richters: ,,Adam und Eva" vertonte, sich
aber nach drei Versuchen vorri Unternehmen wieder zuriickzog. Die Musik zur ,,Geburt
Christi" (1681) liegt in Upsala. Den biblischen Stoffen wurden sogleich Bearbeitungen ita
lienischer und franzosischer Libretti beigesellt, insbesondere nach Minato und Quinault. Die
ersten elf Jahre umfaBt der Spielplan nur deutsche Werke, als Komponisten wirken Strungk
bis 1683, J. W. Franck, der 1686 nach England geht, und J. Ph. Fortsch, auch Dichter, spater
Arzt und Staatsmann; 1691 — 1693 dann anschliefiend Conradi und Bronner. All ihre Musik
ist mit Ausnahme weniger Arien ganz verschollen, insbesondere iiber die Rezitativkomposition
fehlt jegliche Quelle, die Dichter gehen da vom steifen Alexandriner, den Bressand noch langer
beibehielt, allmahlich zu kurzeren Versen iiber, besonders C. H. Postel gestaltet die Rezitativ-
verse in dieser Art aus. Die Alexandriner wurden auch in der Art des franzosischen Maschinen-
dramas gesprochen. Die Ausstattung pflegte man mit grofier Sorgfalt, so dafi sic sogar Parisern
imponierte. Zu Bostels groBem Ausstattungssttick ,,Cara Mustapha", das die Belagcrung Wiens
durch die Tiirken 1686 auf die Biihne brachte, haben sich Arien Francks in klcinen Licdformen
erhalten, z. B.
Die Oper in DeutscKland bis 1750
675
Adagio (Va verkurzt)
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Das
Kreuz so mir Gott
auf - ge - legt will
ich nicht mehr be-
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nen. usw.
Auch komische Lieder im plattdeutschen Dialekt sind darunter. Denn nach Art der Venezianer
Muster machen sich in Hamburg derbe, possenhafte Einlagen sehr breit. 1 687 kommt es wegen
unf latiger Auswiichse zu einem ernsten Konflikt mit der Geistlichkeit, bei dem aber fur die Oper
auch begeisterte Verteidiger aufstehen. 1 689 dringt das erste fremdsprachige Stuck ein, Lullys
,,Acis et Galathee'*, zwei Jahre nach der Urauffiihrung in Paris, es wird 1 695 deutsch wiederholt,
1691 folgt ..Achilla et Polixene" von Lully und Colasse, 1693 werden italienische Opern in
der Originalsprache gegeben, Gianettinis ,,La Schiavafortunata*4, Pallavicinos ,,Gerusalemme",
1695 wieder deutsch wiederholt. Unter Sigmund Kusser gelangt die Hamburger Oper
1 693—1695 zur musikalischen Hochbllite. Dieser geniale Musiker, den Mattheson als Vorbild
seines vollkommenen Kapellmeisters hinstellt, brachte Gesangwesen, Orchester und Buhneri-
betrieb auf eine hohere Kunststufe und holte aus den zusammengewiirfelten, aber durchwegs
deutschen Kraften kunstlerische Glanzleistungen heraus. -Dariiber kam er nur zu drei eigenen
Opern, aus ,,Erindo", 1693, ist in Hamburg eine Sammlung von 44 Arien gedruckt worden,
die Mischung von franzosischen und Jtalienischen Eigentumlichkeiten in knappen Formen be-
zeugt. Im Da Capo, Basso ostinato und in der obligaten Instrumentierung (Tromba, 2 Fagotte,
Colascione u.a.) zeigt sich besonders der EinfluB Steffanis, den Kusser in Hamburg einfiihrte.
Die Duette folgen dagegen Lullys Art. 1694 taucht die erste Oper von Reinhard Keiser auf,
,,Basilius", die Kusser 1692 schon in Braunschweig gegeben hatte — in Briissel liegen Bruch-
stiicke daraus — , ein Zerwiirfnis mit Keiser trieb den unruhigen Geist aber bald darauf aus
Hamburg weg — er zog mit einer eigenen Truppe in Suddeutschland herum, wandte sich
dann nach Stuttgart und endlich nach England.
Nun ist Reinhard Keiser (1674— 1739) die Seele der Hamburger Oper, der bis zum Tod
Schotts, 1 702, eine weitere Glanzzeit beschieden ist. Keiser, von seinen Zeitgenossen der groBte
Opernkomponist der Welt genannt, begleitet von nun an mit kurzen Unterbrechungen die
Hamburger Oper bis zu ihrer Auflosung, die er kaum iiberlebt. Seine erstaunlich reiche Per-
sonlichkeit, der zur hochsten Vollendung nur strengere Selbstzucht fehlte, bringt der deutschen
Oper den Stilumschwung, der gleichzeitig bei Spatvenezianern, Steffani und Scarlatti ansetzt.
Enorme Fruchtbarkeit, starke dramatische Gestaltungskraft, bluhende, empfindungssatte Er-
findungsgabe, stete Freude an formalen Neubildungen, innige Verschmelzung von Gesang und
Begleitung,personlicherRezitativstilkennzeichnenseinSchaffen,dasnuranUngleichma6igkeiten
leidet und durch mittelmafiige oderschwacheTextbiicherbeeintrachtigt wird. Da von 1 1 60pern,
676
Die Oper in Deutschland bis 1750
die ihm nachgesagt werden, 35 erhalten sind, die meisten aus seiner friihen Zeit, so liegt zur Beur-
teilung umfassender Stoff vor, deraber keinefortschreitende Stilentwicklung aufweist, doch bis ins
hohe Alter von erquickender Jugendfrische durchweht ist. Die Partituren sind alle von grofier
Buntheit, beziehungsvolle Wiederholungen von Arienstellen finden sich haufig, der Gesang
wahlt friihzeitig an dramatischen Hohepunkten frei durchkomponierte Formen, hier \vie im be-
gleiteten Rezitativ oder in dramatisch frei gebauten Duetten sind Anfange grofier dramatischer
Musikgestaltung gegeben. Von Paris ist manches iibernommen, so auch die Chaconne als grofie
Orchesterform. Schon die erste ganz tiberlieferte Oper, der ,,Adonis" Von 1697, folgt in vielen
Ztigen franzosischem EinfluB, auBer in Vortragsbezeichnungen, in der Ouvertiire, im ,,Pra-
ludium" vor Rezitativdialogen, in gesungenen Tanzsuiten, in der Szenengliederung durch \vie-
derkehrende Ariosophrasen oder im SchluB-,,Rondoux". Doch schwebt iiber dem Ganzen der
Geist Italians, Steffanis Vorbild tritt in der kunstvollen, lebendigen Schreibart, in kontra-
punktischen Duetten, in Da-Capo-Arie und Rezitativ hervor, mit Scarlatti besteht manche
gleiche Richtung. Dabei ist Keisers Tonsprache selbstandig, sein Rezitativ wurzelt im deut-
schen Vortrag, ist sorgfaltig durchgearbeitet und oft geradezu Vorstufe zu Bachs Rezitativ-
kunst, der Arienbau hat viele eigenartige Ziige, so wenn hier die Da-Capo-Form durch erne
dritte Wiederkehr des Hauptsatzes nach Rezitativeinschub erweitert, die Klage urn Adonis
in Strophen durchkomponiert ist; die komischen Partien sind frisch und volksttimlich
behandelt.
Von 1703 — 1 706 ist Keiser Packer des Hamburger Theaters, doch bricht die Unternehmung
dabei zusammen. In seinem ,, Claudius" fiihrt er die Unsitte italienischer Arieneinmischung
ein, die ja auch in Paris und London grassierte. Hamburg hat damals groGes Ansehen in der
Musikwelt, so zieht es den jungen Handel an, den Keiser fb'rdert, indem er ihm 1704 den
Text der ,,Almira" iiberlaBt. Handel steht durchaus im Bann Keisers, dessen buntgemischter
Anlage er folgt. Italienische Arien wechseln mit deutschen, die Rundstrophe dominiert, da-
neben stehen zweiteilige Formen, Bassi ostmati, Tanzlieder, eine dreiteilige Repnsenane und
Liedarien mit verkiirzter und veranderter Wiederkehr des Hauptsatzes und stark kontrastieren-
dem Mittelteil. Die Melodik ist hier deutlich liedmaBJg und inniger als bei Keiser.
Almira, 1. Akt, Fernando
Licb - li - che Wai - der,
schat - ti - ge Fel - der
kiih - let des Her - zcns un - ncnn - ba - re Qual.
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I
Die Oper in Deutschland bis 1750
677
Im Rezitativ sind (wie in der ,,Octavia") Lullys Ariosowiederholungen anzutreffen. Handels
starker Erfolg bewog Keiser, die Oper selbst zu beenden und aufzufiihren, dem ,,Nero" Han-
dels, dessen Musik verloren ist, hat er 1705 die ,,0ctavia" entgegengestellt, worin B. Feind
als Textdichter debiitierte. Die Spuren ihrer pathetischen Musik sind weithin bei Handel zu
verfolgen. Die Da-Capo-Arie ist wieder stark bevorzugt, doch entraten ihrer die schonen dra-
matischen Kraftstellen ganzlich, wie der befohlene Selbstmordversuch der Heldin, wo ein
leidenschaftliches Orchesterrezitativ zu weicheren Arientonen abfallt:
Octavia, 2. Akt. Octavia, Akkompagntao (SchluH
'JjLyUp. 2* jl
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s,t
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Weg Szep - ter, weg ! weg, dor -
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nen-scawang - re Kro - ne
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rittarra.
Arietta con Unisoni (VI. mit Singstimme)
Adagio
-
Ver - letz - te Au - gen *• lich - ter, ich schein* euch un - ge-treu? ver-
letz - te Au - gen - lich ~ ter, ich schein* euch un - ge - treu ! (noch 5 Takte), spater
Aria con Strom1; (SchluB)
Adagio assai
J^f
Treu - ge - lieb - ter, gu - te Nacht, Treu - ge - lieb - ter, gu - te
678
Die Oper in DeutscKland bis 1750
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Nacht, gu «
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- te Nachl, gu - te Nacht.
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Neros Fluchtszene ist von folgendem Leitgedanken gefiihrt:
AcK! Ne - ro ist nicKt Ne - ro mehr, ach Ne - ro ist nicht Ne - ro mehr!
Hier sind Ausdmcksarien, Ariosi und Akkompagnatorezitative mit voller Steigerung vereint.
Das Orchester der Oper liebt Fagotte als Arienbegleitung, einmal im Quintettsatz, auch das
energische Unisono der Streicher mit dem bewegten BaB lauft durch mehrere Arien. Szenische
Ritornelle sind selten, eines malt Neros Traum, ein Gewitter wird ganz libergangen.
Neben Keiser und Handel wirkte damals Johann Mattheson am Hamburger Theater, der
SOpern schrieb und z. B. seine ,,Cleopatra" nach staunehswertem Gesang und Selbstmord auf der
Buhne im Orchester zuEnde dirigierte. Seine Schriften spaterer Zeit sind eine Hauptquelle der
Hamburger Operngeschichte. Handel wandte sich nach Italien, in Ham burg gab man noch eine
(verloren gegangene) Doppeloper von mm, Keiser floh in seine Heimat, von 1709 — 1717 ist er
aber wieder in Hamburg und Hauptstiitze der Oper, wo neben ihm voriibergehend Graupner auf-
taucht, wo auch Handels Londoner Opern alsbald deutsch nachgespielt werden. Spater irrt Keiser
in der Welt herum, immer wieder nach Hamburg zuriickfindend, wo er endlich komische Arien
und Rezitative zu Lully und Handel schreiben mufi. Keisers Musik zu Bostels ,,Krosus" (nach
Minato) von 1710 liegt in der Fassung von 1 730 neu veroffentlicht vor. Die italienische Sinfonia,
die Keiser in spaterer Zeit neben dem Konzert gern als Einleitung wahlt, wird durch den Eingangs-
chor abgeschlossen. Die stumme Rolle des Prinzen Atys, der im Verlauf des Stiickes die Sprache
wiederfindet, gibt Anlafi zu Ritornellen als Szenenmusik. Die Da-Capo-Arie ist jetzt selten,
Liedarien, Strophenlieder, freie zweiteilige Formen, einmal ein kleines Rondo (I2) sind verwendet.
Konigs Schaferspiel ,,Inganno fedele" (1714) hat im3. Akt eine Kantateeingelegt, der ,Jodelet"
von Pratorius (1726) ist als scherzhaftes Singspiel mit breiten komischen Partien versehen,
die teilweise dem Neapler Buffostil vorgreifen, teilweise dem des deutschen Singspiels:
Jodelet
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Kin - der,
Kin - der,
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seht
acht
mich
mich
an,
an!
Die Sinfonia hat freie suitenhafte Formung mit Da Capo des praambelhaften Hauptsatzes
},Burla", in den eine Galliarde eingeschaltet ist. Der 2. Akt beginnt mit einer Fuge, die
Lauras Arie begleitet, spater folgt eine ,,Aria en Rondeaux" ; bei den meisten der Rund-
strophen hat Keiser eigenhandig das Da Capo gestrichen.
Diese Werke weisen schon in die Verfallszeit der Hamburger Oper. Possenopern, darunter
Lokalstiicke wie ,,Der Hamburger Jahrmarkt", ,,Die Hamburger Schlachtzeit" von Keiser,
Die Oper in Deutschiand bis 1750 579
,,Fragmente" nach franzosischer Art (mit Sprachgemenge), Intermezzi, Marionettenvorstel-
lungen u. a. spriefien hervor, unter den italienischen Opern, die reichlich gegeben werden,
begegnet uns u. a. der Wiener Conti, der die Vorliebe furs komische Fach mit dem letzten
grofien Meister der Hamburger Unternehmung, G. Ph. Telemann (1681—1767), teilt. Tele-
manns Ansehen war in Deutschiand gewaltig, seine Produktivitat grenzenlos, unter den 40 Opern,
die an Keiser anschlieBen, sind die meisten an derbkomische Texte gebunden. Auch Telemann
kennt den scharf zugespitzten, spottischen Intermezzostil, in Konigs ,,Pimpinone" ist zugleich
der Stoff der ,,Serva padrona" vorweggenommen.
In Hamburg bildete sich G. Ch. Schiirmann (1672—1751) heran, der seit 1707 in Braun
schweig eine neue Bliite der deutschen Oper heraurfiihrt. Seine Stoffe sucht Schiirmann gern
in der deutschen Vergangenheit, wie in ,,Heinrich dem Vogler" (1718) oder in ,,Ludovicus
Pius'* (1726). Die franzosische Ouvertiire hat wieder ein Menuettanhangsel, die grofien Da-
Capo-Arien mit zweigeteiltem Hauptsatz — einmal findet sich hier auch die dreiteilige Re-
pnsenform im Hauptsatz — herrschen nahezu allein, doch bringen dramatische Spitzenstellen
mit dem Akkompagnatorezitativ, das wieder ariose Teile verschrankt, freie Formen. Ballett-
und Tafelmusik (u. a. eine Ouvertiire) sind eingestreut. Hasse und Graun wirken unter
Schiirmann als Sanger und erleben hier ihre ersten Auffiihrungen. Hasse, der zuvor in Ham
burg Tenorist war, schrieb 1721 eine italienische Oper (,,Antioco"), vielleicht mit deutschem
Rezitativ, Graun kam 1725 nach Braunschweig und brachte hier 5 deutsche und ein italienisches
Werk auf die Biihne. Die italienische Oper nahm in Braunschweig an Ansehen zu, 1 735 stellte
plotzlich der Hof die Auffiihrungen ein. In den dreiBiger Jahren versiegte die deutsche Oper
allenthalben. Zu Leipzig war das Strungksche Haus schon 1727 abgebrochen worden, in Dur-
lach, das sich von 1 712 als Stiitze der deutschen Bewegung hervorgetan hatte, wobei die Partitur
von Schweizelspergs ,,Lucretia" sich erhalten hat, horte die Oper 1733 auf, die WeiBenfelser,
in der nach Kneger J. A. Kobelius mit zahlreichen Singspielen vertreten ist, 1736. Gottsched,
der heftige Operngegner, konnte 1742 das Ende der deutschen Oper verzeichnen.
Hingegen hob sich die Pflege der italienischen Oper in Deutschiand. In Miinchen, wo
die Akten zu Beginn des 18. Jahrhunderts von ,,Exhibierung deutscher Opern" sprechen, trat
nach Steffani Pietro Torri (bis 1737) hervor, der u. a. drei franzosische Werke in Frankreich
schrieb, in Dresden hatte das franzosische Theater seit 1 694 die Oberhand, man gab nur gelegent-
lich italienische Opsrn, erst 1719 — 20 war eine italienische Operngesellschaft unter A. Lotti
— im neuen Opernhaus — verpflichtet, deren beste Mitglieder Handel nach London holte,
1726 und 1727 spielten italienische Kiinstler G. A. Ristoris komische Opern ,,Calandro" und
,,Don Chisciotte", 1731 erfolgte endlich Hasses Berufung.
In Wien wurde man nach Draghis Tod plotzlich sehr fortschrittlich gesinnt, Giovanni
Bononcini aus Modena, 'der von 1691 — 171 1 als Cellist und Komponist hier lebte, brachte
besonders als ein Hauptvertreter der neueren, leichteren Stilart die Werte, die allenthalben in
der Musik hervordrangen, rasch in Umlauf. Etwas zuriickhaltender stehen ihm die Venezianer
C. A. Badia und M. A. Ziani — der Neffe des alteren Ziani, eine bedeutende Erscheinung —
zur Seite. Die Opernauffiihrungen fanden gern im Freien statt, so in der kaiserlichen Favorita
Unter Josef I. wurde 1708 von Fr. Galli Bibiena ein grofies Opernhaus am Josefsplatz her-
gerichtet, das bis 1 744 in Benutzung stand, 1 700 trat mit einer Festa teatrale zuerst der Steier-
marker JohannJosefFux hervor, der unter Karl VI. das Wiener Musik- und Theaterleben
680
Die Oper in Deutschland bis 1750
beherrschte. Seine 18 Opern, deren letzte er 1731 schrieb, nehmen in ihrem hartnackigen
Festhalten am strengen Stil und an Chorwirkungen eine Ausnahmsstellung in der italienischen
Oper seiner Zeit ein. Die Wiener Musik erhielt durch ihn iiberhaupt eine gediegene, ernste
Grundlage, der Oper insbesondere wurden Oberflachhchkeiten und Nachlassigkeiten der all-
gememen Geschmacksrichtung ferngehalten und die Verbindung mit der Vergangenheit ge-
wahrt. In Wien bildeten sich damals schon Sonderbestrebungen und selbstandige Grundsatze
aus, die den spateren, von hier ausgehenden Reformen vorarbeiteten. Fux kniipft an die altere
Wiener Uberlieferung an, in der er aufgewachsen war, er schreibt fur einen ernsten, pracht-
liebenden Monarchen, der seine Festoper ,,Elisa" (1719) in Amsterdam stechen liefi (1729).
DerPrunkstil zeigt sich in der Entfaltung reicher Chormittel, in pomphaften, doppelchorigen
Einleitungen, in besonderen Orchesteraufgaben, in dem wieder von eigenen Komponisten, wie
Nicola Matheis, bestrittenem Ballett. Durch ganz Europa beriihmt war die Kronungsoper
,,Costanza e fortezza", Dichtung von Pariati, die 1723 am Prager Hradschin unter Teilnahme
glanzender Personlichkeiten gegeben wurde und mit riesigem Aufwand den Kampf Porsennas urn
Rom vorfuhrte. Viele Chore der Romer, der Etrusker, von Nymphen und Flufigottern durch-
ziehen das Werk, einzelne Stellen kehren ofter rondomafiig und in Verschrankungen wieder,
die gleichf oimig wurdige Haltung der Arien und mehrerer Duette driickt aber allerdings den
Gesamteindruck. Die Da-Capo-Form ist starr durchgehalten, in grofienMafien mitstets zwei-
teiligem Hauptsatz, meist zweiteiligem Mittelsatz, gebaut. Die ,,Devise" wird sehr haufig, so-
gar gelegentlich noch im Mittelsatz verwendet, die Arienbegleitung geht manchmal bis zur
Fuge, Kontinuoarien, mit voll ausgesetztem SchluBritornell, sind selten. Im Rezitativ haben
sich mehrstimmige Partien erhalten, das Akkompagnato ist nur in der musikalisch spannenden
Episode der Verteidigung der Tiberbriicke durch Horatius Codes herangezogen, deren musi-
kalische Hauptziige sind : ein stolzes Arioso
Clarlni Orazio, mit
bt — j^~ — * — ~z?*\ — ?M — H i i P i P-P — ?-p —
-m-?-m f-0—
5~ji~^ ^ * al ^T 2
FCp i / ( ffJ-— «L^«U-4^U=: U—:
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GroBes Orchester
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Non e
Nicht al-
Basso continuo
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solo 0 - ra - zio, no,
lei - ne steh' ich hier,
em mehrmals wiederkehrender grofier Chor
Chor der romischcn Soldaten
non e solo 0 - ra - zio,
nicht al - lei - ne steh' ich
no.
hier.
De' Ro - ma - ni la vir - th o - sa tut - to, tut - to, tut - to.
Ro - mer - sinn bleibt im-mer - zu un - be - zwun - gen, un - be - zwun -gen.
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Die Oper in Deutschland bis 1750
681
und ein Gegenchor
Chor der Etrusker
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$ ff^" P vxj M^ ^) ^ U^^ P ^
£ fu - rore o va - ni - ta, e fu - rore o va - ni - ta
Wel-che Toll-heit, wel - cher Wahn, wel - che Tollheit, wel-cher Wahn!
Spater folgt Clelias Klagearie
Str.
Non mi res - ta da spe - rar,
Al - le Hoif - nung ist vor - bei,
ElE
senza Cembalo
Fux zur Seite und unter seinem EinfluB standen in Wien zwei Italiener, der Venezianer
Antonio Caldara (1670—1736) und der Florentiner Francesco Conti (1682—1732). Caldara
schrieb 69Opern, seit 1716 in Wien, er vereint gebundene Schreibweise mit starkerem, melo-
dischem ScKwung; Conti, ein weltberiihmter Theorbenspieler, wurde besonders durch seine
Versuche Jm charakteristischen undkomischenStilbekannt. Beide Meister pf legen den Chorsatz
im Oratorium weiter, sie entfalten insbesondere da groBe dramatische Vorziige. In der Opernein-
leitung steht die italienische Sinf onia vor der f ranzosischen Form, daneben zeigen sich Mischungen
und Riickverweise auf die Kanzone (Satzwiederholungen), wie schon bei Fux, nach Draghis
Muster. Die Kontinuoarie schwindet nun ganz, ausgesprochene Archaismen wie Fuxens Arien im
,,StileMadrigale'' treten zuriick, die textlichen Reformergebnisse der Oper schranken die Auf-
gaben des Musikers immer mehrein. Die Dichtungen von S.Stampiglia und Apostolo Zeno be-
deuten namlich eine straff ere Zusammenfassung der Texte und ihre Reinigung von iiberf lussigem
Episodenwerkundkomischen Zutaten, die fur die italienische Oper iiberhaupt ausschlaggebenden
Einf lufi erlangte. Z e n o , 1 7 1 8— 1 729 Hof poet und Historiograph in Wien , hat das Verdienst, an der
Herausarbeitung des Dramas in der Oper mit vollem Erfolg gewirkt zu haben, allerdings auf
Kosten der musikalischen Bediirfnisse, die im Sinne.der Opernentwicklung iiberhaupt auf ein
Nebengeleise verwiesen werden. Da die Musik immerhin fur den Zeitgeschmack und fur Zenos
Stellung unentbehrlich war, so konnte die Ausgestaltung des Dramas nur durch ein solches Konv
promifi erreicht werden, der Musiker ist dabei dem eigentlichen Drama, das im Rezitativ ablauf t,
ferngehalten und ganz an die Arien verbannt, die nun schematisch den Szenenausgang besetzen
(Ingressi, Abgangsarien) und so den Personenverkehr bestimmen, indem die einzelnen Personen
unter Szenenhaufung nacheinander abtreten. Auch werden Handlungsarien verpont, Ver-
gleichsarien bevorzugt. Die dramatische Fiihrung, deren Starke bei Zeno die Charakterzeich-
nung ist, folgt der f ranzosischen Tragodie, so schon aufierlich in der Neigung zu 5 Akten,
682 Die Oper in Deutschland bis 1750
Ziige der italienischen Oper sind aber beibehalten, besonders der gute Ausgang. Der Prolog
wird verschmaht, dafiir tritt am SchluB eine ,,Licenza4' als Huldigung vor dem Monarchen ein.
Die einzige Briicke, die von der Textdichtung zur Ausdrucksfiille der Musik fiihrt, das begleitete
Rezitativ, ist etwas ungemein Seltenes und auf eine, hochstens zwei Stellen im Stuck beschrankt.
Dieses Schema Zenos wird von seinem Wiener Nachfolger Metastasio getreulich ubernommen,
es legt durch die groBe.Bedeutung beider Manner fur das Theater mehrere Jahrzehnte hindurch
die italienische Oper ganz an die Kette der Da-Capo-Ane.
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Neuere Ausgaben
Cesti, II porno d'oro. D. T. 0. HI/2, IV/2. — Fux, Costanza e Fortezza. D. T. 0. XVII. — Handel, Almira.
Ges. A. 61. — Keiser, Krosus und Inganno fedele. D. D. T. XXXVII— XXXVIII, — Jodelet, Eitners Publi-
kationen XVIII. — Octavia, Supplement 6 zu Handels Gesamtausgabe, 1902. — Pallavicino, Gerusalemme li-
berata. D. D. T. LV. ~ Schurmann, Lodovicus Pius. Eitners Publikationen XVII. — J. G. Staden, Seelewig.
M. f. M. XIII. — Steffani, Alarico. D. D. T. II. Folge, XI/2, Ausgewahlte Stiicke, ebenda XII/2. — Torri,
Ausgewahlte Werke, ebenda XIX/XX.
Robert Haas
DIE HOCHMEISTER
DES MUSIKALISCHEN BAROCKSTILS
Anmerk.: Es sei hervorgehoben, daB die Instrumentalwerke der beiden GroBmeister in dem Abschnitt
,,Instrumentalmusik von 1600 — 1750" auf S, 540, die Oratorien und iMysterien in dem Abschnitt ,,Das Ora-
torium im 18. Jahrhundert" auf S. 704, die Opem Handels in ,,Die Oper in England bis 1740" auf S. 663,
die Chorale Bachs sowie seine Kantaten und Passionen in ,,Die evangelische Kirchenmusik" auf S. 446 ein-
gehend behandelt werden. D. Hgb.
Am Ausgange des musikalischen Barock stehen die Personlichkeiten Bach und Handel.
Ehe die Entwicklung eine neue Richtung einschlug, ballten sich die inneren Triebe und Ge-
staltungskrafte des vergangenen Zeitalters noch einmal iibermachtig zusammen, so daB der
Zuriickblickende die Empfindung hat, als sei die Arbeit der unmittelbaren Vorganger ein
blofies Vorbereiten dieser letzten und hochsten Leistung gewesen. Diese SchluBleistung er-
halt ihre besondere Eigenart nicht nur dadurch, daB die dem gesamten Zeitalter eigentiim-
lichen Techniken und Ausdrucksmittel in vollkommenster Durchbildung erscheinen, sondern
zugleich dadurch, dafi sich in ihr das Ethos des Zeitalters in unvergleichlich gesteigerter Weise
verkorpert. Unsere Schatzung Bachs und Handels geht weit iiber die Bewunderung ihrer
einzelnen Schopfungen hinaus. Nachdenklich verweilen wir, je langer, je mehr, bei dem Wesen
ihrer schopferischen Personlichkeit, bei dem Ausdrucke dessen, was in ihren Werken iiber
allem Zeitlichen und Bedingten steht, ohne doch je eine abschlieBende Formel fur das Tran-
szendente ihrer Erscheinung zu finden.
Sebastian Bach, der aus altem Thiiringer Protestantengeschlecht Entsprossene, gehort
von Haus aus zu den grofien spekulativ veranlagten germanischen Naturen. Wie sich ihm
die Fahigkeit erschloB, in einer an die Universalitat der Mittelalterlichen grenzenden Viel-
gestaltigkeit das gesarnte Vorstellungsgebiet der christlich-protestantischen Weltanschauung
zu durchdringen, so b'ffneten sich ihm in schier unbegreiflicher Weise auch die geheimsten
Beziehungen in der Elementarwelt der Tone. Seine Musik steckt voll tiefer Symbolik. Sie
gehort zu dem bisher erhabensten Ausdruck des rein Geistigen in der Musik, eine lebendige
Verkorperung jenes Urgesetzlichen, das sich das polyphone Denken im Laufe von fiinf Jahr-
hunderten geschaffen hatte. Dies aber nicht auf der bloBen Grundlage theoretisch-spekulativen
Nachsinnens, sondern auf Grund einer sie Takt fur Takt durchflutenden unmittelbaren und
wirklichen Anschauung dieses Geistigen. Es gab keinen Gedanken, keinen Begriff, keinen
Gefiihlskomplex, zu dem sein nach innen gewendetes Auge nicht ein anschauliches musika-
lisches Symbol gefunden hatte. Viele seiner so bildhaft wirkenden Themen und Motive sind
zwar alteres Barockgut und entschleiern ihren letzten Sinn erst nach langerer Beschaftigung
mit der musikalischen Sprachsymbolik der Zeit iiberhaupt, aber sie tragen in ihrer Formung
samtlich den Stempel Bachscher Eigenart. Dabei ist wesentlich, daB Bach, wo der Text es
erheischte, das Bild nie um des Bildes wegen gesetzt hat, wie so manch^r geringere Barock-
meister. Vielmehr fiel es fiir ihn zusammen mit dem inneren Ausdruck, mit dem ,,Affekt"
der betreffenden Stelle. Wahrend die Romantik ihre Ausdrucksbewegung auf intuitiv gefuhls-
maBigem Wege findet und demgemafi subjektiv wirkt, laBt Bach sich iiberall — auch wo er
starksten Ausbriichen gegeniibersteht — durch mehr oder weniger greifbare Bild-, Zustands-
oder Begriffsvorstellungen leiten. Das gibt seiner Musik den groBartigen Zug ins Uberperson-
liche. Bei den Vokalwerken ermoglicht es der Text, gewissen Bach haufig beschaftigenden
44 H.a, M,
Die Hochmeister des musikalischen Barockstils
Vorstellungskomplexen nachzuspuren, und da alles, was er schrieb, von einer beispiellosen
geistigen Einheit beherrscht ist, die keine Ausnahmen oder Willkiirlichkeiten kennt, so konnten
Alb. Schweitzer und A. Pirro es wagen, die Motivsprache Bachs und ihre Verwendung im
Dienste des Ausdnicks geradezu in eine Art wissenschaftliches System zu bringen. Freihch,
was wir in dieser Beziehung durch Vergleich und Analyse nachtraglich herauslosen und dann
als objektiv Gegebenes auf uns wirken lassen, lebte in Bach als unmittelbar zeugende Kraft.
Obersinnliches, nicht Anschaubares sich anschaulich zu vergegenwartigen, ist Mystik. In
diesem Sinne ist Bachs Schaffen mit der Mystik verwandt. Alles pragt sich durch die Klarheit
und Helle des inneren Erlebnisses aus.
Wo, wie in den reinen Instrumentalwerken, das richtungangebende Wort fehlt, ist die
Deutung der Bachschen Phantasiewelt allerdings nur durch unmittelbares Erfassen moglich.
Da6 aber auch hier, in Praludien, Fugen, Tokkaten, Phantasien, Konzerten ein gewisses Bild-
hafte, Zustandliche, Begriffliche den geistigen Ausgang bildete und die Symbolik der Ton-
gestalt beeinfluBte, steht wohl aufier Zweifel. Denn die ,,Sprache" Bachs ist hier keine andere
als dort. Dazu kommt aber, dafi in der Instrumentalmusik die Moglichkeit gegeben war,
die Vorstellungskomplexe dern Reiche der absoluten Tonkombinationen zu entnehmen, jener
Welt unzahliger kontrapunktischer Moglichkeiten also, in der sich Bach von Anfang an zu
Hause fiihlte. Die Fortspinnungen vieler seiner Fugen und Choralvorspiele ziehen ihre Kraft
wesentlich aus solchen kontrapunktisch-architektonischen Vorstellungen, die damals, wenig-
stens fur Bach, noch denselben unvergleichlichen Anreiz zum Schopferischen gaben, wie
das beste lyrische Gedicht far das Schaffen der spateren Romantiker. Wer in seinen Praludien
und Fugen nichts als tongewordene mathematische Exempel sieht, unterschatzt diese Tatsache
und kommt mit dem Begriff des Genies in Konflikt.
Ph. Spitta spricht gelegentlich von der eigentiimlichen inneren Erregung, die alle Werke
Bachs durchzieht Sie ist als solche zwar mehr oder minder jedem schopferischen Geiste
eigen, tritt aber bei ihm in besonderer Starke und schon in den Jugendwerken auffallig ent~
gegen. Die Vollendung des Barockgeistes zeigt sich gerade darin, dafi er jeweilig zu den
scharfsten Mitteln melodischer, harmonischer, rhythmischer, kontrapunktischer Natur griff
und mit dem Moment der Oberraschung arbeitete, wie kein zweiter Meister im barocken
Zeitalter. Es gibt Rezitative (etwa jenes kurze von 13 Takten ,,Sie lehren eitel falsche List"
in der Kantate Nr. 2, ,,Ach Gott, vom Himmel sieh darein"), in denen nahezu jedes Wort
durch ein musikalisches Reizmittel nachdriicklich gemacht ist:
Adagio *)
(Tenor) m Recit. bj_ji
sF^P11 $ — S^tfrTF $=^pz^=rv-=$-~
?— a — -v — v af— g 4 — -PI- — g — -
pr^jMMfc*=?=p-E
Sic leh - ren ei - tel fal - sche List, was wi - der Gott und sei - ne Wahi -heit
J_
^
l) In den Takten I und 7 symboiisiert Bach die ,»falschen Lehrer* im besonderen noch dadurch, dafi er
zwei Zeilen der unmittelbar vorher gehorten Choralweise in gespreizt-anmaCendem Tone (Adagio) kanonisch einfiihrt.
Die Hoclimeister des musikaliscnen Barockstils
685
ist, und was der ei-genWitz er - den -ket, o Jam-mer, der die Kir - che schmerzlicfc
-
Adagio
kran-ket, das muB an-statt der Bi - bel stehn. Der Ei - ne wah-let dies, der An-dre das,
Retit.
-*—y — $=$=?=
die to- rich - te Ver-nunft ist ihr Kom-paS, sie glei-chen de - nen to - ten
Gra-Um, die, ob sie zwarvon au - Ben schSn, nur Stank und Mo - der in sick
E=£
I
fas - sen und lau - ter Un - flat se - Ken las - sen.
44*
Die Hochmeister des musikalischen Barockstils
Es gibt ebenso Arien (etwa das ,,Dein Wetter zog sich auf * in Mr. 46, ,,Schauet doch und
sehet"), wo Singstimme und Instrumente sich im Ausspielen klanglicher oder thematischer
Uberraschungen formlich iiberbieten. Chorrufe wie das ,,Barrabam" oder der Satz ,,Sind Blitze,
sind Dormer" der Matthauspassion sind weitere Beispiele fur solche Geniezuge, die Bach in
gleicher Starke nur bei den grofien norddeutschen Orgelmeistern vorgepragt fand. Bleiben sie
aber bei andern Zeitgenossen (Telemann, Keiser, Mattheson) gewohnlich nur geistreiche Ein-
falle von Augenblickswirkung, so versteht Bach ihnen kraft seines beispiellos ausgebildeten
Gefiihls fur inneren Rhythmus eine dynamische Energie mitzugeben, die iiberwaltigt und sie
in die Nahe elementarer Ereignisse riickt. Die Eingangschore der beiden Passionen, das Kyrie
der Hohen Messe, der erste Chor von ,,Ein feste Burg" und viele andere gehoren hierher.
Das Barock der grofien Wiener Meister zur Zeit Bachs, voran des Job. Jos. Fux, ist ein
anderes. Schon der konfessionelle Unterschied trennte. Hier wuchs, als Mischung aus Kunst-
elementen der klassischen Polyphonic der Altitaliener und Stromungen vom jungeren Italien
her, ein Stil herauf, dessen Monumentalitat keinesfalls geringer ist. Die fur ihn entscheidenden
Werke gehoren der katholischen Kirchenmusik, dem Oratorium und der Oper an. Das einzelne
Wort oder der von ihm beherrschte Satzteil gewinnt hier nicht die tonsymbolische Zeugungs-
kraft wie im Norden, sondern ordnet sich — so war es italienische Uberlieferung — dem
Ausdruck des Gesamtaffekts unter. Das wieder wirkt auf den Charakter der Melodik, die auf
ungehemmte Entfaltung breiter, sinnlich schoner Linienzuge hindrangt. Sie ist in Wien
durchaus von den grofien dort beschaftigten Italienern (Caldara, Conti, Porsile, Badia) be-
stimmt worden, die, zugleich Opern- und Oratorienkomponisten, ihr Talent in standigem
Umgang mit bedeutenden Gesangsvirtuosen schulten. Der deutsche Einschlag macht sich
bemerkbar in der Hochschatzung des kunstvollen Kontrapunkts und seiner mannigfachen
Spielarten. Vielleicht ist in keinem Zeitalter und an keinem zweiten Orte das Bediirfnis und
die Fahigkeit, in den strengsten Formen der Polyphonic (Kanon und Fuge) zu denken, so all-
gemein gewesen wie damals, als Fux, der Verfasser des Gradus ad Parnassum, an der Spitze der
Wiener Hofmusik stand. Man richtet nicht nur ganze Messen voll hochster Kiinstlichkeit auf,
wie Fux mit seiner Karl VI. gewidmeten Missa canonica (1718), sondern lafit Fuge und Kanon
selbst in die verganglichsten Stiicke der Oper, die Arien, emdnngen, nicht immer zum Vorteil
der dramatischen Wirkung. Es tritt auch hier der dem gesamten Barockzeitalter eigentiimliche
Zug in Erscheinung: das heifie Streben, die Materie restlos durch den Geist zu bezwingen.
Fur Han dels Schaffensrichtung ist der Einflufi Italiens entscheidend gewesen, des Italiens
Scarlattis und Corellis. Wie diesen, so lag es auch ihm fern, die Klinste des Kontrapunkts um
Jhrer selbst wegen aufzusuchen oder gar zum Angelpunkt ganzer Werke zu machen, so sicher-
lich er dies vermocht hatte. Seine ganze Natur strebte dem Dramatischen zu. Ihn fesselte
von Anfang an das Ratselhafte der menschlichen Seele, und sein Trachten ging dahin, Ge-
stalten zu schaffen. So verleugnete er zunachst seine Schulung im Geiste des Hallenser Kan-
tatenmeisters Zachow und schrieb fur Florenz, Rom und Venedig im reinen, reifen Stile der
gleichzeitigen Italiener. In der Oper ist Handel auch spater Italiener geblieben. Nach dem
Ubertritt auf englischen Boden kam er mit der grofien einheimischen Chormusik Englands in
Beriihrung und begann sofort, sich alle ihre Mittel untertan zu machen. Seine Musik ge
winnt jetzt neben der Tiefe, die sie von Anfang an kennzeichnet, einen bemerkenswerten Zug
ins Breite. So im Utrechter Tedeum (1713) und in den wenige Jahre spater entstandenen
Abb. 75. Bach, H-moll-Messe, Autograph. Crucifixus, Takt 5 — 23.
Original im Besitz <der preuBischen Staatsbibliothek, Berlin
688
Die HochmeisUr des musikalischen Barockstils
Chandos- Anthems. Aber schon die urspriingliche Fassung des Oratoriums ,,Esther" zeigt,
welche Rolle Handel dem Chore kiinftig auch innerhalb einer dramatischen Handlung zu-
weisen wird. Im ,,Israel in Agypten" (1739) erreicht diese auch bei Erzahlung und Schilderung
von dramatischem Schwunge beseelte Chortechnik ihren Hohepunkt, aber auch ihr Ende, da
es unmoglich scheint, sie im Rahmen eines einzigen Werkes noch weiter zu steigern. Gegen-
(Andanle)
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Die Hochmeister des musikalischen Barockstils 689
iiber Bachschen Choren, deren lebhaftes organisches Stimmengeflecht auch bei schwach be-
setzten Sangergruppen wirksam bleibt, rechnen diejenigen Handels auf Massenbesetzung.
Daher die groBere Flachenhaftigkeit in der Anlage, ihre verhaltnismafiig schlichte harmonische
und melodische Struktur, wie sie als grofiartigstes Musterbeispiel das erste der Kronungs-
anthems, ,,Zadok, der Priester", verrat (vgl. das Notenbeispiel S. 688).
Die Hinwendung Handels zum Chororatorium erfolgte in England. Das Vorbild dazu fand
•er jedoch ebenfalls in Italien, in den einem friiheren Stadium des Barock angehorenden Ora-
torien Carissimis, die ihm, wie eine Entlehnung in ,,Samson" beweist, nicht nur dem Namen
nach bekannt waren. Es ergibt sich somit die merkwurdige historische Tatsache, dafi eine
Gattung, die im Kreise romischer Jesuiten ihr Geprage empfangen hatte, ihre Vollendung
•durch einen protestantischen Deutschen erfahrt, und zwar in einem Lande, das als erstes der
religiosen Aufklarung huldigte. Die gewaltige Vertiefung, die Handel ihr gibt, beruht im
wesentlichen in der mit psychologischem Scharfblick erfafiten scharfen Zeichnung der Cha-
raktere. Hierftir hatte ihn die Oper geschult. Hier wie dort herrscht die Da-capo-Arie mit
ihren dem barocken Empfinden so einleuchtenden beiden gegensatzlichen Teilen. So oft aber
Handel das iiblich^ Schema einh'alt, so oft entfernt er sich auch von ihm und schafft drama-
tische oder lyrische Ergiisse — in den letzten Oratorien ,,Theodora", ,,Susanna" und ,Jephta"
stehen solche — , die sich unter keine theoretische Formel bringen lassen, Auch bei Handel
wtirde es moglich sein, ein Verzeichnis gewisser bei gleichen oder verwandten Vorstellungen
auftretender Elementarwendungen aufzustellen. Aber sie tauchen in der Regel bald unter in
<lem Strome rein gefuhlsmaBigen Gestaltens und verlieren damit die bildhafte Deutlichkeit,
•die ihnen Bach zu erhalten pflegte. Bach war, da er mit einem Gymnasiastenchor zu rechnen
hatte, gezwungen, den von Knabenstimmen nicht zu fordernden tiefen seelischen Ausdruck
gleichsam in die {Composition selbst hineinzuprojizieren und kam auf diese Weise zu seiner
50 vielfach gebrochenen und im wahren Sinne oft barocken Melodik. Handel hatte iiber-
wiegend italienische oder italienisch geschulte Gesangsgrofien vor sich, deren Reife des Emp-
findens und Vortragskunst ihn zur Bevorzugung breiter, schwellender Kantilene auffordern
mufite. Nahezu jede Arie Handels ist daher von dem Zauber reiner bel-canto-Kunst um-
flossen und tritt abseits von dem, was Bach sich in heifiem Ringen um Wortsinn und iibersinn-
liche Bedeutung an stilistischer Selbstandigkeit erkampfte.
Auch in der reinen Instrumentalmusik ist Handel niemals Problematischem nachgegangen.
Als Instrumentalkomponist blieb er, streng genommen, bis an sein Ende ein Schuler Corellis,
also abermals eines Meisters romischer Pragung. Der wundersamen E-dur-Arie am Schlusse
seines letzten Oratoriums ,,Triumph of time and truth" (1 757) belafit er dasselbe nur wenig
veranderte Geigensolo, das er an der gleichen Stelle (im ,,Trionfo del tempo" 1708) einst in
Rom for den grofien Geiger geschrieben hatte, und in so manchem Concerto grosso, mancher
Triosonate kehrt Corellisches Gedankengut, handelisch umgeschmolzen und vergeistigter,
wieder. Selbst in der Klaviermusik verlafit Jhn dessen Geist nicht, obwohl hier die Einfliisse
Domenico Scarlattis und solche von der deutschen Heimat her iiberwiegen. Diese letztere,
die Jm Herzen Handels stets unvergessen blieb, hat ihm bei allem doch das Schonste,
Dauerndste und Unverganglichste verliehen: den Blick in die Tiefe des Herzens und die
Richtung aufs Ewige. Sie geben seinen Werken die GroBe, Ruhe und Klarheit, an der sich
bis heute noch jede Generation erhoben und gestarkt hat. Arnold Schermg
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2
DAS DEUTSCHE LIED
IM 17. UND 18.JAHRHUNDERT
Fur die Entwicklung des Lieds ist das Aufkommen des Generalbasses von besonderer Be-
deutung. Kannte man bis dahin nur das mehrstimmige Lied der A-cappella-Periode, das zwar
nach Bedarf auch als Sololied mit Instrumenten ausgefiihrt wurde, so ermoglichte doch erst
die Erfindung des Generalbasses leichte Fixierung eines durchgebildeten Akkompagnements
auf Akkordinstnimenten als Voraussetzung jeder solistischen Kleinkunst. Jetzt erst kann sich
neben dem mehrstimmigen Lied, das nun seinerseits auch mit Generalbafi versehen wird
und in dieser Gestalt noch fiir lange Zeit in Ubung bleibt, die begleitete Monodie, inDeutsch-
land das begleitete Sololied, herausbilden. Unter den friihesten Vertretern dieser neuen
Gattung verdient Heinrich Albert (1604—1651) besondere Hervorhebung. Zwar hat
es auch vor ihm nicht an Versuchen gefehlt, die neue Kunst in Deutschland einzuburgern,
aber diese Vorganger, unter ihnen in erster Linie Thomas Selle in Hamburg mit seinen
,,Monophoneticis" (1636), folgten fast ausnahmslos italienischen Vorbildern. Anders Albert;
dieser gebiirtige Sachse und Vetter des grofien, am neuen Liede stark interessierten
Heinrich Schiitz, kam als junger Student nach Konigsberg und geriet, selbst ein talen-
tierter Poet, in einen Kreis literarisch interessierter Kommilitonen, dessen Mittelpunkt
eines der besten lyrischen Talente der Zeit, der noch heute gekannte Simon Dach,
war. Mit ihm verband den strebsamen Musiker bald innigste Freundschaft, und diesem
Bunde in erster Linie ist Alberts grofies Liederwerk, die ,,Arien", die in 8 Teilen in
Konigsberg von 1638—51 erschienen, zu danken. Im Gegensatz zu seinen Vorgangern kniipft
nun Albert in den Arien — der Name bezeichnet in dieser Zeit noch keinen bestimmten Form-
typus — an zwei altbewahrte Formen deutscher Herkunft, das Tanzlied und den protestan-
tischen Choral an und hat in engster Anlehnung an diese beiden Grundtypen eine Reihe
reizender Lieder geschaffen, von denen das allbekannte, immer wieder abgedruckte ,,Vorjahrs~
liedchen" und das Herbstlied ,Jetzund heben Feld und Wald" genannt sein mogen. Dariiber
hinaus aber hat er in hochst bedeutsamer Weise und mit iiberlegenem Kunstverstand diese
volkstumlichen Formen mit Elementen der hoheren Kunst zu durchdringen vermocht und
damit einen neuen Liedtypus geschaffen, der alle Wandlungen der Zeit tiberdauert hat und
noch heute Lebensfahigkeit besitzt. Albert selbst hat ihn in seinen Arien vielfach erprobt und
in dem Hauptstikk der Gattung, ,,Auf,meinGeist! Und nun erhebe", eine seiner besten Lei-
stungen geboten:
mein Geist ! Und nun er - he
be Gottes Gut' und Va - ter-treu'
Daneben hat er denn freilich als Kind seiner Zeit auch der italienischen Richtung in einer
Reihe schwacherer Nummern seinen Tribut gezollt. Albert ist nun aber keineswegs uber-
zeugter Monodist, vielmehr halten sich in seinen ,,Arien" Solonummern und Lieder fur mehrere
692 ^as Deutsche Lied im 17. und 18. Jahrhundert
Stimmen fast die Wage; ja, wir sehen sogar, wie er in den spateren Teilen die mehrstimmige
Form wieder bevorzugt, der beste Beweis dafar, wie schwer man sich mit der neuen Kunst
zu befreunden vermochte. Ahnliche Wahrnehmungen lassen sich auch bei anderen Vertretern
des neuen Stils, unter denen wohl nicht zufallig die Organisten dominieren, machen; am aus-
gepragtesten lafit sich diese zweideutige Stellung dem neuen Lied gegeniiber in den Ristschen
Sammlungen und spater bei Johann Wolfgang Franck erkennen.
Der Gegensatz von hoherer Kunst und Volkskunst, der, wie wir sahen, gleich im ersten
wirklich deutschen Liederwerk in die Erscheinung tritt, und dem Albert in mehr vermittelndem
Sinne geschickt begegnete, bildet noch auf lange Zeit hinaus die vornehmste Triebfeder aller
Betatigung im neuen Lied.
Das volkstiimliche Prinzip findet einen ebenso hartnackigen wie kurzsichtigen und eng-
herzigen Verfechter in dem als fruchtbarer Kirchenliederdichter bekannten Wedeler Geist-
lichen Johann Rist (1607 — 67). Rist, der sich bereits als Student im weltlichen Liede nicht
unriihmlich hervorgewagt hatte, sah in der Popularisierung des neuen musikalischen Kunst-
zweiges seine schonste Aufgabe, ein Ziel, far das er, dank seiner ausgedehnten Beziehungen
zu den besten Musikern, mit Erfolg einzutreten sich wohl zutrauen durfte. Es gelang ihm
auch, in seinen 1642 erschienenen ,,Himmlischen Liedern" geistliche Liedertexte voll Kraft
und Bilderreichtum zu schaffen und zu ihrer Komposition den vortrefflichen Hamburger
Musiker Johann Schop zu bestimmen. Schops Melodien, durchweg choralartige Stiicke,
die neben gehaltvoller Melodik eine etwas freiere Form im Sinne Alberts, kleinere Ansatze
zu imitatorischer Schreibweise sowie mafivoll angewandte Chromatik auszeichnen, hatten
wohl, so mochte man meinen, durchaus dem entsprechen miissen, was Rist als erstrebens-
wertes Liedideal vorschwebte. Aber selbst das scheint diesem iibereifrigen Volksfreunde nicht
einfach genug gewesen zu sein, denn in seinen zahlreichen spateren Sammlungen, die den
,,Himmlischen Liedern" an dichterischem Wert nicht gleichkommen, hat er allmahlich einen
groBen Kreis von Musikern an sich gezogen, darunter Talente wie den Hamburger Scheide-
mann, Hammerschmidt und S.Th. Staden, doch sinken hier die Melodien selbst der
besten Kopfe zu blutleerer Schablone hinab, von der es nur selten Ausnahmen gibt, so etwa
in Stadens ,,Ach, welch ein Ubel ist der Krieg". InRists weltlichen Sammlungen treten die
guten Seiten seiner Tendenz im ganzen erfreulicher hervor. Die ,,Galathea" (1642) und auch
die ,,Florabella" (1651) bieten eineReihe hiibscher, echt volkstiimlich empfundener Melodien,
die wir wieder Schop und einem andern Hamburger Musiker, Peter Meier, verdanken. Neben
Originalmelodien bringt nachweisbar die ,,Galathea" auch Parodien, d. h. Anpassung instru-
mentaler Stiicke meist auslandischer Herkunft an die Texte, ein Verfahren, das bereits
Albert kennt, und das far die Geschichte des Liedes noch von besonderer Bedeutung werden
sollte. Schon gleich die nachste Sammlung, die wir zu erwahnen haben, bestreitet den musi
kalischen Teil ganz mit derartigen Parodien: Gabriel Voigtlanders ,,Allerhand Oden
und Lieder", zu Sohra auf Seeland, also in nachster Nahe Hamburgs, 1642 erschienen.
Nach der textlichen Seite bedeutet Voigtlander, der als Trompeter in danischen Diensten
stand, insofern einen Fortschritt, als er in diesen Oden den Kampf gegen die allzusehr
iiberhandnehmenden mythologischen Spielereien, den Rist auch androhte, mit Erfolg auf-
nimmt. Voigtlander sucht seine Stoffe in alltaglichen Begebenheiten, er behandelt Tun
und Treiben der verschiedensten Stande, geiBelt ihre Schwachen und Laster nicht ohne
Das deutsche Lied im 17. und 1 8. Jahrhundert 693
\Vitz und Sarkasmus. Die Melodien, durchweg Stiicke knappster Form, sollen laut Titel
aus aller Herren Lander stammen; und da eine Ubereinstimmung zwischen Text und
Melodie unserm Trompeter offenbar wenig Sorge bereitet hat, so tritt der kiinstlerische
Wert der Sammlung hinter ihrer geschichtlichen Bedeutung durchaus zurikk. Gleichwohl
hat sie Jhren Erfolg gehabt, und die Texte besonders, aber auch die Melodien konnten sich
noch lange groBer Beliebtheit erfreuen und auch an Nachahmern des Verfahrens hat es
nicht gefehlt; unter ihnen steht Greff linger mit seinen ,,Weltlichen Liedern" (Frankfurt 1651)
an erster Stelle.
Wahrend in Hamburg das neue Lied durch Rists iibertriebene Sucht nach Volkstiimlichkeit
notgedrungen verkiimmern muBte, verfallt es in Sachsen in das andere Extrem des allzu Ver-
kiinstelten, und auch hier kommt die Entwicklung vorzeitig zum Stillstand. Zunachst be-
obachten wir aber einen hochst erfreulichen Aufstieg. Andreas Hammerschmidt, be-
kannt auch als Mitglied des Ristschen Kreises, nimmt in seinen, 1642 und folgende Jahre
zu Freiberg erschienenen ,,Weltlichen Oden" den Hamburger Stil nach Sachsen hiniiber, be-
reichert ihn durch Hinzunahme von begleitenden Streichinstrumenten und zeigt sich in den
besten Stiicken (z. B. ,,Nirgends hin als auf den Mund" ; Moser Nr. 5) als ein durchaus liebens-
wiirdiges Liedtalent. Ungleich bedeutender erscheint Konstantin Christian Dedekind
in seiner 1657 zu Dresden herausgekommenen ,,Aelbianischen Musenlust". In der auBeren
Form folgt auch dieser sachsische Hofmusikus mit seiner stattlichen Sammlung, die die besten
Dichter jener Zeit, Opitz, Fleming, Dach, Rist und noch manche kleinere Talente vorwiegend
sachsischer Herkunft vereinigt, dem anspruchslosen Hamburger Vorbilde, aber in der Be-
lebung und ausdrucksvollen Gestaltung dieser Form, in einer vornehm gewahlten Melodik
zeigt sich der hervorragende Liedkomponist. Dedekinds Leistungen werden noch erheblich
iibertroffen von einem andern sachsischen Liedmeister, dem Leipziger Organisten und spa-
teren Dresdener Hofmusikanten Adam Krieger, dessen bedeutsamem Wirken ein allzu-
friiher Tod vorzeitig ein Ziel setzte. Seine ,,Arien", die wir heute, von einzelnen Fragmenten
der 1657 erstmalig erschienenen Sammlung abgesehen, nur noch in einer zweiten, posthum
1 667 erschienenen Ausgabe kennen, stehen formell in gleicher Weise wie die Arbeiten Hammer-
schmidts und Dedekinds durchaus auf Hamburger Boden. Auch sie kniipfen an Volks- und
Tanzlied an, halten sogar an dessen strenger Symmetric mit einer auffallenden Zahigkeit
fest und geben sie nur da einmal auf, wo es der Komponist auf hochste Ausdruckssteigerung
abgesehen hat. Durch derartige Dehnungen erzielt Krieger ganz hervorragend schone Wir-
kungen, so etwa in der Hauptnummer der Sammlung „ Adonis Tod*'. Durch sein iiberragendes
melodisches Talent weiB nun aber Krieger bei aller Strenge und Geschlossenheit der Form
die Lieder so abwechslungsreich zu gestalten, weifi die mannigfachsten Stimmungen der
Texte, die ihn iiberdies als recht sympathischen, formgewandten und anmutigen Dichter
zeigen, voll auszuschopfen, so z. B. in folgendem elegischen Lied:
•-f. . D-
m
Weicht. ihr Ge~ dan - ken, weicht von mir! Wie konnt ihr mich doch nur so qua-len?
fe= — r r rr~^^=
i
Das deutsche Lied im 17. und 1 8. Jahrhundert
Er weiB vor allem durch kleine, aber hochst gehaltvolle Nachspiele oder auch vereinzelte
Zwischenspiele fur fiinfstimmiges Streichorchester die beim Horer erweckte Stimmung m
einer Weise nachklingen zu lassen, daB seine Arien mit Recht als ein erster Hohepunkt in der
Entwicklung des neuen Liedes gelten konnen. Sie sind die erste Sammlung im neuen Stil,
welche auch heute noch Gebrauchswert besitzt, was man von alien bisherigen Erscheinungen,
Albert mit geringen Ausnahmen eingeschlossen, doch nicht sagen kann. Stilistisch nahe steht
diesen Arien Johann Jacob Loewe von Eisenach mit seiner 1665 erschienenen ,,Salanischen
Musenlust", die sich sogar in AuBerlichkeiten (gereimte Uberschriften) an das Vorbild anlehnt.
Mehr und mehr gewinnt nun aber OperneinfluB als Folge des Einzugs der italienischen
Oper in Dresden im sachsischen Liede die Oberherrschaft ; den volkstiimlichen kleineren
Formen der eben Genannten treten in Sammlungen wie Johann Kriigers ,,Musikalischer
Ergotzlichkeit" (1684) und Jakob Krembergs ,,Musikalischer Gemiitsergb'tzung" (1689)
die groBeren von Kantate und Opemarie entlehnten Liedformen gegeniiber, deren Ausdrucks-
mittel hier freilich oft genug ohne jede innere Notwendigkeit zur Anwendung gelangen und
asthetisch wenig befriedigende Gebilde zeitigen. DaB aber trotz dieser Neigung zu einer
mehr aufierlichen Wirkung auch dieser Stilrichtung hin und wieder Lieder Jm besten Sinne
gelungen sind, zeigt am schonsten Krembergs heute wieder allgemeiner bekanntes Meister-
lied: ,,Griinet die Hoffnung, halb hab ich gewonnen."
Von geringerer Bedeufung fur die Weiterentwicklung des neuen Stils ist Thuringen. Hier
bringt Georg Neumark in seinem ,,Poetisch und musikalischen Lustwaldchen" (1652) und
dessen Fortsetzung, dem ,,Fortgepflanzten Lustwald" (1657) oft kleine, das eigentliche Lied
vorwegnehmende, musikalisch gehaltvolle Geigenritornelle, so etwa in seinem beriihmtesten
und gekanntesten Stiick ,,Wer nur den lieben Gott lafit walten". AuBer Neumark und seinem
begabten Hauptmitarbeiter AdamDrese wirken in Thuringen noch die beiden Ahle recht
fleiBig und erfreulich als Vertreter eines gemaBigt volkstiimlichen Liedstils.
Wir wenden uns nunmehr siidwarts nach Niirnberg, wo durch das Wirken S. Th. Stadens
im Dienste Rists und ferner durch die liedartigen Einlagen in Stadens ,,Seelewig" dem Liede
verhaltnismaBig friih der Boden bereitet worden war. Hier in Niirnberg scheint Hamburger
Einflufi am nachhaltigsten gewirkt zu haben, wie die Melodien zu Dilhers und Arnschwangers
zahlreichen geistliclien, ganz im Hamburger Stil gehaltenen Sammlungen zeigen. Eine Aus-
nahme bildet Johann Lohner, dessen leider nur fragmentarisch erhaltene ,,Geistliche Sing-
stunde" (1676) schon durch die Verwendung von Instrumenten dartut, daB sie iiber den
Rahmen der iibrigen Niirnberger hinausstrebt.
Nur sparlich ist die Beteiligung katholischer Kreise an der Einbiirgerung der neuen Kunst.
Fried rich Spees, des Kolner Jesuiten beriihmte Sammlung ,,Trutznachtigallt4 (erstmalig
1649 erschienen), die eine stattliche Anzahl zum Teil hervorragend schoner Melodien eines
bisher noch nicht mit Sicherheit ermittelten Komponisten in engster Anlehnung an instru-
Das deutsche Lied im 17. und 18. jahrhundert 595
mentale Tanztypen bietet, bleibt vorerst eine vereinzelte Erscheinung, bis durch die fleifiige
Mitarbeit des Laurentius von Schniiffis und seine zahlreichen Sammlungen, die seit den
60 er Jahren in Konstanz erscheinen, auch irn aufiersten Sliden ein regeres Liedinteresse er-
wacht, das sich besonders in den gehaltvollen Melodien des Paters Romanus Votter zu
Schniiffis' ,,Mirant!scher Maultrommel" (1698) in schoner Weise auswirkt. Als der hervor-
ragendste siiddeutsche Liedmeister des 1 7 . Jahrhunderts ist vielleicht der Mtinchener Geistliche
Johannes Kuen (1605—1675) anzusprechen, von dem wir aus den Jahren 1635—1674
eine grofiere Anzahl Liedersammlungen, darunter die ,,Geistlich Turteltaub" (1639), besitzen,
Je mehr wir uns dem Ende des Jahrhunderts nahern, urn so starker macht sich unter dem
EinfluB des allenthalben zunehmenden Opernmteresses ein allgemeiner Niedergang in der
Liedproduktion bemerkbar. Erwahnung verdient immerhin eine Gruppe von Stettiner Kom-
ponisten, ,,die an die altere Liedtradition ankniipfte und bemiiht war, trotz aller hoheren
Kunst volkstiimlich zu bleiben" (Schwartz). Aber nur zwei Namen von iiberragender Be-
deutung tauchen noch auf: Johann Wolfgang Franck, Opernkapellmeister in Ham
burg und Komponist zahlreicher Opern, dokumentiert mit seinen Melodien zu Elmen-
horsts ,,Geistreichen Liedern", die in den Jahren 1681—85 erschienen und 1700 eine
durch Georg Bohms Beitrage auBerlich wie auch innerlich bereicherte, nunmehr 100 Num-
mern umfassende Neuausgabe erlebten, aufs neue das rege Interesse der groBen Handels- und
Hansestadt am Lied. Sie beweisen weiter, daB die Arbeit, die Rist hier geleistet hat, doch
nicht vergeblich gewesen ist. Denn diese Franckschen Lieder konnen in der Tat das Ideal
eines volkstiimlichen, gehaltvollen Liedes genannt werden. Formell halten sie nach Hamburger
Art im wesentlichen am Choral fest, verschmahen auch einen groBeren Begleitapparat und
verzichten auf Ritornelle, aber die Art und Weise, wie Franck selbst in diesem engen Rahmen
sich die Elemente der hoheren Kunst dienstbar macht, und nicht zuletzt sein aufierordentliches
melodisches Talent stempeln diese Stiicke zu klassischen Mustern der Gattung. Auch von
diesen geistlichen Liedern behaupten viele noch heute ihren hohen Wert und sind wie wenige
geeignet, hauslicher Erbauung und Erhebung zu dienen, unbeschadet ihrer wenig erfreulichen
Texte des Hamburger Geistlichen und Librettisten Elmenhorst.
Im Gegensatz zu Franck steht der Rudolstadter Kapellmeister PhilippHeinrich Erie-
bach mit seiner Sammlung ,,Harmonische Freude musikalischer Freunde" (in 2 Teilen 1694
und 1704) durchaus auf dem Boden der groBen Form. Die dreiteilige Da-capo-Arie in erster
Linie ist das Vorbild, an welches Erlebach ankniipft, und dem er auch mit den aufieren Mitteln
des orchestralen Akkompagnements nacheifert. Aber seine musikalischen Gedanken zeigen
sich der grofien Form durchaus wiirdig, seine Gesange bergen bei aller Unzulanglichkeit der
Texte mit ihrer stark moralisierenden Tendenz eine reiche Fiille von Schonheit und tief-
empfundenem Ausdruck. Ein hochbedeutender Musiker steht hier vor uns, der mit Nummern
wie ,,Meine Seufzer" und ,,Ihr Gedanken qualt mich nicht" wieder gekannt zu werden ver-
diente.
Von diesen Einzelerscheinungen abgesehen, schwindet um die Jahrhundertwende mehr und
mehr das Interesse der Komponisten am deutschen Lied, die Oper beherrscht in dieser Zeit
das gesangliche Interesse aller Kreise. Das bezeugen die vielen Sammlungen von Opernarien,
zu denen das Publikum mit Vorliebe greift. Wo aber, wie in erster Linie unter den Studenten,
noch Lust und Liebe am einfachen Liedgesang zutage tritt, da greift man auf die alten Lieb-
696 ^as Deutsche Lied im 17. und 18. Jahrhundert
linge zuriick, zu denen nach Ausweis damals entstandener Lieder hands chriften — die be-
merkenswertesten sind die Liederbiicher des Clodius und des Johann Heck — in erster
Linie Adam Kriegers und Voigtlanders Stiicke gehoren; der beste Beweis, dafi in dem Zwie-
spalt zwischen Volkskunst und hoherer Kunst die volkstiimliche Richtung schliefilich den
Sieg davongetragen hat. Und durchaus volkstiimlich ist auch der Inhalt im Siiden entstandener
Handschriften — die Prinnersche Sammlung ware hier vor andern zu nennen — , die aber
im Gegensatz zum Norden nicht Sammelgut, sondern vorwiegend Originalbeitrage bieten.
Lieddrucke erscheinen in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts so gut wie gar nicht,
eine Ausnahme machen lediglich einige zu kirchlichem Gebrauch bestimmte Gesangbiicher
mit Melodien. Unter ihnen beansprucht dasjenige des Zeitzer Kantors Schemelli (Leipzig
1736) besonderes Interesse wegen des Anteils, den J. S. Bach an seiner Redaktion hat. Eine
Neubelebung der Liedproduktion ist von dem Erscheinen von Rathgebers ,,Augsburgischem
Tafelkonfekt" (in 4 ,/TYachten" wahrend der Jahre 1733 — 42 erschienen) ab zu verzeichnen.
Dieses Tafelkonfekt, for die Geschichte des Quodlibets von grofiter Wichtigkeit, hat auch far
die Entwicklung des neuen Liedes seine Bedeutung, einmal als Fundgrube far alte, noch im
Volksmunde lebendige Melodien, dann aber besonders durch die darin enthaltenen eigent-
lichen Sololieder, die uns Rathgeber, einen fleifiig komponierenden Benediktinerpater, als
durchaus liebenswiirdiges Liedtalent von stark volkstiimlicher Begabung kennen lehren. Die
Sammlung aber, durch welche die Entwicklung eigentlich erst so recht wieder in Flufi kommt,
ist ,,Sperontes* Singende Muse an der Pleifie", die 1736 und folgende Jahre in Leipzig
herauskam. Das Erscheinen dieser ungewohnlich prachtig ausgestatteten Sammlung, in deren
pseudonymem Herausgeber Sperontes Philipp Spitta den Schlesier Johann Sigismund Scholze
erkannt hat, bedeutet nach der textlichen Seite zweifellos einen unverkennbaren Fortschritt;
bietet sie doch nach langer Pause zum erstenmal wieder wirkliche Poesie, und zwar von keinem
Geringeren als dem auch von Goethe noch geschatzten Christian Giinther, dem sich Scholze
mit eigenen Beitragen von ungleichem Wert als Schiiler anschliefit. Anders steht es mit
den Melodien. Fiir sie greift Scholze auf jenes Verfahren der Parodie zuriick, das, wie wir
uns erinnern, schon Voigtlander zum Stilprinzip erhoben wissen wollte. Ahnlich wie dieser
beabsichtigt Sperontes mit seiner Liedmusik nicht Originalbeitrage, sondern vielmehr die
neuesten Instrumentalstiicke, meist Tanzweisen, wie Airs, Menuetts, Murkis, Marsche und
vor allem Polonaisen zu bieten. Dafi es sich dabei nicht um Liedmusik im eigentlichen Sinne
handelt, kann etwa folgendes Beispiel dartun:
Air.
- zahl~ter BIu - men Men - ge, Die durch al - ler Gar - ten Gan - ge
— T-T-r-**?^ • T
Aber wie bei Voigtlander, so steht es auch hier um die innerliche Obereinstimmung zwischen
Dichterwort und Melodic recht wenig erfreulich, und dieser Umstand macht auch Sperontes*
Sammlung musikalisch im ganzen wenig wertvoll. Und doch fehlt es nicht an Nummern,
die als Lieder voll gelten konnen und einen echt volkstiimlichen Ton anschlagen; ja man hat
Das deutsche Lied im 17. und 18. Jahrhundert
697
ob dieses erfreulichen Eindrucks fiir eine Reihe von Stiicken sogar Bachs Autorschaft in An-
spruch nehmen wollen, was aber bisher nur far das oftgenannte Blaustrumpflied ,,Ihr Schonen,
horet an*' mit einiger Berechtigung geschehen ist. Trotz ihrer Mangel hat sich die Sammlung
beispielloser Beliebtheit erfreut, und die Gefahr, daB das von Sperontes erneut eingeschlagene
Verfahren nun doch allgemeines Prinzip werden konnte, lag nahe genug und ist auch keines-
wegs immer umgangen worden. Aber zum Gliick waren doch auch Gegenstromungen vor-
handen, die der Liedkom position als einer selbstandigen Kunst das Wort redeten, und ihnen
ist es zu danken, da6 sich die Komponisten mit der Zeit immer entschiedener von Sperontes'
Grundsatzen frei gemacht haben. Der erste, der gegen Sperontes auftrat, war Friedrich
Grafe, ein hoher Postbeamter und ruhriger Musikdilettant in Braunschweig, mit seiner
,,Sammlung verschiedener und auserlesener Oden, zu welchen von den beriihmtesten Meistern
in der Music eigene Melodeyen verfertiget worden", die 1743 in Halle zuerst erschien und
noch drei Fortsetzungen erlebte. Die Absage an Sperontes, die schon aus der Fassung des
langatmigen Titels zur Geniige hervorgeht, setzt sich in den Vorreden in allerlei Sticheleien,
die selbst vor der aufieren Ausstattung der ,,Singenden Muse" nicht halt machen, fort. Dafi
Grafe iiber ausgedehnte literarische Verbindungen verfagt, lafit neben seinen Widmungen
an Marianne von Ziegler und die Gottschedin die grofie Anzahl der von ihm bemiihten
Poeten erkennen, in derMehrzahl hochst schwachliche Nachahmer Giinthers. Aber auch den
eigens verfertigten Melodien, fiir die Grafe sich nicht weniger als vier Musiker verschrieb,
lafit sich keineswegs unbedingt Lobenswertes nachsagen: C. Ph. E. Bach, dem wir hier zum
erstenmal als Liedkomponist begegnen, bietet vereinzelt erfreuliches und auch C. PL Graun
ist mit ein paar stimmungsvollen Stiicken vertreten. Ganz schwach und hochst ungesanglich
in der Schreibweise ist der nicht weiter bekannte Giovannini, etwas besser Grafe selbst.
Das Haupttalent der Sammlung ist aber entschieden Konrad Friedrich Hurlebusch: die
Mummer ,,Etwas lieben und entbehren" gehort zum Schonsten und Innigsten der Zeit, und
auch die f olgende steht ihr an Zartheit der Empfindung nicht nach :
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698
Das deutsche Lied im 17. und 18. Jahrhundert
keit und ill - res Schmer-zens Un - ge - ber - den, wenn sie die
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hei - Ben Tra - nen streut
noch viel scho - ner ma - chen wer - - den.
In erfreulichem Gegensatz zu Sperontes stehen welter noch zwei Hamburger Sammlungen,
die zeitlich zusammenfallen und auch aufierlich wie innerlich mancherlei Ahnlichkeit auf-
weisen. Die eine, G. Ph. Telemanns ,,24 theils ernsthafte, theils scherzende Oden"
(1741), bedeutungsvoll schon allein durch die Tatsache, dafi hier ein Musiker von Rang
sich dem Liede zuwendet, ist an musikalischem Gehalt freilich nicht so wertvoll, wie der
Name Telemann erwarten lassen sollte — das beste, was dieser bedeutende Meister im
neuen Lied geleistet hat, enthalten vielmehr die Beispiele seiner 1733/34 erschienenen
,,Singe-, Spiel- und Generalbafiiibungen", die ja nichts anderes sind als kleine Lieder
der verschiedensten Formen; die andere Sammlung, anonym unter dem Titel ,,Neue
Oden und Lieder" in 3 Teilen 1742—52 erschienen, enthalt ausschlieClich Gedichte, und
zwar meistens vorher nicht gedruckte, von Hagedorn, und als Komponist dieser Lieder,
die sich durch Feinheit der Form, Anmut der Sprache und Sinn fur musikalische Wirkung
auszeichnen und daneben durch eine Dosis franzosischen Witzes eine erfreuliche Abwechs-
lung in das ermiidende Einerlei der nachguntherischen Tugendpoesie bringen, gibt sich
im 3. Teil Valentin Corner (1725— 62), Musikdirektor am Hamburger Dom, zu erkennen.
Ihn miissen wir auf Grund dieser Kompositionen als eines der ausgezeichnetsten Lied-
talente des Jahrhunderts bewerten. Corner halt formell an dem gangbaren, von der Poesie
entlehnten Odenschema Sperontes * und Grafes fest, erweist sich aber als ein Melodiker von
ganz auBerordentlicher Begabung mit sicherem Blick fiir das richtige Verhaltnis zwischen
Wort und Ton. Seine Melodien halten sich frei von all dem unsangbaren Zierat der Speron-
tiden und zeigen auch schopferischen Formensinn durch die auBerst gluckliche Anwendung
des Chorrefrains in den geselligen Stiicken. Sehr erfreulich wirkt auch die gleichmafiige Giite
der Melodien, unter denen eigentliche Nieten kaum zu finden sind; dafiir aber zahlreiche
Treffer ersten Ranges, von denen nur das eine, noch von Goethe gekannte und fiir seine
Sesenheimer Lieder benutzte ,,Uns lockt die Morgenrote" namentlich hervorgehoben sei.
In Verbindung mit Corner und Hagedorn mogen zwei Musiker genannt werden, die sich
nicht ohne Geschick an einen so sproden Stoff wie die Gellertschen Fabeln herangewagt haben.
Johann Ernst Bach, der Sohn eines Vetters des groBen Sebastian, bringt in seiner ,, Samm
lung auserlesener Fabeln mit dazu verfertigten Melodien** (1749) an Stellen, wo die Erzahlung
eine unerwartete Wendung nimmt, auch eine neue Melodie und tut so gleichsam den ersten
Schritt zur durchkomponierten Ballade. Der hochbegabte Valentin Herbing (f 1766), dem
Pas deutsche Lied im 17. und 1 8. Jahrhundert 599
wir auch einige gute volkstiimliche Lieder verdanken, iibertragt in seinem ,,Musikalischen
Versuch in Fabeln und Erzahlungen . . ." (1759) die grofien Ausdrucksmittel von Oper und
Kantate auf diese beliebte Form der Dichtung, bietet in seinen durchkomponierten Szenen
viel fesselnde Einzelheiten, ist aber im iibrigen doch noch nicht fahig, Wort und Ton zu einer
einheitlich gestalteten Kunstform zu verschmelzen.
Die weitere Entwicklung des Liedes wird in der zweiten Halfte des Jahrhunderts fast aus-
schliefilich beherrscht von dem Wirken der sogenannten Berliner Schule. In Berlin lafit
namlich der auch als Asthetiker nicht unbekannte Advokat und Musikdilettant Christian
Gottfried Krause im Jahre 1753 ,,0den mit Melodien" erscheinen und legt im Vorwort
zu dieser Sammlung eingehend seine Grundsatze far die Liedkomposition dar. Seine etwas
langatmigen Ausftihrungen gipfeln in folgendem Hauptsatze seines Programms: ,,Die Kom-
ponisten sollen singend ihre Lieder componieren, ohne das Clavier dabey zu gebrauchen und
ohne daran zu gedenken, dafi noch ein Bafi hinzukommen soil." Muster des ihm vorschwe-
benden Liedideals sieht Krause nicht, was immerhin nahe gelegen hatte, in so meisterhaften
Stucken wie etwa den Gornerschen, vielmehr ist ihm das wahre Vorbild die franzosische
Chanson, erne Ansicht, die nicht so sehr iiberraschen kann, wenn man bedenkt, dafi gerade
wenig Jahre vorher umfangreiche franzosische Chansonsammlungen durch hiibsche Dnicke
den Weg ins Volk gefunden hatten. Auf Grund dieses Programms, das freilich an Einseitig-
keit nicht gut zu iiberbieten war, und seiner Verwirklichung durch Heranziehung geeigneter
musikalischer Krafte, darf Krause als eigentlicher Begrunder der Berliner Schule angesehen
werden. Die Dichtungen der Sammlung riihren von Ramler her, und die in ihr vertretenen
Musiker sind meist Angehorige des Sanssoucier Kreises, wie Quantz, C. Ph. E. Bach und
Graun, die beiden letzten, wie wir wissen, im Liede bereits bewahrt. Man kann von ihren
Leistungen sagen, daB sie den von Krause aufgestellten Forderungen gerecht werden, ohne
jedoch gerade besondere Vorziige aufzuweisen. Eine Fortsetzung der Sammlung, 1755 wahr-
scheinlich von Marpurg redigiert, lafit dagegen die Durchfuhrung von Krauses Grundsatzen
fast ganz vermissen und ist auch im iibrigen keine erfreuliche Erscheinung. Die Haupt-
bedeutung der ,,0den und Lieder" liegt auch weniger in ihrem musikalischen Wert, als in
der durch sie hervorgerufenen Neubelebung der volkstumlichen Liedkomposition, denn aufier-
ordentlich zahlreich sind die Liedersammlungen, die diesen Oden folgen; das beste Bild dieser
im Anschlufi an Krause erfolgten Betatigung geben die vier Bande ,,Lieder der Teutschen"
{Berlin 1767/68), bei denen er selbst wieder die Funktion des Herausgebers ubernommen hat.
Daneben fehlt es aber auch nicht an Komponisten, die Krauses Grundsatzen weniger blind-
lings gefolgt sind und unter freier Entfaltung ihrer Krafte hochst erfreuliche Leistungen im
Liede geboten haben. Da ist an erster Stelle wieder der Berliner Bach mit seinen wertvollen
Kompositionen zu Gellerts ,,Geistlichen Oden" (1758), in den besten Nummern in der Tat
,,elementare Ergiisse hochgestimmter Stunden" (Kretzschmar), weiter sind zu nennen Neef es
und Glucks Klopstockhefte, wo namentlich Clucks Leistungen zum Schonsten gehoren, was
die Zeit im Liede hervorgebracht hat. Endlich miissen wir auf Rechnung der Berliner Schule
noch eine Erscheinung wie Johann Adam Hiller setzen; mit seinen Singspielen hat dieser
sympathische Musiker wie kaum ein zweiter auf die breiten Schichten des Volkes gewirkt;
durch seine Kinderlieder, die zunachst fiir padagogische Zwecke gedacht waren, hat er eine
Flut von sogenannten Standesliedern (genannt seien nur die zahlreichen Sammlungen mit
45 H. d.M.
700
Das deutsche Lied im 1 7. und 1 8. Janrhundert
Freimaurerliedern, ,,Lieder fur den Landmann", ,,Lieder des preufiischen Soldaten", ,,Akade~
mische Lieder" u. a.) verursacht: die Inanspruchnahme des neuen Liedes im volkstiimlichen
Sinne konnte nicht wohl iiberboten werden.
Bei diesem blinden Popularisierungseifer lief man nun freilich Gefahr, die textliche Seite
des Liedes zu sehr zu vernachlassigen. An der Bewegung, die sich an Klopstock und den
Gottinger Hain, vor allem aber an Herders Eintreten furs Volkslied anschlofi und eine Reform
der Lyrik in volkstiimlichem Sinne erstrebte, waren die Komponisten geraume Zeit achtlos
voriibergegangen. Ihr auch far die Liedkomposition Geltung verschafft, das Lied von der
Abhangigkeit fader Witzeleien befreit zu haben, ist das groBe Verdienst von Johann Abra
ham Peter Schulz und seiner beriihmten Sammlung ,,Lieder im Volkston" (1782 erstmalig
in Berlin erschienen). Schulz* Grundsatze decken sich im wesentlichen mit denjenigen Krauses>
nur ist er ihnen ein ungleich warmerer, mit seiner schonen Definition des Volkstons als ,,Schein
des Bekannten" ein viel iiberzeugenderer Anwalt geworden, und in seinen Kompositionen
hat er die Berechtigung und Durchfahrbarkeit seiner Ideen in einer in ihrer Art genialen
Weise erprobt und fur alle Zeit unvergangliche Muster echt volkstiimlicher Lieder geschaffen,
als deren bekanntestes Claudius' beriihmtes Abendlied ,,Der Mond ist aufgegangen" noch
heute in aller Munde fortlebt. Ein anderes, far Schulz' anspruchlose Art nicht minder cha-
rakteristisches Beispiel das Holtysche ,,MaiIied", sei hier mitgeteilt:
Will - kom-men, lie - ber scho - ner Mai, der im - sre Flur ver - jungt, da6 rings-
jO $f~)^ } /j & 1
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~ - urn Laub und
Blu - men neu aus
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vol - len Knos - pen
dringt.
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i-
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L_t^: X J
1
Es kann nun als ein Gliick far die weitere Entwicklung bezeichnet werden, dafi in Johann
Friedrich Reichardt neben Schulz und im Gegensatz zu seiner stillen, bescheidenen, in
sich gekehrten Natur ein mehr weltmannisch gebildeter, ungleich geschaftigerer, aber auch
weniger in sich geschlossener und in seinen Zielen haufig hin und her schwankender Charakter
brat, der durch weitschauenden Blick und eine ungleich groBere musikalische Begabung einer
Stagnation des von Schulz geschaffenen Liedtypus vorbeugte. Zwiefach sind die Verdienste
Reichardts, der zu den fruchtbarsten Liederkomponisten aller Zeit gehort: In musikalischer
Hinsicht hat er das Lied ungeheuer bereichert sowohl an auBeren Mitteln (Harmonic und
Form; hier gibt er besonders der Begleitung eine grofiere Bedeutung und bringt damit eine
Entwicklung zum Abschlufi, die bei Sperontes tastend einsetzt und iiber Ernst Bach, Herbing
und C. Ph. E. Bach die Ersetzung des die Begleitung nur skizzierenden Generalbasses durch
Das deutsche Lied im 17. und 18. Jahrhundert 701
ein ausgearbeitetes Akkompagnement anstrebt) als auch an innerem Gehalt. Das letztere hat
er besonders dadurch erreicht, daB er auch den Texten besondere Aufmerksamkeit schenkte,
sich nicht, wie Schulz, auf die anspruchsloseren Poesien des Gottinger Kreises beschrankte,
sondem zum erstenmal einen vollen Griff tat in den unerschopflichen Born Goethescher
Lyrik, ja selbst vor Schillers musikalisch nicht leicht zu meisternden Gedichten nicht halt
machte.
Es bedarf kaum besonderer Hervorhebung, dafi es den Berliner Fiihrern nicht an zahlreichem
Gefolge in Berlin wie in den verschiedensten Gegenden Deutschlands, ja selbst in der Schweiz
gefehlt hat; es mufi aber geniigen, an Namen wie Andre, Zelter und Aemilius Kunzen
zu erinnern. Nur auf Zumsteegs, des Schwaben, Bedeutung fur die Entwicklung der
Balladenkomposition, fiir die er mit seinen zahlreichen Versuchen in kleinen wie in grofien
Balladen wenn auch nicht eigentlich Vorbild, so doch der fruchtbare Anreger unserer grofien
Meister Schubert und Loewe geworden ist, muB hier noch mit besonderem Nachdruck hin-
gewiesen werden.
Eine eigene Betrachtung verlangt am Schlusse dieses Abschnittes die Wiener Schule wegen
der ausschlaggebenden Bedeutung, die ihr spater durch Schuberts Wirken zukommt. Wien
tritt, ahnlich wie die Schweiz, erst spat unter die Pflegestatten des neuen Liedes. Wenngleich
zwar auch hier von jeher Interesse nachweisbar ist, so beginnt die eigentliche Entwicklung
doch erst mit der Anregung, die vom Wiener Nationalsingspiel ausging, welches auf Anord-
nung Kaiser Josefs II. im Jahre 1778 mit Umlauffs ,,Bergknappen" eroffnet wurde. Im
gleichen Jahr erscheint hier namhch Johann Anton Steffans ,,Sammlung deutscher Lieder
fiir das Klavier", und von ihr geht, befruchtet vom Singspiellied, von italienischer Melodik
und Gesangstechnik, von der hochentwickelten Wiener Instrumentalmusik und in formaler
Hinsicht doch wohl auch vom Lied der Berliner Schule eine rege Betatigung im neuen Liede
aus, die sich weiterhin an die Namen Hof mann, Friberth, Griinewald, Holzer und
Rupprecht kniipft, von denen neben Steffan vor allem Hof mann, Holzer und Rupprecht
Erfreuliches leisten. Drei neue Liedtypen gehen aus dieser Entwicklung hervor: das senti-
mentale Arienlied, das spater, auf dem Boden der grofien Opernarie stehend, zum ernsten,
gehaltvollen Stimmungslied fiihrt, und die Ariette. Steffan, dessen Lieder stark von instru-
mentalen Elementen durchsetzt sind, wendet seine besondere Aufmerksamkeit der Begleitung
zu; Holzer, wahrscheinlich Schuberts Lehrer, ist ein hervorragender Melodiker, wahrend
Rupprecht als bedeutendes Talent im lyrischen Stimmungslied Beachtung verdient.
Vorziige und Nachteile der Schule, zu letzteren gehort auch ganzliche Gleichgiiltigkeit in
der Wahl der Texte, vereinigen die zwei Liederhefte Josef Haydns vom Jahre 1782 und 1784.
Sie zeigen vor allem den meisterhaften Beherrscher instrumentaler Formen, doch iiberwiegt
die instrumentale Technik allzusehr und lafit allzu oft das richtige Verhaltnis zwischen Sing-
stimme und Begleitung vermissen. Die meisten seiner Lieder, zu sentimentalen Texten von
oft recht fraglichem Wert, sind ganz von der Opernarie beeinflufit, so etwa: ,,Genugsamkeit*',
,,Sympathie", ,,Treue"; die einfacher gestalteten dagegen kniipfen mehr unmittelbar an das
Singspiellied an, so: ,,Zufriedenheit", ,,Gleichsinn", ,Jeder mei'nt, das holdeKind". So reich
an einzelnen Schonheiten wohl mehr oder weniger alle Haydnschen Lieder sind, als Lieder
im eigentlichen Sinne konnen nach Form und Inhalt doch nur ganz wenige befriedigen, wie
etwa das von norddeutschen Grundsatzen beeinflufite ,,Standchen", das aber vielleicht Mo-
45*
702 Das deutscKe Lied im 17. und 18. Jahrhundert
zart zugeschneben werden muB, oder ,,An die Freundschaft" mit seiner fast iiberirdisch
schonen Melodik, neben welcher der allzu banale Text geradezu abstofiend wirkt. Nicht seine
eigentlichen Lieder sind es demnach, die Haydns Bedeutung furs Lied begriinden, vielmehr
mufi man sich der liedartigen Nummern seiner Oratorien und sonstigen Sitze mit Lied-
charakter in seinen unverganglichen Instmmentalwerken und nicht zuletzt einer so popularen
Schopfung wie der osterreichischen Volkshymne erinnern, um die Bedeutung des grofien In-
strumentalklassikers fur die Entwicklung der Gattung ganz zu ermessen.
Zu voller Hohe fiihrt das Wiener Lied erst Mozart, der zwar, wie vor ihm Haydn und
nach ihm Beethoven, sich nur mehr gelegentlich dem Lied zuwandte, der aber in den wenigen
Werken so ziemlich alle Entwicklungsstufen durchlaufen hat. Von ersten unbedeutenden
Versuchen des Wunderknaben im Stile etwa der norddeutschen Schule, die seine Bekannt-
schaft mit Sperontes ,,Singender Muse** wahrscheinlich machen, angefangen, bietet er in der
{Composition des franztfsischen Textes ,,Dans un bois solitaire" das Beispiel einer empfind-
samen Arie, zugleich einen Vorlaufer seiner meisterhaften „ Abendempf indung" , jenes grofi-
angelegten lyrischen Stimmungsliedes, in welchem Mozart Schuberts Stimmungslyrik schon
vorausahnen laBt. Lustig charakterisierend zeigt ihn Hagedorns ,,Alte", die vor ihm Corner
bereits mit Gliick vertonte. Den grofien dramatischen Meister verrat, zunachst noch andeu-
tend, der in zierlichem Rokoko gehaltene ,,Zauberer", auf der Hohe voller Meisterschaft
zeigt ihn schlieBlich die geniale Komposition des Goetheschen ,,Veilchens" ; dieses kleine
Meisterwerk laBt uns unendlich bedauern, daB auch Mozarts liedschopferische Kraft nicht
voll hat zur Entfaltung kommen konnen. Bei eingehender Wurdigung all dieser Leistungen
wiirde man aber auch Mozarts Bedeutung furs Lied nicht erschopfen, wollte man nicht noch
auf die liedartigen Nummern in seinen Singspielen, voran ,,Entfuhrung" und ,,Zauberflote",
mit Nachdruck hinweisen.
Auch bei Beethoven kehren im wesentlichen die Haupttypen des Wiener Liedes in wenig
veranderter Gestalt wieder. Seine ersten Lieder, die wir bis 1783 — ,,Schilderung eines Mad-
chens" ist bekanntlich sein erster Versuch — zuriickdatieren konnen, sind ausnahmslos Stro-
phenlieder und halten durchweg an der einfachen, vorwiegend zweiteiligen Liedform, der
typischen Odenform des IS.Jahrhunderts fest: so etwa die 8 Nummern von op. 52 — darunter,
relativ am bedeutendsten, Goethes ,,Mailied" — die wohl alle noch in die Bonner Zeit gehoren
und Beethoven eine wenig freundliche Kritik eintrugen. Himmelhoch iiber diesen friihen
Versuchen stehen zwei reifeWerke aus der ersten Schaffensperiode : Matthissons ,,Adelaide",
op. 46, in den Jahren 1795/96 entstanden, und die 6 Gellertlieder, op. 48, vom Jahre 1803.
Die ,,AdeIaide", formell eine zweiteilige Arie mit dem Gegensatz langsanvschnell, von Beet"
hoven selbst als Cantata bezeichnet, gehort ihrem musikalischen Gehalt nach zu dem grofien
Stimmungslied der Wiener Schule, das in Mozarts „ Abendempf indung* * eins seiner schonsten
Beispiele zeitigte. Zweifellos ist Beethovens ,,Adelaide" von Mozart stark beeinflufit,' und
in dem Streben, die Stimmung des schwarmerischen Textes bis in alle Einzelheiten — man
denke an die wundervollen Naturschiiderungen im ersten Teil — auszuschopfen, kiinden sich
bereits Vorboten der Romantik an. Mit Beethovens Gellerthefte wendet sich die Wiener
Schule dem geistlichen Liede zu. Es ist nicht ausgeschlossen, daB hier C. Ph. E. Bach mit
seinen friiher erwahnten Gellertliedern auf Beethoven gewirkt haben konnte, mit dessen Auf-
fassung Beethoven sicK wiederholt beruhrt. Wie Bach halt auch Beethoven an der einfachen
Das deutsche Lied im 1 7. und 1 8. Jahrhundert 7Q3
Liedform fest, die jeweilige Gmndstimmung der Texte wird meisterhaft erfafit, und das Ganze
klingt im ,,Bu81ied" mit seinem wundervoll durchgefiihrten Gegensatz von demutsvoller Zer-
knirschung und froher Hoffnung auf Vergebung in einem durch Figuration wirksam ge-
steigerten, schwungvollen Hymnus aus. Was Beethoven sonst noch an Liedern geschaffen hat,
sind meistenteils weniger bedeutende Kleinigkeiten, vorwiegend wieder einfache Strophen-
lieder in der Form von Singspielliedern und Arietten. Seine groBten Leistungen im Lied,
die Kompositionen zu Goetheschen Texten und der ,,Liederkreis an die feme Geliebte" ragen
mit ihrem durchaus subjektiven Empfindungsgehalt bereits in die neue Epoche hinein, in
der das Lied, nicht zum letzten eben durch das Wirken Beethovens, mehr und mehr von
seiner zuvor erwahnten gesellschaftlichen Gebundenheit befreit und zu einer selbstandigen
subjektivem Empfinden Raum gebenden Kunstgattung erhoben wird. An dieser Entwicklung
haben neben Beethoven noch einzelne Wiener Kleinmeister teil: neben A. Eberl, Heckel,
M.Graf Dietrichstein und F. v. Neukomm in besonderem MaCe Niklas Freiherr
v. Krufft; sie alle sind an der Weiterbildung der alteren Liedarten lebhaft interessiert und
fiihren die Form hiniiber zum Stimmunglied der Romantik, als dessen Vollender und grofiter
Meister uns Franz Schubert gilt.
Literatur
Kretzschmar, H.: Geschichte des neuen deutschen Liedes von Albert bis Zelter. Leipzig 1911. — Fried-
laender, M.: Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert. 2 Bde. Stuttgart u. Berlin 1902, — Mueller, G.: Geschichte
des deutschen Liedes. Vom Zeitalter des Barock bis zur Gegenwart Miinchen 1925. — Krabbe, W.: J. Rist und das
deutsche Lied. Berl. Diss. 1910. — Fischer, Kurt: Gabriel Voigtlander. Berl. Diss. 1910. — Schmitz, Am.:
Monodien der Kolner Jesuiten aus der 1 . Halfte des 1 7. Jahrhunderts (ZfMW. IV, 266). — Wallner, B. A. : Johannes
Kuen und die Altmiinchener Monodisten. (Bisher ungedruckt, vgl. Zeitschr. f. Musikw. 2, 1919/20, S.445ff.) —
Schwartz, R.: Zur Geschichte der liederlosen Zeit in Deutschland. Jahrb. Peters 20, 1913, S. 15ff. — Spitta, Ph.:
Sperontes ,,Singende Muse" (Musikgesch. Aufsatze, Berlin 1894, S. 175). — Seyfert, B.: Das musikalisch-volks-
tumliche Lied von 1770—1800 (VfMW. 1894). — Klunger, C.: J. A. P. Schulz in seinen volkstiim lichen Liedern.
Leipziger Diss. 1909. — Pauli, W.: J. F. Reichardt, sein Leben und seine Stellung in der Geschichte des deutschen
Liedes. Berlin 1903. — Landshoff, L.: J. R. Zumsteeg. Berlin 1902. — Pollak-Schlaffenberg, I.: Die Wiener
Liedmusikvon 1778— 1789 (StMW.5 Wien 1918). — Alberti-Radanowicz, E.: Das Wiener Lied von 1789—1815.
(StMW. 10. 1923.) — Fiir Mozart ist auf die Bemerkungen Aberts in der Mozartbiographie zu verweisen. —
Boettcher, H.: Beethoven als Liederkomponist. Berl. Diss. Augsburg 1928.
Neudrucke in den DDT. mit ausfiihrlichen Monographien
Albert (XII/XIII, Kretzschmar-Bernoulli). — Krieger, A. (XIX, Heufi). — Franck W., (XXXXV, Kromo-
licki-Krabbe). - Erlebach (XXXXVI/XXXXVII, Kinkeldey). - Sperontes (XXXV/XXXVI, Buhle). -
Telemann- Corner (LVII, Krabbe). - Bach, J. E. - Herbing (XXXXII, Kretzschmar). - Wiener Lied
(DTO. 54, Pollak-Schlaffenberg).
Sonstige Neudrucke
Moser, H. J., Alte Meister des deutschen Liedes (Edition Peters 3495), eirie Auswahl fur das 17. u. 18. Jahr
hundert. — Friedlaender, M., a. a. 0. Bd. 1,2. — Lindner, E. 0., Geschichte des deutschen Liedes. Leipzig
1871. Musikbeilagen.
Wilhelm Krabbe
DAS ORATORIUM IM 18. J AHRHUNDERT
Die Kunst der deutschen Kantoren des 17. Jahrhunderts ist ein in sich gerundeter geistiger
und Stilkomplex mit vielfachen Zu- und Ausgangen nach den benachbarten Epochen und
nationalen Kulturen. Als Vorstufe fur die Kunst Handels und seines Jahrhunderts kommt sie
nicht primar in Frage. Ob Georg Friedrich Handel (1685 — 1 759) das Werk des groBen Schiitz
gekannt hat, ist ungewiB. Das Spezifische des Schiitzschen Stils, sein mystisch tiefes Welt-
geftihl wird der Generation, in welche Handel hineingeboren war, und erst recht jener kri~
tischen Wendezeit, als der junge Handel zum erstenmal bewuBt sich in seiner musikalischen
Umgebung umsah, schon vollig fremd gewesen sein. Das geistige Totalbild Handels spannt
sich ja iiber Flachen, auf denen die ganze Erscheinung der neapolitanischen Schule bequem
Platz findet, wahrend umgekehrt die GroBe des deutschen Meisters sich nach keiner Seite
in den neapolitanischen Stilrahmen fiigen wiirde. Man hat das Handelsche Werk als stili-
stischen Gesamtkomplex in die emzelnen Komponenten zerlegt, und es hat sich dabei iiber-
raschend ergeben, m wie vielem Einzelnen seine Kunst von anderen Meistern und Landern, be-
sonders dem Siiden, profitiert hat. Der Prozefi seiner Anpassung, Anschmiegung an Italiens
reich konturiertes, sinnliches Melos, die gluckliche Verschmelzung eingewurzelter italienischer
Elemente mit der eigenen Musiksprache, alles das, was an der Musik dieses Deutschen in
Nietzsches Ausdrucksweise ,,mediterranen" Ursprungs ist, kann nicht verkannt werden. Und
doch ist damit noch in keiner Weise an das Wesenszentrum seiner Kunst geriihrt. So scharf
in ihr die zeitstilistische Linie von der individualistischen gekreuzt wird, so wenig laBt Handels
Werk es zu, in eine geistige Abhangigkeit von seiner oder einer friiheren Zeit gebracht zu
werden. Der Idee nach ist Handels Oratorium etwas Individuelles, Singulares: Es iiberholt
gewissermaBen den ganzen bishengen Entwicklungsgang des Oratoriums von einem andern
Ausgangspunkt, namlich von einem ganz tiefen, subjektiven ethischen Zentrum aus. Der Weg
bis zur klaren Erfassung der Idee im ethischen BewuBtsein des eigenen Ich fiihrt durch eine
auBerst harte Schule des Lebens, durch beispiellose aufiere und innere Siege und Kampfe;
fiihrt an den Punkt, wo sich mit aller Folgerichtigkeit die Wege der Zeit und des zeitlosen
Genies trennen mufiten. Und endet in einer Einsamkeit und tragischen menschlichen Ver-
lassenheit, die etwas Grandioses hat. Einem solchen Genietum hatten Schule und Geschrnack
seiner Epoche armselige Kriicken bedeuten miissen: In Wahrheit hat Handel keinen Lehrer
gehabt aufier dem Leben, so wenig er selbst fahig gewesen ware, eine Schule zu fiihren. Ein
einziger hat sich noch als reifer Kiinstler zu seiner geistigen Schiilerschaft bekannt, vielleicht
der erste Mensch iiberhaupt, der Handels Kunst ihrer geistigen Idee nach vollstandig erfaBte :
Beethoven.
Handels Oratorium ist nur von dem (iiber 40 Werke umfassenden) Grundbau seiner Opern
aus zu verstehen. Es wachst, beeinfluBt durch auBere Momente an sich widriger Art, organisch
aus dies.em Boden Handelscher Kunst. Griffen nicht bei Handel die groBen Kreise opern-
und oratonenmafiigen Schaffens in den Jahren der keimenden Oratorienidee (etwa in dem
Jahrzehnt von 1730 — 40) zu eng ineinander, so konnte man wohl von einer mehr triebhaften,
vorbereitenden Peri ode und einer Periode der Erfullung sprechen. Dem steht aber andererseits
entgegen, dafi Handel zu bedeutende Opern und noch in der letzten Schaffensperiode zu
Das Oratorium im 1 8. JaKrhundert 705
biihnenmaBig gedachte, an ein Musikdrama der blofien Idee nach angenaherte Orator! en
geschrieben hat, als dafi sich elne derart einfache Scheidung vornehmen liefie. An der Tatsache,
dafi Handels Oratorien, soweit sie die Gattung ganz rein vertreten, einem inneren Ungeniigen
an der Oper, einem Reformbediirfnis, ihr Leben verdanken, wird sich auch fiirder nichts
andern lassen.
Die tiefste Wahlverwandtschaft teilt Handel mit Carissimi, doch ware es verfehlt, sie in
Ahnlichkeiten der musikalischen Faktur allein aufzusuchen. Handel hat Carissimis Oratorium
in seiner hervorstechendsten Wesenheit : der Zuriickfuhrung des Ganzen auf ein ideales Chor-
fundament, mit genialem Blick verstanden. In seinem eigentlichen Reformwerk ,,Israel in
Agypten" ist der Chor der Trager der Idee geworden, in einem MaCe, wie es nicht nur den
Zeitgenossen, sondern sogar unserer Zeit noch unerhort und kiihn erscheinen mufite. Dann
findet Handel hier auch den Anschlufi an das reine Bibelwort und verwendet im uralten Sinne
den Testo. Eine derartig antik grofie Haltung der Chore nehmen schon die Chore von Handels
Chandosanthems an, welche die neue Richtung aufs Volloratorium klar andeuten. Nur iiber
Carissimi, den .Jsrael", die Anthems, kann auch Handels anderes Chororatorium, der ,,Mes-
sias", gedeutet werden. Von der extremen Betonung des Chorstandpunkts ist Handel selbst
wieder abgekommen. Und gerade hierin scheint sich die letzte Falte seines Wesens zu er-
schliefien: wie er aus einem bewufit kontraren Verhaltnis zu Carissimi hergekommen war,
wie er es iiberhaupt unmoglich darauf abgesehen haben konnte, den Carissimi-Oratorientypus
auf einer stilistisch neuen Basis wieder erstehen zu lassen, so mufite seine Schaffenstendenz
auch wieder kontrar zu Carissimi auslaufen. Natiirlich nicht nach der Seite des chorlosen
Oratoriums, wohl aber nach Seiten einer Belebung durch Handlung, nicht so sehr durch
aufiere, als durch innere Vorgange. Wir sehen hier eine scharfe geistige Linie verlaufen,
etwa zwischen den zwolf Jahre auseinanderliegenden Oratorien ,,Deborah" und ,,Belsazar".
Man steht bei beiden, als typisch herausgegriffenen Werken hart vor dem Punkt, wo die blofi
phantasiemafiig widergespiegelten Vorgange korperhaft, greifbar werden oder vielmehr von
adaquaten optischen, biihnenwirklichen Eindrucken begleitet werden wollen. (Und doch war
bei gelegentlichen theatralischen Darstellungen die Gefahr einer Verkennung des Ideenhaften
unverkennbarl) Das erstarrende ,,Menetekel" im ,,Belsazar", die munter abebbenden Fluten
des Euphrat ebenda, die schleichenden Baalspriesterchb're in der ,,Deborah", die zugleich
grimme Trauer und schleppende Bewegung malen, also ein psychisches und bildhaftes
Moment in eins geben, oder die von Opferaltaren aufsteigenden Rauchwolken, die den
Dankeshymnus Israels umspielen — alles das ist in zwingend-plastischen Symbolen von
Handel ausgedruckt worden, vor deren seelischer Eindruckskraft jede theatralische Illusion
verblassen mu6. Oft auch losen sich aus unscheinbaren Textanregungen, auf Worte wie
Sonnenglanz oder Bergeshohen kosmische Stimmungen und Bilder, in denen der Mensch
schlieBlich nicht mehr als geistiges Individuum und triebhaftes Wesen, sondern nur noch als
abhangiges Geschopf der Natur Platz hat.
Eine Sondergruppe in Handels Werk bilden die durchweg undramatischen und allegorischen
Oratorien ,,Alexanderfest oder die Macht der Tonkunst" (1736), ,,L'Allegro, il Pensieroso
ed il Moderato" (1739) und das Spatwerk ,,Salomo" (1748), in denen die Chore, frei von
jeglichem dramatischem Zwang, auch nicht eigentlich Trager einer Idee, mehr als dekorative
Prachtstucke verwendet sind.
7Q6 Das Orator ium im 1 8. Jahrhundert
Die GroBzeit in Handels Schaffen beginnt mit der ,,Deborah" (1733) und ftihrt liber den
einzigen unermefilichen Hohenzug : ,,Athalia" (1 734), ,,SauT (1 739), ,,Israel in Agypten" (1 739),
.JVfessias" (1742), ,,Samson" (1743, nach Miltons Dichtung), ,,Semele" (1743), ,,BeIsazar"
(1744), ,,Herakles" (1744), ,,Judas Maccabaeus" (1746), Joseph und seine Briider" (1746),
,,Alexander Balus" (1747), .Josua" (1747), ,,Susanna" (1748), ..Theodora ' (1748, ein Lieb-
lingswerk Handels und in seiner Seelentiefe das Gegenstiick zur Oper ,,Rodelinde" !), ,,Jephtha
(1 752). Handels dichterische Heifer waren Samuel Humphreys, Pope und Arbuthnot, Hamilton
und vor allem Thomas Morell. Die biblischen Stoffe erscheinen, mit Ausnahme der original -
getreuen Texte des ,,Messias" und „ Israel", in freier dramatisieiter Form mit lyrisch-kontem-
plativen Elementen durchsetzt. Die italienische Zweizahl der Akte ist nach Operngrundsatzen
zur Dreizahl geworden. Die genannten Werke umspannen mit den vorher erwahnten zusammen
den Zeitraum von 1 732 — 51 , also eine verhaltnismafiig kurze Frist, wenn man bedenkt, dafi fast
jedes einzelne im Kampfe mit dem Schicksal ertrotzt war. So ist es zu verstehen, dafi das Dai-
monion dieses Menschenlebens in Hunderten von Ziigen des Werks aufleuchtet. Und es bedarf
gar nicht des iiberlieferten Charakterbildes Handels : Es liegt in seiner Musik beschlossen ; ebenso
wie die Weite seines Blicks, das Weltburgertum, die Universalitat dieses Geistes aus ihr spricht.
Handel hat von seiner jugendfrohen Italienfahrt (Florenz — Rom — Venedig — Neapel) auch
zwei Werke mitgebracht, die der Geschichte des Oratoriums angehoren: die ,,Resurrezione"
und den ,,Trionfo del Tempo* ' vom Jahre 1708. Handel pflichtet mit ihnen dem Genius
Italiens seinen Tribut, allerdings mit keinem geringen schopferischen Selbstbewufitsein, wie
sich das nach den friihen Hamburger Opernerfolgen gehorte. Wie allzeit gern Elemente eines
alteren Werks von Handel in ein neueres ubernommen wurden, so sind schon in das romische
Allegorieoratorium (auf den Text des Kardinals Panfili) und in das Auferstehungswerk Melo-
dien der Hamburger Agrippina eingeschliipft, und von da wandern sie weiter. An der ,,Re-
surrezione" hat Handel zeitlebens gehangen. Nicht lang vor seinem Tode hat er sienoch zum
zweiten Male bearbeitet. In der Doppel- und mehrfachen Verwendung eigenen und sogar
fremden Materials in einer freischaltenden, genial unbekiimmerten Weise liegt iiberhaupt eine
der fesselndsten Erscheinungen an Handels Kunst. Alle hieran boswillig und voreilig ge-
kniipften Schliisse beruhen auf einer wesentlichen Verkennung seiner kunstlerisch-mensch-
lichen Eigenschaften. Gerade die ungeheuer elementare Seite von Handels Musikertum kommt
in solchen Fallen zum Vorschein, nicht kalt berechnender Kunst verstand. Handels Eigenstil
beruht auf einer unerhorten Einfachheit und Plastik des melodischen Gedankens und einer
ebenso einfachen, sangvpllen und man mochte manchmal sagen, malerischen Kontrapunktik.
Uberhaupt ist das bildhafte, gleichsam optisch empfangene Element — man denke nur wieder
an das ,,Menetekelt4 — in seiner ganzen Musik vorherrschend. Entscheidend aber bleibt ihre
ethische Kraft, ihre betonte Beziehung zum Reinmenschlichen. Damit im Zusammenhang
steht Handels bewunderungswurdige Kunst der Erfassung und Zeichnung menschlicher
Charaktertypen. Voraussetzung eines solchen Vermogens kann ja nur die Scharfung des
Blickes in der unmittelbaren Schule des Lebens gewesen sein. Nichts ist dafiir so bezeichnend
wie die Seelen- und Charakterbilder Handelscher Frauengestalten, einer Esther, Nitokris,
Theodora, Susanna, Semele, Dalila. Schon friih zeigt sich in Handels Musik jener elegische
Unterton, ebenso wie jener vielfaltig abgewandelte Ton froher Ausgelassenheit. Auch der
feinere Witz und kraftige Satire gehoren in den Bereich seiner Ausdruckskunst. Gegeniiber
Das Oratorium im 1 8. Jahrhundert 707
diesen Reichtiimern einer unermeBlich bedachten Natur wiegen die iiberkommenen und an-
geeigneten Elemente Handelscher Kunst gering. Am hochsten anzuschlagen ist vielleicht die
musikalische Erziehung des, ahnlich Mozart, friihreifen Knaben durch den Organisten Friedr.
Wilh. Zachow (1663 — 1712) in Halle. "Der italienische Stileinflufi lafit sich spezieller als
Einflufi Carissimis bezeichnen. Selbstverstandlich iibernahm Handel aber auch voll die
Formen der neapolitanischen Schule (Da-capo- Arie). Das Bologneser Oratorium wurde ihm
mit seinen oben geschilderten gut en Eigenschaften Vorbild. Nach Frankreich deutet u. a. die
ungemein farbige, differenzierte Instrumentation. Wichtige mafigebende Einschlage kamen
von dem Chororatorium und der englischen Oden- und Anthemsliteratur. In dieser Beziehung
ist der geniale Henry Purcell ein hinreifiendes Vorbild. Man vergleiche die Cacilienoden.
Und endlich bestehen starke geistige Beziehungen zwischen Handel und dem Wiener Oratorium.
Wichtiger als die spezifischen Stileinfliisse ist ein soziologisches Moment: Handels Oratorium
ist in hohem Grade durch den Zustand der englischen Gesellschaft seiner Zeit bedingt, ja
es halt in dem ,,auserwahlten Volk Gottes" dem englischen Volk unmittelbar den Spiegel
vor und faBt es mit untriiglicher Sicherheit an seinem nationalen Eigenbewufitsein. Natiirlich
um es dann nach einer entgegengesetzten Seite ganz in den Bannkreis einer ethischen Ge-
dankenwelt hiniiberzuziehen. Auf diesem Wege folgte Handel bemerkenswerterweise nicht
die hohere Gesellschaft, sondern der gebildete englische Mittelstand. Bezeichnenderweise auch
Manner wie Hogarth, Hughes, Gay, Pope, Fielding. Wir finden hierin zwei eigentiimliche
Seiten Handelscher Kunst bestatigt: ihre Volkstiimlichkeit und ihre besondere Geistigkeit.
Aufierlich betrachtet legte die erste offentliche Auffiihrung der ,,Esther" im Jahre 1732 im
Koniglichen Theater am Haymarket den Grund zu dieser Schicksalswende der englischen
Kunst. Ob dieser Schritt, von Handel aus gesehen, freiwillig oder mehr durch die aufieren
Verhaltnisse erzwungen war, ist eine Frage zweiten Ranges. Denn die Hauptsache bleibt:
die Idee des neuen volkerumspannenden Oratoriums sti<nd damals in Handel bereits fest.
Nur auf die Art ihrer Wirkung konnte die Zeit einen Einflufi ausiiben. Nach Handels
entschiedener Absage an die Oper, die zweifellos mit verzehrenden inneren Kampfen und
Zweifeln verbunden war, kommt in die ganze Oratorienbewegung System: Im Jahre 1739
wird das Haymarket-Theater gemietet, und von nun an erscheinen alljahrlich zu Fasten die
grofien Werke. Eine solche Oratorienauffiihrung mit ihrem komplizierten kunstlerischen
Apparat scheint eine regelrechte Inszenierung erfahren zu haben, in der noch viel barocker
Theatergeist lebendig blieb. Bis in die tragischen Schicksalstage der Erblindung hinein
opferte Handel seinem Lebenswerk seine bis zuletzt ungebrochenen schopferischen Krafte.
So durch die regelmafiigen Orgelimprovisationen zwischen den Akten und Szenen seiner Ora-
torien, die aus dem Mikrokosmos seiner Werke nicht herauszudenken sind.
Fur die Welt auBerhalb Englands entschied sich Handels Sieg erst mit dem Jahr des grofien
Londoner Handelfestes 1784. Zeitweilig scheint sein Name vergessen oder absichtlich ver-
schwiegen. Im Mutterland des Oratoriums verlauft sich seine Spur mit dem Augenblick, wo
der einst Bejubelte seinen Boden fur immer verlafit. In Italien und den deutschkatholischen
Residenzen, mit Ausnahme von Wien, bleibt das Oratorium eine Pachtung neapolitanischen
Kunstgeistes. Als solche mufite es mangels wirklich fruchtbarer Ideen schliefilich veroden.
Aber an dem langen Wege liegen eine Menge schoner, charaktervoller, eindringlicher Leistungen.
Und insofern bleibt auch das nicht handelsche Oratorium des 18. Jahrhunderts fiir die Musik-
Das Oratorium im 18. Jahrhundert
geschichte wichtig, als die bedeutenden Komponisten fast ohne Ausnahme der Gattung treu
blieben — treu bleiben muBten, da das Oratorium als wirksamer Faktor im katholischen
Geistesleben der Zeit seine alte Stellung wahrte.
In den Anfang des Jahrhunderts fallt derVersuch der Zeno (1669—1750) und Metastasio
(1698—1782), das Oratorium literarisch zu machen. Pralctisch haben diese Reformen die
Wiedererschliefiung des reinen biblischen Quells und die Uberwindung der Heiligenlegende
und damit des Spagna-Standpunkts zur Folge gehabt. Unbezweifelbar ist auch die ethische
Vertiefung und dichterische Hoheit dieser von Racineschem Geiste nicht unberiihrten Texte.
Aber die Reform war wieder einmal von der verkehrten Seite angefafit, und sicher ist, da8
ein Handel mit den Libretti der beiden Wiener Hofpoeten nicht viel anzufangen gewufit hatte.
Es gibt neben herrlichen, dramatischen Szenen schlechthin musikfeindliche Stellen in diesen
,,Componimenti sacri" des Metastasio (wie die katechetische Lektion in der ,,Betulia liberata",
die der junge Mozart doch komponiert hat!). Man mufi darin die alte lehrhafte Tendenz des
Oratoriums und den ehrlichen Versuch eines Kompromisses erblicken, aber schliefilich zeigt
sich hier doch eine arge Verkennung des Grundwesens der Gattung, deren Folgen nur die
Komponisten zu tragen hatten. Kretzschmar unterscheidet drei Formen dieser Oratorien-
dramen: hierarchische, romantische und Idyllen. Hier einige Titel der ersten Gattung: ,,Ma-
nasse", ,,Gionata', ,,Nabot", ..Davidde", ,,Davidde umiliato", ,,Sedecia", ,,Ezechia". Die
zweite Gattung, die sich urn das Heroentum einer Frau dreht, ist vertreten durch Zenos
,,Sisera" (Idel) und Metastasios ,,Betulia liberata ' Qudith). Drittens, zur Idylle zahlt: Zenos
,,Tobiasu, eine Folge von Familienszenen, durch die sich das Motiv der Belohnung des Gott-
vertrauens mit irdischen Gliicksgutern zieht, ebenso Metastasios ,,Morte d'Abel" und ,,Isacco".
Einzelne dieser Oratorien kehren in immer neuer musikalischer Einkleidung durchs ganze
Jahrhundert wieder. Unter ihren Vertonern finden wir Alessandro Scarlatti mit einem
,,Sedecia, re di Gerusalemme" (1706). Wirsahen den Fiihrer der Neapolitaner bisher nur
als Mitganger der venezianischen Stilschule (siehe oben S. 502 ff.)- In seinem neuen Werk
bricht die neueStilrichtung entschiedener durch : die Arie beginnt sich ausschliefilich nach dem
Prinzip der Dreiteiligkeit (Hauptsatz — Mittelteil — Da capo) zu formen, das for die ganzen
kommenden Komponistengenerationen — trotz Gluck — mafigebend bleibt (u. a. ja auch fur
Handel, den wahrscheinlich nahe personliche Beziehungen mit Scarlatti verbanden). Wenn
die Da-capo-Arie auch rudimentar bereits 50 Jahre f ruher vorhanden war — sie soil auf Grund
der noch viel alteren dreiteiligen Liedform von dem Sanger Baldassara Ferri (1610—80) er-
funden worden sein — , so wird sie doch erst von Scarlatti und starker noch von seinen Schiilern
zu jenem Mikroorganismus gemacht, um den sich spater Oratorium und Oper gleichermafien
drehen. Das geschah vor allem durch Ausbau im Innern: Erweiterung und Verwesentlichung
der Orchesterritornelle und scharfere Plastik im Thematischen im Sinne des jeweils zum Aus-
druck zu bringenden Affekts. Ein weiteres hervorstechendes, wenn auch durchaus aus der
venezianischen Praxis herausgewachsenes Stilmerkmal der neapolitanischen Richtung ist das
begleitete Rezitativ (Recitativo accompagnato), d. h. die stimmungsmafiig und musikalisch ge-
hobene Form des Seccorezitativs, die durch Scarlatti eine geniale Bereicherung nach der in-
strumentalen Seite erfuhr. Uberhaupt kniipft sich Scarlattis eigentlichste Bedeutung an die
Aufstellung und glanzende Losung instrumentaler Probleme. Scarlattis Orchesterkunst geht
nicht blofi auf den gleifienden Effekt und sinnlich berauschende Wirkung, sondern sie ist eine
Das Oratorium im 18. Jahrhiindert 709
eminent geistige Kimst, die sich am Drama selbst entfaltet. Seine unbestrittene Meisterschaft
griindet sich ja in erster Lime auf seine Ouvertiiren. Mit am beriihmtesten war die violinkon-
zertartige Einleitungssinfonie zur ,,Sedecia". Unter Scarlattis beste Arbeiten zahlen die
Oratorien ,,S. Casimiro re di Polonia" (1713) und ,,La Vergine addolorata" (1717).
Das herkommliche abfallige Urteil liber die neapolitanische Schule, an welchem in erster
Linie die deutsche Romantik mit ihrer oft iibertriebenen Feindseligkeit gegen alles Italie-
nische Schuld tragt, beruht auf einer Verkennung der Grundqualitaten des italienischen Volkes
und einem Mifiverstehen der Individualpsyche seiner herrlichen Meister. Daneben aber auch,
und das ist entschuidbar, auf mangelnder Kenntnis der umfanghchen musikahschen Literatur.
So konnte es geschehen, dafi iiber die vielen unleugbar unfruchtbaren Partien dieses ganzen
musikalischen Komplexes erhabene Leistungen einzelner Meister vollstandig iibersehen
wurden. Unzweifelhaft birgt die Oratorienliteratur der Neapolitaner eine Menge schopfe-
rischer Werte, die in die lebendige Praxis der Gegenwart iiberfiihrt werden konnten. Einer
urspriinglichen Veranlagung des Italieners entsprechend, finden sich namentlich im drama-
tischen Rezitativ Stellen von packender Unmittelbarkeit und Impulsivitat des Ausdrucks.
Ebenso in mancher der Zwischenformen zwischen Rezitativ und grofier Arie, in den Ariosi,
Cavatinen (Handels Lieblingsform) und liedmaBigen Arietten. Entscheidend fiir die durchweg
geringere Bewertung des neapolitanischen Oratoriums bleibt allein die bekannte Tatsache,
dafi mit der Grenzvermischung zwischen Oratorium und Oper und mit der Vernachlassigung
des Chors, iiberhaupt mit der Lockerung des asthetischen Zwangs die strenge stilistische Linie
von Anerio und Carissimi zu Handel verlassen wird. Man kann diese Entwicklung nur bedauern
angesichts bedeutender Ansatze zu einem Chororatorium, wie wir sie z. B. am Schlufi von
Scarlattis ,,Sedecia" finden.
Um in die Uberfulle von Namen neapolitanischer Meister einige Ordnung zu bringen, sei,
unter Beschrankung auf die bekanntesten, nach dem Vorgang Scherings folgende tabellarische
Obersicht gegeben. Danach schaffen in der Friihgruppe 1700 — 1750: Fiir Italien: Scarlatti,
Vinci, Feo, Leo, Pergolesi, Casali, Jomelli, Porpora, G. B. Martini; fiir Wien
(z. T. noch in venezianischer Stilrichtung) : Ziani, Lotti, Caldara, Fux, Ant. undGiov.
Bononcini, Reutter, Conti, Porsile, Predieri, Bonno; fiir Dresden: Ristori, Hei-
nichen, Hasse, Zelenka. In der Spatgruppe 1750 — 80: Fiir Italien: Piccini, Perez,
Majo, Fischietti, Galuppi, Anfossi, Sacchini, Bertoni; in Deutschland: Hasse,
Schiirer, Gafimann, Kozeluch, Holzbauer, Wagenseil, Haydn, Mozart. In der
Auslaufergruppe (bis 1802): Italiener: Cimarosa, Guglielmi, Paisiello, Salieri, Mor-
lacchi, Paer; Deutsche: Naumann, Seydelmann, Schuster, Schlettner, Himmel,
Reichardt, Dittersdorf, Weigl, Sim. Mayr. Eines Hinweises bedarf es noch auf solche
Meister, die die Gattung wohl gepflegt haben, von denen aber keine Werke erhalten sind,
wie Durante, Provenzale, Greco.
Der Schopfer der ,,Serva Padrona ' und des ,,Stabat mater" ist auch fur das Oratorium
hochbedeutend geworden: in Pergolesis ,,Giuseppe" begegnen einem Machtausdriicke, die
an Handel erinnern:
E£E±
Pel - le - *rin d'in fol - to or - ror <Tin fol - to or - ror
7| Q Das Oratorium im 1 8. Jahrhundert
Leos Oratorien, darunter eine bedeutende ,,Sa. Elena al Calvario" und ein ,,Morte di
Abele" (1732), sind in der schwarmerisch-erhabenen oder leidenschaftlichen Sprache der
Scarlatti und Vinci geschrieben. Mancher Zug bei Hasse deutet auf innige Vertrautheit mit
diesem neapolitanischen Meister. Porporas ,,David e Bersabea", 1734 far London ge
schrieben, verrat Handels Nahe und Einflufi (Chore!) und einen Willen zur Grofie,
wie ihn nur der Konkurrenzgedanke auslosen konnte. Eine ,,Betulia liberata", ein
,,Isacco" und eine Passion des spateren Stuttgarter Kapellmeisters Jomelli tragen, gegen
die Mitte des Jahrhunderts geschrieben, schon Hasses Spuren im Stil wie in der ernsten
Gesamthaltung.
Eine eigentumliche Verbindung bodenstandiger und fremder Kunsttendenzen zeigt das
Oratorium in Wien. Es wurde schon darauf hingewiesen, dafi einzig Wien es war, welches zu
einer selbstandigen Form des Oratoriums kam, und dafi geistige Bindungen zwischen diesem
und dem Handelschen Oratorium bestanden. Es hatte vielleicht nur der klaren Einsicht in
die Wichtigkeit des Chorfaktors bedurft, und die beiden Gegenpole London und Wien waren
viel enger zusammengeriickt. Zum Oratorium Handels bildet das Wiener Oratorium der
Badia, Bononcini, Fux, Caldara, derLotti, Draghi, des jiingeren Reuther Gegen-
satz und Erganzung. Das Gegensatzliche riihrt aus der Abstammung von verschiedenen Stil-
schulen : die Mehrzahl der Wiener Meister kommt von Venedig und Bologna. Reine Neapoli
tan er sind bis zur Mitte des Jahrhunderts fast ausgeschlossen. Die geistigere Behandlung
eines bereits sehr klar erkannten Oratorien problems zeigt sich zunachst in einer vertieften
musikalischen Arbeit. Eine ernste kontrapunktische und fugierte Schreibweise, stilistisch etwas
uniform, gibt den Arbeiten der Bononcini, Fux, Caldara die Signatur, und damit wird vor
allem ein Stuck edlen, altkirchlichen Geistes eingefangen, wie er den Neapolitanern fremd war,
und wie ihn auch Handel nicht haben konnte — dank seiner freieren Stellung zum kirchlichen
Dogma. Die Charaktereinheit des Wiener Oratoriums ist wohl schliefilich auf das ernste an-
regende Beispiel Joseph I. und Karl VI. zuriickzufiihren. Zweifellos driickten diese musi
kalischen Kaiser allem damaligen Wiener Musikbetrieb ihr Wesen auf. Eine betrachtliche
stilistische Weiterbildung zeigen die von rezitativischen Partien unterbrochenen ArienBadias
und die eingefugten konzertanten Partien in Instrumentalsatzen, wie iiberhaupt in Badia sich
ein interessanter Stilwandlungsprozefi verkorpert. Der deutsche Meister Jo h. Jos. Fux kommt
iiber eine gewisse niichterne Korrektheit bei aller erstaunlichen Komplizierung der Faktur
nicht eigentlich heraus; dariiber, dafi die Phantasie ihn gelegentlich gerade in Momenten
starkster dramatischer Spannung im Stich liefi, tauschen auch meisterhafte Satzkiinste und
reizvolle Instrumentationseffekte schwer hinweg. Im Pathos und Ausdruck der Feierlichkeit
ist er bedeutender als in der Lyrik, sein Rezitativ ist matt, der Sinn furs eigentlich Drama-
tische iiberhaupt schwach entwickelt. Aber uberall zwingt sein unbegrenztes Konnen Achtung
ab. Ein Meister vom Konnen und der ernsten Kunstgesinnung Fux*, aber aufierdem mit
einer echten, warmen Leidenschaftlichkeit begabt, ist Caldara, iibrigens mit seinen 31 Ora
torien der produktivste unter alien Wienern. Am talentvollsten gilt Francesco Conti (1682
bis 1732), dessen ,, David" (1724) mit seiner aufierordentlichen Charakterentwicklung und
Seelenschilderung von Schering an die Seite Handelscher Oratorien gestellt wird. In Conti
ist die Synthese des Wiener und neapolitanischen Stils am gliicklichsten vollzogen. Als wohl
bedeutendster Vertreter der neapolitanischen Richtung hat G. Reutterzu gelten. Obrigens
Das Oratorium im 1 8. Jahrhundert
711
ist es kulturgeschichtlich von Interesse, daB mit der Thronbesteigung Maria Theresias das
Oratorium in Wien zurticktritt.
Von den beiden Bononcini ist Giovanni Battista, der Londoner Rivale Handels, ziemlich
reiner Neapolitaner, wahrend Marc* Antonio mit reizvollen Ubergangsformen noch halb im
Spatvenezianismus bzw. im Oberitalienischen steckt und an die Draghi, Tosi, Badia erinnert.
Das folgende Beispiel kennzeichnet den anmutvollen Ernst, der den Oratorien der Wiener
Bliitezeit durchweg eigen ist:
Draghi. Pianto der Maria aus ,,L'Esclamar a gran voce" (1689). [Wien]
-•^. -* f ~ -f — j— [
Mit Karls VI. Tode (1740) stirbt die Bliite des Wiener Oratoriums fast im gleichen Augen-
blick ab. Der Erbfolgekrieg lenkte die Aufmerksamkeit von der Kultur im Innern ab. Und
die Musikpflege am Wiener Hof ist far die nachsten Jahrzehnte erschiittert. Das Burgtheater
fahrt interimistisch die Tradition der Hofburg fort, bis mit der Griindung der Tonkiinstler-
sozietat 1771 , einem reinen Produkt biirgerlichen Gemeinsinns, auch die Oratorienbewegung
neue Impulse erfahrt. Freilich aus einem so tiefen Bediirfnis, aus einer solchen schopferischen
Tiefe wie unter den musikalischen Kaisern ist bis auf Haydn kein Oratorium in Wien mehr
entsprungen. In die Wiener Oratorienpflege des letzten Jahrhundertdrittels werden in be-
trachtlichem Mafie auch nicht-Wiener Komponisten einbezogen, wieHasse. Die bedeutendsten
Kopfe dieser Nachbliitezeit sind Wagenseil, Dittersdorf, Kozeluch. Damit greifen wir
aber schon in die neue Stilepoche ein und in den Bereich Haydns.
In Dresden ist vor 1730 kein Oratorium nachweisbar. Mit Caldaras ,,Morte e sepultura
di Christo" setzt dann aber, vermutlich im Zusammenhang mit Augusts des Starken Ubertritt
zum Katholizismus, eine bedeutende Pflege des Oratoriums ein, deren beherrschenden EinfluB
Joh. Ad. Hasse (1699 — 1783) verkorperte. Uber Masses Bedeutung ist noch nicht das letzte
Wort gesprochen. Zu den iiberschwenglichen Lobeshymnen der Zeitgenossen und seinem
einzigartigen europaischen Ruhm steht der Eindruck, den das erhaltene Werk hervorruft
— ein grofier Teil wurde bei der BeschieBung Dresdens 1 760 vernichtet — in uniiberbriick-
barem Kontrast. Immerhin ist zu verstehen, warum eine Zeit, die Bachs Grofie zu fassen un~
fahig war, in Hasse ihr Ideal verkorpert sah. Die steife Grandezza seiner Musik, der Mangel
an seelischer und geistiger Entschiedenheit sind doch mehr negative Qualitaten, die von den
712 Das Oratorium im 18. Jahrhundert
positiven Charakteristika dieser Oberflachenkunst : einem tadellosen Satz, edler, oft schwung-
voll pathetischer Melodik, reicher Modulation und mustergiiltiger Sprachbehandlung (nament-
lich im Rezitativ) nicht aufgewogen werderu Stilistisch reprasentiert Hasse durchaus kein
reines Neapolitanertum, hier und da stofit man auf iiberraschende subjektive Stilmomente. An
Wien ist dabei gar nicht zu denken, denn von einer Hypertrophie kontrapunktischer Satz-
kiinste ist Masses MusJk denkbar welt entfernt. Sein Orchester reicht gerade dazu, den Gesang
zustiitzen, auf dem durchaus der Schwerakzent liegt. Vom Typus des Solooratoriums
weicht Hasse nirgends ab. Drei seiner bekanntesten Oratorien sind: ,,11 cantico de'tre
fanciulli", ,,Giuseppe riconosciuto", ,,La Conversione di Sant'Agostino". Eins der
edelsten, kraftvollsten Stiicke Hasses, die ,,Sa. Elena al Calvario" (1746), ist geschichtlich
bedeutsam dadurch, dafi sie mit deutschem Text auch ins protestantische Deutschland
Eingang fand.
Um Hasse finden sich die talentvollen, wenn auch in weitem Abstand zu nennenden Vertreter
der Dresdener Schule: Joh. David Heinichen (1683—1729), Dom. Fischietti (1729 bis
ca. 1810), Joh. Georg Schiirer (1720—86), der Bohme Joh. Dismas Zelenka (1679—1745).
Nur Giov. Alb. Ristori (1692 — 1753) erreicht Hasse gelegentlich. Joh. Gottl. Naumann
(1741—1801), Schuster (1748—1812), Seydelmann (1748—1806) stehen dem weicheren,
empfindsameren Karl Heinrich Graun (1701 — 59) naher. Aber auch Gluckscher Einflufi ist
bei letzteren schon zu finden.
Von den Spatneapolitanern ist Giov. Paisiello (1741 — 1816) mit seiner Passion vom
Jahre 1 784 bemerkenswert. Die aus der Operngeschichte bekannten Vertreter dieser Gruppe,
Piccini (1728—1800), Majo (ca. 1740—70), Perez (171 1—78), Sacchini (1734—86), haben
das Oratorium mit keinen nennenswerten Beitragen bereichert. Bedeutend ist der Bohme
Joseph Mysliweczek (1737—81) mit seiner Passion, weiter Ferd. Paer (1771—1839). In
diesem Zusammenhang mufi Mozarts gedacht werden. Als Zehnjahriger hatte er an einem
Oratorium ,,Schuldigkeit des ersten Gebots" mitgeholfen, dessen dritter Teil von Ant. Cajetan
Adlgasser war. Der Fiinfzehnjahrige entwirft dann nach Hasseschem Muster fur Padua
seine ,,Betulia liberata", ein Werk, das doch schon die Jndividuelle Melodik des spateren
Mozart zeigt. Fur die obenerwahnte Wiener Tonkiinstlersozietat, die mit einer ,,Betulia libe
rata'* des Flor. Gafimann (1723 — 74) im Karntnertortheater eroffnet worden war, stellt
Mozart zwb'lf Jahre spater (1783) seine herrliche Kantate ,,Davidde penitente*' nach den
Fragmenten seiner C-Moll-Messe zusammen. Dieser eigenartige Zusammenhang mit dem
unter Bachschem und Handelschem Einflufi geschriebenen, wenig alteren Kirchenwerk erklart
es, dafi Mozarts ,, David* '-Kantate einen viel strengeren, an die Fux-Tradition anklingenden
Stil zeigt, als das iibrige Wiener Oratorium von damals. Mozarts ,,Schuldigkeit" war unter
dem EinfluB des Salzburger Kapellmeisters Joh. Ernst Eberlin (1702 — 62), des Lehrers von
Adlgasser, geschrieben worden. Eberlin selbst vertritt in der Oratoriengeschichte mit seinem
,,Blutschwitzenden Jesus** und einer Anzahl weiterer Oratorien (,,Augustinus**, ,,Sedezius**,
,,Petrus und Magdalena**, ,,Der verlorene Sohn") eine eigenartige Stellung: stilistisch schliefit
er an die Neapolitaner, besonders Hasse, an, aber seine schlichte, zu packender Ausdrucks-
kraft gesteigerte Melodik ist im Bodenstandig-Volkstiimlichen verwurzelt. Neapolitanisch ist
besonders das reiche Instrumentalgewand. An der stilistischen Haltung der Arie ist bemerkens
wert die Tendenz von der Da-capo-Form fort zur Sonatenform hin. Die Textanlage der
Das Oratorium im 1 8. Jahrhundert 713
Oratorien verrat Wiener Einschlag (Metastasio, Zeno). Eberlins gesamtes Werk, das auch die
Musik zu zahlreichen Schulspielen umfafit, ist aus jener jesuitischen Barockkultur ervvachsen,
die im Salzburg des 18. Jahrhunderts ihren gewaltigsten Ausdruck fand.
In I tali en scheint die Oratorienproduktion gegen das Ende des Jahrhunderts quantitativ
wieder stark gehoben, ob auch qualitativ, das laBt sich bei der heutigen Uniibersichtlichkeit des
gewaltigen Stoffs noch nicht entscheiden, ist aber kaum anzunehmen. Hier hatte die lokal-
geschichthche Forschung naher Umschau zu halten. Am meisten scheint Bologna Charakter
gewahrt zu haben. Die Symptome einer allgemeinen starken Dekadenz sind aber unverkennbar.
Zum Beweis fiir die heillose Verwirrung der asthetischen Begriffe ist nur die erne Tatsache
hervorzuheben, dafi Oratorien jetzt ohne jedes Bedenken in Operngewandung vorgefiihrt
werden. Goethe bemerkt in seiner ,,Italienischen Reise", dafi ein Unterschied zwischen
beiden Gattungen nur im Fehlen oder Vorhandensein des Balletts zu finden sei. Trotzdem
hatte das damalige Italien eine hohe Meinung von seinen Leistungen und lag wieder emmal
in Renaissancetraumen. Die Matadore der Opernproduktion dieser Zeit sind Paisiello und
Cimarosa. Italien eroberte damals buchstablich den Weltmarkt.
Im deutschen Norden, namentlich in Hamburg, hatte sich eine eigenartige, bodenstandige
Oratorienkultur auf kirchlich-protestantischem Grunde entwickelt, deren Tendenz, im Gegen-
satz zur aristokratisch-hofischen Kultur Wiens, demokratisch war und starke, nicht selten be-
denkliche Beziehungen zur derberen niederdeutschen Volkspsyche hatte. Das Gesamtbild des
hamburgisch-norddeutschen Oratoriums ist jedoch ein durchaus erfreuliches, originelles; und
woran es den bedeutenderen Kopfen unter den Komponisten am allerwenigsten gebrach, war
Phantasie und Begeisterung fur die Sache. Auch merkantilistische Grundsatze mogen hier
tiichtig mitgesprochen haben, denn mit dem Oratorium bliihte auch der ,,Gotteskasten" wie
selten. Aus der Zeit, da der junge Handel um Opernerfolge rang, sind J. Matthesons(1681
bis 1 764) Hamburger Feiertagsoratorien zu nennen. Zweiteilige Werke, die in altitalienischer
Art mit der Predigt als geistigem Mittelpunkt rechnen und stark von allegorischem Wesen
durchsetzt sind. Das Reformationsfestoratorium der ,,Reformierende Johannes" vom Jahre
1717 scheint Matthesons belangreichstes Werk gewesen zu sein. Uberall spricht der Chor ein
bedeutendes Wort, und der Choral spielt eine wichtige Rolle. Die folgende feierliche Apo
strophe des Engels in seinem Weihnachtsoratorium, mit ihrer edlen, schwungvollen Melodik
der Gesangsstimme mag im Zusammenhalt mit dem obigen, dieselbe poetische Situation be-
tref fenden Zitat aus Schiitz' Werk betrachtet werden :
J. Mattheson. Die heylsame Geburth (1715). [Hamburg]
V.V.Vla.
Angelo
=s=*=*^^E$=J^^^^^£
-=5-±:=:±i=^ii±iE!b=^^
Furch-tet euch nicht, sie - he, ich ver-kun - di - ge euch gro - fie Freu-de, gro-6ef gro -fie
$ e ___^_
Violoni, senza Fagotti
714
Das Oratorium im 18. JahrRundert
=—
*
Freu-de, die al- lem Volk, die al-lem Volk wi- de'r-fahren wird, denn euch ist heu-te der Heiland ge-
bo-ren, wel-cher ist CKristus, derHerr, welcher ist Christus, derHerr, in der Stadt Da - vids,
=ESe
Wichtiger sindTele man ns (1681 — 1767) Oratonen,konzertmafiigeVolloratorienimwahren Sinn
des Worts. Sein ,,Tag des Gerichts" (1762) ist hervorragend im Schildern bildreicher Szenen,
hochbedeutend in den Accompagnatopartien, eigentlich schwach nur im Ariendurchschnitt. Das
Ganze glanzend gesteigert, von ziindendem Schwung, in der Stilhaltung, besonders der Chore,
stark nach Frankreich hiniiberneigend. Der Text von Alers ist einer der bestender Zeit. Bei folgen-
den Rezitativen ausTelemanns Oratorium ,,DieTageszeiten", von dem weiter unten noch im
Zusammenhang mit Haydns Oratorium gesprochen wird, beachte man die ungemein feine
poetische Diktion, die graziose Freiheit im Vortrag und das vollendete Begleitwerk des Streich-
quartetts, insbesondereden sinnigen Zusammenhang zwischen Text und tonmalerischerAbsicht.
Recitativ
1 — *~
Emp-fan - ge mich, ehr-wiird'-ger Ei-chenwald ! Itzt, da wir gantz vom Mit - tagsmahl er-
^ «1 4
SE
i
mat -ten, sucht die Be-trachtung gern den stil-len Au-fent-halt in deinem kiih-len Schat-len.
«
Das Oratorium im 18. JaKrfiundert
715
Recit. accompagn.
P
s-Bz
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Der lau - te Bach rollt mur-melnd in das TaljderWestwind
r_ — — -^-•-••- — - a- ^"^ a> ; ' ' .: . " j • ' ~^"
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Wip - fel ho - her
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Bu - chen, dicBienen oh-ne Zahl von Blu - tnen ih - ren Staub rait
46 H. d.M.
716
Oas Oratorium im 1 8. Jahrhundert
-0-0 -0-0 0-0 - 0 -0
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Die Her-de la-gert sich im Klee, in dem der Hirt von ei - ner luft'geriHoh' sein Horn er - to - nen
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lafit und durch den West er - fri - schet, den sii - fien Lob - ge - sang zur
Das Oratorium im 18. Jahrhundert
717
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tr
Liibeck bleibt seit Buxtehudes Abendmusiken ein fruchtbarer Boden furs Oratorium. Am
starksten hat sich vorgetan Adolph Karl Kunzen (1720 — 81), ein Meister in Choren groBen
Formats, auch in Arien bedeutend (aus ,,Absalon", 1761):
Und die Tra - nen, die ich wei - ne, will sie Ab - sa - Ion nicKt sehn?
h rm \ • rn ^ — 1> i . n r^-J3-^-T-i-^--N-^ — h-j— !
Bafl 8va .......
Waiter ist Joh. Christoph Friedr. (der Buckeburger) Bach (1 732—95) mit der ,,Kindheit Jesu *
und seinem Lazarusoratorium (beide einsatzig) zu erwahnen, die schon darum bemerkenswert
sind, weil die Texte von Herder stammen. Das protestantische Kirchenoratorium auf der
Grundlage des Chorals geht damit ohne wesentliche Vermittlung in die Hande Mendelssohns
iiber.
Johann Sebastian Bachs gesamtes oratorienartiges Werk gehort, abgesehen von den
wenigen Gratulations- und Gelegenheitskantaten, friihen Zeugnissen eines weltlichen Ora-
toriums, als eine vom Diesseits abgekehrte Welt subjektiver Innerlichkeit in das grofie Buch
deutscher Mystik, aber kaum in die Geschichte des Oratoriums. Wie liefie sich eine ,,Mat-
thaus"- oder , Johannes* '-Passion je auf eine Gleichung bringen mit dem Oratorium Handels ?
Mogen objektiv noch so viele Beziehungen zwischen beiden Welten der Musik auffindbar sein,
subjektiv bestatigt jeder Takt, dafi Handel den Begriff Oratorium ebenso ideal verkorpert, wie
Bach ihn iiberwindet. Auch stofflich bestehen gewichtige Bindungen zwischen Bachs Kunst
und der Handels und namhafter Zeitgenossen : Telemann, Keiser, Mattheson, Stolzel, Fasch u. a.
Bachs 1724 erstmals aufgefiihrte, aber vermutlich in die Kothener Zeit zu datierende
,Johannes"~Passion schopft denselben Text des Hamburger Ratsherrn Heinr. Brockes ,,Der
fur die Siinde der Welt gemarterte und sterbende Jesus" (1712) aus, den auch jene benutzten.
Freilich schon die Art der Textbereitung und die Auswahl der Chorale beleuchten die eigen-
artige geistige Seite des Schaffensprozesses bei Bach, aus dem endgiiltig jene tiefsten Offen-
barungen der Musik hervorgehen. Auch an der textlichen Anlage der ,,Matthaus" -Passion
46*
718 Die Oper im 18. Jahrhundert
(1729) wird Bachs geistiger Anteil neben Picander grofi gewesen sein. Durch das in den Volks-
choren zu scharfstem Realismus der Anschauung zugespitzte Element werden oratorische Vor-
stellungen zwar bisweilen wachgerufen, aber kein Glied der langen Entwicklungsreihe des
Oratoriums bietet ein reines Gegenstiick zu Bachs Passionen, es sei denn, dafi man ihre Idee
bereits einmal im friihen Mittelalter, namlich in den fur uns Heutige von mystischem Dammer
umwobenen liturgischen Dramen verwirklicht sehen wolle. Aber damit ist dann ja immer noch
keine emwandfreie historische Beziehung gefunden. Ahnlich steht es mit Bachs unter dem
Namen ,,Weihnachtsoratorium" bekannten Kantatenzyklus. Auch dies ist keine objektive
,,Historie" (als welche noch Schiitz sein Werk auffafite), sondern ein zutiefst personliches Be-
kenntnis, auf dessen Grunde die Mystik des Bachscheri Seelentums durch alle fortreifiende,
freudig aufgeraumte und mitteilsame Weihnachtsstimmung hindurchleuchtet. Es sei nur
an die tiefsinnige Stelle erinnert, da die Gemeinde das ,,Wie soil ich dich empfangen" auf die
Melodie ,,0 Haupt voll Blut und Wunden" anstimmt. Mit solchen Zugen tritt auch dies
Werk, trotz seines hellen religiosen Optimismus, in den Ideenkreis der Passion. Im Zu-
sammenhang mit unseren friiheren Betrachtungen mag noch hingewiesen werden auf einzelne
Werke, wie die Kantate Nr. 60: ,,0 Ewigkeit, du Donnerwort", welche die feme Zeit der
Dialoglauden zuriickruft. Auch die Oster- und Himmelfahrtskantaten : ,,Kommet, eilet,
laufet" und ,,Lobet Gott in seinen Reichen" konnten hier ihren Platz finden, ebenso von
weltlichen oratorienartigen Arbeiten etwa die Miillerkantate und die durch Handels Behandlung
des gleichen Stoffes bemerkenswerte Kantate ,,Herakles am Scheideweg".
Literatur (siehe auch Seite 506)
CKrysander, Fr.: G. Fr. Handel Leipzig 1858, 1860, 1867. Neudruck 1919. — Haas, R.: Eberlins Schuldramen
und Oratorien (Studien zur Musikwissenschaft Heft 8. 1921). — Kamienski, L.: Die Oratorien von J. A. Hasse.
Leipzig 1912. — Kretzschmar, H.: Handel. 1882 in Waldersees Vortragen und separat. — Rolland, R.:
Handel. DetitscKe Ausgabe. Wien 1923. -— Seiffert, M.: Handels Verhaltnis zu Tonwerken alterer deutscher
Meister. Jahrb. Peters 1.907. — Vogl, H.: Zur Geschichte des Oratoriums in Wien von 1725—1740, StudJen zur
Musikwissenschaft Heft 14. 1927.
Neuausgaben
, Bach, Joh. Chr. Fr.: ,,Die Kindheit Jesu", ,,Die Auferweckung des Lazarus" in Dm. d. Tk. I. Folge, Bd. 56
(hrsg. von G. Schumann). — Bach, Joh. Ernst: Passionsoratorium in Dm. d. Tk. I. Folge, Bd. 48 (hrsg. von
J. Kromolicki). — Eberlin, Joh. E.: Oratorium ,,Der blutschwitzende Jesus" u. a. in Dm. Tk. Ost., 28 Jahrg.,
1. Teil, Bd. 55 (hrsg. von R. Haas). — Gesamtausgaben der Werke von G. Friedr. Handel - und Joh.
Seb. Bach. — Hasse, J. A.: La conversione di S. Agostino in Dm. d. Tk. Bd. 20 (hrsg. v. A. Schering). —
Telemann: ,,Der Tag des Gerichts", ,,Ino", in Dm. d. Tk. Bd. 18 (hrsg. von M. Schneider).
Hans Schnoor
DIE OPER IM 18. JAHRHUNDERT
Die neuen Stromungen der italienischen Oper zu Ende des 17. Jahrhunderts fanden
voile Auswirkung in der neapolitanischen Tonschule, die den Siiden Italiens mit einer Fulie
reicher Begabungen in die Opernproduktion einfiihrt und rasch an fiihrende Stelle bringt. Mafi-
gebend wird der Zug zu Homophonie und Melodie, die einseitige Entwicklung des Sologesangs,
das Uberwuchern des Virtuosentums, die Verarmung in Form und Satztechnik zugunsten des
Die Oper im 18. JaKrhundert 719
rein sinnlichen Klangreizes, also auch die Verfliichtigung des Rezitativs, die nachlassige Text-
behandlung. Im Zusammenhang damit steht das Vordringen von Kritik und Gegenbildungen
zur ernsten Oper, Jnnerhalb der selbst wieder Reformbestrebungen rege werden. Der Sizi-
lianer Alessandro Scarlatti (1659 — 1725), der zwar nebst Provenzale als Haupt der Schule
gilt, steht dieser Entwicklung noch fern, sein Wirken in Neapel (1684—1702, 1708—18, 1722
bis 1 725) blieb dort zunachst ohne direkten EinfluB auf die dramatische Nachfolge, seine Werke
verschwinden sogar 1719 bereits von der Neapler Biihne; dafur hangt der zu seiner Zeit gern
,,Romano" genannte Meister zeitlebens an Rom, wo er seine Ausbildung genossen hatte, er
knlipf t in den 1 1 4 Oper n , unter denen Dent 54 groBe Werke und etliche Pasticcioteile auf zahlt, an
die oberitalienische Stilrichtung an, an Stradella, Legrenzi, Pallavicino. In vielen Einzelheiten
beriihrt er sich mit Steffani in Deutschland, wo seine ernste Gesinnungsart besonders fruchtbar
wurde, manche Anregung verdankt er den Bononcinis, von denen auch die Vorliebe fur Siziliano-
arien auszugehen scheint. Scarlatti beginnt 1 679 mit einem kleinen Stuck in Rom (,,Gli Equivoci
nel sembiante"), die Charakterkomodie ,,Rosaura" (Rom und Neapel 1690) liegt im Neudruck
vor, die viele Vorziige des Meisters, seine sorgfaltige Schreibweise, gute Deklamation, dra-
matische Kraft und Feinheit, melodischen Reichtum und formale Grofizugigkeit belegt. Die
Sinfonia ist noch eine Kirchensonate, erst seit 1696 entschied sich Scarlatti fur die dreisatzige
Form nach dem Muster Corellis, mit homophonem ersten Allegro, langsamem Mittelsatz und
Tanzform zum Schlufi. Der Prolog ist eine Solokantate, deren Rezitativ, wie das der Oper
liberhaupt, noch mit ariosen Unterbrechungen oder auch mit Nachahmungen arbeitet. Die
Da-capo-Arie herrscht zwar vor, aber keineswegs allein, es finden sich sogar noch Strophen-
lieder; die ,, Devise" ist selten, manchmal nur textlich, ofters mit kontrastlerender Musik, die
Ritornellbehandlung schlieBt sich an die der spateren Venezianer an, die FormmaBe der Arie
sind knapp, das Da capo ist ausgeschrieben, die blofie Kontinuobegleitung wird seltener.
Typisch sind Redikte der Kadenzen, die Thematik liebt kurze Sequenzen wie bei den
Venezianern ; im Rezitativ finden sich Duostellen, kleine geschlossene Duettsatze heben sich
heraus, darunter freie Dialoge. Themenbeziehungen zwischen Arien und Rezitativ, Wieder-
kehr arioser Teile, ahnlich der Manier Lullys, wie Rosauras,
pe no, ne son gra - di - ta.
Weh - - mut ist mir be -schie - den.
dem die komische Figur ein vor sich hingetrallertes Volkslied unmittelbar gegeniiberhalt,
Allegro
— 1
1
La bel - la mar - ga - ri - ta, la bel - la mar - ga - ri - ta e bian - ca quan - to un fior.
Die wun-derscho - ne Per - le, die scho - ne, scho - ne Per - le er-glan-zet blu - ten - weifi.
oder ganzer Arien in verschiedenen Szenen und andere Formverknupfungen zeigen den
denkenden Kiinstler, von dramatischer GroBe zeugen die Monologe Rosauras. Im ersten Akt
singt sie eine pathetische Kantate mit zwei Arien
720
Die Oper im 18. Jahrhundert
Largo
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No,
doch,
no,
nein,
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lieb ihn.
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im zweiten Akt steht eine groBgespannte Da-capo-Arie mit selbstandigem Mittelsatz, die in
der Wiederholung durch das Eintreten Celindos abgebrochen wird. Ein begleitetes Rezitativ
ubernimmt im dritten Akt einen gleichen Abbruch und den Abschlufi der Arie. Es ist nach
venezianischer Art von gehaltenen Streichern getragen. Spater, z. B. im ,,Telemaco", sind
die Streicherakkorde ins ,,Arpeggio" aufgelost. Die komischen Partien, parti buffe, bleiben
in Scarlattis Opern wesentlich, ahnlich wie schon in Cirillos ,,0rontea", Neapel 1654, sie be-
setzen gewohnlich das Ende der ersten beiden Akte, auch im dritten stehen sie gegen Ende,
das alte Weib, das darin zumeist vorkommt, war Tenorrolle, erst 1700 zeigt sich die erste
Soubrettenpartie in ,,0doardo". 1718 schreibt Scarlatti fiir das ,,Teatro de' Fiorentini" die
komische Oper ,,11 trionfo dell' onore", aber nicht auf einen der dort iiblichen Dialekttexte.
Von seinen Biihnenwerken, in denen die Neigung zum Ensemble bemerkenswert ist, ragen
noch besonders hervor ,,La Statira" (1690), ,,Pirro e Demetrio** (1694, in London 1708 ge-
sungen), ,,EracW (1700, darin ein dialogierendes Septett), ,,Mitridate Eupatore" (Venedig
1707, ohne Liebesszenen), ,,Ciro" (1712, mit viel Tanz und Ballett), ,,Tigrane" (1715, mit viel
Festmusik und komischen Szenen im Bologneser Dialekt), ,,Telemaco'* (1718, doppelchoriges
Orchester, ein Quartett in Da-capo-Form), ,,Griselda<< (1 721 , letzte Oper, ein Trio, ein Quartett).
In der letzten Zeit wird die Instrumentation immer voller und virtuoser gehandhabt, im Stil
Die Oper im 18. Jahrhundert 721
halten sich Anklange an die Volksmusik, die pathetische Arie nimmt durch Akkordthematik,
breite Rhythmen, grofie Intervallspriinge am Anfang, denen bald ein Koloratursturz folgt,
einen eigenen leidenschaftlichen Charakter an, der in der Folgezeit schablonenhaft ausgebildet
wird, wahrend sie Scarlatti mit herbem, versonnenen Ernst meistert.
Unter den Neapolitanern neben und nach Scarlatti ist leicht fafiliche Melodik das wichtigste
Erfordernis, die Fesseln des Kontrapunkts fallen rasch ab, die Da-capo-Ane wird lynsche
Hauptform, wobei stets die Wiederholung freien Gesangsvarianten zugedacht war, das Sekko
steht dazu in scharfem Gegensatz, zudem sondert sich von der Opera seria die schnell auf-
bluhende Musikkomodie (Opera buff a) ab. Inihrund in den Intermezzi, den komischen Duo-
szenen zwischen den Akten der ernsten Oper, zeichnet sich besonders Leonardo Vinci
(1690 — 1730) aus, der mit Leonardo Leo (1694 — 1744) auch in der ernsten Oper durch die
allerdings sparliche Pflege des begleiteten Rezitativs dramatische Verdienste hat. Leo befleifiigt
sich dabei eines solideren Tonsatzes. Nicolo Porpora(1686 — 1767), ein klug berechnender
Kopf, dessen Neapler Gesangschule grofien Ruf erlangte, tragt den Ruhm seiner Vaterstadt weit
ins Ausland, nach London, Dresden, Wien und behauptet sich voriibergehend gegen Handel
oderHasse. In spaterer Zeit entsagt er derOpernkomposition. G.B. Pergolesi (1710—36) end-
lich, ein melodischer Bahnbrecher, fiihrt die Buffokunst zu einem Hohepunkt, wahrend seine
Tiinf seriosen Opern trotz weicher Schonheiten keineswegs ahnliche Bedeutung bekunden. Er
schreibt vier voile Buffoopern in der Gattung, die im Florentiner Theater an Hand von Dialekt-
texten seit 1 709 grofien Aufschwung genommen hatte. Das erste Erzeugnis dieser Art war ,,Patro
Callieno della Costa * von Mercotelli, Musik von Oref ice, 1 709, aus der Anfangszeit sind nur die
Texte erhalten, die aus dem Volksleben schopfen, stehende Figuren verwenden und teilweise auf
Improvisation eingestellt sind, doch diirfte die Musik selbstandige Kunstmusik gewesen sein, wie
sie spater von Vinci und Leo eigenartig weitergebildet wurde ; im Text mufite nun die Mund-
art wie in Scarlattis Versuch — der ersten erhaltenen Partitur dieser Art — weichen und
ernstere Gefuhlstone wurden laut, wobei Metastasios EinfluB eindrang. Vincis ,,Zite 'n galera"
(,,Die Alte im Loch", 1722) ist als ein wichtiges Glied der Stilentwicklung zu Pergolesi iiber-
liefert, auch von Leo mehrere Partituren, z. T. aus spaterer Zeit. Der Siziliano wird typische
,,Zite 'n gaiera." I.Akt, 1. Szene (ohne Begleitung) VI. c. B.
=^P^F
-j— -f=3d
Vor - ri - a de - ven - ta - re so - re - cil - lo
Ich wollt ich war ein klein - win - zi - ges Maus -lein
pe met - te - re pa - u - ra a la sla Anel - la, a la sia A - nel - la.
und brach - te Sia A - nel - la aus dem Haus-chen, aus dem Haus-chen.
komische Ausdrucksform, die Da-capo- Arie ist haufig, doch treibt gegenuber dem starren
Formelwesen der Opera seria bunteres Leben in Gestaltung und Ausdruck ans Licht. Neapels
Volkston klingt standig vor, bei Pergolese z. B.
722
Die Oper im 18. Jahrhundert
Flaminio. 3. Akt, Polidoro
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3 — * - •: u
Be - ne - det - to ma - le - det - to, cLe trc - vast! aper - to il tet - to.
e seen - desti al buio al "let - to. ed en - trasti in ques - to pet - to.
Duette, Terzette, Quartette, zunachst in Form der Da-capo-Arie, spater — besonders beiPer-
golesi — in freieren, dramatisch belebten Bildungen nisten sich ein. Diese Entwicklungslinien
fiihren iiber Pergolesis ,,Lo frate 'nnamorato" (im Dialekt) oder ,,Maestro di musica", ,,Fla-
mmio" weiter zu Latilla, Logroscino, Rinaldo da Capua. Die grofie Oper ist schon im Stoff
gern travestiert, was zu bestimmten Szenentypen fiihrte, die insbesondere auch in den Inter
mezzi iiblich wurden, so in Metastasios Zwischenszenen vom ,,Impresario" zur ,,Didone ab-
bandonata" (1724). Diese Intermezzi waren nur die Verselbstandigung der oben charakte-
risierten Parti buffe als Zwischenspiele in den Aktpausen der ernsten Opern, aus denen sie
Zenos Reform verbannt hatte. Einzelne dieser Intermezzi, die sich' in Venedig bis 1709 zuriick-
verfolgen lassen und zumeist bei zwei Stimmen blieben, hielten einen Triumphzug durch die
Welt, so die Farsen Hasses, die Mode selbst wurde allerorts aufgenommen, es schrieben
z. B, Caldara und Conti in Wien um 1720 mehrere Intermezzi. Pergolesis Weltruhm griindet
sich auf dieses Genre, von seinen drei Zwischenspielen zu eigenen ernsten Opern ist die
,,Serva padrona" (1733) von ungeheurer Nachwirkung geworden. Die Musik zu dieser
schlichten, armlichen Handlung hat mit ihrer reifen musikalischen Charakterzeichnung und
ihrer melodischen Pragung von zwingender Sicherheit eine unverwiistliche Lebenskraft be-
wahrt Diese gesunde Realistik trug viel dazu bei, der geschraubten Uberstilisierung der
Opera seria den Boden abzugraben, allerdings gingen diese Keime erst spater voll auf. Die
zugespitzte, kleingliedrige Thematik ist hier bezeichnend.
Ubcrto
Sempre in con - tra - sto con te si sta, con te si sta.
Ich mufi mich zan - ken den gan - zen Tag, den gan - zen Tag.
Mit der nachsten Arie Ubertos thematisch verwandt, man beachte die Pergolesische Kadenz, die
gleich wiederholt ist.
Serpina (I. Duett, Anfang)
co - nosco a quelli oc-chietti, a quelli oc * chiet - ti.
er - kcnn's an sei - ncr Mic - ne, sei - ner Mie - ne.
Ein Zitat aus Pergolesis ,, Frate 'nnamorato". auch hicr ist die WicdcrKoIung kleincr Motivgliedcr
wesentlich.
Ein gewisser riihrseligerZug, der in der spateren Opera buffa sehr bedeutungsvoll wiirde, ist
in ,,Livietta e Tracollo4' angeschlagen, allerdings parodistisch.
TracoIIo als Polakin
Au -na
Ach ein
po - ve -
ar - mes
ra Po - lac - ca.
pol - scries Marl - chrn.
Die Oper im 18. Jahrhundert 723
Nachahmungen folgten in groGer Zahl, dabei werden spater dieArien verschiedener Originale
oft bunt durcheinander gemischt, sodaG Jhre Unterscheidung heute groBen Schwierigkeiten be-
gegnet. DerartigePasticcios sind z. B . die meisten der italienischen Schwanke aus der Pariser Buff o-
unternehmung von 1 752/53, wo die Verwicklung durch franzosische Zutaten noch gesteigert ist.
Die Opera seria sammelte sich mit Johann Adolf Hasse (1699 — 1783) zu neuer Kraft,
besonders seit seiner Wirksamkeit in Dresden. Hasse, der wie Graun von der deutschen
Oper zur italienischen iiberging, brachte es dadurch rasch zum Weltruhm, der in Italien,
Deutschland, England (1733) und Paris (1750), aber auch in Spanien und RuGland seinen
Namen selten popular machte. 1723 trat er in Neapel mit einer ,,Tigrane" und den Inter
mezzi ,,La serva scaltra" heraus, er wurde Scarlattis Lieblingsschiiler, 1 727 zog er nach Venedig,
von 1731 beherrschte er durch drei Jahrzehnte die Dresdener Biihne nahezu allein. Mennicke
zahlt ihm 65 Opern, 14 Intermezzi und zahlreiche Pasticcios nach. Sein Opernschaffen war
schon vorwiegend an die Dichtungen Metastasios gebunden, der der eigentliche Mittelpunkt
der seriosen Oper wurde. Pietro Metastasio (1698 — 1782) — sein biirgerlicher Name war
Trapassi — kntipft an Zeno an, dessen Amtsnachfolger er seit 1729 in Wien war. Von Zeno
ubernahm er den formalen Bau des Operntextes und die Grundanschauungen, die in der
Oper das Hauptgewicht auf das Drama legten und die' Musik auf den knappen Pflichtteil der
Arie setzten. Die Oper drangte ja das Sprechdrama in Italien wie in Deutschland zuriick.
Metastasio hielt viel darauf, daG seine Gedichte auch als gesprochene Tragodien aufgefuhrt
wurden. In spannenden Situationen war daher die Arie verpont, und als die Musiker (Hasse,
Jomelli) das Orchesterrezitativ starker ausbildeten, wachte der Poet eifersiichtig dariiber, daG
hier moglichst MaG gehalten werde. Zeno gegeniiber ist die Handlung allerdings menschhch
vertieft, sie bleibt aber auf dem Kothurn des Heroentums und des rationahstischen Kunst-
ideals, die Sprache wird hingegen von groGem Wohllaut und eindringlichem gedanklichem Ge-
staltungsvermogen durchdrungen, die Verse haben melodischen FluG, so daG sie fur drei Musiker-
generationen als uniibertreffliche Unterlage der {Composition Geltung behielten. Metastasios
EinfluG war ungeheuer, seine etwa 40 groGen Operndichtungen, neben denen viele kleinere
Arbeiten stehen, bildeten das Entziicken der empfindsamen Zeit. Aber an der groGen Weich-
lichkeit leiden sie ebensosehr, wie an der Unbestandigkeit und Ubertreibung der Charaktere,
die Handlung ist zersplittert, die Losung der Konflikte sorglos, gewohnlich fiihrt ein Deus
ex machina das gute Ende herbei. Immerhin enden die ,,Dido", der,,Attilio Regolo" tragisch.
Die Arien und die der Arie wegen eingeflochtenen Szenen halten den FluG der Handlung auf,
die Arie ist selbst mit abschweifenden Betrachtungen, Allegorien, Vergleichen iiberladen, die
auch den Musiker ablenken muGten. Die Vergleiche werden auf stehende Bilder festgelegt,
die Form ist schablonenhaft auf das Da-capo zugemessen, Duette sind selten, ein Quartett
ganz vereinzelt. Nur am OpernschluG stehen kurze ,,Cori".
Das engbegrenzte Bereich, das der Musik belassen blieb, lieG dem Komponisten wenig Be-
wegungsfreiheit, iiberdies legten ihm noch die weitgehenden Verpflichtungen der Gesangs-
despotie, dem Primadonnen- und Kastratenunwesen gegeniiber weitere Fesseln an. Die Aus-
wiichse dieses Systems in ktinstlerischer und sozialer Beziehung wurden vielfach bemangelt,
B-nedetto Marcellos Satire ,,11 teatro alia moda" hatte schon. 1721 gegen die Zustande der
Venezianeroper scharf gemacht, unter den Asthetikern und Literaten entwickelt in den 50er
Jahren insbesondere der Graf Algarotti in Berlin kuhne, fortschrittliche Gedanken, auch die
724
Die Oper im 1 8. Jahrnundert
Praxis aber lehnt sich gegen die Einseitigkeit der Opera seria auf, das komische Theater schlug
iiberall Kapital aus ihrer Verspottung und es tauchen hauptsachlich in Deutschland Regenera-
tionsversuche im Rahmen der Kunstform Metastasios auf, die der Musik grofieren Anteil zu
sichern trachteten und von Hasse ausgingen. Dieser arbeitet wohl im Einvernehmen mit dem
Wiener Hofpoeten, der sich mit ihm bis in Einzelheiten brieflich auseinandersetzt, doch ist er
seit der ,,Cleofide" (1731) standig bestrebt, die langen Dialoge abzukiirzen und das Orchester-
rezitativ, dessen Bedeutung fur die dramatische Entwicklung er voll erkannt hat, sorgsam aus-
zubilden und zu verwerten. ,,La clemenza di Tito" von 1 738 hat schon 6 Akkompagnatoszenen,
wahrend Metastasio hochstens zwei solche gelten lassen will, der ,,Artaserse" von 1740 ist durch
einschneidende Textanderungen gekennzeichnet. Besonders die Aktschliisse werden gern mit
bedeutsamen Akkompagnatos besetzt, die mit folgender Arie grofie Seelengemalde entwerfen,
wie die Klagen der Dido (1742) oder die beriihmten ,,Ombraszenen" (meist in Es- oder As-
Dur), wahrend die im Akt vorkommenden Obligati auch ins Sekko auslaufen oder vom Sekko
unterbrochen werden. Manchmal sind wichtige Monologe nur im Orchesterrezitativ gesetzt,
so im ,,Attilio Regolo" :
Szene VI. (Abschlufi der Arie Attilios)
Szene VII. (Verwandlung) Galena, Regolo
1 U?J 4,
Str.
staccato
&
un poco lento
Tu pal-pi-ti o mio c
Wie zit - tert mir das Herz!
p
Qual nuovo e questo
Was soil dieses neu-e,
I
moto in - cog - ni - to a te!
un - be - kann - te Ge - fiihl !
sfi - dasti ar - di - to
wo sonst du lach-test
F£
Die Oper im 1 8. Jahrhundert
725
allegro
le tern - pes - te del mar
al - ler Stiir - me zur See
Gern geht durch die Rezitativbegleitung ein scharf gepragter Gedanke hindurch,
der immer wieder heraustritt, Gesang und Begleitung wechseln dabei stets ab, einge-
streute Ariosi sind selten („ Antigone/ *, 1743, ,,Piramo e Tisbe", 1768), die dramatische
Charakteristik wird immer hochgehalten, es zeigt sich, da6 Hasse von Keiser und Scarlatti
ausgmg und in Dresden mit franzosischen Neigungen in Beriihrung kam ; das Sekko ist keines-
wegs vernachlassigt, es arbeitet mit bewegten Bassen zu Ausdruckszwecken, die Arie sucht mit
einfachen Mitteln zu packen, doch stechen da haufig konventionelle Ziige hervor, insbesondere
in den Vergleichsarien, die vom Ausbruch der Leidenschaft zu Tonmalereien abschweifen.
Immerhin zielt Hasse stets nach gleichmafiig gemessener GroBe der Empfindung, der seine
Nachfolger mit starkerem Aufwand von Pathos (Jomelli) und Phantasie (Traetta) nachstreben.
Auch im Ausdruck des Zarten und Lieblichen dampft er entsprechend ab. Sehr dramatisch
wirkt eine Gruppe von Arien, die ohne Ritornell mit einem kurzen Ausruf, wie ,,Taci" u. a.,
einsetzen, auch gern rezitativische Ziige einflechten. Die Form ist durchwegs grofigespannt,
der Hauptsatz zweiteilig, mit zumeist drei Ritornellen, der primitiven Sonatenform genahert,
hier ranken sich gewaltige Koloraturen, die meist tonmalerische, daneben auch oft dramatische
Bedeutung haben, das Da capo wiederholt den vollen Hauptsatz, der Mittelsatz schopft ge~
wohnlich aus dem thematischen Material des Hauptsatzes, Kontrastbildungen mit Tempo-
und Taktwechsel sind seltener, die Orchesterbegleitung wird stets gemaBigt, tonal bleibt diese
Partie manchmal unbestimmt gehalten. Zweiteilige Arien (Kavatinen) setzt Hasse nur ver-
einzelt.
Noch weiter steigertNicolo Jomelli (1714 — 74) die von Hasse angebahnten Neuerungen,
sein Wirken in Deutschland Jst dabei fur seine Entwicklung von ausschlaggebender Bedeutung.
Er beginnt 1 737 und 1 738 in Neapel mit komischen Opern, schreibt dann fiir Rom, Bologna,
Venedig nach Hasses Vorbild. So hat der ,,Ciro riconosciuto" (1744) schon sechs Akkom-
pagnati. 1749 wird er an Ort und Stelle mit der Wiener Opernauffassung bekannt, gewinnt
aus dem personlichen Verkehr mit Metastasio starke Eindriicke, wobei dieser damals schon
Hasses gesteigerte Akkompagnatotechnik vertrat, wie seine mit Hasses Werk vollkommen iiber-
einstimmenden Vorschlage zum ,,Attilio Regolo" (1750) zeigen. Jomelli mmmt in Wien stren-
geren Satz (vierstimmigen Streichersatz), Vorliebe fiir Blasereffekte, furs Ensemble, selbstandige
Orchestersatze an, auch wird die Kavatine von nun an haufiger. In Stuttgart (1753 — 69) sam-
melt er sich zu Werken von hohem dramatischen Zug. Die Verbindung mit der franzosischen
Oper Rameaus, die der wiirttembergische Hof anregte, macht sich in selbstandigen Prologen,
in groBen Chorszenen, prograrnmatischen Orchesterschilderungen, dramatischen Ensembles
und im Ballett geltend. Die grofie Soloszene wird musikalisch weiter ausgepragt. Schon der
,,Pelope" (1755) hat 10 Akkompagnatoszenen, im ,,Demofonte" (1764) kommt das Sekko den
726
Die Oper im 18. Jahrhundert
ganzen zweiten Akt hindurch nur in zwei Szenen zu Wort, Texte Metastasios werden nach
den neuen Gesichtspunkten hin umgearbeitet, aus der komischen Oper her dringen finale-
artige Bildungen ein wie im ,,Vologeso" (1766) und besonders im ,,Fetonte" (Phaeton) von
1768, worin die freie dramatische Szene stark ausgebaut erscheint. Die Arienform zeigt im
,,Fetonte" gleichfalls den neueren Standpunkt, Hauptform ist fiirs Pathetische die Dal-Segno-
Arie, die im Dacapo gleich den zweiten Teil des Hauptsatzes aufgreift. Daneben treten drei-
teilige Reprisenformen, wie in der Opera buffa, heraus, die mit Kavatinen und freieren zwei-
teiligen Gebilden, auch doppelsatzigen, abwechseln. Das Stuttgarter Ballett nimmt mit Noverre,
dem die Kornponisten Rudolph und der Osterreicher Deller zur Seite stehen, seit 1761 in
der tragischen Pantomime eine neue Richtung.
Noch mehr ist Tomaso Traetta (1714 — 79) mit franzosischen Einfliissen in Beziehung
getreten. In Parma, wo er 1 758 — 63 wirkte, wurde die Verbindung der italienischen und fran
zosischen Oper tatkraftig gefordert, der Hofdichter Abt Frugoni setzte sich voll daflir ein,
Jndem er franzosische Opern zur Auffuhrung iibersetzte und einrichtete (von Rebel und
Francoeur 1757, Rameaus „ Castor", 1758, Mondonvilles ,,Titon", 1759) und Texte Ra-
meaus fiir Traetta bearbeitete (,,Ippblito ed Aricia", 1759, ,,I Tantaridi", 1760, nach
,,Castor"). Das waren also Choropern mit Ballett, wobei die Tanzmusik zum Teil aus
dem Original beibehalten blieb. Im Rezitativ nahert sich Traetta gelegentlich der fran
zosischen Art des ,,Recitatif mesure" oder ,,anime", wie in der Elysiumsszene der „ Tan
taridi". Aber Traettas dramatisch kiihnste Werke entstanden trotzdem fur deutsche Zu-
horer in Wien und Mannheim, bzw. fur den deutschen Kulturkreis in St. Petersburg. In
Wien zwang den Neapolitaner der Kreis Glucks in seinen Bann. Graf Durazzo vertraute
ihm 1761 seine Bearbeitung' von Quinaults ,,Armida", in Uberfeilung des Metastasioschiilers
Migliavacca als Text an, worin die Beschworungsszene orchestral besonders stark bedacht ist,
wahrend der tragische SchluB der Oper das Akkompagnato zu grofiem Schwung steigert; es
Traetta. Armida 2. Akt. VI. con Sord.
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Viclette (geteilt)5
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Violette col. B.
Die Oper im \ 8. Jahrhundert
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umgibt in dieser Soloszene der Armida in breitem Flufi eine Kavatine. 1763 (keineswegs
schon 1758!) eiferte Marco Coltellini, der 1761 mit der fur Majo nach einem englischen Stuck
verfaBten ,,Alrneria" in Livorno debiitiert hatte, fiir Traetta dem Muster seines Landsmannes
Calsabigi gliicklich nach, die ,,Ifigenia in Tauride" entwickelt eine einheitlich gespannte Hand-
lung ohne storendes Beiwerk, wobei packende Chorstellen reichlich verteilt sind. Traettas
leidenschaftliche Energie konnte sich voll entfalten, besonders in der Furienszene des zweiten
Akts, wo die musikalische Form frei dem Text folgt (Chor Es— c, Kavatine mit Violoncello-
solo B, Chor D). Das Finale des ersten Akts ist gleichfalls frei durchkomponiert, mit pra-
gnanten, kurzen Choreinwurfen und transponierender Wiederholung einer Kantilene im
spateren Verlauf. Auch die ,,Sofonisba", Mannheim 1762, ist schon von ganz erstaunlicher
dramatischer Kraft erfiillt. Hier erweist sich der Anschlufi an Rameau iiberaus stark, durch-
Die Oper im 18. Jahrhundert
komponierte Rezitative nach franzosischem Muster geben der musikalischen Szene erne eigene
Spannkraft, bis in einzelne Vortragsanweisungen wie ,,Espressione alia francese" oder ,,Urlo
francese * (deklamierter Schrei) ist dem franzosischen Stil nachgestrebt ; wobei doch die ganze
Technik italienisch bleibt. Die grofien Soloszenen iibertreffen in Mafien und Ausdruck Hasse
und Jomelli. Die Da-capo-Arie ist dabei, wie in der ,,Armida", schon derart gekiirzt, dafi in
der Wiederholung vom Anfang in der Haupttonart gleich in den zweiten Teil (dal segno) ge~
sprungen wird. In einem grofiziigigen Terzettfinale fallt ein Kanon auf. Die ,,Antigona „
St. Petersburg 1772, endlich folgt Clucks Einflufi und ist ein wichtiges Bindeglied zu den
Pariser Opern des Reformators.
Der jiingste der Neapler Dramatiker, die nach dem Vorbild Hasses hohere dramatische Ziele
suchten, war Francesco di Majo (1740—70). In jungen Jahren waren ihm bereits grofie
Biihnenerfolge beschieden, in seinem kurzen Leben hat er 19 Opern vertont. Auch er pflegt,.
wie noch Perez, Beziehungen zu Wien und zu Durazzo, seine Starke liegt im Riihrenden, wobei
er sich in der Tonsprache haufig mit Mozart beriihrt. Majo gehort iiberhaupt in Empfmdung
und Formen der jiingeren Generation an, wahrend aus dem alteren Kreise um Hasse noch
einigeNichtitaliener zu nennen sind, zwei Spanier, die als Dramatiker Hervorragendes leisteten^
David Perez (171 1—82), in Neapel von spanischen Eltern geboren, seit 1752 die Stiitze der
italienischen Oper in Lissabon, und Domenico Terradellas (1711—51), in Barcelona zu
Hause, aber in Italien wirkend; in Deutschland tritt neben Hasse HeinrichGraun(l 701—59)
hervor, der von Friedrich dem Grofien begunstigt wurde und 1740 in Berlin die italienische
Oper errichtete. Der Konig beteiligte sich auch an der Textdichtung und beeinflufite sogar
die musikalische Formgebung in der Richtung auf Bevorzugung der Kavatine (,,Montezuma ,
1752). Grauns deklamatorische Vorziige wurzeln in der deutschen LJberlieferung, auch das
ariose Orchesterrezitativ stammt daher, die Symphonien schliefien sich an die deutsche In-
strumentalkunst an.
Zu Hasses Nachf olge gehort auch durch die ersten 20 Jahre seiner Buhnenlauf bahn C h r i s t o p h
Willibald Gluck (1714—87), dessen friihere Opern seinem Reformwerk ferner stehen als
die Hauptwerke Jomellis und Traettas. 1 741 in Mailand mit der ersten Opera seria ,,Artaserse<4
hervorgetreten, schrieb er bis 1762 22 italienische Biihnenwerke, darunter Pasticcios und Ge-
legenheitsstiicke, zumeist auf Texte Metastasios, wobei Entlehnungen aus eigenen Werken
haufig sind, wahrend mit dem Akkompagnato auffallend sparsam umgegangen wird. Der Ein
flufi Jomellis ist greifbar, auch deutliche Spuren von Sammartinis Instrumentaltechnik wurden
aufgezeigt, der als Autor des ersten Satzes der Sinfonia zur Serenade ,,Le Nozze d'Ercole
e d'Ebe" erkannt wurde. In Arien von diisterem und schmerzlich erregtem Ausdruck kiindet
sich die Eigenart Glucks an. Aus dieser seiner Lehrzeit in der Opera seria stammen die Opern
fur Oberitalien bis 1745: ,,Demetrio", ,,Demofoonte", 1742, ,,Tigrane", 1743, ,,Sofonisba",
,,La finta Schiava" (Pasticcio), ,,Ipermestra", 1744, ,,Alessandro nell' Indie", Jppolito", 1745,
dann aus Glucks Wanderjahren ,,Artamene" und das Pasticcio ,,La Caduta de' Giganti" fur
London 1746, die Serenade ,,Le Nozze d'Ercole e d'Ebe", 1747 in Pillnitz — aus der Zeit der
Kapellmeistertatigkeit neben Scalabrini in Mingottis Wanderoper — , ,,La Semiramide rico-
nosciuta", Wien 1748 — das Eroffnungsstiick der Loprestischen Kavaliersoper Jm neu um-
gebauten Burgtheater — , das Festspiel ,,La Contesa dei Numi", Charlottenburg 1749, ,,Ezio*'r
Prag 1750, ,,Issipile", Prag 1752, ,,Tito", Neapel 1752. Anfangs der 50er Jahre machte sich
Die Oper im 1 8. Jahrhundert 729
Gluck in Wien seBhaft, wo der Gesandte Genuas, Graf Giacomo Durazzo (1717 — 94), den
Mittelpunkt der reformfreundlichen Qpernbestrebungen bildete. Wien hatte unter Maria
Theresia seit 1 740 keine standige Oper mehr, 1 744 war auch das Josef inische Opernhaus auf-
gelassen worden, 1752 wurde das franzosische Schauspiel und die Opera comique im Burg-
theater eingefiihrt. Durazzo erhielt 1754 die alleinige Oberleitung des Wiener Theaterwesens,
er verpflichtete Gluck an der franzosischen Gesellschaft Heberts. So wurde dieser mit der
franzosischen Tragodie vertraut, richtete Pariser Operetten fiir Wien ein, schrieb neue Arien
hinzu und schliefilich selbstandige franzosische komische Opern, womit er fiir die Ausbildung
dieser Gattung und auch fiir das deutsche Singspiel seine ganz hervorragende Bedeutung er-
langte. Daneben stehen itahenische Gelegenheitsstiicke, ,,Le Cinesi", 1754 in SchloBhof,
,,La Danza", Laxenburg, ,,L'innocenza giustificata", Wien 1755 (Text der Rezitative von
Durazzo), ,,11 re Pastore", 1756, ,,Tetide", 1760, und fiir Rom das Dramma per musica
,,Antigono".
1761 traf der Dichter und Finanzpolitiker Ranieri di Calsabigi als Beamter der Niederlan-
dischen Rechnungskammer in Wien ein, und im Herbst bereits gelangte als Vorbote des Reform ~
werks das tragische Ballett ,,Le festin de pierre" (Don Juan) zur Auffiihrung, das gemeinsame
Erzeugnis Clucks — er war auch als Ballettkomponist angestellt — , des Ballettmeisters Gaspero
Angiolmi, Calsabigis und des Theaterarchitekten Quaglio. Ankniipfend an altere Wiener Vor-
laufer (Hilverding, fiir den Holzbauer und Deller arbeiteten) wurde hier eine Erneuerung der
Ballettpantomime im Sinne voller tragischer Verdichtung unternommen, die mit Noverres
Bestrebungen in Stuttgart gleichlauft, sie aber zeitlich iiberholt und an Gedrungenheit iibertrifft.
Noverre selbst kennzeichnet diese Richtung als ,,Ballet sans danse". Stofflich hielten sich
spater Bertati und Da Ponte an die Fassung von Angiolini. Einige ahnliche Versuche von
Angiolini und Gluck folgten (,,Semiramis", 1 765, ,,Alessandro", 1774, ,,L'orphelin de la Chine",
1774), ohne sich der Gunst des Publikums, besonders gegeniiber Noverre, zu erfreuen. Man
empfand ,,todliche Kalte" dabei. Der diistere, schwerbllitige, ganz einheitlich gesammelte
Geist dieser Kunstauffassung war im starken Widerspruch mit den geltenden Anschauungen,
denen nur das Anmutige, Liebliche oder Riihrende als Kunstgebiet gait. Aber aus diesem
Gegensatz zur Asthetik des Rokoko erhob sich die Reform Clucks. Sie vollzog sich in zwei
Abschnitten, zunachst in Wien mit Calsabigi an der italienischen Oper: ,,0rfeo ed Euridice",
1762, ,,Alceste", 1767, ,,Paride ed Elena", 1770 — in dieser Zeit entstand auch mit Coltellini
der ,,Telemacco", 1765, der, wie die ,,Ifigenia" Traettas, schon des Librettisten wegen keines-
wegs vor 1 761 angesetzt werden darf, und fiir Bologna ,,11 trionfo di Clelia", 1 763, nebst einigen
Feststiicken : ,,11 Parnasso confuso", 1765, ,,La Corona", 1765, ,,Prologo", Florenz 1767, ,,Le
feste d 'Apollo", Parma 1769. — Dann von Wien aus in Paris an der franzosischen Oper: ,,Iphi-
genie en Aulide" nach Racine von du Rollet gedichtet, 1772 vollendet, 1774 aufgefiihrt, ,,0r-
phee", 1774, infranzosischerBearbeitung Molines, ,,Alceste", 1776, in franzosischerBearbeitung
duRoIlets, ,,Armide", 1777, vonQuinault, ,,Iphigenie en Tauride", 1779, von Guillard. Eine
Pastorale, ,,Echo et Narcisse", schlofi Clucks Werk ab.
Die Neugestaltung der italienischen Oper durch Gluck und Calsabigi ist in dem Bestreben
verwurzelt, ein Musikdrama in Gehalt und Form zu erreichen, das der griechischen Tragodie
an die Seite treten konnte. Sie ist also in erster Linie eine dramatische Umwalzung, die
dramatische Dichtung in der Art der Florentiner und der Lullyschen Tragodie wird als ent-
730 £^e OPer im 1 8. Jahrhundert
scheidender Faktor anerkannt und eine lapidare Einheitlichkeit des dichterischen Plans, der die
Handlung nur auf ganz wenige grofie Ziige und auf die gedrungene Darstellung grofier Seelen-
bewegungen und sittlicher Grundideen einschrankt, weit iiber Quinault, ja iiber Rinuccini
hinaus erreicht. Gegeniiber Metastasios Staatsaktionen mit gesellschaftlichen Liebesintriguen
bedeutet das einen ganzlichen Systemwechsel, der auch die Einzelheiten der musikalischen
Probleme umfafit, den Chor nach griechischem Muster zum Sockel der Form macht und mit
der iiblichen Trennung von Drama (Sekko) und Musik (Arie) grundlich aufraumt, wahrend
die Auswahl der treibenden dramatischen Krafte aus wuchtigen, schmerzlichen Vorgangen
des individuellen Seelenlebens iiberhaupt einer neuen Weltanschauung entstammt und aus
der galanten Gesellschaftskunst heraustritt. Die Musik Glucks ist es, die diese grandiose
Sammlung in einer bisher gemiedenen Empfindungswelt erst zur kiinstlerischen Tat werden
laBt. Das Drama, das bis in jede Einzelheit von Musik durchdrungen wird, erhalt eine musi-
kalische Architektur von monumentaler Plastik, in den Mitteln im emzelnen herrscht dagegen
der Opera seria gegenuber reiche Mannigfaltigkeit : viel Chor, bald handelnd, bald betrachtend,
Ballett, Ensemble, Sologesang in wechselnden kleinen und grofieren Formen, Rezitativ, alles
organisch verbunden, das Rezitativ der belebende Atem des Ganzen; Regel wird die durch-
laufende Orchesterbegleitung mit gemischter Technik des Sekko, Akkompagnato, taktmafiigen
Flusses, die geistige Arbeit ordnet und gestaltet mit eiserner Energie in Formen, Tonarten,
Instrumentation, Melodik, Deklamation, Harmonik, Rhythmik. Der Hang nach Klarheit, der
den Jesuitenzogling (Komotau 1 726 — 32) erkennen lafit, drangt alle ablenkenden," rein musi
kalischen Wirkungen zuriick, Ziergesang und Polyphonic sind verpont; er fiihrt auch zur
besonderen Einstellung im Problem der dramatischen Charakterzeichnung, die in der Arie
nur den absoluten Charakter, keine psychologische Entwicklung darstellt. Doch gesellt sich
zur intensiven Denktatigkeit eine zwingende Kraft des inneren Erlebens und ein hoher sitt
licher Standpunkt. Die Reformgedanken an der Opera seria lagen vor 1762 allenthalben in
der Luf t, besonders in Wien war in dieser Beziehung der Boden vorbereitet, schon 1 750
steht in einer Mischoper ,,Euridice" eine frei gefiihrte Orfeo-Szene Wagenseils, die Glucks
Technik vorausnimmt, auch die asthetischen Forderungen des Graf en Algarotti (1755), des
Marquis de Villeneuve (1756) und der franzosischen Enzyklopadisten waren da verarbeitet
worden, J. v. Sonnenfels vertrat sie bald darauf ganz entschieden. Auf Gluck selbst hatte
die altere Wiener Oper, die Errungenschaften der Hasse-Schule, die deutsche Lied- und Oden-
kunst, aber vor allem Lully, Rameau und Handel eingewirkt, daneben auch die leichte,
natiirliche Art der Opera comique und der Produkte Arnes in London.
Der ,,0rfeo", genannt ,,Azione teatrale", steht der Praxis der Opera seria in Einzelheiten
noch am nachsten. Die Einteilung in drei Akte, die Besetzung der Titelrolle mit einem Ka-
straten, die allegorische Gestalt des Eros, der gute Ausgang, Szenentypen, wie das Inferno,
weisen dahin, aber auch die sinnliche Klangschonheit im allgemeinen und die Ouvertlire, die
nach Neapolitaner Brauch zu dem Drama keine innere Beziehung pflegt, die aber die all-
gemein iibliche Schablonenarbeit schon in der ausgefiihrten Sonatenform mit Durchfuhrung
iiberragt. Auch die einsatzige Anlage, die ans Schuldrama und Oratorium anschliefit und
in Singspiel und Opera comique eindringt, ist in der ernsten Oper Ausnahmsfall, wo die Drei-
satzigkeit nach Scarlatti unvermeidlich wurde; Gluck hat sie schon im ,,Don-Juantt-Ballett
aufgegriffen. Die dramatische Einfuhrung der Oper wird in der Klagechorszene gegeben, die
Die Oper im 1 8. Jahrhundert
731
wie die Furienchore auf Rameausche Vorbilder deutet, die Chorsatze und die pantomimischen
Tanze in Angiolinis Manier bewirken eine monumentale Gliederung des AuCuaus, die durch
Wiederholungen abgerundet und durch restlos durchdachte tonartliche Beziehungen fein ab~
gestuft wird. Der Chor ist mit Orfeo Haupttrager der Handlung, die sonst nur auf Eurydike
und den auffallend galant behandelten Liebesgott gestellt ist. Der Unterschied zwischen Re-
zitativ und Arie hat an Scharfe wesentlich verloren, schon dadurch, daB das Sekko ganz ver-
schmaht ist und das Orchesterrezitativ die symphonische Beteiligung bewufit hervortreten laCt,
wahrend andererseits die Deklamation den Arienstil beeinflufit. Die Instrumentationskunst
hat denn auch bleibende Bewunderung erregt und bis auf die Romantiker weitergewirkt.
Zumal in dem frei durchkomponierten Rezitativ ,,Che puro ciel" ist dem Orchester in neu-
artiger Kleinarbeit die Zunge gelost.
Ob. Solo
Co. Solo
Fl. Solo
Vc. Solo
VI.
Via.
B.
pzzc.
47 H. d. M.
Die Oper im 18. Jahrhundert
r._A ' j ^ |"~|J. \~~. _ _'."~Hi Z A*ZZZZZZir™T "HZTJ
Die Oper im 18. Jahrhundert 733
Arienformen verschiedener Mafie sind aber doch die Sammelpunkte des musikalischen Flusses,
kleine Liedformen (Strophenheder) mahnen, wie das SchluBvaudeville, an die Beschaftigung
des Meisters mit der franzosischen Operetta, Eurydike singt erne kleme Da-capo-Ane,
Con sord.
:^=h
(Che fiero momento)
Orpheus das vielerorterte C-Dur-Rondo, liberhaupt neigt der 3. Akt zu grofieren Solcformen,
darunter zahlt das einzige Duett der Oper. Glucks gedrungene Melodiebildung, die sich an Wort
und Dichtung entziindet, mit Vorliebe dreitaktige Glieder formt und volkstiimliche, einfache
Linien sucht, hebt sich von der Thematik der Opera seria schcirf ab. Bei der Kaiserkronung
in Frankfurt 1764 erhielt Orfeo aber eine Bravourarie, die in die franzosische Fassung iiber-
ging und lange fur eine fremde Einlage Bertonis gait. Die Pariser Bearbeitung unterscheidet
sich von der Urfassung hauptsachlich in der Partie des Titelhelden, die nun einem Tenor
angepaBt wurde, wahrend sonst nur Eros im 1 . Akt eine neue Arie und auch Eurydike im
2. Akt einen Zusatz erhielt; die Tanze wurden stark vermehrt. Berlioz hat endlich 1859 eine
Verquickung der beiden Fassungen unternommen mit Orpheus als Altpartie.
Der ,, Orfeo" ist in Wien nicht so spurlos voriibergegangen wie man allgemein hort; Traettas
,,Ifigenia in Tauride" (1763) steht unter seinem Bann und Fl. L. GaBmann schrieb eine strenge
Nachbildung in ,,Arnore e Psiche" (1767), die in den finaleartigen Ensemblesatzen an den Akt-
schllissen nach Muster der Opera buf fa weiter ausgreift, sonst aber im Stil vollig an Gluck ange-
lehnt ist. Beide genannte Opern textierte Marco Coltellini im Sinne Calsabigis, er verfafite auch
das — zweiaktige — Buch zu Glucks ,,Telemacco", 1765, worin die neuen musikalischen Grund-
satze mit den alten nebeneinander vertreten sind. Coltellini ist ferner der Autor des Intermezzo
tragico ,,Piramo e Tisbe", 1768, worin Hasse sich nach seiner Art mit dem neuen Stil auseinander-
setzt. Er war ja in Wien Augenzeuge der Reformwerke. Durazzo liefi den ,,Orfeo" in Paris stechen.
Die ,,Tragedia Alceste", die in Wien gestochen wurde, macht den entscheidenden Schritt
von der mythologischen Pastorale zur eigentlichen Tragodie. Das Grundproblem, Gattenhebe
im Kampf mit dem Schicksal, ist das namliche wie im ,,0rfeo", die GroBe der Auffassung
und Empfindung aber bedeutend geweitet. Nur versagt der Dicker in der Ausspinnung der
Handlung, so glanzend er sie beginnt; ihre Hauptstutzen sind wieder Alceste und der Chor,
der Personenkreis ist sonst etwas grofier als im ,,Orfeo", der Ausgang abermals kunstlich ge-
glattet. Beruhmt ist Glucks Vorrede zur Partitur, die von Coltellini stilisiert sein soil:
,,Bei der Musik zur ,Alceste* war mein Vorsatz, alle die Mifibrauche zu beseitigen, die durch
Eitelkeit der Sanger und Nachgiebigkeit der Musiker in die italienische Oper eingedrungen sind
und aus dem prunkvollsten und schonsten aller Schauspiele das lacherlichste und langweiligste
gemacht haben. Ich gedachte die Musik auf ihre wahre Aufgabe zu beschranken: durch ihren
Ausdruck der Poesie zu dienen, ohne die Handlung zu unterbrechen oder mit unmitzem Uber-
flufi an Ornamentik abzukuhlen und glaubte, daB sie — ahnlich wie einer richtigen, gut an-
gelegten Zeichnung gegeniiber die Lebhaftigkeit der Farben und der Gegensatz von Licht
und Schatten — die Gestalten beleben miisse, ohne die Konturen zu verandern ... Ich habe
versucht, eben alle jene Auswiichse zu bannen, gegen die der gute Geschmack und die Ver-
nunft langst ihre Stimme erhoben haben.
47*
734
Die Oper im 18. Jahrhundert
Ich stelle mir vor, dafi die Sinfonia der folgenden Handlung zuvorkommen und sozusagen
die Inhaltsangabe dazu sein solle; dafi das Orchester sich im Verhaltnis zum Interesse und zur
Leidenschaft (der Handlung) entfalten miisse und Jm Dialog kein solch scharfer Unterschied
zwischen Rezitativ und Arie bleiben diirfe, der widersinnig den Verlauf (der Handlung) zer-
stiickelt oder zur Unzeit ihre Kraft und ihr Feuer unterbindet.
Ich habe ferner geglaubt, den grofiten Teil meiner Arbeit auf das Streben nach einer schonen
Einfachheit verlegen zu sollen und habe es vermieden, auf Kosten der Klarheit mit Kunst-
fertigkeiten zu prunken; es schien mir die Aufmachung von irgend etwas Neuem ohne Wert,
wenn es nicht auf nattirliche Weise von der Situation und vom Ausdruck gefordert ware; aber
es gibt keine ordentliche Regel, die ich nicht der Wirkung zuliebe mit gutem Gewissen auf-
opfern zu mlissen iiberzeugt bin ..."
Die einsatzige Ouvertiire — ,,Intrada" — versetzt sogleich in den Geist des Dramas, das
in eindringlichen, durch sich wiederholende Chorstellen scharf gegliederten Bildern verlauft,
von denen insbesondere die Tempelszene mit dem Orakel
Oracolo
*
1-
3
±a=^
VI. Sord.
Troinboni
11 re mor-ra,
Hin-siecht Ad-met,
Tromboni
s'al - tro per lui non mo - re.
so sich kein an - drer op - fert.
Fg. Vc. mit ganzem Orchester
und die Unterweltszene von zwingender Gewalt sind. Die musikalische Form geht ganz aufs
Grofie, der Chor bindet sie im Sinne des Chors der griechischen Tragodie, die Einzelarien
vermeiden sichtlich jeden konventionellen Zug zugunsten freier Bildungen, die aber kleine
Da-capo-Gliederungen und ausgeschriebene Wiederholungen umfassen. Chorabschlufi, Ein~
schaltung von Duettstellen (der Kinder) erweitert z. B. eine mehrsatzige Arie Alcestes, rein
deklamierend, und zwar vor Grauen stockend, ist ihr Gesang vor den Toren der Unterwelt.
Aria
Chi mi
Wel^che
par - lal
Lau - te!
che
Was
ris - pon - do ?
er- wi - dern?
Das Rezitativ entfaltet sich in vollem Reichtum, vom Sekko bis zur frei durchkomponierten
Deklamation. Stehende Leitgedanken, wie die des GroBpriesters,
schaffen straffe Einheit. Im Orchester herrscht immer wieder der Posaunenklang vor. Glucks
Gepflogenheit der Entlehnungen aus seinen friiheren Werken ist in der ,,Alceste" ganz unter-
lassen. Fur Paris wurde diese Musiktragodie nahezu vollstandig umgearbeitet, nur der 1 . Akt
blieb groBtenteils bewahrt, unter Strichen (die Kinder, die Vertrauten), Umstellungen und Zu>-
satzen. So la'uft hier die Ouvertiire in einen Chorruf aus, in einer Arienzutat der Alceste
macht Gluck vor der Lullyschen Manier der Refrainbindungen seine Verbeugung.
Die Oper im 18. Jahrhundert
735
Non! ce n'est point un sa - en - fi - ce.
Oh. nicht der Tod ist's, den ich scheu - e.
Der 2. und 3. Akt sind ganzlich geandert, schon textlich, die Unterweltszene fehlt nun, aus
Quinaults Oper ist die Gestalt des Herkules eingefiigt, nicht zum Vorteil des Werkes. Eine
Arie des Herkules, die lange Gossec zugeschrieben wurde, stammt aus Glucks ,,Ezio".
In ,,Paride ed Elena", dem ,,Dramma per musica" in 5 Akten, dessen Partitur auch in Wien
gestochen wurde, stehen durchwegs beide Hauptgestalten im Brennpunkt der Handlung, deren
Bewaltigung Calsabigi wieder nicht voll gewachsen war. Die Charaktergegensatze sind von
Gluck durch die Darstellung von ganzen Kulturkreisen (Phrygier und Spartaner) gigantisch
verstarkt.
Paride
Oh del mio dol-ce ar - dor
O mei-ner hoi-den Wonnen
bra-mato og - get
verlan-gend Bren
to.
nen
Athletenchor
1
|
It
Unisono
Del - la Reg - gia ri - hi - cen - te seen - di a no - i, seen - di a r.oi bcl D.'o.
Dei-nes Rei - ches ste -tern Glan-zen, Gott von De - los, sen - ke dich hernieder.
Dadurch gewinnt die Ausschmiickung des Dramas mit Chor und Ballett sehr an Ausdehnung.
Daneben ist die Oper besonders reich an lyrischen Ergiissen, von einer Weichheit, die bei
Gluck selten ist. Uberhaupt weisen Probleme und Stil hier wie in der ,,Armida** auf die
Romantik. Paris ist wieder eine Kastratenpartie, auch der allegonsche Amore singt Sopran. In
Liedformen — darunter ein Strophenlied — , in das kleine Da capo oder in Reprisenformen
sind die Arien gefafit. Die Ouvertiire ist dreisatzig und nimmt in alien drei Satzen Themen
des letzten Aktes voraus. Auch diese Partitur ist von einer Streitschrift Glucks eingeleitet.
Mit der Verlegung der Reformarbeit nach Paris wurde die lange erwiinschte Vereinigung
der italienischen und franzosischen Oper hergestellt, es entstand ein iibernationales Musik-
drama deutscher Geistesrichtung, die griechische Antike, belebt von tiefem Humanismus,
leuchtet nochmals voll auf, daneben erheben sich die Krafte der Romantik. Die franzo-
sische ernste Oper war durch das Uberwuchern des Balletts langst reformbediirftig ge-
worden, die griindliche Vernachlassigung des Textes hatte auch Rameaus Werke in Mifikredit
gebracht. Grimm definiert die franzosische Oper als ein Schauspiel, wo Gluck und Unglikk
der handelnden Personen in den Tanzen liegt, die um sie herum zu sehen sind.
Von Wien und von Calsabigi nehmen die Textdichter der beiden Iphigenien die drama-
tischen Reformgedanken, teilweise auch die dreiaktige Teilung, doch ist die textliche Unter-
lage nicht mehr so einseitig starr wie in Wien, sie wird vielmehr, ahnlich wie in ,,Paride", bereits
allgemeiner und praktischer auf das Widerspiel von Charakteren und auf ein abwechslungs-
reiches Schauspiel eingestellt. Die Ausstattung mit Balletten macht dem Pariser Geschmack Zu-
gestandnisse, die aber in der taurischen ,,Iphigenie" wieder eingeschrankt sind. Die Divertisse
ments werden nun auch nach franzosischer Art teilweise gesungen, ohne dafi die Gesangs-
•7 ox Die Oper im 18. JahrKundert
'beteiligung an die bei Rameau typische heranreicht. Der in Paris altiibliche Prolog ist ganz
aufgegeben, auch die oft rein aufierliche Programmusik der franzosischen Tragodie paBte
merit zu Clucks Anschauungen. Wo sich Ahnliches findet, wie in der Ouverture zur ,,Taurischen
Iphigenie", hat es im dramatischen Organismus seine Bedeutung. Das Rezitativ fiihrt Gluck
durchwegs als Akkompagnato, wahrend noch Rameau zumeist unbegleitete Basse schreibt,
die freie, das Wort untermalende Art und Weise der Rezitativbehandlung an dramatischen
Hohepunkten der Pariser Reformopern gilt dann mit ihrer psychologischen Kleinarbeit bis
zur ,,Euryanthe" und zum ,,Lohengrin". Wahrend friiher bei Gluck mit Ausnahme einiger
Stellen zwischen Alceste und Admet nur das Streichorchester begleitete, tritt nun die Be
teiligung der Holzblaser im Rezitativ immer mehr hervor. Der franzosischen Opernform ent-
lehnt sind Ziige in der Arientechnik, namlich die zahlreichen, vielleicht manchmal allzu zahl-
reichen kleinen Arien (Airs) in knappen, gelegentlich nur einige Takte fullenden Liedformen,
die den deutschen Volkston in der Melodik deutlich verraten, oder, seltener, die gruppierenden
Ariosos, wie zu Beginn der ,,Aulischen Iphigenie", ferner die Vorliebe furs Ensemble, m
Duetten, Quartetten, Solo mit Chor, Duett, Quartett mit Chor u. a. Auch in den wichtigen
Orchesterritornellen kniipft Gluck an Lully und Rameau an, wahrend die Chorbehandlung
diesen gegeniiber mafiiger, zuriickhaltender ist und dafiir in Chorrezitativen eine Schlagfertig-
keit gewinnt, die mit der Wucht der Turbasatze in der deutschen Passion verglichen wurde.
Auch jetzt kornmen Chorwiederholungen vor, doch treten die massiven Refrainszenen der italic-
nischenReformopernzuriick. Dafur reckt sich Gluck bei demRacheschwur derArmida zu einem
packenden Ensemblefinale auf, das lange Zeit ebenso vorbildlich wurde, wie die sons tigen Bin-
dungen zwischen Chor und Einzelgesang. Auch seine getragenen Chorgebete wirkten voll
nach. Von den Skythenchoren wieder ging Anregung zur Schilderung von Nationalmusik aus.
Die groBen Monologe des Agamemnon, der Klytamnestra, Charakterschilderungen voller
Steigerung, der Armida, des Orest, der Iphigenie sind gleichfalls stehende Muster fur die dra-
matische Komposition geblieben. Die dramatische Arie legt sich in der ,,Iphigenie in Auhs"
besonders aufs kleine Da-capo fest. Am freiesten sind die Formen in der ,,Armida", die uber-
haupt am meisten stilistischen Entwicklungsstoff bietet. Das Zuriickgehen auf ein Libretto
Quinaults war damals kein vereinzelter Versuch, er fiel aber eigentlich aus Clucks Programm
hsraus. Selbstentlehnungen sind in dieser Oper sehr viele vorhanden, die Ouverture stammt
z. B. aus dem ,,Telemaco", der auch den Anfang der ,,Aulischen Iphigenie" versorgt. Ouverture
und erste Opernszsne werden hier bekanntlich thematisch gebunden (Andante), wahrend das
Allegro im Hauptgedanken auf spatere Chorstellen deutet. Auch hier wieder hat die Sonaten-
form eine deutliche Durchfuhrung. Die Ouverture der ,,Taurischen Iphigenie", deren Musik
im Kampf des 4. Aktes wiederkehrt, stammt aus einer franzosischen Wiener Operette (,,L'isle
de Merlin"), schon Majo (Mannheim 1764) und Jomelli (Neapel 1771) haben in den gleich-
namigen Opern die dreisatzige Scarlattische Symphonie als Schilderung von Seestiirmen an-
gelegt: Sturm, Ruhe, Kampf zwischen Skythen und Griechen auf offener Biihne, wahrend
Traettas ,,Sofonisbe" (Mannheim 1762) die Sinfonia gleichfalls in die offene Szene iiberfuhrt
(der 3. Satz ist eine Kampf szene) und thematisch mit dem SchluB der Oper verbindet oder
Jomelli im ,,Fetonte", 1768, den Mittelsatz der Sinfonia zu einer Chorszene ausbaut. 1771 hat
Glucks Schiller Salieri seiner ,,Arrnida" eine voile Programmouverture vorangeschickt, die er
selbst im Textbuch eine Art Pantomime nennt, ohne Darstellung natiirlich, und in der er die
Die Oper im 18. Jahrhundert 737
der Oper vorangehende Handlung bis ins einzelne zu malen sucht. Glucks „ Iphigenie auf
Tauris" ist iibrigens eine der wenigen Opern, die ganz auf Erotik verzichten. Eine neue Be-
arbeitung hat Richard Straufi fur Weimar 1890 unternommen, wahrend Richard Wagner 1845
die ,,Iphigenie in Aulis" iiberarbeitet hat, wobei insbesondere der Schlufi eine neue Gestalt
erhielt. Der grofie Unisonochor, der eines der typisch Gluckschen Stilmittel am SchluB des
Werkes voll entfaltet, war schon 1775 in Paris gefallen. Eine Wiederbelebung der italienischen
,,Alceste", sowie Auffiihrungen von ,, Paris und Helena" und von ,,Armida" gehoren zur Ehren-
pflicht der deutschen Biihnen.
Glucks Auftreten in Paris entfachte heftigen Widerstand. Man versuchte zunachst erfolglos,
ihm den Franzosen E. J. Floquet entgegenzustellen, sodann berief die italienische Partei den
Neapolitaner Nicolo Piccinni (1728 — 1800) nach Paris, fiir den Marmontel Quinaults
,,Roland" — in 3 Akten — einrichtete (1778). Die alte asthetische Fehde urn den Wert der
italienischen und franzosischen Musik flammte wieder hell auf, Piccinm selbst aber bekannte
sich in seinen Werken zu Glucks Stil. Er liefi bis 1785 mehrere franzosische Opern folgen,
darunter Quinaults ,,Atys", eine ,,Iphigenie enTauride", 1781, ,,Didone", 1783, zog sich aber
dann vom Theater und 1791 iiberhaupt aus Frankreich in seine Heimat zuriick. Seine Starke
lag im komischen Fach und seine alteren Buffoopern bildeten auch in Paris den Mittelpunkt
der italienischen Buffoaufruhrungen in der Musikakademie 1778 und 1779, die die Erstauf-
fuhrung von Glucks ,,Taurischer Iphigenie" umgaben. In der franzosischen Musiktragodie
strebte Piccinni mit Szenenfiihrung und Chorbehandlung Gluck nach, aber er mischte in
reicherem MaBe grofiere Arienformen ein, wahrend die kleineren Airs im ,, Roland" noch fast
ganz vermieden und auch spater nur mit MaC eingeschaltet sind. Seine Arien haben freie und
wechselnde Formen, das kleine Da-capo, Reprisenformen, auch die Sonatenform, sind beliebt;
die erste Rachearie Rolands im 3. Akt hat im Mittelsatz der Sonatenform Takt und Tempo-
wechsel, zweiteilig ist die Koloraturarie der Medea. Die Koloratur ist aber hier eine Aus-
nahmserscheinung. Das Rezitativ, nach Glucks Muster durchwegs vom Orchester gespielt,
liebt die Sekkotechnik auffallend, sodafi Rezitativ und Arie oft nach italienischem Brauch stark
getrennt sind. Das Ballett hat breiten Raum, der Chor hingegen im ,,Roland" nur wenig Be-
schaftigung, eine starke Choroper ist hingegen die ,,Penelope" (1785). Die Ouverttire des
,,Roland" schaltet, wie das Gretry tut (,,L'amitie a 1'epreuve", 1770, ,,Cephale et Procris", 1775)
zwischen Hauptsatz und Reprise der Sonatenform einen langsamen Satz ein, die ,, Pen elope"
verfolgt, wie die ,,Aulische Iphigenie" oder wie spater Cherubinis ,,Demophon", das alteLul-
lysche Schema, natiirlich mit homophonem Allegro, die ,,Didone" aber bringt eine Scarlattische
Dreisatzigkeit mit sonderbarer Tonartenfolge der 3 Satze (B-Dur, F-Dur, F-Dur). Im iibrigen
ist die einsatzige Ouvertiire bei den meisten Opern der Nachfolger Glucks die Regel.
Der Einflufi Glucks beherrscht bis Spontini die grofie franzosische Oper, ihre Vertreter sind
nun mit wenigen Ausnahmen Italiener; Franzose ist J. B. Lemoyne, der in Berlin studiert
hat(,,Electre", 1782, ,,Phedre", 1786), ihmreiht sich F.J.Gossec an, dessen ,,Thesee", 1782,
iiber das Textbuch Quinaults gesetzt ist und auch eine Arie Lullys enthalt; der Niirnberger
J. Chr. Vogel (1756—88), eine starke dramatische Begabung, sucht engen Anschlufi an Gluck
(,,Le Toison d or", 1786, ,,Demophon", 1789), die Ouvertiire zu ,,Demophon" ist noch heute
nicht ganz verschollen, sie endet, ahnlich wie die zu ,,Paride ed Elena", mit der Musik des
Schlufichors der Oper, wahrend die Einleitung, wie in der ,,Aulischen Iphigenie", auch zu
Die Oper im 18. Jahrhundert
Beginn des 1. Aktes wiederkehrt. Neapolitaner ist noch Antonio Sacchini (1734—86), der
von 1781 an in Paris wirkte, nachdem er zuvor Deutschland bereist und 10 Jahre in England
gelebt hatte. Er begann mit zwei Bearbeitungen alterer italienischer Opern (,,Renaud'\ 1783,
nach seiner ,,Armida", Mailand 1 772, ,,Chim£ne", 1783, nach seinem ,,Cid", Rom 1764), 1784
schrieb er seinen ,,Dardanus", nach seinem Tode erst wurde das Hauptwerk ,,0edipe a Colone"
1 787 und eine von Piccinni beendete Oper gegeben. In diesen grofien, ernst angelegten Werken
sind Clucks Ziele kraftvoll hochgehalten, besonders der Oedipus ist eine sicher durchgefiihrte
Figur. Die in der ,,Armida" ausgebildete thematische Beziehung zwischen Rezitativ und Ane
hat Sacchini weiter verfolgt. Am weitesten geht aber der Venezianer Antonio Salieri (1750
bis 1825) mit dem Reformator, ja iiber inn hinaus; war er doch in Wien von Gafimann und
Gluck selbst herangebildet worden und iiber Empfehlung des Meisters nach Paris gelangt.
Schon in Wien hatte er in seiner ,,Armida" 1771 Clucks Richtung angenommen, in Paris ftihrte
er sich mit den ,,Danaides" ein, die Gluck teilweise mit seinem Namen deckte. 1 786 folgten
,,Les Horaces" und 1787 das ,,Melodrame" ,,Tarare", in dem Beaumarchais seine Gluck noch
uberbietenden Ideen von der Oper praktisch betatigte. Vollstandige Unterordnung der Musik
unter die Poesie war das Programm, dem Salieri schon aufierlich in der Partitur durch Unter-
schei'dung der langen Strecken Sprechgesang mit der Weisung ,,parle" und der eingestreuten
kleinen Arietten mit ,,chante" sich gefiigig zeigte. Arien und ausdrucksvolle Rezitativwen-
dungen bezeugen den tiichtigen Musiker, dessen reiches Konnen die grofien Chore gestaltet.
Diese soziale Oper, die die Gleichberechtigung aller Menschen predigt, entbehrt dabei auch
nicht komischer Partien. Sowohl der phantastische Prolog, als auch der 1 . Akt haben ein freies,
rasch in die Szene fuhrendes Orchestervorspiel, Programm- und Szenenmusik. Das Werk er-
regte schon vor der Auffiihrung grofies Aufsehen, es hat nicht weniger als 12 Parodien ver-
anlafit In diesen Jahren debutiert endlich auch Luigi Cherubini (1760—1842) in der
Musikakademie mit seinem ,,Demophon", 1788, der zweiten Oper gleichen Titels im selben
Jahr. Florentiner von Geburt, hatte er in Bologna 1778—84 bei Sarti studiertund fur dessen
Opern Sekundarierarien schreiben diirfen, er versuchte sich auch seit 1779 selbst in der
Opera seria und buffa, 1785 und 1786 in London. Nach Paris zog er 1785 und noch 1788
brachte er in Turin eine italienische ,,Ifigenia in Aulide" heraus, deren Stil starke Mischung
mit franzosischen Ziigen aufweist. Der ,,Demophon" bekundet trotz des geringen Erfolgs,
den er hatte, deutlich die grofie Begabung des Verfassers, die Anlehnung an Gluck ist offen-
kundig, der Orakelspruch z. B. folgtdem der ,,Alceste" getreu, das Rezitativ unddiegrofien Chor-
szenen weisen auf Gluck, doch sind die Chore vielstimmig, das Ensemble starker entwickelt, mit
Individualisierung der Figuren, die Formen der Arien weitgeschwungen, in der Melodik linden
sich neapolitanische Wendungen. Die Ouvertiire bringt eine spater bei Cherubini (,,Elisa'\
,,Anacreon") und bei Spohr iibliche Manier auf, namlich die Ubernahme des langsamen Ein-
leitungssatzes ins Allegro. Trotz dieser Talentprobe war Cherubini gezwungen, sich der Dialog-
oper zuzuwenden (Opera comique), wahrend die grofie Oper, ihrer machtigen Stiitzen durch Tod
und Abschied beraubt, eine Zeitlang ihren Glanz vor den kleineren Theatern nicht zu wahren
wufite. Franzosische Bearbeitungen italienischer Opern, wie Paesiellos ,,IlreTeodoro" (1787),
wurden aufgegriffen. Das Theatre de Monsieur (spater Theatre Feydeaux) fuhrte 1789—92
italienische Opern in der Ursprache auf; Cherubini hatte dabei eine leitende Stellung. Daneben
machte sich bis 1800 in Paris eine grofie Vorliebe for die ganz ernsthafte Dialogoper geltend.
Die Oper im 18. Jahrhundert 739
Im Gegensatz zu Frankreich hatte Glucks Wirken far die Jtalienische Oper fast gar keine
direkte Bedeutung. Man ging daran ohne Teilnahme voriiber, in derOpera seria lebteviel-
mehr die Vorliebe furs Konventionelle, Leichtfafiliche, rein Musikalische damals neu auf. Als
Jomelli 1769 nach Neapel zuriickkehrte, hatte er mit seinen letzten Biihnenwerken offenkun-
digen Mifierfolg. Der modische Geschmack hielt sich an die Richtung Vinci, Porpora, mit der
fiihrende Komponisten, wie Latilla und Lampugnani, die Verbindung hielten, nur wurde in
Melodik, Form und Klangwirkungen der Grundsatz simjicher Effekthascherei breiter und
mit gesteigerten Mitteln verfolgt. Einflufireich war dabei der Siegeszug der Opera buffa und
die bedeutende Stellung einiger Bahnbrecher dieser Gattung, wie Galuppi, Piccinni, Guglielmi
u. a., auch im ernsten Fach. Diese Einwirkung aufiert sich durch das Vordringen von En-
semblesatzen und Finalegebilden, wobei die immer noch herrschenden Texte Metastasios
ebenso erweitert wurden, wie sie in den Arien regelmafiigEingriffe und Veranderungen erfuhren ;
denn auch die Arienf ormen nahmen von der Opera buffa Einzelheiten an, insbesondere bei den
starker hervortretenden zweiten Rollen (Sekundariern). Dramatische Hauptform bleibt noch
eine Zeitlang die Da-capo-Arie, doch hat die Erweiterung der einzelnen Abschnitte und die Ein-
fiihrung gegensatzlicher Themen nach Art der Sonatenform die Einschrankungen der Wieder-
holung im Gefolge, die oben erwahnt wurden. Entweder es folgt nach dem weiterhin kurz
gehaltenen Mittelsatz gleich die Wiederaufnahme des zweiten Teils des Hauptsatzes (Dal-
Segno-Arie) oder die Wiederholung beginnt wie der Hauptsatz und springt dann in seinen
zweiten Teil iiber (verkiirztes Da-capo). Die Ritornelle sind gleichfalls an Umfang sehr an-
gewachsen, oft treten konzertierende Instrumente hervor, die sich dann mit mafilosen Kolora-
turen der Singstimmen mischen. Neben der Da-capo-Arie treten Reprisenf ormen hervor (Re
prise im Sinn der Sonatenform), so die Sonatenform selbst, mit und ohne Mittelteil, die Kava-
tine und verschiedene Mischf ormen, spater setzt sich das kleine Da-capo (kleines Rondo) fest,
auch in seiner zweisatzigen Erweiterung mit schnellem zweiten Satz, ferner das Rondo, sowie
zwei- und mehrsatzige Gebilde. Die Melodik halt far pathetische Regungen starr an der
Akkordthematik, grofien Intervallspriingen und iiberflutender Koloratur fest, im Ausdruck
des Riihrenden und Galanten gewinnt sie eine eigene Biegsamkeit und weiche Linie, die teil-
weise auf die Opera buffa (Piccinni) zuriickgeht, teilweise nach Pergolesi von Majo und Chri
stian Bach ausgebaut wird. Hier spiegelt sich die empfindsame Zeit in Erscheinungen, deren
Verklarung Mozart bedeutet. Insbesondere bei Johann Christian Bach (1735 — 82), dem
jungsten Sohn des Thomaskantors, der zuerst in Mailand, seit 1 762 in London wirkte, Jst der
melodische Ausdruck derart vertraumt und schwarmerisch, dafi sich sein Stil dem jugendlichen
Mozart entscheidend eingepragt hat. Am kraftigsten dem Dramatischen zugewendet ist da-
gegen in dieser sogenannten neuneapolitanischen Gruppe der Oberitaliener Giuseppe Sarti
(1729—1802), der auch in Kopenhagen und St. Petersburg Kapellmeister war. Sein Hauptwerk
,,Giulio Sabino" (Venedig 1 781 ), das in Wien gestochen wurde, ist reichlich mit lebhaftem, ener-
gischemOrchesterrezitativdurchsetzt,wahrendesindenAriendasDacapovollstandigaufgibtund
sie meist in eine langsame Einleitung und ein zweiteiliges Allegro teilt; sie schlagen kraftigere
Tone an, als sonst iiblich ist. Sartis Schaffen war fur Mozarts ,,Idomeneo" und ,,Titus" von
Bedeutung, auch eine dramatisch schwachere Eigentiimlichkeit, die gavottenartige Rondoarie,
ist von daher in den ,,Titus" iibergegangen. Die oberitalienische Oper, insbesondere die Ve-
nezianer, bedarf noch fur das ganze 18. Jahrhundert einer naheren Untersuchung, die starken
740 Die Oper im 18 Jahrhundert
Wechselbeziehungen mit Deutschland, vor allem mit Wien und Dresden, bestehen wie im
17. Jahrhundert weiter; Gafimann und Salieri werden von Glucks Ideen beriihrt, die in Sa-
lieris italienischen Partituren schon an verschiedenen eigenhandigen dramaturgischen Er-
orterungen kenntlich sind und in der Wiener Fassung seines ,,Tarare" als ,,Axur, Re d'Ormo",
allerdings mit Zugestandnissen an den Zeitgeschmack, anhaltenden Erfolg hatten. Starker
ausgepragt ist der Ubergang zur Romantik bei dem Dresdner Johann Gottlieb Naumann
(1741—1801), der von Hasse ausgeht, 1773 mit Bertatis ,,Armida" cine Wendung zu Gluck
macht, die in den schwedischen Opern ,,Amphion", 1 778, ,,Cpra", 1 782, ,,Gustaf Wasa", 1 786,
und dem danischen ,,Orpheus",l 786, zu selbstandigen grofien Versuchen fiihrt. Diebesondere
Bedeutung dieser auch textlich hochstehenden Werke fiir die Operngeschichte hat kiirzlich
erst R. Englander eingehend dargetan. Sie liegt in der Verquickung des franzosischen Opern -
typus mit italienischen und deutschen Ziigen, in grofier Formengestaltung, starken Chor-
wirkungen, reichem, frei abgestuftem Rezitativ und in der Ausbildung der Technik des Er-
innerungsmotivs, die in ,,Gustaf Wasa" systematisch durchgefiihrt wird. In Kopenhagen folgt
L. A.Kunzen diesen Anregungen(,,0beron", 1789). Die beiden Opern Naumanns fiir Berlin
,,Medea", 1 788, und ,,Protesilao" , 1789, mit Rei char dtgeschrieben,leiten zum Seriastil Mayrs
und Paers liber. Ensemble und Chor haben imposante Aufgaben, das Orchester stellt die Blaser-
gruppen stark hervor, ist dabei von Haydns Instrumentalsatz angeregt, virtuose Arienkolosse
bleiben am Ideal des Neapolitanertums haften. Das groBe pantomimische Ballett im 3. Akt der
,,Medea"knupft an die alteren Wiener und Stutt garter Bestrebungen dieser Art an. Fiir diespateren
Dresdner Opern (1 78 1 — 1 801 ) mit Mazzola ist schon die neuere Textteilung in 2 Akte bezeichnend .
DieFestoper,,Osiride4M781,behandelt den Zauberflotenstoff, die Musik bringt Freimaurer-
lieder. Salt der ,,Elisa *, 1781, wird aber die eben imEntstehen begrif fene Richtung der Opera
semiseria dauernd gepflegt, die auf Verbindung von Opera buffa und seria hinzielt. Die
Dresdner Komponisten J. Schuster und Fr. Seydelmann schliefien sich dieser Mischart an,
die seit 1800 an Pae'r den typischen Vertreter in Dresden finden sollte. Naumanns Schreib-
weise aber entwickelt gegen SchluC des Jahrhunderts immer entschiedener Eigentumlich-
keiten, die auf die deutsche romantische Musik hinweisen. Auch das Stoffgebiet einzelner
Dresdner Opern weist schon dorthin, z. B. Schusters ,,Rubezahr' (,,11 vero amore") 1789.
Naumanns nordische Opern gehoren in deutscher Ubersetzung oder Neubearbeitung zu der
deutschen musikdramatischen Bewegung ihrer Zeit, die hauptsachlich in den ernsten deut
schen Opern versuchen Schweitzers und Holzbauers in Erscheinung tritt, daneben aber auch
dem ,,musikalischen Schauspiel" oder ,,musikalischen Drama" zugute kommt, das ans Monodram
(Melodram) ankniipft und die deutsche Dichtung langere Zeit in Atem hielt. Die Bemiihungen
um ein nationales Musikdrama waren iiberhaupt nach Gottsched eine literarische Angelegen-
heit, wahrend die Musiker dauernd der italienischen Oper Gefolgschaft leisteten. Schon 1749
schrieb Scheibe wohl einen Text ,,Thusnelda", aber keine Musik dazu, Klopstock, Lessing,
Herder beschaftigten sich mit dem Gedanken der deutschen Oper, der Maler Miiller u. a.
versuchten sich praktisch, insbesondere seit die Seylersche Schauspielergesellschaft mit dem
Melodram neue Moglichkeiten der Biihnenmusik eroffnete. Zu starken Ergebnissen gelangte
aber das Eingreifen Wielands, der sich mit Anton Schweitzer (1735 — 87) vereinigte, dem
Kapellmeister der Seylerschen Truppe in Weimar, und nach Balletten und Gelegenheitssing-
spielen (,,Aurora") 1773 rasch zum grofien Wurf des fiinfaktigen deutschen Singspiels ,,A1~
Die Oper im 18. Jahrhundert
741
ceste" gelangte. Es war ganz durchgesungen und strebte vollkommene wechselseitige Durch-
dringung von Text und Musik — iiber Gluck hinaus — an. Trotz einer allzu lyrischen An-
lage und Ubertreibungen des Ausdrucks, schon im Text, der Metastasios Intriguensystem ver-
schmaht, aber seine Arienvergleiche ubertrumpfen will, ist dieser Vf rsuch zu einer deutschen
Volloper ein ganz bedeutender. Insbesondere die Rezitativbehandlung spinnt Keisersche Faden
weiter, das Orche'sterrezitativ tritt stark in den Vordergrund, die Deklamation ist voll Gefiihls-
spannung, wie z. B. die von Mozart geschatzte Einleitung zur groBen Ombra-Szene Ad-
mets zeigt.
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Die Vermeidung von Kastratengesang und Koloratur weisen schon von der welschen Kunst
ab, die aber in den Arien mit ihrem aufierlichen Pathos heraustritt. Doch sind sie formal voll
freier Ziige. Auch die starke Instrumentation ist deutsches Gut, die Ouvertiire nimmt die
franzosische Form auf, die damals schon archaisierend wirken mufite. Der Chor hat eine grofie
Opferszene. Umfangreichere Choraufgaben stellt die zweite gemeinsame Arbeit der beiden
Kiinstler iiber einen englischen Stoff, die dreiaktige ,,Rosamunde", die nach mannigfachem
742 &ie Oper im 18. Jahrhundert
MiBgeschick erst 1780 in Mannheim folgte. Mozart tadelt darin die unsangliche Schreibart
einzelner Partien.
Die Weimarer Anfange hatten schon 1774 ein jahes Ende gefunden, auch in Mannheim
war die Forderung der deutschen Oper nur von kurzer Dauer. Das Hauptereignis in
Mannheim war 1777 das dreiaktige Singspiel ,,Giinther von Schwarzburg" von Professor
Anton Klein und dem Wiener Ignaz Holzbauer (1711 — 83), das aus der deutschen Ge-
schichte schopfte und das nationale Bekenntnis iibermafiig betonte. Trotzdem ist der Text
mit seiner rankevollen Staatsaktion nur ein AufguB nach Metastasio, die Charaktere triefen
von Giite oder Bosheit, Asberta besonders ist ein Theaterbosewicht von Vollendung. Schon
Mozart nennt die Dichtung der zugehorigen Musik unwert, diese aber voll Geist und Feuer.
Die Flille bedeutender begleiteter Rezitative mit ihrer restlosen Hingabe an den ausdrucks-
vollen Vortrag, der Ernst des Satzes, die voile poetisierende Orchestersprache sind unverkenn-
bare Zeichen deutscher Art, in die sich aber immer wieder Merkmale des Stils der Opera seria
einmengen. Chor und Ensemble wirken in mafiigem Umfang mit, Hauptsache ist die drama-
tische Gestaltung der Handlung und groCer Soloszenen mit Arien, die jeder Schablone aus-
weichen und von emer an Handel gemahnenden ruhigen Grofie der Empfindung erfullt sind.
Von Holzbauer gingen Anregungen in die dramatischen Arbeiten der Folgezeit, besonders der
Danzi und Poifil in Miinchen, Mosel und Schubert in Wien iiber, die in die Zeiten des
Aufstiegs der groBen deutschen Oper weiterleiten.
Die ernste Oper wurde aber in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts allenthalben vom
komischen Musiktheater zuriickgedrangt, das der abgebrauchten Mythologie das tagliche
Leben erfolgreich gegeniiberstellte, die leichteren, natiirlicheren Gattungen der Opera buffa,
der Opera comique, des Singspiels nahmen seit etwa 1760 einen unerhorten Aufschwung, ihre
stets steigende Anziehungskraft bewirkte eine ins Mafilose gehende Produktion, bei erstaun-
lichem Reichtum gleichzeitiger, sehr fruchtbarer Talente. In der Opera buffa waren es der
Venezianer Baldassare Galuppi (1706 — 85), genannt il Buranello, und der obenerwahnte
Nicolo Piccinni, die an Hand der Texte Carlo Goldonis (1707 — 93) zwischen 1750 und
1760 die Form neu festlegten. Aus der friiheren Zeit nach Pergolesi haben sich nur wenig
Partituren erhalten, von Rinaldo da Capua aus Palermo, einem der Wortfiihrer der Gattung,
dem Liebling Europas, der zwischen 1737 und 1771 hauptsachlich fur Rom arbeitete, nur eine
einzige, ,,La Zingara", und zwar in franzosischer Fassung — darin die falschlich Pergolesi
zugeschriebene Kanzonette ,,Tre giorni" — , vom Neapolitaner Nicolo Logroscino (f 1763)
aber, einem Hauptforderer des neueren Buffostils, ist in Miinster die kornische Volloper ,,11
Governatore" (1747) aufgetaucht, die sich schon durch grofien Formenreichtum, Einsghran-
kung von Siciliano- und Da-capo-Arie und besonders durch die Finalebehandlung in frei durch-
laufenden, an Text und Situation angeschlossenen Satzen auszeichnet; der wichtige Venezianer
G. M. Buini (j 1739) dagegen kann iiberhaupt nur an Hand von Texten beurteilt werden,
die besonders die Theatersatire stark ausgebiidet zeigen. Die Texte der Neapler Volkskomodie
werden von P. Trinchera mit satirischen, von Fr. Cerlone mit romantischen Ziigen ausgestattet,
der romantischen Richtung gehoren auch G. B. Lorenzi, G. B. Casti und teilweise Goldoni
selbst an.
Goldoni bedeutet in der Buffooper einen Wendepunkt, er hat Jhr den bleibenden text-
lichen Zuschnittgeliefert und die Volkskunst zu veredcln gcwufit, ohne dabei die traditionellen
Die Oper im 18. Jahrhundert 743
darstellerischen Aufgaben fallen zu lassen, hauptsachlich aber war er von dem Bestreben ge-
leitet, die musikalischen Riicksichten frei zur Geltung zu bringen. DJalekt und Charakter-
masken sind nun auf die Nebenrollen beschrankt (Parti buffe), denen ernstere, sentimentale
Gestalten, die Parti serie, gegenliberstehen, so daB das altvenezianer Rollensystem, das oben
bei Scarlatti gestreift wurde, nunmehr gerade umgekehrt ist. Auf die seriosen Figuren farbt
die Opera seria ab, auch in der Intrigenspinnung, gelegentlich sind sogar Arien Metastasios
zitiert, sein Vierzeiler ist jedenfalls die gegebene poetische Form. Die Verspottung der
Barockoper liegt hier nahe, sie dringt auch in den Aktschliissen vor, wo die Gegensatze
zusammenprallen. Hier tobt sich eine ungeziigelte Ausgelassenheit in Verkleidungen, Verwechs-
lungen, Streit und Priigeleien toll aus, und zwar geschieht dies am Ende des 1 . und 2. Aktes,
wahrend im dritten statt eines Finales zunachst ein langeres Buffoduett und ChorabschluB die
Regel ist. Vieles bleibt, oder wird bald in Anlage, Figuren, Situationen schablonenhaft, doch
hat die Frische der Darstellung, die Mannigfaltigkeit launiger Einfalle die Musiker immer
wieder angezogen. Gegeniiber der gedrangten Seriaarie zielt die Buffos trophe auf breitere
Textanlage, die einzelnen Verse sind dabei zwanglos gebunden. Ist dort der Vergleichsapparat
Metastasios aufgegriffen, so stellen sich hier andere Typen ein, wie militarische Bilder oder
solche, die auf Instrumentalscherze berechnet sind. Die stoffliche Wendung zum Sentimen-
talen (biirgerliches Riihrstiick) und zu den unteren sozialen Schichten (Standeoper) lag im Sinne
der groBen Geistesstromungen der Zeit.
Die Musik der Opera buffa, mit dem einzelnen Stuck viel inniger verwachsen als in der
seria, verwendet ausgiebig alle zur Verfiigung stehenden Mittel und entwickelt fur die Zwecke
der Komik einen ausgepragten Buffostil. Hier kommt die BaBstimme zu neuen Ehren, wahrend
der ernste Liebhaber noch Kastratenpartie bleibt ; die Parti serie halten auch an der Da-capo-Arie
mit groBen Koloraturen fest, wobei sich natiirlich die Wiederholung entsprechend dem Brauch in
der ernsten Oper verhalt. Auch das Akkompagnato, das verhaltnismafiig sparlich vorkommt, bleibt
meist dem ernsten Liebespaar, Szenen grofierer Erregung oder Zwecken der Travestie vorbe-
halten. Die Hauptform der Buffoarie ist aber zweiteilig, auch gern mit einem schnellen Satz als
Anhang (Stretta), daneben treten in buntem Wechsel andere zweisatzige oder zweimalzweisatzige
Formen mit Kontrastwirkungen, das Rondo, das Piccinni, dann Fischietti, GaBmann pflegen,
Liedformen, die Sonatenform und freiere Gebilde. Schon seit Logroscino sind Rezitativstellen
in der Arie zu verfolgen, zum Buffostil gehort der Mangel geordneter Melodiebildung, das
schnelle Sprechen im Gesang (Parlando), gern auf einem Ton oder mit Oktaviiberschlagen,
starke Intervallspriinge, kurzatmige Orchestergedanken, die immer wieder auf fliegen, Schleifer,
Walzen, hiipfende, kichernde, lombardische Rhythmen, rhythmische Uberraschungen, wie
Drei^, Fiinftakter, standige eigensinnige Wiederholungen kurzer Phrasen und Kadenzen. In
der Erfindung knapper, drastischer Buffomotive liegt die besondere Starke Galuppis und
spater Paesiellos, wahrend Piccinni in der motivischen Verarbeitung mit Paesiello hervorragt.
Das Orchester hat dabei eine wichtige Rolle, bis gegen 1 760 Jst es vorwiegend Streichorchester,
spater werden die Blaser starker herangezogen, die besonders Paesiello, aber auch die Wiener
Gruppe (Giuseppe Scarlatti, Fischietti, GaBmann) eingehend verwerten. Der Orchestersatz
ist in Italien sehr primitiv, gern zweistimmig, mit lebhafter, redseliger erster Violine, die
Bratsche fast stets vernachlassigt. Auch da hebt sich die Wiener Oper mit gepflegten Mittel-
stimmen vorteilhaft ab. Desgleichen wird hier wie in Dresden (Naumann, Schuster) die sorg-
744 Die Oper im 18. jahrhundert
faltige Sekkobehandlung Galuppis mit ihren belebten Bafifiguren nachgeahmt Wahrend der
Chor meist nur der Abrundung des Gesamteindrucks dient, hat die Freude am Ensemble
(Pezzo concertato) reiche Friichte getragen. Im Innern des Aktes finden sich anfangs Solo-
ensembles nur sparlich, wahrend sie spater, z. B. bei Guglielmi und besonders in Wien, sehr
beliebt werden, sie sind teils lyrisch, teils dramatisch, auch die Introduzione gibt anfangs gern
Stimmungsbilder in Da-capo-Form oder in Refraingesangen, das Duett hat sich schon seit den
Intermezzozeiten vom Da-capo frei gemacht und dramatische Gestaltung gesucht, das Finale
bringt dann am friihesten grofie neue Formen. Die altere arienhafte Ensemblefiihrung mit
Da-capo (Arienfinale) macht der Teilung in einzelne tonartlich gebundene Abschnitte Platz
(geteiltes oder Kettenfinale), wobsi bis 12 Satze einander folgen konnen. Diese Art, der
fortschreitenden Handlung und dem Wechsel der Situationen schrittweise gerecht zu werden,
wurde seit 1760 allgemein beliebt, wobei wachsendes Streben nach Vereinheitlichung und
Steigerung kenntlich ist, das sich in thematischen Beziehungen und Verkniipfungen der ein-
zelnen Teile spiegelt. Solche Finalereminiszenzen gibt es in verschiedenen geistvollen Kom-
binationen bei Galuppi, Piccinni, Paesiello, Gafimann u. a., die stete Wiederkehr gleicher Ge-
danken in einer Art freien Rondos (mit Variationen) wird Piccinni gutgeschrieben. ,,La buona
figliuola", Rom 1760, teilt das erste Finale siebenmal durch Duettsatze, dann viermal durch
Quartette gleichmafiig ab, wobei ganze Partien einander entsprechen und Tempo und Takt
mehrmals wechseln. Auch sonst sucht Piccinni motivische Fiihlung iiber ganze Szenen, er
lafit auch dieselben Arien von andern Personen wiederholen; an solchen witzigen Form-
bindungen ist die Gattung iiberhaupt reich. Piccinni, der 1758 — 75 in Rom wirkte, war eine
aufs Zarte, Weiche gerichtete Natur, seine innige Melodik hat starke Spuren gezogen. Ins-
besondere sein gutes Madchen war das Entziicken von ganz Europa, es ist darin tatsachlich
ein melodischer Leckerbissen an den andern gereiht. Die Klage der Cecchina, ein feinstili-
sierter Mollsiziliano
f-r r TTT . .
Po - ve-ri - na, Po - ve - ri-na tutto il di fa-ti-car deg-gio co - si, fa-ti-car degglo co-si.
sei als Beispiel angedeutet, die prachtige, lebensvolle Buffofigur des Soldaten Tagliaferro war
benihmt. Das Ruhrstuck hat Pasquale Anfossi (1727—97) mit Gliick weitergepflegt, Pic-
cinnis Schiiler, der schliefilich seinen Meister in der Gunst der Romer verdrangte. Zum vollen
Glanz brachten die Opera buffa Pietro Guglielmi (1727—1804), dessen Starke das Gro-
teske war, der Sizilianer Giovanni Paesiello (1741 — 1815), dessen Opern reich an Cha-
rakterfigurensind, und der Neapolitaner DomenicoCi mar osa (1749 — 1801), der in seiner Zeit
am meisten gefeiert wurde. Paesiello war 1776 — 84 in Petersburg angestellt, wo ,,11 barbiere
di Seviglia" (nach Beaumarchais) entstand, 1787 — 92 war Cimarosa dort sein Nachrolger, fur
Wien schrieben Paesiello ,,11 re Teodoro" 1784, Cimarosa mit Bertati 1792 seinen gliick-
lichsten Wurf, ,,11 matrimonio segreto". Paesiellos beriihmtestes Werk ist ,,La Molinara\
Neapel 1788. Wahrend in den Arien das Bestraben nach Einfachheit und Volkstiimlichkeit
weitergreift, werden die Ensembles und Finales immer breiter und voller bedacht. Dafi im
Die Oper im 1 8. Jahrhundert 745
letzten Drittel des 18. Jahrhunderts — wie in der Opera comique und im Singspiel — die Ver-
schmelzung von komischer und ernster Oper Modesache wird, wurde schon erwahnt.
Die italienische komische Op-r entfachte in Paris erne machtige gleichgerichtete Bewegung
in der leichten Operngattung. War in Italien die Musik die Seele der Gattung, so trug in der
alteren Opera comique die Dichtung das Stuck, denn die Musik bestand bloB aus be-
kannten Liedern und Gassenhauern, die dem Poeten den Rahmen seiner Arbeit aussteckten. Das
Verfahren textlicher Neubelebung feststehender Melodien, das ,,Parodieren" derselben, war
in Frankreich altiiblich, darauf beruhte der Reiz der beliebten Vaudevilledichtungen, auf dem
Theater lafit sich die ,,Comedie en chansons'4 bis 1640 zuriick verfolgen, der Kampf der Vor-
stadttheater um ihren Bestand gegen die beiden groBen privilegierten Biihnen und die von ihnen
mobilisierte Polizeigewalt trieb die Vaudevillekomodie zur Bltite, wobei die Parodie grofier
Opern aus der Musikakademie erne hervorragende Rolle spielte und der Gattung den Namen
gab. Le Sage war es, der dem Theatre de la foire mit Hilfe parodierter ,,Pontneufs" seit
1712 liber gefahrvolle Lagen hinweghalf und das System der Opera com ique scharfsinnig fest-
legte. Es kam dabei zu Pantomimen, zu vollen Vaudevillespielen, wo ununterbrochen ein Lied
das andere abloste, und spater zu gesprochener Prosaverbindung der Lieder, die sich unter
Piron, Pannard, Vade und anfangs auch unter Favart erhielt. Charles Favart, der das Genre
literarisch veredelte, schrieb aber seit 1744 infolge einer Polizeiverordnung wieder ganz in
Vaudevillen ; diese waren schon frtiher mit Opernmusik und gelegentlichen Originalbeitragen
durchsetzt — so war es Sitte, dafi der Schlufigesang Originalmusik brachte, der Hauptkom-
ponist des Theatre de la foire war Ch. Gilliers — , nun schopften sie immer reichlicher aus
Ballettarien, besonders Rameaus, dann aus der italienischen Intermezzokunst. Im AnschluC an
die Buffobegeisterung von 1752, die zahlreiche Ubersetzungen und Parodien zeitigte, setzen
selbstandige franzosische Nachbildungen ein, zunachst J. J.Rousseaus',,Le devin du village",
1752, von Favart in ,,Bastien et Bastienne" parodiert, dann Michel Blavets ,,Le Jaloux corrige"
(Colle), hauptsachlich mit italienischen Arietten bestritten, und A. d'Auvergnes ,,Les Tro-
queurs" (Vade) 1753, alle drei mit gesungenem Rezitativ. D'Auvergne schaltete zwei Vaude
ville ein und auch Rousseau liefi sich von Volksmelodien anregen. In diese Zeit fallen noch
Monsignys erste Versuche, der ,,Les aveux indiscrets", 1754, mit Rezitativen setzte, diese aber
1759 bei der Erstauffiihrung durch gesprochenen Dialog ersetzte. Auf diese franzosischen
Intermezzi folgte eine mehrjahrige Pause, wobei in Sedaines ,,Le diable a quattre" (1756) mit
den Musikeinlagen von Laruette und Philidor Ansatze in der Opera comique zu bemerken
sind, das Vaudeville zuriickzudrangen.
In diesem Stadium greiftGluck in die Entwicklung ein, der fern von Frankreich, inWien,
franzosische Vaudevillekomodien, meist Einakter, fiir die Bediirfnisse des Hofes einrichtet,
zu vollen Vaudevillespielen ,,Airs nouveaux4* schreibt (,,L'isle de Merlin**, ,,La fausse esclave**
1758, ,,Cythere assiegee" 1759 — dieses Stiick Favarts wurde zuerst 1757 mit lauter franzo
sischen timbres gegeben), oder zu Stiicken mit gesprochenem Prosadialog — Comedies meslees
d'ariettes* — neue Arien hinzufugt, wobei wieder die Vaudevilles vorherrschen (,,L?arbre
enchante", ,,Le Diable a quattre* * 1759). Im zweiaktigen ,,L'ivrogne corrige", 1760, sind dann
die neuen Arien die Hauptsache, das Vaudeville tritt stark zuriick, der Dialog wird gesprochen,
und in ,,Le rencontre imprevue", 1763,liegt die Opera bouffon ohne Vaudevillegesang fertig
ausgebildet vor. Die dreiaktige Teilung ist hier etwas Ungewohnliches.
746
Die Oper im 18. Jahrhundert
Dieser Kampf gegen das Vaudeville beherrscht auch die Pariser Produktion, die wieder
von einem Italiener gefiihrt wird, dem Neapolitaner Egidio R. Duni (1709 — 75), vom
findigen Direktor Monnet 1757 aus Parma berufen. Er hatte sich mit grofien Erfolgen
schon Pergolesi gegeniiber in der italienischen Oper versucht, wufite sich aber nun
dem franzosischen Geschmack rasch anzupassen. Es haben sich sogar Partiturteile von ihm
mit franzosischem Rezitativ erhalten. 1757 leitet ,,Le peintre amoureux" die selbstandige
komische Oper mit gesprochenem Dialog ein, das Textbuch Anseaumes besagt, dafi die
Arietten iiber die Musik des italienischen Intermezzos ,,11 pittore innamorato" von Duni
parodiert sind. 1759 debutieren Pierre Al. Monsigny (1729 — 1817) und Francois Andre
Philidor (1726 — 95), 1768 Gretry. Duni lafit seine italienische Schule gern durchblicken,
er stellt die Formenwelt weitherzig fest, fahrt den Einzelgesang vorwiegend liedformig in
Tanzliedern, Romanzen, kleinen Da capos, kleinen Rondos neben gro'Beren Formen, freien er-
zahlenden Arien, Bravourarien, Rondoformen, regt Ensemblefmales an, wahrt das Schlufi-
vaudeville am Werkschlufi, beginnt mit einsatziger oder dreisatziger Sinfonia, schaltet pro-
grammatische Orchesterstiicke und Zwischenaktsmusiken ein und schildert den Alltag mit
emer Fiille von malerischer Kleinarbeit, die seine Nachfolger eifrig weitergebildet haben.
Neben kleinbiirgerlichen Komodien werden bald, analog der grofien Oper, rornantische Stoffe
mit grofiem Zauberapparat gewahlt, wobei das Marchen seine groBe Anziehungskraft entfaltet
(z.B. Favarts ,,La fee Urgele", 1765). Dramatischer und derber packt Philidor zu, dessen Dar-
stellung von einer kompakten Satztechnik bestimmt ist. Das hat die Ausbildung des Ensembles
zur Folge, z. B. das Quartett als Kanon in ,,Bucheron", 1763, oder in ,,Tom Jones", 1765,
hier a cappella, in beiden Opern stehen auch Septette. Die biirgerlichen Stande, das Hand-
werksleben liefern Charaktertypen, schon in ,,Blaise le savetier", 1759, dieNeigung zur Kari-
katur und Travestie ist stark, z. B. in ,,Le sorcier" (1764) wird die groBe Oper parodiert. Gern
mischt Philidor Akkompagnatos ein, sein Verhaltnis zur italienischen Kunst zeigt das Vor-
kommen von Da-capo und Dal segno gleich im Erstlingswerk. War doch far d'Auvergne das
schwerfallige Da-capo noch Hauptform. Am beweglichsten und mannigfaltigsten baut Mon
signy die komische Oper aus, dessen Kennzeichen weiche melodische Anmut und Schwarmerei
ist; so hat er und sein Textdichter Sedaine am gliicklichsten die Schaferidyllen in der Art
Favarts weiterbelebt, in denen die soziale Polemik mit sentimentaler Maske verhiillt ist (,,Rose
et Colas**, 1764, ,,Le Roi et le fermier", 1762), die beiden haben das Ruhrstiick in die Mode
gebracht (,,Le deserteur", 1769, ,,Felix ou 1'enfant trouve", 1777) und Beitrage zur roman-
tischen Richtung geliefert (,,Aline, reine de Golconde", 1766, oder die Marchenoper ,,La belle
Arsene", 1773). Auch Monsigny liebt kontrapunktische Wirkungen (Fuge in ,,Rose" oder
,, Deserteur"),
Rose et Colas. Trio, Fuga, Presto
Mais, mais ils sont en - cour - roux : oui je les crois en co - le - re. Mon pe - re, i
Le Deserteur. Trio, Fuga Prestissimo
»=
pe - re Pier - re le Roux. usw. 0 del ! quoi tu vas mou - rir. O ciel ! quoi tu vas mou - rir.
Die Oper im 18. Jdhrhundert 747
Tonmalereien, Programmusik (Gewitter in ,,Roi et fermier", in ,,La belle Arsene"), die Pro-
grammouvertiire (,,Deserteur", schon potpourriartig), er fiihrt auch das ,, Vaudeville" als
Strophengesang wieder in die Opera comique ein, aus der es als Volkslied immer energischer
verbannt wird.
1 762 macht Favart in ,,Annette et Lubin" den letzten Vorstofi for die Vaudevillekomodie,
unter Andre Ernest Modeste Gretry (1742 — 1813) ist das Vaudeville endgiiltig
verabschiedet. Ein sehr beweglicher Geist, hat dieser in einer langen Reihe von Werken ziel-
bewufit die heitere und ernsthaftere Dialogoper auf einer woblgepflegten Hohe erhalten and
elastisch weitergeformt, wobei ihn bis 1778 die Mitarbeit Marmontels unterstutzte. Epoche-
machend war das entschiedene Eintreten flir die Marchen- und Zauberoper in ,,Zemire et
Azor", 1771, und der Ubergang zur Rettungsoper mit ,,Richard Coeur de lion", 1784, beides
Werke, die eine Flut von Nachahmungen zeitigten, erstere zum guten Teil in Deutschland,
letztere in der sogenannten ,,Schreckensoper", die iiber Mehul, Le Sueur, Cherubim zu Beet
hoven fiihrt. Doch kommt der Belgier, in dem deutsches Blut lebte, nur zu Ansatzen tieferer
Seelensprache, die Eleganz leichter Ausdrucksweise gelingt ihm dagegen vorziiglich. In der
{men, glanzenden Technik des Ensemblegesangs mit ihrer dramatischen Schmiegsamkeit und
der vollen Entfaltung aller Mittel von Solo-, Ensemble- und Chorstimmen liegen seine beson-
deren Verdienste, aus denen die Spieloper des 19. Jahrhunderts ausgiebig Nutzen zog. Der
Einzelgesang erweitert die Liedformen, unter denen auch Strophenlieder und Couplets stehen,
sowiedie kleinen Rondos mit ,,Mineur" oder ,,Majeur", gern urn reichere Formen, zweiteilige
Arien, entwickeltere kleine Da capos. Ballett, Pantomime, Situationsmusik treten starker her-
vor, die Musik umklammert ganze Szenenkomplexe, anfangs der 80 er Jahre wird der Dialog
sogar eine Zeitlang in einigen Stiicken ganz durchkomponiert. Gretry suchte sich sogar mit
Gluck zu messen, seine grofien Opern gehoren aber, wie die Philidors, nicht zu seinen besten
Werken. Auch im heroischen Ballett ist er hervorgetreten. Von Bedeutung sind seine Be-
muhungen urn die konsequente Anwendung des Erinnerungsmotivs in der Dialogoper. Blon-
dels Romanze durchzieht bekannlich, auf der Solovioline gespielt, die ganze Oper ,,Richard
Lowenherz", auch den Dialog.
Tendrement
Die dramatische Bedeutung des Leitmotivs wurde damals (1785) von de Lacepede (,,Poetique
de la Musique") auch theoretisch vertreten. Die Wiederholung von Themen ist bei Gretry
iiberhaupt sehr beliebt. Aber auch Gluck hat die beiden Iphigenien durch einen Chorsatz
bedeutungsvoll gebunden. Wichtig ist ferner die Ausbildung der Szenenmusik, in den Rettungs-
opern vor allem, es sindz.B. in ,,RaoulBarbe-Bleu", 1789, dramatische Hohepunkte ganz von
pantomimischer Musik getragen. Da8 von Gretry auch die Programmouverture weitergepflegt
wurde, liegt auf der Hand, gelegentlich ist Programmouverture und Szenenmusik verquickt.
Neben Gretry wirken in der komischen Operu.a.Dezede, eine selbstandige Personlichkeit,
Francois Josef Gossec (1734—1829), der komische, ernste Opern und Ballette schrieb,
Nicolaus d*Alay rac, ein grazioser Erfinder von staunenswerter Fruchtbarkeit, und eine Reihe
italienischer Autoren; zu diesen ist J. P. E. Martini nicht zu zahlen, dessen richtiger Name
48 H. d. M.
748
Die Oper im 1 8. Jahrhundert
Schwartzendorf war. Die Annaherung der Opera comique an die grofie Oper brachte Etienne
Nicolas Mehul (1763 — 1817) kraftig vorwarts, der sich in seiner ,,Euphrosyne", 1790, Gluck
und Cherubinis ,,Demophon" zu Mustern nahm und starke Befahigung flirs Leidenschaftliche
mitbrachte. Sein Einakter ,,Stratonice", 1792, verzichtet ganz auf das Komische und seither
bedeutet die Bezeichnung ,,0pera comique*' Oper mit gesprochenem Dialog. In ,,Melidore
etPhrosyne", 1795, wird dann auch das Melodram herangezogen. In ,,Ariodant", 1798, fiihren
von den Arien frei abbrechende Orchesteriibergange in den gesprochenen Dialog. In dieser
Oper tritt die leitmotivische Technik voll ausgebildet hervor, sie wird als psycbologische
Triebkraf t unter wechselnder musikalischer Einkleidung gehandhabt, also genau im Sinne der
Verwertung in der deutschen romantischen Oper; das Rachemotiv des getauschten Lieb-
habers Othon
f f
fp
lauft in verschiedener musikalischer Bearbeitung durch alle drei Akte hindurch. Catel und
Berton haben dieses neue Stilprinzip dann zu nutzen versucht. Das Hauptstlick der Pariser
Schreckenszeit, das spater Mehul nochmals vertonte, war 1793 die Rauberoper ,,La Caverne"
(,,Die Rauberhohle") von Jean Francois Le Sueur (1760 — 1837), dem Lehrer von Berlioz,
voll wilder, larmender Ensembles und kurzer, zerrissener Arien.
Der Mittelpunkt des neuen, auf starke, restlos spannende Wirkungen ausgehenden Theater-
stils ist Cherubini, der in der ,,Lodoi'ska" schon 1791 die Dialogoper zur grofien heroischen
Oper mit einer aus der zeitgenossischen Gegenwart schopfenden Handlung ausbaut. Weitge-
spannte Formen, kraftige Akzente, Vorliebe fiir die Synkope, reichgewiirzte Harmonik und
Instrumentation, bescheidene Chromatik, kurzgliedrige, energische Thematik, voller Verzicht
auf das rein Gesangmafiige, musikalische Griindlichkeit im Satz, Belebung der Mittelstimmen,
all das kennzeichnet sein Schaffen, das den charakteristischen Ausdruck in aliem und jedem vor-
anstellt. Von seinen Meisteropern hat die eigenartige ,,Elisa" in Text und Musik starke Be-
ziehungen zur deutschen romantischen Oper, insbesondere in den Partien, die reines Naturge-
fuhl ausstromen, und zwar die erhabene Stimmung der Alpenwelt. Die Abendglocke ertont,
die Schalmei wird auf der Szene geblasen, schon die Ouvertiire beginnt mit dieser Musik,
einer Art Kuhreigen, die sich dann, entsprechend der Wendung in der Oper, zum plotzlichen
Unwetter und Lawinensturz jah verdiistert. Einen ahnlichen direkten Zusammenhang mit den
Biihnenvorgangen hat auch die ,,Anacreon** -Ouvertiire (1803). In alien Opern sind machtige
Ensembles aufgetiirmt, besonders an den Aktschliissen. Als Mittel dramatischer Spannung
dienen gern kleine Zwischenspiele far Blaser allein, z. B.
1., 1 Klar.
1., 2. Fag.
Horn
Die Oper im 18. Jahrhundert
749
Die gewaltigste Schopfung Cherubinis ist seine von seltener diisterer Grofiartigkeit erfallte
,, Medea" (1797). Sie endet mit voller tragischer Wucht, wahrend sonst die Gepflogenheit
eines guten Ausgangs auch in der ,,Schreckensoper" gewahrt blieb. Die Ouvertiire ist, wie die
zu ,,Ali Baba" (1833), einsatzig, wahrend sonst eine langsame Einleitung beginnt. Vor dem
2. und 3. Akt stehen gleichfalls Instrumentalvorspiele. Cherubini macht auch vom Melodram
Gebrauch, reichlicher noch in seiner berlihmtesten Oper ,,Der Wassertrager" (,,Les deux
journees", 1800). Hier sind auch friihere erinnerungsmotivischeBildungen durch das wieder-
holte beziehungsvolle Hervorstellen der beiden Teile emer Rornanze iiberboten.
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Bon Fran-?ais, Dieu te re - com - pen - se !
Ja dir ver - gilt einst Gott es wie -der!
Das Mineur kehrt im 1 . Finale, das Majeur im 2. und 3. Finale wieder. Die Savoyarden waren
damals beliebte Biihnenfiguren (,,Elisa", d'Alayrac ,,Les deux petits Savoyardes", 1789). Fur
Wien schrieb Cherubini 1806 eine deutsche Dialogoper ,,Faniska", die sich stofflich mit der
Lodoiska beriihrt (wieder polnische Umgebung), zugleich auch mit Beethovens ,,Leonore"
(1805), deren Musik ihre Spuren nachgezogen hat, z.B. im Kanon des 1 . Aktes, in der Verwen-
dung des rettenden Hornrufs in der Ouvertiire (mit Trompeten besetzt). Auch Mehuls
,,Helena" (1803) kennt schon die in der Rettungsoper beliebten Hornrufe als Zeichen der
Befreiung in der Ouvertiire.
Die franzosische Opera comique und bouffon hat wieder bestimmend auf das deutsche
Singspiel eingewirkt, dessen Bliitezeit gegen Ende der 60er Jahre anhebt. Nationale An-
laufe treten schon friiher deutlich in der Schulkomodie heraus, die in Siiddeutschland
den Zusammenhang mit der Vergangenheit standig wahrte. In Sebastian Sailers ,,Schopfung"
(Schussenried 1 743) ist die geistliche Burleske aufierordentlich lebendig, in ihren 3 Akten sind
zahlreiche volksmafiige Lieder durch gesprochenen Versdialog verbunden, daneben werden
Rezitative eingestreut — sowohl die ,,bliizschwabische spreich", als auch die Musik stammen
von Sailer — , unter Johann Ernst Eberlins Salzburger Schuldramen, die bereits das Melo
dram kennen, finden sich deutsche Intermezzi und mundartliche Singkomodien (z. B. ,,Konig
Riepel", 1749, ,,Die geadelten Bauern", 1750), das zweiteilige ,,Zwischenspier vom kurierten
Saufer Trinkgern ist unter Sekkoverbindung durchkomponiert, aus der Schweiz wissen wir
von ahnlichen Klosterfarsen Leonti Meyers von Schauensee, der spater (1769) in der deutschen
,,0pera buffa" ,,Hans Hiittenstock" Glucks ,,Ach, ich habe sie verloren" mit einem ausgelas-
senen Text zitiert hat und so der bekannten Parodie Traettas (,,Cavaliere errante", 1777)zuvor-
kam. Von grofiter Wichtigkeit fur die Entwicklung des Singspiels war ferner die Wiener
Stegreifkomodie, die der Musik in der Art des Theatre de la foire seit den Tagen Hans-
Wursts besondere Vorrechte einraumte. In seinen Haupt- und Staatsaktionen verarbeitete
48*
750
Die Oper im 18. Jahrhundert
Stranitzky andererseits mit Vorliebe groBe Opern. Unter Kurtz-Bernardon vollzog sich dann
der Ubertritt der Musik vom Volkslied zu kunstmafiig ausgearbeiteten Formen, die auf Josef
Haydns Verbindung mit der Bernardoniade zuruckgehen. Vom ,,Neuen krummen Teufel"
(1751) fehlt zwar noch die Musik, dagegen haben sich zwei Bande ,,Comedie~Arien" der Jahre
J754 — 58 erhalten, die starke Vorliebe furs Ensemble zeigen und es in freien lockeren Gebilden
breit ausfiihren. In der Melodik sind sie, ahnlich wie Sailers oder Eberlins Lieder, deutlich
lokal gefarbt, z. B.
Der aufs neue begeisterte und belebte Bernardon, 1754
:" f
Bernardon als dummer Jackerl
das Couplet ist scharf umrissen, travestierende Absichten kichern lustig hervor, heftige Stim-
mungsumschlage werden komischen Zwecken dienstbar gemacht, wie in den finaleartigen
Handlungsensembles oder auch im Theaterlied. So ist eine ausgelassene Tanzszene mit wech-
selnden Nationaltanzen (,,schwabisch", ,,hannakisch", ,,slowakisch", ,,Walzer") durch folgende
sentimentale Partie eingerahmt:
Der aufs neue begeisterte und belebte Bernardon, Bernarddn als Bruder des Democritus
Adagio
0 du
Welt,
du nimmst ja nicht in acht,
je - der Au-gen - blick
Le - ben kiir - zer macht.
Haydn hat fur Esterhaza spater in Marionettenopern Pauersbachs wohl an diese Karikatur-
versuche angekniipft, in seinen Buffaopern sind Spuren davon erhalten, wie in der Partie Pas-
quales in ,, Orlando Paladino" (1782). Haydns italienische dramatische Versuche im heitern
Fach (1 767 — 82), auch seine beiden Opere serie (,,L'isola disabitata", 1 779, und ,,Armida", 1 784)
fanden iibrigens als deutsche Singspiele in Ubersetzung alsbald Verbreitung iiber die oster-
reichische Umgebung (PreBburg, Wien, Graz). Michael Haydn wieder pflegte in den 60 er
Jahren das Singspiel in Salzburg weiter,
Mit dem Abschied Haydns (1 759) und Bernardons (1 760) von Wien bricht die kunstmafiigere
Musikbehandlung der improvisierten Komodie ab, die regelmafiigen Stiicke Hafners kehren
in den Liedeinlagen zur Parodie einfacher Melodien zuriick, wie Proben aus ,,Scherz und
Ernst in Liedern" (1763, 1764) dartun. Von Hafners ,,Megara" (1762) zweigt die bald iippig
wuchernde Zauberposse ab. Fiir die musikalische Kunstform geht aber durch das Auftreten
Die Oper im 18. JahrKundert 75]
Hiller s das Ubergewicht zunachst auf Norddeutschland iiber, hier wachst das Singspiel aus
den wandernden Schauspieltruppen heraus, die unter der Konkurrenz der reisenden Opern-
gesellschaften Mingotti, Locatelli u. a. schwer zu leiden hatten. Von diesen iibernahmen sie
die Pflege italienischer Intermezzi und Nachbildungen solcher, denen die deutschen Prinzipale
seit 1 743 mit Gliick deutsche Bearbeitungen der englischen Ballad opera Coffeys ,,Devil to pay"
(1728) gegeniiberstellten. Die Ubersetzung von Christian Felix WeiBe, dem literarischen Be-
griinder des neueren Singspiels, wurde von der Truppe Kochs mit Musik des Korrepetitors
C. Standfufi 1752 in Berlin gegeben (,,Der Teufel ist los"), der zweite Teil (,,Der lustige
Schuster") folgte 1759 in Liibeck. Die Begabung Standfufiens liegt in seiner derben, hand-
festen Komik, die mit wenigen Strichen drastisch zeichnet.
Jobsen
Der Knie - riem blei - bet mei - ner Treu die al - ler - be - ste Ar - ze - nei bei
ei - nem hals - star - ri - gen
Nach dem Siebenjahrigen Krieg baute WeiBe, der 1759 und 60 in Paris gewesen war, mit
Koch die neue Gattung nach Muster Favarts eifrig aus, der inzwischen gestorbene Standfufi
wurde durch den grundlich geschulten Johann Adam Killer (1728 — 1 804) ersetzt. Zu-
nachst begann man wieder mit den ,,Verwandelten Weibern*' (,,Der Teufel ist los") in neuer
Bearbeitung(1766),wobei einige Gesange von StandfuB beibehalten blieben. Hiller brachte als
ungemein einschlagende Einlagen kleine, gemiitvolle, eingangige Lieder in der Art der Berliner
Liederschule, aufierdem eine deutliche Neigung zu Jtalienischen Einfliissen mit, die in der
,,romantischen Oper" ,,Lisuart und Dariolette" (von Schiebeler, 1766, iiber denselben Stoff
wie ,,La fee Urgele") noch greifbarer wurden. Die Da-capo-Arie, die zweiteilige Buffoarie, die
dreisatzige Sinfonia, langere Koloraturen, melodische Wendungen gehoren zum italienischen
Lehngut. Mit ,,Lottchen am Hofe" (1767, nach Favarts ..Ninette a la cour) und der ,,Liebe
auf dem Lande" (1768, nach Favarts ,,Annette et Lubin" und Anseaumes ,,La Clochette")
drang der Anschlufi ans franzosische Vorbild voll durch, wobei Hiller das Da capo aufgab und
Wortwiederholungen sowie Koloraturen einschrankte. Den Hohepunkt in seinem Singspiel-
schaffen, das bis 1782 weiterreicht, stellt ,,Die Jagd" vor (1770), nach Colle und nach Sedaines
,,Le roi et le fermier", hier erhebt er sich iiber seine sonstige, etwas philistrose Ausdrucksweise
und iiber die oft storende Einmischung italienischer Stilmittel zu grofierer Frische und Gleich-
mafiigkeit der Faktur. Das Hauptgewicht liegt wieder auf den volksmafiigen Liedern, die von
leichten Strophen- und Tanzliedern — der Konig singt eine Pollaka — einigemal zu weiteren,
ernsteren Kunstliedern iibergehn. Auch die Arien schliefien sich gliicklich an den deutschen
Liedton an, zwei- und dreiteilige Reprisenformen mit selbstandigen Mittelsatzen und sorg-
samen Variierungen der Reprise, auch zweisatzige Gebilde werden gebaut, besondere Feierlich-
keit liegt iiber den beiden Arien des Konigs, deren zweite im Mittelsatz der dreiteiligen Re-
prisenform (Sonatenform) nach Muster der Arie Masses eine Variation des Hauptsatzes aus-
breitet.
752
Die Oper im 18. Jahrhundert
Andante ma non troppo
Wel - che ko
nig
- li - che Lust,
1 — (— f — , — - r
>ei - nen Thron auf Lie - be grunden.
Mehrere lockere Ensembles beleben die Partitur, ein Duett ist mit der folgenden, vor offener
Szene gespielten Gewittermusik motivisch gebunden, der Chor hat kleine Aufgaben, das ab~
schliefiende Divertissement ist ein Vaudevillerondo.
Hillers Beispiel fand reiche Nachfolge, die Operettenfabrikation ging bald in die Breite.
In Weimar schrieben Wolf und Schweitzer — Goethe \vurde bekanntlich zu Singspieldich-
tungen angeregt — , in Dresden Stegmann, in Stuttgart Dieter und Zumsteeg, in Offenbach
Andre, in Bonn Hillers Schiiler Neefe. Neue Bahnen wies Georg Ben da (1722— 95) in Gotha,
der das Duodrama ,,Amdne" von Brandes 1775 in der Art des obligaten Rezitativs der Hasse-
schule und unter Benutzung der Errungenschaften der Ballettpantomime komponierte. Waren
schon friiher Versuche im Melodram vorangegangen — im deutschen Schuldrama war es zu
Haus, Rousseau schrieb 1762 seinen ,,Pygmalion", um die franzosische Sprache als Gesangs-
text zu vermeiden, die Musik setzte 1770 Coignet dazu, in Deutschland wurde Rousseaus
,,Pygmalion" 1772 in Weimar mit Musik Schweitzers und in Wien mit Musik Aspelmayers
gegeben — , so stellte Benda mit der ,,Ariadne" und im selben Jahr mit der ,,Medea" Cotters
stark nachwirkende Kunstwerke auf. Seine Technik ist steter Wechsel von kurzen gespro-
chenen und kiirzeren oder langeren Musikstellen wie im folgenden Beispiel:
Un poco grave e largo
Theseus
Ncx:h einmal will
ich sie sehen ; zum
letzten Male!
nicht, daB dies dein
Ietzter
Die Oper im 18. Jahrhundert
753
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*77 l ' ?*~* * «-»—«• -^* • -j ' " -1 4T1
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in meinen Armen —
RT-17— J-^ ^ B S-B J-^- j -j-^-
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""*"" driickst mich noch
p an deinen Busen —
— i =— i
^ 7-9 — i — j£ ^ J. r _ ' / • _| ... J •-
---^-^ :
Gutes, treues liebe-
volles Geschopf!
Langer ausgesponnen ist dieser musikalische Gedanke in der etwas zu vielsagend ^Ouvertiire"
genannten Orchestereinleitung, er kehrt spater in der Szene der verlassenen Ariadne wieder
bei der Erinnerung an die Flucht ,,in die Wiiste". Ahnlich durchziehen stets sich wiederholende
Wendungen das Werk. Einige Male erfolgt die Deklamation auch ,,unter der Musik". Die
Tonsprache hat Verwandtschaft mit Ziigen bei Hiller und Schweitzer, die auf die Romantik
weisen. Beteiligt sind Theseus, der durch ein dreimaliges Hornsignal hinter der Biihne ab~
berufen wird, Ariadne, die erst nach seinem Scheiden erwacht, und die Stimme der Oreade,
die ihr ihr Schicksal kiindet.
Fagott Solo
Adagio
Stimme der Oreade :
Ich hab* ihn im
Sturme dir ent-
fliehen sehen . . .
Ariadne :
Cotter!
l±r2~
\
Mozart in der ,,Zaide" (1779) und Neefe in ,,Adelheit von Veltheim" (1781) iibernahmen das
Melodram ins Singspiel, Benda verfolgte auch in der Operetta hohere Ziele, er zog das Ak-
kompagnato heran (,,Walder", 1774, ,,Romeo und Julie", 1776), behandelte die Formen grofi-
zugigerskettete ganze Szenen aneinander, griff Chorwiederholungen auf, weitete die Reprisen-
754 Die Oper im 18. Jahrhundert
formen und die Ensemblesatze. Die Ouvertiire zum ,,Holzhauer" (1778, nach ,,Le Bucheron")
besteht aus einem kurzen Allegro, das spater in der Operetta vor dem Erscheinen Merkurs
wiederkehrt, einem menuettartigen Allegro, das ein der Ouvertiire folgendes Lied der Wil~
helmine anstimmt, und der Reprise des ersten Allegro, hat also Ahnlichkeit mit dem Bau der
Ouvertiire zur ,,Entfiihrung" und entspricht sonstigen Versuchen in der Oper der Zeit, den
langsameren Satz zwischen die beiden Teile der Sonatenform zu stellen — das tut auch Ditters-
dorf im ,,Apotheker undDoktor", 1786, — und thematisch an den Anfang des 1 . Aktes anzu-
knapfen. Mit Benda arbeitete Gotter, der wie die meisten Singspieldichter am Vorbild Frank-
reichs festhielt, unter die Ubersetzer franzosischer komischer Opern gehoren auch Andre und
Neefe, wahrend Hiller zu der kleineren Gruppe mitzahlt, die italienische Buffaopern dem
Singspiel einzuverleiben suchte (Eschenburg, Meifiner, Bock).
Die Anlehnung an italienische Kunst ist im Wiener Singspiel besonders ausgepragt, das
mit der Begriindung des musikalischen, wieder an das sprechende gebundenen Nationaltheaters
durch Josef II. seit 1 778 aufbliihte, aber als solches zunachst durch kein ganzes Jahrzehnt bestand.
Die Stilmischung, das Bestreben, verschiedene Gattungen zu vereinigen, tritt gleich im Eroff-
nungsstiick (Umlaufs ,,Die Bergknappen") auffallend hervor, mit ziemlicher Unbekiimmertheit
sind Volks couplets, Kunstlieder, Koloraturarien, Buffogebilde am Dialog aufgefadelt, der Ton
wechselt naiv zwischen hoherer und niedrigerer Einstellung. Der hohe und selbstandige Stand
der Wiener Opera buffa mit ihrem starken heimischen Einschlag in Melodik und Instrumental-
satz reifit das Singspiel in der Folge immer mehr zu sich, wahrend die Opera comique das
Repertoire immerhin stark besetzt halt und von friiher her, wie wir horten, gut eingefuhrt war.
Insbesondere Glucks ,,Rencontre" ist gern (1 776, 1 780 usw. als ,,Pilgrimme von Mekka") deutsch
gespielt worden und hat auf Mozarts ,,Entfiihrung" (1782) eingewirkt. Der Knabe Mozart
brachte es aber schon 1768 mit ,,Bastien und Bastienne" zu einem stilistisch einheitlichen Ver-
such, der auch dem Hillerschen Typus sehr selbstandig und ausgeglichen gegeniibersteht —
der norddeutsche Geschmack wurde damals in Wien abgelehnt. Es haben sich iibrigens
Spuren einer spateren Behandlung des Dialogs als Sekkorezitativ erhalten, die aber nur iiber
die erste Szene reichen. In der Nationaloper sperrten leider die kleineren Talente einem
Mozart den Weg. Umlauf brachte in der ,,Schonen Schusterin", 1779, oder im ,,Irrlicht",
1782, grofiere Ansatze zur komischen Oper; er war unbestritten ein melodisches Talent
und in alien Stilarten erfahren. GaBmanns Wiener italienische Buffaopern wie ,,Die
Liebe unter den Handwerksleuten" (1779) entsprachen in deutscher Einrichtung ganz
dem angestrebten Nationalsingspiel, das denn auch von dem anpassungsfahigen Salieri mit
dem ,,Rauchfangkehrer", 1781, in vorwiegend italienischem Sinn gehandhabt und mit Wiener
Liedchen verbramt wurde.
In dieser Richtung schlieBt dasWirken des KarlDitters vonDittersdorf (1739— 99) an,
der das Singspiel zur komischen Oper weiterfiihrte. In GroBwardein und Johannisberg an der
Opera buffa geschult, legt er in seinen Meisterwerken f iir Wien (,,Apotheker und Doktor * , 1 786,
,,Hieronymus Knicker*, 1787) und fur Ols im Sinne der Wiener Opera buffa grofies Gewicht
auf die Ausgestaltung beweglicher Ensemble- und Finalesatze, die er, ebenso wie die Buffoarie,
mit drastischem Humor und glanzendem Charakterisierungsvermogen anlegt; der Sologesang
beginnt zuriickzutreten, von schlichten, volkstiimlichen Liedern angefangen vervyendet er Ge-
sange in reicher Stufenleiter, iiber kleine Rondos, leichte Rondoformen, grofiere Reprisenarien
Die Oper im 18. jahrhundert 755
bis zu grofien Koloraturstiicken, oft mit konzertierender Begleitung. Sehr gern werden tra-
vestierende Absichten gepflegt, die in Wien besonders gefielen — GaBmann hatte sich in
Calsabigis ,,L* opera seria", 1769, diesbeziiglich Ansehnliches geleistet — , auch fiir musikalische
Witze war man sehr empfanglich. Die Ouvertiire ist, wie bei Umlauf, vorwiegend einsatzig,
sie laBt, wie iiblich, gelegentlich Teile der Oper voraushoren, in der ,,Liebe im Narren-
hause", 1787, ist der Satz em Rondo, das zur Sonatenform in nahen Beziehungen steht.
Die Parti serie der Buffaoper wirken noch nach, urwiichsiger Humor und drastische
Wirkungen stehen aber im Vordergrand, wobei die Grenzen des feineren Taktes gelegent
lich iiberschritten werden. Handfeste Zugriffe kennzeichnen den Stil, wie z. B. das Ab-
reiBen des melodischen Fadens oder unvermittelteModuIationswirkungen. Der Wiener Volks-
geschmack forderte phantastische Zutaten, die bei Ulbrich, Ruprecht, Umlauf schon zu
absonderlichenAuswiichsengefuhrt batten, in der ZauberpossebeiWranitzky,WenzelMiiller,
Ferdinand Kauer dann iippig in die Saatschossen. DieStandeposseunddasbiirgerlicheFamilien-
stiick wurde daneben von Johann Schenk (,,Der Dorfbarbier", 1796) und Josef Weigl
(,,Die Schweizerfamilie", 1809) humor- und poesieyoll weitergepflegt. Die ungeheure Masse
der Volksstiicke und ,,0peretten", die Wien um die Wende der Jahrhunderte zu einer
Theaterstadt von seltener Begeisterung und Fiille stempeln, ist getragen und vergoldet von
inniger Liebe zur Musik.
Von den Wiener Vorstadttheatern aus erhob sich die deutsche Oper mit der ,,Zauberflote" und
dem ,,Fidelio4t zu Werken hochster kiinstlerischer Vollendung, die in der Operngeschichte eine
stolze Sonderstellung in der Auffassung und Durchbildung des Biihnenstils einnehmen. Wolf-
gangAmadeus Mozarts dramatisches Schaffen ist iiberhaupt von der Wiener Musik- und
Theaterkultur getragen, wenn es auch seit den Wanderjahren vom musikalischen Weltbiirger-
turn ausgeht, dem der deutsche Opernkomponist der Zeit preisgegeben war. Die geschichtliche
Bedeutung der Meisterwerke liegt aber in der vollen Entfaltung heimischer Triebkrafte, einer
psychologischen Durchdringimg des Opernstils in der Art Glucks, nur von dem grundver-
schiedenen Standpunkt einer aus dem vollen quellenden Musikernatur mit unerschopflicher
musikalischer Phantasie aus, die auch alle Errungenschaften des Wiener Instrumentalstils frei
zu Gebote hatte und der Wiener Volkskunst mit dem Herzen nahe stand. Von der durchwegs
ernsten Opsr durch Glucks Vortritt und durch aufiere Umstande zuriickgedrangt, entlud sich
Mozarts ungeheure dramatische Begabung in der komischen und gemischten Oper (semiseria),
sowie im Singspiel, und zwar nicht in auffallenden aufieren Neuerungen der Technik, sondern
in einer unerhorten Verfeinerung undBeseelung der Charakterschilderung, sowohl an Hand
der im Gesamtwerk immer mehr zuriicktretenden Arie als auch insbesondere in der auf voile
Hohe geriickten Kunst der Ensemblefiihrung. Mozarts Stil ist bestimmt durch den voll-
stromenden Reichtum und die Kraft seiner Melodik, die nach alter Wiener Art in kunstvollen,
aber unendlich leicht fliefienden Satz gefafit ist. Wahrend die reife Dramatik der meisten
fiihrenden Meister der Oper typische Alterskunst ist (Monteverdi, Rameau, Gluck, Wagner u.
v. a.), gliiht hier verschwenderischer UberfluB der Jugend. Die neuere Forschung hat viele von
Mozarts melodischen Wendungen in ahnlichen oder gleichen Umrissen bei Vorgangern belegt.
J. Chr. Bach, Majo, Piccinni, Paesiello, Anfossi, GaBmann, Gretry liefern zahlreiche Parallelen
melodischer Art, doch ist das Ergebnis dieser Feststellungen nur ein besseres, natiirlicheres Ver-
standnis vonEinzelziigen , das zugleich denBlick far die iiberragendeGesamterscheinung frei macht.
756
Die Oper im 1 8. Jahrhundert
Das Aufsaugen von wesensverwandten Stileigentumlichkeiten und bedeutenden Eindriicken
kennzeichnet besonders die Jugendwerke, die gleicHwohl an frappanten Proben selbstandiger
Ausdrucksweise reich sind. So gleich die Versuche im Salzburger Schuldrama (erster Teil
der ,,Schuldigkeit des ersten Gebots", 1766, und ,, Apollo etHyacinthus", Nebenhandlung der
»,Clementia Croesi", 1767), die dem eigenartigen Vorbild Eberlins eng folgen, und die starken
Talentproben in Opera seria (,,Mitridate, Re di Ponto", Mailand 1770 und ,,Lucio Silla",
Mailand 1772), Gelegenheitsfestspiel (,,Ascanio in Alba", Serenata, Mailand 1771, ,,11 sogno
di Scipione",azione teatrale, Salzburg 1772, ,,11 Re pastore", Salzburg 1775) und Opera buffa
(,,La finta semplice", Wien 1768 — unaufgefiihrt — , ,,La finta giardiniera", Miinchen 1775).
Die ,,Schuldigkeit" kopiert in iiberstiegener Gefiihlssprache, in Form und Instrumentierung
(geteilte Violen, Posaunenarien) die Gepflogenheiten Eberlins getreulich, gelegentlich greift
die Hand des Vaters in die Partitur ein, doch gibt die Schilderung des jiingsten Gerichts, das
u. a. im obligaten Rezitativ auf den Mittelteil einer fruheren Arie greift, Ziige von ganz erstaun-
licher dramatischer Friihreife.
Allegro Sir. con Sordino
uO .... , • • "•"' :.
Christgeist
—
•^
p^
T- i* -i *~~E — K hl'tt> — ^~^~ ^
\ 1
J
j Ife 7- -ft g g ft rf ^ _
4
Es klin-gen a - her noch
in mei-nem Sinn die Wort : Er - wa- che fau - ler Knecht,
-!*" ' - ^"* "
gv. P'*~ T^"~
-i — | . 1
0
u
IMcd '
Seceo
du wirst von dei - nem
Trombone
P
Le - ben__
pp pizz.
(Die Posaune fehlt in der fruheren Arie)
r f r r
Die Oper im 18. JaKrhundert 757
,,Lucio Silla" 1st durch die gesteigerte Akkompagnatotechnik im Sinne Bachs und Sartis, durch
die Chorverwendung, die den franzosischen Neigungen der Opera seria folgt, und dariiber
hinaus in der ohne Sekko durchkomponierten Graberszene durch den AnschluO an Gluck
ausgezeichnet, wobei starke Tone tragischer Leidenschaft und damonischer Gewalten an-
klingen. Auch die Festspiele ziehen den Chor heran, besonders der ,,Ascanio", wo einzelne
Chorsatze im Verlauf der Handlung mehrmals wiederholt werden. Ein Hirtenchor kehrt fiinf-
mal im 1 . und einmal im 2. Akt wieder, ein anderer Chor im 2. Akt dreimal, der Chorsatz,
der die dreisatzige Sinfonia mit Tanz abschliefit — auch das Andante wird getanzt — noch
zweimal, darunter am Schlufi des Aktes. Die Ouvertiire der einaktigen Kantate ,,Sogno di
Scipione" geht in der Reprise des Allegrosatzes in die Schlummermusik iiber — worauf die
Arien der Titelfigur im Traum gesungen werden — , die zur Pastorale Metastasios ,,Il.Re
pastore" ist, ahnlich wie im Schuldrama, einsatzig und geht in die Szene iiber. Die ,,Finta
semplice", eine bloB auf Karikatur und Situationskomik angelegte Opera buff a Goldonis und
Coltellinis, knlipft musikalisch in Ziigen feinerer Komik, in der Ausgestaltung des Instrumen-
talparts, dem EinflieBen der Wiener Liedmelodik und in der durch BaBgange belebten Sekko-
behandlung an Gafimann an. Im obligaten Rezitativ kommt es zu langeren pantomimischen
Stellen, das Ensemble tritt auch zuriick, nur die durch thematische Briicken verbundenen ge-
teilten Finaleteile sind reicher bedacht. Ein Einzelfall bei Mozart ist eine Arienentlehnung aus
der ,,Schuldigkeit". Viel ausgepragtere Ansatze zur Vertiefung der Charakterzeichnung hat
die ,,FJnta giardiniera", in der Calsabigi und Coltellini dem Riihrstiick folgen. Anfossis Ver-
tonung von 1 773 hat sichtlich auf Mozart eingewirkt, direkte Anklange sind feststellbar, auch
die Art der Verbindung von Sinfonia und deren dritten Satz vertretender Introduzione ist
Anfossis Partitur entnommen. Ein starker Aufwand hochpathetischer Ausbriiche fur die Rolle
der Sandrina bringt ungewohnliche stilistische Ungleichheiten in das Werk. (Die Rezitative
zum 1. Akt sind nicht mehr vorhanden.) 1779 oder 1780 hat Mozart eine Umarbeitung der
Oper zum deutschen Singspiel unternommen, der eine weitere Umarbeitung fur Frankfurt 1789
folgte. Diese Beschaftigung mit der Partitur zu verschiedener Zeit hat ihren Niederschlag in
den Stilunterschieden darin gefunden. Die ersten beiden Akte haben grofie Finalestrecken,
wahrend im dritten noch nach alterer Art ein ausfuhrliches Duett steht.
In all diesen Werken steht die Arie ganz im Vordergrund, ihr Formengehalt wechselt: das
Schuldrama fiihrt als Regel die groBe Da-capo-Arie mit zweiteiligem Hauptsatz und vollem
Da capo durch, auch in Duo und Terzett, wahrend die zweiteilige Kavatine, sowohl in zweimal-
zweisatziger Gestalt, wie als zweiteilige Reprisenform, seltener danebentritt. Die Opera seria
und die Serenade niitzen alsHauptform die Dai-segno- Arie, die in der Wiederholung auf den
zweiten Teil des Hauptsatzes springt; dabei ist die Wiederholung stets ausgeschrieben, was
im groBen Da capo nur einmal vorkommt. Diese Dal-segno-Arie, die auch zwei Gesange der
,,Finta semplice" ergreift, regiert im ,,Mitridate", im Oratorium ,,Betulia liberata" (1771), im
,,Sogno" und ,,Lucio Silla", wobei die beiden letztenOpern neben das Dal segno lieber das
verkiirzte (mit dem ersten Teil des Hauptsatzes beginnende und dann in den zweiten Teil
iibersetzende) Da capo stellen. Der ,,Ascanio" begniigt sich mit zwei Dai-segno- Arien, wahrend
er der dreiteiligen Reprisenform (Reprise mit tonaler Beantwortung der zweiten Halfte) den
Vorzug gibt, die auch im ,,Mitridate" haufig ist, in ,,Lucio Silla" nur zweimal erscheint, im
f,R£ pastore" dominiert und in der ,,Finta giardiniera'* zahlreiche Arien (auch den ersten Satz
758 Die Oper im 18. JahrKundert
zweisatziger) stiitzt. Seltener sind zweiteilige Arien, Reprisenformen, auch zweimal zwei-
satzige, deren Hauptgebiet in den beiden Buffaopern liegt. Die ,,Finta semplice*' liebt
die Teilung in zweimal zwei Satze, einmal sind es auch zweimal drei Satze, die ,,Finta
giardiniera** hat diese Arienart aufgegeben zugunsten freier Zweisatzigkeit, wobei zumeist
in einen kurzen schnelleren zweiten Satz hineingesteigert wird. Der erste Satz verwendet
zweimal ein Rondo, das auch im ,,Re pastore*' durch zwei Falle belegt ist. Freiere Falle
weisen die ,,Finta semplice**, der ,,Ascanio**, ,,Lucio Silla** und die ,,Finta giardiniera**
vereinzelt auf.
Von den sieben Hauptopern Mozarts gehoren zur ,,0pera seria*' der ,,Idomeneo, Re di Greta**
(Miinchen 1781) und ,,LaClemenza di Tito** (Prag 1791). Der ,,Idomeneo'*, vom Salzburger
Hofkaplan Varesco nach der Oper Campras im Fahrwasser Metastasios gedichtet, ist Mozarts
bedeutendster und innerlich gesammeltester Versuch in dieser damals schon absterbenden
Gattung, zugleich iiberhaupt ein Marks tein in seiner Entwicklung. Hochst bemerkenswert
sind die selbstandigen Bemiihungen um die textliche Vorlage, die im Briefwechsel mit dem
Vater breiten Raum einnehmen und auf das dramatische Gewissen des Meisters helle Lichter
werfen. Der musikalische Stil hat Metastasios Idealschema schon durch die reiche Akkom-
pagnatotechnik im Anschlufi an Sarti gesprengt, die aber mit leuchtenderen Farben umgeht
und iiberdies ist abschnittweise an dramatischen Hohepunkten die Behandlung ganz nach Ra-
meau und Gluck ausgerichtet, wozu noch als eigenes Stilmittel das Mozartsche Stimmungs-
ensemble hinzutritt, das, den Flufi der Handlung stauend, eine kritische Wendung seelisch
voll ausschopft (Quartett des 3. Aktes). Eine ahnliche poetische und psychologische Einstellung
leuchtet auch aus vielen Einzelziigen, leise zitternden thematischen Mahnungen, die von der
Ouvertiire aus durch das ganze Werk laufen, deutlichen motivischen Bindungen von einer Per
son zur andern, wie Idomeneos Rezitativbeginn ,,im Zeitmafi der Arie" Ilias im 2. Akt,
und in der Charakterzeichnung iiberhaupt, die insbesondere bei der mit besonderer Liebe be-
dachten Gestalt der Ilia eine zwingende Einheitlichkeit und Ausdruckskraft erzielt. Dazu steht
im scharfen Gegensatz der wilde Atem heifier Leidens chart in der Kontrastfigur Electra. Die
Charaktere sind aus brausender musikalischer Fiille heraus gestaltet, auch Idamante, der zwar
noch Sopranpartie ist, aber stark romantische Tone anschlagt :
Streicher in SecHzehntefn
•&-
r r
tuoi lu - mill leggo e vero, il leggo e ve - ro
den Au - gen kann ich's le - sen, kann ich*s le - sen
Idomeneo ist als Seriafigur etwas zu weichlich gehalten, auch in den Nebenfiguren ver-
schafft sich das System der Sekundarier abschwachend Geltung. Die Form der Arien wechselt
hauptsachlich zwischen zwei- und dreiteiligen Reprisenstiicken. Mit der Arienoper sind die
grofien freien Chorszenen verquickt, die sich an Glucksche Typen anlehnen (Schiffbruch,
Opferszene mit Orakel, Auseinanderstieben des Chors). Hier wird tiefer musikalischer Ernst
wach, so im geteilten Chor des Seesturms :
Die Oper im 18. Jahrhunciert
759
Coro Coro Lontano
Dieser Ernst zeichnet auch schon die (einsatzige) Ouvertiire in hohem Mafie aus. Das Orakel, ein
Erbgut Rameaus und Glucks, hat Mozart in drei Fassungen iiberliefert; er gedachte iiberhaupt
die Oper fiir Wien 1781 umzuarbeiten mit Idomeneo als Bafipartie, Idamante als Tenorrolle,
dock scheiterte das Projekt. Bei einer Liebhaberauffiihrung in Wien 1786 kam es dann zu
einigen Anderungen, Idamante wurde von einem Tenor gesungen, Arbace gestrichen, im 3. Akt
ein neues Duett eingefiigt. Von besonderer Bedeutung ist in dieser Oper die bliihende In-
strumentalbehandlung mit der starken Vorliebe fiir poetische Blaserwirkungen, insbesondere
der Klarinette. Auch die Ballettmusik schrieb Mozart selbst, der 1 . Akt schlieBt nach fran-
zosischem Muster mit einer Chorciaconna (Rondo).
War der ,,Idomeneo" mit voller Begeisterung geschaffen, so ist der ,,Titus" das in 18 Tagen
hingeworfene Gelegenheitswerk eines kranken Mannes und voll von Zugestandnissen an die
Konvention. Der Text Metastasios war vomDresdner Dichter Mazzola eingerichtet, aus drei
Akten in zwei zusammengezogen und mit zahlreichen Ensemblestiicken ausgestattetworden; die
Besetzung dieser Kronungsoper (Prag 1791) weist wieder zwei mannliche Sopranpartien auf,
Sextus wurde von einer Frauenstimme gesungen, der dramatische Hohepunkt ist der Ausgang
des 1 . Aktes, wo Terzett, Soloszene des Titus und Finale (Kapitolbrand) ineinander iibergehen.
Hier gestaltet Mozart mit grofier Energie und ballt Solisten und Chor machtig zusammen. Die
Arienformen bevorzugen das kleine Da capo, mischen aber abwechslungsreich zwei- und drei-
teilige Reprisenstiicke und Zweisatzigkeit ein, wobei auch das grofie Rondo vertreten ist. Die
Sekkopartien, die in verschiedenen Entwiirfen erhalten sind, soil Siifimayer geschrieben haben.
In der komischen Oper erhob sich Mozart dagegen zu restloser Vollkommenheit. Der echten
,,Opera buffa" iiberlaCt er sich in ,,Cosi f an tutte" (Wien 1790) unbedenklich mit genialer
musikalischerVirtuositat. FriihereVersuche (,,L* oca del Cairo*4, ,,Lo sposoburlato'*, 1783 — 84)
waren unvollendet geblieben. Der ganz auf Karikatur und marionettenhafte Konturen
angelegte Schwank Da Pontes ist mit dem Zauberstab beriickenden Wohllauts zu einem
musikalischen Kabinettstiick voll prickelnden Humors und tiefer Gefiihlsschwarmerei ver-
wandelt. Das Ensemble hat voiles Obergewicht iiber die Arie erlangt und zeugt von der
reifen Kunst des Meisters. Selbst das Sekko ist mehrstimmig durchsetzt. Die Arien neigen
zur Zweisatzigkeit, mit gesteigertem zweiten Satz, die pathetischen halten sich an die zwei-
teilige Reprisenform, auch mit Strettaanhang, einmal sind zwei kleine Da-capo-Satze zu-
760
Die Oper im 18. Jahrhundert
sammengespannt, wahrend das kleine Da capo selbst nur zweimal, darunter im Terzett vor-
kommt :
Allegro
^ sT^ J>
scherzando
£ la fede delle fe - mi-ne come
Gleich dem Phonix aus A - ra - bien, achte
(Der Text ist ein Zitat aus Metastasio.)
1'ara - ba fe
ich der Frauen
nice
Treue.
Neben einem groBeren Rondo stehen in zwei leichten Arien rondohafte (gleich beglnnende)
Variationsstrophen. Die starre Wiederkehr weniger pragnanter Wendungen gibt dem So-
natensatz der Ouvertiire seine steifbeinige Bewegung, wobei die Seitengruppe nach alterer
Art das Hauptthema aufgreift und die Durchfiihrung die Hauptgedanken satirisch von einer
Tonart zur andern jagt. Die innige langsame Einleitung gipfelt im Zitat der musikalischen
Fassung des Titels der Oper, wie sie gegen Ende des Werkes vom Drahtzieher der Handlung
auch gesungen wird.
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Co - si
so sind
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sie al - le.
DaC Mozart diese derbe Burleske mit solcher Liebe und Feinheit gehegt hat, bis schliefilich
Scherz und Ernst ineinander verfliefien, ist fur diesen liebenswiirdigen Schelmengeist unge-
mein charakteristisch.
Ihr gingen zeitlich die beiden groBen Charakterkomodien voraus, die das Leben unmittelbar
und hochpersonlich im Kunstwerk spiegeln und im Stil ein Ineinanderaufgehen heiteren und
ernsten Wesens erreichen, wie es noch nie versucht worden war. ,,Le nozze di Figaro",
,,Comedia per musica" (Wien 1 786) war schon durch die von Mozart ausgehende Textwahl
ein Wagnis, denn Beaumarchais' Lustspiel (1784) wurde — mit Ausmerzung der politischen
Satire und unter Kiirzungen — von Lorenzo da Ponte in einem vieraktigen ,,Auszug" (,,es~
tratto") auf das Musiktheater verpflanzt, wobei der Zusammenhang mit Beaumarchais' ,,Bar-
bier von Sevilla * (1775) durch Paesiellos Oper damals lebendig war. Die Kunst lebenswahrer
Gestaltenschilderung durch die Musik, die alle leisesten seelischen Regungen schwingen macht,
erfullt nicht nur die im Gesamtwerk stark eingeschrankten Arien, sondern vor allem die reichen
Ensemblestiicke, die bei aller Vorliebe fur symmetrischen, klaren Aufbau in voller Freiheit der
aufieren und inneren Situation jedes einzelnen gerecht werden. Die leichte Konversation und
das Ausschopf en von Situationskomik wird durch musikalische Mittel, Variat Jonskunst, Themen-
wiederholung mit umdeutendem Text, phantasievollste Orchestersprache erzielt, die lyrischen
Ruhepunkte grofier Stimmvereinigungen gruppieren die Charaktere plastisch. Die Beweglichkeit
der Musik ist enorm. In voller Spannung wird besonders das erste Finale ausgearbeitet, das
bis heute den Hohepunkt seiner Gattung bedeutet. Die Figur der Grafin streift eng an das
Die Oper im 18. JahrHundert 761
Gebiet des Tragischen, die des Grafen an das des Tragikomischen, der Grundton des ganzen
,,tollen Tags" ist aber buffohaft, mit steter Dampfung durch Gefahlsschatten. Der Formenztig
hat eine ausnehmende Mannigfaltigkeit, bei strengster Zusammenfassung im einzelnen. In
Stimmungsbildern und Charakterarien erscheint neben dem volkstiimlichen Lied (Barbchen)
gern das kleine Da capo (Cherubins Kanzonetten), in der zweiten Arie der Graf in ist es durch
einen zweiten schnelleren Satz erweitert, Figaros erste Kavatine bringt es in einer Mischform,
in der ersten Kavatine der Grafin und in Susannas Gartenarie sind frei durchlaufende Satze
gewahlt, die grofie Temperamentsaufierung des Grafen bindet zwei Satze, der zweite ist mit
freier Wiederholung gebaut. Der Buffaregion fallen freie Fortfiihrungen der Reprisenform zu,
die sich durch Refrainwiederholungen, auch mit wechselnder Tonart auszeichnen (Bartolos
Rachegesang, Susannas Ankleidearie). Die beiden Terzette haben Reprisenanlage, wahrend
die Duette gern Variationsstrophen oder rondohafte Refrainbindungen bringen. Der 1 . Akt
schliefit mit einer Rondoarie (Figaro), wahrend Figaros letzte Arie in zwei Teilen und Wieder
holung des zweiten Teils fliefit. In der Ouvertiire wird die einsatzige Form auch fur die Opera
buff a gewonnen, doch plante Mozart urspriinglich einen langsamen Mittelsatz nach der Ex
position. 1789 wurden zwei Arien far Susanna und die Grafin nachkomponiert. Es ist fur
weitere Kreise immer noch nicht selbstverstandlich, dafi Mozarts italienische Opern mit Sekko-
rezitativen komponiert sind.
Viel entschiedener geht das ,,Dramma giocoso per musica" ,,Don Giovanni*' (Prag 1 787)
an die Losung der Aufgabe, eine hohere Verquickung von Freude und Ernst in Shakespeari-
scher Art zu finden. Hier tritt die mystische Wucht damonischer Tragik unter die bunte
Wirklichkeit menschlicher Dinge, die in voller Sinnlichkeit aufgerollt ist. Der Meister scharfer
Gegensatze mifit nun Diesseits und Jenseits des menschlichen Lebens aneinander und packt
sein Problem sogleich in der Ouvertiire. Die textliche Grundlage wird von Da Ponte in der
Zurichtung eines Einakters von Bertati gereicht, an der Mozart, wie stets bei seinen Texten,
mitgewirkt haben wird. Die Hauptsache bei der Erweiterung auf zwei Akte war die Vertiefung
der Partie Donna Annas und die ausfahrlichere Beteiligung der Donna Elvira auf Kosten eines
weiteren Opfers des Titelhelden, das gestrichen wurde. Die Hauptfigur ist alles beherrschend
in das Stuck gestellt, was durch die musikalische Ausarbeitung die machtigsten Wirkungen er-
zwingt. Es ist wieder bei Verbindung verschiedener, auseinanderliegender stilistischer An-
regungen die voile Einheitlichkeit des Gusses erreicht, Einfliisse von Opera buffa und seria, von
Gluck, Handel, Gretry , Gazzaniga verlieren sich in der Kraft des personlichen Gestaltens . Die Be-
handlung des Stiickes als eines musikalischen Ganzen ist fiir den reifen Mozart seit ,,Idomeneo"
Selbstverstandlichkeit, abermals tritt Ensemble und Arie gleichwertig nebeneinander, das Or-
chesterrezitativ, das Mozart uberhaupt sparsam pflegt, gewinnt erhohte Bedeutung: die Formen
neigen zu einer sichtlichen Bevorzugung des Da capos, das ofters sehr frei gehandhabt ist, Mit
stark erweiternden Anhangen scheint es zunachst dem Paar Donna Anna, Don Ottavio vor-
behalten (zweites Allegro im Racheduett, Rachearie Annas, beide Arien Ottavios, auch die 1 788
fiir Wien komponierte, mit schnellerem zweiten Satz verbunden im ,,Rondo" Annas des 2. Aktes),
aber auch in der Buffosphare der Oper ist es verwurzelt (Zerlinens beide Arien, die erste mit
zweitem [i~] Satz, die zweite mit manchen Freiheiten, Masettos Arie in erweiterter Liedform,
Don Juans Buffoarie als Leporello, der erste Satz des Verfuhrungsduettinos in Liedform).
Da-capo-Fiihrungen sind ferner im Ensemble zu finden, das Standchenterzett mit Elvira ist ein
762
Die Oper im 18. JahrKundert
Da capo, wobei der Hauptteil sogleich auf der Dominanttonart wiederholt ist, das Sextett ist
im Allegro molto aufs Da capo angelegt. Sonst lehnt sich das Ensemble lieber an Reprisen-
formen an. Zweisatzige Gebilde wurden erwahnt, einen selteneren Fall bietet die Regis ter-
arie, die vom Allegro ins Andante iibergeht. Rondoartig, mit Da-capo-Stellen gemischt, ist die
sehr freiziigig gebaute Champagnerarie, ein grofies Rondo die 1 788 tor Wien nachkomponierte
Elviraarie. Sehr merkwiirdig lafit sich Elvirens Warnung an Zerline archaisierend mit Basso
ostinato-Spuren in Variationsstrophen an. Auch das folgende Quartett ist durch das stete
Festhalten an einer Refrainfigur scharf gekennzeichnet.
h
te
und
vuol tra - dir an - cor
er ver - fiihrt auch dich
Sie ertont anfangs zehnmal, am SchluB siebenmal hintereinander.
Im ersten Finale bringt Mozart drei Orchester auf die Biihne, die gleichzeitig spielen,
3. Orchester (Walzer)
2. Orchester (Kontertanz)
D
Orchester (Menuett)
H=fi
Bf-g— li
r r r
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im zweiten Finale zitiert er bei der Tafelmusik zwei Modeopern (Martins ,,Una cosa rara"
und Sartis ,,Fra due litiganti"). sowie Figaros Hochzeit. Das Maskenterzett im ersten Finale
und das Andante beim Tod des Komturs am Schlufi der gewaltigen ,,Introduzione** — sie
geht von Gazzanigas Vorbild aus — seien als Beispiele von Mozartschen Stimmungsensembles
genannt. Im letztgenannten Terzett greift Don Giovanni eine friihere Gesangswendung der
Donna Anna auf, eine unter andern dramatischen Bindungen der Oper durch Themenbeziebung.
Fur den steinernen Ritter liefert Gluck — schon in seinem Ballett — die Grundlage der Stilmittel ,
den Ausdruck des Unheimlichen, Damonischen steigert Mozart aus Eigenem gewaltig, hierher
gehort auch der plotzliche, unvermittelte Umschlag des Schlusses — schon im rapiden Wechsel
des Tongeschlechts — in den Alltag, der das Spukhafte der Geisterszene verstarkt.
Ein Lieblingsgedanke Mozarts war der Ausbau des deutschen Singspiels. Bereits 1779 hatte
er in Salzburg diesbeziiglich auf eigene Faust einen Versuch mit der ,,Zaide" unternommen,
der aber unvollendet blieb; an der Aufnahme des Melodrams ist die Nachwirkung Bendas
kenntlich, einzelne Stiicke bekunden in der Femfiihligkeit des Ausdrucks einen durctaus
deutschen Stil, z. B.
Die Oper im 18. Jahrhundert
763
Tempo in minuetto grazioso (Schlufi)
Zaide
TiTTr
Str. con sord.
Ru - he sanft, mein hoi - des Le - ben, schla
da, mein Bild will ich dir ge - ben, schau,
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bis dein Gliick er - wacht
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Durch den Stof f ist dieses Fragment andie,,EntfiihrungausdemSerair gebunden, die
im Rahmen des Wiener Nationalsingspiels 1782 folgte. Bretzners Singspieltext wurde von Ste
phanie dem Jiingern fiir Wien zugeschnitten, wobei sich Mozart vergeblich bemiihte, die drei
Akte in zwei zusammenzufassen ; dagegen setzte er das Quartett am zweiten Aktschlufi durch,
das wie das Quartett der ,,Zaide" Stimmungsausldang ist. In der Art des Wiener Singspiels
sind die musikalischen Mittel iiberhaupt sehr reich, die stilistischen Bestandteile dem ganzen
weiten Umkreis des Wiener Musiktheaters entnommen, dabei ist ihre Vereinigung nicht immer
durchaus ausgeglichen. Die beiden Bravourarien Konstanzes, Jnsbesondere die mit dem Quar-
tettconcertino, fallen aus dem Rahmen der iibrigen herzenswarmen Gefiihlssprache heraus, die
vor allem Belmontes Gesange adeln. Mit schlagender Urspriinglichkeit ist die komische Pracht-
figur Osmins aufgerichtet, dessen iibermiitige Charakterzeichnung reichlich das Riistzeug der
Opera buffa und comique verwertet. Die geplante musikalische Ausftihrung der Partie Bassa
49 H. d. M.
764 £^e Oper im 18. Jahrhundert
Selims ist unterblieben, sodaB dieser nur Sprechrolle ist. Die Ouvertiire fiihrt poetisch in die
Marchenwelt der Oper ein und hat nach Glucks Muster durch ,,turldsche Musik" eine ent-
sprechende Lokalfarbung erhalten, ein freier dichterischer Zug ist das Anklingen der Eingangsarie
Belmontes an Stelle der Durchfiihrung in der Sonatenform, aber nach Moll gewendet. Am Werk-
schluB steht in der Art des Wiener Singspiels ein „ Vaudeville* '-Rundgesang. Die ernsten Arien
haben zumeist Reprisenform (Sonatenform), wobei Konstanzes Konzertane den Anfang der
Reprise durch einen spater wiederholten neuen Abschnitt in gesteigertem Tempo ersetzt.
Eine andere hat langsame Einleitung. Belmonte singt anfangs zwei kunstvolle Liedformen,
im 2. Akt eine zweisatzige Arie, deren Anfangsadagio als Rondo angelegt war, aber von Mo
zart selbst gekiirzt wurde. Dasselbe geschah mit Blondchens Lied zu Anfang des 2. Aktes,
wahrend ihr spater noch ein Rondo zugeteilt ist. Die letzte Arie ist gleichfalls ein Rondo,
wahrend die Buffostiicke Osmins und Pedrillos sonst zweiteilige Reprisenform beanspruchen.
Doch hat Osmins F-Dur-Arie einen schnelleren Anhangssatz — mit tiirkischer Musik — in
a-Moll. Strophenlieder sind Osmins Siziliano mit den prachtigen Variationen und Pedrillos
Romanze. — Fur das Nationalsingspiel schrieb Mozart noch 1785 den ,,Schauspieldirektor" ,
eine der vielen Farsen aus dem — itahemsch orientierten — Theaterleben.
Die ,,Z a u b e r f 1 6 1 e" (Wien 1 791 ) war von dem seit 1 789 in Wien wirkenden Theaterdirektor
Schikaneder urspriinglich als bloBe Zauberoper in einer Reihe ahnlicner Stiicke geplant, wie sie an
seinem Theater im Freihaus und auf Marinellis Leopoldstadter Biihne groBe Anziehungskraft aus-
iibten und die Maschinenkomodien der Stegreifzeit f ortsetzten . Mozart sollte Wenzel Miiller aus-
stechen. Schikaneders Textbuch fufite auf einem Marchen Wielands und auf gleichartigen Wiener
Stiicken, besonders Giesekes Bearbeitung von Wielands ,,0beron" (mit Wranitzkys Musik
1790 gegeben). Text und Musik waren bis an das erste Finale fertig gediehen, als der Ge-
samtplan der ,,Zauberflote" von Grund auf geandert wurde und — wohl auf Mozarts Ver-
anlassung — durch Unterordnung unter die sittlichen Ideale freimaurerischer Menschlichkeits-
gedanken ein rehgioses Geprage erhielt. Quellen dieser Anderung waren besonders Terassons
Sethosroman und Geblers Drama ,,Thamos, Konig von Egypten", zu dem Mozart 1773 und
1779 programmatische Zwischenaktsmusiken, grofie Chore und ein Melodram geschrieben
hatte. Der ,,Bruch** im Text der ,,Zauberflote4* wurde nicht spurlos geschlossen. Man hat
auch Schikaneder als Autor des Librettos angezweifelt, doch ist der Nachweis Giesekes als des
Verfassers — er war spater in Dublin Professor der Mineralogie — nicht einwandfrei gegliickt.
Die Handlung ist jedenfalls von lebendigstem dramatischen FluB erfiillt, der Mozarts Genius
in vollig neue kiinstlerische Regionen trug. Die Verquickung von naivem Volksstiick, phan-
tastischem Marchenspiel und feierlicher Verkundigung natiirlich-sittlicher Weltanschauung
hat eine iiberraschend neue Musik gezeitigt, die eine ganze Fiille verschiedener Stilarten auf-
bietet und im Dienste des Dramas organisch zusammenschweiBt. Der reiche musikalische
Apparat verarbeitet Bestandteile ungleicher Herkunft, vom einfachen volkstiimlichen Lied,
das den Lokalton iiber Dittersdorf hinaus genial verwertet, und von der standigen Fiihlung
mit der Volksmusik und Wiener Eigenheiten, iiber Ziige aus der Opera buffa bis zu grofien
Koloraturarien, gewaltigen Chorszenen Gluckschen Geistes und strengen kontrapunktischen
Satzkiinsten. Dabei ist durch die absichtliche Wiederkehr melodischer, rhythmischer und
harmonischer Eigentiimlichkeiten eine durchgehende Zusammengehorigkeit bewirkt, wie schon
der maurerischen Dreiersymbolik stete eigenartige Gruppierungen und Wechselbeziehungen
Die Oper im 18. JaKrKundert
765
Abb. 77. W.A.Mozart: Szenenbild zur ,,Zauberf!ote", aus der Zeit der AuffiiHrung im Wiener Freihaus-
theater. Kolorierte Radierung im Besitz des HistoriscKen Museums der Stadt Wien.
entspringen. Das Ensemble hat wieder eine ganz hervorragende Stellung, der Einzelgesang
ist eingeschrankt, seine Formen sagen der italienischen Formenwelt ganz auf und haben freien,
meist liedmaBigen Bau, Introduktion und beide Finale verlaufen in weit ausgedehnten Mafien
mit leichtgefiigten, abwechslungsvollen Teilen. Ihre Dramatik entwickelt neue Erscheinungen
von besonderer Bedeutung, vor allem die Rezitativbehandlung der Sprecherszene weist neue
Wege, der figurierte Choral ,,Ach Gott vom Himmel sieh darein" der beiden Geharnischten
ruft far die hochste Spannung der Handlung ganz ungewohnliche Krafte heran, deren gebundener
Stil als Sinnbild der leitenden Grundidee auch der Ouvertiire seinen Stempel aufdriickt. Zu-
gleich ist am Eingang der Probeszene ein thematischer Wegweiser auf den Schlufichor — aber
in Moll — aufgerichtet. Von der polyphonen Ouvertiire an "durchzieht dieOper jene durch-
sichtige Anmut und Frische des Stils, die ihren Marchencharakter in duftige Poesie fafit, durch
planvolle Tonartenbeziehung ist sinnige Ordnung in die bunten, mannigfachen Bilder gebracht,
deren Situationen und Charaktere sich scharf voneinander abheben. Aufierlich beschreibende
Musik ist weitgehend vermieden, hingegen hat die Verdichtung des Gefuhlsausdrucks un-
geheure Kraft gewonnen. Der deutschen Opernkunst war die Bahn gebrochen. Die Roman-
tiker traten Mozarts Erbe an.
Schikaneder pflegte nach dem Riesenerfolg der ,,ZauberfIote" ahnliche der grofien Oper
genaherte Zauberspiele weiter, mit Peter v. Winter schrieb er 1 792 ,,Das Labyrinth" als
49*
766 Die Oper im 18. Jahrhundert
zweiten Tell der ,,Zauberflote" ; SiiBmayers ,,Der Spiegel aus Arkadien" (1794), ,,Babylons
Pyramiden" von Mederitsch und Winter (1795) u. a. m folgten. 1801 suchte er for den
„ Alexander * Beethoven zu gewinnen, doch setzte schlieBlich Teyber die Oper, mit der das neue
Haus auf derWieden eroffnet wurde. Beethoven begann aber mit der Vertonung von Schika-
neders ,,Vestas Feuer", wie ein erhaltenes Terzett bezeugt, er iiberliefi das Buch dann Josef
Weigl (Auf fanning 1 805). Im Theater auf der Wieden kam aber 1 805 Beethovens,,Leonore**
zur Auffahrung, die an das blirgerliche Singspiel ankniipft und es der grofien Oper im An-
schlufi an die franzosische Opernrichtung der Revolutionszeit nahe bringt. ,,Leonore" war
damals schon die vierte Oper iiber den Stoff , den Bouilly nach einem Erlebnis der Schreckens-
zeit auf das Theater gebracht hatte. Seine ,,Leonore ou 1'amour conjugal** wurde mit Musik
von P. Gaveaux 1798 am Theatre Feydeaux gegeben, 1804 war in Dresden eine italienische Be-
arbeitung mit Musik von F. Paer, 1805 in Padua eine Oper S. Mayrs gefolgt. Letztere ist
einaktig, verwendet neue Namen und weicht vom Original ab, wahrend die Libretti Paers und
Beethovens sich an Bouilly anschlieBen. Nun teilt Sonnleithner die Handlung in 3 Akte ab,
um die Fiihlung mit dem Wiener Singspiel zu wahren und in diesem Sinne das Familienleben,
sowie die Standesschilderung hervortreten zu lassen. Beethoven kannte Gaveauxs und Paers
Partituren, es bestehen Ahnlichkeiten melodischer und formaler Art, so ist Rokkos Goldarie
und die Gefangenenszene von Gaveaux beriihrt, das Anfangs duett hat Ziige von Paer, der
Rachechor hinter der Biihne zu Beginn des zweiten Finales, der schon bei Gaveaux vorkommt,
ist eine Modeerscheinung der zeitgenossischen, franzosischen und italienischen Oper, das
Rettungssignal far die Schreckensoper typisch. Stark macht sich Cherubinis Einflufi geltend,
der inshesondere far Pizarros damonische Leidenschaftlichkeit mafigebend geworden Jst,
wahrend Gaveaux diesen nur sprechen, nicht singen lafit; dem dramatisch so bedeutsamen
Quartett im Kerker entspricht im franzosischen Original eine gesprochene Szene. Beethovens
Werk hatte einen Mifierfolg, es wurde 1806 mit Kiirzungen und zweiaktig wiedergegeben,
abermals ohne Beifall zu finden. Erst die Umarbeitung von 1814 mit Treitschke setzte sich
durch. Der Auffahrungstitel war schon 1805 gegen Beethovens Willen ,,Fidelio", die Unter-
schiede zwischen der ersten und dritten Fassung bestehen im Zuriickdrangen der singspielhaften
Partien, also im Wegfall eines Terzetts zwischen Marzelline, Jaquino, Rocco und eines Duetts
zwischen Marzelline und Leonore (mit VI. und Vc.-Solo), am Eingang der Oper wurden die
ersten beiden Nummern umgestellt, femer ist das Rezitativ der Leonore, der zweite Teil
der Arie Florestans, der Schlufi des ersten Finales und der Anfang des zweiten Finales neu
gesetzt und manches umgearbeitet. Ob das Melodram 1814 neu geschrieben wurde, wie
aus der Anspielung auf den neuen Arienteil Florestans zu schlieCen ware, ist nicht ent-
schieden. In der ersten Fassung schlieBt Florestans Arie mit einer romantisch weichen
F-Moll-Klage:
Andante un poco agitato
Die Oper im 18. Jahrhundert J67
1805 leitete die Leonorenouvertiire Nr. 2 ein, 1806 die Leonorenouvertiire Nr. 3, 1814 wurde
die E-Dur-Ouvertiire geschrieben. Die Arie der Marzellme ist in drei verschiedenen Kom-
positionen (Fassungen) erhalten. Die Verbindung von Singspielstil und hohem tragischen
Pathos kennzeichnet die Zugehorigkeit des ,,Fidelio" zur Wiener deutschen Oper, die diistere
Stimmung des Kerkeraktes weist in die romantische Oper voraus. Trotz grofier biihnentech-
nischer Vorziige und plastischer musikalischer Sprechbehandlung des letzten ,,Fidelio" hat
dieser durch die zeitlichen Unterschiede stilistische Ungleichheiten aufzuweisen, Jnsbesondere
steht das grofie Rezitativ und die Arie Fidelios in fremder Umgebung. Die urspriingliche ge-
dampftere Charakterisierung schlagt nun in eine heroische Extase um. Echt Beethovensch ist
die ungeheure Steigerung der Leidenschaften, die unerhorte; Vertiefung der Empfindungen.
In der Apotheose einer sittlichen Grundidee (Gattenliebe) nimmt er das Wiener Vermacht-
nis Glucks und Mozarts auf.
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Augsburg 1863. - Spitta, Ph., Rinaldo di Capua. V. f. M. 1887. — Strobel, H., Die Opern v. Mehul.
Z.f. M. VI. — Vetter, W., Clucks Stellung zur tragedie lyrique und opera comique. Z. f. M. VII; Gluck
id seine it. Zeitgenossen. Z. f. M. VII; G. C. Wagenseil als Vorlaufer Glucks. Z. f. M. VIII.
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Neuere Ausgaben
AnnaAmalia von Sachsen-Weimar, Emin und Omire (Goethe) 1 776. Kl. A. (Friedlander). Leipzig 1921. —
Beethoven, Leonore. Oper in drei Akten. Kl.-A. (Prieger). Leipzig" 1907. — Benda, Ariadne auf Naxos.
(Einstein.) Kl.-A. Miinchen 1920. — Deller, Ausgewahlte Ballette Stuttgarter Meister (Abert). D. D. T. II.
Folge XLIII, XLIV. — Eberlin, Beispiele aus Schuldramen (Haas). D. T. 0. XXVIII. -- Gafimann, La
Contessina (Haas). D.T. 0. XXI. — Gluck, LeNozze d'Ercole e df Ebe (Abert). D. D. T. II. Folge XIV/2. —
Orfeo (Abert). D.T. 0. XXL — Don Juan (Haas). D.T. 0. XXX. — Graun, Montezuma (Mayer-Reinach).
D. D. T. XV. — G re" try, Gesamtausgabe. 44 Bde. — Holzbauer, Gunther von Schwarzburg (Kretzschmar).
D. D. T. VIII, IX. — JomelLi, Fetonte (Abert). D. D. T. XXXII, XXXIII. — Mozart, Gesamtausgabe,
Serie 5 (Opern) — Pergolesi, La serva padrona Kl.-A. (Abert). Munchen 1911.— Part. (Geiringer) Wien 1925.—
Livietta e Tracollo. Kl.-A. (Radiciotti). Florenz 1914. — Sailer, Creatio mundi (Lach). Wien 1917. — Scarlatti,
Rosaura. Eitners Publikationen XIV. — Schenk, Dorfbarbier. D.T. 0. XXXIV. (Haas). — Traetta, Aus
gewahlte Werke (Goldschmidt). D. D. T. II. Folge XIV/1, XVII. — Umlauf, Die Bergknappen. D. T. 0.
XVIII. (Haas). — Chefs d'ceuvrede 1'opera francais (Collection Michaelis). Kl.-A. von Gre*trys La Caravane
du Caire, Cephale et Procris — Le Sueurs Ossian — Philidors Ernelinde — Piccinnis Didon, Roland —
Sacchinis Cid, Renaud — Salieris Danaides, Tarare. — Opernbibliothek(B. Senff, jetzt Universal Edition),
Kl.-A. von CKerubinis Der portugiesische Gasthof . Wassertrager. — Cimarosas Die heimliche Ehe. — D'Alayracs
Die beiden Savoyarden. — Dittersdorfs Doktor und Apotheker, Hieronymus Knicker. — Glucks Der be-
trogene Kadi. — Gretrys Die beiden Geizigen, Richard Lowenherz. — Hillers Die Jagd. — Monsignys Der
Deserteur. — Mozarts Bastien, Die Gartnerin aus Liebe. — W. Miillers Die Schwestern von Prag. — Paesiellos
Die schone Mullerin. — Pergolesis Magd als Herrin. — Schenks Dorfbarbier. — Weigls Schweizerfamilie.
— Winters Das unterbrochene Opferfest.— Deutsche Komodienarien 1754 — 1758. D.T. 0. XXXIII.
(Haas). — Wiener Komodienlieder aus 3 Jahrhunderten (Glossy-Haas), Wien 1 924.
Robert Haas
DIE WIENER KLASSISCHE SCHULE
Die Wiener klassische Schule ist von alien Kulturnationen in den ganzen musikalischen Welt
als Inbegriff tonkiinstlerischer Vollendung anerkannt; von englischen Forschern wifd sie als
9,the classical school par excellence' und als ,,die reichste Schule der Welt" bezeichnet. Ihre
Wirkung erstreckt sich bis auf den heutigen Tag und wird, solange unser Tonsystem ver-
standlich ist, diese ihre Allgemeingeltung behaupten. Die Griinde liegen in ihrer Entstehung,
Entfaltung, ihrem Aufbau, ihrer Kraft, ihrer edlen Einfalt und beredten Grofie (wahrend
Winkelmann bei der antiken Klassik von ,,edler Einfalt und stiller Grofie" spricht), der Kon-
gruenz von Form und Inhalt, ihrer Wahrheit und Ausdruckstiefe, vornehmen, fast schlichten
Haltung, ihrer Sattigung an Schonheit und Vollkommenheit, ihrer Zuganglichkeit fur ,,Lieb-
haber", ihrer Befriedigung der ,,Kenner", ihrer unvergleichlichen Mischung von tiefem Ernst
mit Heiterkeit und Frohsinn, ihrer vollendeten Verbindung von Tragik und Komik, ihrer Er-
hebung zum befreienden gottlichen Humor, der auf tiefer sittlicher Lebenserfassung beruht,
ihrer Macht, die Gemtiter aus der Sorge und Miihsal des Lebens zu befreien, die tiefste Weis-
heit in iiberzeugender Art zu verkiinden, weltliche und geistliche Strebungen in Ausgleich zu
bringen und zu edelster Religion im Sinne Friedrich Schillers zu verklaren.
Die Wiener klassische Schule 769
Ihre Wurzeln reichen in das ganze europaische Musikgebiet, von Norden bis Siiden, von
Osten bis Westen. Ihr Kern liegt in der engeren Heimat, in dem Osterreich, das schon im
Mittelalter, zur Zeit der Minnesanger, die Pflegestatte edler Kunst war und durch die Jahr-
hunderte blieb. In der Grundbevolkerung, wie wohl nicht unbestritten angenommen wird,
deutsch, hat der physische und psychische Austausch mit den Randnationen, den Tschechen,
Ungarn, Slowenen und die alte Kulturneigung zu den Italienern Kunstprodukte gezeitigt, die
bei aller Beibehaltung der Grundqualitaten der Stammbevolkerung ein Internationales Ge-
prage erhielten, in dem alle Stadien der Beeinflussung der jeweilig in der Geschichte der Ton-
kunst fiihrenden Nationen, der Englander, Franzosen, Niederlander, ihre Spuren zuriicklieBen.
Auch aus Spanien hatten sich besonders im 1 6. und 1 7. Jahrhundert Einfliisse gelt end gemacht.
Zur Zeit der Entfaltung der Wiener klassischen Schule hatten die Deutschen die Hegemonic
inne, aber die italienische Tonkunst wirkte virulent, nach innen und aufien, so zwar, daB sie
den Markt beherrschte, begiinstigt von den Dynastien, von den geistlichen und weltlichen
Hofen mit ihrer Pracht und Prunkliebe. Je intensiver die Wiener Schule in die Bewaltigung
ihrer historischen Mission eindrang, desto mehr vertiefte sie sich in deutsches Grundwesen,
und ihre hochste Entfaltung erlangte sie durch die allmahliche Resorption der Stilelemente
der altklassischen Schule, die in Deutschland und England in der ersten Halfte des 18. Jahr-
hunderts zur Bliite gelangt und um 1 750 allmahlich von der Kunstarena zuriickgetreten war.
DreiBig Jahre danach war die Wiener Schule zu voller Selbstandigkeit entfaltet: als Haydn
50 Jahre, als Mozart 27 Jahre alt war, d. i. im Jahre 1782 — Beethoven war ein vielversprechen-
der Knabe von 12 Jahren, der damals durch seine kiihnen Einfalle und Wagnisse bei Orgel-
und Klavierimprovisationen auffiel.
Haydn hat 1781 Quartette herausgegeben, von denen er selbst sagt, daB sie (nach etwa
20jahrigen Vorarbeiten) ,,auf eine ganz neue besondere Art geschrieben" seien (von der wir
noch horen werden). Mozart folgte ihm mit der Widmung seiner 1782—85 komponierten
,,6 Quartette" und sagt selbst, daB er von Haydn gelernt habe, wie man Streichquaitette
schreibt. Diese Quartettkomposition ist der abgeklarteste Teil, die reinste Veredelung der
gesamten Wiener Produktion, und Beethoven folgte erst nach 20 Jahren (1800) mit seinen
Quartetten op. 18. Trotz der herrlichsten und sich steigernden Quartettarbeit bei Mozart,
Beethoven und alien folgenden Tonsetzern von Rang, blieb Haydn bis heute das vollkom-
menste Vorbild des Quart ettstils. Mozart hatte zudem in seiner in und far Wien geschriebenen
und hier zum erstenmal (12. Juli 1782) aufgefiihrten ,,Entftihrung aus dem Serail" ein,,ko-
misches Singspiel" geschaffen, das, wie Goethe sagt (der sich selbst bemiiht hatte, das Singspiel
auf ein hoheres Niveau zu erheben), ,,alles niederschlug". Mit der ,,Entfiihrung * war das
deutsche Singspiel, man kann sagen, die deutsche Oper in die klassische Sphare erhoben.
Von den groBen Wiener Kiinstlern der damaligen Zeit wird hier Gluck nicht einbezogen.
Im Jahre 1782 war er 68 Jahre alt und starb 5 Jahre danach. Seine Tatigkeit war 1779 ab-
geschlossen und fallt somit schon zeitlich aufierhalb des Rahmens der Wiener klassischen
Schule. Aber auch innerlich gehort er ihr nicht an: nur in seinen Instrumentalwerken und
deutschen Liedern kann er als einer der Vor- und Ubergangsmeister zur Wiener klassischen
Schule angesehen werden. In der Opernproduktion wurde er in den sechziger Jahren des
IS.Jahrhunderts gerade durch drei fur Wien komponierte Opern (vgl.S. 728 ff.) der Grofi-
meister, der auch die italienische Operntatigkeit der Folgezeit bis zur Grofien Oper der Fran-
770 Die Wiener klassische Schule
zosen beeinflufite. Nur in einem Werke Mozarts ist dieser Einflufi deutlich splirbar und nach-
weisbar (,,Idomeneo", 1781), wahrend in einzelnen, besonders pathetischen Stellen anderer
Werke eine Analogic bemerkbar ist. In den siebziger Jahren wandte sich Gluck der franzo-
sischen Opernkomposition zu, dort, in den Wiener Reformopern, gefiihrt und geleitet von
einem italienischen, hier von franzosischen Librettisten. Und doch hat Gluck als Osterreicher
gewisse Grundziige mit denen der Wiener klassischen Schule gemein. Er, der fast nur ita-
lienische und franzosische Texte in Musik setzte, wollte ,,eine alien Nationen zusagende Musik
schaffen", wie er sich 1773 aufierte. Er wollte ,,den lacherlichen Unterschied der National-
musiken verschwinden lassen", und wenn auch die Wiener GroBmeister diese Sentenz nicht
ausdriicklich aussprachen, so lag dies im Wesen ihrer allumfassenden Tonsprache. Mozart hat
seine italienischen Opern der achtziger Jahre nicht mehr fur Italiener, nicht mehr im speziell
italienischen Fahrwasser geschrieben und erhob — wenngleich neuerlich mehrfach das Gegen-
teil behauptet wird — das italienische Musiktheater zu universaler Geltung, geradeso, wie dies
von der Instrumentalmusik der Wiener klassischen Schule im allgemeinen gilt. Die Italiener
wollten zwar auch im 18. Jahrhundert mit ihren Opernprodukten alle Theater erobern, aber
eben als merkantile Eroberer, nicht durch Umfassen der Bedurfnisse, Erfordernisse, durch
Befriedigung der seelischen Neigungen der aufieritalienischen Konsumenten (im Sinne der
Abnehmer der Handelsware). Gluck hat (wie Sonnenfels sagt) den ,,Akzent der Seele" des
Menschen ohne Zuspitzung der Nationalitat, des Nationalismus in seiner Musik zum Aus-
druck zu bringen versucht und vermocht, allein jene Tiefe, jenen Zauber der Liebesgesange
Mozarts, jene Gewalt solcher Mitteilung eines Beethoven nicht zu erreichen vermocht. So
machtvoll Glucks musikalisches Drama an sich ist, so hat dieser Meister gegeniiber den Wiener
Klassikern lediglich eine einbegleitende Stellung. Weder Haydn, noch Mozart, noch Beethoven
begannen ihre operistische Tatigkeit mit Werken im Gluckstil, sondern mit Werken der hei-
teren, leichten Art: Haydn mit dem Singspiel ,,Der krumme Teufel", Mozart nach unbedeu-
tenden Versuchen im deutschen geistlichen Singspiel und in der lateinischen Komodie mit
der deutschen ,,0perette" (Singspiel) und der Opera buffa. Von seinen in italienischer Sprache
geschriebenen Werken stehen die ,,Comedia per musica", wie er seinen „ Figaro" und das
,,Dramma giocoso per musica", wie er seinen ,,Don Giovanni" bezeichnet, obenan neben
seiner ,,Deutschen Oper" (Singspiel) ,,Die Zauberflote" . Beethoven begann mit dem Ritter-
ballett und zwei komischen Arien und schrieb ,,Leonore" als einzige Oper, im erst en Teil
(bis zum Auftreten Fidelios) mit dem Singspiel gewohnlicher Art beginnend.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts hatte sich ein Wandel vorbereitet: Neben der Vorherrschaft
und geistigen Obermacht der obligaten Stimmfiihrung hatte sich eine leichte, gefallige, ein-
schmeichelnde Schreibart eingefuhrt. Sowohl die altklassische wie die neue Stilart waren auf
dem Boden der Renaissance erwachsen. Allerdings hatte auch bei der erst er en eine Stimme
dem Ganzen das charakteristische Geprage gegeben, nur erhoben in ihren polyphonen Satzen
die anderen Stimrnen den Anspruch auf vollste Gleichberechtigung, wahrend in der ,,galanten"
Schreibart alle Stimmen, auch wenn sie ihreKopfchen selbstandig zu heben wagten, der Haupt-
stimme ganzlich untergeordnet waren. Franzosen gaben der letzteren das Geprage, wie in der
bildenden Kunst Watteau, aber alle Nationen hatten ihre Vertreter in dieser vorbereitenden
Bewegung, die Englander besonders in den Komponisten der Ballad-opera, des Singspieles,
das auch in Deutschland Wurzel schlug, die Italiener in einer eigenen leichtgeschiirzten
J-J2 Die Wiener klassiscKe ScKule
Schreibweise, die besonders durch Neapolitaner in Instrumental- und Vokalmusik, in Kirche,
Kammer, Saal und Theater immer iippiger sich ausbreitete, entsprechend einem Grundzuge
ihrer Kunst, derh Gefallen an Ohrenkitzel, Jintillazione degli orecchi\ wie der Grunddeutsche
Heinrich Schiitz am Anfang des 1 7. Jahrhunderts sagte, dabei sich wilHg in Venedig auf die
musikalische Schulbank gesetzt hatte. Das Repertoire der Oper war von Italienern dieser
Richtung beherrscht. Die Franzosen hatten in den verschiedenen niederen Arten drama-
tischer Spiele mit Musik, die zur Opera comique fuhrten, ein nationals Gegengewicht in die
Wagschale gelegt. Sie wollten erweisen, da8 die Behauptung, ihre Sprache sei nicht so ge-
eignet fur musikalische Verarbeitung wie die italienische, auf einem Irrtum beruhte. In
J. J. Rousseau, der diese Ansicht nicht teilte, erstand ein geistiger Fiihrer, der die Natiirlich-
keit, die Riickkehr zur Natur als eine unabweisliche Forderung wie far das ganze Leben, so
besonders fiir die Kunst aufstellte und in der Musik selbst mit gutem Beispiel voranging.
Das Lebensprinzip der Natlirlichkeit vereinte sich in der Wiener klassischen Schule mit
hochster Kultur in Austibung der Kunst. Rousseaus Angriffe hatten sich gegen die falsche
Zivilisation gerichtet. Auch sein Eintreten fiir Freiheit fand Widerhall, von den Wiener
Klassikern am lebhaftesten bei Beethoven. Die Deutschen setzten sich in dieser Richtung mit
ihrem langsam fortschreitenden Singspiel, das in Wien seine ersten Auslaufer hatte, in Be-
wegung. Der technische Hauptangriff gegen die allzu kunstliche Stimmfiihrunsr und Stimm-
behandlung kam in Deutschland von der Berliner Liederschule, an derselben Statte, wo
Theoretiker und Tonsetzer sich als Siegelbewahrer der strengen, strengsten Schreibweise zu
behaupten suchten. Letztere versandeten mit ihren Fugengerippen in einem oden Fahrwasser,
ihre blutleeren Schemen verkamen in einem toten ausgetrockneten Wasserarm. Als Geleit-
und Folgeerscheinung der ,,galanten" Manier hatte sich eine Vorliebe fur Verzierungen ein-
gestellt, die als eine Art Schonheitspflasterchen den weichen Weisen angeheftet wurden.
Sogar im protestantischen Choral hatte diese Verweichlichung, begiinstigt durch den Pietis-
mus, Raum gewonnen. Die ornament ierten Rokokomanieren und Selbstgefalligkeiten virtuoser
Auszierung gewannen weiten Spielraum in alien Kunstgattungen, besonders auch in der
katholischen Kirchenmusik.
DasVerwendbarealler dieser Bestrebungen wurde von der osterreichischen Schule in gefallig
anmutiger und dabei vornehmer Art aufgenommen und in ihrem Sinne verarbeitet. Das Volks-
quellenmaterial war nebst der deutschen Urquelle das Erbgut der verschiedenen Nationen,
die schon genannt wurden. Die Mischung all dieser Momente vollzog sich in glucklichster
und vielverheifiender Weise: bei Haydn vermoge seiner Allkunst und seines Aufenthaltes in
Wien,Niederosterreich, Bohmen undUngarn, spater infolge seiner Reisen nach England. Bei
Mozart durch seine, man konnte sagen, musikalischen Weltreiscn, deren er, angefangen von
seinem 6. bis zu seinem 24. Lebensjahre, sieben nach England, Frankreich, Holland, Italien
(dreimal), natiirlich auch im weiten Deutschen Reich unternahm. Die zweite Reise dehnte
sich auf 3 Jahre, die vierte und funfte (mit der sechsten) auf ungefahr 2 Jahre aus. Nach
Wien hatte ihn sein erster Kunstweg gefiihrt (1762), und er kehrte viermal dort ein, bis er
1781 daselbst seine kiinstlerische Heimat fand, der er bis zu seinem Tode anhing. Kleinere
Abstecher fuhrten ihn in diesem Zeitabschnitt nach Salzburg, Prag, Frankfurt. Beethovens
Blick war vom Anfang an, da er sich seiner Kunstmission bewufit wurde, nach Wien gerichtet:
den Siebzehnjahrigen zog es machtig zu Mozart, der wohl nicht von dem Vortrag einer fertigen
Die Wiener klassische Schule 773
Komposition des Jiinglings gefesselt, aber nach der Improvisation, der freien Phantasie von
der hohen Begabung des Kunstjiingers ergriffen war und den prophetischen Ausspruch tat:
,,Auf den gebt acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen." Beethovens
natiirliches Verlangen, Mozarts Schiller zu werden, konnte sich damals nicht erfiillen. Eine
schwere Erkrankung von Beethovens Mutter beschleunigte die Heimfahrt des Sohnes. Erst
im November 1 792 konnte sich sein heifiester Wunsch erfullen, sich in die Wiener Schule zur
Lehre zu begeben: bei Joseph Haydn, Johann Schenk, J. G. Albrechtsberger und (in Vokal-
behandlung) bei A. Salieri. In Wien blieb Beethoven bis zu semem Tode, trotz mancher
Lockuns. Die kleinen Unzukommlichkeiten, die zum groBen Teil durch Beethovens Eigen-
heiten hervorgerufen waren, konnten die innere Notwendigkeit seines Verbleibens nicht
lockern. In den letzten Jahren seines Lebens sah er ein neues Talent echt Wiener Art er-
stehen, ein Genie, das berufen war, die klassische Wiener Schule in der romantischen Richtung
weiterzufuhren : Franz Schubert sollte ihn nur ein Jahr iiberleben. Damit war der Glanz der
Schule erloschen. Er hatte schon seit 1812, nach Vollendung von Beethovens 8. Symphonic
Farbungen erhalten, die sich von dem Lichte, mit dem Haydn, Mozart und Beethoven bis
zu seinem 42. Jahre die Kunstwelt erhellten, differenzierten. Auch Schubert hatte 1815 neue
Wege eingeschlagen, die wohl, sowie die nach 1817 folgenden Werke Beethovens (so die
Klaviersonaten op. 106, 109, 110, 111, die 33 Variationen op. 120, die 9. Symphonic, die
Missa solemnis, die Quartette op. 127, 130, 131, 132, 135 u. a.) in innigstem organischen
Zusammenhang mit den Schopfungen der vorangegangenen Zeit blieben. Ausdehnung,
zyklische Zusammenstellung und thematische Ausfiihrung fiihrten Beethoven in ein Gebiet,
in dem der Meister eine Ausdrucksart gewann, die sich mehr dem Erhabenen, als dem von
Haydn und Mozart iibernommenen Schonen zuwandte. Schubert dagegen glitt in das ro-
mantische Fahrwasser und brachte daneben in die klassische Ausdrucksweise einen spezifischen
Wiener Lokalton, wie ihn schon Haydn etwa im 2. Thema des ersten Satzes seiner Militar-
symphonie angeschlagen hatte. Aber die Kraft der Einigung der klassischen Schule war so grofi,
dafi sogar alles, was von fremdem Volksgut ubernommen, aufgenommen wurde, in ihrer kiinst-
lerischen Machtsphare restlos verarbeitet wurde, so z. B. das russische Thema im Schlufisatz
des Quartetts op. 59, Nr. 1 , das ,,Alla Turca" der A-Moll-Sonate von Mozart und vieles andere.
DemgemaB konnte man nicht uneben die Periode der Eigenentfaltung der Wiener Schule auf
30 Jahre beschranken: von 1782 — 1812 — ungefahr ein Lebcnsalter und furwahr, es ist ein in
sich geschlossenes Kunstleben, das diese Meister wahrend dieser Zeit zusammenhalt und eine
Kunsteinheit vollendeter Art schafft.
Neben den Heroen der Wiener klassischen Schule wirkte vorbereitend, begleitend und
nachfolgend eine grofie Reihe kleinerer Meister. ,,In der Entfernung", sagt Goethe, ,,erfahrt
man nur von den ersten Kiinstlern, und oft begniigt man sich mit ihrenNamen; wenn man
aber diesem Sternenhimmel naherkommt und die von der zweiten und dritten GroBe nun
auch zu schimmern anfangen und jeder auch als zum Sternbild gehorend hervortritt, dann
wird die Welt und die Kunst reich." So auch im Sternbild der Wiener klassischen Schule.
Seitenlang waren die Namen zu nennen, deren Werke die Fortschritte und Eigenart von der
alteren Epoche iiberfiihren, in das neue Bett geleiten, und als zeitgenossische Produlcte sogar
den grofien Meistern unterschoben wurden, teilweise aus Spekulation, teilweise aus Ehrgeiz.
Bis heute ist keine reinliche Scheidung dieser Unterschiebungen vorgenommen, sind die
774 Die Wiener klassische Schule
Vertauschungen nicht vollig aufgeklart. In der Gesamtausgabe der Werke von Mozart stehen
Werke, die nicht von ihm geschrieben sind, andere, die als Be- und Verarbeitungen von Vor-
lagen anderer Komponisten aufgedeckt wurden. Symphonien der Briider Josef und Michael
Haydn sind miteinander verwechselt worden, der Vorname anders beigesetzt, als es die Ge-
rechtigkeit vorschreibt, den Tatsachen widersprechend. Allerdings, die letzten Haydn 'schen
Symphonien der neunziger Jahre, die Symphonien Mozarts aus den achtziger Jahren lassen
eine solche Unterschiebung nicht zu. Da sind die Eigenziige, die geniale Eigenbehandlung
untriiglich erkennbar und bestimmbar. Die ersten zwei Symphonien von Beethoven stehen
unter dem machtvollen Emflufi seiner beiden Vorbilder — untermischt und mit Individual-
ziigen des Jimgeren ausgestattet. Und dann wurden von einem gewissen Teil der horigen
Kunstgemeinde Werke von Meistern zweiter und dritter Ordnung den immer hoher wachsenden
Gebilden der Beethovenschen Muse vorgezogen: der ,,Eroica" eine Symphonic von Anton
Eberl in der gleichen Tonart Es-Dur. Es ist ungerecht, dies als lacherlich zu bezeichnen.
Auf gleichem Boden erstanden, haben solche Werke niedrigeren Grades ein Recht auf Ver-
breitung in ihrer Zeit — sie gehoren zum Zeitbild und sind Zeugnisse fur die Macht der
Schule, wenn sie auch als Einzelmdividualitaten nicht das ,,ewige" Leben haben wie die aller-
ersten Meisterwerke. Und sind wir heute dem gebiirtigen Qberosterreicher und Wiener
Theaterkapellmeister Franz Xaver SiiBmayr, der um 10 Jahre jiinger als Mozart war, nicht dank-
bar, dafi er das unvollendete Requiem von Mozart fertiggestellt hat? Wie viele der gebildeten -
Horer konnen die eingesetzten Teile von den echten, wie viele Musikhistoriker die Mozartschen
Abschnitte von den SuBmayrschen stilkritisch unterscheiden ? Solche Kommunitat wiederholt
sich in alien Kunstperioden und Stilen, und selbst bei der im Ausdruck so vorgeschrittenen
Wiener klassischen Schule ist solch ein Vorgang verstandlich. Es gibt Stiicke, bei denen eine
genaue Scheidung Haydnischer und Mozartscher Faktur, so verschieden sie im einzelnen sein
mogen, nicht vorgenommen werden kann, wie u. a. der feinsinnige englische Schriftsteller und
Komponist Hubert Parry nachgewiesen hat. Untriiglich bestimmbar sind, wie gesagt, die
Werke aus der Vollreife, der hochsten Meisterschaft der Heroen. Und sogar in ihnen be-
gegnet man Wendungen, die Gemeingut der Schule sind — abgesehen von der konstanten
Entwicklung, die technisch und geistig nachzuweisen ist.
Schon in den Vorbereitungsstadien dieser Schule fiel den Sendboten, die aus Wien und den
osterreichischen Kunststatten in verschiedene auswartige Pflegestatten der Musik kamen, die
Aufgabe zu, dort das zu etablieren, was dann in Wien zu hochster Vollendung gedeihen sollte.
Einer der wichtigsten Vorposten dieser Richtung war die Filialschule, die sich in Mannheim
um 1 750 etablierte. Ignaz Holzbauer aus Wien, die Bohmen (in der damaligen Zeit nicht als
Deutsche oder Tschechen geschieden) Johann Stamitz, Anton Filtz u. a., waren die Exponenten
der Schule. Ihr geistiger Fiihrer wurde Johann Stamitz (s. S. 800 ff.), dessen Produktion be-
sonders in der Mischung ernster und heiterer Stimmungen schon im Themenmaterial eines
Satzes der zyklischen Komposition mitbestimmend wurde. Ein weiterer Fortschritt war die
dynamische Steigerung innerhalb geschlossener Phrasen und die Ausfuhrung dieses ,,Cre-
scendo" wurde durch die treffliche Schulung des Orchesters vorbildlich. Nicht als ob es dort
zuerst eingefiihrt worden ware, allein die Benutzung dieser Nuancierung als eines konstruktiven
Mittels, als Baumittel ist ein Verdienst der genannten Tonsetzer. Die Haufung von Kraft-
zeichen (f , sf, p) innerhalb einer Phrase war ein aufierliches Reizmittel, das vielfach miBbraucht
Die Wiener klassische Schule
wurde. Einzelne Wiener Meister fanden daran zeitweilig Geschmack und der impressionable
Mozart oblag in einzelnen Werken mit besonderer Vorliebe diesem Gebrauch, den er sodann
zur Klarung brachte. Die den Mannheimern zugeschriebene Neueinfiihrung der Manieren
(vgl. Abert, Mozart 1, 337) beruht auf einem Irrtum. Sie finden sich schon in der italienischen
Musik und anderwarts. Nur wurden sie in Mannheim in einem gewissen Ubermafi verwendet.
Schon die auch nach 1750 fortgesetzte Benutzung des Cembalo als begleitendes Instrument,
als Fullinstrument bei der seit 150 Jahren iiblichen Ausfiihrung des Basso Continue zeigt, dafi
die ,,Mannheimer Schule" in den vorbereitenden Stadien steckenblieb ; ebenso zeigt dies die
Aufierachtlassung der in Wien sich etablierenden definitiven Scheidung von Kammer- und
Orchestermusik, die von grundlegender Bedeutung fur die klassische Schule wurde. Die
Mannheimer Schule blieb einer der Vorposten der Wiener klassischen Schule, fiel in aufiere
Manier (Mozarts Vater spricht schon 1777 vom ,,vermanierierten Mannheimer gout*'), well sie
dem Mutterboden entzogen, die natiirlichen Triebkrafte verlor. Ihre Mission ist eigentlich
schon 1757 abgeschlossen. Nur im Heimatlande konnte die neue Kunst gedeihen und zur
voilen Entfaltung gelangen. Alle Mitstreiter im Kampfe, die aufierhalb Wiens lebten, schufen
und wirkten wie in der Diaspora und blieben gleichsam auf halbem Wege stecken. Dies gilt
auch von dem tiichtigsten und gewandtesten Pionier der neuen Richtung, von Carl Philipp
Emanuel Bach (s.S. 801 ff.), von dem eingestandenermafien Haydn und Mozart viel gelernt
hatten, natiirlich zu einer Zeit, da sie noch nicht ihre und der Wiener Schule Eigenart voll
entwickelt hatten. Auch Beethoven lernte, obzwar er es nicht ausdriicklich sagt, mancherlei
von C. P. E. Bach, besonders in der Zeit seines Bonner Aufenthaltes, und brachte das bild-
nerische Steigerungsmittel der Mannheimer zu voller ebenmafiiger Verwendung und Aus-
bildung, wahrend sich Haydn und Mozart mehr mit inneren Steigerungen begniigten, \vie
mehroderweniger raschen Folgen der Stimmeinsatze von unten nach oben, Verdichtung des
Stimmgewebes, sodafi aus sich selbst heraus, ohne eigene Vorzeichnungen die Dynamik in
auf- und absteigender Bewegung. belebt wurde oder sich abschwachte — stets im Zusammen-
hang mit dem Ideen- und Ausdrucksgehalt der betreffenden Stellen oder ganzer Satze. Denn
auch auf letztere, als Einheitsgebilde, konnte sich die dynamische Anlage erstrecken. Dafi auch
Beethoven hierin seinen beiden grofien Vorbildern folgte, bedarf nicht erst der Hervorhebung.
So drangte und konzentrierte sich alles, was zu einer Stilhohe hinfiihren konnte, zu und um
Wien. Die inneren und aufieren Bedingungen waren gegeben und giinstig: die ortlichen,
geographischen, die sozialen, die kulturellen, die seelischen und die spezifisch kiinstlerischen.
Dazu kam ein negatives Moment, die Strenge der literarischen Zensur, die eine rein musi-
kalische Entladung der kiinstlerischen Krafte gemafi der Uranlage der Bevolkerung und der
Lieblingsbeschaftigung aller Stande — Hof, Adel, Biirgertum, wahrend die osterreichische
Volksmusik eine unversiegbare Quelle der Wiener Kunstmusik war — zur natiirlichen Folge
hatte. Es kommt dann nicht darauf an, dafi die kraftvollsten Personlichkeiten ausnahmslos
innerhalb der Stadtmauern geboren seien, sondern da6 die Gesamttatigkeit und Entfaltung der
Schule ihren geistigen, seelischen und sozialen Brennpunkt in der Statte habe, von der aus
die Strahlen ausgehen und, wie in diesem Falle, sich auf die ganze Kulturwelt erstrecken, ja
sogar in Gegenden mit primitiver Musikbetatigung eindringen, wie die Schubertlieder und
die Weisen der Nachzugler der Wiener Schule, der Wiener Tanzmusik des 19. Jahrhunderts,
nicht nur der spater verderbten, sondern auch der alteren echt Wienerischen Art. Nicht Leicht-
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Die Wiener klassische Schule
sinn und Frivolitat spricht aus den letzteren, sondern Lebensfreude, DaseinsgenuB, fern fa-
cettiert, geschliffen, urmusikalisch, wie dies in der klassischen Wiener Musik in edelster Kla-
rung zum Ausdruck gelangt war.
Der Glaube an die urspriingliche Giite der menschlichen Natur, an das kontinuierliche
Streben nach Vollkommenheit, fand in den fiihrenden Geistern dieser Zeit Apostel. Daneben
erfiillte Lebensfreude die beiden grofien deutschen Klassiker der Dichtkunst, Hoffnungs-
freudigkeit fur die Zukunft der Menschheit beseelte Herder. Die Emanzipation des Indivi-
duums, wie sie sich seit der Renaissance (auch in der Musik) emporrang, suchte durchzu-
clringen . . . Haydn, Mozart und Beethoven wollten in der Kunst ihre eigenen Gesetzgeber
sein, wie wir ihren klaren, unumwundenen Ausspriichen entnehmen — wohlgemerkt : },Gesetz-
geber", nicht unbeschrankte Ungebundenheit, sondern organische Fortfiihrung und Fest-
legung der iibernommenen Normen gemafi ilirer Verwendung und Fortfiihrung in ihrem
Schaffen. Denn sie standen alle unter der Lehre des Wiener Erzmusikers Johann Josef Fux
und seines ,,Gradus ad Parnassum" von 1725, dessen Normen Grundpfeiler des Lehrgebaudes
•des 18. Jahrhunderts waren. Und wenn sie es anders machten, als dort vorgeschrieben war,
so erwogen sie genau das MaB der Freiheit, innerhalb der sie sich bewegten. Auch Beet
hoven war sich genau bewufit, wie weit er von ihr in der Kunst Gebrauch machen konnte
— nicht fessel- und regellos, sondern konstitutiv — konstruktiv geordnet, bei gewissenhaftester
Wahrung der Proportionality in Formgebung und Anwendung der Mittel. Allein Regel und
Ordnung konnten in der klassischen Kunst nicht vom Verstand vorgeschrieben werden, wie
es den Prinzipien des Rationalismus entsprochen hatte. Diese rationalistische Bewegung war
in der Musik eigentlich schon uberwunden, als Haydn und Mozart an ihr Lebenswerk gingen.
Die Wiener Meister, bei denen nebst den ubernommenen Formen und Regeln der Satzfiihrung
<lie frei schaffende Phantasie, gleichsam die Improvisation der Ausgangspunkt ihres Schaffens
war, vermochten eine ebenbiirtige Vereinigung von Phantasie und Verstand zu erzielen, die
eine der wichtigsten grundlegendsten Voraussetzungen der Vollendung ist. Dies ersieht man
besonders aus den Skizzen Beethovens, wahrend von den Entwiirfen der andern uns fast gar
nichts erhalten blieb, sei es, dafi sie verlorengingen, sei es, daB sie iiberhaupt nicht, oder
nur ausnahmsweise zu Papier gebracht wurden, wie wir dies von Mozart genau wissen. Um
den Rationalismus kummerten sich die groBen Musiker der Zeit nicht welter — es waren wohl
Ideinere Geister, die sich daran klammerten. Desto mehr waren die ersteren erfullt von anderen
treibenden Machten der Zeit: derHumanitat und dem von Dichtern und Denkern vertretenen
Optimismus, der erst bei Feuerbach seinen philosophischen Ausbau finden sollte. Dieser
Optimismus war ein Teil der allgemeinen psychischen und geistigen Stromungen der zweiten
Halfte des 18. Jahrhunderts und fand den natiirlichsten kiinstlerischen Widerhall in der Wiener
Musik. Sowie sich im fruhen Mittelalter die Frommigkeit und ihr klinstlerischer Ausdruck
trotz aller separatistischen Bestrebungen in den christianisierten Landern und Einzelgebieten
allmahlich auf Rom konzentrierten und trotz aller Widersacher und Gegenbewegungen dort
ihren Konzentrationspunktgewannen, wie sich dies in der Liturgie und ihrer tonkiinstlerischen
Umkleidung im Cantus romanus zeigte — wenngleich wahrscheinlich keiner der Papste selbst
kiinstlerisch schaffend war und man von keinem gebiirtigen Romer weiB, der produktiv ein-
gegriffen hatte — so stromte in der Periode der klassischen Wiener Kunst der nattirliche Zug
von alien Zeiten in diese Musikmetropole. Gerade der Optimismus der Wiener Gesellschaft
Die Wiener klassische Schule 779
— teiis wahr, echt und tief, teils durch eine gewisse auBere Gemiitlichkeit begiinstigt — war
vielleicht die sozial und psychisch wichtigste Voraussetzung fiir die Entfaltung der klassischen
Schule in Wien. Allerdings kamen Qualitaten des Wiener Kunstlebens hinzu, von denen be-
sonders erwahnenswert sind ,,Feuer und Begeisterung", wie ein englischer Musikhistoriker 1 792
sagt, ferner ,,Feinheit, Sicherheit des Urteils, vielseitige Empf anglichkeit" , wie Cherubim sagt.
Vor aliem eine Musikseligkeit, die alle Kreise erfullte. Praktisch war besonders die Ausiibung
der Ka^ imermusik nicht blofi von Berufsmusikern, sondern gerade in Kreisen der Musikf reunde
von klarender Wirkungskraft: auch in einfachen Biirgerhausern wurde sie gepflegt neben den
standigen Quartettveremigungen in Palasten der Aristokraten, in denen auch ganze Orchester
aus Berufsmusikern und Angestellten gebildet wurden, welch letztere in ihrer Hauptstellung
Bedienstete war en. Die Sparsamkeit im Hofhalt der Kaiserin Maria Theresia — die wie ihr
Vater und ihr Sohnmusikalischhochausgebildetwar — hatte dieEinschrankung desHofmusiker-
status zur Folge. Das tiefe Interesse und Verstandnis Kaiser Joseph II., seine Begriindung des
,,Hof- und Nationaltheaters", seine Forderung des ,,Nationalsingspiels" wirkten auf das ganze
musikalische Leben und Mozart mochte sich auch aus Anhanglichkeit an die Person des Kaisers
nicht zu weit und nicht zu lange aus den Ringmauern der Musikstadt entfernen. Haydn, der
echte Angehorige des Ancien regime, mit seiner Obodienz gegeniiber der fiirstlichen Familie
der Esterhazy, der seine Brotherren entstammten, war gleichsam nur in einem Kunstvorort
Wiens tatig, bis er seinen Wohnsitz ganz nach Wien verlegte. Der ,,Papa Haydn" war in
patriarchalischen Anschauungen aufgewachsen, denen er bis zu seinem Tode anhing. In der
Kunst, besonders in der Instrumentalmusik wie im Oratorium, ging er seine Wege, immer
in Koharenz mit dem Obernommenen. Er konnte dem Alter nach gleichsam als Vater gegen
iiber Mozart und fast als GroBvater gegeniiber Beethoven angesehen werden. Kiinstlerisch
war Haydn von noch groBerer Bedeutung fiir den Jungling Mozart, als dessen leiblicher Vater,
und ebenso fiir den heranreifenden Beethoven als dessen Musikerahnen. Allein die Bezeich-
nung Haydns als ,, Vater der klassischen Instrumentalmusik" ist, wie alle solche Titula-
turen, unhaltbar, weil historisch nicht berechtigt. Die geistige Vaterschaft verteilt sich auf
eine weitreichende Gemeinschaft. Die Heroen der Wiener Schule sind wie die Glieder einer
Familie zusammengehorig, die Kunstgemeinschaft ist noch starker als Blutsverwandtschaft,
denn sie beruht wie auf den gleichen Stilprinzipien ihrer Produktion, so auf den gemeinsamen
Grundanschauungen, die durch die Geistes- und Gemiitsbewegungen ihrer Zeit, wie sie oben
charakterisiert wurden, gebildet war en. Und dabei spiegelt sich in ihren Individualitaten der
fortschreitende, vorriickende Zeitgeist auch kiinstlerisch wieder. Sie sind im Zeitalter der
Aufklarung aufgewachsen und hielten zeitlebens an ihrer Durchfiihrung fest. Von Haydn geht
iiber Mozart zu Beethoven eine sich steigernde Linie des Freiheitsdranges, bis dieser im letz-
teren auch kiinstlerisch, im musikalischen Ausdruck zur vollsten Entfaltung gelangt. Allen
gemein ist jener Zug der Humanitat, des Optimismus, des Glaubens an die Giite der mensch-
lichen Natur. Der Selbstloseste, an sich fast gar nicht Denkende unter ihnen ist Mozart. Haydn
zuriickhaltend, nie sich ganz mitteilend und doch immer wahr, Mozart off en bis zur Selbst-
entaufierung, Beethoven bis zur Riicksichtslosigkeit. Zu kampfen hatten sie alle — um ihre
okonomische und kiinstlerische Existenz — das ist Menschen- und Kiinstlerlos. Haydn
brachte es mit 29 Jahren zu einer gesicherten Existenz, Mozart hing immer gleichsam in der
Luft, Beethoven rang bis an sein Ende um Unabhangigkeit. Alle drei sahen in der Ehe die
50 H. d. M.
78Q Die Wiener klassische Schule
volKvertigste Erfiillung der Menschenliebe. Haydn war unvorsichtig in der Wahl, Mozarts
Ehe war getrtibt durch die Exist enzsorgen , Beethoven muBte sich mit der Unsterblichkeit
seiner Geliebten (Briefe an die ,,unsterbliche Geliebte") begniigen, ohne die ihm Angelobte als
Frau heimfiihren zu konnen. Ein Jahr vorher hatte er hingebungsvollste Gattenliebe in seinem
,,Fidelio" besungen. Allen gemein ist ferner die religiose Hingabe. Sie sind alle im katho-
lischen Glauben erzogen, in Stadten mit Bischofsitzen — Rheinland und Donauland waren
sowohl darin wie in mannigfacher andererBeziehung analog, im Kulturleben und imCharakter
vielfach identisch. Vater Rhein und Mutter Donau konnten als in bestem Einvernehmen
zueinander stehend angesehen werden. Haydn und Mozart hingen zeitlebens trotz ihrer Zu-
gehorigkeit zurFreimaurerschaft (der damals Pralaten und Domherren angehorten) der dog-
matischen Glaubigkeit an, Es geht formlich auch da ein aufsteigend befreiender Zug von
Haydn durch Mozart zu Beethoven und Schubert, der sogar im ,,Credo" in einzelnen seiner
Messen das Glaubensbekenntnis ,,et in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam"
fortliefi. Haydn und Mozart waren gerade durch ihr Freimaurertum zu tieferer religioser Er-
fassung vorgedrungen. Die Kirchenmusik Haydns, dessen ,,Herz vor Freude hiipft, wenn er
an Gott denkt", und gar, wenn er seine religiose Pflicht als Musiker erfullt — ist der verklarteste
Ausdruck siiddeutscher, richtiger osterreichischer Gottesfreudigkeit, mit tiefstem Dankgefiihl,
innigem Gebet und einer Beimischung von Kirchweihstimmung. Haydn und Mozart hatten
den gleichen Ausspruch tun konnen, wie Beethoven sich auSerte: Religion und Generalbafi
sind abgeschlossene Dinge, iiber die man nicht weiter nachdenken soil. Aber alle drei legten
sich die Generalbafiregeln in ihrer Weise zurecht, in freier, schopferischer Betatigung — so
ahnlich war es der Fall mit der Konfession. Die Messen, die Mozart im Dienst des Salzburger
Kirchenfiirsten schrieb, entbehren sowohl wegen der noch nicht volligen Reife, als gerade be-
senders wegen der Vorschriften und gebotenen Riicksichten auf auBerlichen Glanz und Prunk
des erzbischoflichen Hofes einer religiosen Innigkeit, wie er sie dann in den letzten Jahren,
losgelost vom Kirchendienst, erreichte. Seine Auffassung iiber Leben und Tod in ihrem
Wechselverhaltnis hatte sich gerade durch die Einfliisse der freimaurerischen Gedanken
und Strebungen vertieft und gekla'rt. Beethovens ,,Freigeistertum", wie es durch die Ten-
denzen der franzosischen Revolution herangebildet und eigentlich nur nach aufien projiziert
war, hatte vorerst keine Wirkung auf seine Kunstbetatigung. Sein 1800 vollendetes Oratorium
,,Christus am Olberg** blieb in aufierlicher Verwertung der tiblichen Formen stecken, und nur
die wenigen instrumentalen Stellen zeigen seine Eigenart als Instrumentalkomponist. Auch
er drang erst allmahlich, und zwar mehr auf kiinstlerischem als religiosem Weg zur Vollendung
seiner kirchenmusikalischen Produktion vor, nach seiner C-Dur-Messe von 1807 auf weitem
Wege und mit vielen Miihen (1818 — 23) zur Missa solemnis. Sie steht abseits von der Heer-
strafie der Kirchenmusik seiner Zeit. Sie ist ein Werk sui generis, das einzelne Glaubenssatze
betend nacfepricht und sich im Gebet und in der Hingabe an Gott iiber alles erhebt, was Kon~
fession und Liturgie erheischt — wie es oben von der Religion im Sinne Schillers gesagt wurde.
Wie in jeder echten Kunst bildet auch bei den Wiener Klassikern das rein Menschliche Aus-
gang des Schaffens. Und ,,die Kunst vertritt", wie Beethoven sagt, ,,allemal die Gottheit, und
das menschliche Verhaltnis zu ihr ist die Religion", Diesem Ausspruch sowie seiner Auf
fassung der Kunst ,,als Vermittlung des Gottlichen" hatten sich Haydn wie Mozart an-
schliefien mogen. Haydn beginnt seine Werke handschriftlich mit der Aufschrift ,,In Nomine
Die Wiener klassische ScKule 781
Domini4* (,,Im Namen des Herrn44) und endet sie mit ,,Laus Deo" (,,Lob sei Gott"; auch mit
dem Zusatz ,,et Beatae Virgini Mariae et omnibus Sanctis"). Dies zeigt, da8 er, wie altere
Meister, den gottlichen Funken als zeugendes, entfachendes Moment ansieht. Und dieser
Oberzeugung waren, wenn sie es auch nicht in dieser Form hinschrieben, auch Mozart und
Beethoven. Letzterer sah es als Hochstes an, ,,sich der Gottheit mehr als den Menschen zu
nahern und von hieraus (d. i. seiner Kunst) die Strahlen der Gottheit unter das Menschen-
geschlecht zu verbreiten."
Die Wiener Meister vertraten nicht ,,Weltanschauungen", aber mit Beethoven hielten sie
,,die Musik als eine hohere Offenbarung, als alle Weisheit und Philosophic.'4 Um letztere
kiimmerten sie sich eigentlich nicht. Sie offenbarten in ihren Werken eine Welt der Stim-
mungen und Strebungen und den Vollgehalt menschlicher Regungen — in kiinstlerischer Ver-
klarung. Deshalb sind gegenliber den Grundvesten ihrer Anschauungen und Charaktereigen-
schaften die Detailziige des einzelnen nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Aber immerhin
machen sie sich gerade bei den charakteristischen Momenten des Personalstiles der einzelnen
bemerkbar, natiirlich neben der individuellen Anlage, die da im Vordergrund steht. Dieses
Eigengenie ist mit den Personalcharakterziigen untrennbar verbunden, und beides verscharft
das kiinstlerische Eigenprofil gegeniiber den Gemeinziigen der Schule. Als dnttes haupt-
bestimmendes Moment macht sich die zeitliche Folge der Entstehung der Kunstwerke geltend.
All das lafit sich klar in der Wiener Schule beobachten. Wie sich der menschliche und der kiinst
lerische Charakter deckten, ersieht man besonders aus jenen Werken, die die Exponent en eines
Personalstilwandels sind. In Haydns Jugend die Sucht, Experimente aller Art zu machen;
er ist der eifrigste Chercheur der Schule und wird in dem stillen Winkel, in dem er schafft,
nicht irre gemacht an sich selbst, nicht durch kritische Stimmen. Er geht nach den kindlichen
Streichen seiner Knabenzeit wie ein stetig steigender Hohenwanderer seinen Weg. Mozart,
der Weltreisende, vermag sich mit seiner unvergleichlichen Anpassungsfahigkeit tiberall an-
zuschmiegen. Beide, sowie Beethoven, arbeiten in der Jugend nach Modellen — wie's Brauch
der Schule. Jeder in kontinuierlicher Entfaltung seiner Eigenart, die am starksten sich bei
Beethoven bemerkbar macht, als er voile Selbstandigkeit errungen hat. Diese wurde auch
durch die Vollkommenheit der Faktur, Textur der von ihm ubernommenen Werke seiner
beiden groBen Vorganger begiinstigt, sowie durch eine Grundeigenschaft, die ihren Charak-
teren gemein ist: Alle drei, sowie Schubert, freuen sich ihres Lebens und Schaffens. Dies ist
bei Haydn und Mozart allgemein anerkannt, bei Beethoven bestritten; bei Schubert ist diese
Wiener Lebensfreude mit romantischer Melancholic untermischt. Er ist der einzige, der
sentimentale Kunstwerke im Sinne der Schillerschen Einteilung der Dichtung (in Naive und
Sentimentale) schafft. Beethoven hat, ebenso wie Haydn und Mozart, Freude am Dasein und
hochste Befriedigung im Schaffen. Diese begliickt ihn beim Ringen nach Vervollkommnung
und ebenbiirtiger Durchsetzung seines Kunstwollens. ,,Abgesehen von den Stunden tiefster
Niedergeschlagenheit war Beethoven" — so sagt auch Thayer, der als erster voile Wahrheit
in die Lebensschilderung dieses Meisters brachte — ,,durchaus nicht der melancholische und
diistere Charakter, fur den man ihn gewohnlich halt. Im Gegenteil : ein Mann von heiterem,
lebhaftem Temperament, Liebhaber von Scherzen, hartnackigem, wenn auch nicht immer gliick-
lichem Aufsuchen von Wortspielen, groBer Freund von Witz und Humor4* (II, 81). Er war
auch kein Kostverachter. Nur hatte er noch mehr innere und aufiere Widerstande zu besiegen,
50*
782
Die Wiener klassische Schule
VI
iel starkere physische und psychische Hemmungen als Haydn und Mozart. Der Grund lag
teilweise in seiner Naturanlage, der korperlichen und seelischen, teilweise in seiner Erziehung,
richtiger im Mangel einer solchen. Beethoven muBte diesen durch Selbstzucht ersetzen. Mozart
war von seiner Geburt an gezugelt von seinem Vater und der Regelung in seiner Famihe.
Letzteres war auch bei Haydn der Fall. Bei Mozart ein padagogisch-didaktisch geiibter sorg-
faltiger Erzieher, bei Haydn ein patriarchalisch ehrbarer Gewerbsmann — beide in heiliger
Familientradition. Dagegen bei Beethoven Willkiirakte eines Alkoholikers. Und doch hing
er gerade so an seiner Familie wie Haydn und Mozart, verehrte seine Mutter, hielt das An-
denken seines Grofivaters in hohen Ehren, sorgte fur seine Briider und brachte als Vormund
fur seinen Neffen, eigentlich mehr aus Schwache als aus Einsicht, Opfer, die sogar jahrelange
Unterbrechung seiner Produktion zur Folge hatten. Allerdings trat dabei sein starrer Eigen-
sinn, gepaart mit Ausbriichen momentanen Zornes und iiberhitzter Laune hervor. Diese
psychischen Hemmungen waren teilweise hervorgerufen durch physische Leiden, so besonders
durch ein fur einen Musiker doppelt und vielfach hartes Geschick: der Ertaubung, die, seit
etwa dem 27. Lebensjahre einsetzend, fast bis zur volligen Taubheit fuhrte. In solch ver-
zweifelter Stimmung schrieb er 1802 sein ,,Heiligenstadter Testament" — das erhebendste
Dokument eines erhabenen Charakters, in dem die Grundgiite, der gute Glaube an die ur-
spriingliche Giite der menschlichen Natur, das leitende Motiv sind. Und darin begegnet er
sich wieder mit den andern grofien Wiener Kunstgenossen. Seine Leiden verstarkten seine
Gereiztheit, Empfindlichkeit und konnten seinen Eigensinn nicht brechen. So stark wie sein
Ringen, seine Kraft, sich vom Schicksal nicht beugen zu lassen, vielmehr ,,dem Schicksal in
den Rachen zu greifen", so eigenwillig und eigensinnig sein Vorgehen, auch in dem obstinaten
Wiederholen von Satzfiguren — ein Vorgang, der manchen zartsaitigen Kiinstler seiner Zeit,
wie Ludwig Spohr, abstieB. Aber Beethoven behielt Recht, er, der sich beim Komponieren
nicht so sehr um gewisse Riicksichten auf Ausfiihrbarkeit von Stimme und Instrument kiim-
merte, sondern nur Gedanken und Stimmungen zu ebenbiirtigem Ausdruck bringen wollte.
Allein er hielt sich trotz der Geltendmachung seiner Personlichkeit innerhalb der Schranken
der Tradition, die als die echt und grofi klassische erkannt und bezeichnet wurde und wird.
Dafi dieser Gehordefekt sein Schaffen beeinflufit und destruktiv gewirkt habe, ist eine Uber-
treibung. Beethovens inneres Gehor konnte diese Stoning geradeso iiberwinden, wie sein
unbeugsamer Wille die sonstigen Hemmnisse. Trotzdem ist die bildnerische Darstellung
Beethovens durch Max Klinger outriert. Jeder Kiinstler hat Schaffenskampfe und ringt nach
Durchsetzung und ebenmafiiger Ausfiihrung seiner Absichten. Dafi dies bei Beethoven be
sonders stark hervortritt, ist zweifellos. Allein die ganze Personlichkeit nur unter diesem Ge-
sichtswinkel des Ringkampfers zu fassen ist Uberspannung bildnerischer Erfassung und er-
weckt falsche Vorstellungen. Okonomisch hatte Mozart viel mehr und bitterer zu kampfen
und zu leiden und auch Schubert. Beethoven war der einzige unter ihnen, der seine Unab-
hangigkeit zu wahren vermochte, ohne Anstellung sein Leben fristen konnte — beengt genug.
Haydn war Fiirstendiener in sicherer Stellung. Tiefster Jammer ergreift den historischen
Betrachter und krampft ihm das Herz zusammen, wenn er die Enge der Verhaltnisse wahr-
nimmt, in denen der ,,heitere Lebenskiinstler" Mozart lebte, den ein Bildhauer gleichsam als
eine Art Tanzmeister hinstellte. Fiirwahr, das Gegenbild des Bildhauers Edmund Hellmer im
Vestibiil des Mozarteums in Salzburg macht das wett, was andere und auch Schriftsteller in
Die Wiener klassisctie Schule 783
der Lebensdarstellung Mozarts verbrochen haben: Da steht er als Apollo Musagetes, mit dem
Rokokozopfchen, und auch dieses Attribut hat seine Berechtigung, wie wir sehen werden,
Haydn und Mozart trugen zeitlebens die Periicke, die auch Handel und Bach am Kopfe saB,
Beethovens wilder freier Haarwuchs ist das Symbol der sozialen Umstellung, wie sie sich
innerhalb der zeitlichen Grenzen der Wiener klassischen Schule vollzog. Auch kiinstlerisch
hat dies ein Widerspiel: Haydn und Mozart ordnen sich ein, Beethoven ordnet sich iiber.
Und trotz der Einordnung hatte das Genie Mozarts Widersacher, besonders in der italienischen
Hofmtisikpartei, die sich far gefahrdet betrachtete. Auch heute verstummt nicht der Ver-
dacht des gewaltsamen Todes des Meisters, und nach dem Urteil eines angesehenen Phar-
makologen weisen die Symptome seiner letzten Krankheit auf eine chronische Arsenver-
giftung, wie sie besonders in Italien nicht selten ausgeiibt worden ist. Die musikantischen
Widersacher mochten sich mit dem Gedanken zufrieden geben, daB Mozart in einem Arme-
leutgrab, in einem Gemeinschacht bestattet wurde und daB seine Grabstatte nicht mehr
eruierbar war. Die Nachwelt hat die Wiedererstehung seiner Muse in verschiedenen Epochen
gefeiert und kann in Bewunderung und Wiirdigung der Leistungen der Wiener Klassiker da-
von absehen, daB Mozart, Beethoven und Schubert in gewisser Beziehung Martyrer ihrer
Kunst waren. Als Menschen waren sie nebst Haydn die Reprasentanten edelster, hilfreicher
Giite, als Kiinstler Verkiinder des vornehmsten, geklartesten Optimismus.
Ihr kiinstlerisches Bestreben war geleitet von einer Dreieinigkeit, die Tolstoi als Grund*
forderung echter, wahrer Kunst aufstellt: Einfachheit, Klarheit, Biindigkeit. Ihre Kunst steht
auf dem Boden der Volksmusik, die, wie wir sahen, in Innerosterreich und im Rheinland
gleiche Grundqualitaten hatte. Dies erkennt man schon aus der rhythmischen Behandlung
im kleinen und grofien. Die Zwei~, Vier-, Sechs-, Acht-, Zwolf-, Sechzehn- und Zweiund-
dreifiigteiligkeit ist alien Formen der Wiener Schule gemein. Die Abweichungen sind Modi-
fikationen, und Beethoven ist gewissenhaft genug, gelegentlich solche Ausnahmen ausdriicklich
zu bezeichnen: ,,Ritmo di tre batfute" (dreitaktige Gliederung). Die Grofiformen konzentneren
sich um den Sonatensatz, der wie ein Transparent uberall durchleuchtet, alles durchdringt,
im Zyklus den 1. Satz ganz beherrscht (erste Satze ohne Sonatenform sind als atypische
zu bezeichnen), auch im langsamen Satz (der typisch dreiteilig ist), sowie im letzten Satz (der
typisch die Rondoform hat) durchdringt, neue Bildungen hervorruft. Im Sonatensatz Jst re
gular eine so iibersichtliche Proportionality, dafi das mathematische Verhaltnis des ,,Goldenen
Schnittes" sich bemerkbar macht: der kleinere (1. Teil) verhalt sich zum grofieren (2. Teil),
wie dieser zum Ganzen. Die Grundzlige der Sonatensatzform findet man auch dort, wo man
sie nicht vermuten wiirde, wie im Adagio (1.) Satze der Mondscheinsonate. So ist jedes
Kunstwerk eigenartig gestaltet und behandelt — eine Individuality, alle zusammen bilden
eine Gemeinde. Immer mehr vervollkommnet sich die Geartung aus bescheidenen Anfangen
zu stetig wachsenden Dimensionen. Nicht in diesen liegt der hohere Wert, sondern in der
Steigerung des Gehaltes und in der Vervollkommnung der Mittel, die nie Selbstzweck sind,
sondern nur im Dienste des seelischen, poetischen Gehaltes stehen. Die Kiinstler beniitzen
Improvisation und Modeproduktion, um zur Erfullung hoherer Aufgaben vorzudringen. Die
Liedvariation wird aus dem Niveau der Marktware, wie sie Tausende gelaufiger Hande am
Klavier dem unterhaltungssuchtigen Publikum vorspielen, zu Offenbarungen seelischer Wand-
lungen einer Grundstimmung erhoben und im Zyklus so gegliedert, daB eine Analogic mit
Die Wiener klassische Schule
dem Sonatenzyklus hergestellt wird: mit einem Adagio und einem Finale. Ganze Serien von
Variationen werden innerhalb einer Variationenreihe zu zyklischen Gebilden veremt, die
einen seelischen Verlauf widerspiegeln. Konstruktiv ist diese Variationenarbeit von grofiter
Wichtigkeit, denn aus ihr reift die thematische Behandlung der vollendeten Klassik. So wird
aus einem galanten Modestiick ein Baumittel, das zur Erfiillung ganzer Symphomesatze ver
wendet wird, wie in Beethovens ,,Eroica" und ,,Neunter" (SchluBsatze). Jedes Mittel wird in
moglichst einfacher Weise verwendet, wie rhythmisch, so tonal, harmonisch, kolonstisch.
Mozart verwendet, seinen romantischen Neigungen folgend, man kann sagen, als derjemge
Klassiker, von dem aus die Romantik Hauptantriebe erhalten hat, drei- und fiinfteilige Rhyth-
men nicht als Irregularitaten, sondern als Urerzeugnisse, ebenso in der Melodik chromatische
Intervalle, wahrend bei Haydn und Beethoven die Diatonik fast alleinherrschend ist; jedoch
ist dies regular auch bei Mozart der Fall. Die Themen sind schlicht und eindringlich, die
Melodik ist klar und iiberzeugend, tiefste und hochste Emanzipation menschlichen Geistes und
Gemiites besonders in Adagios, hinreifiend heiter in Schlufisatzen, ernst und gedankentief in
ersten Hauptsatzen. Diese letzteren Eigenschaften dringen auch in Menuettsatze, wie den der
G-Moll-Symphonie von Mozart, ein. Der Tanz des Lebens wird vergeistigt und verklart. Die
Tanze, die von den Klassikern fur den Zweckgebrauch geschrieben sind, fur Redouten und
Hoffeste, stehen wohl auf der untersten Stufe ihrer Leistungen, diese ist aber an sich schon
auf ein solches Niveau gehoben, dafi es moglich war, einzelne dieser Tanzstiicke zu Gebilden
hoherer und hochsterArt zu verarbeiten, wie z.B. einen Kontertanz von Beethoven, der im
Finale der Ballettmusik zu den ,,Geschopfen des Prometheus" (1802) als Finale, ferner als
Thema der Klaviervariationen op. 35, und sogar in gleicher Art im SchluCsatz der ,,Eroica* *
verwendet wird. Dabei haben Tanzstiicke der Klassiker manchmal eine aufierlich reichere
Koloristik, als sie bei ,,gro6en" Werken verwendet zu werden pflegte.
Das Streichorchester mit den vier paarweise verwendeten Holzblasern (Flote, Oboe, Kla-
rinette, Fagott), den 2 Hornern, den 2 Trompeten und Pauken ist das Um und Auf der In
strumentation. Selten eine Vermehrung der Horner auf drei und vier, eine Herubernahme
der Posaunen aus der Kirchenmusik, ein hohes (Piklcolo) oder ein tiefes Holzblasinstrument
(Kontrafagott). Mozart hat auch da romantische Neigungen mit seinen ausnahmsweise ver
wendeten Bassethornern, Harmonika, Schlaginstrumenten bis auf Rute, und Haydn macht
Versuche als jugendlicher Chercheur (far das Saiteninstrument Bariton schrieb er im Dienste
seines Brotherrn). Schubert tritt schon in einem Jugendwerk als romantischer Kolorist auf:
1813 in seiner ,,Kleinen Trauermusik" Es-Moll mit je 2 Kiarinetten, Fagotten, Hornern und
Posaunen und einem Kontrafagott. Dabei sind die Instrumente in ihrem natiirlichen Umfang
und in ihren regularen Lagen verwendet, keine Ausnutzung irregularer Lagen wie der tiefen
Tone der Floten und Kiarinetten. Die Transpositionsinstrumente werden nur im Zusammen-
hang mit den Tonarten gewahlt, nicht hinauf und hinab getrieben. Welch bescheidenes Mafi
bei der Wahl dieser Tonarten, regular bis zu 4 Kreuz und 4 Be, eigentlich nur bis zu je
zweien! Die Molltonarten, wie G-Moll bei Mozart, Cis-Moll bei Beethoven, mit einem ge-
wissen Sondercharakter assoziiert, ohne bestimmte Symbolik. Die Wahl der Tonart ist
nattirlich begrenzt durch die Naturinstrumente der Blechblaser und eigentlich unbegrenzt nur
beim Klavier mit seiner temperierten Stimmung. Aber auch da gehen die Klassiker iiber die
angegebenen Tonarten nicht hinaus und mussen sich obendrein mit der Klangarmut der da-
Die Wiener klassische Schule 785
maligen Instrumente begniigen. Was wiirden sie zum Vortrag auf modernen Konzertfliigeln
sagen ? Der Tonumfang war so begrenzt (regular 5 Oktaven F^ — f3, in den zwanziger Jahren
ausnahmsweise bis 6 Oktaven erganzt), dafi sie auf Oktavenverdoppelungen vielfach ver-
zichten, den Umkreis der Ausdehnung beschranken und die unbedeutende Erweiterung form-
lich erkampfen muftten. Wie armlich, fast zimperlich kommen uns heute die Fliigel von Stein
oder Broadwood vor. Der starkere Klang des von diesen und andern Firmen erzeugten
Hammerklaviers bestimmte die Meister, von den alteren Clavichorden und Clavicimbeln ab-
zusehen — auch hatte es gegeniiber den letzteren den Vorteil grofierer Modifizierbarkeit des
Anschlages, wahrend bei Clavichorden dieser Vorteil durch die Schwache des Klanges ver-
lorenging. Und trotzdem steht das Klavier fast im Mittelpunkt der instrumentalen Betatigung
der Klassiker. Es war jedenfalls der Ausgangspunkt ihrer Versuche und diente zur Einstim-
mung in die Kompositionsarbeit, wie ihre Klavierfantasien und Variationen zeigen. Beet-
hovens Klaviersonaten sind die Pioniere , die Aufklarpatrouillen seiner jeweilig wechselnden
Schreibweisen, die Wegbereiter der kommenden Werke fur Kammer- und Symphoniemusik
— weniger bei Mozart und noch weniger bei Haydn. Diese Aufgabe iibernahm bei dem letz
teren mehr eine Gruppe, die mit als eine der Uberleitungen von der altklassischen zur Wiener
klassischen Instrumentalmusik angesehen werden kann : das Divertimento.
Solche ,,Ergotzlichkeiten" erfreuten sich in Wien einer allgemeinen Pflege und Beliebtheit,
bei groB und klein, bei hoch und nieder, bei Tag (ad diem) und Nacht (ad noctem) (Serenaden,
Notturnen), im Saal und Zimmer, in geschlossenen Raumen und im Freien (Kassationen).
In Salzburg als ,,Finalmusik" bei Festlichkeiten. Als Nachtmusik auch mit Gesang, der dann
in der Gesamtgruppe der ,, Divertimenti" abgestoCen wurde und somit ganz den Instrumenten
iiberantwortet wurde, Blasern (besonders den f einer gearteten) und Streichern, auch gezupften
Saiteninstrumenten (Mandolinen u. a.), meist zu drei, vier, auch fiinf, sechs und acht vereint;
in besonders beliebten Achterzusammenstellungen bei Festen aller Art in Burger- und Adels-
hausern. Diese Gattung ist aber nicht, wie erst letzthin behauptet wurde, als ausschliefiliche
Kammermusik anzusehen, sondern als Mittelfeld von Kammer-, Saal-, Pleinairmusik, also mit
einfacher oder starkerer, mehrfacher Besetzung. Schon vor Haydn und Mozart mischten die
Musiker hier leichte, flotte Weisen (wie im einleitenden Marsch) mit tieferen Gemiitstonen
in den langsamen Satzen. Manchmal steckt der beste Teil der osterreichischen Musikanten-
seele in diesen Divertimenti. Sie waren ein Versuchsfeld fur die Wiener Meister sowohl in
koloristischer wie in formaler und thematischer Beziehung. Hier wurden auch die Versuche
der Vereinigung eigentlich polyphoner, imitatorischer Arbeit mit homophoner Fiihrung zu
einer neuen Schreibart gemacht (die wir kennenlernen werden), so besonders in Menu-
etten und ihren Alternativsatzen. Hier vollzieht sich auch langsam die Scheidung der so-
listisch besetzten von der Orchestermusik, wobei auch noch heute die Wahl der Besetzung bei
einzelnen Werken dieser Art nicht fix bestimmbar ist, Divertimenti der klassischen Fnihzeit
sind bald als ,,Quartetto", bald als ,,Syrnphonia" bezeichnet. Je weiter die Klassiker vor-
riicken, desto mehr nahern sich diese Divertimenti den ausgefiihrteren Zyklen in Form und
Ausfiihrung. Allein immer noch ist eine gewisse Scheidegrenze eingehalten: 1800 ist das Jahr
der definitiven Trennung in Beethovens Quartetten op. 18 und dem Septett op. 20, der Tren-
nung und des Niederganges des Divertimento. Beethoven wandte sich ganz ab; es geniigte
nicht seinen intensivierten Absichten, die er nur im reinen Streichquartett durchfuhren
786 Die Wiener klassische Schule
konnte — er hafite spater sein eigenes Kind, das Septett, das wegen seiner Einganglichkeit dem
Einleben seiner gereifteren und tieferen Werke dieser Art hinderlich war oder, richtiger ge-
sagt, ihm hinderlich schien. Wenn aufierlich die numerische Zusammenstellung der Satze
der letzten Quartette Beethovens nun Ahnlichkeit mit den Divertimenti hat, so besteht inner-
lich gar kein Zusammenhang, denn bei den Divertimenti gilt das Losungswort der Abwechslung
(Variatio delectat), bei den Quartetten der inneren tondichterischen Zusammengehorigkeit, des
Ablaufes eines einheitlichen seelischen Prozesses. ,,Alla danza tedesca" und ^Cavatine" im
B-Dur-Quartett op. 130, ,, Canzone" und ,,AHa marcia" im A-Moll-Quartett op. 132 sind Be-
standteile des psychischen Verlaufes, der sich aus dem Werke offenbart.
Diesen Weg hat die ganze Instrumentalmusik der Wiener Klassiker eingeschlagen, diese
tondichterische Hohe erreicht. Die programmatische Neigung Haydns und Beethovens in
Ausnahmsfallen andert nicht das Grundprinzip der Wiener klassischen Schule, in der Instru
mentalmusik das spezifisch Musikalische in der Konstruktion als haupt- und wesensbestim-
mend anzusehen und die ganze Arbeit auf eine Reihung, Ordnung des musikalischen Ge-
dankenganges einzustellen und die dichterischen Assoziationen der freien Einsicht zuzumessen.
iMozart hat nur in eingelegter instrumentaler Theatermusik solche programmatische Seiten-
sprlinge gewagt (Entreactes in ,,Konig Thamos" ,1780). Im iibrigen fafit er, sowie die andern
Grofimeister das Bild in der Instrumentalmusik nur als ,,Seelengemalde" . Auch Haydn und
Mozart konnten, wie Beethoven, ihre Meisterwerke als ,,gedichtet" bezeichnen, denn die
Ouverture zur Namensfeier von 1814 unterscheidet sich in der tondichterischen Anlage gar
nicht von den andern Instrumentalwerken, die nicht ausdriicklich als ,,gedichtet" bezeichnet
werden. Schon Haydn sah seine Symphonien und wohl auch seine Quartette als ,,moralische
Charaktere" an, d. i.als dichterische Personalitat en, welche auf dem festen Boden ethischer
Grundanschauungen stehend, eine Eigenart offenbaren, die sich uns im Verlaufe des Werkes
kundgibt, im Ablauf der musikalischen Geschehnisse und in Deckung mit begleitenden Asso
ziationen, die dem dichterischen Phantasieleben in Bindung an die reine Musik entnommen
sind. Manchmal sind bestimmte dichterische Vorstellungen beim Produzieren und Auf-
nehmen mafigebend, und sie sind absolut bestimmend, wenn, wie dies ausnahmsweise bei
Beethoven geschieht, die Instrumentalmusik mit Worten, d. h. mit Gesang verbunden wird,
wie in der sogenannten Chorphantasie fur Klavier, Orchester und Chor (op. 80, komponiert
1808), die als Vorstudie fur den letzten Satz der Neunten und als Paradigma fur alle nach-
folgenden Werke dieser Art angesehen werden kann. Chorfantasie und Finalsatz sind aufier
lich als Variationen angelegt. Sieht man naher zu, so sind im letzteren (was bisher ganzlich
iibersehen wurde) drei Konstruktionsmomente bestimmend : neben der Variationsbehandlung
der Text (in sorgfaltiger Auswahl und in Neugruppierung aus der Schillerschen Hymne ,,An
die Freude" nebst einigen selbsterfundenen Worten in der Einleitung) und der Sonatensatz.
Diese drei hat Beethoven mit gewaltiger Hand, mit fast ubermenschlicher Kratt zu einen ver-
mocht. Als mitbestimmend fur die Gestaltung sind Nebenmomente anzusehen, wie das Ver-
haltnis von Soli und Tutti, aus dem Concerto, speziell dem Concerto grosso entnommen,
ferner der Wechsel der Orchesterbehandlung und endlich Steigerungen und Beschleunigungen.
Die Detailuntersuchung kann hier nicht gegeben werden1). Der Satz bedeutet eine Vertonung
-1) Nur die Analogic mit dem Sonatensatz, seine Einarbeitung in den Bau oder, wenn man will, die Einarbeitung
des Baues in em Sonatensatzgebilde mit gleichzeitiger vollstandiger Resorption der Rondoform durch den Sonaten-
Die Wiener klassische Schuie 787
der Hauptgefiihlsgedanken der Religion, wie sie Schiller lehrt: Freude, Gottesfurcht und
Nachstenliebe — alles in die musikalische Form gegossen, in die Sprache der Musik iiber~
tragen und assoziiert mit den aus der Schillerschen Hymne ausgewahlten Strophen und Absatzen.
Die Grundstimmungen menschlichen Seelenlebens werden m den Werken der Wiener
Klassiker in unendlichen Variationen zum Ausdruck gebracht. Dabei hat -eder gleichsam ein
in die Kunst iibertragenes Lebensmotto. Man konnte es in knappe Worte so fassen : bei Haydn :
Ernst und Heiterkeit, bei Mozart: Leiden, Meiden, Freuden, bei Beethoven: Durch Kampf
zum Sieg, zur Freiheit, zum Frieden (per aspera ad astra), bei Schubert: Schmerz, Sehnen,
,,Hamur" (Wiener Dialektbezeichnung fur Humor) — alles geeint durch erhabene Liebe, Hin-
gebung, nicht im erotischen Sinne, wie es nachfolgenden Generationen vorbehalten war. Der
Gebrauch, serienweise Instrumentalzyklen zu veroffenthchen, hat sich nicht etwa nur aus Ver-
lagsgriinden eingestellt, sondern die Komponisten schufen die Werke in Spiegelung ihrer
wechselnden Stimmungen und schlossen eine Reihe von Kompositionen aneinander, die sich
im Stimmungsausdruck gleichsam erganzen. Dies kann man besonders klar bei Quartetten
von Haydn, Mozart und Beethoven beobachten. Oder sie edieren die komplementaren VJorke
getrennt nacheinander, wie es bei Quintetten von Mozart, bei Symphonien von alien dreien der
Fall ist. Die imSommer 1788 von Mozart innerhalb sechs Wochen (Ende Juni bis Anfang
August) komponierten Symphonien in Es-Dur, G-Moll, C-Dur bilden gleichsam ein Tr iptychon,.
eine symphonischeTrilogie; am Anfang und am Ende ein freudig bewegtes Lebensgefiihl, zum
SchluB konzentriert und gefaBt, in der Mitte das Leiden und Meiden mit inneren Kampfen
fast ins Damonische greifend, auch das Menuett ergreifend, doch auch da liebliche Seitenblicke
wie im Trio des Menuetts. Triibungen stellen sich auch in der 1 . und 3. ein, alles mit Anmut
und Grazie. Eine Weltanschauung, richtiger eine Welterfiillung in Tonen, nicht philosophisch
gedankenerfullt, sondern auf dem reinsten Boden der Tonkunst, ein Grundgefiihl edler Liebe und
Hingebung, Aufierung der treibenden Motive des Daseins mit dem Streben nach Erfiillung —
ernsteste Arbeitsleistung im Finale der C-Dur-Symphonie. Bei Beethoven kann man regular
eine paarweise Entstehung der Symphonien beobachten, nur die Eroica, die Pastorale und
Neunte stehen gleichsam fur sich, sonst paaren sich 1 . und 2M 4. und 5, 7. und 8., indessen
gehen innere Verbindungsfaden auch von der 3. und der 6. zu den umliegenden, von der
9. zu den vorangegangenen Symphonien. Und so stehen auch alle in den andern Kunstzweigen
geschaffenen Werke in Wechselbeziehung zueinander. Dies ist bisher nicht in entsprechender
Weise untersucht worden. Die hier aufgestellten Probleme harren geradeso der naheren Be-
handlung, wie die noch im folgenden aufgeworfenen. Alle Beleuchtungsversuche der For*
schung miissen in der Wiener Klassik, wie gesagt, vom Fokus der Instrumentalmusik aus-
gehen. Am meisten bei Beethoven. Dieser Meister iibertragt sogar die instrumentale Be-
handlungsart auf die vokale, wahrend Haydn und Mozart die Forderungen der Vokalitat
strenge zu wahren suchen und die Vokalkompositionen gesangsmafiig behandeln. Bei Schubert,
dem Liedersanger, ist diese Forderung, eben von den Bedingungen deutschen Liedgesanges
ausgehend, gleicherweise erfiillt. Die Spezialuntersuchungen iiber Oper, Oratorium, Kirchen-
satz sei hier beruhrt : Nach der Einleitung 1 . Gruppe D-Dur 220 Takte, 2. Gruppe B-Dur 100 Takte, Durchfuhrung
(Modulationen) 313 Takte, sodann Einstellung der Haupttonart als Emblem des Wiederholungsteiles mit der
Doppelfuge und der Vereinigung der Texte ,,Freude, schoner Gotterfunke" und ,,Seid umschlungen, Millionen" in
den nachfolgenden Teilen (zusammen 286 Takte) und endlich die Coda (Stretta) mit 97 Takten. Der ganze Bau
im Grundmafi des Goldenen Schnittes: 320 : 696 = 696 : 1016!
Die Wiener klassische Schule
musik, Lied und die kleineren Kunstarten, die in den betreffenden Abschnitten des Hand-
buches angestellt sind (siehe Index), brauchen in diesem allgemeinen, das Wesen der Wiener
klassischen Musik behandelnden Abschnitte, soweit sie nicht schon beriihrt wurden, nicht
welter verfolgt zu werden. Es geniige, hervorzuheben, daB neben der hohen Bedeutung der
Instrumentalmusik der Wiener Klassiker bei Mozart die Oper, bei Haydn das Oratorium, bei
Schubert das Lied in gleiche Linie riickt. Und uberall nehmen wir die Grundqualitaten wahr,
wie sie hier allgemein gekennzeichnet sind: so vollzieht sich in der Oper Mozarts (alle Zweige
umfassend) die Vereinigung von Ernst (seria) und Komik (buff a), das deutsche Singspiel ge-
langt zu einer ersten Hohe, die auch bei aller Eigenart der folgenden Etappen nicht iiber-
schritten wird. ,,Alles ist nach seiner Art" — die jeweilig zur relativen Vollkommenheit ge-
deihenden Opernstile der Folgezeit gewinnen nicht dadurch an Wirkungskraft, wenn man
ihnen von vornherein eine historische Uberstellung einraumen, zuerkennen wollte. Das gleiche
gilt von den zwei deutsch-englischen Oratorien von Josef Haydn, die selbst bei cmer Ver-
gleichsstellung mit den Werken Handels merits an ihrer historischen Bedeutung verlieren —
trotz der teilweise philistrosen, in das Biedermeiersche iibergreifenden Eigenbehandlung der
,Jahreszeiten". Gerade die vollige zeitliche Einordnung der ,,Schopfung" in die Kunst-
anschauung und Kunstbehandlung der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts gewahrt dem
Werke eine vereinheitlichende Insichgeschlossenheit. Wenn Beethoven sich darauf beschrankte,
Eine Oper zu schreiben — trotz alles Suchens und Zurechtlegens anderer Stoffe und Texte
(auch der fur ihn ganz unpassenden romantischen ,,Melusine", von Grillparzer vorgeschlagen,
in Mifiverkennen der hochstpersonlichen Eigenart des Tonmeisters) und trotz der auch mehr
aus aufieren Griinden (selbst in der letzten Periode) hervortretenden Absicht, Oratorien zu
komponieren — so ist dies aus dem Wesen seiner Kunst zu erklaren, wie Beethoven selbst
nach der Komposition der ,,Leonore" ausrief: ,,Nun zuruck zu MEINER Weise"!
In alien Kunstgattungen, wie sie die Wiener Meister pflegten, tritt ein Grundstil hervor,
der bei alien mannigfachen Modifikationen auf dem Wege der Vervollkommnung und
bei der Verwendung und Anpassung in den von ihnen gepflegten Kunstzweigen klar und
deutlich hervortritt und hier in seinen Grundziigen als Erganzung zu den oben erwahnten
stilistischen Kriterien der Schule noch kurz beleuchtet werden soil.
Jede Stilperiode der Mehrstimmigkeit hat ihre eigenartige Fiihrung der einzelnen Stimmen
in ihrem Wechselverhaltnis zueinander. Innerhalb der Stilperioden scheiden sich diesbeztig-
lich Schulen und Meister bei all ihrer Zusammengehorigkeit. So unterscheidet sich auch die
Wiener klassische Schule durch ihre mehrstimmige Setzweise. Nicht als ob sie nicht Ana-
logien in der vorangegangenen Zeit gehabt hatte, auch geanderte Fortfiihrung in den nach-
folgenden Zeiten und teilweise manierierte Nachahmung. Die Wiener Schule ist nicht aus
dem altklassischen Stil der vorangehenden Zeit hervorgegangen, sondern aus einem neben
diesem sich mahlich scheidenden und fortschreitenden : dem galanten Stil. In ihm gab es
eigentlich nur Eine Hauptstimme, wahrend die andern begleiteten. Die elegante Bewegung
der melodiefiihrenden Stimmen war fur die ganze Behandlung bestimmend. Es wurde schon
darauf hingewiesen, mit welch Jeichter" Ware die Klassiker begannen. Die polyphonen
Studien wurden nebenher betrieben, aber es fand sich lange keine richtige Vereinigung
zwischen homophoner und polyphoner Schreibart, beide standen unvermittelt nebeneinander,
wie die erste im 1. Satz, die zweite im letzten (Fugen- oder fugierten) Satz des Instru-
Die Wiener klassische Schule 789
mentalzyklus. Bis ungefahr 1750 waren das Cembalo oder die Orgel Fiillinstrumente, die die
Begleitung gleichsam improvisiert auszufiihren hatte. Die Symphonien von Haydn n. a. ver-
tragen noch bis ungefahr 1770 eine begleitende Ausfiihrung; auBerlich wurde in einzelnen
Fallen der Usus bis in die neunziger Jahre beibehalten, in der traditionellen Kirchenmusik
noch weit iiber diese Zeit hinaus. Wenn ausnahmsweise dieses Akkompagnement schriftlich
ausgearbeitet worden war, wie in gewissen Duos, Trios usw., dann wurde es als ,,obligat"
bezeichnet, d. h. man sollte es so ausfuhren, wie es niedergeschri eben ist. Auf dem Titel
stand dann: ,,Mit obligatem Klavier". Diese Bezeichnung des ,,obligat" wurde auch an-
gewendet, wenn in einem Ensemblestiick ein oder das andere Instrument als notwendig zum
Ganzen gehorig angesehen wurde, wahrend andere ,,ad libitum" verwendet oder wcggelassen
werden konnten — ein alter historischer Brauch. In Sonaten (aller Art), in denen z. B. die
Bafistimme gleicherweise von Klavier und Cello, oder die Oberstimme von Klavier und
Geige vorgetragen wurde, konnte Cello oder Violine eventuell wegbleiben. Manche Friih-
kompositionen der Klassiker haben solche Behandlung. Wenn dagegen die Stimme als zum
Wesen der Komposition gehorend angesehen werden sollte, wurde ein ,,obligato" beigefiigt,
wie z. B. Beethoven noch 1796/97 seiner Sonate op. 5 fiir Klavier und Cello den Titel gibt:
,,Pour Clavecin avec un Violoncello oblige" Dieses Wort hatte und hat mcht die Bedeutung
der Fiihrung der betreffenden Stimme im obligaten, reell kontrapunktischen Stile; sie kann
stellenweise so gehalten sein. In den spateren Violoncellsonaten hat Beethoven diesen Bei-
satz nicht gemacht (op. 69 1807/08, op. 102 1815). Er war ganz uberflussig geworden. In
den Divertimenti, in Quartetten, Symphonien war dieser Beisatz iiberhaupt gegenstandslos ge
worden, sobald die Zusammengehorigkeit sich aus der Satzfiigung von selbst als notwendig
ergab. Es entstand ein neuartiges Wechselverhaltnis der Stimmen, in dem die Begleitung
so ausgearbeitet wurde, dafi kein Teil aus ihr ohne Schadigung, ohne Vernichtung des Ganzen,
genommen werden durfte. Die ganze Begleitung wurde in dem neuen Sinne obligat und
deshalb riihmt sich Beethoven in einem Briefe von 1803, dafi er ,,mit einem obligaten Ak
kompagnement auf die Welt gekommen sei", doppelsinnig zu deuten; I. seine Kompo-
sitionsweise, hervorgegangen im Anschlufi an diese Ubung, zu deren Hauptvertretern die
beiden Meister gehorten, denen er sich angeschlossen hatte; 2. ihm ist diese Schreibweise
gleichsam angeboren, seiner Uranlage entsprechend. In der Jugend schrieb er neben seinen
doppelbeinigen fehlerhaften Ubungsfugen Stiicke im einfach galanten Stil und suchte sich
der damals schon hoch ausgebildeten Schreibart des obligaten Akkompagnements zu nahern
— mit Miihe und Ausdauer gelang es ihm.
Dieses obligate Akkompagnement war demnach nicht fertig aus dem Haupte des Zeus
wie Minerva entsprungen, sondern in langer Entwicklung herangereift, mehr oder wenigerals
Kind der Renaissance, zu deren weitumfassender Stilperiode auch die Wiener klassische Schule
mit einbezogen werden kann. Zu diesem Ausbau hatten schon vor den Vormeistern der Wiener
Klassiker, vor der norddeutschen Symphonic, den Italienern der gleichen Zeit, vor den Mann-
heimern einige Kiinstler des 17. Jahrhunderts beigetragen, so z. B. der hochbegabte Reinhard
Keiser, der als ,,Mozart" des 17. Jahrhunderts bezeichnet wird. Auch bei den Hochmeistern
der Barocke finden sich in den auBerpolyphonen Formen Ansatze und Analogien. In der
Wiener Schule wachst vorziiglich aus dem improvisierten Akkompagnement der ausgearbeitete
Satz heraus. Das Wesen des neuen obligaten Akkompagnements besteht dann, dafi das Verhaltnis
Die Wiener klassische Schule
der Stimmen zur Hauptmelodie das des Akkompagnements ist. Die Begleitung ist ,,obligat"
nick im Sinne einer ausschliefilich oder vorwiegend obligaten Fiihrung der Stimme, sondern
im Verhaltnis der Unter- resp. Beiordnung, Alle Stimmenverhaltnisse sind zugelassen. Die
Betonung des zusammengesetzten Wortes der beiden verbundenen Worte, Beiwort und Haupt-
wort, liegt auf dem Hauptwort, allein das ,,obligat" ist die Seele des Korpers. Alle Stimm-
vereinigungen sind zugelassen im Dienste dieser Stilbehandlung. Es ist aucK gleichgiiltig, ob
die Hauptmelodie in der Oberstimme liegt, oder ob sie jeweilig auf andere Stimmen des Ver-
bandes iibergeht, ob sie gar partikelweise verteilt Jst (durchbrochener Stil, vgl. meinen ,,Stil
in der Musik" I, S. 268 ff., Beispiele: 1. Satz der C-Moll-Symphonie von Beethoven, Quartett
B~Durop. 130, Andante),
Die akkompagnierenden Stimmen erheben sich von den niederen Graden der Begleitung
bis zur fast ideellen Gleichstellung mit der Hauptmelodie: von den Trommel-, Pauken-, den
Murki-, Alberti-, Gitarrenbassen, den Tremoli und Akkordschlagen, den zerlegten Akkord-
figurierungen, Ornamentierungen aller Art, in mannigfachsten Bewegungsarten auch mit
Verwendung von rhythmisch belebenden Synkopen und Pausen, also von Trabanten-
stimmen bis zu voll verselbstandigten Nebenstimmen. Einerlei ob homophon, ob poly-
phonierend, ob stellenweise fugato oder fugiert oder in welcher Nachahmungsart, ob in Ober-
Mittel- oder Unterstimmen. Obligates Akkompagnement ware mit deutschen Worten als
,,selbstandig ausgebildete Begleitung" zu bezeichnen, da mit der fortschreitenden Ausbildung
des Verfahrens die Verselbstandigungen immer zunehmen. Um 1780 (1782) ist das Prinzip
der Vereinigung der Setzarten unter diesem Begleitschein gewonnen und gefestigt, die Wiener
klassische Schule ist im bliihenden Gange, alle Stimmen konnen sich mehr oder weniger frei
ergehen, ohne die Vinkulierung (Fesselung) der Obligatheit nach aufien. Alles zielt auf eine
von der Hauptstimme verschiedene Bewegung, wenngleich die Nebenstimmen in einer Art
Dienstverhaltnis zu der oder den Hauptstimmen stehen. Ein fortwahrender Wechsel der
Stimmbeniitzung und Ausfiihrungsarten, ein Sichumschlingen in der Stimmfuhrung mit dem
eifervollen Bestreben nach Anteilnahme an der Gedankenfuhrung. Einerlei, ob von oben, von
unten, von der Mitte beginnend, unendlich abwechslungsreich in der Verwendung der Mittel,
eine schier uniibersehbare Variability. Alles zur rhythmischen Belebung. Wenn ,,ein teutscher
Biedermann" 1779 in seinen ,,Wahrheiten, die Musik betreffend" (zitiert von G. Schunemann
in ,,Geschichte des Dirigierens", S. 173) sagt: ,,Da die Melodie mit alien moglichen Zieraten
nichts weiter ist, als das ausgezierte Dach am Hause, die Zusammenstimmungen eines Stiicks
aber allemal die Gedanken desselben ausmachen und ein ganzes Gebaude vorstellen ..,*', so
ist darin anerkannt, welche Wichtigkeit diese ,,Zusammenstimmungen" der Nebenstimmen
haben, indem eigentlich sie als das Gebaude angesehen werden. Die klassische Wiener Schule
hat das oberste Bestimmungsrecht der Hauptmelodie gewahrt, auch wenn sie partikelweise in
den Verlauf der ,,Zusammenstimmungen" eingeordnet ist. Auch dort, wo zwei oder drei
Hauptstimmen sind, wie z. B. in den Doppel- und Tripelkonzerten, in Duetten und Ensemble-
satzen der Oper, in konzertierenden Stiicken aller Art, wo sich die Stimmen konzertant um-
schlingen, treten die gleichen Begleiterscheinungen auf. Die konzertante Stimmfuhrung fur
sich ist auch nichts weniger als streng obligat: Terzen- und Sextengange wechseln mit poly-
phonierenden, imitatorischen und rein harmonischen Stellen. Diese Schreibart wurde ganz-
lich von dem ,,obligaten Akkompagnement" absorbiert, um so leichter, weil sie auch ganz auf
Die Wiener klassische Schule 79!
harmonischer Basis beruhte, wie schon J. A. Scheibe von ,,konzertierender Harmonic" spricht.
Wahrend in den ersten Stadien der Wiener klassischen Schule konzertierende Stimmen sich,
bemerkbar machen und die Meister manchmal besonders aus personlichen Riicksichten solche
selbstgefallige Hervorhebung eines Vortragenden begiinstigten, wie selbst noch in den Quar-
tetten, die von Haydn (1787) und Mozart (1789/90) dem violoncellospielenden Konig Friedrich
Wilhelm II. gewidmet sind, macht sich immer mehr auch in den mit orchestraler Begleitung
verbundenen Solostlicken, wie in den Konzerten, eine innigere Verbindung der Solostimmen
mit den andern Stimmen bemerkbar, die bei Mozart und gar bei Beethoven zur volligen Gleich*
stellung, zur innigen Verbindung von Ripieno und Solo fiihrt — auch eine Folge des konse-
quenten Ausbaues des obligaten Akkompagnements.
Alles war erfullt und durchleuchtet von thematisch-motivischer Arbeit, die im organischen
Zusammenhang mit der Variation die hochste Kronung der neuen Stilart bedeutet. Deshalb
ist es begreiflich, da6 die von Haydn 1781 betonte neue Schreibart von der modernen For-
schung vorerst auf diese Behandlung eingestellt wurde, wahrend die motivisch-thematische
Arbeit nur em Teil, em Glied, ein Mittel des neuen Stiles war. Auch nicht der kontrapunk-
tischen Behandlung, der imitatorischen Faktur kommt diese Rolle zu. Mit der Vertiefung in
die Werke der Meister der Hochbarocke gewannen diese Mittel wohl erhohte Bedeutung,
nicht etwa nur als Einschubglieder in den Verlauf der Sonatensatze oder Rondos odcr der
sonstigen Formen, sondern gerade durch Belebung der Stimmbehandlung im Rahmen des
obligaten Akkompagnements, so wenn ,,ein Thema gleichsam kontrapunktisch entsteht, aus
mehreren imitierten Einsatzen ein und desselben Motivs, die aber niemals wirklich polyphon
aufzufassen sind, sondern blofi rhythmisch oder harmonisch ausfiillend", oder ,,wenn sonst
kanonische Nachahmungen in untergeordneten Stimmen als rhythmische Belebung eingesetzt
werden", nicht nur bei Beethoven (Hans Gal, Wiener Dissertation ,,Die Stileigentiimlichkeiten
des jungen Beethoven" in ,,St. Mw." IV), auch bei alien andern Wiener Meistern. In dem
fugierten Sonatensatz der Zauberflotenouvertiire wird das Thema im BaB zu einer Begleit-
stimme im Sinne dieses Stiles, der grazil leichtschwebend, leJchtfliissig behandelt wird. Selbst
dort, wo strenger Kontrapunkt verwendet wird, vermogen ihm die Wiener Meister die Schwere
zu nehmen. Dies geschieht unter der Einheitsvorstellung des obligaten Akkompagnements.
Haydn und Mozart haben den Kontrapunkt auch zu heiteren Scherzen verwendet, nie ins Ba-
nale ausartend. Die Meister bereicherten mit solchen Mitteln den aufieren und inneren Ver
lauf. Mozart hat in diesem Sinne sein Vollendetstes in den Quintetten erreicht (nebst
etwa im Schlufisatz der grofien C-Dur-Symphonie). Er hat sich in diesen Quintetten (wie
Abert I, 393 sagt) an die im Divertimentocharakter gehaltenen Quintette von Michael Haydn
angeschlossen. Nur wird in der Literatur noch immer der ,,kontrapunktische Stil" dieser
Schreibart von dem ,,homophonen" schroff geschieden, wahrend, wie hier erwiesen wird, die
mehrstimmige Behandlung unter einem Gesichtspunkt zusammengefafit werden mufi. Es ge~
niigt nicht, zusagen: ,,im bekannten kontrapunktischen Sti!", denn mittels kontrapunktischer
Mittel ist hier etwas anderes, Neues, Eigenartiges entstanden. Wenn Beethoven in den Quar-
tetten seiner letzten Periode innerhalb der Wiener klassischen Schreibart den ausgedehntesten,
intensivsten und kompliziertesten Gebrauch von diesen Mitteln macht und nebst ihrer Ein-
ordnung in die Hauptformen kontrapunktische Gestalten als Eigengebilde in Uberordnung
einsetzt, so entfernt er sich dadurch gewissermaBen von der Grundeigenart der Wiener klassi-
792 Die Wiener klassische Schule
schen Schule, wie in der groBen B-Dur-Quartettfuge op. 133, die vorerst als Schlufisatz von
op. 130 gedacht war und so auch zum erstenmal am 2. Marz 1826 aufgefuhrt wurde, aber
durch Zusprechen von Leuten, die der Wiener klassischen Tradition anhmgen (auch vom Ge-
sichtspunkt des Verlegers der Wiener Kunstware), durch ein neues ,, Finale" ersetzt
wurde, das der Wiener Klassik voll entsprach. Bis heute ist die grofie Quart ettfuge, eigentlich
Fugenvariationen mit Sonatensatzeinschlag, eine Ausnahmserscheinung im praktischen Kunst-
leben und von der Produktion der nachfolgenden Zeit noch nicht verarbeitet. Sie gilt als
Monstrum und findet trotz ihrer Freiheiten im Satze nicht einmal die Wiirdigung der Mo-
derne, die sich noch ganz andere Freiheiten und Ungebundenheiten gestattet.
Bei der Kennzeichnung des obligaten Akkompagnements der Wiener Schule smd noch zwei
Momente hervorzuheben : das koloristische und (das fur die wahre Kunst wichtigste) das
seelische. Die Verteilung und das Zusammenwirken der Stimmen vollzieht sich allenthalben
mit Riicksicht und mit Hilfe der klanglichen Farbung. Selbst bei Klavierstiicken sind Stimm-
einsatze verwendet mit besonderer Riicksicht, mit besonderer Absicht auf eine bestimmte
Klangfarbung. Dies gilt von alien Meistern, am bestimmtesten bei Beethoven. Die Begleit^
arten werden vom klanglichen Standpunkt aus gewahlt, eingesetzt und gewechselt. Die Eman-
zipation der Viola und des Fagotts von der Bafistimme, wie sie in den Vorstadien der Wiener
Schule eingeleitet wird und in dieser zu voller Entfaltung gelangt, die Verselbstandigung der
2. Violine gegeniiber der ,,Prinzipalstimme" im Quartett- und Orchestersatz, die Eigenstellung
der Viola gegeniiber Violoncell und 2. Violine vollzieht sich im obligaten Akkompagnement
auch mit koloristischen Absicht en. Die Mozartsche Bevorzugung zweier Violen im Quint ett
gegeniiber den 2 Cellis von Boccherini wird sowohl vom Standpunkt der Stimmfiihrung wie
der Koloristik getroffen. Die Gegeniiberstellung lustiger, weicher, festlicher Stimmungen an
ein und derselben Stelle vollzieht sich in den Nebenstimmen durch eigenartige Fuhning wie
durch klangliche Farbung (Wahl der betreffenden Instrumente, z. B. lustig mit Geige, weich
mit Oboe, festlich mit Trompete). Klangschattierungen, wie Tremolo, Pizzicato u. a. haben
die geeignete Wahl der Stimmbehandlung und Stimmfiihrung innerhalb des grofien Rahmens
des obligaten Akkompagnemets zur Folge. Ein Musterbeispiel der Verteilung der Begleitungs-
arten aus klanglichen Griindcn zur Kennzeichnung der Situation ist das auf S. 731 gebrachte
Beispiel der Begleitmusik des Gefildes der Seligen in Glucks ,,0rfeo" — wenn man will, rein
homophon, vielleicht mit Hinblick auf die seelische Harmonie, vielleicht aus dem Unvermogen
des Meisters, kontrapunktische Mittel weder im Sinne des alten noch (noch nicht) Jm Sinne
der neuen Schule verwenden zu konnen — an sich ein bestrickendes Stuck. Und da sind wir
beim letzten Punkt der Erorterung angelangt. Das ganze obligate Akkompagnement ware eine
taube Nufi, wenn es nicht die seelische Belebung bezweckte und erfiillte. Ob Ruhe in alien
Begleitstimmen (gehaltene Akkorde in Wechselbeziehung der Klanggruppen), ob Bewegung
einzelner oder aller Stimmen, ob Ruhe in einzelnen bei Bewegung in andern Stimmen — alle
Begleitempfindungen (Ausdrucksarten, die sich in den Begleitstimmen mitteilen) miissen in das
Bestimmende, in das Gefiihl der Hauptmelodie sich einordnen, auch erganzen oder sogar
die Konflikte der Strebungen kennzeichnen. Es begiinstigt Mischung der Gefiihle im Wiener
klassischen Sinne viel mehr, als dies im alteren Stile moglich war, in dem jeweilig vorziiglich
,,une tenure", Eine Stimmung vorwaltete, herrschte, bestimmend war. Wie sich in den
Themen diese Verbindung vollzieht, so m den Nebenstimmen. Die Untermalung wird so
Die Wiener klassische Schule 793
bewerkstelligt. Nebenakzente warden zu den Hauptakzenten gesetzt, Antreibungen, Aneife-
rungen, Beunruhigungen, Abweisungen, Abschwachungen und Hemmungen, wiegende und
sonstige Bewegungen aller Art — ein Hiniiberwogen, wie es das bewegte Seelenleben wider-
spiegelt. In der Hauptmelodie liegt die Zentralisation des vorherrschenden Gefuhlswesens,
in den Begleitstimmen die Ausfiihrung und Auseinandersetzung des Gefahlsprozesses. In
dieser Beziehung hatte das obligate Akkompagnement einen guten Vorlaufer im obligaten
Rezitativ (richtiger Recitative obligate), bei dem die Begleitung den leidenschaftlichen Gehalt
des in melodischem, melismatischem Sinne gehobenen Rezitativgesanges erganzte und zu er-
fiillen trachtete. Bei voller Ubereinstimmung aller Stimmen im mehrstimmigen Verbande
(wie auch im obligaten Rezitativ) wird ein Kunstmittel verwendet, das gleichsam als Erganzung,
als Supplement, oder als Gegensatz oder zur Kennzeichnung besonderer Stimmungsarten
dient: das Unisono, das Oktavieren — am meisten von Beethoven begiinstigt. Wahrend es
im alten klassischen Stil eine seltene, sehr seltene Ausnahme ist, bedient sich die Wiener
Schule dieses Mittels zu verschiedenen Ausdruckszwecken, sowie zum Wechsel der Behand-
lung im obligaten Akkompagnement, sogar in der Kirchenmusik. Themen treten so auf, oder
es schliefit auf diese Weise eine Gruppe, gleichsam die Stimmen (und die Stimmung) zu-
sammenraffend, dann wieder, um die Urkraft und Uberzeugungsstarke einer Weise zur vollen
Geltung gelangen zu lassen (wie das ,,Seid umschlungen, Millionen"), um sodann dieselbe
Weise mittels des obligaten Akkompagnements reich auszustatten und erst recht zum Aus-
druck gelangen zu lassen. Dieses Unisono gehort als eine Art Gegenmittel in die Gesamt-
behandlung der mehrstimmigen Stimmfiihrung.
Noch manche Kriterien waren bei dieser Zusammensetzung der Stileigentiimlichkeiten der
Wiener Schule zu erortern. Teilweise konnen sie als in zweiter und dritterLinie stehend hier
iibergangen werden, wenngleich ein jedes von Wichtigkeit ist, teilweise fehlen Vorarbeiten,
wie dies auch bei dem oben behandelten Problem der Fall ist. Bisher hat die Forschung
sich nur mit Untersuchungen iiber einzelne Meister beschaftigt und wie im Zufall
auf Gemeinsamkeiten der Schule und auf kiinstlerische, technische Beziehungen einzelner
Meister untereinander hingewiesen. Von dem wichtigen methodischen Mittel statistischer
Zusammenstellungen wurde bisher fast gar kein Gebrauch gemacht. Allein die methodische
Forschung ist in stetem Fortschritt begriffen. Und so wird die Synthese nach der Analyse
mit erhohter Sicherheit eingreifen konnen. Manche intuitive Erfassung in derLiteratur wird
in der Folge exakt begriindet, fundiert, mancher Irrtum aufgedeckt werden.
Zu den unsichersten Partien der Forschung gehort das Verhaltnis von Klassik zur Romantik,
das Erstehen der Friihromantik in der Tonkunst. Wie allenthalben beim Hohenzuge einer
Stilrichtung die Keime einer neuen sich regen und langsam entfalten — wir sahen, wie neben der
Hochbarocke die galante Schreibart Wurzel schlug und sich ausbreitete — , so war es auch
bei Klassik und Romantik der Fall. Philipp Spitta sagt, dafi jede Musikperiode ihre eigene
Romantik habe und weist besonders auf einzelne Ziige bei Bach hin. Die Grundziige der
Romantik in Beziehung auf Musik und das musikalische Drama suchte ich im 2. Kapitel
meines Wagnerbuches zusammenzufassen. In jedem der Klassiker steckt ein Stiick Romantik,
und darum haben Schriftsteller, die ihr Augenmerk gerade darauf gerichtet hatten, diese in
Pausch und Bogen zur Romantik einbezogen. E. T. A. Hoffmann tut dies mit Hinweis auf das
Generalargument, dafi ,,die Instrumentalmusik die romantischeste aller Kiinste" sei. Er selbst
794 D*e Wiener klassische Schule
war in der Musik ein Adept Mozarts und schaukelte sachte in das romantische Fahrwasser.
Eine ganze Reihe von Komponisten schwankte zwischen Klassik und Romantik. Von den
Klassikern hat Mozart am starksten und nachhaltigsten auf die musikalische Romantik ein-
gewirkt. Einzelne Werke enthalten Grundeigenschaften der Romantik, so die G-Moll-Sym-
phonie. Man iibersehe aber nicht, dafi sie zwischen der Es-Dur- und C-Dur-Symphonie steht.
Mozarts Neigung zu Koloristik, seine Modulation, die, je weiter er fortschreitet, immer mehr
Medianten beniitzt, die Beethoven wohl von ihm libernimmt, Mozarts Begiinstigung ungerader
Rhythmen u. a. erklaren die Anlehnung der Anhanger und Vertreter der romantischen Richtung.
Das Thema der G-Moll-Symphonie und das 2. Thema des Klarinettenquintetts sind gleichsam
Heroldsrufe der Romantik. Und doch blieb er auf dem Boden der klassischen Grundveste in
Form undMitteln. Wenn Beethoven, wie aus Skizzen zu Symphonien der Spatzeit hervorgeht,
Vermehrung des Apparates, nahere Verbindung der Satze (,,das Adagio in gewisser Weise im
letzten Stuck wiederholt") anstrebte, ,,griechischen Mythos und Cantique ecclesiastique,
Feier des Bacchus", vertonen will, so sind darin entschieden romu itische Elemente vertreten.
Allein auch er blieb bis zu seinem letzten Werk auf klassischem Boden stehen, und seine Per-
sonlichkeit gehort, wie wir sehen, der klassischen Schule an, wenngleich die Zeit sich gewal-
tig geandert hatte. Romantische Stoffe lagen ihm, wie wir sahen, fern, auch sein ,,Erlkonig"
blieb Entwiirf. Um ihn herum erbliihte die Ballade, eine musikalische Grundform der Ro
mantik, erstanden die kleinen instrumentalen Gebilde, die ins romantische Fahrwasser steuerten,
wahrend er mit seinen ,,Bagatellen" auf klassischem Boden blieb, ebenso wie in seinen Ouver-
tiiren, trotz einzelner formaler Abweichungen. Die programmatischen Seitenspriinge anderten
nicht seine kiinstlerische Physiognomic. Nie stellte er Farbenreiz iiber Linienfiihrung. Wenn
Schubert in kindlichem Schwarmeifer fast grenzenlos ausgedehnte Klavierfantasien schrieb,
wie im 14. Lebensjahre (1811) die ,,Leichenfantasie" iiber Schillers Jugendgedicht, so kon-
zentriert sich und kondensiert sich seine Formgebung im Lied zu klassischer Vollendung,
gerade geleitet von Goethes Gedichten. In Symphonie und Kammermusik sind die Klassiker
seine Wegweiser, und nur die Neigung zur Redseligkeit und zur Verwendung von Liedgebilden
in Transposition lockerten seine Formgebung. Zwei Seelen wohnten in seiner Brust. Bei den
drei grofien Klassikern ist der romantische Zug nur ein Nebenzug, der das Grundwesen nicht
alterieren konnte. Von den klassizistischen Manieristen, die die Klassiker umgaben, und
ihnen nachfolgten, verfielen manche dem romantischen Zauber, wenngleich ihnen versagt
blieb, die blaue Blume in dem Reiche der Tonkunst zu finden. Und so lafit sich der Zeitraum
von 1810 (1815) bis 1827 (1828) in zweifacher Weise fassen: erstens mit Riicksicht auf die
Personlichkeit Beethovens, zweitens mit Hinblick auf die Eigenentfaltung der Romantik in
Ballade, Oper, kleinen Instrumentalformen und auf die erwahnten Stilqualitaten. Erst in einer
spateren Zeit machte sich der EinfluB Beethovens voll geltend. Seine letzten Werke brauchten
etwa zwei Generationen zur ebenbiirtigen Einbiirgerung und Auffiihrung, zur Einarbeitung
in die Produktion. Haydns Quartett- und letzte Symphoniekompositionen (aus den neunziger
Jahren) lebten sich am raschesten ein. DieAuswirkungen der Wiener klassischen Schule mach-
ten sich in alien Landern geltend. Kein musikalisches Kulturvolk konnte sich ihrem Einflufi
entziehen. Bei jeder der nachfolgenden Schulen und bei jedem Kiinstler aus spaterer Zeit
zeigt sich schon eine Seite der Eigenart darin, wie sie sich zur Wiener Schule einstellen. Das
reine Wiener Licht bricht sich wie im Durchgang durch ein Prisma in die verschiedensten
Instrumentalmusik von 1750 — 1828 795
Farben und unabsehbaren Farbennuancen. Ihre Grundform (Sonatensatz) ist wohl erweitert,
alteriert, besonders durch Einbeziehungen von Durchfiihrungen in fast alle Teile und Ab-
schnitte modifiziert, allein noch steht die Grundveste, noch halten die klassischen Typen stand.
Damit soil nicht die Behauptung aufgestellt werden, daB diese ein Kanon far alle Zeiten seien.
Das Feldgeschrei mancher Modernen, die klassische Schule mtisse iiberwunden werden,
scheint zu verstummen. Allem wenn auch, was an sich nicht zu verwerfen, sondern zu be-
griiBen ware, neueFormen, neue Ausdrucksarten von Bestand gewonnen werden — der Ewig-
keitswert der klassischen Formen und Mittel bleibt bestehen. Der asthetische, ethische, psy-
chische Gehalt ist in den vollendeten Werken von Dauergeltung. Ihr rein Menschliches ist
unverganglich.
Guido AdleT
INSTRUMENTALMUSIK VON 1750-1828
Im AnschluB an die von Guido Adler vorgenommene Festsetzung der Wiener klassischen
Schule von 1780—1810 (resp. 1815) (vgl. S. 768 ff.) konnte der Zeitraum, der die Entwicklung
der Instrumentalmusik von 1750 — 1828 umfaBt, in folgende 4 Gruppen eingeteilt werden:
I. Die vorklassische Ubergangszeit (bis zirka 1760), II. die friihklassische (zirka 1760 — 80),
III. die hochklassische Zeit (von zirka 1780—1810) und IV. die Friihromantik (zirka 1810
bis 1828).
I. Wahrend der altklassische Stil in den Meisterwerken Bachs und Handels seine hochste Voll-
endung fand, arbeitete in samtlichen Musikzentren Europas eine grofie Zahl kleinerer Talente
bereits an der Schaffung neuer Ausdrucksmittel im Dienste neuer Inhaltsideale. Mit Recht
hat man Rousseaus Parole ,,retour a la nature" (Riickkehr zur Natur) als die Signatur dieser
Bestrebungen bezeichnet. Die polyphone Schreibweise und ihre Formen, aber auch der hone
Stilisierungsgrad der homophonen Formen der Barocke, mit einem Wort: das hohe Pathos der
alteren Kunst, das bei kleineren Meistern oft genug hohl und auBerlich ausfiel, all dies sollte
einfacherer, natiirlicher Empfindung und Formgebung weichen. Eines der wichtigsten Mittel
barocker Stilisierung war die Entwicklung ausgedehnter Satze aus kurzen melodischen Gebilden,
bei polyphoner Schreibweise mittels der Imitation, bei homophoner auf dem Wege der Se-
quenzierung ; anders ausgedriickt: die Festhaltung eines Rhythmus durch eJnen ganzen Satz,
das Fehlen rhythmischer Kontraste innerhalb eines solchen, die Beschrankung auf den Kon-
trast zwischen verschiedenen Satzen der zyklischen Komposition. Das Aufgeben der kunst-
vollen Weiterfiihrung des Kopfthemas erforderte demnach fur einen ausgedehnteren Satz die
Einburgerung von Kontrasten, die wichtigste Vorbedingung fiir die Entwicklung der So-
natenf orm. Die Geschichte der vorklassischen Ubergangszeit ist also, was die Kompositions-
technik anbelangt, die Geschichte der Sonatenform, die ja zur Leitform des Wiener klassischen
Stils wird, da sie auch auf Konzert und Ouvertiire iibergreift. Inhaltlich herrscht im all-
gemeinen, wie begreiflich, eine fast kindliche Naivitat vor; nur sehr wenige Ubergangsmeister
haben etwas vom Ernst der vollendeten Barockkunst in ihre Werke hiniibergerettet oder
den ,,Sturm und Drang" der gleichzeitigen Poesie in Tone zu bannen gewufit.
51 H. d. M.
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
Die Sonatenform, die zyklische sowie die des Einzelsatzes, ist also das Ziel der kompositions-
technischen Entwicklung, undso empfiehlt es sich, zwecks richtiger Wertung ihrer Vorformen
und einzelnen Entwicklungsstadien, ihre Struktur in den Grundzugen vorgreifend festzustellen.
Urn 1770 weisen die mehrsatzigen Werke, vom Streichquartett aufwarts, die viersatzige Form
auf, Allegro — Andante — Menuett mit Trio — Allegro. In den kleineren Ensembles (Kla-
viersonate bis Klavierquartett) herrscht fast ausnahmslos Dreisatzigkeit, wobei das Menuett fehlt
oder Finale resp. Mittelsatz bildet. Eine Sonderstellung nehmen die Divertimenti (Serenaden,
Notturni, Kassationen) ein, welche die Viersatzigkeit durch Aufnahme von zwei oder mehr
Menuetten und langsamen Satzen bedeutend iiberschreiten. Das erste Allegro ist stets nach
der Sonatenform im engeren Sinne gebaut. Der Satz besteht aus 3 Teilen: Exposition,
Durchfuhrung und Reprise, und zeigt ein festes Schema der melodischen und modulatorischen
Gliederung. Die Exposition (wie die der Fuge derjenige Teil, der das melodische Material
des Satzes aufetellt), beginnt mit dem Hauptsatz, einer mehr oder weniger geschlossenen Me-
lodie in der Grundtonart, dann ftihrt die Uberleitungsgruppe, eine Sequenzkette kleinerer
oder grofierer Ausdehnung, zur Seitentonart (in Dur die Dominant-, in Moll die Parallel-
tonart), in welcher der melodisch kontrastierende Seitensatz erscheint. Der Hauptsatz ist
meist energischen, der Seitensatz lyrisch-kantablen Charakters. Eine an Beweglichkeit oft auf
die Uberleitung zuriickgreifende Schlufigruppe, der Epilog, beendet die Exposition in der
Seitentonart. Nun folgt die Durchfuhrung, die ihren Namen deshalb fiihrt, weil sie das me
lodische Material der Exposition in anderer, neuerWeise verarbeitet. Oft genug freilich liegt
der Exposition gegeniiber nur eine veranderte Modulationsrichtung bei ganz gleichartiger
melodischer Entwicklung vor; die Durchfuhrung beginnt dann mit dem Hauptsatz in der
Dominant- (bei Moll in der Parallel-) tonart und moduliert mit Hilfe der Uberleitungsgruppe
zur Parallele der Grund-, Dominant- oder Subdominanttonart (bei Moll zur Dominanttonart),
wo der Epilog der Exposition nachdriicklich abkadenziert. Nun setzt unmittelbar oder nach
einer aus der Uberleitung entwickelten Riickleitungsgruppe die Reprise in der Grundtonart
ein. Diese gleicht melodisch vollig der Exposition, vermeidet aber natiirlich die Modulation,
was zu einer Veranderung der Oberleitung fiihren mufi; Seitensatz und Epilog treten also in
der Grundtonart auf. Eine durch Anfiigung einer schlufibekraftigenden Gruppe, durch Er-
weiterung des Epilogs oder durch Wiedereinfiihrung des Hauptsatzes gebildete Koda kann
den Sonatensatz abschlieBen. Die namliche Form kann auch in Andante und Finale herrschen,
doch zeigt das letztere oft Rondoform, der langsame Satz oft die Form der Romanze (Da-capo-
Form mit kontrastierendem Mittelsatz); Menuett und Trio werden dreiteilig mit vollstandiger
Reprise, aber ohne melodische Kontrastpartien geschrieben.
Es ist klar, da6 der eben geschilderte zyklische und Einzelsatztypus seine Wurzeln in zahl-
reichen altklassischen Formen hat. Die zyklische Anordnung geht auf die neapolitanische
Sinfonia (Allegro — Andante — Allegro) zuriick, die allmahliche Einbiirgerung des Menuetts
ist spater zu behandeln. Die ,,Sonatenform" des 1 . Satzes verdankt ihre Entstehung den ersten
Allegri der neapolitanischen Symphonien, den Tanzformen und den Vivaldischen Konzert-
satzen und ihre erste Entwicklung erfolgte auch tatsachlich innerhalb der neapolitanischen
Schule. Der Aufbau der ersten Symphonieallegri wurde schon gelegentlich der Besprechung
des Scarlattischen Vorspieltypus geschildert: modulatorische Dreiteiligkeit nach dem Schema
T — D — P — T in Dur und T — P — D — T in Moll bei gleichartiger melodischer Anlage aller
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
797
drei Abschnitte (Beginn mit dem gleichen Kopfthema, sequenzierende Fortspinnung und Ka
denz). Damit sind Exposition, Durchfiihrung und Reprise deutlich vorgebildet, sowohl mo-
dulatorisch, als in ihren melodischen Beziehungen. Ziemlich gleichzeitig machen sich nun
(im 1 . und 2. Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts) die Einfliisse der Tanzform und des Konzertes
geltend. Dem Suitensatz wird die (durch das Repetitionszeichen angezeigte) Wiederholung
der Teile entnommen, wobei zweiter und dritter Abschnitt als ein Teil zu wiederholen sind :
//:T — D ://:D — P — T ://; dies fiihrt oft dazu, den dritten Abschnitt wie in der Tanzform
nur als rikkmodulierenden Anhang des zweiten zu behandeln, die Reprise also unvollstandig
anzulegen. Mit der Einfiihrung der Teilrepetitionen geht die Erweiterung der Dimensionen
Hand in Hand und damit auch gelegentlich die Aufnahme kleiner Epiloggruppen in Exposition
und Reprise, die allerdings nur in der melodischen Linie, nicht rhythmisch gegen Kopfthema
und Fortspinnung kontrastieren. Wirkliche, auch rhythmische und klangliche Kontraste ver-
dankt die Sinfonia dem Konzert. Unter dem Einflusse dieser Form wird den als Tutti in-
strumentierten Gruppen des Hauptsatzes (wie man das Kopfthema vorgreifend nennen kann)
und der Fortspinnung eine melodisch neue Gruppe in zarter Instrumentierung und piano an-
gehangt, worauf sich der Schlufi der Fortspinnung wiederholt. Diese neue Episode ist also
von gleichartigen Tuttiabschnitten eingeschlossen, mithin nicht Schlufigruppe, und kann be-
reits als ,,Seitensatz" bezeichnet werden. Die Fortspinnung wirkt unter diesen Verhaltnissen
als „ Uberleitung", ihr nach dem Seitensatz wiederholter SchluB als ,,Epilog". Aber auch der
zweite Hauptteil der Form, die Durchfiihrung, empfangt vom Konzert wichtige Anregungen,
meist in der Weise, dafi aus Hauptsatz und andern Expositionsgruppen ein neues melodisches
Gebilde zusammengestellt und mehrmals sequenziert wird. Dann folgt die hergebrachte Ka-
denz in einer nahverwandten Molltonart, worauf die Reprise unmittelbar oder nach einer
klemen Riickleitung zur Grundtonart eintritt. Dieses Entwicklungsstadium, welches bereits
alle charakteristischen Formelemente aufweist, ist schon um 1 720 erreicht ; die Sinfonia der 1 72 1
komponierten Oper ,,Pallade trionfante" von Francesco Conti (1682 — 1732, Hofkomponist
in Wien) zeigt alle eben behandelten tormalen Eigenschaften des ersten Allegro: Hauptsatz
(in B-Dur) — Uberleitung zur Dominanttonart F-Dur mit Kadenz darin — Seitensatz —
Schlufi der Uberleitung als Epilog in F-Dur — sequenzierende Durchfiihrung iiber eine aus
Haupt- und Seitensatz zusammengestellte Gruppe (F-Dur — G-Moll — D-Moll) mit Kadenz
in D-Moll (Dominantparallele) und Riickleitung zur Grundtonart — vollstandige, wenn auch
etwas zusammengedrangte Reprise in der Grundtonart.
Obcrlcitung
Allegro
798
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
Seitensatz
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Durchfiihrung
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Wie das Notenbeispiel zeigt, kontrastiert der Seitensatz auch tonartlich, da er in der Moll-
tonart der Dominante steht; dieser Zug ist fur die alteren neapolitanischen Seitensatze ge-
radezu typisch. Trager der geschilderten Entwicklung der Sonatenform sind neben Alessandro
Scarlatti selbst seine direkten oder indirekten Schiller Francesco Feo (ca. 1685 bis nach 1740),
NicolaPorpora(1686— 1766), Leonardo Vinci (1690— 1732), Leonardo Leo (1 694— 1744) u. a.
sowieMeneghetti (um 1717) und Francesco Maria Ver acini (1721) in ihren Violinsonaten.
Bei einzelnen Meistern, z. B. bei Antonio Caldara, wird der Einflufi Vivaldis so iibermachtig,
daB die Konzertform selbst den Aufbautypus fur den ersten Symphoniesatz abgibt und die
Sonatenform iiberaus selten begegnet. Das Finale der Sinfonia tragt auch um 1720 noch den
rhythmischen Charakter eines Tanzsatzes (Menuett, Gigue usw.), doch ist die Form oft schon
Instrumentalmusik von 1750—1828 799
sonatenmafiig ausgebaut (so z. B. in Contis oben angefuhrter Sinfonia). Auch der langsame
Mittelsatz, urspriinglich kaum mehr als ein Verbindungsstiick zwischen den beiden Allegri,
eine langere oder kiirzere Sequenzkette iiber oft sarabandenartig rhythmisierte Motive, wird
vom Tanz und Konzert beeinflufit ; er erscheint als Sarabande oder Siciliano oder als konzert-
mafiige, diirftig begleitete Kantilene. Aber auch wo er seine urspriingliche harmonisch-se-
quenzierende Anlage beibehalt, wird diese melodisch bereicherfc. Die eben dargelegte formale
Ausgestaltung der Sinfonia in den zwei ersten Jahrzehnten nach 1 700 bedeutet natiirlich auch
inhaltlich einen Fortschritt iiber die primitiven Vorspiele der ersten Neapolitanerzeit hmaus,
die trotz der dreisatzigen Anlage an Ausdrucksbedeutung ihren Urahnen, die einleitende Fan
fare, kaum libertrafen. Freilich war der kiinstlerische Wert auch dieser hoher entwickelten
Symphonien, verglichen mit dem der gleichzeitigen Konzerte und Orchestersuiten, noch recht
gering.
Wie die iibrigen barocken Orchesterformen wurde auch die neapolitanische Sinfonia oder
wenigstens ihr charakteristischer I. Satz bald auf das Klavier iibertragen und zwar durch
den Sohn des Schopfers der Form, Domenico Scarlatti (1685 — 1757). Seine samtlich ein-
satzigen ,,Sonaten" oder ,,Essercizi" (= Ubungsstiicke) sind in der primitiven Sonatenform
der Zeit geschrieben; allerdings ist die Reprise meist so unvollstandig, auf die Epiloggruppe
beschrankt, dafi trotz der modulatorischen Dreigliederung melodisch nur Zweiteiligkeit vor-
zuliegen scheint. Die starken melodischen und dynamischen Kontraste werden durch solche
der Stimmfuhrung und des Klavi ersatzes, die Freistimmigkeit, verstarkt. Man versteht dar-
unter eine Stimmbehandlung, wie sie vordem nur in den improvisatorischen Formen iiblich
war: ungebundenen Wechsel verschiedener Setzweisen (Polyphonic und Homophonie) und
im Rahmen letzterer wieder den freien Ubergang von realer Stimmfuhrung (Festhalten meh-
rerer gesonderter Stimmen) zu einstimmigen Passagen resp. Akkordbrechungen. Scarlattis
diesbeziigliches Vorbild war Bernardo Pasquini (1637—1710), der einzige namhafte Nach-
folger Frescobaldis in Italian. Schon Pasquini hatte die Freistimmigkeit der Tokkata auf
Klaviersuiten und kirchensonatenartige Klaviersonaten iibertragen und war auf Entfaltung von
technischer Virtuositat ausgegangen. Scarlatti steigerte diese Errungenschaften bis an die
Grenzen des auf dem Clavicembalo Erreichbaren ; seine spieltechnischen Neuerungen, wie
Oktaven-, Terzen- und Sextenpassagen in schnellem Tempo, grofie Spriinge, Kreuzen der
Hande u. a. m., wurden von ungefahr 1720 an Gemeingut der internationalen Klavierliteratur.
Dank der weltweiten Verbreitung des neapolitanischen Stils bildeten die Schopfungen der
beiden Scarlatti, Contis und der andern genannten Symphoniekomponisten die Grundlage fur
die weitere Entwicklung der Instrumentalmusik in alien Musikkulturlandern, in Italien,
Deutschland und Osterreich, Frankreich und England. Wie schon gesagt, stellt diese Entwick
lung, deren Kern das Durchdringen der Sonatenform und ihre Ausbildung ist, den
Hauptinhalt der vorklassischen Ubergangszeit dar, die um 1730 einsetzt und mit 1760, der
Zeit der ersten Symphonien Haydns, als abgeschlossen angesehen werden kann. Alle groBen
Pflegestatten der Barockmusik sind auch Zentren der Stilwandlung geworden: in Neapel,
Rom, Venedig, Wien, Mannheim, Dresden, Berlin, Hamburg, Paris, London und zahlreichen
kleineren Orten erstanden mehr oder weniger bedeutende Schulen der neuen Richtung. Wie
schon in der altklassischen Epoche blieben auch jetzt die Italiener in der Kammermusik, die
Deutschen in der Klavier- und Orchestermusik tonangebend.
800 Instnimentalmusik von 1750 — 1828
Die Hauptvertreter des Stiliibergangs in I tali en sind die Komponisten von Tnosonaten
Giovanni Battista Pergolesi (1710 — 36), Nicola Porpora (1686 — 1766), Francesco G e mi
ni an i (1674 — 1762), Giovanni Battista Sammartini (1704 — 74) und Gaetano Pugnani
(1731— -98), die Klavierkomponisten Francesco Durante (1684 — 1755), Benedetto Marcello
(1686— 1739), DomenicoAlberti(ca. 1717 bis ca. 1740), Giovanni Battista Pescetti (ca. 1704
bis 1766) und Giovanni Antonio Paganelli (f ca. 1758), endlich der Reformator des Konzerts,
Giuseppe Tartini (1692 — 1770). Osterreich versorgte das gesamte siidliche Deutschland
mit fiihrenden Meistern, da inf olge der Ungunst der Zeiten (mit 1 740 begannen die erst 1 763
abgeschlossenen ,,schlesischen" Kriege gegen Preufien) viele Talente in die weniger betroffenen
Nachbarlander auswanderten. In Wien wirkten Georg Christoph Wagenseil (1715 — 77,
Hofkompositeur und -musiklehrer) und Matthias Georg Monn (eigentlich Mann, 1717 — 50)
als Komponisten von Symphonien, Konzerten und Klavierwerken, neben ihnen Matthaus
Schloger (1722 — 66), Georg Reutter der Jiingere (1708 — 72, Hofkapellmeister) und der
Tscheche Franz Turn a (1704 — 74) als Vertreter der Orchester- und Kammermusik. Die Su-
detenlander, die in dem Prager Franziskanerpater Bohuslav Czernohorsky (1684 — 1740)
einen ausgezeichneten Lehrer besafien, lieferten eine besonders groBe Zahl kompositorischer
Talente: neben dem ebengenannten Franz Tuma Johann Zach (1699 — 1773, Kapellmeister
in Mainz), Johann Seeger (1716 — 82, Organist in Prag), Josef Myslivecek (1737 — 81, in
Italien tatig, wo er sich Giuseppe Venatorini nannte, aber dem Pradikat II Boemo nicht ent-
ging), ferner die in Mannheim tatigen Johann Stamitz (1717 — 57, seit 1745 Konzertmeister
und Kammermusikdirektor), Franz Xaver Richter (1709 — 89, seit 1747 in Mannheim, seit
1769 Domkapellmeister in Strafiburg) und Anton Filtz (ca. 1730—60, seit 1 754 in Mannheim),
endlich Johann Schobert (f 1767 in Paris). Mit Ausnahme des Organisten Seeger und des
Klavierkomponisten Schobert schufen alle Genannten Orchester- und Kammerwerke. Mann
heim war als Residenz des reichen kurpfalzischen Hofes ein besonders giinstiger Boden fur
kiinstlerische Entfaltung und so fanden sich neben den angefiihrten Sudetendeutschen der
Wiener Ignaz Holzbauer (1711—83, seit 1753 Hofkapellmeister in Mannheim) und der
Italiener Carlo Giuseppe Toeschi (1724 — 88) daselbst ein, denen sich die dort einheimischen
Franz Beck (1730— 1809) und Christian C an nabich (1731— 98) anschliefien. Norddeutsch-
land ist hauptsachlich durch Bachs Sohne Wilhelm Friedemann (Halle), Carl Philipp Ema-
nuel (Berlin, spater Hamburg) und Johann Christoph (Biickeburg) vertreten; ferner wirkten
in Berlin die Bruder Johann Gottlieb (1699—1771) und Karl Heinrich Graun (1701—59,
ersterer Konzertmeister, letzterer Hofkapellmeister Friedrichs II.), in Dresden Johann Adolf
Hasse (1699—1783, seit 1740 Hofkapellmeister). Die Sohne Bachs sind in erster Linie als
Klavierkomponisten von Bedeutung, schrieben aber auch Kammer- und Orchesterwerke,
wahrend Hasse und die beiden Graun nur in letzterer Hinsicht in Betracht kommen. In Paris
bahnte schon Rameau den neuen Stil an, den dann Pierre Gavinies (1726 — 1800), Francois
Joseph Gossec (1734—1829) und Simon Leduc (1748—77) fur die Orchester- und Kammer
musik, der schon genannte Schlesier Schobert fur die Klaviermusik ausbildeten. In London
hatten nattirlich Auslander und zwar Deutsche die Fiihrung, Bachs jiingster Sohn Johann
Christian und Karl Friedrich Abel (1725—87).
Wilhelm Friedemann Bach war 1710 in Weimar geboren, Schiller seines Vaters und 1733—47 Organist in
Dresden, 1747—64 in Halle (daher der ,,HaIlesche Bach" genannt). Diescr Stcllung wegen seiner Unverlatilichkeit
Instrumentalmusik von 1750—1828 801
und Unberechenbarkeit entsetzt, fand er keine neue mehr und starb nach zwanzigjahrigem Wanderleben in tiefstem
Elend 1 784 zu Berlin.
Carl PhilippEmanuel, geboren 1714 in Weimar, gleichfalls Schiiler seines Vaters, wurde 1740 Kamrnercembah'st
Friedrichs II. in Berlin und iibersiedelte 1767 als Nachfolger Telemanns im Kirchenmusikdirektoramt nach Hamburg,
wo er 1788 starb (der ,,Berliner" oder ,,Hamburger Bach").
Johann Christoph Friedrich (der ,,Biickeburger Bach") wurde 1732 in Weimar geboren und 1756 Graflich
Lippescher Kapellmeister in Biickeburg. Hier starb er 1795.
Johann Christian, 1735 geboren, wurde von seinem Bruder Philipp Emanuel in Berlin ausgebildet und suchte
1754 Italien auf. Nach langerom Kontrapunktunterricht durch Padre Martini in Bologna wurde er nach seinem
Obertritt zur katholischen Kirche Domorganist in Mailand, verlegte sich aber gleichzeitig auf die Opernkomposition.
1 762 iibersiedelte er nach London, wo er als Musikmeister der Konigin und Mittelpunkt des Musiklebens bis zu
seinem 1782 erfolgten Tode in hochstem Anseben stand. Seinen Hauptwirkungsstatten verdankt er die Bezeichnung
des ,,Mailander" oder ,,Londonertf Bachs.
Der EinfluB der kompositions- und instrumentaltechnischen Errungenschaften der Nea-
politaner macht sich, wie schon gesagt, bereits um 1720 uberall geltend, auch bei den
grofien Meistern, die den Barockstil zur letzten Vollendung gebracht hatten. So tritt in Johann
Sebastian Bachs Werken seit diesem Zeitpunkt die Sonatenform mit Durchfiihrung und Re
prise, wenn auch ohne Seitensatz, oft auf, z. B. in der zweistimmigen Invention in E-Dur, im
Praludium D-Dur des 2. Teils des ,,Wohltemperierten Klaviers", in der Klavierfantasie in
C-Moll (hier mit alien klaviertechnischen Eigentumlichkeiten Domenico Scarlattis) usw.
Welche Rolle der Scarlattistil in Bachs Partiten und Goldbergvariationen spielt, wurde schon
betont. Ahnliche Beeinflussungen zeigt Rameau, der, wie gleichfalls schon hervorgehoben,
das Allegro seiner Ouverttiren in Abkehr von der Fugenanlage als eine Art Sonatenform ge-
staltet. Gleichartige Ziige weisen die Concerti grossi von Handel auf, und selbst Fux macht
in einzelnen Orchestersuiten der neuen Richtung Zugestandnisse, allerdings mehr in melo-
discher als in formaler Hinsicht, wahrend Gottlieb Muffats ,,Componimenti** nach Inhalt und
Form die neue Zeit fiihlen lassen. Konnte sich so die altere Generation den neapolitanischen
Einfliissen nicht entziehen, so ging die jiingere vollstandig ins neue Lager iiber. Um 1730
taucht der dreisatzige Sinfoniatypus in alien gangbaren Ensembles auf: Pergolesi legt ihn
seinen 12 Triosonaten vom Jahre 1731 zugrunde, gleichzeitig entstehen die ersten dreisatzigen
Klaviersonaten Philipp Emanuel Bachs und zahlreiche Opernsymphonien erscheinen, losgelost
von den zugehorigen Musikdramen, als Konzertmusik. So stellt sich die Sinfonia neben die
altklassischen Formen der Suite, der Kirchensonate und des Konzerts, um alle diese in rund
20 Jahren zu verdrangen oder ihnen die Sonatenstruktur aufzudriicken. Entspricht diese Ein-
burgerung des Sinfoniatypus mit seiner spieltechnischen Einfachheit und grundsatzlichen
Homophonie der Zeittendenz ,,Zuruck zur Natur", so forderte die Verwendung der Form
als Konzertmusik einen inhaltlichen und formalen Ausbau, denn in ihrer nicht ssagenden Ur-
gestalt als ,,dreisatziges stilisiertes Signal" hatte die Sinfonia mit den eben auf dem Hohe-
punkte angekommenen altklassischen Formen auch bei verminderten Anspruchen nicht kon-
kurrieren konnen. Dieser Ausbau erstreckte sich naturgema'8 auf alle musikalischen Mittel,
auf die zyklische Form und die der Einzelsatze, auf die Melodik, Harmonik, Stimmfahrung
und Instrumentation. Schon in der Behandlung der zyklischen Form zeigt sich ein tief-
gehender Unterschied zwischen Norddeutschland und Siiddeutschland — Italien. Wahrend
die Norddeutschen (Philipp Emanuel und Friedemann Bach, die Grauns, Hasse u. a.) an der
typischen Dreisatzigkeit der Sinfonia in Orchester-, Kammer- und Klaviermusik festhielten,
gingen Italiener und Siiddeutsche zu freieren Gruppierungen der Satze iiber, meist mit Be-
802 Instrumentalmusik von 1750—1828
niitzung von Elementen der Suite, unter Verringerung oder Vergrofierung der Satzzahl. Fur
die Itahener 1st ganz besonders die Beschrankung auf zwei Satze charaktenstisch, deren Zusam-
menstellung alle erdenklichen Variationen aufweist (Allegro — Andante, Andante — Allegro,
Allegro — Tempo di Minuetto, Andante — Tempo di Minuetto usw.). Die haufige Vfer-
wendung des Menuetts bildet eine Analogic zur siiddeutschen Praxis, die aber im allgemeinen
eine Vermehrung der Satze anstrebt. Man gent dabei entweder von der Sinfonia oder von
der Suite aus, erweitert erst ere durch Einschiebung von Suitensatzen oder gestaltet einzelne
Satze der Suite im Sonatensinn. So fiihren denn auch Kammer- und Klavierwerke und bis-
weilen sogar Orchesterkompositionen den Titel ,JPartita" (,,Partia") oder die alte Kollektiv-
bezeichnung far die Tanze einer Suite im Gegensatz zum Vorspiel ,, Divertimento" (,, Diver
tissement"), oder es tauchen Uberschriften \vie ,,Servizio di Tavola" auf, die gleichfalls der
Suitennomenklatur entstammen (vgl. ,,Banchetto musicale" u. dgl., von Telemann iromsch
mit ,,Bratensymphonie" iibersetzt). Die Satzzahl schwankt dabei zwischen vier (Sinfoniatypus
mit Menuett) und acht und dariiber (Suitentypus mit sonatenmafiigem Vorspiel, Finale und
eventuell Andante). Diese italienischen und siiddeutschen Abweichungen von der Dreisatzig-
keit stellen sich sehr friih ein: schon die ersten mehrsatzigen Klaviersonaten in Italien, die um
1732 entstandenen von Durante (also keme Vorlaufer derjenigen Philipp Emanuel Bachs!),
smd zweisatzig, ebenso samtliche erhaltenen von Domemco Alberti (vor 1740 geschrieben)
und einige von Benedetto Marcello (aus der gleichen Zeit); fur die durchwegs italienisch
orientierten Instrumentalwerke des ,,Mailander Bach" Johann Christian ist die Zweisatzigkeit
geradezu typisch. Die siiddeutsche Erweiterung der Dreisatzigkeit ist in den verschiedensten
Spielarten seit ca. 1740 nachweisbar, \vo sie in Wien beiMonn,Reutter und Wagenseil,
in Salzburg bei Johann Ernst Eberlin (1702 — 62, erzbischoflicher Kapellmeister) begegnet.
Eine umfassende Untersuchung der Beziehung zwischen zyklischer Form und Benennung der
vorklassischen Instrumentalwerke hat gezeigt, dafi fur die Bezeichnung ,,Divertimento" der
Besitz auch nur eines Tanzsatzes (meist des Menuetts) geniigt; ,,Divertimenti" sind also die
weitaus meisten zweisatzigen Typen, die dreis'atzige Form, falls sie das Andante durch ein
Menuett ersetzt, und jede Erweiterung des neapolitanischen Schemas durch Tanzstiicke. Einer
dieser zahlreichen Divertimentotypen hat sich infolge seiner asthetisch besonders giinstigen
Kontrastwirkungen vor alien andern bewahrt: die Viersatzigkeit durch Aufnahme des Me
nuetts in die Sinfonia. Auch diese Gruppierung begegnet schon 1740 in einer Monnschen
Symphonic und findet sich dann in verschiedenen Wiener Werken von Wagenseil, Reutter
und Schloger, doch nur gelegentlich, nicht systematisch durchgefiihrt. Zum Prinzip wird die
Aufnahme des Menuetts seit ca. 1 745 in Mannheim, dank der Initiative von Stamitz, doch
scheint Haydn das Prinzip 20 Jahre spater unabhangig davon neu aufgestellt zu haben, da seine
ersten Symphonien nur vereinzelt Menuett e enthalten. Dafi sich die Zeitgenossen iiber die
Divertimentonatur dieses viersatzigen Zyklus im klaren waren, zeigt der flammende Protest
der Norddeutschen gegen die angebliche Versiindigung am Geiste der Sinfonia durch Auf
nahme eines Tanzstiickes.
Die Sonatenform des 1. Satzes wird von Pergolesi und Philipp E. Bach in dem oben
geschilderten Entwicklungsstadium iibernommen, das sich durch einen MolI-Seitensatz, eine
sequenzierende, in Moll abkadenzierende Durchfiihrung, eine vollstandige und getreue Re
prise und die tanzmafiige Wiederholung der beiden mit Repetitionszeichen versehenen Teile
I nstrumentalmusik von 1750 — 1828
803
kennzeichnet. Daneben kommen auch noch seitensatzlose Formen mit Festhaltung eines
Rhythmus durch das ganze Stuck vor. Die wichtigsten formalen Weiterbildungen Pergolesis
sind das Auftreten von Dur-Seitensatzen und die selbstandige Ausgestaltung des Epilogs, den
ja vordem nur die Wiederholtmg des Uberleitungsschlusses nach dem Seitensatze bildete.
Beide Eigentiimlichkeiten finden bis 1750 wenig Nachahmung, werden aber in den fiinfziger
Jahren uberall angewendet; in Italien verschwindet der Mollseitensatz fast vollstandig, wahrend
er sich im Siiden und Norden Deutschlands neben dem in Dur weiter erhalt. Weitere Fort-
schritte weisen die Mannheimer Kammer- und Orchesterwerke (seit ca. 1745) auf : Entwicklung
der Uberleitung aus dem Hauptsatzmaterial, Vertiefung der Durchfiihrung durch kontra-
punktische Kombinierung verschiedener melodischer Bruchstiicke aus der Exposition und
Ausbildung einer schlufibekraftigenden Koda nach der Reprise. Als Beispiel einer kontra-
punktischen Durchfiihrung ein Abschnitt aus einer Symphonic in D-Dur von JohannStamitz:
Seitensatz :
BaB des Epilogs:
Stelle aus der Durchfiihrung:
Eine ahnliche Entwicklung macht die Klaviersonate unter Ph. Em. Bach durch. Auffalliger.-
weise fiihrt die Ausbildung der Durchfiihrung in den vierziger und fiinfziger Jahren oft zu
einer Verkummerung der Reprise: da der Hauptsatz in der Durchfiihrung eine grofie Rolle
gespielt hat, wird er in der Reprise nicht wiedergebracht, diese beginnt gleich mit dem Seiten
satz oder bestenfalls mit der Uberleitungsgruppe, ist also unvollstandig. So sind fast alle
Allegri von Stamitz gebaut, aber auch viele Sonatensatze von Ph. Em. Bach und andern inner-
halb des genannten Zeitraums. Eine formale Eigentiimlichkeit Bachs ist die Ableitung des
Seitensatzes aus dem Hauptsatzmaterial, ein fur die spatere Entwicklung Haydns wichtiger Zug.
Die Formgebung des ersten Allegro wird fur die der iibrigen Satze vorbildlich: Finale und
langsamer Mittelsatz zeigen bei alien Schulen und Meistern der Ubergangszeit Sonatenform
mit oder ohne Seitensatz, zwischen ca. 1 745 und 1 760 oft mit unvollstandiger Reprise. Rondo-
form und zwar in einer Auspragung, die xiber die altklassische Primitivitat kaum hinausgeht,
zeigen nur die Finali von vielsatzigen Divertimenti. In Menuett und Trio macht sich die Ten-
denz nach Schaffung einer Reprise geltend, also auch ein Einschlag der Sonatenform.
Bringt die Entwicklung der Sonatenform zwischen 1730 und 1760 eigentlich nur ver-
tiefende Ausgestaltung des von den Neapolitanern schon um 1720 Erreichten, so bedeutet
dagegen der Ausbau der Melodik wahrend dieser drei Jahrzehnte eine vollige Neuschopfung;
die altneapolitanische Melodik mufite fallen, wenn die Sinfonia konzertfahig werden sollte,
und gerade auf diesem Gebiete wird die ,,Riickkehr zur Natur" am sinnfalligsten. Der oben
804
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
als Notenbeispiel gegebene 1 . Satz einer Sinfonia von Conti, ernes der besten Werke dieser
Art, zeigt die melodische Schwache der neapolitanischen Opernvorspiele aufs deuthchste:
die skalenmafiig ausgefiillten Dreiklangszerlegungen des Hauptsatzes, die akkordische Neben-
notenfiguration der Skalengange der Uberleitung in fast ununterbrochener Sechzehntelbewe-
gung, die gleichma6ig fallende Achtelskala des Seitensatzes, alles von altklassischer Sequenz-
technik beherrscht. Weit giinstiger stand es in der Klaviermusik, denn Domenico Scarlattis
Sonaten bringen, besonders als Seitensatze, ausgesprochene Melodien von Tanzcharakter oder
in Anlehnung an die neapolitanische Arienmelodik. Dieser Weg wurde zwecks kiinstlerischer
Hebung der Sinfonia seit 1730 allgemein beschritten: stilisierter Tanz und Volkstanz, Kunst-
gesang und Volkslied lieferten das Material fur Seitensatz und Epilog. Am konservativsten
wurden noch die Hauptsatze und Mollseitensatze behandelt; am Satzbeginn begegnen bis tief
in die klassische Zeit hinein Themen, die auf Akkordzerlegung, Akkordwiederholung und
einfachste Akkordverbindungen aufgebaut sind und in erster Linie rhythmisch wirken. Aber
auch der Hauptsatz erfuhr bei manchen Meistern eine wirklich melodische Ausgestaltung : das
,,singende Allegro" der Italiener von Pergolesi bis Christian Bach bildet ihn nach Art eines
kantablen Seitensatzes. Die Mollseitensatze erscheinen oft durch die Anwendung der Imi
tation riickstandig, zumal wenn dabei altklassische Fugenthemen auftauchen. Doch auch hier
macht sich die neue Zeit haufig in homophon-kantablen Melodien geltend.
Pergolesi kniipft in seinen Triosonaten (1731) direkt an seine eigene Buffomelodik an, m
der ja ein gutes Stuck Volkstiimlichkeit steckt. Die Verwandtschaft folgender Themen aus
der ,,Serva padrona" (1733):
Allegro
mit nachstehenden Hauptsatzen aus den Triosonaten in B-Dur und E-Dur:
Alhsro *. *__^ _*_-^_
^^^pgg^^^^^pg^
Presto
* JL . JL
-A. — j: — ^^g^rrz^-, r=j< -.ggj-qzr^: — I , | ii-T"|i i Ui -I fF«q
r^g^^^El^g^zzg^^^E^^^^H-^rT1^
Presto ^
1st unverkennbar. Einen kantablen Hauptsatz enthalt die Triosonate in G-Dur:
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
805
Moderate
tr
Pergolesis Triosonaten stehen die urn 1745 erschienenen von Christoph WillibaldGluck(17l4
bis 1 787) nahe, das einzige selbstandige Instrumentalwerk des Meisters. Im folgenden Beispiel
sind Mollseitensatze zusammengestellt, drei imitatonsch gearbeitete, einer iiber dem alten
chromatisch absteigenden Ciaconabafi und ein rein homophon-kantabler:
Pergolesi,
Trioson. B.
Monn,
Symphonic B.
fr
Y 9
fr
— -- __^
Stamitz,
Symphonic D. '
Stamitz,
Trio C.
Monr.,
Symphonic G.
^^j^gggEEE
Nun eine Probe von kantablen Seitensatzen in Dur:
W*i
agenseil,
Symphonic D. ts^
Stamitz,
Symphonic D.
806
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
Wie die Beispiele zeigen, ist der Seitensatz, ob in Dur oder in Moll, noch immer piano gehalten,
also eine Art Soloepisode zwischen den Tuttigruppen der Uberleitung und des Epilogs. Der
3. Takt des letzten Beispiels (Stamitz) enthalt eines der sogenannten ,,Seufzermotive", ein
vorhaltartiges Portamento; derartige Bildungen, die in den verschiedensten Formen auftreten,
3E.
entstammen der neapolitanischen Gesangsmelodik und sind besonders far die italienischen
Vorklassiker charakteristisch, finden sich aber auch uberall dort, wo direkte Beriihrung mit
der italienischen Kunst erfolgte, so in Wien, Mannheim und Berlin. Sie sind einer der Haupt-
trager der kantablen Wirkung. Noch einige charakteristische Epiloge, die zugleich starke volks-
tiimliche Einschlage auKveisen :
' »- - fr — - &
Monn,
Symphonic B.
Stamitz,
Symphonic £s.
Der eben dargelegten reichen Melodik tritt noch ein Kunstmittel unterstiitzend zur Seite : der
Kontrast innerhalb der einzelnen Themengruppen. Die grofie Entwicklung, die erst die kon-
trastierende Satzfolge geschaffen hatte und dann, in den Einzelsatz eindringend, den Seiten-*
satz aufstellte, machte dabei nicht halt und trug den Kontrast in die einzelnen Satzteile selbst.
Seit wenigstens 1 740 lassen sich im Siiden wie Jm Norden Deutschlands, ziemlich gleichzeitig bei
Monn und Ph. Em. Bach, in Haupt- und Seitensatzen und Epiloggruppen schroff aufeinander
prallende Gegensatze nachweisen, die fast immer in der Aufeinanderfolge einer zarten mehr-
stimmigen und einer kraftigen unisonen Phrase bestehen. Wagenseil schliefit sich Monn bald
an, ebenso Stamitz und mit ihm die andern in Mannheim wirkenden Osterreicher. Im folgenden
sind einige besonders charakteristische Falle des ,,Kontrastierens im engsten Rahmen" zu-
sammengestellt :
Allegro
Monn,
Symphonic D.
Hauptsatz
Stamitz,
Symphonic D.
Hauptsatz
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
807
Wagenseil,
Symphonie D,
Seitensatz
Haydn,
Jugendsonate E. ;
Seitensatz
Das Zitat aus der vor 1767 komponierten Senate Haydns ist vorgreifend gegeben, um den
liickenlosen AnschluB der Jugendwerke dieses Meisters an die Kunst seiner Vordermanner
darzutun. Die jahen Gegensatze in Dynamik, Melodik und Stimmfuhrung wurden im Or^
chestersatz natiirlich noch durch klangliche vermehrt und die Ausfuhrung solcher Effekte
diirfte Stamitz als Leiter des ausgezeichneten Mannheimer Orchesters dazu gefiihrt haben,
einen andern Orchestereffekt, das Kreszendo vom pp zum ff liber einem Bafiorgelpunkt, seinen
Symphoniesatzen organisch einzugliedern. Hauptsatze, aber mit besonderer Vorliebe Uber-
leitungen sind so behandelt und in Stamitz eigenen Werken immer von bester Wirkung; unter
den Handen seiner lokalen Nachahmer wird freilicn das Kreszendo ebenso wie das jahe Kon^
trastieren zu einer nichtssagenden Manier.
Zur Hebung des Niveaus der Sinfonia gehorte natiirlich auch die Verbesserung der Stimm
fuhrung. Die wichtigsten diesbeziiglichen Errungenschaften der vorklassischen Ubergangs-
zeit sind einerseits die Verlegung des Schwergewichts der Begleitung auf die Mittelstimmen,
wodurch der Bafi fur melodische Fiihrung frei wird, andererseits der schon im Kontrast-
prinzip liegende schnelle Wechsel verschiedener Stimmfiihrungsarten innerhalb eines Satzes
(z. B. Unison — Mehrstimmigkeit). Die Verlegung des Schwerpunktes der Begleitung in die
Mittelstimmen erfolgt in der Weise, daB das Maximum der Bewegung, die kleinsten Noten-
werte, als Tonwiederholung oder harmonische Brechung den Mittelstimmen zugewiesen wird,
statt wie frtiher allein dem Ba8 zuzufallen. Damit ist die Grundlage far die Ausbildung der
motivischen Begleitung gegeben. Im engsten Zusammenhange mit der Stimmfuhrung steht
die Zusammensetzung des Ensembles. Das bei den f riihen Neapolitanern iibliche Orchester
war StreicKquartett (worin die Viola oft mit dem Bafi in Oktaven geht) mit verstarkenden
Oboen und Fagott, gelegentlich wurden 2 Trompeten mitPauken oder Horner beansprucht.
Die Blaser wirkten entweder nur als Forteregister oder sie hatten regelrechte Soli. Das Orchester
der Ubergangszeit vergrofierte sich kaum; die starkste Blaserbesetzung bestandaus 2 Floten,
2 Oboen (oder Klarinetten im Mannheimer und Pariser Orchester), 2 Hornern, 2 Trompeten
und Pauken. Doch erhielten die Holzblaser und Horner zu ihren Tuttifunktionen und Solo-
stellen (in Mannheim oft die Seitensatze) noch eine dritte Aufgabe: die Harmonien in langen
Noten auszuhalten und so zusammen mit den harmonischen Mittelstimmen den Basso continue
iiberflussig zu machen. Tatsachlich ist dieser in vielen stiddeutschen Symphonien entbehrlich;
808 Instrumentalmusik von 1750—1828
trotzdem diirfte keine Auffiihrung ohne Mitwirkung des Cembalo erfolgt sein. Unter den
Kammerensembles behauptete die Triobesetzung noch immer den Vorrang, doch ist das so-
listische Streichquartett schon in den vierziger Jahren entstanden; Haydns erste Quartette
wurden 1755 geschrieben. Neben die Triosonate tritt als neues Dilettantenensemble die Kla-
viersonate mit Begleitung einerVioline oder einer Violine und eines Violoncells. Letzteres geht
nur mit der Bafilinie des Klaviers, die Geige verdoppelt dessen Oberstimme oder terzt sie aus.
Aus einer alteren Lautenmusik dieser Art hervorgegangen, erfreute sich die begleitete Klavier-
sonate grofier Beliebtheit und Wagenseil, Schobert, Christian Bach und viele andere Klavier-
komponisten schneben for diese Besetzung, die auch. for Arrangements von Symphomen
starke Verwendung fand. Klavicembalo und Klavichord erhielten in der Vorklassikerzeit
einen machtigen Konkurrenten in dem verbesserten Hammerklavier (Pianoforte), dessen neue
Spiel- und Klangmoglichkeiten zu einer neuen Art von Begleitung fuhrten, den ,,Alberti~
Bassen" (nach Domenico Alberti so genannt), einfachen Akkordzerlegungen der linken
Hand. Besonders die Italiener und Wiener huldigten dieser simpelsten Homophonie, wahrend
Schobert dem neuen Instrument machtige, auf Beethovens orchestralen Klaviersatz hin-
deutende Wirkungen abgewann.
Neben der Ausbildung der Sonatenform lauft deren Obertragung auf dasKonzert. Diese
erfolgte ziemlich gleichzeitig durch Tartini in Italien, Stamitz in Mannheim, Wagenseil, Monn
und Schloger in Wien und die Sohne und Schiiler J. S. Bachs in Mittel- und Norddeutschland.
Die Umbildung der Vivaldischen Form zur Sonatenstruktur ging in der Weise vor sich, dafi
zuerst die Modulation auf die Dreiteiligkeit reduziert wurde (T — D, D — P, P — T), die tonart-
bekraftigenden Tutti in der Dominante und Parallele zu kurzen Epilogen zusammenschmolzen
und schliefilich das Anfangstutti das gesamte Material des ersten Solo erhielt, dessen Reprise
der dritte Tell brachte, wahrend der zweite die Form einer bescheidenen Durchfohrung an-
nahm. Noch 1760 und spater sind die Falle zahlreich, in denen das Anfangstutti nicht alle
Gruppen des spateren ersten Solo bringt; die endgiiltige Ausbildung des Konzerts erfolgte erst
in der Wiener klassischen Zeit selbst. Der bedeutendste Vertreter des vorklassischen Kon
zerts ist zweifellos Ph. Em. Bach, der auch noch in anderer Hinsicht gleich zu nennen sein wird.
Noch eine Form der Barockzeit ging namlich durch die Hande der Vorklassiker in Wiener
klassisches Gut iiber, die zur ,,Fantasie" gewordene Tokkata. Ankniipfend an seines Vaters
,,Chromatische" schrieb Ph. Em. Bach eine Anzahl Fantasien for Klavier, in dreiteiliger Form:
improvisatorischer Anfangs- und SchluBteil, dazwischen ein geschlossener langsamer Satz.
Um die fantastische Natur des 1. und 3. Abschnittes schon aufierlich anzudeuten, vermeidet
Bach darin die Taktstriche. Dem improvisatorischen Charakter dienen lange Rezitative mit
Zwischenspielen, die dem Recitativo accompagnato der Oper abgelauscht sind. Den Zeit-
genossen erschienen diese melodisch wie harmonisch kiihnen Werke als der Inbegriff des Ro-
mantischen, als die musikalische Widerspiegelung des damals eben zu neuem Leben erweckten
Shakespeare.
Die vorklassische Ubergangszeit gipfelt in zwei sich scharf unterscheidenden Richtungen,
der italienischen und der norddeutschen, zwischen denen ausgleichend und das Beste von
beiden Seiten verarbeitend, eine dritte, die osterreichisch-siiddeutsche steht. Die Italiener
lieben das Divertimento und (wie in der gleichzeitigen spatneapolitanischen Vokalmusik) die
Kantabilitat, sodafi die beiden Hauptgruppen des Sonatensatzes kaum kontrastieren. Die
Instrumentalmusik von 1750— 1828 §09
Norddeutschen halten an der Dreizahl der Satze fest und ebenso an der Gegensatzlichkeit der
einzelnen Themengruppen, auch wenn der Seitensatz aus dem Hauptsatz entwickelt sein sollte,
ferner verschmahen sie den glatten Albertibafi. Die Wiener und Siiddeutschen halten die
goldene Mittelstrafie und sichern sich so die Errungenschaften der andern. Wenn man freilich
in der Zeit der ,,Riickkehr zur Natur" Umschau halt nach einem grofien und tiefen Geiste,
der all die kindliche und spielensche Naivitat verschmaht und die Heiligkeit der Kunst predigt,
so fallt das Auge auf eme einzige Erschemung, Philipp Emanuel Bach. Sein Wollen war das
hochste, und versagte auch oft sein Konnen vor dem letzten Gelingen, er war der wichtigste
kiinstlerische Lehrmeister der Wiener klassischen Trias.
II. 1760 — 1780. Bald nach 1760begannen die Namen Haydn und Mozart die Aufmerksam-
keit von den Komponisten der Ubergangszeit abzulenken und auf sich zu konzentrieren. Haydn
zahlte ungef ahr 30 Jahre, wahrend Mozart in einem selbst fur ein Wunderkind iiberaus jugend-
lichen Alter stand. Von einem ,,Wiener klassischen Stil" kann in dieser Zeit natiirlich nicht
gesprochen werden; beide Meister waren Kinder der Ubergangszeit und ihr kiinstlerischer
Werdegang brachte es mit sich, dafi der Altere in der Ubung der Wiener Vorklassikerschule
aufwuchs, wahrend des Jiingeren Vorbilder in erster Linie die italienischen Meister der Zeit
wurden. Erst mit der durch Mozarts Ubersiedlung nach Wien ermoglichten personlichen Be-
riihrung der beiden erfolgte von ca. 1780 an die gegenseitige kompositionstechnische Beein-
flussung, die den ,,Wiener klassischen" Stil schuf. Natiirlich darf nicht iibersehen werden,
dafi mit dem Hervortreten Haydns und Mozarts die zahlreichen kleineren Geister nicht von
der Bildflache verschwanden ; ganz abgesehen von beider Altersgenossen, gelangten in der
,,friihklassischen Zeit" einige der altesten Vertreter der Ubergangszeit, wie Ph. Em. Bach
und Wagenseil, erst auf den Hohepunkt ihrer Entwicklung. Begreiflicherweise haben die
Vorklassiker, die Vollzieher der grofien Stilwandlung, die Aufmerksamkeit der Forschung bis-
her weit lebhafter erregt als die ,,Mitlaufer" der Klassiker, sodafi die Erkenntnis auf letzterem
Gebiet noch manche Lticke aufweist.
Franz Joseph Haydn wurde 1732 zu Rohrau an der niederosterreichisch-ungarischen
Grenze als Sohn eines Wagnermeisters geboren. Die musikalische Veranlagung ging wohl auf
den Vater zuriick und zeigte sich bei noch einem der zwolf Geschwister, Johann Michael
(1737—1806), hoch entwickelt. Josef Haydn wurde als achtjahriger Knabe vom Hofkapell-
meister Georg Reutter als Sangerknabe an die Wiener Stephanskirche gezogen, wo er fast
zehn Jahre lang als Solosopranist tatig war und ohne eigentlichen Theorieunterricht nach dem
Vorbilde der fiihrenden Wiener Meister zu komponieren begann, Seine auf Grund des Stimm-
bruchs erfolgte Entlassung versetzte ihn auf ein weiteres Jahrzehnt in die Notwendigkeit,
durch Privatunterricht und Korrepetitionen sein Leben notdiirftig zu f r Jsten, bis er 1 759 eine
Anstellung als Kapellmeister beim Graf en Morzin in Lukavec bei Pilsen erhielt. 1761 nahm
er die Kapellmeisterstelle beim Fiirsten Esterhazy in Eisenstadt an, die er bis zur Auflosung
der Kapelle (1790) bekleidete. Mit einer Pension ausgestattet, lebte er nun bis zu seinem
Tode 1809 in Wien, von wo aus er in den Jahren 1790—92 und 1794—95 Reisen nach London
unternahm, die ihm grofie kiinstlerische und materielle Erfolge brachten. Ungeachtet der
Widerwartigkeiten einer vierzigjahrigen ungliicklichen Ehe, erhielt sich Haydn bis ins hohe
Alter die Kraft und Fahigkeit, neue Eindrucke zu verarbeiten und so seine Kunst zu vervoll-
kommnen; nahezu alles, was von seinen Werken heute noch lebendig ist, hat er zwischen
810 Instrumentalmusik von 1750—1828
seinem 60. und 70. Lebensjahre geschaffen, nach Mozarts Tode, dessen kiinstlerisches Erbe
er sich als Sechzigjahriger voll zu eigen machte. Er hinterlieB 104 Symphonien (die erste 1759,
die letzte 1795 komponiert), mehr als 60 Divertimenti (Serenaden, Kassationen), 16 Opern-
vorspiele, mehr als 50 Konzerte (fiir Klavier, Violine, Cello, KontrabaB und andere Instru-
mente), 77 Streichquartette und den Quartettzyklus ,,Die sieben Worte Christi am Kreuze"
(das erste Quartett 1755, das letzte 1801 geschrieben), 38 Klaviertrios, 30 Streichtrios, 12 Violin-
sonaten, 6 Duette fur Violine und Viola, 175 Stiicke fiir das Baryton, 52Sonaten und Diverti
menti fur Klavier, Variationen und Fantasien far Klavier, Tanze und Marsche fiir Orchester usw.
Wolfgang Amadeus Mozart, 1756 als Sohn des erzbischoflichen Hofkompositeurs Leopold
Mozart geboren, zeigte schon als Vierjahriger Anzeichen groBer Begabung. Der Vater, selbst
Instrumental- und Vokalkomponist und Verfasser des 1756 erschienenen Lehrwerkes ,,Ver-
such einer griindlichen Violinschule", iibernahm den theoretischen und praktischen Unter-
richt des Wunderkindes und ging mit diesem und dessen gleichfalls hochmusikalischer Schwe-
ster Maria Anna (Nannerl genannt) auf Konzertreisen (1 762 nach Miinchen und Wien, 1 763 — 66
nach Paris, London und Haag). Auf einen vierjahrigen Aufenthalt in Salzburg und Wien folgte
die italienische Reise 1770 — 71, gelegentlich derer Wolfgang in die Accademia dei Filarmonici
in Bologna aufgenommen wurde und seine ersten groBen Erfolge als Opernkomponist davon-
trug. 1769, kurz vor der Abreise, war der noch nicht Vierzehnjahrige erzbischoflicher Kon-
zertmeister geworden, 1 779 wurde er zum Hoforganisten ernannt. In die Zwischenzeit fallen
einige Italienfahrten zwecks Aufftihrung von Opern sowie die zweite Pariser Reise 1778 — 79.
Da Mozart kein Wunderkind mehr war und mitten in den Kampf zwischen Piccinnisten und
Gluckisten geriet, blieben ihm Erfolge versagt, zudem verlor er in Paris seine Mutter, die ihn
diesmal begleitet hatte, und so kehrte er schwer getroffen nach Salzburg zuriick. Konflikte
mit dem Erzbischof Hieronymus Graf en Colloredo zwangen ihn 1781, die Hoforganistenstelle
niederzulegen, worauf er dauernd nach Wien iibersiedelte und sich mit Konstanze Weber
verheiratete. Da er erst 1 787 die schlecht dotierte Stelle eines kaiserlichen Kammerkompo-
nisten erhielt, geriet er bald in mifiliche Vermogensverhaltnisse, dazu kamen Familiensorgen
und ktinstlensche Enttauschungen (Ablehnung des ,, Figaro" und ,,Don Giovanni" in Wien).
Der Erfolg der ,,Zauberflote" fallt schon in sein Todesjahr 1791. Im Gegensatz zu Haydns
Leben, das, von den spaten Londoner Reisen abgesehen, im engen Kreise kleiner Privat-
kapellen verlief, spielte sich das Mozarts in den bedeutendsten Musikzentren Europas vor der
breitesten Offentlichkeit ab, ein ahnlicher Gegensatz, wie er zwischen den Lebenslaufen Bachs
und Handels, Palestrinas und Lassos hervortritt. Mozart und Haydn waren librigens durch
innige, neidlose Freundschaft miteinander verbunden. Mozarts Instrumentalwerke sind
40 Sinfonien (die erste von 1764, die letzten von 1788), 31 Divertimenti, Serenaden und
Kassationen, zahlreiche Marsche, Tanze und sonstige kleinere Orchesterstticke, 25 Klavier-
konzerte, 15 Konzerte fur Violine, Flote, Klarinette, Horn oder Fagott, 5 Konzerte fiir 2 — 3
Soloinstrumente (2 Violinen, Violine und Viola, Flote und Harfe, 2 Klaviere und 3 Klaviere),
9 Quintette, 26 Streichquartette, diverse Quartette, Trios und Duos verschiedenster Bcsctzung,
8 Klaviertrios, 42 Violinsonaten (darunter Mozarts erstes gedrucktes Werk von 1764), Va
riationen fiir Violine und Klavier, 5 Sonaten fiir Klavier zu 4 Handen, eine Fuge und cine
Senate fiir 2 Klaviere, 17 Klaviersonaten, 4 Fantasien, 15 Variationenwerke und Rondos,
Tanze u.dgl. fiir Klavier, 17 Triosonaten mit Orgelbegleitung.
Instrumental musik von 1750—1828 8] ]
Wie schon betont, ist Haydn ganz aus der Wiener Vorklassikerschule hervorgegangen, was
ja auch sein Lebenslauf von vornherein wahrscheinlich macht. Seine mit 1755 beginnenden
Streichquartette zerfallen anf anglich der zyklischen Form nach in zwei gesonderte Kategorien :
echte Divertimenti mit 5 Satzen (Allegro — Menuett mit Trio — Andante — Menuett mit
Trio — Presto) und echte dreisatzige Symphonietypen. Erst in Eisenstadt um die Mitte der
sechziger Jahre kristallisiert sich der viersatzige Typus mit dem Menuett an dritter Stelle
heraus, gleichzeitig mit demselben Vorgang in der Symphonic. Unter Haydns ersten 20 Sym
phonien weist die Halfte nur 3 Satze auf , von den nachsten 1 0 haben noch immer 3 kein Me
nuett und erst von der 31. Symphonic an wird die Viersatzigkeit regular. In der Besetzung
geht Haydn im allgemeinen iiber das normale Blasermaximum der Zeit nicht hinaus (2 Floten
oder Oboen, hochstens eine Flote und 2 Oboen, Fagott, 2 Horner, 2 Trompeten und Pauken),
doch liebt er solistische Streichinstrumente (gelegentlich ein formliches Concertino von 2 Geigen
und Violoncell). Die Form des 1. Satzes ist stets sonatenmafiig, und zwar anf anglich in ty-
pischer Wiener Auspragung : Moll-Seitensatz und vollstandige Reprise. Auch der langsame
Satz zeigt anfangs immer Sonatenform; erst um 1780 geht Haydn immer entschiedener zur
Romanzenform (Da-capo-Form mit kontrastierendem Mittelteil) tiber. Ebenso herrscht die
Sonatenform im Finale, das nur in den Divertimenti Rondoform annimmt, in einigen Quar-
tetten aber als Fuge gearbeitet ist. Im Menuett wird die Dreiteiligkeit mit vollstandiger Re
prise zur Regel, im Trio liebt Haydn kontrapunktische Arbeit, die bis zum strengen Kanon
gehen kann; damit ist dem einfachsten Satze des Zyklus ein starker Kontrast gegeniibergestellt.
Ahnlich den Symphonien und Quartetten sind die Klaviersonaten gebaut, nur tritt in der
zyklischen Anlage ein ausgesprochener Divertimentocharakter zutage: gerade die Halfte der
Sonaten ist normal dreisatzig, unter den andern stehen einem viersatzigen Stuck zahlreiche
zweisatzige gegeniiber und auch unter den dreisatzigen besitzen manche an Stelle des lang-
samen Satzes ein Menuett. Erst um 1770 verschwindet allmahlich dieser Divertimento
charakter aus der Haydnschen Klaviersonate. Die Weiterbildung der Sonatenform erfolgt
durch prinzipielle Entwicklung der Oberleitung aus dem Hauptsatzmaterial, Vertiefung der
Durchfiihrungsarbeit und Ansatze zur Kodabildung. Der Seitensatz ist, wie erwahnt, oft der
altneapolitanisch-wienerische in der Molltonart der Dominante, meist mit kontrapunktischen
Manieren (Sequenz, Nachahmung) ausgestattet ; der Einflufi Ph. Em. Bachs zeigt sich aber
auch haufig und zwar darin, dafi der Seitensatz aus dem Hauptsatz abgeleitet wird. Ubrigens
stellt sich auch der kantable Dur-Seitensatz bald ein. Bei Moll als Grundtonart kommt natiir-
lich nur der in der Dur-Parallele stehende Seitensatz inBetracht, der dann in der Reprise in
der Grundtonart, also in Moll wiederkehrt. Schon in friihen Symphonien begegnet im ersten
Allegro eine langsame Einleitung, ein Einflufi der Ouvertiire, wie bald dargetan. Haydns Me-
lodik wurzelt, wie die seiner Wiener Vorganger, stark in der osterreichischen Volksmusik, wozu
seit der Obersiedlung nach Eisenstadt auch ungarische Einschlage treten. Seine Menuette
haben oft Landlercharakter, aber auch in geradtaktigen Allegrosatzen klingt der heimatliche
Volkstanz an. Dafi fur Haydn so bezeichnende Melodien wie
Presto
52 H.d.M.
812
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
(Quartett op. 2, Nr. 6, 3. Satz) tatsachlich der Tanzmusik entstammen, beweist z. B. folgende
,Gavotte" aus Josef Star zersBallett ,,Roger und Bradamante" vom Anfangder sechziger Jahre:
-i — r
--£3=
-=— m-
Selbstverstandlich ist die Bezeichmmg ,, Gavotte" far diesen volkstiimlichen Kontertanz nur
mehr ein Deckname, auch der Schautanz war in Wien ein Tummelplatz fur Volksweisen ge~
worden. Derartige Melodik taucht bis zu den letzten Werken Haydns immer wieder auf,
allerdings seit ca. 1770 durch ernstere Tone etwas zuriickgedrangt. Es ist der von Haydn
selbst dankbar eingestandene Einflufi der Werke Ph. Em. Bachs, der jenem den Weg aus der
naiven Divertimentomusik zu hoheren Kunstidealen wies. Diese Einwirkung auBert sich so-
wohl in prinzipiellen kompositionstechnischen Ziigen (von der Anlehnung des Seitensatzes
an den Hauptsatz war schon die Rede), als in der fortschreitenden Verinnerlichung der Werke,
in dem erwachenden Bediirfnis, sich in den Tonen auszusprechen, statt unbeschwerte Unter-
haltungsmusik zu schreiben. In der Klaviersonate C-MolI aus dem Jahre 1771 ist Haydn
seinem Vorbilde sehr nahe gekommen und nun zeigt sich, daB er den Hauptmangel des Zeit-
stiles erkennt: die glatte Homophonie der Stimmfuhrung. In der Klaviermusik nannte man
diese Schreibweise den ,,galanten Stil" und auch Ph. Em. Bach war es nicht gelungen, sie
zu iiberwinden. In welcher Weise diesem Ubelstande abgeholfen wurde, wird auf S. 789 ff.
von Guido Adler unter dem von ihm eingefiihrten Sammelbegriff des ,,obligaten Akkom-
pagnements" behandelt. Hier nur einige Ausschnitte aus dem 1 . Satze des 3. Quart etts op. 33,
Haydns erster nach dem neuen Prinzip angelegter Quartettsene :
Instrurnentalmusik von 1 750—1 828 813
Fur die Entwicklung der Kammermusikensembles neben dem Streichquartett ist Haydn
weniger bedeutend, ebenso fiir die Weiterbildung von Konzert und Ouvertiire. Klaviertrio
und Senate mit Klavierbegleitung blieben bis in seine letzte Schaffenszeit klanglich auf dem
vorklassischen Niveau der ,,Klaviersonate mit Begleitung" ; im Trio verdoppelt das Violoncell
nach wie vor die Bafilinie des Klaviers und die Violine dessen Melodiestimme, wenn sie nicht
gar auf die Rolle einer Mittelstimme beschrankt wird. Im Konzert erfolgt die endgultige
Durchbildung der Sonatenform, sodafi die Anlage folgendermafien aussieht: Exposition des
Orchesters, Exposition des Soloinstruments mit Orchesterbegleitung und Orchesterepilog,
Durchfiihrung, verteilt auf Solo und Tutti, Reprise analog der Soloexposition, Orchesterkoda;
auf dem Quartsextakkord der Schlufikadenz des Epilogs der Reprise hat der Solist die ,,Ka-
denz" zu improvisieren. Was die Tonartfolge in den beiden Expositionen anbelangt, ist die
der Soloexposition natiirlich die sonatenmaBige, wahrend die Tutti-Exposition in der Grund-
tonart schliefien muC, also tonartlich den Charakter einer modulationslosen Reprise tragt.
Sowohl im melodischen als im modulatorischen Aufbau zeigen Haydns Konzerte verschiedene
Schwankungen : melodisch insofern, als die Tutti-Exposition oft nicht das gesamte Material
der folgenden Soloexposition bringt, letztere also eine starke Erweiterung der ersteren dar-
stellt, modulatorisch darin, dafi der Seitensatz der Tutti-Exposition oft in der Dominanttonart
erscheint und die Grundtonart dann erst durch den Epilog wieder festgelegt wird.
Die Geschichte der Ouvertiire dieser Zeit ist durch Gluck formal wie inhaltlich bestimmt.
Seit seinem ,,0rfeo" vom Jahre 1762 benutzt dieser als Opernvorspiel entweder den 1 . Allegro-
satz der neapolitanischen Sinfonia oder die in Rameaus Sinn umgestaltete franzosische Ouver-
ttire mit sonatenmafiigem statt fugiertem Allegro. Was das (bis dahin in der italienischen
Oper vollig fehlende) Verhaltnis des Vorspiels zum Drama anbelangt, fordert Gluck in der
Vorrede seiner ,,Alkeste" (1767), die Ouvertiire solle ,,die Zuschauer auf die Handlung
vorbereiten und sozusagen deren Inhalt ankiindigen" . Er denkt sich also das Vorspiel als ein
Stuck Programmusikund die Einleitungen seiner Opern ,,Alkeste", ,,Iphigenie in Aulis" (1 774),
,,Armida" (1777) und ,,Iphigenie in Tauris" (1779) erfiillen die Forderung vollkommen Jm
Sinne der psychischen Programmusik ; naturalistische liegt nur in der zuletzt genannten Ouver
tiire vor, die mit der Schilderung eines Seesturms auf die Handlung des 1 . Aktes, nicht die
der ganzen Oper vorbereitet. Gluck beutet fiir seinen Zweck die auf Themenkontrast angelegte
Sonatenform aus, stellt in den Themen der Exposition die bestimmenden Personen, Gedanken
oder Gefiihle einander gegeniiber und symbolisiert in der Durchfiihrung ihr Ringen. Weiter
entwickelt sich die symphonische Dichtung bei ihm allerdings nicht: die Wiederkehr der Anti-
these in der Reprise schneidet als rein musikalischer Zug den tondichterischen Gedankengang
ab und die Losung des Konflikts wird nie angedeutet, sondern die Ouvertiire geht direkt in
den 1 . Akt iiber. Die tondichterische Bewaltigung des Reprisenproblems war Beethoven vor-
behalten, Melodische Zusammenhange zwischen Ouvertiire und Oper sind bei Gluck im all-
gemeinen auf die langsamen Teile des Vorspiels beschrankt. Haydn schliefit sich Gluck
formal an, insofern er die Ouvertiire auf den 1 . Symphoniesatz in voller Sonatenform beschrankt,
von tondichterischen Tendenzen ist aber nicks nachweisbar. Dabei war Haydn die Programm-
musik durchaus nicht fremd; wohl angeregt durch seines Eisenstadter Vorgangers Gregor
Joseph Werner (1695—1766) Triowerk ,,Neuer und sehr kurios musikalischer Instrumental-
kalender, partienweifi mit zwei Violinen und Bafi in die zwolf Jahrmonate eingeteilet", schrieb
52*
814 Instrumentalmusik von 1750—1828
er 4 Symphomen iiber die Tageszeiten, von denen drei(Le matin, Le midi, Le soir) erhalten
sind und zwischen innigem ,,Ausdruck der Empfindung" und naiver ,,Malerei" wechseln.
Mozarts Entwicklung bis 1780 geht im grofien und ganzen der Haydns parallel, nur von
einem etwas verschiedenen Ausgangspunkte aus und anstatt in vierzigjahrigem Zeitraum auf
zwei Jahrzehnte zusammengedrangt. Neben den Werken des Vaters und der andern Salz-
burger Komponisten (Eberlin, Anton Cajetan Adlgasser 1728 — 77) gab die italienische
Musik, die der Knabe durch Christian Bach sowie an Ort und Stelle kennenlernte, die stark-
sten Jugendeindriicke. So begegnet denn auch das Divertimento in verschiedensten Typen,
der kantable Dur-Ssitensatz, der Albertibafi immer wieder und auch die unvollstandige Re
prise ist bis 1 770 haufig anzutreffen. Die weiche neapolitanische Melodik mit ihren Seufzer-
motiven bleibt for Mozart iiberhaupt charakteristisch. Auch in seinem Schaffen tritt in den
siebziger Jahren em Umschwung zur Verinnerlichung ein, den neben Gluck sicher auch
Ph. Em. Bach herbeigefahrt hat. Nicht grundlos sagte Mozart im gleichen Sinne wie Haydn
von ihm: ,JBach ist der Vater, wir sind die Buben. Wer von uns was Rechts kann, hat's von
ihm gelernt; und wer das nicht emgesteht, ist ein . . .!** Und wie der Hamburger Bach das
Vorbild in Kunstanschauung und Kunstidealen, so wurde es Haydn in den Kunstmitteln.
Mozart, der das Genie und die groBere Erfahrung des Alteren neidlos anerkannte, griff schon
Haydns Versuch, das Quartett durch ein Fugenfinale iiber das Divertimento zu erheben,
augenblicklich auf, mit noch grofierer Begeisterung aber das ,,obligate Akkompagnement" :
unmittelbar nach Veroffentlichung von Haydns op. 33 entstand eine auf gleichem Prinzip auf-
gebaute, Haydn gewidmete Quartettserie. Mozarts gleichzeitig erfolgende Ubersiedlung nach
Wien deutete auch aufierlich die Griindung der Wiener klassischen Schule an.
Ging Haydn in der Ausgestaltung der Setzweise Mozart voran, so war dieser in der Be-
handlung der Kammermusik mit Klavier der Uberlegene. In der Sonate mit Klavier, im
Klaviertrio und im Klavierquartett, wozu spater noch das Klavierquintett tritt, stellt er die
Gleichwertigkeit der Streicher dem Klavier gegeniiber her, und selbst das Violoncell lost sich
vom Klavierbafi ab. Auch als Konzert- und Ouvertiirenkomponist steht Mozart hoher als
Haydn. So wird z. B. die Wahrung der Grundtonart in der Orchesterexposition des Konzert-
satzes bei ihm zur Selbstverstandlichkeit. Seine diesbeziiglichen Hauptwerke freilich fallen
ebenso wie seine grofien Ouvertiiren, die Glucks Prinzipien iiber diesen hinaus durchfuhren,
in die hochklassische Periode nach 1 780.
Neben Haydn und Mozart wirkten auf den gleichen Gebieten zahlreiche kleinere Geister
in alien Kulturlandern, von denen die Osterreicher Franz Asplmayr (ca. 1721 — 86), Josef
Starzer (1726—87), Leopold Hoffmann (ca. 1730—93), Karl Ditters von Dittersdorf
(1739—99), Johann Baptist Wanhal (Vanhall, 1739—1813) und Wenzel Pichl (1751—1805)
genannt seien, denen sich der in Spanien wirkende Italiener Luigi Boccherini (1743 — 1805)
anreiht. Wie die vorstehenden Lebensdaten zeigen, erstreckt sich die Wirksamkeit einiger
von ihnen noch in die folgende hochklassische Epoche hinein. Starzer, Gluck sowie die in
Stuttgart tatigen Florian Deller (ca. 1730—74) und Joh. Josef Rudolph (1730—1812)
schufen auch auf einem von den grofien Wiener Meistern nicht bebauten Gebiete, dem des
Balletts, das durch Jean George N over re (1727 — 1810) zur heroisch-dramatischen Pan
tomime ausgestaltet worden war. Eine verwandte Kunstgattung ist das Melodram, ge-
sprochene Rede mit illustrierender Instrumentalbegleitung. Wahrend im Ballett, wo weder
Instrumentalmusik von 175O-1828 815
gesprochen noch gesungen wird, neben dramatisch-bewegten Szenen viele wirkliche Tanz-
nummern stehen, best eh t das Melodram nur aus einem leidenschaftlich-erregten Monolog,
dessen musikalische Untermalung aus der Technik des Recitative accompagnato der Oper
hervorgegangen ist und sich daher vielfach mit Instrumentalfantasien im Stile Ph. Em.
Bachs beriihrt. Den AnstoB zur Entwicklung des Melodrams gab Jean Jacques Rousseau
(1712 — 78) mit seinem lyrischen Monolog „ Pygmalion*' (1770), der zuerst von Horace Coignet
(1736 — 1821) in Paris, dann von Asplmayr in Wien mit Musik versehen wurde. Einen
Hohepunkt dieser Kompositionsgattung bedeuten die Melodrame des Bohmen Georg Ben da
(1722—95, Hofkapellmeister in Gotha): ,,Ariadne auf Naxos" (1775), ,,Medea ', ,,Pygmalion"
und andere. Mozart hat in seiner unvollendet gebliebenen deutschen Oper ,,Zaide" das Melo
dram zweimal angewendet. Zweifellos ist auch die Entstehung und Pflege des Melodrams
ein Beweis dafiir, dafi sich das Empfinden weiterer musikalischer Kreise hoheren Inhalts-
problemen zuwandte.
1 1 1 . 1 780 — 1 810. In erstaunlich kurzer Zeit flihrte die Erf indung des obligaten Akkompagne-
ments zum ersten Hohepunkte der Wiener klassischen Epoche, Mozarts grofien Instrumental-
werken. Das Schicksal ermangelte freilich auch nicht, dem jugendlichen Meister die Lust an
allem Spielerischen zu benehmen. Der Verlust des Wunderkindnimbus, der Kampf urns Da-
sein, verscnarft durch Familiensorgen, bisher ungekannte Enttauschungen durch dasPublikum,
dies alles wirkte zusammen, sein Seelenleben aufs tiefste zu erschiittern. Schon aufieriich
fallt die Zunahme der in Molltonarten (besonders D-Moll, G-Moll und C-Moll) stehenden
Werke auf, samtlich schmerzlich-leidenschaftlichen Charakters. Der Aufbau der Satze wird
immer reicher und dabei organischer. In der Sonatenform wachst der Hauptsatz oft zu mach-
tigen Dimensionen heran, und die Uberleitung geht aus ihm hervor, aber nicht wie bei Haydn
als eine Art Durchfiihrung seiner Motive: der Beginn des Hauptsatzes wird wiederholt und
setzt sich in die Uberleitung fort. Der Seitensatz wird gleichfalls stark erweitert, meist dadurch,
dafi der ersten, kantablen Gruppe eine zweite, bewegte folgt, oft mit einem modulatorisch iiber-
raschenden Beginn. Der Epilog greift haufig auf den Hauptsatz zuriick und erhalt eine kleine
Gruppe angehangt, die sowohl zur Wiederholung der Exposition, als zur Durchfiihrung iiber-
leitet; wo diese Vorbereitung fehlt, beginnt die Durchfiihrung in Anlehnung an den SchluB
der Exposition. Die modulatorische Anlage der Durchfiihrung (Wendung nach einer ver-
wandten Molltonart, in der ein Ganz- oder Halbschlufi erfolgt) bleibt im Prinzip bestehen,
nur werden weit ferner liegende Tonarten als fruher herangezogen. Ebenso wird das melodische
Durchfiihrungsprinzip, die Zerlegung des Expositionsmaterials in seine Elemente und deren
lineare und kontrapunktische Verbindung zu neuen Gebilden, bedeutend gesteigert Endhch
bildet sich eine neue Gestaltungsweise fur die Koda heraus : sie wird durchfiihrungsartig an-
gelegt (vgl. den 1. Satz der Klaviersonate in C-Moll von 1784). Den Hohepunkt dieser Ent
wicklung bilden die drei letzten, im Sommer 1788 komponierten Symphonien Mozarts in
Es-Dur, G-Moll und C-Dur (Jupiter). Das kiihnste Formexperiment darunter stellt das Finale
der Jupitersymphonie dar. Es ist durchaus keine Fuge, wie oft behauptet wurde, sondern ein
vollstandiger Sonatensatz mit Fugenarbeit in Hauptsatz, Seitensatz und Durchfiihrung, einer
kanonischen Sequenz als Uberleitung und kontrapunktischer Kombinierung des gesamten
Themenmaterials in der Koda. Im Prinzip Ahnliches bietet die Ouverture zur ,,Zauberflote" .
Der Orchesterapparat der letzten Symphonien ist gegen fruher kaum gewachsen; je 2 Floten,
816
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
Oboen, Fagotte, Homer und Trompeten nebst Pauken stellen das Maximum dar, meist ist
aber nur eine Flote verlangt. Gelegentlich warden die Oboen durch Klarinetten ersetzt. Die
Behandlung dieses bescheidenen Klangkorpers erfolgt aber in der oben geschilderten neuen
Weise, die dem obligaten Akkompagnement koloristische Wirkungen abgewinnt. Besonders
fortschrittlich beriihren Aufteilungen der melodischen Linie an zwei Klangkorper verschie-
denen Charakters (Streicher und Blaser oder Blaser verschiedener Klangfarbe untereinander),
im ernstesten wie im komischen Genre:
1. Oboe
c L 1. Fagott
oymphonie
G-Moll, I.Satz:
1. Violine
2. Violine
Flote
I. Kiari-
nette
Symphonie '• FaSott
£s-Dur, Finale:
1. Violine
2. Violine
*^ ^» •** ^ ^* uo w .
Xr^*~
Auch die letzten Kammermusikwerke und Klaviersonaten stehen auf der Hohe der Entwick"
lung. Unter den Konzerten der achtziger Jahre sind wieder zwei voll leidenschaftlicher Tra-
gik, die Klavierkonzerte in D-Moll und C-Moll. Im letzteren wagt Mozart, den 1 . Satz statt
vom Orchester, vom Soloinstrument abschliefien zu lassen. Im allgemeinen ist die Sonaten-
form im Konzertsatz voll und klar ausgebildet, nur erweitert die Soloexposition die des Tutti
noch manchmal um einen zweiten Seitensatz und eine neue Kontrastgruppe, die dem Haupt-
satz vorangeht. Tummelplatz der Virtuositat sind in erster Linie die Uberleitungsteile, die
sich zwischen alle Themengruppen einschieben, aber auch innerhalb letzterer kann der Solist
in den bravourosen Umspielungen der Melodien seine Technik zeigen. Zu einigen Satzen hat
Mozart selbst Kadenzen niedergeschrieben.
Eine gesonderte Betrachtung verlangen Mozarts letzte Ouvertiiren. In seinen Jugendopern
hatte er fast ausnahmslos die dreisatzige Sinfonia verwendet, hochstens dafi nach spatneapoli-
tanischer Ubung das Finale durch die erste Gesangsnummer der Oper ersetzt war. Seit dem
,,Idomeneo" (1781) herrscht Glucks Prinzip der einsatzigen Ouvertiire in Sonatenform mit
oder ohne langsame Einleitung. Wie in alien Zeiten und Stilepochen wurde auch in der friih-
klassischen Periode in der Ouvertiire die zugrunde liegende Form fluchtiger gehandhabt als
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
817
beim absoluten Musizieren auBerhalb der Oper. Dies aufiert sich auch bei Mozart und zwar
im Fehlen der Durchfiihrung der Sonatenform. In der Ouvertiire zur ,,Entfiihrung aus dem
Serail" (1782) ist die Durchfiihrung durch einen langsamen Satz ersetzt, die nach Moll ge-
wendete erste Arie der Oper. Ebenso war urspriinglich die ,, Figaro" -Ouvertiire von 1786
angelegt, doch entfernte Mozart den langsamen Mittelteil und stellte durch Einfiigung der
vom Epilog der Exposition zur Reprise zuriickleitenden Takte die jetzige durchfiihrungslose
Form her. Erst in der Ouvertiire zum ,,Don Giovanni" (1787) tritt die Durchfiihrung auf.
Im Vorspiel zur ,,ZauberfIote" (1791) sind Hauptsatz und Durchfiihrung fugiert und das
Fugenthema resp. sein Gegensatz bestreitet auch die iibrigen, homophonen Satzgruppen.
Aber auch das inhaltliche Prinzip Clucks, das programmatische Verhaltnis der Ouvertiire
zum Drama, wird von Mozart iibernommen und ausgebaut. In der ,,Entfiihrung" deutet
das Vorspiel wohl nur das orientalische Milieu und (im langsamen Mittelteil) den Ausgangs-
punkt der Handlung, die Sehnsucht Belmontes nach der Geliebten, an ; ahnlich gibt die Ouver
tiire zum ,,Figaro", gleich der Oper selbst, ein glanzendes Konversationsstiick mit einigen
wenigen ernsteren Momenten, ohne auf Einzelheiten der Handlung hinzudeuten. Im Vorspiel
zum ,,Don Giovanni" dagegen liegt zweifellos tondichterisches Eingehen auf den Hohepunkt
und Kern der Handlung, die leichtfertige Abweisung aller Schicksalsmahnungen, vor. Der
(wieder mit dem alten Unisonokontrast arbeitende) Seitensatz
ist diesbeziiglich nicht mifizuverstehen; so erscheinen dann die iibrigen Themengruppen der
Exposition als Symbolisierung der genufisiichtigen Lebensfreude des Helden, wahrend in der
Durchfiihrung seine Leichtfertigkeit sehr in die Enge getrieben wird und der bose Ausgang
zu ahnen ist, auf den ja schon die der Katastrophenszene entlehnte langsame Einleitung hin-
weist. Wieder durchkreuzt, wie bei Gluck, die Reprise den dichterischen Gedankengang,
wenn auch die zur ersten Szene iiberleitende Koda das unisone Schicksalsmotiv des Seiten-
satzes wieder anklingen lafit. Auch die Zauberflotenouvertiire symbolisiert ohne Zweifel den
Kern der Handlung, das Ringen der Helden um die Vollkommenheit ; anders ist die fugierte
Arbeit, die, nach schweren Kampfen und Triibungen in der Durchfiihrung, mit dem Triumph
des Fugenthemas endigt, kaum zu deuten. Von diesen Erkenntnissen aus scheint es gerecht-
fertigt, auch in einigen der letzten Symphonien, Konzerte, Kammermusik- und Kiavierwerke
tondichterische Absichten anzunehmen. Es ist iibrigens auffallend, dafi Mozart das fur da-
malige Begriffe grofie Orchester seiner letzten Ouvertiiren (je ein Paar Floten, Oboen, Klari-
netten, Fagotte, Horner, Trompeten und Pauken, in der ,,Zauberflote" auch 3 Posaunen) in
keiner der Symphonien fordert.
Die tondichterische Verwendung der Fugenarbeit lafit an einen EinfluB der Werke J. S.
Bachs denken. Noch die Klavierfantasie in C-Moll vom Jahre 1785 ist formal wie inhaltlich
eine Weiterbildung der Fantasien Philipp Emanuels (fiinf- statt dreiteilig, zwei geschlossene
818 Instrumentalmusik von 1750— -1828
kantable Gruppen zwischen drei improvisator]" schen) ; nach dem Aufenthalt in Leipzig im
Jahre 1789 aber, der Mozart die Bekanntschaft mit einigen der bedeutendsten Vokalwerke
Johann Sebastians vermittelte, macht sicK dessen Geist in Mozarts allerletztem Schaffen un-
verkennbar geltend, allerdings in- erster Linie wieder in Vokalkompositionen, so in der die
Einheit von Gott Vater und Sohn symbolisierenden, stark modulierenden Doppelfuge des
,,Kyrie" im Requiem und in der Choralbearbeitung (Duett der Geharnischten) der ,,Zauber-
flote". So ist die in der vorklassischen Ubergangszeit bekampfte altklassische Kompliziertheit
von Form und Inhalt nach einem halben Jahrhundert innerhalb eines ganz anctern Stiles wieder
durchgedrungen, einstweilen freilich nur als vereinzelter Vorstofi ; erst der spatere Beethoven
und die Romantik sollten die Stilverschmelzung durchfuhren. So endete Mozart, der in den
Bahnen der naivsten Vorldassiker begonnen hatte, als tiefsinniger Tondichter. Nur in seinen
direkt als >,Serenaden" und ,,Divertimenti" bezeichneten Werken lebt der Geist der vor
klassischen Ubergangszeit weiter.
Mit Mozarts Scheiden beginnt Haydns grofie Zeit. Die formale Entwicklung seiner Werke
lauft der in Mozarts Schaffen parallel. Bezeichnend fur seine Behandlung der Sonatenform
sind: melodische Beziehungen zwischen einer eventuellen langsamen Einleitung und dem
Allegro, der knappe, liedformig periodisierte Hauptsatz, die ausgedehnte, aus Hauptsatz-
motiven durchfiihrungsartig entwickelte Uberleitung, der knappe, oft aus dem Hauptsatz ab-
geleitete Seitensatz, imitatorische Arbeit (oft wirkliche Fugierung) in der Durchfiihrung,
haufig Verschleierung des Beginns der Reprise durch andersartige Harmonisierung des Haupt-
satzes oder gar Versetzung in eine andere Tonart, endlich die rein schluBbekraftigende Gestalt
der Koda. Der langsame Satz gibt, wie schon erwahnt, die Sonatenform ganz auf und wird
zur Romanze, oder er besteht aus Variationen. Unter letzterem Typus fallen besonders Falle
auf, bei denen nicht ein Thema variiert wird, sondern zwei kontrastierende Themen ab-
wechselnd abgewandelt werden; nach mehreren Variationen folgt dann eine ausgedehnte,
meist nur ein Thema durchfiihrungsartig behandelnde Koda (vgl. das Andante der Symphonic
inEs-Dur ,,mit dem Paukenwirbel"). Die Menuette schwanken zwischen zwei Extremen:
dem kaum stilisierten Gebrauchstanz (oft landlerartig) und dem streng kanonischen Typus. Das
Finale zeigt seit ca. 1780 haufig die Rondoform. Diese macht schon unter Mozarts Handen,
besonders aber bei Haydn eine Wandlung durch : die Angleichung an die Sonatenform. Den
ersten Schritt iiber den primitiven altklassischen Rondotypus hinaus bedeutet die Einfiihrung
einer den letzten Eintritt des Ritornells vorbereitenden Riickleitung nach der letzten Episode.
Dann wird die letzte Episode melodisch der ersten gleichgesetzt, wobei die erste zur Do-
minanttonart moduliert, die letzte aber in der Grundtonart verbleibt; so entsteht eine Art
Exposition — Reprisenverhaltnis, das noch markanter wird, wenn die erste (= letzte) Episode
aus Uberleitung, Seitensatz und Epilog besteht. Nach dem Epilog der Expositionsepisode
wird zur Grundtonart zuriickgekehrt und das zweite Ritornell erscheint. Nun fehlt noch die
Durchfiihrung, denn an ihrer Stelle steht die zweite, gewohnlich in der Parallel- oder Variant-
tonart gehaltene und auch sonst stark kontrastierende Episode, auf welche dann drittes Ri
tornell und Reprise der ersten Episode folgen. Ein Schema dieser Form sieht folgendermaBen
aus: 1. Ritornell (T) — 1. Episode (Uberleitung T— - D, Seitensatz D, Epilog D, Riickleitung
D— T) — 2. Ritornell (T) — 2. Episode (P oder V, kontrastierend) — 3. Ritornell (T) —
3. Episode (= 1 ., Uberleitung, Seitensatz und Epilog T) — 4. Ritornell (T, mit kleiner Koda).
Instrumentalmusik von 1 750— 1 828 819
Aber auch den letzten Schritt tut Haydn durch Umwandlung der zweiten kontrastierenden
Episode in eine wirkliche Durchfiihrung, der das Ritornell in der Grundtonart vorangeht.
Letzteres wirkt nunmehr natiklich als Hauptsatz und die wichtigsten formalen Unterschiede
gegenliber der wirklichen Sonatenform sind : die Riickleitung vom Ende der Exposition (in D)
zum Beginn der Durchfiihrung mit dem Hauptsatz in der Grundtonart sowie das Auftreten des
vollstandigen Hauptsatzes als Koda; die letzterw'ahnte Eigentiimlichkeit kann aber auch schon
bei Haydn fehien. In dieser sonatenahnlichen Gestalt wird das Rondo von Beethoven iiber-
nommen.
In einigen seiner letzten Instrumentalwerke versucht Haydn, sein Ph. Em. Bach entlehntes
Verfahren der Ableitung des Seitensatzes aus dem Hauptsatze auf ganze Satze auszudehnen.
Durch immer wieder verschiedenartige Weiterfuhrung des melodischen Grundstoffes und
verschiedenartige Begleitungsrhythmen bringt der Meister das Experiment zu glanzendem
Gelingen. Ebenso verbliiffend wirkt seine Instrumentation. Als fast Sechzigjahriger lernte
Haydn in London ein wirkliches Orchester kennen, das in Zusammensetzung und technischem
Konnen leistungsfahig war; in Eisenstadt hatte er es doch nur mit einem groBeren Kammer-
ensemble zu tun gehabt. Das Bediirfnis nach einem solchen Klangkorper scheint nun sein
Leben lang in ihm lebendig gewesen zu sein, denn die Anpassung an die neuen Mittel erfolgt
mit unglaublicher Schnelligkeit. Haydn wachst rasch iiber Mozarts Orchestertechnik hinaus,
der trotz des obligaten Akkompagnements noch vielfach an den ganz ,,unobligaten" harmo-
nischen Haltetonen der Horner und Holzblaser, wie sie in der Vorklassikerzeit zwecks Eli-
minierung des Continue entstanden waren, festhielt.
Tondichterische Ztige sind in Haydns groBen Instrumentalwerken wohl kaum nachweisbar.
Seine Sturm- und Drangzeit liegt zwischen 1770 und 1780, nachher kehrt er, wenn auch unter
weit hoherer Verinnerlichung, seiner innersten Natur folgend, zu den Idealen seiner Jugend
zuriick. Trotz aller tiefsinnigen, tragischen oder romantisch-schwarmerischen Stellen ist und
bleibt der Grundzug seiner Werke volkstiimliche Frohlichkeit in alien erdenklichen Schat-
tierungen. Neben dem Tondichter Mozart, der Erfullung Ph. Em. Bachs, steht der Musikant
Haydn, die Erfullung der ,,Rikkkehr zur Natur".
Als Haydn 1790 auf der Durchreise nach London Bonn beriihrte, wurde ihm der zwanzig-
jahrige Ludwig van Beethoven vorgestellt, dessen hochster Wunsch war, in Wien unter
Mozart studieren zu konnen; als der Meister zwei Jahre spater, nach Wien heimkehrend, wieder
durch Bonn kam, war Mozart nicht mehr und der junge Rheinlander erbat sich die Gunst,
Haydns Schiller werden zu diirfen. Noch im gleichen Jahre iibersiedelte er nach Wien, be-
stimmt, seine beiden grofien Vorganger zur Wiener klassischen Trias zu erganzen.
Ludwig van Beethoven, 1770 in Bonn geboren, stammte aus einer urspriinglich in 'den
Niederlanden ansassigen Musikerfamilie. Seine ersten Lehrer waren sein Vater Johann,
Tenorist an der Kurfiirstlichen Kapelle (des Erzbischofs von Koln, dessen Residenz Bonn
war), der Oboist Pfeiffer und spater die Hoforganisten Van den Eeden und Christian
GottlobNeefe(1748— 98, angeblich Schiller Ph. Em. Bachs). DerKnabe, der sich als Wunder-
kind entwickelte, wurde schon als Dreizehnjahriger zum Cembalisten der Bonner Kapelle be-
stellt und sollte 1787 Mozarts Schiller werden, was nur durch die schwere Erkrankung seiner
Mutter verhindert wurde. So ging Beethoven, wie schon gesagt, erst 1792 nach Wien, wo
ihm Graf Ferdinand von Waldstein schon von Bonn aus die Wege geebnet hatte. Der Unter-
820 Instrumentalmusik von 1750—1828
richt durch Haydn dauerte nur zwei Jahre und auch in dieser Zeit war Beethovens eigentlicher
Lehrer der Singspielkomponist Johann Schenk (1753—1836); Haydn stand damals auf dem
Hb'hepunkte seiner Kiinstlerschaft, hatte noch sehr viel zu geben und fiirchtete wohl angesichts
seines Alters jede Ablenkung von der Erftillung der ihm vorschwebenden Aufgaben, zumal
wenn sie durch einen genialen, aber in der Sturm- und Dranggarung begriffenen Schiiler er-
folgte. So war das Verhaltnis von Lehrer und Zogling ein sehr oberflachliches und der letztere
zog es vor, sich bei einem routinierten kleineren Geiste Rats zu erholen. Mit Haydns zweiter
Abreise nach London nahm das Lehrverhaltnis auch aufierlich ein Ende, und Beethoven stu-
dierte bei Johann Georg Albrechtsberger (1736 — 1809, Kapellmeister an der Stephans-
kirche) und dem Hofkapellmeister Antonio Salieri (1750—1825). Er war der erste unter den
Grofien, der es, dank der geanderten Anschauungen iiber Kunst und Kiinstler, wagen konnte,
ohne feste Anstellung ganz der {Composition zu leben. Ein durch Graf Waldstein auf ihn
aufmerksam gewordener Kreis von Aristokraten ermoglichte ihm dies und hielt ihn 1809
durch Garantierung einer hohen Rente in Wien zuriick, als ihm die Kapellmeisterstelle in
Kassel angeboten wurde. Trotz dieser giinstJgen Verhaltnisse und grofier Erfolge als Pianist
und Komponist brachen schwere Zeiten iiber Beethoven herein: ein vernachlassigtes Ohren-
iibel steigerte sich zu volliger Taubheit, die hohe Jahresrente seiner Conner wurde durch die
Geldentwertung nach den Napoleonischen Kriegen sehr reduziert und sein Miindel und Neffe,
Karl van Beethoven, stiirzte ihn durch leichtsinnigen Lebenswandel in schwere finanzielle
Kalamitaten und tiefe Herzenskonflikte. Seit Jahren von aller Welt zuriickgezogen und in
den knappsten Verhaltnissen, starb Beethoven 1827 in Wien. Seine Instrumentalwerke sind:
9 Symphonien, 1 1 Ouvertiiren, 1 Violinkonzert (auch als Klavierkonzert arrangiert), 5 Klavier-
konzerte, 1 Tripelkonzert (fur Klaviertriosolo), Fantasie fur Klavier, Orchester und Chor,
Rondo fur Klavier und Orchester, 2 Romanzen far Violine und Orchester, Marsche und Tanze
fur Orchester, 38 Klaviersonaten, 10 Violinsonaten, 1 Rondo und 1 Variationenwerk far
Violine und Klavier, 5 Cellosonaten, 3 Variationenwerke fur Cello und Klavier, 7 solche fur
Flote und Klavier, 21 solche far Klavier allein, vierhandige Klavierwerke (1 Sonate, 2 Va-
riationenzyklen, 3 Marsche), Rondos, Bagatellen, Praludien, Andante, Fantasie und Tanze
far Klavier, 1 Hornsonate, 9 Klaviertrios, 2 Triovariationenwerke, 4 Klavierquartette (3 davon
von 1785), 1 Klavierquintett mit Blasern, 2 Blaseroktette und 1 Blasersextett, Septett und
Sextett fur Streicher und Blaser, 2 Streichquintette, 16 Streichquartette, je 1 Fuge fur Quartett
und Quintett, 5 Streichtrios, 1 Trio fur Flote, Violine und Viola, 1 Trio fur 2 Oboen und
Englischhorn, 3 Duos far Klarinette und Fagott, 2 Posaunenquartette.
Beethovens gewlB sehr zahlreiche Kompositionen erscheinen gegeniiber den Werken seiner
Vorganger gering an Zahl; dies kommt daher, daC er, zur Individualitat geworden, eine Stim-
mung, einen Gefuhlsverlauf nicht wie jene in einer Serie gleichartiger Kompositionen nieder-
legte, sondern in eine einzige Schopfung konzentrierte, an der er dann freilich langere Zeit,
oft jahrelang arbeitete und feilte. Von Haydns naiver Musizierlust besafi Beethoven sehr wenig :
dort, wo Mozart aufgehort hatte, kniipfte er an, gleichfalls vom Geiste der Kunstauffassung
Ph. Em.Bachs beseelt. In seinem Schaffen unterscheidet man allgemein drei Perioden: eine
der Abhangigkeil von Haydn und Mozart (bis ca. 1802), eine zweite der individuellen Aus-
gestaltung der iiberkommenen Kunstmittel (bis ca. 1812) und eine dritte der weitest-
gehenden Umgestaltung dieser Mittel.
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
821
Schon in den Werken der ersten Schaffensperiode treten individuelle Ziige hervor, so in
der zyklischen Form die Viersatzigkeit aller Ensembles und der Ersatz des Menuetts durch
das Scherzo. Die Bezeichmmg als solche war nicht neu; sie begegnet schon in der alt-
klassischen Zeit in allgemeinen Titeln wie ,,Scherzi musicali", \vo sie meist Suiten bedeutet,
spater, in der Auflosungszeit der Suite, als Deckname for die verschiedensten Tanztypen,
endlich hatte Haydn gerade in seinen Reformquartetten op. 33 das Menuett durchgangig
,,Scherzo" benannt. Wahrend es sich hier wirklich nur um eine Umnennung ohne Wesens-
anderung handelt, hangen Beethovens Scherzi fast nur mehr durch den 3/4-Takt mit dem
Menuett zusammen, da sie in viel schnelleren Tempi stehen und Tanzrhythmen geflissentlich
vermeiden. Im Sonatensatz des jungen Beethoven fallt das prinzipielle Aufgreifen der durch-
fohrungsartigen Koda des letzten Mozart auf , am starksten aber wohl die Melodik der Allegro-
satze, die ganz auf der Sequenz beruht:
Trio op. 1,
Nr. 3
Senate op. 2,
Nr. 1
i
Damit ist der Grund zu einer iiberaus wichtigen Weiterentwicklung gelegt. Dafi Beethoven
das sonatenmaBig umgestaltete Rondo Haydns ubernimmt, wurde schon betont (vgl. das
Finale der 2. Symphonic). Etwas abseits von den normalen Sonatenzyklen stehen die beiden
mit ,,Sonata quasi una fantasia" iiberschriebenen Werke des op. 27. Die Satzfolge ist hier
ungewohnlich, die einzelnen Satze sind ohne Zwischenpausen aneinanderzureihen und auch
die Struktur einiger Satze an sich ist sehr auffallend: ein ,,LJed ohne Worte", wie es der
1 . Satz der ,,Mondscheinsonate 4 darstellt, wird in normalen Sonaten kaum zu finden sein.
So verraten schon die Werke der ersten Periode hohe formale Originalitat im Dienste eines
edlen, leidenschaftlichen Pathos.
Die zweite Schaffensperiode Beethovens, die ungefahr die Kompositionen von der 3. bis
zur 8. Symphonic umfafit, zeigt vor allem starkes Anwachsen der Dimensionen in jeder Hin-
sicht. Die Pastoralsymphonie bringt (allerdings in programmatischer Absicht) einen 5. Satz,
das zwischen Scherzo und Finale eingeschobene Gewitter. Die Ausdehnung der Einzelsatze
wachst bedeutend durch die Erweiterung der Satzgruppen: die beim letzten Mozart haufige
zweiteilige Anlagc von Haupt- und Seitensatz wird von Beethoven oft zur Dreiteiligkeit aus-
gebaut, wobei Steigerungen und starke Kontraste eine grofie Rolle spiclen. Die Erweiterung
der Durchfiihrung erfolgt einige Male durch Aufnahme neuen, in der Exposition nicht er~
schienenen Materials. Dazu hat jedenfalls das Bediirfnis gefuhrt, die (bedeutend wciter grei-
fende) Modulation nicht als Selbstzweck ansehen zu miissen, sondern (analog dem Auftrcten
des Scitensatzes.nach der Oberleitung) in der Zieltonart der Durchfahrung cin melodisches
822 Instrumentalmusik von 1750—1828
Geschehen zu veranlassen, eine kantable Melodie zu bringen (vgl. den 1. Satz der ,,Eroica"
und des Violinkonzertes). Die durchfiihrungsartige Koda wird oft so breit angelegt, da6 sie
wie eine zweite Durchfiihrung anmutet, besonders dann, wenn sie ebenso aus der Reprise
hervorgeht wie zuerst die Durchfiihrung aus der Exposition. Mit der Erweiterung der Di-
mensionen geht die des Modulationskreises Hand in Hand. Dabei spielt das Medianten-
verhaltnis (C-Dur — As-Dur, C-Dur — E-Dur, C-Dur — A-Dur, C-Dur — Es-Dur) eine
groBe Rolle, nicht nur far die Wahl der Seitentonart (vgl. ,,Waldsteinsonate", 1 . Satz : C-Dur —
E-Dur), sondern sogar innerhalb einer Periode fur Vorder- und Nachsatz:
Bagatellen
op. 33, Nr. 3 Hg£
Die Modulation innerhalb der Durchfiihrung kennt iiberhaupt keine Schranken, ebenso wird
in der Koda knapp vor SchluS noch in Idihnster Weise moduliert. Mitten unter den machtig
erweiterten Formen stehen ab und zu Werke von denkbar knappster Fassung, wie etwa die
5. Symphonie.
Die Konzerte Beethovens bauen gleichfalls auf Mozart als Basis weiter. Der fiir die weitere
Entwicklung belangreichste Zug ist die Voranstellung einer kurzen Partie des Soloinstruroents
vor das erste Tutti, wie es in den ersten Satzen der Klavierkonzerte in G-Dur und Es-Dur
der Fall ist; im G-Dur-Konzert Jst das beginnende Klaviersolo der Vordersatz der Hauptsatz-
melodie, im Es-Dur-Konzert eine kadenzartige freie Introduktion. In beiden Fallen bringt das
folgende Tutti ganz regular die Exposition des Satzes, der Beginn mit dem Solo hat also
keinerlei konstruktive Folgen. Dennoch haben diese Falle wohl den Anstofi zur Eliminierung
des ersten Tutti im Konzert der Romantiker seit Mendelssohn gegeben.
Auch als Ouverturenkomponist setzt Beethoven Mozarts Prinzipien fort, zeigt aber auch Be-
einflussung durch die von ihm hochgeschatzten Opernvorspiele der Gluck-Schiiler Luigi
Cherubini (1760—1842) und Etienne Nicolas Mehul (1763—1817). Die tondichterische
Ausgestaltung, dem Kern der Handlung gemaC, steht ihm im Vordergrunde und wie seine
Vorbilder sucht er diesen Zweck durch Ausbeutung der in der Sonatenform liegenden
Moglichkeiten zu erreichen. Als das Hauptproblem haben wir dabei die Umgehung der in
der Reprise liegenden rein musikalischen Wiederholung der Exposition erkannt, die nach den
Kampfen des Durchfiihrungsteils tondichterisch ganz unmotiviert auftritt. Nachdem sich
Beethoven in der ersten ,,Leonoren" -Ouvertiire (1804 oder 05 entstanden) darauf beschrankt
hatte, den aktiven und den passiven Helden der Handlung (Leonore und Florestan) einander
gegeniiberzustellen und das Leonorethema zum Siege zu fiihren, ging er noch 1805 in der
zweiten Ouvertiire darauf aus, die Verwicklung bis zur drohenden Katastrophe Und die plotz-
liche Losung des Knotens zu symbolisieren. Die langsame Einleitung macht durch Zitierung
der Kerkerarie Florestans mit dem Ausgangspunkt des Dramas bekannt, dann bringt das Alle
gro als Hauptsatz eine in der Oper nicht vorkommende, Leonore bezeichnende Melodie und
als Seitensatz abermals die Florestanarie, so dafi also die beiden Helden einander gegeniiber-
stehen, der Epilog greift auf Leonores zuversichtliches Thema zuriick. Nun steigt in der
Durchfiihrung die Erregung und fiihrt schliefilich zu einem Augenblick der. hochsten Span-
nung, in dem das Trompetensignal, das in der Oper den Befreier verkiindet, wortlich ertont.
Tondichterisch ist damit der Grundzug der Handlung erschopfend vorgefiihrt und Beethoven
Instnimentalmusik von 1750 — 1828
wagt es, auf die Reprise zu verzichten und nach einem Auftreten der choralartig harmonisierten
und so wie ein Dankgebet klingenden Florestanmelodie durch eine glanzende Stretta direkt
zur Koda iiberzuleiten, die den Triumph des Leonorethemas bringt. Wagte so Beethoven auf
der Hohe seiner Schopferkraft die Sonatenform im des tondichterischen Zweckes willen ein-
schneidend zu modifizieren, ein Jahr spater arbeitete er die ,,zweite" Ouvertiire zur ,,dritten"
um und der Kern dieser Umarbeitung besteht in der Einfugung der Reprise. Der Meister ist
also vor der tondichterischen Wahrheit auf Kosten der musikalischen Form zuriickgeschreckt
und war in seinen folgenden Ouvertiiren (zu Collins ,,Coriolan" und Goethes ,,Egmont") be-
strebt, ein denkbar giinstigstes KompromiS zwischen Deutlichkeit des Inhalts und Klarheit
der Form herzustellen. Dies gelang ihm auch und zwar durch den Kunstgriff, die zur Ent-
scheidung fiihrenden Kampfe nicht in die eigentliche Durchfiihrung, sondern in die durch-
fuhrungsartige Koda zu verlegen; die Durchfiihrung der ,,Coriolan" -Ouvertiire verdient ihre
Bezeichnung iiberhaupt nicht, da sie nur in einer gesteigerten Fortfiihrung des Epilogs der
Exposition besteht, die der ,,Egmont" -Ouvertiire ist eine Episode, nach der die Reprise mit
Naturnotwendigkeit eintritt. Gerade das letzterwahnte, 1810 komponierte Vorspiel zeigt deut-
lich, wie Beethoven damals iiber das Verhaltnis von Form und Inhalt dachte.
Noch weit berechtigter als Mozart gegeniiber ist der Schlufi, eine solche tondichterische
Potenz konne sich unmoglich auf die Ouverturenkomposition beschrankt haben, und so ist
das tonpoetische Wesen der 3. und 5. Symphonic sowie mancher Sonate langst erkannt. Von
solchen Absichten ist es nur ein Schritt zur psychischen Programmusik, deren Wesen im
Untertitel der Pastoralsymphonie ,,Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei" klar aus-
gedriickt ist. Das Gewitterbild freilich ist mehr Malerei als Empfindungsausdruck und
in der Ouvertiire ,,DJe Schlacht von Victoria" geht Beethoven (einmal und nicht wieder)
zur handgreiflichsten naturalistischen Programmusik liber, auch darin ein Weiser in die
Zukunft.
An dieser Stelle sei die Entwicklung der Variationstechnikseit der ,,Riickkehr zur Natur*'
in kurzen Ziigen dargestellt. Variationswerke aus der vorklassischen Ubergangszeit sind noch
kaum bekannt geworden. Sicher ist, da6 die selbstandige, von der Suite losgeloste Variationen-
reihe gegeniiber ihrem vereinzelten Auftreten in der altklassischen Zeit an Verbreitung gewinnt ;
dies beweisen schon die zehn erhaltenen Zyklen von C. Phil. Em. Bach, die leider noch nicht
Gegenstand der Forschung waren. Daneben enthalt das Divertimento, der Rechtsnachfolger
der Suite, haufig primitive Variationen. In der friihklassischen Zeit erscheint der Variations-
zyklus als selbstandiges Werk (so sind die ersten sechs der diesbeziiglichen Arbeiten Mozarts
vor 1780 entstanden) oder als Bestandteil des Divertimento, aber auch der regularen drei- und
viersatzigen Sonatenform (hier als langsamer Mittelsatz oder Finale). Als ,,Sonaten" bezeich-
nete Kompositionen mit Variationen als erstem Satz gehoren wohl eigentlich zu den Diverti-
menti (so Mozarts Klaviersonate A-Dur, Kochel Nr. 331: Variationen, Menuett, Rondo I).
Die hochklassische Epoche hat eine neuerliche Zunahme der selbstandigen Variationsreihe
zu verzeichnen; die Hauptmasse stellen allerdings nicht die drei fiihrenden Meister, sondern
ihre kleineren Zeitgenossen, besonders in der Klavierkomposition (Gyrowetz, Wolfl und viele
andere). Relativ am primitivsten unter den drei Wiener Meistern ist die Variationstechnik
Mozarts. Er geht iiber die ^Figuralvariation" (Wahrung des Themas in Aufbau, Melodie-
und Harmonisierung, einzige Veranderung die Verzierung der Oberstimme) kaum hinaus;
824 Instrumentalmusik von 1750—1828
zur ,,Charaktervariation" leitet hochstens das Auftreten einer Mmorevanation (ungefahr in
der Mitte des Zyklus), einer Adagiovariation (gewohnlich vorletztes Stuck) und eines Allegro-
Finale iiber. In den genannten Fallen wird das Thema tonartlich resp. agogisch stark verandert.
Den Aufbau des Themas tastet nur eine eventuelle (bei Mozait erst 1789 ausdriicklich als
solche bezei chnete) Koda an, die charakteristische Themamotive zu freier Schlufisteigerung
beniitzt, meist iibrigens mit dem Thema selbst abschlieBt. In Haydns letzten selbstandigen
und eingebauten Variationenwerken tritt ein neuer, fortschrittlicher Typus auf (vgl. langsamer
Satz der Symphonic in Es-Dur ,,mit dem Paukenwirbel" und Klaviervariationen in F-Moll)
Haydn variiert hier nicht ein Thema, sondern zwei Modelle, die (wie Trauermarsch und Trio
wirkend) miteinander abwechseln. Nach mehrmaligem Wechsel schlieBt eine sehr umfang-
reiche, durchfiihrungsartige Koda das Werk. Innerhalb der eigentlichen Variationsreihe finden
alle oben erwahnten Mittel Mozarts Anwendung (tonartliche und agogische, auch taktliche
Veranderung des Modells). Haydns Typus wird von Beethoven im Andante der 5. Sym
phonie getreu ubernommen, im iibrigen aber geht Beethovens Variation neue Wege: zur immer
deutlicheren Herausarbeitung der Charaktervanation. Zu diesem Zwecke erfindet der Meister
schon innerhalb der Figuraltechnik ein neues Prinzip: die Vereinfachung des Themas statt
seiner Bereicherung in der Variation; dadurch wird oft der eigentliche melodische Kern des
Modells erst klar. Sonst wird von Anderung der Tonart, Taktart, des Tempo weit reichlicher
Gebrauch gemacht und auch der Aufbau des Themas angetastet (Dehnungen, Zusammen-
ziehungen, Umstellungen von Melodiegliedern). In der zyklischen Aufeinanderfolge der Va-
riationen wird die altere Methode, in einem Adagio und einem Schlufiallegro vom ZeitmaBe des
Modells abzuweichen, nach Guido Adlers (in seinen Kollegien niedergelegten) Feststellungen zu
einer volligen Angleichung an die zyklische Sonatenform ausgebaut. Die ersten Variationen ent-
sprechen in thematischer Entwicklung und Kontrastierung dem ersten Sonatensatz, dann folgt
eine Variation oder Variationengruppe als Aquivalent des langsamen Satzes, das Scherzo findet
sein Gegenstiick und ebenso das Finale; die oft rein schlufibekraftigende, nur auBerlich stei-
gernde Variationenkoda deckt sich ganz mit der eines Sonatenschlufisatzes. Ferner wird die
altere Art, sich schrittweise vom Thema zu entfernen, oft aufgegeben und ziemlich unvermittelt
zu stark abweichenden Veranderungen iibergegangen. Den konzentriertesten Hohepunkt der
Variationstechnik des ,,letzten" Beethoven bilden wohl die Variationen ,,iiber einen Walzer
von Diabelli" und der ,,Heilige Dankgesang eines Genesenden" im A-Moll-Quartett op. 132.
Endlich verleiht Beethoven oft dem Variationenzyklus durch die Aufnahme der Fuge ein mach-
tiges Finale. Natiirlich lafit sich auch im Rahmen der Variation die fortschreitende Ausbildung
des tondichterischen Mornentes seit Mozarts letzten Werken verfolgen.
Die wachsende Ausdehnung der Werke Beethovens findet ihr klangliches Spiegelbild in
der VergroBerung des Orchesters und der an die Spieler gestellten Anspriiche. Ein zeit-
genossischer Geiger beklagte sich, im Beethovenschen Orchester mehr leisten zu miissen als
sonst beim Vortrag eines Solostiickes. In der Orchesterzusammenstellung ging Beethoven von
der paarweisen Anordnung der Blaser (Floten, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Horner und
Trompeten) aus, wie sie Mozarts letzte Ouvertiiren und Haydns letzte Symphonien zeigen.
In der 3. Symphonic wird ein drittes Horn verlangt, im Finale der 5. Pikkoloflote, Kontra-
fagott und 3 Posaunen, Auch die Behandlung dieser Klangkorper bringt weitere Fortschritte :
der Sequenzbau der Melodik gestattet die Aufteilung langerer Melodien an eine ganze Menge
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
abwechselnder Instrumente, deren jedes ein Sequenzglied erhalt (vgl. Seitensatz des 1. Satzes
der ,,Eroica", Hauptsatz des 1. Satzes der 5. Symphonic).
Noch ein Moment ist for die hochklassische Technik Beethovens hochst bezeichnend, das
immer starkere Hervortreten altklassischer Mittel. Ankniipfend an Haydns Durchfiihrungs-
imitationen, zieht Beethoven das Fugato immer mehr als Bestandteil der Durchfiihrung heran.
Aber dieses Streben beschrankt sich nicht auf die Fugierung: der langsame Satz des Klavier-
konzerts in G-Dur mit seinem unausgesetzten Kampf zwischen Tutti und Solo ist ganz im
Geiste, wenn auch nicht der Form des altklassischen Konzertsatzes gehalten.
Der hochklassischen Periode gibt das Weiterbauen auf Mozarts Errungenschaften die
Signatur. Haydn hat selbst als Vollender gewirkt, als Vollender des Geistes der Ubergangs-
zeit. Mozart aber, der Friihverstorbene, \vurde durch Beethoven vollendet.
Angeregt durch die grofien und kleinen Meister der friihklassischen Zeit, schufen als Zeit-
genossen der hochklassischen Epoche Friedrich Wilhelm Rust (1739—1796), Muzio
dementi (1752 — 1832, dessen vollgriffiger, Scarlattis Technik weiterbildender Klaviersatz
auf die Klavierwerke des spaten Haydn und Beethovens iiberging), Emanuel Alois Forster
(1748-1823), Franz Sterkel (1750—1817), Leopold Kozeluch (1752—1818), Giovanni
Battista Viotti (1753 — 1824, der, wie dementi dem Klavier, der Violine neue Gebiete
der Technik eroffnete), Ignaz Pleyel (1757— 1831), Josef Geli nek (1758— 1825), Ladislaus
Dussek (1761—1802), Daniel Steibelt (1765— 1823), Anton Eberl (1766—1807), Johann
Nepomuk Hu mmel(1770— 1837), JosefWolfl (1772— 181 2) und vieleandere.DieWirksamkeit
einiger unter ihnen erstreckt sich zeitlich noch in die friihromantische Periode ; stilistisch ist keiner
liber die Pnnzipien des letzten Mozart hinausgegangen und von emer Beemflussung durch
Beethoven, fur dessen Schopfungen ihnen alien das Verstandnis fehlte, kann kaum die Rede sein.
IV. 1810 — 1828. Romantik ist das Schwelgen irn Ungewohnlichen und seiner Darstellung,
also die Heranziehung ungewohnlicher Kunstinhalte und Kunstmittel. Die Ungewohnlichkeit
der Inhalte ist am sinnfalligsten, wenn es sich um zeitliche Feme, ortliche Feme (Exotik)
und Ubersinnliches handelt, aber auch schon der Aufenthalt in den Grenzgebieten des Seelen-
lebens, die kiinstlerische Wi-edergabe aufierordentlicher seelischer Erregungszustande, ist echt
romantisch. Dazu tritt die Ungewohnlichkeit der Form, die Wahl der AusdrucksmitteJ einzig
nach dem Diktat des wiederzugebenden Inhalts, nicht nach dem der Tradition oder allgemeinen
Ubung. Das auBerliche Kennzeichen der Romantik sind also improvisatorische Formen oder
improvisatorische Umgestaltungen gangbarer Typen. Somit ist auch die Programmusik (und
zwar besonders die naturalistische), die ja die Kunstmittel nicht nach musikalischer, sondern
nach aufiermusikalischer Logik verwendet und improvisatorische oder in diesem Sinne modi-
fizierte Gebilde schafft, ein romantisches Gebiet. Aus dem eben Gesagten geht hervor, dafi
es einerseits Grenzfalle geben mufi, deren Zuweisung zur Romantik zweifelhaft bleiben kann,
und dafi es andererseits zu alien Zeiten romantisch empfindende und gestaltende Kiinstler
gegeben hat, so besonders die Grofimeister der Tokkata in Mittel- und Norddeutschland.
Wahrend es aber friiher nur besonders tief veranlagte Meister in ganz besonders erregten
Stunden ihres Lebens wagten, ihr Gefuhlsleben schrankenlos in Tonen niederzulegen, wurde
es in der Epoche, die man als die der ,,Romantik" bezeichnet, Trumpf, romantisch zu sein;
eine groBe Zahl von Schriftstellern stellte es als Pflicht des Kiinstlers hin, aus dem Empfinden
des Ungewohnlichen jeder Art heraus zu schaffen.
826 Instrumentalmusik von 1750—1828
Mit der Wiedererweckung Shakespeares beginnt bald nach der Mitte des 18. Jahrhunderts
die deutsche Romantik. Seine Werke gaben alles, was der noch unbestimmte Drang der Zeit
suchte: erregteste Leidenschaftlichkeit, dabei die zeitliche und ortliche Feme und das Hinein-
spielen des Obersinnlichen, und all das in einer ungebundenen, einzig der Handlimg ent-
sprungenen dramatischen Form. Unter Lessings Fiihrung schlossen sich die bedeutendsten
deutschen Geister Shakespeare an, und in den Jugendwerken Goethes und Schillers gipfelte die
deutsche Romantik, der ,,Sturm und Drang", wie man damals sagte, zum erstenmal. Durch
die ,,klassischen" Schopfungen der beiden GroBten, darin die Form wieder zu Ehren kam und
mit dem In halt ein ideales Kompromifi einging, wurde die Romantik auf ungefahr ein
Menschenalter zuriickgedrangt, um mit etwa 18"0 zur Herrschaft zu gelangen. Ahnlich voll-
zog sich die Entwicklung auf musikalischem Gebiete. Es wurde schon hervorgehoben, dafi
Ph. Em. Bachs Zeitgenossen in seinen Klavierfantasien Aufierungen Shakespeareschen Geistes
erblickten ; wie die Tokkaten und Fantasien der Barocke bedeuten auch die improvisatorischen
Formen der Ubergangszeit echte Romantik und Werke wie Mozarts Klavierfantasien reihen
sich in gleichem Geiste an. Der Vokalkomponist Mozart bringt in ,,Don Giovanni" und
,,Zauberflote" geniale Beitrage zur dramatischen Fruhromantik und iibt als erster ein fur die
spatere Entwicklung der romantischen Schreibweise hochst bezeichnendes Verfahren: das
Archaisieren als musikalischen Ausdruck der mit zeitlicher Feme verbundenen Gefuhls-
komplexe (vgl. die Choralbearbeitung des Duetts der geharnischten Manner im letzten Finale
der ,,Zauberflote"). Im allgemeinen liegt freilich wie in der gleichzeitigen Poesie ein un-
vergleichliches Kompromifi von Form und Inhalt vor und auch fur Beethovens Schaffen bis
ca. 1810 wurde diese Tatsache oben, gelegentlich der Untersuchung seiner Ouvertiiren, fest-
gestellt. DaB aber die Mozartsche Romantik weiterlebt, verraten formale Auswirkungen
psychischer und naturalistischer Programmusik wie in den Fantasiesonaten, in der 5. Sym
phonic (Uberleitung vom Scherzo zum Finale), der 6. Symphonic (Gewittersatz zwischen
Scherzo und Finale).
Nach 1810 vollzieht sich inBeethovensPrinzipien ein Urns chwung zugunsten des Inhalts
auf Kosten der Form. Wenn auch eigentliche formale Neubildungen nicht erscheinen, die
herkommlichen Formen werden um eines psychischen Programms willen modifiziert oder
durch altere, altklassische ersetzt resp. mit solchen verquickt. Die Erweiterung der zyklischen
Sonatenform, die schon in der Pastoralsymphonie angebahnt ist, schreitet fort bis zu sieben
Satzen (Streichquartett in Cis-Moll op. 131), andererseits arbeiten die ,,Bagatellen" auf das ein-
satzige romantische Klavierstiick hin und als orchestrales Gegenstiick dazu die beiden Ouver
tiiren ,,Zur Namensfeier" und ,,Die Weihe des Hauses", die nicht Einleitungen zu Vokal-
werken sind, auf die romantische ,,Konzertouvertiire", einen wichtigen Vorlaufer der sympho-
nischen Dichtung. Die Struktur der Einzelsatze iiberschreitet nicht selten durch Anwendung
ungewohnlicher Kontraste die bisherigen Gestaltungen ; der melodische und tonartliche
Gegensatz der Satzgruppen wird auf .den Kontrast in Taktart und Tempo ausgedehnt, wo-
durch der Satz in mehrere gesonderte Satzchen zu zerf alien scheint (vgl. den langsamen Satz
der 9. Symphonic : Adagio C D-Dur als erstes, Andante 3/4 B-Dur als zweites Variationsthema ;
ahnlich der langsame Satz des Streichquartetts in A-Moll op. 132, hier durch die Oberschriften
,,Heiliger Dankgesang eines Genesenden" resp. ,,Neue Kraft fiihlend" tondichterisch erlautert
und motiviert). Im Scherzo aufiert sich dieses Prinzip in abweichender Taktart des Trio (ge-
Instrumentalmusik von 1750—1828 827
rader Takt, vgl. 9. Symphonie), wodurch auch auBerlich die Abkehr vom Menuett vollendet
wird, sowie im Auftreten des Taktwechsels innerhalb des Satzes selbst (vgl.Scherzi der 9. Sym
phonic und des Quartetts op. 127 in Es-Dur). Eine andere bezeichnende Erscheinung sind die
schwankenden Dimensionen, besonders der Allegri: neben Satzen von breitester Entwicklung
stehen solche von knappster, straffster Gestaltung (besonders in den Streichquartetten ab
op. 95). Natiirlich fallen auch mit romantischen Ziigen in keinerlei Beziehung stehende
Weiterentwicklungen in diesen Zeitraum, so die Vollendung des sonatenmaBigen Rondo, das
im Finale des Es-Dur-Quartetts op. 127 am Ende der Exposition wohl zur Grundtonart
zuriickkehrt, darin aber nicht erst das Ritornell bringt, sondern gleich die Durchfiihrung er-
offnet; der einzige Unterschied gegenliber der Sonatenform liegt also in dem (durch eine
Riickleitung vorbereiteten) Beginn der Durchfiihrung in der Grundtonart. Echt romantisch
ist dagegen das in verschiedenster Gestalt begegnende Archaisieren. Die Verwendung der
Fuge und des eingebauten Fugensatzchens innerhalb sonst homophoner Formen steigert sich
und besonders charakteristisch sind Fugen, die nicht den for die Wiener klassische Kontra-
punktik typischen streitbaren Ausdruck, sondern lyrisches Geprage tragen, wie der langsame
Satz des F-Moll-Quartetts op. 95. Von Beethoven selbst als ,,Handels Stil** bezeichnet ist die
Faktur der ,,Weihe des Hauses": eine franzosische Ouvertiire mit pathetischer Introduktion
und fugiertem Allegro. Thema und modulatorische Anlage der Fuge weisen tatsachlich auf
ca. 1720, archaisieren also um ein voiles Jahrhundert, in der Einleitung und der Koda des
Allegro aber ist natiirlich wie in vielen sonstigen Einzelheiten der Einschlag des Stils von 1820
unverkennbar. Ferner lebt die Tokkata mit Fuge wieder auf, wenn auch um die Errungen-
schaften der Wiener Klassik bereichert (vgl. das Finale der Klaviersonate As-Dur op. 110).
Endlich hat Beethoven, vielleicht nach Mozarts oben erwahntem Vorbilde, die Choralbearbei-
tung (sogar als Choralvariation) herangezogen, noch dazu mit tonartlichem Archaisieren kom-
biniert (der schon zitierte ,,Heilige Dankgesang eines Genesenden an die Gottheit in der ly-
dischen Tonart" aus dem A-Moll-Quartett op. 132). Ober die asthetische Seite dieses Zuriick-
greifens auf altere Ausdrucksmittel wird ein wenig spater gesprochen.
Melodik, Stimmfuhrung und Instrumentation entwickeln sich in engster Verbindung mit-
einander nach den dargestellten Prinzipien welter und gehen damit vielfach iiber den Rahmen
<ler Wiener Klassik hinaus. So fiihrt der Sequenzbau der Melodiebildung schliefilich zum
Beginn des 1. Satzes der 9. Symphonie: iiber tremolierendem Untergrund erscheint dasKopf-
motiv des Hauptsatzes, um gleich wieder zu verschwinden, und erst nach mehrmaligem
Wiederholen dieses Auftauchens und Verloschens entwickelt sich das Motiv zum Hauptsatze
selbst. Wahrend in dem (stimmungsmaBig sehr verwandten) 1 . Satze der 5. Symphonie der
Blitz gleich im erstenTakte niederf ahrt, zieht in der 9, Symphonie dasUnwetter erst in der Feme
auf, riickt allmahlich naher und dann erst erfolgt der Blitzschlag. Das Partiturbild ist iiberaus
fortschrittlich : iiber dem Tremolo das aufzuckende elementare Quarten- und Quintenmotiv;
lage das Tremolo oberhalb statt unterhalb der melodischen Linie, so konnte die Partitur
wenigstens um 30 Jahre jiinger sein. Die Stimmfuhrung betreffend, sei auf die von Guido
Adler stammende Ausfiihrung iiber das obligate Akkompagnement (S. 789 ff.) verwiesen.
Die Vergrofierung des Orchesterapparates geht schrittweise iiber die hochklassischen Errungen-
schaften hinaus, bis schliefilich das Orchester der 9. Symphonie 4 Horner, 3 Posaunen, Pikkolo-
flote, Kontrafagott und reiches Schlagwerk aufweist und endlich auch die menschliche Sing-
53 H. d. M.
828 Instrumentalmusik von 1750 — 1828
stimme in den symphonischen Klangkorper einbezogen wirdL Pikkoloflote, Kontrafagott und
Posaunen dienen Beethoven freilich nur als Forteregister, ihre Verwendung im Piano oder
als Solostimme (um des spezifischen Klangcharakters willen) erfolgt nicht.
Uber das Inhaltsmoment der Instrumentalwerke des reifsten Beethoven sagt schon der
oben festgestellte Umstand viel, daB hier die Form aus ihrem KompromiBverhaltnis zum
Inhalt gedrangt wird. Was der Meister vor 1810 einmal (in der 2. Leonorenouvertiire) gewagt,
aber alsbald widerrufen hatte, wird in seiner letzten Schaffensperiode weiter ausgebaut
und natiirlich sind es nur hochstgesteigerte und hochstbedeutende Inhalte, die einen solchen
Umschwung herbeifuhren konnten, Hochstgesteigerte Gefiihlsaufierungen jedes Stimmungs-
gebietes und psychische Programme beherrschen die Werke dieser Zeit. Dafi schon die
,,Schicksalssymphonie" ein ,,Programm" erfordere, hattebereits der Romantiker Ernst Theodor
Amadeus Hoffmann erkannt und die 9. Symphonic legt ein soiches Bediirfnis durch die Einlei-
tung ihres Finale noch naher. Ahnliche Fingerzeige enthalten Beethovens Uberschriften in
der Klaviersonate ,,Les Adieux ', im A-Moll-Quartett op. 132 und andern Werken. Besonders
bezeichnend ist es, daB die Heranziehung altklassischer Ausdrucksmittel so oft rein ton-
dichterischen Absichten entspringt und sogar die tondichterischen Prinzipien der Hochbarocke
auftauchen. Gleich der symbolischen Kyriefuge in Mozarts Requiem Jst z. B. die Doppelfuge
im Finale der 9. Symphonic angelegt. Formal ist sie die iibliche Kronung einer Variationenreihe,
tondichterisch bildet sie die Verschmelzung der beiden Hauptempf indungen des Textes, der
Freude und der Dankbarkeit gegen den Schopfer, zu einer unteilbaren Einheit. Der ,,heilige
Dankgesang" aus op. 132 war fur ein Wiener klassisch erzogenes Publikum iiberhaupt nur
verstandesmafiig erfafibar, da die Choralbearbeitung, besonders in Variation und Koda, melo-
disch und harmonisch nach Wiener klassischen Begriffen fast als ausdrucksarm wirken mufite ;
liegt doch der Ausdruck nach altklassischer Art ganz in den kontrapunktierenden Motiven
der Begleitstimmen. Hier tritt das Wesen der Programmusik, die Heranziehung und Ver
wendung musikalischer Mittel nach aufiermusikalischer Logik, klar zutage. Doch noch etwas
anderes lehren solche Falle: zwecks hbchster Verinnerlichung entsagt der ,,letzte Beethoven' *
der Sprache seiner Zeit; der Geist Philipp Emanuel Bachs hat in den Werken der hochklas-
sischen Epoche seine hochste, ungeahnte Vollendung gefunden, sein Wirkungsbereich ist er-
schopft und nun wird der Geist Johann Sebastians zitiert, um der vollendeten Kunst neue
Wege zu weisen. Die Zielbewufitheit dieser Entwicklung erhellt aus der Tatsache, daB zwei
Jahre nach Beethovens Tod die ,,Matthauspassion" und damit bald auch Bachs Schaffen
iiberhaupt die Auferstehung feierte.
Beethovens letzte Werke predigen also die kiinstlerische Hoffahigkeit der verschiedensten
Gefiihlsextreme, heftigster Leidenschaft, aufierster Erregung, tiefster Versunkenheit und Ent~
riicktheit, sowie die Souveranitat des Tondichters liber den Musiker; seine Inhalte und ,, Pro
gramme" aber sind die denkbar ethischesten, menschlich und kunstlerisch hochstehenden.
Nur ein Idealist von hochster Moral konnte nach Lebenserfahrungen und Schicksalsschlagen,
wie sie der 1 . Satz der 9. Symphonic verrat, einen Dank- und Freudenhymnus wie ihr Finale
schreiben. Die Schrankenlosigkeit seiner Kunst ist schrankenloser Idealismus. Seine Nach-
folger teilten sein Erbe; je nach Nationalitat, Erziehung und Individualitat wahlten sie Schran^
kenlosigkeit oder Idealismus und begriindeten so die verschiedensten Zweige der romantischen
Tonkunst. Erst Gustav Mahlers kiinstlerisches Wollen ist wieder dem Beethovens vergleichbar.
Instrumentalmusik von 1750 — 1828 §29
Wie die Zeitgenossen der ,,hochldassischen" Periode kaum noch iiber die ,,fruhldassische"
hinausgekommen waren, so wirkte sich der hochklassische Stil erst in der ,,friihromantischen"
Epoche aus. Die weitaus meisten Zeitgenossen des ,,letzten" Beethoven verweilten noch aus-
schliefilich beim ,,mittleren*', dem vor 1810 schaffenden. So fehlt selbst bei grofien Meistern
der Zeit, die tiefer Empfindungen fahig waren, die Umgestaltung der Form nach tondichte-
rischen Bediirfnissen fast vollstandig und auch die Heranziehung barocker Ausdrucksmittel
fihdet wenig Nachahmung ; die herrschende Richtung ist der ,,Klassizismus", das Festhalten
an den bewahrten Ausdrucksmitteln der Wiener klassischen Kunst. Daftir gehen freilich
einige Zeitgenossen in der Behandlung des Orchesters und in der Harmonik liber Beethoven
hinaus und das bei ihm nur in den ,,Bagatellen" vorliegende einsatzige Klavierstiick gelangt
bei Schubert zu voller Entfaltung. Neben zahlreichen kleineren Geistern stehen (in chrono-
logi scher Folge) vier markante Gestalt en : Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Ludwig S p o h r ,
Carl Maria von Weber und Franz Schubert.
E. T. A. Hoffmann, 1776 zu Konigsberg geboren, war eigentlich juristischer Beamter, aber zeitweise auch Diri-
gent, Musiklehrer, Musikschriftsteller und Kritiker, neben reicher dichterischer Tatigkeit. Auch als Zeichner hoch-
begabt, entwarf er ab und zu die Dekorationen zu eigenen Opern selbst. 1 822 starb er in Berlin als Rat des Kammer-
gerichtes. Neben 12 Opern resp. Singspielmusiken und einigen Kirchenwerken schrieb er eine Symphonic, eine
Ouvertiire, ein Quinlett fur Harfe und Streicher und einige Klaviersonaten.
Ludwig S p o h r wurde 1 784 in Braunschweig geboren. Seine musikalischen Eltern sorgten friih ftir seine geigerische
Ausbildung sowie fur Theorieunterricht. Nach ausgedehnten Konzertreisen und voriibergehenden Engagements (so
1812 — 16 in Wien als Kapellmeister am Theater an der Wien) wurde er 1822 als Hofkapellmeitser nach Kassel be-
rufen, wo er 1 859 starb. Spohrs Instrumentalwerke sind nebst den Ouvertiiren seiner 10 Opern : 9 Symphonien, 3 Kon-
zertouverturen, 1 Ouvertiire zu ,,Macbeth"4, 1 5 Violinkcnzerte, 4 Klarinettkonzerte, 33 Streichquartette, 4 Doppel-
quartette (nach dem Prinzip der ,.Chori spezzati"), 1 Streichsextett, 7 Streichquintette, 1 Nonett und 1 Oktett
fiir Streicher und Blaser, 1 Klavierquintett mit Blasern, 5 Klaviertrios, 3 Violinsonaten sowie Stiicke fur Violine
und Harfe und fiir Harfe allein, endlich solistische Klavierstiicke.
Carl Maria von Weber wurde 1786 zu Eutin in Oldenburg geboren, wo sein Vater, ein aus Augsburg stammender
Vetter von Mozarts Gattin, gerade als Theaterleiter tatig war. Er genofi den Kompositionsunterricht Michael Haydns
(in Salzburg) und Abbe Georg Joseph Voglers (in Wien und Darmstadt, als Mitschiiler Meyerbeers und Johann
Gansbachers). Die abenteuerliche, sogar mit den Behorden in Konflikt geratende Lebensfiihrung des Vaters, der
rastlos Aufenthaltsort und Beruf wechselte und dabei fiir den genialen Sohn eifrig die Reklametrommel riihrte, trieb
auch diesen durch alle Teile Deutschlands, bis er endlich 1813 am landstandischen Theater zu Prag als Kapellmeister
angestellt wurde. Nach dreijahriger hochverdienstlicher Tatigkeit daselbst wurde er zwecks Organisierung und Leitung
einer deutschen Oper nach Dresden berufen, das sein fernerer Aufenthaltsort blieb. An der Schwindsucht erkrankt,
slarb Weber 1826 in London, wohin er zur ersten Auffiihrung seines ,,0beron" gereist war. Zu seinen 8 Opern-
vorspielen kommen an Instrumentalwerken 2 Symphonien, Ouvertiire und Marsch zu Gozzis ,,Turandot", Jubel-
ouvertiire, 2 Konzerte und 1 Konzertino fiir Klarinette, 1 Konzert und Andante mit Rondo fiir Fagott, 1 Konzertino
fiir Horn, 2 Klavierkonzerte, 1 Konzcrtstiick fiir Klavier und Orchester, 1 Klarinettquintett, 1 Klavierquartett,
ein Klaviertrio, 6 Violinsonaten, Variationen fiir ViolJne und Klavier und Klarinette und Klavier, 1 Duo fiir Kla
rinette und Klavier, fiir Klavier allein 4 Sonaten, eine zu 4 Handen, 6 Variationenwerke, ein Rondo brillant und
verschiedcne Tanzstiicke (,,Auffordcrung zum Tanz", Polcnase, Allemanden, Ekossaisen).
Franz Schubert, 1797 als Sohn eines sudetendeutschen Ehepaares in der Wiener Vorstadt Lichtenthal geboren,
erhielt durch seinen Vater, einen sehr musikalischen Schullehrer, den ersten Musikunterricht. Als Sopranist in den
Chor der Wiener Hofkapelle aufgenommen, wurde er von Antonio Salieri kompositonscli ausgebildet. Nach Eintritt
der Mutation verlieB er das Sangerknabenkonvikt und diente drei Jahre lang seinem Vatei als Schulgehilfe. Als
Zwanzigjahiigcr erhielt cr durch die Unterstiatzung edlcr Freunde die Moglichkcit, sich ganz der Musik zu widmen,
und lebte bis zu scincm Todc 1828 ohne festc Anstcllung, da cr die von ihm angestrebten Poster, eines Vi7ehofkapell~
meisters resp. Kapellmeisters am Karntncrtor-Thcaler nicht erlangen konntc. Wichtig fiir Schuherts Entwicklung
war ein mehrmaliger Somrneraufcnthall auf SchloB Zelesz in Ungarn, der Bcsitzung eines Graf en Esterhazy, in
dessen Familie der Meister unterrichtete. Seine Instrumentalwerke, die zum groBten Tcilc erst lang nach seinem Tode
durch Drucklegung und Auffiihrungcn bekannt wurden (die C-Dur-Syu phonic cntdccktc Robert Schumann 1838)
sind: 8 Symphonien, 18 Opern- und 2 Konzcrtouvertiircn (let/tore ,,irn italicnischen Stil"), 1 Oktett fiir Blaser und
Streicher, 1 Streicbquintctt, 1 Klavierquintett (,,Forellenquintctt"), 15 Streicbquartctte, 3 Klaviertrios und 1 Not-
53*
Instrumentalmusik von 1750 — 1828
turno fur Klaviertrio, fiir Klavier und Violine 3 Sonatinen, 1 Duo, 1 Rondo und 1 Fantasie, fiir Klavier zu 4 Handen
Marsche, Variationen, Polonasen, Rondos, 3 Sonaten, 1 Grand Duo, 1 Allegro, 1 Andantino und Rondo, 1 Fantasie,
1 Fuge, 1 Divertissement a 1'Hongroise, fiir Klavier zu 2 Handen 15 Sonaten, 2 Fantasien, Adagio und Rondo,
Impromptus, Moments musicals (sic!), Variationen und zahlreicheTanzstticke (Walzer, Landler, Deutsche, Ekossaisen).
Alle vier Meister schlossen sich im Anfang ihres Schaffens an den letzten Mozart (Schubert
auch an Haydn) an und lassen erst spater den Einflufi Beethovens erkennen, der iibrigens bei
Spohr immer sehr gering bleibt, obgleich dieser bis tief in die Zeit der Hochromantik hinein
lebte. Die zyklische Form der mehrsatzigen Werke ist bei ihnen alien die typische hoch-
klassische, nur Schubert versetzt gelegentlich Menuett oder Scherzo in eine andere als die Grund-
tonart (z.B. in der B-Dur-Symphonie nach G-Moll). Hochst bedeutsam aber ist das rasche
Umsichgreifen des einsatzigen Typus, der far die Hochromantik so bezeichnend werden
sollte, als Klavier- wie als Orchesterstiick. Gleich Beethovens ,,Bagatellen" tragen Schuberts
„ Impromptus" (=Improvisationen) und ,,Moments musicaux", denen wohl auch ahnliche Kla-
vierwerke von Johann Wenzel Tomaschek(l 774 — 1 850) und Johann Hugo Wo r z i s c h e k
(1791 — 1 825) als Vorbilder dienten, bald den Charakter des langsamen Sonatensatzes, bald den
des Scherzo und auch die Formgebung zeigt keine nennenswerten Unterschiede Beethoven
gegeniiber; der Hauptunterschied Kegt in der Melodik. Auch das einsatzige Orchesterwerk, die
Konzertouvertiire, gewinnt an Verbreitung, sie begegnet bei Spohr, Weber (Jubelouvertiire) und
Schubert. Wie die zyklische Form, halt sich auch die der E J nzelsatze noch in den hochklassi-
schen Grenzen. Nur Schubert wahlt ab und zu die Mollregion fur den Seitensatz, aber nicht
die altneapolitanische Molltonart der Dominante, sondern die Parallele der Dominante (vgl.
die ersten Satze der C-Dur-Symphonie, des Oktetts u. a.). Der Seitensatz bringt bei Spohr und
Weber fast immer (in Fortfiihrung von Mozarts Praxis) weiche, italienische Kantabilitat,
wobei Spohr in Vorhalten und figurativer Chromatik schwelgt, wahrend Schubert (nach
Haydns Vorbild) volkstiirnliche Melodik wienerischer oder ungarischer Pragung bevorzugt.
Im Epilog lebt sich bei Spohr und Weber gern das virtuose Element aus, was auch sonst in
der Mozartschule (z. B. bei Hummel) der Fall ist; Schubert greift hier meist durchfiihrungs-
artig auf Haupt- oder Seitensatz zuriick, auch hierin der Schiller Haydns, aber auch Beethovens.
Des letzteren vertiefte Durchfiihrung und durchfiihrungsartige Koda begegnet gleichfalls nur
bei Schubert. Schuberts Menuett und Scherzo tragt fast ausnahmslos ganz oder in einzelnen
Abschnitten Landlercharakter. Trotz der angedeuteten stilistischen Unterschiede zwischen
Webers und Schuberts Werken tritt aber in der Asthetik der mehrsatzigen Form der Einflufi
Beethovens bei beiden deutlich hervor. Dafi Schuberts Vorbild von ca. 1820 an Beethoven
wird, ist angesichts von Werken wie die unvollendete Symphonic in H-Moll (1822) oder das
D -Moll-Quart ett (1827) unverkennbar, wenn auch der Jtingere nicht die Kraft fand, sich
nach ersten Satzen katastrophalen Ausgangs zu einem triumphierenden Finale durchzukampfen ;
im D-Moll-Quartett z. B. bringt der SchluBsatz nur leidenschaftlichen Widerstand auf und
nach dem Zusammenbruch im 1 . Satze der H-Moll-Symphonie fehlte dem Meister anscheinend
selbst die Seelenstarke zu einem derartigen Abschlusse, geschweige denn zu einem jubilierenden
Finale, und das Werk blieb ein Torso (Skizzen zum Scherzo sind vorhanden). Unter Webers
Klaviersonaten verrat besonders die in D-Moll des Tondichters Beethoven EinfluB. Im
1 . Satze folgt auf eine Hauptsatzgruppe tragischen Charakters eine Uberleitung, deren ener-
gisches Hauptmotiv formlich den Kampf gegen die femdlichen Machte aufnimmt und diesen
in der Durchfiihrung tatsachlich durchkampft, denn in der Reprise erschemt der Hauptsatz
Instrumentalmusik von 1750—1828 g31
hell und freudig in Dur, kontrapunktiert von dem streitbaren Motiv der Oberleitung. Offen-
kundig hat hier die Ouvertiire Beethovens vorbildlich gewirkt, die natiirlich besonders die
Ouvertliren der Zeit befruchtet hat. Neben Beethovens Typus trat allerdings ein zweiter,
inhaltlich gerade entgegengesetzter : das Opernvorspiel Gioacchino Rossinis (1792 — 1868).
Seine Ouvertiiren zeigen fliichtige Sonatenform und sind vollstandig aus Melodien der zu-
gehorigen Opern zusammengesetzt ; da an Stelle der Durchfiihrung meist eine neue Melodie
oder Melodiengruppe steht, liegen eigentlich Potpourris mit Exposition und Reprise vor, zumal
die Aneinanderreihung der Themen ohne jede tondichterische Absicht nach rein musika-
lischem Abwechslungsbediirfnis erfolgt. Zwischen den beiden Gestaltungsprinzipien Beet
hovens und Rossinis liegt die gesamte Ouvertiirenproduktion des zweiten und dritten Jahr-
zehnts des 19. Jahrhunderts, im treuen Anschlufi an eines der beiden Vorbilder oder in den
verschiedenartigsten Mischungen der beiden Typen. So zeigen Hoffmanns ,,Undine"~Vor-
spiel und Schuberts Ouvertiiren Beethovens Typus: tondichterisch ausgenlitzte Sonatenform
mit gelegentlicher Heriibernahme bezeichnender Melodien aus der Oper, wahrend Spohrs
Vorspiele, ohne direkt Rossimsche Potpourris zu sein, das zur Ganze den Opern entstammende
melodische Material rein nach den Kontrastgesetzen der Sonatenform, ohne tondichterische
Griinde gruppieren. Weber, dessen erste Ouvertiiren der Rossinischen Anlage nahestehen,
schafft in seinen reifen Opern, angefangen vom ,,Freischiitz" (1821), ein ideales Kompromifi,
Beethovensches Inhalts- und Formprinzip unter gnmdsatzlicher Beniitzung charakteristischer
Melodien der Oper. So bildet in der ,,Freischutz"~Ouverture die Gewittermusik der Wolfs-
schluchtszene den Hauptsatz und eine Arie der Agathe den Seitensatz: die beiden Machte,
Holle und Himmel, die um die Seele des Jagers Max streiten, sind einander gegeniibergestellt.
Nach kurzem unentschiedenem Kampf in der Durchfiihrung bringt die Reprise aufs neue
die Antithese der Exposition und nach neuerlichem Ringen triumphiert in der Koda das Agathe-
thema. Damit ist die eindeutigste Ausgestaltung der Sonatenform zur tondichterischen Ouvertiire
erreicht. Ebenso sind die Vorspiele der ,,Euryanthe" (1 823) und des ,,0beron" (1826) angelegt.
Zu den Impromptus und Moments musicaux treten'als weitere einsatzige Klavierstiicke
Tanze, Schuberts und Webers Landler, Deutsche, Walzer, Ekossaisen und Polonasen.
Auch Haydn, Mozart und Beethoven hattenSerien derartiger Tanze geschrieben, aber rein als
Gebrauchstanze, wirkliche Tanzmusik. Auch Schuberts Landler usw, gingen aus der Ge-
brauchsmusik hervor, meist ' aus improvisierter Tanzbegleitung ; bei der Niederschrift aber
erhielten sie eine so gewahlte Harmonik und wurden so feinsinnig zu kontrastreichen, sich
steigernden oder verklingenden Reihen zusammengestellt, daB sie auch iiber ihren urspriing-
lichen Zweck hinaus als reine Instrumentalmusik dienen konnten, zumal auch die Melodik
der Impromptus usw. meist aus volkstiimlicher Tanzmelodik geschopft war. Damit beginnt
die Stilisierung der modernen Tanze, die zum ,,Konzertwalzer" u. dgl. fiihrte. Das erste der-
artige Werk entstand schon zu Schuberts Lebzeiten : Webers ,,Auffonierung zumTanz**, eine
Walzerserie mit Introduktion und Koda. Neben der Entwicklung des ,,Konzertwalzers" lauft
eine ahnliche der Polonase. Im 18. Jahrhundert als Suitensatz und auch Einzelstiick (Wilh.
Friedemann Bachs ,,Sechs Polonasen*') barock stilisiert, wurde sie um 1810 durch Fiirst
Michael Kleophas 0 gin ski (12 Polonasen) wieder mit ihren originalen Eigentiimlichkeiten
der mitteleuropaischen Kunstmusik zugefiihrt und fand nun reiche Pflege. Schon Oginski
verwendete in der Begleitung den Rhythmus des spanischen Bolero J~J"J' J j J J, der der
832 Instrumentalmusik von 1750 — 1828
Polonase nunmehr verblieb. Auch sie verdankt Schubert und Weber einen bedeutenden
Schritt vorwarts in der Entwicklung, Chopin konnte hier unmittelbar ankntipfen. Noch eine
einsatzige Form hat Schubert genial weitergebildet, die Fantasie. Einige hochromantische
Jugendwerke dieser Art verraten deutlich ihre Abstammung von Mozarts Klavierfantasie ; in
der zweihandigen ,,Wandererfantasie" und der vierhandigen in F-Moll aber entwickelt Schu
bert die Form weiter, indem er (vielleicht durch Beethovens Fantasiesonaten angeregt) die
emzelnen Abschmtte des mehrteiligen Mozartschen Typus im Sinne der zyklischen Sonaten-
form ausbaut. Eine solche Fantasie enthalt (in mehr oder minder ausgedehntcn Bruch-
stiicken) ein Allegro, einen langsamen Satz und ein Scherzo; den Abschlufi bildet allerdings
eine Fuge oder wenigstens ein kontrapunktischer Durchfiihrungsteil. DaB eine solche ,,Sonate
in einem Satz" die Form der sp'ateren ,,symphonischen Dichtung" vorbildet, ist klar. Aber auch
die fast leitmelodische Verwendung eines kurzen Motivs durch die ganze ,,Wandererfantasie"
arbeitet der Technik der ,,symphonischen Dichtung" vor.
Starkere an den herkommlichen Formen aus tondichterischen Griinden vorgenommene Ver-
anderungen begegnen bei den Friihromantikern selten. Bei Spohr ware da das 8. Viohn-
konzert ,,In Form einer Gesangszene" zu nennen, das dem Konzert die Errungenschaften des
damaligen Akkompagnatorezitativs zufiihrt, Webers ,,Euryanthe**-Ouverture eroffnet die
Durchftihrung mit einem langsamen, der Opernmusik (Grabmalsszene) entnommenen Satze,
kombiniert also den Durchfiihrungsersatz der alten Singspielouverture mit einer wirklichen
Durchfiihrung. Schubert hat sich trotz aller Einwirkungen Beethovens bis in seine letzten
Werke solcher Kiihnheiten enthalten, dafiir aber die starken Kontrastwirkungen seines be-
wunderten Vorbildes aufgenommen und ist in Harmonik (Mediant enbeziehungen) und In
strumentation (melodische Verwendung der Blechblaser, sogar der Posaunen) iiber Beethoven
hinausgegangen. Auch Webers Orchesterbehandlung (Beniitzung der Klangfarben aller In-
strumente, auch in nicht normalen, nicht klangschonen Lagen) geht neue Wege. In der Stimm-
fiihrung verwendet Schubert im ,,obligaten Akkompagnement" nach Beethovens Vorbild manch-
mal wirkliche moderne Polyphonic, so im 1 . Satze des D-Moll-Quartetts, wo er in der zweiten
Gruppe des Seitensatzes dessen Hauptphrase mit dem Hauptsatzmotiv und einem neuen Kontra-
punkt kombiniert. Die Verwendung altklassischer Mittel ist bei den Zeitgenossen des ,,letzten
Beethoven" iiberaus bescheiden: in Hoffmanns Klaviersonaten begegnen Fugenatze, Spohr
schrieb eine (allerdings wie eine Travestie wirkende) ,,Historische Symphonic im Geschmacke
dreier Zeitalter", Schuberts Fugen sind sehr sparlich und Weber ersetzt das ,,Archaisieren"
durch das ebenso romantische ,,Exotisieren" (Zigeunermusik in ,,Preziosa", eine chinesische
Melodic in der ,,Turandot"~Ouvertiire). Die wirkliche Programmusik endlich streift nur Spohr
in seinen Symphonien ,,Die Weihe der Tone", ,,Irdisches und Gottliches im Menschenleben"
und ,,Die Jahreszeiten", ohne aber die Formen dem Programm zuliebe starker zu modifizieren.
So erweist sich Schubert als derjenige Friihromantiker, der am meisten von alien durch
Beethovens letzte Werke angeregt wurde, zugleich aber auch als die grofite Individuality
neben Beethoven; wie in seinen Gesangswerken, ist er auch als Instrumentalkomponist in
erster Linie Lyriker. Weber, der Dramatiker, greift besonders nach dem Tondichterischen in
BeetKovens Schaffen und gerat daher in seinen Klavierwerken, wenn sich keine Veranlassung
zu tondichterischer Entfaltung bietet, oft in eine gewisse, virtues verbramte Seichtigkeit.
Spohrs Starke ist wiederum die Lyrik; wenn Schubert die Schrankenlosigkeit des letzten
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 833
Beethoven trotz aller Bewunderung nicht nachzuahmen wagte, so fehlte Spohr jedes Verstandnis
dafiir und seine Zugehorigkeit zur Romantik liegt in erster Lime in seinem Opernschaffen.
Von kleineren Zeitgenossen der groBen Meister seien angefiihrt: Johann Baptist Cramer
(1 771 — 1 858, dessen ..Etiiden" romantischeStimmungsstiicke sind), John Fi eld(1 782— i 837, der
Schopfer der ,,Nokturne"), August Alexander Klengel (1783—1852, der extremste Vertreter
des romantischen Archaisierens in semen Versuchen, durch eigene Fugen und Kanons Backs
Kunst zu iiberbieten), Ferdinand WilhelmKalkbr en ner (1788 — 1849) und IgnazMoscheles
(1794 — 1870), beide Vertreter der Virtuositat in romantischen Formen, und Karl Czerny
(1791 — 1857, der Lehrer einer ganzen Generation romantischer Pianisten, z. B. Franz Liszts).
Literatur
1. Biicher
Biographische Werke iiber A. Scarlatti (Dent), J. S. Bach (Spitta), Handel (Chrysander), Pergolesi (Radiciotti),
W. F. Bach (Falck), C. Ph. E. Bach (Bitter, Vrieslander), Gluck (Schmid), Haydn (Pohl, Schnerich-Fischer),
Mozart Qahn-Absrt), Beethoven (Thayer, Bekker), Schubert (KreiBle, Dahms), E. T. A. Hoffmann (Ellinger),
Spohr (Autobiographic), Weber (Jarns), Rossini (Pougin). — G. Beckmann ,,Das Violinspiel in Deutschland
vor 1700". — H. Botstiber ,,Geschicht2 der Ouverture". — W. Danckert ,,Geschichte der Gigue". —
W. Fischer ,,Zur Entwicklungsgeschichte des Wiener klassischen Stils (St. MW. III).— M. Fliieler ,,Nord-
deutsche Symphonic". — H. Gal ,,Stileigentiimlichkeiten des jungsn Beethoven" (St. MW. IV). — K. Gei ringer
,,Paul Peuerl" (St. MW. XVI). — H. Jalowetz ,,C. Ph. E. Bach und die Wiener Klassiker" (Slbd. I.
M. G. VI). — L. de la Lawrencie ,,L'ecole francaise de violon de Lully a Viotti". — K. Mennicke
,,Hasse und die Briider Graun als Synrcphoniker". — A. Sandberger ,,Zur Geschichte des Haydn'schen
Streichquartettes". — A. Schering ,,Geschichte des Instrumentalkonzerts". — H. P. Schokel ,,J. Christian
Bach und die Instrumentalmusik seiner Zeit". — R. Sondheimer ,,Die formale Entwicklung der vorklassischen
Symphonic" (A. MW. IV.) und ,,Die Theorie der Symphonic".
2. Ausgaben
Gesamtausgaben: Sweelinck, Schein, Froberger, Purcell, Buxtehude, Corelli, Fischer, Couperin, Rameau, Bach t
Handel, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert. D. T. 0. : Bde. 2 (Muffat), 4 (Muffat), 7 (Gottl. Muffat), 1 1 (Biber),
17 (Pachelbel), 19 (Fux), 23 (Muffat), 25 (Biber), 27 (Poglietti usw.). 29 (M. Haydn), 31 (VorUassiker), 33 (AI-
brechtsberger), 39 (Vorklassiker), 47 (Fux), 50 (Lautenmusik), 56 (Schmeltzer), 58 (Gottl. Muffat), 60 (Gluck),
67 (Forster), 70 (Peuerl). Kaiserwerke Bd. 2. — D. D. Tk. I: Bde. 1 (Scheidt), 4 (Kuhnau), 10 (Fischer),
11 (Buxtehude), 16 (Franck und HauBmann), 18 (Rosenmuller), 21/22 (Zachau), 29/30 (Deutsche Konzerte),
39 (Schobert), 43/44 (Stuttgarter Ballette), 61/62 (Telemann), 63 (Pezel). — D. D. T. II: Bde. 1 (Abaco),
2/1 (Pachelbel), 2/2 (Kerll), 3/1 (Mannheimsr Symph.), 4/1 (Pachelbel), 4/2 (Hafiler), 7/2 (Mannheimer Symph.),
8/2 (Mannh. Symph.), 9/1 (Leop. Mozart), 12/2 (Rosetti), 15 (Mannh. Kammermusik), 16 (Mannh. Kammermusik),
18 (J. und J. Ph. Krieger, Murschhauser), 21/24 (Kindermann), 25 (Rosetti), 27/28 (Fez). — Haberl, Fresco-
baldi. — Torch! Bd. 7. — Eitner Publ. Bd. 14, 15. — Niederl. M. G. Bd. 14. — Farrenc ..Tre'sor musical". —
Chefs-d'oeuvre class. — Kammermusik-Anthologien von David, Jensen, Alard, Schering, Riemann. — Pauer (Alte
Meister des Klavierspiels).
Wilhelm rischer
DIE KATHOLISCHE KIRCHENMUSIK
SEIT 1750
Im Jahre 1740, also kurz nach Antritt der Stellung als Kapellmeister zu St. Stephan, hatte
J. G. Reutter (s.S.535) von einer Entdeckungsreise nach Nachwuchs fur seine Sangerschar
den jungen Joseph Haydn (1732—1809) als Sangerknaben nach Wien gebracht^dieser
sollte nunmehr durch fast 20 Jahre hier verbleiben und die mannigfachen Anregungen in sich
aufnehmen, die ihm das Musikleben der Kaiserstadt bot. In der Kirchenmusik war es wohl
834
Die katholische Kirchenmusik seit 1750
vor allem das Repertoire des Domchors zu St. Stephan, das der Knabe genau kennen lernte,
daneben aber auch die Musik der Hofkapelle, deren Chor mitunter durch die Sangerknaben
von St. Stephan verstarkt wurde. Allein auch die Kirchenmusik anderer Kirchen mag wohl
auf Haydn eingewirkt haben, wie z. B. die der Michaelerkirche. Jedenfalls war es auf kirchen-
musikalischem Gebiete durchaus die Wiener Tradition, in der Haydn aufwuchs. Der Ver-
gleich der f riihen Kirchenwerke Haydns und Mozarts zeigt deutlich, dafi spezielle Wiener Eigenart
auch in der Kirchenmusik zum Ausdruck kam. Wie iiberhaupt in dieser Zeit spielt auch bei Haydn
der Unterschied zwischen Missa solemnis (f eierliche M.) und Missa brevis (kurze M.) eine nicht un-
bedeutendeRolle.Ge\vi8istdamitauchdieverschiedeneAusdehnungdereinzelnenWerkegekenn-
zeichnet;alleinschon die Gegeniiberstellung von brevis und solemnis zeigt, dafi der wesentliche
Unterschied anderswo liege. Mozart beklagt sich in einem Briefe an P. Martini vom 4. September
1 776, daB auch das f eierliche Pontif ikalamt in Salzburg nicht langer als drei Viertelstunden dauei n
diirfe. Gleichwohl schrieb er auch zu solchen Gelegenheiten Missae solemnes, die allerdings
manchmal kaum iiber die Ausdehnung so mancher Missa brevis hinausragen. Der Unterschied
liegtletzten Endes wohl 5m Liturgischen begriindet; dafi eine nicht solenne Messe gleichzeitig
auch in ihrem Umfang unscheinbarer wurde, 1st mehr eine Folgeerscheinungdes Umstandes, daB
fiir diesen Zweck nicht der grofie Klangapparat herangezogen wurde, wie fur die f eierliche Messe ;
geradeso wie eine Missa cantata unter Mitwirkung eines Diakons und Subdiakons langere Zeit
in Anspruch nimmt als eine vom Zelebranten allem persolvierte. DaB die Unterscheidung
musikalisch in der Tat auch die Lange der Messe beeinflufit, mag schliefilich auch darin einen
Grund haben, dafi die Erweiterung der liturgischen Zeremonien fur die Musik mehr Zeit
bietet. Eine Folge dieses Strebens nach Kiirze iiber das schon durch den kleineren Apparat
bedingte Mafi waren nun liturgisch unzulassige Textelisionen oder der gleichzeitige Vortrag
mehrerer Textphrasen, wie ihn z. B. Haydns erste Messe am Anfangedes Credo zeigt:
All0 mdto
f[£j? ] j^~~* 1
-J*-S S — J — H — )5 — « — f. —
F \~f P
Pa-trem om - ni - po - ten
Ik /v - Nr— N JS K- |H
-t-3. 1 ^ $—$^—
tem, fac - to-rem coe - li et ter - r
P) j i ly N
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IS? * J J J^ JH
Vi - si - bi - li - um
-**»*»' h 4
om - ni - um et in - vi - si - bi -
-&3 fi g-ff i* ,
=f^=9 *-
li - um
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_*L / v ^_4j p_
Et ex Pa-tre na-tum an -
te om - ni-
j. . • * . 1
-•— fi ^— *-4
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Pa-trem om-ni po-ten
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tem, fac - to-rem coe
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S-t^M= —
Die katholisdhe Kirchenmusik seit 1750 §35
Dafi in der Missa brevis derart selbstandige Formungen, wie sie in hochster Ausbildung die
Kantatenmesse zeigt, nicht vorkommen, erscheint selbstverstandlich. Das obige Beispiel zeigt
sogar den allerdings nicht haufigen Fall, dafi einer Textphrase nicht einmal eine geschlossene
musikalische Phrase entspricht.
Uberbhckt man Haydns kirchenmusikalisches Schaffen, so zeigt sich innerhalb der Mefi-
komposition eine Pause von 14Jahren(1782— 1796), die in derRegel auf die Josef inischenVer-
ordnungen zur Vereinfachung des Gottesdienstes zuruckgefuhrt wird. Die zeitgenossischen
Urteile uber den Umfang und die Wirkungen dieser Mafiregeln sind nicht ganz klar.
Wahrend in Reisebeschreibungen bis zu dem Ausspruch gegangen wird, dafi die Kirchen
musik in dieser Zeit in Wien fast erloschen sei, ergibt sich aus anderen Quellen, dafi nicht
nur in der Hofkapelle die Instrumentalmusik beibehalten wurde, sondern sogar in alien Pfarr-
kirchen die sonntaglichen Hochamter mit Instrumentalmessen gefeiert wurden. VonEinflufi
mag die zweifellos erfolgte Einschrankung allerdings gewesen s'ein; allein fur Haydn kame
dies auch wieder nicht so sehr in Betracht, da er ja erst im Jahre 1790 aus Eisenstadt nach
Wien zuruckkehrte, die folgenden Jahre aber groBenteils auf Reisen war. Tatsache ist,
dafi nach dieser Pause Haydns Messenstil sich merklich von dem aus seiner friiheren Zeit
unterscheidet.
Eine typische Missa brevis fur zwei konzertierende Soprane, vierstimmigen Chor, 2 Violinen,
Bafi und Orgel liegt in Haydns erster Messe — von Pohl um das Jahr 1753 angesetzt — vor.
Kyrieund Gloria weisen keinerlei durch Tempo oder Taktwechsel als selbstandig gekennzeich-
nete Teile auf. Auch Kontrapunktik ist darin keine anzutreffen. An die Melodiebildung der
musikalischen Hochbarocke erinnern haufige Sequenzketten. Haydns nachstes erhaltenes
Messenwerk — zwei Messen der Zwischenzeit sind verschollen — , die Missa de B. M. V.
(Marien-Messe) in Es-Dur aus dem Jahre 1 766, nach der darin zutage tretenden konzertanten
Verwendung der Orgel gewohnlich ,,Gro6e Orgelsolo-Messe" genannt, gehort dem Typus
der Missa solemnis an. Schon die Besetzung lafit dies erkennen. Den solistisch und chorisch
verwendeten 4 Singstimmen sind 2 Violinen, Viola und Bafi, 2 Englisch-Horner, 2 Horner,
2 Trompeten und obligate, konzertierende Orgel zugesellt. Die Unterschiede zwischen
Missa brevis und solemnis treten hier deutlich hervor. Das Kyrie erhalt z. B. ein langeres
Orchesterritornell, dessen Kopf phrase das Thema des imitierenden Chorsatzes ist. Das Christe
ist durch gesonderte Thematik und solistischen Vortrag deutlich unterschieden, wenn auch
lediglich Mittelsatz. Das Gloria ist dreiteilig, indem den beiden Jm Prinzip chorischen
Aufienteilen im geraden Takt als wesentlich solistischer Mittelteil ein 3/s-Andante gegeniiber-
steht. An sich sinnlose Textwiederholungen zeigen, wie die musikalische Konzeption wohl von
der allgemeinen Stimmung der Textworte ausgeht, von dem besonderen Inhalt beeinflufit wird,
jedoch vollig das musikalische Metrum herrscht, dem sich der Text anpassen mufi. Gloria
und Credo weisen hier am Schlusse auch schon die bei Festmessen traditionelle Fugierung
auf. Die schon im 17. Jahrhundert festzustellende Praxis, dem Gegensatz des Fugenthemas
das ,,Amen" zu unterlegen, findet sich auch hier.
Dem in der ersten Messe und in der Nicolaus-Messe (Missa Sti. Nicolai, 1772) anzu-
treffenden Gebrauche, fur das ,,Dona nobis pacem" den Tonsatz des Kyrie wiederzuver-
wenden, steht die in den iibrigen Messen Haydns festzustellende selbstandige Komposition
dieses Abschlusses des gesamten Werkes gegenuber. In samtlichen spateren Messen Haydns
836 Die katholische Kirchenmusik seit 1750
ist es em Allegrosatz. In der Es-Dur-Messe greift der Kiinstler sogar zu emem Presto im
6/g-Takt, eine nach der heutigen Auffassung dem Inhalt der in diesen Worten liegenden Bitte
um Frieden allerdings nicht entsprechende Vertonung. Allein man darf nicht iibersehen, dafi
der Geist der Zeit in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts — und aus diesem heraus miissen
diese Kunstwerke wohl betrachtet werden — ein vollig verschiedener war von dem unserer Zeit.
Auch religiose Bilder friiherer Zeiten entsprechen vielfachin ihrer Auffassung durchaus nicht
dem heutigen religiosen Empfinden; man denke an die Verziickung der hi. Theresia von
Bernini, oder an die Darstellung .der Begegnung Maria auf Hans Baldungs Hochaltar im
Miinster zu Freiburg, oder auchv an den Weltenrichter in Michelangelos Jiingstem Gericht.
Wie also fur die bildende Kunst hinsichtlich der Verwendung im Gotteshaus und damit beim
Gottesdienst die Anschauungen sich andern, so gelten auch flir die Beurteilung der Kirchen
musik hinsichtlich ihrer Eignung fur den liturgischen Gebrauch nicht zu alien Zeiten die
gleichen Grundsatze. Aus dem Geiste ihrer Zeit geboren kann die Kirchenmusik der zweiten
Halfte des 18. Jahrhunderts in kompositionstechnisch-stilistischer Hinsicht als zusammen-
fassende Vollendung der vorangegangenen Entwicklung bezeichnet werden, inhaltlich-stili-
stisch als Ausdruck der damaligen, die scharfe Trennung von religiosem und profanem Leben
zuriickdrangenden Geistesrichtung. Daraus erklart sich wohl auch der wahrend des ganzen
1 8. Jahrhunderts immer starker werdende Einflufi von seiten der weltlichen, insbesondere der
Opernmusik auf die kirchliche Komposition. Auch der in Haydns und Mozarts Kirchen-
werken sich deutlich auGernde Optimismus, der Geist der Lebensbejahung hangt mit den
geistigen Grundlagen dieser Zeit enge zusammen. Wenn z. B. Jos. Haydn in seiner Maria-
zeller Messe aus dem Jahre 1 782 fur das Benedictus eine Arie aus seiner fiinf Jahre zuvor ge-
schriebenen komischen Oper „// mondo della luna' (,,Die Welt des Mondes") verwendet, so
darf dies nicht weiter verwundern. Die Wahl der Mittel, welche zur Verherrlichung Gottes
dienen sollten, war — fast mochte man sagen — von allgemein asthetischen und nicht
speziell von liturgischen Erwagungen oder besser Empfindungen bestimmt; auch wenn der
Kiinstler tiefglaubig war, oder damals vielleicht gerade deshalb, meinte er nicht, sich von der
Welt abwenden zu sollen, wenn er an die Komposition einer Messe schritt.
Damit erklart sich auch der gegen friihere Zeiten inhaltlich weit mannigfaltigere Charakter
der verschiedenen Kompositionen des gleichen Textes. Vielleicht manchmal durch besondere
au6ere Einflusse der Gelegenheit bestimmt, der die Komposition gait, bietet schon Haydn
Beispiele fur MeBkompositionen, die untereinander im Stimmungsgehalte ganzlich verschieden
sind. So tragt z. B. das Kyrie der Nikolaus-Messe aus dem Jahre 1772 — zwischen ihr und
der oben erwahnten grofien Orgelsolomesse liegt noch die ,,Kleine Orgelmesse" aus dem
Jahre 1 770 — , das bezeichnenderweise nach dem Orchesterritornell mit Solostimmen ein-
setzt, anmutig lieblichen Charakter, der an die ,, Pastoral -Messen" spaterer Zeit erinnert.
Dieses Werk bietet auch mannigfache Belege fur die der klassischen Stilperiode Jm Gegensatz
zur vorangehenden eigene Kontrastbildung im kleinsten Rahmen, indem die eine Halfte einer
Phrase z'I'B. /, die zweite als Kontrast p vorgetragen wird. Auch dem Inhalte des Textes
wird an besonders kennzeichnenden Stellen entsprechender Ausdruck verliehen, so dafi
neben der vielfach ohne besondere Rucksiehtnahme auf den Text, nach rein musikalischen
Gesichtspunkten erfolgenden Konzeption auch wieder Ausdruckskunst einhergeht, die in
starkem MaCe auf den Inhalt einzelner Gedanken und Worte eingeht.
Die katholiscKe Kirchenmusik seit 1750
837
Die ausgebildete Kantatenmesse kann wohl mit Recht als der Formenwelt der neapolita-
nischen Schule angehorig, fiir sie kennzeichnend angesehen werden. Und es ist bemerkens-
wert, daB Haydn dieses Gestaltungsprinzip nur einmal, in der Cacilien-Messe aus dem Jahre
1 782 angewendet hat. Wenn auch weitere Publikationen hieriiber erst Licht bringen miissen,
drangt sich doch die Vermutung auf, daB die Tradition in der praktischen Kirchenmusik Wiens
dieser Form ferner stand. Vielleicht Jst darin eine Nachwirkung der vorneapolitanischen
Messenproduktion, ein konservativer Zug der Wiener Mefikomposition, in der Haydn auf-
wuchs, zu erblicken. Ist die Vermutung zutreffend, daB Haydn dieses Werk fur die Kirchen-
feier der alljahrlich den Tag ihrer Schutzpatronin festlich begehenden Wiener ,,Cacilien-
Congregation", der vornehmen Musikerorganisation Wiens, schrieb, so ist dieses Abweichen
Haydns von seiner sonstigen Gepflogenheit sehr wohl erklarlich. Es War nicht Gebrauchs-
kirchenmusik im gewohnlichen Sinne, die er damit schrieb, sondern eine eigentliche Festmesse.
Dieses Werk hat durch seinen Umfang schon in den alten Druckausgaben bedeutende
Kiirzungen veranlafit. Neben einer Koloraturarie (Laudamus te), tritt hier besonders das ,,Et
incarnatus est" hervor, das die Einfiihrung des Rezitativs in die MeBkomposition zeigt:
Largo
Ten. Solo.
Et in - car - na - tus est, et in - car - na - tus est, die spi-ri - tu san - cto
Damit weist Haydn schon auf Beethovens Missa solemnis, wo das ,,Agnus dei" im Verlaufe
hochster, geradezu dramatischer Steigerung rezitativisch vorgetragen wird. Allein der Unter-
^chied wird deutlich, wenn man beachtet, wie hier das Rezitativ nicht selbstandig erscheint,
sondern als typische Einleitung mit Dominant schluB zur darauffolgenden Arie, deren ganzen
Text es allerdings vorwegnimmt. Das formale Schema herrscht also hier noch. In der
Cacilien-Messe Haydns liegt auch ein friihes Beispiel einer sogenannten ,,Credo-Messe" vor,
d. h. im Credo wird nach jedem Glaubensartikel das Wort ,,Credo" wiederholt, ein liturgisch
unzulassiger, aber in der damaligen, mit dem Texte ziemlich frei verfahrenden Mefi-
zwar
komposition nicht seltener Brauch. Er begegnet auch bei Mozart.
Mit dem Jahre 1 782 schliefit der obsn erwahnte erste Abschnitt der kirchenmusikalischen
Tatigkeit Haydns. Die Verwendung iiber die Chorstimmen hinausgehender konzertierender
Solostimmen findet sich nur in der ersten Messe. Im iibrigen erscheint, abgesehen von der
Cacilien-Messe, das Solo als Ensemble dem Chore gegenubergestellt. Nicht die Soloarie oder
das Duett, jene monodischen Gesangsformen, sind es; die seitens Haydn in der MeBkompo-
sition Pflege und Fortbildung erfahren, sondern das schon in friiherer Zeit festgestellte Solo-
ensemble und das Tuttiensemble (der ,,Chor") treten einander gegentiber, ohne daB aber mit
der Verwendung des Soloquartetts durch Haydn ein neues Element in die Kirchenmusik ein-
gefuhrt wurde. Es ist dies im Gegenteil eine an die osterreichische Barocke der spaten vene-
838 Die katholische Kirchenmusik seit 1750
zianisch-romischen Stilrichtung, wie sie in Kerll, Biber usw. entgegentritt, ankniipfende Satz-
technik. Sowohl als thematisch selbstandiges, gegensatzliches Moment, wie als Mittelsatz,
verbunden mit satztechnischem Kontrast oder nicht, 1st sie schon friiher begegnet, wie auch
in engster Verbindung mit dem Chor, der als Antwort oder als Steigerung dem solistischeri
Vortrag gegeniibertritt. In melodischer und harmonischer Hinsicht machen sich auch.jn
der Kirchenmusik jene Merkmale geltend, die in der Instrurnentalmusik Haydns, seinem
Hauptgebiete im entwicklungsgeschichtlichen Sinne, seine Eigenart ausmachen. Die lied-
mafiige Melodik beherrscht nunmehr auch vollig den Chorsatz, der, in der Hauptsache homo-
phon, nur an bestimmten, gewissermafien geschlossen erscheinenden Abschnitten kontra-
punktisch gefiihrt wird. Die volkstiimliche Melodik tritt auch in der MeCkomposition ziemlich
haufig auf. Die Fiihrung in dem gesamten Klangkorper kommt den Singstimmen zu, das
Orchester hat hauptsachlich begleitenden Charakter, der haufig durch Figurationen und
daraus entstehende Eigenmotivik quasikontrapunktisch wird. Im Uberblick iiber die kirchen-
musikalische Produktion Haydns bis zum Jahre 1782 zeigt sich deutlich, wie der Kiinstler nicht
nur hinsichtlich seiner Instrumentalmusik, sondern auch auf dem Gebiete der Kirchenmusik
durchaus im Wiener Boden wurzelt, in der Wiener Tradition die Grundlagen des Stils vor-
findet, den er vermoge seiner kiinstlerischen Potenz weiterbildet und zum personlichen gestaltet.
Neben Wien besaB Osterreich im J8. Jahrhunderte noch ein zweites kirchenmusikalisches
Zentrum: Salzburg. Die Bedeutung dieses ,,deutschen Rom" auf kirchenmusikalischem
Gebiete machte sich schon wahrend des ganzen 17. Jahrhunderts geltend, als zweites
kirchliches Zentrum Osterreichs behielt es auch seine Stellung bei, bis die Sakulari-
sation der Bliite ein Ende machte. In musikalischer Hinsicht vermochte die Stadt um die
Mitte des 18. Jahrhunderts einen Gipfelpunkt zu erreichen, dem W. A. Mozart entsprofi.
Dem als Komponisten anscheinend unbedeutenden Sohn H. F. Bibers, Karl Heinrich von
Biber, folgte 1749 Johann Ernst Eberlin (1702—1762) als Hot- und Domkapellmeister,
der bereits 24 Jahre als Organist in der Kirchenmusik Salzburgs tatig gewesen war. Auch
als Kirchenkomponist entwickelte er eine fruchtbare Tatigkeit. Stilistisch gehort er der
durchaus von der siiddeutsch-venezianischen Richtung beeinfluBten neapolitanischen Richtung
an. Auch sein Schwiegersohn und Amtsnachfolger als Organist, A. Caj. Adlgasser (1728
bis 1777) gehorte zu den geschatzten Kirchenkomponisten Salzburgs. An Eberlins Stelle als
Vizekapellmeister war Giuseppe Lolli getreten, der ihm auch als Kapellmeister folgte. Im
Jahre 1743 erhielt nunLeopoId Mozart (1719— 1787), einstmals Student der Rechtswissen-
schaft an der Salzburger Universitat, eine Stelle als Violinist an der Hofkapelle. Als Eberlin
starb, wurde Mozart zum Vizekapellmeister ernannt und Michael Haydn (173 7— 1806), der
jiingere Bruder Joseph Haydns, aus Grofiwardein, wo er erzbischoflicher Domkapellmeister
gewesen war, als Orchesterdirektor nach Salzburg berufen. Mit diesen Namen ist eine Kom-
'ponistengruppe gekennzeichnet, die man nicht zu Unrecht als Salzburger Schule bezeichnet
hat. Eine zusammenfassende Behandlung ihres kirchenmusikalischen Schaffens fehlt noch.
Lediglich liber Michael Haydns Wirken auf diesem Gebiete sind wir genauer unterrichtet.
Seine im- Neudruck zuganglichen Werke, wie auch seine Tatigkeit als Komponist von Gra-
dualien fallen in die spatere Zeit seines Lebens. Vorerst sei dem hauptsachlich in die da-
zwischenliegende Zeit fallenden kirchenmusikalischen Wirken W. A. Mozarts kurz Beachtung
geschenkt.
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 839
Im Schaffen W. A. Mozart s (1 756 — 1 791 ) fallt aufierlich auf, wie mit der Ubersiedlung nach
Wien das Gebiet der Kirchenmusik mehr in den Hintergrund tritt. Nur der grofie Torso der
C-Moll-Messe (KV. 427) aus den Jahren 1 782 — 83 und die im letzten Lebensjahre entstandenen
,Ave verum" (KV. 618) und ,, Requiem" (KV. 626) gehoren dieser Zeit an. Und von den iibrigen
Kirchenwerken entstand ein Teil in Wien wahrend des ersten Aufenthaltes, das meiste in
Salzburg nach den Italienreisen, vor und nach der Weltreise. Der Grund fur diese Er-
scheinung liegt wohl darin, dafi Mozart, von der Salzburger bischoflichen Hofkapelle und
damit auch von der engen Beriihrung mit der Kirchenmusik losgelost, nicht mehr den halb
zwangsmaBigen Antrieb erfuhr, auf diesem Gebiete zu schaffen. Dafi es gerade Wien war,
wo Mozart — abgesehen von dem Pariser Kyrie (KV. 33) und dem Londoner ,,God is
our refuge' (KV. 20) — sich zum ersten Male kirchenmusikalischen Schaffensproblemen zu-
wandte, kommt auch in diesen Friihwerken deutlich zum Ausdruck. Der Aufenthalt Mozarts
in der Donaustadt fiel in das Jahrzehnt, das Hasse ebendort verbrachte, und Emfliisse von
dieser Seite mischen sich, wie Kurthen nachwies, mit solchen von seiten Glucks. Insbe-
sondere die Grundmotivtechnik Hasses kehrt in diesen Jugendwerken Mozarts wieder.
Daneben machen sich selbstverstandlich auch Einfliisse von seiten des Vaters und der Salz
burger Komponistengruppe geltend.
Die erste vollstandige Messe Mozarts, wie W. Kurthen nachwies KV. 139 (c-MoIl), die
der Knabe fur die Einweihung der Waisenhauskirche in Wien 1 768 schrieb, bietet ein kenn-
zeichnendes Beispiel fur den Pomp des spatneapolitanischen Messenstils. Die typische Adagio-
Einleitung als Kyrie zeigt — wie Abert bemerkt — fast opernhaftes Pathos. Auch freie Be-
handlung der Textworte macht sich stark geltend. In dem Allegro-Kyrie, das der erwahnten
Einleitung folgt, wird z. B. auch der Text Christe verwendet. Das iibliche Schema verlangt
gleichwohl einen eigenen Christe-Teil, der denn auch mit Taktwechsel und ganz selbstandig
nachfolgt, in hergebrachter Sitte solistisch vorgetragen. In der formalen Gestaltung des Kyrie
machen sich Einfliisse seitens der Sonatenform geltend, indem z. B. Doppelthematik mit
Tonika-Dominant- und Inhaltskontrast vorhanden ist. Wenn auch keineswegs der musikalische
und textliche Inhalt ohne jeden Zusammenhang sind, fur den Bau der Perioden und der
ganzen Satze sind fast durchgangig nur musikalische Gesichtspunkte mafigebend, ihnen
mufi sich der Text durch Wiederholungen usw. vollig anpassen. Auch das Gloria entspricht
in diesem Werke dem Charakter der Kantatenmesse. Arien und Duette wechseln mit Chor-
partien. Die Kontrapunktik ist auf bestimmte Abschnitte zuriickgedrangt, wie insbesondere
in die groBen Fugen am Schlusse von Gloria und Credo. Auch in den Duetten verschwindet
mehr der imitatorische Stil fruherer Zeiten, um Austerzungen oder Sextenparallelen u. dgl. zu
weichen. Der Widerstreit zwischen Konventionellem und Neuem, Personlichem macht sich
z.B.auch imBenedictus geltend, das nicht als Soloarie vertont ist, sondern als Wechselgesang,
indem viermal auf den Vortrag des Benedictus-Textes durch den Solosopran der Chor mit
Osanna antwortet. Gleichwohl laBt Mozart nachher das Osanna vom Sanctus wiederholen.
In seiner nachsten Messe (KV. 49) bewegt sich Mozart stark in den Barmen alterer Stil-
richtung. Der Einflufi der Ansichten des Vaters ist wohl unverkennbar. Kontrapunktischer
Satz macht sich weit starker als in spaterer Zeit geltend. Das Orchester weist sehr wenig
Sslbstandigkeit auf; wo es nicht akzessorisch verwendet ist, wie bei den kontrapunktischen
Stellen, muB es sich mehr oder weniger mit Figurierung begniigen.
Die katholische Kirchenmusik seit 1750
In freieren Bahnen bewegt sich bereits die Messe KV. 65 (datiert 14. 1. 1769). Auch sie ist
noch in knappsten Formen gehalten. Einen bedeutsamen Fortschritt bedeutet aber schon die
im gleichen Jahre komponierte Messe KV. 66. Schon in ihrer Besetzung (Streicher, Trom-
peten, Pauken) dokumentiert sie sich als Missa solemnis, ist sie ja auch for eine besonders
festliche Gelegenheit, die Primiz P. Hagenauers, geschrieben. Wahrend in den bisherigen
Messen die Soli sich in den Bau des Gesamtsatzes deutlich als Teile eingliedern, wird hier
zur neapolitanischen Verselbstandigung der solistischen Partien geschritten. Das Orchester
ist auch hier in der schon bekannten Weise verwendet, das rauschende Figurenwerk im / tritt
stark in den Vordergrund. Wie Mozarts Eigenart in der melodischen Erfindung schon
hier zum Ausdruck kommt, zeigt z. B. das'einen selbstandigen Satz bildende ,Lauda-
mus te . . .', dessen ganze Haltung auch den weltlichen EinfluB in der damaligen Kirchen
musik dartut.
Die italienische Reise Mozarts hatte den jungen Kiinstler die neapolitanische Stilnchtung
in ihrem Heimatlande kennenlernen lassen. Auch dort war der oben erwahnten alteren Gene
ration von Neapolitanern eine jiingere gefolgt, unter denen insbesondere Nicolo Jommelli
(17 14__] 774) unj B. Galuppi (1706—1785), wie auch G. B. Sammartini (1701—1775), der
Lehrer Glucks, zu erwahnen sind. Insbesondere das Requiem Jommellis, der 1753 — 1769
Hofkapellmeister in Stuttgart war, erlangte grofie Beriihmtheit. Die kirchenmusikalischen
Auswirkungen von Mozarts erster italienischer Reise zeigen sich aber — durch sein Bekannt-
werden mit dem einer strengeren Richtung angehorenden G. B. Martini (1706 — 1784)
— im gegenteiligen Sinner eine Reihe von Arbeiten im polyphonen Stil sind die Folge.
Eine Fragment gebliebene Messe (KV. 115) zeigt bei blofier Orgelbegleitung strenge
Kontrapunktik.
Die nachste Messe Mozarts ,,in honorem SSmae Trinitatis" (,,zuEhrenderhl.Dreifaltigkeit",
KV. 167) stellt nun den seltenen Fall einer neapolitanischen Messe ohne Soli dar. Der EinfluB
von seiten der instrumentalen Formen, insbesondere der Sonatenform, der sich schon lange
vor Mozart in gewissen Modifikationen der Soloarien bemerkbar machte und — wie erwahnt —
auch die Gestaltung der Kyrie bei Mozart bestimmte, greift hier — wie Abert dargelegt hat —
auch auf das Gloria iiber, und laBt Mozart im Credo eine freie Rondoform zur Anwendung
bringen, womit wieder ein neues, vom Text unabhangiges, rein musikahsches Moment in
die Mefikomposition eingefuhrt erscheint. An Stelle der Soloarien (,,Et incarnatus est" und
,,Et in spiritum") treten Episoden, die zwischen die freien Wiederholungen des aus zwei
Themen bestehenden, architektomsch als Rondoritornell zu bezeichnenden Teiles emge-
schoben smd. Die angefugte Schlufifuge ware dann mit Abert als groBe Coda zu bezeichnen.
Dieses Konstruktionsprinzip begegnet auch in spateren Werken Mozarts in weiterer Aus-
bildung wieder. In kontrapunktischer Hinsicht und hinsichtlich der thematischen Verein-
heitlichung — wieder ein rein musikalisches Moment — geht Mozart in seiner nachsten Messe
noch welter. Im Credo liegt die schon bei Haydn erwahnte Wiederholungdes ,, Credo" vor, das
hier auf dem auch aus dem Finale der Jupitersymphonie bekannten choralen Thema : Jg b a imrner
wiederkehrt. (Auch die Messe KV. 257 ist eine derartige ,,Credo-Messe'\) Schon mit dieser
Messe setzt in Mozarts kirchenmusikalischem Schaffen eine Reihe von Missae breves ein, die
wohl auch in dem Verlangen des Erzbischofs Hieronymus nach kurzen Messen ihren Grund
haben. Die zeithche Beschrankung zwang auch zur Reduktion des Klangkorpcrs. Auch In diesen
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 841
Messen zeigtsich das musikalisch-formale Streben Mozarts immer von neuem. Die wertvollsten
Teile sind die, in denen er seiner dramatischen Gestaltungskraft oder seinem lyrischen Emp-
finden freien Lauf lassen kann.
DerTypus der Mozarts chen Messe liegt im Jahre 1776 in seinen Hauptkennzeichen bereits
ausgebildet vor. Die spateren Messen bringen zwar mancherlei Ausgestaltung verschiedener
Einzelziige, ohne aber am wesentlichen etwas zu andern. Es bedeutet — vielleicht durch den Zwang
der befohlenen Beschrankung veranlafit — die Messe Mozarts, entsprechend der hohen
Formbeherrschung, die diesem Kiinstler iiberhaupt eigen war, eine Durchsetzung der vielfach
in einzelne, kaum zusammenhangende Teile zu zerfallen drohenden Satze rnit musikalischer
Logik im Sinne einer moglichst straff en formalen Gestaltung. Und gerade in der vielfach
zutage tretenden Vereinigung von musikalischer Form und geistigem Inhalte des Textes liegt
vielleicht das entwicklungsgeschichtlich wichtigste Moment in Mozarts MeBkomposition, Der
Umstand, dafi meistens das musikalische Moment das iiberwiegende ist, daB Mozart als Kind
seiner Zeit in den Messen Tone anschlug, die der profanen Musik nahe kommen, war insofern
fur die Entwicklung bedeutsam, als Nachfolger und Nachahmer nur in diesen aufierlichen
Momenten ihr Vorbild erblickten und dadurch die Mefikomposition, ihres inneren Gehaltes
beraubt, in der nachklassischen Zeit auf ein Niveau herabsank, aus dem erst nach langen
Jahren bewuBte und unbewufite Reformatoren sie wieder emporfiihren sollten. Das Ver-
haltnis von Solo und Chor erscheint groiBenteils durch die knappe Fassung der Messen
gegeben;dieVereinheitlichungzueinemKlangkorpergehtsehrweit:ineinermusikalischenPhrase
werden in dieser Hinsicht nicht nur Vordersatz undNachsatz, sondern auch noch deren Teile
zwischen Solo und Chor aufgeteilt. Zur Entwicklung groC angelegter Arien u. dgl. ist hier
keine Moglichkeit. Insbesondere die wohl schon im Hinblicke auf die erwahnte, vom Erz-
bischof geforderte Kiirze moglichst durchkomponierten Gloria und Credo zeigen bald von Vers
zu Vers gehenden, bald groCere Abschnitte umfassenden Wechsel von Soli und Chor, ohne
dafi aber, abgesehen von besonderen Stellen, wie z. B. ,,Et incarnatus est", gesonderte geschlos-
sene Formungen auftraten. Es herrscht groBenteils Klangwechsel innerhalb des als Ganzes zu
betrachtenden Teiles. Der Ort fur das grofier angelegte Solo ist das Benedictus und das Agnus
Dei, vielleicht, abgesehen von der Tradition beim ersteren, auch deshalb, weil im Gegensatz
zu Gloria und Credo, wo der Zelebrant mit der Fortsetzung der Messe auf den Schlufi der
Musik warten mufi, nach der Wandlungdieliturgischen Zeremonien wahrend des Chorgesanges
weitergehen, ihr ziemlichen Raum lassen und eine Kiirzung unter die Dauer der Zeremonien
zwecklos ware.
Der Chorsatz ist — wenn man von dem oben erwahnten Entwicklungsstadium absieht —
seinem Wesen nach durchaus homophon aufier an den Stellen, die geradezu Fugen sind,
wie z. B. die Schliisse von Gloria und Credo. Die Thematik der Fugen ist, wie iiberhaupt
die gesamte Melodik, durchaus harmomsch fundiert, zur linearen Thematik der Zeit Bachs
vielfach gerade gegensatzlich, Mozart fiigt sich aber nicht einem Zwange, diese Abschliisse
der grofien Satze kontrapunktisch zu gestalten, haufig tritt lediglich ein Fugato oder auch nur
Scheinpolyphonie auf.
Das Orchester in den Messen Mozarts bis zur Obersiedlung nach Wien ist bei den Missae
breves gewohnlich auf Streicher (auch ohne Violen) und Orgel beschrankt, doch konnen auch
Trompeten und Pauken hinzutreten. Eine der letzten Salzburger Messen (KV. 317) verwendet
842 Die katholische Kirchenmusik seit 1750
2 Violinen, 2 Oboen, 2 Fagotte, 3 Posaunen, 2 Horner, 2 Trompeten, Pauken, Bafi und Orgel.
Die Posaunen, deren Verwendung vielleicht auf Salzburger Tradition zuriickgeht — ihre
Verwendung im 1 7. JahrKundert findet hier ihre Fortsetzung — , treten im Tutti akzessorisch
zu den drei Chorunterstimmen hinzu. Trompeten und Pauken werden hauptsachlich im
Forte zur Betonung rhythmischer Ikten gebraucht. Solistische Verwendung im Sinne der
konzertierenden Instrumente friiherer Zeiten tritt iiberhaupt bei Mozart vollig zuriick, gehort
zu den Besonderheiten, wie z. B. in dem Agnus Dei der Messe KV. 337, das fur konzertie
renden Sopran, Oboe, Fagott und Orgel mit Streicherbegleitung geschrieben ist. Den Kern des
Orchesters bilden die Streicher, deren Verwendung (abgesehen von akzessorischer) die mannig-
fachsten GestaJtungen zeigt, angefangen von einer Begleitung in geklopften Akkorden, iiber die
Figurierung zur motivischen Fiihrung, gleichsam zur kompositionstechmschen Herrschaft iiber
den Chor. Auffallend haufig lafit Mozart die Streicher an irgendeiner Figur, einer rhythmischen
Bildung festhalten, offenbar wieder ein rein musikalisches Mittel der Vereinheitlichung.
Von den iibrigen kirchenmusikalischen Werken Mozarts bringen die Vespern, bei denen
— abgesehen von einer Andeutung im Magnifikat KV. 193 — von dem urspriinglichen Wesen
der Psalmodie musikalisch gar nichts mehr vorhanden ist, stilistisch keine neuen Momente.
Auch die Litaneien, die in emzelne selbstandige Satze zerfallen, fiigen sich vollig in das Bild
ein, das Mozarts Mefikomposition bietet. Als ,,Einlagen" in die Messen sind die Offertorien
Mozarts bestimmt. In ihrer ganzen Anlage weisen sie auf die Solokantate hin, die ins-
besondere in Italien in den Mefigottesdienst Eingang gefunden hatte. Sie bestehen aus ge-
trennten Arien und Choren, auch das Rezitativ hat Platz. Auf die wie anderswo, so auch in
Salzburg ubliche Verwendung reiner Instrumentalmusik wahrend des Mefigottesdienstes
weisen Mozarts Kirchensonaten hin, die (statt des Graduales?) zur Epistel zur Auffuhrung
kamen.
Die Ubersiedlung nach Wien brachte — wie schon erwahnt — ein Zuriicktreten der Kirchen
musik in Mozarts Schaffen. Um so wichtiger fur die Kenntnis Mozarts sind gerade die wenigen
dieser Zeit angehorenden, hierhergehorigen Werke. Der Einflufi der in Wien herrschenden
und gepflegten Kunstrichtungen wird in ihnen deutlich erkennbar. Im Hause van Swietens,
des Prafekten der Hofbibliothek, lernte Mozart die Werke Handels und Bachs genau kennen
und der monumentale Torso der C-Moll-Messe KV. 427, der 1782/83 entstand, gibt deutlich
davon Kunde. Der Gesamtanlage nach liegt eine Kantatenmesse grofien Umfanges vor. Das
Gloria besteht z. B. aus sieben selbstandigen Teilen. Sowohl in den Chorsatzen als auch im
Solo macht sich der erwahnte Einflufi geltend. Und im Chor ist es nicht so sehr die polyphone
Struktur, als vielmehr die barocke Kraft und der tiefe Ernst, der an vergangene Zeiten er-
innert. Dafi hierbei auch deren kompositionstechnische Mittel in moderner Weise zur An-
wendung gelangen, ist selbstverstandlich ; allein gerade darin zeigt sich Mozarts unerreichte
Genialitat, dafi er nicht die Aufierlichkeiten ubernimmt, sondern den Geist dieser Kunst er-
fafit und aus ihm heraus durchaus Modernes im damaligen Sinne schafft. Hieher gehort
z. B. das ,,Qui tollis" far achtstimmigen (Doppel-) Chor, 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Horner,
3 Posaunen, Streicher und Orgel, das eine freie Passacaglia iiber dem fur diese Form alther-
gebrachten chromatischen Bafiabstieg ist. Auch in der melodischen Themenbildung ist diese
Einwirkung festzustellen. Dafi in den ariosen Teilen sich teilweise unverfalschtes Neapoli-
tanertum mit reicher Koloraturverbramung geltend macht, mag vielleicht dem Umstande zu-
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 843
zuschreiben sein, daB Konstanze als Solistin auftreten sollte. Ebenso wie diese Messe blieb auch
Mozarts letztes Werk unvollendet, das Requiem, das Mozart far einen ihm unbekannten Be-
steller (den Grafen Walsegg) zu schreiben iibernommen hatte. Mozarts Freund und Schiller
Franz X. SiiBmayer vollendete es nach Mozarts Tod. Die letzte Stufe seiner Meisterschaft, der
dieNachwelt den ,,Don Giovanni", die ,,Zauberflote** verdankt, findet auch in diesem kirchen-
musikalischen Werke ihren Ausdmck. Die Aufierlichkeiten, die friiheren Kirchenwerken viel-
fach noch anhaften, verschwinden hier fast vollig. Mozart wird zum Romantiker,derden meta-
physischen Problemen, die ihm der Text aufwirft, in Tonen Ausdmck verleiht. In diesem
Werke erschemt denn auch das Problem der Vereinigung von musikalischer Form und text-
lichem Inhalt, das besonders Mozarts gesamtes kirchenmusikalisches Sch^ffen durchzieht, der
endgiiltigen Losung nahe gebracht. Auch dieses Werk zeigt breite Anlage. Das Fehlen
samtlicher hohen Holzblaser — es werden von dieser Instrumentengruppe nur Bassetthorner
und Fagotte verwendet — zeigt, wie Mozart auch hinsichtlich der Instrumentation von jeg-
licher Schablone sich frei machte. Die architektomschen Formen sind auch in diesem Werke
wohl vielfach die hergebrachten, allein die Art ihrer Verwendung im Zusammenhalte mit dem
Textinhalte und der ganze Ausdruckscharakter der Musik, der sich bis in die Thematik und
Harmonik verfolgen lafit, lassen eine vollige Wandlung in der Stellung Mozarts zum litur-
gischen Texte erkennen. So wird gleich im ersten Satze der erste Teil (Requiem aetemam . . .
luceat eis) nach einem Mittelsatze im Prinzip wiederholt, allein die musikalische Bereicherung
durch Hinzufugung eines obligaten Kontrapunkts erfahrt auch textliche sinnvolle Verwertung,
indem die Bitte um Frieden gleichzeitig mit den Anfangsworten und nicht erst nach ihnen
vorgetragen wird, die musikalische Steigerung wird textinhaltlich gerechtfertigt. Auch die
psalmodische Weise des Solosoprans mit der motivischen, in gewissem Sinne auf Beethovens
Art des Akkompagnements hinweisenden Begleitung ist ein Zeichen des kompositionstechni-
schen Unterschieds gegeniiber friiheren Werken. Wie in der letzten Messe, so liegen auch im
Requiem die Faden klar zutage, die dieses Werk, gleichwohl es aus der Wiener Klassik heraus-
wachst, mit der Kunst der Zeit Bachs und Handels verbinden. Auf die Verwandtschaft des
Fugenthemas im Kyrie mit Handels ,Joseph" und ,,Messias" hat schon 0. Jahn (s. Lite-
ratur) hingewiesen. Daneben finden sich aber auch wieder Abschnitte, die durchaus dem
Ausdruckskreis der fruheren Werke Mozarts angehoren, wie z.B. die Stelle: ,Judex ergo,
cum sedebit", an der die mit langen Vorschlagen verzierte klagende Melodie von kurzen
Bafinoten auf den Taktteilen und nachschlagenden Akkordachteln begleitet wird. Mozart
zeigt sich in seinem Requiem als der Meister, der es vermag, sowohl die kompo-
sitionstechnischen Mittel als auch die Ausdruckskraft und -tendenz der Altklassik in sich
aufzunehmen und aus dem Geiste der Wiener Klassik heraus umzuformen und derart ein
Werk zu schaffen, das gleichsam nach Vollendung der von der Barockmusik ganzlich ver-
schiedenen Stilrichtung nunmehr den Bogen auch iiber die weiter zuriickliegende Zeit
spannt.
Fiinf Jahre nach Mozarts Tod, von der zweiten Londoner Reise ruhmbedeckt heimgekehrt,
nahm Joseph Haydn seine kirchenmusikalische Tatigkeit wieder auf; 14 Jahre trennen die nun
mehr entstehenden sechs groBen Messen von derzuletzt (1782) komponierten ,,Mariazeller'*-
Messe. Mit Mozarts Requiem bilden sie wohl den Hohepunlct der Kirchenmusik des 18. Jahr-
hunderts, (1796: Missa in honorem b.Bernardi deOffida, gewohnlich ,,Heilig*'-Messe genannt,
54 H. d.M.
844
Die katholische Kirchenmusik seit 1750
weil im Sanctus der Alt die Melodie des deutschen Segenliedes ,,Heilig, heilig* ' singt; Missa in
tempore belli [Paukenmesse] ; 1 798 : Missa in D-MoIl [Nelsonmesse] ; 1 799 : Missa in B [There-
sienmesse]; 1801 : Missa in B [Schopfungsmesse, weil zu den Worten ,,qui tollis peccata" eine
Melodie aus der ,,Schopfung" verwendet wird]; 1802: Missa in B [Harmoniemesse].) Schon
in der Jnstrumentalen Besetzung sind diese Messen als ,,solemnes" gekennzeichnet. Neben
Streichern sind stets 2 Trompeten (in der Messe in tempore belli bezeichnenderweise 3),
Pauken und Orgel verwendet, ferner 2 Oboen oder 2 Klarinetten (auch innerhalb einer Messe
abwechselnd, in den beiden letzten Messen nebeneinander), 2 Fagotte (in der Nelsonmesse
nur 1), aufierdem (nicht immer Flote) und 2 Horner. Die letzten beiden Messen zeigen daher
schon das posaunenlose klassische Symphonieorchester. Die Ausschaltung der Posaunen aus
dem orchestralen Apparat der Messe mag vielleicht praktischen Griinden entspringen, vielleicht
kommt aber beim Vergleich mit Mozarts Messen auch die spezielle Wiener Tradition bei
Haydn zum Ausdruck. Auch die Technik des Orchestersatzes ist bereits die ausgebildete
vorbeethovenische. Man beachte z. B. folgende Stelle aus dem Ritornell zum Benedictus der
Harmoniemesse :
Fl.
2 Ob.
2K1.
Tpt.Hr,
2 VI.
Va.
PL
Fg.
Org.B.c.
JS^VI
;9-B-fB»»
'••'b'p'-S f • l-ah-J-
/ -^ ~
^_i.-.-.1j^_I_!.
i^^^^F="^
-^-^
T^tr-* --^=fPp-d
FS^:
In dem Ersetzen der Einzelsoli durch Soloensemble (das Soloquartett) in der Gegeniiberstellung
zum Chorbeschreftet Haydn zwar nicht neueBahnen, allein in seinen sechs grofien Messen ist
diese Technik gleichsam zum Stilprinzip erhoben, wenngleich auch noch die einzelne Solo-
stimme mit Chorrespons Verwendung findet, wie z. B. beim Solosatz im ,,Qui tollis" der Pauken
messe oder beim prinzipiellen Chorsatz im ,,Quoniam tu solus" der Nelsonmesse. Wahrend auf
Die katholische Kirchenmusik seit 1750
845
der einen Seite der rein musikalisch erfundene, vielfach auch im Orchester gefiihrte homophone
Satz vorherrscht, gewahrt Haydn auch der Kontrapunktik breiten Raum, vielleicht in groBerem
Mafie als Mozart. Die Schlufifugen fehlen fast nie, aber auch andere Satze zeigen kontrapunk-
tische Setzweise, so z. B. der auch im Thema archaisierende Credo-Beginn der Nelsonmesse,
der einen Kanon in der Quint zwischen Sopran-Tenor und Alt-BaB bildet, iiberhaupt in seiner
Oktawerdopplung in den Singstimmen zu den wirkungsvollsten Messesatzen Haydns zahlt.
Auch innerhalb der Fuge verwendet Haydn wirkungsvoll den Gegensatz von Solo und
Chor, wie iiberhaupt gerade in den Fugen der Messen Haydns die durchaus nicht in
musikdramatischen Mitteln sich aufiernde Kraft rein musikalischen steigernden Aufbaues
sich dartut.
In der Architektonik der Messensatze kann ein bestimmtes Schema nicht aufgestellt werden.
Wohl gliedern sie sich in einzelne, mit dem Inhalte des Textes im Charakter vielfach iiberem-
stimmende, in Taktart und Tempo kontrastierende Teile, aber die Gliederung ist nicht immer
die gleiche. Der vielfach dem heutigen Empfmden fur Kirchenmusik nicht ganz entsprechende
Ausdruckscharakter einzelner Satze, denen aber wieder solche engster Ubereinstimmung von
Wort und Ton gegeniiberstehen, erklart sich vielleicht kompositionstechnisch auch aus der
mehr musikalisch als textlich beeinflufiten Themenbildung, in dem steten Festhalten an der
melodisch-harmonisch korrespondierenden Satzkonstruktion, der sich der Text unterordnen
mufi. Bei Haydn machen sich iiberdies die auch in seinen Instrumentalwerken deutlich er-
kennbaren Beziehungen zur volkstiimlichen Musik Wiens geltend. Auch in der MeBkompo-
sition Haydns macht sich der durchaus undramatische, lebensbejahende Zug geltend, der sein
ganzes Schaffen durchzieht. Abgesehen von den 14 Messen ist Joseph Haydns kirchen-
musikalisches Schaffen nicht sehr umfangreich. Zwei Tedeum, eine Reihe von Offertorien,
einige marianische Antiphonen und ein Stabat mater sind die wichtigsten, hierhergehorigen
Werke. Das Solo tritt in diesen Werken vielleicht etwas starker hervor als in den Messen,
vielfach erscheint allerdings ohne Kenntnis des Textes eine Zugehorigkeit zur Kirchenmusik
kaum kenntlich, z. B. Stabat mater, Arie Nr. 5 :
Allegro ma non troppo
Pro pec-ca-tis su - ae gen-tls
f_ f- f-1
^-&=3==3=l==i=^^
^E^gH-^-I==g^:: ' '
Allein, wie schon erwahnt, die geistigen Stromungen der damaligen Zeit waren nicht tiefer
Mystik zugewandt; auch an der Kirchenmusik ging die Auflclarung nicht spurlos voriiber.
Mozarts und Haydns kirchenmusikalisches Schaffen stellt sich kompositionstechnisch als
die moglichste Vereinigung der nicht auf kirchlichem Boden erwachsenen Instrumentalmusik
54*
846 ®ie katholische Kirchenmusik seit 1750
und ihrer Formen und Prinzipien mit den Erfordernissen der katholischen Kirchenmusik
und ihrer Texte dar. Auf der bis in die Harmoniemesse Haydns erkennbaren Grundlage der
osterreichischen Kirchenmusik des 17. Jahrhunderts bildet sich unter starkster EinfluBnahme
autochthoner Elemente jene Durchdringung venezianisch-romischer und neapolitanischer Stil-
momente, die, in ihrer Weiterentwicklung von den Zeitgenossen a!s Stile misto (gemischter
Stil) bezeichnet, ihre Vollendung im kirchenmusikalischen Schaffen der Wiener Klassiker
findet.
Neben Haydn und Mozart wirkten in der zweiten Halfte aes 1 80 Jahrhunderts eine ganze
Reihe von Kiinstlern.auf kirchenmusikalischem Gebiete, deren Leistungen — durch die un-
mittelbare Nachbarschaft jener GroBmeister verdunkelt — far sich und im Rahmen der Ent-
wicklung betrachtet, durchaus nicht ohne Bedeutung sind. In Wien war auf J. G. Reutter als
Hofkapellmeister Florian Gafimann (1729 — 1774), ein Schiller P. Martinis, der Lehrer
A. Saheris, gefolgt. In seinen Kirchenmusikwerken — besonders im Requiem — zeigt er
ziemlich deutlichen Einflufi nach der strengeren Seite hin. Hauptsachlich auf theoretischem
Gebiete und als Lehrer Beethovens beriihmt wurde J. G. Albrechtsberger (1736 — 1809),
Hoforganist und Kapellmeister an der Stephanskirche, auch J. B. Wanhal (1739 — 1813) ist
hier zu nennen, ebenso der Singspielkomponist K. Ditters von Dittersdorf (1739 — 1799)
und Franz Tuma (1704—1774), ein Schuler des Pragers Czernohorsky (1684—1740).
In Salzburg entwickelte insbesondere Michael Haydn (s. S.838) eine fruchtbare Tatigkeit als
Kirchenkomponist. Auch auf Mozart war er wohl nicht ohne Einflufi. Andrerseits wieder zog
der altere Kiinstler auch wieder Nutzen aus dem Schaffen des jungen Meisters. Beachtenswert
sind bei M. Haydns Kompositionen die zahlreichen Zusammenhange mit dem Gregorianischen
Choral. Zwei seiner Messen verwenden uberhaupt Kirchentonalitat. Eine ,,Missa in Dominica
Palmarum secundum cantum choralem" (,,Fiir den Palmsonntag gemafi dem Choral") aus
dem Jahre 1794 verwendet die liturgische Weise in einfacher, ataktischer, moderner Harmoni-
sierung; z. B.:
Auch in taktischer Rhythmisierung mit gelegentlichen Imitationen in den Unterstimmen
oder als Cantus firmus findet der Choral Verwendung. In M. Haydns Instrumental-
messen macht sich der EinfluS Mozarts sowohl in architektonischer, wie auch in satz-
technischer Hinsicht geltend. Insbesondere in letzterer fallt der figurative Charakter der
Streicherbegleitungen auf. In der Thematik kommt vielleicht eine gewisse Verwandtschaft
mit Jos. Haydn zum Ausdruck. Wie die Architektonik des modernen Themas in dieser
Zeit herrschend wird, zeigt z. B. der Anfang des Credo aus der Missa Sti. Francisci (1803),
wo der harmonisierten Choralintonation ein korrespondierendes Sequenzglied angefiigt
wird:
Die kathoiische Kirchenmusik seit 1730 647
Alto.
Cre - do in u - nurn De - um Pa - trem om - ni - po - ten
Die Zahl der Kirchenkompositionen M. Haydns ist sehr grofi. Insbesondere auf dem Gebiete
der {Composition von MeBeinlagen (Gradualien, Offertorien) ist er fur die Folgezeit als Muster
angesehen worden. Wie in friiheren Jahrhunderten Isaac oder Gallus, so versah auch er
systematisch das ganze Kirchenjahr mit derartigen Einlagen, da Erzbischof Hieronymus die
bisher iiblichen, nichtliturgischen oder weltlichen Tonstiicke, die an ihrer Stelle zu Gehor
gebracht wurden, beseitigt wissen wollte. Diese MeBeinlagen schrieb Haydn nicht als kunst-
volle Kompositionen, wie z. B. die Missa Sti. Francisci oder die far den kaiserlichen Hof in
Wien komponierte ,, Missa solemnis sub titulo Stae. Theresiae" (,,Theresien-Messe"), sondern
als Gebrauchsmusik far das sonntagliche Hochamt. Ihre Besetzung ist in der Regel auch
moglichst einfach. In der Regel wird der vierstimmige Chor von 2 Geigen und Orgel (vgl. die
Besetzung der Missae breves) begleitet, mitunter treten Trompeten oder Horner, manchmal
auch Posaunen (M. Haydn wirkte ja in Salzburg) hinzu. Auch hier macht sich wieder das
Formprinzip der damaligen Zeit geltend, dem sich die Texte vielfach nicht ungezwungen
unterordnen lassen. Jedenfalls bedeutet diese Tatigkeit M. Haydns einen wichtigen refor-
matorischen Schritt im liturgischen Sinne gegen die groben VerstoBe, die sich auf kirchen-
musikalischem Gebiete in den katholischen Gottesdienst eingeschlichen hatten.
Das ausgehende 18. Jahrhundert brachte im Zuge seiner allgemeinen geistigen Stromungen
auch allenthalben, insbesondere in Osterreich, MaBnahmen hinsichtlich der Gottesdienst-
ordnung mit sich, die auf die kathoiische Kirchenmusik insofern von grofier Bedeutung waren,
als der Volksgesang darin eine grofie Rolle spielt. Die liturgische Sprache der katholischen
Kirche war und ist bis heute die lateinische. Im liturgischen Gottesdienste, dem MeBopfer
und dem Stundengebet, hat daher auch nur der lateinische Gesang als integrierender Bestandteil
der Liturgie Raum. Gleichwohl ist auch der Volksgesang in deutscher Sprache beim kathc-
lischen Gottesdienste niemals iiberhaupt verboten gewesen. Von alters her hatte er seine Stelle
im auBerliturgischen Gottesdienste, wie : Wallfahrten, Prozessionen usw. Das geistliche Volks-
lied Ia6t sich bis in die ersten Zeiten erhaltener Denkmaler abendlandischer Musik zuriick-
verfolgen. DaB auch kunstvollere mehrstimmige Gesange in der Volkssprache in Gebrauch
waren, zeigen schon die vier Vertonungen des ,,Christ ist erstanden" in den Trienter Codices.
Einen gewaltigen Aufschwung des katholischen Kirchenlieds hatte die Reformation zur Folge.
Welchen EinfluB die ganz neue liturgische Stellung hatte, die dem deutschen Gemeindegesange
von Luther eingeraumt wurde, ist bekannt ; nicht zu Unrecht wurde auf katholischer Seite darauf
hingewiesen, dafi Luthers Lieder der neuen Lehre mehr Seelen zugefahrt hatten, als die Schriften
und Predigten. So ist es begreiflich, daB auch in der katholischen Kirche dem deutschen
Kirchenliede erhohte Pflege zuteil wurde. Schon 1537 erschien das erste kathoiische geistliche
Gesangbuch, das ,,New Gesangbuchlein Geystlicher Lieder*', das dem Propst Michael Vehe
zu danken ist. Allein stets blieb der grundlegende Unterschied gewahrt, dafi der deutsche
Gemeindegesang im protestantischen Gottesdienste Bestandteil der Liturgie war, im katho
lischen nicht. Wenn er beim liturgischen katholischen Gottesdienst, also z. B. wahrend der
Messe ertonte, geschah dies vorerst bei der gelesenen (stillen) Messe. Auch im gesungenen
848 Die katholische Kirchenmusik seit 1 750
Amt fanden allmahlich die deutschen Kirchenlieder Eingang. So bringt die Vorrede zum
Mainzer Cantiial (1605 bzw. 1627) eine ,,Qrdtnung in dem Singampt zu halten". Demnach
sollen Introitus, Kyrie, Gloria, die Kollekten, die Epistel, das Alleluja stets lateinisch ge-
sungen werden. Zum Graduale, Traktus und der Sequenz wird deutscher Gemeindegesang
zugelassen, an hohen Festen aber nur als Einschub neben den lateinischen Vortrag, ebenso
beim Credo. Vom Offertorium bis zur Prafation ist wieder deutscher Gesang zulassig, ,,Nach
der Eleuation [Wandlung] soil allzeit ein Teutsch Gesang von dem H. Sacrament gesungen
werden**. Es driickt sich in dieser Gesangsordnung deutlich die Tendenz aus, dem Verlangen
des Volkes, auch beim MeCopfer gleichsam aktiv, durch Gesang mitzuwirken, einerseks
entgegenzukommen, andererseits aber an hohen Festtagen die Liturgie von derartigen
Zutaten frei zu erhalten. Im 18. Jahrhundert ist ein weiteres Vordringen des deutschen
Kirchengesanges im katholischen liturgischen Gottesdienste zu beobachten. An vielen Orten
wird der Figuralgesang d*irch den Volksgesang verdrangt, ohne daB aber je die Liturgie
deutsch wiirde. Erst die Reformbewegung des XIX. Jahrhunderts brachte in dieser Hin-
sicht Abhilfe.
Die Weisen der in den zahlreichen katholischen Gesangbiichern enthaltenen Lieder tragen
durchaus nicht einheitlichen Charakter. Teilweise werden noch alte Melodien aus dem Gre-
gorianischen Choral, besonders Hymnen, mit textlicher Nachdichtung im Sinne des Hymnus
oder auch mit ganzlich verschiedenen Texten verwendet, teils waren es geistliche Volkslieder
aus vorreformatorischer Zeit, die Verwendung fanden ; auch Melodien aus protestantischen Ge
sangbiichern wurden ubernommen. Weltliche Volkslieder mit geistlicher Textumdichtung sind
zahlreich, wie z. B. die Weise des ,,Entlaubet ist der Wald" mit einem Texte ,,Ich dank* dir
HeberHerre" (im Rheinfelsischen Gesangbuch aus dem Jahre 1666). All diese Lieder sind
aus der Zeit vor 1600 ubernommen. Allein stets wurden auch neue Melodien verfafit,
welche natiirlich auch den Geist ihrer Entstehungszeit atmen. Die Verordnungen zur
Vereinfachung des Gottesdienstes, die gegen Ende des 1 8. Jahrhunderts allenthalben (nicht
nur in Wien) erlassen wurden, bezogen sich vielfach auch auf die Kirchenmusik, indem
gegeniiber dem prunkvollen Figuralgesang auf den deutschen Volksgesang hingewiesen
und seine gesteigerte Verwendung angeordnet wurde. Wahrend die Lieder fur die
verschiedenen Kirchenzeiten (Adventslieder, Fastenlieder, Osterlieder usw.) sowie Lieder
zu Ehren verschiedener Heiliger (Marienlieder, St. Josephslieder u. dgl.) seit jeher zu
finden sind, bildet sich der Typus der deutschen Mefigesange ganz analog zu der Ent-
wicklung des deutschen Gesanges in der katholischen Liturgie erst allmahlich aus.
Schon das Munsterische Gesangbuch aus dem Jahre 1677 gibt far die Messe an ver
schiedenen Festen Zusammenstellungen inhaltlich passender Lieder. Eine eigentliche
Singmesse, d. h. speziell auf Teile der Messe bezugliche Gesange bringt anscheinend zuerst
ein Paderborner ,,Christ-Catholisches Gesang-Buch" aus dem Jahre 1726. Allerdings liegt
hier nur textlich eine Singmesse vor, die Melodien werden anderen, bekannten Kirchenliedern
entlehnt. Die bekanntesten deutschen SJngmessen aus dem 18. Jahrhundert sind nun die
mit dem Textanfange: ,,Wir werfen uns darnieder", die mit der bekannten Melodic zuerst
in dem in Wien auf Befehl Maria Theresias 1774 gedruckten Gesangbuche enthalten ist
(den Text hat Baumker schon 1766 festgestellt) und die M. Haydns mit dem Textanfange
,,Hier liegt vor deiner Majestat". Auch der Text dieser Messe ist schon in einem Landshuter
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 849
Gesangbuche aus dem Jahre 1777 nachweisbar, ebenso findet sie sich in einem Salzburger
Gesangbuche aus dem Jahre 1781, dessen neue Auflage 1790 Haydn besorgte. In der Tat
kann auch eine Verwandtschaft der Melodie Haydns mit der von N. Hauner komponierten
Weise des Salzburger Gesangbuches festgestellt werden. Den Text dieser Messe verfafite
F. v. Kohlbrenner nach alteren Vorbildern. Dafi die Melodie Haydns nicht alter ist als die
Hauners, ergibt sich wohl aus der Tatsache des Salzburger Gesangbuches, das andernfalls
sicher die Melodie des Salzburger Kirchenkomponisten gebracht hatte. Haydns Messe
enthalt Gesange zu Kyrie, Gloria, Evangelium, Credo, Offertorium, Sanctus, Benedictus,
Agnus dei, Kommunion, Ite missa est. Es ist daher auch die im liturgischen Gesang
dem Chore zukommende Rolle iiberschritten. In spaterer Zeit schrieb noch Franz Schubert
seine beriihmte deutsche Messe: ,,Wohin soil ich mich wenden" im Jahre 1826 far die
Horer des Wiener polytechnischen Institutes. Sowohl Haydns als auch Schubert s Messe
sind urspriinglich nicht fur einstimmigen Chor mit Orgelbegleitung geschrieben, sondern die
Gesangsbiicher iibernahmen blo8 die Oberstimmen. Haydns Messe diirfte in der Urfassung
far 2 Singstimmen, 2 Horner und Orgel komponiert worden sein, die Schuberts war far ge-
mischten Chor mit Blasern und OrgeL Von entwicklungsgeschichtlicher Bedeutung far die
spatere Kirchenmusik waren sie kaum, da im 19. Jahrhundert der deutsche Kirchengesang
im Wesen keine weitere Entwicklung erfuhr, wenn auch in den spateren Kirchenliedern sich
manchmal in melodischer wie harmonischer Beziehung romantische Emfliisse geltend machen.
Auch auf diesem Gebiete bedeuteten die Erscheinungen im weiteren 19. Jahrhundert vorerst
einen argen Verfall, der wohl in der Hauptsache mit dem Ab wend en von den Kirchenliedern
der friiheren Zeit und deren Ersatz durch neue zusammenhing, die aber den Zusammenhang
mit der kirchlichen Kunst von einst vollig verloren und groBenteils Ableger der weltlichen
volksttimlichen Musik des 19. Jahrhunderts darstellen.
Am Eingange des 19. Jahrhunderts steht vor allem das kirchenmusikalische Schaffen
Ludwig van Beethovens. In dem Gesamtwerk seines kiinstlerischen Lebens tritt die
Kirchenmusik allerdings mehr in den Hintergrund; dies mag wohl — abgesehen von der be-
sonderen personlichen Anlage des Meisters, die ihn mehr zur Instrumentalmusik neigen liefi,
auch darin seinen Grund haben, da8 dieser Kiinstler keine feste Stellung bekleidete, die ihn
mit der Kirchenmusik uberhaupt, geschweige denn mit einem bestimmten Kirchenchore in
enge Verbindung gebracht hatte. Nur zwei Messen — vollendet in den Jahren 1 807 und 1 823 —
sind hier zu verzeichnen. Wie sie zwei verschiedenen Perioden im Schaffen Beethovens an-
gehoren, so Jst auch Jhre Stellung innerhalb der katholischen Kirchenmusik eine verschiedene.
Bei beiden Werken kam ein Anstofi von auBen hinzu, um ihr Entstehen zu bewirken. Die
C-Dur-Messe (op. 86) schrieb Beethoven far die Feier des Namensfestes der Fiirstin Esterhazy
in Eisenstadt, also far die gleiche Gelegenheit, far die Haydn so manche seiner groBen Messen
schrieb. In einem Briefe an Breitkopf und Hartel vom 8. Juni [1808] schreibt Beethoven: ,,Von
meiner Messe, wie uberhaupt von mir selbst sage ich nicht gerne etwas, doch glaube ich, daB
ich den Text behandelt habe, wie er noch wenig behandelt worden ist . . ." ; einen Einwand
des Verlegers, ,,man fragt nicht nach Kirchensachen", beantwortet er mit den Worten: ,,Sie
haben recht, wenn sie bloB von Generalbassisten herriihren, aber lassen sie die Messe einmal
zu Leipzig im Konzert auffahren und sehen Sie, ob sich nicht gleich Liebhaber dazu finden
werden . . .'" Auch mit einer Herausgabe mit deutschem Text erklart er sich einverstanden.
850 C^e katholische Kirchenmusik seit 1750
Damit deutet Beethoven selbst seine Stellung als Kirchenkomponist an. Die Entwicklung
bewegt sich innerhalb der MeBkomposition bei Beethoven nicht so sehr in formal-architek-
tonischer Richtung, sondern vielmehr in inhaltlicher. Beethoven war ein Kind der Zeit der
geistigen Umwalzungen, die in der franzosischen Revolution ihren explosiven Ausdruck ge-
funden hatten. Sein Streben nach idealer Freiheit macht sich auch in seinen kirchen-
musikalischen Werken geltend; man kann vielleicht nicht so sehr von einer iiberkonfessio-
nellen Geistesrichtung Beethovens, als vielmehr von einer Befreiung im Rahmen der katho-
lischen Religion sprechen. Das Geltendmachen der Eigenpersonlichkeit innerhalb ^es
gegebenen Rahmens kennzeichnet das kirchenmusikalische Schaffen Beethovens.
Von den beiden Messen Beethovens halt sich architektonisch insbesondere die erste im rier-
gebrachten. Und zwar ist es weit mehr der Stil Haydns als der Mozarts, der hier seine Aus-
wirkung zeigt, eine Erscheinung, die mit der allgemeinen Entwicklung in Beethovens Schaffen
wohl ubereinstimmt. Der kompositionstechnische Fortschritt liegt hier ebenso wie in der
profanen Musik Beethovens in der volligen Ausbildung zweier von G. Adler in den Vorder-
grund gestellter Momente: der durchbrochenen Arbeit und des obligaten Akkompagnements.
Nicht die melodische Funning innerhalb einer Stimme ist das mafigebende, sondern die bei
der Auffassung des gesamten Klangkorpers als eines einheitlichen Ganzen durch die ver-
schiedenen Stimmen und damit durch die verschiedenen Klangfarben und Hohenlagen sich
bewegende, fuhrende melodische Linie.
Auch das zweite kompositionstechnische Kennzeichen Beethovenscher Eigenart, das zur vollen
Ausbildung gebrachte ,,obligate Accompagnement", das Durchsetzen der Begleitung mit
motivischem Gehalt trotz des in dem Sinne homophonen Satzes, dafi eine sich durchziehende
melodische Linie herrscht, kommt in diesem Werke zum Ausdruck. Allerdings, mehr Ge-
legenheit, diese neuen Prinzipien vollig zur Geltung zu bringen, bot sich Beethoven in seinen
instrumentalen Werken, die weit mehr als die Messen einen entwicklungsgeschichtlichen
Fortschritt bedeuten. Eines der Hauptprobleme der katholischen Kirchenmusik seit 1600,
das Verhaltnis zwischen Vokal- und Instrumentalkorper, erfahrt bei Beethoven seine Fort-
bildung und Ausgestaltung in der Richtung einer immer starkeren Vereinheitlichung des
gesamten Klangkorpers. Von einer Kontraststellung der beiden Klanggruppen kann nicht
mehr gesprochen werden. Innerhalb des vokalen Korpers bringt das Verhaltnis von Solo
und Tutti nichts, was in besonderem Mafie von der durch Haydns Messen vertretenen Tra
dition abwiche. Wenn Beethoven auf seine besondere Behandlung des Textes hinweist, so
ist damit wohl vor allem der innere Vorgang eines Strebens gemeint, dem jeweiligen Texte
Jnhaltlich moglichst pragnant Ausdruck zu geben. Allein die Durchfiihrung dieser Absicht
aufiert sich auch in aufierlichen, kompositionstechnischen Momenten. So ist z. B. ein Zuriick-
treten der achttaktigen Periodenbildung festzustellen, zweifellos durch den Text bedingte
Erweiterungen, auch originar schon aus diesem Schema fallende Bildungen treten auf. Wenn
auch vielfach die modulatorischen Zielpunkte und tonartlichen Beziehungen der einzelnen
Teile die traditionellen sind, wird der harmonische Bogen weiter gespannt. Die rnannig-
fachsten, schon aus der Instrumentalmusik Beethovens bekannten Eigentiimlichkeiten er-
fahren textlich sinngemaCe Anwendung.
Beethoven selbst weist in dem erwahnten Briefe an Breitkopf und Hartel auf eine Konzert-
auffuhrung der Messe hin. Dies deutet auf eine Stellung des Kiinstlers zur Messe als einem
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 851
Bestandteil cler katholischen Liturgie hin, die vielleicht nicht unwesentlich von der Haydns
und Mozarts atweicht. Wohl schuf Beethoven seine Messen fiir den liturgischen Gebrauch
bei einer besummten festlichen Gelegenheit, allein sie sind wohl kaurn als liturgische Kunst-
werke gedack, sondern als geistliche Kompositionen liber den Text der katholischen Mefi-
liturgie. Die Frage ihrer Eignung far liturgische Zwecke ist hiervon zu trennen und dem
Inhalte der Werke, der Gesinnung nach, die in ihnen zum Ausdrucke kommt, zweifellos zu
bejahen. Es ist ihnen allerdings die subjektive Note eigen, die Beethoven in all seinen
spateren Werken zeigt. Nimmt man den Gregorianischen Choral als Vorbild der katho
lischen Kirchenmusik, so bildet der Subjektivismus allerdings ein wesensfremdes Moment,
allein der ernste Kiinstler des 19. Jahrhunderts kann nicht von sich selbst abstrahieren,
jedes seiner Werke wird deutlich eine Seite seines inneren Ichs widerspiegeln und es ist —
abgesehen von der Wahrung des allgemein kirchlichen Charakters — fur die katholische
Kirchenmusik dieser Zeit die Frage entscheidend, inwiefern die subjektive Auffassung des
Kiinstlers in der Komposition liturgischer Texte mit der dogmatisch-katholischen iiberein-
stimmt. Und in dieser Hinsicht kann wohl von einem Widerspruch auch bei der Missa solemnis
nicht gesprochen werden. Ob Beethoven das Werk aus tiefstem katholischen Glauben heraus
schrieb, welche Stellung er zum Dogmengebaude der romischen^ Kirche einnahm, ist nicht
exakt nachweisbar. Allein folgt man auch der allgemeinen, wohl zutreffenden Ansicht, dafi
ihn nicht so sehr dogmatische Probleme, sondern weit mehr ethische beschaftigten und er
von einem rnehr allgemein religios orientierten Standpunkte aus die grofie Messe schuf, so
zeigt gerade dieses Werk im Vergleiche zu den gleichzeitigen Machwerken anderer, vielleicht
weit strenger glaubiger Komponisten, wie Beethoven, auf freierer Grundlage bauend,
dem geistigen Gehalte des Messetextes tiefsten Ausdruck zu geben vermochte. Die
Einfugung der Interjektion vor ,,miserere" im Gloria bedeutet vielleicht ein Uberschreiten
der Grenzen, die in der katholischen Kirchenmusik nach dem autoritativen Wunsche
Roms durch die gebotene Zuriickhaltung gezogen sind. Ebenso etwa auch die Komposition
des 3. ,,Agnus dei", dem die Bitte um Frieden folgt: Es wird pp durch (gleichsam aus der
Feme ertonende) kriegerische Klange eingeleitet und im Rezitativ in dramatischer Steigerung
vorgetragen.
In formaler Hinsicht fallt die Komposition der Wandlungsmusik auf, die vom Sanctus zum
Benedictus iiberleitet. Darin liegt durchaus nichts Unliturgisches, es ist im Gegenteil in der
katholischen Liturgie wahrend der Wandlung leises Orgelspiel vorgesehen (Beethoven ver-
wendet auBer der Orgel tiefe Streicher, Fagott und tiefgesetzte Floten). Die Fugen stehen
auch bei Beethoven an den iiblichen Stellen, sie reichen — wie iiberhaupt alle Teile der Missa
solemnis — weit iiber den bisher iiblichen Rahmen hinaus. Wenn man auch auBerhalb dieser
speziellen Abschnitte von einem eigentlich kontrapunktischen Satze nicht sprechen kann,
tritt doch die Homophonie im Sinne syrrhythmischer Begleitung einer Melodic im Chorsatz
vollig in den Hintergrund. Das ,,obligate Accompagnement", die Durchsetzung aller Stimmen
mit motivischem Gehalt trotz Vorherrschens einer Stimms, ist zur vollsten Ausbildung gelangt.
Wenn syrrhythmischer Chorsatz eintritt, so dient er gewohnlich besonderen Ausdrucks-
zwecken, sei es, daB es von leidenschaftlichem Affekt erfullte Stellen sind, wie die Exkla-
mationen, sei es, daB es sich um ruhige Textdeklamation handelt. Die Abkehr Beethovens
von der im galanten Stil noch in starker Bliite befindlichen aufierlich kolor^itiven Fiihrung
oc 2 Die katKolische Kirchenmusik seit 1 750
der Solostimmen kommt auch in der Missa solemms zur vollen Auswlrkung. Lediglich
Fugenthemen zeigen noch das alte figurative Geprage.
Die vokale Kolorierung bei Beethoven scheint fast nicht so sehr melodischen, als vielmehr
rhythmischen Untergrund zu haben. Und dieses Hintanstellen der stimmlichen Glanzmittel
und vollige Hervorkehren des musikalischen Ausdrucks moment es diirfte auch zu dem Vor-
wurf der Unsanglichkeit des Beethovenschen Vokalsatzes verleitet haben; die Singstimme
wird aber nicht so sehr im technischen Sinne, als vielmehr in inhaltlicher Beziehung
als Instrument behandelt, das dem iibergeordneten Zwecke des kiinstlerischen Ausdrucks
dienen muB.
Die Orchesterbehandlung weist gegeniiber der friiheren Mefikomposition ganz ahnliche
Unterschiede auf, wie die Instrumentalmusik Beethovens im Vergleiche mit den Werken
seiner Vorganger. Die Instrumente werden individual! behandelt, wozu auch die typische
motivische Arbeitsweise Beethovens in starkstem Mafie beitragt. Akzessorische Verwendung ist
in den Fugen die RegeL Im iibrigen ist das Vorherrschen des Chores festzustellen — Beethoven
selbst schreibt an Zelter: ,,Es diirfte wenig fehlen, dafi es (das Werk) nicht beinahe durch die
Stimmen allein ausgefiihrt werden kann; je mehr verdoppelter und vervielfaltigt selbe aber
mit Vereinigung der Instrumente sind, desto geltender diirfte die Wirkung sein" — , das Or-
chester tritt aufier den instrumental Vor- und Zwischenspielen, die aber, abgesehen von der
Wandlungsmusik, stets in architektonischem und motivischem organischen Zusammenhang
mit dem vokalen Teile stehen, in mannigfachster Art zu den Singstimmen hinzu, akkordische
Begleitung, akzessorische Verstarkung und gegenmotivische Bereicherung des Chores finden
sich einzeln und auch gleichzeitig vereinigt.
Mit Beethovens Missa solemnis war die katholische Mefikomposition ebenso wie mit seinem
spaten symphonischen Schaffen die Symphonic an einem Punkte angelangt, iiber den es fur
iange Zeit kein Hinaus gab. Wie die zeitgenossische und unmittelbar folgende Zeit auf dem
Gebiete der Kirchenmusik zeigt, war Beethoven auch hier seiner Zeit weit vorangeeilt und
ein Menschenalter mufite vergehen, bis derVorsprung auch nur einigermafien eingeholt war.
In die gleiche Zeit fallt das Wirken Franz Schuberts (1797—1828). Seine kirchen-
musikalischen Werke weisen mancherlei Beriihrungspunkte mit der MeBkomposition
Beethovens auf, in mancher Hmsicht machen sich wieder Gegensatze geltend. Wie schon
das jugendliche Alter Sckuberts erklarlich macht, sind es nicht die metaphysischen Pro-
bleme des liturgischen Messetextes, die den Kiinstler vorerst beschaftigen ; aus schlichtem,
katholisch-glaubigen Empfinden heraus schreibt er diese Messen zur Verschonerung des
Gottesdienstes, zum groBen Teil durchaus in der iiblichen Praxis wurzelnd, vielfach fur
einen bestimmten Kirchenchor und seine beschrankten Mittel. Deutlich zeigt sich, wie die
Wurzeln bei Beethoven und Schubert vollig verschieden sind. Schuberts Messen wachsen
aus dem allgemeinen, volkstumlichen Empfinden des Wiener Bodens heraus, das die Kraft
seines Kiinstlertums zu einer nach ihm vielleicht nicht wieder erreichten Hohe emporhob;
bei Beethoven tritt der in der Wiener Tradition gelegene volkstiimliche Zug erst im Verlaufe
des kiinstlerischen Schaffens als wesentlicher Bostandteil zu den vorhandenen andersartigen
Grundlagen hinzu. Schuberts friihe Messen sind auch ihrer Besetzung nach durchaus Ge-
brauchsmessen, die 2. und 4. erfordern an orchestralem Apparat nur Streicher, die 1 . und 3.
sind zwar Missae solemnes (bei der 3. sind auBer Streichern 2 Oboen, 2 Fagotte, 2 Trompeten.
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 853
Pauken verwendet, bei der 1. noch 2 Klarinetten, statt der Trompeten Horner, die Pauken
fallen weg), allein auch diese Messen sind aus dem Gefiihle der Gemeinden in den Vorstadt-
kirchen heraus geschrieben, die ein Fest ihrer Pfarrkirche — die 1 . Messe Schuberts ist zum
lOOjahrigen Jubilaum der Lichtenthaler Kirche geschrieben — als Familienfest betrachten.
Wenn sich diese Messen auch durchaus in traditionellen Bahnen bewegen, hebt sie doch schon
• die edle Melodik, die Schuberts Schaffen iiberhaupt eigen ist, weit iiber gleichzeitige Werke
anderer Komponisten. Der lyrische Grundzug in Schuberts Wesen macht sich in ihnen
sehr stark geltend. Auch in harmonischer Hinsicht kiindigt sich der spatere Meister an, so
z. B. wenn in der SchluBfuge des Gloria der B-Dur-Messe der Orgelpunkt auf der Dominante
durch eine Ausweichung nach Ges-Dur unterbrochen wird. In formaler Hinsicht zeigen diese
Werke vielfach den Mangel an Straffheit, der fur Schuberts friihe Kompositionen iiberhaupt
kennzeichnend ist.
Wie auf den andern Gebieten seines Schaffens erhob sich Schubert auch in der Mefikom-
position zu un^eahnter Hohe in seinen beiden Meistermessen in As-Dur (1819 — 1822) und
Es-Dur (1828). Der beengte Standpunkt der Komposition fiir einen bestimmten Chor und die
dort verfiigbaren Mittel ist verlassen. Beide Werke erfordern das voile klassische Orchester
mit Posaunen, die Es-Dur-Messe verzichtet sogar auf das traditionellste kirchenmusikalische
Instrument, die Orgel Das Verhaltnis von Singstimmen und Orchester und die Behandlung
der einzelnen Instrumente zeigen deutlich die Gleichzeitigkeit von Schuberts Wirken mit dem
Beethovens; der im allgemeinen Vergleich der Werke dieser beiden Meister zutage tretende
Unterschied in den konstruktiven Elementen macht sich auch hier geltend. Wahrend bei
Beethoven immer starker das Motiv zur Keimzelle wird, bleibt sie bei Schubert eine melodische
Phrase, die aber, ahnlich wie das Motiv bei Beethoven, in ihrer Veranderung, melodischen und
harmonischen Umformung den Aufbau des Ganzen bewirkt. Gegeniiber friiheren Zeiten
wird aber insbesondere in diesen Messen Schuberts von der Aneinanderreihung melodischer
Gebilde, gleichsam von der blofien Durchkomposition zur konstruktiven Verarbeitung iiber-
gegangen. Damit hangt eine ziemlich freie — liturgisch wohl unstatthafte — Behandlung
des Textes zusammen. Merkwiirdig ist, daB in samtlichen Credos bei Schubert der Glaubens-
artikel fehlt, der sich auf die Kirche bezieht (,,Et unam sanctam catholicam at apostolicam
ecclesiam"). Viele textliche Freiheiten haben in der musikalischen Architektonik ihren Grund,
oft sind sie auch dem Sinne nach zu rechtfertigen; so z. B. wenn Schubert im Gloria am
Schlusse des ersten Hauptteils (der zweite beginnt mit dem ,,Gratias") das ,,Gloria in excelsis
Deo*' wiederholt, Beachtenswert ist das gleichsam psalmodische Prinzip, das Schubert in den
zwei grofien Messen beim Credo anwendet: Die Wiederholung des Wortes Credo vor jedem
Glaubensartikel wurde schon wiederholt (Haydn, Mozart) festgestellt. Schubert geht noch
dariiber hinaus , indem er dem einzelnen Glaubenssatz auch die gleiche Melodie — in ver-
schiedenartiger kompositionstechnischer Behandlung — zuweist. Die hier dem Choreinsatz
vorangestellten instrumentalen, dem Anfange des Themas entnommenen Takte, welche leit-
motivisch sich durch den ganzen Satz hinziehen, zeigen, wie eine Akkordfolge als Klang-
komplex motivische Bedeutung erhalt.
Diese Verselbstandigung von Klangen, wie iiberhaupt die Auswertung harmonischer Er-
scheinungen gehort zu den kompositionstechnischen Eigentiimlichkeiten, die Schubert als
Romantiker kennzeichnen; man beachte auch den Anfang des Sanctus aus derselben Messe:
854
Die katholische Kirchenmusik seit 1750
Adagio
ff
San - ctus
San
ctus
ff
San
Aufier den Messen schrieb Schubert noch eine Reihe von kirchlichen Tonwerken (Offer-
torien, Salve regina, Stabat mater, Magnifikat, Tantum ergo), die innerhalb des Schaffens
Franz Schuberts und absolut betrachtet von grofiem Werte, entwicklungsgeschichtlich aber
nicht so bedeutsam sind; stilistisch zeigen sie die gleichen Eigentiimlichkeiten wie die
Messen. Die Psalmkompositionen Schuberts, wie der 23. Psalm fur Frauenstimmen mit
Klavierbegleitung, stellen sich schon durch die Besetzung als religiose, nicht aber als Kirchen
musik dar. Den 92. Psalm fur 4 Singstimmen und Baritonsolo schrieb er fur die Wiener
israelitische Kultusgemeinde.
Auch Schuberts Spatmessen sprengen vielfach den liturgischen Rahmen ; sie sind, wie Beet-
hovens Missa solemnis, nicht als Gebrauchsmessen, sondern als typische Festmessen zu be-
trachten. Auch sie fanden keine Nachfolge bis Bruckner. In dem am Anfange des 19. Jahr-
hunderts festzustellenden Hohepunkt bilden sie den Gegenpol zu den Messen Beethovens in
ihrer, wie der Ablauf des 19. Jahrhunderts zeigt, in anderem Sinne zukunftweisenden Hal-
tung. Das melodisch-harmonische Moment Schuberts mufite mit dem motivisch-rhythmischen
Beethovens vereinigt werden, um in der Zukunft den weiteren entwicklungsgeschichtlichen
Fortschritt auf dem Gebiete der Mefikomposition zu ermoglichen. Die verschiedenartigen kom-
positionstechnischen Konstruktionsprinzipien dieser beiden Meister zu einer hoheren Einheit
zusammenzufassen, blieb einer spateren Zeit vorbehalten.
Neben diesen beiden Grofimeistern wirkte in Wien eine grofie Zahl von Komponisten auf
dem Gebiete der Kirchenmusik, die mit wenigen Ausnahmen einerseits in ausgefahrenen
Geleisen sich bewegten, andererseits auch nicht die Kraft hatten, die traditionellen Formen
und Formeln mit lebendigem Geiste zu erfiillen. Die erhohte Pflege der Kirchenmusik war
mit einer Steigerung der Produktion verbunden, die aber ein starkes Herabsinken des kunstle-
rischen Niveaus mit sich brachte. Die nachklassische Zeit bedeutet einen Niedergang, eine
vollige Verflachung der katholischen Kirchenmusik, deren Spuren sich durch das ganze Jahr-
hundert hinziehen und erst in jiingster Zeit zu verschwinden scheinen. Nicht nur die meisten
Komponisten, auch jeder Chorregent irgendeiner Kirche war oder fiihlte sich verpflichtet,
zum Repertoire seines Chores auf kirchenmusikalischem Gebiete beizusteuern, und die Ruhe-
pause des musikalischen Nahrbodens Wiens von ungefahr 1 830 — 1860 brachte es mit sich, dafi
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 §55
diese Kirchenmusik mangels gleichzeitiger hochwertiger Produktion starkste Verbreitung fand
und sich far lange Zeit hinaus einwurzelte. Melodisch und harmonisch machten sich Platt-
heiten in argstem Mafie geltend, von einer Vertiefung in den Inhalt der Textworte war keine
Rede mehr. Schon die Zahl der Mefikompositionen eines Komponisten, die wiederholt 100
uberschritt, laBt mit Recht auf die Qualitat dieser Dutzendwerke schlieBen. Gewifi waren
nicht alle Komponisten und auch nicht alle Werke eines Komponisten gleich tiefstehend,
allein das traurige Gesamtbild dieser Art tritt durch einige Ausnahmen nur um so krasser
zutage.
Als Auslaufer der Neapolitaner wirkte auf dem Gebiete der Kirchenmusik in Wien der
Italiener Antonio Salieri (1750—1825), ein Schuler GaBmanns, der zweite Nachfolger
seines Lehrers als Hofkapellmeister. Wie seine zahlreichen Biihnenwerke, tragen auch seine
Kirchenwerke den Stempel einer bedeutsamen, kiinstlerischen Personlichkeit, die durchaus
in der Kunst des spaten 18. Jahrhunderts wurzelt. Aus der iibergroBen Zahl von Namen, die
nunmehr begegnen, seien nur die wichtigsten angefiihrt: Abb e Max Stadler (1748—1833),
Abbe Vogler (1749 — 1814), vielleicht auf kirchenmusikalischem Gebiete am meisten durch
seine ,,Pastoralmesse" bekannt (dieser Typus von Messen sucht der Weihnachtsstimmung,
dem Hirten- und jubilierenden Engelmilieu Ausdruck zu geben), Jos. Preindl (1756 — 1823),
der Wiener Hofkapellmeister J. Eybler (1766—1845), W. Tomaschek (1774—1850) in Prag,
Ign. R. v. Seyfried (1776—1841), J. B. Gansbacher, Domkapellmeister zu St. Stephan
(1778—1844), S. Neukomm (1778—1858), J. N. Hummel (1778—1837), J. B. Schieder-
mayr (1779—1840), Domkapellmeister in Linz, A. Diabelli, auch als Wiener Musikverleger
bekannt (1781 — 1858), diese beiden in ihren meisten Werken Musterbeispiele far den Tief-
stand der katholischen Kirchenmusik, J. Drechsler (1782 — 1852), J. Assrnayer, Hof-
organist und 2. Hofkapellmeister (1790 — 1862), Ferd. Schubert, der Bruder des Meisters
(1794—1859), Andreas Bibl (1794—1878), Simon Sechter, der beriihmte Theoretiker,
bekannt durch seine ,,Landmessen" (1788 — 1867).
Von auBerdeutschen Kiinstlern steht der Wahlfranzose Luigi Cherubini (1760 — 1842)
durch seine Kirchenwerke (1 1 Messen, 2 Requiem, mehrere Litaneien u. dgl., eine groBe
Anzahl von Motetten usw.) in erster Reihe. Insbesondere seine D-Moll-Messe (1821) gehort
zu den wertvollsten Schopfungen Jhrer Zeit. Von franzosischen und belgischen Namen der
Folgezeit seien noch erwahnt: J. F. Le Sueur (1760—1837), E. N. M^hul (1763—1817),
Ch. Hanssens (1777—1852), A. Thomas (1811—1896), Ch. Gounod (1818—1893),
C. Saint-Saens (1835—1921), C. Franck (1822—1890), F. Guilmant (1837—1911),
V. d'Indy(geb.l851), E. Tinel (1854-1912).
Ein bedeutsames Zentrum kathohscher Kirchenmusik war um diese Zeit auch Munchen.
Dort wirkten insbesondere P. Winter (1754—1825), J. C.Ai b linger (1779— 1867), Kaspar
Ett (1788 — 1847), Hoforganist an der Michaelkirche, einer der Vorlaufer des weiter unten zu
erwahnenden Cacilianismus, der nicht nur durch seine Bemiihungen zur Wiederbelebung
der Musik des 1 6. Jahrhunderts, sondern auch durch seine eigenen wertvollen Kompositionen
in einer dem alten Stil nachstrebenden Schreibweise weitgehenden EinfluB erlangte; ferner
sein Schiiler Karl Greith (1828—1 887), K.Struntz, ein Schuler P. Winters (1793— 1859),
Franz Lachner (1803 — 1 890) ; als Auslaufer dieser Miinchner Sdhule ist Josef Rheinberger
(1839 — 1901), ein Schuler Lachners, anzusehen. Seine Werke zeichnen sich durch hohe,
oc/ Die kathoHsche Kirchenmusik seit 1750
dabei voilig ungezwungen gehandhabte kontrapunktische Kunst aus, die mit einer von slid-
deutscher Eigenart bestimmten gerundeten Melodiefiihrung vereinigt wird. Er kniipft m
seiriem Schaffen an den mittleren Beethoven und an Franz Schubert an und empfangt nach-
haltige Eindriicke von Mendelssohn, wahrend Schumanns Stil ihm ferner steht. Der tiefe
Stimmungsgehalt seiner Werke findet nicht in der Wiedergabe irgendwelcher extremer Ge-
fiihle Ausdruck, sondern vielmehr in einer Vertieiung auf der mittleren Linie. In seinem
Schiller Josef Renner (geb. 1868) (and die in Rheinberger verkorperte Miinchner Tradition
einen neuen Vertreter.
Auch die grofien deutschen Romantiker beschaftigten sich mit katholischer Kirchenmusik. So
schriebC. M.v.Weber (1786— 1826) aufier einer friihenMesse zweJMessen fur dieDresdener
Hofkirche;auch von Robert SchumannbesitzenwireineMesse und ein Requiem, zudenen der
Kiinstler durch das katholische Leben mDiisseldorf angeregt wurde. Alleinbei diesen Werken
Schumanns, des Protestanten, handelt es sich nicht mehreigentlichumkatholische Kirchenmusik.
Es sind religiose Kompositionen iiber den katholischen liturgischen Messetext, die aus dem
durch die Romantik neu belebten und vertieften allgemeinen religiosen Empfinden erwuchsen.
Von den deutschen Kirchenkomponisten mehr oder weniger traditionalistischer Richtung
seien noch erwahnt: B. Randhartinger, der Nachfolger Assmayers als Wiener Hofkapell-
meister (1802— 1893), R. Fiihrer (1807—1861), der inPrag und Wien wirkte, der Domkapell-
meister zu St. Stephan G. Preyer (1807—1901), der Wiener Hoforganist L. Rotter (1810
bis 1895), F. Krenn (1816—1897), M. Brosig (1815—1887), der Augsburger Domkapell-
meister K. Kempter (1819—1871), bekannt durch seine ,,Landmessen", der Wiener Hof-
kapellmeister R. Bibl (1832—1902), der bedeutsame J. E. Habert (1833—1896), einer der
Hauptgegner der weiter unten zu erwahnenden Cacilianer, endlich E. Stehle, Domkapell-
meister in St. Gallen (1839-1915), Max Filke (1855-1911).
Hinsichtlich Ausdehnung und Heranziehung grofierer Klangmittel wird Beethovens Missa
solemnis weitaus von dem Requiem des franzosischen Orchesterreformators Hector Berlioz
(] 803— 1869) iibertroffen. Das Werk, das seinen klanglichen Hohepunkt in dem Dies irae hat,
bei dem vier getrennt aufgestellte Blaserchore herangezogen werden, kann wohl kaum mehr
als Kirchenmusik angesprochen werden. Der Zusammenhang mit dem liturgischen Gesamt-
kunstwerk ist wohl nur mehr im Texte zu finden. Es handelt sich gleichsam um ein Werk
zu einer weltlich-religiosen Trauerfeier — es wurde fur die Beisetzung des Generals Damre-
mont im Invalidendom zu Paris (1837) geschrieben — , bei der traditionell die Worte des
katholischen Totenoffiziums zur Anwendung kommen. Derartige Werke erscheinen Jm
19.Jahrhundert ziemlich haufig. AuchG.Verdis (1813— 1901) Requiem, zum Andenken des
Dichters A. Manzoni (f 1873) geschrieben, Jm Rahmen des S chaff ens dieses Kiinstlers und
absolut musikalisch betrachtet ein Meisterwerk, geht in Anlage und vielfach auch in seiner
dem dramatischen Stile Verdis sich nahernden Haltung iiber den Rahmen liturgischer Ge-
brauchsmusik hinaus. Das Problem, das bei Beethovens Missa solemnis hinsichtlich des
Verhaltnisses zur Liturgie sich geltend macht, begegnet fast bei alien monumentalen Kom
positionen des 1 9. Jahrhunderts, denen der katholisclvrituelleText zugrunde liegt. Sie werden
gleichsam nicht in dem Gedanken an die Eingliederung der Musik in die kirchliche Zeremonie,
sondern — wenn auch vielfach aus katholischem Geiste heraus — ohne Riicksicht auf diese
geschrieben, womit aber der wesentliche Charakter der katholischen Kirchenmusik in ge~
Die katholisclie Kirchenmusik seit 1 750 857
wissem Ma6e verlorengeht ; derm wenn der Musik im katholischen Gottesdienste auch eine
wesentliche, unentbehrliche Rolle zukommt, mufi die Unterordnung unter das Gesamtkunst-
werk gewahrt bleiben, wenn nicht ein Obergang in das Gebiet der katholisch-religiosen Musik
stattfinden soil. Verdis ,,Pezzi sacri" (darunter Te deum, Stabat mater, Ave Maria) stehen
in dieser Hinsicht der gottesdienstlichen Verwendung bedeutend naher. Einen jiingeren
hervorragenden Vertreter auf dem Gebiete der katholischen Kirchenmusik besitzt Italian in
Enrico Bossi (geb. 1861), dem Direktor der Musikschule der romischen Cacilienakademie.
Die vom liturgischen ebenso wie vom klinstlerischen Standpunkte zweifellos als Niedergang zu
bezeichnende Produktion auf dem Gebiete der katholischen Kirchenmusik in der nachklassi-
schenZeit fand um die Mitte des 1 9. Jahrhunderts ihre Reaktion in einer Reformbewegung,
an deren Spitze sich Geistliche stellten. Grofien EinfluB auf diese Richtung hatte das 1825
erschienene Werk des Heidelberger Rechtsgelehrten A. Thibaut (1774—1840): ,,Uber die
Reinheit der Tonkunst", das durch seine ablehnende Haltung der Romantik gegeniiber den
Reformatoren als allgemein asthetische Grundlage und Rechtfertigung diente. Die katholische
Kirchenmusik sollte aus dem Sumpf, in dem sie zu versinken drohte, emporgehoben, wieder
mit dem Ernste und der Wiirde erfiillt werden, deren sie als Bestandteil des Gottesdienstes
bedurfte. Das Zentrum der Bewegung war Regensburg. Dort wirkte als Kanonikus Karl
Proske (1794 — 1861). Als ausgezeichneter Kenner der Musik des Cinquecento erwarb er
sich durch die Herausgabe der Missa Papae Marcelli (1850) und die drei Jahre spater be-
gonnene Veroffentlichung seiner Sammlung von geistlichen Kompositionen der Palastrina-
Zeit (,,Musica divina") grofie Verdi enste um die praktische Kirchenmusik; denn die nach
den Festen des Kirchenjahres angeordnete Sammlung sollte nicht zuletzt der Wiederbelebung
der A-cappella-Musik alten Stils dienen. Abgesehen vom Chorale sah diese Reformpartei ihr
kirchenmusikalisches Ideal in der A-cappella-Musik des 1 6. Jahrhunderts und neben Mannern,
die nur den unkirchlichen Gebrauch der Instrumente in der Kirchenmusik verurteilten und
deren Verwendung hinsichtlich Art und Umfang reformieren wollten, gab es solche, die nur
die reine Vokalmusik als zulassig erklarten.
Ihren unermiidlichen Organisator, der Proskes Ideen und Bestrebungen in die Tat um-
setzte, fand die Bewegung in Franz X. Witt (1834—1888). Dieser griindete im Jahre 1867
— angeregt durch den auf Palestrina selbst zuriickgehenden Cacilienverein in Rom, der 1847
vom Papste in die ,,Accademiadi Sta. Caecilia" umgewandelt worden war — den ,,Allgemeinen
deutschen Cacilienverein" zur Hebung der katholischen Kirchenmusik. Auch als Komponist
wirkte er eifrig Jm Sinne seiner Kunstanschauung und seine an Palestrina und dessen Stil
anschliefienden Kompositionen — er schrieb aber nicht nur vokal — fanden dank der vor-
trefflichen Werbetatigkeit, der weitverzweigten Organisation und der Unterstiitzung der
kirchlichen Behorden grofie Verbreitung. Unter seinen zahlreichen Werken 1st vielleicht die
Raffaelsmesse als das bedeutendste anzusprechen. Witt, der als Dirigent katholischer Kirchen
musik alten Stils hoher zu schatzen ist, denn als Komponist, vermochte bis zu einem gewissen
Grade seine Werke riickschauender Richtung mit geistigem Leben zu erfullen, doch vermochten
weder er noch die iibrigen Anhanger des Cacilianismus die Entwicklung aufzuhalten, die in
der Kirchenmusik als Folge der allgemeinen geistigen Stromungen sich vollziehen mufite.
Gleichwohl muC die Abkehr von dem Abwege, auf den sie geraten war, grofienteils als Ver-
dienst dieser Partei anerkannt werden. Witt selbst verschlofi sich nicht ganz den Forderungen
858 Die katholische Kirchenmusik sell 1750
seiner Zeit. Er trat z. B. fiir Karl Greith gegeniiber Angriffen aus dem eigenen Lager ein,
obwohl Greith den instrumentalen Apparat keineswegs verschmahte. Auch Magnus Ortwein
liefi er gelten, der das Leitmotiv in der Kirchenmusik zu verwenden suchte und auch das
Chroma verwendete. AIs Fuhrer der streng archaisierenden Richtung im Cacilienverem ist
Michael Haller (1840—1915) zu betrachten, ein Mitschiiler Witts bei dem Regensburger
Domkapellmeister Joseph Schrems (1815—1872). Seine zahlreichen Kompositionen
(ISMessen, mehrere Bande Motetten, Psalmen, Litaneien usw.) zeigen vielleicht ein noch
tieferes Eindringen in die Kunst Palestrinas, als es bei Witt zutage tritt. Das kompositorische
Wirken Witts und Hallers allein hatte der Sache der Cacilianer kaum den grofien EinfluB
bringen konnen, den sie tatsachlich ausiibte, wenn nicht Hand in Hand damit auch eine
ei frige schriftstellerische Tatigkeit und planmafiige Editionsarbeit verbunden worden ware.
Theodor de Witt begann mit Franz Espagne die Herausgabe der Werke Palestrinas, die
dann von Franz X. Haberl (1840 — 1910) zur monumentalen Gesamtausgabe ausgestaltet
wurde. Haberl, der dritte geistliche Fuhrer der Cacilianer, gleich den beiden andern ge-
biirtiger Bayer, mufi als der wissenschaftliche Leiter der Bewegung bezeichnet werden.
Joh. B. Molitor (f 1900), Miinsterchordirektor in Konstanz, dann Domkapellmeister in
Leitmeritz, vermochte nicht die Bedeutung der bisher erwahnten Vertreter der alteren
Generation im Cacilianismus zu erreichen.
Zwischen der alteren und jiingeren Gruppe von Anhangern der Reformbewegung steht der
Tiroler Ignaz Mitterer (geb. 1850), Propst und Chordirektor am Dome zu Brixen. Als
Komponist nahert er sich dem neuzeitlichen Stil, den er manchmal nicht ohne Erfolg mit
den Prinzipien des Palestrinastils in Emklang1 zu bringen sucht. Er geht wohl vom 16. Jahr-
hundert aus, allein indern er starken Eindriicken von Handels Werken in seinen Kompositionen
Raum gibt, verlafit er eigentlich schon den Boden des strengen Reformgedankens. Hierin
hegt schon der Ubergang zur jiingeren cacilianischen Generation.
In den Werken ihrer Vertreter sind die Extreme der Bewegung bereits abgestreift, es wird
allmahlich der Anschlufi an die zeitgenossische weltliche Musik wieder gefunden. Als Fuhrer
dieser neuen Richtung sind vielleicht P. Griesbacher in Regensburg und V. Goller in
Klosterneuburg-Wien zu bezeichnen. In des ersteren Werken macht sich eine starke Be-
vorzugung des Chromas der Mitte des 19. Jahrhunderts geltend. Ein eigenartiges Werk liegt
in seinem ,,Repertorium chorale" vor, in dem er die liturgischen Texte des Kirchenjahres
einstimmig vertonte. Auch Goller verarbeitet in seinen Werken Einfliisse von durchaus nicht
cacilianischer Seite. I^euartig ist sein Typus der ,,Rezitativmesse", die den grofiten Teil des
liturgischen Textes solistisch-rezitativem Vortrage zuweist. Neben Goller wirkt insbesondere
noch Max Springer in Klosterrieuburg, dessen kiinstlerische Individuality deutlich roman-
tische Beeinflussung aufweist. Er versucht auch wieder den Gregorianischen Choral mit der
Figuralmusik zu verweben. Das einigende Band im Zyklus der Messensatze ist bei ihm das
versuchte Festhalten der durch das spezielle liturgische Fest gegebenen Grundstimmung
(Weihnachts-, Ostermesse). Als Schiiler der jungcacilianischen Richtung sind insbesondere
Karl Koch inBozen, A. Schlogl in Salzburg, J. Lechthaler in Wien zu bezeichnen. Mit
dem volligen Anpassen an die geistigen Stromungen unserer Zeit hat der Cacilianismus seine
kompositionstechnisch-stilistische Sonderstellung aufgegeben und seine bleibende, wertvolle
Wirkung erscheint nunmehr in dem ideellen Momente gegeben, die katholische Kirchenmusik
Die katholische Kirchenmusik seit 1750 859
mit streng kirchlichem Geiste zu erfiillen, sieimSinne der jiingstenautoritarenAuBerungen der
romischen Kurie liber kirchenmusikalische Fragen, dem Motu proprio Pius' X. vom 22. XL
1903 und der Constitutio Apostolica Pius' XL vom 20. XII. 1928, jedoch ohne Verschmahen
moderner Mittel, Jm Geiste der Gegenwart zu ihrem eigentlichen Wesen, zum liturgischen
Kunstwerke zuriickzufiihren.
Fernabstehend von den Cacilianern wirkten im Anfange der zweiten Halfte des 19. Jahr-
hunderts zwei Meister, denen zwar anscheinend auf kirchenmusikalischem Gebiete keine
Unmittelbare Nachfolge erwuchs, die aber ohne personliche Einflufinahme durch ihre kirchen-
musikalischen Werke von hochster Bedeutung auch fiir die Folgezeit wurden : Franz Liszt und
Anton Bruckner. Franz Liszt (181 1 — 1886) hatte schon im Jahre 1834 versucht, sich in der
Fragment gebliebenen Schrift iiber ,,Die Zukunft der Kirchenmusik'* mit den ihm hier be-
gegnenden Problemen auseinanderzusetzen. Schon dies deutet darauf hin, dafi auf dem
Gebiete der Kirchenmusik bei Liszt die Reflexion eine grofie Rolle spielte. Auch Liszt war
von der Notwendigkeit einer Reform der Kirchenmusik durchdrungen und in seinem Hin-
blicken auf die Kirchenmusik vergangener Zeiten mag allenfalls em Beriihrungspunkt mit den
Cacilianern erblickt werden. Vorerst versucht er durchaus vom Standpunkt der modernen
Musik seiner Zeit aus kirchliche Musik zu schreiben, gleichsam in Durchfiihrung des in dem
erwahnten Aufsatze aufgestellten Grundsatzes : die Kirchenmusik ,,sei weihevoll, stark und wirk-
sam, sie vereinige in kolossalen Verhaltnissen Theater und Kirche, sie sei zugleich dramatisch
und heilig, prachtentfaltend und einfach . . ." Seine spaten Kirchenwerke zeigen aber durchaus
eine Abkehr von der weltlichen Musik und eine tatsachliche Annaherung an den Ausdrucks-
charakter friiherer Zeiten. Neben kleineren kirchenmusikalischen Werken schrieb Liszt
4 Messen und 1 Requiem. Den zwei Monumentalwerken (Graner-Messe, zur Einweihung
der Basilika zu Gran 1855, und Kronungsmesse, zur Kronung Kaiser Franz Josephs I. als Konig
von Ungarn 1867) stehen die iibrigen (Mannerchormesse 1848, 1869 umgearbeitet, Missa
choralis 1865, Requiem 1867/68) vielfach gegensatzlich gegeniiber. In diesen kommt das
scheinbar gemeinsame mit der Proske-Wittschen Richtung noch am ehesten zum Ausdruck.
Die Begleitung ist der Orgel zugewiesen, nur im Requiem, das wie die 1 . Messe fiir
Mannerstimmen geschrieben ist, tret en ad libitum Trompeten, Posaunen und Pauken hinzu.
In diesen Werken tritt das kontrapunktische Element vollig in den Hintergrund, Liszt macht
sich technisch gleichsam von der herrschenden Tradition frei und sucht, ohne Riicksicht auf
sie, in diesen Werken einem ihm vorschwebenden Idealbilde Gestalt zu geben. Er versucht,
dem Inhalt des Textes mit moglichst schlichten Mitteln in einer dem Rahmen des liturgischen
Gesamtkunstwerkes sich vollig einpassenden Weise Ausdruck zu geben. Besonders auf-
fallend ist das Heranziehen von Choralmotiven, das gewifi letzten Endes auch auf die zur
Mystik neigenden religiosen Empfindungen Liszts zuriickgeht. Wie schon aus ihrem Titel
hervorgeht, ist insbesondere die Missa choralis fiir diesen Zug in Liszts geistlichem Schaffen
kennzeichnend. Allerdings macht sich neben den choralen Wendungen auch wieder, ins
besondere in der Harmonik, romantisches modernes Empfinden geltend. Die Choralmotive
werden aber als Themen im modernen Sinne betrachtet. So zieht sich durch das ganze Credo
der Missa choralis als Hauptmotiv die Credo- Intonation des Chorales, der die verschiedensten
Texte unterlegt werden, mit der die Phrasen modern-architektonisch gebaut werden (man
vgl. das oben gebrachte Beispiel von M. Haydn), z, B. :
55 H. d.M.
860
Die katholische Kirchenmusik seit 1750
Qui cum Pa - tre et Fi - li - o si - mul a
do - ra-
tur et con - glo
~ fi -
tur
Eine groBe Rolle spielen Unisono-Gange, ja vollig unbegleitete Soli einzelner Stimmen;
vgl.'z. B. das ,,Mors stupebit" im ,,Dies irae" des Requiems. Es tritt das Streben zutage,
die melodische Tradition der vorangegangenen Zeit zu verlassen und auch die horizontale
Hauptlinie aus einigen wenigen Motiven zu bilden. Die motivische Arbeit wird gleichsam
aus der Vertikalen in die Horizontale versetzt. Das zweite moderne Moment dieser Kirchen-
werke Liszts liegt in der mitunter auftretenden, haufig mit dem diatonischen Charakter in
scheinbarem Widerspruch stehenden Harmonik.
Die beiden religios-nationalen Feiern Ungarns, flir die Liszt als der groBte Tonkiinstler der
Nation die Messen schrieb, liefien in dem Komponisten zwei Werke erstehen, die vielleicht
nicht so stark von Reflexionen beeinflufit sind, wie die andern, in reformatorischer Absicht
geschaffenen. Die Wandlung, die Liszt in seinem Verhaltnis zur Kirche im Verlaufe seines
Lebens durchmachte, ist hier noch nicht an ihrem Zielpunkte angelangt, der in den erwahnten
Spatwerken seinen Ausdruck findet. In den beiden Festmessen strebt Liszt anscheinend in
der Tat nach einer Vereinigung von Theater und Kirche, von weltlichem und geistlichem
Leben. Man beachte nur den Beginn des Gloria in der Graner-Messe:
All0 ma non troppo
Kl.
P marcato
* ~"'
P Glo - ri-a in ex - eel - sis De - o
Man kann hier nicht nur von einer Ubernahme der technischen Mittel, sondern auch des
Ausdruckes aus der dramatischen oder zumindest programmatischen Musik der neudeutschen
Schule sprechen. Die Graner-Messe bedeutet eines der blendendsten kirchlichen Tonwerke
der Neuromantik, allein zugleich vielleicht auch eines der subjektivsten Werke auf diesem
Gebiete, innerhalb der fur liturgische Zwecke bestimmten katholischen Kirchenmusik die
starkste Abkehr vom liturgischen Kunstwerk. In der Kronungsmesse werden sogar national-
ungarische Motive in die Komposition verwoben. Von diesen Versuchen, die Kirchenmusik
von der weltlichen aus bewufit umzugestalten, stand Liszt bald ab. Er sah eine Zukunft der
Kirchenmusik und ihre Regeneration sodann nur aus vollig kirchlichem Geiste und aus der
Die katholisclie Kirchenmusik seit 1750 861
volligen Abkehr von der weltlichen Kunst heraus moglich und suchte auch in diesem Sinne
zu wirken; allein weder die bewufite Vereinigung weltlicher und kirchlicher Kunst noch die
Abkehr von jener sollten auf dem Wege der Entwicklung weiterfiihren, sondern das naive
Schaften aus kirchlichem Geiste in der modernen Tonsprache, wie es in Anton Bruckner
begegnet.
So deutiich die kunstlerische Erscheinung Anton Bruckners (1824 — 1896) in seinen
Meistenverken — sei es auf kirchlichem, sei es auf weltlichem Gebiete — zum Ausdrucke
kommt, so schwierig stellt sie sich als Entwicklung innerhalb der Personlichkeit betrachtet dar.
Die Zeit seines Aufenthaltes in Linz mit den theoretischen Studien bei S. Sechter und Kitzler
scheidet sein Schaffen in zwei scharf getrennte Epochen. Wahrend die erhaltenen Werke aus
der friiheren Zeit eine entwicklungsgeschichtliche Bedeutung nicht beanspruchen konnen*
tritt er nachher mit einem Male als einer der bedeutendsten Tonkunstler seiner Zeit auL
Dadurch rechtfertigt sich im Zusammenhang einer entwicklungsgeschichtlichen Darstellung
der Kirchenmusik die Aufierachtlassung der Fruhwerke. Auch die aus spaterer Zeit vor-
handenen kleinen Kirchenwerke treten gegeniiber den Messen vollig in den Hintergrund.
In die erste Reihe der Kirchenkomponisten tritt aber Bruckner mit seinen drei Messen (D-MolU
1864, E-Moll, 1866, F-Moll, 1867/68). Das Tedeum (1881, umgearbeitet 1882—84) steht
wieder an der Grenze von liturgischem und religiosem (aber hier durchaus katholisch-religiosem)-
Kunstwerk, ebenso die Psalmkompositionen Bruckners. Diese Werke sind nicht eigentlich
als Kirchenmusik zu bezeichnen, wenngleich sie allenfalls bei feierlichen Vespern in Ver-
wendung kommen konnten. Auch das Tedeum ware seiner Gesinnung nach durchaus fur
eine groBe kirchliche Feierlichkeit geeignet; es handelt sich um durchaus in kirchlichem
Geiste geschaffene religiose MusiL Die Messen sind vom Kiinstler als Kirchenmusik im
engsten Sinne des Wortes gedacht. Die erste und dritte sind Orchestermessen im herkomm-
lichen Sinne, die zweite eine achtstimmige Vokalmesse mit Blaserbegleitung. Fiir die Anlage
der Orchestermessen Bruckners ist vor allem die symphonische Konstruktion kennzeichnend.
Es ist kein typischer Kirchenstil im Sinne ihrer Entstehungszeit, In dieser Hinsicht fiihrt die
Entwicklungslinie zu Beethoven zuriick. Wenn auch das Herauswachsen aus der kirchenmusi-
kalischen Tradition bei Bruckner deutiich erkennbar ist, gestaltet er seine Messensatze technisch
vollig aus der symphonischen Musik heraus nach musikalischen Richtlinien, die er aber mit dem
jeweiligen Textinhalte in Ubereinstimmung zu bringen weiB. Man kann in dieser Hinsicht
Bruckner als den Schopfer des modern-symphonischen Messenstils bezeichnen, im Gegensatz
zum klassischen Symphoniestil in der Missa solemnis Beethovens. Wie bei Beethoven wird
die Singstimme als — allerdings in den Vordergrund tretendes — Instrument des gesamten
Klangkorpers betrachtet.
Konstruktives Element ist, wie bei Beethoven, das Motiv, dessen Verarbeitung auch die
horizontale Unie ergibt, wobei die typisch romantische, bei Schubert schon erwahnte Har-
monik vielfach das die Bewegung bestimmende Moment wird. Die Technik des symphonischen
Schaffens erscheint bei Bruckner auf die Mefikomposition iibertragen. In kompositions-
technischer Hinsicht sind in den Messen Bruckners die gleichen Erscheinungen f estzustellen
wie in den Symphonien: Die breite melodische Linie, deren horizontal stark vereinheitlichte
motivischeBildung durch Sequenzierung kleinerer oder grofierer Partien, die Doppelthematik
durch Weiterbildung des obligaten Akkompagnements zur vollen Verselbstandigung der Be-
55*
862
Die katholische Kirchenmusik seit 1750
gleitung, die motivische Durchsetzung des ganzen Klangkorpers in vertikaler Hinsicht; in
rhythmischer Hinsicht die scharfe Pragnanz bis zur motivischen Verselbstandigung des
Rhythmus; die trotz chromatischer Alterationen dennoch diatonische Harmonik unterstarkster
Ausweitung des tonalen Kreises, die auch den bekannten, in den Symphonien als choralartig
(im Sinne des protestantischen Chorals) bezeichneten Wendungen den eigenen Charakter ver-
leiht; ein Beispiel far diese Art der Harmonik bietet folgende Stelle aus der D-Moll-Messe :
pcresc.
Im architektonischen Aufbau zeigt sich die Befreiung von den letzten Endes in der einfachen
Vollkadenz gelegenen metrischen Fesseln, die Ausweitung durch Einordnung in den harmo-
nischen Ablauf, der durch vollen Ausbau des Systems der Terzverwandtschaft, vielfach aber
auch im Rahmen der hergebrachten Quinttonalitat neues Geprage erhalt. Dabei herrscht aber
voile Wahrung der metrischen Proportion im GroBen. Gewisse, vielleicht aus der Orgelpraxis
Bruckners herriihrende Eigenheiten, wie die Bildung vor\ Steigerungen oder architektonischen
Hohen iiber Orgelpunkten, wie auch eine vorbildliche BaBfiihrung, die vielfach wieder nur
aus dem Bewegungszuge zu erklaren ist, verleihen dem kompositionstechnischen Bilde
seiner Mefikomposition ihr eigenes Geprage; kontrapunktische Meisterschaft besonders in
den traditionellen Fugen, wie iiberhaupt die Einfugung der strengen Schreibweise in den ihr
gewissermafien entgegengesetzten, romantischen Stil lassen Bruckner als den Kiinstler er-
kennen, der im AbschluB der neudeutschen Stilrichtung den Bogen abermals weiter nach
ruckwarts bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts spannt.
In liturgischem Sinne sind die beiden Orchestermessen Bruckners durchaus Festmessen.
Was sie aber in ihrer Haltung weit mehr als z. B. Liszts Graner-Messe ,,kirchlich" erscheinen
lafit, mag nicht zuletzt darin gelegen sein, daB Bruckner sie vollig aus kirchlichem Geiste
heraus schuf, daB es sich hier nicht um Obertragung weltlichen, etwa dramatischen Ausdrucks
in die Kirchenmusik handelt, sondern lediglich um die Heranziehung der modernen Aus-
drucksmittel, mit denen dem Inhalte des Textes im Grunde genommen absolut musikalisch,
also auch abgesehen von Bruckners personlichem Katholizismus, durchaus nicht unkirchlicher
Ausdruck verliehen wird. Von dem Standpunkte des Vorzuges der Vokalmusik als liturgischer
Tonkunst ist vielleicht Bruckners E^Moll-Messe voranzustellen. Sie ist durchaus vokal er-
funden, in geradem Gegensatz zu den obenerwahnten Messen des Meisters. Manche Eigen-
Die Oper im 19. JahrKundert §63
tiimlichkeiten zeigen deutlich, wie auch bei Bruckner zwischen den Begriffen ,,kirchIicheVo~
kalmusik" und ,,Kirchentonalitat4t eine gewisse Relation bestand. Gleichwohl wird auf moderne
Harmonik durchaus nicht Verzicht geleistet. Auch in diesem Werke zeigt sick Bruckner als
Weg\veiser fiir die Kirchenmusik der Zeit nach ihm. Soweit sich allerdings bis jetzt erkennen
lafit, hat Bruckners Schaffen auf dem Gebiete der Kirchenmusik, im Gegensatz zu seinen
sinfonischen Werken, noch keine Fortsetzung gefunden, es bedeutet vorlaufig in entwicklungs-
geschichtlicher Hinsicht den Hohepunkt der katholischen Kirchenmusik in der zweiten Halfte
des 19. Jahrhunderts.
Bei dem konservativen Standpunkt, den die katholische Kirche trotz weitgehender Duld-
samkeit gegeniiber neuen Stilbewegungen einnimmt, ist es nicht zu wundern, wenn die aller-
neuesten Bestrebungen auf dem Gebiete der weltlichen Musik in der katholischen kirchlichen
Tonkunst noch keinen Widerhall gefunden haben. Hierzu kommt, dafi die schon durch die
Romantik gebrachte Vertiefung des religiosen Empfindens ihren Ausdruck nicht nur in kon-
fessionell-kultischen Werken, sondern auch auf andern Gebieten der Tonkunst zu finden
vermag, die Komponisten ihrem tiefen religiosen Empfinden, man denke an den ersten Satz
von Mahlers 8. Sinfonie, daher vielfach auBerhalb des liturgischen Rahmens Ausdruck geben.
Literatur
Baumker, W.: Das katholische deutsche Kirchenlied in seinen Singweisen; 4 Bde. — Griesbacher, P.: Kirchen-
musikalische Stilistik und Formenlehre. — Derselbe: Bruckners Tedeum. -— Klafsky, A. M.: M. Haydn als
Kirchenkomponist. Studien z. Mus.-Wiss. III. — Koch el v L.: Die kaiserliche Hofmusikkapelle in Wien von
1543 — 1867. — Kurthen, W.: Studien zu Mozarts kirchenmusikalischen Jugendwerken. Ztschr. f. MW. III. —
Leichtentritt, H : Geschichte der Motette. — Riemann , H.: Handbuch der Musikgeschichte II/3. — Sand-
berger, A.: Gesammelte Aufsatze. — Schnerich, A.: Messe und Requiem seit Haydn und Mozart. —
Singer, K. Bruckners Chormusik. — Weinmann, K. : Geschichte der KirchenmusiL — Wissig, 0.; Franz
Schuberts Messen. — Biographien iiber: Jos. Haydn (PoKl, Botstiber, Schnerich), W. A. Mozart (Jahn, Abert,
Schiedermayr, Paumgartner), Schubert (Kreifile, Dahms, Orel), Beethoven (Thayer, Orel), K. M. v. Weber (Weber),
Schumann (Wasielewski, Abert), Liszt (Louis, Kapp, Gollerich), Bruckner (Louis, Auer, Decsey, Gollerich, Orel,
Kurth, Graflinger). — Aufsatze in Vierteljschr. f. MW., ZIMG., SIMG., Zeitschr. f. MW., KMIB., Mus. divi-
na, Mus. sacra. DTO.: XXII, XXXII (M. Haydn). — Ges. Ausg. von Mozart, Beethoven, Schubert, Schu
mann, Liszt, Berlioz, Weber, Bruckner. — Zahlreiche Sparten, alte und neue Drucke und Handschriften aus
dem Besitze der DTO., der Wiener Nationalbibliothek, Stadtbibliothek, Gesellschaft der Musikfreunde.
Alfred Orel
DIE OPER IM 19. JAHRHUNDERT
Es gibt kaum ein Kapitel der neueren Musikgeschichte, dessen stilkritische Behandlung so-
rasch auf Schwierigkeiten stofit wie das der Oper im 19. Jahrhundert. Empfindet man die
Pflicht, den Anteil eines jeden vielleicht mehr auf anderem Gebiete bekannt gewordenen
Meisters zu ermessen, so bleibt man bei der Mitteilung des vorhandenen Stoffes stehen,
einer Vorarbeit, die geleistet werden muB. Die Unendlichkeit des Stoffes erlaubt aber einst-
weilen eine Gliederung nur in allgemeinen Linien. Fiir genaueres Eingehen auf den Schich-
tungsprozefi der Gattung fehlen die notwendigen Spezialarbeiten. Was uns ferner zaudern
lafit, ist die Dberlegung, dafi die Lebensdauer einer Oper, ja, die Tiefe ihres Eindrucks keines-
wegs allein von ihrem kiinstlerischen Werte, sondern (bei der Zusammensetzung des Publi*
864 Die Oper im 1 9. Jahrhundert : Deutschland
kums) von vielen aufiermusikalischen und auBerkiinstlerischen Dingen abhangt. Der Ver-
fasser dieses Abschnitts glaubt, die Verantwortung den unzahligen Partituren gegeniiber nicht
tragen zu konnen, die, ihm notwendigerweise unbekannt, in Theaterarchiven schlummern
und, morgen entdeckt, das miihsam aufgerichtete Bild umwerfen konnen.
Das eigentliche Zeichen aller Operngeschichte steht auch iiber dem 1 9. Jahrhundert : die
Frage nach der Regelung des Verhaltnisses von Drama und Musik. Das 18. Jahrhundert
hatte in Mozarts italienischem und deutschem fast alle Gattungen vereinigenden Werk den
Ausgleich musikbestimmter Form und dramatischer Notwendigkeit gefunden. Nach einer
Zeit des Schwankens kommt auch das 19. Jahrhundert zu seiner Synthese. Doch sie erfolgt
nicht in einer Personlichkeit : aus der Operngeschichte heraus wird das 19. das Jahrhundert
Wagners und Verdis heifien miissen. Mit dieser Doppelnennung soil keine relative Wert-
bemessung der beiden Meister ausgesprochen sein. Neben dem Doppelgipfel breitet sich
eine Internationale Landschaft, deren Kontur sich von Erhebungen groBerer, mittelgroBer und
geringerArtabsenkt in dieSumpfgegenddes geradezuMifilungenen odersinnlosNachgemachten.
Ein fur das Operngeschehen des 19. Jahrhunderts bezeichnender Zug ist der Anteil von
Nationen, deren Musik bis dahin ganz oder doch in den erkennbaren Teilen von der Kunst
der alten Musikvolker abhangig gewesen war. Sie schiitteln das fremde Joch ab, vervoll-
kommnen sich moglichst aus eigner Kraft und geben der alteren Kunst manchen wichtigen,
wohi auch einmal spat verstandenen Anreiz, der, vorziiglich vom Osten zum Westen fort-
schreitend, das Antlitz der Musik stetig, wenn auch langsam, verandert. Immerhin sind bisher
Deutschland, Frankreich und Italien noch in der Fiihrung geblieben.
Deutschland
Der AnschluB an die Antike, den Goethes Mannesalter gesucht und gefunden hatte, gab der
Dichtung und der allgemeinen geistigen Verfassung, deren Symbol sie ist, auch dann noch
das Geprage, als im Beginne des 19. Jahrhunderts die Neigungen der siebziger Jahre des
18. sich neu geltend machten: Holderlin vermochte es, einen romantischen Inhalt in eine
Idassische Form zu schmelzen. Die Auflosung der durch friihere Geschlechter ausgebildeten
Form, so sehr sie Merkmal der romantischen Kunst werden mag, ist also keine von Anfang an
gegebene Notwendigkeit. So verstehen wir, weshalb diese Auflosung sich auch in der Musik
nicht sogleich beim Aufkommen der ersten romantischen Ideen einstellt. Noch die Musik des
,, Lohengrin*' bedient sich auf weite Strecken hin einer iiberkommenen Schreibweise insofern,
als der Ablauf der Gedanken an eirie*metri$che RegelmaBigkeit gebunden erscheint, obwohl sie
ihrem Sinne nach sich dem romantischen Vorwurf durchaus anpaBt.
Eine einheitliche Bestimmung der in dem neuen Schrifttum sich kreuzenden tausend-
faltigen Stromungen zu versuchen, ware ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen; ja,
vielleicht ist es gerade die Buntscheckigkeit der geistigen Bewegungen in Philosophic, Religion,
Wissenschaft, Dichtung und Kunstbetrachtung, was das Wesen des Romantischen ausmacht.
Beschranken wir uns also zunachst auf eine Aufzeigung der dem musikalischen Drama aus
dieser Mannigfaltigkeit zuwachsenden Stoffe.
Der napoleonische Druck fiihrte aus der nicht nur von dem jungeren Geschlecht als schmach-
voll empfundenen Gegenwart zur Betrachtung der reicheren und schoneren Vergangenheit.
Die Oper im 19. Jahrhunaert: Deutschland 855
Neben dem fortdauernden Studium der Griechen wird das auBerfranzosische und sonderlich
das eigene Volkstum Gegenstand der Bemiihung urn das ,,Genie der Nationen". Sprachwissen-
schaft, die allgemeine und die Geschichte der Literatur bliihen auf , immer mit der patriotischen
Forderung nach der Beschaftigung mit dem eigenen Volk. Die Abkehr von der Aufklarung,
wie Herder sie eingeleitet hatte, die VertJefung des im 18. Jahrhundert verfiachten religiosen
Lebens gaben diesen Forschungen eine eigene Farbung, die sich auch auf Erzieher, Politiker
und andere Manner der Tat, der vaterlandischen zumal, iibertrug. Die friihen Romantiker er-
schliefien durch Ubersetzungskunst die Welt Homers, Shakespeares, der alteren italienischen,
spanischen und orientalischen Dichtung. Schon im Winter des Jahres 1803 hatte Wilhelm
Schlegel das Nibelungenlied mit der Ilias verglichen: neue Ausgaben des Werks wurden ge-
plant und vollendet. Jungere, um die ,,Zeitung fur Einsiedler" gescharte Geister wenden sich
der alteren volkstumlichen Poesie zu: der umfassende Charakter von Herders ,,Volksliedern"
wird in ,,Des Knaben Wunderhorn41 national. Volksbiicher, Legenden, Romane, Jahrmarkts-
und Handwerkerliteratur, Kinder- und Hausmarchen, deutsche Sagen, germanische Helden-
sagen, in die nebelhaften Hohen nordischer Mythologie reichend, beleben sich von neuem
unter der Hand von Gelehrten, die zugleich Dichter waren oder der Dichtkunst nahe
standen.
Das Leben des Roman tikers ist antibiirgerlich : es kennt keine endlichen Zwecke, kerne
Scheidung in Sonntag und Alltag, es unterschatzt die Leistung und iiberschatzt das ,,Schauen",
ist Bereitschaft zum (wirklich oft friih eintretenden) Tode. E. T. A. Hoffmann liest keine Zei-
tung; die romantischen Zeitschriften bringen keine Neuigkeiten. Liebe und Freundschaft
kennen den Begriff der Treue nicht, doch den des Mitleidens. Wie der romantische Reisende
beriihmte Statten umgeht, so gibt es auch fiir die Bildung keine objektiven Ideale : sie geht vom
Subjekt aus.
Die Erneuerung des Stoffgebietes und der Lebensbetrachtung mufite notwendig mit einer
Veranderung der Kunstanschauung Hand in Hand gehen. Die Dichtung, als Zusammen-
fassung des dunkeln Triebes der Sturmer und des Konnens der Klassiker, ist Mittel zur Uni-
versalitat: die Kraft, die iiber dem an sich zwecklosen Stoffe steht, wird die Ironie des roman
tischen Dichters. Das Lustspiel, die Parodie wird dem Drama, das im Menschlichen wurzelt,
vorgezogen. Was den gemeinen Sinn des Lebens am starksten ausschaltet, wird hochstgeschatzte
Form : das Marchen. Nicht das Menschliche ist dem Romantiker Einheit der Weltbilder, son-
dem das Magische, der sinn voile Zufall, das Wunder: die Aufhebung des Zwecklebens ge-
schieht im Traum. Schon Goethe hatte als Gegenpol des Romantischen das Plastische emp-
funden. Das Kunstmittel des Romantikers ist spezifisch musikalisch: ewige Bewegung; denn
der Zustand der romantischen Seele ist Sehnsucht. Die Bewegung der Molekiile fiihrt zur
Auflosung des f esten Konturs : die Farben fliefien ineinander iiber. Aber auch die eben noch
sauberlich gezogenen Grenzen der Kiinste verwischen sich: Wilhelm Schlegel gebraucht als
erster das jetzt abgenutzte Bild von der Architektur als einer gefrornen Musik; im ,,Athe~
naum" fafit er die Eindriicke vom Besuch der Dresdner Galerie in die Worte zusammen:
,,Und so sollte man die Kiinste einander wieder nahern und Ubergange aus einer in die andere
suchen. Bildsaulen beleben sich vielleicht zu Gemalden, Gemalde werden zu Gedichten, Ge-
dichte zu Musik, und wer weifi? so eine herrliche Kirchenmusik stiege auch einmal wieder als
ein Tempel in die Luft."
866 Die Oper im 1 9. Jahrhundert : Deutschland
Die Ableugnung der Welt der Erscheinungen findet in der Musik ihr kiinstlerisches Wider-
spiel: sie sagt das, was die WWte umschreiben. Musik setzt das Universum mit uns in un-
mittelbare Beriihrung; der Ton ist Riickgang der Materie in den Ather; Musik ist die in Tonen
ausgesprochene Sanskritta (Ursprache) der Natur — diese (nicht dichterischen Ausspriiche,
sondern) Erklarungsversuche Werners, Okens und Hoffmanns liefien sich unschwer vermehren.
Hoffmann beschaftigt sich, um den auch von Kerner bezeugten ,,Urlauten", deren er einen
am Kurischcn Haff mit Schauder gehort haben will, auf die Spur zu kommen, mit Versuchen,
aus Glas und Metall Tone zu ziehen; kunstlose Instrumente, die nur durch ihren Naturton
wirken: Aolsharfe, Wetterharfe, Glasharmonika, Maultrommel erregen sonderlich Interesse.
Bestimmte Empfindungen, ja Begebenheiten darzustellen, kann nach Hoffmann keinesfalls in
den Aufgabenkreis der Musik fallen. Von Zelter sagte Bettina, er lasse nichts Unverstandenes
die Grenze passieren, und doch beginne die Musik gerade mit dem Unbegreif lichen. Auch von
Reichardt wuBten die Romantiker, dafi er den Schritt aus der Aufklarung heraus nie tun werde.
Die Bindung an Vorstellungen, vor allem durch den Text nahegelegte, ist der Musik unwiirdig:
der Instrumentalmusik gehort die Zukunft. Die Oper bedarf nur hochst biindiger und ein-
facher Worte; sie sind gleichsam Wegweiser zu der immer gem ins Unendliche verlockenden
Musik. Es gehort vielleicht zu den romantischen Widerspruchen, dafi neben Beethoven als
romantische Komponisten Bach, Gluck und Mozart, der als der ,,unnachahmliche Schopfer
der romantischen Oper" gepriesen wird, stehen. Haydns geliebte Gestalt, sagt Hoffmann,
bleibe zu sehr innerhalb des rnenschlichen Lebens ; gleichwohl ist er geneigt, auch ihn der
Romantik zuzuzahlen.
So wenig tunlich es erscheinen will, die aufierlich und innerlich der Romantik angehorigen
Meister auf einem Gebiete zu beobachten, das keineswegs jedem die Entfaltung der besten
Krafte gonnte, so ist es an dieser Stelle geboten, die eigentiimlich retrospektive Entwicklung
der nachbeethovenschen Senate, der Symphonic, der Kammermusik, das epigonale Schicksal
des Oratoriums und der gleich ihm versandenden Orgelmusik, die charakteristische Linie
des deutschen Liedes beiseite zu lassen und die Betrachtung auf die Stelle zu lenken, die
innerhalb des nicht angstlich auf gesauberte Ufer zu beschrankenden romantischen Stromes
von besonderem Werte wird: auf die Oper.
Da steht im Anfange ein Komplex, der eine neue, in weite Zukunft deutende Art des Horens
bekundet, das, farbwertig, fast schon dem Sehen nahekommt: die Kerkerszene in Beethovens
,,Fidelio". So klar die konstruktive Grundlinie auch immer ist, iiber Jhr liegt in seltsamem
Scheinen die romantische Farbe in geisterhafter Transparenz. Orchestervortrag und Orchester-
bereicherung ergeben ein neues Klangbild, das die Musik der Farbe, wie sie dem roman
tischen Geiste vorschwebt, iiber Berlioz und Weber in die zusammenfassende Kunst
Wagners in steil auf gerichtetem Bogen ergiefien wird. Beethoven f reilich hatte nicht romantische
Expression, sondern ho'chste Plastik im Auge: paarweise Blaser, fiinf Streicherindividualitaten
werden wie sparsam verwendete Posaunen und die gerade im Fidelio fein registrierten
Pauken im Einklang mit der poetischen Idee aufgeboten, wobei das Orchester als einheitliche
Gruppe auch gegeniiber der durch die Instrumente wandernden Melodie mit dem Drange
nach Ausweitung des harmonischen Horizonts aufgefafit wird.
Das ,,wirklich poetische Element", von dem Beethoven gesagt hatte, es miisse in die ,,alt~
hergebrachten Formen kommen", wird im 1 9. Jahrhundert so stark, dafi es die Ausdrucks-
Die Oper im 19. Jahrhundert : Deutschland 867
formen selbst andert. Das Klangbild, das friiher den Zustand, das Sein, das Beharren wieder-
gegeben hatte, findet neue Ziele, da es nun die Bewegung, das Werden, die Entwicklung aus~
driickensoll. Sotritt ein schillerndes, gleitendes, oszillierendes Element in den Klang. Die in
der Wiener Idassischen Schule ausgebildete harmonikale Logik f estgelegter Spannungsbildungen
als Grundlage einer Zustandliches aussprechenden Formgebung erweitert sich und erweicht
sich auch wohl. Von hier aus ergeben sich gleichsinnige Veranderungen an der Melodik und
am Rhythmus. An die Stelle der Gesellschaft tritt (bei den elementar gerichteten Musikern)
die Landschaft, an die Stelle der rationalen Bindung tritt das Individuum, und diese Losung
bringt als entscheidenden Ton den Weltschmerz in alien seinen Schattierungen bis zur groBen
Antithese in Schopenhauers Pessimismus und Nietzsches Optimismus an die romantische
Kunst, far deren Streben, Sehnen und Hinwegbegehren es keine Vollendung und keinen
Vollender gibt bis zum Auftreten Wagners, der das Unerfullbare erfullt, den entscheidenden
Gedanken der Romantik ad absurdum fiihrt und die Welt in einem Hexenkessel von Rat-
losigkeit zuriicklafit.
Technisch gesehen verwandelt die Terz am starksten ihr Wesen : neben dem von Schubert
zu Wagner (Ringmusik) reichenden unvermittelten Dur-Moll-Gegensatz melden sich die
Akkorde der Terz als die Farbigkeit erhohende Funkticnstrager : in Nachfolge und Ausweitung
der in der Wiener klassischen Schule gepflegten Ubung tritt der Dreiklang der dritten Stufe
neben die Ober-, der der sechsten Stufe neben die Unterdominante, beide iibrigens auch der
Tonika geneigt. Diese Haufung der oft chromatisch eingenebelten Mediantenwirkung bedingt
(bei Schumann) eine Intensivierung des Rhythmischen, die endlich (bei Brahms) in Poly-
rhythmik auslauft.
Formal ist die fortschreitende Ersetzung musikbestimmter Gebilde durch psychologisch-
dramatisch-stimmungsmaGig begriindete Gestaltungen bemerkenswert. Das Dacapo der Arie,
musikgewolltes Formungsmittel von bewundernswerter Kraft, wird vom dramatischen Blick-
punkte nicht mehr verstanden; bald biiBt auch das kunstvolle Ensemble mehrerer Stimmen
an Kraft der Wahrheit ein : die nicht mehr durch gesprochenen Dialog begrenzte Szene wird
durchkomponiert, im Gliicksfalle entsteht die Geschlossenheit des dramatisch-symphonischen
Aktes. Das musikalische Drama empfangt sein Gesetz aus dem Gedicht. Der Musiker iibt
Kritik am Buche, wenn er es nicht selbst schreibt. So wird auch der sprachliche Vortrag
ein ebenso groBes Gewicht bekommen, wie er es friiher nur im Rezitativ hatte, und das
Rezitativ wird im spateren Stadium die Grundform aller Gestaltung, moge sie sich der
musikbestimmten Form auch wieder nahern. Das Erinnerungsmotiv, geboren aus dem
Wunsche nach Einpragung der Hauptlagen des Dramas, nimmt bei starkerer Psychologisierung
des Stoffes Form und Charakter des Leitmotivs an (Cherubim, Spohr, Wagner).
Bei riickschauender Summierung der fur das 1 9. Jahrhundert bedeutungsvoll werdenden
Stilelemente mufi dafan erinnert werden, dafi sie sich nicht auf die Oper allein beziehen,
auch nicht von ihr allein ausgegangen sind, obwohl seit dem Auftreten Wagners und vielleicht
schon friiher die Oper an kultureller Wichtigkeit alle anderen Formen ubertrifft.
Die romantische Harmonik iibernimmt den klassischen GrundriB, erweitert ihn aber als-
bald durch zwischendominantische Einschaltungen, die verwandtschaftliche Klange in den
Lichtkegel der Tonika ziehen, die sonst den Umweg einer Modulation bedingt hatten. Die
Erweiterung der Enharmonik bedeutet die neuerliche Anerkennung des temperierten Ton-
868 Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutsdiland
systems; neuartige Akkordbildungen ( Alter ierungen, Mixturen) bringen das der Romantik
genehme koloristische Element zu deutlicher Wirkung, wie auch der Quart-Sextakkord, fast
verselbstandigt, zura Farbtrager wird. Er gibt das Signal zu einer in Wagners Spatwerken
sich kundmachenden Auflosung der Beziehung von Klangen auf ein tonales Zentrum. Die
immer klarer werdende impressionistische Haltung fiihrt zur Verfliichtigung der Umrisse und
des Inhalts.
Die Anfange dieser Bewegung sind schon in Schuberts Musik zu bemerken; gleichwohl
scheint er von den friihen Romantikern als einer der Ihren nicht erkannt worden zu sein.
Und doch gehorte Franz Schubert (1797 — 1828), so bedingungslos er sich dem Schema der
iiberkommenen Formen verschreibt, dem Sinne seiner Erscheinung nach und mit wesentlichen
Teilen seiner Kunst der Romantik an. Seine im Vergleich zu Beethovens durchfiihrender Kraft
und ohne Tadel feminin zu nennende Anlage, deren Einfiihlungsvermogen seine GroBe im
deutschen Liede bedeutet, die sehnsuchtsvolle Weitraumigkeit seiner Melodie, das Oszillierende
seiner Modulation, das selige Versunkensein in der Welt elementarer Klange, das Schwarme-
rische seiner Empfindung, das mogen die Elemente seiner Personlichkeit sein, die ihr eine
Ubergangsstellung zur Romantik anweisen. Ob der Salierischiiler uns, ware ihm ein seine
Fahigkeiten anregendes Buch zu Handen gekommen, mit einer romantischen Oper beschenkt
haben wiirde, ist eine miifiige Frage; in Wirklichkeit hat Schuberts Schaffen fur das Theater
auf die Entwicklung weder der Oper noch des Singspiels irgendeinen Einflufi gehabt. Immer-
hin verdient erwahnt zu werden, dafi er das psychologische Erinnerungsmotiv kennt und schon
als 17jahriger Jiingling beim Eingreifen hoherer Machte Horner und Posaunen ertonen lafit,
auch spater in der klanglichen Abschattierung des Akkompagnato sehr feinsinnig verfahrt.
Fiir die geschlossenen Formen hatte er von fremder Hand ein fertiges Ideal mitbekommen:
kein Wunder, dafi seine ohnehin mehr dem Ausdruck als der Darstellung geneigte Natur, von
vornherein aus ihrer Richtung gezwungen, nicht zur Freiheit offener Gebilde durchdrang.
Schuberts Biihnenwerke, dem Texte nach zum Teil aus der Feder seiner Freunde, sind : ,,Des
Teufels LustschloB" (eine ,,natiirliche Zauberoper" nach Kotzebue, 1814), ,,Der vierjahrige
Posten" (Tn. Korner, 1815), ,,Fernando" (Alb. Stadler, 1815), ,,Claudine von Villabella"
(Goethe, 1815), ,,Die beiden Freunde von Salamanka" (zweiaktiges Singspiel von Joh. Mayr-
hofer, 1815), ,,Der Spiegelritter" (Kotzebue, 1815), ,,Adrast" (Joh. Mayrhofer, 1815), ,,Die
Minnesanger" (verschollen, 1815), ,,Die Biirgschaft" (1816), ,,Die Zwillingsbriider" (sechsmal
aufgefiihrt, 1820, Text von Hofmann), diemelodramatische Posse ,,Die Zauberharfe" (aufgefiihrt
1820), deren Ouvertiire (op. 26) spater als zum Drama ,,Rosamunde" gehorig ausgegeben
wurde; bei dieser Gelegenheit wurde dem Komponisten die Wahl eines idyllischen Stoffes an-
geraten: er fand ihn in J. Fil. Neumanns Bearbeitung von Kalidasas ,,Sakuntala" (1820, un-
vollendet); auf das Gebiet der groCen Oper begab sich Schubert, als er im Herbst 1821 seines
Freundes Franz von Schober „ Alfonso und Estrella" komponierte und den Dialog durch das
Rezitativ ersetzte : die in der stillschweigenden Ubereinkunft zwischen Biihne und Parkett ab-
genutzten Motive des Dichters verschulden das Mifiraten des Jm Freischiitzjahr entstandenen
Werkes in seiner Ganzheit; im Jahre 1823 wurde die Musik zu Wilhelmine v. Chezys ,,Rosa-
munde" aufgefiihrt; zum fiinften Male auf spanischen Boden begibt sich Schubert mit der Kom-
position der grofien Oper ,,Fierrabras", mit bedeutendem Melodram am Schlusse des 2. Aktes
(1823, Text von Josef Kupelwieser), die erst 1861 in Wien zur Auffiihrung kommt; in das
Die Oper im 19. Jahrhundert : Deutschland 869
Jahr 1823 fallt auch Schuberts bekanntestes Buhnenwerk, die Castellische Operette ,,Die Ver-
schworenen" (auf Verlangen der Zensurbehorde : ,,Der hausliche Krieg"), die ebenfalls im
Jahre 1861 belebt wurde: ein Liederspiel von elf sehr hiibschen lyrischen Nummern; Skizzen
zu 2 Opern ,,Der Graf von Gleichen" und ,,Die Salzbergwerke" haben sich gefunden.
Von den 10 Opern, die Ludwig Spohr (1784 — 1859) schrieb, hat er 2 far Gotha bestimmte
Werke: ,,Die Priifung" (1806) und ,,Alruna, die Eulenkonigin" (1808) selbst zuriickgezogen ;
,,Der Zweikampf mit der Geliebten" erweckte bei seiner Auffiihrung in Hamburg (181 1) im
Komponisten Zweifel an seiner dramatischen Begabung, dock versuchte er schon 1813, aller-
dings vergeblich, von Theodor Korner eine Bearbeitung des romantischen Riibezahlstoffes zu
erhalten. In der ungemein kurzen Zeit von 4 Monaten komponiert er das Bernardsche
Buck vom ,,Faust" (1816 durch C. M. von Weber aufgefiihrt). Der durch Rossmis ,,Tankred"
angeregten, einst viel gegebenen Oper ,,Zemire und Azor" (Frankfurt, 1819) folgt die bis in
die siebziger Jahre lebendig bleibende ,Jessonda" (Kassel, 1823); ihr schliefien sich an: ,,Der
Berggeist" (1825), ,,Pietro von Albano" (1828), ,,Der Alchimist" (1830) und ,,Die Kreuzfahrer"
(1845). Wagner, der sich in einem Briefe an Spohr (1843, 22. April; vgl. N. Zeitschr. f. M.
1 904 Nr. 42) dessen ,,bewunderungsvollen Schiller" nennt, geht in seiner Kritik (Ges. Schriften
X, 9) mit dem Vorwurf der ,,Passagen~Elegance" und des Polaccarhythmus zu weit und iiber-
sieht die Elemente in Rezitativ und Deklamation, sowie in der Ausbildung des Leitmotivs, mit
denen Spohr ihm vorgearbeitet hat; er iibersieht auf der anderenSeite aber auch, daB Spohr
mit grofitenteils klassizistischen Mitteln an die Bewaltigung romantischer Stoffe tritt; war doch
unter Ablehnung des letzten Beethoven die Nachahmung Mozarts, wie seine Zeit ihn sah, aus-
gesprochenes Ziel seiner Kunstiibung. Vom Romantischen trennt ihn von vornherein sein
Z'arf pour fart - Standpunkt, seine Abwendung vom Volksmafiigen.
Ganz ahnlich in bezug auf die stilistische Haltung seiner Musik, die sich aber immerhin
dem Volkstiimlichen nahert, liegt der Fall E.Th. A. Hoffmanns, soweit er als Schriftsteller
auch in die romantischen Bezirke vordringt. Sein Schaffen gehort grofienteils der Gattung des
Singspiels an: ,,Scherz, List und Rache" (Goethe, 1801), ,,Der Renegat" (1803), ,,Faustine"
(1804), ,,Die lustigen Musikanten" (Brentano, 1805), ,,Der Kanonikus von Mailand" (1805),
,,Liebe und Eifersucht" (nach Calderons ,,Scharpe und Blume", 1805), ,,Der Trank der Un-
sterblichkeit" (1808), ,,Das Gespenst" (1809), ,,Aurora" (1811); ein Melodram ,,Diana" er-
schien (1809) auf der Biihne in Bamberg; ein Ballett ,,Harlekin" liegt vor und eine Musik
zu Z. Werners ,,Kreuz an der Ostsee"; von seinen beiden groBen Biihnenwerken ist
„ Julius Sabinus" unvollendet geblieben; die 1816 in Berlin aufgefiihrte Fouquesche ,,Undine"
mit ihrem Menschenschicksal und Natur so einzig verquickenden, daher in eminentem Sinne
romantischen Stoff wurde von den Zeitgenossen (z. B. von Weber) auch als Ganzes for
romantisch gehalten ; aber der Musik fehlt doch in hohem Grade das Irrationale, das uns als
unerlafiliches Merkmal jener Sinnesart gelten mufi.
Die Vielseitigkeit der Begabung, die Hoffmann und nach ihm Schumann auszeichnet, war
als Merkmal des romantischen Musikers auch Carl Maria von Weber verliehen: er zeichnet
auf Stein, er versieht die Stelle eines furstlichen Geheimsekretars, er entfaltet eine fruchtbare
schriftstellerische Tatigkeit. Will man das aufiere Leben (gegen die romantische Anschauung)
als Symbol des inneren gelten lassen, so ist die Ahnlichkeit des Weberschen mit dem Hoff
manns nicht zu verkennen : beide Male ergibt sich nach romantischen Anfangen ein Kompro-
870 Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutschland
miB mit dem Unromantischen, mit der Biirgerlichkeit; unter diesem Deckmantel spinnt Hoff
mann seine bizarren Traume als Literal folgerichtig weiter, wahrend Weber, an sich irre ge-
worden, sich der grofien Oper zuwendet. Gerechterweise muB aber Webers kurze Lebens-
dauer hier in Betracht gezogen werden.
Carl Maria von Weber ist am 18. Dezember 1 786 in Eutin geboren worden, wo sein Vater,
vielfach umhergeworfen, Stadtmusikus war; das fortgesetzte Wanderleben des Vaters, der mit
einer kleinen Operntruppe Deutschland durchreiste, fiihrte den begabten Knaben von einer
Lehrerhand in die andere: zunachst von seinem Bruder Fridolin geschult, kam er 1796 zu
Peter Heuschkel nach Hildburghausen, darauf (1798) zu Michael Haydn nach Salzburg, von
hier nach Miinchen zu J. N. Kalcher und E. Wallishauser und endlich nach Wien zum Abt
Vogler. Nach kurzer Tatigkeit als Theaterkapellmeister in Breslau (1804 — 1806) und einem
Aufenthalt in Karlsruhe erfolgte das Stuttgarter Intermezzo, das den lebenslustigen Jung-
ling zum Manne reifte. Konzertreisen machten den Namen des Kiinstlers in Deutschland
bekannt, ein Aufenthalt in Darmstadt, wo Vogler lebte, diente der Sammlung; in Prag tritt
Weber (1813 — 1816) in die Fiihrung der deutschen Oper ein; die Hoffnung auf eine Verpflich-
tung in Berlin erfiillte sich nicht, und so wird er in Dresden sefihaft, wo er die Leitung der
zu errichtenden deutschen Oper iibernimmt (1816); nach zehnjahriger Wirksamkeit starb
Weber am 5. Juni 1826 in London, wo er den ,,0beron" zu erfolgreicher Auffiihrung gebracht
hatte.
So gewiB auch das originalste Genie auf der Arbeit seiner Vorganger fufit, so sicher ist in
Webers eigenem Schaffen der Schritt vom ,,Abu Hassan" — ihm waren weniger charakte-
ristische Arbeiten voraufgegangen : ,,Die Macht der Liebe und desWeins" (1799), ,,DasWald-
madchen" (1800), ,,Peter Schmoll und seine Nachbarn" (1803), ,,Riibezahr (1804 begonnen,
unvollendet), ,,Silvana" (1810) — zum ,,Freischutz" iiberraschend grofi. ,,Abu Hassan" (1 81 1 ),.
an Mozarts ,,Entfiihrung'* angelehnt, ist insofern romantischen Geschmacks, als der Kompo-
nist in dem Chor der Glaubigen mit der humoristischen Schilderung eigenen Erlebens die Bahn
objektiver Darstellung verlaBt und, wie der romantische Erzahler gern direkt mit dem Leser
verhandelt, in das Kunstwerk em unumgeschmolzenes Stuck seines Selbst hineintragt.
Der ,,Freischiitz" (am 2. Juli 1817 begonnen, am 18. Juni 1821 in Berlin zuerst aufgefiihrt)
hat durch die Hoffmannsche ,,Undine" und Spohrs ,,Faust" (Blocksbergszene) zweifellos na-
mentlich koloristische Elemente mitbekommen; aber was ihm eigentlich seine kiinstlerische
und geschichtliche Stellung anweist, ist doch der Strom eigenartig gefarbten Lebens, der vom
Textbuch in die Musik iiberfliefit. Entscheidend ist dabei, dafi Weber selbst schon friih(1810)
auf den Freischiitzstoff, der in dem Gespensterbuch von Apel und Laun vorlag, verfallen war;
damit sollen Friedrich Kinds Verdienste um seine Ausgestaltung nicht verkleinert werden, aber
es bleibt wahr, daft Weber sich nicht ein Buch in die Hand stecken liefi, ,,wie ein Schuljunge
den Apfel". Dafi er die beiden von Kind vorgesehenen exponierenden Szenen fortlieB, geschah
nicht aus musikalischen, sondern, wie er selbst sagt, aus dramatischen Griinden: er gewinnt
mit der SchuBszene eine lebendige Einfiihrung in den ,,Land~, Zeit- und Sittenhintergrund" .
Und dieser Hintergrund ist es auch wirklich, der den romantischen Charakter des Werks fest-
legt: die Figuren des Singspiels vom heiteren Annchen bis zum finsteren Kaspar werden zu
vielfarbigen Symbolen seines ungenannten Helden, des deutschen Waldes. Es ist ein durchaus
romantisches Verfahren, wenn Weber seine Musik, im besonderen seine Instrumentation, mit
Die Oper im 19. Jahrhundert: DeutscKland 871
den Augen des Malers ansieht und den ,,charakteristischen Hauptton" zu Knden sucht; be-
wundernswert 1st aber derTakt, mit dem die Farben, z.B. Homer fur die Jager, in das Gemalde
eingesetzt werden. Fiir die Hornmelodien halt sich der Komponist an das Muster des Volks-
liedes, was sich dem romantischen Bilde gut einfiigt, ohne da8 man der Hornmelodie der
Ouvertiire etwa einen an sich romantischen Charakter anriihmen konnte. Oherhaupt ist vieles im
,,Freischiitz" vorhanden, dem man nur schwer die Merkmale des Romantischen wird zu-
•erkennen konnen: Annchens Polacca-Arie ,,Kommt ein schlanker Bursch" ist das Muster
einer abgerundeten Form ohne jedes Geheimnis. Das Geheimnis voile aber, namentlich wo
es das Verhaltnis des Menschen zu natiirlichen (Agathes grofie Szene mit dem Waldweben)
oder zu iibernatiirlichen (Wolfschlucht) Machten trifft, ist das Feld zur Entfaltung roman
tischen Zaubers; den ,,Hauptklang" fur das Heimliche und fur das Unheimliche zu treffen,
war Webers bewufites Bestreben, und wie ihm neben anderen Mitteln die Klangfarbe der
Klarinette diesem Zwecke gedient hat, ist bekannt. Von den musikahschen Formen ent-
spricht der romantischen Absicht am besten das Akkompagnato und das Melodram : sie sind,
ohne formalen Zwang von seiten der Erfiillung des Zeitablaufs durch die Musik und als Unter-
malung von Seelen- oder Naturzustanden dem romantischen Ideal des Gesamtkunstwerks
naher als die Arie, und fur die Oper die Eintrittskanale der romantischen Elemente von je.
Fiir die nur hier zur Ausbildung kommende epochemachende Erfindung Webers, eine be-
stimmte seelische oder natiirliche Lage nicht durch eine Melodie, sondern nur durch einen
Klang zu charakterisieren, sei das zuerst bei Samiels erstem Auftreten erscheinende, spater als
Erinnerungsmotiv verwandte
trem.:
ein Beispiel, das den Komponisten zugleich als Meister des knappsten dramatischen Ausdrucks
beglaubigt.
Mehr noch als die philosophisch-ethische Begeisterung der Zeit trat mit schicksalhafter
Macht in Webers romantische Kunst das politische Ereignis der Freiheitsbewegung : er ist
der erste, der sie im Werk spiegelt. In der Folge wurde der ,,Freischutz" zum Zeichen, unter
dem sich die an der Reaktion Leidenden zu sammeln wufiten. Beethovens Eroica hatte als
politisches Dokument diesen nationalen Charakter noch nicht gehabt; aber fortan wird die
Freiheit auch andern Volkern (den Italienern, den Bohmen) von der Opernbiihne herab ver-
kiindet. Mit dem ,,Freischutz" schwingt die Magnetnadel, die alle kiinstlerischen Energien
bisher im Siidosten nachgewiesen hatte, plotzlich um und zeigt deutlich auf das im Norden
sich bildende Kraftfeld.
,,Ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk, wo alle Teile und Beitrage der verwandten und
benutzten Kunste ineinander schmelzend verschwinden und auf gewisse Weise untergehend,
eine neue Welt bilden", das war Webers Programm, als er ,,auf das vereinigte Zusammen-
wirken aller Schwesterkiinste hoffend", die Arbeit an Wilhelmine von Chezys ,,Euryanthe"
aufnahm. Fiir die Stellung dieses Werks zum ,,Freischiitz ' istdasVorkommenundderVerlauf
€ines Fugato in der Ouvertiire symbolisch, und Max Maria, Webers Sohn und Biograph, ist
im Recht, wenn er den ,,Freischiitz" als das Dokument des Lebens, die ,,Euryanthe<< als das
872 Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutschland
der Bildung und der Arbeit seines Vaters hinstellt, mit dem er auf Grund eines nach Schlegel-
scher Dramaturgie gearbeiteten Textes in bewufite Beziehung zur offiziellen Literaturromantik
der Zeit trat. Das Fehlen der metaphysischen Hintergriinde, die im ,,Freischiitz" durch die
Bindung der Personen an die Natur so gliicklich hergestellt waren, stempelt die vom Singspiel
abstrebende ,,Euryantne'* zur grofien Oper, deren Formen auch da bewahrt werden, wo, wie
in der groBen Szene des Lysiart am Anfang des 2. Aktes, der dramatische Inhalt schon Gebiete
streift — und da mufi vor allem das nun folgende Duett mit der Beschworung der Nacht als
starkem romantischen Element genannt werden — , deren Hohenlage bis dahin iiberhaupt noch
nicht war betreten worden. Hier und in Spohrs ,,Jessonda" sind die Grundziige (und zwar
die architektonisch-stimmungsmafiigen mit hochster Deutlichkeit) zu erkennen, aus denen
sich der zweite Akt von Wagners ,,Lohengrin" bilden wird.
Im ,,0beron" stellt sich Weber wieder auf den Boden des deutschen Singspiels, wofiir wir
als aufieres Zeichen die Riickkehr zum gesprochenen Dialog nehmen. Unter den ungiinstigsten
Umstanden konzipiert — der Dichter Planche sandte den englischen Text bruchstiickweise
ein, sodaB ein Uberblick iiber das Ganze nicht zu gewinnen war — , kniipft das Werk mit
der Subjektivierung der Natur wieder an den ,,Freischiitz" an, fiigt Elemente orientalischer
Marchenpoesie hinzu, und seine Ouvertiire, von Wagner eine ,,dramatische Phantasie" ge
nannt, ist durch das Festhalten eines bestimmten Lokaltones vorbildlich geworden.
Eine dreiaktige komische Oper ,,Die drei Pintos" (Text von Th. Hell = Karl Winkler), die
Weber 1820 zu komponieren begonnen hatte, liefi er liegen; sie wurde von Gustav Mahler be-
endet.
In hoherem Grade, als der Komponist des ,,Freischiitz** ist Heinrich Aug. Marschner
(1795 — 1861) eine historische Grofie geworden. Nach einigen Jugendwerken : ,,Der Kyff-
hauserberg", ,,Saidor", ,,Heinrich IV. und Aubigne" (1820 durch Weber aufgefuhrt), ,,Der
Holzdieb" (1825), ,,Lukretia" (1826) schrieb er auf Texte seines Schwagers W. A. Wohlbriick
dieOpern ,,Der Varnpyr" (1828) und ,,Templer und Jiidin" (1829), die, viel gegeben, seinen
Namen bald bekannt machten; nach ,,Des Falkners Braut" (1832) folgte sein bekanntestes und
vorziiglich lebensfahiges Werk: ,,Hans Heiling" (1833, Text von Ed. Devrient), dem sich ,,Das
Schlofi am Atna" (,,Der Feuerbrand", 1836), ,,Der Babu" (1837), ,,Adolf von Nassau" (1845),
,, Austin" (1852) und ,,Hjarne" (1863) anschlossen; aufierdem komponierte er Biihnenmusiken
zu Kleists ,,Prinz Friedrich von Homburg", zu Kinds ,,Schon Ella", Th. Hells ,,Ali Baba". —
Marschners Leben endete, sehr im Gegensatz zu dem Webers, in einer langen Sinekure: es
war das Leben eines liberalen Burgers, ja, wie eine seiner Nichten urteilte, das eines Philisters,
jedenfalls so unromantisch, wie nur vorstellbar. Aber er war ein Musiker von bedeutenden,
durch die Geschlossenheit seiner Personlichkeit allerdings begrenzten Anlagen, und die Mittel,
mit denen die Schopfung einer romantischen Oper zu bestreiten ist, lagen bereit und standen
gerade ihm in weitem Umfange zur Verfiigung. So darf man Marschner den durch Wagner
geheiligten Ehrentitel eines burgerlichen Meisters nicht absprechen. Aber der ,,Vampyr" und
,,Hans Heiling" zumal sind doch romantische Opern? Ist nicht die Gegeneinandersetzung des
Obersinnlichen mit der sinnlichen Welt, das Ubergreifen damonischer Machte in das Menschen-
leben Kennzeichen romantischer Anschauung? Dann muB man auch die Stiicke, in denen an-
tike Gotter und mythische Erscheinungen sich mit dem Menschlichen mischen, romantisch
nennen. Nicht im Stoffe liegt das, was den musikalischen Romantiker macht, sondern einzig
Die Oper im 1 9. Jahrhundert : Deutschland 873
in seiner Behandlung und Formung. Und da ist Marschner ein geschickter Praktiker, der das
Ol seiner Melodien hier iiber das Damonische, dort iiber das Sentimentale gieBt, Gesangslinien
im Einklang mit Orchesterinstrumenten begleitet und eigentlich Gewachsenes (wenn auch mitt-
lerweile Verdorrtes) nur in den recht vortrefflich ausgefiihrten Chor- und Volksszenen gibt,
Dafi ,,Wissen und Erfahrung natiirlich das ihrige tun", hat der Komponist selbst bezeugt. Aber
seine Kraft versagt schon, als es gilt, Heilings Verzicht auf die Macht auszudriicken, so gut es
ihm sonst auch gelingt, die vorhandene Form mit irgendeinem Inhalt zu erfullen. Einmal
allerdings scheint es, als wolle er zum Ritt in das romantische Land satteln: in der Soloszene
der Mutter; sie ist bezeichnenderweise ein Melodram. Das Melodram aber verla'Bt die Form
und zwingt die Musik zum Sprechen; und das Jst's, was die Romantiker wollen.
Aus der Fulle der vorzugsweise als Opern- oder Chorleiter — der Mannergesang hatte sich
sonderlich stark entwickelt — tatigen Komponisten von Opern seien nur einige Namen genannt ;
zum Teil sind ihre Werke vergessen, zum kleineren Teil werden sie, ohne entwicklungs-
geschichtlich bedeutend zu sein, noch heute gegeben.
Konradin Kreutzer (auch: Kreuzer, 1780—1849, 30 Opern, darunter ,,Das Nachtlager in Granada", 1834); Fer
dinand Ries (1784—1838, 3 Opern); Alb. Gotll. Methf essel (1785—1869, eine Oper); J. Ch. Friedrich Schnei
der (1786—1853, 7 Opern); P. J. v. Lindpaintner (1791—1856, 21 Opern); Wilhelm Mangold (1796—1875,
3 Opern, Schauspielmusiken); J. Carl G. Loewe (1796 — 1869, 5 Opern, davon eine: ,,DJe drei Wiinsche", 1834 in
Berlin aufgefiihrt); Franz Glaser (1798—1861, 19 Opern, davon erfolgreich : ,,Des AoUers Horst", Berlin 1832; Pan-
tomimen, Schauspielmusiken); C. Gottlieb Reissiger (1798—1859, 9 Opem); Fr. E. Fesca (1789—1826, 2 Opern);
Franz Lachner (1803— 1890, Opern: ,,Die Biirgschaft", 1828, ,,Alidia", 1839, ,,Catharina Cornaro", 1841, ,,Ben~
venuto Cellini", 1849); Heinrich L.E.Dorn (1804—1892, 8 Opern, eine Operette, ein Ballett); Ignaz Lachner
(1807—1895, 3 Opern); Felix Mendelssohn (1809—1847, eine Operette, ein Singspiel, eine Oper: ,,Die Hochzeit
des Camacho", 1827, Musikenzu ,,Antigone", ,,Odipus auf Kolonos", ,,Athalia", ,,Sommernachtstraum", ein Openi-
fragment romantischer Haltung: ,,Loreley", Text von Geibel) ; Robert Schumann (1810 — 1856; er lehnt Hoffmanns
,,Doge und Dogaresse" als Text ab, weil ihm ,,ein deutsches tiefes Ideal" fehle, und ergreift 1847 Hebbels ,,Geno-
veva"); K. G. Wilhelm Taubert (1811 — 1891, 6 Opern, Musiken zu Euripides' ,,Medea" und zu Shakespeares
,, Sturm"); Karl Mangold (1813 — 1889, 4 Opern, darunter ein ,,Tannhauser", 3 Konzertdramen, eine dramatische
Szene); Heinrich Esser (1818—1872, 3 Opern); Alexander Ernst Fesca (1820—1849, 4 Opern); Franz von Hoi-
stein (1826 — 1878, 5 Opern nach eigenen Texten, darunter ,,Der Haideschacht", 1868, Soloszene aus Schillers ,,Braut
von Messina"); Karl Goldmark (1830—1915, Opern: ,,Die KoniginvonSaba", 1875, ,,Merlin", 1886, ,,DasHeim-
chen am Herd", 18%, ,,Die Kriegsgefangene", auch: ,,Briseis", 1899, ,,Gotz von Berlichingen", 1902, ,,Ein Winter-
marchen", 1908); Edmund Kretzschmer (1830—1908, 4 Opern, darunter ,,Die Folkunger", 1874). In ihrem Wir-
kungsbereich auf Wien beschrankten sich: Adalbert Gyrowetz (1763 — 1850, 30 Opern und Singspiele); Joseph
Weigl (1766—1846, 30 Opern, darunter: ,,Die Schweizerfamilie'', 1809, ,,Das Waisenhaus", 1818); Franz X. Siifi-
mayer (1766 — 1803, einige Opern, darunter ,,Soliman IL", ,,Der Spiegel von Arkadien", 1795, ,,Der Wildfang");
Benedikt Randhartinger (1802—1893, eine Oper); Heinrich Proch (1809—1878, 4 Opem); Ferdinand Karl
Fuchs(1811— 1848, 2 Opern).
Weber und in vielleicht noch hoherem Grade Marschner besafien ein entschiedenes Talent
fur musikalische Komik, das beide nicht nur in ihren ernsten Opern pflegten, sondern dem
jeder auch ein geschlossenes Werk widmete (,,Die drei Pintos", ,,Der Babu"). Sie setzen da-
mit die auch sonst aufgenommene Linie des deutschen Singspiels fort, dessen Auslaufer mit
der Schwierigkeit der Beschaffung guter Texte zu kampfen hatten. Es darf als Gliicksfall von
nicht zu unterschatzender Bedeutung betrachtet werden, dafi dieser sympathischen und fur
Deutschland charakteristischen Bewegung ein Meister erstand, der das Theater kannte, ohne
literarische Verstiegenheiten, ja sogar im Kampf gegen sie, als Dichter und Bearbeiter fest urn-
rissene Typen auf die Biihne stellte, und als Musiker iiber eine leichte Hand und eine gehorige
Dosis eines, wenn auch burgerlichen, so doch keineswegs unbeschwingten Humors von
874 Die Oper im 1 9. Jahrhundert : Deutschland
natlirlicher Art verfiigte. Albert Lortzing (1801 — 1851) hatte als singender Schauspieler — fur
ihre Krafte war das Singspiel gedacht — noch Hillersche Werke in der Praxis kennengelernt
und eines von ihnen (,,D5e Jagd", 1830, in Detmold) neu bearbeitet; es ist denn auch Hiller-
scher Geist in seinen Werken lebendig: ihre auCeren Kennzeichen tragen sie in der Bei-
behaltung des gesprochenen Dialogs, der geschlossenen musikahschen Forrn in Anen und in
den smgspielhaften Strophenliedern. Rationalistisch, wie die Grundlage seiner Kunstiibung,
war die Anschauung des Komponisten, und sein Ausflug in das romantische Gebiet mit der
„ Undine" (1845 nach Fouques Erzahlung vom Komponisten bearbeitet) darf trotzdes auBeren
Erfolges gerade in den ernsten Teilen nicht als gegliickt angesehen werden : ihre Romantik ist
Konvention. Immerhm hat Lortzing auch seinen Singspielstil nicht sofort gefunden. Dies ge-
schah in ,,Zar und Zimmermann oder die zwei Peter" (Leipzig 1837, nach G. Romers Uber-
setzung von Duveyrier-Mellesvilles Lustspiel: ,,Der Biirgermeister von Saardam oder die zwei
Peter"), nachdem eine Anzahl von Arbeiten voraufgegangen waren: ,,Ali Pascha von Janina"
(1824), ,,Der Pole und sein Kind" (vor 1833), ,,Szene aus Mozarts Leben", ,,Der Weihnachts-
abend", ,,Andreas Hofer", die Musik zu ,JDon Juan und Faust", ,,Yelva" und die erfolgreiche
Oper ,,Die beiden Schiitzen" (1835); ,,Die Schatzkammer des Inka", ein Jahr vor ,,Zar und
Zimmermann** geschrieben, kam nicht zur Auffiihrung; es folgten: ,,Caramo oder das Fischer-
stechen" (1839), ,,Hans Sachs" (1840), ,,Casanova" (1841), ,,Der Wildschutz oder die Stimme
der Natur" (nach Kotzebues Lustspiel ,,Der Rehbock", 1842), unstreitig sein bestes Werk;
an die ,,Undine" schlieBen sich: ,,Der Waffenschmied" (1846), ,,Zum Grofiadmiral" (1847),
,,Die Rolandsknappen" (1849), eine Posse ,,Die Berliner Grisette", ein Einakter ,,DJe Opern-
probe" ; in seinem Nachlafi eine Oper: ,,Regina" und eine Musik zu Benedix' ,,Drei Edelsteine*'.
Das Feingefuhl des kiinstlenschen Gestalters, wie billig, nach der komischen Seite hm, zeigt
die Art, wie Lortzing mit seinen Vorlagen verfuhr: der 3. Akt des ,,Zar" mit der witzig be-
handelten Probe und dem Huldigungschor ist ebenso sein Werk, wie die Ersetzung des farb-
losen Pachters im ,,Wildschutz" durch den scharf gesehenen Schulmeister und wie der amii-
sante VorstoB gegen die durch Mendelssohns Musik zu Sophokles' ,,Antigone" plotzlich in
das Leben gerufene Antikenschwarmerei der Leipziger Damen. Musikalisch ist die in der
Billardszene vorgenommene symphonische Zusammenfassung der auseinanderstrebenden Ein-
heiten, die Durchsichtigkeit der Orchestration und die charaktervolle Behandlung der Instru-
mente Beweis fiir eine in kleinem Bereich sich aussprechende Meisterschaft, die sich auch in
der Bewaltigung groSerer Ensembles bewahrt.
Ist Lortzing ein rein deutsches Talent, so kommt fiir Otto Nicolais (1810 — 1849) im Tech-
nischen hoher stehende Kunst die Berucksichtigung eines italienischen Einschlags in Frage,
der das Schwergewicht von der instrumentalen auf die vokale Seite ablenkt; doch zeigt die In
strumentation FeJngefuhl und Mannigfaltigkeit. Im allgemeinen der Unfahigkeit der Sanger
wegen dem Rezitativ abgeneigt, macht Nicolai an einer Stelle der ,,Lustigen Weiber** (II, 5
Buffoduett der beiden Basse) den Versuch zu seiner Einfiihrung in die deutsche komische Oper.
In Italien waren die Opern: ,,Rosmonda dlnghilterra" (1838, auch ,,Enrico II. d'Inghil terra'*),
,,11 templario" (1840, auch ,,Teodosia4t), ,,0doardo e Gildippe" (1841), ,,11 proscritto" ent-
standen und dort und zum Teil auch in Deutschland aufgefuhrt, ehe der auch als Schriftsteller
schatzenswerte Komponist in dem Shakespeareschen Lustspiel einen von Jakob Hoffmeister
und endgiiltig von Hermann Salomon Mosenthal (1821 — 1877) bearbeiteten Stoff fand, dem
DieOper im 19. Jahrhundert: Deutschland 875
seine Musik zwar an innerem Wuchs nicht kongenial ist, dem sie aber doch viel abzugewinnen
weiB, wobei hier nur auf die Ausgestaltung der Finales verwiesen sei. Aufgefiihrt wurden ,,Die
lustigen Weiber von Windsor" achtWochen vor dem friihen TodeNicoIais im Jahre 1849 in
Berlin.
In einiger Entfernung von Lortzing und Nicolai, auch von ihnen durch eine in rhythmischer Pikanterie und melo-
discKer Grazie sich aufiernde franzosische Farbung unterschieden, steht Friedrich von Flotow (1812—1883) in der
Reihe der deutschen Lustspielkomponisten ; denn ,,Martha" (1847) und nicht ,,Stradella" (1844) ist fiir den an
Auber und Adam geschulten Zeitgenossen Wagners charakteristisch. Die beiden unter der grofien Zahl seiner meist
in franzosischer Sprache geschriebenen Opern einzig erhaltenen Werke stammen textlich von Friedrich Wilhelm Riese
(f 1879, auch W. Friedrich genannt).
In der strengen Schule S. Dehns aufgewachsen, steht der Dichtermusiker Peter Cornelius (1824—1874) durch
seine Neigung zur neudeutschen Richtung, sonderlich zu Liszt und Wagner in der Entwicklungsgeschichte der deut
schen Oper an bedeutsamer Stelle: sein ,,Barbier von Bagdad" erschien (1858) zehn Jahre vor den ..Meistersingern".
Der mit seiner ersten Auffiihrung in Weimar verbundene Skandal, der Liszt zum Riicktritt bewegte, war das Zeichen,
unter dem Deutschland die stilreine und durchsichtig gearbeitete Probe einer neuen, wiinschenswerten Gattung ab-
lehnte: die fein-komische Oper, die nicht auf das Gelachter zielt, sondern das Lacheln will und andererseits das
grobsentimentale {Complement der Komik durch das Lyrische ersetzt. E)urch den MiBerfolg seines Werks entmutigt,
wird Cornelius seiner Spezialbegabung untreu und wendet sich im ,,Cid" (1865) und der unvollendeten (von W.
von Baufinern hergestellten) ,,Gunlod" Wagnerschen Idealen zu. Ein konsequenter Vertreter der neudeutschen Rich
tung Jst Alexander Ritter (1833—1896), der mit zwei komischen Opern: ,,Der faule Hans" (1885) und: ,,Wem die
Krone?" (1890) hervortritt. Hans Sommer-Zincke (1837 — 1919) schrieb neben romantischen Opem (,,Loreley",
1891) auch komische Werke: ,,Der Nachtwachter" (1869), ,,Rubezahl" (1904), ,,Riquet mit dem Schopf" (1907)
und andere. Prinzipiell auf Wagnerschem Boden steht der im einzelnen an Brahms angelehnte Hermann Goetz
(1840 — 1876), der mit dem Kammermusik- und Liedstil seiner heiteren Oper ,,Der Widerspenstigen Zahmung"
(1874) gliicklicher war, als mit dem die dramatischen Schwachen deutlicher offenbarenden, von Ernst Frank voll-
endeten ernsten Werk ,,Francesca da Rimini".
Zu einer ruhig-zielbewuBten Entwicklung ihres eigenen, sei es nun auf Lortzing oder auf Cornelius weiter bauenden
Stils ist die deutsche komische Oper nicht mehr gelangt. Augenblickliche Bereicherung erfuhr sie durch einige auch
der ernsten Oper zugewandte Meister. Anton Urspruch (1850 — 1907) schrieb nach der in Frankfurt gegebenen
grofien Oper: ,,Der Sturm" (1888) das auf spanischer Textgrundlage beruhende komische Werk ,,Das Unmoglichste
von allem" (1897). Hermann Zumpe (1850 — 1903) komponierte vor den Musikdramen ,,Sawitri" (beendet von
Rofiler, 1907) und ,,Das Gespenst von Horodin" (1910) eine Marchenoper ,,Anahra" (1881), eine romantische ko
mische Oper ,,Die verwunschene Prinzessin" und die Operetten ,,Farinelli" (1886), ,,Karin" (1888), ,,Polnische Wirt-
schaft" (1889). Der Sanger des MSpanischen Liederbuchs", Hugo Wolf (1860—1903) wahlte, seiner Ueder miide,
einen spanischen Stoff, als er die von Rosa Mayreder als ,,Der Corregidor" bearbeitete Novelle ,,Der Dreispitz"
von Alarcon ergriff und, Junggesell wie Beethoven, das Motiv des ,,Fidelio" in das Idyllisch-Heitere wandte (1895,
erste Auffiihrung in Mannheim 1896). In dem gleichen Sinne, in dem Wolf seine Liederbucher ,,Kleine Opern"
nannte, ist der ,,Corregidor" als Liederbuch zu bezeichnen; seiner kostlichen und quellenden Musik fehlt der auch
dem intimen Drama notwendige SchuB Theaterblut. Ein tragisches Drama (nach Alarcons ,,Kind mit der Welt-
kugel") ,,Manuel Venegas" von 1897, blieb unvollendet. Eine Biihnenmusik zu Ibsens ,,Fest auf Solhaug" schrieb
Wolf im Jahre 1892. Emil Nikolaus von Reznicek (geb. 1861) hatte nach den Opern ,,Die Jungfrau von Orleans"
(1887), ..Satandla" (1888), ,,Emmerich Fortunat" (1889) mit ,,Donna Diana" (1894) einen starkeren Erfolg; er
schrieb seitdem: ,,Till Eulenspiegel" (1902), ,,Die Angst vor der Ehe" (eine Operette 1914) und ,,Ritter Blaubart"
(1918). Leo Blech (geb. 1871) kam von der groBen Oper: ,,Agla]'a" (1893), ,,Cherubina" (1894) zur komischen
Oper: ,,Das war ich" (1902), ,,Versiegelt" (1908) und zur Volksoper: ,,Aschenbrodel" (1905) und ,,Alpenkonig und
Menschenfeind" (1903, auch ,,Rappelkopf") und wandte sich neuerdings der Operette zu. Dem im Musikdrama so
handfesten Eugen d'Albert (geb. 1864) gelangen in der ,,Abreise" (1898) und ,,Flauto solo" (1905) zwei sehr hubsche
Musiklustspiele.
Die Erscheinung, die dem 19. Jahrhundert in der deutschen, ja fast in der europaischen
Oper das Geprage gibt, ist Richard Wagner.
Geboren \vurde Wilhelm Richard Wagner am 22. Mai 1813 in Leipzig. Schon in der
Schule beschaftigen den Knaben die Probleme der grofien Tragodie; doch gewinnen die durch
G, Miiller und Ch. E. Weinlig gepflegten musikalischen Neigungen rasch die Oberhand, in
ihrer Naivitat sehr bald von der Reflexion dramatischen Wollens abgelost. Im Jahre
56 H. d.M.
876 Die Oper im 1 9. JaKrhundert : Deutschland
1833 schreibt er in Wiirzburg, wo er seinen Bruder besuchte, seine erste Oper ,,Die Feen",
deren Text er nach Gozzis Marchen ,,Die Frau als Schlange" selbst bearbeitet hatte. Als
Kapellmeister am Magdeburger Stadttheater bringt er ,,Das Liebesverbot" (nach Shake-
speares ,,Ma6 fiirMafi", 1836) zur Auffuhrung. Nach einer Episode in Konigsberg wendet er
sich 1837 nach Riga, wo er zwei Jahre am Theater und als Leiter der Abonnementskonzerte
tatig ist. Die Hoffnung, im Zentrum der Theaterkultur, in Paris zur Geltung zu kommen,
schlagt zunachst fehl : die Sorge um das Dasein zwingt ihn zu untergeordneten Arbeiten ; doch
fallt in die drei Pariser Jahre, die Bekanntschaft mit Berlioz, Liszt und Meyerbeer bringen,
die Vollendung des ,,Rienzi" (nach Bulwer) und die Dichtung und Komposition des ,,Fliegen-
den Hollander**. Der Auffuhrung des ,,Rienzi" (1842) in Dresden, die dem Komponisten die
dortige Kapellmeisterstelle gewinnt, folgt die Darbietung des ,,Fliegenden Hollander*' (1843),
der als Werk von neuartigem, allein den organischen Zusammenhang mit der Vergangenheit
(besonders mit Marschner) zeigendem Charakter die Meinungen spaltet. Die Festigung seines
Ansehens durch die Auffuhrung des ,,Tannhauser" (1845, 19. Oktober) wurde durch Wagners
Teilnahme am Maiaufstande des Jahres 1849 geschmalert, da sie zunachst den Verzicht auf
offentliche Wirksamkeit bedeutete : die Flucht flihrte iiber Weimar nach Paris und Zurich, wo
Wagner bis zum Jahre 1859 bleibt. Hier entsteht die Mehrzahl seiner theoretischen Schriften
(,,Die Kunst und die Revolution", 1849, ,,Das Kunstwerk der Zukunft", 1850, ,,Kunst und
Klima", 1850, ,,0per und Drama**, 1851, ,,Eine Mitteilung an meine Freunde", 1851); der
vollstandige Text der ,,Nibelungen*' erschien 1853. Den noch in Dresden (1847) vollendeten
,,Lohengrin** fiihrt Liszt 1850 in Weimar auf. Von Paris aus, wo Wagner die charakteristische
Ablehnung des ,,Tannhauser" erlebt und die Schrift ,,Zukunftsmusik" (1860/61) verfafit hatte,
wendet er sich nach erlangter Amnestic (1862) nach Karlsruhe und Wien, wo er vergeblich die
Auffuhrung des inzwischen vollendeten „ Tristan" (1859) durchzusetzen sucht. In Biebrich
a. Rh. (1 862) und in Wien (1 863) arbeitet er an den ,,Meistersingern". Als ihn Konig Ludwig II.
nach Miinchen zieht (1864), veranlafit er die Berufung Hans von Billows dorthin, der im
Jahre 1865 ,,Tristan und Isolde*4, drei Jahre spater ,,Die Meistersinger" zur Auffuhrung bringt,
die in Luzern, wohm Wagner iibergesiedelt war, vollendet wurden ; hier fiihrte Wagner auch die
Arbeiten an den ,,NibeIungen" weiter, deren erste Entwiirfe bis in die Dresdner Zeit zuriick-
reichen. Nachdem ,,Rheingold" und ,,Walkiire** einzeln in Miinchen aufgefiihrt worden
waren, wurde die Trilogie vom ,,Ring des Nibelungen" (,,Die Walkiire", ,,Siegfried", ,,Gotter~
dammerung" mit dem Vorspiel ,,Das Rheingold") im August 1876 unter Hans Richters Lei-
tung zum ersten Male vollstandig in dem provisorischen Festspielhause zu Bayreuth, wo
Wagner seit 1871 wohnte, dargestellt. Im Jahre 1882 erlebte Wagner noch die Urauffuhrung
seines , .Parsifal" unter Hermann Levi und starb am 13. Februar 1883 Jm Palazzo Vendramin
in Venedig.
In Wagners Leben ist das Jahr 1 848 die ^enaue Mitte : er lebte 35 Jahre vor und 35 Jahre
nach der Revolution; sein Anfang riihrt an Beethoven, sein Ende an Debussy: das Vertrauen
zum eigenen Herzen, in der Mitte der Epoche mit rednerischer Emphase vorgetragen, weicht
an ihrem Ende dem imlmpressionismus erklarten Mifitrauen in das eigene Herz. Die Schilde-
rung der ,,siifien Diifte" im Lohengrin gegen das groCe Natur- und Nachtbild gehalten, das
den zweiten Akt des Tristan ausmacht, lafit erkennen, dafi innerhalb der zwischen Beethoven
und Debussy sich spannenden Kurve lebhafteste Bewegung herrscht. Das tonende Symbol
-jipn53ir%.-==7 » WK %-
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^^^ , _ ,..-,. rf A£v*\$4
;.
Abb 81 Wagner, Die Meisteisinger von Nurnberg, Autograph Begmn des Vorspiels.
Original im Besitz des Germanischen Museums, Ntimberg
56*
gyg Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutschland
dieser Kurven, die klangliche Erscheimmg bestimmt sich vorziiglich aus den Spannungs-
verhaltnissen des Dur<-Moll~Tonartensys terns. Die Kadenz als Befestigung, die Modulation
als Auflosung der Harmonik geraten in eine Auseinandersetzung, die so nahe an die letzte
Grenze des durch anderthalbhundert Jahre in Geltung gewesenen Tonsystems fiihrt, dafi sich
neue Klangvorstellungen an der chromatischen Modulation des ,.,Tristan" nahren konnten.
Wirklich trug sich Debussy mit dem Gedanken, einen neuen Tristan zu schreiben, urn die
Macht des alten zu brechen. Wagners kiihnste Erweiterung des Tonalitatsbereichs bedeutet
jedenfalls nie das Verlassen des Tonalitatsgedankens oder gar seine Sprengung. Wohl aber
wird die Haupttonart gelegentlich verschwiegen. Bewufitheit und Mafi — kiinstlerisches MaB
auch in der Gestaltung iibermaBiger Seelennot und -kraft — bewahren auch den gewagten
Neubildungen einen erkennbaren Zusammenhang mit dem organischen Wuchse des Ganzen;
weder in der Harmonik noch in ihrer Modulation und ihrer Alterierung gibt es Dinge, die auf
Chaotisches zeigen, und Wagner ist nur einem eigenen Rate gefolgt, wenn er dem klanglichen
Gewande auch der scharfsten Dissonanz zauberhaften Reiz gibt.
Wagners Festhalten an der achttaktigen Periode ist gleichfalls aus dem hochromantischen
Schonheitsbedurfnisse zu erklaren; selten und eigentlich nur im Gebiet des Illustrativen
verfallt er in jene Zweitaktigkeit der Erfindung, der seine schwacheren Zeitgenossen Heka-
tomben von totgeborenen Einfallen zum Opfer brachten; das Hauptthema des Meistersinger-
vorspiels ist ein Muster gebandigter Kraft. Auch im groBen halt sich Wagner, der das alte
Akkompagnato durch Hinausschieben der Kadenzen zu langgestreckter Sprechmelodik iiber
ausdruckgesattigtem Orchesterklang umbildete, durchaus an musikbestimmte Formen ; Lorenz
weist Strophen-, Bogen- und Barformen nach. Indessen treten far das BewuBtsein des Horers
die in grofie Abmessungen gesteigerten formalen vor den koloristischen Werten einigermaBen
zuriick; hier beschreitet Wagner die neuen Wege, auf denen Ihm die Romantik mit hochstern
Anteile folgte, und auf denen ihm Schubert und Weber schon voraufgegangen waren. Die Natur-
nahe, von Schubert noch in allgemeinen Klangbildern, von Weber in besonderer Assoziation
ausgedriickt, wird Wagners vorziigliches Zeichen : das Gesicht des Meeres im ,,Hollander" und
im ,,Tristan'* enthalt so viele intime Ziige von zugleich iibertragenem Sinne, dafi alle friiheren
Schilderungen, selbst die des gemalen Weber, der doch endlich das Muster war — zwischen
dem ,,0beron" und dem ,,Hollander" laufen Faden hin und her wie zwischen der ,,Euryanthe"
und dem ,,Lohengrin" — , zu Versuchen werden. Wie die emporte Sturmnacht zur nachtigen
Seele Siegmunds in Beziehung tritt, so erhalten auch die zarteren Farben der Morgen- und
Abenddammerung ihre dramatischen Werte. Die Abstimmung der auBeren Erscheinung auf die
innere Bedeutung fiihrt den exaltierten und auch im sprachlichen Ausdruck zum Superlativ
geneigten Kiinstler an die Grenze der wahrnehmbaren Wirklichkeit : es ergibt sich in echt
romantischer Auflosung der letzten menschlichen Spannung in die naturliche Umgebung der
,,Zauber" der wabernden Lohe, der Johannisnacht, des mittaglich durchsonnten Waldes, des
Karfreitags und der irren Hornerklange am Abend. Der Urlaut, von der Frlihromantik geahnt
und gesucht, von Wagners metaphysischem Drange wurde er entdeckt. Eine ungemein reiz^
bare Klangphantasie erganzt die rein musikalischen Schilderungsmittel ; die Kunst der Orche-
strierung wird Sache der feinnervigsten Hand und Gegenstand der aufrichtigen Bewunderung
fiir einen Mann wie Richard StrauB, der in seiner Bearbeitung von Berlioz' Instrumentations-
lehre keine Gelegenheit zum Hinweis auf Wagnersche Muster voriibergehen la'Bt. Die Ver-
Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutschland 879
feinerung seiner Methode gibt dem Orchester, das in der Freihaltung der von der menschlichen
Stimme hervorzubringenden Tone seinen weiteren praktischen, aber von den Nachahmern
kaum je iibernommenen Vorzug hat, die schon im Melodram vorbereitete Moglichkeit, sich
zum hauptsachlichen Trager des Dramas und seines Gefiihlverlaufs zu machen. Das Er-
innerungsmotiv, fur die Unterstreichung wichtiger Vorgange, Charaktere oder Beziehungen
bestimmt, wandelt sich in das auf den seelischen Untergrund leuchtende, durch leichte Ver-
anderungsmoglichkeit zum empfindlichen Spiegel verborgener Vorgange werdende Leitmotiv.
Das entscheidende Kennzeichen aber, das den untrennbaren Zusammenschlufi mit der
romantischen Vergangenheit fur Wagner herstellt, ist die praktische Vollendung einer nur
auf romantischem Boden gediehenen Idee : des von Weber mit Nachdruck ausgesprochenen
Gedankens von dem die Zeitkiinste vereinigenden Gesamtkunstwerk. Die Abwagung des
Anteils der Dichtkunst und der Musik ist das ewige Problem der Operngeschichte. Die
Behandlung der ,,unkomponierbaren" Teile des Textes im Seccorezitativ hatte zuletzt,
von den Franzosen belehrt, Gluck aufgegeben und durch das durchkomponierte Orchester-
rezitativ ersetzt; die Beschrankung des Dialogs auf ein Mindestmafi gerat dem Singspiel
zugute, da das Buch nun der Musik in hoherem Grade Aufnahme gewahren kann;
das Melodram sucht neue Wege, von denen friiher gesprochen wurde. Die Zusammen-
fassung der Stilelemente schien Meyerbeer mit Bevorzugung der franzosischen gegliickt
zu sein, nachdem der Glucknachfolger Spontini vorangegangen war: ihnen schliefit sich
Wagner, von Weber und Marschner kommend, an. Was er in Paris erkannt hatte, bewahrte
er als unverlierbares, wenn auch der Umformung unterworfenes Gut ; aber das Entscheidende
war fur den Komponisten der ,,Feen", des ,,LJebesverbots" und des ,,Rienzi" die Gewifiheit
der Verwurzelung im heimatlichen Boden. Diesen deutschen Zug in spezifisch romantischer
Farbung — Meer und Wind erhalten eine ahnliche Bedeutung, wie der Wald im ,,Freischiitz" —
tragt schon der in Paris vollendete ,,Fliegende Hollander", soviel italienische Art das Ge-
sangliche, soviel Meyerbeersches die Sprache des Orchesters auch mit sich fiihren mag. Die
Naturschilderung, an sich dem deskriptiven Geist des Galliers (Campra, Rameau) verhaftet,
wird hier zum Symbol menschlicher Affekte. Die Mittel der grofien Oper, die im Ballett des
,,Rienzi" noch im franzosischen Sinne angewandt wurden, verschwinden (im ,,Hollander" nur
ein Matrosentanz), oder bekommen einen andern, mit dem Drama verkmipften Sinn (,,Tann-
hauser**, Aufziige in ,,Lohengrin", ,,Meistersinger", ,,Parsifal4*). Die schon vollzogene Ver-
breiterung des Finales gewinnt allmahlich an riickwirkender Kraft, ergreift, sie auflosend, die
festen Formen und schafft die groBen Akteinheiten, innerhalb derer die physische Biihnen-
handlung in der metaphysischen Handlung des in symphonischem Stil sich entwickelnden Or
chesters gespiegelt wird, wobei das Gegenbild auch Beziehungen aufzudecken fahig ist, die das
Bild absichtlich verschweigt (Sachsens ,,Abendtraum", einzig mit diesem Wort im Text an-
gedeutet, wird nur in der Musik klar). Das Orchester bekommt nach Wagners Wort die Rolle
des antiken Chors zugewiesen; aber es wird mehr.
Wagner hielt sich fur den Anfang einer grofien Entwicklung. So sicher diese Stellung fur
Einzelheiten seiner kiinstlerischen Erscheinung bezeugt wird, im ganzen bildet er den Schlufi
einer solchen : den Schlufi und den Hohepunkt der romantischen Oper. Eine Wirkung auf die
Physiognomie der Musik, die iiber die Lohengrin-, Meistersinger- oder Ring-Nachahmung
hinausginge, hat eigentlich nur der ,,Tristan" ausgeiibt. Wagners Glaube ist der der Roman-
880 E^e OPer *m 19. Jahrhundert: Deutschland
tiker : Verklarung der sinnlichen Natur durch tiefe Liebe, durch eine Liebe, die vielleicht erst
hinter den Grenzen des zeitlichen Lebens beginnt; fiir den im Leben Bleibenden gibt es
nur ein Mittel, aus dem Tannhauserischen Dualismus und seinen Qualen herauszukommen :
Sachsens Altersweisheit findet es in der Entsagung ; ein romantischer Gedanke, den Zacharias
Werner (f 1823; vgl. Paul Kluckhohn: Zacharias Werner) mit aller Scharfe vorgedacht hatte.
Auch die Sehnsucht nach Selbstvernichtung, nach Auflosung in das All ist der romantischen
Seele vertrautes Gebiet, und ebenso die Mischung erotischer Sehnsucht mit religiosen Vor-
stellungen in der Lehre von der vorbestimmten Liebe zweier Menschen und in der Lehre
von der Einheit der drei groBen Mittler zwischen dem Individuum und dem Universum:
Kunst, Liebe und Religion. Doch auch Werners ,,gelauterter Katholizismus" findet sich in
der hohen Romantik und bei Wagner wieder.
Seine Zukehr zu christlich-religiosen Idealen ist zwar schon im ,,Tannhauser" voraus-
genommen, erfullt aber unter dem Einflusse der Familie Liszt erst sein spateres Leben.
Wagners Jugend stand unter dem Einflusse einer Schwarmerei fiir das griechische Altertum.
So rasch diese mit ,,disziplinwidrigem Umgehen des Lateinischen" genahrte Leidenschaft
auch,- und zwar bis zum Verluste der Sprachkenntnisse, verflog, es haftete doch die antike
Idee eines den Mittelpunkt des Volkslebens bildenden Gesamtkunstwerks tief in seiner Seele.
Vom Hellenismus war auch Friedrich Nietzsche gekommen, den indessen ein anderer Parallelis-
mus an Wagnern band: die Philosophic Schopenhauers, von der auch Nietzsche ausging.
Wagner, der das ,,Kunstwerk der Zukunft" noch Ludwig Feuerbach zugeeignet hatte, war
einundvierzig Jahre alt und hatte die Dichtung des ,,Ringes" schon entworfen, auch mit der
Komposition des Einleitungsstiickes begonnen, als er durch Georg Herwegh ,,Die Welt als
Wille und Vorstellung" kennenlernte. Die endgiiltige Fassung der Ringdichtung bezeugt den
tief en Eindruck der in Wagners Geist gewissermafien vorgebildeten Gedankenkreise des Philo-
sophen, der die am starksten im ,,Hollander" vorgedeuteten ethischen Anschauungen in die
Helligkeit des BewuBtseins hob und ihm zu den eigenen, bereits gestalteten Ratseln den
Schliissel gab.
Siegfried — wo ist bei ihm ,,der christliche Geist des Mitleids, der Sehnsucht nach Er-
losung, der Treue bis zum Tode, der Ergebenheit in den Willen einer hoheren Macht", wo
auch nur ein Begriff aus dem grofien schopenhauerischen Arsenale? Und doch war seine
Gestalt der ,,schonste Lebenstraum" Wagners, dem zuliebe er die Ringdichtung iiberhaupt
nur vollendete. Der furchtbare ernste Hauptgedanke Schopenhauers: ,,die endliche Ver-
neinung des Willens zum Leben**, hier gewifi nicht zum Vorteile des Ganzen auf die Seite
des Gegenspielers gedrangt, wird, ausgelost durch ein den Kiinstler (ungewifi, wie tief) er-
schiitterndes Erlebnis, formende Kraft im ,,Tristan", vor dem das Nibelungenwerk, zu drei
Vierteilen erst vollendet, versinkt, wie das Begriffliche, das in der Sprache Ausgedriickte in
der Musik versinkt, von ihr aufgelost wird. (Das ,,Kunstwerk der Zukunft'* spricht von der
Erlosung des Denkens der Wissenschaft in das Kunstwerk.) So tief die Kurve des Pessimismus
gefallen ist, so hoch erhebt sich der Optimismus in der Gestalt des giitig-altruistischen, fest
auf der Erde, unbeirrt im Lichte des Tages stehenden Hans Sachs. Von Jung-Siegfried zu
Sachs, der ausdriicklich jede Teilnahme an ,,Herrn Markes Glikk" fiir sich abweist, zieht
sich eine deutlich auf Nietzsches Philosophic weisende Linie; das immer noch atheistische
Weltbild bekommt andere Vorzeichen: freies, lebenbejahendes Menschentum, unweise oder
82 Wa«ner Siegfried, Briinhildes Erwachen. Nach der Bayreuther UraufMinrng
' K-t ELald. briginal in, Eesitz des Richard-Wasner-M—s .n E-senach
882 D*e Oper im 1 9. JahrKundert : Deutschland
weise, genial oder ungenial, tragt die Verantwortung eignen Handelns, das diese beiden
Revolutionare auBerlich so tief voneinander unterscheidet. Am Schlusse der Abhandlung
iiber ,,Kunst und Revolution" (ein Jahr nach dem Entwurf eines ,Jesus von Nazareth**) gibt
Wagner auch das Stichwort, das ihn von Feuerbach, von Schopenhauer und von Nietzsche
trennen muCte: neben Apollon, der die Menschheit zu ihrer freudenvollen Wiirde erhob,
neben Apollon tritt Jesus, der fur die Menschheit lebte und litt. Die Urteile Nietzsches liber
Wagner enthalten manche Widerspriiche ; nur ein Werk — es wird in der ,,Verfuhrung der
Kunst ewig seinen Rang behalten als der Geniestreich der Verfuhrung" — trifft auf runde
und heftigste Absage: ,, Parsifal". Diese Wandlung hat der Philosoph dem Kiinstler nie ver-
ziehen, so gern er die Wandlung von Schopenhauer zu sich verziehen hatte: ihm versagte er
die Teilnahme an seinem Worte, ,,Nur wer sich wandelt, bleibt mit mir verwandt".
Der Wagnerpsychose der neunziger Jahre ist um die Zeit seines hundertsten Geburtstages
eine noch immer kiinsthch wachgehaltene Unterschatzung seines Wertes gefolgt; aus den
beiden Bewegungen wird der geschichtlich Sehende, gerade wenn er an der Idee des Gesamt-
kunstwerks zweifelt, ein Bild Wagners gewinnen, das die Ziige seiner musikalischen Grofie
deutlich zeigt. Was im ,,Tristan" versucht und gewonnen wird, tragt Frucht in der Musik
des dritten Siegfriedaktes, der ,,G6tterdammerung" (obwohl sie als Drama uneinheitlich ist)
und des nach jeder technischen Beziehung hin vollkommenen ,,Parsifal". Der ,,Tristan"
aber ist das romantische Drama, das Werner und der nur bedingt der Romantik angehorige
Kleist nicht geschaffen haben: er spricht mit tiefstem Nachdruck das zuerst von Goethes
Mignon angeriihrte Urgefiihl der Romantik aus : das bewegende Gefiihl einer ziellosen, selbst
dem Enkel noch nicht klar gewordenen, nur aus dem Hellen in das Dunkel verlangenden
Sehnsucht.
Die Einfachheit und Grofie der Bilder mit ihrer notwendigen Erhohung der musikalischen
und dichterischen Sprache wird nicht uberall mehr verstanden : man stofit sich am Stabreim,
an der Langsamkeit der Entwicklungen, an dem Uberflufi mancher Erzahlungen (,,Ring");
man legt, etwa vom naturalistischen Drama ableitend, den falschen Mafistab an die Tempera-
tur des Wagnerschen Pathos, das in die Biirgerlichkeit der ,,Meistersinger" hineinreicht.
Schwerer zu nehmen ist die Beobachtung, dafi die Vollwertigkeit des Textes ein (Jberstromt-
werden der Dichtung durch die Musik nicht hat verhindern konnen; denn sie fiihrt zu der
Frage, ob die musikheischende,- auf den knappsten Wortausdruck gebrachte szenische Lage
der freien Entwicklung einer bedeutenden Musik nicht giinstiger sei, und bei ihrer Bejahung
zur Verneinung des letzten Ziels der Romantik: des Gesamtkunstwerks. Das Zeug, worauf
gestickt werden solle, miisse weite Faden haben, das war schon Goethes friihe Erkenntnis.
Mag die ernste Oper des 19. Jahrhunderts noch so tief im Schatten des Titanen stehen,
Wagner hat nicht nur Vorganger und Nachfolger, er hat auch Mitbewerber, ja Widersacher
gehabt, deren Weg mehr oder minder deutlich ausgesprochen von dem Meyerbeerschen Opern-
ideal sich abwendet. Im allgemeinen und sonderlich, seit alle Theater Geschaftsunternehmen
geworden sind, lafit sich ein Einflufi der Wagnerschen Gesinnung auf den Spielplan nicht fest-
stellen. Wagner war in zu hohem Grade Schlufistein einer Entwicklung gewesen; die mit ihm
und von ihm gehenden Stromungen sturzennach seinem Tode ineinen grofien Wirbel derVer-
legenheiten zusammen : Verniedlichung seiner Probleme in das Marchenhafte, einaktige oder
grofie Opern mit naturalistischem Einschlag, Sonderbestrebungen auf dem Gebiet des lyrischen
Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutschland 883
oder des komischen Dramas, Hinwendung zur Antike und zur Tragodie grofien Stils — alle
diese Faden werden neben der reinen Wagnernachahrnung aufgegriffen. Neue Bestrebungen
— Riickkehr zur Barockoper — werden gleichzeitig mit einer sehr merlcwurdigen Handel-
renaissance sichtbar. Den groOten Publikurnserfolg hatte, urn dies hier zu sagen, die unver-
falschte, vom Ideal des Musikdramas absehende Oper (d'Alberts ,,Tiefland"). Soweit Zeit-
genossen und Nachfolger noch nicht bei anderer Gelegenheit behandelt wurden, seien sie hier
erwahnt.
Ferdinand Hiller (1811—1885) beginnt mit einer italienischen Oper ,,Romilda" (1839) und lafit fiinf deutsche
folgen: ,,Traum in der Christnacht" (1845), ,,Konradin" (1847), ,,Der Advokat" (1854), ,,Die Katakomben" (1862)
und ,,Der Deserteur" (1865). Fr. Hieronymus Truhn (181 1—1886) schreibt nach einer Operette (,,Der vierjahrige
Posten", 1833) eine Oper ,,Trilby" (1835). Heinrich Dorns Stiefbruder Ludwig SchindelmeiBer (1811—1864)
trat mit 7 Opern, damnter einer ,,MeIusine" (1861) hervor; er war ein Jugendfreund Wagners. Hermann Hirsch-
bach (1812—1888), ein bekannter Publizist, schrieb 2 Opern: ,,Das Leben ein Traum" und ,,Othello". Julius
Rietz (1812—1877), der Mendelssohnschen Richtung zugehorig, brachte 4 Opern zur Auff iihrung : ,,Der Korsar"
(1850), ,,Georg Neumark und die Gambe" (1859), ,,Jery und Bately" und ,,Das Madchen aus der Fremde". Mit
seiner ersten Oper ,,Die Nacht auf Paluzzi" wurde Fr. X. Pentenrieder (1813—1867) bekannter, als mit der zweilen :
,,Das Haus ist zu verkauW. Jakob Rosenhain (1813—1894) schrieb zwei deutsche (,,Der Besuch im Irrenhause",
1834, und ,,Liswenna") und zwei franzosische Opem (,,Le demon de la nuit", 1851, und ,,Volage et jaloux"). Fried-
rich Wilh. Markull (1816—1887) errang mit den Opern: ,,Maja und Alpino" (,,Die bezauberte Rose", 1843), ,,Der
Konig von Zion" (1848), ,,Das Walpurgisfest" (1855) Erfolge. Das Gebiet des Liederspiels baute Ferdinand Gum-
bert (1818—18%) an, wahrend Cornelius Gurlitt die Operette pflegt und sich einmal (,,Scheik Hassan") der Oper
zuwendet. Der Halevy-Schuler Adolf Schimon (1820—1887) fuhrte in Florenz einen ,,Stradella" (1846) auf, wo-
gegen der Stradellakomponist Flotow in Schwerin seiner komischen Oper ,,List um List" (1858) zum Siege verhalf.
Von dem Klavierpadagogen Louis Kohler (1820 — 1886) liegen die Opern ,,Prinz und Maler", ,,Gil Bias", ,,Maria
Dolores" (1844), ein Ballett und eine Musik zur ,,HeIena" des Euripides vor, von dem Leiter des Wiener Manner-
gesangvereins Hans Schlager (1820—1885) 2 Opern: ,,Heinrich und Use" (1869) und ,,Hans Heidekukuk". Karl
A. F. Eckert (1820—1879) und August Conradi (1821—1873) seien im Vorbeigehen erwahnt. Karl M. Rein-
thaler (1822—18%) wurde durch die Opern ,,Edda" (1875) und ,,Kathchen von Heilbronn * (1881) bekannt. Mit
7 Opern: ,,Der Rotmantel", ,,VJneta", ,,Der Stern von Turan", ,,Eine Kiinstlerreise*', ,,Faublas", ,,A-ing-fo-hi"
und ,,Die Offiziere der Kaiserin" beteiligt sich Richard F. Wiierst (1824—1881) an der Bewegung. Mit einer Kin-
deroper ,,Dornroschen", mit Marchenstiicken ,,Die Tochter Pharaos", ,,Ein Traum" und mit einer Operette ,,Vater
Beatus*' nahert sich H. Michel Schletterer (1824—1893) dem Singspiel. Der Mozartinterpret Karl H. C. Rei-
necke (1824—1910) schrieb die grofie Oper ,,Konig Manfred" (1867), die Einakter: ,,Der vierjahrige Posten" (1855),
,,Auf hohen Befehl" (1886), ,,Der Gouverneur von Tours" (1891) und das Singspiel ,,Ein Abenteuer Handels*'.
Jean J. Bott (1826—1895) veroffentlichte 2 Opern: ,,Der Unbekannte" (1854) und ,,Akaa, das Madchen von Ko-
rinth" (1862). Der Belgier Alexander Stadtfeldt (1826 — 1853) schrieb aufier zwei franzosischen zwei deutsche
Opern: ,,Hamlet** und ,,Abu Hassan". Von Hermann Berens (1826^1880) wurden 3 Operetten (,,Ein Sommer-
nachtstraum", ,,Lully und Quinault", ,,Riccardo") und eine Oper ,,Violetta" bekannt. Der Enkel Job. Gottl. Nau-
manns, Emil (1827—1888) schrieb eine .Judith" (1858) und eine ..Loreley" (1889 aufgefuhrt); als Schriftsteller
trat er gegen Wagner auf. Rudolf Thoma (1829 — 1908) wurde durch ,,HeIgas Rosen" (1890) und durch den Ein
akter ,Jone" (1894) spat bekannt. Heinrich F. D. Stiehl (1829—1886) schrieb 2 Opern: ,,Der Schatzgraber" und
,Jery und Bately". Dem Brahmskreise nahe stehend, fuhrte Albert H. Dietrich (1829—1908) 2 Opern auf: ,,Ro-
bin Hood" (1879) und ,,Das Sonntagskind" (1886). Hans von Biilow (1830—1894) schrieb eine Musik zu Shake-
speares , Julius Casar"; sein hannoverscher Vorgesetzter Hans von Bronsart (1830 — 1913) eine Manfred-Musik
(1901). Eduard Lassen (1830—1904) entwickelte eine fruchtbare Tatigkeit fur die Buhne, der er neben 3 Opern
(,,Landgraf Ludwigs Brautf ahrt" , 1857, ,,Frauenlob",1860, ,,Le captif",1868) Musiken zu Hebbels ,,Nibelungen",
zu Sophokles* ,,0dipus auf Kolonos", zu Goethes ,,Faust" und ,,Pandora" und zu Calderons M0ber allem Zauber
Liebe" schenkte. Das Liederspiel bedenkt A. M. Robert Radecke (1830—1911) mit einem 1874 in Berlin auf-
gefuhrten Werke ,,Die Monkguter". Eine ausgezeichnete historische Einstellung gibt Hermann Abert (1916) den
dramatischen Werken seines Vaters Johann Joseph Abert (1832 — 1915): ,,Anna von Landskron" (1858), ,,Konig
Enzio" (1862), ,,Astorga" (1§66), ,,Ekkehard" (1878), ,,Die Almohaden ' (1890), indem er die um die sechziger
Jahre andauernde Vorherrschaft der Pariser Oper aufzeigt und nachweist, welche Elemente von den deutschen
Komponisten iibernommen, welche von ihnen mehr und mehr ausgeschieden werden zugunsten einer zogernden
Annahme Wagnerschen Musikgutes. Das Fehlen derartiger Spezialuntersuchungen veranlafit die Erstrebung mog-
lichster Vollstandigkeit in der vorliegenden Sammlung des Materials. —Eduard Mertke (1833—1895) schrieb die
884 Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutschland
Opern ,,Lisa oder die Sprache des Herzens" (1872) und ,,Kyri!l von Thessalonich". Bernhard E. Scholz (1835
bis 1916) brachte 9 Opern zur Auffiihrung: ..Carlo Rcsa" (1858), ..Zietensche Husaren" (1869), ..Morgiane" (1870),
,,Golo" (,,Genovefa'\ 1875), ,,DerTrompeter von Sakkingen" (1877), ..Die vornehmen Wirte" (1883), ,,ingo" (1898),
,,Anno 1757" (1903) und ,,Mirandolina" (1907). Mit Felix A. B. Draeseke (1835—1913) nahern wir uns zum zwuten
Male dem Wagner- Liszt- Kreise, dem er sich allerdings wieder entfremdete; nach einer alteren (,,Sigurd" 1867)
sclirieb er die Reckencpern ,,Gudrun" (1884) und ,,Herrat" (1892) veil bedeutender Einzelziige; handschriftlich hin-
terliefi er: ,,Bertrand de Born", ,,Fischer und Kalif" und ..Merlin" (nach Immermann, 1913). Job. August Ad.
Langert (1836 bis nacb 1897) brachte als Kapellmeister in Koburg dort 5 Opern (,,Die Jungfrau von Orleans",
1861, ,,E)es Sangers FlucrT, 1863, ,,DieFabier", 1866, .Jean Cavalier", 1880, ..Die Kamisarden", 1887) und eine in
Leipzig heraus (,,Dornroschen", 1871). Sehr interessant ist das Verhalten Max Zengers (1837 — 191 l)zu Wagner: in
,,Wieland der Schmied", der 1880 zwei fruheren Versuchen (,,Die Foscari", 1863, ,,Ruy Bias", 1868) folgte, Tristan-
anhanger — er schreibt an Stelle von Szenen Akteinheiten — protestiert er unter Berufung auf Gluck und Mozart
gegen Wagner in ,,Eros und Psyche" (1901); er hinterliefi auch die Ballette ,,Venus und Adonis" und ,,Les plaisirs
de Tile enchantee". K. Adolf Lorenz (geb. 1837) steht mit ,,Harald und Tbeano" (1893) in der Wagnernach-
folge und hinterlieB eine ,,Komodie der Irrungen". Max Bruch (1838 — 1920) will dagegen Wagner nichts schulden;
erschrieb ein Singspiel: ,,Scherz, List und Rache" (Goethe, 1858) und die Opern: ,,Loreley" (der von Geibel fur
Mendelssohn bestimmte Text, 1863) und ,,Hermione" (nach Shakespeares ,,Wintermarchen", 1872). Naher der neu-
deutschen Schule zuge\vandt ist Wendelin Weifiheimer (1838 — 1910) mit seinen beiden Opern: ,,Theodor Komer"
(1872) und ,,Meister Martin und seine Gesellen" (1879). Wilhelm Freudenberg (geb. 1838) trat mit einer Reihe
von Opern auf den Plan: ,,Die Pfahlbauer" (1877), ,,Die Nebenbuhler" (1879), ,,Kleopatra" (1882), ..Die Miihle
im Wisperthale" (1883), ,,Der St. Katharinentag in Palermo" (1889), ,,Marino Faliero" (1889), Johannisnacht"
(18%), ,,Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilem" (nach Goethe, 1908); ,,Die Klause von Sulmenbach" und ,,Das
Madchen von Treppi" sind Handschriften geblieben. Wilhelm Hill (1838 — 1902), der Komponist des Liedes ,,£3
liegt eine Krone im tiefen Rhein", schrieb eine Oper ,,Alona" (1882). Ferdinand Langer (1839 — 1905) erzielte Lo-
kalerfolge mit: ..Die gefahrliche Nachbarschaft" (1868), ,,Dornroschen" (1873), ,,Aschenbr6del" (1878), ,,Murillo"
(1887), und JDer Pfeifer von Haardt", einer Volksoper. Adolf Miiller (1839—1901), der Sohn des Nestroykom-
ponisten, schrieb nebtn vielen Operetten die Opern: ,,Heinrich der Goldschmied", ,,Waldmeisters Brautfahrt", ,,Van
Dyk"; auf das Gebiet des leichtesten Genres beschrankt sich Max Wolf (1840 — 1886), wie Miiller in Wien wirkend.
Ludw. Bernh. Hopffer schrieb aufier 2 Opern: ..Fritjof" (1871) und ,,Sakuntala" das Festspiel ,,Barbarossa".
Mit 4 Opern trat Ingeborg von Bronsart (1840—1913) hervor: ,,Die Gottin zu Sais", ,,]ery und Bately", ,,Hjarne"
(1891), ,,Die Suhne" (1909). Die Beliebtheit Viktor E. Nefilers (1841—1890) liegt in der liedertafelmaftigen Siifi^
lichkeit seiner Musik; Nefiler begann mit einer Oper ,,Fleurette" (1864), ging mit ,,Dornr6schens Brautfahrt" (1867)
zur Zauberoper, mit der ,,Hochzeitsreise" (1867) zur Operette, mit: ,,Nachtv/achter und Student" (1868), ,,Am
Alexandertag'* (1869) zum Einakter und endlich zur grofien Oper iiber: ,,Irmingard" (1876), ,,Der Rattenfanger von
Hameln" (1879), ,,Der wilde Jager" (1881), ,,Der Trompeter von Sakkingen" (1884). Heinrich K. J. Hof-
mann (1842—1902) betrat das Gebiet der Oper mit ,,Cartouche" (1869), ,,Der Matador" (1872), ,,Armin" (1872),
,,Annchen von Tharau" (1878), ,,Wilhelm von Oranien*' (1882) und ,,Donna Diana" (1886). Gediegene Arbeit lie-
ferte Karl Grammann (1842 — 1897) mit den Opern: ,,Melusine" (1875), ,,Thusnelda und der Triumphzug des
Germanicus" (1881), ,,Das Andreasfest" (1882) und mit den Einaktern: ,,Ingrid" und ,,Irrlicht" (beide 1894). Karl
Mi 1 1 6 c k e r (1842 — 1899) ist durch seine Operetten bekannt geworden. Vom Mannergesang kcmmt mit den Opern
,,Frauenlob"(1892) und ..Ratbold" (Dahn, 1896) Reinhold Becker (geb. 1842). Karl Kleemann (geb. 1842) schrieb
die einaktige Oper: ,,Der Klosterschuler von Mildenfurt" (1898), ein Weihnachtsmarchen ,,Das Marienkind** (1917)
und eine Musik zu Grillparzers ,,Traum ein Leben". Im Schumannschen Lager steht mit achtbaren Leistungen:
,,Claudine von Villa Bella" (1864), ,,Die Falkensteiner" [1876, als ,,Der Warwolf" (1881)] Bolko Graf von Hoch-
berg G- F. Franz, 1843 geb.). Lothar Kempter (1844—1918) trat mit den Opern ,,Das Fest der Jugend" (1895)
und ,,Die Sansculottes" (1900) hervor. Von Georg Rauchenecker (1844 — 1906) vmrden mehrere Opern bekannt:
,,Don Quichote" (1897), ,,Sanna" (1898), ,,Die letzten Tage von Thule" (1889), ,,Adelheid von Burgund", ,,Ingo"
(1893), ,,Zlatorog" (1903), ,,Der Florentiner" (1910). Ganz in Wagners Fahrwasser segelt Philippe B. Riifer (1844
bis 1919) mit seinen Opern ..Merlin" (1887) und ,,Ingo" (1896) und Richard Metzdorff (1844—1919) mit ,,Rosa-
munde" (1875) und ,,Hagbarth und Signe" (18%). Mehr nach der Seite des Liedertafelstils geneigt ist Robert
Schwalm (1845—1912, Oper: ,,Frauenlob" 1885). Nach bescheidenen Anfangen (f,Die Studenten vonSalamanka",
1884) griff August Bungert (1846—1915) mit seiner selbstgedichteten Tetralogie ,,Homerische Welt" (,,Kirke**,
1898, ..Nausikaa", 1901 , ,,Odysseus'Heimkehr", 1896, ,,0dysseus' Tod", 1903) zu den hochsten Zielen, ohne den festen
Grund einer ausreichenden Personlichkeit unter sicb zu haben. Wie kurz zuvor Julius Wolff, so lockt jetzt Rud.
Baumbach die Komponisten: Albert Thierfelder (geb. 1846) beginnt mit einer Oper ,,Die Jungfrau vom Konigs-
see" (1877) und fahrt fort mit: ,,Der Trentajager" (1883), ,,Almansor<t (1884), ,,Florentina" (18%), ,,Der Heirats-
schein" (1898). Der durch seine Spieloper ,,Das goldne Kreuz" (1875) zu volkstumlicher Beliebtheit gelangte Ignaz
Die Oper jm 19. Jahrnundert: Deuischland 885
Brull (18-46—1907) 1st Kcrr.pcnist der Werke: ..Die Bettler vcn Samarkand" (1864). ,,Der Landfriede" (1877),
,,Bianca" (1879), ,,Konigin Mariette" (1883), ..Gloria" (1886), ..Gringoire" (1892), ..Sckach dem Konige" (1893),
,,Der Husar" (1898), der Marchenopcr ..Das steineme Herz" (1888) und des Balletts ..Ein Marchen aus der Cham
pagne" (1896). Otto Kurth (geb. 1846) schrieb ,,Konigin Bertha" (1892), ,,Das Gliick vcn Hohenstein" und ..Witte-
kind". Der auf dem Gebiete der Mannerchorkomposition fruchtbare Theodor Podbertsky (1846—1913) schrieb
erne Oper: ,,Des Liedes Ende". Richard Kleinmichel (1846—1901) veroffentlichte die Opern: ItSchlofi de Lorme"
(1885) und ,,Der Pfeifer von Dusenbach" (1891). Der Vollender von Gcetzens ,,Francesca da Rimini", Ernst Frank
(1847—1889), bracnte an eigenen Opem: ,,Adam de la Halle" (1880), ,,Hero" (1884), ,,Der Sturm'* (nach Shake
speare, 1887) heraus. Gustav Laska (geb. 1847) schrieb eine Oper ,,Der Kaisersoldat". Eine schatzenswerte Eigenart
bekundete August Klughardt (1847—1902) mit den Opem ,,Mirjam" (1871), ..Iwein ' (1879), ,,Gudrun" (1882),
aufgefuhrt wurde die im Druck erschienene dreiaktige Oper ,£>ie deutschen Kleinstadter". Georg Riemenschnei-
ders (geb. 1848) Einakter ,,Mondeszauber" kam 1887 heraus. Karl Schroder (geb. 1848) schrieb eine ,,Aspasia"
(,.Dic Palikarin". 1902). ,,Der Asket" (1893) folgte. Gustav Kulenkampff (geb. 1849) ist der Komponist der
Opem: ,,Der Page" (1890), ,,Der Mohrenfurst" (1892), ,,Die Braut von Cypern" (1899), ,,Konig Drosselbart" (1899)
und ,,Annemarie" (1903). Von Willem de Haan (geb. 1849) kamen mit ortiichem Erfolg in Darmstadt die Opern:
,,Die Kaiserstochter" (1885) und ,,Die Inkasohne" (1895) zu Gehor. Eine Oper ,,Mataswintha" brachte Franz
Xaver Scharwenka (geb. 1850) im Jahre 1894 zur Auffiihrung. Nach einer englischen Oper (,,A sea change", auch
,,Love's stonaway" 1884) schrieb Georg Henschel (geb. 1850) zwei deutsche: ,,Friedrich der Schone" und ,,Nubia"
(1899). Richard Fr. ]. Heuberger (1850—1914) wechselt zwischen Opern (,,Abenteuer einer Neujahrsnacht" 1886,
,,Manuel Venegas" 1889, ,,Mirjam", auch ,,Das Maifest" 1894, ,,Das Barfiif?ele" 1 905) und Operetten (,,Der Opern-
ball", 1898, ,,Ihre Exzellenz", 1899, ,,Der Sechsuhrzug", 1900, ,,Das Baby", 1902, MDcr Fiirst von Diisterstem", 1909,
,,Don Quixotte", 1910), auch wandte er sich der Ballettkomposition mit ,,Die Lautenschlagerin" (18%) und ,,Struwwel~
peter" (1897) zu. Ein Singspiel ..Studio obenauf" veroffentlichte 1888 Wilhelm R u d n i c k (geb. 1850), Otto Fie-
bach (geb. 1851) kompomerte die Opern: ,,Prinz Dominik" (1885), ,,Loreky" (1886), ,,Bei frommen Hirten ' (1891),
,,Der Offizier der Konigin" (1900), ,,Robert und Bertram" (1903), ,,Die Herzogin von Malborough". Martin Roder
(1851—1895) schrieb ,,Pietro Candiano IV." und, auf eigene Texte: Judith" und ,,Vera" (1881). Von Max J.Beer
(1851—1908) liegen 3 Opern (,,0tto der Schiitz", ,,Der Pfeiferkonig", ,,Der Streik der Schmiede", 1897) vor und
eine parodistische Operette (,,Das Stelldichein auf der Pfahlbrucke"). Adalbert von Goldschmidt (1851—1906)
wendet sich nach einer Oper ..Helianthus" (1884) mit der Trilogie ,,Gaa" (1888) dem Musikdrama zu, schrieb aber
auch (1897) eine ,,Fromme Helene" nach Busch. Der als Schriftsteller bekannte Otto Neitzel (1852—1920) ist
auch als Opernkomponist aufgetreten: ,,AngeIa" (1887), ,,Dido<4 (1888), ,,Der alte Dessauer" (1889), ,,Barbarina"
(1904). ,,Der Richter von Kaschau" (1916, nach eigenem Text), ,,Wallhall in Not" (Satyrspiel 1905). Karl Menge-
wein (1852—1908) wendet sich von der Oper (,,SchuImeisters Brautfahrt", 1884) zum Singspiel: ,,Der Liederfex",
,,Das alte Lied", ,,Liebe und Gliick". Auf dem Gebiet der niedrigen Formen der Operette, der Feerie, der Posse
entfaltete Karl Alexander Rai da (geb. 1852) eine umfangreiche Tatigkeit. Hans Koefiler (geb. 1853) schrieb eine
Oper ,,Der Miinzenfranz" (1902); Iwan Knorr (1853—1916) trat mit dreien hervor: ,,Dunja" (1904), ,,Die Hoch-
zeit'* (1907), ,,Durchs Fenster" (1908), Paul Umlauft (geb. 1853) mit zweien, dem Einakter ,,Evanthfa" (1893)
und mit .JBetrogene Betruger" (1899)* Richard von Perger (1854—191 1) ging von der komischen Oper ,,Der Richter
von Granada" (1889) zum Singspiel ,,Die zwolf Nothelfer" (1891) und zum Marchen ,,Das stahlerne SchloB" (1904).
Von Adolf Wallnofer (geb. 1854) wurde eine Oper ..Eddystone" (1889) bekannt. Heinrich Zollner (geb. 1854)
hatte mit meist von ihm selbst gedichteten Opern grofiere Publikumserfolge : ,,Frithiof* (1884, erst 1910 aufgefuhrt),
,,Die lustigen Chinesinnen" (1886), ,,Faust" (Goethe, 1887), ,,Matteo Falcone" (1894, Einakter), ,,Bei Sedan" und
,,Der Oberfall" (beide 1895), ,,Das holzerne Schwert" (1897), ,,Die versunkene Glocke" (1899), ,,Der Schiitzen-
konig" (1903) und ,,Zigeuner" (1912).
Der von Nietzsche Wagnern entgegengehaltene Peter Gast (Heinrich Koselitz, 1854 — 1918) schrieb eine Reihe
von Opern: ,,Willram" (1879), ,,Konig Wenzel" (1888), ,,0rpheus und Dionysos", ,,Die heirnliche Ehe" (1891, ge-
druck als ,,Der Lowe von Venedig", 1901), ,,Scherz, List und Rache" (Goethe, 1881) und ein Festspiel ,,Walpurgis"
(1903). Moritz Moszkowski (geb. 1854) wendet sich, nachdem die Ballettmusik seiner grofien Oper ,,Boabdil"
(1892) Erfolg gehabt hat, dem Ballett zu mit ,,Laurin" (1896). Die biirgerliche Sicherheit, mit der sich Engelbert
Humperdinck (1854 — 1921) in den von der Neuzeit geebneten Barmen bewegt, ist symbolisch fiir sein Opernwerk:
es iiegt in der abebbenden Flut der Wagnemachfolge ; der Mythos ist zum MarcKen hinabgestimmt, und wo, wie in
den ,,Konigskindern", die Musik tragische Spharen zu erreichen sucht, stellt sich die Manier ein (Klang der neapolita-
nischen Sexte). Auch der Stil des Werks, dem Humperdinck seinen Ruhm verdankt, ist nicht rein: Elemente aus der
romantischen und aus der grofien Oper drangen sich in das Spiel von ,,Hansel und Gretel" ein; aber die selbstandige
886 Die Oper im 19. Jahrhundert : Deutschland
Beseelung vorhandenen melodischenVolksguts und dieGiite der musikalischen Arbeit, wie auch die charakteristische
Feinheit der instrumentalen Zeichming trotz der Grofie der aufgebotenen Mittei rechtfertigen die Beriihmtheit
dieses gliicklichen Wurfs. Der Reihenfolge nach sind Humperdincks Bilhnenwerke folgende: ,,Hansel und Gretel"
(Text von Adelheid Wcttc, 1893), ,,Die Konigskinder" (Melcdram 1898, Oper 1908), ,,Dornroschen" (1902), ,,Die
Heirat wider Willen" (1905), ,,Die Marketenderin" (1914), ,,Gaudeamus" (1919); ein Marchenspiel mit Klavier-
begleitung ,,Die sieben Geifilein" erschien 1 897 ; Biihnenmusiken sind vorhanden zu Aristophanes (,,Lysistrata", 1908),
zu Shakespeare (,,Winterrnarchen", ,,Sturm", 1906, ,,Was ihr wollt", 1907, ,,Der Kaufmann von Venedig", 1905),
zu Maeterlinck (.JDer blaue Vogel", 1910) und zu Vollmoller (,,Mirakel", 1911). Miroslaw Weber (1854—1906)
kommt vom Ballett (»,DieRheinnixe", 1884) zur komischenOper (,,Der seligeHerrVetter", 1894, ,,Die neue Mamsell",
18%) und schreibt Musiken zu Rod. Pels' ,,01af" (1884) und zu Scliultes ,,Prinz Bibus". Franz Curti (1854—1898)
schrieb die Opern: ,,Hertha" (1887), ,,Reinhardt von Ufenau"( 1889), 2 Einakter G.Erlost", 1894, ,,LiliTsee", 18%),
,,Das Rosli von Santis" (1898) und eine Musik zu W. Kirchbachs ,,Die letzten Menschen" (1891). Anton Riickauf
(1855—1903) fiihrt 1897 ,,Die Rosenthalerin" auf. Ferdinand Hummel (geb. 1855) beginnt mit den Einaktern
,,Mara" (1893), ,,Angla" (1894) und geht'zu groBeren Formen iiber mit: ,,Assarpai" (1898), ,,Sophie von Brabant"
(1899), ,,Die Beichte" (1900), ,,Ein treuer Schelm" und ,,Die Gefilde der Seligen" (1917). Mit 3 Opern machte
Arnold Mendelssohn (geb. 1855) sich bekannt: ,,Elsi, die seltsame Magd" (18%), ,,Der Barenhauter" (1900), ,,Die
Minneburg" (1909). Raoul M. Mader (geb. 1856) schrieb neben deutschen und ungarischen Operetten erne Oper:
,,Die Fliichtlinge" (1891). Paul Geisler (1856—1919) trat mit einigen Opern: ,,Ingeborg" (1884), ,,Die Marianer"
(auch , ,Die Ritter von Marienburg", auch ,,Hertha", 1 891 bzw. 1 894), . .Palrn" (1 893), ,,Warum ?" ,,Fridericus rex" (auch :
,,Wir siegen", 1899), ,,Prinzessin Use" (1903), ,,Wikmgertod" hervor. Felix Mottl (1856— 1911) brachte die Opern
eigener {Composition ,,Agnes Bernauer" (1880), ,,Rama", ,,Fiirst und Sanger", das Festspiel ,,Eberstein" (1881) und
das Tanzspiel ,,Pan im Busch"(1900) zur Auffiihrung. Syivio Lazzari (geb. 1858), Schiller Cesar Francks und
Wagnerapostel, schrieb aufier franzosischen die deutsche Oper ,,Amor" (1898). Ahnlich wie der Fall Humperdincks
liegt der Fall Wilhelm Kienzls (geb. 1857): das erste Werk einer neuen oder neubelebten Gattung, dort das Marchen,
hier die Volksoper, wird ein Treffer, dem der Komponist nichts Ahnliches mehr an die Seite zu setzen vermag ; von
Weltanschauungsdramen (,,Urvasi", 1886, ,,Heilmar der Narr", 1892) kommt Kienzl mit dem ,,Evangelimann" (1895)
auf das ihm eigene Gebiet, das die Synthese von Romantik und Naturalismus bedeutet ; es f olgt eine Tragikomodie
,,Don Quixote * (1898), ein Marchenspiel ,,In Knecht Rupprechts Werkstatt" (1907), die allzu friihzeitig abgespielte
dreiaktige Oper ,,Der Kuhreigen" (191 1) und ,,Das Testament" (1916); Kienzl bearbeitete auch Ad. Jensens nach-
gelassene Oper ,,Turandot". Spohrs Oper: ,,Die Kreuzfahrer" wurde von Franz Beier (1857 — 1914) iiberarbeitet ;
von ihm liegt eine Operette (,,E>er Gaunerkonig", 1890) und die Parodie ,,Der Posaunist von Speikingen" (1888) vcr.
Rudolf Dellinger (1857—1910) beschrankt sich auf die Pflege der Operette, wahrend Bogumil Zepier (geb. 1858)
aufier zahlreichen Operetten auch komische Opern auf den Markt bringt: ,,Der Brautmarkt zu Hira" (1892), ,,Der
Vicomte von Letorieres" (1899), ,,Monsieur Bonaparte" (191 1); auch Siegfried Ochs (geb. 1858) hat eine komische
Oper: ,,Im Namen des Gesetzes" geschrieben (1888). Albert Fuchs (1858—1910) hinterliefi in der Handschrift
eine das Problem der letzten Menschen behandelnde selbstgedichtete Oper. Joseph Krug-Waldsee (1858 — 1915)
schrieb 3 Opern: ,,Der Prokurator von San Juan" (1893, einaktig), ,,Astorre" (18%), ,,Der Rotmantel" (1898). Karl
E. Goepfart (geb. 1859) komponierte eine Reihe von Opern: ,,Wieland der Schmied", ,,Beerenlieschen", ,,Quintin
Matsis", ..Camilla", ,,Sarastro", ,,Der Miiller von Sanssouci" (1907) und ,,Rhodo^is". AuCer mit 2 Opern: ,,Frau
Inge" und ,,Eulenspiegel" trat Hugo Riiter (geb. 1859) mit Musiken zu Sophokleischen Dramen hervor. Mit den
Opern :,,Haschisch" (1907) und ,,DievemarrtePrinzefi"(Bierbaum, 1905) machte sichOskarvonChelius (geb. 1859)
bekannt. Der Komponist tuchtigerKammerrnusikPaulCaro (geb. 1859) hat auch 20pern ,,Hero undLeander" (nach
Grillparzer, 1912) und ,,Die Hochzeit von Ulfosti" (Kalbeck) geschrieben. Heinrich G. Noren (geb. 1861) hat seine
Oper: ,,Der Schleier der Beatrice" noch nicht zur Auffiihrung gebracht. Arthur Konnemann (geb. 1861) trat vor-
ziiglich als Opernkomponist an dieOffentlichkeit: ..Gawrillo" (1 882), ,,Der Bravo" (1886), ,,Vineta" (,,Die versunkene
Stadt", 1895), ,,Der tolle Eberstein" (1898), ,,Die Madonna mit dem Mantel" (1912). Karl Rud. Weinberger (geb.
1861) und Rudolf Raimann (geb 1861) beschranken sich auf die Pflege der Operette. Gustav Lazarus (geb 1861)
schrieb die Opern .,Mandanika" (1899) und ,,Das Nest der Zaunkonige". Karl Pottgiefier (geb. 1861) schrieb eine
Oper ,,Heimkehr" (1903), ein Festspiel ,,Siegfried von Xanten und Kriemhild" (1892) und ein Musiklustspiel ,,Alde-
grevers Erben". Ludwig Thuille (1861—1907), das Haupt der Miinchner Tonschule, hatte mit seinen Opern nicht
den Einflufl, wie mit der Orchester- und Kammermusik und wie mit seiner Lehrtatigkeit; es sind: ,,Theuerdank"
(1897), ,,Lobetanz" (1898, Bierbaum) und ,,Gugeline" (1901 , Bierbaum). Friedrich E. Koch (geb. 1862) wurde durch
Oratorien bekannter als durch seine 3 Opern: ,,Die Halliger", ,,Lea" und ,,Die Hugelmuhle" (1918, nach Gjellerup).
Friedrich Klose (geb. 1862) nennt seine Oper ,,IlsebiU"(,,Der Fischer und seine Frau", 1903) eine dramatische Sym
phonic. Karel Weis (geb. 1862) schrieb aufier einer tschechischen Oper (,,Was ihr wollt", 1892, deutsch: ,,Die Zwil-
linge") drei deutsche: ,,Der polnische Jude" (1901), ,,Die Dorfmusikanten" (1904), ,,Der Sturm auf die Muhle'*
(1914), die Operette ,,Der Reviser" (1907) und das Vaudeville ,,Der Extrazug nach Nizza" (1913). Neben Balletten
Die Oper im 19. Jahrhundert: Deutschland 887
und Operetten pflegt Fritz Baselt (geb. 1863) die komische Oper (..Albrecht Diirer", ,,Leopold von Dessau") und
die Volksoper (,,Kyffhauser"). Paul Felix von Weingartner (geb. 1863) begann mit einer ,,Sakuntala" (1884), der
er die Opern ,,Malawika" (1886) und ,,Genesius"(1892), eine Trilogie ,,0restes" (nach Aischylos: „ Agamemnon",
,,Das Totenopfer", ,,Die Erinnyen") im Jahre 1902 folgen lieB; es schliefien sich an: ,,Fruhling$rnarchenspier (1908),
,,Kain und Abel" (1914), ,,Dame Kobold" (komische Oper mit eigenem Text, 1916), ,,Meister Andrea" und ,,Tero-
kayn" ; aufierdem schrieb er eine Musik zu Goethes ,,Faust" und bearbeitete Webers ,,0beron" und Mehuls .Joseph".
DenVersuch, die allegorische Oper zu beleben, macht Rudolf von Prochazka (geb. 1864) mit dem Tonmarchen
,,Das Gluck" (1898). Adolf Sandberger (geb. 1864) dichtete und komponierte eine Oper ,,Ludwig der Springer",
Robert Fuchs (geb. 1847) ,,Die Konigsbraut" (1889) und ,,Die Teufelsglocken" (1892).
Soviel sich bei der zu grofien Nahe des Problems erkennen lafit, beginnt mit Richard Straufi
(s. S. 1030ff.) ein Kiinstlergeschlecht von deutlich dem romantischen Ideal abgewandter Pra-
gung ; seine ersten Opern liegen an der Jahrhundertwende, und es scheint, als ob das diesrnal
kein Zufall sein sollte: em entscheidendes Merkmal der ars nova des 20. Jahrhunderts, die
Aufgabe der vertikalen Bezogenheiten zugunsten der horizontalen, ist durch ihn vorbereitet
worden ; die Abwendung vom Wagnerschen Opernstil fallt in die Augen, und so bedarf es an
dieser Stelle nur mehr der Nennung der Namen seiner Zeitgenossen und des nicht in seiner
Richtung gehenden Nachwuchses.
Nach einigen hiibschen Versuchen im Musiklustspiel und im Musikdrama wendet sich Eugen d'Albert (geb. 1864)
einem am italienischen verismo entziindeten Stil zu, ohne vergessen zu machen, dafi es eigentlich das Genrehafte sei,
wo er herrscht; seine Opern sind diese: ,,Der Rubin" (1893), ,,Ghismonda" (1895), ,,Gernot" (1897), ,,Die Abreise"
(1898), ,,Kain" (1900), ,,Der Improvisator" (1900), ,,Tiefland4' (1903), ,,Flauto solo" (1905), ,,Tragaldabas" (,,Der ge-
borgte Ehemann", 1907), ,,Izeyi" (1909), ,,Die verschenkte Frau" (1912), ,,Liebesketten" (1912), ,,Die SUavin von
Rhodes" (1912), ,,Die toten Augen" (1916), ,,Der Srier von OKvera" (1918), ,,Revolutionshochzeit" (1919). R. Bruno
Heydrich (geb. 1865) trat mit den Einaktern ,,Amen" (1895) und ,,Zufall" (1914), mit der Oper: ,,Frieden" (1907)
und der Volksoper ,,Das Leierm'adchen" hervor. Johannes Doebber (1866 — 1920) ist Komponist der Opern: ,,Dol-
zetta", ,,Der Schmied von Gretna Green" (1893), ,,Die Rose von Genzano" (1895), ,,Die Grille" (1897), ,,DJe drei
Rosen" (1902), ,,Der Zauberlehrling" (1907), des Tanzmarchens ,,Der verlorene Groschen" (1904) und der Operette
,,Die Millionenbraut" (1913); eine Oper ,,Die Franzosenzeit" (nach Reuter) ist noch nicht aufgefuhrr. Waldemar
von Baufinern (geb. 1866) vollendete Cornelius* ,,Gunlodu und trat mit eigenen Opern hervor: ,,Dichter und Welt"
(1897), ,,Diirer in Venedig" (1901), ,,Herbert und Hilde" (1902), ,,Der Bundschuh" (1904). Im AnschluB an das
Bayreuther Muster, vornehm und ehrlich, ja ethisch bestimmt, doch irgendwie, vielleicht auch durch unzulangliche
Texte gehemmt, schafft Max Schillings (geb. 1868); seine Opern sind: ,,Ingwelde" (1894), ,,Der Pfeifertag" (1899)
,,Moloch" (1906), ,,Mona Lisa" (1915); ferner verdanken wir Jhm eine Musik zur ,,Orestie" des Aischylos und eine
zum ersten Teile des Goetheschen ,,Faust". Georg Jar no (geb. 1868) wurde durch Opern (,,Die schwarze Kaschka"
1895, ,,Der Richter von Zalamea",1899, ,,Der zerbrochene Krug", 1903) und durch Operetten (,,Der Goldfisch"
1907, ,,DieF6rster-ChristeT, 1907, ,,Das Musikantenmader'^^lO^.DieMarineguster*, 1912,,,DasFarmermadchen"
1913) bekannt.
Der ,,letzte Romantiker", wie er sich selbst nennt oder genannt hat, Hans Pf itzner (geb J869)
ist Richard StrauBens naher ZeitgenoB; beide haben sich mit dem Antlitz der gleichen Epoche^
des Jahrhundertendes auseinanderzusetzen ; beide tun es als Musiker, indem sie von dem
grofien Ereignis ihrer Tage, von Wagner ausgehen, und als Menschen.
Ein alter, der alteste Zwiespalt der Operngeschichte tut sich in der Zeit von Wagners starkster
Wirkung noch einmal auf : das Gegeneinander der Musizieroper und des Musikdramas, der
literaturbestimmten und der musikbestimmten Textformung. StrauCens Hinwendung zu
Mozart findet ihre gegensatzliche Entsprechung, wenn Pfitzner sich auf den klassischen Geist
Glucks beruft (,,Vom musikalischen Drama" 1915), auf Gluck, mit dem Mozart wenig aufiere
und innere Beziehungen hatte.
Die friihwagnersche Form des Erlosungsgedankens (Senta) tritt schon in dem auch sonst
(Dietrichs Reisebericht, Monchschore) an das grofie Muster angeschlossenen Erstlingswerk
Die Oper im 1 9. Jahrhundert : Deutschland
,,Der arme Heinrich" (1895) im Gewande Gluckscher Strenge hervor. Die Legende, das
Marchen steht fur den Komponisten der Wahrheit naher als die Historic. Derselbe Dichter,
dem Pfitzner hier folgte, James Grun, legt ihm in der ,,Rose vom Liebesgarten" (1901) einen
Text vor, der unter verhangnisvollem Verzicht auf jede Beriihrung mit irdischen Dingen einer
durch keinerlei tiefere Gegensatze unterbrochenen und deshalb farblos werdenden Symbolik
frohnt. Auch hier ,,erlost" ein von Sinnlichkeit zu reiner Liebe sich entwickelndes Weib
den ihr vertrauenden, aber an ihrem Zweifel sterbenden Mann; doch scheint es, als hatte
diesmal die Legende nicht die Kraft gehabt, den in der iiberhellen und iiberdunkeln Lyrik
der zaubrischen Umgebung der Handlung, in dem ,,Milieu" sich verbeifienden Musiker zu
fesseln. Die Spieloper, die aus der Musik zu Use von Stachs Weihnachtsmarchen heraus-
wuchs, ,,Das Christelflein" (1906), besitzt ein schones Vorspiel und macht als Versuch, mit
kammermusikalischen Mitteln hauszuhalten, das Streben der im Sinne fortschrei tender Poly
phonic verwandten Melodik nach allzu volksmaBigem Ausdruck wieder wett. Und nach den
beiden Marchen noch einmal die mit hohem Vermogen dichterisch vom Musiker selbst ge-
staltete Legende: ,,Palestrina". Unter dem Bilde eines nach Charakter und Schicksal un-
geschichtlichen Palestrina sieht der Kiinstler sich, seine Sendung, sein Sein zwischen zwei
Zeiten, das ihr entgegen ist, sein Wissen um die Musik, seinen Glauben an die Kunst. Das
behandelte Thema ist das auch theoretisch abgehandelte Hauptproblem des Pfitznerschen
Lebens: Kunst und Kiinstler — das hochste der auf dieser Erde moglichen. Eine herb-siifie
Spatreife gibt den legendarischen Teilen die das Musikdrama auf bisher unbetretenes Gebiet
weisende heimliche Kraft einer Intimitat, die in seelische Griinde von zartester Beschaffenheit
zu leuchten vermag. Dem symphonischen Kraftespiel gelingt eine Vereinigung stoffgegebener
Stile, polyphoner und monodischer, zu einem gebundenen Ganzen, das ein spateres Ver
mogen zum Formhoren vielleicht einmal als zwei grofie, durch ein Allegro (Konzilakt) ge-
trennte Adagios erkennen wird. Wollte man die Fiille des Ganzen in einem Bilde zusammen-
fassen, so konnte man den Schlufiakt als die Synthese der in den beiden andern Akten einzeln
vorgelegten Krafte nennen : der Genius — die Welt. Von diesem Punkte aus ist auch Pfitzners
Lehre vom ,,Einfall", als einem unerklarbar Gegebenen, zu begreifen, und der erste Akt
des ,,Palestrina" ist geradezu die Apotheose dieser in der Romantik seit langem vorgebildeten,
endlich auf Plato zuriickzufiihrenden Theorie der Genialitat. An Schauspielmusiken schuf
Pfitzner eine zu Ibsens ,,Fest auf Solhaug" und eine zu Kleists ,,Kathchen von Heilbronn".
Der in der ziinftigen Wagnernachfolge betriebenen Unterhohlung des MytKos setzt mit einer Reihe ehrlicher Ge-
miiter Siegfried Wagner (geb. 1869) seine Verkleinerung zum Marchen entgegen; er ist Schiller von Humperdinck
und veroffentlichte die Opern: ,,Der Barenhauter" (1899), ,,Herzog Wildfang" (1901), ,,Der Kobold" (1904), ,,Bru-
der Luslig" (1905), ,,Sternengebot" (1908), ..Banadietrich" (1910), ,,Schwarzschwanenreich" (1918), ..Sonnenflam-
men" (1918), ,,Der Heidenkonig" (1915), ,,Der Friedensengel" (1915), ,,An allem ist Hutchen schuld" (1916).
Oskar Strauii (geb. 1870), von Wolzogens Oberbrettl bekannt, schreibt neben Operetten (,,Rund um die Liebe4',
1914 u. a.) zum Teile parodistischer Tendenz (,,Die lustigen Nibelungen") Opem: ,,G)lombine" (1904), ,,Das Tal
der Liebe" (1909), ,,Der tapfere Cassian" (1909), eine komische Oper ,,Der schwarze Mann" und Singspiele: ,,Die
himmelblaueZeit"(1914), ,,Eine Ballnacht", ,,Liebeszauber" (1919). August ReuB (geb. 1871) brachte eine Oper
,,Herzog Philipps Brautfahrt" im Jahre 1909 zur Auffiihrung. Siegmund von Hausegger (geb. 1872) trat 1890
mit einer Oper ,,Helfrid" hervor, der 1898 die nach E. T. A. Hoffmann vom Komponisten gedichtete dreiaktige
Oper ,,Zinnober" folgte. Mit Alexander von Zemlinsky (geb. 1872) vollzieht sich der nicht zu iibersehende Ober-
gang in eine andersgeartete Zeit; seine Opernwerke sind: ..Sarema*' (1897), ,,Es war einmal" (1900), ,,Kleider machen
Leute'* (1910). In der kiinstlerischen Gesinnung ein wenig gemafiigter ist Walter Courvoisier (geb. 1875), der ein
lyrisches Drama ,,Lanzelot und Elaine" im Jahre 1917 auffuhrte.
Die Oper im 19. Jahrhundert: Frankreich 889
Literatur
Adler, Guido: Richard Wagner. Vorlesungen, gehalten an der Universitat Wien. Leipzig 1904. 2. Aufl. 1922.
— Blessinger, Karl: C. M. v. Weber; Lortzing und die komische Oper; Hans Pfitzner. Meister der Oper, herausg.
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Frankreich
Glucks Kunst und Kunstgesinnung hatte vorziiglich in Paris Nachfolge gefunden : Sacchini,
Salieri, Vogel, Mehul, Catel, Lesueur, Cherubmi, Spontini schufen, jeder anders geartet zwar,
aber doch noch in semem Sinne. Gegen den Widerstand des Conservatoire, gegen den Wider-
stand auch des jungen Berlioz, aber unter Billigung der Academic Royah dringt mit einemTeil
dieser Meister, vorab aber mit Rossini (,,Le siege de Corinthe", ,,Mo"ise", ,,Le comte Ory") ein
neuer, auf das Materielle gerichteter Geist ein. Rossinis letztes und groBtes Opernwerk ,,Guil-
laume Tell" schien nach der Wertschatzung, die es erfuhr, einen Ausgangspunkt neuer Ent-
wicklungen bedeuten zu sollen. Wenn auch noch nicht von alien Schlacken befreit, wares doch
Zeugnis einer erstaunlichen Kraft, die den beriihmten Buffonisten in unerwarteter Beleuchtung
zeigt. Der ,,Teir des im Jahre 1823 von London in die Leitung der italienischen Oper zu Paris
kommenden italienischen Meisters ist trotz seines Melodienreichtums eine franzosische Oper,
oder er wurde es dadurch, dafi das allgemeine nationale Ideal die von ihm gewiesene Richtung
annahm. Im Jahre vor seinem Erscheinen (1829) war Aubers ,,Muette de Portici", die dauernd
Wagners Bewunderung erregte, iiber die Biihne gegangen. Diese beiden Werke sind Vorlaufer
eines neuen Stiles, den mit Einbeziehung des von Spontini gepflegten soldatischen Prunks
und grober Effekte und mit Beimischung romantisch aussehender Elemente der deutschen
Oper Meyerbeer zu volliger Ausbildung bringt.
Gasparo L. P. Spontini (1774 — 1851) beginnt mit anmutigen, empfindungsvollen, einfach
gehaltenen Werken im Stil der neapolitanischen Schule (,,I puntigli delle donne", 1796, ,,Finta
filosofa" vor 1803 u. a.)- Nach einigen Ubergangswerken („ Julie", 1804, ,,La petite maison",
1 804) andert sich aus der Kenntnis der franzosischen Oper und vornehmlich Glucks sein Stil
zum Dramatischen : innerhalb der iiberlieferten Formen begihnt er, die Gesetze der Deklama-
tion zu beach ten, die musikalische Sprache zu bereichern und wird zum Begriinder und (nach
Wagner) reinsten Vertreter der groBen Oper (,,La vestale", 1807, mit dem grofien Opernpreise
bedacht, ,,Fernand Cortez ', 1809, Gelegenheitsopern zur Feier der Restauration : ,,Pelage ou
le roi et la paix", 1814, ,,Les dieux rivaux" mit Persuis, Berton und Kreutzer 1816, einige neue
Nummern zu Salieris ,,Les Danaides", 1817 und ..Olympic", 1819). Mit der ,,01ympie" fuhrt
sich der franzosisierte Italiener 1820 in Berlin ein, dessen Opernleben er von entscheidender
Stelle aus durch 20 Jahre beeinflufit; den Text hatte E. Th. A. Hoffmann in das Deutsche
iibertragen. Die Pariser Erfolge vermochten die Berliner Arbeiten nicht zu iiberbieten. Es
890 Die Oper *m 19. Jahrhundert: Frankreich
sind: das Festspiel ,,Lalla Rookh" (1821), das zur Oper ,,Nurmahal oder das Rosenfest zu
Kaschmir" umgewandelt wurde, und nach einer durch eine italienische Reise bedingten Pause:
,,Alcidor" (1825) und ,,Agnes von Hohenstaufen" (1829). Die stete Bereitschaft der an das
Drama angeschlossenen Musik Spontinis zur Aufnahme von Bewegung, Feuer, Leidenschaft,
aber auch lyrischer Empfindungen, die Verbindung der Szenen durch Erinnerungsmotive, die
harmonische und instrumental Neuheit des Klanges la'Bt das ihr noch anhaftende verschnor-
kelte Wesen vergessen.
Giacomo Meyerbeer (Jakob Liebmann Beer) war am 5. September 1791 in Berlin als
Sohn eines Bankiers geboren; bestimmend auf seine musikalische Entwicklung war der ver-
schrieene Abt Vogler in Darmstadt, wo er seit 1810MitschiilerWebers und Gansbachers war;
allerdings wurde dessen strengere Richtung schon bald (1812) durch Anregungen, die er auf
Salieris Rat in Italien holte, abgelost. Wahrend einer die Jahre 1824 — 1830 umfassenden Pause
im Schaffen siedelt Meyerbeer (1826) von Berlin nach Paris iiber, wo er ein franzosischer Kom-
ponist wird, wie er in Italien ein italienischer geworden war. Friedrich Wilhelm IV. ernennt ihn
1842 — in dem Jahre, da Wagner nach Dresden kommt — zum Generalmusikdirektor; er
starb am 2. Mai 1864 auf einer Reise in Paris.
Mit Meyerbeer beginnt die goldene Zeit der groCen Oper und der Kassenerfolge. Als Zeit-
dokument betrachtet ist die grofie Oper ein Merkmal der Restauration in Frankreich und als
AulJerung einer Personlichkeit ein Beweis fur die erstaunlichste Fahigkeit zur Ausnutzung der
Zeltumstande ; der Intellekt fur das Bediirfnis der Menge, schon in Rossini vorhanden und sein
Werk farbend, kommt in Meyerbeer zu reinstem Ausdruck. Dazu tntt allerdings ein bedeu-
tendes, in Schule und Leben gebildetes musikalisches Talent, das alle Formen mit spielender
Sicherheit ergreift und sich zueignet. Die Anfange gehen vom deutschen Singspiel aus : noch
in Darmstadt (181 1) entsteht ,,Der Admiral, oder der gewonnene ProzefiT (nicht aufgefuhrt);
in Miinchen kommt Ende 1812 ,JephthasGelubde", in Stuttgart schon Anfang 1813 das Lust-
spiel mitGesang: ,,Wirt und Gast, oder Aus Scherz Ernst**, zuerst ,,Alimelek" genannt, heraus,
das indes weder hier noch in Wien Erfolg brachte. Bei einem ersten kurzen Aufenthalt in Paris
schreibt Meyerbeer zwei nicht zur Auffiihrung gekommene Opern: ,,Le Bachelier de Salaman-
que" und ,,L*Etudiant de Strassbourgh" . Enttauscht wendet er sich (1816) nach Italien, wo
Rossinis Stern im Aufgehen war (,,Tancred", 1813). Im Neuen Theater zu Padua erscheint
1817 als erstes italienisches Werk das Intrigenstiick ,,Romilda e Costanza" nach Gaetano
Rossi, 2 Jahre spater die {Composition von Metastasios alter ,,Semiramide riconosciuta" und
•
das melodrama eroico ,,Emma di Resburgo" (als ,,Emma von Roxburgh" mehrfach, auch in
Berlin aufgefuhrt). Den Abschlufi der italienischen Zeit und ihres Stiles, der Mayrsche und
Rossinische Elemente mischt, aber dramatisch ganz selbstandig ist, bilden zwei Werke des
Dichters Felice Romani: ,,Margherita d'Angiu" (1820 in der Mailander Scala) und ,,L'Esule
di Granata" (ebendort 1822), sowie Rossis Kreuzritteroper ,,11 Crociato in Egitto" (1824 Gran
Teatro di Fenice in Venedig, dann in rascher Verbreitung in Miinchen, Paris und London;
eine Anfrage von Berlin bescheidet der Komponist ablehnend). Mit diesem Werk hatte Meyer
beer das Niveau der italienischen Oper iiberboten. Er sucht nun, da er sich innerlich der
deutschen Romantik entfremdet hat, den Anschlufi an die schon einmal umworbene franzo-
sische Kunst, ohne, als Zeitgenosse, das zu sehen, was uns Riickschauenden zu erkennen mog-
lich ist: ihren Zustand des Absinkens. Noch einmal vollzieht sich in Meyerbeer die Ver-
DieOper im 1 9. JahrKundert : Frankreick
891
schmelzung des das Gesangliche auf Kosten der dramatischen Idee in den Vordergrund stellen-
den italienischen Stiles (doch ohne die ,,auCergesetzliche" slidliche Melodik) mit dem in alten
Ballettiiberlieferungen verwurzelten pomphaften Aufwand an Massenszenen und Choren der
franzosischen Oper. Nicht zu verkennen ist aber, daB Meyerbeer auch der wirklichen drama
tischen Erhebung fahig war, allerdings nicht innerhalb der freien rezitativischen Formen, wo
wir sie mit Wagner suchen, sondern in den geschlossenen. Doch iiberwiegt die aus de/Re-
staurationszeit nachwirkende Lust an der Aufierlichkeit. In A. E. Scribe findet er einen L5-
brettisten, der die in einem elementaren Sinne wirksamen Bucher schreibt, die der Komponist
nun braucht: Biicher, die sich mit dem im Rokoko und in der Revolution untergrabenen Ethos,
das auf den Hohepunkten der Oper bisher immer gefordert worden war, nicht beschweren.'
Mit den vier noch heute gelegentlich im Spielplan erscheinenden, mit Meyerbeers Narnen un-
losiich verknupften Pariser Werken hort die Musik voilig auf, Bestandteil des Dramas zu sein:
sie wird rein dekorativ, allerdings — und das wird fur seine Nachfolge betrachtlich — unter
zielbewufiter Ausbildung eines grofien Apparats und seiner Ausnutzung. Diese Werke sind*
der mit pseudoromantischen Elementen durchsetzte ,,Robert-leJDiable" vom Jahre 1831 , ,,Les
Huguenots" vom Jahre 1836, deren iibermaBig grofier Erfolg die Berufung nach Berlin ver-
anlafite, ,,Le Proph^te" von 1848 (erste Aufftihrung in Paris 1849) und ..L'Africaine", schon
1838 in Angriff genommen, 1842 vollendet, dann umgearbeitet (1860) und unter dem Titel
,,Vasco de Gama" nach des Komponisten Tode (in Paris April, in Berlin November 1865)
aufgefiihrt. Eine Oper Judith" (Text ebenfalls von Scribe) blieb unvollendet. Fur Berlin
schrieb er die mit Jenny Lind als Vielka 1845 aufgefiihrte Oper ,,Das Feldlager in Schlesien",
aus der 6 Nummern in das 1854 an der Opera comique erscheinende Werk ,,L'Etoile du Nord"
ubergingen. Die komische Oper ,,Dinorah" (als ,,Le Pardon de Ploermel" Paris und London
1859) zeigt ein merkliches Nachlassen der musikalischen Krafte, ist aber ein Werk, das mensch-
lich interessiert. Im Jahre 1840 schrieb er eine Musik zu seines Binders Michael Trauerspiel
,,Struensee". — Neben heftigster Anfeindung (durch Schumann und Wagner vorab) hat
Meyerbeer einen mit tiichtigem asthetischen Verstehen und leidenschaftlichem Vortrag aus-
geriisteten Lobredner in Wolfg. Rob. Griepenkerl gefunden (vgl. Zeitschr. f. Musikwissen-
schaft II [1920], S. 361), der in seinen Werken den Ton ,,dieses eisemen Jahrhunderts" er-
kennt. Ob die Umschreibung von Elsas Charakter durch die hohen Holzblaser in Wagners
„ Lohengrin" geradezu auf das Beispiel der Alice in ,,Robert" zuriickgehe, wird ebenso schwer
zu erweisen sein, wie andererseits die Abhangigkeit der musikalischen Ausdeutung des bosen
Prinzips in Bertram von Webers Caspar: die Auspragung solcher Gegensatze verlangt von sich
aus die Anwendung derartiger Mittel, sofern nicht, wie im 3. Akt der ,,Hugenotten" zur Kon-
trastierung zweier Themen, als dem urspriinglich musikalischen Verfahren, gegriffen wird.
(Hier ware auf Gounods ,,Romeo", auf Bizets ,, Carmen" zu verweisen,)
Das Jahr der ,,Hugenotten" (1836) zeigte so recht Meyerbeers einzigartige Stellung: Weber
war tot, Cherubini alt, Spontini und Rossini schrieben nicht mehr, Wagner, Verdi und Gounod
waren noch unbekannt, Marschners Ruhm drang nicht iiber die deutsche Grenze, Berlioz, in
der ,,Gazette musicale" theoretisierend, war mit Opern noch nicht hervorgetreten, Auber und
Donizetti kamen als Nebenbuhler noch nicht in Betracht. Allerdings wuchs in einem Halb-
deutschen — sein Vater war aus Fiirth gebiirtig — ein Rivale heran. Jacques Fromental Ha-
1 evy (geb. am 27. Mai 1799 in Paris, gestorben am 17. Marz 1862 zu Nizza) war, ahnlich wie
57 H.d.M.
Die Oper im 19. JahrKundert : Frankreich
Meyerbeer, aus gediegener Schule (Cherubini) hervorgehend, Kosmopolit geworden, ehe er
mit dramatischen Werken hervortrat, von denen die gut gearbeitete und stellenweise auch
stark inspirierte groGe Oper ,,La Juive" (1835) sich bis heute gehalten hat; das Buch von Scribe
gibt Gelegenheit zur Entfaltung von Pomp, Running, dramatischen Gesten und Pathos und
kommt der bedeutenden Eigenart des Komponisten, der tibrigens kurze Zeit nach diesem Er-;
folge ein ganzlich anders geartetes Werk, die elegante komische Oper ,,L'Eclair" heraus-
brachte, weit entgegen. Aufier einigen friihen, nicht zur Auffiihrung gelangten Versuchen:
,,Les Bohemiennes", ,,Pygmalion", ,,Les deux Pavilions" wurden folgende Werke von ihm
bekannt: ,,L'Artisan", ein komischer Einakter (1827, Theatre Feydeau), ,,Le Roi et le Batelier"
(1828), ,,Clari" (1829, Theatre italien), ,,Le dilettante d'Avignon" (1829, Opera comique),
,,Attendre et courir" (1830), das Ballett ,,Manon Lescaut" (Grand Opera); ,,Yelva" blieb
wegen Bankrotts der Komischen Oper unvollendet liegen; es folgen: ,,La langue musicale"
(1831), die Ballettoper ,,La tentation" (1832), ,,Les souvenirs de Lafleur" (1834) und die Aus-
arbeitung von Herolds hinterlassener komischer Oper ,,Ludovic ' (1834); nach dem Jahre 1835,
das die ,Judin" und den ,,Blitz" gebracht hatte, gerat sein Opernschaffen in den Schatten
Meyerbeers; mit Ausnahme der ,,Reine de Chypre" (1841) hatte kein Werk den der ,,Jiidin"
beschiedenen Erfolg, weder die Stucke fur die GroBe Oper (,,Guido et Ginevra", 1838, ,,Le
sheriff", 1839, ,,Ledrapier", 1840, ,,Charles VI", 1843, ,,Lelazzarone", 1844, ,,Le juif errant",
1852, ,,La magicienne", 1857) noch die fur die Komische Oper (,,Les treize", 1839, ,,Le gui-
tarero", 1841, ,,Les mousquetaires de laReine", 1846, ,,Le vald'Andorre", 1848, ,,La fee aux
roses", 1849, ,,Ladame de pique", 1850, ,,Le Nabob", 1853, ,,Valentine d'Aubigny", 1856), noch
auch die fur andere Gelegenheit geschriebenen Werke (,,Les premiers pas", 1847 mit Adam,
Auber und Carafa, ,,Latempesta", 1850 fur London, ,,Jaguarita", 1855, ,,L'inconsolable" , 1850
unter dem Namen Alberti); im Nachlafi fanden sich zwei unvollendete grofie Opern: ,,Vanina
d'Ornano", von Bizet beendet, und ,,Noe" oder ,,Le deluge".
Weder Donizettis 1841 in der Grofien Oper gegebene ,,La Favorite", noch Verdis .Jeru
salem" (1847, eine Bearbeitung von ,,I Lombardi") oder ,,Les Vepres Siciliennes" (1856) ver-
mogen Meyerbeers herrschende Stellung innerhalb der ernsten Oper wahrend der 30 Jahre
von 1831—1861 zu erschiittern.
Die Opera comique, deren in Verbindung mit Halevys Namen Erwahnung geschah, ist in
der alteren Zeit nicht mehr, als eine ,,comedie a ariettes". Allmahlich erweitert sie ihren
durch Rousseau festgelegten Rahmen und nahert sich dem Stil der groCen Oper, von der sie
nur das Vorhandensein des gesprochenen Dialogs noch unterscheidet. Die ,,Manon" des
Massenet verkiirzt ihn auf das zulassige Mafi und begleitet ihn orchestral nach Art eines
Melodrams. Bizets ,,Carmen" bekam die Rezitative erst in Italien. Bruneau bereitet mit ,,Le
Reve" den Weg fur Charpentiers ,,Louise". In Saint-Saens findet die Dialogoper einen
Lobredner.
Niccolo Isouard (1775—1818) kam 1799 nach Paris, wo er mit der Oper ,,Michel Ange"
(1802), mit ,,Cendrillon" und ,,Le billet de loterie" (beide 1810) grofie Erfolge hatte; als seine
besten Werke gelten: ,Jeannot et Colin" und ,,Coureurs d'aventures" oder,,Joconde". Obwohl
zwischen ihm und Gretry die Revolution liegt, ist eine Weiterbildung der Gretryschen
Grundlinien nicht zuverkennen. Ubrigens hatte Isouard sowohl im Anfange wie auf der Hohe
seiner Entwicklung unter dem starkeren Boieldieu zu leiden gehabt.
Die Oper im 19. jahrhundert: Frankrelch 893
Francois Adrian Boieldieu war 1775 in Rouen geboren, kam 1795 nach Paris; hier blieb
er mit Ausnahme der Jahre 1803 — 1810, die er in Petersburg verbrachte, bis zu seinem
1834 eintretenden Tode.
Nachdem der Achtzehnjahrige eine von seinem Vater gedichtete Oper ,,La fille coupable"
in Rouen aufgefahrt hatte, trat er 1795 mit einem zweiten Werke: ,,Rosalie et Myrza" hervor,
dessen Erfolg ihn ermutigte, in Paris sein Gliick zu versuchen. Hier bringt die Opera comique
1796 den Einakter ,,Les deux lettres", 1797 ,,La famille suisse" und, nach einigen weniger ge-
lungenen Werken, mit grofiem Erfolg 1798 ,,Zoraime et Zulnare" heraus; auch ,,Le Calif e de
Bagdad" (1800) envies sich als gliicklicher Wurf. Von den in Petersburg geschriebenen Opern
und Vaudevilles hat sich nichts dauernd zu halten vermocht ; dagegen feierte der leicht arbeitende
Meister mit dem ersten Werk nach seinem Peters bur gerAusf lug einen Triumph : mit,, Jean de
Paris" (1812), der nur noch durch den Erfolg von ,,Le petit chaperon rouge'* (1818) und von
,,La Dame blanche" (1825, die vom Komponisten skizzierte Ouvertiire wurde von Ad. Adam
ausgearbeitet) iiberboten wurde; die zahlreichen anderen Arbeiten treten gegen diese drei
Stiicke erheblich zuriick. Das nationalistische Element der politischen Verkleidungskomodie
verhinderte Schumann nicht, ,,Johann von Paris" neben Rossinis ,,Barbier" und neben Mo-
zarts ,,Figaro" zu stellen. Die ,,Wei6e Dame", musikalisch dem 13 Jahre friiher hegenden
,Johann" ebenbiirtig, verlangt eine Leichtigkeit in der Auslegung, die unseren Lustspielauf-
fuhrungen neue Anregungen geben konnten, die ihre Verwurzelung im Schauspiel vergessen
machen wiirden; die Durchsichtigkeit des musikalischen Stils ist ein Ergebnis natiirlicher,
durch kein tieferes Wissen abgelenkter Begabung fur graziose Melodik, einfache, doch sinn-
volle Harmonik, und eines f einen Ohrs far reizende Instrumental wirkungen. Seine Ouvertiire
ist noch in der Sonatenform gehalten; aber unter seinen Nachfolgern zerfallt sie mehr und
mehr, und reiht schliefilich nur die ausgepragtesten Stiicke der Oper potpourriartig und ohne
inneren Sinn aneinanden Der hier sich zeigende AuflosungsprozeB ergreift auch die ganze
Gattung, und Auber bedeutet nicht ihren qualitativen, sondern nur den quantitativen Hohe-
punkt.
Daniel Francois Esprit Auber war 1782 zu Caen in der Normandie geboren, wurde nach
einigen selbstandigen Versuchen Schiiler Chembinis, warf Jahr far Jahr ein Werk auf den
Markt und starb 1871 wahrend des Kommuneaufstandes in Paris.
Auber, dessen Texte meist von dem ihm befreundeten Scribe stammen, tritt zuerst (181 1)
mit der Oper „ Julie", im nachsten Jahre mit ,Jean de Couvin" hervor; in Cherubinis Schule
entwickelte sich sein Talent schnell, und er fand nach einigen weiteren Versuchen (,,Le sejour
militaire", 1813, ,,Le testament" oder,,Les billets doux", 1819) mit,,La bergere chatelaine**,
1820 den Beifall der Kritik. Ober ,,Emma * (,,La promesse imprudente", 1821), iiber ,,Lei-
cester" (1822), ,,La neige" (,,Le nouvel Eginhard", 1823, an Rossini angelehnt), iiber ,,Ven-
dome en Espagne" (1823, mit Herold), ,,Les trois genres" (1824, mit Boieldieu), ,,Le concert
a la cour" (1824), ,,Leocadie" (1824) fiihrt der Weg zu ,,Le ma?on" (1825), einem Werk, in
dem sich die Vorziige des Komponisten gesammelt zeigen: die Leichtigkeit der Melodie-
gebung, ihr immer fesselnder Verlauf ; formell setzte noch Auber Gretrysche Uberlieferung
fort, aber es ist alles, namentlich in Ensemble- und Finalsatzen, reicher geworden; neben der
Pflege nationaler Elemente: des Couplet, der Chanson und der Contredanse ist ein innerer
Einflufi italienischer, speziell Rossinischer Gesinnung zu bemerken. Nach zwei geringeren
57*
894 ^ie Oper im 19. Jahrhundert: Frankreich
Werken (,,Le timide" und ^Fiorella", beide 1826) folgt die erste grofie Oper, die mit Rossinis
im Jahre darauf erscheinendem ,,Tell" den Weg fiir Meyerbeer frei machte, 1828 ,,Lamuette
de Portia", erne Uberraschung hmsichtlich der Anlageunddes mitreifienden Schwungs der mu-
sikalischen Sprache. Nach einem m das Biirgerliche zuriickkehrenden Seitenstiick zu ,,Maurer
und Schlosser", nach ,,La fiancee" (1829) erscheint das volkstiimlichste Werk des Meisters,
der elegante ,,Fra Diavolo" im Jahre 1830. Auch der Erfolg der stummen Hauptperson soil
an dem Stoff des Gottes und der Bajadere noch einmal beschv/oren werden, aber die bisherigen
Hohepunkte erweisen sich selbst dem relativ besten Werk ,,CarIo Broschi" (,,Des Teufels An-
teil", 1843) unzuganglich.
Louis Joseph Ferdinand Herold (1791 — 1833), Enkelschiiler Ph. E. Bachs, von Boieldieu
schon friih zur Mitarbeit an einer Oper herangezogen, ist nach anfanglichen Erfolgen (,,La
gioventudi Enrico Quint o", 1815 und ,,Les rosieres", 1816) an semen Textdichtern gescheitert,
bis er in der komischen Oper ,,Marie" (1826) die Vorstufe zu seinen beiden grofien Wirkungen
betrat, nachdem er sich vom Einflusse Rossinis befreit hatte. Den Deutschen erscheint ,,Zam-
pa" (1831), den Franzosen die im Jahre 1832 zuerst gegebene komische Oper ,,Le pre aux
clercs" CJDie Schreiberwiese") als das vorziiglichste unter seinen annahernd 30 Biihnenwerken,
die trotz guter technischer Arbeit einer in trefflichen Uberlieferungen aufgewachsenen Be-
gabung den Verfall der Gattung nicht aufzuhalten vermogen.
Adolphe Charles Adam (1803 — 1856) verflacht den von Auber eingeleiteten Salonstil vollig
in das Banale: viele seiner ,,Komischen Opern" waren besser der Operette zuzuzahlen. Mag
er auch durcK Boieldieu, seinen Lehrer, der ,,0pera comique**,-der er auf kurze Zeit (1846
bis 1 848) ein eigenes Unternehmen entgegensetzte, angehoren, ihrem Geist hatte er sich doch
stark entfremdet; die Neubearbeitung von Gretrys ,,Richard coeur de lion** (1841) mit ihrer
Neigung zu brutalen, aus der grofien Oper abgeleiteten Instrumentaleffekten beweist es. Als
13. Biihnenwerk unter unzahligen gelingt ihm 1836 der Schlager (so darf man es bewerten)
,,Le postilion de Lonjumeau** ; ein Jahr zuvor hatte die ,,0pera comique" noch eine prachtige
Probe ihres eigentlichen Stils in Halevys ,,L'eclair" gesehen.
Fiir die ,,0pera comique*' hatte Donizetti 1840 ,,La fille du regiment" geschrieben, ohne
zunachst einen der spateren Verbreitung des gefalligen, aber seichten Werks entsprechenden
Erfolg zu erzielen. Ahnlich wie bei dem 1843 im ,,Theatre italien" herausgekommenen ,,Don
Pasquale" hangt auch hier von der Auslegung der Titelrolle ailes ab: Jenny Linds kiinstlerische
Personlichkeit wurde Nothelfer und Muster.
Mit dem Jahre 1848 hatten sich die Bedingungen fur die Produktion auf dem Gebiete der
komischen Oper griindlich geandert: zwar bleibt das Institut bestehen, aber der Gegensatz
zwischen der komischen und der grofien Oper verwischt sich: etwas Neues ist im Werden.
Die alte Richtung verflacht, und der Halevyschijler Louis (Aime) Maillart (1817—1871)
setzt in seinem ,,Les dragons de Villars" (1856, als ,,Das Glockchen des Eremiten" in Deutsch-
land bekannt) nur die Linie Auber-Adam fort. Ahnlich geartet war Victor (eigentlich
FelixMarie)Mass e(l 822— 1884); seine ,,Galathee" (1852), ,,Noces dejeannette" (1853) halten
sich mit andern Stlicken in dem fur die ,,0pera comique" typischen Stil, den er in andern
Werken, wie ,,Paul et Virginie** (1876) und ,,Une nuit de Cleopatre" (Nachlafi) zu iiberwinden
strebt. Die Namen Antoine Louis Clapisson (1808 — 1866), Hippolyte Monpou (1804 bis
1841), Albert Grisar (1808—1869) und Francois E. J. Bazin (1816—1878) seien hier wenig-
Die Oper irn 19. Jahrnundert: Frankreich 895
stens erwahnt. Mit seinem ,,L'etoile du Nord" (1854) und mit seiner .JDinorah" (1859) hatte
Meyerbeer den Weg aus dem Einerlei gezeigt; Gounods 1859 im Theatre lyrique aufgefiihrte
,,Marguerite" (,,Faust") bringt starke stoffliche Anregungen aus Deutschland, zeigt aber auch
im Musikalischen aussichtsreiche Perspektiven, die dem Blick das Gebiet des Lyrischen frei-
geben.
Das Lyrische mit starkerem Einschlag von Riihrseligkeit kommt einem zweiten deut-
schen Stoffkreise zu, als Charles Louis Ambroise Thomas (1811 — 1896) im Jahre 1866 seine
,,Mignon" an der Opera comique herausbringt, nachdem erdas Institut seit 1837 mit 13 Werken.
darunter dem seine Stellung festigenden ,,Le ca'id" (1849), einem amiisanten italienisierenden
Pasticcio, bedacht hatte; mit melodramatischen Behandlungen — und sie sind das Einfalls-
tor romantischer Elemente — macht Thomas den Versuch, in Mignons weltschmerzliche
Seele einzudringen ; Meister tritt zugunsten Philines, die schon in der Ouvertiire durch
den Polonasenrhythmus charakterisiert wird, stark zuriick. Der Wechsel des Ideals, der
sich mit aller Deutlichkeit in Gounod und Thomas offenbart, bedingt auch einen (sich all-
mahlich durchsetzenden) Wechsel der Formen : eines der Hauptmerkmale der ,,0pera comi
que" wird verdrangt: der gesprochene Dialog. Saint-Saens behalt ihn aus theoretischen
Uberlegungen in seiner 1893 erschienenen ,,Phryne" bei. Auch Andre Ch. P. Messager
(geb. 1853), dessen erste Werke auf kleineren Biihnen erschienen waren, greift in ,,LaBasoche"
(1890) auf das alte Mittel zuriick.
Wie sehr die Entwicklung in die Breite gegangen war, ist an der Griindung unzahliger
Theater zu erkennen, die einseitig die Buffoelemente der ,,0pera comique4* und ihre choreo-
graphischen Bestandteile pflegen. Der Esprit war in ein anderes Gebiet iibergetreten : in das
der Qperette.
Der stofflichen Einwirkung Goethes war eine seelische vorausgegangen, deren Starke einen
kiihnen, leidenschaftlich nach Deutschland, auch auf die deutsche Musik gerichteten Geist im
Sinne des ,,Sturms und Drangs" traf und zur Auflehnung wider die gerade in Frankreich un-
erschutterlich erscheinende formale Tradition aufrief. Diesem starken aufiernationalen tritt
in Hector Berlioz (1803 — 1869) ein ebenso starker nationaler EinfluB gegeniiber, der das
Formenideal durch das Klangideal ersetzt : es ist die Fahigkeit des Franzosen, die Dinge zu-
nachst durch das Auge aufzunehmen, die das die franzosische Kunst von je auszeichnende
Deskriptive, eine Art von visueller Musik, hervorruft. Der Wunsch, die Mannigfaltigkeit
der Welt in der Musik widerzuspiegeln, fiihrte zu einer bedeutenden Steigerung der Aus-
drucksmittel, die unter Berlioz' Handen gern der Schilderung abseitiger Seelenzustande dienen.
Vollige Freiheit im Gebrauch dieser romantischen Elemente besitzt ja nur der Instrumental-
komponist, und der Mangel an Deckung zwischen dem Gekonnten und dem Gewollten ist
es, was seinen Opern verhangnisvoll wurde. Es sind ,,Benvenuto Cellini" (1838), ,,Beatrice
und Benedikt" (Baden-Baden 1862 franzosisch, Weimar 1863 deutsch) und ,,Die Trojaner"
(I. ,,DJe Einnahme von Troja", Karlsruhe 1890; II. ,,Die Trojaner in Karthago", Paris,
Theatre lyrique 1863). Beachtenswert ist auch hier die Rolle der absoluten Musik: im Sinne
komischer Wirkung die Auftritte der Musikanten in dem Lustspiel; im Sinne der Verlegung
des Gewichts von der Biihne in das Orchester der zweite Aufzug der ,,Trojaner in Karthago",
der, szenisch ein Gartenfest, ganz durch eine ,,Symphonie descriptive avec choeurs" ausgefullt
wird. Das Beste auch der Cellinipartitur ist ein Stuck schildernder Musik: das romische
Die Oper im 19. jahrhundert: Frankreich
Maskenfest am Schlufi des 2. Aktes. Von einer in den ,,Trojanern in Karthago" angestrebten
Einfachheit Gluckscher Artlafit sich der Komponist im zweitenTeil auf die Bahn Bellinis und
der gro6en Oper abdrangen. — Eine in ahnlichem, vielleicht auch tieferem Sinne romantisch zu
nennende Erscheinung war Felicien Cesar David (1810—1876), der als neuen Bestandteil die
auf seiner Flucht in den Orient erworbene Farbung des Exotischen mitbringt. Seine Opern
sind: ,,La perle duBresil" (Theatre lyrique 1857), ,,Herculanum" (Grand opera 1859), ,,Lalla-
Roukh" (1861), ,,Le saphir" (1865); ,,La captive" wurde vom Komponisten zuruckgezogen.
Dafi Gounod in Paris mit militarischen Ehren zu Grabe getragen wurde, mufi wunderlich
beriihren; Gebet und leiser Gesang von Jungfrauen sollte seine Gruft umschweben, denn nie-
mand hat fiir sie gesungen, wenn nicht er.
Charles Francois Gounod war am 17. Juni 1818 zu Paris geboren, studierte unterHalevy,
Paer und Lesueur; als Rompreistrager befafite er sich in Italian mit der kirchlichen Kunst
der <z~cappe//<z~Zeit; auch lemte er hier deutsche Musik kennen. Auf der Ruckreise nach Paris
hielt er sich in Wien, Leipzig (bei Mendelssohn) und in Berlin auf. Durch seine Verheiratung
(1853) der kummerlichen Verhaltnisse eines Organisten am Seminar der Missions etrangeres
enthoben, begibt sich Gounod wahrend des Deutsch-Franzosischen Krieges nach England,
kehrt aber 1874 nach Paris zuriick; in St. Cloud stirbt er am 18. Oktober 1893.
Die eigentiimliche Mischung von kirchlich-mystischer Schwarmerei und weltmannisch-
liebenswiirdiger Haltung, die dem Menschen nachgesagt wird, macht auch das Wesen des
Musikers Gounod aus, wenn man dem ersten Bestandteil jeden Schimmer von tragischer Ver-
tiefung nimmt. Wenn es wahr ist, dafi er der Dichtung des ,,Faust" von Jugend auf ein warmes
Interesse entgegengebracht, also doch durch mindestens 20 Jahre sich mit ihr befafit habe, so
mufi man dariiber erstaunen, dafi er die Ungeeignetheit seiner musikalischen Sprache diesem
Werk gegeniiber nicht erkannt, mindestens aber die Dichter (Barbier und Carree), mit denen
er seit 1855 in Verbindung stand, nicht iiber eine kindliche Liebesgeschichte hinausgedrangt
hat. Allerdings ist die Hingabe des Musikers an den Stoff, wie er ihn nun einmal bekam,
uberall zu spiiren. Die formelle Vollendung, in der Kirchliches, Sentimentalisches und Volks-
mafiiges dargeboten wird, die Warme der freistromenden musikalischen, sonderlich im Ly-
rischen die rechten Tone findenden Sprache kommt dem deutschen Gefiihl weit entgegen,
und so ist es erklarlich, dafi sich der Erfolg des zuerst (1859) im Theatre lyrique gegebenen
Stiickes durch die Auffuhrung in Darmstadt (1861) feststellte; von der GroCen Oper aus
verbreitete sich das Stuck seit 1869 durch die Welt. In der von den Franzosen hochgeschatzten
Oper von 1867, ,,Romeo et Juliette" (Theatre lyrique), fand der Komponist einen seiner Eigen-
art entsprechenden Stoff: mit reichlicherer Verwendung von Vorhaltsdissonanzen nahert er
sich dem Wagnerschen Stile; auch riickt der musikalische Schwerpunkt von der Biihne in das
Orchester. Die Titel seiner iibrigen Biihnenwerke sind: ,,Sappho" (1851, iiberarbeitet 1884),
,,La nonne sanglante" (1854), ,,Le medecin malgre lui*4 (1858 Opera comique, 1910 in der
Komischen Oper in Berlin), ,,Philemon et Baucis*' (1860 Grand opera), ,,La reine de Saba"
(1862 Grand opera, in London als ,f Irene"), ,,Mireille" (1864 Theatre lyrique, 1908 wieder
aufgenommen), ,,La colombe" (Opera comique 1866, vorher in" Baden-Baden, in London als
,,Pet dove"), ,,Cinq-Mars" (1877 Opera comique), ,,Polyeucte" (1878 Grand opera), ,,Le tri-
but de Zamora" (1881); aufierdem schrieb Gounod Chore (altertumelnden Stiles) zu Ponsards
,,Ulysse" und Biihnenmusiken zu Legouves ,,Les deux reines" und zu Barbiers .Jeanne
Die Oper im 19. Jahrhundert: Frankreich 897
d'Arc". Aus einer unvollendeten Oper ,,Ivan le terrible" sind Kosakenchore in den ,,Faust4'
iibergegangen. In dem Jahre, da Gounod mit ,,Sappho" als keineswegs revolutionierender
Dramatiker zuerst hervortrat, hatte Verdi mit dem ,,RigoIetto" eine hohere Anschauung des
Dramatischen in Italien aufgestellt, ein Jahr zuvor wurde Wagners „ Lohengrin" in Weimar
gegeben: neue Ideen waren also vorhanden. Erst mit dem ,,Faust" spricht Gounod in einer
seinen Landsleuten neuen Sprache, in ihrer feinnervigen Art weit von der gewandten, aber
platten Ausdrucksweise Aubers und Adams entfernt.
20 Jahre nach seinem ersten Aufenthalt in Paris kam Richard Wagner wieder dorthin, um
(Febniar 1860) im Theatre des It aliens Proben seines Schaffens zu geben. Das Programm
der konzertmaBigen Auffuhrung enthielt das Vorspiel zum ,,Fliegenden Hollander", Teile aus
,,Tannhauser" und „ Lohengrin", sowie das Tristan vorspiel. Ganz wie in seiner Heimat hatte
Wagner auch kier Berge von MiBverstandnissen zu iiberwinden : Berlioz, Jndem er das Lohen-
grinvorspiel in den Himmel erhebt, weiB mit dem zum ,,Tristan" (es vertntt allerdings eine
stilistisch entgegengesetzte Welt) nichts anzufangen. Im nachsten Jahre kam die denkwiirdige
Auffuhrung des ,,Tannhauser" in der Grand opera; wenn Wagner trotz des schweren MiB-
erfolgs dem Pariser Publikum ,,ein wirklich groBherziges Gerechtigkeitsgefiihl" nachriihmt,
so denkt er wohl des Kreises hochgesinnter Manner und Frauen, der ihn verstand, aber doch
auch der vorhandenen, aber namenlosen Menge, in deren Herzen er die dunkel gefiihlte Be-
gier nach einem neuen Kunstideal entf acht hatte : die Verzogerung der Wagnerbewegung hatte
ihre innere Kraft und Spannung zweifellos erhoht. Zwar hatte Pasdeloup sich verrechnet,
als er 1869 im Theatre lyrique im Vertrauen auf seine Eigenschaft als groBe Oper den ,,Rienzi"
herausbrachte ; aber mit der Trauermusik aus der ,,Gotterdammerung", die er am SchluB
eines Konzerts, also vor freiwilligen Horern, wiederholte, konnte der Dirigent in den durch
den Krieg natiirlich verfestigten Widerstand Bresche schlagen; Lamoureux und Colonne folg-
ten ihm. Nicht zufrieden mit der Auffuhrung von Teilen Wagnerscher Musikdramen, versucht
Lamoureux, den „ Lohengrin" auf die Biihne des Edentheaters zu bringen ; was den ,,Gaulois4t
zu einer Rundfrage bei den angesehensten franzosischen Komponisten veranlafit, in deren
Antworten bei alien Vorbehalten vornehmlich patriotischer Art die Verwunderung dariiber
widerklingt, dafi Paris als einzige europaische Hauptstadt das Werk des Deutschen nicht kenne.
Der Erfolg der Auffuhrung, der zum guten Teil auch auf dem Stofflichen beruhte, machte die
Bahn frei fur ,,Die Walkure", ,,Die Meistersinger", ,,Tannhauser", ,,Siegfried". Der ,,Flie-
gende Hollander" erscheint in der Grand opera. Kurz vor seinem Tode (1899) leitet Lamou
reux ,,Tristan und Isolde".
Die Verschmelzung der Opera comique mit der von ihrem Kothurn herabsteigenden Grand
opera hatte zum Drama lyrique gefiihrt; ein anderer Absenker zeitigte die Operette. Zwar
hat Offenbach seine Singspiele mit diesem Namen, der in der franzosischen (Favart, Sedaine,
Marmontel), auch in der deutschen (WeiBe, Meifiner, Engel — auch Mozarts ,,Zaide" ist eine
Operette) Literatur eine kleine Oper meint, nicht belegt; er wahlte vielmehr fiir die seine mu-
sikgeschichtliche Stellung kennzeichnenden Werke die Bezeichnung Opera bouffe. Voraus-
gegangen war ihm mit sarkastischen, burlesken und frivolen Diminutivopern Florimond Ron-
ger, genannt Herve (1825—1892), von denen A. Pougin den treffenden Ausdruck ,,musi-
quette" gebraucht. Jacques Offenbach (1819—1880) war, als er 1855 in der Salle Lacaze
die ,,Bouffes parisiens" eroffnete, in ahnlicher Lage wie die ersten deutschen Singspielkom-
898 Die Oper im 19. Jahrhundert: Frankreich
ponisten : wie diese fur singende Schauspieler schreiben mufiten, so war er durch polizeiliche
Vorschriften an ein Personal von 3 — 4 Personen gebunden; mit ihnen fiihrte er in seinem
kleinen Theater und spater im Theatre Comte jene melodiosen Einakter auf, die als Auslaufer
der Opera comique noch einmal ihre Grazie, ihren Witz und melodische und rhythmische
Pikanterie zusammenfafiten. Wenn er der einaktigen Form auch treu bleibt, so verdankt er
seinen Weltruf doch den grofieren Werken, deren satirische und galgenhumoristische Tendenz
den Parisern des auf Pulverfasser gegriindeten zweiten Kaiserreichs so amusant erschien:
,,Orphee aux Enters" (1858), ,,La belle Helene" (1864), ,,Barbe-Bleue" (1866), ,,La vie pa-
risienne" (1866), *La Grand-duchesse de Gerolstein" (1867), ,,Madame Favart" (1879). Nach
kritikloser Selbstverschwendung findet das eigenartige Talent noch einmal zu sich: an der
Schwelle der Opera lyrique steht sein Schwanengesang ,,Les contes d 'Hoffmann" (nach seinem
Tode in Paris 1881 aufgefahrt), ein Werk, aus dem Theater und for das Theater geboren, von
einer nicht leicht zu iiberschatzenden Lebhaftigkeit der Anschauung. Sehr viel verdankt
Offenbach seinen Textdichtem, die es verstanden, der Gesellschaft den Spiegel so vorzuhalten,
wie sie es wiinschte: aufier ,,Hoffmann", der nach einer seit fast 30 Jahr.en vorliegenden dra-
matischen Dichtung Jules Barbiers und Michel Carres gearbeitet, iibrigens von M. Guiraud
nach des Komponisten genauen Angaben instrumentiert worden war, und aufier dem von Hector
Cremieux unter Mitarbeit des Ludovic Halevy (des Neffen Fromentals) gedichteten ,,0rpheus"
sind die Texte der erfolgreichen Stiicke von Halevy und dem Urpariser Henri Meilhac verfaBt.
Offenbachs Wirkung nach Wien, die Raimunds Einflufi nach 20jahriger, durch Nestroy
und franzosische Autoren ausgefiillter Pause ablost, fiihrt die Wiener Operette eines Suppe,
StrauB, Millocker herauf, die unter den Handen der Nachfolger vollig verflacht. Offenbachs
Operette hatte mit dem Leben zusammengehangen : sein Cancan begleitete das zweite Empire
in den Untergang. Um seine Nachfolge bemiihten sich drei Manner: der gutgeschulte Alexander
Charles Lecocq (1832—1918), Robert Planquette (1848—1903) und der auch mit ernsten
Opernwerken hervortretende Messager; auch Henry Charles Litolff (1818 — 1891) schrieb
neben groBen Opern einige Operetten. Ob zwischen Offenbach und Arthur Seymour Sulli
van, der, in England und Amerika sehr bekannt, mit ,,The Mikado" (1885) auch nach Deutsch-
land drang, ein Zusammenhang musikalischer Art besteht, ware zu untersuchen.
Bei der grofien Verschiedenheit des deutschen und des franzosischen Charakters mufite
Wagners Einflufi sich hier und doit verschieden aufiern. Die franzosische Oper, aus deren
einem Teil ja Wagner hervorgegangen war, erschien der Aufnahme neuer Ideen zwar durchaus
bediirftig, aber ihre Wirkung zeigt sich in anderer Richtung und von anderen Stellen ausgehend,
als in der deutschen Wagnernachfolge. Das Stoffgebiet Wagners wird kaum einmal aufgesucht.
Auch der durch die bindende Kraft der Leitmotive bedingte symphonische Stil vermag die
nachwirkende Herrschaft der Chanson (und des Tanzes) nicht zu uberwinden. Die Vorform
des Erinnerungsmotivs kommt aber unter dem Eindruck der Wagnerschen Prinzipien zur
Geltung; die durch Rezitative unterbrochene Abfolge geschlossener Formen wird zugunsten
wenigstens auBerlich durchkomponierter Akte aufgegeben; die von Wagner ausgebildete tech-
nische Behandlung des Orchesters wird in selbstandiger Art weitergefohrt.
Mit Mozart, Schubert, Weber, Mendelssohn, Chopin, Schumann, Bellini teilt Bizet, dem
als erstem der AnschluB an Wagner von seinen Landsleuten vorgeworfen wurde, das Schicksal
eines friihen Todes.
Die Oper im 19. Jahrhundert: Frankreich 899
Alexandra Cesar Leopold Georges Bizet war am 25. Oktober 1838 in Paris geboren und
starb am 3. Juni 1875, genau 3 Monate nach der ersten Auffuhrung von ^Carmen"; sein Tod
wird mit ihrem MiBerfolg in Zusammenhang gebracht: jedenfalls gehort der Komponist zu
den franzosischen Dramatikern, die im Vaterlande Erfolg erst auf dem Umwege iiber Deutsch-
land erzielten. Von Zimmermann und Halevy geschult, errang sein friihreifes Talent 1857
den Rompreis. Aufier Opern schrieb Bizet eine Musik zu Daudets Drama ,,L*Arlesienne",
die als Suite Anerkennung fand und drei weitere Suitenwerke nach sich zog: ,,L'Arlesienne II",
,,Roma", ,,Jeux d'enfants". Von 3 Symphonien fiihrte Pasdeloup Teile auf; 2 Ouverturen:
,,La chasse d'Ossian" und ,,Patrie", sind noch zu nennen.
Bizet kommt von der Operette her : mit Lecocq hatte er kurz vor der Erringung des Rom-
preises in einem von Offenbach ausgeschriebenen Wettstreit gesiegt: ,,Le docteur Miracle"
hiefi das Stuck. Von Italien sandte er neben Instrumentalwerken zwei italienische Opern ein:
,,Don Procopio" wurde 1895 in Aubers Bankfach gefunden und 1906 in Monte Carlo aufgeftihrt;
,,La guzla de Temir*4 gehort dem komischen Genre an. Ernster zu nehmen, als diese geforderten
Beweise seines Studienfleifies, ist die grofie Oper ,,Les pecheurs de perles", die er .1863 im
Theatre lyrique zur Auffuhrung brachte. Der 25jahrige segelt — und das verstimmte das
Publikum gegen ihn — im Fahrwasser Wagners, so stark die Talentprobe des Erfinders und
des Konners auch sein mag. Auch in der 1867 folgenden Oper ,,La jolie fille de Perth" ist
die Verschmelzung Wagnerscher Elemente mit solchen aus der grofien Oper noch nicht ge-
lungen. Es war daher ein guter Gedanke, um von den doch nicht ohne weiteres zu bewaltigen-
den Einf liissen loszukommen, zunachst einmal auf ein anderes Gebiet iiberzutreten ; das ge-
schah mit dem 1872 herauskommenden Einakter ,,Djamileh", die eine dem gallischen Geist
entsprechende Stimmungskunst (vor Baudelaire und gleichzeitig mit den Anfangen impres-
sionistischer Malerei) aufsucht, indes einstweilen noch auf Widerstand stofit ; aber die Heiter-
keit einer frei fliefienden melodischen Erfindung hatte doch aus dem Bereich Wagners gefuhrt,
so dafi er ihm in dem nach einer Pause folgenden Werk vollig frei gegeniibertreten kann. Ge-
wiB ist selbst eine der Gesinnung nach der Wagnerschen Anschauung so entgegengesetzte, von
Nietzsche gerade deswegen gepriesene Oper, wie ,,Carmen", ohne den Vorgang Wagners nicht
denkbar. Doch die deutschen Elemente sind von dem Franzosen so vollig verarbeitet, daB
eigentlich nur eines noch kenntlich hervortritt: das den tragischen Unterton eines frivolen
Lebens zeichnende Leitmotiv, das gewissermafien einen Schritt zur symphonischen Behand-
lung des Orchesters tut; denn im ganzen war Bizet schon durch den realistischen Stoff, der
auf einer Novelle P. Merimees beruht und von Meilhac und Halevy sehr geschickt aufgebaut
wurde, zu einem andersartigen Verfahren gezwungen. Wahrend Wagner einzelne triebkraftige
musikalische Keime zu grofien Umrissen steigert, pafit Bizet die symmetrischen Formen und
Perioden des romanischen Stils in melodischer Mannigfaltigkeit den rasch wechselnden Bildern
des Dramas an, wobei Stilelemente, die operettenhaft genannt wurden diirfen, mit starker
Hand in das Tragische iibersteigert werden. Sein historisch nicht leicht zu iiberschatzendes
Verdienst ist es, einen Weg an der Riesenerscheinung Wagners vorbei gezeigt zu haben,
einen Weg, auf dem ihm weder Franzosen noch Deutsche gefolgt sind, sondern die jiingeren
Italiener.
Wenn Ch. Camille Saint- Saens (1835—1921), sich und Bizet vergleichend, sagt: jener
habe immer das Leben und die Leidenschaft gesucht, er aber habe das Ideal der Reinheit,
900 Die Oper im 19. Jahrhundert: Frankreich
des Stils und der FormvoIIendung verfolgt, so ist dem zuzustimmen mit der Einschrankung,
dafi in Sachen der Kunst iiber die wechselnde programmatische Absicht die geniale Veran-
lagung gehe. Im Herzen kuhler Klassizist, versteht Saint-Saens vermoge einer bis in das
kleinste durchgebildeten Schreibtechnik alien Stilarten gerecht zu werden, wie er denn auch
fast alle Formen anbaut. Als Opernkomponist wird er (auch er auf dem Umwege iiber Deutsch-
land) mit der auf Liszts Veranlassung 1877 zuerst in Weimar — die GroBe Oper in Paris folgte
erst 1892 — aufgefuhrten oratorienhaften Oper ,,Samson et Dalila" bekannt. Sein Chauvinismus
zwingt ihn zur Verleugnung der starken Wagnerischen Einfliisse und zu entschiedener
Hinwendung nach Seiten der absinkenden grofien Oper. Das Werk, das seine Landsleute als
das bedeutendste ansehen, ,,Henry VIII." (1883), tragt den eklektischen Zug besonders deut-
lich. ,,La princesse jaune" (1872), ,,Le timbre d 'argent" (eine von Hervey geriihmte phan-
tastische Oper, 1877), ,,Etienne Marcel" (1879), ,,Proserpine" (1887), ,,Ascanio" (1890, ein
Versuch am Benvenuto-Cellini-Stoff, an dem schon Berlioz gescheitert war), die erwahnte
,,Phryne" (1893), ,,Dejanire" (Beziers 1898, als Schauspielmusik zu L. Gallets Drama, um-
gearbeitet als grofie Oper 1911), ,,Les Barbares" (1901), ,,Parysatis" (Beziers 1902), ,,Helene
(einaktiges Poeme lyrique, Text vom Komponisten, Monte Carlo 1904), ,,L'ancetre" (Monte
Carlo 1 906), die dramatischen Szenen ,,LoIa" (op. 116), ,,L assassinat du Due de Guise" (1 908),
,,La fille du tourneur d'ivoire" (1909), ,,La foi" (1910), das Ballett Javotte" (1896), die Voll-
endung vonGuirauds ,,Fredegonde" (1895), diese Werke sind in ihren Wirkungen beschrankt
geblieben. Zu erwahnen sind noch Versuche zur Belebung der klassischen Tragodie : die Mu-
siken zu Sophokles' ,,Antigone" (1893) und zu Racines ,,Andromaque" (1903).
Auch Alexis Emanuel Chabrier (1841—1894) ist in Deutschland eher als in Frankreich
beachtet \vorden. Man braucht allerdings nur einen Blick in den (von Litolff im Klavieraus-
zuge herausgegebenen) I. Akt der unvollendet gebliebenen ,,Briseis" zu tun, um inne zu
werden, dafi wir es mit einem feinsinnig behandelten Stiick rein franzosischer Romantik zu
tun haben : man darf weder bei den einleitenden Gesangen der Seeleute, noch bei dem nacht-
lichen Liebesduett, noch auch bei der Behandlung des rituellen Problems der Taufe, will man
gerecht bleiben, an entsprechende Lagen bei Wagner denken; es ist alles — auch die verhalt-
nismaBig starke Stelle vom toten Pan — geistreich in Melodie, Harmonic und Rhythmus, aber
kleingliedrig, lebendig, und nicht von schwingender Schwere: die Umwelt dieser Braut von
Korinth ist nicht im Wagnerschen, viel eher im Sinne des alternden und ein wenig kiihlen
Goethe geschildert. Nach einigen nicht veroffentlichten Versuchen brachte der Komponist
1877 eine Operette ,,L'Etoile" heraus; ihr folgte 1879 ,,Une education manquee" und 1885
eine Szene mit Chor ,,La Sulamithe"; die 1886 in Briissel aufgefuhrte, einen nordischen
historischen Stoff behandelnde grofie Oper ..Gwendoline" (Catulle Mendes) kam auch nach
Deutschland; von der grofien Oper mit Legenden und Romanzen trennt das Werk ein starker
Einschlag stimmungsmafiiger Elemente. Auch das in der Opera comique zuerst 1887 er-
scheinende heitere Werk ,,Le roi malgre lui" geht iiber die Grenze.
Edouard V. A. Lalo (1823—1892) schrieb aufier der von Paris und Briissel angenommenen, jedoch niemals zur
Auffiihrung gelangten Oper ,,FJesque4' (Ouvertiire 1866 gedruckt), von der Teile in andere Werke iibergegangen sindt
die Oper ,,Le roi d'Ys", deren Ouvertiire scnon 1897 von Pasdeloup und Colonne gespielt wurde, wahrend das Werk
selbst erst im 65. Lebensjahre des Komponisten in der OpeVa comique aufgefuhrt wurde. Eine dritte Oper ,Jac-
querie" wurde, von Arthur Coquard vollendet, in Monte Carlo und in Paris 1895 aufgefuhrt. Ein Ballett ,,Namouna"
ging 1881 an der Grand opeYa in Szene; eine 1891 aufgefuhrte Pantomime ,,N6ron" ist verlorengegangen.
Die Oper im 19. Jahrhundert: Frankreich 901
F. Cl. Theodore Dubois (geb. 1837) trat mit den grofien Opern ,,Ibn Hamet" (1884), ,,Frithjof" (1892), mit den
komischen »La guzla de 1'emir" (1873), ,,Le pain bis" (auch: ,,LaLilloise", 1879), ,,Xaviere" 0 895) und mit einem
Ballett ,JLa Farandole" (1883) Hervor.
Sein Nachfolger als Mitglied der Akademie Gabriel M. Faure (geb. 1845) (vgl S. 1063ff.) schrieb die Opern
,,Prometheus" (1900), ,,Penelope" (1913), ,,Masques et Bergamasques", eine Operette ,,L'organiste" (1885) und Mu-
siken zu Dumas' ,,Caligula" (1888) und Haraucourts ,,Shylock" (1889).
Charles Marie Widor (geb. 1845) ist mit den groBen Opem ,,Nerto", ,,Les pecheurs de Saint Jean" (1905), mit
der komischen ,,Maitre Ambros", mit dem Ballett ,,La Korrigane", der Pantomime , Jeanne d'Arc" (1890), mit Schau-
spielmusiken zu Dorchains ,,Conte d'avril" und Coppees ,,Les Jacobites" hervorgetreten, der altere Louis Brouillon-
Lacombe (1818 — 1884) mit einer vieraktigen grofien, in Genf 1892 auf gef iihrten Oper ,,Wmkelried", den komischen
Werken ,,La madone" (1860), ,,Le tonnelier" (als ,,Meister Martin und seine Gesellen" 1897 in Koblenz), und ,,Kor-
rigane" (Sondershausen 1901), sowie mit einer Musik zu Riboyets ,,L'amour" und einem Melodram mit Choren
,,Sapho", 1878, Preiskantate der Weltausstellung). L. P. Benjamin Godard (1849—1895) ging nach Beriihrung
einiger Zwischenformen, wie der lyrischen Szene mit ,,Diane et Acteon", der dramatischen Symphonic ,,Le Tasse"
(1878) zur Oper iiber: ,,Pedro de Zalamea" (1884), Jocelyn ' (1888), ,,Dante et Beatrice" (1890), ,,Ruy Bias" (1891),
,,La vivandiere" (1895), ,,Les Guelfes" (1902), schrieb auch eine Musik zu Shakespeares ,,Viel Larm urn Nichts".
In ahnlicher Art, wie Gounod seine Zeitgenossen, beeinfluBt nunmehr der sehr beliebt wer-
dende Massenet die seinen ; nur, da8 die Geschmeidigmachung des ein wenig steifen Opernstils
in dem lyrischen Element durch eine in sinnlicher Siifie aufgeloste Verweichlichung ersetzt,
die Kunst in eine sentimentale Verlogenheit zugunsten des Demimondainen gefiihrt wird, die
eine scharfe Gegenbewegung unmittelbar herausfordert. Aber es mufi zugestanden werden,
dafi Jules E. F. Massenet (1842 — 1912) iiber eine seiner geistigen Welt entsprechende, von
zarter Leidenschaft beseelte Melodik verfiigt, deren Reiz sich z. B. auch der Wiener, der ja
iiberhaupt gallischem Wesen Verstandnis entgegenbringt, nicht entzieht, oder richtig : entzogen
hat; denn nicht nur die geringeren Werke, wie ,,La grand' Tante*' (1867)* ,,Don Cesar de Ba-
zan" (1872), wie die Ballette ,,Le carillon* (Wien 1892), ,,La cigale" (Paris 1904), ,,Espada"
(Monte Carlo 1 908) sind iiberwunden, auch die Zeit der groBen und der erfolgreichen Stiicke
ist vorbei; es sind: ,,Le roi de Lahore * (1877, Miinchen 1879), ,,Herodiade" (Briissel 1881),
,,Le Cid" (1885), ,,Le Mage" (1891), ,,Thais4< (1894), ,,Ariane" (1906), ,,Bacchus" (1909),
,,Roma" (1912) als grofie Opern; auf dem Gebiet der lyrischen Oper: ,,Manon" (1884),
,,Esclarmonde" (1889), ,,Werther" (1886 beendet, erst 1891 in Weimar, 1892 in Wien gegeben),
,,Le portrait de Manon" (1894), ,,La Navarraise" (London und Briissel 1894, Paris 1895),
,,Sapho" (1899), ,,Cendrillon" (1899), ,,Griselidis" (1901, deutsch Zurich 1903), ,,Le jongleur
de Notre Dame" (Monte Carlo 1902), ,,Cherubin" (daselbst 1905), ,,Therese" (Monte Carlo
und Berlin 1907), ,,Don Quichotte" (Monte Carlo 1910) und aus dem NachlaB: ,,Panurge"
(Paris 1913) und ,,Cleopatra" (Monte Carlo 1914). Es verdient angemerkt zu werden, dafi
,,La Navarraise" der 4 Jahre vorher ihre Weltgeltung antretenden ,,Cavalleria Rusticana** des
Mascagni nachgearbeitet wurde, und dafi die Marchenoper ,,Cendrillon" als einzige ihrer Art
wohl kaum ohne Humperdincks Vorgang (,,Hansel und Gretel", 1893) entstanden ware. ,,Ma-
non Lescaut" und ,,Sapho" nutzen schriftstellerische Erfolge M. Prevots und A. Daudets aus.
Aus Massenets Schule gingen hervor: A. Bruneau, G. Marty, Hillemacher, P. Vidal, Missa,
Pierne, X. Leroux, Savard, Kayser, G. Charpentier, Carraud, Silver, Rabaud, M. d'OUone.
Das Gegengeschenk, das die Wiener fur Massenets Gaben nach Frankreich sandten, war
ihr Walzer, dessen ZeitmaB in Paris verlangsamt, dessen Charakter versentimentalisiert wurde;
auch seine Harmonik erfahrt starke Verbiegungen. Aber in Leo Delibes' Musik ist ein zu
starker Einschlag echten Franzosentums, als daB er der Gefahr, die die Operettenschreiber
bedroht, erlegen ware. Delibes (1836—1891) fing mit Operetten, die in den Bouffes parisiens
902 Die Oper im 19. Jahrhundert: Frankreich
gegeben wurden, an und wandte sich dann der komischen Oper und dem Ballett zu. Von seinen
einaktigen komischen Buhnemverken sind zu nennen: ,,Deux sous de charbon" (1855), ,,Maitre
Griffard" (1857), ,,Le jardinier et son seigneur" (1863, beide am Theatre lyrique); von den
grofieren heiteren Stiicken hat sich langer als ,,Jean de Nivelle" (1880), ,,Lakme" (1883) und
die hinterlassene, von Massenet vollendete Oper ,,Kassya" (Paris 1893) das 1873 aufgefuhrte
,,Le roi Ta dit" gehalten. Das erste Ballett, die 1866 in der Grand opera aufgefuhrte ,,La
source** (als ,,Naila, die Quellenfee" in Wien) ist eine gemeinsame Arbeit mit Ludw. Mincus.
Durch die ,,Coppelia" (1870) wurde Delibes beriihmt; 1876 folgte ,,Sylvia", das Meisterstiick
der Gattung.
Der Massenetschen Erfolghascherei abhold, in den Bahnen seines Freundes und Vorgangers
Berlioz wandelnd, deutlich beeinflufit auch von der GroBe Wagners (,,Tannhauser" und
,, Lohengrin4') trat L. E. Ernest Reyer (eigentlich Rey, 1823 — 1909) nach kleineren Arbeiten,
wie ,,Maitre Wolfram" (einaktig, 1854 Theatre lyrique), ,,La statue" (ebenda 1861) und dem
Ballett ,,Sacountala" (1868), mit einer fiinfaktigen grofien, das Thema der ,,G6tterdammerung**
behandelnden Oper ,, Sigurd*' (erst spat, 1884, in Briissel aufgefiihrt) hervor, der die ebenfalls
iiber Brtissel nach Paris kommende, nach Flauberts Novelle gestaltete ,,Salammbo" (1900)
folgte .
In diesem Zusammenhange seien noch genannt : Auguste Mermet (1810 — 1889), der in den sechziger Jahren mit
,,Roland a Roncevaux" (1864) mehr Erfolg hatte, als mit friiheren Opem (,,La banniere du roi", 1835, ,,Le roi David",
1846) und der spateren .Jeanne d'Arc" (1876); Edmond Membr ee (1820—1882) bringt an der Grofien Oper 1857
,, Francois Villon", 1875 ,,L'escIave", in der Komischen Oper 1879 ,,La courte-echelle" heraus und schreibt Chore zu
,,0edipus Rex"; Jules L. Duprato (1827—1892), Theophile A. E. Semet (1824—1888), J. A. Ferdinand Poise
(1828 — 1892) pflegen die komische Oper; Ch. Ferdinand Lenepveu (1840 — 1910) schreibt nach einer komischen
Oper ,,Le Florentin" (1869, erst 1874 aufgefiihrt) in der in London 1882 aufgefuhrten grofien Oper , Velleda" eine
Glanzrolle fur Adelina Patti; Emile Paladilhe (geb. 1844) schreibt komische Opern: , Le passant" (1872), ,,Lfamour
africain" (1875), ,,Suzanne" (1879), ,,Diana' ' (1885) und folgt in dem grofien Werk ,,Patrie" (1886) Meyerbeerschen
Spuren; Felix Ludger Rossignol, genannt Victorin de Joncieres (1839 — 1903), vereinigt Gounod-Meyerbeersche
Einfliisse mit solchen von seiten des fruheren Wagner und lafit die personliche Linie dadurch verwischen : seiner er-
folgreichsten Oper ..Lancelot du Lac" (1900) gingen voraus: ,,Sardanapale" (1867), ,,Pompejis letzter Tag" (1869),
,,Dimitri" (1876), ,,La reine Berthe" (1878), ,,Le chevalier Jean" (komische Oper 1885); G. Bernard Salvayre (1847
bis 1916) macht sich ohne nachhaltige Wirkung mit einigen Opern bekannt: ,,Le bravo" 1877, ,,Salan~ed-Din",
,,Richard III." (1883 in Petersburg), ,,Egmont" (1886), ,,La dame deMonsoreau" (1887), ,,Solange" (1909), ,,Myrto"
(Musiklustspiel); die Ballettkomposition bereichert er mit ,,La fontaine des fees" (1899), ,,L'Odalisque" (1905), ,,Le
fandango"; Ernest Guiraud (1837 — 1892), in der Orchesterbehandlung gewandter als in der Erfindung originell>
bringt vor dem Kriege von 1870, den er mitmachte, die Opem ,,Sylvie" (1864), ,,En prison" (1869), ,,Le Kobold"
(1870), spater ,,Madame Turlupin" (1872), ,,PJccolino" (1876), ,,La galante aventure" (1882) und das Ballett ,,Gretna-
Green" (1873) heraus; seine hinterlassene Oper ,,Fredegonde" vervollstandigte Saint-Saens (1895).
Diese franzosische Kunst um die Jahre 1870 — 1890, in einzelnen Stiicken und in einzelnen Personlichkeiten nach
vorwarts strebend, in vieler Hinsicht wieder merkvairdig konservativ, steht im ganzen unter dem Zeichen Meyerbeers
und Gounods, Berlioz* und Wagners; unerlafilich bleibt fur das komische Genre auf lange Jahre der gesprocKene
Dialog, fur die grofie Oper das Ballett.
Was Wagner fur die Oper, das bedeutet der (von Ad. Weifimann ,,der franzosiche Brahms"
genannte) Liitticher Cesar Aug. Franck (1822—1890) fur die Sonate. Als Jiingling hatte er
eine komische Oper ,,Le valet de ferme" geschrieben; aber auch sein ferneres Opernschaffen,
das die Werke ,,Hulda" (1885 beendet, erst 1895 in Monte Carlo aufgefiihrt) und ,,Ghiselle"
(1 888, Auffiihrung in Monte Carlo 1 896) zeitigte, war fiir das Musikdrama in keiner Art Schule
bildend. Der Komponist zwingt sich in die alten Opernformen und verschmaht sogar das
von ihm selbst in den Oratorien angewandte Leitmotiv.
Die Oper irn 19. Jahrhundert: Frankreich 903
Von Francks zahlreichen Schiilern 1st P. M. Th. Vincent d'Indy (geb. 1851) der bekannteste.
Aber auch seines Schaffens Schwerpunkt liegt nicht in der Opernkomposition, zu der erdie 1882
aufgefiihrte komische Oper ,,Attendez~moi sous rorme" und die Musi kdramen ,,Fervaal"(1897,
eigene Dichtung), ,,L'etranger" (1903, eigene Dichtung), das Mysterium ,,Saint Christophe"
und die Musik zu C. Mendes' ,,Medea" (1898) beitragt, wobei er unter Aufbietung groBer
Instrumentenmassen die Verschmelzung Wagnerscher Ideen in die nationalen Eigentiimlich-
keiten seines Volkes dartut. Auch Ernest Chausson (1855—1899) ist aus Francks Schule
hervorgegangen; er trat mit Musiken zu Shakespeares ,,Sturm" und M. Bouchers ,,Cacilien-
legende", mit einer lyrischen Szene , Jeanne d'Arc", mit einer zweiaktigen Oper ,,Helene"
und mit der 1900 in Karlsruhe gegebenen Oper ,,Le roi Arthus" (nach eigener Dichtung)
hervor. In den Franckschen Kreis gehoren noch: Pierre 0. de Breville (geb. 1861 , dreiaktige
Marchenoper ,,Eros vainqueur", Brussel 1910, Musiken zu Maeterlincks ,,Sieben Prinzes-
sinnen" und zu Kalidasas ,,Sakuntala"), J. Guy Ropa'rtz (geb. 1864, Musik zu P. Lotis
,,Pecheurs d'Islande", 1893,0pern: ,,Le diable couturier", 1894, ,,Le pays" in 3 Akten, 1912)
und der Bozener Sylvio Lazzari (geb. 1858, Opern: ,,Amor", Prag, 1898, ,,L'ensorcele", 1903,
,,La lepreuse", 1912, eine Pantomime ,,LuIu", 1887).
Ein gliihender Bewunderer Wagners liefi sich der von Massenet geschulte L. Ch. B. Alfred
Bruneau (geb. 1857) die Texte von dem der Legende soweit als moglich abgewandten Realis-
mus E. Zolas reichen, ein abermaliger Versuch der f ranzosischen Rasse, die vom Osten her
quellenden iibermachtigen Ideen der eigenen, dem Deskriptiven geneigten Veranlagung ein-
zupassen. Nicht die Losung vom Historisch-Formellen durch den Mythos ist das Ziel des
neuen f ranzosischen lyrischen Dramas, sondern die Aufsuchung des taglichen Lebens und der
hinter ihm stehenden seelischen Regungen ; seine Sprache ist demgemafi nicht der Vers, sondern
die Prosa. Schon Berlioz und Gounod hatten sich theoretisch fur die Prosa erklart, ja, Gounod
hatte mit einer Moliereschen Komodie die Probe auf das Exempel zu machen begonnen; wirk-
lich durchgefuhrt aber haben das Verfahren erst Zola und Bruneau in ihrem ,,Messidor"
(1897, in 4 Akten). Von der Anwendung der ungebundenen Rede verspricht sich der Kom-
ponist eine grofiere Freiheit sonderlich in bezug auf den von ihm schon in seiner ersten Oper
,,Kerim" (1887) mit aller Bestimmtheit angewandten symphonischen Stil der Musik mit re-
prasentativen Themen. Durch die Art der musikalischen Anlage aber unterscheidet sich der
franzosische, vorziiglich textlich beeinfluBte Naturalismus von dem italienischen Verismo:
Bruneau, mifitrauisch gegen das Gefiihl des Subjekts, \vie nur ein impressionistischer Maler,
tut die ersten Schritte zur kiinstlerischen Objektivierung der Stimmung. Von seinen Opern-
werken seien noch genannt: ,,Le reve" (1891), ,,L'attaque du moulin" (1893), beide von
L. Gallet nach Zolaschen Romanen; aufier zum ,,Messidor" schrieb Zola selbst den Text zu:
,,L'ouragan" (1901) und ,,L'enfantRoi" (1905); Bruneau war in Anlehnung an Zola sein eigener
Dichter in: ,,Nais Micoulin" (1907) und ,,La faute de 1'abbe Mouret'* (1907); 2 Ballette: ,,Les
bacchantes" und ,,L'amoureuse le?on" wurden 191 2 und 1913 in Paris aufgefiihrt. Einweiteres
Stiick zum Impressionismus geht der sentimental veranlagte Gustave Charpentier (geb. 1860),
der durch seinen Roman musical „ Louise" (1900) mit seinen Cris de Paris bekannter wurde, als
durch das fiinfaktige lyrische Drama ,Julien" (1913) und der sich der friiher gepflegten Gattung
mit ,,L'amour aux faubourgs" (2. ,,Comediants", 3. ,,Tragediants") wieder zuzuwenden
scheint.
C)Q4 Die Oper im 19. Jahrhundert: Italian
Neben Messager, dessen JMadame Chrysantheme" (1893) nach P. Loti ais hiibsche lyrische Komodie hier zu
nennen 1st, treten folgende Namen mit grofierer oder geringercr Bedeutung hervor: Camille Erlanger (1863—1919,
dramatische Legende ,,Saint Julien l'HosPitalier'M894, Opern ,,Kermaria", 1897, ,,Le juif polonais", 1900, ,,Le fils
de I'etoile", 1904, ,,Aphrodite", 1906, ..L'Aube rouge", 1911, ,,La sorciere", 1912); Paul A. Vidal (geb. 1863,
A.Rousseau (1893—1904, ,,Dinorah", 1879, ..Merowig", 1892, ,,La cloche duRhin", 1898, ,,Milia'M904, ,,Leone \
1910); Georges A. Hue (geb. 1858, ,,Le roi de Paris", 1901, ,,TJtania", 1903, ,,Le miracle", 1910; ,,Les pantins",
1881, eine komische Operette; die Pantomime ,,Coeur brise"); Louis Alb. Bourgault-Ducoudray (1840—1910,
,.Thamara", 1891, ^Michel Colomb". 1887, ,,Bretagne", 1887, ,,Myrdhin", 1905); Charles Ed. Lefebvre (1843
bis 1917, ,,Zaire",1887, ,,Le tresor *, ,,Djelma M894); Henri Mar echal (geb. 1842, groBe Opern: -,,Deidamie",
1893, ,,Caiendai", 1894; komische Opern: ,,Les amoureux de Catherine", 1876, ,,La taverne des Trabans" , 1881,
nL'etoile", 1889, ,,Daphnis et Chloe", 1899; das BaUett ,,Le lac des aulnes", 1907); die Briider Paul J. W. und
Lucien J. E. Hillemacher; Fr. L. J. Thome; Alexander Georges; J. A. Coquard; Paul Pujet; Lucien
Lambert (geb. 1861, ,,Broceliande", 1892, ,,Le spahi", 1897, nach Loti, ,,La Marseillaise", 1900, ,,La Flamenca",
1903, ,,Penticosa", 1908; Ballettpantomime ,,Russalka", 1911); Veronge de la Nux; Henri Rabaud; Max
d'Ollone; Charles Silver; RP.Busser; Paul Dukas (geb. 1865, Oper ,,Ariane et Barbebleue" von Maeterlinck.
1907, BaUett »,La Peri"); Augusta M. A. Holmes (1846—1903, auch unter dem Namen Hermann Zeuta). H. C.
Gabriel Pierne (geb. 1863) schrieb die Opern ,,Le chemin de 1'amour" (1883), ,,Les Elfes" (1883), ,,Don Louis",
1886, ,,Lizarda", 1893, ,,La coupe enchantee" (1895), ,,0n ne badine pas avec IWour" (1910), das Ballett ,,Cydalise
ouleChevrepied" (1909) und eine Anzahl von Operettenund Btihnenmusiken. Das Mimodrama als galiische Spe-
zialitat wird gepflegt von dem genannten Vidal, von Andre A. T. Wormser (geb. 1851, ,,L'enfant prodigue")
und von St. Raoul Pugno (1852—1914, ,,Pour le drapeau").
Die Vollendung des vonBruneau eingeleiteten, von Charpentier entwickelten Impressionismus vollzieht sich unter
den Handen Claude A. Debussys (1862-1818) (s. S. 1065).
Literatur
Soubies, Albert: Le Theatre- Italier. au temps de Napoleon et de la Restauration. Paris 1910. — Derselbe,
Le Th&tre-Italien de 1801 a 1913. — Derselbe, Histoire du Th^atre-Lyrique de 1851 a 1870. Le M6nestrel.
Paris 1899, Nr. 3f. — Castil - Blaze: Theatres lyriques de Paris. I, II, III (bis 1855). L'Academie Imperiale de
Musique. Paris 1855/56. — Bruneau, Alfred: La musique francaise. Rapport sur la musique en France du XIIIe
au XX* siecle. Paris 1901. — Hervey, Arthur: French music in the XlXth century. London 1903. — S er 6 ,
Octave: Musiciens francais d'aujourd'hui. Paris 1911.— Laloy, Louis: Le drame musical moderne. Le Mercure
musical. Paris 1905, S. 8f. — Blessinger, Karl, und andere: Meister der Oper. Einzelhefte hrsgeg. vom Biihnen-
Volbbund in Frankfurt a. M. o.J. (1921). — Werner, Th.W.: Musik in Frankreich. Breslau 1927.
Italian
Von der Unzahl der ihrer Lebensdauer nach vom 18. in das 19. Jahrhundert hineinreichenden
Komponisten italienischer Opern kann hier nur eine Auswahl namhaft gemacht werden.
Giovanni Paesiello (1741—1816, iiber 100 Opern); Andrea Lucchesi (1741 bis urn 1800);
Domenico Corri (1744 — 1825); Giov. Giuseppe Cambini (1746 — 1825); Venanzio Rauz-
zini (1747—1810); Domenico Cimarosa (1749—1801); Antonio Salieri (1750—1825,
40 Opern, darunter drei franzosische fiir Paris); Francesco Bianchi (1752 — 1810); Nic. An
tonio Zingarelli (1752 — 1837); Giov. Antonio Capucci (1753 — 1818); Vincenzo Righini
(1756—1812); Antonio da Silva Leite (1759-1833); Luigi Cherubini (1760—1842, ita-
lienische und franzosische Opern, auch eine deutsche); Vittorio Trento (1761 bis um 1825);
Giuseppe Niccolini (1763—1842); Marcos Portugal (Portogallo (1762—1830, italienische
Die Oper im 19. Jahrhundert : Italian 905
Opern for Italian, Frankreich, Spanien und Portugal); Gaetano Andreozzi (1763 — 1826);
Simon Mayr (1763 — 1845, deutscher Komponist ausschliefilich italienischer Opern); Valentino
Fioravanti (1764 — 1837, 77 Opern, darunter: ,,I virtuosi ambulanti", 1807); Jos. Mazzinghi
(1765—1839); Francesco Basili (1767—1830); LuigiPJccini (1766— 1827); Francesco Ruggi
(1767—1845); Pietro Casella (1769—1843); Ferdinando Paer (1771—1839); Giuseppe
Mosca (1772—1839); Gasparo Spontini (1774—1851); Manuel Garcia (1775—1832,
48 spanische, italienische und franzosische Opern); Niccolo Isouard (1775 — 1818); Luigi
Mosca (1775 — 1824); Catterino Cavos (1776 — 1840, italienische, franzosische und russische
Opern); Fernando Orlandi (1777—1848); Vincenzo Puccita (1778—1861); Felice Radicati
(1778—1823); Stefano Pavesi (1779—1850); Giuseppe Blangini (1781—1841); Carlo
Coccia (1782—1873); Pietro Generali (1782—1832); Giacomo Cordelia (1783—1847);
Francesco Morlacchi (1784—1841); Pietro Raimondi (1786—1853, 62 Opern); Paolo
Brambilla (1786—1838); Michele Carafa de Colobrano (1787—1872); Gioacchino
Rossini (1792— 1868).
Aus dieser Liste, die neben viel leichtfertiger Arbeit eine grofie Dosis Talent und als Neben-
erscheinung (in Raimondi) auch auBergewohnliche Gelehrsamkeit umschlieBt, werden die
Namen Paesiello, Cimarosa, Salieri, Cherubini und Spontini an anderer Stelle genannt.
Die Versuche, die einige italienische Stadte: Parma, Neapel und Bologna mit der Einfahrung
der Gluckschen Reformoper gemacht hatten, waren fehlgeschlagen. Einen Erfolg auf Um-
wegen bedeuteten aber far Italien Giucks franzosische Opern: zwar waren Piccims, Salieris,
Sacchinis und Cherubinis Nachahmungen ebenfalls hier nicht gut aufgenommen worden, aber
die Pariser Erfolge des ,,Roland", der ,,Danaides", des ,,0edipe a Colone" und des ,,Demo~
phon" ermutigten diesen und jenen Italiener, sich mit der Behandlung erfolgreicher franzo-
sischer Texte der gallischen Ensemble-, Chor- und Orchesterkunst anzunahern. Die Opera
buff a, der sich das Interesse auch der italienischen Verfasser ernster Opern wieder zugewandt
hatte, war gewissermaBen die Kehrseite der seria und nahm, wenn auch nicht in ganzem Um-
fange, an ihrer Erhebung teil.
An der Pflege und Ausbildung beider Formen beteiligt sich der zum Italiener gewordene
Bayer Simon Mayr. Seine Opera luff a baut auf dem von ihm urn 1790 in Venedig vor-
gefundenen Zustande weiter. Die Libretti kommen dem Publikum weit entgegen: neben
Goldonischen und Bertatischen Einfliissen (,,Foppa" u. a.) erhalt sich der Zweiakter und die
einaktige Farce; dieMusik schlieBt sich unter Weiterentwicldung der vorhandenen Mittel den
Buffoziigen eines Anfossi, eines Guglielmi an. Auch in der Opera seria bleibt Mayr Eklek-
tiker; aber seine Wirkung ist hier noch starker als dort. Folgt er im Secco, in der Melodik,
im zu flachen oder zu hoch getriebenen Ausdruck den Neuneapolitanern, so ist auch sein An-
kniipfen an die groBen Neapolitaner, an Hasse und Terradella in den Sologesangstiicken, an
Jommelli und Perez im Akkompagnato und damit sein Streben, der Kunstform neues Blut
zuzufohren, nicht zu iibersehen. Dazu soil ihm gerade der AnschluB an die franzosische
Oper dienen : Chore und Massenszenen, selbstandige programmatische Instrumentalsatze wer
den iibernommen, und die Librettisten zum Anschlufi an franzosische Muster gezwungen.
Zu einer wirklichen Reform der Sena, der Mayr, im Gegensatze zu Sacchini, Piccini, Cheru
bini treu bleibt, reichen allerdings die Krafte nicht aus. Die Einfahrung der vokalen Mehr-
stimmigkeit und die Ausgestaltung des Opernorchesters, dem auch ungebrauchliche Bias-
906 Die Oper im 19. Jahrhundert : Italian
instrumente eingereiht werden, damit aber eine Belebung der Sprache im Sinne Mozarts,
diese Emingenschaften dienen einem sub specie aetatis ernsten Streben zum reinen Drama;
sie kommen auch der Buffa zugute. Crescendowalzen, weitgehende Alterierung von Durch-
gangstonen, gelegentliche Koloraturiiberladung mit Ausfallung von weiten Spriingen im Geiste
des spateren Meyerbeer, Terzenfiihmng von Singstimmen und Diskantinstrumenten und
machtige Unisonogange, solistische und charakteristische Verwendung einzelner Instrumente
und Spielmanieren, Bevorzugung des Satzes Note gegen Note far die Ensembles, mit diesen
und andem Stilmerkmalen sah Mayr seinen EinfluB wachsen und schwinden: er erlebte
die Erfolge Rossinis, Donizettis und Bellinis, das Auftreten Verdis, Webers und Marschners,
die ersten Werke Wagners, ehe er, ganz der Kirchenmusik hingegeben, starb. Die Bliite
seiner Opernkomposition— er schrieb 61 Werke far dieBiihne — fallt in die Jahre 1796— 1815.
Die grofiten Erfolge hatten: ,,Che Originali" (1798), ,,Adelaide di Gucselino*' (1799), ,,Lo-
doiska" (zweite Komposition von 1800), ,,Ginevra di Scozia" (1801), ,,Elisa" (1804), ,,L'amor
conjugale" (1805), ,,Adelasia ed Aleramo" (1807) und ,,La rosa rossa e la rosa bianca ' (1813).
Die von Simon Mayr ausgestreute Saat ging nur zu einem Teile auf, und leider ist es seine
Gabe, Effekt zu machen, die weiter wirkt. Im Instrumentalstil ist Berlioz sein Opfer; in der
deutschen Oper nimmt Peter Winter (1754 — 1825), der Komponist der Oper ,,La grotta di
Calypso** (London 1802) und des Singspiels ,,Das unterbrochene Opferfest" (1796) von ihm
an, in der italienischen G. Saverio R. Mercadante (1795 — 1870), der erklarte Fiihrer der
Mayrschule. Ein gebildetes Talent, von seinen Landsleuten der italienische Beethoven ge-
nannt, schreibt er gegen 60 Opem, von denen ,,Elisa eClaudio" (1821), ,,La donna Caritea"
(1826), ,,I Normanni a Parigi" (1831), ,,Ismailia" (1832), ,,11 giuramento" (1837) am be-
kanntesten wurden und im Klavierauszuge vorliegen. Auch Spontinis Schaffen erfahrt nach
der ,,VestaIin" einen Bruch im Sinne des Mifibrauchs Mayrscher Mittel, namentlich der Bias-
instrumente: ,,Ferdinand Cortez" und ,,01ympia" sind vom Gluckschen Geist verlassen und
von dem der neuitalienischen ,,solita cagnara" (August Kestner) besessen.
Den Stil der Buffoopern Paesiellos und Cimarosas noch zu verfliichtigen, ihre Melodien
noch fliissiger zu machen, gelang dem Parmenser Ferdinando Paer (1771 — 1839), der mit
,,I pretendenti burlati" (1793) in Italien beriihmt wurde, seine Schreibweise aber mit seiner
Ubersiedlung nach Wien (1 797) unter dem Eindruck Mozartscher Werke bedeutend vertiefte :
die hier geschriebene ,,CamiIIa" (1799) gilt als sein bestes Werk neben dem ,,Sargino" (1803);
in Dresden, wo er Naumanns Nachfolger wird, schreibt er unter andern Opern eine ,,Leonora,
ossia Tamore conjugale" (1804) nach dem Buch von Bouilly, das auch Beethoven seinem ,,Fi-
delio" zugrunde legte. Die Wirren der napoleonischen Zeit entfahren ihn iiber Warschau
nach Paris, wo er 1812 als Nachfolger Spontinis Kapellmeister an der italienischen Oper wurde;
hier blieb er bis zu seinem Tode. Von seinen 43 Opern nat eine, der ,,Maitre de chapelle"
(1821), sich langer gehalten. Im Jahre 1823 war ihm in dem Kapellmeisteramt der von London
kommende Rossini iibergeordnet worden.
Gioacchino Antonio Rossini ist 1792 in Pesaro geboren worden; als Achtzehnjahriger be-
ginnt er mit der Arbeit an der Oper, ohne indes mehr als Beweise einer bedeutenden
Begabung zu liefern; schon im Jahre 1812 bekommt er funf Auftrage zur Komposition von
Biihnenwerken. Der erste grofie Erfolg (mit ,,L'Italiana in Algeri", 1813) wurde weit iiber-
boten durch den des ,,Barbiere di Seviglia" (1816) von der zweiten Auffiihrung ab. Ohne dafi
Die Oper im 19. Jahrhimdert: Italien 907
ein vollendeter Ausgleich der Stilelemente festzustellen ware, darf das Werk, das im Gegensatz
zu Mozarts Beriihrung des gleichen Stoffgebiets die Buffoelemente herausstellt, als Gipfel der
italienischen komischen Oper angesehen werden: die charakteristische Zeichnung, der Uber-
reichtum an melodischen Einfallen, die Sicherheit im Aufbau der groBen Ensembles und
andere kiinstlerische Tugenden weisen ihm diesen Platz an. Die erste bedeutende italienische
Oper, die sich der Welt Shakespeares zu nahem wagt und damit neue Gebiete, wenn auch zu-
nachst noch mifiverstandhch und vom italienischen Opernstandpunkt aus, erschliefit, ist Rossinis
,,Othello" (1816), der fiir sich und damit far fast die gesamte italienische Oper das Redtativo
secco abschafft. Immerhin waren Rossinis Erfolge vielleicht auf Italien beschrankt geblieben,
wenn nicht der Unternehmer Barjaba 1822 mit einer Operntruppe Wien aufgesucht hatte und
mit dem ,,Barbier" und ,,Othello", aber auch mit ,,Cenerentola" (1817), ,,Mose in Egitto" (1818)
und ,,Maometto II." (1820) Aufsehen erregt hatte, das noch einmal das europaische Ansehen
der italienischen Oper heraufbeschwort. Nachdem sein Versuch im grofiten Stil, die fur Ve-
nedig geschriebene ,,Semiramide" (1 823) nicht auf das erwiinschte Verstandnis gestofien war,
verlieB Rossini sein Vaterland. In Paris hatte sein ,,Tell" die an andrer Stelle geschilderte
Wirkung. Die letzten 39 Jahre seines Lebens verzichtete Rossini auf die Betatigung an der
Oper, deren er der Welt 39, ungerechnet eine Anzahl von dramatischen Kantaten, geschenkt hat.
Rossinis ,,Barbier" stand in der Entwicklung zu hoch, um beispielgebend wirken zu konnen ;
die Buffooper alterer Observanz halt sich, obwohl ihrem Ende entgegengehend, noch einige
Zeit. Gaetano Donizetti (1797 — 1848) hat zwar vorziiglich die ernste Oper angebaut, aber
auch seine Haupterfolge liegen in der heiteren Gattung. Von Simon Mayr und Rossini be-
einflufit hat sich Donizetti in der Schreibart so lange gehen lassen, bis in Bellini ein ernsterer
Mitbewerber auftrat und ihn zur Sammlung zwang: ,,Anna Bolena" (1830) sollte ihn gegen-
iiber Bellinis ,,Nachtwandlerin" legitimieren, und, als er mit ,,Marino Falieri" (1835) vor
Bellinis ,,Puritanern" weichen muCte, schrieb er unter Zusammenraffung seiner Krafte die
erfolgreiche ,,Lucia di Lammermoor ' (1835). Auch er begibt sich, indigniert iiber Hinder-
nisse, die sich der Auffuhrung seines ,,Poliuto" (in Paris: ,,Les martyrs") entgegenstellten,
nach Paris und spater (1840) nach Wien, wo er in geistiger Umnachtung stirbt. Im Jahr der
,,Lucia" hatte sich Rossini zur Ruhe gesetzt, war Bellini gestorben, sodaC Donizetti Allein-
herrscher auf der Szene wurde, die er mit iiber 70 Werken bedacht hat; unter ihnen sind die
grofien Opern ,,Linda di Chamounix" (Wien 1842), ,,Caterina Comaro" (Neapel 1844) und
,,La favorite" (Paris 1840; Klavierauszug von Richard Wagner) vergessen; gehalten hat sich
— die Dauer eines Biihnenwerks geringerer Gattung hangt nicht zuletzt von der Dankbarkeit
einer einzelnen Rolle ab — die far die Opera comique im Jahre 1840 geschriebene ,,La fille
du regiment" ; das Beste hat aber der Kiinstler in einigen italienischen komischen Opern unter
Festhaltung des Stils der Commedia delf arte gegeben: ,,L'elisire d'amore" (Mailand 1832) und
,,Don Pasquale" (Paris), dieses von Bierbaum iibertragen (Neuausgabe von W. Kleefeld), jene
von F. Mottl neu bearbeitet.
Mit Donizetti geht die Geschichte der Opera buffa zu Ende. Mochte auch ab und zu
eine solche noch in Auftrag gegeben werden — Verdis auf lange Zeit einzige komische Oper,
,,Einen Tag lang Konig", entstand auf diese Art — , die franzosische Einwirkung war zu stark
geworden, als dafi die heitere Gattung erfolgreich hatte gepflegt werden konnen; der alte
Verdi erst beschenkte sie mit einem Meisterstiick in seinem ,,Falstaff".
58 H. d. M.
908 Die Oper im 19. Jahrhundert: Italien
In die Gefolgschaft Simon Mayrs gehort (nach Schiedermair) mit General!, Pacini, Mer-
cadante, Spontini, Rossini und Donizetti auch noch der friih verstorbene Sizilianer Vincenzo
Bellini1) (1801—35), der andererseits mit seinen Hauptwerken in das Jahrzehnt des
Umschwungs reicht, und durch die Natiirlichkeit seiner Aussprache in ,,Montechi e Capuleti"
(1830) Wagners Bewunderung erregt (,,Die deutsche Oper", Zeitung for die elegante Welt,
10. Juli 1834, Neudruck in Kiirschners Wagner- Jahrbuch). Von Bellinis 11 Opern hatte nur
eine einen Mifierfolg: ,,Zaira" (Parma 1829); iiber ,,Adelson e Salvini" (1825) und ,,Bianca
e Fernando" (1826), iiber ,,11 pirata" (1827) und ,,La straniera" (1829), die Mailander Stiicke,
iiber die beiden genannten, for Parma und Venedig bestimmten Stiicke erhebt sich die Kurve
zu ,,La sonnambula" (Mailand 1831), von hier nun auch durch den Umschwung zu soliderer
Faktur gestiitzt, und weiter zu ,,Norma" (1831) und dem Pariser Erfolg mit ,,I Puritani"
(1835); ,,11 fo ed il sara" wurde (1832) nur in kleinem Kreise gegeben; ,,Beatrice di Tenda"
(1833) hatte geringere Wirkung. Auch hier hangt das Schicksal des Werks groBenteils mit
der Wahl des Gesangssolisten zusammen: so ist der ,,Romeo" an den Namen der Schroder-
Devrient, die ,,Norma" an den der Malibran gekniipft. In der Erfindungskraft und im tech-
nischen Konnen hinter Rossini zuriickbleibend, besticht Bellini durch Wahrhaftigkeit der
Empfindung, die sich in der ,,Norma" zu spontinischer GroBe zu erheben vermag. Seine
Neigung zu pathologischen, nachtseitigen Stoffen ist Romantik, gesehen durch ein romanisches
Temperament. Seine Liebesszenen sind bedeutender, als die mit Sicherheit eintretenden Ge-
bete, und im Elegischen und Zartlichen von eigenem Charme.
Der unerwiinschte Erfolg der durch Mayr eingeleiteten Aufnahme Gluckscher Stilelemente
war die durch ihre Verkennung verschuldete Verdunkelung der spezif isch italienischen Kunst,
seelische Zustande durch den Sologesang darzustellen; man wollte das Drama ergreifen, aber,
was man in der Hand hielt, war nur seine aufiere Hiille. Der Niedergang der italienischen
Oper Ist nicht mehr aufzuhalten.
Aus der Fiille der Krafte, die im Sinne der alten Oberlieferung, ohne durch neue Einfliisse wesentlich beunruhigt
zu werden, weiterarbeiten und die Versumpfung des Volkes in der ,,Beata tranquillita" (Righetti) eines einseitigen
und mechamschen Interesses fur die absinkende Oper auf dem Gewissen haben, seien folgende Namen genannt :
Pier Antonio Coppola (1 793—1877); Giov.Tadolini (1 793—1 872); Giovanni Pacini (1 796—1867, etwa90 Opern) ;
Vincenzo Fioravanti (1799—1877); Joseph Rastrelli (1799—1842 in Dresden lebend); Giuseppe Persiani (1799
bis 1869); Luigi Ricci (1805—59); Cesare Pugni (1805—70, neben Opem zahlreiche Ballette); Michele Costa
(1808—84); Federico' Ricci (1809—77); Lauro Rossi (1810—85); Giuseppe Concone (1810—61); Achille Peri
(1812-30); Alberto Mazzucato (1813—77); Antonio Brancaccio (1813-46); Enrico Petrella (1813—77); Conte
Nicolo Gabrielli (1814—91); Giuseppe Lillo (1814—63); Antonio Buzzola (1815—71); Francesco Schira (1808
bis 1883); Achille Graffigna (1816—96); Teodulo Mabellini (1817—97); Carlo Pedrotti (1817—93); Antonio
Bazzini (1818—97; gediegener Musiker, nur eine Oper: ,,Turanda", 1867); Abramo Basevi (1818-65); Nicola
deGiosa(I820— 85); CesareDominiceti(1821— 88); Giovanni Bottesini (1821— 89); Luigi Arditi (1822— 1903);
Eugenio Terziani (1824-89); Nicolo Coccon (1826—1903); Michele Ruta (1827—%); Antonio Cagnoni (1828
bis 1896); Pietro Platania (1828—1907); Giro Pinsuti (1829—88); Filippo Marchetti (1831—1902); Alberto
Randegger (1832—1911); Amilcare Ponchielli (1834—86). Es ist zu bemerken, dafi diese I"Jompomsten( sofern
sie nicht in Italien bleiben, sich nicht mehr nach Paris, sondern nach London, auch nach Rufiland wenden; aber
seit den dreifiiger Jahren leben die italienischen Theater vom franzosischen Import. Zehn Jahre spater beginnen nun
allerdings die ersten Werke Verdis die Grenze zu iiberschreiten und Zeugnis abzulegen von der bauerlichen Kraft
einer neuen Erscheinung.
*
x) Die von H. Kretzschmar: Geschichte der Oper (1919), S. 261, aufgezahlten Charakteristika seiner Schreib-
technik weisen in der Tat auf Mayr, zu dem Kretzschmar ihn sonst in Gegensatz bringt. Mays Robustheit ist in
der weicheren Natur Bellinis allerdings gemildert.
Die Oper im 19. Jahrhundert: Italian
Giuseppe Verdi wurde am 10. Oktober 1813 zu Roncole, einem Dorfe bei Parma, geboren.
AIs er sich, vorgebildet durch den Organisten Provesi, 1832 zur Aufnahme in das Mailander
Konservatorium meldet, wird er abgewiesen; so wird er Schiiler des Kapellmeisters am Scala-
theater Lavigna, dessen fachmannische Winke dem in der Blihne das Organ seines Ausdrucks-
willens erkennenden Jiingling willkommen sein muBten. Nach seinen ersten Opernerfolgen
vermahlte er sich (1836) mit der Tochter seines vaterlichen Freundes Barezzi, die ihm indes
mit zwei Kindern bald wieder entrissen wurde (1840). Verdis zweite Gattin, Giuseppina
Strepponi (1817—97) lebte, nachdem sie die Biihne verlassen hatte, als Gesanglebrerin in
Paris, bis Verdi sie 1849 (mit den legitimen Formen 1859) heiratete. Verdi hatte sich in seiner
Heimat angesiedelt, wo er eine Villa St. Agata erbaut hatte, war aber viel auf Reisen und im
Winter meist in Genua. Er starb am 27. Januar 1901 in Mailand.
Die wechselseitige Beeinflussung der franzosischen und der italienischen Opernkunst, die
an die Namen Gluck und Mayr, Cherubini und Spontini, Meyerbeer und Rossini gekniipft ist,
lafit es erstaunlich erscheinen, daC der letzte dieser Meister als ,,Italianissimo" wenigstens be-
gonnen hat. Nach einigen an Donizetti ankniipfenden Anfangen (,,0berto conte di S. Boni
facio", Mailand 1839, ,,Un giorno di regno", Mailand 1840) benutzt Verdi seine nachsten
Werke: ,,Nabucodonosor * (,,Nabucco**, Mailand 1842) und ,,I Lombard!" (Mailand 1843) dazu,
unter dem Mantel religioser Handlungen in feurigen Ausbriichen als Patriot zu Patrioten zu
sprechen und zur politischen Einigung Italiens aufzuf ordern ; auch der auf Viktor Hugos
revolutionarem Stuck beruhende, von Francesco Piave nicht gerade gliicklich gestaltete
,,Ernani" (Venedig 1844) ist noch zu sehr in der Tendenz befangen, als dafi ihm mehr, als ein
allerdings starker Augenblickserfolg hatte beschieden sein konnen. Die politische Begeisterung
stellte sich nach ,,I due Foscari" (Rom 1844, nach Byron), nach ,,Giovanna d'Arco" (Mailand
1 845) und nach der auf Voltaire beruhenden ,,Alzira ' (Neapel 1 845) erst wieder bei dem selbst-
gewahlten ,,Attila" (Venedig 1846) ein; und noch einmal durchmessen wir den gleichen Bogen,
wenn wir iiber ,,Macbeth" (Florenz 1847), iiber ,,I Masnadieri" (London 1847, nach Schillers
,,Raubern**), iiber .Jerusalem** (Paris 1847), iiber ,,11 corsaro" (Triest 1848) zu ,,La battaglia
di Legnano" (Rom 1849) vorschreiten, die, an sich nicht bedeutend, durch die politisch erregte
Sprache wirkte. Mit ,,Luisa Miller** (Neapel 1849) und mit dem weniger erfolgreichen ,,Stif-
felio*' (Triest 1850) schliefit die Epoche von Verdis national begrenzter Wirkung. DerText-
dichter Temistocle Solera, ein zu Verdis versonnener Art nicht passender Bohemien, zeigt
eine vom ,,Nabucco" zu den ,,Lombardi", zur ,,Giovanna d'Arco" und zum ,,Attila" ab~
steigende Linie; Salvatore Cammarano, der Verfasser der ,,Alzira", der ,,Battaglia*', der
,,Luisa Miller* und spater des ,,Trovatore" bleibt eine Episode; Francesco Maria Piave ge-
winnt den Meister mit dem Buch zu ,,Ernani", zeigt ein geringes Niveau in ,,Foscari", ,,Mac-
beth**, ,,Corsar", ,,Stiffelio**, spater in ,,Simon Boccanegra", ,,Forza del Destino", nimmt aber
mit Recht an den Erfolgen der ,,Traviata" und besonders des ,,Rigoletto" teil. Nicht wegen
der Wirkung auf das Publikum, sondern wegen der Wirkung auf den Komponisten ist die
Stellung des Librettisten so bedeutend.
Die traditionelle Fliichtigkeit der technischen Arbeit, die Ablosung vollgelungener Teile
durch konventionell behandelte Strecken hatte die Kritik des Auslandes wachgerufen, und
Verdi hatte schon in der ,,Luisa Miller** eine sich steigernde Verfeinerung der Arbeit ein-
geleitet. Das Werk, das den Weltruhm des Komponisten begriindete, ist der aus Viktor Hugos
Die Oper im 19. JaKrhundert : Italien 91 ]
,,Le roi s 'amuse" geschopfte ,,Rigoletto" (Venedig 1851), in dem der Patriotismus zwar noch
vorhanden ist, aber gebandigt erscheint. Die Zensur verlegte die Handlung vom Hofe Franz I.
vcn Frankreich an den eines Herzogs von Mantua. Das Festhalten eines wirklich tragischen
Tons bei der Anwendung unverfalscht italienischer Mittel in Melodik und Harmonik gibt
dieser Oper eine Sonderstellung in den Werken der mittleren Zeit und hebt sie auch iiber die
nun folgenden: ,,11 Trovatore" (Rom 1853) und ,,La Traviata" (Venedig 1853) heraus, die
zur alten Oper, die im ,,Rigoletto" bis auf einen kleinen Rest iiberwunden schien, zuriick-
streben. Der auf einer spanischen Vorlage von 1836 beruhende ,,Troubadour", nicht als
Drama, sondern nur als Folge einzelner scharf gesehener Szenen verstandlich, ist in der
Gegeneinandersetzung von Rittertum und Zigeunerhaftigkeit rein romantisch. Romantik, aber
durch dieBrille des Alexandre Dumas gesehen, also modern eingekleidet, ist die Bellinis Stoff-
gebiet erweiternde Gescbichte von der Verworfenen, deren Heldenmut in Tranen, deren Edel-
sinn in Sentimentalitat aufgelost erscheint; immerhin darf zugegeben werden, dafi die Neuartig-
keit des Kostiims in der ,,Traviata", die zusammengefafite Schlichtheit und DeutlicKkeit der
psychologischen Verhaltnisse der Musik neue Ausblicke eroffnet haben, wenn auch prinzipiell
der Ton des gleichzeitigen ,,Troubadour" festgehalten wird. Verdis Name war so sehr zum
politischen Programm geworden, dafi man sich wundern muB, einen Auftrag aus Paris kommen
zu sehen: ,,Les vepres siciliennes" (1855), der ihm neben neuen Anhangern auch neue Femde
und eine stilistische Annaherung an die grofie Oper (Ballett der Jahreszeiten) brachte. Uber
2 Werke geringeren Belanges : ,,Simon Boccanegra" (Venedig 1857, umgearbeitet Mailand 1881)
und die Verwandlung des ,,Stiffelio" in einen ,,Aroldo" (Rimini 1857) gelangt der Meister zu
einem bedeutenden Fortschritt in der dramatischen Anlage mit ,,Un ballo in maschera" (Rom
1859), dessen Stoff, der Tod Gustavs III. von Schweden, schon von Auber (1833) war be-
handelt worden; die Konzentration des Vorwurfs kommt der Vertiefung der musikalischen
Arbeit zugute; zum ersten Male seit jenem Jugendversuche zeigen sich Ansatze zur musi
kalischen Behandlung des Humors. An dem Verhangnis eines unzulanghchen Textes scheitert
die Schicksalstragodie ,,La forza del destine" (Petersburg 1862); die Umarbeitung der Jugend-
oper ,,Macbeth" fiir Paris (1865) blieb ohneNachhall. Verdi selbst fiihlt die an die Tradition
der grofien Oper ankniipfende, dann aber wieder — im Selbstgesprach des Konigs — weit
in die Zukunft weisende Musik zum ,,Don Carlos" (Paris 1867), einen so hohen Standpunkt
sie, technisch betrachtet, einnehme, am Texte verungliicken, und er spricbt dariiber: die
Ausdehnung des Buches habe ihn verhindert, grofiziigig zu arbeiten. Die nun folgenden Jahre
der Ruhe sind die Sammlung des der scbonsten Altersreife entgegengehenden Mannes, der
auch da, wo er die absolute Musik, das Orchester unter dem Einflusse Wagners in hoherer
Art mitbeteiligt, nie auf die menschliche Stimme als Tragerin der sinnlichen Wirkung — und
das Theater ist nun einmal die umhegte Pflanzstatte des immer wieder gesuchten ,,effetto" —
verzichtet: gerade das, was Wagners komplizierte, der Pose nicht abholde Natur erstrebt und
verschmaht, das verschmaht und erstrebt die ,,sincerita" seines menschlichen und kiinstle-
rischen Antipoden Verdi.
Die Anwendung des schon im ,,Don Carlos" als Erinnerungsmotiv auftauchenden Leit
motivs macht, geschahe sie auch in weniger zuriickhaltender Art als in der ,,Aida" (1871 , Cairo),
aus dem grofien Opernkomponisten keinen Musikdramatiker; beide stehen auf zwei selbstan-
digen Berggipfeln, die sie auf verschiedenen Wegen erklommen, aber sie vermogen jetzt, sich
912 Die Oper im 19. Jahrhundert: Italien
zu sehen und zu griiBen. Der Text der ,,Aida" geht auf die franzosische Fassung eines alt-
agyptischen Stoffes durch Mariette-Bey zuriick, der, von Antonio Ghislanzoni verstandig be-
arbeitet, dem Meister des ,,Nabucco" und der Zigeunerszenen im ,,Troubadour" Gelegenheit
zur Ausmalung b'stlichen Lokalkolorits gibt. Aber auch im Dramatischen soil die Musik
Herrin bleiben; die Verklarung der Nummernoper wollte der Komponist: ,,Womoglich ab-
gebrochene Verse * (,,La parola scenica!") ruft er dem Dichter zu. Auch der bel canto kann
zur Wahrheit fiihren. Der seelische Zuwachs kommt aber auch dem Orchester zugute, das
darum nicht aufhort, das Verdis zu sein. Dramatische Steigerung und dazwischen lyrische
Flachenhaftigkeit sind die glucklichen Kennzeichen des von Arrigo Boito, dem Komponisten
des ,,Mefistofele", dargebotenen Buches zum ,,Othello" (Mailand 1887). In den 16 Jahren,
die zwischen ,,Aida" und ,,Othello" liegen, hatte sich derSieg des Musikdramas entschieden;
die italienische Oper gait auch dem jiingeren italienischen Musikergeschlecht als verloren.
Shakespeare, dunkel geahnt in der Macbethzeit, wird die Rettung des Mittelmeervolkes bringen,
nicht etwa die Nachahmung des germanisch-nebelhaften Mythos. ,,Wir sind auf Klarheit be-
dacht und zum grofien Teil Skeptiker" (an Clara Maffei). Der Umstand, da8 das langsam
\verdende Werk ,Jago" genannt werden sollte, ist charakteristisch far den Umschwung, der
sich in der Einstellung des Schopfers zum Geschaffenen vollzogen hatte: nicht mehr ,,amore"
und ,,passione", so bereitwillig sie sich darbieten, stehen mehr im Blickpunkt: etwas Geistiges
ist, da nun die Sinnlichkeit der Weisheit gewichen, an ihre Stelle getreten; das Parlando lost
das Melos ab. Fur den Spott, der aus der Kalte flieGt, f indet das Orchester zum ersten Male
Tone. Daneben aber gewinnt auch die Natur als romantischer ,,Held*' ihre Stellung wieder in
der Gewltterszene, im Rauschen des den Nachhall von Desdemonas Lied forttragenden Windes.
Jetzt war auch der Tragiker in ihm so grofi geworden, dafi er die Erganzung durch das Ko-
mische fin den konnte, das er instinktiv seit langem ersehnt hatte. Wieder ist es Shakespeare,
an den er sich v/endet, Shakespeare, der die Heiterkeit der italienischen Trecentisten wider-
strahlte und dessen Zug zur Wahrhaftigkeit in ihm eine Saite erklingen machte. Wieder ist
Boito der Textdichter; der Dickwanst Falstaff ist der Held, der Stil des Werkes durchaus
auf das Intime gestellt, nicht an das grofie und gar an das italienische Publikum gewandt: eine
Kammeroper hundert und einige Jahre nach dem ,,Figaro* . Die Urauffuhrung am 9. Februar
1893 in dem die Biihne verkleinernden Scala-Theater zeigt den Sieg des aus dem Geist der
Sprache geschopften Parlando; so weit aber abgeriickt von alien Buffogepflogenheiten, dafi
Otto Nicolais ,,Lustige Weiber" uns italienischer anmuten, als dies Werk der leichtesten
Hand, die keine Stimmverdoppelung, zumal keine Unterstiitzung der Gesangslinie durch
das Instrument mehr kennt und Kammermusik schreibt, vollig unabhangig von der
Sprache Rossinis, wie auch der ,,Meistersinger" bis zu dem ,,Tutto nel mondo e burla"
der SchluBfuge.
Ahnlich wie Wagner in Deutschland, hatte Verdi in Italien Mit- und Widerstrebende, deren Wirken —
Boito schreibt lieber einen Text fur Verdi, als eine eigene Oper — ahnlich wie in Deutschland einigermafien
im Dunkel bleibt.
Tomaso Benvenuti(1838— 1906, 7 Opern); RiccardoC. D. D. Gandolfi (1839— 1920, 3 Opern) ; Franco Faccio
(1840-— 91, Verdi-Dirigent, eigenartige Opern: ,,I profughi Fiamminghi", 1863, und ,,Amleto", 1865, Text von
A. Boito); Romualdo Marenco (1841—1907, 4 Opern, eine Operette, iiber 30 Ballette); Arrigo Boito (1842—1918,
als Dichter: Tobia Gorrio, bekannt als Librettist Verdis, bringt 1868 einen ,,Mefistofele" heraus, der spater als
originelles Werk anerkannt wird; 2 Opern sind noch unauf gefuhrt : ,,Neroneu und ,,0restiade") ; Costantino dall'Ar-
gine (1842—77, Ballette und Opern); Nicola d'Arienzo (geb. 1842, 10 Opern, zum Teile komisch); Amintore
Abb. 84. Giuseppe Verdi, Falstaff. Autograph. Aus dem Finale des zweiten Akts.
Original im Besitze der Firma G. Ricordi & Co. in Mailand.
914 Die OF** 'lm 19.Jahrhundert: Italian
Galli (1845—1919, 2 Opern); Salvatore Auteri-Manzocchi (geb. 1845, 6 Opern); Guglielmo Branca (geb. 1849,
3 Opern); Antonio Scontrino (geb. 1850, 5 Opern, Musik zu G. d'Annunzios ,,Francesca da Rimini"); Eugenic
Pirani (geb. 1852, ein Ballett: ,,Des Kiinstlers Traum"; Oper: ,,Das Hexenlied", Prag 1902); Gaetano Coronaro
(1852—1908, 3 Opern); Alfonso Rendano (geb. 1853, Oper: ,,Consuelo", 1902, auch in Deutschland) ; Antonio
Smareglia (geb. 1854, von Wagner beeinfluSte Opern: ,,Preziosa", 1879, ,,Bianca da Cervia", 1882, ,,Re Nala",
1887, ,,Der Vasall von Szigeth", Wien 1889, ,,Comelius Schutt", Prag 1893, ,,Nofte istriane", 1895, ,,La Falena",
1897, ,,0ceana", 1903, ,,Labisso", 1914); Michael Esposito (geb. 1855, eine Oper und eineOperette fur England,
2 Opern fur RuBland); Alberto Franchetti (geb. 1860, in Deutschland gebildet, sieben zum Teil auch in Deutsch
land gegebene Opern); Emilio Pizzi (geb. 1862, 8 Opem); Crescenzo Buongiorno (1864 — 1903, eine italienische
Oper: ,,£telka", 1887, darauf 12 Operetten und dann 3 deutsche Opern: ,,Das Erntefest", 1896, ,,Das Madchenherz",
1901, ,,Michel Angelound Rollo", 1903); Ferruccio B. Busoni (1866—1924 lebte in Deutschland, Opern: ,,Sigune
oder das versunkene Dorf", 1888: ,,Die BrautwahT, 1912, ,,Turandot", ,,Arlecchino", 1918 und ,,Der Doktor
Faust", voUendet von Ph. Jarnach, 1925).
Aus Italian kommen auch die praktisch-kiinstlerischen Ergebnisse einer die letzten Jahre
des 19. Jahrhunderts aUgemein charakterisierenden Weltanschauung, die in tiefem MiBtrauen
gegen den Menschen eine technische Bewertung derDinge propagiert. Die daraus entflieBende
Leugnung der Notwendigkeit einer das Geschehen zusammenfassenden Stilisierung for das
Kunstwerk ergreift auch den nach der Zuschauerseite offenen, kiinstlich beleuchteten, durch
das Orchester vom Parkett getrennten Schauplatz der Opernbiihne. So wohltatig der Naturalis-
mus auch auf gewisse Verwaschungen des Idealismus gewirkt hat, wahr — und wahr zu
sein war das Ziel — ist seine Kunst eben nur in einem niederen und elementaren Sinne.
Die grofie, noch Goethe eigene Fahigkeit, aus der Tagseite des Lebens Darstellenswertes zu
finden, war unterdem Eindruck einer aufkommenden pessimistischen Grundstimmung dem
bequemeren Verfahren gewichen, Ausschnitte aus der Nachtseite des Daseins zu verabreichen*
Die Programmusik mit ihrer Verfiihrung zur Kleinmalerei der aufiermusikalischen Anreizer
die musikalische Unterstreichung der Gebarde durch Wagner hatten die der Losung der neuen
Probleme dienlichen Mittel bereitgestellt; aber Deutschland war stofflich zu sehr an Wagner
gekettet. Von der Dichtung, oder richtiger vom Text aus kam auch diesmal der neue Musik-
und Kunststil. Vielleicht ist schon Mussorgskis ,,Boris Godounow" (1874), in gewissem Sinne
schon Verdis ,,Traviata" (1853) als Vorlaufer der heftigen Bewegung anzusprechen, mit der
Italien, der historischen und heroischen Tone satt, im Jahre 1890 losbrach, als der junge Pietro
Mascagni (geb. 1863) in dem vonRicordi veranstalteten Wettbewerb um eine einaktige Oper
mit der ,,Cavalleria rusticana" den Sieg, der zugleich ein Weltsieg war, errang. Die Probleme
des Kampfs um das Dasein, die Turridu auszufechten hat, vergleiche man mit denen des
gleichen Kampfes, die in dem etwas iiber 100 Jahre friiher liegenden Goetheschen Stuck ,,Die
Geschwister" (1 776) gelost wurden, und ermesse den Riickgang. der kunstlerischen Gesinnung,.
den der ,,Verismo" bedeutet. Ricordis Rivale Sonzogno hatte das Gliick, zwei Jahre nach der
,,Cavalleria" mit Ruggiero Leoncavallos(1858 — 1919) zweiaktiger Oper ,,I Pagliacci" (Text
vom Komponisten) einen durch fast ebenso billige Mittel erreichten, aber ebenso nachhaltigen
Publikumserfolg zu erringen. Die auffallende Duplizitat dieser Erfolge hat die unerwiinschte
Nebenerscheinung, daB beide Komponisten mit ihren andern Werken nicht durchzudringen
vermochten, Mascagni noch weniger als Leoncavallo. Mascagni schrieb nach seinem Erfolge
noch die Opern: ,,Uamico Fritz" (1891), ,,DieRantzau" (1892), ,,RatclifT (1894), ,,Zanetto'\
,,Silvano", 2 Einakter (1895), ,,Iris" (1898), ,,Lemaschere ' (1901), ,,Amica4 (1905), ,,Isabeau *
(1912), ,,Parisina4t (1913), tfLodoletta"(1917) und eine Operette ,,Si" (1919). Leoncavallo hatte
mit einer tragischen Oper ,,Chatterton" (erst 1896 aufgefiihrt) Ungliick, versuchte sich dann an
Die Oper im 1 9. Jahrhundert : Itallen 915
einer Trilogie ,,Crepusculum", deren 1. Teil ,,I Medici" vollendet wurde (aufgefahrt 1893).
Inzwischen hatte der Komponist den bekannten Erfolg und fuhr mit ,,La Boheme" (1897)
und mit ,,Zaza" (1900) in dem gleichen Genre fort; der ,,RoIand von Berlin" (1904) ent-
tauschte, wie die folgenden nun nicht mehr von ihm selbst gedichteten Werke: ,,Maja" (1910),
,,I Zingari" (1912), ,,Ave Maria, Mameli" (1916) und die Operetten: ,,Malbruk" (1910),
,,La reginella delle rose" (1912), ,,Are you there" (1913), „ La candidate" (1915), ,,Prestami
tua moglie" (1916) und ,,A chi la Giarettiera" (1919).
Der Vertreter eines neuen, von Frankreich und sonderlich von dem Zolakomponisten
A. Bruneau beeinfluBten Verismus hatte Leoncavallo und seiner ,,Boheme" das Wasser ab~
gegraben: Giacomo Puccini (1858— 1924) hatte ein Jahr vorher( 1896) den gleichen, iiber und
iiber in Sentimentalitat getauchten Stoff auf eine halb weltmannische, aber iiberall ansprechende
Art behandelt, nachdem er sich von einem die natiirlichen Zusammenhange wahrenden Werk
,,Le Villi" (1884) iiber ,,Edgar" (1889) zur halbveristischen, in der Erfindung hochstehenden
,,Manon Lescaut" (1893) durchgerungen hatte. Das Fehlen einer rein pessimistischen An-
schauung holt Puccini mit seiner blutriinstigen ,,Tosca" (1 900) reichlich wieder auf. Die Abkehr
vom Verismo erleichtert sich Puccini, der im Innern dem franzosischen Sentiment naher steht,
als der italienischenVJ tali tat, der aber auch far eine Weltkundschaft zu sorgen hatte, durch die
Einkleidung moderner Menschen in auslandische Kostiime; da die der Tiirken und Agypter
abgetragen sind, wendet er sich mit ,,Madama Butterfly" (1904) an den fernen Osten, mit ,,La
fanciulla del West" (1913) an den fernen Westen. ,,La rondine" (1917) neigt, wie das ganze
Genre trotz gelegentlich sich breit machender Brutalitat, zur Operette. Die Riickkehr zum
Verismo in dem Einakter ,,11 Tabarro", zur Manon in ,,Suor Angelica" wird abgelost durch
einen derben Spafi aus der Boccacciozeit : ,,Gianni Schicchi" (alle drei 1920). Die Anbe-
quemung des Puccinischen Werks an den Alltagsbetrieb der Opernhauser und an ein inter-
nationales Durchschnittspublikum erklart seinen Erfolg zu einer Zeit, da der Schiller- Wag-
nersche Gedanke von einer Biihne als moralischer Anstalt immerhin noch nicht verflogen war.
Zum alten Verismo ist der Deutsch-Italiener Ermanno Wolf -Ferrari (geb. 1876), der
Komponist vieler reizender Musiklustspiele, in seiner Oper: ,,Der Schmuck der Madonna"
(1 908) iibergegangen, ohne von der Eignung seiner feinen Natur fur diese Ausdrucksweise zu
iiberzeugen. Vor diesem Werk liegt ein biblisches Stiick ,,La Sulamita" (1898), liegen die
Opern ,,Cenerentola" (1900), ,,Le donne curiose" (1903), ,,Die vier Grobiane" (1906); es
folgen ihm: ,,Susannens Geheimnis" (1909), ,,Der Liebhaber als Arzt" (1913), ,,Gliamanti
sposi" (1925) und ,51y" (1927).
1 *
Von spanischen und portugiesischen Opernkomponisten und Verfassern von Zar-
zuelas (Singspielen mit Dialog) im 19. Jahrhundert sind zu nennen: Don M. Hilarion Eslava
(1807—78, 3 Opern); Joaquim Casimiro (da Silva, 1808-— 62, Operetten, Zauberpossen,
Inzidenzmusiken) ; Carlo Emanuele di Barbieri (1822 — 67, Opern, darunter: ,,Perdita, ein
Wintermarchen", 1865; Ballette; Possen); Emilio Serrao (geb. 1850, 2 Opern far Madrid:
„ Irene d'Otranto", 1891, ,,Gonzola del Cordoba", 1898);TomasBreton (y Hernandez, geb.
1850, 40pern; 3 Zarzuelas); RupertoChapi (y Lorente, 1851— 1909, 6 Opern; 155 Zarzuelas);
Don Isaac Albeniz (1860 — 1909, mit bedeutendem Einflufi auf den franzosischen Impressio-
nismus Debussys, 5 Opern, darunter die Trilogie ,,King Arthur", 1897 — 1906; Zarzuelas);
ie Oper im 19. JaHrKundert: Norwegen
Francesco Cilea (get. 1866, 5 italienische Opern); Joan Manen (geb. 1883, Opem: f>Gio-
vannadi Napoli", 1903; ,,Acte", 1903, auch in Deutschland; ,,Der Fackeltanz", 1909).
Spiro Samara (1861—1917, Opern fur Paris, Italien und Athen, darunter ,,Flora mirabilis",
1886) ist griechischer Abkunft.
Literatur
Blessinger, Karl: Giuseppe Verdi; Der Verismo. Meister der Oper, hrsg. vom Biihnenvolksbund in Frankfurt
a. M. o. J. (1921), — Radiciotti, Giuseppe: Teatro e musica inRomanel secondo quarto del secolo XIX (1 825 — 50).
Atti del congresso intemazionale di scienze storiche. Vol. VIII, 157. Roma 1905. — Schiedermair, Ludwig:
Beitrage zur Geschichte der Oper um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. I. Simon Mayr. Leipzig 1907.
II. Simon Mayr (II. Teil). Leipzig 1910. — Soubies, Albert: Le theatre italien de 1801 a 1913. Paris 1913.
— Weifimann, Adolf: Verdi. Stuttgart-Berlin 1922. — Derselbe, Giacomo Puccini. Miinchen 1921. —
Werner, Th. W.: Die Musikhandschriften des Kesmerschen Nachlasses im StadtarcKiv zu Hannover.
Hannoversche GescKichtsblatter Jahrg. 1919, S.241.
Norwegen
Ole Bulls, des beriihmten Geigers, Traum vom norwegischen Nationaltheater findet seine
reale Berechtigung in der durch einen im Vergleich zu Danemark und Schweden festen Ab-
schlufi vor fremder Beriihrung bewahrten Eigenart der Kultur und Gesinnung des Volkes.
Wenn diesem Traum eine Erfiillung nicht wurde, so liegt der Grund wohl nicht in der Be-
gabung der Rasse, die ja literarische dramatische Talente in groBerer Zahl hervorgebracht hat,
sondern in dem zufallig zu nennenden Fehlen einer Musikererscheinung, deren Neigung und
Befahigung dem Theater gegolten hatte. Auch mogen die Eigenheiten der Organisation der
Musikpflege mitsprechen. Norwegens erste Oper: M. A. Udbyes (1820 — 89) ,,Fredkulla"
ist jedenfalls nie zur Auffuhrung gekommen. Das gleiche Schicksal trifft die Opern ,,Stig
Hvide", ,,Stallo" und das Singspiel ,,Svein Urad" des der Moderne geneigten Ole 01 sen
(geb. 1850), dessen ,,Lejla" erst 1908 in Christiania hervorgezogen wird. Eine dem Stoff
nach nationale Oper ,,Fra gamle Dage" schrieb Joh. Haarklou (geb. 1 847), der er ,,Vaerringare
i Myklagaard" folgen lieB. Catharinus Elling (geb. 1858) tritt mit einer Oper ,,Kosakkern"
hervor. Die starkste Begabung spricht sich bisher in Gerhard Schjelderup (geb. 1859) aus;
der in Gegensatz zu den meist in Deutschland gebildeten norwegischen Komponisten aus
franzosischer Schule hervorgehende, in Deutschland ansassige Meister wurde durch die Musik-
dramen , Jenseits Sonne und Mond", ,,Ein Volk in Not", ,,Die scharlachrote Blume", ,,Nor-
wegische Hochzeit" (1900 in Prag), ,,Friihlingsnacht" (1908 in Dresden), ,,Sturmvoger*
(1916), ,,Bruder-ovet*' (,,Brautraub" 1919), sowie durch ein Weihnachtsspiel, ein drama-
tisches Marchen ,,Sampo" und ein Tanzmarchen ,,Wunderhorn" bekannt. Die Zuwendung
zur musikalischen Behandlung von literarischen Dramen ist fur die norwegischen Musiker zu
stark, als dafi sie iibersehen werden diirfte: so schreibt Wald. Thrane (1790 — 1828) eine
Biihnenmusik zu Bjerregaards ,,Fjaeldaeventyret" (,,Bergabenteuer", 1824), J. G. Conradi
( 1 820 — 96) eine solche zu Monsens , ,Gudbrandsdolerne' ' , Fr . Aug. Reissiger(1 809 — 83) zu
,,Til Saeters" und andern norwegischen Texten, Rich. Nordraak (1842 — 66) zuBjornsons
,,Maria Stuart" und ,,Sigurd Slembe", Edvard Grieg (1843—1907) zu Ibsens ,,Peer Gynt",
Elling zu Ibsens ,,Kaiser und Galilaer** und zu Shakespeares ,,Sommernachtstraum<4, Olsen
zuWeilens ,,ErikXIV." und zu Rolfsans ,,SvaemUraed", IverHolter (geb. 1850) zuGoethes
, ,Gotz" , und Schjelderupzu Gjellerups ,,0pf erfeuer" und zu Borngrabers ,,0ber Attilas Grab" .
Die Oper im 19. JaKrhundert: Schweden 917
Schweden
Die Musikgeschichte Schwedens verzeichnet als charakteristische Eigenheit des 17. und
18. Jahrhunderts einen bunten Wechsel von Beeinflussungen durch die Kunst aller Kultur-
lander: D lib en stammt aus Deutschland, Roman ist Schiiler Pepuschs und Handels, die
Opera seria eines Uttini mit franzb'sischer Prachtentfaltung und italienischer Musik wird von
Naumann fortgesetzt (,,Gustav Vasa", 1786), das deutsche Singspiel und die Opera comique
wandern ein. Des dritten Gustav 1773 gegriindetes Opernhaus in Stockholm wird 1806 in
ein Hospital verwandelt, aber 3 Jahre spater seiner Bestimmung wieder zugefuhrt; die An-
satze zu einer national-schwedischen Oper unter K. Stenborg (,,Gustav Adolfs jakt", 1777
und ,,Gustav Eriksson in Dale-Karlien" , 1787) entwickeln sicli in dem 1772 gegriindeten
schwedischen Volkstheater, dem sich 1788 die vom Ausland lebende schwedische komische
Oper anschliefit.
Die Neigung des Volkes zum begleiteten und unbegleiteten Liedgesang verschuldet in der
ersten Halfte des 1 9. Jahrhunderts neben dem Beiseitelassen der Instrumentalmusik eine von
Deutschland, Frankreich und Italien ausgehende Fremdherrschaft in der Oper. Mozart er-
scheint 1812 mit der ,,Zauberflote", 1813 mit ,,Don Giovanni" und 1814 mit der ,,Entfiihrung"
in Stockholm. Von Mehul und Rossini abhangig zeigt sich das 1806 zuerst erscheinende, noch
heute beliebte Singspiel ,,Ungdom og Galskab" des aus Fxankreich stammenden Geigers und
Sangers J. B. Ed. Dupuy (1771 — 1822); italienische Beeinflussungen nachhaltiger Art bringt
der gegen die Mitte des Jahrhunderts plotzlich in Stockholm auftauchende Veroneser Jac.
Foroni (1825 — 58) mit, der nach einer in Mailand aufgefiihrten Oper (,,Margherita", 1847)
bis 1850 die Werke ,,Cristina di Suezia", ,,I gladiatori" und ,,Advokaten Pathelin" heraus-
brachte. Diesen fremden Tonen gegeniiber vermag der heimatliche Klang, den A. Ran del
(1806 — 64) in seiner Biihnenmusik ,,Varmlandingarne" anschlagt, nicht durchzudringen.
J. N.Ahl strom (1805—57) tritt mit den Opern ,,Ringaren i Notre Dame", ,,Alfred der
GroBe", ,,Abu Hassan", A. Lindblad (1801 — 78) mit dem romantischen Werk ,,Frondorerna"
(1835, zur Einweihung des neuen Opernhauses in Stockholm 1898 wieder aufgenommen),
S. Sal o man (1816 — 99) mit einer grofieren Anzahl von Opern hervor, von denen nur ein Teil:
,,Tordensk}eld" (1844), ,,Die Herzensprobe" (1846), ,,Das Diamantkreuz" (1847,umgearbeitet
1886), ,,Der Fliichtling vonEstrella" (1867) in Skandinavien zu Gehor kam; ,,Das Korps der
Rache" erschien (1850) in Weimar, ,,Der verliebte Teufel" (1867) in Moskau; im Jahre
1868 folgte ,,Die Rose der Karpathen".
Neben den in der zweiten Halfte des Jahrhunderts sich behauptenden auslandischen Kom-
ponisten — es sind die gleichen Namen, die das deutsche Repertoire farben — machen sich
Erneuerungsversuche der Stenborgschen Bestrebungen, zu einer nach Form und Inhalt schwe
dischen Oper zu gelangen, wieder bemerkbar. Ivar Hallstrom (1826 — 1901), immerhin noch
an Meyerbeer und an die Opera comique angelehnt, iiberbietet sein erstes Werk ,,Herzog
Magnus" (1867) durch die auch in Deutschland aufgefiihrte Oper ,,Den Bergtagna" (,,Der
Bergkonig", 1874) und Isfit ,,Die Gnomenbraut" (1875), die ,,Wikingerfahrt" (1877), ,Ja-
guarita" (1884), ,,Nyaga" (1885), ,,Per Swinaherda" (1887), ,,Granadas Tochter" (1892), ,,Li-
ten Karin" (1897) folgen; die Operette und das Marchenspiel bedenkt er mit ,,Den fortrollade
Katten" (1869), ,,Mjolnarvargen" (1871), ,,Silverringen" (1880), ,,Aristoteles" (1886), ,,Hin
ondes snaror" (1900), das Ballett mit ,,In London" (1871), ,,Das Abenteuer in Schottland"
Die Oper im 19. Jatrhundert: Schweden, England
(1875), ,,Melusina" (1882); erne Musik zu Hedbergs Schauspiel ,,Stolts Elisif" ist vom Jahre
1870. Die in der glelchzeitig aufbliihenden selbstandigen Instrumentalmusik sich notwendig
machende syrnphonische Bindung kommt fortan auch dem Schaffen fiir das Theater zugute,
zunachst in Alb. Rubensons (1826—1901) Schauspielmusiken zu Hostrups ,,En Nat mellem
Fjeldene" (1858) und zu Bjornsons ,,Halte Hulda" (1865) und in denen Job. Aug. Soder mans
(1832—76) zu ,,Die Hochzeit in Ulfasa" (1865, daraus der aucb auf dem Kontinent bekannt
gewordene ,,Br6llopsmarsch" fiir 4 Frauenstimmen), zu Schillers ,,Fiesco" und , Jungfrau von
Orleans'4, zu Shakespeares ,,Richard III." Eine vermittelnde Stellung zwischen Sodermans
alteren Opern ,,Urdur" (1852), ,,Regina von Emmeritz" (1853), ,,Hin ondes larospan" (1856)
und der Neuzeit nimmt Richard Henneberg (geb. 1853) mit der komischen Oper ,,Drott-
ningens Vollfart" (1882) ein; auch er schreibt Biihnenmusiken zu Shakespeareschen Stucken,
zu Ibsens 4,Brand", zu ,,Lycko-Pers resa", zu ,,Erik XIV.", zu ,,Diamantbrollopet" und das
Ballett ,,Undina". Dem Singspiel wenden sich hier und da noch Interessen zu, ohne eine
neue Bliite heraufzufiihren.
Im letzten Viertel des Jahrhunderts erfahrt auch Schweden, nicht zuletzt durch die propa-
gatorische Wirksamkeit des Deutschen Henneberg, die unentrinnbare Macht des Wagnerschen
Genius, ohne daB deshalb die Betonung des Volkischen schwacher zu werden brauchte, ob-
wohl die nordische Welt Wagners den klaren und heiteren Geist der jetzt das Ubergewicht
gewinnenden Nordschweden nicht so widerspiegelt, dafi man an das Walten innerer Ver-
wandtschaft zu glauben hatte. Andreas Hallen (geb. 1846), obwohl von Reinecke, Rhein-
berger und Rietz geschult, steht, von Natur kraftig, wuchtig und auch leidenschaftlich, zweifel-
los im Deklamatorischen und in der Instrumentation unter Wagners Bann, aus dem er sich
allerdings gelegentlich, und je spater, je sicherer, mit dem Zuriickgreifen auf urwiichsiges Gut
in Lied- und Tanzformen (und kein Volk der Welt hat so schone Tanze wie die Schweden)
zu befreien versteht. Mit den Opern ,,Harald der Wiking" (Text von H. Herrig, 1881 Leipzig,
1884 Stockholm), ,,Hexfallan" (1896 Stockholm, umgearbeitet als ,,Walborgsmassa ', 1902),
,,Der Schatz des Waldemar" (1897 Stockholm, 1913 Stuttgart) trifft er den melodiosen Stil
Wagners. In der Behandlung der Orchesterpolyphonie ist ihm der weniger plastisch gestaltende
Wilh. Stenhammar (geb. 1871), dessen Opern ,,Tirfing" (1898) und ,,Hochzeit auf Solhaug"
(1899) auch in Deutschland erschienen, erheblich iiberlegen. Die Synthese zwischen Wagner
• und dem Geist des schwedischen Volkes versucht auch Wilhelm Peterson-Berger (geb.
1867) in dem Festspiel ,,Sveagaldrar" (1897), in dem Marchenspiel ,,Das Gluck" (1902) und
in den Musikdramen ,,Ran" (1903) und ,,Arnljot" (1910). Namentlich aufgefuhrt seien noch:
Bror Beckman (geb. 1866, Musik zu ,,En lyckoriddare'*), P. Noderman (geb. 1867, ,,Konig
Magnus"), Gosta Geijer (geb. 1857, dramatische Szene ,,Eine Klostersage") und die Kom-
ponistin H. Munktell (geb. 1852) mit der einaktigen Oper ,,Firenze" von 1889.
England
Eine selbstandige Entwicklung der Opernkomposition wird in England (und in Amerika) durch
das 1 9. Jahrhundert hindurch nicht festzustellen sein. Folgende englische Kpmponisten
haben sich der Oper zugewandt: Charles Edw. Horn (1786 — 1849, 26 Singspiele, eine
Oper: ,,The maid of Saxony", 1842); John Barnett (1802 — 90, wie der vorige. von
Die Oper im 19. Jahrhundert: England 919
deutscher Abkunft, Verfasser vieler Biihnenmusiken, erfolgreiche romantische Opern: ,,Die
Bergnymphe", 1834, ,,Schon Rosamund", 1837, und ,,Farinelli", 1838); John Lodge
Ellerton (1807—73, 7 italienische, 2 deutsche, 2 englische Opern); Mich. William
Balfe (1808—70, zahlreiche Opern, danmter: ,,The siege of Rochelle", ,,Das Madchen
von Artois", ,,Catharina Grey", , Jeanne d'Arc", ,,Falstaff", ,,Keolanthe", ,,The bohemian
girl", 1843, ,,Das Madchen vom Markusplatz", 1844, ,,Die Zauberin" 1845, fur London und
,,Lepuitsd*amour", ,,Die vier Haimonskinder", ,,Der Stern vonSevilla" fiir Paris; derLeich-
tigkeit der Konzeption steht die Unfahigkeit zur Sammlung entgegen); John Liptrot Hatton
(1809 bis 1886, Operette: ,,Die Konigin der Themse", 1844; Opern: ,,Pascal Bruno", 1844 in
Wien, ,JRose", auch: >,Love's ransom", 1864, und ,,Hezekiah", biblisches Drama, 1877; viele
Buhnenmusiken zu Shakespeare und Byron); William H. Holmes (1812— 55, eine Oper);
Edward J. Loder (1813—65, Opern: ,,Nourjahed", 1834, ,,Dice of death", 1835, ,,Raymond
and Agnes** , ,,The night dancers" ; Singspiel : ,,Puck" ; Maskenspiel : ,,The island of Calypso" ;
ferner eine Neubearbeitung der Beggars-opera); der Ire W. Vincent Wallace (1813 — 65,
Opern: ,,Maritana", 1845, ,,Mathilde von Ungarn", 1847, ,,Lurline", 1860, ,,The amber
witch", 1861, ,,Love's triumph", 1862, ,,The desert flower", 1863, ,,Estrella", unvollendet) ;
Henry Hugh (Heinrich Hugo) Pearson, auch Pierson (Pseudonym Edgar Mansfeld,
1816—73), in Deutschland lebend, schrieb solide deutsche Opem : ,,Der Elfensieg", 1845,
,,Leila", 1848, ,,Contarini", 1872, ,,Fenice", nachgelassen 1883, und Buhnenmusiken: zum
2. Teile des ,,Faust", 1854, und fiir ,,Hamlet"); Thomas German Reed(1817— 88, veranstaltet
seit 1855 in Martins Hall zu London, dann in der Galery of Illustration und St. Georgs Hall
theatralische Auffiihningen kleineren Genres mit eigenen Werken); Henry David Leslie
(1822—96, Oper: ,,Ida", 1865; Operette: ,,Romance of Bold Dick Turpin", 1857); Francis
Edward Bache (1833—58, in Deutschland gebildet; Opern: ,,Which is which", 1851, und
,,Rubezahl", 1853, in Handschrift) ; Joseph Parry (1841—1903, Opern: ,,Blodwen", 1878,
,,Arianwen", 1890, ff Sylvia", 1895, ,,King Arthur", 1897); Arthur S. Sullivan (1842-1900,
schrieb aufier Operetten, derer schon gedacht wurde, eine aus dem Oratorium ,,The martyr
of Antioch" gewonnene Oper 1898 und die grofie Oper ,,Ivanhoe", 1891 ; aufierdem Ballette
und Buhnenmusiken zu Stiicken von Shakespeare); Alfred James Caldicott (1842—97,
Operetten); Alfred Cellier (1844—91, franzosischer Abkunft, zahlreiche Operetten); Alex
ander C. Mackenzie (geb. 1847, Opern: ,,Colomba* ', 1883, ,,The troubadour", 1886; Ope
retten: ,,His Majesty**, auch ,,The court of Singola", 1897, ,,The knights of the road**, 1905,
,,The cricket on the hearth", 1914, ,,Phoebe"); Arthur Goring Thomas (1851—92, Opern:
,,Esmeralda", 1883, auch in Deutschland, und ,,Nadeshda", 1885); Frederick Cor der (der
Ubersetzer des ,,Rienzi" und der ,,Meistersinger", geb. 1852, schrieb 2 Opern: ,,La morte
d'Arthur", 1878, ,,Nordisa", 1887, und aufier Schauspielmusiken 4 Operetten: ,,Philomel",
1880, ,,Astorminatea-cupt<, 1880, ,,The Nabobs pickle*', 1883, ,,The noble savage**); Frederic
H. Cowen (geb. 1852, 4 Opern: ,,Pauline", 1876, ,,Thorgrim", 1890, ,,Sigma", 1893 in Mai-
land, ..Harold", 1895; 2 Operetten: ,,Garibaldi", 1860, ,,0ne too many**, 1874; eine Musik
zur ,Jungfrau von Orleans**); Ethel M. Smyth (geb. 1858, Opern: ,,Fantasio*', Text von der
Komponistin, Weimar 1898, ,,Der Wald*', einaktig, Text von der Komponistin, Dresden 1901 ,
,,Strandrecht4*, Leipzig 1906 u. 6., ,,The wreckers*4, London 1909); J. Edward German
(German Edw. Jones, geb. 1862, Opern: ,,The Esmarald isle**, 1901 mit Sullivan, ,,Merry
(J2Q Die Oper im 19. JahrKundert: RuBland
England", 1902, , A princess of Kensington", 1903, ,,Tom Jones", 1907; Operette: ,,The rival
poets", 1886; Biihnenmusiken zu Shakespeares ,,Richard III.", ,,Heinrich VIII.", ,,Romeo
und Julie", ,,Was ihr wollt", ,,Viel Larm um nichts"); Frederick Delius (deutscher Abkunft,
geb. 1863, Musikdrama ,,Koanga", 1904, ,,Romeo und Julia auf dem Dorfe", nach G. Keller
vom Komponisten 1907 in Berlin, ,,Fennimore und Gerda" nach Jacobsen 1914 in Koln, ein
Einakter ,,Margot la rouge"); Hanish Mac Cunn (geb. 1868, Opern); John David Davis
(geb. 1869, Oper: f,The Zaporognes", als ,,Die Kosaken" 1903 in Antwerpen aufgefiihrt);
Arthur Hinton (geb. 1869, Oper ,,Tamara", mehrere Operetten); Henry Jos. Wood (geb.
1870, komische Opern: ,,Zuleika", 1890, ,,100 years ago", 1892, mehrere Operetten); Gustav
vonHolst (geb. 1874, Maskenspiel: ,,The vision of Dame Christian", 1909, Szene fur Sopran :
,,The mystic trumpeter", 1906, Einakter ,,Savitri", dreiaktige Oper ,,Sita"); Donald Francis
Tovey (geb. 1875, Musik zu Maeterlincks ,,Aglavaine und Selysette"); Harry Farjeon (geb.
1878, Operetten: ,,Floretta", 1899, ,,The registry office" und ,,A gentleman of the road").
Rufiland
Gegen die Alleinherrschaft des Italienertums im russischen Opernwesen im Sinne der
romantischen Riickkehr zum Nationalen Front gemacht zu haben, ist das Verdienst Glinkas.
Von seinen Vorgangern Catterino Cavos (1776—1840) und Alexei N. Werstowski (1799
bis 1862) kommt allein dieser inBetracht, da Cavos als Italiener die Bewegung nur aufierlich
zu fordern vermochte; aber auch des Russen Begabung war nicht stark genug, um weiter
reichende AnstoBe zu geben, wenngleich von seinen Opern (,,Pan Twardowski", 1 828, ,,Wadim
oderzwolf schlafende Jungfrauen", 1832, ,,Heimweh", 1835, ,,Das Tal von Tschurow", 1841,
,,Das Gewitter", 1858), ,,Askolds Grab", 1835, einen aufiergewohnlich groBen Erfolg erzielte.
Auch Michail J. Glinka (1804 — 57) ist nicht von sich aus, sondern durch seinen Lehrer
S. Dehn in Berlin auf den Gedanken einer russischen Nationaloper gekommen : seine Anfange
stecken durchaus im bequemsten Italienertum. Der nationale Stoff, die Gegensatze polnischer
und russischer Elemente finden in der Musik seines ersten Versuchs: ,,Das Leben fur den
Zaren" (1836) eine russisches Volksgut verwertende sichere Auslegung, und so wird diese
historische Oper Ausgangspunkt der russischen Kunstmusik iiberhaupt; dieEigenart des rus
sischen Melos bedingt eine harmonische und kontrapunktische Behandlung, die sogleich als
echt und notwendig erkannt wurde. Den Dank fur die entscheidende Anregung stattet Glinka
in seinem zweiten Werk ,,Russlan und Ludmilla" (1842, nach Puschkin) ab, indem er als neue
Farbung das Romantische in die nationale Musik einfiihrt, und damit den Grundstein der
russischen Instrumentierungskunst legt.
In volliger Verkennung der Bedeutung von Glinkas Tat, aber doch im Gegensatz zum
Italienertum wendet sich Alexander S. Dargomyshky (1813 — 69) mit der auf Viktor Hugos
Roman ,,Notre Dame de Paris" beruhenden Oper ,,Esmeralda" (1839, aufgefiihrt 1847) der
franzosischen Kunst (Halevy, Auber, Meyerbeer) zu, in deren Sinne eine ,,Lucretia Borgia"
— ,,Der Triumph des Bacchus" gelangte nicht an die Offentlichkeit — folgen sollte, bis der
Dichter Shukowski davon abriet. In plotzlicher Sinneswandlung, gestarkt auch durch kom-
positionstechnische Studien, geht der Komponist an sein drittes Werk: ,,Russalka" (,,Die
Nixe" nach Puschkin, 1855), in dem er sich der gallischen Neigungen entauBert und sich dem
Die Oper im 19. Jahrhundert: RuBland 921
Stile Glinkas (,,Das Leben far den Zaren"), aber auch in der Behandlung des Rezitativs dem
Wagners nahert. Nach einem liegenbleibenden Entwurf (,,Rogdana") ergreift er den Don
Juan-Stoff mit der Rezitativoper ,,Der steinerne Cast** (instrumentiert von Rimsky-Korssa-
kow, mit einem Nachspiel von Cui 1872 aufgefiihrt, Dichtung von Puschkin), in der jede
musikalische Form zugunsten der „ Wahrheit", d. h. einer zu dem durchsichtig und fein in
symphomschem Stil musizierenden Orchester einhergehenden ewigen Rezitationsmelodie auf-
gegeben wird. Mit diesem an sich vielleicht nicht lebensfahigen Werk wird Dargornyshky
Begriinder der neuen russischen Schule. Was er wollte, hat er unzweideutig in einern Brief
an L. A. Karmalina vom Jahre 1857 (mitgeteilt von Riesemann) ausgesprochen : ,,Nur eine
routinierte Anschauung sucht in der Oper Melodien, die dem Ohre schmeicheln. Ich jage
ihnen nicht nach. Ich bin nicht gesonnen, die Musik zum bloBen Vergniigen herabzuwiirdigen.
Ich will, dafi der Ton nar dem Worte Ausdruck verleiht. Ich will die Wahrheit." Auch
Verdi, sein Zeitgenosse, will die Wahrheit.
Das Haupt der neuen russischen Schule — die Namen Schumanns, Berlioz* und Liszts
werden mehr als der Wagners genannt — war Mili Balakirew, der, ohne selbst em Opernwerk
zu schaffen, seine Freunde im Sinne des ,,Steinernen Castes", also der Negierung aller be-
stehenden Formen, der ,,Routine", wie man es nannte, befruchtete.
Modeste P. Mussorgski (1835—81) war schliefilich der konsequenteste Vertreter der
,,Novatoren". Charakteristisch ist, dafi er nach einigen unvollendeten Versuchen (,,Han
d'Islande", 1842, nach V. Hugo, ,,Salambo" nach Flaubert) dazu iibergeht, ein Dichtwerk in
Prosa, Gogols Komodie , JDie Heirat" ohne jede Veranderung des Textes durchzukomponieren
(1868, nur der 1 . Akt ist vollendet); er iibernimmt das ,,melodische Rezitativ" Dargomyshkys,
das er in bezug auf phonographische Treue in der Wiedergabe des Tonfalls verfeinert, und
lafit es fallen. Die seinen Ruhmestitel ausmachende Arbeit ,JBoris Godunow" wurde vom
Komponisten selbst nach Puschkinschen Szenen entworfen, im Jahre 1871 beendet und 1875
veroffentlicht. Die psychologischen Fahigkeiten, die sich auf das Leben der niederen
Stande sonderlich fcrstrecken, wurden vom Komponisten mit einem Naturalismus gepaart,
der, weniger naiv als friiher, nicht auf Wiedergabe der Wirkung, sondern der Ursache bedacht
ist und dem die Zeichnung des Tragisch-Erhabenen (Boris) ebenso gelingt, wie die des Tragi-
komischen (Warlaam). Als geniales Stiick im Stile Gogols mufi die Szene in der Schenke an
der litauisehen Grenze gelten, Rimsky-Korssakows glattende Uberarbeitung der Partitur be-
deutet keine Verbesserung ihres auch im Technischen ,,naturalistischen" Inhalts. An Bedeu-
tung steht hinter dem ,,Boris Godunow" trotz gelungener Volksszenen die historische Oper
,,Khowanschtschina", am Ende des 17. Jahrhunderts spielend, zuriick; eine Privatauffiihrung
fand 1886 statt. Eine komische Oper: ,,Der Jahrmarlct zu Sorotschinsk", blieb un vollendet,
wie die ebenfalls auf Gogolschem Text beruhende Komodie ,JDie Heirat", von der 1904
ein Akt im Druck vorgelegt wurde.
Casar A. Cui (1835—1918) ist theoretischer Verfechter der neurussischen Schule, schreibt
aber nicht eigentlich nationale Musik. Seine Ideale auf dramatiscnem Gebiet verwirklicht er
nach Puschkins ,,Der Gefangene im Kaukasus" (1857) und nach einer komischen Oper ,,Der
Sohn des Mandarinen" (1859) im dritten Anlauf, als er Heines ,,William Ratcliff" in der Ober-
setzung von Pleschtschejew durchkomponiert (1868). Es folgten: ,^\ngelo" (nach V. Hugo,
1876), ,,Der Flibustier" (1889), ,,Der Sarazene" (nach A. Dumas-pere, 1889), ,,Das Gastmahl
922 Die Oper im 19. Jahrkundert: RuBIand
zur Zeit der Pest" (Puschkin, 1900), ,,Mamzelle Fifi" (nach Maupassant, 1903), ,,Matteo
Falcone" (1908) und ,,Die Tochter des Kapitans". Das Prinzip der Deklamation wird vom
Komponisten zwar beibehalten, aber gelegentlicK so reich ausgestattet, daB sich Annaherungen
an die musikalische Form ergeben/ Dafi der Meister der Kleinkunst nissische Stoffe ver-
meidet, Hegt an seiner franzosischen Herkunft.
Auch Nikolai A. Ri msky - Korssakow (1844—1908) lafit das in seiner ersten Oper, ,,Das
Madchen von Pskow" (1873, umgearbeitet 1894, mit einem Prologe versehen 1898) angewandte
Prinzip des melodischen Rezitativs fallen und nahert sich den geschlossenen Formen. Der
unveranderten Aufnahme des Literaturdramas verdankt die russische Musik ein vollkommenes
Beispiel der an sich anfechtbaren Gattung in Puschkins dramatischer Studie ,,Mozart und
Salieri" (1898). Diesem Werk waren vorauf gegangen : ein Friihlingsmarchen ,,Schneeflock~
chen" (1882), eine phantastische Ballettoper ,,Mlada" (1893), ,,Die Mainacht" (1895) und
,,Sadko" (1897); es folgten: ,,Die Zarenbraut" (1899), ,,Das Marchen vom Zaren Saltan"
(1900), ,,ServiIia" (1902), ,,Der unsterbliche Kaschtschei" (1902), ,,Der Wojewode" (1904),
,,Die Sage von der unsichtbaren Stadt Kitesch und der Prinzessin Ferrosina" (1907) und ,,Le
coq d V (1908). Eine objektive, aber dem Experiment geneigte Natur, gehort Rimsky-Korssa-
kow wohl nur so weit sicher zur jungrussischen Schule, als seine Behandlung des russisch-
nationalen Elements, gestiitzt auf dietechnisch vollendete Verwertung der Volksmusik, ihn als
kenntnisreichen Vertreter legitimiert. ,,Sadko" wird als Ideal einer Volksoper gepriesen;
,,Die Zarenbraut" (aus dem Nachlafi Borodins) und ,,Der unsterbliche Kaschtschei" nehmen bei
festgehaltenen Formen zum ersten Male leitmotivische Arbeit an, ohne indes zur symphonischen
Durchgestaltung zu gelangen. Alexander P. Borodin (1834 — 87) war dem Kreise der Jung-
russen, mochte er ihm auch angehoren, schon durch seine Neigung zur Kammermusik fremd;
auch in seiner hinterlassenen, von Rimsky-Korssakow und, was die Ouvertiire betrifft, von Glazou-
now hergestellten Oper ,,Fiirst Igor" schwort er, wie Glinka reiner Musiker, zu einem seine
Mafistabe allem von der Musik her empfangenden Ideal des ,,Musikalisch-Schonen" : die vor-
Kandene nationale Bestimmtheit wird der Musik nicht zur Fessel in der Entfaltung harmo-
nischen und melodischen Reichtums; orientalisches Lokalkolorit bereichert die Ausdrucksweise.
Aufierhalb dieser immerhin zusammenhangenden Entwicklungsreihe stehen drei der Be-
trachtung werte Komponistenprofile in Sserow, A, Rubinstein und Tschaikowsky, unter-
einander keine Verbindung eingehend. Alexander N. Sserow (1820 — 1871) lernte Wagners
musikalische Werke spater als seine theoretischen Schriften kennen. Aber weder sein be-
geistertes Eintreten for den deutschen Meister, noch seine uberzeugte Predigt for die ,,Heimat-
kunst" konnte verhindern, dafi sein erstes Werk Judith" (1863) — die ,,Mullerin von Marly"
und die von ihm vernichtete ,,Mainacht" (nach Gogol) kommen nicht in Betracht — als richtige
italienische Oper geplant wurde, und dafi seine Werke iiberhaupt dem Stile Meyerbeers naher
stehen, als dem Wagners. Nach ihrer Verpflanzung in das Russische durch den ,,Lohengrin-"
und ,,Tannhauser"-Obersetzer K. Swanzow ist die „ Judith" mit gut getroffenem Lokalkolorit
eine brauchbare Arbeit, die indes durch die ,,Rogejeda" (1866), obwohl Meyerbeers Einflufi
hier sehr deutlich wird, an Beliebtheit in den Schatten gestellt wurde. Die Sucht nach dem
Effekt, die Tschaikowsky ihm vorwirft, wurde seinem letzten, nach Ostrowskis Dichtung:
,,Leb' nicht 'so, wie dir*s gefallt" gearbeiteten Stiick ,,Des Feindes Macht" im 5. Ak ver-
hangnisvoll, da die feine psychologische Losung in unzulassiger Weise vergrobert wurde;
Die Oper im 19. JahrHundert: RuBIand 923
vollendet wurde die hinterlassene Oper durch N. Solowjew und des Komponisten Frau Va
lentine S., geb.Bergmann (get. 1846), die gleichfalls mit Opern hervorgetreten ist (,,Uriel
Acosta\ 1885, ,,IIga Muromez", 1899).
Anton Rubinsteins (1829—94) kosmopolitischer Charakter kommt den russischen
Opernbestrebungen wenig entgegen; seine Oper richtet sich nach bescheidenen Anfangen
(,,Dimitri Donskoi", 1852, ,,Toms, der Narr", 1853, ,,Die Rache *, ,,Chadschi~Abrek", beide
unaufgefuhrt) an den Weltmarkt, und Deutschland war es, das sie zunachst aufnahm: ,,Die
sibirischen Jager" (Weimar 1854), ,,Die Kinder der Heide" (Wien 1861), ,,Feramors" (Dresden
1863), ,,DieMakkabaer" (Berlin 1875), ,,Nero" (Hamburg 1879), ,,Sulamith" (Hamburg 1883),
,,Unter Raubern" (Hamburg 1883), ,,Der Papagei" (Hamburg 1884), ,,Gorjuschka" (1889);
auch die geistliche Oper findet in Deutschland erste Statte: ,,Das verlorene Paradies" (Weimar
1855), ,,Der Turmbau zu Babel'4 (Diisseldorf 1872), ,,Christus" (Berlin 1888, szenisch in
Bremen 1895). Als spezifisch russische Werke werden zwei angesehen, denen Dichtungen
von Lermontow zugrunde liegen: ,,Der Damon" (1875) und,,Kaufmann Kalaschnikow" (1880).
In der Behandlung orientalischen Kolorits sehr gliicklich ist der Komponist in der Anwendung
national-russischer Farben, wie diese Dichtungen sie erfordert hatten, nicht so gewandt, wie
die ,,Novatoren"; bei allem Eingehen auf Einzelheiten ist doch das Wesen seiner Musik
schwungvolle und grofiartige Leidenschaftlichkeit, die beim Zusammenbrechen weite Strecken
unf ruchtbaren Gerolls hinterlafit. Eine der Kritik keinen Raum gebende Methode des Schaffens
verschuldet die Ungleichwertigkeit jeder Leistung. Das Problem des geistlichen Musikdramas,
das Rubinstein in Angriff nahm, scheint beiseite gelegt zu sein1).
Einer ahnlichen Wertschatzung wie Glinka erfreut sich in Rufiland Peter J. Tscnaiko wsky
(1840 — 93) durch sein aus eigenem Erleben heraus gestaltetes Meisterstiick ,,Eugen Onegin",
dessen Titelheld ein Typus von entschieden nationaler Eigenart der hoheren Gesellschafts-
klassen ist. ,,Wie froh bin ich, den ublichen Pharaos, athiopischen Prinzessinnen, Vergiftungen
und dergleichen Puppengeschichten aus dem Wege gegangen zu sein!" schreibt der Kom
ponist an seinen Binder Modeste; er hatte damit ein intimes, aber erschiitterndes Drama ge-
funden, das aus dem Konflikt solcher Situationen erwachst, die er selbst durchgemacht hatte.
Das gibt seiner klaren, einfachen und aufrichtigen Musik den Anschein unmittelbaren Fliefiens
aus dem Erlebnis, der den spateren Biihnenwerken Tschaikowskys nicht eigen ist. Die erste
offentliche Auffiihrung dieser ,,lyrischen Szenen** fallt in das Jahr 1881. In der dem Wesen
des Komponisten stofflich fernliegenden ,,Jolanthe" (1891) fesselt die musikalische Zeichnung
des maurischen Arztes Ebn-Jahia als einziger Ausflug des Meisters in orientalisches Ge-
biet. Wie der ,,0negin", so beruht auch das nach ihm in Rufiland erfolgreichste Stiick ,,Pique-
Dame*' (1890) auf einer Puschkinschen Dichtung; auch diese Musik ist fiihlbar mit innerer
Anteilnahme geschrieben, die einem an Riihrszenen und plumpen Effekten reichen, nicht
gerade geschmackvollen Buche zugute kommt. Die Objektivierung des kunstlerischen Aus-
drucks gelingt dem Meister nur schwer, und so werden ihm historische Stoffe (,,Die Jungfrau
von Orleans", 1891, ,,Mazeppa", 1883) zu Fallgruben. Das Fehlen eines der burlesken Art
Gogols entsprechenden Humors wird der Oper ,,Der Schmied Vakula" (,,0xanas Laune",
1875, umgearbeitet als ,,Tscherewitschki", 1885) trotz auBeren Erfolges verhangnisvoll. ,,Die
Bezaubernde" (1887) scheitert am Buch: der Musik wird Genialitat des Wurfes nachgeriihmt.
l) Vergleiche aber den religiosen Grundzug in Braunfels* Musiklustspiel ,,Die Vogel" und in Wellesz' ,Alkestis".
59 H. d. M.
9 24 Die Oper im 19. Jahrhundert: Bohmen
In dem Verlassen der subjektiv gefarbten Lyrik und In dem Verfallen in farblose Routine
lag die Gefahr, die der gliickliche Komponist des ,,0negin" nicht erkannt hat. In formaler
Beziehung nicht neuerungsslichtig bildete Tschaikowskys Mafihalten em wohltuendes
Gegengewicht gegen die Mafilosigkeiten der neurussischen Schule. Seme weiteren Biihnen-
werke sind: ,JDer Wojewode" (1868, dann vernichtet), ,,Undine" (1869, dann vernichtet),
,,0pritschnik" (1874); Musiken zu Ostro\vskis ,,Schneewittchen" (1874), zu dessen ,,Der
falsche Demetrius und Wassili Schuiski", zu Shakespeares ,,Hamlet" und die Ballette: ,,Der
Schwanensee * (1876), ,,Dornr6schen" (1890) und ,,Nufiknacker" (1892).
DimitriBortnjansky (1751 — 1825) hatte ncch italienische (5) und franzosische (2) Opern geschrieben. Stark im
italienischen Fahr\\asser war auch der gleich Glinka von Dehn gebildete Wladimir N. Kaschperow (1827 — 94),
der nach der Oper ,,Die Zigeuner" (1856) einige Werke (,,Maria Tudor", 1859, ,,Rienzi", 1863, ,,Consuelo") in
Italien auffiihrte, mit den letzten Werken: ,,Das Gewitter" (1867) und ,,Taras Bulba" (1893) nach RuBland zuriick-
kehrte. Der Bohme Eduard Fr. Naprawnik (geb. 1839) schrieb nur russische Opern: ,,Die Bewohner von Nischnij
Nowgorod" (1868), ,,Harold? (1886), ,,Dubrowski" (1895, auch in Deutschland), ,,Francesca da Rimini" (1903).
Paul J. Blaramberg (geb. 1841) komponierte die Opem ,,Maria von Burgund", ,,Der Gaukler", ,,Die Nixe" und
..Tuschinzy" (1895) und eine Musik zu Ostrowskis ,,Der Wojewode" (1865). Mit 2 Opern: ,,Sardanapal" (1875)
und ,,Urie 1 Acosta" (1883) trat Alexander S. Famintzin (1841—18%) an die Offentlichkeit. In SiidruBland und
Galizien {unite Nikolai W. Lissenko (1842 — 1912) seine Opern auf: ,,Tschernomorzy", ,,Weihnachten" (nach
Gogol), ,,Die Mainacht" (nach Gogol), ,,Winter und Friihling", ,,Taras Bulba" (1890) und ,,Sappho"; mit ,,Kosa-
deresa" (1 888) und ,,Pan Kotzky" (1891) baut er das Gebiet der Kinderoper an. Nikola Th. Solowjew (geb. 1846)
hat aufier der Beendigung einer Oper von Sserow drei selbstandige Werke geschrieben: ,,Schmied Wakula" (1875),
,,Cordelia" (1885), ,,Das Hauschen in Kolomua". Alexander S. Tan ejew (1850 — 1918?) schrieb eine Oper ,,Amors
Rache"; sein Neffe Sergei J. Tan ejew (1856—1915) eine Operntrilogie ,,0resteia" (1895, seit 1898 gedruckt).
AuBer Biihnenmusiken schrieb Nikolai S. Klenowski (geb. 1857) zahlreiche Ballette, zwei Gebiete, auf denen
sich auch Nikolai A. Sokolow (geb 1859) betatigte. Der Dirigent der Moskauer Privatoper Michael M. Ippolitow-
Iwanoff (geb. 1859) ist mit 3 Opern: ,,Ruth" (1887), f^sja" (1900) und ,,DerVerrat"(1911) hervorgetreten. Anton
S. Arensky (1861—1906) steht mit seinen Opern: ..DerTraum auf der Wolga" (1892), ,,Raphael" (1894), ,,Nal und
Damajanti", (1899)Tschaikowsky naherals derjungrussischen Schule. Neben der Musik zuOstrowsfcisMarchendrama
>,Schne€wittchen" und zu den Tragodien von Tolstoi ,,Zar Feodor" und ,,Iwan der Schreckliche" schrieb Alexander
T.Gretschaninow (geb. 1864) die Opern: ,,Dobrynja Nikititsch" (1903) und ,,Suor Beatrice'* (19 12, nach Maeter
linck). Umstritten ist der Wert der Mimodramen Wladimir J. Rebikows (geb. 1866), von dem auch eine Oper
,,Narziss" und em ,,musikpsychologisches" Drama (,,Die Frau mit dem Dolche") vorliegt. Alexander N. Schafer
(geb. 1866) ist Komponist der Opern ,,Thisbe", ,,Die Zigeuner" (1901), und des Balletts ,,Die Phantasieinsel". Sergei
W. Rachmaninow (geb. 1873) schrieb die Opern: ,,Aleko" (1893), ,,Der geizige Ritter'* (1900), ..Francesca da
Rimini" (1906).
Literatur
Delines, Michel : La musique dramatiqu een Russie. Bibliotheque universelle Suisse. Lausanne 1899, XVI, Nr. 47
— Newman, Ernest: Russian opera and russian , Nationalism". The Musical Times, 1914, S. 505. — Riese-
rnann, Oskar von: Die Oper in RuBland, Die Musik III (1906/07), S. 3, 85, 131. — Derselbe, Monographien
zur russischen Musik. Miinchen, I, 1923. II. 1926. — Ssabanejew, L.: Geschichte der russischen Musik.
Bearbeitet von 0. v. Riesemann. Leipzig 1926.
Bohmen
Die Anfange einer national gefarbten Kunstmusik liegen, wie fast iiberall, auch, in Bohmen
innerhalb der Oper; und, wie andere Umwalzungen, finden auch hier die tschechischen Selb-
standigkeitsbestrebungen ihren Vorklang, da die Resonanz der Biihnenkomposition nun einmal
starker ist, als die der andern Vokalformen, zumal des lyrischen Liedes; und von der An-
Die Oper im 19. Jahrhundert: Bohmen 925
wendung der eigenen Sprache geht natiirlicherweise die Bewegung der kiinstlerischen Reaktion
auf die politischen Antriebe zunachst aus: die oft unter seltsamen und stilwidrigen Umstanden
sich vollziehende Verschmelzung musikalischen Volksguts in das andererseits von Mode-
stromungen beeinflufite Kunstwerk steht in alien diesen Bemiihungen an zweiter Stelle.
Den ersten VorstoB in der Ricntung auf die nationale Oper macht Franz Skroup (1801—62) mit dem Singspiel
,,Der Drahtbinder" (1826) und zwei grofier angelegten Opern : ,,Udalrich und Bozena" (1828) und ,,Libussas Hnch-
zeit" (1835); er findet einstweilen keine Nachfolge, da sein Bruder Johann Nepomulc (1811—92) anscheinend erst
1867 mit der Oper ,,Die Schweden in Prag" hervortritt, und setzt auch selber seine Bemiihungen nicht fort, geht
vielmehr nach alter Weise in das Ausland. Inzwischen ist aber die belebend wirkende Griindung eines bohmischen
Nationaltheaters in Prag erfolgt; doch bediirfen die ersten dort aufgefiihrten Opern ,,Wladimir" (1863) und ,,Lora"
(1868) des Z. Franz Skuhersky (1830—92) der Obersetzung aus dem Deutschen; spater (1873) bearbeitet der
Komponist einen tschechischen Text: ,,Rector a general"; ein friihes Werk, ,,Samo" (1854), ist nicht aufgefuhrt
worden. Von W.Theodor Bradskys(1833— 81)60pern teilten dies Schicksal die ersten drei: ,,Der Heiratszwang",
,,Die Braut des Waffenschmieds", ,,Das Krokodil"; die andem: ,,Roswitha" (Dessau 1860), ..Jarmila" (Prag 1879),
,,Der Rattenfanger von Hameln" (Berlin 1881) erhoben sich nicht iiber zeitliche Bedeutung. Joseph R. Rozkosny
(geb. 1833) schrieb mehrere Opern fur Prag: ,,NikoIaus" (1870), ,,St. Johannis-Stromschnelle" (,,Die Moldaunixe"),
..Zavis von Falkenstein ', ,,Der Wilddieb", ,,Popelka" CAschenbrodel", 1885), ,,Rubezahl" (1889), ,,Satanella" (1898),
,,Stoja" und ;;Der schwarze See" (1906). Wilhelm Blodek (1834—74) fiihrte eine tschechische komische Oper:
,,Im Brunnen" (1867) in Prag auf und hinterliefi eine rweite, ,,Zidek", unvollendet. Ihren tschechischen Titeln nach
sind die Opern Karl Bendls (1838—97) bekannt: ,,LejIa", ,,Bretislav*, ..Cernohorci", ,,Stary Xenich", ,,Karel
Skreta". ,,Dite Tabora" (1892), ,,Mutter Mik" (1895) ; das Ballett ,,Bohmische Hochzeit" (1895) gehort ihm zu. nicht
sber die Oper ,,Svand?, Dudak" (1907) und die Operette ,,Der Liebes-Bazillus" (1904), die einen Namensvetter zum
Verfasser haben. Eine zweite Oper, ..Svanda Dudak" C.Der Dorrmusikant", 1896), ist von Adalbert Hrimaiy
(1842—1908), dessen Oper ,,Der verwunschene Prinz" (1872) sich dauernder Beliebtheit erfreut. Joseph Nesvera
(1842—1914) komponierte 6 Opern: ,,Bratanek", ,,Mlynarski" (1884), ,,Lesni vzduch" (1897, als ,,Waldeslust"
deutsch 18% und kroatisch in Agram), ,,Perdita" (nach Shakespeare, tschechisch 1897) und ,,RadhoSt" ( ,E)erBerg-
monch*',1906). Bohmische TextelegteseinensaintlichenArbeiten Karl Sebor (1843— 1903) zugmnde: ,,Die Temp-
ler in Mahren" (1865), ,,Drahomira" 1867), ,,Die Hussitenbraut" (1868), ,rBlanka" (1870), ,,Die vereitelte Hoch-
zeit" (1878). AIs Schiiler von Blodek und Skuhersky vertritt Heinrich von Kaan-Albest (geb. 1852), obwohl
Galizier, ein jiingeres Geschlecht ausgesprochen tschechischer Musiker mit hoherer kiinstlerischer Tendenz ; neben
2 Opern : ,,Der Fliichtlmg" und ..Germinal" (nach Zola von Schipek) ist ein grofies Ballett auf nationaler Grundlage,
,3aiaja" und eine Pantomime ,,OKm" (1905) erwahnenswert. VasaSuk(geb. 1861)brachteeineOper ,,Der Wald-
konig" (als ,,Lesnoj Car" in Kiew undCharkow 1 900, als ,,Lesur pan" in Prag 1903) auf die Biihne, In Fibichs Schule
Jst Karl Kovarovic (1862—1920) gebildet; aufier durch 7 Ballette (darunter ,,Hasis", 1884), von denen 3 unter
dem Namen Charles Forgeron erschienen, machte er sich durch mehrere Opern bekannt: ,,Zenichov6" (,,Die Brau-
tigame", 1884), ,,Cesta oknem" (,,DerWeg durch das Fenster", 1886), ,,Noc Simona a Juda" (1893), ,,Psohlavci"
(,,Hundsk6pfe", 1898), ,,Nastar^m Bridle" (1901) und ,,Fraquita" (1902). Die Opern vonKarel Weis (geb. 1862)
beruhen auf Stoffen von allgemeinerer Wirkung und vermochten ihren Musikreichtum auch iiber die Grenze zu tra-
gen: ,,Was ihr wollt" (nach Shakespeare 1892, deutsch als ,,Die Zwiilinge", 1902) und in deutscher Sprache: ,,Der
polnische Jude" (1901), ,,Die Dorfmusikanten" (1904), ,,Der Sturm auf die Miihle" (1914), die Operette „ Der
Revisor" (1907) und das Vaudeville ,,Der Extiazug nach Nizza" (Berlin 1913). OskarNedbal (geb. 1874) hat bis-
her nur die niederen Formen der Biihnenkomposition gepflegt; Ballette: ,,Der faule Hans" (1902), ,,Gro0miitter-
chens Marchenschatze" (1908), ,,Prinzessin Hyazintha" (1911), ,,Des Teufels Grofimutter" (1912), ,,Andersen"
(1914); Operetten: ,,Die keusche Barbara" (1910), ,,Polenblut" (1913), ,,Das Winzerfest" (1917), t)Die schone
Saskia" (1917), ,,Eriwan" (romantisch, 1918).
Eine eigentiimliche Erscheinung ist Eduard F. Naprawnik (geb. 1839) insofern, als er vermoge seines Lebens-
schicksals die Synthese der national bestimmten bohmischen und russischen Musik vollzieht. Seine Opern allerdings
wurden in RuBland aufgefuhrt: ,,Die Bewohner von Nischnij Nowgorod" (1868), ,,Harold" (1886), ,,Dubrowski"
(1895, auch in Deutschland) und ,,Francesca da Rimini" (1903).
Literatur
Nejedly, Zdenko: Die Oper des Nationaltheaters 1908. — Teube^Oskar: Geschichte des Prager Theaters. I,
II, III. Prag 1883.
926 Die Oper im 19. Jahrhundert: Ungarn, Kroatlen, Rumanien
Ungarn
Der friih erlangten politischen Selbstandigkeit entspricht in Ungarn eine musikalisch-
kiinstlerische nicht; vielleicht, weil das treibende Element die in den Volkskorper nur ein-
gesprengten Zigeuner sind. Den Anfang mit einer Nationaloper machte Andreas Bartay (1798
bis 1856) mit ,,Aurer, ,,Csel" und ,,Die Ungarn in Neapel". Ihm folgt der von den Ungarn
als eigentlicher Vertreter nationaler Kunst geschatzte Zeitgenosse Verdis und Wagners, Franz
Erkel (1810—93); von seinen neun Opern werden noch zwei: ,,Hunyady Laslo * (1844) und
,,Bank Ban" (1861) genannt Michael Brand (Brandt, 1814—70) fiihrte unter dem Namen
Mosonyi eine ungarische Oper, ,,Dieschone Ilka" (1 861 ); auf, wahrend eine andere, ,,Almos",
liegen blieb; eine deutsche Oper, ,, Maximilian", zog Brand zuriick, als Liszt vor der von ihm
(1857) in Weimar geplanten Auffiihrung einige Anderungen verlangte. A. Franz Doppler
(1821—83) trat mit mehreren ungarischen und einer deutschen (ftirWien bestimmten) Oper
hervor: ,,Benjowski" (1847), ,,Ilka" (1849), ,,Die beiden Husaren", ,,Afanasia", ,,Wanda \
,,Erzebeth" und .Judith" (1870). Sein Bruder Karl Doppler (1825-1900), der mit Erkel
an der Komposition von ,,Erzebeth" beteiligt ist, schrieb auch selbstandige Werke auf unga
rische Texte. KarlHubay(Huber, 1828— 85) schrieb die Opern: ,,Szekler Madchen" (1858),
,,Lustige Kumpane ', ,,Des KonigsKufi" (1875) und hinterlieB ,,Udvari Bal" (,,Der Hofball",
1889). Der Slavonier Edmund von Mihalovich (geb. 1842) benutzte Wagners Textentwurf
zu seiner Oper ,,Wieland der Schmied", brachte 1882 ,,Hagbarth und Signe" zur Auffiihrung,
ein Werk, das als ,,Eliana" 1908 in Pest auftaucht, wo auch seine dritte Oper ,,ToIdi" 1898
erschienen war. Geza Graf Zichy (geb. 1849) trat mit 2 Opern, ,,Alar" (1 896, auch in Deutsch-
land) und ,,Meister Roland" (1899) und mit einer grofien Trilogie ,,Rakoczi" (1 . ,,Rakoczi II.",
1909, 2. ,,Nemo", 1905, 3. ,,Rodosto", 1912) hervor. Jeno Hubay (Eugen Huber, geb. 1858)
machte sich mit den Opern ,,Alienor" (1891), ,,Der Geigenmacher von Cremona" (1894),
,,Der Dorflump" (1896), ,,Moosroschen" (1903), ,,Lavothas Liebe" (1906) als ungarischer
Buhnenkomponist bekannt Eduard Poldini (geb. 1869) verrat in seinem hubschen Einakter
,,Der Vagabund und die Prinzessin" (1903) weniger ungarische Eigenart, als Bela Bartok
(geb. 1871) mit seiner Oper ,,Ritter Blaubarts Burg" (1918). Neben Bartok erscheint als
reprasentativer ungarischer Musiker Ernst von Do hn any i (geb. 1877), der in Dresden 1910
eine Pantomime ,,Der Schleier der Pierette" und 1912 die weniger charaktervolle einaktige
Oper ,,Tante Simona" herausbrachte und 1922 ein romantisches Stuck ,,Der Turm des
Woiwoden" folgen liefi.
Als Verfasser kroatischer Opern sind zu nennen: Watroslaw Lissinsky (1819 — 54, ,,Liubav i zloba", 1846, und
,,Porin"t 1849); Giovanni von Zaytz (Zajic, 1832—1914, schreibt 14 Opern und 19 Operetten, seit 1861 auch in
kroatischer Sprache, darunter: ,,Pan Twardowski", 1880, und ,,Armida", 1897).
Von einem rumanischen Opern (und Operetten-) wesen kann man erst seit den achtziger Jahren des 19. Jahr-
hunderts reden. Nach Jean Schorr-Zachary (,,Die Musik" II [1903], S. 291) nimmt unter Flechtenmacher (,,Baba
Hirca", Operette), M, Cohen -Linaru C.Tudorel", ,,L'Isle de fleurs", ,,Mazeppa", Opern), C. Porumbescu
(„ Grain nu"), Th. de Flondor (,,Mosch Ciocarla*'), Ed. Wachmann (musikdramatische Werke), Eduard Caudella
(geb. 1841) eine Fiihrerstellung ein; nach fruheren Arbeiten (MLe prince Epaminda", ,,Fata Razasului", ,,01teanea"f
Operetten; ,,Hatmanul Baltag", komische Oper) tritt er mit dem nationalen Stoff der die Mitte zwischen Wagner und
der reinen Melodic haltenden Oper ,,Petru Raresch" als bewufiter Vertreter des rumanischen Musikdramas auf; eine
neuere Arbeit ist die Oper ^Dragosch".
Theodor Wilhelm Werner
DAS ORATORIUM VOM ENDE DES
18.JAHRHUNDERTS BIS 1880
Das Geschlecht, welches auf die Altklassiker unmittelbar folgte, liefi sich seine kiinstle-
rischen Uberzeugungen mit einer erstaunlichen Widerstandslosigkeit erschiittern. Mit der
Revolutionierung des Geistes urn die Jahrhundertmitte erlag auch das alte Oratorienideal dem
Zwange des morphologischen Gesetzes. Und die ganze Nachbliite des neapolitanischen Ora-
toriums im Siiden tauscht doch nicht darliber hinweg, daB hier im Norden zersetzende Krafte
am Werke sind, die darauf abzielen, an Stelle des zu Falle gebrachten Alten ein zunachst nur
in Umrissen auftauchendes Neues zu setzen. Diese ausgesprochen negativen, zersetzenden
Tendenzen haben die Entstehung eines neuen, aus dem Vollen eines freien Schopfertums ge-
wonnenen Oratoriums verhindert. Die ganze Reihe der zum 1 9. Jahrhundert iiberleitenden
Oratorien und das ganze Oratorium des letzten Jahrhunderts konnte unter den Begriff ,,De-
kadenz" gefafit werden, womit allerdings zugleich ein Werturteil gesprochen wird, das auf
einzelne Meisterwerke, wie auf Haydns ,,Schopfung" und ,Jahreszeiten" unmoglich zu-
treffen kann. Das ganze Problem des Oratoriums muB, wenn man jeder Erscheinung der nun
folgenden Epoche gerecht zu werden trachtet, in eine allgemein geistesgeschichtliche Beleuch-
tung geriickt werden. Mit dem Versinken der Bach-Handel-Stilepoche allein ist noch kein
Grund gegeben, weshalb das Oratorium als Idee nicht auch fernerhin noch urkraftige Gestalt
gewonnen haben sollte. Der ganze Problemkomplex ist ja bisher stets von der positiven Seite
der Entstehung des klassischen Instrumentaltypus aus gesehen worden, seltener von der
negativen Seite des verblassenden Oratorienideals. Selbst Haydns Altersoratorienwerke sind
als Werke eines ,,Weisen in der Kunst" ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung (nicht
etwa ihrem eigenkiinstlerischen Wert) nach mit Recht immer der reinen Instrumentalmusik
hintangesetzt worden. Und doch lafit sich mit vielen positiven Argumenten auch von der
Seite des Oratoriums der neue Zeitgeist bestatigen. Die schopferischen Krafte zeigen auf dem
Gebiete des Oratoriums einen erschreckenden Schwund, und das zur selben Zeit, wo sich die
Energien verdoppelt und verdreifacht um die Instrumentalmusik sammeln. Schon im Quer-
schnitt durch das Schaffen eines einzelnen gewahrt man die Umlagerung der Krafte: man halte
Beethovens schwachen ,,Christus am Olberg" gegen sein Symphonienwerk! In diesem Ver-
haltnis spiegelt sich die vollkommene Veranderung der geistigen und seelischen Substanz der
Zeit. Die Musik trifft bei jedem Schritt vorwarts, den sie tut, auf den Rousseauismus und ist
zur Auseinandersetzung mit dieser alle Werte umwertenden Erscheinung verpflichtet, wie jede
andere kiinstlerische oder geistige Ausdrucksform einer Weltanschauung. Und da ist es von
der Geschichte lediglich als Tatsache zu buchen: der moderne Rousseauische Mensch, der
Schopfer des symphonischen Spiegelbildes seiner differenzierten Innerlichkeit, erkennt in
der erhabenen Bilderwelt des altklassischen Oratoriums nicht mehr sein eigenes Ich. In dem-
selben MaBe, wie die Begeisterung fur die neue Instrumentalsymphonie wachst, geht die
Lebenssubstanz des Oratoriums verloren. Der Versuch einer Aussohnung des alten mit dem
neuen Geiste kann wohl hier und da gelingen, aber der Lauf der Entwicklung kann dadurch
nicht aufgehalten werden. Der Begriff ,,Schule" deckt kiinftig nicht mehr jedes Einzelerzeug-
nis, und wer iiberhaupt zum Oratorium etwas zu sagen hat, der mufi sich die Fahigkeit zur
928 Das Oratorium vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1880
Aussprache seiner Gedanken, mufi sich die ,,Form" des Oratoriums erst individuell erobern.
Wenn aber selbst zu Zeiten eines Mendelssohn, Lowe, Schumann die Tradition immer noch
wieder sich einen schmalen Weg bahnte, so ist heute, am Ende der trauernd zum Vergangenen
neigenden Romantik, das Oratorium wohl ein ungeeignetes GefaB geworden, in das sich der
Strom des Schaffens ergieBen konnte. Um so hoher zieht in dem gesetzmaBigen Kreislauf der
Dinge ja gerade heute wieder die Sonne Handels am Himmel der Kunst.
Mit intuitiver Sicherheit hatte schon R. Wagner mitten in einer Zeit geschichtlicher Un-
klarheit und sentimentalerVergangenheitstraumerei in seinem ,,Kunstwerk der Zukunft und
vorher schon in einem Aufsatz ,,Die deutsche Oper" (1 834) die Schwachen der Gattung gekenn-
zeichnet, allerdings in seiner riicksichtslos iibertreibenden, egozentrischen Art. Wagner ahnte
freilich nicht, welch reine Nachschaffensfreude eine gar nicht sehr feme Zukunft im An-
schauen des hohen Kulturideals einer entschwundenen Epoche empfinden wurde. Es verdient
nun namentlich Beachtung, da6 ein Musikdramatiker, also ein Vertreter der Oper im wei-
testen Sinne, das Oratorium schroff ablehnt Das hangt im letzten Grunde mit dem soeben
angedeuteten Umschlag im europaischen Seelenleben nach der Mitte des 18. Jahrhunderts
zusammen. Die friihesten Anzeichen einer psychologischen Stilwandlung am Oratorium treten
namlich ebenfalls in Verbindung mit dem Wirken eines zur letzten Klarheit iiber die von ihm
vertretene Gattung gelangten Musikdramatikers auf : die Reform Clucks streift in unzahligen
Fallen den Stilkreis des Oratoriums und begiinstigt dadurch unmittelbar den vom Wesens-
zentrum der Gattung ausgehenden Umbildungsprozefi. Ohne Gluck ware der theoretische
Fragenkomplex des Oratoriums wahrscheinlich nie in der Scharfe zur Diskussion gestellt wor-
den, wie es tatsachlich gegen Ende des Jahrhunderts immer ofter geschieht. Auch hat Gluck
erheblich die auBere Physiognomic des Oratoriums verandern helfen. In der musikalischen
Vereinfachung, die bis zur Verweichlichung gehen kann, kreuzt sich sein StileinfluB mit dem
des deutschen Singspiels und der Berliner Liederschule.
DaB die Generation um Gluck ihre Stellung zum aiteren Oratorienideal erschiittert ftihlte.,
aber in iiberzeugtem Rationalismus an ein neues, vollkommeneres Oratorium glaubte, dafiir
sind die 1763 erschienenen theoretischen Erzeugnisse des Englanders Brown und eines ano-
nymen Verfassers, die in eine respektlose Polemik gegen Handel ausarten, hochst bezeichnend.
Zwanzig Jahre spater fangt auch die offizielle deutsche Stelle fiir derart asthetische Erorte-
rungen, Forkels ,,Almanach", Ton und Tendenz dieser englischen Streitschriften auf. Was
wollten alle diese Verfechter eines neuen, vorlaufig noch nirgends Gestalt gewordenen Ideals?
Sie lehnen einmutig die dramatische Form fur das Oratorium, also auch jede Gememschaft
mit der Oper ab. Als iiberlebtestes Requisit sehen sie das Rezitativ an. Das Alte Testament
wird als Stoffquelle verworfen. Und in bezeichnender Obereinstimmung mit der praktischen
Bevorzugung des Handelschen ,,Messias" zu dieser Zeit wird die dichterische Verwertung des
christlich-neutestamentlichen Heilsgedankens in einem verschwommenen, moralisierenden
Sinne empfohlen. Wenn in erster Linie ,,Ausdruck der herrschenden Empfindung" gefordert
wird, so ist in dieser Formel ungefahr enthalten, was das neue Oratorium von demjenigen
Handels und der Wiener Hofdichter und -komponisten unterscheidet. Wie in England, dem
kulturell fuhrenden Lande, alle Umbildungen im Geistesleben mit einer gewissen ruhigen
•Kontinuitat vor sich gegangen sind, so mag sich doit der Umschwung schon unmittelbar nach
Handels Tode oder friiher noch vorbereitet haben, wahrenddessen Manner wie S mith , Boyce,
Das Oratorium vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1880 929
Arnold, Stanley, Arne, Salomon, Atterbury, W. de Fesch, Chr. Bach ganz im
Schatten ihres Vorbildes weiterschufen. Anders auf dem Kontinent. Und zumal im deutschen
Norden, wo das Neue mit einer gewissen Ruckartigkeit und Plotzlichkeit einsetzte. Ohne
Zweifel war Gluck hier der einzige, dessen geistige Kraft stark genug gewesen ware, den
schopferischen Willen auf ein neues, entwicklungsmaBig bedeutsames Oratorienideal hinzu-
lenken — wenn nicht gerade Gluck eben wegen seiner tiefen Einsicht in die geistigen Zu-
sammenhange erkannt hatte, daB das Oratorium mit Handel am Ende seiner Entwicklungs-
moglichkeiten angelangt sei, und daB von keinerlei Operation am Organismus dieser Kunst-
form mehr ein Heil zu erwarten sei. Ein Oratorium Clucks, d. h. eine musikalische Nach-
dichtung von Klopstocks ,,Hermannschlacht", ist Improvisation geblieben, die der Musiker
dem Dichter am Klavier vortrug. Der AblosungsprozeB vom alteren Oratorium ist aber auch
von literarischen Stromungen stark begiinstigt worden, durch die das neue Weitgefiihl zuerst
frei gemacht worden war: Neben Clucks EinfluB ist der Klopstocks in der ganzen Musik-
entwicklung der sechziger, siebziger Jabre handgreiflich. Von den Klopstock, Zacharia und
Ramler ubernimmt dann Herder spater die literarische Vormundschaft iiber die Musik. Hier
ist tiefe Religiositat noch einmal schopferisch gewesen und ein weniger empf indelndes Musiker-
geschlecht als das der Rolle (171&-S5), Homilius (1714—85), Turk (1750-1813) hatte
sicher .eine schone musikalische Bliite in Anlehnung und nach Art der Odenliteratur vermocht.
Um ,,Die letzten Dinge * in einer bewegenden Musiksprache lebendig zu machen, dazu reichten
solche Talente nicht aus. Nur hingewiesen sei auf Karl Heinr. Grauns unbegreiflich beriihmt
gewordenen ,,Tod Jesu" (1755) und Ph. Em. Bachs ,,Auferstehung und Himmelfahrt" ;
letzteres das einzige Zeugnis einer kraftigeren Individualitat in der ganzen Gattung.
Nach einer Seite aber liefi die Beriihrung mit der neuen Dichtung tiefere Musikquellen auf-
springen, doit, wo die Dichtung selbst zur reinen Sprache des Gefiihls geworden war: in der
Naturidylle. Von hier aus drangt ein erregter Strom in die musikalischen Gemiiter, wahrend
gleichzeitig vom Siiden her aus unzahligen Kanalen das weiche melodische Element der Spat-
neapolitaner in die Bewegung einschmolz. Wo diese Einwirkung von auBen eine starke indi-
viduelle Schopferkraft traf, da mufite sjch ein charaktervolles Produkt bilden. Und dieses
Produkt, ein seltenes Beispiel vollkommen harmonischer Durchdringung von Sozialpsyche
und Individualpsyche, besitzen wir in Joseph Haydns beiden Altersoratorien ,,DieSchop-
fung" (1797) und ,,Die Jahreszeiten" (1800). Wie stark Haydn den Ideenkreisen der Zeit
verpflichtet ist, zeigt nichts deutlicher als eine vergleichende Betrachtung von Telemanns
,,Vier Tageszeiten" (nach Zacharia), einem Werk von aufierordentlichen Qualitaten, das in
manch sinnigen Ziigen einer unbefangenen Naturschilderung viel Haydnsches vorwegnimmt.
Hinter Telemann aber steht ein noch hoheres Vorbild: Handel. Nicht der Stil, aber der Geist
der groBen Chore Haydns ist Handelsch. Im Stil Haydns ist wieder der Bnflufi Clucks und
der deutschen Liedkomposition im allgemeinen und der der Vertreter der lyrischen Chorkantate
(Schuster, Benda, Kunzen, Kraus) im besonderen unverkennbar. Das zeigt ein Blick auf das
Bild eines Haydnschen Oratoriums: nirgends mehr die in Schematisms entartete Abfolge
von selbstandigen Formorganismen, sondern eine viel f reiere, geistig beweglichere Handhabung
der musikalischen Form analog der stofflichen Gliederung, also in erster Unie eine viel innigere
Durchdringung von Chor und Solo. Aus der Dichtung selbst spricht wieder Klopstocksches
Empfinden. Klopstocks ,,Morgengesang am Schopfungsfeste" hat das Thema der ,,SchbpW 4
930 ^as Oratorium vom Ende des 1 8. Jahrhunderts bis 1 880
erst aktuell gemacht, obwohl die dichterischen Quellen beider Oratorien nach England fiihren.
Haydn hatte von seinen Londoner Reisen die Idee und den Stoff seiner Werke mitgebracht:
Die ,,Schopfung" geht auf Miltons ,,Verlorenes Paradies" zuriick und ist nach einer Bearbeitung
Undleys, die urspriinglich fiir Handel bestimmt war, von Baron van Swieten (demselben, der
sich um die Handelpflege in Wien so hochverdient gemacht hat) iibersetzt worden. Die , Jahres-
zeiten" sind gleichfalls von van Swieten bearbeitet worden, diesmal aber direkt auf Grund
eines Gedichts: Thomsons ,,The Seasons", das auch Zacharia, der Textverfasser von Tele-
manns ,,Tageszeiten", gekannt haben wird. So sind es eine Menge Momente, die Haydns
Oratorienwerk von der allgemein geistesgeschichtlichen Bewegungsrichtung, ja von reinen Zu-
fallsfugungen, wie der Beriihning rnit englischer Kultur, bedingt erscheinen lassen. Nach
Technik, Form und spezifisch musikalischem Gehalt sind jedoch Haydns Oratorien so sehr
sein Eigen, wie nur irgendein Werk seines Genies. Haydn hatte bereits das 65. Jahr erreicht,
als er an die {Composition der ,,Schopfung" ging, und man merkt dem Werk kaum an, dafi
seine Beendung dem Greis nur unter auBerster Anstrengung und heifier Anrufung gottlicher
Hilfe gelungen ist. Die Art, wie in der ,,Schopfung" das Bibelwort und der Testo in Gestalt
der drei Erzengel verwandt werden, die Dreiteilung des Stoffs, der Reichtum an Choren und
noch manche Einzelheit der poetischen Diktion erinnern an Handels „ Israel". Das Schopfungs-
thema mit den in ihm schlummernden Anregungen zu gewaltigen Naturbildern ist der alteren
Oratoriengeschichte fremd; auch darin zeigt sich die neue Zeit. Handelsch ist wieder die Art,
wie Bild und Gedanke oder GefuhlsauBerung miteinander verkniipft sind, wie das eine spontan
dajs andere hervorruft. Das natiirlichste war in diesem Fall, auf die Schilderung der Gottestaten
mit Dankeshymnen der ,,HJmmelsbiirger" und ,,Sohne Gottes" als Vertreter des menschlichen
Prinzips zu antworten. So steht eigendich der Mensch mit den ihn bewegenden Emp-
findungen im Zentrum des Geschehens: der Chor tritt wieder in seine altesten Rechte als
Grundtrager des Ganzen. Und dem entspricht, wo es die Situation rechtfertigt, eine Ent-
faltung der letzten musikalischen Macht- und Glanzmittel. Ein aufierordentlich sinniger Zug
ist es, wie im dritten Teil des Oratoriums das Allgemeine mit dem Besonderen sich verkniipft,
wie sich die Idylle der ersten Menschen zum Bild der Menschheit erweitert: Ober die Gefahr
einer Stoning des asthetischen Gleichgewichts durch die Verkleinerung der geistig-musika-
lischen Mafistabe triumphiert der Dankeshymnus des zur Idee des Allgemeinmenschlichen
gewordenen SchluBchors; und in einem tiefen Sinne schlagt er die Briicke zu der genialen
Instrumentaleinleitung des Oratoriums : dem Phantasiebild des Chaos vor Beginn der Schop-
fung. Wie sich im iibrigen der Geist seine individuelle Form schafft, dafiir sei nur das klassische
Beispiel der A-Dur-Arie des Uriel im ersten Teil zitiert, wo das psychologisch-dramatische
Kontrastbediirfnis nicht allein die ganz freie Form der Arie bestimmt, sondern als letztes
iiberwaltigendes Mittel den Chor einbezieht, der in sich wieder von scharf gegensatzlichen
Stimmungen beherrscht wird. Haydn schaltet hier wie allenthalben (z. B. auch in der ,,Tauben~
arie") ganz frei mit den Mitteln des Ausdrucks, etwa im Sinne eines Programmatikers, also
mit alien Kiinsten der Seelen- und Milieuschilderung, ohne jedoch je das oberste musikalische
Prinzip zu vernachlassigen. Aller tonmalerischer Ausdruck ist bei ihm letzten Endes Reflex
aus dem Seelischen und zum hundertsten Male an der melodisch-harmonischen Urkraft seiner
Musik gebrochen, ehe er als solcher in Erscheinung tritt. Man denke nur an das zauberhafte
Miniaturbild des in ruhigem Bogen dahinziehenden Mondes, um sich zu erinnern, wie weit Haydn
Das Oratorium vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1880 931
von aller auBerlichen Tonmalerei entfernt 1st. Als einer der henrlichstenAnklange an das alter e
Oratorium sei noch die Arie Gabriels im wiegenden Sizilianotakt ,,Nun beut die Flur** erwahnt.
Mil den ,Jahreszeiten" verlafit Haydn die streng oratorische Unie. Besonders mit den zwei
letzten (Herbst- und Winter*) Bildern greift er in den geistigen und musikalisch-stilistischen
Bereich des Singspiels ein, und was gegen diese Partien besonders einnimmt, ist nicht die
Tatsache der Verarbeitung von Stilelementen einer andern Kunstgattung an sich, die hier
zu ebenso genialen Resultaten fiihrt wie in dem alteren Werk, sondern die offenbare Verlegen-
heit, aus welcher heraus die minder erhabene Sphare der Hiller und Genossen aufgesucht wird.
Tatsachlich liefi die Dichtung Thomsens und van Swietens Bearbeitung den Komponisten
hier im Stich. Zu einer erhabenen Naturschilderung ladt keine Stelle des Textes ein, und der
Sprung vom inhaltlich denkbar harmlosen Genre zum feierlich ernsten Sinnbild des Schlusses
(von der BaBarie ,,Erblicke hier, betorter Mensch . . " ab) ist mit keinerlei gedanklicher Hilfs-
konstruktion zu schliefien oder nur gefiihlsma'Big zu decken. Hier versagte — zwar nicht
der Musiker, wohl aber der die Gestalt 5m ganzen diktierende Geist. Hier zeigte sich, wie
stark die destruktiven Tendenzen der Sturm- und Drangzeit den altpolyphonen Kunstbau
Handels bereits erschiittert hatten.- Haydns ,Jahreszeiten" sind, als das genommen, was sie dar-
stellen — : eine unoratorische, kantatenhaft lose Szenenfolge — das in unzahligen genialen Mo-
menten schillernde Abbild des Wesens seines Schopfers geworden, das man zwar unter dem
sprichwortlichen Begriff des tiefsinnigen Haydnschen Humors von jeher beglaubigt hat, das
denn aber doch noch unendlich viele andere Seiten enthiillt, vor allem immer wieder den
hohen sittlichen Ernst des Meisters. So aufgefafit, und nicht mit falschen oratorischen Mafi-
staben gemessen, gehoren die funkelnden Facetten seiner Genrebildchen, das Jagdscherzo, die
Szene des Wanderers oder die schon ganz von romantischem Licht umflossene Schilderung
des Sonnenaufgangs oder des Winternebels und unzarilige herzliche Ziige aus der landlichen
Kleinwelt der ,,Jahreszeiten" zum Schonsten, womit uns dieser grofie Diesseitsgeist unter den
Musikern beschenkt hat.
Das eigentlich epochemachende Werk blieb aber die ,,Schopfung", schon wegen der Grofie
des Vorwurfs. Es hat im sozialen Sinne umwalzend gewirkt, denn das offentliche Konzert-
wesen des ganzen 1 9. Jahrhunderts, nicht allem in Wien, sondern in England, Amerika, Frank-
reich, Rufiland und dariiber hinaus war dem Werke Haydns tiefer verpflichtet als dem irgend-
eines andern. In Wien wurde die Vorherrschaft des italienischen Oratoriums, zu dem noch
Haydns friiheres Oratorium ,,Tobias" (1775) zu zahlen ist, erst mit der ,,Schopfung" endgiiltig
gebrochen. Italien rachte sich dafiir gewissermafien, indem es bis heute dem Haydnschen
Oratorium als einziges Land des europaischen Kulturkreises keine Beachtung schenkte. Die
Erfolge der ,,Schopfung** und der ,,Jahreszeiten" haben auch andere Komponisten nicht ruhen
lassen. Die ,Jahreszeiten" kehren in mannigfachen Varianten wieder. Es schrieben ahnliche
Oratorien: P. von Winter (1754-1825), Frhr. von Peifil (1783-1865), E. Kohler (1799
bis 1847), Fr. Lachner (1803—90), Lindpaintner (1791—1856), Raff (1822-82) und noch
in neuester Zeit Fr. E. Koch (* 1862), natiirlich auch mit mehr oder weniger unverbliimten
Anleihen beim Musiker Haydn.
Die Geschichte des Oratoriums weist nach Haydn einen Bruch auf . Wir sahen, dafi selbst
Haydns Oratorium bei allem Individualismus in der Formgebung noch tief in dem entwick-
lungsgeschichdichen Bewegungszug steht, der von Handels Wirken ausgegangen war. Haydns
932 Das Oratorium vom Ende des 1 8. Jahrhunderts bis 1880
Oratorium war der erste positiv gelungene Versuch einer Auseinandersetzung mit dem Han-
delismus, wenn man so sagen soil, als geistesgeschichtlichem Typus. Wir bemerkten auch be-
reits, daB dieser Typus in Beethoven am reinsten wieder aufleuchtet. ,,Das ist das Wahre!"
hatte der Meister auf seinem Krankenbett von Handels Kunst gesagt. Beethoven hat sich in
den reifen Jahren seiner Meisterschaft mit dem Gedanken getragen, Oratonen im Smne
Handels zu schreiben. DaB er den Gedanken aufgab, liefie sich wohl aus der Eigenart seines
schopferischen Ingemums, aus seiner individuellen musikalischen Veranlagung und seinem
Bediirmis nach ganz subjektiver Interpretation allgemein menschlicher Ideen erklaren. Aber
auch aus den Tiefen der Zeitseele kann man eine Antwort erfahren. Das geistige Fundament
der Zeit um die Jahrhundertwende war einem Kunstbau von der Art des Handelschen ab-
gewandt. Es darf nur ein Name ausgesprochen werden: Kant. Und es darf nur an das
hochgeartete Menschentum der Fichte, Schiller, Humboldt und ihr humanitares Ideal, es
darf auch an die politische Zeitlage, an die franzosische Revolution und ihre politischen und
geistigen Folgeerscheinungen erinnert werden, um zu begreifen, weshalb Beethoven die all
gemein menschlichen Ideen, die auszudriicken ihm so brennend am Herzen lag, unter einer
andern Gestalt verwirklichen muBte als im Oratorium. Die Instrumentalkomposition war die
gegebene Form, in der die neue Zeit das Beethovensche Menschheitsevangelium zu fassen
vermochte. Von da aus baute ein Beethoven seine Instrumental werke in der ,,Neunten Sym-
phonie" und in der ,,Missa solemnis" (auch eine Art ,,0ratorium") auf. Hier liegt der Schliissel
zum Verstandnis der Gesamtleistung, die das 1 9. Jahrhundert zum Oratorium beigetragen hat.
Unter dem EinfluB romantischen Geistes wurde die Verwirrung vollkommen, nachdem die
schopfenschen Krafte im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts iiberhaupt ganzlich ver-
sagt hatten — was nicht blofi als Symptom der Erschopfung auf zufassen ist, sondern als Zeichen
einer halb bewufiten Anerkennung der eben ausgefiihrten Verhaltnisse. Um so undurchsich-
tiger wird die kunftige Entwicklung des Oratoriums, als eine Generation nach der andern die
Hand nach dem Erbe Handels ausstreckt und sich bei allem, was sie tut, auf dieses Vorbild
beruft. Handels Popularitat nimmt namentlich in England — man ist versucht zu sagen
erschreckende Formen an, vergleichbar der Position Wagners im modernen Kulturleben; ver-
gleichbar namentlich auch in der Hinsicht, wie der Druck beider Personlichkeiten lahmend
auf dem Schaffen der Zeit gelegen hat. In England milderte Mendelssohns ,,Elias" 1846
diesen Bann, ohne ihn je zu brechen. Das Befremdende dieses Ereignisses und seiner Folgen
lag aber wieder darin, daB es die Zeit iiberhaupt zu einer Verwechslung der schopfenschen
Potenzen eines Handel und Mendelssohn bringen konnte, — ein Irrtum, der bis heute nicht
nur in England, sondern in der deutschen Provinz, in Holland, Amerika usw. nachwirkt. Erst
In neuester Zeit — seit den siebziger Jahren etwa — beginnt sich in England das Oratorium
vom historischen Druck zu emanzipieren und neudeutsche und jungfranzosische Einfliisse mit
bodenstandigen Elementen zu einem nationalen Oratorium zu verschmelzen. Immerhin bleibt
hier in England das Oratorium die begiinstigte Form. Darin wirkt Handels gewaltig vor-
beugende, konservierende Kraft dauernd nach.
Umfafit man die Oratorienproduktion des 1 9. Jahrhunderts mit einem Blick, so f allt allgemein
auf, welche Bedeutung Nebensachlichkeiten beigemessen wurde. Unklarheit in bezug auf
die geistige Seite des Problems ist der Hauptgrund, warum die Komponisten der ersten drei
Jahrzehnte iiber teilweise grotesk anmutende Augenblickserfolge hinaus nicht dauernd in der
Das Oratorium vom Endie des 18. Jahrhunderts bis 1880 933
Geschichte Fufi fassen konnten. Die Zeit ist hinweggegangen iiber die Ey bier und Stadler,
iiber Klein und Schneider, den gepriesenen ,,Handel" seiner Zeit. Gegeniiber den grellen
Effekten in Schneiders ,,Weltgericht" (1819) ist der Berliner B. Klein (1793—1832) ehrlich,
anspruchslos. Seine Erfolge als Oratorienkomponist (,,Hiob", ,Jephta", ,,David", 1820 — 30)
fallen noch vor die Zeit Schneiders. Klein bekennt sich zum Chororatorium und damit zur
Handelnachfolge. Im Chor leistet er auch weitaus das Bedeutendste. Mittlerweile waren die
furs Musikalische unfruchtbaren Jrreligiosen, pantheistischen Tendenzen der ersten zwei Jahr-
zehnte von der Hochromantik mit Jhrem Unendlichkeitsstreben iiberholt worden. Die ,,Da-
monenoratorien" der Eybler (,,Die letzten Dinge", 1810) und Stadler (,,Das befreite Jerusa
lem'*, 1813), meist grobe Haschereien nach dem Geschmack der Masse, dazu vollig eklektische
Leistungen und von der Haltung der franzosisch-italienischen Oper beeinflufit, fiihren in
gerader Lime auf Schneider, Mit angestrengter Phantasie und gesuchten Neuerungen des
Ausdrucks gedachte auch der edle Spohr die ,,Letzten Dinge" zur kiinstlerischen Anschauung
zu bringen. Aber der weiche, elegische Grundzug seiner Kunst liefi sich nicht wegleugnen,
und es kamen zwiespaltige Werke zutage, die den Oratorien Schneiders und Mendelssohns
auf die Dauer nicht standhielten (,,Das Jiingste Gericht", 1812; ,,Die letzten Dinge", 1826;
,,Der Fall Babylons", 1842). Schwachere Talente, wie Clasing und Ries, schwammen im
Schneiderschen Kielwasser. Aus dieser dunkelsten Zeit des Oratoriums ist nur noch Franz
Schubert mit seinem fragmentarischen ,,Lazarus" zu nennen, einem musikalisch herrlichen
Werk, dessen praktische Wiederbelebung aber die Schwachen der textlichen Anlage verhindert
haben. 1829 bringt der Meister der Ballade Karl Loewe seine ganz monumental gedachte
,,Zerstorung Jerusalems" heraus, welcher in den nachsten Jahrzehnten eine ganze Anzahl
Oratorien folgen. Loewes Oratorien .der. dreifiiger Jahre sind kunstgeschichtlich bedeutsame
Zeugen der von den Pariser Ereignissen hervorgerufenen Revolutionierung der Geister, die
das Eindringen eines kraftigen Realismus in die Weltanschauung bewirlct hatte. Die der Meta-
physik abgeneigte neue Epoche aufierte sich auch in der Wahl, die Loewe fur seine Stoffe traf.
Er griff, von dem romantischen Preufienkonig Fr. Wilhelm IV. noch besonders ermuntert,
zur Geschichts- und Volkslegende. Zum Ausdruck erhabener Weltanschauung eigneten sich
diese Vorlagen freilich langst nicht in dem MaBe wie die alttestamentarischen Stoffe. Es
schlagt einem aus Oratorien wie dem ,Johann Hus" (1842) der welke Hauch des Historismus
entgegen, und man fuhlt sich ungemein erinnert an den Realismus der Diisseldorfer Maler~
schule, etwa an die Bilder eines K. Fr. Leasing, dessen ,,Hussitenpredigt" wie die unmittelbare
Anregung zu dem Loeweschen Oratorium anmutet. Grofier, monumentaler, vergleichsweise
mit Rethelschem Wurf gestaltete Loewe die ,,Zerstorung Jerusalems", die sein Hauptwerk
neben den ,,Festzeiten" (1825 — 36) bleibt: in den Chorpartien reichste, reinste Entfaltung
. romantischen Kunstgeistes, im ubrigen ein Abglanz des herrschenden ,,europaischen" Stils
der Rossini, Bellini, Spontini, Meyerbeer. Die ,,Festzeiten" sind ein Mosaik von kantaten-
artigen Stiicken, die urspriinglich kirchlichen Zwecken dienten; kiinstlerische Kommentare
der christlichen Hauptbegebenheiten des Jahres. Ihre Musik ist in fliichtige Partikel gedrangt,
in der Haltung schlicht volkstiimlich, in der Harmonik archaisierend. Von Loewes Legenden-
oratorien wurden ,,Die Siebenschlafer" (Text von Giesebrecht) bei weitem am beruhmtesten.
Ein frischer Zug, gelegentlich ein wenig westliche Grazie und Pikanterie finden sich an man-
chen Stellen seiner weltlichen Oratorien. Unter ihnen verdienen ,,Der Meister von Avis" (1843)
Das Oratorium vom Ende des 18, Jahrhunderts bis 1880
und ,,Polus vonAtelk" (I863)Beachtung. Eine Erf indung Loewes sind die a-cappella-Manner-
chororatorien, Beispiele jener asthetisch anfechtbaren Modegattung, der auch Wagner mit
seinem ,,Liebesmahl der Apostel" einen bedeutenden Beitrag zugesteuert hat. Loewes dahin-
gehorige Werke sind ,,Die eherne Schlange* (1834) und ,,Die Apostel von Philippi" (1835).
Zahlreiche Komponisten folgten dem Beispiel Loewes, ohne jedoch ganzlich auf instrumentale
Mittel zu verzichten.
War Loewes Oratorium als Ganzes ein getreuer Spiegel der vormarzlichen biirgerlichen
Gesellschaft, so weist Mendelssohns Oratorium deutlich nach England mit seiner Handel-
tradition hiniiber. Zwar war der ,,Paulus", in dem sich das Oratorium des 19. Jahrhunderts
gleichsam kristallisiert hat, auf dem Diisseldorfer Musikfest 1836 zum erstenmal erklungen.
In Mendelssohn verkorpert sich ein Stuck typisch englischen Geistes. Typisch der alttesta-
mentarische Enthusiasmus, die christliche Symbolik, der Pietismus, der wiirdevolle Anstand
dieser Musik. Daft England das weitere Schaffen Mendelssohns auf oratorischem Gebiet fur
sich gleichsam mit Beschlag belegte, war eine ganz naturliche Folge dieser inneren Verhaltnisse :
,,Elias" erschien 1846 auf dem Musikfest in Birmingham. DaB Mendelssohns Oratorium auch
im deutschen offentlichen Musikwesen so gewaltig in die Breite drang, verdankt es nicht zum
geringen Teil der gliicklichen Verschmelzung des musikalischen Sprachschatzes der deutschen
Romantik mit Elementen der altpolyphonen Kunst Bachs und Handels. Die deutsche Ro-
mantik und die von Mendelssohn heraufgefiihrte Bach-Renaissance wurden so zu Schntt-
machern seiner Orator Jenkunst. Spaterhin wurde dann Mendelssohns biblisches Oratorium
selbst der Schrittmacher fur Werke ahnlicher Art wie Ferd. Hillers ,,Zerstorung von Jeru
salem" (1840) und Ad. Bernh. Marx' ,,Mose" (1841). Das ,Junge Deutschland" trieb diesen
biblischen Heroenkult sogar mit einer deutlichen Anspielung auf seine eigene weltgeschicht-
liche Mission weiter. Aus dem Kreise des biblischen Oratoriums nach 1848 hebt sich
Mendelssohns Oratorium hoch heraus. Zu den Schwachen seiner Oratorientexte gehort z. B.
die Verquickung der Stephanusgeschichte mit dem paulinischen Schicksal, die nicht iiber-
zeugen kann, ferner das christlich-messianische Anhangsel an die Eliasszenen (worin iibrigens
ein Postulat der'Zeit zu sehen ist). Voraussetzung zur richtigen Wiirdigung der Mendelssohn-
schen Oratorien ist, dafi die Einstellung nicKt von Bach oder Handel her geschieht. Einzelne
Stellen sind Dokumente einer genialen Einfiihlung in die Bachsche Ausdrucksweise for ahn-
liche Empfindungen. Aber anderes zeigt den Abstand, die Kluft, so die echt romantischen
Schlufisteigerungen, unvermittelte Haufung scheinpolyphoner, namlich aus primar harmo-
nischem Empfinden resultierender romantischer SchluBeffekte. Die formale Vollendung, der
harmonische Ausgleich aller asthetischen Faktoren, die stilistische Einheitlichkeit trotz aller
Risse im Grundplan heben Mendelssohns Oratorien weit iiber ihre Zeit hinaus. Ein als Frag
ment nachgelassener ,,Christus" zeigt Mendelssohn in starkster Abhangigkeit von Bach. Aus
der Nachfolge verdient einzig A. B. Marx* ,,Mose" Beachtung als geistreicher Versuch, die
Gattung unter ein iausgesprochen dramatisches Prinzip zu stellen. Das geistliche Oratorium
fuhrt in den drei Jahrzehnten nach der Jahrhundertmitte nichts weiter als ein Scheindasein.
Seine schwachen Lebenskrafte leiht es von Mendelssohn. In vollstandiger Verdunkelung der
geschichtlichen Tatbestande wird es als kirchliche Angelegenheit betrachtet und verliert die
Gunst der in materialistischen, antitheistischen, antimystischen Denkrichtungen befangenen
geistigen Kreise der Nation. In dem Jahrzehnt nach der Reichsgriindung scheint der Nieder-
Das Oratorium vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1880 935
gang des Oratoriums unvermeidlich. Die biblischen Ideenkreise waren nach dem Abflauen
der jungdeutschen B /egung und mit der rasch zunehmenden allgerneinen Faszination durch
Wagners Mythenoper unpopular geworden. Uberhaupt erschiitterten Theorie und Praxis das
schwache Fundament, iiber welchem die produktive Oratorienkunst des 19. Jahrhunderts
errichtet war. Einige iibriggebliebene Idealisten glaubten trotz, oder vielmehr gerade wegen
Wagner an eine Neuansiedlung des Oratoriums auf dem stofflichen Boden der Legende und
der Lebensgeschichte des Heilands; for die musikalische Behandlung nahm man Wagnersche
Prinzipien in Anspruch (Leitmotivik, Harmonik, ,,Unendliche Melodic**, gesungene Dekla-
mation). Schon friiher (in Millers ,,Zerstorung von Jerusalem") waren Versuche angebahnt
worden, die reine Instrumentalmusik in erweitertem Mafie illustrativ zu verwenden. Jetzt sollte
das in grundsatzlicher Weise geschehen. Zum Versuch einer Obertragung Wagnerscher Stil-
prinzipien auf das Oratorium kam es jedoch nicht vor den neunziger Jahren. Was bis dahin
auf Oratoriengebiet erwuchs, tragt mehr oder weniger die Zeichen des Kompromisses (Raffs
,,Weltende", ,,Gericht", ,,Neue Welt**, 1880). Am erfreulichsten wirken noch die im Geiste
Mendelssohns gehaltenen Arbeiten der Berliner Akademie (Blumner, Kiel, Meinardus, Wilsing,
Oberlee). Den Schneiderschen Spuren ins Ubersinnliche folgt Rubinstein, der letzte aus-
gesprochene Reprasentant des biblischen Oratoriums, mit dem ,,Verlorenen Paradies" (1855
unter Liszt in Weimar) und einer Reihe anderer biblischer Oratorien, die als geistliche Opern
nach Art von Mehuls „ Joseph" verfafit sind und die Starke ihres Schopfers in koloristischen
Kiinsten zeigen.
Die Abneigung der Zeit gegen das biblische Oratorium begtinstigte die Entwicklung eines
weltlichen Oratoriums in Deutschland. Die Vorlaufer dieser Gattung, die nie zu einer rechten
Selbstandigkeit gedieh, erkannten wir an anderer Stelle bereits in Bachs weltlichen Kantaten.
Haydns ,Jahreszeiten" gehoren wegen ihrer Ankniipfung an religiose Empfindungskreise
nicht streng in diese Lime. Erst Robert Schumann greift bewufit den Faden wieder auf in
seinem (nicht als solches bezeichneten) Oratorium ,,Das Paradies und die Peri" ('843) Der
-allgemeinmenschliche Kern dieser Handlung, die eigentlich keine Handlung Jst, entsprach so
sehr dem Schumannschen Naturell, dafi er miihelos den Punkt fand, von dem aus er musi-
Icalisch zu gestalten hatte. Eine verschwenderische Gedankenfiille stand dem Meister bei der
Komposition zu Gebote. Der grofie durchgehende dithyrambische Schwung bindet die gegen-
satzlichen Teile zur stilistischen Einheit. Vom geschichtlichen Standpunkt ist das Wieder-
aufleben des Testo in rezitativer, arioser und chorischer Form bemerkenswert. Der un-
dramatische, zustandliche Charakter, der von der Dichtung (aus ,,Lalla Rookh" vonTh. Moore)
her bestimmt wird, stellt das Werk in Parallele zu Handels ,,Alexanderfest". Aus dem Vor-
wiegen der Liedform ergibt sich seine stilistische Signatur. Schumanns Faustmusik und
,,Der Rose Pilgerfahrt" gehoren nur bedingt in diese Darstellung. Bei ,,Der Rose Pilgerfahrt"
lag es Schumann selbst fern, mehr als eine Choridylle zu geben — das Werk sollte urspriinglich
nur eine Klavierbegleitung bekommen — ; in den sieben Faustszenen dagegen, deren Kom
position sich fast iiber ein Jahrzehnt erstreckte, griff der Meister nach dem Hochsten. Zwar
konnte er seinem romantischen Naturell nach kein Abbild faustischen Willens geben, er be-
gniigte sich damit, den lyrischen, romantisch-symbolischen Gehalt der Dichtung unmittelbar
zu erschopfen. Im Schlufiteil wachst der Ausdruck ins Visionar-Mystische. Im Gefolge des
deutschen Meisters tat sich der wahlvej%vandte Dane Niels Gade hervor (,,Calanus", ,,Psyche",
936 ^as Oratorium vom Ende des 18. Jahrhunderts bis I860
nKreuzfahrer"). Merkliche Impulse erfuhr das weltliche Oratorienschaffen gleichzeitig mit
der Hebung des vaterlandischen Bewufitseins durch die politischen Ereignisse der siebziger
Jahre. Doch zerrannen die mit patriotischen Gedanken verkniipften Werke dieser hoch-
fliegenden Epoche mit dem Ruhm ihrer Schopfer. Es geniigt, an einige Namen zu erinnern :
Bruch (,,0dysseus*', 1873), Gernsheim, Vierling, Brambach, Lorenz, A. v. Gold-
schmidt (,,Die sieben Todsiinden", 1873, ein Monstrewerk der Wagnerschule).
In den besprochenen Zeitraumen blieben aueh andere Lander an der Oratorienkomposition
mit einzelnen ansehnlichen Leistungen beteiligt. Um die Jahrhundertmitte macht I tali en
wieder nach langem von sich reden. In der ersten Jahrhunderthalfte hatte dort das Ora
torium den Opern Rossinis, Bellinis, Donizettis nichts an die Seite zu stellen. Die strenge
Organisation der alten Oratorieninstitute war in Auflosung begriffen, die Oper hatte die
ganze erhabene Erbschaft ubernommen. Einen Oratorienstil gab es nicht mehr. In dieser
Zeit besann sich Pietro Raimondi (1786—1853), der bis 1853 Kapellmeister an St. Peter
war, auf die ruhmvolle Tradition des Oratoriums in Italien. Aus dem Jahre 1852 stammt
sein Tripeloratorium ,,Giuseppe", ein wahres Wunderwerk in der Stimmkombination
nach altklassischem Muster, das man auch als Werk eines Sonderlings angesprochen hat.
Auf einen zweiten Meister der Jahrhundertmitte, Jac. Tomadini (f 1883) machte Franz
Liszt zuerst aufmerksam. Bis zum Jahrhundertende schweigt das Orator Jum dann in
Italien wieder, eine Renaissance fiihrte erst der Kapellmeister der Sixtina, Lorenzo Perosi
(* 1872) herauf.
Von Frankreich war seit der Erwahnung Charpentiers und seines fruchtlosen Versuchs,
die Werke seines Lehrers Carissimi in Paris einzubiirgern, nicht mehr die Rede. Die Ver-
standnislosigkeit, welcher das Oratorium wahrend des 18. Jahrhunderts dort begegnete, konnte
man aus der instinktiven Abneigung der Franzosen gegen eine asthetisch nicht absolut ein-
deutige Kunst erklaren ; und dafi sich das Oratorium einer vollig rationalen Deutung entzieht,
hat die Darstellung seiner Geschichte erwiesen. Um so lebhafter erhielt sich im Volke all die
Jahrhunderte hindurch die Erinnerung an die liturgischen Mysterien des Mittelalters. Und
eine retrospektive Epoche wie die Romantik entdeckte geheime Zusammenhange der mittel-
alterlichen mit der modernen Seele. Zwar sind schon im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts
Ansatze zu einem bodenstandigen Oratorium vorhanden. Aber die Bewegung kam aus der
Initiative eines einzelnen, Gossecs (1734 — 1829), der 1773 diePariser Concerts spirituels des
Philidor reorganisiert und 1784 die Ecole royale du chant begriindet hatte. Die Bewegung hatte
vielleicht weiter um sich gegriffen, wenn nicht die Revolution sie erstickt hatte. Von J. Franc.
Lesueur (1760 — 1837), dem Lehrer Berlioz*, wird die neue Richtung des Oratoriums in-
auguriert, die iiber die Romantik bis in die Gegenwart anhalt und gelegentlich weitab vom ver-
meintlichen asthetischen Zentrum der Gattung in Grenzgebieten verlauft. Die zumeist gestreif te
Grenze ist die des Theatralischen. Das erklart sich aus den fast unterschiedslosen Neigungen
der Franzosen fur Kiinste, die den Schausinn reizen. Lesueur war im besonderen zeitlebens
von dem Bediirfnis getrieben, asthetische Spannungen im dramatischen Wege zur Losung zu
bringen. Eine Neigung zur Mafilosigkeit war damit verbunden. Nachdem er es so mit der
Kirchenmusik versucht, griff er zum Oratorium. Seine Werke auf diesem Gebiet sind Ge-
legenheitsmusik groBten Formats. Im ,,0ratorio de Noel", in den Kronungsoratorien vollzieht
sich jene seltsame Neugeburt aus mittelalterlichem, liturgisch-dramatischem Geiste. Im vollen
Das Oratorium vom Ende des 18. JaKrhunderts bis 1880 937
Blechpanzer und in exzentrischer oder altertiimelnder Haltung schreiten diese Gebilde dahin ;
es ist zu verstehen, warum sie den jungen Berlioz ebenso faszinierten, wie sie den reifen Meister
abstiefien. Mit ihrer ungenierten Mischung gregorianischer, altklassischer und moderner
Stilelemente ist solch Lesueursches Oratorium ein wahres Pantheon der Musik aller Zeiten.
Lesueurs Oratorium lafit sich wahrlich nirgendwo besser denken als bei den Napoleonischen
Kronungsfeierlichkeiten 1804 und bei dem Reimser Kronungsschauspiel vom Jahre 1824; ein
Stuck wiedererstandenes Mittelalter in der Neuzeit. Lesueurs Geist blieb dem franzosischen
Oratorium, oder wie es mit Vorliebe benannt wurde: ,,Mystere", erhalten. Er regt sich am
kraftigsten in Berlioz* Trilogie sacree, ,,L'enfance du Christ** (1854), einem unausgeglichenen
kleineren Werk, in dem auBerordentlich feine Stimmungen ausgesponnen sind, dann aber
auch wieder ganz ungeniert mit drastischen Mitteln musiziert wird. Das weitere franzosische
Oratorienschaffen bis zu den siebziger Jahren verlief ohne Hohepunkte. Auch reprodulctiv
wurde, im Gegensatz zu England oder Deutschland, nichts geleistet Erst in Ch. Gounods ,,La
Redemption* (1867—82; Erstauf farming in Birmingham) regt sich wieder kraftiger schopfe-
rischer Geist. Das Werk steht ganz in der Linie Lesueur-Berlioz-Liszt und ist im Grunde
nichts als eine neue Variante des Lesueurschen ,,Mystere". Es ist wie dieses eine Kombination
der verschiedensten Stile mit Einschlufi des eigenen Ichstils, wie er in Gounods ,,Margarete *
zu finden ist. Die Leitmotiwerklammerung der einzelnen Teile ist Liszt nachgeahmt, ebenso
die Verwendung altkirchlichen Melodienschatzes. In gleichen Bahnen bewegt sich das Ora-
torium ,,Mors et Vita*' (1885). Gleichzeitig mit Gounod schufen Massenet (Drame sacre
,,Marie Madeleine*4, ,,La Vierge" usw.), Saint -Saens (,,Le deluge'), Ch. Lefebvre/
Th. Dubois u. a. Mit Massenet ist ein Endpunkt dieser Linie erreicht: ein nicht zu iiber-
bietender nackter Realismus. Neben diesen geschichtlich am nachdrucklichsten reprasen-
tierenden Werken des jungen Frankreich bleiben die Oratorien des Neuromantikers Cesar
Franck (,,Ruth", 1846; ,,La Redemption", 1872; ,,Les Beatitudes", 1880; ,,Rebekka", 1881)
als Zeugnisse ernster, charakervoller Kunstgesinnung und eminenten Konnens erwahnens-
wert. Eine Franck verwandte Natur besafi Belgien in dem Vlamen Peter Benoit (1834
bis 1901 ; ,,Die Schelde", 1867; ,,Der Rhein'* usw.). Englands produktiver Anteil am Ora
torium des 19. Jahrhunderts beschrank sich bis 1880 auf :Mex. Macfarrens (1813—87)
,,St. John the Baptist" (1873), ein unter neudeutschem EinfluB geschriebenes, monotones
Werk romantischer Geistesrichtung,
Die anziehendste Erscheinung der zweiten Jahrhunderthalfte auf dem Gebiete des Ora-
toriums ist Franz Liszt. Mit zwei grundverschiedenen Werken beglaubigte er seine Auf-
fassung von der Hoheit und asthetischen Berechtigung der Gattung: der ,,Legende von der
heiligen Elisabeth** (1867) und dem ,,Christus" (komponiert um 1866, vollstandig aufgefuhrt
in Weimar 1873). Beide Werke stromen eminent katholisches Empfinden aus, denn sie sind
subjektives Bekenntnis des religiosen Menschen. Schon dadurch entsteht eine uniiberbriick-
bare Kluft zwischen diesem und Handels Oratorium. Handels Kunst schopfte aus den Tiefen
der Volksseele und lauterte sich an allgemeinmenschlichen Ideen empor. Uszts Kiinstler-
standpunk blieb ein L art pour Tart, obwohl er es nicht wollte, obwohl er seinen ,,Christus"
aus dem heifien Trachten des glaubigen Katholiken nach einer neuen Vereinigung von Kunst
und Leben, Kirche und Welt dem Volke geweiht hatte. Die Zeit scheint Liszt nicht recht
geben zu wollen. Sein ,,Christus" wird umgangen, seine schopferischen Werte werden
Das Oratorium vorn Ende des 18. jahrhunderts bis 1880
bezweifelt, obgleich sie nirgends so auf der Hand liegen wie in diesem Mysterium. Auch bei der
Elisabethlegende kann nicht genug auf ihren subjektiven, katholischen Charakter verwiesen
werden, auf den zarten, reizsamen Tonfall seiner Musik, die dies Werk von einer Volkskunst
ausschliefit und nur die aristokratisch-exklusive Natur ihres Schopfers bezeugt. Auch die
Roquettesche Dichtung meidet peinlich die geschichtlich und asthetisch geregelte Bahn des
Oratoriums. Sie verzichtet auf jeden dramatischen Anspruch und begniigt sich damit, eine
lose Bilderfolge zu geben. Ob die Verpflanzung des Werks auf die Schaubiihne, mit der man
es mehrfach versucht hat, seinem innersten Wesen entspricht, bleibe eine offene Frage. Ora-
torisch ist diese Kunst in dem Sinne, daB sie sich an die Phantasieanschauung wendet.
Diese Grenze hat der Musiker Liszt durchweg wohl gewahrt, obwohl selbstandige Instrumental-
stiicke nach Art der symphonischen Dichtungen, d. h. ausgefiihrte Seelenschilderungen im
Sinne der Psychologic des 19. Jahrhunderts und aufierliche Tonmalereien die Einheitlichkeit
der Konzeption oft storen. Stilistisch wird die Legende und noch mehr das Christusoratorium
gekennzeichnet durch die reiche Venvendung altkirchlichen Melodienschatzes, dessen Ober-
fuhrung und Einschmelzung in modern-harmonisches Empf inden Liszts Genie wohl voll gelang.
Dafi er bei Gelegenheit Wagners Kunst entnahm, was er dieser selber zum Teil zugefiihrt
hatte, vor allem also Elemente von dessen Harmonik, aber in sublimiertester Form, versteht
sich fast von selbst. Wagnerisch ist auch die mit Mafi angewandte Leitmotivtechnik. Aber
iiber diese mehr aufierlichen Stileinflusse hinaus tragt Liszts Oratorienmusik den Stempel
individuellsten Schopfertums. Ganz eigeh und frei von Buhnenpathos ist zum Beispiel auch
die Stimmenbehandlung. Es bedarf freilich nachschaffender Versenkung in die mystische
Poesie der Einzelgesange, um wahrzunehmen, wie sehr sie sich vom Zeitublichen entfernen.
Eigen ist ferner die variationsmaBige Durchfuhrung des thematischen Hauptgedankens mitHilfe
der Sequenztechnik. Die ganze weitspannende Orchestereinleitung entwickelt sich aus dem
seraphischen Elisabethmotiv, das Liszt der alten Antiphon ,,Quasi Stella matutina" entnommen
hat. Im ,,Christus" tritt die Leitmotivik zuriick, dagegen die Sequenzbildung im groBten
Format hervor. Liszt hat den Plan seines Werks mit unverkennbarem Bezug auf eine Ein-
gliederung in die katholische Liturgie selber entworfen. Der Text besteht aus 14 altkirchlichen
Gesangen, bekannten lateinischen Hymnen und Sequenzen, die einzelne bedeutende Sta-
tionen aus dem Leben des Heilands veranschaulichen. Mit dem ,,Messias" hat der ,,Christus"
nur die Idee gemein. Die Ausgestaltung erfolgt in denkbarstem Gegensatz zu Handel einmal
vom Standpunkt des Katholiken, zum andern vom Standpunkt des Programmsymphonikers,
also mit Riicksicht auf die Bildhaltigkeit des Stoffes. Ein grofier Teil der Partitur wird von
reiner, schildernder Instrumentalmusik bestritten (Meeressturm, Marsch der heiligen drei
Konige usw.). Ober die ausgedehnten Chorpartien breitet sich ein Schleier mittelalterlicher
Mystik. Hier liegen die starksten Verbindiingsfaden zum alten liturgischen Drama zutage.
Einen einheitlichen Chorstil gibt es im ,,Christus" nicht. Homophone und polyphone, alt-
kirchliche und modern harmonische Stilelemente sind synthetisch verwendet, sind im schopfe-
rischen Feuer religioser Ekstatik zur Einheit gegossen. Durch die rauschenden Instrumental-
satze klingt bisweilen eine unverhohlene Weltfreudigkeit. Der grofie Rhapsode der sympho
nischen Dichtungen bestimmt hier merklich die Haltung des Ganzen. Da finden sich auch
jene elastischen Oktavengange der Basse unter den hymnischen Melodiebogen wieder, bei
denen man von dem Gefuhl nicht frei wird, als sei die linke und die rechte Hand des Klavier-
Das deutsche Lied Im 19. Jahrhundert 939
spielers bei der {Composition beteiligt gewesen. Aber auch fiber solchen Stellen liegt der
altkirchliche Glanz der Chore und jener ergreifenden, fiihrenden oder nach Priesterart
respondierenden Einzelgesange. Und eine merit naher zu begriindende Stimmungsemheit
bindet die disparaten Teile zum Ganzen eines genialen, dem Allerhochsten zustrebenden
Kunstwerks.
Hans Schnoor
DAS DEUTSCHE LIED IM 19. JAHRHUNDERT
Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde das Lied zu dem, was es heute ist: unmittel-
barer Ausdruck einer Stimmung oder Empfindung. Erst da hat die Musik im Lied das zu
erreichen gesucht, was unter alien Kunsten ihr alleiniges Vermogen ist: Stimmungen direkt
— ohne Umweg iiber das Begriffliche — mitzuteilen. Das Gedicht, das sich des Wortes als
Begriff zur Schilderung von Zustanden bedienen mu8, ist auf den Umweg des Denkens ge-
wiesen, kann daher nur durch den Verstand zum Gefuhl sprechen. Musik aber spricht un-
mittelbar. Die Tonschwingungen setzen sich nicht zu gedanklich erfafibaren, mathematischen
Problemen zusammen, sondern wirken unmittelbar auf das Gefuhl und losen Stimmungen im
Lauschenden aus. So erganzt also die Musik das Gedicht nach der Seite des Ausdrucks der
Empfindung hin, wahrend die Worte die Stimmung auf einen bestimmten Vorgang, ein Er-
lebnis oder einen Zustand konkretisieren. Demzufolge kann kein Zweifel bestehen, da6 der
Musik im Liede die bei weitem hohere Aufgabe zukommt. Bei beiden, beim Dichter sowohl,
wie auch beim Komponisten, ist das Primare die Stimmung, der das Erlebnis vorausgeht,
woraus das Kunstwerk geboren wird. Ob das Erlebnis ein auBeres oder innerliches war, ist
fur den AuBenstehenden gleichbedeutend; jedenfalls berechtigt das Fehlen eines auffallenden
auBeren Vorganges nicht zur Annahme des ganzlichen Fehlens eines schopferisch gewordenen
Erlebnisses. Der Dichter mufi sich, durch die Beschaffenheit seiner Ausdrucksmittel ge-
zwungen, mehr oder weniger auf die Schilderung der Nebenumstande verlegen, um dadurch
im Empfanger dieselbe Stimmung zu erregen, wahrend der Musiker nicht schildert, sondern
die Tone findet, die — unmittelbar auf das Gefuhl wirkend — dieselbe Stimmung im Lau
schenden erzeugen. Nur in ganz vereinzelt dastehenden Gedichten ist die Empfindung so
vollkommen wiedergegeben, da8 eine Vertonung Pleonasmus erschiene, wenn nicht als storend
empfunden wurde. Zu diesen wenigen zahlen u. a. Goethes ,,Mignon"-Lieder, von denen
nur ganz wenig Vertonungen der Wirkung der gesprochenen Gedichte annahemd gleich-
kommen.
Der subjektive Empfindungsausdruck des Schaffenden, der nicht als Vertreter einer Mehr-
heit sprechen will, sondern nur sein eigenes Empfindungsleben zu Wort kommen lassen
mochte, der auch nicht Massen bewegen will, sondern nur einigen verwandten Seelen sein
heiligstes Gefuhl eroffnet, war erst im 19. Jahrhundert, in der Zeit des in den Vordergrund
tretenden Subjektivismus denkbar. Friiher war der Schaffende bemuht, das Allzupersonliche
von seinem Kunstwerke f ernzuhalten ; ein asthetisch stilisierendes Prinzip waltete iiber dem
Kunsthimmel und hielt allzu krassen Subjektivismus aufierhalb der Schranken der Kunst.
Um das hier Gesagte an einem Beispiel klar vor Augen zu haben, vergleiche man die Vertonung
60 H. d. M.
940 Das deutsche Lied im 19. Jahrhundert
eines Gedichtes durch einen Romantiker mit der eines friiheren Komponisten, also z. B. Schu-
berts ,,Erlkonig" mit dem Reichardts, oder gar dem der Korona Schroter. Selbst wenn ein
Mozart dieselbe Ballade vertont hatte, wie anders ware die Auffassung gewesen: die stim-
mungsmalende Begleitung ware vor allem absolut musikalisch gehalten und erst in zweiter
Linie (wenn iiberhaupt) illustrierend. Das Gedicht ist eine Einlage in das Singspiel ,,Die
Fischerin" und Goethe auBert sich dariiber in einem Brief an Kayser vom Jahre 1 779 : Der
Erlkonig gehort zu den ,,Liedern, von denen man supponieret, dafi der Smgende sie irgendwo
auswendig gelernt, und sie nun in ein und der anderen Situation anbringt. Diese konnen und
miissen eigne, bestimmte und runde Melodien haben, die auffallen und jedermann leicht be-
halt." Daher war also die rein strophische Vertonung und das leicht faCliche, tanzmaBig
rhythmisierte Thema der Korona Schroter gewifi nicht gegen Goethes Intentionen. Auch
Reichardt halt seine Vertonung ganz volkstiimlich, riickt aber der spateren Auf fassung dadurch
bedeutend naher, daB er den Erlkonig auf einem Ton rezitieren lafit, wahrend die Melodie
von der Begleitung iibernommen wird. Dieser Art der Vertonung steht die Loewes (aus dem
Jahre 1818) naher als die Schuberts, da auch er den Erlkonig — wie das Rauschen des Windes
in Weidenblattern — in Dreiklangtonen fliistem lafit, wahrend Schubert die Impression des
Kindes — das Verftihrerische — durch eine verfiihrend schone Melodie darstellt.
Derselbe Ubergang, der um das Ende des 18. Jahrhunderts von der klassischen zur roman-
tischen Dichtung sich vollzogen hatte, folgt nun in den ersten zwei Jahrzehnten des 1 9. Jahr
hunderts in der Musik. Hier kommt lediglich die Romantik in der lyrischen Dichtung in
Betracht, und da muB wohl Goethe als der geistige Anreger und Wegweiser zum romantischen
Gedicht angesehen werden. Die Romantik wendet sich mit Vorliebe dem Phantastischen,
Mystischen, Ungewohnlichen zu, weg von der Realitat des Alltaglichen versenkt sie sich liebe-
voll in das Singen und Sagen friiherer Zeiten. Das alte Volkslied feiert seine Auferstehung,
(Herders ,,Volkslieder", ,,Des Knaben Wunderhorn") wird in seiner schlichten Schonheit voll
erkannt und nachgeahmt. Die pathetische Lyrik des Klassizismus weicht dem einfachen Ge-
fuhlsausdrucke und die hochklingenden Ausspriiche machen bescheidenen, aber innig emp-
fundenen Worten Platz. Diese beiden Faktoren: das Phantastische, bald zugellos
leidenschaftlich, bald religios-mystisch, und das schlicht Volkstumliche sind auch
die beiden Haupteigenschaften des neuentstandenen romantischen Liedes.
Die Oper wie die reine Instrumentalmusik waren in der Romantik dem Lied vorausgeeilt.
Die Griinde dafiir liegen auf der Hand; man muB sich nur den Zustand der verschiedenen
Kompositionsgattungen zu Ende des 18. Jahrhunderts vergegenwartigen. Sowohl die Oper
als auch die verschiedenen Instrumentalkompositionsformen konnten damals auf eine un-
gefahr zwei Jahrhunderte lange, in ununterbrochen steigender Entwicklung begriffene Ver-
gangenheit zuriicksehen, wahrend in der Entwicklungsgeschichte des Liedes grofie Liicken
und oftmals Riickschritte zu verzeichnen sind (z. B. die willkiirlichen Vereinigungen von
Worten mit beliebigen Tanzweisen der ,,Singenden Muse" von Sperontes!). Das kurze Lied
lyrischen Inhaltes stand in formeller Hinsicht zum Teil unter dem Einflufi der Tanzmusik,
die Begleitung beschrankte sich darauf, die latente Harmonic der Singstimme in einem be-
zifferten BaB anzugeben, dessen Ausfuhrung dem Spieler iiberlassen blieb. Das ausgedehnte
Lied erzahlenden Inhaltes — der spateren Ballade vergleichbar — (z. B. die Lieder Valentin
Herbings oder Ernst Bachs) hatte keine selbstandige Form, sondern folgte den Worten des
Das deutsche Lied im 19. Jahrhundert 941
Gedichtes. Mozarts und Beethovens Lieder bilden den Abschlufi und Hohepunkt dieser Pe-
riode der Ljedkomposition und die kleine Anzahl Lieder, die uns von den beiden (und auch
von Haydn) erhalten sind, beweist am besten die geringe Einschatzung des Liedes als Kunst-
gattung. Aber ein Strahl der Romantik aus Mozarts Opern leuchtet dort in seinen Liedern
auf, wo er ein Gedicht Goethes, ,,Da& Veilchen'*, vertont, und Beethoven, der Romantiker der
Instrumentalkomposition, ahnt in der ,,Adelaide", im Liederkreis ,,An die entfernte Geliebte"
(1816) und auch wieder in einigen Gedichten Goethes die Empfindungsmacht des Liedes
voraus. Die sechs ergreifenden Lieder des Zyklus sind in Beethoven durch die Erinnerung
an die Liebe zu seiner ,,unsterblichen Geliebten" Therese von Brunswick entstanden. Er
schrieb damals : ,,Mein Herz stromt iiber beim Anblick der schonen Natur, obschon ohne sie.**
Seine Sehnsucht lieB ihn damals den Ton des Liedes finden, der den ureigensten Schmerz in
all seiner weltumfassenden Tief e einschlieBt. Alles vibriert in bangster seelischer Empf indung.
So hat der Titane in der Schmerzensstunde des Einsamen die psychische Gewalt des kom-
menden Liedes vorausgeahnt
Als eigentliches Geburtsjahr des neuen romantischen Liedes mufi 1815 — Schuberts
Goethe- Liederjahr — gelten. In ,,ErIkonig", ,,Heidenroslein**, ,,Wanderers Nachtlied",
,,Gretchen am Spinnrad" (1814) sind all die Ziige, die das romantische Lied charakterisieren,
schon enthalten. Die Melodie ist nicht auf das VersmaB des Gedichtes erfunden, d. h. sie
.kandiert den Text nicht, sondern schliefit sich an den Sinn an ; Ausnahmen finden sich frei -
lich noch in spateren Liedern Schuberts — noch mehr bei Schumann — (z. B. Schubert, ,,Das
Fischermadchen", ,,Die Forelle" usw.). Dadurch ist aber eine Anderung in formaler Hin-
sicht bedungen : Die streng strophische Vertonung — friiher die haufigste — wird zur Aus-
nahme. Auch das tiefere Eingehen auf den Stimmungsgehalt des Gedichtes bedingt Erwei-
terung der Form. Stimmungsgegensatze zwischen den einzelnen Strophen werden durch Wahl
anderer Tonarten oder auch durch melodisch kontrastierende Mittelstrophen dargestellt. Da
durch, sowie durch kleine voriibergehende Wendungen zur Charakterisierung einzelner Worte
oder Eindriicke erfahrt die harmonische Ausgestaltung eine weitgehende Bereicherung. Der
Tonart der Terz kommt dabei — als harmonischem Gegensatz in der Mittelstrophe — groBe
Bedeutung zu. Eine der wichtigsten Bereicherungen aber erfahrt das Kunstlied durch die
Ausgestaltung der Begleitung, die sich von der Singstimme emanzipiert oder in ein inniges
Verhaltnis zu ihr — aber als gleichberechtigter Faktor — tritt. Ihr fallt die wichtige Aufgabe
der Milieu- und Stimmungsschilderung zu, wahrend der Singstimme der Ausdruck des Ge-
fiihls und der Empfindung vorbehalten bleibt. Die rein technisch-formelle Bestimmung der
Vor- und Zwischenspiele, wie Angabe des Einsatztones und Verbindung der einzelnen Stro
phen, wird einem hoheren Zweck, dem der Stimmungsvorbereitung und Oberleitung, unter-
geordnet. Den Akkordzerlegungen werden tonpoetische Absichten zugrunde gelegt (Schu
berts ,,Die schone Miillerin", ,,Gretchen am Spinnrad", ,,Erlkonig", ,,Die Forelle** usw.), zu
denen sich vereinzelt auch sogenannte ,,Situationsmotive" gesellen (Post- oder Jagdhorner,
Sturmrauschen u. a. in den entsprechenden Liedern). All das aber lafit sich auf das eine Be-
streben zuriickfuhren, das Wort des Dichters voll zur Geltung zu bringen und den poetischen
Stimmungs- und Empfindungsinhalt der Dichtung musikalisch ganz wiederzugeben. Die Be-
gleitungsart wird durch den Stimmungsgrundton des Gedichtes bestimmt, kleinere Nuancen
werden durch eine verfeinerte Harmonic gezeichnet. Der strophischen Variierung kommt eine
60*
deutsehe Lied im 19. Jahrhundert
groBe Bedeutung zu, aber die Wurzeln ihrer Entstehung sind nicht in absolut musikalischem
Variierungsbediirfnis zu suchen, sondern aus dem Bestreben, auch den kleinsten Regungen
des Textes zu folgen, zu erklaren. Die variierte Strophenform bleibt denn auch die Haupt-
form des friihromantischen Liedes. Aber schon beginnt ihre Verschmelzung mit der durch-
komponierten Form (jede Strophe ihre eigene Melodie) und sogar das deklamatorische Lied,
in dem die Singstimme sich nicht in selbstandiger Melodie emporschwingt, sondern dem Ton-
fall der Rede mehr oder weniger folgt, feiert seine Auferstehung. So sind in Schuberts Liedern
bereits alle Formen und Gattungen enthalten, die im Verlaufe des 19. Jahrhunderts ihre
weitere Fortbildung, teilweise bis zum Hohepunkt gefunden haben. Friihzeitig schon zeigte
sich Schuberts kompositorisches Genie und mit dem Jahre 1815, das, wie schon erwahnt,
den grofiten Teil der Goethe-Lieder Schuberts (gegen 100 im ganzen) brachte, steht seine iiber-
ragende Bedeutung far die Geschichte des Liedes fest. Im ganzen sind ungefahr 450 Lieder
Schuberts erhalten.
Sein Verdienst ist, dafi er das Lied so schuf, wie es die Nachwelt als Kunstgattung voll
anerkannte. Aus der Objektivitat des Tanzliedchens und der philistrosen Naivitat des Schafer-
liedes rifi er es empor zur erlebnisvollen Subjektivitat. Auffallend ist dabei, dafi, wahrend m
den Liedern der vorhergehenden Epoche das heitere Moment das bei weitem vorherrschende
war, nun das verzweifelt-melancholische so sehr Oberhand gewinnt (,,Winterreise", „ Wan
derer" usw.). Es geht nicht an, das auf Schuberts Naturell zuruckzufuhren — er war im
Gegenteil stets heiter und frohlich — , man sieht darin eine far die jungen Romantiker be-
zeichnende Gefiihlsdisposition far weltschmerzliche Empfindungen. Es ist einerseits erne
gewisse Freude amLeid, andererseits em Sichwohlgefallen im Aufgeregten und Leidenschaft-
lichen, als Reaktion auf die objektive epische Ruhe und die streng beobachteten Grenzen
des Asthetischen der Klassiker. Auch in der Wahl der Dichtungen sind die Romantiker bei
weitem sorgfaltiger, als ihre Vorfahren. Es erklart sich dies aus der erhohten Beachtung, die
nun dem Wort geschenkt wurde. Fur Schubert ist bezeichnend, dafi er sich am meisten zu
Goethes Lyrik hingezogen fahlte. Die iibrigen Gedichte fand er vielfach in den Werken der
Dichter seines Freundeskreises. Die Worte zur ,,Schonen Mullerin" und ,,Winterreise"
stammen von Wilhelm Miiller. Von Heine, dessen ,,Buch der Lieder* nicht viel vor Schu
berts Tod erschien, hat Schubert sechs Gedichte vertont
Die drei Stiltypen, die die Grundlage von Schuberts Liedern bilden und die im Verlaufe
des Jahrhunderts durch verschiedene Komponisten ihre Fortbildung erfahren haben, sind:
1 . Das Lied, in dem alles Hauptsachliche in der Melodie der Gesangstimme liegt und sich
die Begleitung darauf beschrankt, die latente Harmonie der Gesangsmelodie auszufahren. Ein
Singen dieser Lieder ohne Begleitung ist denkbar und geschieht auch ofters bei Kunstliedern,
die zu Volksliedern geworden sind. Diese Art steht sowohl dem Volkslied wie auch dem Lied
der unmittelbar vorausgegangenen Zeit am nachsten (z. B. ,,Das Wandern**, ,,Heidenroslein**).
Den 2. Stiltypus stellen die Lieder dar, in welchen das formal bindende Moment in die Be
gleitung verlegt ist. Wahrend die erste Gattung zur Strophenform neigt, gestattet diese auch
die freieste Durchkomposition ; die Harmonie bewegt sich viel freier, ist auch keineswegs als
latente Harmonie der Singstimme immer unzweideutig bestimmt, sondern tritt selbstandig
als wichtiger Faktor der Koloristik auf (z.B. ,,Die junge Nonne", ,,Der Wanderer")- Dieser
Typus wurde zwar von Schubert nicht neu geschaffen, erfuhr aber doch erst durch ihn die voll-
944 ^as Deutsche Lied im 1 9. JaHrHundert
endete Durchbildung. Er ist der wichtigste far das ganze 19. Jahrhundert geblieben und hat
auch dariiber hinaus seine Bedeutung nichtverloren. Robert Schumann fiihrt ihn waiter, Mahler
baut inn aus bis zum ,,symphonischen Lied". Der3.Typus, der bis dahin nur im erzahlenden
Lied eine Rolle spielte, ist die ,,deklamatorische" Vertonung, d. h. die musikalische Form wird
nicht durch musikalische Momente, sondern durch den Inhalt (weniger durch die aufiere
Form) der Dichtung bestimmt (z. B. ,,Der Doppelganger"). Diese Gattung erfahrt nach
Schubert wenig Weiterbildung, bis sie Hugo Wolf durch gliickliche Verschmelzung mit der
vorhergehenden zur hochsten Vollendung seiner Zeit fahrte, nachdem sie vorher auch Liszt
bei manchen LJedern mit viel Gliick angewendet hatte. Bei all den 3 Typen wachst die Aus-
gestaltung der Begleitung gegeniiber der friiheren Zeit bedeutend, ohne dabei die Singstimme
zu unterdriicken. Ihre Aufgaben sind denn auch verschiedene : wahrend der Begleitung die
Schilderung des Milieus, die Darstellung der aufieren Umgebung und Umstande zufallt, bringt
die Singstimme das psychische Geschehen, die Empfindung zum Ausdruck. Der Komponist
greift bei der Vertonung zuriick nach der Stimmung, aus der das Gedicht geboren wurde,
und schafft aus derselben.
Beethovens Stellung zum friihromantischen Lied wurde bereits gekennzeichnet. Weber
wirkt indirekt durch seine Opern auf das Lied befruchtend, indem er in langere Arien Lieder
einstreut (z. B. ,,Leise, leise, fromme Weise") oder ganze Arien liedmafiig ausgestaltet. Er
bringt nicht neue Formen, sondern steigert nur das romantische Element (das Mystisch-
Religiose, Unheimliche usw.). Dem Schubertkreis gehorte auch Franz Lachner (1803
bis 1890) an, der durch seine volkstiimlichen Lieder viel Freunde gewann.
Die Balladenkomposition war in Deutschland ziemlich unbedeutend, bis sie mit einem
Schlage der berufene Genius zum vollendeten Kunstwerke schuf. Seit defn Jahre 1773, da
Burgers ,,Lenore" entstand, nahm die Balladendichtung immer starkeren Aufschwung und
manche Korpponisten fiihlten in sich den Drang, der Form dieser Dichtungsart, die ein Zwi-
schenglied zwischen Lyrik und Drama darstellt, musikalisch gerecht zu werden. Aber sie
stellten sich entweder auf den Boden des Liedes und schufen strophenmaBige Vertonungen
(Reichardt,Kirnberger) oder komponierten ganz opern-(oder singspiel~)ma8ig mit ausgedehnten
rezitativischen Partien Qohann Andre). Der bedeutendste dieser Vorlaufer ist Johann Ru
dolf Zumsteeg (1760 — 1802). Seine {Composition des ,,Ritter Toggenburg" diente dem
jungen Schubert als Vorbild und hat ihn auch stark beeinflufit. Schubert selbst stellt sich
bei der Balladenvertonung entweder auf den Standpunkt des Lyrikers (,,Erlkonig") oder ver-
fallt in ein mehr oder weniger regelloses Improvisieren. Im Jahre 1815 entstanden 9 Balladen,
darunter ,,Der Taucher", ,,Die Biirgschaft" (von Schiller), ,,Der Schatzgraber", ,,Der Gott
und die Bajadere", ,,Der Erlkonig" (von Goethe), in spateren Jahren neben anderen: ,,Ein
Fraulein schaut vom hohen Turm" (1825) und ,,Edward" (1827), letztere von Schubert
strophisch vertont.
Karl Loewe (1796 — 1869) setzt mit seiner Balladenkomposition nicht erst dort ein, wo
seine Vorganger aufgehort hatten, erarbeitet die richtige Form nicht im Verlaufe seines Schaf-
fens, sie ist ihm a priori gegeben und seine drei ersten Balladen: ,,Edward" (1818), ,,Erlkonig"
(1818), ,,Der Wirtin Tochterlein", die 1824 als op. 1 erschienen, zeigen die Balladenform genau
so vollendet und ausgepragt, wie seine spateren. Das Wesentliche dieser Form ist eine frei
variierte strophische Vertonung, wobei ein, zwei oder mehrere Strophenmelodien einander
Das deutsche Lied im 1 9. Jahrhundert 945
abwechseln, starker oder weniger stark verandert wiederkehren, wie es der Inhalt der Dichtung
erfordert. Die Variierung ist anderer Art, als beim variierten Strophenlied : Die gegebene Melo-
die wird in eine andere Tonart, in die Variante (auch Parallele) versetzt oder in ihre einzelnen
Motive zerlegt und durch andere Zusammensetzung zu einem neuen Gebilde geschaffen. Beim
,,Prinz Eugen" ist der Vorgang umgekehrt: zuerst die verschiedenen Kombinationen, bis am
Ende das Thema in seiner Urgestalt auftritt. In manchen Balladen greift er am Schlusse auf
den Anfang zuriick (,,Elvershoh", ,,Gruft der Liebenden", ,,Harald"). Als Friihromantiker
kennzeichnet ihn der mystisch-religiose Zug, sowie der Hang zu volksliedartiger Melodik.
Den Ton des Unheimlichen, Grauenvollen trifft er ausgezeichnet ; nicht das absolut Wohl-
klingende, sondern das Charakteristische ist ihm das Wichtigere: Im ,,Edward" die gedriickte
freudlose Stimmung, im ,,Erlkonig*' die Schilderung von ,,Nacht und Wind'*; die Stimme
des Erlkonigs klingt wie ein Naturlaut dazwischen:
Du lie - bes Kind komm, geh mit mir, gar scho - ne Spie - le spiel* ich mit dir
(Auffallend ist die Ubereinstimmung in der Tonart [G-Moll] zwischen Schuberts und Loewes
Erlkonig.)
Die Aufgabe der Klavierbegleitung bei Loewe ist: die Melodic zu stiitzen (,,begleiten"),
den psychischen Affekten, die im Gesang zum Ausdruck kommen, die notige Resonanz zu
geben, sowie die Verbildlichung des erzahlten Inhaltes, aber nicht im Sinne einer bloBen Ton-
malerei, sondern als Wiedergabe der diese Bilder begleitenden Gefiihlsbewegungen. Harmo-
nisch steht er auf dem Boden der Friihromantiker, schreckt aber vor gelegentlichen Harten
im Dienste der Charakterisierung oder an dramatischen Hohepunkten nicht zuriick (,,Der
Nock", ,,0dins Meeresritt")- Sein Schaffen zerfallt in vier Perioden, die jedesmal durch un-
gefahr dreijahrige Pausen getrennt sind. Stilistisch unterscheiden sie sich kaum voneinander.
Die erste Periode (1818 — 27) tragt vorwiegend nordischen Zug. AuBer den schon erwahnten
fallen in sie noch die Balladen: ,,Heinrich der Vogler", ,,Tom der Reimer" usw. Die zweite
Periode (1830—40) enthalt 14>Goethe-Balladen, eine Reihe von polnischen Balladen (Mizkie-
witsch), den Balladenkreis ,,Esther" (1835) von Giesebrecht, den Zyklus ,,Der Bergmann",
sowie eine Reihe von Legenden, die Loewe als einen speziellen Zweig der Ballade kultivierte
(darunter ,,Gregor auf dem Stein", 5 Gedichte von Franz Kugler). Die dritte Periode (1843
bis 1847) umfaBt den ,,Prinz Eugen", ,,Tod und Todin" usw., die vierte (1850—69) .Archibald
Douglas" als hervorragendstes Werk.
Als Nachfolger Loewes in der Balladenkomposition sind im 19. Jahrhundert Schumann
mit ungefahr einem Dutzend Balladen (,,Die Lowenbraut", ,,Die beiden Grenadiere" usw.),
Brahms (,,Edward", ,,Walpurgisnacht", ,,Nonne und Ritter" usw.) und Martin Pliidde-
mann (1854 — 97) zu nennen.
Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809—47) eroffnet die Reihe, die bisher als Spat-
romantiker1) bezeichnet wurde. Er ist nicht ein Schopfer neuer Formen, sondern ein Vollender
x) Die iibliche Einteilung: Schubert, Loewe, Weber als Friihromantiker, Mendelssohn, Schumann als Spat-
romantiker ist auf die Liedkomposition wenig zutreffend, da die sogenannte neudeutsche Schule auf diesem Gebiete
niemals recht Fu6 fassen konnte; sie ware zu ersetzen durch die Dreiteilung: Schubert, Loewe, Weber als Friih
romantiker, Mendelssohn, Schumann als Mittelromantiker, Brahms, Mahler u. a. als Spatromantiker, die naturlich
nur fur die Uedkomposition anzuwenden ware.
946 Das deutsche Lied im 19. Jahrhundert ___ ,
eines Zweiges der Liedkomposition. Seine Uedformen sind viel einfacher und mehr durch
ein musikalisches Schema, als durch innere Notwendigkeit diktiert. Freilich handhabt er diese
stereotyp wiederkehrenden Formen mit bewundernswertem Geschick, so dafi man ihn sogar als
formenfester als Schubert bezeichnet, was dadurch zu erklaren ist, dafi Schubert immer ganz
Neues schuf, jedem Gefiihl seinen spezifischen Ausdruck verleihen wollte, wahrend Mendels
sohn ausgeglichene Ebenmafiigkeit und Wohllaut das WJchtigere waren. Durch seine Freude
am schonen, vollen Klang bestach er auch seine Zeitgenossen, und seine Lieder, Duette und
Quartette wurden offentlich und im hauslichen Kreise soviel gesungen, dafi sie durch ihre
weichliche Sentimentalitat und ihre Furcht vor aller kraftvollen Rauh- und Derbheit die Horer
verweichlichten und beinahe geschmacksgefahrlich wurden. Thematische Durcharbeitungen
bringen bei ihm selten Uberraschendes ; ein charakteristisches Kopfmotiv fiihrt in die Stim-
mung der Komposition ein, das weitere ist die Fortfuhrung, wie sie nur ein femgebildeter
Musiker schreiben kann. Der Mangel, gewaltige Konzeptionen zu fassen oder kraftvolle Kon-
flikte heraufzubeschworen und wieder zu losen, sowie die Fahigkeit, in kleinen Formen Stim-
mungsminiaturen zu malen, stempeln ihn auch als ausgesprochenen Lyriker von weicher, zum
Sentimentalen neigender Empfindung. Dementsprechend ist auch die Wahl seiner Dichter.
Heine nimmt darunter einen hervorragenden Platz ein.
Robert Schumann (1810—56) schliefit nicht unmittelbar an Schubert an, wie Mendels
sohn, der erstaunlich Fnihreife, sondern sein Schaffen setzt ungefahr ein Dezennium nach
dem seines Zeitgenossen ein. Durchaus Lyriker, steht er bis zu seinem 30. Lebensjahre dem
gesungenen Lied ganzlich fern, doch bringt das Jahr 1840 eine solche Fiille von Liedern, dafi
es Schumann sogleich in die erste Reihe der Liederkomponisten stellt. Unwillkiirlich denkt
man an Schuberts Liederjahr 1815. Schumann ist nicht, wie Mendelssohn, Vollender eines
Zweiges, sondern Fortbildner. Er kommt von andern Seiten an das Lied heran, als Schubert,
dem der Gesang das Primare war und der die starkere Heranziehung und den Zuwachs an
Bedeutung der Begleitung erst schuf. Schumann war bis zu seinem Liederjahr Klavierkom-
ponist und sprach seine Empfindungen in kurzen Formen aus. Eine erhohte Intensitat der
Empfindung (durch die Vereinigung mit seiner Geliebten, Clara Wieck, hervorgerufen)
drangte ihn zur Heranziehung des Wortes. Es entstehen nun aber keineswegs Klavierstiicke
mit hinzugefiigter Gesangstimme : was friiher in seinen Klavierstiicken sang, wird nun der
menschlichen Stimme anvertraut, ohne dafi dadurch das Klavier als ,,Nur-Begleitinstrument"
in den Hintergrund gedrangt wiirde. Es bleibt ihm vielmehr seine Wichtigkeit sewahrt, so dafi
oft die fiihrende Melodie ihm anvertraut wird, wodurch es der Gesangstimme erleichtert wird,
einer streng sinngemafien Deklamation grofiere Rechnung zu tragen; trotzdem begeht Schu
mann darin manch sorglosen Fehler. Es fallt hier allerdings in die Waagschale, dafi vor Wagner
das Empfinden for streng sinngemafie Deklamation nicht so uberfeinert war, wie es heut-
zutage ist. Von Mendelssohn unterscheidet ihn seine frische Lebendigkeit, seine Vorliebe far
pragnante Rhythmen und seine Harmonik, die das Charakteristische viel hoher schatzt als
den vollendeten Wohlklang. So wenig Schumann es versteht, die koloristischen Moglichkeiten
des Orchesters voll auszuniitzen, so ist er doch der Klavierkolorist par excellence und weifi
auch harmonische Farbenwirkungen zur schonsten Geltung zu bringen. Ein wichtiger Unter-
schied ist in der Form zu konstatieren. Auch darin ist Schumann fortschrittlich : die Strophen-
form wachst unter seinen Handen zu viel freierer Variierung, in den Da-capo-Liedern tritt
Das deutsche Lied im 19. Jahrhundert 947
das Kontrastelement starker in den Vordergrund, die wichtigste Neuerung gegeniiber Mendels
sohn bilden aber die freien Formen, die von Schumann eine groCartige Weiterentwicklung er-
fahren. Auch bei ihm lassen sich die drei Typen feststellen, die fur Schubert charakteristisch
waren, aber bereits in einem andern Entwicklungsstadium. Die erste — Singstimme melo-
disch und formal bestimmend, Begleitung unkomplizierte Ausfiihning der latenten Harmonie
(z. B. ,,Die Rose, die Lilie . . .**) — kommt der gleichen Gattung Schuberts am nachsten, ist
aber bei Schumann nur sehr vereinzelt anzutreffen. Die beiden andern Arten, durchkomponierte
und deldamatorischeLieder, erfahren ihre Fortbildung soweit, daB die Begleitung das'fiihrende
und formal Bindende wird (,,Der NuBbaum"). Er Jst Meister der kleinen Skizze, das heifit:
durch ein kurzes rhythmisches Motiv oder eine harmonische Wendung charakterisiert er voll-
kornmen Personen, Vorgange und Stimmungen. Noch besser als Mendelssohn stellt er jedem
Lied ein charakteristisches Motiv an die Spitze, ist auch in der Fortspinnung viel interessanter
als dieser, da er durch neue rhythmische und harmonische Wendungen oder auch nur durch
Anderungen in der Setzweise kleine Uberraschungswirkungen erzielt. Vor-, Zwischen- und
Nachspiele ordnen sich in den formalen Ausbau ein, bringen manchmal eigene Motive; ihr
innerer Zweck ist, die Stimmung vorzubereiten und ausklingen zu lassen. Auch in den ein-
fachen Liedern ,,im Volkston" gehoren die Vor- und Nachspiele, sowie die Begleitung so un-
trennbar zum Lied, daB ein Weglassen derselben, wie es bei vielen volksKederartigen Kom-
positionen Mendelssohns (,,Es ist bestimmt", ,,Leise zieht durch mein Gemiit", ,,Wer hat
dich, du schoner Wald" usw.) oft und oft geschieht, undenkbar ware. Diese Wichtigkeit der
Begleitung geht so weit, dafi man wohl bei den meisten Liedern annehmen muB, daB nicht
eine zuerst erfundene Gesangstimme mit Begleitung versehen wurde, sondem daB beides
gleichzeitig entstand.
Schumann liebt es auch, wie Schubert, mehrere Lieder zu einem Zyklus zu vereinigen
(,,Frauenliebe", ,,Myrthen", ,,Liederkreis" op. 39, ,,DJchterliebe"), verbindet die Lieder eben-
sowenig, wie dieser durch gemeinsame Motive, wahrt die Zusammengehorigkeit aber in der
Tonartenaufeinanderfolge. Gerade nur im Nachspiel zum letzten Lied aus ,,Frauenliebe'*
schlagt er die Tone des ersten an: eine wehrmitige Erinnerung: ,,Seit ich ihn gesehen!"
Hat sich Schumann schon durch den subjektiv lyrischen Ausdruck seiner ersten Klavier-
kompositionen mitten in die Reihe der Romantiker gestellt, so bleibt er es auch in der Wahl
seiner Texte: Heine, Chamisso, J. Kerner, Eichendorff sind einige Namen seiner .bevorzugten
Dichter. Dem Volkslied vermag er ebenso seine Anerkennung zu zollen wie der Ballade,
der er zum grofiten Teil Liedform unterlegt. Schumanns ausgepragte Individuality war von
grofiem EinfluB auf seine Zeitgenossen, und seine Art fand viele Nachahmer.
Als ausgesprochener Liederkomponist sucht Robert Franz (1815 — 92) nicht neue Wege,
vollendet keine angebahnten, sondern komponiert ein paar hundert Lieder, die durch ihre
liebenswiirdige Gefalligkeit sehr ansprechend anmuten. Er ist ein mit einer gewissen Indi
vidualitat begabter Epigone Schumanns, steht ganz im Banne der Romantik. Wie neuere Stu-
dien1) nachgewiesen haben, entspricht die vielverbreitete Ansicht, Franz habe durch die
Verschmelzung von Uassizistischen und romantischen Aiisdrucksmitteln einen neuen Stil ge-
schaffen, nicht den Tatsachen. Seine Neuausgaben derWerke Bachs und Handels, die von
Historikern vielfach beanstandet wurden, wirkten zwar befruchtend auf ihn, aber das praktische
x) S. E. Bar bag, ,,Die Ueder von Robert Franz." Dissertation. Wien.
948 Das deutsche Lied im 19. JaKrhundert
Resultat war keine Stilverschmelzung, sondem eine Stilnachahmung, der keine Weiterent-
wicklung beschieden war. Die vermeintliche Polyphonie der Begleitung erweist sich bei ge-
nauer Analyse als rein harmonischer Kontinuosatz. Franz sucht seine Gedichte bei den Dich-
tern der Romantik, vor allem bei Heine.
Auch der grofie Dramatiker des Jahrhunderts wurde durch die Liebe zu einer bedeutenden
Frau zum Liederkomponisten und schenkte der Nachwelt die Weisen zu den Worten seiner
Geliebten. Die 5 Lieder Richard Wagners: ,,Der Engel", ,,Schmerzen4t, ,,Traume",
,,Stehe still", ,,Im Treibhaus" (Worte von Mathilde Wesendonk) atmen Tristanstimmung
und gelten als Vorstudien zum Tristan. Die ganze Art ihrer Anlage entspricht gar nicht den
Liedern der Zeitgenossen, sondern ist die Ausarbeitung eines Gedankens (teilweise einer
Harmoniefolge) innerhalb eines Liedes. So stellen die Lieder, die in der Zeit: Dezember 1857
bis Juni 1858 entstanden, eine vereinsamt dastehende Gattung dar, die nicht nachgeahmt
wurde und nicht nachgeahmt werden konnte: Ein lyrisches Gestandnis des grofien Meisters,
als er ,,Tristan" war. Die iibrigen Lieder Wagners, von denen 7 Kompositionen zu Goethes
Faust und einige franzosische Chansons (darunter Heines ,,Les deux Grenadiers") erwahnt
seien, stehen an Bedeutung weit hinter den Wesendonk-Liedern zuriick und haben auch nicht
diese Anerkennung gefunden.
Wie bei Wagner, so spielt auch bei Franz Liszt (181 1 — 86) das Liedschaffen eine verhalt-
nismafiig untergeordnete Rolle, und seine Wirkung auf die Mit- und Nachwelt ist mehr in
der Personlichkeit des Meisters, sowie in dessen iibrigem Schaffen begriindet, als in der ab-
soluten Bedeutung der Lieder. Die — ungefahr 60 — deutschen Lieder Liszts (er schrieb
auch anderssprachige) sind in der Geschichte des romantischen Liedes ein Schritt von Schu
mann zu Hugo Wolf. Er steigert nicht das innige Ausdrucksempfinden der Schumannschen
Lyrik, sondern riickt dem Gedichte tonmalerisch naher, was eine iippigere Ausgestaltung der
Begleitung mit sich bringt. Auf diesem Wege gelangt er auch zu immer groBerer Beachtung
des Wortes, was in weiterer Konsequenz teils dramatische .Gestaltung, teils auch rezitativische
Partien bedingt. Der EinfluB Wagners macht sich stellenweise bemerkbar. Im Gegensatz
hierzu findet er aber auch bei einfachen, schlichten Texten die richtigen volksliederartigen
Weisen. In derWahl seiner Texte war Liszt nicht gerade rigoros; die Weimarer Hofgesellschaft,
der der hofliche Liszt nicht gerne ,,nein" sagte, wenn man ihn bat, ein oder das andere Ge-
dicht eines personlich Bekannten zu vertonen, spielt dabei — der Zahl der Texte nach — keine
geringe Rolle. Wie schon erwahnt, liegt Liszts groBe Bedeutung far die spatere Liedkompo-
sition nicht in seinen Liedern, sondern vor allem in seinen Klavierkompositionen. Sein vor-
bildlicher Klaviersatz, der zum Muster nicht nur seiner unmittelbaren Epigonen wurde, wirkte
auch auf die Liedkomponisten befruchtend und fiihrte im Verlaufe des 19. Jahrhunderts zu
einer grofiartigen — trotz der zum Wesen des Liedes gehorenden Homophonie — selbstandigen
Ausgestaltung der Begleitung.
Zu dem Weimarer Kiinstlerkreis gehorte auch der Dichterkomponist Peter Cornelius
(1 824 — 74), ein Neffe des beriihmten Malers. Als Opernkomponist (,,Der Barbier von Bagdad",
1858) steht er stark im Banne Wagners und Liszts, seine Lieder aber zeigen eine ausgepragte
Individuality. Zu den meisten schrieb er sich selbst die Texte und liebte es, dabei mehrere
Gedichte zu einem Zyklus zu vereinigen: ,,Weihnachtslieder", ,,Brautlieder", ,,Trauer und
Trost" und ,,Vater unser" ; dieser letzte besonders bemerkenswert durch das aufierordentliche
Das deutsche Lied im 19. Jahrhundert 949
kontrapunktische Konnen, das sich in der meisterhaften Verarbeitung der den einzelnen Ab-
schnitten zugrundegelegten gregorianischen Melodien offenbart. Diese Benerrschung der
alten Kontrapunktkiinste zeigen auch seine Chorkompositionen, von denen an anderer Stelle
die Rede ist; sie zeigen daneben aber auch voiles Verstandnis fur die farbenleuchtenden
Harmonien eines Wagner. Und darin liegt denn auch zum einen Teil seine Bedeutung fur
die Weiterentwicklung des Liedes, zum anderenTeil ist sie, freilich in wesentlich bescheidenerem
Mafie, dem Verdienste Wagners um die innere Dbereinstimmung zwischen Wort und Ton in
der Oper an die Seite zu stellen. In diesem Zusammenhang sei besonders auf Stiicke wie:
Auftrag: ,,Ihr Freunde, hanget, wenn ich gestorben bin** (Holty), Unerhort: ,,Zum Ossa
sprach der Pelion** (Droste-Hiilshoff) und Hebbels ,,Auf eine Unbekannte'* hingewiesen,
von denen namentlich das zuletzt genannte zukunftweisend ist. Als Dichter trug Cornelius
<iem Musiker Rechnung und umgekehrt. So schuf er im Gedicht Vorwiirfe, die dem Musiker
Gelegenheit gaben, sich \n einer angestrebten Richtung zu entfalten, nahm andererseits als
Komponist auf das Wort groBte Riicksicht, ging vielleicht manchmal in AuBerlichkeiten
darin zu weit (z. B. ,,Ein Ton"). So betrat er zogernd die Anfangsstufen des Weges, den
Hugo Wolf bis zur hochsten Hohe erklomm.
Unter den vielen Epigonen Mendelssohns, Schumanns und der Wagner-Liszt-Richtung, die das 1 9. Jahrhundert
mit Liedkompositionen iiberfluteten, sind hervorzuheben : Ferdinand Hiller (1811 — 1885), Lieder und Chore.
Wilhelm Taubert (1811 — 1891), am bekanntesten sind seine ,,Kinderlieder" geworden. Julius Rietz (1812
bis 1877). Robert Volkmann (1815—1883), Schumann-Epigone. Niels W. Gade ([817—1890), Begriinder der
nordischen Schule, Chorwerke ,,Erlkonigs Tochter" usw. Joachim Raff (1822 — 1882) als Liederkomponist von
geringerer Bedeutung (zum Teil Salonmusik). Richard Wuerst (1824 — 1881), Schiller von Mendelssohn. Carl
Reinecke (1824—1910), Kinderlieder. Carl Goldmark (1830—1915), als Uederkomponist weniger bedeutend.
Anton Rubinstein (1830 — 1894), aufierst wertvolle Kompositionen neben minderwertigen Flachheiten. Alex
ander Ritter (1833 — 18%). Adolf Jensen (1837 — 1879), ausgesprochener Lyriker, Epigone Mendelssohns und
Schumanns (Robert Franz vergleichbar), Liederzyklen: ,,Dolorosa", ,,Tranen", Scheffels ,,Gaudeamus" usw. Max
Bruch (1838 geb.), ,,Schottische Lieder". Josef Rheinberger (1839—1901), Hermann Gotz (1840—1876),
Friedrich Hegar (1841 geb.), Mannerchore. Heinrich Hofmann (1842—1902), Ignaz Briill (1846—1907),
August Bungert (1846—1915), ,,Lieder eines Einsamen". Franz Ries (1846 geb.), Philipp Scharwenka (1847
bis 1917), Robert Fuchs (1847 geb.), Chore. Hans Huber (1852—1921), Jean Louis Nicode" (1853—1919),
Heinrich Zollner (1854 geb.)t Eduard Schiitt (1856 geb.), Wilhelm Kienzi (1857 geb.), Camillo Horn
(1860 geb.), Ludwig Thuille (1861 geb.>, Felix Weingartner (1863 geb.), Richard Stohr (1874 geb.).
So geht das Lied in seinem Entwicklungslauf im 19. Jahrhundert von Schubert iiber Men
delssohn, den Vollender eines Zweiges, weiter, findet in Schumann einen Fortbildner, ins-
besondere der Harmonik und Begleitung, bereichert sich an der zeitgenossischen Opern-
komposition eines Wagner, wachst im Begleitpart durch Liszts Klaviermusik inauguriert, wird
quantitativ zur weitaus tiberwiegenden Kompositionsgattung des Jahrhunderts und findet bei
einer endlosen Reihe von Epigonen die weitgehendste Bevorzugung gegeniiber der Instru
mental- und der mehrstimmigen Vokalmusik, um dann an der Jahrhundertwende in einem
groBartigen Dreigestirn seine Vollendung zu finden. Brahms, Mahler und Wolf konnen bis
zu einem gewissen Grade als die Vollender ]*e einer der 3 Stiltypen von Schuberts Liedern
gelten. Brahms stellt in seinen Liedern durchaus die Singstimme in den Vordergrund und
lafit die Begleitung wirUich nur Begleitung bleiben. Die musikalische Form wird allein durch
die Singstimme bestimmt, dabei auffallende Bevorzugung der reinen oder variierten Strophen-
form. Mahler, der eigentliche Vertreter des ,,symphonischen Liedes", zuwelchem das durch-
komponierte Lied im Verlaufe des Jahrhunderts heranwuchs, riickt die Begleitung, clie bei der
950 Das clcutsclu- Lic<l irn 19. Jahrhundort
Mehrzahl der Lieder fur Orchester geschrieben ist, in den Vordergrund, erhebt sie zum formal
Bindendcn, sodafi in manchen Liedern die Singstimme teilweise nur die Melodie der Be-
gleitung mitzusingen scheint, soweit es die Textunterlage gestattet. Hugo Wolf raumt dem
Wort volIsteBeachtung ein und kann als Vollender des Stiltypus gelten, den Schubert in seinen
deklamatorischen Liedern (,,Doppelganger") geschaffen hat; freilich erfafit er die ganze Be-
deutung der Lisztschen Klavierbehandlung und erhebt die Begleitung zu einem teilweise
musikalisch selbstandigen Faktor, der sich aber auch dem Wort ganzlich unterordnet.
Diese hier aufgestellte Hypothese darf natiirlich nicht ad absurdum gefiihrt werden, denn
soviel einander Widersprechendes die drei Komponisten haben, soviel verbinden sie auch Stil-
eigentumlichkeiten ihrer Zeit. Eine solche ist die Bevorzugung der durchkomponierten Form,
die seit Schumann immer deutlicher in den Vordergrund trat, und das Anpassen der Strophen-
form an sie. Weiter die Ausgestaltung der Begleitung, die Ausniitzung koloristischer Effekte,
Tonmalereien (besonders bei Wolf) usw. Ein anderer Zug, der sich in der Liedkomposition
im letzten Viertel des Jahrhunderts geltend macht, ist das direkte Ankniipfen an Schubert,
wahrend in der vorhergehenden Periode Schumann als unlibertroffener Liederfiirst dastand.
Brahms sagte einmal: ,,Es gibt kein Lied von Schubert, aus dem man nicht etwas lernen kann."
Mit seinem op. 3 wendete sich Johannes Brahms (1833 — 97) der Liedkomposition zu,
die ihm als erste die Herzen seiner Mitwelt erobern sollte, lange noch, bevor sich der Meister
durch den Triumph des Deutschen Requiems seinen Platz unter den Grofien des Jahrhunderts
gesichert hatte. ,,Liebestreu", das erste Lied, ist beinahe als Symbol fur die spateren Gesange
aufzufassen. Die Stimmung des Gedichtes ist traurig, gedriickt pessimistisch. Liebesentsagung
oder ungliickliche Liebe ist der poetische Inhalt der Mehrzahl von Brahms' ernsten Liedern.
Die Wahl der Tonart — Es-Moll — , die formale Anlage (variierte Strophenform), die Art der
Begleitungsakkorde in mudem Triolenrhythmus durchs ganze Lied wiederholt, dazu eine osti-
nate Bafifigur in Achtelrhythmus in einer Art Engfiihrung mit der Singstimme, die frei ein-
tretenden Vorhalte in Gesang und Begleitung, all dies sind die wichtigsten Stilcharakteristika
seiner ernsten Lieder. Zu der Vorliebe fur gemischte Bewegung (Achtel zu Triolen oder
ahnlich) kommt noch eine Freude an synkopierten Begleitfiguren. Auffallig ist auch die sorg-
faltige Bafifuhrung, die sogar von manchen als ,,kontrapunktisch" bezeichnet wird, was zwar
bei einigen Liedern wirklich zutrifft, im allgemeinen aber bestimmt eine zu weitgehende Be-
hauptung ist. Die Annahme, daC dieses feine Empfinden fur Bafifuhrung auf Kindheits-
eindriicke zuriickzufuhren sei — Brahms Vater war Kontrabassist — , diirfte wohl zutreffen.
Vor-, Nach- und Zwischenspiele sind auf ein Mindestmafi zuriickgedrangt, fehlen bei manchen
Liedern ganzlich oder sind nur aus technischen Griinden (um dem Sanger den Einsatzton zu
geben) vorhanden. Gerade ein bis zwei Takte der Begleitung vorweggenommen, bereiten die
Stimmung vor und lassen sie am Schlufi ausklingen. Die Konzentration liegt in der Sing
stimme, daher durchaus im Melodischen, in der weiteren Konsequenz davon also im Psy-
chischen, weshalb auch jedes Lied einen unmittelbaren Ausdruck seiner Personlichkeit darstellt.
In Brahms' Liedern lassen sich drei Gattungen unterscheiden : Die erste, der Zahl nach
iiberwiegende, bilden die ernsten Lieder, meist schwermiitige Liebesgesange — der Pessimis-
mus eines Ibsen in die Musik xiberpflanzt. Der diistere Ton erinnert an Hebbelsche Romanzen ;
die musikalische Anlage ist grofi konzipiert (der Periodenbau weicht vielfach vom iiberkom-
menen viertaktigen ab), durchkomponierte Formen sind die Folge davon, wo es aber der Text
Das deutsche Lied im 19. Jahrhundert 951
halbwegs zulaBt, neigt Brahms zur Strophenform. Er hat seine Vorliebe far diese einfache
Form im Lied auch durch manchen Ausspruch bekraftigt. Starres Festhalten an sequenzierter
Melodiebildung gemahnt zuweilen an Beethoven, an den Brahms auch im Lied zum kleinen
Teil anschlieBt. (Mehr an Schubert!) Zu dieser ersten Gruppe gehoren die ,,Vier ernsten
Gesange", das vorhin erwahnte ,,Liebestreu", ,,Immer leiser wird mein Schlummer", der
Daumer-Liederkreis und viele andere.
Die Lieder der zweiten Gattung (,,Vergebliches Standchen", ,,Der Schmied'4, ,,0 liebliche
Wangen", ,,Standchen", ,,Das Madchen spricht" usw.) sind schon durch den heiteren oder
rrohlichen Text auBerlich gekennzeichnet, fanden viel schnellere Verbreitung als die ernsten
Ueder und ebneten dem Verstandnis dieser erst den Weg. Wahrend in der ersten Gattung so
recht Brahms' herbe, norddeutsch verschlossene Gefiihlsnatur zum Ausdruck kommt, auBert
sich in ihnen des Meisters Freude am Humor, an gesunder, naturlicher Lustigkeit. Musikalisch
zeigt sich das in flotten, pragnanten Rhythmen, einfacheren Harmonien, meist vier- oder acht-
taktigen Periodisierungen und in der formalen Anlage. Die Strophenform hat hierbei unver-
kennbar den Vorzug. Die Begleitung besteht hier, wie in der ersten Gattung, aus Akkord-
zerlegungen — in dieser Gruppe allerdings bedeutend einfacherer Art. Die das harmonische
Bild kompliziert machenden Vorhaltsbildungen fallen zum groBten Teil weg.
Einige Lieder (z. B. ,,Der Gang zum Liebchen", ,,Des Liebsten Schwur * usw.) leiten iiber
zur dritten Gattung, den Liedern im Volkston. Manche von ihnen stehen ganz auf der Basis
des Volksliedes — das Wiegenlied wurde bereits zum Volkslied — , andere entfernen sich
durch grofiere oder kleinere Selbstandigkeit, die sie der Begleitung gewahren, sowie durch
manche harmonische Wendung, die als nicht mitgespielte latente Harmonie der Singstimme
doch zu schwer erfafibar ist, mehr oder weniger vom wirklichen Volkslied. Der groBe Unter-
schied zwischen dem Volkstumlichen in Brahms' und Mahlers Liedern liegt darin, dafi Brahms
das Volkslied in seinem Thema und Empfinden hebt, dafi er das Volkslied ,,melodisch" stei-
gert, das heiBt, seine Melodie veredelt, wahrend Mahler das Thema vom Volkslied selbst nimmt
und dieses ,,harmonisch" steigert, durch Umdeuten der latenten Harmonie, durch Alteration
der Melodietone, sowie durch Spriinge in andere Tonarten. Man denke nur an die Tonfolge :
(Charakteristika: 1. Sprung :Dominante — Tonika alsAuftakt. 2.StufenweisesWeiterschreiten,
eventuell mit Unterbrechungen, bis zur Dominante. [3. Sprung- oder stufenweises Wieder-
erreichen der Tonika]), die fur das deutsche Volkslied des 17. und 18. Jahrhunderts so be-
zeichnend ist, und ihre Hauf Jgkeit in Mahlers Wunderhornliedern. Wahrend Mahler daher den
Tanz- oder Marschrhythmus des Volksliedes meistens wahrt oder noch durch markante Be-
gleitfiguren unterstreicht, sucht Brahms durch Veredelung der Rhythmik des Volksliedes die
Vereinigung mit dem Kunstliede zu erzielen. Er bleibt daher harmonisch dem Volksliede sehr
nahe, sein Prinzip war denn auch: ,,Gesunde harmonische Grundlage."
Brahms zeigte auch immer Vorliebe for das Volkslied. In seiner Jugend (1858) schrieb er
die Volkskinderlieder far die Kinder Schumanns und in seinem Alter (1894) gab er die ,,Deut-
schen Volkslieder * heraus. (Auf die Wichtigkeit des Volksliedes in seinem instrumentalen
Schaffen wird an anderer Stelle eingegangen.) Es ist das die far die Romantiker bezeichnende
952 Das deutsche Lied im 19. jahrhimdert
Vorliebe fur das Volkslied und Brahms greift, wie Mahler, auf die phantasie- und farben-
reichen Bilder der altdeutschen Poesie zuriick. Aber auch in der Wahl seiner Dichter, worm
er sich als sehr geschmackvoll und literaturkundig erweist, steht er durchaus auf dem Boden
der Romantiker. Fast alle romantischen Dichter sind bei ihm vertreten, am starksten vvohl
Goethe (als geistiger Urvater der romantischen Lyrik), Heine, Holty, Platen, Daumer, Tieck,
Kerner, Uhland, Holderlin usw., von seinen Zeitgenossen vor allem Freytag, Heyse und Keller.
Ophiils hat die Brahmsschen Liedertexte in einem Buchlein vereinigt und es wurde dieses zu
einem literarischen Perlenschatz.
Brahms schrieb ungefahr 200 Lieder, darunter die Zyklen ,,Die schone Magelone" (Ro-
manzen von Tieck, 1862), den Daumer-Liederkreis op. 57 und die ,,Vier ernsten Gesange"
op. 121 (1896, nach aufierst feinsinnig zusammengestellten Bibeltexten), auch instrumentierte
er einige Schubertsche Lieder. Die Bliitezeit seines Schaffens fallt in die Jahre 1882—88,
in der ungefahr die Halfte seiner Lieder entstand.
Die schwermiitige, keusch in sich verschlossene Muse Brahms' konnte natiirlich nicht so
viele Nachahmer finden wie der in Wohlklang schwelgende Mendelssohn oder der feurig stiir-
mende Schumann. So kommt es, dafi die nach Brahms lebenden Liederkomponisten, soweit
sie nicht Recht der Individuality beanspruchen oder sich zur Nachfolge Hugo Wolfs bekennen,
meist vor oder neben Brahms als Schumann- (Liszt-) Epigonen wirken. Nur sehr bedingt ist
Hans Pfitzner (geb. 1869) hierher zu rechnen, der zwar als ,,letzter Romantiker" den
EinfluB von Schumann und Brahms keineswegs verleugnet, sich aber doch, namenthch in
seinen letzten Liedern zu Texten von Gottfr. Keller (z. T. die gleichen wie H. Wolf ; eine
Vergleichung der Kompositionen beider Meister ist daher besonders aufschluBreich),
C. F.Meyer und Ricarda Huch als Liederkomponist von stark ausgepragter Eigenart erweist.
Die bedeutsame Stellung, die Gustav Mahler (1860—1911) in der Geschichte des Liedes
einnimmt, ist nicht in einer quantitativ, sondern nur qualitativ hervorragenden Leistung be-
griindet. In den 44 Liedern, die von Mahler veroffentlicht sind (die als Symphoniesatze verwen-
deten Lieder sind mitgerechnet), hat er denTypus des ,,symphonischen Liedes'4 formvollendet
geschaffen. Er steht auf der Basis des Liederkomponisten, geht vom Strophischen, in der
Melodik vom Volksliedmafiigen aus und nahert sich durch den grofiangelegten Ausbau, sowie
durch die ,,harmonische" Steigerung der Ausdrucksmittel dem Symphonischen. Oft geniigt ihm
auch diese Ausarbeitung noch nicht und er erschopft seine musikalischen Gedanken erst in
rein instrumentaler Ausgestaltung als Symphoniesatz (,,Ging heut7 morgen", ,,Die zwei blauen
Augen" in der I. Symphonic, ,,Des Antonius von Padua Fischpredigt" in der II. usw.). In
seinem Liedschaffen sind ebenso deutlich wie in seinen Symphonien zwei Perioden zu erkennen :
die erste (1883—1 900) enthalt,,Die Lieder eines fahrenden Gesellen" (1883) und die ,,Wunder-
horn"~Lieder, die zweite (1901 — 10) die Riickert-Lieder, sowie den symphonischen Lieder-
zyklus: ,,Das Lied von der Erde".
In den,,Liedern eines fahrenden Gesellen* ' und den ,,14 Liedern aus der Jugendzeit" noch
mehr auf der Basis des Liedes stehend, nahert er sich in den ,,12 Liedern aus des Knaben
Wunderhorn" immer mehr dem Symphonischen. Das Wesentliche dieses ,,Symphonischen
liegt nicht im Formalen, sondem im Melodischen. Auch dort, wo die Strophenform noch in
spateren Liedern deutlich erkennbar ist, ist durch eine innere Kontinuitat — meistens durch
eine stark in den Vordergrund tretende, straff zusammenhaltende Begleitung, sowie durch die
Das deutscHe Lied im 19. Jahrhundert 953
symphonisch angelegte motivische Arbeit in der Melodik und thematische Ausarbeitung in
Zwischenspielen — ein Hinausgehen iiber den Rahmen der Liedkomposition seiner Zeit-
genossen zu konstatieren (,,Das irdische Leben", ,»Wenn dein Miitterlein", ,,Der Tambours-
g'sell"). So baut Mahler den Typus des durchkomponierten Liedes, der durch Schumann
ganz bedeutend weitergefiihrt war, zum symphonischen Lied aus, wahrend er melodisch eher
an Schubert anschliefit. Mit diesem verbindet ihn auch das echt Osterreichische und die Liebe
fur das Volksmusikantentum, die Schubert in seinen Tanzen bewiesen hatte und die Mahler
oft bis in seine Symphonien begleitet.
Seine Melodik ist auf Grundlage einer volksliedartigen Diatonik erbaut, die, ins Kunstlied
iibernommen, weitgehende Alteration en erfuhr, wobei aber das diatonische Grundgeriist als
Urgestalt der Melodie deutlich erkennbar bleibt. Eine besondere Vorliebe zeigt er fur die
reine Quart Ougendeindriicke — Wichtigkeit der Quart in Militarsignalen ; Mahler wuchs in
einer Garnisonstadt auf). Sie tritt in den verschiedensten Verwendungsformen auf: als Auf-
takt, vielfach mit Triolenrhythmus :
as?
als charakteristisches Intervall oder Tonumfang eines Motives, als Vertreterin der Harmonie-
folge: Dominante — Tonika und ist fur Mahlers Schaffen so bezeichnend, wie fur Brahms
die Sext. (Melodisch und harmonisch. Wichtigkeit der Medianten fur Brahms' Harmonik!)
Die Begleitung zu den Liedern Jst mit Ausnahme der 14 Lieder aus der Jugendzeit durch -
wegs fur Orchester geschrieben, aber Mahler will in dieser Gattung, die vor ihm Berlioz und
Schumann (in seinen Balladen) kultivierte, nicht grofie dynamische Wirkungen erzielen, sondern
nur die koloristischen Moglichkeiten des Orchesters heranziehen. Er vermeidet auch groBten-
teils alle nur klangverstarkenden Verdoppelungen, und. sein Orchestersatz ist kammermusik-
artig durchsichtig. Dies gilt vor allem fur die Lieder der zweiten Periode, den Zyklus ,,Kinder-
totenlieder" (1 901/02) und die iibrigen Riickertlieder. So stark sich Mahler in den Symphonien
als Kontrapunktiker erweist, vermeidet er in den Liedern dennoch polyphone Ausarbeitung.
Es scheint im Wesen der Lyrik, der Wiedergabe einer subjektiven Empfindung zu liegen, diese
eineGefuhlsaufierung durch eine herrschende Melodie auszudriicken und die Entwicklungs-
geschichte des (subjektiven) Liedes spricht far die Richtigkeit dieser Annahme. Das ,,Lied
von der Erde" bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme ; es steht, was Setzweise und Orchester-
behandlung betrifft, auf rein symphonischer Basis ; insbesondere die beiden Ecksatze. Formal
wie melodisch ist es die hochste Vollendung des ,,symphonischen Liedes".
Mahlers Textbehandlung steht stark unter dem Einflusse des Volksliedes. Die Melodie
ordnet sich dem Stimmungs- und Gefuhlsinhalt der Dichtung unter, dominiert aber bisweilen
iiber streng sinngemafier Deklamation, wie das Volkslied ja auch den richtigen Wortakzent
manchmal dem Tanz- oder Marschrhythmus opfert. Seine Texte entnimmt er in der ersten
Periode grofitenteils dem ,,Wunderhorn", dichtet sich die Worte zu den ,,Liedern eines fahren-
den Gesellen" selbst, wendet sich in der zweiten Periode der Lyrik Ruckerts zu und findet in
Bethges ,,Chinesischer Flote ' die Anregung und Worte zum ,,Lied von der Erde". Aus einer
umgearbeiteten selbstgedichteten Oper Mahlers entstand: ,,Das Idagende Lied" (1878—80),
eine Ballade fur Soli, Chor und Orchester.
Das deutsche Lied im 19. Jahrhundert
Die Bedeutung von Hugo Wolf (1860—1903) liegt ganz auf dem Gebiete des Liedes. Er
kann als Vollender des deklamatorischen Liedes gelten. Schon in der aufieren Anordnung
zeigt er an, wieviel ihm der Dichter bedeutet, indem er jedem seiner Lieblingsdichter min-
destens einen eigenen Band widmet. Er geht bei der Vertonung von der inneren Struktur
seines Textes aus, erhebt diesen zum Formbestimmenden und lafit den Schwerpunkt der
Schilderung in der Begleitung, die er der Singstimme zumindest als ebenbiirtig gegeniiberstellt.
Dadurch ist es ihm ermoglicht, den Gesangspart dem Metrum der Sprache peinlich genau
unterzuordnen, wahrend der gewollte musikalische Rhythmus (als Gegensatz zum Sprach-
rhythmus) in die Begleitung verlegt ist. Wolf bezeichnet seine Lieder demnach als ,,Gedichte
fiir eine Singstimme und Klavier". Wahrend Schubert in den deklamatorischen Liedern die
Begleitung ganz zuriicktreten lafit, zieht sie schon Liszt zu grofien kolorisierenden Wirkungen
heran und Wolfs Verschmelzung der durchkomponierten Vertonung mit der deklamatorischen
besteht darin, dafi er trotz der Unterordnung der musikalischen Form unter die Dichtung
dennoch auch eine musikalische Geschlossenheit wahrt und das bindende Moment in die Be
gleitung verlegt. Mit einfachen Worten ausgedrtickt : Die Hauptmelodie und der Hauptrhyth-
mus sind nicht im Gesang, sondern im Klavier. Freilich gibt es davon auch manche Aus-
nahmen (,,Er ist's", ,,Der Gartner", ,,FuBreise"). Diese Freiheit der Singstimme, dadurch
erlangt, dafi jenealle absolut musikalischen Verpflichtungen rhythmischerundmelodischer Art
von sich abwirft, fuhrt bei den Wolf-Epigonen einerseits zu einem Nur-Sprechgesang, anderer-
seits zu einem Ausnutzen dieser Unabhangigkeit zur Erzielung reiner Stimmklangwirkungen
(z. B. durch Aushalten eines hohen Tones, wahrend die Begleitung ,,fiihrt"). Wie Mahler
verwendet auch Wolf ausgedehnte Vor~, Zwischen- und Nachspiele; aber er gelangt auf ganz
anderem Wege dazu. Die ,,symphonische" Ausarbeitung (motivische Verarbeitung der Haupt-
themen) in ihnen liegt ihm ganz fern. Er schildert Geschehnisse, Handlungen, Situationen,
bisweilen mit kostlichem Humor gewiirzt (,,Epiphanias", ,,Ritter Kurts Brautfahrt *, ,,Gut-
mann und Gutweib"), gibt kleine symbolische Andeutungen durch leitmotivische Verwendung
der Hauptthemen, bringt aber auch manchmal im Nachspiel ein neues Motiv (,,Er ist's").
Harmonisch geht Wolf iiber seine Zeitgenossen im Lied weit hinaus. Alterationen, Antizi-
pationen, frei eintretende Vorhalte, chromatische Harmoniefolgen spielen bei ihm eine grofie
Rolle. Sie sind ihm die Mittel zur vollendeten Darstellung des dichterischen Gedankens und
er schreckt in ihrer Anwendung vor nichts Ungewohnlichem — von seinen Zeitgenossen als
,,0hren beleidigende Harten" empfunden — zuriick. Das Intervallsymbol fur seine Harmonik
ware die Sekund, wie fur Mahler die Quart und for Brahms die Sext.
Hugo Wolf wurde am 13. Marz 1860 in Windischgraz (Steiermark) als Sohn eines Leder-
handlers geboren, war kurze Zeit Schiller des Wiener Konservatoriums, hernach Kapellmeister
in Salzburg (1881), dann Kritiker des Wiener ,,Salonblattes<<, machte sich aber wegen der
unnachsichtigen Scharfe seines Urteils unbeliebt und gab schliefilich 1887 die Stellung, die
ihm monatlich 60 Gulden (o. W.) einbrachte, auf. Er lebte fortan ganz der [Composition, bis
im September 1897 seinem Schaffen durch eine schwere Gemiitskrankheit ein jahes Ende
gesetzt wurde. Am 22. Febrvar 1903 starb er in der niederosterreichischen Landesirrenanstalt.
Von seinen Schopfungen sind zu erwahnen: 53 Lieder nach Morike (1888 erschienen), 51 nach
Goethe (1888—89), 20 Gedichte Eichendorffs, das ,,Spanische Liederbuch" (34 weltliche,
10 geistliche Gesange) nach P. Heyse und E. Geibel (1889 — 90), ein „ Italienisches Lieder-
Chormusik (Lied und kleinere Chorwerke) 955
buch" (46 Nachdichtungen P. Heyses 1890—91), 6 Lieder von Gottfried Keller und 3 Ge-
dichte von Michelangelo (1897). Grofiere Vokalwerke sind: ,,Christnacht", ,,Elfenlied" ;
aufierdem schrieb Wolf eine komische Oper ,,Der Corregidor" (Text von Rosa Mayreder)
1895. Eine zweite Oper ,, Manuel Venegas" (Text von Hoernes) konnte er nicht mehr
voilenden.
Wolf war nicht nur Vollender des deklamatorischen Liedes, sondern betrat auch zielbewufit
den Weg, auf dem dem Lied eine Weiterentwicklung beschieden war, indem er durch die
vorher ungeahnte Heranziehung der Begleitung neue, nie erdachte Moglichkeiten schuf. Seine
Epigonen liefien sich diese auch nicht entgehen und pflanzten kuhn ihre eigenen Fahnen auf
dem Wege auf, den ihnen der Meister gezeigt hatte. So blieb er bis zur Gegenwart vielfach
noch stilbestimmend.
Literatur
Schubert-Biographic von W- Dahms. — ,,Die Ballade" (Loewe) in Ph. Spittas ,,Musikgeschichtliche
Aufsatze". — Mendelssohn von Wolff. — Schumann von Abert und von Batka. — Wagner von G. Adler. —
Liszt von L. Ramann und von J. Kapp. — Cornelius (als Liederkomponist) von K. Roger (Dissertation, Wien;
noch ungedruckt). — R. Franz von Prochaska. — Brahms von W. Niemann. — Mahler von G. Adler. —
Mahlers Lieder von F. E. Pamer.— Hugo Wolf von E. Decsey. — Weitere einschlagige Literatur in den
Verzeichnissen zur Oper und zur Instrumenta'lmusik dieser. Zeit und der ,,Moderne".
Fritz Egon Pamer f
(durchgesehen von W. Krabbe)
CHORMUSIK (LIED UND KLEINERE
CHORWERKE)
Mit dem Aufkommen des neuen begleiteten Sololiedes geht die bevorzugte Stellung des
Liedes der A-cappella-Periode mehr und mehr auf jenes iiber; Resultat dieser Entwicklung
ist, dafi zu Beginn des 18. Jahrhunderts Sololied und Solokantate die Bedeutung in der Musik-
iibung der Zeit gewinnen, die frtiher, vor allem wahrend des 1 6. Jahrhunderts, dem mehr-
stimmigen Liede gehorte. Dieses, schon langst nicht mehr A-cappella-Lied, sondern, wie das
Sololied, vom Generalbafi begleitet, wird in jener Zeit kaum noch gepflegt. Zu den Ausnahmen
gehoren etwa die mehrstimmigen Vokalsatze in Rathgebers ,,Tafelkonfekt" von 1733. Aber
der vollige Verzicht auf Mehrstimmigkeit im Lied ist doch nur von kurzer Dauer, und das
Verlangen nach mehrstimmigem Chorgesang macht sich, wenn auch zunachst nur schuchtern,
in der Folgezeit wieder geltend. Spuren solcher Freude am mehrstimmigen Liedgesang zeigen
sich etwa bei Valentin Corner in seiner ,,SammIung neuer Oden und Lieder" (1742 ff.)
dort, wo er in Nummern wie ,,Vorziige der Torheit in einem Rundgesange" oder noch aus-
gesprochener in ,,Das Heidelberger Fafi" mit ausdrucklicher Anweisung chorischen Refrain
bringt; die Nummer ,,Aus den Reben fleufit das Leben" ist ihrer Faktur nach so beschaffen,
daB man sich leicht Mittelstimmen erganzt denken konnte. Weit starker gewahren wir diesen
Zug zur Mehrstimmigkeit in den ,,Liedern im Volkston" von Joh. Abr. P. Schulz; am deut-
lichsten tritt er in der ,,Serenata im Walde zu singen" zutage, ganz unverhiillt in dem vier-
61 H. d. M.
956 Chormuslk (Lied und kleinere Chorwerke)
stimmig ,.tutissimi" zu singenden Schlufichoral. Er erhalt aber vor allem seine Nahrung in
den durch Johann Adam Hiller nachgerade Mode gewordenen Standesliedern. In der un-
geheuren Masse dieser fiir alle Stande und Lebensalter bestimmten Lieder kommt die Populari-
sierung des neuen Kunstzweiges am sichtbarsten zum Ausdruck. Insbesondere sind es unter
diesen Standesliedern die zahllosen Freimaurergesange gewesen, die zur Pflege des neuen
Chorliedes mit beigetragen haben. Nicht etwa so, daB diese Lieder nun sogleich in der Form
mehrstimmiger Vokalsatze veroffentlicht worden seien; rein aufierlich betracbtet sind es viel-
mehr Lieder wie die meisten anderen der Zeit: notiert mit Singstimme und Generalbafi.
Aber gerade in vielen dieser Freimaurermelodien gewahrt man jene versteckte Chorigkeit im
Sinne Corners. Und dafi in solchen Fallen gelegentlich ausdriicklich mit einer Erganzung
zu Chorsatz gerechnet wurde, gebt aus einer uns iiberlieferten Weisung hervor: die Logen-
briider mochten die den Gesangen mangelnde Mehrstimmigkeit durcb Hinzufiigung improvi-
sierter Mittelstimmen ersetzen. Erwahnung verdient in diesem Zusammenhang auch die
Tatsache, da8 neben dem mehrstimmigen aucb das einstimmige, im Chor zu singende Lied
vereinzelt vorkommt; denn das ist der Sinn von Johann Friedrich Reichardts ,,Frohen
Liedern fiir deutsche Manner*' (1781), einstimmigen Liedern ohne Instrumentalbegleitung,
deren Vortrag bei geselligen Zusammenkiinften natlirlich chorisch gedacht war. Reichardts
Namen, in der Geschichte des Sololiedes neben demjenigen von Schulz von Gewicht, kommt
auch fiir die Entwicklung des Chorliedes eine besondere Bedeutung zu : gehort doch Reichardt
zu den friihesten Vertretern des neuen Chorliedes. In den ,, Liedern geselliger Freunde" (1796)
hat er versucht, manchen bekannten einstimmigen Melodien eine ,,geselligere Form" zu geben,
und in der Gesamtausgabe seiner ,,Goethe-Lieder" von 1809 bringt er unter den erstmalig
veroffentlichten Nummern auch vierstimmige Lieder, also wirkliche Lieder fiir gemischten
Chor, unter denen sich ein Fragment aus ,,Euphrosyne" durch eindringliche Deklamation
und prachtvolle Harmoniefuhrung besonders auszeichnet. Lediglich auf die Verwendung
des chorischen Refrains nach dem Vorbild von Corner und Schulz beschrankt sich Johann
Andres Anteil am neuen Chorlied.
Zeigt so die Entwicklung des geselligen Liedes etwa von der Mitte des 18. Jahrhunderts
ab ein Streben nach Mehrstimmigkeit, so sehen wir diese Entwicklung noch gefordert durch
Umstande, die aufierhalb des eigentlich Musikalischen zu suchen sind. Zwei Dinge im be-
sonderen sind es, die der Freude an der Mehrstimmigkeit und einer gemeinsamen Pflege
des Liedes Vorschub leisten. Das ist einmal das Interesse an dem durch Herder wieder-
entdeckten Volkslied, wie es sich etwa im Kreise des Gottinger Hains in der Pflege volks-
mafiiger Lyrik auswirkte. In engster Verbindung mit dieser Bewegung kam die Zeit des
wiedererwachenden Nationalgefiihls, die Abkehr von fremdem Volkstum und Besinnung
auf die Vorziige des eigenen Volksstammes. Sie hat ihren dichterischen Ausdruck vor allem
in der vaterlandischen Lyrik eines Klopstock gefunden, einer Poesie, die den Ausgang bilden
sollte fiir die Pflege geselligen Liedgesanges Jm Dienste und zu Ehren des Vaterlandes. Zu
dem allem kam dann endlich noch ein letzter, wiederum in der Musikentwicklung begriindeter
Umstand : der durch Handels und spater auch durch Haydns gewaltige Oratorienchore allent-
halben gewegkte Sinn fiir die Schonheiten des Chorgesanges und die Pracht seines Klanges.
Dieser ziindenden Macht des Chorgesanges in anspruchsloser Form, im Rahmen edler
Geselligkeit und in Verbindung mit patriotischem Erleben Eingang zu verschaffen war das
Chormusik (Lied und kleinere Chorwerke) 957
Ziel, das der tiichtige Karl Friedrich Zelter (1758—1832) im Auge hatte, als er in Berlin
neben der Singakademie 1809 die nach ihm benannte Liedertafel griindete und damit dem
neuen Chorlied in Gestalt des Mannergesanges in Deutschland eine erste Pflegestatte schuf.
Um das gemeinsam gesungene Lied, so war es die Absicht Zelters, sollte sich das Interesse
dieses erlesenen Kreises von anfangs nur 25 Mitgliedern — die Zahl war durch Vereinsstatut
genau festgelegt und mit Bedacht so niedrig gehalten ; war doch Voraussetzung fur die Auf-
nahme, daB die Bewerber sich entweder als DicKter, Sanger oder Komponisten hervorgetan
hatten ! — vereinen und inn so vor oder KannegieCerei und seichtem Bierbankgeschwatz
bewahren: ,,die Langeweile der Frefizirkel, wo nur der Nachbar kauend mit dem Nachbar
iiber Gewerbskramerei, wo nicht vom Frafie selbst, spncht, ist unbekannt, wo alle an Emem
hangen, wo Eines fur alle gedacht und gemacht ist" (Zelter an Goethe, 4. 5. April 1810).
Die im Statut gestellte Forderung nach produktiver Betatigung brachte es mit sich, dafi im
Schofie der Liedertafel das Chorlied nicht allein eifrige Pflege fand, sondern, was weit wichtiger,
dafi aus dieser Tafelrunde eine reiche Literatur zur neuen Gattung hervorging, die es vordem
nur ganz vereinzelt gegeben hatte. Als wichtigster Beitrag dazu smd die Manner chore von
Michael Haydn zu nennen, auch sie iibrigens geselligen Anlassen ihre Entstehung verdankend.
Die Zahl von Zelters eigenen Beitragen ist aufierordentlich grofi, aber nur weniges davon ist
durch den Druck allgemein zuganglich geworden; und nur ganz vereinzelte Stiicke haben
sich, dank ihres kernigen und humorvollen Tones, bis heute in den einschlagigen Sammlungen
behaupten konnen. Dabei ist die Mehrzahl von ihnen keineswegs volkstiimlich einfach im
Sinne des spateren Liedertafelstils ; vielmehr merkt man ihnen sehr wohl an, daB sie fur einen
Kreis bestimmt gewesen sind, der musikalisch sattelfest und fahig war, sowohl hinsichtlich
der Polyphonic als auch gesangstechnisch einige Schwierigkeiten zu meistern. Auch nach
der formellen Seite sind sie keineswegs das, was man gemeinhin unter Chorlied zu verstehen
pflegt. Gebiihrt so Zelter das Verdienst, durch Griindung seiner Liedertafel die systematische
Pflege des Mannergesanges in Flu8 gebracht zu haben, so kann man ihn als Schopfer des
eigentlichen Mannerchorliedes doch nur bedingt ansprechen. Dieses Verdienst mochte man
fur den Norden eher Ludwig Berger (1777—1839) zusprechen, der im Verein mit Bernhard
Klein, Gustav Reichardt und Ludwig Rellstab 1819 die jiingere Berliner Liedertafel griindete
und fur diese im Sinne des volkstumlichen Liedes auch schopferisch tatig gewesen ist.
Ganz ausgesprochen volkstiimlich aber tritt der Charakter der neuen Bewegung im deutschen
Siiden hervor, und zwar zunachst in der Schweiz durch Hans Georg Nageli (1773 — 1836).
Fur diesen grofien Schweizer Gesangspadagogen bildet die Erziehung seiner Landsleute ,,zur
kunstgerechten Ausiibung der hoheren Tonkunst, das heifit hier, des vierstimmigen Figural-
gesanges" gleichsam den SchluCstein eines mit ungewohnlicher Begabung und imponierender
Ausdauer durchgefiihrten musikalischen Volkserziehungswerkes. Sein Ziel ist es, ,,den selb-
standigen vierstimmigen Mannerchorgesang, den er zuerst in Gang ^gebracht habe", in alien
- Formen auszubilden und auszubreiten. Zur Erreichung dieses Zieles diente Nageli die aus
mehreren Heften bestehende Sammlung ,,Der Schweizerische Mannergesang", die er in seinem
Ziiricher Selbstverlag 1826ff herausbrachte. Die Sammlung, aus der auch die eben ange-
fiihrten Zitate stammen, ist reich an Mannerchoren von echt volkstumlichem, zuweilen wohl
allzu volkstumlichem Geprage und hat zur Verbreitung des Mannergesanges in der Schweiz
und dariiber hinaus in Siiddeutschland viel beigetragen. Hier ist es vor allem der um die
61*
958 Chormusik (Lied und kleinere Chorwerke)
Pflege des Volksliedes hochverdiente Schwabe Friedrich Silcher (1789—1860), der im Sinne
Nagelis weitergewirkt und den volkstiimlichen Mannergesang in jeder Weise gefordert hat.
Zahlreiche seiner echt volksmaBig empfundenen Liedsatze zu Texten vorwiegend schwabischer
Dichter gehoren noch heute zum festen Bestand deutscher Liedertafeln.
In den nach dem Vorgange Berlins einerseits und dem deutschen Siiden andererseits allent-
halben entstehenden Liedertafeln, unter denen die in studentischen Kreisen gebildeten ihre
besondere Stellung einnehmen, erwachsen dem volkstiimlichen Mannerchorlied alsbald be-
deutungsvolle Pflegestatten ; in Verbindung damit entsteht nun eine Spezialliteratur von schier
uniibersehbarem Umfang. Charakteristisch ist fur diese im allgemeinen das Streben nach
einem Ausgleich zwischen der ausgesprochen exklusiv-aristokratischen Berliner und der allzu
volkstiimlich eingestellten siiddeutschen Richtung. Nur die hervorstechendsten Erscheinungen
kb'nnen hier gestreift werden. Ludwig Bergers Name wurde neben Zelter bereits genannt;
in seinem Kreise kommt Bernhard Klein (1793—1832), dem ,,Bach des Mannerchors", be
sondere Bedeutung zu. Karl Maria v. Weber (1786—1826) gehort vor allem hierher mit
seinen Kompositionen zu Korners ,,Leyer und Schwert", klassischen Beispielen des volks
tiimlichen Mannergesanges, markigen Choren von ziindender Wirkung, deren tonbildnerische
Kraft mit Recht geriihmt worden ist. Von Norddeutschland beeinfluBt sind ferner der Dessauer
Friednch Schneider (1786 — 1853), ein besonders eifriger Freund der Liedertafelbewegung,
der auch erstmalig die bis dahin Eigentum der Liedertafeln bildenden Chorlieder in den
Musikhandel brachte; ferner Karl Lo ewe (1796- 1869), Karl Gottlieb Reissiger (1798-1859)
und Karl Friedrich Z oil ner (1800-1860). Dann gehort auch Heinrich Marschner (1795
bis 1861) hierher; besonders wegen seiner fur den Leipziger ,,Tunnel iiber der Pleifie" (eine
Nachahmung des Berliner Tunnels iiber der Spree) geschriebenen ,,TunnelIieder", Stiicken
voll keckem Lebensiibermut, verdient sein Name genannt zu werden. Auch Felix Men dels -
sohn-Bartholdy (1809— 1847) mufi in diesem Zusammenhange erwahnt werden, doch ist
seine Bedeutung furs neue Chorlied mit seinen Mannerchoren keineswegs erschopft; viel-
rriehr ist er zugleich der erste und wichtigste Vertreter des Liedes fur gemischten Chor, und
so mag seiner erst in Verbindung mit diesem gedacht werden.
Es liegt nahe, bei der Beschaftigung mit den Vertretern der siiddeutschen Richtung an
erster Stelle Franz Schubert (1797—1828) zu nennen, der ja in der Tat die Mannerchor-
komposition als einer der ersten besonders eifrig gepflegt hat. Gegen 50 unbegleitete und
einige weitere 30 Chore mit Klavier- oder anderer Instrumentalbegleitung hat er hinterlassen.
Aber nur die wenigsten von ihnen sind Mannerchore in unserem Sinne : etwa Schillers ,,Punsch~
lied**, ferner ein Trinklied mit Chor ,,Ihr Freunde und du, edler Wein" (beide iibrigens mit
Klavierbegleitung, wobei daran erinnert werden mag, dafi auch die Berliner keineswegs nur
A-cappella-Chore sangen)und noch einige weitere Stiicke ausgesprochen geselligen Charakters.
Im iibrigen hat aber Schubert auch diese Gattung durch seine Grofie geadelt und hat, indem
er formell bisweilen weit iiber die Grenzen des eigentlichen Chorliedes hinausging, Stimmungs-
bilder geschaffen, die zu dem Feinsten und Bedeutendsten gehoren, was diese Literatur iiber-
haupt aufzuweisen hat. Naturschilderungen wie ,,Liebe rauscht der SilberbacrT, das hochst
stimmungsvolle ,,Die Abendglocke tont nicht mehr" mit der die tonende Glocke andeutenden
liegenden Stimme im 1 . Bafi, dann der achtstimmige, von tiefen Streichinstrumenten begleitete
,,Gesang der Geister iiber den Wassern" von Goethe, eins der friihesten Beispiele fur die
ChormusiK (Lied und Ueinere Chorwerke) 959
Verwendung des Mannerchors zu Aufgaben grofieren Stils, endlich noch der fiinfstimmige
Chor ,,Nur wer die Sehnsucht kennt", eine melodisch wie harmonisch gleich reizvolle Kom-
position, seien als Beispiele fur Schuberts Bedeutung auf dem Gebiete der Mannerchor-
komposition genannt. In neuerer Zeit hat auch das kostliche Standchen, ursprunglich fur
eine Altstimme mit Mannerchor und Klavierbegleitung, spater aber fur Altsolo und Frauen-
stimmen umgeschrieben (op. 135), haufiger Eingang in den Konzertsalen gefunden.
Ein echter Vertreter des volkstiimlichen Mannerchorliedes siiddeutscher Pragung ist Kon-
radin Kreutzer (1780—1849), der namentlich mit Vertonungen Uhlandscher Texte (,,Die
Kapelle", ,,Schafers Sonntagslied" u. a.) eine ungeahnte Volksttimlichkeit erlangt hat. Neben
ihm ware etwa noch der Bohme Wenzeslaus Kalliwoda (1801 — 1866) zu nennen, dessen
,,Deutsches Lied'* noch heute zu den meistgesungenen Mannerchoren zahlt.
Wir sehen: das Mannerchorlied, auch stofflich durchaus ein Kind seiner Zeit, findet in
den mit Jhm entstehenden Liedertafeln sofort eine eifrige und systematische Pflege, ein Um-
stand, der fur seine rasche und weite Verbreitung zweifellos von hochster Bedeutung ist.
Anders beim Lied fiir gemischten Chor: dieses erweckt zunachst mehr den Eindruck eines
Verlegenheitsproduktes, und auch die Beschaftigung mit ihm geschieht, von einzelnen ruhm-
lichen Ausnahmen abgesehen, bis auf unsere Tage im allgemeinen mehr aus Verlegenheit
als in der Erkenntnis, dafi es sich bei dieser Literatur urn kunstlerische Werte handelt, deren
Vermittlung eine mehr als lohnende Aufgabe fiir Chorinstitute ist. Nicht ganz ohne
Widerstreben, so scheint es, wenden sich die Komponisten anfangs der Komposition far
gemischten Chor zu. Die erwahnten mehrstimmigen Stiicke in Reichardts Goethe-Sammlung
sind vorerst vereinzelte Erscheinungen geblieben, und gerade die wenigen Beitrage, die wir
von Weber besitzen, scheinen ihre Existenz eben dem Umstande zu verdanken, dafi man
in der Berliner Liedertafel bei besonders festlichen Anlassen auch den anwesenden Damen
der Mitglieder Gelegenheit zu aktiver Betatigung geben wollte; so erklart sich wohl auch am
besten die von der spateren Gewohnheit abweichende Besetzung dieser Stiicke, wo zu den
iiblichen Mannerstimmen lediglich 2 Soprane hinzutreten, eine Besetzung, die dann auch in
Marschners Opus 55 wiederkehrt. Aus dieser anfanglichen Abneigung mag auch die Tat-
sache zu erklaren sein, dafi Schubert mit Originalkompositionen far gemischten Chor fast
gar nicht hervorgetreten ist.
Der erste, der sich auch dieser Gattung nachdriicklich angenommen hat, ist Mendelssohn
gewesen. Aber auch bei ihm ebenso wie bei Schumann ist es bezeichnend, dafi er mit Manner
choren beginnt und erst vom Jahre 1839 ab sich der Komposition far gemischten Chor zu-
wendet. Auch Mendelssohns Mannerchore gehoren nur zum Teil zur Gattung des volks-
tiimlichen Mannerchorliedes. Schon ein Blick auf die hier vertonten Texte zeigt, dafi Mendels
sohn hoheren Zielen zustrebt. Goethe steht mit an erster Stelle (das ,,Schenkenlied" z. B.
mit seiner ausgesprochen kontrapunktischen Faktur und freien Formbehandlung ist keines-
wegs volkstiimlich in jenem Sinne) ; es f olgen Eichendorff , Heine (beachtenswert die Nummer
,,Am fernen Horizonte" wegen der Durchftihrung eines einzelnen, tonmalerisdhen Absichten
entsprungenen Motivs), Hoffmann v. Fallersleben, Scott und Herwegh. Immerhin bieten
auch die Mannerchore (op. 50, 75, 76 und 120) vereinzelte, im besten Sinne volkstiimliche
Nummern; es geniigt an ,,Wer hat dich, du schoner Wald" oder an ,,Wem Gott will rechte
Gunst erweisen** zu erinnern. Viel starker aber tritt der volkstiimliche Ton in seinen ge-
960 Chormusik (Lied und klcinere Chorwerke)
mischten Choren hervor. Die Werke der Opuszahlen 41, 48 und 59 tragen ausdrticklich die
Anweisung: ,,Im Freien zu singen" und weisen damit auf jene Tendenz der Volkstiimlichkeit
hin, die leitendes Prinzip der Berliner Liedersammlungen war. Aber auch die spateren Hefte
(op. 88 und 100) verleugnen die volkstumliche Schreibart nicht. Alle zeigen leicht eingangige
und gut sangbare, manchmal freilich reichlich sentimentale Melodik (auffallend ist eine ge-
vvisse Vorliebe fiir Dreiklangsthematik), einfache harmonische Verhaltnisse und hinsichtlich
der Form jene Klarheit und Ubersichtlichkeit, die Mendelssohns Werke im allgemeinen aus-
zeichnet. Diese Chore konnen als Muster der Gattung bezeichnet werden, oft nachgeahmt,
aber selten oder niemals erreicht. Meisterchore ihrer Art wie ,,0 Taler weit, o Hohen" oder
das ebenfalls Eichendorff entnommene Morgengebet ,,0 wunderbares tiefes Schweigen" haben
auch heute noch nichts von ihrer unmittelbaren Wirkung eingebiifit. Uber das einfache
Chorlied hinaus hat sich dann Mendelssohn als erster auch der Chorballade grofien Stils
zugewandt und namentlich in seiner ,,WaIpurgisnacht" ein Chorwerk geschaffen, das unter
seinen Werken mit an erster Stelle steht und den grofien Meister in der Behandlung des
Chores und seiner Verwendung bei Situationsschilderungen zeigt.
Neben Mendelssohn steht Robert Schumann (1810—56) als wichtiger Vertreter des Chor-
liedes. Auch er halt im wesentlichen an der strophischen Behandlung der Texte fest, unter
den en uns solche von Goethe, Riickert, Uhland und Robert Burns, den Schumann bekanntlich
auch in den Sololiedern bevorzugt, begegnen. Die Satzweise ist, wie bei Mendelssohn, vor-
zugsweise homophon, so etwa in den 5 Liedern fur gemischten Chor (op. 55), den 4 Gesangen
in gleicher Besetzung (op. 59) und in den 6 Liedern fur Mannerstimmen (op. 33). Bemerkens-
wert ist eine gewisse Vorliebe fiir Unisonostellen zur Unterstreichung bestimmter Textstellen.
Seine Melodiebildung ist nicht so ausgesprochen vokaler Natur wie etwa diejenige Mendels
sohns; die Chore stellen an die Treffsicherheit der Sanger immerhin schon einige Anforde-
rungen. Auch kann man eine gewisse Vernachlassigung der Mittelstimmen gegeniiber den
Aufienstimmen feststellen. Zu den ansprechendsten unter seinen Chorliedern gehoren die
Romanzen und Balladen fur gemischten Chor (op. 76 und 146), wahrend die 4 Gesange fiir
Doppelchor (op. 141), mit denen er groBeren Chorvereinigungen lohnende Aufgaben bieten
wollte, trotz einer Polyphonic, die allerdings mehr Scheinpolyphonie ist, und Entfaltung
reicheren Chorklanges einer gewissen Trockenheit nicht entbehren; bei Goethes ,,Gottes
ist der Orient" steht jedenfalls das Aufgebot der Mittel in keinem Verhaltnis zu der erzielten
Wirkung. Den grofien Lyriker verraten unter diesen Chorliedern eigentlich nur die Ritornelle
fiir Mannerstimmen nach Texten von Riickert (op. 65), die auch satztechnisch (u. a. einige
fein durchgefiihrte Kanons) eine Sonderstellung einnehmen. Neben den A-cappella-Liedern
besitzen wir von Schumann auch eine Reihe kleinerer Chorwerke mit Orchester, Balladen
oder Kantaten nach dem Muster von Mendelssohns ,,Walpurgisnacht" : ,,Des Sangers Fluch"
(op. 139), ,,Das Gliick von Edenhall" (op. 143 fiir Mannerchor), ,,Der Konigssohn" (op. 1 16)
und endlich ,,Vom Pagen und der Konigstochter" (op. 140), das musikalisch reichste und
fantasievollste Werk dieser Gruppe.
Neben den drei Hauptreprasentanten des Chorlieds der alteren Romantik steht eine grofiere
Zahl von Nebenerscheinungen, von denen nur die wichtigsten genannt werden konnen. Von
Mendelssohn besonders stark beeinflufit zeigt sich Moritz Hauptmann (1792—1868), der
sowohl in seinen nicht eben zahlreichen Mannerchoren als auch besonders in seinen Werken
Chormusik (Lied und kleinere Chorvierke) 961
fur gemischten Chor emgangliche Melodik und schonen Chorklang mit Einfachheit der Form
verbindet. Schumann naher als Mendelssohn steht der in deutscher Schule gebildete Dane
Niels W. Gade (1817— 1890), dem wir neben A-cappella-Choren eine grofiere Zahl von Chor-
balladen nach dem Muster Schumanns verdanken. Auch Robert Franz (1815—1892) ist mit
einzelnen wertvollen Beitragen hier zu erwahnen.
Fiir die weitere Entwicklung der mehrstimmigen Vokalmusik kommt in der 2. Halfte des
19. Jahrhunderts Johannes Brahms (1833—1897) eineganz aufierordentliche Bedeutung zu,
die nach der formellen 'Seite zweifellos groBer ist als seine Bedeutung fur die Geschichte des
Sololieds, einmal rein zahlenmaBig, dann aber vor allem durch die Mannigfaltigkeit in der
Besetzung seiner Vokalkompositionen und endlich durch die formale und satztechnische Be-
reicherung dieser Werke. Neben 5 Liedern fur Mannerchor ohne Begleitung (op. 41), einer
grofieren Anzahl unbegleiteter Frauen- (op. 37, 44, 113) und gemischter Chore (op. 22, 29,
42, 52, 63a, 74, 104, 109 und 110) stehen zahlreiche Werke mit Klavier- oder Orchester-
begleitung, unter denen die begleiteten Soloquartette und die Chorgesange mit Orchester
(Rinaldo op. 50, die ,,Rhapsodie" op. 53, das ,,Schicksalslied" op. 54, ,,Triumphlied" op. 55,
,,Nanie" op. 82 und ,,Gesang der Parzen" op. 89) wieder einen besonderen Platz einnehmen.
In den A-cappella-Gesangen treten die grofien Vorziige von Brahms' kunstvoller Satzweise
am deutlichsten hervor, und, mag er homophon oder Satze von wunderbarster Polyphonie
schreiben, niemals verliert sein Chorsatz den schlicht-volkstumlichen Charakter, der diese
Kunstwerke zur Pflege im hauslichen Kreise besonders geeignet macht. Alle diese Chore
bieten Schonheiten erlesenster Art, am hochsten stehen wohl die 5 Gesange (op. 104) flir
gemischten Chor zu Texten von Riickert, Kalbeck, Wenzig und Klaus Groth : namentlich des
letzteren ,,Im Herbst" ist echtester Brahms, ein schwermiitiges Stuck voll tiefer Empfindung.
In der zweiten Gruppe, den Vokalensembles mit Klavierbegleitung, konnte Brahms an
Schumannsche Vorbilder (z. B. das spanische Liederspiel) ankniipfen. Er bildet diese Gattung,
namentlich in den Vokalquartetten mit Klavierbegleitung, zu Kunstwerken hochsten Ranges
weiter: Stiicke wie Schillers ,,Der Abend" (op. 64) und Hebbels ,,Friedlich bekampfen"
(op. 92) oder auch die beiden Hefte Liebesliederwalzer mit vierhandiger Klavierbegleitung
sind wahre Perlen dieser Brahms ureigenen vokalen Kammermusik. In seinen Chorgesangen
mit Orchester endlich hat Brahms hochbedeutende Beitrage zur Gattung der Chorode ge-
liefert, bedeutsarn namentlich auch durch die selbstandige Stellung, die das Orchester in
ihnen einmmmt.
Neben Brahms, aber freilich in betrachtlichem Abstand von ihm, ist Max Bruch (1838
bis 1920) als fruchtbarer und erfolgreicher Chorkomponist zu nennen. Wie Bruchs gesamtes
Schaffen, so zeichnet auch seine Chorlieder neben untadeliger Arbeit Einfachheit der
Form und eine sinnfallige, freilich auch nicht immer allzutiefe Melodik aus. Auch er
pflegte eifrig das Chorwerk groBeren Stils; sein Friihwerk, der ,,Frithjor fiir Manner
chor, trug dem Komponisten ersten Ruhm ein und wurde fiir Werke ahnlicher Art
vorbildlich.
In Peter Cornelius (1824— 1874) erwachst der Chorkomposition der erste bedeutende Ver-
treter aus der Schule Wagners. Auf die Bedeutung dieses Meisters fiir die Chorkomposition
erstmalig und mit Nachdruck hingewiesen zu haben, war das Verdienst Hermann Kretzsch-
mars. Obwohl an Zahl keineswegs groB und auch untereinander keineswegs gleichwertig,
Chormusik (Lied und kleinere Chorwerke)
sind sowohl unter den Mannerchoren wie unter den Kompositionen fur gemischten Chor
Stiicke, die zum Grofiartigsten und Originellsten gehoren, was die Chorliteratur uberhaupt
aufzuweisen hat. Unter den Mannerchoren sind hervorzuheben ,,Der Soldat" von Eichen-
dorff, ein neunstimmiger Chor von grandiosem Aufbau; ferner die fiinfstimmige Bearbeitung
des alten Michael Franckschen ,,Ach wie nichtig* *, eine Choralvariation von meisterhafter
kontrapunktischer Arbeit, und endlich die Notkersche Sequenz ,,Mitten wir im Leben
sind", ein ganz homophon gehaltenes, harmonisch freilich nicht einfaches Stiick von lapidarer
Kiirze, seltener Eindringlichkeit und Konzentration der Gedanken, auf dem Gebiete des
Mannerchors Cornelius' Meisterleistung. Unter den gemischten Choren ist der Zyklus ,,Liebe"
nach Angelus Silesius hervorzuheben und Heines ,,Der Tod, das ist die kiihle Nacht", em
Stiick, in dem des Komponisten satztechnisches Konnen mit einer ungewohnlich reichen
Phantasie wetteifert.
Vereinzelt hat sich auch Hugo Wolf (1860—1903) der Chorkomposition zugewandt. Die
Chorkantate ,,Christnacht" und eine Bearbeitung des ,,Feuerreiters" fur Chor und Orchester
zeigen ihn als sicheren Beherrscher der Chortechnik grofien Stils. Aus seinem Nachlafi ist
auBerdem eine sehr schone vierstimmige A-cappella-Komposition ,,Der Einsiedler" veroffent-
licht worden, die zwar neue Stilprinzipien nicht erkennen laBt, im iibrigen aber den mehrfach
komponierten Eichendorffschen Text durch strenge Polyphonic in Verbindung mit moderner
Harmonik zu tiefgehender Wirkung bringt.
Auch das Ausland ist in der neueren Chormusik mit einigen Namen von Rang vertreten,
weniger zwar durch A-cappella-Chore als durch Chorkantaten und ahnliche auf Mitwirkung
von Solisten und Orchesterbegleitung aufgebaute Chorwerke. England verdient an erster
Stelle genannt zu werden, weil hier die Pflege des mehrstimmigen Liedes niemals vollig auf-
gehort hat. Die Sammlungen jener Catches, Glees und ahnlicher kleiner Liedformen, die
unter denNameneines Thomas AugustinArne(1710— 1778), eines William Boyce(l 710— 1779)
sowie des alteren und jungeren Samuel Webbe (1740-1816 bzw. 1770-1843) bekannt ge-
worden sind, bilden die wichtigsten Zeugnisse hierfur. In neuerer Zeit haben sich Horatio
Parker (1863-1920), Granville Bantock (geb. 1868) und besonders EdwardElgar (geb. 1857)
mit besonderem Nachdruck der Pflege der Chormusik in England angenommen. Von Elgars
Kantaten ist vor allem op. 38 ,,Der Traum des Gerontius" neben seinem oratorischen Haupt-
werk, den ,,Aposteln" in Deutschland aufgefiihrt worden. Die flamische Schule pflegt die
Chorkomposition in Verbindung mit einer ausgesprochen vaterlandischen Tendenz: Peter
Benoits (1834—1901) ,,Rubenskantate", ,,De Oorlog" (Krieg) und die ,,Schelde" zeigen das
ebenso wie Edgar Tinels (1854—1902) ,,Mohnblumen", seine ,,Glocke Roland" sowie der
gewaltige Chor fur Mannerstimmen a cappella ,,Vlaamsche Stemm" (op. 25). Von skandi-
navischen Komponisten sei wenigstens Edward Grieg (1843—1907) mit seiner ,,Land-
erkennung" erwahnt. Frankreich dankt die systematische Pflege mehrstimmiger Vokalmusik
seinem erfolgreichen Gesangspadagogen Guillaume Louis Wilhem (1781 — 1842), der nament-
lich durch sein gfofies Sammelwerk von A-cappella-Gesangen ,,0rpheon" (1837ff.), das freilich
keineswegs nur Originalwerke enthalt, anregend gewirkt hat. Frankreichs bedeutendster
Komponist auch auf dem Gebiete der Chormusik istHektor Berlioz (1803— 1869); er ist hier
mit seinen oratorienartigen Werken zu erwahnen, unter denen die dramatische Legende ,,Fausts
Verdammnis" an erster Stelle steht. Italien endlich hat in Enrico Bossi (geb. 1861) seinen
Die Instrumentalmusik von 1828—1880 953
fiihrenden Chorkomponisten aufzuweisen. Neben seinem Hauptwerk, dem ,,HohenIied", ist
auch die Kantate ,,Giovanna d'Arc" in Deutschland bekannt geworden,
Literatur
Elben,0.:DervolkstumlichedeutscheMannergesang. 2. Aufl. Tiibingen 1887. (Dazu die ausfiihrliche Rezen-
sion: Spitta, Ph.: Der deutsche Mannergesang, in Musikgeschichtl. Aufsatze, Berlin 1894. S. 299 ff.) — Kretzsch-
mar, H. : Fiihrer durch den Konzertsaal, II, 2. 5. Aufl. Leipzig 1920. — Derselbe: Peter Cornelius. Leipzig 1880.
— Riemann, H.: Geschichte der Musik seit Beethoven. Berlin 1901.— Thierfelder, H.: Vorgeschichte und
Entwicklung des deutschen Mannergesangs. (Hallenser Diss.), Hildburghausen 1923. Weitere Literatur in den
Abschnitten iiber Lied und Oratorium.
Wilhelm Krabbe
DIE INSTRUMENTALMUSIK VON 1828-1880
Das Jahr 1829 brachte zwei wichtige musikalische Ereignisse: die ,,Phantastische Symphonic"
von Berlioz und die Wiedererweckung von Bachs ,,Matthauspassion" . Damit waren die beiden
Hauptzweige der Hochromantik deutlich gekennzeichnet : die sensitive deutsche Romantik
mit ihrem Streben nach tiefster Verinnerlichung und die franzosische realistische Romantik
mit ihrer hemmungslosen Lust am Nervenaufpeitschenden. Beelhovens schrankenloser Idealis-
mus (um schon einmal Gesagtes zu wiederholen) wurde in Schrankenlosigkeit und Idealismus
aufgeteilt,-die Schrankenlosen scheuten vor keinem Inhaltsgebiete zuruck und die Idealisten
mieden die Schrankenlosigkeit. Die franzosische Richtung wurde anfangs in Deutschland
(besonders von Schumann) nach Gebiihr gewiirdigt und vielfach zum Vorbild genommen;
als sie sich aber unter Liszts Fiihrung in den fiinfziger Jahren als ,,neudeutsche" erklarte
prallten die Gegensatze aufeinander und eine von Brahms und anderen Vertretern der deutschen
Schule unterzeichnete ,,Erklarung" wies die Aspirationen des Lisztkreises als undeutsch und
anmafiend zuriick. In den sechziger und siebziger Jahren erfolgten wieder Annaherungen der
beiden Richtungen aneinander, indem Angehorige der ,,neudeutschen", wie Wagner und
Peter Cornelius, die polyphone Schreibweise und andere Kunstmittel der Gegenpartei iiber-
nahmen, wahrend sich deren Vertreter gelegentlich der Programmusik und anderer neu-
deutscher Charakteristika bedienten. Noch in der Musik der Gegenwart stehen sich die
beiden Schulen in der Kunst Max Regers und Richard Straufi" gegeniiber.
Die deutsche Hochromantik wurde von Felix Mendelssohn - Bartholdi, Robert Schu
mann, Johannes Brahms und dem Polen Friedrich Chopin, die franzosische (neudeutsche)
von Hector' Berlioz, Franz Liszt und Richard Wagner gefiihrt; Anton Bruckner hat
eine Art Synthese der beiden Richtungen geschaffen.
Felix Mendelssohn -Bartholdi, 1809 in Hamburg als Sohn eines Bankiers geboren, Kompositionsschiiler
Karl Friedrich Zelters, wirkte nach emer Wunderkindjugend und mehreren Konzertreisen nach Paris, England,
Schottland und Italian 1833 — 35 als stadtischer Musikdirektor in Diisseldorf und dann als Kapellmeister der Ge-
wandhauskonzerte in Leipzig, in welcher Stellung er mit einjahriger Unterbrechung (Generalmusikdirektor in Berlin)
bis zu seinem Tode 1847 tatig war. Die gunstigen Vermogensverhaltnisse, eine gliickliche Ehe, friihe und anhaltende
Erfolge in der gesamten Musikwelt und die neidlose Freundschaft der grofiten Zeitgenossen lassen sein Dasein als
eines der glucklichsten Kiinstlerleben erscheinen. Mendelssohns Instnimentalwerkesind: 5 Symphonien, nebst den
Ouvertiiren seiner Opern und Oratorien 2 Schauspiel- und 5 Konzertouvertiiren, 1 Violinkonzert, 2 Klavierkonzerte,
Capriccio, Rondo brillant und Serenade fur Klavier und Orchester, 1 Streichoktett, 2 Streichquintette, 7 Streich-
964 E^e Instrumentalmusik von 1828—1880
quartette, 1 Klaviersextett, 3 Klavierquartette, 2 Klaviertrios, 1 Violinsonate, 2 Cellosonaten, Variationen fur
Cello und Klavier. fur Klavier allein 4 Sonaten, 8 Hefte ,,Lieder ohne Worte", Charakterstiicke. Rondos, Fantasien,
Caprices, Variationen, Kinderstikke und 7 Praludien und Fugen, fiir Orgel 3 Praludien und Fugen und 6 Sonaten.
Frederic Francois Chopin kam als Sohn eines ausgewanderten Franzosen und einer Polin 1809 in Zelazowa Wola
bei Warschau zur Welt. Als Schiller des Direktors der Warschauer Musikschule, Josef Eisner, bald zum Wunder-
kind ausgebildet, iibersiedelte er als Zwanzigjahriger nach Paris, wo er als Pianist und Lehrer, von Konzertreisen
abgesehen, bis zu seinem Tode weilte. Er starb 1 849 an der Schwindsucht. An Instrumentalwerken (alle fiir oder
mit Klavier) hinterliefi er: 2 Klavierkonzerte, Don Juan-Fantasie, Fantasie iiber polnische Lieder, Krakowiak und
Polonase fiir Klavier und Orchester, 1 Klaviertrio, Duo concertant, 1 Senate und 1 Polonase mit Introduktion
fiir Cello und Klavier, 1 Rondo fur 2 Klaviere, fiir 1 Klavier 3 Sonaten, 4 Balladen, 1 Fantasie, 12 Polonasen,
1 Polonasefantasie, 56 Mazurkas, 25 Praludien, 19 Notturnos, 15 Walzer, 4 Impromptus, 3 Ekossaisen, 4 sonstige
Tanzstiicke, 3 Rondos, 4 Scherzi, 3 Variationen werke, I Trauermaisch, ein Konzertallegro und 27 Konzertetiiden.
Robert Schumann, 1810 in Zwickau (Sachsen) als Sohn eines Buchhandlers geboren, studierte in Leipzig und
Heidelberg Jura und zugleich bei Friedrich Wieck in Leipzig Klavierspiel und widmete sich seit 1830 ganz der Musik.
Durch eine selbstverschuldete Fingerlahmung um die Virtuosenlaufbahn gebracht, lebte er nun ganz der Komposition.
Sein Wohnsitz war bis 1844 Leipzig, wo er Lehrer am Konservatorium wurde und seit 1834 die ,,Neue Zeitschrift
fiir Musik" herausgab. 1840 vermahlte sich Schumann mit der grofien Pianistin Klara Wieck, der Tochter seines
Lehrers. 1844 — 50 Privatlehrer in Dresden, nahm er im letztgenannten Jahre die Stelle eines stadtischen Musik-
direktors in Diisseldorf an, mufite sie aber nach drei Jahren eines Gehimleidens wegen aufgeben. Nach einem Selbst-
mordversuch in der Irrenanstalt zu Endenich bei Bonn interniert, starb er daselbst 1856. Schumann schrieb folgende
Instrumentalwerke: 4 Symphonien, eine dreisatzige Symphonie (Ouvertiire, Scherzo und Finale), 5 Opern- resp.
Schauspielouvertiiren, 2 Konzertouvertiiren, 1 Klavierkonzert, 1 Cellokonzert, 1 Fantasie fiir Violine und Orchester,
1 Konzertstuck fiir 4 Horner, 1 Konzertstiick und 1 Konzertallegro fiir Klavier und Orchester, 3 Streichquartette,
I Klavierquintett, 1 Klavierquartett, 3 Klaviertrios, Fantasiestiicke fiir Klaviertrio, ,,Marchenerzahlungen" fiir
Klarinette (Violine), Viola und Klavier, Adagio und Allegro fiir Horn und Klavier, Fantasiestiick fiir Klarinette und
Klavier, 2 Violinsonaten, ,,Marchenbilder" fiir Violine (Viola) und Klavier, 3 Romanzen fiir Oboe und Klavier,
5 ,,Stiicke im Volkston" fur CeUo und Klavier, 6 Fugen iiber BACH fiir Orgel oder Pedalfliigel, Andante und Va
riationen fur 2 Kkviere, fiir Klavier zu 4 Handen: ,,Bilder aus Osten", 12 Klavierstiicke, Ballszenen, Kinderball,
fiir Klavier zu 2 Handen: Variationen iiber ABEGG, ,,Papillons", Studien nach Paganini, Intermezzi, Impromptus,
,,Davidsbiindler**, Tokkata, Allegro, ,,Kameval'*, 6 Konzertetiiden, Fantasiestiicke, 12 symphonische Etiiden, ,,Kinder-
szenen", ,,Kreisleriana", Fantasie, ,,Arabeske", ,,Blumenstiick", Humoreske, Novelletten, Nachtstiicke, ,,Faschings-
schwank aus Wien", 3 Romanzen, Kanonische Studien fur den Pedalfliigel, Skizzen fiir den Pedalfliigel, ,,Album fiir
die Jugend'*, 4Fugen, 4 Marsche, ,,Waldszenen", ,,Bunte Blatter", 3 Fantasiestiicke, ,,Albumblatter", 7 Klavierstiicke
in Fughettenform, ,,Gesange der Friihe", 3 Klaviersonaten, 3 Klaviersonaten fiir die Jugend.
Johannes Brahms, als Sohn eines Kontrabassisten 1833 zu Hamburg geboren, Schiiler seines Vaters und Eduard
Marxsens, wurde schon als Zwanzigjahriger von Schumann als kunftige Grofie erkannt und warm empfohlen. 1862
ging er von Hamburg, das er bisher nur als Lippescher Hofkapellmeister zu Detmold auf einige Jahre verlassen
hatte, dauernd nach Wien. Nach verschiedenen Versuchen, sich in Deutschland niederzulassen, kehrte er immer
wieder nach Wien zuriick, wo er zuerst die Konzerte der Singakademie, dann die der Gesellschaft der Musikfreunde
leitete. Mit Ehren aller Art (Ehrendoktoraten, Ebrenbiirgerrechten, Orden) iiberhauft, starb Brahms daselbst 1897.
Seine Instrumentalwerke sind: 4 Symphonien, 2 Orchesterserenaden, Variationen iiber ein Thema von Haydn, Aka-
demische Festouvertiire, Tragische Ouvertiire, 2 Klavierkonzerte, 1 Violinkonzert, 1 Doppelkonzert fiir Violine
und Cello, 2 Streichsextette, 2 Streichquintette, 1 Klarinettquintett, 3 Streichquartette, 1 Klavierquintett,
3 Klavierquartette, 4 Klaviertrios, 1 Klaviertrio mit Klarinette, 3 Violinsonaten, 2 Cellosonaten; fiir Klavier zu
4 Handen: Variationen iiber ein Thema von Schumann, Walzer, Ungarische Tanze; fiir Klavier zu 2 Handen: 3 So
naten, 4 Balladen, 2 Rhapsodien, Capricci und Intermezzi, Fantasien, 5 Variationenwerke, fiir Orgel Praludien und
Fugen und Choralvorspiele.
Hector Berlioz wurde 1803 zu Cote St. Andre* im Departement Isere geboren, Als Sohn eines Arztes gleichfalls
zum Mediziner bestimmt, erzwang er sich die Musik als Lebensberuf und studierte am Pariser Konservatorium
unter Lesueurs Leitung. Paris blieb auch fernerhin sein Aufenthaltsort, wo er als Komponist, Lehrer, Schriftsteller
(Mitarbeiter von Musikzeitungeri) und Konservator (spater Bibliothekar) des Konservatoriums wirkte und 1869 starb.
Seine ersten Erfolge erzielte er auf seinen Reisen in deutschen Gebieten. Berlioz hinterliefi an Instrumentalwerken
3 Symphonien, 8 Opern- und Schauspielouvertiiren und 1 ,,Trauer- und Triumphsymphonie."
Franz Liszt, 181 1 zu Raiding bei Odenburg (damals Ungam, jetzt Osterreich) geboren, wurde von seinem musi-
kalischen Vater, einem Gutsverwalter, anfanglich unterrichtet und spater in seiner kiinstlerischen Entwicklung ttber-
wacht. 1821—23 in Wien als Schuler Czernys und Salieris bedeutend gefordert, iibersiedelte er im letztgenannten
Jahre nach Paris, wo er, von grofien Konzertreisen durch ganz Europa abgesehen, bis 1849 als Virtuose, Lehrer.
Die Instrumentalmusik %on 1828—1880 965
Komponist und Schriftsteller tatig war. Grofien EinfluB auf ihn iibten Berlioz, Chopin und Paganini. 1849 — 61
weilte er als Hof kapellmeister in Weimar, nachher bis zu seinem Tode abwechselnd in Rom, Weimar und Budapest.
1865 empfing er in Rom die niederen Weihen und wurde Abbe. Sein Leben war an aufieren Ehren noch reicher als
das Mendelssohns. 1886 starb er in Bayreuth. An Instrumentalwerken schrieb Liszt: 2 Symphonieri, 13 symphonische
Dichtungen, ,,Episoden aus Lenaus , Faust'", Kiinstlerfestzug, Festmarsch, Festvorspiel, Huldigungsmarsch, ,,Voni
Fels zum Meer", 2 Klavierkonzerte, ,,Danse macabre" fiir Klavier und Orchester; fur {Clavier aliein : Concerto pathe-
tique, 15 ungarische Rhapsodien, Rhapsodic espagnole, 1 Senate, Fantasie und Fuse iiber BACH, 2 Balladen,
1 Berceuse, 2 Legenden, 2 Elegien, 1 Impromptu, iiber 30 Charakterstiicke, 2 Variationemverke und zahlreiche
Paraphrasen iiber.fremde Werke sowie Transkriptionen von solchen (auch fiir 2 Kla\iere), endlich 3 Duos fur Violine
und Klavier.
Richard Wagners (1813 — 83) Instrumentalwerke sind neben den Vorspielen seiner Opern 2 Schauspiel- und
5 Konzertouvertiiren, Huldigungsmarsch, Kaisermarsch, Festmarsch, Siegfriedidyll, fiir Klavier 3 ..Albumblatter",
1 Senate, I Polonase und 1 Fantasie, endlich ein Streichquartett (wie die meisten Klavierstiicke ein Jugendwerk).
Anton Bruckner wurde 1824 in Ansfelden in Oberosterreich als Sohn eines Dorfschullehrers geboren. Seine
kunstlerische Ausbildung erhielt er als Schiller seines Vaters, dann als Sangerknabe in St. Florian, spater bei Simon
Sechter (1788 — 1867, Hof organist und Professor am Konservatorium) in Wien und Otto Kitzler in Linz; einen groBen
Teil seiner Kenntnisse und Technik erwarb er aber autodidaktisch. Schon wahrend der Lernzeit nach kurzer Tatig-
keit als Schulgehilfe Stiftsorganist in St. Florian und seit 1 855 Domorganist in Linz, wurde er 1 867 nach Sechters
Tode dessen Nachfolger als Hof organist und Konservatoriumsprofessor in Wien, spater auch Lektor fiir Musik-
theorie an der Universitat. 1891 erhielt er das Ehrendoktorat der Wiener philosophischen Fakultat. 1896 starb
Bruckner in Wien. Seine Instrumentalwerke bestehen in 9 Symphonien, 1 Streichquintett und 1 Klavierstiick.
Mit Mendelssohn erhalt in der deutschen Romantik die einsatzige Form das Ubergewicht :
neben den zahlreichen ,,Liedern ohne Worte" u. dgl. fallen die 4 Sonaten quantitativ kaum
ins Gewicht. Die Bezeichnung ,,Lied ohne Worte" ist sehr gliicklich gewahlt; ganz abgesehen
von der asthetischen Analogic zwischen dem kleinen lyrischen Gesangs- und Instrumentaistiick,
gleicht so manches dieser Klavierwerkchen in seinem aus Vorspiel, Kantilene und Nachspiel
bestehenden Aufbau ganz den Liedern seiner Zeit. Auch unter den Orchesterwerken treten die
Konzertouvertiiren stark hervor. Die zyklischen Formen erleiden betrachtliche (allerdings nicht,
wie bei Beethoven, fallweise, sondern prinzipielle) Modifikationen. So sind in der ,,schottischen"
Symphonic die Satze in pausenloser Folge zu spielen und melodisch miteinander verbunden,
innerhalb der Sonatenf orm arbeitet Mendelssohn auf die moglichste Dif ferenzierung der Reprise
gegeniiber der Exposition hin (vgl. ,,Hebriden"~Ouverture), im Konzertsatz entfernt er das
einleitende Tutti und beginnt sofort mit dem Solo, was fiir das romantische Konzert vor-
bildlich wurde. Ganz besondere Betrachtung erfordert Mendelssohns Scherzo. Nachdem die
Sonatenform langst das selbstverstandliche Gestaltungsschema fiir alle Satztypen der klassischen
Instrumentalmusik geworden war, hatte man im Scherzo zu Kontrastzwecken an der alten
Tanzform mit Trio festgehalten und nur insofern eine Angleichung an den Sonatenbau herbei-
gefuhrt, als die Dreigliederung in Exposition, Durchfiihrung und Reprise erfolgte. Mendels
sohn vollendete nun die Entwicklung des Scherzo im Sonatensinne, indem er ihm voile Sonaten
form verlieh und infolge des Kontrastes von Haupt- und Seitensatz auf das kontrastierende
Trio verzichten konnte. Damit soil nicht gesagt sein, dafi der altere Typus mit Trio fehlte,
was durchaus nicht der Fall ist; aber schon seit den Friihwerken (z. B. dem Streichoktett
op. 20) begegnet das triolose Scherzo in voller Sonatenform, sowohl als Bestandteil zyklischer
Werke als auch als Einzelsatz, um etwa in der ,,Schottischen Symphonic" den Hohepunkt
der Entwicklung zu erreichen. Diese Art Scherzi ist es auch meist, worin sich Mendelssohns
beriihmte ,,EIfenmusik" entfaltet. Beethovens 9. Symphonie folgt der ,,Lobgesang" insofern,
als sich hier drei Symphoniesatzen eine vollstandige Kantate anschlieBt, weshalb der Meister
das Werk ,,Symphonie~Kantate" benennt Bei Weber begegnete das Obersinnliche als
956 £^e Instrumental musik von 1828 — 1880
Hollenspuk und Elfenspiel (im ,,Freischiitz" resp. ,,0beron"), Mendelssohn ist unerschopf-
lich in musikalischer Schilderung des Elfentreibens (,,Sommernachtstraum", Scherzo des
Oktetts, viele Kiavierstiicke). Ebenso ist er durch Archaisieren und Exotisieren echter
Romantiker. In der ,,schottischen" und ,,italienischen" Symphonic wie in der ,,Hebriden"~
Ouvertiire steck mancherlei melodisches Nationalgut. In der Verwendung altklassischer
Mittel ist Mendelssohn kein sklavischer Nachahmer; wie das Vorspiel zum ,,Paulus"
(franzosische Ouvertiire mit Choralvariation als langsame Einleitung und Kronung der Fuge
durch den gleichen Choral) und die Orgelsonaten zeigen, schaltet er mit den iibernommenen
Mitteln frei, bildet neue Kombinationen und arbeitet die Mittel seiner Zeit hinein. Auch in
der Instrumentation geht Mendelssohn, wenn auch nicht durch Erweiterung des Orchester-
korpers, iiber die Friihromantik hinaus, besonders durch ausgiebige Heranziehung der Holz-
blaser zu Begleitzwecken.
Noch sei im besonderen auf einige Werke resp. Kompositionsgattungen hingewiesen. In
einsatzigen Klavierstiicken mit langsamer Einleitung (Rondos, Capricci) steht bisweilen die
Introduktion in Dur und das Allegro in Moll, also in Umkehrung der klassischen Praxis, ein
Dur-Allegro mit einer Moll-Einleitung zu versehen (vgl. ,,Don Juan" -Ouvertiire, Haydns letzte
Symphonic in D-Dur). In den Orgelsonaten hat Mendelssohn zyklische Formen geschaffen,
die sich aus Elementen der Wiener klassischen Sonate, der Tokkata (mit Fuge) und der Choral-
bearbeitung zusammensetzen ; diese hochoriginellen Formen gaben das Vorbild fur die gesamte
romantische Orgelmusik bis zu Regers Auftreten ab. Das Streichoktett steht im Gegensatz zu
Spohrs, for die gleiche Zahl von Instrumenten komponierten Doppelquartetten, die ganz das
venetianische Prinzip der ,,Chori spezzati" aufweisen, also die beiden geschlossenen Quartette
miteinander abwechseln lassen und nur in Steigerungen und Hohepunkten zum achtstimmigen
Ensemble vereinigen: Mendelssohn verwendet durchwegs den achtstimmigen Klangkorper
(z. B. ein oder zwei fiihrende Instrumente, die anderen begleitend) und greift nur gelegentlich
zur Chorspaltung. Nach allem Gesagten kann Mendelssohn der Vorwurf des Epigonentums
nicht treffen ; seine jiingeren Werke leiden allerdings unter allzu gleichmaBiger Rhythmik der
Melodic und allzuwenig motivischer Arbeit in der Setzweise. Als Mensch war Mendelssohn
ein untadeliger, von Schillers und Beethovens Idealismus erfiillter Charakter, der nur ethisch
hochststehende Kunstziele anerkannte und von Neid nichts wufite; auch Werken gegeniiber,
deren Form und Inhalt sich ihm nicht vollig erschloB — so manches Opus des letzten Beethoven
und Berlioz* Symphonik befriedigte ihn kunstlerisch nicht — , nahm er nie eine ablehnende
Haltung ein.
Noch markanter tritt bei Chopin das einsatzige Klavierstiick hervor, was sich auch in der
Fiille neuer Bezeichnungen fur dieses auBert: neben ,,Impromptu" tritt ,,Ballade" (als er*-
weitertes ,,Lied ohne Worte"), ,,Notturno", ,,Praludium", ,,Scherzo", der allgemeine Titel
weicht speziellen Charakerbezeichnungen. Die Polonase erreicht einen hohen Stilisierungsgrad,
sie wird auch mit zum Charakterstiick: dafiir liefern die Mazurkas kaum oder wenig
stilisiertes Volksgut und damit wertvolle Bereicherungen der Melodik und Harmonik. Die
Weiterausbildung der Harmonik (durch Mediantenwirkungen, Nebendominanten, weitgehende
Akkordvertretungen usw.) ist iiberhaupt eines der wichtigsten Ausdrucksmittel Chopins,
ebenso wie ein neuer (nur in wenigen Satzen Beethovens, Schuberts, Webers und Mendelssohns
vorgebildeter) Klaviersatz, der Melodic und Begleitung aufs innigste verwebt und zahllose
Die Instmmentalmusik von 1828—1880 967
bisher unentdeckte Klangmoglichkeiten des Hammerklaviers ausniitzt. Inhaltlich ist Chopins
Romantik trotz seiner franzosisch-polnischen Abstammung der deutsch-sensitiven nahestehend;
die unendliche Zartheit seiner Empfindung geht freilich oft — eine Folge seines Gesundheits-
zustandes — an krankhafte Reizbarkeit heran. Spezifisch polnisch an seiner Kunst nennt
Franz Liszt die tiefe, schmerzliche Sehnsucht, die aus so vielen seiner Werke spricht. Im
Hinblick auf so manchen Satz aus Schumanns und anderer Zeitgenossen Werken ist man
freilich zur Annahme geneigt, dafi es sich dabei eher um ein Stimmungsgebiet der Romantik
iiberhaupt handelt, das bei Chopin durch die Leiden einer aussichtslosen Krankheit zu be-
sonderer Tragik vertieft ist. Die polnische Chopin-Literatur sieht das nationale Element
inhaltlich in den Balladen am starksten entwickelt, denen, dem epischen Titel entsprechend,
ganze Programme, der polnischen Geschichte entnommen, unterlegt werden.
Robert Schumanns kunstlerische Entwicklung ist eigentiimlicher Art. Im ersten Jahrzehnt
seines Schaffens (1830—40) entstehen fast ausschliefilich Klavierwerke und zwar hauptsachlich
Vertreter des einsatzigen Charakterstiicks (Papillons, Intermezzi, Impromptus, Davidsbiindler,
Carneval usw.). Erst um 1840 wendet sich Schumann grofieren Formen und Klangkorpern
sowie der Vokalmusik zu (Sonaten, Symphonien, Kammermusik, Lieder, Oratorien, Oper) ;
das genannte Jahr, der Zeitpunkt seiner Vermahlung, bildet also einen Markstein in der
Geschichte seines Schaffens. Er beginnt demnach als Lyriker des Klaviers, das diesbeziig-
lich iiber Chopin Gesagte gilt fast uneingeschrankt auch fur ihn. Einen wichtigen Fort-
schritt bildet aber die Zusammenstellung einsatziger Charakterstiicke zu freien Zyklen (,,Da-
vidsbiindler", ,,Kreisleriana"), die mit dem Sonatenzyklus nichts zu tun haben und eher der
Suite ahneln — die instrumental Analogic zum romantischen Liederzyklus. Als Symphoniker
folgt Schumann mit der Fiinfsatzigkeit seiner ,,rheinischen" Symphonic in Es-Dur Beethovens
(Pastorale) und wohl auch Berlioz' Beispiel, mit der pausenlosen, thematisch einheitlichen
D-Moll-Symphonie Mendelssohns Vorbild. Letzteres Werk enthalt auch sonst bemerkens-
werte technische Einzelheiten ; so bringt im Finale die Exposition keinen Seitensatz, sondern
dieser erscheint erst in der Durchfuhrung. Damit ist das Prinzip des ,,mittleren" Beethoven,
die Modulation der Durchfuhrung durch einen neuen melodischen Kontrastgedanken zu
kronen, zur letzten Konsequenz gefuhrt, da eben die Durchfiihrung iiberhaupt erst den Kon-
trast aufstellt. Schumanns Ouvertiiren sind natiirlich ,,psychische" Programmusik in Beet
hovens Sinne und, soweit sie Vokalwerken vorangehen, auch melodisch mit diesen verkniipft.
Das Klavierkonzert in A-Moll zeigt Mendelssohns Vorbild: das einleitende Tutti fehlt, der
Satz beginnt mit dem Solo und der weitere Wechsel von Tutti und Solo hat rein klangliche,
keine formbildende Bedeutung ; ferner ist die Kadenz des ersten Satzes (wie schon in Beethovens
Es-Dur- Konzert) ausgeschrieben, nicht mehr der Improvisation iiberlassen, doch steht sie an
der herkommlichen Stelle am Ende des letzten Solo und nicht, wie in Mendelssohns Violin-
konzert, am Ende der Durchfuhrung. Die Geschichte dieses Klavierkonzerts ist wieder typisch
fur seinen Meister und die Zeit. Schumann schrieb urspriinglich den ersten Satz als Werk
fur sich, ,,Phantasie fur Klavier und Orchester" betitelt, und in dieser Gestalt erlebte das
Konzert seine Urauffiihrung. Erst Jahre spater, in der Zeit der Symphonien, komponierte er
die beiden anderen Satze dazu ; das Werk zeigt also in sich die Entwicklung des Schumannschen
Schaffens vom einsatzigen Charakterstiick zuriick zur zyklischen Form. In seiner Kammer
musik mit Klavier erscheint infolge der damaligen Vervollkommnung des Pianoforte eine neue
968 Eta Instrumentalmusik von 1828—1880
Art der Klanggruppierungen. Der Ton des Klavicembalo und der Hammerklaviere alterer
Bauart hatte sich mit dem Streicherklang gut verschmolzen und so sind in Violinsonaten,
Klaviertrios u. dgl. bis zu Schubert hinauf haufig Stellen anzutreffen, an denen nach einer
Violinkantilene mit Klavierbegleitung das Klavier die Melodic und die Violine die Begleitungs-
figuren (gewohnlich Akkordbrechungen) iibernimmt (vgl. z. B. die ersten Satze der ,,Friih-
lingssonate" von Beethoven und des Klaviertrios in B-Dur von Schubert). Zweifellos klangen
derartige Stellen auf den gleichzeitigen Instrumenten gut. Die Klaviere von 1840 aber ge-
statteten die Begleitung durch ein Saiten instrument nicht mehr und so treten seit Schumann
Klavier und Streicher, soweit sie nicht unter rein begleitender Funktion des Tasteninstruments
zusammenarbeiten, einander als getrennte, rivalisierende Klangkorper gegeniiber. Schumanns
solistische Klaviermusik erhalt eine besondere Note durch eine gewisse Phantastik, die seiner
Vorliebe fur die Dichtungen E. T. A. Hoffmanns und Jean Pauls entspringt. Der oft ans
Bizarre streifende Humor der ,,Kreisleriana", der ,,Papillons", des ,,Faschingsschwanks"
stammt aus diesen Quellen. Sehr bezeichnend Jst nun, dafi sich der Ubergang zu den zyklischen
Formen von 1840 nicht auf diesen formalen Zug beschrankt: mit der Form der Symphonic
halt auch der heroische Geist Beethovens seinen Einzug, was besonders die Schlufisatze der
Symphonien Nr. 2—4, von ,,0uvertiire, Scherzo und Finale" sowie vieler Kammermusik-
werke zeigen. Ja, in einigen dieser Finali geht das Heldenhafte in eine Ekstase iiber (z. B. Sym
phonic C-Dur und ,,Ouvertiire, Scherzo und Finale")* die an Liszt, stellenweise sogar an
Bruckner gemahnt und beweist, wie sehr dieser ekstatische Geist, unbekiimmert um die
einzelnen Kunstrichtungen, die Zeit beherrschte. So ist Schumanns Schaffen die getreueste
musikalische Widerspiegelung der deutschen Hochromantik, des Zeitalters Lenaus, Tiecks und
Jean Pauls. Auch seine kunstlerische Personlichkeit ist von hochstem Idealismus erfallt ; neidlose
Anerkennung aller bedeutenden Kunstleistungen, auch kleinerer Geister, begeistertes Eintreten
for jeden wahren Fortschritt (so far Berlioz, Chopin, den jungen Wagner und Brahms) machen
seine in der ,,Neuen Zeitsschrift fur Musik" erschienenen Kritiken zu vorbildlichen Mustern.
Johannes Brahms kniipfte unmittelbar an Schumann an, hiitete sich aber als Nord-
deutscher und Gegner der ,,neudeutschen" Schule vor jedem Gefuhlsiiberschwang; seine
(auch formale) Hinneigung zum hochklassischen Geist hat ihn far viele zum ,,Klassizisten"
gestempelt. Das romantische Archaisieren fahrte ihn zur Wiederbelehung der Choralbear-
beitung (nach Mendelssohns Vorbild) und der Basso-ostinato-Formen, die er als Finale
zyklischer Kompositionsgattungen (4. Symphonic E-Moll, Haydn- Variationen) verwendete.
Neue Komplikationen der Harmonik und der Setzweise sind wichtige Bestandteile der
Tonsprache far seine tiefe und innige, aber meist fest im Zaum gehaltene Empfindung.
In der zyklischen Formgebung der Symphonic greift Brahms eine Eigentumlichkeit des ,,mitt-
leren" Beethoven auf: die Behandlung des Scherzo als gemachlichen Satz, im Geiste des
Menuetts, wenn nicht als solches selbst. Die Scherzi der ersten drei Symphonien von Brahms
tragen die Bezeichnungen ,,(Un) poco Allegretto** resp. ,,Allegretto grazioso (Quasi Andan-
tino)", sind also in sehr mafiigen Tempi gehalten und auch melodisch entsprechend kantabile
ausgestattet. Nur die 4. Symphonic hat ein echtes Scherzo (Allegro giocoso). Ein wichtiger
Bestandteil noch der friihromantischen Symphonic ist in der zweiten Halfte des 19. Jahrhun-
derts in Riickbildung begriffen: die Ungsame Einleitung des ersten Allegro-Satzes. Noch bei
Mendelssohn und Schumann sehr beliebt, tritt sie bei Brahms nur in der 1 . Symphonic auf,
Die Instrumcntalmusik von 1828—1880 969
hier allerdings auch im Finale. Bei Bruckner ist der Prozentsatz noch ungiinstiger: einmal
in neun Werken (5. Symphonic). Sonst ist Brahms als Symphoniker prinzipiell iiber Beethovens
Formgebung nicht hinausgegangen, auch nicht, was die Wahl der Seitentonarten und die Modu
lation anbelangt; eine Ausnahme bildet nur das schon erwahnte Finale der 4. Symphonic
in Passacagliaform. Von Brahms* Ouvertiiren zeigt die ,,tragische" ganz den Aufbau eines
Beethovenschen Programmstiickes (etwa ,,Coriolan"~Ouverture), nur ist das ,,Programm"
eben verschwiegen, sodafi der Eindruck eines ersten, tragischen Symphoniesatzes entsteht.
Die ,,Akademische Festouvertiire" entnimmt ihr melodisches Material gangbaren Studenten-
liedern und klingt (ahnlich Webers ,Jubelouvertiire", die vom ,,HeiI dir im Siegerkranz" ge-
kront wird) in das ,,Gaudeamus" aus. Auch Brahms' Variationstechnik kniipft an die Beet
hovens an. Wie dieser in seinen letzten diesbeziiglichen Werken manchmal die herkommliche
Art, sich im Verlauf der Variationen schrittweise vom Thema zu entfernen, verlafit und gleich
als erste Variation ein Gebilde bringt, das Vorganger oder Zeitgenossen erst als weit spatere
Variation gewagt hatten, verschmaht auch Brahms oft das allmahliche Abriicken vom Modell
in Figuralvariationen und reiht nur starke Umbildungen des Themas (als Charaktervariationen)
aneinander. Unter Brahms' Konzerten fallt als einer der letzten Vertreter des ,,Concerto grosso"
resp. der ,,Konzertanten Symphonic" das ,,Doppelkonzert" fur Violine und Violoncello auf.
Die Komplikation der motivischen Arbeit entfaltet sich naturgema'6 am ausgepragtesten dort,
wo sic einst entstanden war, in der KammermusiL Schon gelegentlich der Besprechung von
Schumanns Kammermusik mit Klavier ist erwahnt worden, daB sich infolge der Fortschritte
im Klavierbau das Verhaltnis des Tasteninstruments zu den Streichern verschoben hat: die
vollige Verschiedenheit des neuen Klaviertons gestattet das Klavier nur als Begleiter oder
Widerpart des geschlossenen Streicherkorpers anzuwenden. Brahms, der eine noch weiter
gehende Entwicklung des Pianoforte erlebte, arbeitete natiirlich ganz in Schumanns Sinne,
nur dafi, seiner Eigenart entsprechend, auch die rein begleitenden Partien weit kompliziertere
Gestaltung erhielten. Die Kammermusik mit Blasern bringt einen wichtigen inhaltlichen Fort-
schritt. Derartige Ensembles hatten bisher fast ausnahmslos Divertimento-Charakter getragen.
So ist selbst Beethovens Klarinett-KIaviertrio in B-Dur mit seiner inhaltlichen und satztech-
nischen Einfachheit und seinen Weigl -Variationen als Finale ein unverkennbarer Abkommling
jener Art edler Unterhaltungsmusik. Das andert sich nun bei Brahms griindlich, seine Kammer-
musikwerke mit Horn oder Klarinette haben mit dem Divertimento nichts mehr zu tun, sic
weisen inhaltlich wie satztechnisch die voile Hohe und Tiefe seiner Kammerwerke mit Streich-
instrumenten auf. Als Klavierkomponist erscheint Brahms wohl am deutlichsten als Schiller
der deutschen Romantik: drei Sonatcn gegeniiber zahlreichen einsatzigen Charakterstiicken.
Die Edward-Ballade op. 10 und das Wiegenlied- Intermezzo op. 117 haben poetische pro
gramme" in Schumanns Sinn, bei vielen anderen Stiicken scheinen poetische Deutungen
naheliegend. Aber auch innerhalb dieser Gattung ist eine prinzipielle Weiterbildung zu ver-
zeichnen: das einsatzige Charakterstiick, das bisher nur als langsamer Satz, Scherzo oder
Rondofinale einer zyklischen Komposition gebaut war, kann nun auch die Form eines ersten
Sonaten-Allegro annehmen (vgl. die G-Moll-Rhapsodie). Interessanterweise teilt Brahms mit
seinem Widerpart Liszt die Vorliebe fur ungarische Volksmelodik; die magyarisch inspirierten
Werke Haydns und Schuberts erhalten so eine Fortsetzung bis tief ins 19. Jahrhundert hinein.
Seine letzten Werke leiten unmittelbar zu Max Reger iiber.
970 Die Instrumentalmusik von 1828— 18SO
Berlioz wagte es als erster, alle kompositionstechnischen Errungenschaften des ,,letzten"
Beethoven zu verwerten, allerdings im Dienste anderer Inhalte, der (freilich auch von Beet
hoven gepflegten) Programmusik realistischer Art. Die ,,Phantastische Symphonic" vveist 5 Satze
auf (wohl in Anlehnung an die ,,Pastorale'\ denn der iiberzahlige Satz ist auch bei Berlioz
der vorletzte, der ,,Henkermarsch"), die Symphonic ,,Romeo und Julia'* garsieben. Zweifellos
gehen die vokalen Teile des letztgenannten Werkes auf Beethovens ,,Neunte" zuriick, wie ja
(um es gleich hier festzustellen) auch Mendelssohns ,,Lobgesang", Liszts vokale Schliisse der
,,Faust"- und der ,,Dante" -Symphonic unci Mahlers Symphoniechore ohne dieses Vorb:ld nicht
zu denken sind. Doch waren Programme wie das der ,,Phantastischen" und der ,,HarokT-
Symphonie bei Beethoven undenkbar. Zur Durchfiihrung seiner programmatischen Absichten
verwendet Berlioz die ,,Idee fixe", die ,,Leitmelodie" : ein melodisches Gebilde, das erne be-
stimmte Personlichkeit symbolisiert, zieht sich durch alle Satze und die Erlebnisse dieser
Person aufiern sich als Variieningen der Melodie. Da6 hier eine wichtige Wurzel von Wagners
,,Leitmotiven" liegt, ist War. In der Symphonic ,,Harold in Italien" tritt zur Idee fixe ein
,,Leitinstrument" : der Held ist aufier durch sein Thema noch durch eine Solobratsche
gekennzeichnet. Harmonik und Stirnmfuhrung haben freilich nichts mit Beethovens Stil
zu schaffen; erstere strebt nach der Loslosung vom Tonartbegriff und letztere ist ein-
fachste Homophonie ohne nennenswerte motivische Arbeit. Daftir iiberschreitet der
Orchesterapparat den friihromantischen bei weitem; Berlioz arbeitet auf die Dreizahl der
bisher nur doppelt besetzten Blaser los, erweitert das Schlagwerk und nimmt die Harfe
auf. Diese machtigen Mittel vereinigt er zu neuen Klangen verschiedenster Farbung und
Ausdruckskraft.
Berlioz fand das ihm in der Heimat versagte Verstandnis bei Franz Liszt, der als Dirigent,
Arrangeur, Interpret und literarischer Anwalt der Werke des Franzosen auftrat und schliefilich
selbst in dessen Geiste schuf. Doch beniitzte er auBer in der ,,Faust"~ und der ,,Dante*'-
Symphonie eine eigene, aus der romantischen Klavierfantasie hervorgegangene knappe Form,
die ,,symphonische Dichtung", welche die verschiedenen Satze der Symphonic in Verkiirzung
und beliebiger Gruppierung zu einem einzigen, mehrteiligen Satze zusammenschliefit. Homo
phonie und glanzende Instrumentierung wurde von Berlioz iibernommen. Als Klavierkom-
ponist gerat Liszt in die Bahnen der ,,Salonmusik", technisch aber hat er Klaviersatz und
Schwierigkeiten wieder iiber Chopin hinaus bereichert und gesteigert.
Richard Wagner kommt hier nur als Ouvertiirenkomponist in Betracht. Heinrich Marsch-
ner hatte in seinen Opernvorspielen Webers Technik formal und inhaltlich festgehalten und
Wagners erste Ouvertiiren schlieBen sich gleichfalls an: Sonatenform mit Beniitzung cha-
ralcteristischer Opernmelodien. Hochstens ist die Reprise aus tondichterischen Griinden mehr
oder weniger reduziert. Seit dem ,,Lohengrin" (1847 vollendet) ging Wagner zu einer knap-
peren Form iiber, die nur den allerinnersten Kern der Handlung wiedergeben sollte, so im
,,Lohengrin4* das Nahen, Wirken und Entschweben des Gralsritters. In der ,,Meistersinger"~
Ouvertiire griff Wagner wieder zur Sonatenform mit Durchfiihrung und einer Pseudo-Reprise,
die sich als durchfiihrungsartige Koda (kontrapunktische Kombinierung des gesamten Themen-
materials) entpuppt, um in den ,,Ring"-Vorspielen (wie Gluck in der ,,Iphigenie in Tauris**)
nur Introduktionen in die ersten Szenen der ersten Akte zu geben. Da6 Wagner die ,,neu-
deutsche** glatte Homophonie durch reiche motivische Arbeit und sogar wirkliche Polyphonic
Die fnstnimentalmusik von 1828—1880 971
ersetzte, wurde schon betont. Dabei wurde aber Liszts grofies Orchester iibernommen, aber-
mals vergroBert und eben durch die sorgfaltige Stimmfahrung, die die einzelnen Klangfarben
melodisch hervortreten Iie8, erst zur volligen Geltung gebracht.
Anton Bruckner, der eine durchaus deutsch-romantische Ausbildung genossen hatte, fiihlte
sich schon durch die erste Bekanntschaft mit Wagners Werken so begeistert, da6 er seine Me-
lodik und Harmonik, wo sie nicht im osterreichischen Volkston wurzelt, ganz auf die Wagners
einstellte. So entstand eine Art Synthese: vollstandige, tondichterisch inspirierte, aber der Ton-
malerei fernstehende Symphonien, deren Melodik sich zwischen osterreichische Volksweisen,
choralahnliche Melodien und Wagnersche Urmotive iiber Tremolobegleitung teilt, deren Har
monik auch nichts Wagnersches fremd ist, deren Stimmfiihrung kontrapunktisch gesattigt ist
und deren Klangwirkungen iiber Wagners gesamte Farbenskala verfugen. Hatte sich Beet
hoven auf philosophischem Wege iiber Welt und Schicksal hinweggesetzt, so war Bruckners
Stiitze der Glaube; die Choralklange in seinen Werken haben tiefe tondichterische Bedeutung.
Innerlichste religiose Ekstase ist far sein Schaffen iiberhaupt bezeichnend. So sparlich die
Faden sind, die sich in satztechnischer Hinsicht von Mendelssohn zu Bruckner ziehen, die
,,Religiose Symphonic" hat wohl einzig bei Mendelssohn ihre Vorlaufer. Des Meisters Auf-
fassung von der Wiirde der Symphonic als Kompositionsgattung scheint iibrigens nur seiner
eigenen Meinung von der Wiirde der Kirchenmusik und der Wagners von der Bedeutung des
Musikdramas vergleichbar. Die symphonische Form war ihm offenbar Ausdrucksmittel nur
far das Allerhochste, denn bei alien noch so starken Kontrasten innerhalb der einzelnen Werke
weichen die Symphonien als Ganzes im Charakter nicht im entferntesten so stark voneinander
ab, wie die der fruheren und gleichzeitigen Symphoniker. Stimmungen wie in Beethovens
1 ., 2., 4., 6., 7., 8., wie in Mendelssohns A-Dur-, Schumanns B-Dur-, Brahms' 2. und 3. Sym
phonic sind in Bruckners Symphonik undenkbar, eine Beschrankung der Kunstinhalte, die
eben offenbar der hochsten Meinung vom Wesen der Symphonic entspringt.
In der Formgebung weisen Bruckners Symphonien viele eigenartige Ziige auf. Im Gegensatz
zu Brahms entspricht das Scherzo immer dieses Namens eigentlichster Bedeutung, wenn auch
im Trio weit ruhigere, stark kontrastierende ZeitmaBe vorkommen. Fur den Bau der einzelnen
Satzgruppen ist zweierlei bezeichnend: die Dreiteiligkeit und das Ausklingen im pp. Jede
beliebige Gruppe eines beliebigen Satzes (Ecksatze, langsamer Satz, Scherzo) ist in der
Regel dreiteilig angelegt. Und in samtlichen Gruppen (Hauptsatz, Seitensatz, Epilog,
Durchfahrung) folgt meist einer gewaltigen Steigerung ein mehr oder weniger plotzliches
Absinken und Verklingen, so daB der Einsatz des folgenden Abschnittes geradezu spannend
vorbereitet erscheint. Die grofie Wirkung der machtigen Kodagruppen beruht geradezu
auf dem Verhauchen der vorhergchenden Reprisenepiloge. Dreiteiligkeit und dynamischer
Aufbau arbeiten natiirlich Hand in Hand (Aufschwung — Hohepunkt — Abklingen). Die
konsequente Anwendung der Dreiteiligkeit hat iibrigens bei Schubert bemerkenswerte
Vorbilder. Besonders charakteristisch ist die eben behandelte Technik an der Ubergangs-
stelle zur Reprise: Bruckners verdammernder DurchfahrungsschluB und zart aufleuchten-
der Reprisenbeginn ist unverkennbar. Der Orgelstil, dem Meister von seiner beruflichen
Tatigkeit her wohlvertraut, kommt in den Symphonien in verschiedenster Weise zur Geltung,
besonders in Stimmfahrung und Instrumentation. So ist Bruckners Kontrapunkt wirklich
polyphone Stimmfahrung. In der Instrumentation kommt der Orgelklang nicht nur im
62 H. d. M.
OJ2 Die Instrumentalmusik von 1828—1880
Pleno des ganzen Orchesters zum Vorschein, sondern auch besonders in zart gehaltenen
Holzblaserstellen, die freilich selbst bei bester Ausfiihrung der Klangwirkung eines Orgel-
pianissimo nicht nahekommen konnen. Bruckners Streichquintett ist zweifellos eines der
ersten Kammermusikwerke, darin der Stil des spaten Wagner kleinen Ensembles zugefuhrt
wird. Doch zeigt gerade dieses Werk, besonders sein langsamerSatz, daft Bruckners Wirkungen
durchaus nicht in erster Linie den Orchesterklangen zu verdanken sind; Melodik, Harmonik,
Stimmfiihrung und Dynamik tragen die Wirkung, im Gegensatz zu Berlioz und Liszt. Sehr
mit Unrecht wurde Bruckner unlogische, unklare Formgebung zum Vorwurf gemacht. Die
Gestalt freilich, in der viele Satze seiner Symphomen zum Druck und zur Auffuhrung ge~
langten und noch heute gelangen, lafit oft derartige Anwiirfe gerechtfertigt erscheinen:
auf den Rat ,,wohlmeinender" Freunde vorgenommene Kiirzungen entstellen vielfach den
organischen, echt sonatenmaBigen Satzbau.
Wagners Kunst hatte sich vor 1880 noch nicht allgemein durchgesetzt und so war die Zahl
seiner Geistesschiiler bis dahin nicht grofi; unter den kleineren Meistern der Epoche iiber-
wiegen daher die Vertreter der alteren Art deutscher Romantik. Genannt seien: Franz Lach
ner (1803—90), Ferdinand Hiller (1811—58), Stephen Heller (1813—88), Robert Volk-
mann (1815—83), Joachim Raff (1822—82), der Franzose Cesar Franck (1822—90), Felix
Draseke (1835—1913), Max Bruch (1838-1920), Josef Rheinberger (1839—1901), Her
mann Gotz (1840—1876). Viele davon, wie Volkmann, Raff und Franck, neigen in sympho-
nischen Dichtungen und anderen Programmwerken der f ranzosisch-neudeutschen Schule zu, der
Felicien David (1810— 71)und Karl Gold mark (1830— 1915) ganz zugehoren. Neben diesen
Meistern stehen die komponierenden Dirigenten, die Vertreter der ,,Kapell meister musik" :
Karl Gottlieb Reissiger (1789—1859), Peter Joseph von Lindpaintner (1791—1856),
Ignaz Lachner (1807—95), Vincenz Lachner (1810—93), Heinrich Esser (1818—72) u. a.,
die komponierenden Klaviervirtuosen: Henry Herz (1803—88), Sigismund Thalberg
(1812—71), Adolf Henselt (1814—89), Alexander Dreyschock (1818—69), Henry Litolff
(1818—91), Julius Schulhoff (1825—98), Anton Rubinstein (1829—94), Hans von Billow
(] 830—94) u. a.; die Geiger: Nicolo PaganJni (1782—1840), Ferdinand David (18 10— 73),
Ole Bull (1810—80), Joseph Joachim (1831—1907) u.a.; die Violoncellisten: Friedrich
Dotzauer (1783-1860), Felix Battanchon (1814-93), Alfred Pi atti (1822— 1901), Fried-
rich Griitzmacher (1832—1903).
Unter dem Einflufi der mitteleuropaischen Romantik setzte auch in Landern, die vorher
ganz auf Musikimport angewiesen waren, selbstandige Produktion ein. Wahrend aber die
Englander William Sterndale Bennett (1816—75), Hubert Hastings Parry (1848— 1918),
Alexander Mackenzie (geb. 1847) und viele andere ganz in mitteleuropaischen Bahnen
wandeln, weist die Kunstmusik der Skandinavier und Slaven melodische und harmonische,
in der betreffenden Volkskunst wurzelnde Eigentiimlichkeiten auf. Von Dan en sei Niels
Wilhelm Gade (1817—90) genannt, von Norwegern Edward Grieg (1843—1907), Johann
Severin Svendsen (1840—1911) und Christian Si nding (geb. 1856). Die russischeMusik
reprasentieren Michael Iwanowitsch Glinka (1804 — 57), Alexander Sergiewitsch Dargo-
myshky (1813—69), Anton Rubinstein, der Klaviervirtuose, Alexander P. Borodin
(1834— 87), ModestePetrowitsch Mussorgski (1835-81), Mily A.Balakirew(1837— 1910),
Peter J. Tschaikowski (1840—93), Nikolai A. Rimski-Korssakow (1844—1908) u.a.
Tanz und Tanzmusik 973
Die Hauptvertreter der tschechischen Musik sind Friedrich Smetana (1824 — 84), Anton
Dvorak (1841—1904) und Zdenko Fibich (1850—1900).
Literatur(vgl. S. 833)
I.Bticher und Abhandlungen
Abert,H.:R, Schumann. — Adi e r, G.:R. Wagner. — Dahms, W.:R. Schumann. — Decsey,E.: A. Bruckner
— Gade, D.: N. W. Gade. — Halm, A.: Die Symphonien Bruckners. — Jullien, A.: H. Berlioz. — Kalbeck, M.
J.Brahms. — Kapp, J.: F. Liszt. — Karasowski, M.: F. Chopin. — Kurth, E.: Die romantische Harmonik
A. Bruckner. — Lampadius, W. A.: F. Mendelssohn-Bartholdi. — Leichtentritt, H.: F. Chopin. — Louis, R.
A.Bruckner. — Luithlen, V.: Brahms' Werke in Variationenform. (St. MW. 14.) — May, F.: J. Brahms. — Ne-
jedly,Z.:E. Smetana. — Orel, A.: A. Bruckner. — Thomas-San GalH, W. A.: J. Brahms. — TschaikowskiJVl. :
P. J. Tschaikowski. — Urbantschitsch, V.: Die Entwicklung der Sonatenform bei Brahms. (St. MW. 14.) —
v. Was ie lews ki, J.: R.Schumann. — Wolff, E.: F. Mendelssohn-Bartholdi.
2. Ausgaben
Gesamtausgaben der Werke von Mendelssohn, Schumann, Chopin, Berlioz, Liszt (im Erscheinen), Wagner,
Brahms und Bruckner (im Erscheinen).
IVilhelm Fischer
TanzundTanzmusik
Die Geschichte kennt zwei Arten des Tanzes: den Gesellschaftstanz und den Schau-
tanz. Diese Zweiteilung lafit sich bereits bei den niedrigsten Volkern nachweisen, wenigstens
stellt Wundt den ekstatischen Tanzen der Primitiven ihre Schautanze gegeniiber. Der eksta-
tische Tanz ist der Ausdruck einer seelischen Erhebung, eines gesteigerten Affektes, der
Ausdruck eines Wahnparoxismus, in den der Primitive bei seiner Verstandigung mit der
Gottheit verfallt. Urspriinglich rein physiologisch, noch nicht asthetisch zu wertende Be-
wegungen, meist Hiipf- und Drehbewegungen, erreichen durch Ordnung einen hoherea
Stand, wenn eine Anzahl von Individuen die gleichen Bewegungen ausfuhrt. Lustempfindungen
stellen sich bereits bei der niedrigsten Art ekstatischer Drehbewegungen ein, durch jene
Herabminderung des Bewufitseins, die die gleiche Wirkung hat wie die spateren orgiastischen
Tanze, deren Wirkung auf der narkotischen Kraft des geordneten Rhythmus beruht, der
einen ahnlichen hypnotischen Effekt hat, wie das starre Fixieren eines Gegenstandes. Wenn
mehrere Personen die gleiche Bewegung ausfuhren, sei es bei der Arbeit, sei es beim Spiel*
dann stellen sich rhythmische Bewegungen automatisch ein. Rhythmische Bewegung ist
leichter als ungeordnete und undisziplinierte, weil durch den Rhythmus der Einzelwille bis
zu einem gewissen Grade ausgeschaltet ist ; es bedarf nicht zu jeder einzelnen Bewegung
eines gesonderten Einzelwillenaktes, sondern an Stelle dessen tritt ein Akt des Gemeinwillens
und von diesem Augenblick an werden die ekstatischen Bewegungen bewufite Tanzbewegungen.
Erst dies bedeutet die Geburt des Tanzes. Der primitive ekstatische Tanz ist zum grofien
Teile Kulttanz, religioser Tanz, der freilich fast immer auch geschlechtlicher Natur ist. Man
denkt hierbei an die orgiastischen Tanze der dionysischen Mysterien oder die, ahnlich wie
diese, mit mimischen Darstellungen beginnenden und schliefilich in wilde Tanze ausartenden
62*
974 Tarn und Tanzmusik
Friihlingsfeste der Mexikaner, an die Tanze der rasenden Derwische oder der mittelalterlichen
Flagellanten, deren Erotik sich zu Selbsttotung invertiert hat. Allen diesen Tanzen aber ist
wesentlich die teilweise oder oft ganzliche Auflosung des Bewufitseins, die immer lustbetont
erscheint.
Die zweite Art des primitiven Tanzes ist das Spiel, der mimische Tanz, der in einer Nach
ahmung des Lebens in seinen verschiedenen ErscheJnungen besteht. Es Jst die von Aristo-
teles als das Um und Auf jeder Kunst bezeichnete Nachahmung der Natur, die uns hier als
Spiel und Tanz entgegentritt. Der Primitive ahmt alle Vorgange der AuBenwelt nach, die
ihn irgendwie bewegen und geht dabei von der Ansicht aus, dafi durch die Nachahmung
bzw. die Darstellung eines Naturvorganges dieser Naturvorgang selbst herbeigefiihrt wird.
Wiinscht z. B. der Schiffer fiir seine Reise Wind, so ahmt er das Gerausch des Windes in
einem Gesang nach und ist davon iiberzeugt, dafi sich die Windgottheit dadurch bestechen
laBt. Dieses Prinzip der ,,sympathetischen Magie" spielt bei alien Naturvolkern eine grofie
Rolle. Nicht nur Sonne, Mond und Sterne werden tanzerisch und spielerisch dargestellt,
die Tier- und Pflanzenwelt und vor allem der Mensch in seinen Beziehungen zum Mitmenschen
symbolisch getanzt. Und so wie der kultisch-ekstatische Tanz die griechische Tragodie
hervorgebracht hat, so beruhen auf dem niedrigen Schautanz die Kriegertanze der Salier,
die Waffentanze des feudalen und die Zunfttanze des biirgerlichen Mittelalters. Von den
alten germanischen Waffentanzen, iiber die Tacitus berichtet, haben sich Elemente in den
Moriskentanz hiniibergerettet, der vor allem dort getanzt wird, wo die Tradition von den
Karnpfen zwischen Christen und Mauren lebendig blieb, wie in Spanien, in Siiditalien oder
in Dsterreich. {Aber dariiber hinaus hat das Schwarzen des Antlitzes und der ,,Mohrentanz"
noch eine tiefere Bedeutung im Seelenleben des Volkes und des Kindes.) Ansonsten bleiben
Elemente des Rittertanzes im Ritterballett erhalten, in das gleichmafiig der Schwertertanz
und das Turnier selbst einmiindeten, da mit dem Aufkommen der Schiefiwaffen das Turnier,
das Ritterspiel — anfanglich selbst nur Nachahmung des Kampfes — seine Bedeutung ver-
lor und sich zur dramatischen Allegoric verfeinerte. Eines der letzten dieser Ritterballette
fand noch zu Wien im Jahre 1667 statt, eine merkwiirdige Verquickung des Rennsportes,
des Kunstreitens, des Waffentanzes in Form des mittelalterlichen Turnieres.
Auch der Zweikampf selbst nimmt mit der Zeit immer mehr die Form des Tanzes an.
Tanzerische Verhaltnisse bedingen Stellungen der Fechtenden, Arm- und FuBbewegungen
sind vom Tanz beeinflufit, ja die Fachausdriicke des Tanzes dringen in die Fechtkunde ein,
wie das ,,engager" und ,,degager", die ,,battements", die ,,Volten" usw.
Ahnlich wie der Waffentanz retten sich auch andere Nachahmungstanze in die Kulturzeit
hiniiber. Auch Tiertanze kennt das deutsche Mittelalter, iind man erinnert sich, dafi auch
der moderne Tanz, der ja neuerdings vom Primitiven ausgeht, oft vorgibt, seine Tanzschritte
der Tierwelt zu entlehnen (Foxtrott usw.)-
Zur Gruppe der Schautanze geKoren im Mittelalter auch die Zunfttanze, die urspriinglich
Verrichtungen des betreffenden Handwerkes nachahmten. Der Nationalokonom Biicher
hat in seinem Buche ,^\rbeit und Rhythmus" gezeigt, wie rhythmisch organisierte Hantie-
rungen jede Arbeit erleichtern, wie die Naturvolker ihre gemeinsamen Arbeiten mit Gesangen
und Instrumentalmusik begleiten. Viele Bauerntanze, Erntetanze, Schiffertanze, Schmiede-
tanze usw. sind nichts anderes als derartige Dberbleibsel primitiver Arbeitstanze. Jede Zunft
Tanz und Tanzrnusik 975
hat ihren besonderen Tanz, aber nicht die Zunft selbst, sondem jeder Zunftgrad tanzt auf
eine andere ^eise, die Schustermeister anders als die Lehrbuben und Gesellen, und die
Obrigkeit hat wohl achtzugeben, da6 sich da keine Kompetenziiberschreitungen ergeben.
Aber dies hangt schon wieder mit dem Gesellschaftstanz zusammen, der das gesellschaftliche
Leben an und far sich zum Gegenstand der Darstellung macht. Genau so wie das feudale
Mittelalter eine strenge Sonderung der Gesellschaft zeigt, so druckt sich dies im Tanze der
Sta'nde aus.
Die Zunfttanze akzentuieren die gewerbhche Betatigung, der bauerliche Tanz, der un-
geschminkte geschlechtervereinigende Tanz bringt das erotische Erleben zum Ausdruck und
verzichtet auf Natur und Familiensymbolik. Erst das 1 8. Jahrhundert mit seiner Revolutio-
nierung der Gesellschaft greift auf den Volkstanz wieder zuriick, vergesellschaftlicht und ver-
allgemeinert ihn zugleich. Das Mittelalter aber kennt nur den Standetanz. Da haben wir vor
allem die Tanze des hofischen Mittelalters. Im Tiroler SchloC Runkelstein kann man heute
noch Fresken aus dem 14. Jahrhundert bewundern, die den hofischen Reigen aus jener Zeit
darstellen. ,,Ductia" nennt Johannes de Grocheo diesen Reigentanz, der aus einer bun ten
Reihe von Rittern und Damen besteht, die ein Spielmann, meist ein Fiedler, fiihrt. Andere
hofische Tanze dieser Zeit sind: Treialtrei (drei zu drei), Vanaldei, Violei, Freiros, Govenanz
und Ridevanz. Diese Namen sind in Deutschland nachweisbar und zeigen, dafi romanischer
Einflufi in der Tanzkunst bereits im Mittelalter maBgebend war. Der feudale Tanz des
Mittelalters ist vor allem Stilisierung des Gesellschaftslebens, das sich aus der durch die
christliche Kultur bedingten Verfeinerung des Geschlechtslebens und mithin in der Ver-
ehrung des weiblichen Geschlechtes zeigt. Seit dieser Zeit spielen die ,,Reverence" und
,,Contenence", eine standige Rolle im Tanze, Gesten, die weiterhin in den entsprechenden
Pas und sonst in einem adaquaten Rhythmus, wie bei der Courante, zum Ausdruck kommen.
Sind die hofischen und zum Teil biirgerlichen Tanze des Mittelalters gemessene Reigen und
Schreittanze, so sind die Tanze des niederen Volkes gesprungene Rundtanze (Springale,
Espringale, Hupfer, Hupfauf, Proportz usw.). Unter den iiberlieferten Namen sind
zu erwahnen: Hoppeldei, Hierlei, Firlefei, Fulafranz, Miirmun, Ahsel, Houbetschoten u. a.
Die Tanze werden zum Teil nur als Springtanze, zum Teil als Nachtanze (also nach einem
Reigen) getanzt. Ein solcher Tanz besteht aus einem Reigen, einem geschrittenen oder ge-
tretenen Tanz und einem Springtanz, bei welchem die im geraden Schreittakte getanzte und
gewohnlich von einem Fiedler gespielte Melodic in dreiteiligen Takt mit raschem Tempo
verwandelt wird. Diese Zweiteilung des Tanzes, Reigen und Springtanz, die psychologisch
auf die Erregungssteigerung wahrend des Tanzes zuriickzufuhren ist, indem die anfanglich
nur gehenden oder hiipfenden Bewegungen in Drehbewegungen iibergehen, ist fur die Ent-
stehung der europaischen Tanzrnusik und mit ihr der Instrumentalmusik von ausschlag-
gebender Bedeutung. Denn in diesem Urpaar, dem Tanz und Nachtanz, schlummert das
Prinzip der Suite, der Tanzfolge und mithin der mehrsatzigen Instnimentalform. In ganz
Europa tanzte man seit alter Zeit bis ins 1 8. Jahrhundert hinein auf diese Art und Weise.
Die hofischen franzosischen Tanze Basse danse und Tourdion im 15. Jahrhundert, der
Branle und Amener im 16. Jahrhundert, die Paduane und Gaillarde in Deutschland zu
Anfang des 1 7. Jahrhunderts und etwas spater die Allemande und Courante und viele
andere Tanzzusammenstellungen beruhen auf dem zweiteiligen Tanzprinzip und arialysiert
Tanz und Tanzmusik
man all diese mehrteiligen Suiten, so stellt sich heraus, daB an der Spitze dieser Folgen immer
zwei, wenn auch noch so lose zusammenhangende Tanze stehen. Auch bei den Bachschen
Klaviersuiten ist dies noch der Fall. Es ist nicht ausgeschlossen, daB diese in ganz Europa
durchgefiihrte Tanzart besonders in Mitteleuropa heimisch war. 'Wahrend Italien, Frank-
reich und England im 16. Jahrhundert eine ganze Reihe verschiedenartiger ausgebildeter
Tanze haben, scheint ,,Tanz und Nachtanz" (Allemande und Tripla) in Deutschland das
Urn und Auf des tanzenden Burgertums gewesen zu sein. Daher heifit es auch in Chapmanns
,,Alphonsus Emperor of Germany*':
,,We Germans have no changes in our dances.
An almain and an up-spring, that is all."
Franzosische und englische Handschriften des Mittelalters, iiber die J oh. Wolf berichtet,
enthalten auBer dem Stantipes, der iibrigens von H. J. Moser als freies Instrumentalsttick
angesprochen wird, noch den Saltarello und den Trotto. Die meisten dieser Tanze zeigen
eine volkstiimliche, dem heutigen Musikempfinden durchaus nahe, ja gleiche Melodik mit
Ansatzen zu einer Suitenbildung, indem gewlsse, freilich nicht einander folgende Satze thema-
tisch korrespondieren. Die von Johannes de Grocheo erwahnten .JPuncti" des ,,Stantipes"
sind in diesen Stiicken leicht erkennbar und stehen in gewissem Gegensatz zu dem sonst
im Tanze des spateren Mittelalters und der Neuzeit ausgepragten Prinzip der ,,Proporz"
(Tanz-Nachtanz), indem hier im Tempo und Charakter gleichartige Tanze einander folgen.
Es scheint, dafi in Frankreich diese Art der Tanzfolge langst heimisch war, im Gegensatz
zur deutschen Gepflogenheit des Proporztanzes. Auch die ,,Basse danses", die gravitatischen
Kunsttanze des 15. und 1 6. Jahrhunderts, gehoren urspriinglich zu dieser Kategorie, wenn
auch Arbeau (moglich unter dem aus Deutschland kommenden Einflufi) diesen Tanz schon
als Proporztanz (mit dem Tourdion als Nachtanz) kennt. Auch die ,,Branles" mit ihren
verschiedenen Abarten: Simple, Double, Gai, Amener Getzterer meist sechstaktig),
Montirande, Gavotte, gehoren der Gruppe der alteren franzosischen Folgen an. Arbeau
sagt iiber diese Tanze (1588): ,,Die Musiker haben alle die Gewohnheit, die Tanze bei den
Festlichkeiten mit einem Doppel-Branle (Branle double) zu beginnen, den sie den gewohn-
lichen Branle (Branle commun) nennen, und welchem ein einfacher Branle (Branle simple)
folgt. Darauf kommt der lustige Branle (Branle gai) und zum SchluB der Burgunder Branle
(Branle de Bourgogne), von einigen auch Branle de Champagne genannt. Die Reihenfolge
dieser vier Arten von Branles ist den drei verschiedenen Altersstufen der Festteilnehmer ent-
sprechend: die Alten tanzen ganz gemessen den Doppel-Branle und einfachen Branle; die
jungen Eheleute den lustigen Branle und die jungsten, leicht und gewandt, die Burgunder-
Branles; und jeder entledigt sich seiner Aufgabe so gut er kann, seinem Alter und seiner Ge~
schicklichkeit angemessen."
In derGeschichte derTanzmusik scheinen zwei Prinzipien teils miteinander parallel zugehen,
teils einander zu bekampfen: einerseits das Prinzip der Aneinanderreihung gleichartiger,
andererseits das der Zusammenstellung gegensatzlicher Tanze. Diese beiden Arten kann
man auch als Gebrauchstypus (Zusammenstellung gleichartiger Tanze) und Vortrags-
typus (Zusammenstellung verschiedenartiger Tanze) bezeichnen.
Das asthetische Gesetz der Wahrung der Einheit in der Mannigfaltigkeit macht sich in
der Suite in der urspriinglich melodischen und in der tonartlichen Gleichheit (Variations-
Tanz und Tanzmusik
prinzip) bei Verschiedenheit der Tanze (Kontrastprinzip) geltend, wogegen beim Gebrauchs-
typus (gegensatzlich zur Suite) melodische und tonartliche Verschiedenheit bei Gleichheit der
Tanzbewegung vorhanden ist. Hiervon waren nur die ,,Puncti" des ,,Stantipes" auszunehmen.
Es ist selbstverstandlich, dafi diese beiden Entwicklungen sich gegenseitig beeinflussen und
durchdringen. Ich habe dies schematisch etwa folgendermaBen dargestellt:
A. Gebrauchstypus B. Vortragstypus
Stantipes
Basse danses
Branles Branlefolge
Freie, nach Gattungen zusammen-
gestellte Tanze um 1600 Deutsche Variationssuite
Gehaufte Einzeltanze innerhalb der
Suite Frobergertypus
Zusammenstellungen von Einzel- Zyklische Instrumentalformen hohe-
tanzen im niederen Volke (17. Jh.) rer Ordnung
Menuettketten
Deutsche, Walzer usw.
Auch im 16. Jahrhundert ist der franzosische Einflufi in Tanz und Tanzmusik auf ganz
Europa sehr grofi. Michael Praetorius hat 1612 in seiner ,,Terpsichore" franzosische Tanze
gesammelt und sie in Deutschland bekanntgemacht. Er ist einer der Ersten, die auf den fran-
zosischen Schautanz hinweisen, der insbesondere seit Baltazarinis ,,BaIlet comique de la
royne" 1581 Weltberiihmtheit erlangte.
Die wichtigsten Tanze, die in Europa im 16. Jahrhundert getanzt wurden, sind
f olgende :
Die Allemande ist der auf dem Umweg iiber Frankreich und England nach Deutschland
riickimportierte deutsche Volkstanz, der zu verschiedenen Zeiten verschiedene Bedeutung
hatte. Um 1600 zeigt die Allemande schlichte volkstiimliche Rhythmik, im geraden Takt,
ohne den spateren obligatorischen Auftakt und ist ein Reigen, der nach Praetorius zu jenen
Tanzen gehort, ,,so nicht auff gewisse Pass und Tritt gerichtet" sind. Zu dieser Zeit ist sie
im Gegensatz zur ,,Paduane", die bereits altvaterisch steif und daher musikalisch hoher stili-
siert erscheint, einfach gesetzt und steht in Verbindung mit der ,,Tripla" (Nachtanz). Die
niedere Stilisierung der Allemanden um 1600 macht sich gelegentlich wie bei Schein und
Anderen auch durch eine einfache Stimmfiihrung geltend (Paduane, Gaillarde, Courante sind
fiinfstimmig, Allemande und Tripla vierstimmig), eine Erscheinung, die auch sonst in der
Geschichte der Tanzmusik bekannt ist. Noch Joh. Seb.Bach schreibt seine Allemanden
und Couranten als jene Tanze, die zu seiner Zeit aufier Mode gekommen waren, im gebrochenen
Lautenstil, Menuette, Gavotten, Polonaisen als Tagestanze in leichter, fliissiger italienischer
Art, oft in reduzierter Stimmzahl. Die Ausfuhrung der Allemande in Frankreich kennen
wir durch Arbeau, der sie als Reigen mit drei Pas und einer Crue (Fufihebung) ohne Sprung
beschreibt. Sie besteht aus drei Teilen, von denen die beiden ersten einander gleichen, wah-
rend der dritte der Sprung ist, bei dem Bewegungen a la Courante gemacht werden. In dem
bei Arbeau angegebenen Beispiel der Allemande zeigt sich das von Blume als ,,Suitenbildung
978
Tanz und Tanznnusik
durch Reduktion" bezekhnete Varlationsprinzip. Im Verlaufe des 17. Jahrhunderts wird
die Allemande immer steifer und tritt als Gebrauchstanz vollig in den Hintergrand. Dagegen
erlangt sie in den KlavicrsuJten Bedeutung und steht seit Froberger, der sie aus^der franzo-
sischen Lautensuite ubernimrnt, an der Spitze der franzosischen Klaviersuite, die aus Alle
mande, Courante, Sarabande, verschiedenen Zwischensatzen und Gigue besteht und die
auch zum eisemen Bestand der Bachschen und Handelschen Klaviermusik gehort.
Die vielen Tanze des italienischen Adels des 1 6. Jahrhunderts, liber die u.a. Caroso und
Negri berichten, haben die verschiedenartigsten Namen und Ausfuhrungen. Die Theorie
des Renaissancetanzes geht in minutiose Details, Reverenzen, Kontenanzen, Puntaten, Re-
prisen werden umstandlich behandelt. Von alien Tanzen erlangt allmahlich die Paduane
(richtig: Pavane) Internationale Bedeutung, gleich der spateren Allemande ein Reigentanz
in geradem Takt, in dem sich Adels- und Biirgerstolz des 1 6. Jahrhunderts auslebt. (Pave-
neggiare = sich briisten ist ein tanztheoretischer Ausdruck.) In den Tanzsuiten der deut-
schen Komponisten um 1600 ist die Paduane geradeso wie bei den Franzosen und Nieder-
landern etwas friiherer Zeit (Phalese, Susato) bereits hochstilisiert und selbstandiges In-
strumentalstuckgeworden. DerNachtanz derPaduane ist die Gal Hard e (in Italien alsNach-
tanz des der Paduane entsprechenden ,,Passamezzo", auch ,,Saltarello", genannt), von den
Tanztheoretikern meist als ,,Cinque pas" bezeichnet. Die Galliardenschritte wurden derart
gemacht, dafi zuerst das linke, dann das rechte Bein, sodann wieder das Knke und nochmals
das rechte Bein gehoben wurde; auf fiinf springt man hoch und auf sechs kommt man in die
posture, die ruhige Stellung, die man auf den linken vorgesetzten FuB iibertragt, um bei
eins umgekehrt mit dem rechten beginnen zu konnen. Da der Sprung auf fiinf und das Nieder-
fallen auf sechs als ein Pas gezahlt wurde (Kadenz), ergaben sich in der Tanztheorie eigentlich
nur funf Schritte, und es wurde die Galliarde allgemein meist nur als ,,cinqe pas" bezeichnet.
Die tanzerische Exekution zeigt sich, in dem noch bis tief ins 17. Jahrhundert beibehaltenen
Rhythmus | J J 0 J oder J J J J. J^ J - Nach Arbeau wurde die Galliarde so ausge-
fiihrt wie derTourdion, mit dem Unterschiede, dafi die Galliarde gegeniiber dem niedrig aus-
geftihrten Tourdion hoher und in langsamerem Tempo getanzt wurde.
So wie die Galliarde zur Paduane, so gehort zur Allemande die Courante, ein Tanz in
Tripeltakt, der bei Arbeau allerdings noch in geradem Takt erscheint. Der urspriingliche
Rhythmus J i J J J J ! °der J J J J. J^ J I bildet sich dann Jm 17. Jahrhundert unter
dem Enflufi der Tanztheorie zu dem Rhythmus j j. J^ J J J. J^ i- Der Wechsel zwischen
Pas de G>urante (Gleitschritte, die vorher beugen und mit gehobenen Absatzen vorschleifen)
und Pas de Coupe (Beugeschritte, die im Beugen sich erst aufrichten) erklart den charakte-
ristischen Rhythmus der Courante. Die Armbewegungen spielen bei diesfm Tanz eine be-
sondere Rolle. ,,Hat man die Dame an ihrer linken Hand, so liegt diese auf ihrer Hufte.
Je nachdem eine oder beide Hande frei sind, iibernehmen diese die Aufgabe, zu den FiiBen
passende Bewegungen zu machen.** Die Courante halt sich bis in den Anfang des 18. Jahr
hunderts. Bei Joh. Seb. Bach ist sie wie die Allemande hochstilisiert, im gebrochenen Lauten-
stil mit den charakteristischen Nachschlagen am SchluB.
DieSarabande,urspriinglich maurischen Ursprungs (von ,3erabend"), ist ein spanischer
Tanz, der um 1600 von Spanien nach Frankreich kam. Arbeau kennt den Tanz jedenfalls
noch nicht, wogegen Cervantes in seiner ,,Vornehmen Kiichenmagd" sagt: ,,Spielt nur euere
Tanz und Tanzmusik 979
gemeinen Sarabanden, Chaconnen und Folien." Urspriinglich im raschen Tempo mit Ka-
stagnettenbegleitung (so noch um 1700 von Taubert geschildert), wird dieser Tanz spater
feierlich-gravitatisch, Der charakteristische Rhythmus dieses Tanzes ist: | J J. J^ I J J
oder J J J"] I J J I- Die Gigue ist ein englischer Tanz (Jig), der bereits 1590 erwahnt
wird. Urspriinglich im geraden Takt, bildet sich dieser Tanz immer mehr zum 6/8 oder 6/4
mit dem Rhythmus J J^ J J^ oder J^"]J J^J aus. Nach Froberger setzt sich die Gigue am Kon-
tinent immer mehr durch und bildet den AbschluB der franzosischen Klaviersuite, u. z. in fu~
gierter Behandlung mit Umkehrung des Themas im zweiten Teil (So auch bei Joh.Seb.Bach.)
Allemande, Courante, Sarabande und Gigue bilden die Grundpfeiler der Klaviersuite
von Froberger bis iiber Joh. Seb. Bach. Zwischen Sarabande und Gigue schiebt sich meist
eine Reihe verschiedener anderer Tanze ein. Die wichtigsten librigeh Tanze des 17. und
1 8. Jahrhunderts sind :
Der Rigaudon, angeblich provencalischer Herkunft, im C-Takt mit 1/4 Auftakt, meist
aus drei achttaktigen Reprisen bestehend, von denen der dritte Teil im Charakter absticht
und nach Mattheson in tieferer Tonlage gehalten sein soil. Der Hauptrhythmus des Rigau-
dons ist*: E J | J J Ja J J J J J I J.- Der Passepied stammt der Tradition nach aus
der Bretagne oder aus England. Praetorius erwahnt, daB man in ,,solchem Dantze einen
Fufi iiber den andern schlagen und setzen muB." Urspriinglich scheint es sich um einen
Reigen gehandelt zu haben; imLaufe des 1 7. Jahrhunderfs gewinnt ein ziemlich rascher 3/8
immer mehr die Oberhand, so daB sich der Passepied emem rascher gespielten Menuett
nahert.
Das Menuett stammt der Tradition nach vom ,,Branle de Poitou" ab, der mit dem Amener
identisch ist, wodurch auch die Herleitung des Wortes sich zwanglos erklaren laBt. Durch
Lully und vom Hofe Ludwigs XIV. gelangt es zu internationaler Geltung. Der musi-
kalische Zusammenhang zwischen Amener und Menuett zeigt sich auch darin, daC in einer
Reihe von Menuetten aus der ,,Collection Philidor" genau so wie beim Amener drei- und
sechstaktige Perioden erscheinen. So wie die Courante und die Sarabande ist auch das Menuett
ein Einzel-Paartanz, dessen Wesen darin besteht, daB der Herr und die Dame voneinander
und zueinander tanzen, und zwar nichtauf einer geraden, sondern auf einer geschwungenen
Linie, Urspriinglich auf einem verkehrten S, dann auf einer 2, schlieBlich auf einem Z. Dies
im Zusammenhang mit der Stilwandlung vom Barock zum Louis XVI. Die Grazie des
Menuetts besteht in der Abwechslung der Reverenzen und Kontenanzen, Tours des mains usw.
Die Literatur iiber das Menuett ist betrachtlich. Im Laufe des Jahrhunderts, in welchem es
herrschte, hat sich der Rhythmus oft geandert. Wir finden im Anfang Galliarden-, Couranten-
und Giguen-Rhythmen — bis zur Zeit Mozarts das Menuett sich wieder zu einem gravi-
tatischen Stiltanz versteift. Durch das allmahliche Hervortreten der siiddeutschen Rund-
tanze verliert das Menuett immer mehr seine urspriingliche Lebendigkeit ; es wird der Tanz
des Adels, wie dies in Mozarts ,,Don Giovanni" zum Ausdruck kommt, wo es im Gegensatz
zum ,,Contre" und ,,Deutschen" steht. Allmahlich vollzieht sich jedoch die musikalische
Annaherung zwischen dem Menuett und Passepied einerseits und den siiddeutschen Rund-
tanzen andererseits. Die wichtigsten iibrigen Tanze sind noch die ,,Volta", von ,,voltare"
= Umkehren. Wahrscheinlich stammt der Name von der Gepflogenheit her, die Tanzerin
iiber den Riicken des Tanzers zu schwingen. ,,In dem Tanz nimmt der Tanzer mit einem
Tanz und Tanzmusik
Sprung der Jungfrau (die auch mit einem hohen Sprunge aus Anleitung der Musik her-
kommt) wahr und greift sie an einem ungebiihrenden Ort, da sie etwas von Holz oder anderer
Materie hat machen lassen und wirft die Jungfrau selbst, und sich mit ihr, etlich vielmal
sehr kiinstlich und hoch iiber die Erde herum, also auch, dafi der Zuschauer^ meinen sollte,
daB der Tanzer mit der Tanzerin nicht \vieder zur Erde kommen konne, sie hatten denn
beide ihre Halse und Beine gebrochen." (Johannes von Miinster.) Die Volten des 16. Jahr-
hunderts sind in punktiertem 6/8 und deuten auf einen gewissen Zusammenhang mit den
siiddeutschen Volkstanzen hin.
Die Bourree ist ein altfranzbsischer Volkstanz, ein Reigen von frohlicher Bewegung im
4 /4-Takt mit 2 Achteln als Auf takt. Die Tanzschritte der Bourree sind kurz und spitzig und wurden
spater in den Allemanden und Eccossaisen als ,,Pas fleurets" verwendet. Charakteristisch fur
die Bourrees sind die weiblichen Schliisse. Die Bergamasca ist ein oberitalienischer Pro-
vinzialtanz aus Bergamo, deren Bewohner als tolpelhaft und verschmitzt verlacht waren.
Auch Shakespeare erwahnt diesen Tanz, den man in Italian auf eine sehr populare Melodie
tanzte, die iibrigens auch in Deutschland noch im 18. Jahrhundert als Gassenhauer grassiert
und den Joh.Seb. Bach im Quodlibet seiner Goldbergvariationen (,,Kraut und Ruben")
heranzieht. Der Canario ist ein rascher Tanz im 3/8~> e/s~ oder 3/4-Talct und wie die ,,Moresca"
einer der exotischen Tanze des 16. und 17. Jahrhunderts. Nach Feuillet wird er von einem
Tanzpaar, in fremdartigen, wilden und bizarren Bewegungen durch den Saal hiipfend, aus-
gefuhrt. Da Arbeau und Praetorius dieselbe Melodie fur den Canario angeben, scheint er
eine ganz bestimmte Weise gehabt zu haben. Die Canarien im 1 7. Jahrhundert haben meist
punktierte 6/s-Rhythmen mit zwei Sechzehnteln als Auftakt. Die Moresca bedeutet einer-
seits ganz allgemein ein Ballett, wie dies etwa das SchluBballett von Monteverdis ,,0rfeo"
zeigt, andererseits einen exotischen Einzeltanz mit punktierten Achtelrhythmen, dessen Weise
meist marschartig ist, der mit geschwarztem Gesicht und Schellen getanzt wird und zum
altesten Volksgebrauch gehort. Der Traquenard ist ein Tanz, der, ahnlich den Tier-
tanzen der Gegenwart, mit dem Pferdewesen im Zusammenhang steht, da Traquenard soviel
wie Halbpas heifit. Der Traquenard zeigt punktierte Achtelrhythmen und ein genaues rhyth-
misches Schema. Die Trezza, wahrscheinlich soviel wie ,,treccia" (Flechte, Zopf, also
ein geflochtener Reigentanz), kommt hauptsachlich in Wiener Handschriften vor, ist meist
im Dreivierteltakt und hat den Charakter einer Furlane. Die Folia ist spanischen Ursprungs,
diirfte in ihrer spanischen Urzeit ebenso wie die Chaconne und die Passacaglia Ostinato-
charakter gehabt haben und wurde ahnlich wie die Bergamasca im 17. und 18. Jahrhundert
nach einer bestimmten Weise getanzt. Chaconne und Passacaglia, beide spanischen Ur
sprungs, sind im 17. und 1 8. Jahrhundert Ostinatotanze, die zweifellos infolge der Wieder-
holung bestimmter kurzer, magamenartiger Motive auf arabische Herkunft deuten. Neben
dem haufig vorkommenden Doppelquartmotiv findet sich bei beiden auch das absteigende
Tet r achordmotiv .
Alle diese Tanze wurden zum Teil als Gesellschafts-, zum Teil als Biihnentanze verwendet.
Das Ballett wird seit dem Mittelalter an den Hofen Italiens, Deutschlands und Frankreichs
gebraucht; ganz besonders wird es am franzosischen Hofe ausgebildet, wo in Mannern wie
Beauchamps, Marcelle und Noverre Klassiker der Tanzkunst erstehen, die insbesondere das
Graziose und Galante zum Ausdruck bringen, wahrend die italienischen Tanzmeister und
Tanz und Tanzmusik 981
Tanztheoretiker Cornazaro (1465), Antonius de Arena (1536), Caroso (1577), Negri (1580)
und Beccaria (1604) mehr das Steif-Gravitatische und Zeremonielle ausbilden. Auch der
Wiener Hof schliefit sich der italienischen Tanzmethode an, insbesondere durch die Tanz-
meister Leopolds I., Santo und Domenico Ventura. Indessen ist bezeugt, dafi bereits am
Hofe Kaiser Matthias* ,,gut teutsch" getanzt wurde und der Biograph Leopolds I., Rink,
berichtet, dafi auch dieser Kaiser ,,teutsche Fiihrungen" bevorzugte.
Uberhaupt treten am Wiener Hofe volkstumliches Wesen und volkstiimlicher Tanz Jmmer
mehr in den Vordergrund, und bei den kaiserlichen Hoffesten, Wirtschaften, Bauernhochzeiten,
Komgreichen und Schafereien wird neben italienischen und franzosischen Tanzen auch gut
deutsch getanzt. Zu diesen Tanzen ertont eine Musik, die unverkennbar alpinen oder wiene-
rischen Einschlag hat. Die Tanze, die Johann Heinrich Schmelzer fur diese Hoffeste und
Ballette komponierte, sind zum Teil recht volkstlimlich und unterscheiden sich melodisch
und rhythmisch durch nichts von den Landlern des spateren Jahrhunderts. Im Gegenteil,
sie sind womoglich urwiichsiger und derber. Der Zusammenhang der Allemanden des 1 8. Jahr
hunderts erscheint durch die Neuausgabe in den ,,Denkmalern der Tonkunst in O'sterreich ",
XXVI 1 1/2, zur Evidenz bewiesen. Bevor man diese Tanze kannte, nahm man an, daB das
Menuett den Ubergang von den barocken Tanzen zu den neuen sliddeutschen Tanzen
,,Deutscher", ,,Landler" und ,,Walzer" bilde. Doch das Menuett ist vollendete Stilisierung
des baroclcen Gesellschaftslebens. Musikalisch ist es besonders in der Mitte des 18. Jahr
hunderts gelegentlich vom dreiteiligen Volkstanz, der sich aus dem Rahmen des Urpaares
herausgelost hat, beeinflufit. Aber die grofie Revolution des Tanzes wird in England vor-
bereitet, wie die grofie europaische Geistesrevolution iiberhaupt in England ihren Ursprung
hat. Ich meine damit den Kontertanz. DasNeue und Eigenartige dieses urspriinglich land-
lichen Tanzes besteht darin, dafi er nicht, wie friiher der Barocktanz, Einzeltanz des Fiirsten,
des Biirgermeisters, kurz eines bevorzugten Paares ist, sondern dafi die gesamte Gesellschaft
sich an ihm beteihgt. Darin besteht das Neue und Revolutionare der Kontertanze, dafi das
gleichzeitige Tanzen vieler Paare im Gegensatz zum barocken Einzeltanz, aber im Anschlufi
an den alten ho'fischen Reigen, fur die sich neuschichtende Gesellschaft etwas Reizvolles
bildet, und geradeso wie schon im 17. Jahrhundert die Sehnsucht nach volkstiimlichen Ge-
niissen die ,, Wirtschaften" und ,,Bauernhochzeiten" aufkommen lafit, so spielt man bei den
Kontertanzen Gleichberechtigung und erotische Freiheit. Zwei Arten des Kontertanzes gibt
es, die sogenannte englische, bei der sich alle in Reihen aufstellen, aber der eigentliche Tanz
findet nur zwischen bestimmten Gruppen statt, die sich schiebend weiterbewegen, um alle
Teilnehmer an die Reihe kommen zu lassen. Bei der zweiten, franzosischen Form, dem
Kotillon, schreibt man eine feste Paarzahl mit bestimmten Wegen vor, meist vier Paare. Aus
dieser franzosischen Form des Konters entsteht die Quadrille mit ihren zahllosen Modi-
fikationen.
Wie reiht sich nun der Walzer mit seinen Vorformen, dem Landler und dem Deut
sch en, in die Geschichte des Tanzes ein? Der siiddeutsche Volkstanz war um die Mitte
des 18. Jahrhunderts in die Kontertanze aufgenommen und wie die meisten Tanze vom alten
Renaissancetanz bis zum Tango in Paris gesellschaftsfahig gemacht worden. Die Allemande,
wie der Tanz jetzt in Frankreich heifit — weder zu verwechseln mit der alten Allemande
um 1600, noch gar mit den hochstilisierten Klavierallemanden Bachs — , erlangt nun aus den
982 Tanz und Tanzmusik
gleichen gesellschaftspsychologischen Griinden wie der Konter cine solche Beliebtheit, dafi
sie sich aus dem Rahmen dieser Kontertanze, in denen sie in ihren verschiedenen Gestalten
als Tyroloise, Strasbourgeoise, Alsacienne usw. lebte, herausloste und verselbstandigte.
Zum Teil wurden diese Tanze freilich erst noch im geradtaktigen Bourreemetrum getanzt.
Zum endgiiltigen und ausschliefilichen 3 '4 geht man aber erst gegen das Ende des 1 8* Jahr-
hunderts liber, womit der alte osterreichische Bauerntanz endgiiltig In der grofien Gesellschaft
rezipiert erscheint. Es ist bezeichnend, dafi die Schriftsteller des 18. Jahrhunderts bei der
Beschreibung der neuen Allemanden nicht eigentlich die Schritte, sondern die Haltung der
Arme als das Wesentliche ansehen. Die Armverschrankung deutet darauf hin, dafi diese
Tanze, als sie noch im Volke und noch nicht in die Kontertanze aufgenommen waren, mit
rhythmischem Handeklatschen und nach Art der Schuhplattler begleitet wurden, wovon
gewissermafien als eine tanzerische Stilisierung die Armverschrankung iibrigblieb. Musi-
kalisch kommt dies In der Weise zum Ausdruck, dafi von nun an die starke Betonung des
ersten Taktteiles das Wesentliche wird, was durch Verzicht auf die selbstandige Fiihrung
der Mittelstimmen noch in weiterem Mafie zum Ausdruck kommt. Diesem Umstand aber
kommt der im 1 8. Jahrhundert sich allmahlich vollziehende Prozefi des Dberganges vom
mehr- zum einstimmigen Stil zu Hilfe.
Aufier Deutschland, Frankreich, England und Italien haben auch die kleineren Nationen
zum internationalen Tanz das Ihre beigetragen. Die slawischen Tanze gelten zum Teil im
17. und 18. Jahrhundert vorerst als ,,Exoten", einige von ihnen jedoch, wie die Polonaise,
bekommen internationale Bedeutung. Die Polonaise im Dreivierteltakt von mafiiger Bewegung
verschmilzt bald mit dem Konter und wird, ahnlich der Paduane, ein Promenadentanz. Die
altesten bekannten Polonaisen sind keine Tanzlieder, sondern instrumentaler Natur, so dafi
die Ansicht, die Polonaise habe ihren Ursprung in einer Defiliercour des polnischen Adels
(bei der Thronbesteigung Heinrichs III. von Anjou zu Krakau 1574), viel for sich hat. Der
charakteristische Rhythmus der Polonaise ist: j"j"5 J-j "j J oderj"^ JTJJj* Von den pol
nischen Tanzen, die schon Taubert erwahnt und fur die er das Bourreeschema angibt, ist
zu erwahnen die Mazurka mit punktiertem Dreiviertelrhythmus, mit starker Betonung
des ersten Taktteils und abgestofienem ersten Schritt. Dagegen ist die Polka nicht,
wie der Name andeutet, polnischen, sondem bohmischen Ursprungs, im alten Bourree
schema. Sie kam etwa 1830 inBohmen auf. Der Name ist wohl auf pulka d. h. Halbschritt
zuriickzufuhren. Das Schema: 4 * i i f i ^ • Melodien bohmischer Tanze findet man
r 1 r 1 1 r 1 r
freilich bereits in Handschriften des 17. und 18. Jahrhunderts, wie etwa einen bohmischen
Tanz der Jungfrau Klara Regina Imhoff in einem handschriftllchen Klaviertabulaturbuch oder
in Lautentabulaturen derselben Zeit. Auch hanackische Tanze kommen bereits in dieser
Zeit vor, und es 1st charakteristisch fur den Mangel an nationaler Differenzierung, dafi der
,,Stilus polonicus" und der ,,Stilus hannaticus" einander gleichgesetzt werden. Auch unga-
rische Tanze erscheinen bereits in Tabulaturen des 1 6. und 1 7. Jahrhunderts, freilich ebenso-
wenig wie die bohmischen Tanze in den heute charakteristischen Rhythmen. Der Czardas
besteht meist aus einer melancholisch-pathetischen Einleitung (lassu) und dem eigentlichen
Czardas, auch ,,friss<4 genannt. Er Jst in geradem Takt und wird ahnlich den spanischen
Tanzen mit wildem und pathetischem Armspiel getanzt. Wahrend die slawischen Tanze
Tanz und Tanzmusik 983
ausgesprochen Gesellschaftscharakter zeigen, hat der ungarische Tanz zum Teil schon einen
orientalischen Einschlag als Schautanz. Dieser macht sich besonders im spanischenTanze
geltend. Der Geschlechter vereinigende Gesellschaftstanz ist dem Spanier im Grunde etwas
Fremdes. Das orientalische ,,Vortanzen" steht in Spanien weitaus im Vordergrund, wenn
auch die modernen Tanze in den grofien „ Dancings" zu Barcelona sich Eingang zu schaffen
wufiten. Aber Barcelona ist nicht altes wirkliches Spanien, sondern amerikamsiertes Neuland.
Und wie jede Landschaft in Spanien ihren eigenen Charakter, ihre eigene Sprache, Kunst
und Musik hat, so hat sie auch ihre eigenen Tanze. Die Aragonier tanzen die Jot a, ein
Wechselspiel von Gesang und Tanz, das in Gruppen ausgefuhrt wird. Die Muneira wird
in Galicien zum Dudelsack getanzt, und die Sard an a ist der katalonische Volkstanz, den
man haufig auf der Strafie tanzen sieht und dessen ,,Rad" durch stets neu hinzukommende
Tanzlustige immer grofier wird. Die wichtigsten spanischen Tanze aber sind die andalusischen
Sevillanas, der Bolero und der Fandango. (Gluck hat die Originalmelodie ernes solchen
Fandango in seinem Don-Juan-Ballett aufgenommen, die dann in Mozarts „ Figaro" allgemein
bekannt wurde.) Abarten des Fandango sind die Malaguena und Seguedilla. Von der
„ Corrida", dem Stierkampf her, kommt der Passo doble, der wie der Tango zum Teil
auf dem Umweg iiber Siidamerika den Eingang in die europaische Gesellschaft fand. In
Spanien selbst tanzt man in der Gesellschaft gerne eineAbart des Tango, den schottischen
Tango. Das Volk aber liebt weniger den erotischen Zweitanz, sondern entweder den pri-
mitiven Gruppentanz oder den Schautanz, noch mehr aber eine Kombination beider Arten.
Oft sieht man, besonders in Andalusien, Tanzgruppen, die mit Kastagnetten, Handeklatschen
und unter Ole-Rufen die tanzerischen Darbietungen der Solotanzer mit Zeichen gewaltiger
Erregung verfolgen.
Der moderne Tanz hat zuerst slawische, ungarische, spanische und spater in starkstem
MaBe exotische Elemente in Musik und Gebarde herangezogen. Der sentimentale Einschlag
Jm Walzer machte einerseits einer schwiilen Sinnlichkeit Platz, die vorerst in der Verlang-
samung des Tempos zum Boston und der spanischen Tanze zum Tango fiihrte. Hierbei
kamen nord- und sudamerikanische Einfliisse immer mehr zum Ausdruck, insbesondere in
Rhythmik und Periodik, wobei vor allem auch der Jazz seinen starken Einflufi auf die Welt-
musik geltend machte.
Literatur
Johannes de Grocheo, Traktat. Ed. J. Wolf. (S. J. M. G. I.) Urn 1300. — Antonius de Arena (Provencalis
<le bragardissima villa de Soleriis) : Ad compagnones qi sunt de persona friantes, bassas dansas et branlos practicantes.
1536. _ Corso, R.: Dialogo del ballo. 1557. — Negri, Cesare Milanese: Le grazie d'amore. Mailand (vgl. 1602,
1604) 1580. — Arbeau, Th.: Orchesographie. 1588. — Caroso, Nobilta di Dame. 1600. — M^nestrier, C:
Des ballets anciens et modernes selon les regies du theatre. Paris 1682. — Feuillet : Recueil de Centre dances pour
bals. 1702. — Taubert: Voilkommener Tanzmeister. Leipzig. — Noverre, J, G.: Lettres sur la danse et sur les
ballets. Lion und Stuttgart. — Czerwinski: Die Tanze des 16. Jahrhunderts und die alte franzosische Tanzschule
vor Einfiihrung des Menuett, nach J. Tabourots Orchesographie. Danzig. — Derselbe: Brevier der Tanzkunst.
Die Tanze der Kulturvolker von den altesten Zeiten bis zur Gegenwart. Leipzig 1879. — Boh me, F.: Geschichte
des Tanzes in Deutschland.- Leipzig 1886. — Bie: Der Tanz, 1906. — Nettl: Die Wiener Tanzkomposi-
tion in der zweiten Halfte des 1 7. Jahrhunderts. (St. z. M. W. Bd. 8.) — Blume: Studien zur Vorgeschichte
derOrchestersuite. — Oberst: Englische Orchestersuiten um 1600. Wolfenbiittel 1929. (Mit umfangreicher Biblio
graphic der gesamten Tanzliteratur.) Paul Nettl
WIENER TANZMUSIK UND OPERETTE
Mit dem Ausgang der grofien klassischen Epoche tritt Wien fur einige Zeit in der ernsten
Musik von dem ersten Platz zuriick, es beginnt aber auf einem andern Musikgebiete, dem
der heitern Kunst, sich zur Vorherrschaft emporzuschwingen und in seiner Tanzmusik und
der Operette der Welt Werte zu schenken, die auch diesen Schaffensgebieten einen berech-
tigten Platz neben den grofien Schopfungen der ernsten Kunst zuweisen. Vielleicht liegt der
Grund in gewissem Mafie auch gerade darin, dafi mit dem Heiteren sich in dieser Musik in
den vollgiiltigen Werken ein gewisser Ernst, ein echter, tiefer Gefiihlsausdruck verbmdet, der
hier nur eine bisher in dieser Hinsicht ungewohnte Form findet, um sich kundzutun.
In Wien \var sowoh! in den Kreisen der hohen Gesellschaft, wie im Volke ebenso wie an an
dern Orten der Tanz seit Jahrhunderten heimisch, Wahrend die Musik der Gesellschaftstanze
friiherer Zeiten wohl bekannt ist, liegt iiber der volkstiimlichen Tanzmusik der alten Bierfiedler
ziemliches Dunkel. Erst als in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts die grofien Alt-
meister der Wiener Tanzmusik sich aus dem Vorstadtwirtshaus auf das Podium der grofien
Ballsale schwangen, als alle Gesellschaftsschichten begannen, dem Locken der Tanzweisen des
Wiener Volkes zu folgen, als der aufbliihende Wiener Musikalienhandel und -verlag diese Werke
vor dem Vergehen und Vergessen rettete, erst dann lafit sich die Produktion auf diesem Gebiete
genauer verfolgen.
Schon die grofien Klassiker und ihre Zeitgenossen verschmahten es nicht, auch der heiteren
Muse ihren Tribut zu zollen; nicht nur durch gesellschaftliche Etikette sanktionierte
Tanze, auch der ,, Deutsche Tanz", finden sich in den Verzeichnissen ihrer Werke. Denn
wenn er auch manchmal, wie bei Beethoven, mit dem Titel ,,AHemande" bedacht wird,
das Herauswachsen aus der Volksmusik, das Volkstiimliche in Musik und Choreographic
lafit sich hier nicht verleugnen. Schon von Haydn besitzen wir aus dem Jahre 1784
,,Deutsche Tanze" ; der Grofimeister dieser Tanzform, soweit wir es aus dem auf uns iiber-
kommenen Materiale schliefien konnen, wurde Franz Schubert, in dessen Tanzschopfungen
sich aber auch schon starke zukunftweisende Elemente geltend machen. In seinen
Werken hat der ,,Deutsche Tanz" anscheinend seinen Hohepunkt erreicht, er nimmt schon
Ubergangstypus an. Die Wurzeln des ,,Deutschen", wie er kurz genannt wird (,,Favorit-
Deutsche", ,,6 Deutsche"), sind nicht ganz klar zu erkennen. Zusammenhange mit dem alten
deutschen Springtanz (Hupfauf) im Tripeltakt werden gewifi vorhanden sein, allein damit
wird nur eine weit zuriickliegende -Wurzel angedeutet. Die verbreitetste Ansicht stellt den
,. Deutschen Tanz" in engsten Zusammenhang mit dem ,,LandIer", dem in siiddeutschen
Landen weitverbreiteten bauerlich volkstiimlichen Drehtanz. Die etymologische Ableitung
aus seiner engeren Heimat (,,Landl" ist eine alte Bezeichnung fur Oberosterreich) hat viel
fur sich. Danach ist der ,,Deutsche" manchmal dem Landler vollig gleichgeartet, bald behalt
er das Choreographische und in musikalischer Hinsicht Tempo und metrisch-architektonische
Verhaltnisse des Landlers bei, wird aber Jnhaltlich neugestaltet. Sei dem wie immer,
am Beginne des 19. Jahrhunderts sieht man das Menuett immer mehr als Gebrauchstanz
verschwinden und den ,,Deutschen Tanz" unbedingt in den Vordergrund treten. Er bewegt
sich in gemafiigtem Tripeltakt, besteht in der Regel aus zwei achttaktigen Perioden und be-
schrankt sich in seiner einfachen Gestalt durchaus auf die Harmonien von Tonika und Do-
Wiener Tanzmusik und Operette 985
mmante. Die Rhythmik zeigt keine besonderen Scharfen, der Ba8 bevorzugt urspriinghch
die rhythmische Folge f' , , haufig ist der Auftakt anzutreffen, die Melodik zeigt insbeson-
dere beim Wiener Landler starke Verwandtschaft mit dem alpenlandischen Volkslied und dem
Jodler, die auf dem erst en Viertel, wie auch auf dem letzten Viertel oft anzutreffenden Achtel
sind nicht selten als Viertel mit ihrem akkordischen Uberschlag zu erkennen. Schubert gestaltet
vielfach seine deutschen Tanze zu kleinen Charakterstiicken um, ohne daC sie aber ihr Wesen
als Tanzmusik dabei verloren. In harmomscher Hmsicht werden diesem Volkstanz neue
Farben verliehen. Auch die Vereinigung mehrerer deutscher Tanze zu einer Kette mit an-
gefiigter Coda begegnet in seinen Tanzkompositionen haufig. Neben den ,,Deutschen
Tanzen" spielen die Ecossaisen eine grofie Rolle, nach Bohme eine in Frankreich ent-
standene schnelle Anglaise. Musikalisch ist siedurch 2/4-Takt und zwei achttaktige Perioden
gekennzeichnet.
Die Tanzform, an die sich das Emporsteigen Wiens auf dem Gebiete der Tanzmusik kniipft,
ist der Walzer. Seine Entstehung aus dem Landler durch Verscharfung der Rhythmik und
Beschleunigung des Tempos ist ziemlich sicher. Auch zum ,,Langaus" bestehen wohl be-
stimmt Beziehungen, allein die auftretenden Ubergangs- und Mischformen zeigen als Haupt-
wurzel den Landler. Wie alle neuen Gestaltungen im Verlaufe einer Entwicklung, ist auch der
Walzer allmahlich entstanden; besondere Ereignisse, wie z. B. hier der „ Walzer" in V. Martins
,,Una cosa rara", der Oper, die 1787 in Wien den Preis iiber Mozarts ,,Figaro" davontrug,
mogen der Entwicklung besondere Impulse verliehen haben, mehr aber wohl nicht. Anfanglich
zeigt der Walzer groBe Ahnlichkeit mit dem deutschen Tanz, noch bei Schubert wird man
vielfach iiber die Qualifikation im Zweifel sein. In formaler Hinsicht ganz analog gebaut —
auch das Trio hat der Walzer urspriinghch mit dem deutschen Tanz gemein — zeigt auch
das melodische und rhythmische Bild vielfach keine Unterschiede; der kennzeichnende Be-
gleitungsrhythmus des Walzers (Bafinote auf dem ersten Viertel, die beiden andern nach-
schlagend) begegnet schon bei deutschen Tanzen Mozarts und Beethovens, geschweige denn
bei Schubert.
Die Weiterbildung dieser Tanzform, die Ausbildung der als Wiener Walzer iiber die ganze Welt
verbreiteten Kompositionsform ist nun an zwei Namen gekniipft, deren Trager fernab standen
von der ernsten symphonischen Musik, die aus dem Wiener Volke und seiner Musik zu weit-
ragender Hohe emporwuchsen : Lanner und StrauC. Schon urn die Jahrhundertwende fallt
es den verschiedenen Fremden, die Wien besuchen, immer wieder auf, wie nicht nur im Leben
der hohen Gesellschaft die Musik eine groCe Rolle spielte, sondern auch beim breiten Volke.
,,Aus alien Fenstern schallt Musik, in alien Hofraumen Musik, aus jedem Gasthause Musik*'
schreibt ein Reisender. In vielen Gasthausern war ein kleinerer oder groCerer Ballsaal vor-
handen, und wenn man den Berichten aus dieser Alt- Wiener Zeit Glauben schenken darf, war
trotz der grofien Zahl derartiger Lokale dennoch fast zu wenig Raum vorhanden, um dem Tanz-
bediirfnis der Wiener Bevolkerung zu geniigen. Eine der beriihmtesten Musikkapellen des alten
Wien war nun die des Michael Pamer (1782—1827). Mit der Stellung als Dirigent einer der-
artigen Kapelle war damals fast notwendig auch eigene kompositorische Tatigkeit auf dem
Gebiete der Tanzmusik verbunden; war es doch eine Ehrensache, stets mJt neuen Musik-
stiicken aufzuwarten. Aus der Kapelle Pamers, des heute vergessenen fruchtbaren Tanzkom-
ponisten, ging nun Joseph Lanner (1 801 — 1843), der Sohn eines Wiener Handschuhmachers,
Wiener Tanzmusik und Operette
hervor. Zur musikalischen Begabung mufite gerade far das Schaffensgebiet der Tanzkom-
position notwendig die lebendige Praxis hinzukommen. Nur wer selbst im Orchester gesessen
hatte, dem Herzen, von dem der Pulsschlag des Lebens imTanzsaaleausging,konntegleichsam
das innere Wesen dieser Musik erfassen, aus ihm heraus schreiben. Ungefahr mit 17 Jahren
trat der junge Lanner aus der Kapelle Pamers aus und griindete mit den beiden Briidern
Drahanek das aus 2 Geigen und Gitarre bestehende Terzett, das vorerst in Johann Jiinglings
Kaffeehause nachst der Schlagbriicke, bald auch beim ,,Griinen Jager" aufspielte. Die erste
VergroBerung erfuhr diese Kapelle, als ein Violaspieler von Pamer zu Lanner uberging, dessen
Name durch das ganze Jahrhundert hin in immer hellerem Glanze erstrahlen sollte: Johann
Straufi d. A. (1804—1849). Entstammte Lanner einer Altwiener Handwerkerfamilie, so war
das Vaterhaus StrauB' die Bierschenke ,,Zum guten Hirten" in der Leopoldstadt. In der
Musik der Bierfiedler, die auch hier aufspielten, mogen wohl die ersten musikalischen Ein-
driicke zu erblicken sein, die das Kind empfing. Bis zum Jahre 1825 blieben StrauB und
Lanner vereint; im Wirtshaus ,,Zum wallischen Bauer" begegnet die Kapelle, dann — durch
einen Cellisten zum Quintett erweitert — im Cafe Rebhuhn in der Goldschmiedgasse nachst
dem Stephansplatz, im Jahre 1824 wird die Solobesetzung aufgegeben und im ersten Kaffee
hause im Prater dirigiert nunmehr Lanner sein Streichorchester. Die Beliebtheit Lanners
wuchs derart, dafi er sich gezwungen sah, seine Kapelle zu teilen, um den verschiedenen Auf-
tragen nachzukommen, und damit wurde Johann StrauB der zweite Dirigent. Sein erstes Auf-
treten als solcher erfolgte beim ,,Grunen Baum". Ein Jahr spater trennten sich die beiden
Freunde, und die Wiener hatten nun die schwere Wahl, dem lockenden Bogen Lanners oder
der herrisch zum Tanze rufenden Geige Straufi' zu folgen. Die Folge zeigte, dafi die beiden
Meister einander keinen Abbruch taten, und nach wenigen Jahren wich die Verstimmung
zwischen ihnen und machte mehr einem freundlichen Wetteifern Platz. Lanner wurde Ende
1828 Musikdirektor der k. k. Redoutensale. Konzertreisen nach Graz, Prefiburg, Briinn zeugen
far den Ruf, den Lanners Kapelle genofi; anlaBlich der Kronung Kaiser Ferdinands nach
Mailand berufen, fand er auch doit begeisterte Aufnahme. In Wien selbst gab es wohl kein
bedeutenderes Lokal, das nicht Lanners Konzertieren mit Stolz auf seine Ankiindigungen
setzte. Eine grofie Festlichkeit war ohne ihn kaum denkbar, es ware denn Johann StrauB an
seiner Stelle.
Zum ersten Male trat dieser mit seinem ,,Tauberl~WaIzer" im Jahre 1 826 im Gasthause ,,Zu den
zweiTauben" auf dem Landstrafier Glacis als Komponistvor die Off entlichkeit. Ober das Lokal
,,Zur Kettenbriicke" fand er im Jahre 1830 den Weg in eine der groBten und beriihmtesten
Vergniigungsstatten Wiens: ,,Zum Sperl". Weit mehr als Lanner zog Straufi mit seiner Ka
pelle in die Welt hinaus; Konzertreisen nach Pest, nach Deutschland, Frankreich, England
verbreiteten den Ruhm der Wiener Tanzmusik iiber den ganzen Kontinent. Am Wiener Hofe
bekleidete er die Stelle eines k. k. Hofballmusikdirektors.
Ein Uberblick iiber die Kompositionen von StrauB und Lanner laBt die Entwicklung der
Wiener Tanzmusik ungefahr von 1820—1850 ziemlich deutlich erkennen. Das spatere Hervor-
treten StrauB' als Komponisten kommt schon in den Titeln der Kompositionen zum Ausdruck.
Erst op. 7 von Lanner tragt den Titel Walzer: ,,Aiifforderung zum Tanz. Walzer mit Trio
und Coda." StrauB gibt schon seinem op. 1, das nach Lanners op. 25 entstanden ist, diese Be-
zeichnung. Die ersten Kompositionen Lanners sind als ,,Deutsche" (op. 5 : Kronungs-Deutsche)
Wiener Tanzmusik und Operetta 987
oder als ,,Landler" (op. 1 : Wiener Landler) bezeichnet. Ein stilistischer Unterschied ist
zwischen diesen einzelnen Werken kaum festzustellen. Auch die ersten Walzer halten sich
noch ganz im gleichen Rahmen. Das Aneinanderreihen einer Anzahl von Tanzen im 3/4-Takt,
die aus zwei wiederholten 8-, dann auch 16taktigen Perioden bestehen, ist die Regel. Beim
Landler ist vielleicht ein noch starker ausgepragtes Hinneigen zum alpenlandischen Jodler fest-
zustellen ; auch die Rhythmik ist im allgemeinen beim ,,Deutschen" scharfer. Im Walzer findet
sich bald eine allerdings nicht hauf ige Erweiterung durch Einschub eines Staktigen Mittelteils.
Das Hinzufiigen eines Trios — das vielleicht ftir den Zusammenhang des ,,Deutschen" mit
dem Menuett spricht — ist beim Walzer nicht die Regel, findet sich aber auch noch in spateren
Werken Lanners, wie seinem ,,Walzer-Bouquet" op. 95 (1835). Fur den Mangel an einer
scharfen Trennung der einzelnen Bezeichnungen mag auch als Beleg dienen, daB Lanners
opus 31, die ,,Zauberhorn-Landler", u. a. einen ,,Landler furTanzlustige", einen „ Walzer fur
Liebende", einen ,,Trink- Walzer", einen ,,Erinnerungen an Oberosterreich" betitelten Landler
enthalten. Die Vereinigung mehrerer Tanze (sei es nun ,,Deutsche", Landler oder Walzer)
zu einem geschlossenen Werke durch Voranstellung einer Introduktion und Anfiigung einer
Coda, die iiber den Umfang der einzelnen Tanze hinausgeht, findet sich friihzeitig. Schon bei
Beethovens ,,Landlerischen Tanzen", die 1803 erschienen, tritt sie auf. Wahrend aber die Coda
urspriinglich thematisch neues Material brachte, greift sie im Laufe der Zeit immer mehr auf
die vorangegangenen Walzer zuriick und wird schliefilich ganz aus Teilen von ihnen zusammen-
gesetzt. Allmahlich entwickeln sich die Introduktionen zu kleinen charakteristischen Ton-
gemalden, die mitunter auch programmatischen oder zumindest tonmalerischen Charakter
annehmen. Wahrend namlich noch im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts die Tanze
in beliebiger Anzahl aneinandergereiht wurden, findet nunmehr eine Beschrankung start, die
schliefilich zur regelmaBigen Vereinigung von 5 oder 6 Walzern fiihrt, die durch Einleitung und
groBe Coda zusammengefafit werden. Die Titel der Walzer bieten eine ganz trcffliche Illustra
tion der Wiener Ereignisse wahrend der damaligen Zeit. Vielfach bezeichnen sie nur den
besonderen Charakter des Tanzfestes, far das sie geschrieben wurden, z. B. von Lanner die
Juristenball-Tanze", ,,Askulap~ Walzer" (fur einen Medizinerball), MHofbaH-Tanze", bald
weisen sie auf das Lokal des Ballfestes hin, wie z. B. Johann StrauB' ,,Tauberl-Walzer op. 1"
(siehe oben), die ,,Kettenbriicke- Walzer", ,,Hietzinger Reunion-Walzer" (in Hietzing befand
sich das beriihmte Dommayersche Kasino), ,,Sperls Fest-Walzer", die ,,Volksgarten-Quadrille",
,,Odeon-Tanze" ; historische Ereignisse ziehen voriiber, wenn Lanner einen seiner Galoppe
,,Die Ersturmung von Constantine" betitelt, oder StrauB seinen bei der Kronung Victorias
von England zum erstenmal aufgefahrten Tanzen die Oberschrift: ,,Huldigung der K(5nigin
Victoria v. Grofibritannien" gibt. Musikalische Erfolge auf dem Gebiete des Theaters spiegeln
sich wider, wenn in zahlreichen Werken Motive aus beliebten Opern verwendet werden
(,,Bekannte Tone der Unbekannten", Cotillons nach Bellinis ,,La Straniera ', ,,Marsch und
Galoppe" nach Bellinis ,,Norma", ,,Zampa- Walzer", ,,Montechi^Galopp", ,,Robert-Tanze"
[nach Meyerbeers ,,Robert der Teufel"]). Der ,,Furioso-Galopp nach Liszts Motiven" er-
innert an dessen Konzerte in Wien, die gefeierte Tanzerin Marie Taglioni begegnet in Straufi'
,,Tagliom-Walzer". Dafi mit der fortschreitenden Entwicklung der Walzer sich von der ur-
spriinglichen Beschrankung auf 16Takte freimachte, erscheint selbstverstandlich. Die Ein-
leitungen nahern sich vielfach dem Opernstile und wlrken daher auch durch Gegensatzlichkeit
63 H.d. M.
<Jgg Wiener Tanzmusik und Operette
trefflich als Vorbereitung. Unter den beriihmtesten Walzern Lanners waren zu erwahnen:
die ,,Pesther-Walzer" op. 90, die MHofball-Tanze 4 op. 161, ,,Die Rornantiker" op. 167,
,,Die Vorstadtler" op. 195, ,,DJe Schonbrunner" op. 200. Der Vergleich der Walzer von
Lanner und StrauB d. A.zeigtinnerhalbderGemeinsamkeitendergleichenEntstehungszeit die
verschiedenartige Individuality der beiden Kiinstler. Die Weichheit der Empf indung, die Lanners
Walzer auszeichnet und immer noch einen Zusammenhang mit den einstigen deutschen
Tanzen und dem Landler erkennen lafit, ist in den Werken von Joh. StrauB d. A. nicht so stark
ausgepragt. In seinen Walzern ist er weit mehr zukunftweisend. In gewissem Smne konnte
man ihn als den Rhythmiker, Lanner als den Melodiker bezeichnen. Der uber groBere me-
trische Glieder reichende Schwung des Walzers der spateren Zeit lafit sich auf StrauB d. A.
zuriickfiihren. Zu seinen bekanntesten Walzern gehoren die ,,Ti voli -Rut sch- Walzer ' op. 39,
die ,,Hofball-Tanze" op. 51, ,,Die Berggeister" op. 113, ,,Die Adepten" op. 216, ,,Aeaciden"
op. 222 u. a. m.
Neben dem Walzer nehmen aber auch andere Tanze in dem Schaffen dieser Kiiiistler einen
breiten Raum ein. Schon die Klassikerzeit weist neben dem 3/4-Takt-Tanze die ,,Ecossaise"
im 2;VTakt auf. Bei Lanner und StrauB tritt der Galopp stark in den Vordergrund, ein sehr
rascher Rundtanz. Nicht nur als selbstandiger Tanz findet er sich, sondern auch vor dem
Finale des Walzers (\vie die Coda spater genannt wurde) eingeschoben. Der Polka kommt erst
urn 1840 in Wien auf und erfreut sich lange Zeit groBer Beliebtheit. Ziemlichen Umfang im
Schaffen Lanners und StrauB* nehmen noch die ,,Cotillons" ein, for die mit Vorliebe Motive
aus Opern usw. venvendet werden, eine Aneinanderreihung von Tanzen, hauptsachlich im
3/4-Takt, die sich kompositionstechnisch von den bereits erwahnten Tanzformen kaum unter-
scheiden. Auch die Quadrille verdankt ihre Verbreitung in Wien wohl in erster Linie dem
Wirken Lanners und StrauB'; wenn von Lanner auch schon aus dem Anfange der 30 er Jahre
die ,,Quadrille fran^aise" op. 68, vorliegt, bringt doch erst das Ende dieses Dezenniums die
grofie Verbreitung dieses Tanzes. AuBerhalb des Gebietes der Tanzkomposition liegen die
Potpourris Lanners und StrauB'. Den kiinstlerischen Hohepunkt ihres Gesamtschaffens be-
deuten aber zweifellos ihre Walzer. Neben diesen beiden Kiinstlern wirkten auf dem gleichen
Gebiete eine ganze Reihe von Komponisten, deren Namen heute vergessen sind oder keinen
Klang mehr besitzen. So Z.B.Joseph Gung'l (181 0—1889), der seine Wirksamkeit zwischen
Deutschland und Osterreich teilte, auch in Amerika konzertierte, insbesondere aber Philipp
Fahrbach (1815—1884) sen., dem auch in seinem gleichnamigen Sohn (1840—1894) ein
Nachfolger erstand.
Der 15. Oktober 1844 bedeutet in der Geschichte der Wiener Tanzmusik ein wichtiges Er-
eignis. Wenige Monate nach Joseph Lanners Tod war dessen neunjahriger Sohn zum ersten-
mal als Dirigent aufgetreten und hatte des Vaters ,,Schonbrunner" dirigiert. August Lanner
(1 834 — 1 855) trat in die Fufistapfen seines Vaters. Nach einigen Jahren eif rigen Lernens trat er
dann auch an die Spitze einer standigen Kapelle. Allein er hatte das Erbe seines Vaters nicht
lange zu verwalten. Wenn auch seine Kompositionen durchaus nicht Alltagsware sind, seine
Lebenszeit war zu kurz, als daB er sich auch als der geistige Fortsetzer des Vaters hatte aus-
wirken konnen. Anders bei Straufi. Wider des Vaters Willen hatte der alteste Sohn sich ganz
der Musik zugewandt und an dem erwahnten Tage trat er das erstemal vor die Offentlichkeit ;
dies war der Tag, an dem dem Walzerfursten Altwiens das Zepter von dem eigenen Sohne ent-
Wiener Tanzmusik und Operette CjgO,
wunden wurde. Neben Joh. Straufi d. A. trat Joh. Straufi d. J. (1825—1899). Gleichdiebei
diesem Debut gebrachten Kompositionen des 19jahrigen Jiinglings (darunter ,,Die Gunstwer-
ber" op. 4) sicherten diesem durch die stiirmisch-begeisterte Aufnahme, die sie fanden, einen
ersten Platz unter den Kiinstlern auf dem Gebiete der Wiener Tanzmusik. Die nachsten Jahre
brachten die Versohnung zwischen Vater und Sohn, die nunmehr nebeneinander wirkten. Ein
Miteinander verhinderten wohl die Familienverhaltnisse. Wie seinerzeit Joseph Lanner, hatte
sich auch Johann Straufi d. A. von seiner Frau getiennt, und der Sohn war bei der Mutter aufge-
wachsen. Trefflich kennzeichnet sich die Scheidunt; zwischen Alt- und Neu-Wien in zwei Kom
positionen aus dem Jahre 1848: dem Radetzkymarsth von Joh. Straufi d. A. und dem Revolu-
tionsmarsch von Straufi Sohn. Der Jiingere gehorte auch innerlich einer neuen Generation an.
Im Walzer geht Johann Straufi d. J. deutlich von den Meisterwerken des Vaters aus. Aufierlich
hat er sein Wirken selbst mit den Worten gekennzeichnet, die er anlafilich seines SOjahrigen
Kiinstlerjubilaums sprach : ,,Meine Verdienste sind schwache Versuche, die Form zu erweitern,
die ich von meinem Vater erhalten habe." In der Tat, das aufierlich Unterscheidende zwischen
seinen und des Vaters Werken zeigt sich vor allem in der formalen Erweiterung. Ihre Grundlage
bildet aber die neue Melodik, die ihre Bogen weit iiber die Acht- oder Sechzehntaktigkeit der
friiheren Zeit hinausspannt, in den dadurch gegebenen grofieren, in metrische Beziehung ge
brachten Gebilden auch Raum fiir harmonische Weitungen, im Grunde genommen Erweite-
rungen der Kadenz bietet und dadurch den Walzer die letzten Reste des verhaltnismafiig
primitiven Landlers und ,,Deutschen" abstreifen lafit. Die melodische Kunst und Kraft
Johann Straufi' kommt aber auch in den Beziehungen zum Ausdruck, die den einzelnen
Gliedern der grofien Gesamtlinien zukommen. Wie die Vord ersatz- und Nachsatzbeziehungen
auch in komplementaren Wendungen der Melodic sich widerspiegeln, wie die Weitung
des melodischen Bogens in diastematischer Hinsicht zur Steigerung, harmonisches und durch
metrische Dehnungen bewirktes Ritardieren zur Erhohung der Spannung benutzt wird, zeigt die
Meisterschaft Straufi' in hellem Lichte. Gewifi tragt er in die Tanzmusik mehr Kunst hinein,
er entfernt sich in gewissem Sinne von der volkstiimlichen Urform, allein der Zusammenhang
mit der Volksmusik Wiens bleibt stets gewahrt. Die Wienerische Note, die sich vom Beginne
des 19. Jahrhunderts an in der Wiener Tanzmusik deutlich bemerkbar macht, kommt auch
den Werken des Walzerkonigs in starkstem Mafie zu. Seine ungarischen, spanischen, russischen
Kompositionen sind ebenso wie seine Polkas und Polkamazuren durchaus wienerische Musik.
Allein was den inneren Unterschied zwischen den Werken von Straufi Vater und Straufi
Sohn ausmacht, ist die Anderung des Inhalts der Werlce. Das Jahr 1848 hatte den Wiener
aus der Biedermeierseligkeit erwachen lassen; die neue Zeit der neugewonnenen Freiheit
macht sich auch in der Wiener Musik geltend, das lange zuriickgehaltene innere Feuer
fand nach der Explosion der Marz- und Oktobertage freie, gereinigte Luft und bildete in
seinen Aufierungen ein Gegengewicht gegen die manchmal allzu weiche, sentimentale Stimmung
der friiheren Zeit. Wie die Symphonic und das Streichquartett von der Serienkomposition
zum Einzelwerk fortgeschritten war, so brachte Joh. Straufi d. J. diesen Prozefi auf dem
Gebiete der Tanzmusik, insbesondere der Walzerkomposition in geradlinigem Fortschreiten
auf dem von Lanner und Straufi d. A. beschrittenen Wege zur Vollendung. Gewifi kann nicht
jedem einzelnen seiner 477 Werke der gleiche Wert zugesprochen werden, allein jedes Jst
gewissermafien — um Haydns Ausspruch beziiglich seiner Symphonien zu gebrauchen — ein
63*
C)O,g Wiener Tanzmusik und Operette
eigener Charakter. Stets sind es neue Gedanken, die trotz verwandter Form in mannigfachster
Abwechslung dem verschiedenartigen Inhalt Ausdruck geben, der sich schliefilich in dem
Begriff ,,Wien" zusammenfassen lafit. Straufi ging mit seiner Zeit; auch in seinen Walzern
macht sich der Einflufi des grofien Stilwandels geltend, den die Hochromantik bedeutete. So
manche seiner Introduktionen, die er — wie G. Adler hervorhebt — durch verschleierte Ein-
fiihrung des Hauptthemas in engste Beziehung zum folgenden zu bringen weifi, weisen ziemlich
deutlich nach Weimar und Bayreuth. Aber er fiihlte genau, wie weit er gehen durfte, urn nicht
den Boden der Tanzmusik zu verlassen; in seinen Walzern, Quadrillen, Polkas usw. bleibt er
stets der Tanzkomponist, dessen Weisen ebenso im Wirtshaus der Vorstadt, wie auch im
Ballsaal der Hofburg — seit 1863 war Straufi Hofballmusikdirektor — den Willigen in'Be-
geisterung versetzten, den Widerstrebenden gefangen nahmen und mit sich zogen. Weit iiber
Wien und Osterreich hinaus herrschte Johann Straufi auf dem Gebiete der Tanzmusik. Seine
Meisterschopfungen wie ,,Kunstlerleben", ,,Wein, Weib und Gesang", ,,Friihlingsstimmen",
,,G'schichten aus dem Wiener Wald" und sein vielleicht popularstes Tanzwerk: ,,An der
schonen blauen Donau" erweckten nicht nur in ihrer Heimat Beifallsstiirme, in Straufi und
seinen Werken eroberte sich die Wiener oder besser die Wienerische Musik die Welt. London,
Paris, St. Petersburg, die grofien Stadte Amerikas beugten sich dem Szepter Straufi'.
Straufi war, wie G. Adler betont, seinem innersten Wesen nach durchaus Instrumental-
komponist. Auch seine Vokalwalzer sind nicht aus dem Texte heraus erfunden; dieser mufi
sich vielmehr dem absolut musikalischen Geschehen unterordnen. Allein derRuhm desTanz-
komponisten stachelte den Ehrgeiz des Tonkiinstlers an, auch auf dem Theater zu siegen;
Straufi wandte sich der Operette zu und strebte zur komischen Oper.
Die Wiener Operette liegt dem ruckschauenden Blicke als eine dieser Stadt ganz eigene
Kompositionsform vor, die sich wesentlich von den Operetten norddeutscher oder f ranzosischer
Art scheidet. Eine ganze Reihe von Eigentumlichkeiten erweisen sich auch als Abkommlinge
der im Singspiel und der Posse des Wiener Vormarz auftretenden Musik. Allein der un-
mittelbare Anlafi zum Aufbliihen der eigentlichen Operette in Wien kam von auswarts. Am
16. Oktober 1858 kundigte der Theaterzettel des von Johann Nestroy, dem Wiener Aristo
phanes, geleiteten Carltheaters die Auffiihrung der ,,Hochzeit beim Laternenschein" mit Musik
von Offenbach an. Wie dieser eigentliche Schopfer der modernen Operette in Wien damals
nur dem Horensagen nach bekannt war, zeigt eine Kritik in Bauerles Theaterzeitung mit den
Worten : ,,Die Musik ist von Offenbach — wohl der bekannte Pariser Komponist — ". In Paris
waren allerdings die ..Bouffes", Offenbachs Theater, schon zu einem Treffpunkt aller Ge-
sellschaftsschichten geworden, die sicher waren, in ihrem Unterhaltungsbediirfnis dort auf
ihre Rechnung zu kommen. Anfangs, in seinen Einaktern, angefangen vom ersten grofien
Erfolg, den ,,Beiden Blinden", bot Offenbach inhaltlich irgendeine heitere Episode aus dem
Alltag, deren halb lustig, halb sentimentale Darstellung zu einem witzigen Abschlufi fiihrt.
Diese, grofitenteils fur kleine Biihnenverhaltnisse berechneten Miniaturen — urspriinglich
durfte Offenbach nur drei singende Personen auftreten lassen — wurden dann, ohne aber ganz
aufgegeben zu werden, von den Parodien und Satiren abgelost, denen seine Hauptwerke zu-
zurechnen sind. Die Zeit des Niedergangs, in die Offenbachs Wirken fallt, ermoglichte
diese ganze Stilgattung. Und Mythos, Legende, mittelalterliche Romantik treten ebenso im
Zerrspiegel der Karikatur vor den Zuschauer, wie Aktualitaten der Gegenwart. In diesen
Wiener Tanzmusik und Operette 991
Werken liegt die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung ihres Schopfers. Nicht den Stoffen
allein verdankten sie aber ihre Anziehungskraft, sondern Offenbach besaB auch die Gabe,
sie mit einer ihrem Inhalt und ihrem Zweck vollig entsprechenden Musik zu umkleiden.
Die Unterhaltung der Zuhorer stand im Vordergrund, und daher mufite die Musik auch ohne
irgendwelche Probleme aufzugeben den Zuhorer fesseln, ihm keine Zeit lassen, irgendwie
tieferen Gedanken nachzugehen. Das hauptsachlichste Mittel, mit dem Offenbach auf das
Publikum musikalisch wirkte, war daher eine straffe Charakteristik im Einzelnen, leichtbe-
schwingte Melodik und insbesondere eine unwiderstehlich fortreifiende Rhythmik. Er iiberlud
auch seine Stiicke nicht mit Musik; in seinen Einaktern finden sich Werke mit nur fiinf Musik-
nummern. Im grofien und ganzen herrscht das System der ,,EinIagen". Nicht aus der Hand-
lung heraus erwachst die Musik der Operette, sondern aus irgendeiner oft ganz unnotwendigen
Wendung des Textes, aus dem Stichwort, wie R. Specht treffend hervorgehoben hat. Die Musik
unterbricht die Handlung. Auch der Schlager findet sich schon bei Offenbach. 1st ja ,JFor-
tunios Lied4* nur als Folie fur das mehrere Jahre friiher als Einlage fur ein anderes Stuck ge-
schriebene Lied entstanden. Die Entwicklung, die Offenbach am Schlusse seines Lebens, in
,,Hoffmanns ErzahlungerT nimmt, gehort der Operngeschichte an.
In Wien drang die Operette Offenbachs gleichsam durch ein Hintertiirchen ein. Nestroy
liefi namlich die Musik, ohne urn irgendwelche Erlaubnis zu fragen, nach dem Klavierauszug
von seinem Hauskapellmeister Carl Binder instrumentieren, und auf diese Art wurden die
Wiener mit einer ganzen Reihe von kleineren Werken des geistreichen Pariser Komponisten
bekannt. Neben diese franzosische Produktion trat nun bald einheimische, und zwar ist es
Franz von Suppe (1819—1895), der als erster mit bedeutenderen Werken dieser Stilgattung
auf den Plan trat. Als Kapellmeister des Theaters an der Wien stand er mitten im praktischen
Musikbetriebe der Vorstadttheater. Wodurch sich seine Operetten schon in der ganzen Haltung
von denen Offenbachs unterscheiden, was auch lange Zeit hindurch far die Wiener Operette
kennzeichnend blieb, ist das Zuriicktreten des Zynischen, Lasziven, wovon die Werke des
Parisers oft nicht freizusprechen sind. Es entsprach dies vollig der Eigenart des Wieners,
der auf mehr oder weniger harmlose Unterhaltung eingestellt war. An die Stelle der beifienden
Satire trat eine komische, manchmal das Possenhafte streifende Handlung, in der gleichwohl
Anspielungen auf aktuelle Zustande nicht fehlten; der Grundton ist aber weit mehr der einer
gutmiitigen Heiterkeit, die auch im ausgelassenen Obermut Grenzen wahrt. Ein \veiterer
kennzeichnender Zug der Wiener Operette liegt in der Gefiihlsseligkeit, die uber gewisse
lyrische Partien ausgebreitet Jst, und auch wieder die Gefahr der Sentimentalitat in sich birgt,
der nicht alle Komponisten auszuweichen vermochten. Man vergleiche nur die Gestaltung
der mythologischen Figuren bei Offenbach und in Suppes ,,Schoner Galathee". Musikalisch
macht sich das Offenbachsche Vorbild bei Suppe ziemlich deutlich bemerkbar. Allerdmgs der
feine Geist, der trotz aller Krafiheit bei dem franzosischen Komponisten durchleuchtet, fehlt
in diesen Wiener Werken, die aber durch die begreifliche starkere Anlehnung an die Wiener
Singspieltradition der Stilgattung der Operette wieder andere Elemente von bleibendem Werte
einfiigten. Der erste grofie Erfolg Suppes, dessen erste Operette ,,Das Pensionat" schon 1860
uber die Bretter gegangen war, war die 1876 zum erstenmal gespielte ..Fatinitza ' ; er wurde
von dem des ,,Boccaccio" (1879) fast noch iibertroffen. Wenn auch Suppe kein gebiirtiger
Wiener war, hatte er sich doch in den Geist dieser Stadt so eingelebt, dafi er durchaus wiene-
992 Wiener Tanzmusik und Operette
rische Musik schrieb, der lediglich hin und wieder ein fremdlandischer, italienischer Akzent
ankaftet.
Wenn man bedenkt, daB einen Hauptbestandteil der Operettenmusik Tanze ausmachen,
nimmt es fast wunder, daB Johann StrauB in seinem Operettenschaffen nicht den Gipfel
seines Kiinstlertums erreichte. Allein StrauB war, wie hervorgehoben wurde, durchaus In-
strumentalkomponist. Wie sehr ihm die Handlung des Stiickes gleichgiiltig war, zeigt eine
Briefstelle, in der er schreibt, dafi er von einer seiner Operetten nur die Gesangstexte vor sich
gehabt habe, den Dialog aber gar nicht gekannt habe. Allein auch den Gesangstexten ver-
mochte er seine Musik nicht unterzuordnen und zahlreiche unrichtige Textbetonungen, auch
sinnwidrige Trennungen einheitlicher textlicher Gedanken zeigen die durchaus absolut musi-
kalische Erfindung der Musik. So wirken auch die aus den Operetten von ihm selbst ge-
bildeten Walzer ganzlich losgelost von Text mindestens ebenso stark wie in der Operette.
Man denke nur an die ,,Rosen aus dem Siiden", die dem ,,Spitzentuch der Konigin" entnommen
sind. Die Anlehnung an Offenbach, die bei Suppe immerhin stark hervortritt, wird bei StrauB
von dem unverfalschten Wienertum verdrangt, das auch in seinen Operetten immer wieder
zum Durchbruch kommt. Bei StrauB mogen die verschiedensten Typen auf der Biihne er-
scheinen, seine Musik macht sie immer wieder zu verkappten Wienern. Die Zahl der Biihnen-
werke Johann StrauB' ist 17, wozu noch das nachgelassene Ballett ,,Aschenbrodel" kommt.
Von all diesen Werken haben sich eigentlich nur zwei dauernd auf dem Spielplan erhalten ; die
,,Flederrnaus" und der ,,Zigeunerbaron". Insbesondere seiner Oper ,,Ritter Pazman" — wie
die meisten Operettenkomponisten strebte auch StrauB der eigentlichen Oper zu — war kein
Erfolg beschieden. Die Anforderungen moderner musikalischer Dramatik waren StrauB
wesensfremd. Die meisten seiner iibrigen Biihnenwerke, wie z. B. ,,Indigo" (1871), ,,Carneval
in Rom** (1873), ,,Nacht in Venedig" (1883) errangen zwar seinerzeit groBe Erfolge, allein
der Dauererfolg der ,,Fledermaus" blieb ihnen versagt. Nicht als ob die Musik zu diesem
bekanntesten Biihnenwerke StrauB' um so viel besser ware, als in den anderen; allein hier
tritt vielleicht der Wesenskern der Operette am klarsten zutage. Fur Ernst ist in dem ganzen
Werk kein Raum gelassen, es kommt zu keiner tragischen Verwicklung, zu keinerlei ernstem
Mitgefuhl mit dem Schicksal der auftretenden Personen wird der Zuhorer verleitet; man
mochte sagen, es iiegt eine feine Burleske vor ; vom Anfang bis zum SchluB wird der Zu
horer von dem flotten Tempo der Handlung mitgerissen, die Musik braucht zu dem
Geschehen auf der Biihne nicht in Gegensatz zu treten. Tritt das Sentimentale in den
Vordergrund, so ist es in parodistischem Sinne aufzufassen ; das Ganze ist von einer
tollen, iibermutigen Laune durchzogen, die nie verleugnet wird, die Handlung verliert so-
zusagen das Konkrete, wird zum Symbol der iibermutigen Lebensfreude. Gerade das Gegen-
teil liegt beim ,,Zigeunerbaron" vor. Er nahert sich in gewissem Sinne der komischen Oper.
Allein nicht darin mag der Erfolg dieses Werkes gelegen sein, sondern darin, daB es StrauB
gerade hier glikkte, aus der Stimmung des ganzen Milieus heraus die Musik zu schreiben.
Bekanntlich wurde die Musik vor dem Text geschrieben, Straufi lag lediglich das Szenarium
vor und Ignaz Schnitzer, der das Libretto nach einer Idee M. Jokais verfaBte, war selbst
musikalisch genug, um sich der Eigenart Straufi ' anzupassen. Ein Umstand ist aber nicht zu
iibersehen, daB es gerade das ungarische Milieu ist, das hier herrscht, dafi aber ungarische Musik
mit ihrer scharfen pragnanten Rhythmik auf der einen Seite, der weichen, schwermiitigen
Wiener Tanzmusik und Operette 99.)
:e
Melodik auf der andern,der kiinstlerischen Individuality StrauB' sehr entgegenkam. Indiesen
beiden Werken hat Johann StrauB die Meisterwerke der alteren Wiener Operette geschaffen.
Neben Suppe und Straufi ist als dritter Grofimeister dieser Stilgattung Karl Millocker
(1842 — 1899) zu nennen. Wie Suppe ergreif t auch er die Laufbahn eines Theaterkapellmeisters.
Wenn er auch nicht die Hohe der beiden erwahnten Kiinstler erreicht, vielfach das Volks-
tiimliche nicht im richtigen Mafie zu veredeln weifi, besonders im Lyrisch-Sentimentalen
steckenbleibt, miissen von seinen zahlreichen Operetten ,,Bettelstudent" (1882), und ,,Der
arme Jonathan'4 (1890) zu den hochststehenden Werken dieser Gattung gezahlt werden. Auch
er strebte in seinen ,,Sieben Schwaben" der komischen Oper zu.
Suppe, Straufi und Millocker bedeuten Aufstieg und Hohepunkt der Wiener Operette. In
ihren Werken war ein Typus geschaffen, der, angeregt und vielfach beeinflufit durch die
franzosische Kunst Offenbachs, iiber diese schlieBlich den Sieg davontrug. Auf dem volks-
tumlichen Boden Wiens fufiend, ubernimmt er von dem auslandischen, vielfach wesensfremden
Gut das fur die Wiener Verhaltnisse Passende, verandert sein Wesen und wird richtunggebend
fiir lange Zeit und weite Kreise. Allerdings wie auf dem Gebiete der Tanzmusik macht sich
auch auf dem der Operette bald eine Entwicklung geltend, die von dem kurz gekennzeichneten
Wege weit abfiihrt.
Neben Johann Straufi, an kimstlerischer Bedeutung kaum hinter ihm zuriickstehend, wirkte
sein Bruder Josef Straufi (1827—1870), der sich erst in spaten Jahren iiber Drangen des
Bruders und der Mutter vom Ingenieurberufe der Musik zuwandte. Er vertrat seinen Bruder
in der Leitung der Kapelle. In seinen Kompositionen macht sich ein romantischer Zug geltend,
der ihnen einen eigenen Reiz verleiht; neben Walzern, unter denen sich Meisterwerke
wie: ,,Dorfschwalben aus Osterreich", ,,Delirienwalzer", ,,Spharenklange", ,,Transaktionen",
,,Mein Lebenslauf ist Lieb' und Lust" finden, pflegte er besonders die Mazur. Der dritte
Bruder, Eduard StrauB (1835—1916), in dessen Sohn Johann (geb. 1886) die DynastJe
Straufi noch eine musikalische Weiterfiihrung erfuhr, reictit als Komponist nicht an seine
beiden Bruder heran, wohl aber in seiner Eigenschaft als Leiter der beriihmten ,,Kapelle
Straufi", die erst 1901 aufgelost wurde.
Fast uniibersehbar ist die Reihe der spaten Zeitgenossen und Nachfolger Johann Straufi*
auf dem Gebiete der Tanzmusik. Eine ganze Reihe von hierhergehorigen Komponisten findet
sich unter den einstigen Militarkapellmeistern Osterreich-Ungarns. Es seien hier nur J. F.
Wagner, Karl Komzak, C M. Ziehrer, der letzte Hofballmusikdirektor erwahnt. Ins-
besondere auf dem Gebiete des Walzers bewegen sie sich durchaus in den vorgezeichneten
Bahnen. Auf dem Gebiete der Operette trate'n, abgesehen von dem erwahnten Ziehrer,
Richard Genee (1823-1895, ,,Der Seekadett", 1876), Karl Zeller (1842-1898, ,,Vogel-
handler", ,,0bersteiger") und die der Gegenwart angehorenden Komponisten wie Edmund
Eysler, Leo Fall, Oskar Straus, Franz LeKar u. a. m. hervor. Der ,,klassischen" Zeit
der Wiener Operette gegeniiber zeigt die ihr folgende mannigfache Abweichungen ; bald
erfolgt eine ganzliche Annaherung an das Volkstiimliche, bald wieder wird davon ganz ab-
geriickt und zu den Ausdrucksmitteln der Opernmusik gegriffen. Die Stoffe nehmen viel
fach tragische Momente auf, die aber nicht parodistisch aufzufassen sind, sondern ernst ge-
nommen werden wollen, dabei aber, entweder mit quasidramatischer Musik verbunden, in
einem kaum zu uberbriickenden Gegensatz zu den andern Tanznummern stehen, oder mit
994 Wiener Tanzmusik und Operetta
der ihnen selbst unterlegten Tanzmusik vereint, unwahr warden. Endlich bedeutet das Her-
vortreten auslandischer Tanze in der Operette ein Verschwinden des Bodenstandigen, ein
Verlieren der kennzeichnenden Note; denn was nicht zum geringsten Teil musikalisch den
Eigenwert der Wiener Operette ausgemacht hatte, war: die Vorherrschaft des Wiener Walzers.
Literatur
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(1850). — Bekker, P.: Jacques Offenbach. (1916, ,,Die Musik" 31/32.) — Bie, 0.: Der Tanz (19C6). —
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Keller, O.: Franz v. Suppe (1905). — Derselbe: Die Operette in ihrer geschichtl. Entwicklung (1926). —
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tanz in der Kulturgeschichte. (Programmbiich des ..Museion", 1920.) — Lange, F.: Joseph Tanner und
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(Stud. z. Mus.-Wiss. VIII.) — Rieger, E.: Offenbach und seine Wiener Schule. (,,Theater und Kultur", Bd. 4,
1 920.) — Derselbe: Die gute alte Zeit der Wiener Operette. (, JDie Wiedergabe" I, 9, 1 922.) — Specht,R.:
Johann Straufi. (,,Die Musik" Bd. 30.) — Aufsatze von M. Graf, E. Hanslick, M. Kalbeck, J. Komgold, F. Lange,
H. Scherber, H. Wittmann. — DTO. XXXIII (Lanner), XXXV (J. Straufi Vater), XXXII (J- Straufi, Sohn).
Alfred Orel
MODERNE
DIE MODERNE
Allgemeines
In diesem Abschnitt soil die Musik der (beilaufig) letzten fiinfzig Jahre besprochen warden.
Es ist klar, dafi die objektive Betrachtung sich mit subjektiver Stellungnahme, ausgehend von
Sym- und Antipathic, vermischt. Wir verlassen den streng historischen Boden, und zwar
immer mehr, je naher wir unseren Tagen kommen. Im Sinne der Grundtendenz eines wissen-
schaftlichen Handbuches ist moghchste Ausgleichung der gegensatzlichen Auffassungen er-
strebt, durch Kompromisse zwischen Geschichtsschreibung und TagesschriftstellereL Wir
horen nunmehr die ,,Stimmen der Volker", vernehmen die Betrachtungen berufener Vertreter
der Nationen. Ihre Aufierungen wurde in moglichste Harmonic miteinander zu bringen
versucht und die ihnen gewahrte Beweglichkeit wurde auch dann nicht unterbunden, wenn
das nationale Bewufitsein in Versuchung kam, iiber die Strange zu schlagen. Die Betrachter
stehen manchmal wie vor einem mit Bliiten iiberdeckten Baum und wissen merit und konnen
nicht ahnen, welche von ihnen zu Friichten gedeihen konnen. Sie sind sich dessen bewufit,
dafi das Zeiturteil verganglich ist — um so bewunderungswiirdiger die Zuriickhaltung der
jungeren Verfasser der folgenden Berichte. Ihre Liebe zu den ,Jungen" ist begreiflich. Die
verschiedene Auffassung von Einzelheiten gewahrt einen besonderen Reiz. Schon die Art der
Behandlung des Stoffes wirft einen Reflex auf die nationale Mentalitat des Schreibers. Daraus
ist auch der etwas ungleiche Umfang der Artikel, trotz proportionaler Zuteilung des AusmaBes,
zu erklaren.
Die nachfolgenden Untersuchungen erstrecken sich auf die Zeit von 1880—1929. Mit dem
ersteren Jahre ist die Grenzmarke gleichsam symbolisch angenommen. Wie allenthalben in
alien Stilperioden, so tauchen auch wahrend der Vorherrschaft einer Richtung neue Be-
strebungen auf. Die Romantik kommt in den achtziger Jahren zum AbschluB : Richard Wagner
starb 1882, Franz Liszt 1883, Cesar Franck 1890, Anton Bruckner 1896, Johannes Brahms 1897.
Mit dem ,,Parsifal" (1 882) geht die romantische Oper zu Grabe, einzelne Auferstehungsversuche
sind beachtenswert. Im Gefolge der Romantik stehen Kiinstler, die bis in unser Jahrhundert
von diesem Geiste beseelt sind: Hugo Wolf, Gustav Mahler und in unsern Tagen Hans Pfitzner,
um nur die Hervorragendsten zu nennen. So schien es wiinschenswert, ja geboten, die neuen
Bewegungen in Zusammenhang mit dem Vorangegangenen zu bringen. Es finden sich ge-
legentlich im folgenden Namen und Schulen herangezogen, denen wir schon begegnet sind.
In manchen Aufsatzen werden die Verbindungsfaden weiter zuriickgezogen, denn in der Tat
greift die Moderne in die Vergangenheit (einzelne Verfasser bringen kurze historische Einlei-
tungen). Der markanteste Fall des Vorstofies derModernen, der Verbindung mit der jiingsten
Bewegung ist die Oper ,,Boris Godunow" (1874), sind dieLieder von Modest P. Mussorgski,
die auch in den siebziger Jahren geschrieben wurden. Die ,,jungrussische" Schule steht wohl
unter dem Einflufi von Berlioz, Liszt und Wagner und ist ein Seitenstiick zu den Dichtungen
von Tolstoi und Dostojewski. Zur gleichen Zeit schreibt Grieg die Musik (1870) zu Ibsens
,,Peer Gynt" und die Nordlander machen ihre Eigenart immer mehr geltend. In den achtziger
Jahren regt sich Hugo Wolf als Lyriker und die Instrumentalwerke dieser Zeit von Richard
Straufi stehen noch auf dem Boden der Romantik, besonders seine symphonischen Dichtungen.
Mahler schreibt, der Programmatik abhold, seine erste Symphonic. Der Franzose (Belgier)
998 Die Modeme
Cesar Franck wird der Ausgangs- und Wendepunkt einer neu entstehenden Richtung in
Frankreich, die in der Folgezeit in Claude Debussy (unter Anlehnung an die Russen) einen
ersten Hohepunkt erreicht. Es lassen sich die Etappen nicht nach Lustren abgrenzen und
auch da gilt das Wort: ,,Alles flieBt."
Es machen sich Stromungen geltend, die mit Schlagworten etikettiert wurden. Auf der
einen Seite Impressionismus und Symbolismus, auf der andem Seite Naturalismus und
Realismus. Zweifellos bereitete sich eine Abtrennung vor, die zur ,,Sezession" am Anfang
unsres Jahrhunderts fiihrte. Diese Bewegungen machen sich besonders in der bildenden
Kunst und in der Dichtkunst (Verlaine, Baudelaire, Maeterlinck, Oskar Wilde, Stephan George,
Richard Dehmel, Hofmannsthal, Gabriele d'Annunzio — in bunter Mischung mit einschnei-
denden Differenzen) geltend. Der festgefiigte Organismus der Tonkunst leistet langer Wider-
stand. Der Grund liegt auch darin, weil Musik ohne Impression, ohne Symbolik iiberhaupt
nicht denkbar Jst und schon gar der jiingsten Bewegung des ,,Expressionismus" das wichtigste
Evolutionsmoment ihrer ganzen Entwicklung, den ,,Ausdruck" und seine Vervollkommnung
gegeniiberstellen kann. Im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte wird freilich auch die Ton
kunst zu Experimenten getrieben, die ihrer inn ersten Natur wesensfremd sind. Von all diesen
-ismen ist nur der Verismus der Italiener real fafibar (anfangs der neunziger Jahre) allein
vorziiglich wegen der Heranziehung solcher Stoffe in der Oper. Er breitete sich auch in andern
Landern aus. Die innerlichste Vervollkommnung erreicht die italienische Oper in Verdis
,,Falstaff" (1893), zugleich ein Ausgangspunkt fur die musikalische Verbindung antithetischer
Szenen. Der EinfluB Wagners naht einer Wendung, die sich bei den verschiedenen Nationen
in verschiedener Weise geltend macht. Aber noch 1901 stehen Arnold Schonbergs ,,Gurre-
lieder" teilweise auf Wagnerschem Terrain. Nachdem Richard Straufi in seinen Orchester-
werken der neunziger Jahre noch im Fahrwasser der ,,symphonischen Dichtungen", freilich
mit Einschlagen von Mitteln, die von uns noch bezeichnet werden sollen, geblieben ist, wendet
er sich in der Folge davon ab, greift immer mehr zur Oper. Ein Spatling (,,Alpensymphonie",
1915) zeigt, wie richtig seine Wendung war. Hierauf geht er zur Ballettkomposition iiber,
die von den Russen in ein neues Fahrwasser gebracht worden war. Mahler verfolgt unbeirrt
seinen Weg weiter und ordnet in einzelnen Symphonien den Instrumenten Vokalstimmen
ein (nach dem Vorbild von Vorgangern). Max Reger verbindet in Choralbearbeitungen
und Variationen neueste technische Mittel mit Behelfen, wie sie in den Ergebnissen historischer
Forschungen richtig erkannt wurden. Die letzteren hatten seit den achtziger Jahren einen
ungeahnten Aufschwung genommen und eine ganze Reihe der jiingsten Komponisten, be
sonders auch der sich in unserer Zeit neu etablierenden Wiener Schule genofi mit Erfolg die
Segnungen des Studiums alterer Musikwerke.
Wir werden nunmehr alle Nationen Revue passieren lassen, die sich in den letzten 40 Jahren
am musikalischen Leben beteiligt haben, sowohl die alten Musiklander, sowie die zu neuem
Leben erwachten Volker. Bunt sind die Erscheinungen und Krafte, bald auseinanderstiebend
(zentrifugal), bald einem neuen gemeinsamen Ziel zustrebend (zentripetal). Nationalismus halt
sich die Wagschale mit Internationalismus, der Tendenz, eine neue universale Tonsprache zu
erlangen. Immer weiter werden die Bogen gespannt — auch iiberspannt. Wir gewahren einen
Wirrwarr und Konflikt der Stile — die Tonkunst ist in einer Stromschnelle begriffen. Die
Bewegung ist seit beilaufig 1880 progressiv im Zunehmen, diirfte bald zu einer Krise, zu
Die Modeme 999
einer Lauterung gelangen, wie bei emem angestiegenen Fieber, so ahnlich wie am Anfang des
17. Jahrhunderts. Wir sind in einer Zeit des Uberganges, der Zuspitzung der Verhaltnisse
und eine Klarung scheint unausweichlich. Neben den progressiven Stadien besteht eine nach
der klassizistisch-romantischen Seite gerichtete Tradition und wachsende Liebe zu ,,schlichten
Weisen". Altes seht neben Neuem und Neuestem, Bewufites neben Unzulanglichem, so dem
,,Futurismus", dem die Zukunft sicher nicht gehoren wird. Welch Unterschied zwischen der
,,Zukunftsmusik" Wagners (eine Bezeichnung, die als Verspottung des ,,Kunstwerks der Zu
kunft" in die Parteien geworfen worden war) und dem gegenwartigen Larmmachen des ge-
nannten -Jsmus, der eigentlich nicht ernst zu nehmen ist.
Wie allenthalben machte sich in dem genannten Zeitraum die Tendenz geltend, exotische
und primitive Musik heranzuziehen, wie schon Weber einen schiichternen Versuch in seiner
chinesischen (Turandot) Ouvertiire machte — ein Seitenstiick etwa zum Japonismus in der
Malerei. In solchem Anschlufi an Exotik werden neue Skalen verarbeitet, wie schon Verdi
seinen ,,Pezzi sacri" eigene Skalen zugrunde legte. Die Ganztonskala (C, D, E, Fis, Gis,
Ais—B, His=C) wird von einzelnen Tonsetzem und Schulen fur ganze Kompositionen oder Ab~
schnitte herangezogen. Man greift zuriick zur Pentatonik (Fiinftonskala innerhalb der Oktav).
Mit Viertel- und Dritteltonen wird experiment Jert, wie sie in einstimmigen orientalischen
Weisen und in einzelnen Stadien des einstimmigen Kirchengesanges und der Antike Verwen-
dung fanden und in den erstgenannten sich noch heute finden. So werden die ,,Fesseln" der
iiberkommenen Tonalitat gesprengt. Wahrend im 19. Jahrhundert Anfang und SchluB der
Einzelstiicke und der zyklischen Kompositionen regular in der gleichen Tonart sich hielten
und die Lyriker nur ausnahmsweise in anderem Tone schlossen, wahrend die harmonische
Bewegung innerhalb geschlossener Satze normal auf eine Grundtonart bezogen werden konnte,
wird jetzt die Ausnahme zur Regel : Die harmonischen Relationen werden stetig komplizierter,
bis zur volligen Lockerung innerer Beziehungen verriickt. Indessen scheinen sie nur bei
den extravagantesten oder den stumperhaften Tonschreibern ganzlich aufgehoben und zer-
stort. Harmonien verschiedener Tonarten werden iibereinandergestellt, Zusammenklange als
Klumpen geballt — vorerst instrumental, koloristisch, sodann ins Vokale iibergreifend. Bitona-
litat (Zweitonartenverbindung) schreitet bis zur Polytonalitat vor. Die Stimmfuhrung entledigt
sich ihrer Regelung, die seit Jahrhunderten die freie Entfaltung der Mehrstimmigkeit nicht
hinderte, sondern forderte. So sind die Quinten-, Quarten^, Sekunden-, Septimengange
ein koloristischer Reiz der Moderne geworden und entstellen die Satzfiihrung, sodafi
man Stumper von geschulten Tonsetzern, die sich solcher Irregularitaten bedienen,
manchmal nicht unterscheiden kann. Auch darin liegt eine Riickkehr zur Primitivitat der
ersten Stadien der Mehrstimmigkeit, eine Wiederaufnahme erbgesessener Eigentumlich-
keiten alterer Kunstschulen, bis zu den Kruditaten der Dissonanzengange in den Toten-
litaneien alter Zeit und den Ausubungen altester Zeit, denen man noch heute in rudimentaren
Resten der Ubung musikalisch ungeschulter cder zuriickgebliebener Volksschichten begegnet
— was alles unter den Begriff der Heterophonie einbezogen werden kann. Quint engange
wurden auch Ende des 16. Jahrhunderts in der Villanella zur Kennzeichnung des Rustikalen
verwendet und auch Mozart erzahlt von Quintengesangen ungeschulter Italiener. Melodien
oder Gange, Themen oder Motive werden iibereinandergestellt, ohne Riicksicht auf den Zu-
sammenklang, auf die Reibung. Die Polyphonic artet in Polyodie aus, in der sich eine Stimme
]QQQ Die Moderne
nicht um die andere kiimmert, vielmehr will sich eine auf Kosten der andern ,,ausleben
auch dies Vorkommnisse altester Motettenubung. Anstatt der realen Polyphonic eine Schem-
kontrapunktik, eine Ubereinanderstellung von melodischen oder melismatischen Phrasen oder
Brocken. Eine neue Auffassung der ,,Dissonanz" macht sich geltend, die zur Aufhebung der-
selben fiihrt. Von Vorbereitung und Auflosung wird Abstand genommen. Was friiher Wiirze
war, wird jetzt tagliches Brot. Ob es zur Sattigung dient? Ob in der Praxis die Bedingungen
des Gehors, wie sie seit sechs Jahrhunderten als Ergebnis der Lauterung sich eingestellt haben,
beiseitegeschoben, aufgehoben werden konnen? Ob durch diese Erweiterung der Mittel eine
dauernde Bereicherung erzielt wird?
In der rhythmischen Behandlung zeigt sich eine Anderung, vorerst in der haufigeren Ver-
wendung von fiinf-, in der Neuverwendung von sieben-, neun~, elf- und andersteiligen Takten,
ebenfalls unter dem EinfluB exotischer und antiker Vorbilder. Oberhaupt erfolgt eine Locke-
rung der taktschlagmafiigen Behandlung, die wie in friiheren Perioden der Mehrstimmig-
keit und bei einstimmigen exotischen Weisen sowie im altesten Kirchengesang zu volliger
Aufhebung taktlicher Rhythmik fiihren konnte. Wie in dieser Kleinrhythmik, ^so zeigt sich
auch in der GroBrhythmik ein Weichen streng proportionaler Abmessungen, im Ubergehen zu
,,freien Formen", ein Abgleiten in kleine Gebilde. Durch die ungefahr dreifiigjahrige Ge~
wohnung an programmatische Instrumentalmusik, an tondichterische Phantasiegebilde, stellte
sich eine Lockerung des besonders durch die klassische Tonkunst gepflegten Formensinnes
ein, die bei einzelnen die Neigung zu volliger Auflosung fester Formen zeitigte. Es ist bisher
nicht gelungen, an Stelle des Sonatensatzes ein neues Gebilde zu schaffen, das fahig ware,
die musikalische Gedankenfiihrung logisch zu gliedern. Wohl haben sich Anderungen des
Sonatensatzes eingebiirgert: Die Durchfiihrung (als Mittelteil des klassischen Sonatensatzes
verwendet) greift in die andern Teile (Exposition und Wiederholung) iiber, sodafi sie einander
gleichen und die Gedankenfiigung und Gestaltung verwischt, das Ganze gleichsam amorph,
gestaltlos wird. Die thematisch-tonale Gegeniiberstellung im ersten Teil wird vermengt, mo-
dulatorisch, harmonisch-enigmatisch, Ratselspiel, ohne Riicksicht auf Eingrenzung und Ein-
ordnung ins Moluskenhafte uberftihrt. Und doch besteht das Bediirfms nach festerer Ge
staltung, das Interesse an Programmatik laBt gewaltig nach, die klassische Form ist nicht
iiberwunden. Es werden Versuche mit kleinen Gebilden gemacht. Wird eine neue Form
erstehen?
In der zyklischen Reihung der Satze tritt vielfach eine Gleichgewichtss toning ein : wahrend
in dem klassischen und romantischen Instrumentalzyklus jeder der Satze seine proportionale
Behandlung erfuhr, entsprechend seinem Grundcharakter und seiner Bedeutung innerhalb
der Gesamtstellung, wird jetzt nicht selten das Gleichgewicht verschoben — so werden z. B.
zwei, drei Satze als Gegengewicht gegen einen Satz behandelt und angesehen. Der Schwer-
punkt wird nicht selten ins Finale verlegt, wie es als Ausnahme in Beethovens Neunter der
Fall war. Der klassische Zyklus, der so straff und stramm emporgewachsen war, neigt sich
in der jiingsten Behandlung einem seiner Ausgange zu, der Suite, dem Divertimento. Auch
darin sind wir noch nicht zu einem allgemein giiltigen Typus vorgedrungen. Die motivische
Verbindung der Satze hat weitere Ausgestaltung erfahren, die verstandesmafiige Verarbeitung
des Materiales scheint die freie Erfindung in den Hintergrund zu drangen, das Artistische
wird in Einzelf alien aJs Selbstzweck angesehen. Die Melodik wird ein Tummelplatz bizarrer
Die Modeme 1 00 1
Einfalle und entfernt sich durch uberhauften Gebrauch alterierter, tibermaBiger und ver-
minderter, weiter Intervalle von ihren natiirlichen Bedingungen, von der Muttererde.
Die Oper, die bereits im Wagnerschen Kunstwerk mehrfach nur aufiere Analogien mit ge-
schlossenen vokalen und instrumentalen Formen in Ausweitung und Umbildung aufwies, alsa
statt Formen freiere Formungen verwendete, die (als Ersatz fur diesen Entgang) schon bei
der Anlage des Textes vom Dichterlcomponisten intentioniert, erwogen und in unvergleich-
licher Verbindung von Wort, Weise und Handlung zutage gefordert wurden — die Oper hat
seither bei einer Gruppe von Komponisten durch blanke Aneignung und fast unbeschrankte
Obernahme von Wort-, d. i. Rezitierdramen sich zum Teil der Moglichkeit beraubt, musik-
dramatische Gliederungen organisch vorzunehmen und auszubauen. Einige Komponisten
suchen dies durch symphonische Untermalung wettzumachen, die nichtselten zur Ubermalung
ausartet. Andere suchen durch Einengung des orchestralen Apparates diesen Obelstand
zu beheben — und darin tritt eine Verbesserung der Opernkomposition hervor. Dabei
ist die Vokalitat, die gesangliche Behandlung vielfach auBer acht gelassen — widerhaarige
Intervalle werden begtinscigt und als willkommenes Ausdrucksmittel betrachtet. (Jber-
haupt wird der Begriff des Schonen vielfach nicht mehr anerkannt. Er ist in der Tat em
relativer Begriff, eine unbestimmte Empfindung, eine Vorstellung, die im Laufe der Be-
gebenheiten wechselt. Und doch besteht bei einem Teil der Produzierenden und in einem
noch groBeren der Apperzipierenden die Sehnsucht, das Bediirfnis danach, daher die stetige
ungebeugte Pflege der klassischen Musik, die Begiinstigung von Archaismen (Einbeziehung
von Wendungen und Partien aus vorangegangenen Stilperioden). Die Moderne begiinstigt
mehr das Schillernde, Irisierende, ist besonders erfolgreich im Grotesken und duldet das
Hafiliche als gleichwertig, ohne es vielleicht als seiches zu empfinden.
Der Wechsel cter zum Ausdruck gebrachten Stimmungen tritt in einzelnen Werken beson
ders krafi hervor: tiefste Depression und momentanes Uberschlagen in outrierte Belustigung.
Wohl eine Folge des Weltkrieges.
Die bisher vorgebrachten Stileigentiimlichkeiten treten bei einzelnen in verschiedener Ab-
stufung und in verschiedener Art hervor. Mafivolleres steht neben Unmafiigem, MaBlosem.
Tonsetzer, die sich den Zusammenhang mit der Volksmusik gewahrt haben — sie mogen
welcher Nation immer angehoren, mogen bald aus diesem, bald aus jenem Born schopfen,
wobei diejenigen, die bisher unverbrauchte oder wenig benutzte Quellen heranziehen, im Vor-
teil sind — ziehen frische Krafte aus dem Boden, und ihre Saat ist schmackhafter und nahr-
hafter. So verworren die Verhaltnisse scheinen, so sehr ist eine Klarung aus und durch sich
selbst zu erhoffen. Der Historiker steht vor einer Menge offener Fragen und will und soil
Vorsicht uben und sich nicht als Prophet hinstellen, so sehr die geschichtliche Erfahrung ihm
dazu die Eignung geben konnte. Die Geschichte lehrt uns, dafi sich immer ein Ausweg ge-
funden hat; so wird er wohl auch aus dem staatlichen und politischen Gewirre unsrer Tage
ermoglicht werden. Fiir die Musik liegt ein giinstiges Anzeichen vor in der Verbindung der
modernen Tonsetzer fast aller Kulturnationen zu gemeinsamem Musizieren; ein anderes in
der Huldigung, die sie dem Genius Mozarts bringen, nicht nur aufierlich, sondern durch die
oberwahnte Einengung, Beschrankung des iiberfutterten Orchesterapparates, durch eifrige
Pflege der Kammermusik — freilich und natiirlich mit teilweise neuen Mitteln. Die Ton
setzer, die sich auf mittlerer Bahn bewegen, tragen zur Losung der Krise bei, deren Entschei-
IOQ2 Die Moderne: Deutsche
dung das Genie verkiindet. Neben der Musik wird der Kommerz das meiste zu dem notwen-
digen Ausgleich der schroffen Gegensatze beitragen. Die Wissenschaft macht ahnliche
Versuche. Moge sich die Tonkunst der ihr zufallenden Mission bewuBt bleiben, die Ein- und
Obereinstimmung der Volkerseelen zu vermitteln ! Zum Gliick sind in verschiedenen Lan-
den tiichtige Meister und ein edel aufstrebender Nachwuchs, die die Tonkunst iiber die
Fahrlichkeiten hinweg in ein Neugebiet iiberzuleiten berufen erscheinen. Dabei werden
sie von gesunden Elementen der kunstgebildeten, wie der bildsamen Bevolkerung gestiitzt
und gefordert. Theoretische Schulung und geschichtliche Erfahrung miissen das ihrige
dazu beitragen. Blicken wir demnach zaglos in die Zukunft. Die historische Erkenntnis
befestigt diese Aussichten.
Guido Adler
DEUTSCHE
Wie allenthalben, so ist auch in Deutschland die Entwicklung der neuen Musik von ver
schiedenen Stromungen getragen. Obwohl zahlreiche Richtungen sich durchkreuzen, auch
viele Schaffende sich noch in der vorgezeichneten Bahn friiherer Stilrichtungen bewegen,
diirften doch die drei bedeutendsten Entwicldungen diejenigen sein, welcheman mit den Schlag-
worten Impressionisrnus,Expressionismus und ,,NeueSachlichkeit" bezeichnet hat. Allen gemein-
samistdieWurzel,namlichdermusikalischeNaturalismus, dersich alsReaktion gegen die Roman-
tik,hauptsachlichabergegen die Weltentriicktheit mancher ihrer Stimmungen regte. Dieser Na-
turalismus, der in der Literatur durch Ibsens Gesellschaftsdramen, spater durch Gerhart
Hauptmanns Erstlingswerke schon seit den achtziger Jahren lebendig war, hatte in der Musik,
zunachst in der russischen (Mussorgski), dann in dem Verismo, der in Italien und auch bei
einzelnen Komponisten des heutigen Deutschland noch im Schwang ist, ferner auch in der
Programmusik, die plotzlich einen ungeahnten Aufschwung nahm, sein Spiegelbild. Obwohl
die Tendenzen der Bewegung, off en oder versteckt, gegen Wagner gerichtet waren, geht doch
der grofite Teil der Eigentiimlichkeiten des Impressionismus auf ihn zuriick. Gewohnhch
wird der Name Debussy mit dieser Bewegung verkniipft. Dieser franzosische Meister zeigt
in der Tat den Niederschlag dieser Bestrebungen am reinsten. Aber sie bestanden schon vor
Veroffentlichung seiner groBen Werke sowohl in Frankreich als aucK in deutschen Landen.
Durch ihr bestandiges, wenn auch nicht immer offenkundiges Fortwirken ist der grofie Ein-
fluB zu erklaren, den Debussy nicht nur auf die jungere deutsche Komponistengeneration,
sondern etwa auch auf den spateren Reger haben konnte.
Wortfiihrer war der Philosoph Nietzsche, der durch seine Betonung der Macht des In-
dividuums auch die Musik zur Steigerung des jeweiligen Ausdrucks, zur ,,Ausdruckssucht
der Sinne" anregte. In Verfolg dieser Verstarkung der Sensibilitat, die den charakteristischen
Stimmungsgehalt herausholt und auch oftmaligen Stimmungswechsel fordert, ergeben
sich zahlreiche Stilmerkmale. Die zyklischen Formen, Symphonic und Sonate, werden ge-
mieden, die Einsatzigkeit herrscht vor. Die Gedanken werden rhapsodisch aneinander-
gereiht, zuweilen durch eine auBermusikalische Erklarung erst verstandlich gemacht, die
Die Moderne : Deutsche 1 003
Periodisierung groBtenteils durch die ,,unendliche Melodie" ersetzt. In der Harmonik wird
das Gefiihl der Tonalitat zunachst nicht erschiittert. Denn trotz der iiberwiegenden Ver-
wendung der Chromatik, die durch Hintanhaltung der Auflosungstone die Spannungsgefahle
verstarkt, werden die Klangcharaktere der einzelnen Tonarten deutlich getrennt. Durch zahl-
reiche Leitetone innerhalb der diatonischen Klangfolgen, durch Alterationen, Verwendung
neuer, tonreicher Akkorde, wird die Reizsamkeit erhoht. Der Rhythmus wird der domi-
nierenden Harmonik untergeordnet. Der Kontrapunkt verliert die lineare Eindeutigkeit und
wandelt sich in eine neuartige Kombination verschiedener Bewegungsarten in den einzelnen
Instrumenten. Die Kammermusik tritt zuriick und raumt dem Orchester fast vollstandig den
Platz, in dem aber nicht laute Klangmassen, sondern zarte Farben und exotische Wirkungen
bevorzugt werden. Differenzierung und haufige Verwendung der Schlaginstrumente tragen
zur Verstarkung der Farbe bei. Dadurch wird die groBe Linie zugunsten des Klangsinnlichen
vernachlassigt. Wiederholungen kleinerer Motivgebilde sind haufig und die Gruppierung von
gebrochenen, abgestuften Gefuhlseinzelheiten fiihrt zur Auflosung der grofien, einheitlichen,
inneren Anlage der Werke. Durch die vollige Isolierung des Individuums entsteht eine De-
kadenz, mit welchem Worte auch'eine ganze Teilstrdmung des Impressionismus bezeichnet
wurde.
Wenn das Wesen des Impressionismus also in einer pointillistischen Kunstnchtung liegt,
welche primar vom Harmonischen ausgeht, hochste Steigerung der Empfindungsfahigkeit
bei Verfeinerung des Reizes anstrebt, so steht hierzu der Expressions mus, der jenen ab-
loste, in grofitem Gegensatze. Hier handelt es sich um ein elementar iiberschieBendes Kraft-
geftihl, das, soweit es sich in der Musik ausdriickt, von einer neuartigen Thematik, also vom
Melodischen ausgeht und die Harmonik als untergeordneten Faktor (zufalliges Zusammen-
klingen verschiedener Stimmen) vernachlassigt. In der Anlage der Formen werden die Ten-
denzen des Impressionismus fortgesetzt. Den Ausgangspunkt far das Kunstwerk bildet auch
hier das individuelle Erlebnis. Es ist einmalig, daher wird auf konventionelle Wiederholung,
auf Sequenz und Symmetric verzichtet. Jedem Thema, das erklingt, folgt unmittelbar seine
Durchfiihrung. Es gibt keine Reprisen in dem Sinne, dafi grofiere Komplexe mehr oder
weniger wortlich wiederholt werden, sondem es werden konstruktive Anderungen vorge-
nommen, das Prinzip der Wiederholung durch das der Variation ersetzt. Nebst diesen Merk-
malen ist das Vorherrschen der Detailarbeit charakeristisch. Werden in der Harmonik noch
Dreiklange und Septakkorde verwendet, so ist ihr funktioneller Zusammenhang gelockert
oder aufgehoben. Die Kadenz als schlufibildender Faktor in der Periode oder als harmo-
nischer Ruhepunkt verliert ihre Bedeutung. Der Tonalitatsbegriff wird erschiittert: Atonalitat,
Bitonalitat und Polytonalitat gewinnen Bedeutung. Unter ,,atonaler" Musik versteht man eine
Kompositionsrichtung, bei der eine Ruckfuhrung des gesamten harmonischen Geschehens
auf einenbestimmten,wenn auch nicht ausgesprochenen, so doch vorschwebenden Grund-
akkord (Tonika) nicht moglich ist. Der Zusammenhang muB dann aus der melodisch-
thematischen Entwicklung erhellen. Von Polytonalitat spricht man, wenn diese Zuruckfuh-
rung auf die harmonische Einheit innerhalb einer Stimme moglich ist; diese wlrd aber mit
mehreren anderen verbunden, welche in anderen tonalen Komplexen ablaufen. Sind nur
zwei verschiedene tonale Komplexe erkennbar, wird von Bitonalitat gesprochen. Harmonisch
entstehen dann mehrtonige Zusammenklange, deren Bestandteile sich nicht zu einer Klang-
64 H.d.M.
1004 Die Modeme: Deutsche
einheit verbinden lassen. Die vertikale Zerlegung solcher Akkorde gibt eine neue Melodik mit
Intervallschritten und -spriingen, die sich keinem Tonsystem einordnen lassen. Als Ersatz
for die Tonalitat wird von Arnold Schonberg ein Kompositionssystem angewendet, das dieser
Fiihrer des Expressionismus ,,Zwdlftonmusik", genauer ,, {Composition mit zwolf nur auf-
einander bezogenen Tonen" nennt, Samtliche Tone des Tonsystems werden, in einer selbst-
gewahlten Intervallfolge angeordnet, in einer oder mehreren Stimmen aneinandergereiht,
und diese Reihung bleibt das ganze Stiick hindurch die gleiche. Natiirlich sind trotzdem die
freiesten rhythmischen, melodischen und harmonischen Kombinationen moglich. Das Geriist
selbst kann in seiner Urgestalt, in der Umkehrung, im Krebs und in der Umkehrung des
Krebses vorhanden sein ; es ist jedoch immer erkennbar und bildet dadurch einen festen Halt
des Ganzen. Der Rhythmus wird komplexer; haufiger Takt- und Tempowechsel ermog-
lichen das Dbergreifen von Weisen aus anderen Stilwelten in unsere rhythmisch einfacher
gegliederte europaische Musik. Kontrapunkt im Sinne einer streng linearen Auffassung wird
vom Expressionismus wieder angewendet, hingegen auf Klang im Sinne der Unterscheidung
verschiedener Instrumentengruppen verzichtet. Das Klangbild des Impressionisms fiihrt
iiber die Klangfarbenmelodie (nicht Tonhohe, sondern Farbe ist hierbei wesentlich) zum
Melodiebild des Expressionismus. Die Kammermusik wird neu belebt, genaueste Bezeich-
nung der Tempi und Niiancen sollen prazise Ausfohrung gewahrleisten. Das Kammer-
orchester (vielleicht auch als Folge des wirtschaftlichen Zusammenbruchs) ist eine Neu-
erscheinung innerhalb dieser Stilrichtung. Natiirlich kann auch dort, wo es sich nicht um
Zwolftonmusik handelt, auf formbildende Grundprinzipien nicht verzichtet werden. Aber die
Theorie zeitigte noch nicht endgiiltige Ergebnisse. Vielleicht liegt das Wesen der Form in der
Anordnung der Themen innerhalb des Gesamtverlaufes, vielleicht in den Beziehungen, welche
zwischen den Tonreihen (auch Obertonen) der einzelnen Motive liegen. Probleme sind ge-
hauft, die mit weiterer Entwicklung auch der Losung naherkommen. Durch die Ubersteige-
rung des Individualismus und die Komplizierung der Formen und Ausdrucksmittel der ex-
pressionistischen Richtung gelangte die sich weiter entwickelnde neue Musik in immer groBere
Feme von den Kunstaufnehmenden. Der Kontakt zwischen Schaffenden und Empfangenden
beschrankte sich immer mehr auf Zusammenhange zwischen dem einzelnen Kiinstler und seiner
gewissermafien esoterisch wirkenden kleinen Gemeinde. Durch das soziologische und psy-
chologische Ergebnis des Weltkrieges wurde jedoch das Kollektivgefiihl gesteigert, und das
Verlangen nach einer Gemeinschaftskunst machte sich auch in der deutschen Musik fuhlbar.
Mit dem Schlagwort ,,NeueSachlichkeit" bezeichnet man eine ganze Reihe geistiger und
formaler Stromungen unter den jungen Komponisten, die, angeregt durch Ferruccio Busoni,
sich wieder der Einfachheit, Geschlossenheit und vor allem der allgemeinen Verstandlichkeit
nahern. Sie wollen die Musik von der Natur und der Literatur als Vorbildern loslosen und
nur aus dem der Tonkunst innewohnenden Material gestalten. Dabei tritt die Personlich-
keit des einzelnen Kunstlers zuriick. Man sucht neue Verankerung im Volksgesang und
kommt dazu, folkloristische Elemente in die Kunstmusik aufzunehmen, gestiitzt auf das
Beispiel anderer Nationen, etwa der Slawen und Ungarn, wo dieser Vorgang heute bei
den jungen Kiinstlern allgemein iiblich ist. Der sachliche Neuaufbau der Musik geht
vom Handwerklichen, dem reinen Musikantentrieb, aus. ,,Nicht die Stimmung oder die
Ausdrucksabsicht des Komponisten ist die Zentrale des Kunstwerkes*', sagt Heinz Tiessen,
Die Moderne: Deutsche |Q05
,,sondern die musikalische Substanz und ihre Entfaltung aus sich selbst." Die stetig wachsende
Verbreitung der mechanischen Musikinstrumente, die Nachfrage nach ernster, aber der
Allgemeinheit verstandlicher Musik im Rundfunk bestarkt die Komponisten auf diesem
Wege. Die Ergebnisse des Expressionismus auf harmonischem und melodischem Gebiet
werden freilich aufgenommen und weitergebildet. Im Bestreben, das Kiinstliche und Person-
liche in der Melodiebildung zu iiberwinden, wohl auch, um jedem Subjektivismus zu entgehen,
greift man auf den Fortspinnungstypus derMelodien der vorklassischen Epoche des IS.Jahr-
hunderts zuriick, so dafi sich geradezu eine praklassizistische Stromung feststellen lafit. Die
jiingste Musikwissenschaft (Lorenz) versucht dieses Zuriickgreifen mit der Generationen-
theorie zu erklaren, die auf dem Gebiet anderer Kiinste bereits eingefuhrt ist. — Die melodi-
schen Linien gewinnen durch eine gewisse rhythmische Stetigkeit Kraft und neues Leben,
so dafi sich ihr Schwerpunkt in das Dynamisch-Motorische verschiebt. Dazu kommt, dafi
sie von den Engen der tonalharmonischen Kadenzfunktion befreit sind, ohne dafi das all-
gemeine Harmoniegefiihl fehlte. Die lange vernachlassigte und wiederaufgenommene Gat-
tung der einstimmigen Solosonate ist charakteristisch fur den Umschwung. Die Spielfreudig-
keit fuhrt zur Bevorzugung des Konzertanten, Virtuosenhaften. Kammermusik und Kammer-
orchester bleiben Hauptgebiete ; die Blaser werden ob ihres kiihleren, weniger subjektiven
Klanges vorgezogen. Die neue Sachlichkeit beginnt bereits in das allgemeine Musik-
bewufitsein einzudringen. Davon zeugt auf der einen Seite die Jugendmusikbewegung mit
ihren Musikantengilden und Laienspielen, auf der andern Seite die Neubelebung der Pflege
der Vokalmusik, die sich im Wiederaufbliihen des mehrstimmigen Madrigalgesanges ebenso
wie in den verschiedenen Stromungen der Arbeitermusik mit ihren Massenchoren spiegelt.
Auch der Tanz gerat wieder in enge Beziehung zur Kunstmusik; besonders die exotischen
Rhythmen des Jazz regen die Komponisten zu interessanten Experimenten an.
In andern Kiinsten sind Parallelerscheinungen zu beobachten. Die Musik sucht engste
Verbindung mit ihnen. Hierher gehoren die Versuche mit dem Farbenklavier (in Skrjabins
,, Prometheus") und mit Farbenchoren. Sogar die Radiowellen werden durch neuartige In-
strumente der Musik dienstbar gemacht, wie die Versuche mit dem Spharophon (Jorg Mager)
und der Atherwellenmusik (Theremin) beweisen. Auf der andern Seite gelangt die Technik
durch die Vervollkommnung der mechanischen Musikinstrumente und des Grammophons
in enge Beziehung zur Musik.
Wenn man die elementaren Stilanderungen in der neuen Musik zusammenfafit, so konnte
man sie folgendermafien anordnen: Das Tonsystem wird erweitert, natiirlich nicht funda
mental, sondern zum Zwecke koloristischer Bereicherung des Ausdrucks. Dritteltone (Busoni)
und Vierteltone (Mollendorf, Haba) werden herangezogen, die Ganztonleiter (Debussy, die
Russen) und exotische Systeme angewendet, auch der Versuch der Belebung der Kirchenton-
arten gemacht (Reger u. a.). Die Melodik zeigt nach Oberwindung der Periodisierung neu-
artig lineare, unregelmafiige Struktur, Aufierachtlassung einfacher Intervalle. Die Harmonik
wird durch Relativitat des Konsonanzbegriffes (s. S. 1022), Zuriicktreten , der Kadenz und
der Tonalitat neu systemisiert. Die Rhythmik nahert sich in der Freiheit ihrer Bildungen
der ungebundenen Sprache, auf der anderen Seite wieder den stetigen, gleichformigen Massen-
bewegungstypen, das Formgefuhl schwankt zwischen den konstruktivistischen Extrakten der
Expressionisten und der Neugestaltung bekannter historischer Architektonik. Ein Ringen
64*
1006 Die Modeme: Deutsche
nach neuem Aufbau ist iiberall rege. Die Einzelbetrachtungen werden das hier allgemein
Angefiihrte naher erklaren.
Das Vorstehende gilt freilich nur for die Stromungen, die sich bewufit vom klassisch-
romantischen, Kunst- und Formideal abwenden. Wir finden aber um die Jahrhundertwende
und auch noch spater unter den Komponisten bedeutende Erscheinungen, die gewissermafien
den Abschlufi der Entwicklung der vorangegangenen Stilperiode bilden. Auch bei ihnen finden
sich Ausblicke in die Zukunft, ihr Schaffen ist aber noch mehr oder weniger in jener andern
Welt verankert. Hierher gehoren die iiberragenden Gestalten von Gustav Mahler und Richard
StrauB.
Die Instrumentalmusik
a) FUR ORCHESTER (Symphonic und symphonische Dichtung). Das Ausdrucksmittel far
die wesentlichsten Hauptwerke der Musik des 19. Jahrhunderts war das Orchester, und
zwar in der Gestalt, wie es von den Meistern der Wiener klassischeh Schule festgelegt, von
den Romantikern vergrb'fiert, von Richard Wagner u. a. umgestaltet wurde. Die Instrumente
waren ja, wenn man von den Blechblasern und von einigen Erganzungen bei den Familien
der Holzblasinstrumente absieht, fertig ubernommen. Aber die Art der Verwendung, die Er-
zielung einer Einheitlichkeit, trotz groBter Vielfaltigkeit im einzelnen, war, wie schon Herrmann
Erpff darlegt,der Gegenstand dieser Entwicklung, die erst um die Jahrhundertwende beendet
ist. Mahler und StrauB bezeichnen die Endpunkte dieser Linie, wahrend sich nach diesen
Meistern (vielleicht auch durch die Wirtschaftskrise des Weltkrieges gefordert) die Abkehr von
dem Massenklangideal und das Hinwenden zur Vereinfachung, ja sogar zum Kammerstil
vollzieht. Wahrend bei Richard StrauB infolge seines Hinneigens zur Koloristik der Typus des
Orchesters fast in jedem Werke wechselt, isl bei Mahler ungef ahr f olgende Besetzung die Norm :
Streicher, mehrfach geteilt, unter starker Beriicksichtigung von Sonderlagen der einzelnen In
strumente, und von besonderen Klangwirkungen (col legno, am Steg, Flageolett), etwa drei- bis
vierfache Holzblaser, mit Es-Klarinette, Bafiklarinette, Kontrafagott, und das Blech, das als gleich-
berechtigter, chromatisch aufgefaBter Korper einheitlich in C und F notiert wird, endlich
eine reiche Palette von Schlagwerk (neben Gebrauchlichem auch Xylophon, Klapper, Schellen,
Glocken) und als Erganzung Klavier, Harmonium, Celesta und Orgel sowie die besonders
reich bedachte Harfe. Die Kunstwerke, bei denen diese Mittel in Anwendung treten, stehen
aber doch noch auf dem Boden der romantischen Symphonic. Anton Bruckner hat das Ge-
baude der klassischen Symphonic iibernommen und es durch Vergrofierung der Mafie, Um-
gestaltung der formalen Anlage des Sonatensatzes, Intensivierung des Klanges und der
Dynamik, sowie durch Anwendung der Orchestertechnik Wagners monumental ausgestaltet.
Gustav Mahler ist formal und technisch unmittelbarer Nachfolger Bruckners, wenn
man in bezug auf die Volkstiimlichkeit mancher seiner Einfalle nicht auch an Franz
Schubert denken will. Dabci steht aber Mahler mit dem schopferischen Ausdruck seiner
Gefuhlswelt mitten im Gegenwartigen. Seine Musik enthalt kein Programm, birgt aber
philosophische und metaphysische Probleme. Man hat Mahler die ,,tonendc Meta-
physik" zum Vorwurf gemacht. Aber gerade in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts
wurdc der Zwiespalt zwischen realer und idealer Welt so stark, dafi er sich in Mahlers
Musik als Ringen nach Losung spiegelri mufite. Tragik und Humor, Ironic und Banalitat
Die Moderne : Deutsche ] Q07
beriihren sich hier wie bei den Romantikern ; Mahlers Musik umfafit aber auch das
Reich der Natur. Mit der Cberfeinening des Ausdruckes paaren sich Naivitat und Senti-
mentalitat.
Gustav Mahler wurde am 7. Juli 1 860 in Kalischt, an der Grenze von Bohmen und Mahren,
als Sohn eines Kaufmannes geboren, besuchte 1869 — 75 die Gymnasien von Iglau und Prag.
1875 ging er nach Wien, wo er am Konservatorium bei Julius Epstein, Robert Fuchs und
Theodor Krenn studierte, spater war er auch Horer der Universitat. 1880 begann er als
Theaterkapellmeister in Hall, Laibach, Olmiitz, kam dann nach Kassel, Prag (1885 unter
Angelo Neumann), Leipzig (1886 neben Artur Nikisch). Im Jahre 1888 wurde er Direktor
der ungarischen Oper in Budapest (bis 1891), dann erster Kapellmeister des Stadttheaters
Hamburg (Direktor Pollini). Von 1897—1907 Direktor der Hofoper in Wien, als solcher
vorbildlich durch seine stilreinen, mit hochster Genauigkeit und unnachahmlicher kiinst-
lerischer Einfiihlung dirigierten Auffuhrungen. Auch durch Neuinszenierungen, Repertoire-
bildung und Zusammenhalt des Ensembles ist diese Zeit der bedeutendste Abschnitt der
Wiener Operngeschichte. 1907 mufite Mahler zuriicktreten, war dann dreimal als Dirigent
der Philharmonic Society in Amerika (New York). 1911 kehrte er schwerkrank nach Wien
zuriick, starb am 18. Mai 1911 und wurde auf dem Grinzmger Friedhof bestattet.
Mahlers Schaffen lafit sich in mehrere Perioden einteilen. Die Jugendwerke wurden von
ihm vernichtet. Ihre Reste, das ,,Klagende Lied" und die ,,Lieder aus der Jugendzeit",
bilden die erste Zusammenfassung. Die Symphonien I — IV, die ,,Wunderhornlieder" und die
,,Lieder eines fahrenden Gesellen" die zweite, wahrend die Symphonien V — VIII, die ,,Kinder-
totenlieder" und die ,,Ruckertgesange" den dritten Zeitraum umfassen. Mit der IX. Symphonic
und dem ,,Lied von der Erde" sowie den zwei veroffentlichten Satzen aus der unvollendeten
X. Symphonic kiindigt sich eine neue, stilistische Verschiebung an. Mahlers Symphonik
wachst urspriinglich aus seinem Liedschaffen heraus (vgl. S. 952) und weist, mit Aus-
nahme der Symphonien V — VII, stets eine Beziehung zur Chorik oder zum Gesang auf.
Selbst die scheinbar ,,absoluten" Symphonien I und IX sind liedhaft oder aus Liedern auf-
gebaut. Zu einigen seiner Symphonien hat Mahler Titelbezeichnungen der Satze und kurze
Programme entworfen und deren Veroffentlichung zeitweise erlaubt. Stets ist bei ihm das
Programm nur Symbol, Mittel zu ,,letzter ideeller Verdeutlichung" (wie er selbst schreibt)
und kann daher nach Belieben ausgelegt werden oder entf alien. Keinesfalls ist es mit den
aufiermusikalischen Vorlagen der symphonischen Dichtungen von Richard StrauB zu ver-
wechseln. Die I. Symphonic (D-Dur, entstanden 1884 — 88) nimmt ihr thematisches Material
vorwiegend aus den ,,Liedern eines fahrenden Gesellen". Der erste Satz fallt durch die stark
verkiirzte Reprise, der dritte durch einen parodistischen Scherzkanon auf. Das Finale verar-
beitet durchfiihrungsartig Themen des ersten Satzes und schliefit mit einem Choral. Die
II. Symphonic (C-Moll, 1894) beginnt mit einem grofi angelegten Trauermarsch. Nach dem
Scherzo (,,Des Antonius Fischpredigt") wird das Lied ,,Urlicht" eingeschoben. Dadurch
wird diese Symphonic fiinfsatzig (erstmalig in der Literatur). Im Finale werden Soli
(Sopran und Alt) mit Chor verwendet. Die ausgedehnte III. Symphonic (D-Moll, 1896),
den Sieg des Lebens iiber den Tod in der Natur behandelnd, zerfallt in zwei Teile. Der
erste ist in Sonatenform gebaut, 'der zweite umfafit die restlichen fiinf Satze, darunter
Nietzsches ,,Trunkenes Lied" far Altstimme, den ,,Gesang der Engel" fiir Knabenchor und
1008
Die Moderne: Deutsche
Altsolo (aus ,,Des Knaben Wunderhorn") und em breites Adagio (A-Dur) als Finale. Die
IV. Symphonic (G-Dur, 1899—1900) ist wieder viersatzig. Als Finale dient das Lied
,,Freuden des himmlischen Lebens". Die V. (1901-02, Gs-Moll), VI. (1903-04, A-Moll)
und VII. (1904—05, H-MoIl) Symphonie bilden einen Komplex. Ihnen ist das Fehlen
des vokalenElementes, gesteigerte Polyphonie und Durchfiihrungstechnik sowie das Zuriick-
treten der Volksmelodien gemeinsam. In der V. Symphonie ist der dem ersten Sonatensatz vor-
angestellte Trauermarsch sowie das Rondo-Finale mit der Tripelfuge und dem eingescho-
benen Adagietto bemerkenswert. Die VI. fallt durch wortliche Wiederholung der Exposition
des ersten Satzes und zwei Durchfizhningen des Finales auf. Die VII. Symphonie erhalt
ihr eigenes Geprage durch zwei ,,Nachtmusiken" als Mittelsatze, deren erster marschartig,
der zweite In der Weise eines Standchens mit Gitarre und Mandoline gehalten ist. Die durch-
aus vokale VII I. Symphonic (1906-07, Es-Dur) besteht aus zweiTeilen und ist fur (durch-
gehend angewendeten) Doppelchor, Orchester und Solisten gesetzt. Der erste Satz baut sich
in Sonatenform iiber dem Hymnus ,,Veni creator spiritus" auf, der zweite, der in sich
Adagio, Scherzo und Finale vereinigt, benutzt als Textunterlage die Schlufiszene des Goethe-
schen ,,Faust", II. Teil. Hier drangen sich formaltechnische Beziehungen zu den sym-
phonischen Dichtungen von Straufi auf. Die IX. Symphonie (1908-09, D-Dur) ist das letzte
vollendete Orchesterwerk Mahlers. Zwei lebhafte Satze werden von zwei ruhigen umrahmt.
In der Instrumentation kommt das bereits erwahnte Hinneigen zur kammermusikalischen
Vereinfachung zur Andeutung. Die X. Symphonie ist Torso geblieben. Ein Adagio von
gigantischen Dimensionen und ein kurzes dreiteiliges Scherzo sind nach den Skizzen ver-
offentlicht und aufgefiihrt worden. Fiir Mahlers Schreibweise ergeben sich folgende Stil-
merkmale: Die Melodik ist primar, geht aber von einer imaginaren Akkordik aus, welche
dann kontrapunktisch in verschieden gerichtete Unien auseinandergelegt wird. Diese
Kontrapunktik ist manchmal heterophon, obwohl die Grundlage der Harmonik diatonisch
ist. Direkte Chromatik findet sich bei Mahler selten, obwohl Querstan^e und unauf-
geloste Vorhalte haufig sind. Eine Vorliebe fur Ostinatomotive, Orgelpunkte, liegende
Stimmen, Wechsel zwischen Dur und Moll ist deutlich. In bezug auf den formalen
Aufbau bringt Mahler bedeutsame Erweiterungen der Sonaten- und Rondoform. Eine
neue Durchfuhrungsart wird zur Regel, namlich das Verfahren, jedes Thema sofort
nach seinem Erscheinen zu verarbeiten. Grofie neue Themenkomplexe ersetzen oft die
Durchfiihrungsteile, in denen auch die kontrapunktischen Formen, zuweilen sogar Kanons
angewendet werden (Tripelfuge letzter Satz V., einfache Fuge 3. Satz II., 3. Satz IX.).
Auch von den Vertauschungsmoglichkeiten durch doppelten und dreifachen Kontrapunkt
(VIII.) und von gleichzeitiger Kombination mehrerer Themen wird gerne Gebrauch gemacht.
Die Fiihrung der Stimmen gegeneinander findet zuweilen unter Reibungen statt, die sich in
Sekunden-, Septimen- oder Nonenparallelen aufiern. Zahl und Folge der Symphoniesatze
wird geandert. Die einzelnen Satze sind oft durch motivische Bander verkniipft. Hierzu
kommen Sequenzen und Verfeinerungen des Rhythmus mit Takt- und Tempowechsel als
Steigerungsmittel. Mahlers Instrumentation hat das Bestreben, die Linien moglichst klar-
zulegen. Die verschiedensten Klangcharaktere werden gegeneinander gesetzt, von klang-
verschmelzenden Fullstimmen moglichst Abstand genommen. Derart findet sich bei Mahler,
trotz der Grofie seiner Mittel, der Ansatz zu der kammermusikalischen Orchesterbehand-
Die Modeme : Deutsche 1 Q 09
lung der spateren Generationen. Das Schlagwerk wird nicht nur zur Verstarkung, sondern
in selbstandiger Weise angewendet.
Da Mahler nicht unterrichtete. kann von einer unmittelbaren Mahler-Schule nicht gesprochenwerden. DerDirigent
Bruno Walter (geb. 1876 in Berlin) bildet eine Ausnahme. Er hat direkt unter Mahlers Anleitung gearbeitet und
ist mit 2Symphonien und zahlreichenKammermusikwerkenhervorgetreten. Durch die Reinheit seiner Kunstauffassung
hat Mahler allerdings nachhaltig gewirkt, vor allem auf Arnold Schonberg. Seinen Kompositionsstil nahmen sich,
vonviegend in den Jahren seit seinem Tode, als die Symphonien immer ofter aufgefiihrt wurden, eine Reihe von
Komponisten zum Vorbild, von denen einige Wiener genannt seien: Hugo Kauder (geb. 1888), Autodidakt, schrieb
2 Symphonien, mehrere Orchesterwerke, Kammermusik und Lyrik; Egon Lust gart en (geb. 1887), vonviegend
Lyriker und Chorkomponist; ferner Hans Plefi, Karl Wiener, Fritz Schreiber und Paul Frankl. Einer alteren
Generation angehorig, aber Mahler durch personlichen Verkehr nahegebracht und von ihm nicht unbeeinfluBt, sind
Alexander v. Zemlinsky (s. S. 1034) und dessen SchiilerKarl Weigl, sowie der Norddeutsche Ernst Otto Nod-
nagei (1870—1909). Der bekannte Dirigent Hermann Scherchen ist in seinen Arbeiten anscheinend ebenfalls
auf Mahlers Spuren.
Wahrend das symphonische Schaffen Gustav Mahlers das innere Weltbild der Gegenwart
widerspiegelt, finden wir in den Werken von Richard StrauB den auBeren Hohepunkt der
Epoche. StrauB ist eigentlich eine Erscheinung zwischen zwei sich ablosenden Stilperioden.
Seine Ausdrucksart ist die romantische, die Form aber intellektualistisch gestaltet. Dazu
kommt die Bereicherung durch Archaisierungen und Stilmischungen, die das Bild verschie-
dener nebeneinander wirkender Einfliisse erkennen lassen. Auch er bevorzugt das Orchester
als Hauptausdrucksmittel seiner kunstlerischen Personlichkeit. Nach einer Jugendperiode,
welche zahlreiche ungedruckte Kammermusikwerke, Ueder und Orchesterstiicke, ferner die
veroffentlichten opera 1—15 umfafit, tritt ein vblliger Umschwung ein, indem sich StrauB*
Schaffen der Programmusik zuwendet. Er wird einer der Hauptvertreter der sogenannten
neudeutschen Scbule, und es gelingt ihm, die durch Liszt gepragte, unter dem Einflufi
von Berlioz und Wagner stehende symphonische Dichtung formal und stilistisch weiterzuent-
wickeln, ja sogar einen Versuch der Synthese zwischen den zyklischen Formen der absoluten
Musik und der freien Programmsymphonie zu unternehmen. Wahrend die Lyrik des Meisters
mit alien Wandlungen Schritt halt, wendet sich StrauB nach einem reichen instrumentalen
Schaffen fast ausschlieBlich musikdramatischen Werken zu (s. S. 1030),obwohl schon friiher
einzelne Werke dieser Gattung die Folge der Orchesterwerke unterbrochen hatten. Seine
Eigenart wird am besten durch die Verbindung von Einfallsreichtum mit grofiter artistischer
Meisterschaft gekennzeichnet. Die Sphare des Geistreichen, Schalkhaften, j"a Satirischen liegt
ihm naher als weltabgewandte Gefiihlstiefe. Dabei sind starke aufiermusikalische Einfliisse
des Literarischen auf seinen kunstlerischen Charakter stets nachweisbar.
Richard Straufi wurde am 1 1. Juni 1864 in Miinchen als Sohn des Hornisten Franz Straufi
(in zweiter Ehe mit Josephine Pschorr vermahlt) geboren. Er zeigte bereits friihzeitig
musikalische Anlagen und komponierte von seinem 6. Lebensjahre an. (Unterricht bei Benno
Walter, Klavier und Violine, spater bei Fr. W. Meyer, Theorie.) Nach dem Besuche des Gym
nasiums und der Universitat war er bereits ofter als Komponist hervorgetreten, hatte in Frank
furt, Berlin und andern Stadten Erfolge und wurde 1885 durch Hans v. Billow als Musik-
direktor nach Meiningen berufen. Dort lernte er Alexander Ritter kennen, der neben Billow
groBen EinfluB auf ihn gewann. 1886 war Straufi dritter Kapellmeister der Oper in Miinchen,
wohin auch Ritter iibersiedelte, 1889—94 Kapellmeister in Weimar. Nach seiner Vermahlung
mit Pauline de Ahna kehrte er als Nachfolger Herrmann Levis wieder nach Miinchen zuriick
1010
Die Modeme: Deutsche
(j 894— 98). Seither war StrauB, abgesehen von zahlreichen Konzertreisen in ganz Mittel-
europa, als Hofkapellmeister in Berlin tatig. 1908 wurde er dort Generalmusikdirektor und
Opernleiter, welche Stelle er bis zum Jahre 1919 (zugleich mit der Lehrstelle fur Kompo-
sition an der Hochschule for Musik) bekleidete. In diesem Jahre wurde er als Direktor
der Staatsoper nach Wien berufen, wo er auch nach Beendigung dieser Tatigkeit, 1924, standig
seinem Schaffen lebt und als Dirigent seiner eigenen Werke im In- und Ausland wirkt.
Die Orchesterwerke der Jugendzeit konnen, als fur den Stil des Komponisten nicht oha-
rakteristisch, tibergangen werden. Heute noch gespielt werden die Blaserserenade op. 7 (1882),
ein einsatziges Stiick far 13 Blasinstrumente, das Violinkonzert in D-MolI op. 8 (1883), das
Hornkonzert op. 1 1 (1883) und die Burleske fur Klavier und Orchester in D-Moll (gedruckt
1886). Auch die Symphonic in F-MolI, op. 12 (1884), in vier Satzen, erscheint zuweilen auf
Konzertprogrammen. Sie zeigt die iibliche Anlage und den EinfluC Mendelssohns und Schu-
manns, der sich oft bis zu wortlichen Zitaten verdichtet. Die Stilwandlung kiindigt sich in
der viersatzigen symphonischen Phantasie ,,Aus Italien" (op. 16, G-Dur) an, welche nach
einer italienischen Reise 1886 entstand. Hier ist noch absolute Musik, die aber durch selbst-
verfaCte Titel und Bezeichnungen auBermusikalischen Gedanken assoziiert wird. Die Lo-
sung des Stilproblemes erfolgt erst in den beiden folgenden Werken: ,,Macbeth" (als op. 23,
1891 umgearbeitet erschienen) und ,,Don Juan" (op. 20, 1889). Schon Liszt hatte in der
symphonischen Dichtung die Notwendigkeit eingesehen, von Einzelausschmuckungen, Ton-
malereien und Individualismen abzustehen und ein zusammenfassendes Formgeriist aufzu-
richten. Aber erst Richard StrauB war es vorbehalten, die fertig vorliegenden klassischen
Typen des Sonatensatzes, der Variationenform, des Rondos mit dem programmatischen Inhalt
zu einer Einheit zu verschmelzen. Problematisch daran war vor allem die Uberwindung
der wortlichen Reprise nach durchgefuhrter Entwicklung. StrauB hat fast in jeder Dichtung
eine dem Stoff adaquate Losung gefunden. ,,Don Juan"., nach dem Gedicht von Nikolaus
Lenau, schildert im Rahmen eines Sonatensatzes, der aus Exposition, freier Durchfiihrung
und verkiirzter Reprise besteht, die dramatische, zur Katastrophe treibende Entwicklungslinie
des Helden. Das wesentliche an dem Stiick ist, daB sich die Form der Dichtung mit dem Aus-
druck deckt und daB trotz vorkommender bildhafter Tonmalereien der Schwerpunkt auf der
grofien formalen Anlage liegt, die das Stiick auch ohne Programm wertvoll und verstandlich
macht. Auch ,,Macbeth" zeigt Sonatenform, wahrend ,,Tod und Verklarung" (op. 24, 1890)
auf der kontrastierenden Wirkung zweier in sich abgeschlossener Teile beruht. Der erste
Moll-Teil birgt schon die gegensatzlichen Motive des Lebens und Todes, die exponiert und
dann frei durchgefuhrt werden (,,Todeskampf"). Die Andeutung einer Reprise schildert -den
Eintritt des Todes. Der zweite Dur-Teil (Verklarung) ist eine liedartig angelegte grofie Koda
mit einem Themenmaterial, das bereits im Anfangsteile verandert enthalten war. Die sym-
phonische Dichtung ,,Till Eulenspiegels lustige Streiche" (op. 28, 1895) tragt den Untertitel
,,Rondeau" und ist damit formal klassifiziert. Eine Themengruppe kehrt oft in verschiedenen
Gestalten wieder, verschiedenartige freie Zwischensatze wechseln ab; Prolog und Epilog
stellen die Einheit her, die durch den scherzohaften Charakter des Ganzen gefestigt wird.
,,Also sprach Zarathustra" (frei nach Nietzsche) ist als op. 33 (1896) erschienen. Wieder ist
die formale Einstellung des Komponisten geandert. Es kam StrauB keineswegs darauf an,
das philosophische System in Musik zu setzen, sondern die verschiedenen, durch Nietzsches
Die Moderne: Deutsche 101 1
Gedanken angeregte, in abgeschlossenen liedartigen Formen ausgedriickten Stimmungen in
der Form einer symphonischen Phantasie aneinanderzureihen, wobei zwei Grundleitmotive das
ganze Werk durchziehen und auch durch die Tonartenkomplexe Verbindungsmoglichkeiten
hergestellt werden. Die einzelnen Teile sind im Charakter den entsprechenden Gebilden der
alten Symphonic angenahert (Andante religioso [fugato] — Scherzo — Finale, letzteres aus
dem ersten Seitenthema entlehnt). Merkwiirdig ist der SchluB mit dem Mischklang C- und
H-Dur (erster Fall in der Literatur.) ,,Don Quichote" (op. 35), im Jahre 1898 entstanden,
ist mit ,,Introduzione, Tema con variazioni e Finale" bezeichnet. In dieser Dichtung, der
letzten im strengen Sinne einsatzigen, halt sich StrauB am genauesten an die Einzelheiten des
Programmes. In der Introduktion werden die zwei Hauptthemen (Don Juan — Solocello! —
und Sancho Pansa) aufgestellt, dann in der Variationenfolge die einzelnen Abenteuer ge-
schildert, wobei die tonmalerische Zeichnung in den Vordergrund tntt. Das Finale ist em
kodaartiger Epilog, der sich im Themenmaterial und in der Anlage mit der Introduktion
beriihrt. Das ,,Heldenleben" (op.40, 1 899), eine der ausgedehntesten symphonischen Dichtungen
StrauB*, Jst auBerlich einsatzig, aber durch das Vorkommen eines ausgesprochenen langsamen
Mittelsatzes in drei Satze zerlegbar. Die Dimensionen des ersten Satzes (Sonatenform) sind
so riesenhaft, dafi sich die einzelnen Themengruppen zu ganzen Binnensatzen formen. Inner-
halb der einzelnen Gruppen sind bereits Durchfiihrungen der Themen einbezogen (wie bei
Mahler), sodaB die Gliederung erschwert wird. Immerhin sind aber Hauptgruppe — Seiten-
satz — Koda — grofie Durchfiihrung — verkiirzte Reprise — lyrische Nachdurchfiihrung zu
unterscheiden. Letztere moduliert zwanglos in das Adagio, welches aber nicht schliefit, sondern
von der groBen Koda des Gesamtwerkes abgelost wird. Die einzelnen Teile und Satze sind
hier nicht genau nach dem Programm bezeichnet, wahrend StrauB in der ,,Sinfonia domestica"
(F-Dur, op. 53, 1904) durch Uberschriften, Zusatze und Erlauterungen ein genaues Bild des
eigentlich vierteiligen Werkes entwirft. Der ersteTeil ist Sonatensatz mit doppelter Exposition,
das Scherzo und Adagio sind selbstandige Teile, fiihren aber Themen des ersten Teiles weiter,
das Finale, eine Doppelfuge, verkniipft seine Stellung mit der einer Reprise, was durch Wieder-
aufnehmen der Hauptthemen der Exposition (Teil I) bestatigt wird. Die ,,Alpensymphonie"
(op. 64, 1915) greift formal auf den ,,Zarathustra" zuriick. Das Werk ist eine symphonische
Phantasie, die ihre Teile deskriptiv episch aus den einzelnen Phasen der Alpenwanderung
nimmt, ohne neuartige Formanordnungen aufzusuchen, obwohl eine dreiteilige Gesamtanlage
festzustellen ist. An konzertanten Instrumentalwerken hat StrauB in den letzten Jahren das
,,Parergon zur Symphonia Domestica", op. 73, und ,,Panathenaenzug", op. 74, geschrieben.
Erstgenanntes Werk ist eine Klavierparaphase iiber die bekannten Themen der Orchester-
symphonie, das zweite eine Variationenreihe. Beide sind als Gebrauchsmusiken fur den ein-
armigen Pianisten Paul Wittgenstein entstanden.
Richard StrauB geht in seinem symphonischen Schaffen vom (Wagnerschen) Motiv aus.
Er baut die Themen zunachst iiber dem harmonischen Geriist der Kadenz, ohne sie, zumal
in seiner mittleren Schaffenszeit, zu periodisieren. Die melodischen Elemente sind diatonisch
und nehmen mit Vorliebe Dreiklange zur Grundlage. Zur Stimmungsforderung wird oft
Chromatik herangezogen. Die stilistische Entwicklung fiihrt ihn dann von der Motivan-
einanderreihung zu grofieren Bindungen. Die thematische Arbeit beschrankt sich auf Kontra-
punktieren im alten Sinne, allerdings mit iiberragender Meisterschaft unter Zuhilfenahme von
]Qi2 Die Moderne: Deutsche
freien Wechselnoten, indirekter Auflosung derDominanten und abspringenderVorhalte. Auch
die melodische (und harmonische) Sequenz spielt beim Verarbeiten des Materiales eine groBe
Rolle. In der Harmonik kiindigen sich die fortschrittlichen, ja sogar revolutionaren Ideen Straufi'
am starksten an. Die Alteration der Akkorde wird zielbewuBt weiter ausgestaltet, ver-
schiedene Klange gemischt und horizontal aufgelost. Dabei wird aber die letzte Konsequenz
des Verlassens der Tonart nicht gezogen ; Straufi wird in seiner spateren Zeit sogar wieder
einfacher in seiner Harmonik und geht heute iiber Richard Wagner nicht hinaus. Seine In
strumentation setzt bei den Ergebnissen des Wagnerorchesters ein, gestaltet dieses durch
Steigerung der Mittel aus, wobei etwa in der Besetzung der ,,Elektra" der Hohepunkt erreicht
wird. Der OrchesterstJI ist nicht, wie beispielsweise bei Reger, durch registerartige Mischung
der Gruppen, sondern durch konzertante und melodische Fiihrung der einzelnen Instrumente
gekennzeichnet. Auch in bezug auf Instrumentation erfolgt im spateren Buhnenschaffen
Umkehr und Vereinfachung.
Straufi, der zwolf Jahre hindurch mit seinen symphonischen Dichtungen die deutschen Konzertprogramme be-
herrscht hat, Werken, die sich auch in der Folgezeit auf den Spielplanen hielten, Hat naturgemafi sehr stark auf alle
Komponisten der programmatischen Richtung eingewirkt. Er beherrscht die Schreibweise mehrerer Generationen,
die entweder in der Anlage ihrer Werke oder in einzelnen Stilmerkmalen auf ihn weisen. In seiner unmittelbaren
Nahe steht E. N. v. Reznicek (geb. 1860 in Graz). Sein Schaffen umfaBt alle Zweige der Tonkunst. Den ersten
bedeutsamen Erfolg errang er mit der komischen Oper ,,Donna Diana" (1894), die stilistisch den leichten Ton der
Spieloper der Mitte des 1 9. Jahrhunderts festhalt. Reznicek zeigt in verscniedenen Werken die Eigenheiten fast aller
Komponisten seit 1800, ohne eine personliche Note zu erreichen. Erst mit seinen beiden symphonischen Dichtungen
..Schlemihr (1911/12) und ,,Der Sieger" (1913) findet er sich selbst. Beide Werke sind groB angelegte, viersatzige
Symphonien, in denen Satire, Ironic und Groteske vorwiegen. Daneben stehen vier Symphonien ohne Programm
(d 1904, B 1905, D 1919, f 1920) und die groBe Tanzsymphonie (1925) sowie ein vielgespieltes Violinkonzert (1925).
Von Rezniceks Biihnenwerken ist ,,Ritter Blaubart" (nach dem Text von Herbert Eulenberg, 1917/18) einer sehr
fortschrittlichen Harmonik und starken Biihnenwirkung wegen, sowie die Musik zu Strindbergs ,,Traumspiel'*
(1915) zu nennen. Die Chorwerke ,,In memoriam", ein Requiem fur die Gefallenen des Weltkrieges (1915) und
,,Vater unser" (1919) vervollstandigen seine Hauptarbeiten. Neben Kleinerem ist noch die ,,Tragische Geschichte",
parodistische Orchestervariationen nach Chamisso (1921) von nachhaltiger Wirkung gewesen. Den Jahren nach alter,
aber auch in den Kreis von Rich. StrauB gehorend und von ihm beeinflufit, ist Jean Louis Nicode* (geb. 1853, gest.
191 9). Er schuf zahlreiche sinfonische Dichtungen (,,Maria Stuart", „ Jagd nach dem Gliick", ..Gloria") und ist dadurch
bemerkenswert, dafi er den Chor als tragendes Element fur programmusikalische Werke verwendete. Der Berliner Ge-
neralmusikdirektor Max von Schillings, der auf dem Gebiete der Oper andere Wege einschlagt, ist mit seinen sym
phonischen Werken hier einzureihen. Jean Paul Ertel (geb. 1 865) begann seine symphonischen Werke unter dem Ein-
flufi Straufiens (,,Hero und Leander"), wendete sich in den letzten Jahren allerdings der pointillistischen Richtung zu.
Neben Paul Scheinpflug (geb. 1875), dessen Haupttatigkeit auf dem Gebiete der Kammermusik liegt, ist Sigmund
von Hausegger (geb. 1872 in Graz) mit Biihnenwerken und Orchesterdichtungen hervorgetreten, die eine Mittel-
stellung zwischen der neudeutschen und nachklassischen Richtung einnehmen. Die Struktur und Anlage sowie der
Gehalt folgen den Wegen von Liszt und StrauB, wahrend die Themenbildung und -fortfuhrung an Johannes Brahms er-
innern. Die bekanntesten seiner Symphonien sind ,,Barbarossa", ,,Wieland derSchmied" und aus spaterer2eit(1919)
„ Aufklange", symphonische Variationen, sowie eine ,,Natursymphonie". Zur Straufinachfolge der jiingeren Generation
gehoren Ernst Boehe (geb. 1880, jetzt vorwiegend Diligent) und der junge Ungar Georg Sz^ll (geb. 1897, gegen-
wartig Opernleiter in Prag), der mit Orchestervariationen und einer lyrischen Ouvertiire bekannt wurde.
Wahrend der Schwerpunkt des Schaffens von Mahler und StrauB in Orchesterwerken lag,
wird dieser Massenklangkorper als Ausdrucksideal von den spateren Meistern, die der Musik-
entwicklung neue Wege bereiten, verlassen. Sie alle schreiben noch viele Orchesterwerke, aber
mit merkbargeanderter Technik und verlegen, soweit ihr Hauptwerk in der absoluten Musik
liegt, die Entwicklungslinie auf das Gebiet der Kammermusik und der Produktion far
einzelne Instrumente; daher konnen sie als Gesamterscheinungen in jener Reihe gewertet
werJen.
Die Moderne : Deutsche 1 Q 1 3
b) FUR KAMMERBESETZUNG, MUSIK FUR EINZELNE INSTRUMENTE. Der
letzte groBe Meister auf dem Gebiete der Kammermusik im ausgehenden 19. Jahrhundert war
Johannes Brahms (s. S. 968). Um ihn scharten sich aile, die sich im Gegensatze zu der
farbigen, reizsamen, dem Sinnlichen zugewendeten Musik der neudeutschen Schule befanden.
Alle Richtungen der um die Jahrhundertwende wieder aufbliihenden Kammermusikproduktion
stlitzen sicb auf Brahms, und sein Schaffen ist der Ausstrahlungspunkt for die verschiedenen
Linien. Deren wichtigste sind einerseits Weiterfiihren der Brahmsschen Uberlieferung in
seinem Sinne, ohne Erneuerung des Inhaltes, eine Kunstrichtung, die trotz ihrer besonders
in Nord- und Siiddeutschland (Miinchen) andauernden Pflege als im 19. Jahrhundert ver-
wurzelt, also epigonenhaft bezeichnet werden mufi. Eine zweite, die neben der Verankerung
in Brahms auch an altere Richtungen ankniipft, aber auf dem Gebiete der Harmonik neue
Ergebnisse anstrebt, findet ihren Hohepunkt in Max Reger und seiner Schule; hierher ge-
horen auch Komponisten der jiingeren Generation, die, ohne die Meister des 19. Jahrhunderts
als bindend fur ihre Tradition anzusehen, direkt an Vorbilder des 17. und 18. Jahrhunderts
ankniipfen. Diese sind allerdings in ihrer Harmonic- und Formgestaltung einerseits von
der auslandischen Musik beeinflufit (Busoni, Delius), andererseits den Ergebnissen nahe,
welche die Stromung der ,,neuen Sachlichkeit" charakterisieren, wobei sie an die Lockerungen
des Expressionismus ankniipfen. Auch diese Linie lafit sich letzten Endes auf Brahms zuriick-
fiihren. Jedoch erst von Reger ab ergibt sich ein bewuBter Gegensatz zwischen Kammer-
und Orchestermusik, wahrend die vorgenannten Gruppen Werke aller Gattungen zusammen-
fassen. Als Beginn und merkwiirdigste Erscheinung der ersten Reihe ist Hans Pfitzner
anzusehen, der ebenso wie Richard StrauB mit den Kammermusikwerken seiner Jugendperiode
der romantischen Richtung angehort. Wahrend aber bei Straufi ein Stilwechsel in jaher
Weise die Schaffensrichtung anderte, ist Pfitzner stets der Spatromantik zugewendet geblieben.
Hauptsachlich auf dem Gebiete des Musikdramas tatig (s. S. 887), schaut er bewuBt in die
Vergangenheit (Schumann, der friihe Wagner) zuriick. Sein instrumentales Schaffen, das
man^am besten als Nachromantik bezeichnen konnte, sucht die Anlehnung an friihere Bliite-
zeiten der Kunst, da das Gefiihl, in der Zeit eines politischen Niederganges zu leben, den
Kiinstler vom bewuBten Vorwartsschreiten abhalt. Dazu kommt Pfitzners kritischer Kampf
gegen die neue Musik und die Reinheit seiner Kunstgesinnung, die ihm einen groBen Einflufi-
kreis gewannen. Stilistisch hat er in der Kammermusik die horizontale Mehrstimmigkeit zu be-
leben versucht und hat harmonische Freiheiten neben langem Festhalten gleicher Akkorde (vor-
wiegend in langsamen Zeitmafien) als Ausdrucksmittel herangezogen, ohne stilbildend zu wirken.
Das merkwiirdige Zusammentreffen von Brahmsschem EinfluB auf die Formgestaltung und neu-
deutscher Ausdrucksart kennzeichnet die sogenannte ,,Miinchner Tonschule", eine Gruppe von
Komponisten, auf die ihrLehrer, LudwigThuille(1861 — 1 907), entscheidenden EinfluB nahnru
Wahrend sich Hermann W. von Wai t er s haus en (geb. 1 882) und Edgar I s t el (geb. 1 880) haupt-
sachlich auf musikdramatischem Gebiete betatigen, fallen die Komponisten Anton Beer -Wai 1-
baum (1864—1929), August ReuB, Walter Courvoisier, Hermann Zilcher und Walter
Braunfels indiesen engeren Kreis. ReuB (geb. 1871 in Siidmahren) schrieb neben Lyrikeine
groBe Reihe von Kammerwerken, in denen er gewahlte Einfalle im genauen Rahmen des Brahms
schen Satzbildes ausspricht. Walter Courvoisier (geb. 1875 inRiehen bei Basel) schuf neben
Suiten fur Solovioline zahlreiche Vokalwerke gleicher Stilrithtung. Hermann Zilcher (geb.
|QJ4 Die Moderne: Deutsche
1881 in Frankfurt a. M.) ist mit Klavierwerken, mehreren Symphonien, Kammerwerken und
Lyrik hervorgetreten. Er zeigt sich von der koloristischen Kleinkunst der Franzosen nicht
unbeeinflufit. Die bedeutendste Erscheinung dieser Gruppe ist Walter Braunfels (geb. 1882
in Frankfurt a. Main), der in gleichem MaBe in der dramatischen, wie in der absoluten Musik
schafft. Seine dramatischen Werke wurden als derzeitige Endpunkte der Entwicklung des
musikalischen Lustspiels gekennzeichnet. Im iibrigen bevorzugt er Klaviermusik. Er ver-
offentlichte mehrere Hefte (op. 5, 10, 16, 31) Klavierstiicke, die an Schumanns kleine
Klavierkompositionen erinnern, ein Rondo, Klavierkonzert und Variationen. In dem Orchester-
variationenwerk ,,Phantastische Erscheinungen iiber ein Thema von Berlioz*' (op. 25) kommt
die Schilderung vorwiegend grotesker Stimmungen zu dem von Brahms beeinfluBten formalen
Aufbau. Lyrik und mehrere Chorwerke (darunter ,,Te deum", op. 32 und eine grofie Messe,
op. 37) erganzen das Werk von Walter Braunfels, der heute als Direktor der staatlichen Hoch-
schule far Musik in Koln lebt. Zur Miinchener Schule gehoren noch: Max Ettinger (1874)
und Clemens v. Franckenstein (1875), beide vorwiegend auf musikdramatischem Gebiete
tatig, dann Klaus Pringsheim (1883), Gustav Geierhaas (1888), endlich von den Jiingsten
der in der Vokalpolyphonie hervorragende Karl Marx (1897) und der jetzt in Salzburg wir-
kendeTiroIer JosephMessner (1893). DieVerbindung mit den nord- und mitteldeutschen Epi-
gonen der Brahmsschen Kompositionsweise stellt Julius Weismann (geb. 1879 in Freiburg im
Breisgau) her. Mehrere Kammer- und Orchesterwerke, darunter ein oft gespieltes Klavier
konzert, zeigen, dafi der romantische EinfluB bei ihm geringer, die formalistische Seite starker
wird, wozu Bestrebungen nach grofierer Freiheit Jm Harmonischen treten. Im allgemeinen fallt
bei den Komponisten dieser Richtung, die im Norden leben, die Stilmischung weg. Sie ver-
andern weder Technik, Form noch Ausdrucksweise der klassizistischen Stilperiode und kb'nnen
daher als reine Epigonen des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden. Die alteren in Berlin
lebenden Komponisten, deren Hauptschaffensgebiet Kammerwerke bilden, sind Hugo Kaun
(geb. 1867 in Berlin), Paul Juon (ein Deutschrusse aus Moskau, geb. 1872) und Hugo
Leichtentritt (geb. 1874). Hierher gehort stilistisch auch der Rheinlander Ewald Straesser
(geb. 1867 in Burscheid, Berg). Einer jtingeren Generation sind zuzurechnen: Walter Nie-
mann, vor allem als Klavierkomponist bekannt, und Juons Schiller Max Trapp (geb. 1887).
Trapps Schiller ist Giinther Raphael (geb. 1903 in Berlin), jetzt Lehrer am Leipziger Landes-
konservatorium. In seinen Orgelwerken, Kammermusik- und sinfonischen Arbeiten kniipft
Raphael etwa an den mittleren Reger an. Er steht im Mittelpunkt einer Komponistengruppe,
die sich um die Leipziger Hochschule schart und der man wegen gewisser stilistischer Ge-
meinsamkeiten den Namen ,,Leipziger Schule" beigelegt hat. Zu ihr gehort Giinther Ramin,
geboren 1898 in Karlsruhe, Organist der Leipziger Gewandhauskonzerte, vornehmlich durch
Orgelwerke bekannt, dann Kurt Thomas, geb. 1904 in Thoning (Schleswig), der als Chor-
komponist (Markuspassion) alte Vokalwirkungen in neuem Geiste anwendet und sich auch
in der Kammermusik einen Namen gemacht hat. Kurt Kern (geb. 1886 in Wien) und Her
mann Ambrosius (geb. 1897 in Hamburg) haben gleichfalls in Leipzig Schulung genossen
und dort ihren Wohnsitz genommen.
Hier sind, ohne sie in erne bestimmte Richtung einzuordnen, zu nennen: Eduard Schiitt (geb. 1856), Konrad
Ansorge (geb. 1862), Waldemar v. Baufinern (geb. 1866), Hermann Hans Wetzler (geb. 1870), Leo Blech (geb.
1871), Gerhard v. Keufiler (geb. 1874), Clemens Schmalstich (geb. 1880), James Simon (geb. 1880), Artur
Willner (geb. 1881), Max Kowalski (geb. 1882), Erich Anders (geb. 1883), Max linger (geb. 1 883), Wolfgang
Die Modemc : Deutsche ] 0 1 5
Bartels (geb. 1883), Robert Miiller-Hartmann (geb. 1884), Otto Besch (geb. 1885), KurtStriegler(geb. 1886),
Curt Beilschmidt (geb. 1886), Robert Heger (geb. 1886), Emil Bohnke (geb. 1888), Armin Knab (geb. 1888),
Heinrich Lemacher (geb. 1891), Rudolf Peterka (geb. 1894), Wilhelm Petersen (geb. 1900), Rudolf Peters
(geb. 1902), Manfred Gurlitt (geb. 1902), Stefan Wolpe (geb. 1902), sowie die Deutschbohmen Heinrich Rietsch
(I860— 1928), Rudolf Prohazka (geb. 1864), In verschiedenen Kunstgattungen 1st der der deutschen Schule zu-
gehorige, in Amsterdam lebende Rudolf Mengelberg (geb. 1892) erfolgreich tatig.
Auch komponierende Frauen der letzten Jahre sind anzufiihren: Gisella S el den - Goth, in Berlin lebend, sowie
Crete Zieritz (geb. 1899), in Wien Use Marie Mayer (geb. 1894), Johanna Miiller- Herrmann (geb. 1878),
Else Geiringer und Lio Hans.
In Wien, auf dem Boden der Wirksamkeit von Johannes Brahms, ist sein EinfluB auf die
alteren Komponisten unvermindert geblieben. Weder Carl Prohaska (1869— 1927), den mehr
die lineare Entfaltung und eine gewisse trockene Polyphonic kennzeichnen, noch Franz
Schmidt (geb. 1874), bei dem in drei Symphonien und Klavierwerken der Zug zum (unga-
risch) Musikantischen durchschlagt, konnen sich seinem Bann entziehen. Beide haben (neben
den alteren Lehrern Robert Fuchs, Eusebius Mandyczewsky und Richard Heuberger)
der Jugend Brahmssche Schreibweise vermittelt, von der sich Hans Gal (geb. 1890), trotz
seiner harmonischen Fortschrittlichkeit, nicht ganz befreien konnte. Egon Kornauth
(geb. 1891) steht etwa zwischen Brahms und Mahler, indem er ihre symphonischen Stil-
elemente auf die Kammermusik iibertragt.
Ncnnenswcrt sind ferner die Osterreicher Robert Fischhof (1856—1918), Camillo Horn (geb. I860), Guido
Peters (geb. 1866), Rudolf Braun (geb. 1869), Vinzenz Goller (geb. 1873), Robert Lach (geb. 1874), Richard
Stohr (geb. 1874), Ferdinand Scherber (geb. 1874), Roderich v. Moisisovich (geb. 1877), Don Anton Maria
Klafsky (geb. 1877), Max Springer (geb. 1877), R. St. Hoffmann (geb. 1878), Hermann Kundigraber
(geb. 1879), Franz Moser (geb. 1880), Waltner Klein (geb. 1882), Friedrich Frischenschlager (geb. 1885),
Heinrich Knodt (1885—1927), Rudolf Bella (geb. 1890), Alfred Arbter, Josef Rinaldini (geb. 1891), Othmar
Wetchy (geb. 1892), Franz Mittler (geb. 1893), Rudolf Kattnigg (geb. 1895), Otto Siegl (geb. 1896),
Fritz Egon Pamer (1900— 1923), Karl Stimmer (geb. 1900) und Franz Sal mhofer (geb. 1901).
Wahrend bei alien genannten Komponisten die Harmonic in ihren kadenziellen Funktionen
Stiitze der Melodie ist, welche ihrerseits des harmonischen Unterbaues nicht entbehren kann,
beginnt mit Max Reger eine Bewegung, welche das linear melodische Prinzip in den Vorder-
grund stellt. DasStreben nach einer neuenMelodik ist der Impuls der Entwicklung, welche
jedoch auf verschiedenen Wegen versucht wird. Reger griff auf die vorklassische Zeit, be-
sonders Bach und die groBen Orgelmeister des 17. Jahrhunderts zuriick. Hier fand er Ge-
stalrung aus der Bewegung heraus. Natiirlich suchte er keine Nachahmung, sondern Ver-
schmelzung mit unserem Zeitempfinden. Er wendete die geschlossene Gruppenbildung unter
Aufierachtlassung der Periodizitat an und versuchte, dieses Formprinzip nicht nur bei den
alten kontrapunktischen Formen (Fuge, Orgelstucke), die er mit Vorliebe pflegte, beizu-
behalten, sondern auch auf die von Brahms ubernommenen Formen der klassischen Zeit auf-
zupfropfen. Aufierdem ist in ihm das harmonische Grundempfinden so stark, dafi eine aller-
dings stark in ihren Funktionen erschiitterte Akkordik die Polyphonic beherrscht. Die AuBen-
stimmen werden rein linear gestaltet, die Mittelstimmen nehmen eine Zwischenstellung
zwischen selbstandigen Kontrapunkten und harmonischen Fullstimmen ein. Auch Regers
Schaffen lafit sich in mehrere Zeitabschnitte einteilen. Die erste Periode lafit die Wurzeln
seiner Tradition klar erkennen. Die Orgelwerke sind von Bach, die Kammermusik von
Brahms und die Lyrik zunachst von Schumann und Theodor Kirchner, spater von Hugo
Wolf beeinflufit. Der zweite Zeitraum, welcher ungefahr mit dem Jahre 1900 beginnt, stellt
eine Bildung des eigenen Stiles durch Verschmelzung der einzelnen Einflufispharen dar. In
10)6 l^6 Modeme : Deutsche
diese Zeit fallt Regers erste Orchesterkomposition. Auch eine gewisse Annaherung an die
neudeutsche Richtung, sowie Haufung der angewendeten aufieren Mittel kennzeichnen diesen
Abschnitt Regers Spatwerken, die in erster Linie wieder auf dem Gebiete der Kammer-
musik liegen, ist der Zug zur Vereinfachung und Klarheit eigen. Das Bild der Entwicklung
ist jedoch nicht abgeschlossen, da Reger in der Bliite der Jahre vom Tode dahingerafft
wurde.
Max Reger ist am 19. Marz 1873 als Sohn eines Volksschullehrers im frankischen Dorfe
Brand geboren. Sein Vater wurde im nachsten Jahre nach Weiden bei Bayreuth versetzt, wo
er selbst im Vereine mit Hauptlehrer Adalbert Lindner die musikalische Ausbildung des
Knaben leitete. 1890 ging Reger nach Absolvierung der Realschule zur weiteren Vervoll-
kommnung seiner MuSikstudien nach Sondershausen, wo cr Schuler Hugo Riemanns war
und spater (1895/96) als Lehrer am Konservatorium wirkte. In dieser Zeit entstanden seine
ersten Kompositionen. Nach der Militardienstzeit erkrankte er schwer und kehrte nach
Weiden zuriick, wo er in Abgeschiedenheit 1898—1901 ausschliefilich seinem Schaffen lebte.
In diesem Jahre ging er als Privatlehrer nach Munchen, hatte dort viel unter dem Widerstand
der neudeutschen Schule zu leiden und konnte erst 1905/06 eine offentliche Lehrstelle erhalten.
1907 wurde er nach Leipzig berufen, wo er als Kompositionslehrer, spater als Universitats-
musikdirektor wirkte. Seit 1911 bekleidete er gleichzeitig das Amt eines Hofkapellmeisters
in Meiningen (als Nachfolger Billows). Diese Doppeltatigkeit wahrte bis 1914, in welchem
Jahre sich Reger auf sein Landgut in Jena zuriickzog. Er unternahm nur noch Konzertreisen
in die verschiedenen Stadte Deutschlands. Auf einer solchen Reise machte ein Schlaganfall
in Leipzig am 11. Mai 1916 seinem Leben ein Ende.
Regers Schaffen ist durch eine Welt reicher Gefuhle gekennzeichnet. Bajuvarischer Hu
mor spricht aus seinen Werken (besonders der Jugendzeit), der sich in seltsamer Weise mit
einem Zug religioser Hingabe und Innigkeit paart. Auch romantische Phantastik und iro-
nischen Spuk finden wir neben mystischer Verklarung. Stets ist engste Beziehung zwischen
Leben und Werk vorhanden, die sich zuweilen bis in Einzelheiten verfolgen lafit (E-Moll-Trio,
Inferno-Phantasie nach seiner Krankheit, Violinsonate, op. 72, gegen seine Miinchner Feinde).
Uber 70Werke Regers (von 147) sind reine Kammermusik. Es waren die Orgelwerke, die
zuerst Regers Eigenart und Personlichkeit klar zum Ausdruck brachten. Dieses Instrument
ist auch fiir die Orchestertechnik des Meisters grundlegend, da Reger nicht die klangliche Ab-
grenzung und Farbe der einzelnen Stimmen und Instrumente, sondern ihre Registrierung
nach dem Starkegrad in geschlossener Gruppenbildung in den Vordergrund stellte. Auch die
Verwendung eines unterlegten Cantus f irmus hat Reger, von der Orgel ausgehend, haufig auf
Orchester- und Kammermusilcwerke iibertragen. Bei der Orgel stellt das Gefuge mehrerer
realer Stimmen natiirlich von vornherein das Grundgerippe des Werkes dar. Reger hat zu-
nachst die altklassischen Formen der Orgelmusik: Variationen, Fugen (mit Praludien), Tok-
katen, Kanons, Passacaglien und die verschiedenen Arten der Choralvorspiele und -bearbei-
tungen wieder aufgegriffen. Er iibernahm jedoch aus Liszts Erbe chromatische Stimm-
fiihrungsart. Der Unterschied zwischen Bachs und Regers Orgelstil bildete sich in der Weidener
Zeit (1898 — 1901) klar heraus. In jenen Jahren entstanden seine zwolf grofiten Orgelwerke.
Reger sucht vor allem durch gegensatzliche Mittel bildhaft zu wirken. Den FluB der Poly
phonic hemmen oft grofiere Strecken von Pianoakkorden oder massige Klangkomplexe ; ja es
Die Moderne: Deutsche 101 7
werden sogar zwischen Teile der Fugenform an manchen Stellen frei improvisatorische Phan-
tasien eingeschoben. Wenn die groBen Instrumentalformen auch nicht neuartig gebaut sind,
so ist doch ihr Gehalt vollig gewandelt. Die Figurentechnik wird bereichert, die Harmonik,
von der spater ausfiihrlicher gesprochen wird, durch Erweiterung des Tonalitatsbegriffes zu
einem eigenartigen Ausdrucksmittel ausgestaltet. Auch die Verarbeitungsart des Cantus fir-
mus unterscheidet sich von der Bachs. Die wichtigsten Orgelwerke sind die Choralfantasien
(op. 27, 30, 40, 52), die Fantasie und Fuge, op. 29, welche nach der formalen Anlage von Bachs
G-Moll-Fantasie und Fuge gestaltet ist, die Fantasie und Fuge iiber B — A — C — H, op. 46
mit der funfstimmigen Doppelfuge, zahlreiche Praludien, Fugen und kleinere Orgelstticke
(etwa 14 Opera), sowie die Sonaten, op. 33 Fis-Moll (eine Folge von Fantasie, Intermezzo
und Passacaglia ohne Verwendung der Sonatenform) und op. 60 D-Moll (Introduktion [So-
natensatz ohne Durchfiihrung] — Invokation — Fuge). Regers Klaviermusik umfafit zahl
reiche Formen aller Art, von der kleinsten Studie bis zum Kolossalwerk der ,,Bach-Variationen".
Auch die Schwierigkeitsgrade sind reich abgestuft. Sein Klaviersatz ist im allgemeinen von
der Orgel beeinfluBt und erfordert weniger Lauf- als Grifftechnik, da Oktaven-, Terzen- und
Sextenkoppelungen haufig angewendet werden. Auch legt Reger auf polyphone Fiihrung
der Mittelstimmen und die Phrasierung groBes Gewicht. In den Jugendstiicken (Walzer und
,,Deutsche Tanze") ist noch deutlich die Satztechnik von Brahms merkbar. Spater wird die
Beweglichkeit der Harmonik starker und der eigene Stil betont. Unter verschiedenen Titeln
hat Reger etwa 25 Sammelwerke von kleineren Klavierstiicken hinterlassen. GroBere bedeut-
same Werke sind die ,,Bach-Variationen", op. 81, die Sonatinen, op. 89, das Klavierkonzert,
op. 114, in 3 Satzen, und endlich die Telemann-Variationen, op. 134. Fur zwei Klaviere
schrieb Reger die monumentalen Beethovenvariationen, op. 86 (spater instrumentiert), und
Introduktion, Passacaglia und Fuge, op. 96. Eine grofie Anzahl von Klavierstiicken zu vier
Handen reiht sich an. Hier muB auch der Klavierbearbeitungen gedacht werden, die Reger
von zahlreichen Vokal- und Orchesterwerken der altklassischen Zeit und der Spatromantiker
entwarf (Klavierausziige von Hugo Wolfs ,,Penthesilea * und ,,Italienischer Serenade", Be-
arbeitungen von Bachs Orgelsonaten). Regers Kammermusik bevorzugt die Verwendung
von Streichinstrumenten. Dafiir zeugt auch, daB er als erster seit Bach Solosuiten und -sonaten
fur Violine, Bratsche und Cello schuf. In diesen zeigt er sich am meisten vom Stil des Alt-
meisters beeinfluBt. Die neuartigere Setzweise der Jahrhundertwende kommt in den fiinf
Streichquartetten (G-Moll, op. 54/1, A-Dur, op. 54/2, D-MolI, op. 74, Es-Dur, op. 109, mit
der Schlufifuge und Fis-Moll, op. 121), den Streichtrios und dem Sextett, op. 118, starker
zum Ausdruck. Die Kammerwerke mit Klavier: 7 Violinsonaten, 4 Cellosonaten, Trios,
Quartette und Quintette sind mehr in harmonisch-polyphonem Mischstil gehalten. Auch
hier ist Kleinkunst und Detailarbeit mit groBer formaler Anlage und' Kraft im Ausdruck ver-
schmolzen. Von Blasinstrumenten hat Reger nur die Klarinette in reicherem Mafie verwendet,
fur die er 3 Sonaten verfafite und die er in mehreren Kammermusikwerken einfiihrte.
Regers Stileigenheit lafit sich vor allem in der Anderung des harmonischen Empfindens
erkennen. Der Komponist selbst hat im Jahre 1904 eine ,,Modulationslehre* veroffentlicht,
aus der die Art seiner Verbindungen von Akkorden erhellt. Er geht von der Funktions-
theorie aus, die Hugo Riemann aufstellte. Die Hauptstufen bleiben Tonika, Dominante und
Subdominante (allerdings konnen diese Akkorde auch alteriert werden). Diese drei Haupt-
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stufen konnen jederzeit durch terzverwandte Dreiklange ersetzt werden. Aufierdem werden
fremde Tonartensysteme als Ganzes in die Tonart des Stiickes einbezogen, Nebendomi-
nanten und auskomponierte Stufen in grofier Zahl verwendet, sodafi jeder Dreiklang auf
jeden beliebigen andern folgen kann, und erst im weiteren Verlaufe als Zwischenharmonie
erklart wird. Dadurch ist jede diatonische Umdeutung ohne Enharmonik moglich. Be-
sondere Eigenheiten sind die haufige Anwendung der neapolitanischen Sext, des phry-
gischen Schlusses und anderer Kirchen ton folgen. In der romantischen Suite ist Reger auch
von der Ganztonharmonik Debussys nicht unbeeinflufit. Durch die erwahnte Uberspringung
von Zwischengliedem in der Akkordfolge wird die Tonalitat oft verschleiert, zumal in be-
wegten Satzen, wo der blitzschnelle Wechsel der Harmonien die Funktionen nicht klar zum
BewuBtsein kommen lafit. Dazu tritt noch das unvermutete Aneinanderstofien fremder Ak-
korde als Endpunkte verschiedener Phrasen. Trotzdem sind stets durch die Form bedingte
tonale Ruhepunkte eingeschoben, ja sogar die Anlage der Tonarten mit dem klassischen
Schema in Senate und Variation identisch. An Regers Melodik fallt die Kiirze des eigent-
lichen Gedankens auf, der dann zur Fortspinnung (mit alien Nebenstimmen) sekundenweise
nach auf- oder ab warts geruckt wird. Diese chromatischen Riickungen bei Jm wesentlichen
diatonischer Themenbildung und Harmonisierung bilden das spezifisch Regerische. In die
Augen springend ist auch der Mangel an Kontrast in der Erfindung; der Gegensatz wird
vorwiegend nur durch die Art des Satzes und der Fiihrung erreicht. Trotz des Ausgehens von
der Linie sind festgehaltene doppelte Kontrapunkte und langer ausgesponnene Themen selten.
Erstere werden durch dissonierende Figuration, letztere durch Verbindung kurzer Motiv-
gruppen ersetzt. Auf den Rhythmus als energetisches, Bewegung zeugendes Element legt
Reger besonderes Gewicht, wahrend der Klang als stilbildender Faktor vernachlassigt wird.
Formschopferisch war Reger besonders auf dem Gebiete der Variation. Er hat die Motive
des Themas zerlegt, einzeln harmonisch, melodisch und kontrapunktisch verarbeitet. Natiirlich
entfernte er sich mit einer solchen Technik von den klassischen Vorbildern fiir diese Gattung,
schuf aber ganz neuartige Werke, die arn besten als ,,Variationen-Fantasien" bezeichnet werden
konnten. Von der registerartigen Instrumentation wurde bereits gesprochen. Unter Regers
Schiilern sind mehrere hochbegabte Komponisten, die sich Einzelheiten seiner Schaffens-
weise zum Vorbild nahmen, ohne aber im wesentlichen iiber den Meister hinauszugehen.
Allen ist die Vorliebe fur Kammermusik, die Neubelebung der Orgelliteratur und die
Pflege der Variationen- und Fugenform gemeinsam, ferner die lineare Schreibweise in
Motivgruppen.
Am reinsten zeigen Regers Einflufi Karl Hasse (geb. 1883) und Guido Bagier (geb. 1888). Der erstere liebt
kleinere Formen und ist als Komponist zahlreicher Klavier- und Orgelstiicke sowie Lieder bekannt. Klaviermusik
(Variationen) und Lieder bevorzugt auch Bagier. Hermann Unger (geb. 1886) ist mit seinen Symphonien, Orchester-
stiicken und kleineren Formen, Kurt v. Wolfurt (geb. 1880) mit seinen Vokal- und Orchesterwerken hier ein-
zureihen. Das starkste, selbstandige Profil unter Regers Schiilern zeigt der Bayer Joseph Haas (geb. 1879).
Er verbindet mit Regers Technik eine eigentumlich behabig-humorvolle Note, lehnt sich 6'fters gerne an Volks-
themen an, ohne aber die kunstreiche motivische Arbeit aufzugeben. Seine Orchestervariationen, sowie Kammer
musik und Lyrik sind sehr verbreitet. Nicht unmittelbar zu dieser Schule gehorig, aber durch seinen Kompositionsstil
ihr angenahert, ist Heinrich Kami n ski (geb. 1886), der auf dem Gebiete der Chorkomposition bemerkenswerte
Versuche macht. Sein ,,Introitus" und ,,69. Psalm" sind Werke, deren formales Konnen und Beherrschung des
kontrapunktischen Aufbaues unmittelbar in die Nahe Regers fuhrt. Kaminski hat in den letzten Jahren eine ganze
Reihe von rein polyphonen Vokal- und Instrumental werken geschaffen und mit der Oper ,Jurg Jenatsch** auch einen
musikdramatischen Versuch gemacht. Von Dsterreichern ist Hermann Grabner (geb. 1886) zu nennen, der in
Die Mcdeme : Deutsche 1019
Mannheim und Heidelberg einen Schiilerkreis besitzt und mit zahlreichen Werken (Orchestervariationen, ,,Weih-
nachtsoratorium", Orgelfugen und Kleinerem) hervortrat, und der hochbegabte H. F. Redlich.
Wahrend durch Reger die Abkehr von der grofien Form des 19. Jahrhunderts vorbereitet
wurde, und die Fiihrung auf das Gebiet der Kammermusik iiberging, haben zwei Komponisten
in ganz anderer Weise den geistigen Werdegang der jiingsten Musik vorbereitet. Sie sind
nicht rein deutscher Abstammung, lebten aber lange Zeit im deutschen Sprachgebiet und
miissen daher hier einbezogen werden. Durch beide — Ferruccio Busoni (geb. 1868 in
Empoli, Italien, gest. 1924 in Berlin) und Frederick Deli us — wurden die Versuche vieler
jiingerer, in Deutschland schaffender Komponisten, angeregt.
Busoni, ein grofier Pianist, ist, wie seinerzeit Franz Liszt, von der Transkription aus-
gegangen. Er hat eine grofie Reihe von (Orgel-) Werken Joh. Seb. Bachs in modern-klavier-
istischem Sinne bearbeitet, und auch Stiicke Mozarts, Beethovens, sowie der spateren Roman-
tiker in ein neues, technisch zeitgemaBes Gewand gebracht. In alien diesen Stiicken zeigt er
sich vollendet in der stilistischen Einfiihlung, die sich auch in seinem eigenen Schaffen spiegelt.
Im allgemeinen ist es der Verbreitung von Busonis eigenem Werk abtraglich, dafi alle seine
Kompositionen in groBtem MaBstabe angelegt und technisch sehr schwer ausfahrbar sind. Wenn
man davon absieht, so ist eine Schichtung in zweiPerioden moglich. Dieerste(bis 1891), von der
zweiten durch eine zehnjahrige Schaffenspause getrennt, umfafit die Verarbeitung der Einflusse
Bachs, Mozarts, des spaten Beethoven, Verdis und Liszts, die sich (mitunter sogar verdichtet)
in alien Werken nachweisen lassen. Ohne ein System aufzustellen, werden, ge\vissermafien
experimented alle Kunstmittel angewendet. Nur technisches Konnen und Sinn for organische
Formung halten die Einheit aufrecht. Die zweite Periode strebt als Reaktion gegen die Akkor-
dik der Neuromantik (besonders im bewuBten Gegensatz zur Programmusik) einen geanderten
Stil an, den Busoni selbst ,,neue Klassizitat" nennt. Im Gegensatz zu Reger werden
hier alle Formkriterien verschiedener Richtungen gemischt, aber ein Primat der Me-
lodie schwebt als Endziel vor, ohne da6 diese periodisch gegliedert oder durch die har-
monische Kadenz eingeengt ware. Das Klangsinnliche wird zugunsten der Bewegung zuriick-
gestellt, auf Gegensatze, dynamische Steigerungen verzichtet, so daB eine Entwicklung aus
einer Flache vor sich geht. Koloristik wechselt mit rein Formalem, Experimente mit Kon-
ventionellem. Das rein Musikantische, das so stark auf die Jugend wirkt, steht im Vorder-
grund. Der Kern Busonis bleibt italienisch; sein Sinn for Leichtigkeit, Heiterkeit, ja sogar
Witz bestatigen dies. Aber sein Leben in Deutschland hat seine Phantasie auch in tieferem
gedanklichen Sinne beeinflufit (Fantasia contrapuntistica, 1910), seine Auslandsreisen im
exotischen. (Finnlandische Volksweisen far Klavier, op. 27, Indianische Fantasie, op. 44.)
Neben zahlreichen Klavierwerken und Liedern hat er an Orchesterwerken 2 Orchestersuiten
(op. 25 und 34a), eine Lustspielouverture (op. 38) und einige kleinere, vorwiegend stimmungs-
schildernde Orchesterstiicke, sowie Klavierkonzerte geschaffen. Drei Opern (,,Die Braut-
wahl", op. 45, nach E. T. A. Hoffmann, ,,Turandot", op. 50, nach Gozzi, und ,,Dr. Faust",
nach des Komponisten eigener Dichtung), sowie das satirische Buhnenmelodram ,,Arlecchino'*
(op. 50b) erganzen sein Lebenswerk. ,,Dr. Faust" wurde erst von Philipp Jarnach (s.unten)
vollendet und biihnengerecht gemacht. Busoni hat sich auch theoretisch und spekulativ mit
den Problemen der neuen Musik auseinandergesetzt und ist dadurch sowie durch seine Viel-
seitigkeit einer der starksten Anreger geworden.
65 H. d. M.
|Q2Q Die Moderne: Deutsche
sei
Seinem unmittelbaren Schiilerkreis gehort der Spanier Philipp Jarnach an (geb. 1892 in Noisy bei Pans). Mehrere
-Jner Kammermusikwerke und kleinere Orchesterstikke verraten besonderen Sinn fur Architektomk, dabei das Be-
vorzugen von grcBen FlacHenvirkungen. Ruhige, ausdrucksvclle Melodielinien von eigenartiger Rundung deuten
auf die romanische Abstammung des Komponisten, die auch in der Wahl der Stimmungskreise in seinen Werken
zum Ausdruck kommt: Romanzen, Morgenklangspiel, Rhapsodien. Jarnach leitet die Kompositionsklasse an der
Kolner Musikhochschule. Jiingere Busonischiiler sind Wladimir Vogel (geb. 18%), der sich jedocK stark dem Ex-
pressionismus angenahert hat, und einige Sclweizer Komponisten (s. S. 1041).
Eine merkwiirdige Gestalt ist Frederick Delius, der in seinem Schaffen die Stilmerkmale
mehrerer Nationen vereint. Er konnte und sollte vielleicht hier eingereiht und besprochen
werdem Da er jedoch in die Englische Moderne aufgenommen ist, so moge davon ab-
gesehen werden.
Hier sind einige junge deutsche Komponisten anzufiihren, die mittelbar an Busoni mit
seiner Einstellung zu neuer Klassizitat ankniipfen und den Neuaufbau des Stiles in funk-
tioneller Sachlichkeit suchen. Am bedeutendsten unter ihnen ist die Personlichkeit des 1895
in Frankfurt a. M. geborenen, seit 1927 als Meisterlehrer fur Komposition an der Berliner
Hochschule fur Musik wirkenden Paul Hindemith, der als Komponist von grofier Fruchtbar-
keit ist. In seinen zahlreichen Instrumentalwerken (Sonaten fur verschiedene Instrumente,
Streichquartette, Quintette) zeigt er ebenso wie in der von ihm gepragten mehrsatzigen kon-
zertanten Form fur kleines Orchester (,,Kammermusiken" fur verschiedene Besetzungen:
Klavierkonzert op. 36, Violin- und Cellokonzerte, Konzerte fiir Bratsche op. 38 und Viola
d'amore op. 46, Orgelkonzert, Konzerte fiir Orchester op. 38 und 41) in der Anlage streng
linearen Aufbau. Auch Harten aus dem AneinanderstoCen einzelner Stimmen, die bis zu
volliger Heterophonie gehen, werden nicht vermieden. Die Tonalitat wird zuweilen ver-
lassen, aber starkes Formempfinden, vor allem die Anlehnung an den altklassischen Stil,
sichern den Stiicken ebenso die starke Wirkung wie das musikantische Temperament und die
Einfallskraft Hindemiths. Er ist eine der starksten, musikalischen Begabungen des jungen
Deutschland, negiert bewuftt jede Romantik und ist in seiner Musik manchmal iromsch und
parodistisch. Humor wechselt mit griiblerischem Ernst. Die Vorherrschaft des rhythmischen
Elements ist unverkennbar. An Vokalwerken Hindemiths sind der Zyklus ,,Die junge Magd",
op. 23, und die Kammerkantate ,,Die Serenaden'* op. 35 zu nennen, beide mit Begleitung
mehrerer Instrumente. Seine Opernwerke erfahren eine gesonderte Darstellung (s. S. 1037).
Hindemith hat sich in der letzten Zeit mit Entschiedenheit der musikalischen Jugendbewegung
zugewendet, die, etwa 1910 aus den Freien Gemeinschaftsschulen Deutschlands entstanden,
eine Verbindung zwischen Kunst und Volk durch Zuriickgreifen auf das deutsche Volkslied
des Mittelalters und auf die Musik der alten Vokalmeister sucht. Er hat dafur mehrere Spiel-
musiken und Lieder geschrieben (op, 43, 44, 45), in denen sich der Rtickgang der Chromatik
und das Betonen des melodischen Empfindens in der Linie zeigen. Fiihrer der Jugend
bewegung war in friiheren Jahren August Halm (geb. 1869), in neuerer Zeit Fritz Jode
(geb. 1887). Neben Hindemith ist Ludwig Weber (geb. 1891 in Niirnberg) der bekannteste
der Komponisten, die sich dieser Gattung zugewendet haben. Weber schopft aus volkstiim-
licher Melodik und schrieb geistliche und weltliche Werke fur mehrstimmigen Gesang mit
einfacher Instrumentalbegleitung. In ahnlichem Stile wie Hindemith schafft der in Mann
heim lebende Wiener Ernst Toch (geb. 1887), eine Formbegabung besonderer Art. Von
seinen bekanntesten Werken sind zahlreiche Streichquartette und Sonaten, dann mehrere
Kompositionen fiir Kammerorchester zu nennen, darunter auch ein Cello- und zwei Klavier-
Die Moderne : Deutsche ] 02 1
konzerte. Der Berliner Max Butting (geb. 1888) reiht sich hier stilistisch an. Er hat aufier
durch Kammermusik auch durch drei Sinfonien die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt und
sucht Abwendung von der Romantik nicht ohne Embeziehung des Tanzenschen. Die ge-
nannten Komponisten gehoren zusammen mit Ernst Krenek (geb. 1900 m Wien) und Kurt
Weill zu den bekanntesten der Jungen. Krenek hat in seinen Kammermusikwerken zunachst
durch das unbekiimmerte Zusammendrangen der Linien und durch das imitierende Durch-
komponieren der einzelnen Abschnitte Aufsehen erregt. In letzter Zeit ist er allerdings merk-
lich von der atonalen Heterophonie wieder zur Tonalitat zuriickgekehrt. Aus der ganz be-
sonders grofien Zahl seiner Instrumentalwerke seien die Streichquartette, eine Menge kon-
zertanter und sinfonischer Musiken (Concerto grosso, Violin konzert) und kleinere Tanzstiicke,
dann Gebrauchsmusiken far Blaser genannt. Kurt Weill, geb. 1900 in Dessau, hat sich nach
instrumentalen Anfangen ahnlicher Art (Streichquartette, ,,Frauentanz" fur Gesang und
fiinf Instrumente) fast ausschlieBlich der Biihnenkomposition zugewendet (s. S. 1037). Er ist
einer der Komponisten, die Tanzrhythmen in den Vordergrund stellen. In diesem Sinne
wirkt auch der Wiener Wilhelm Grosz (geb. 1894), der aus der Schule Schrekers empor-
gewachsen ist und bei Festhaltung der Tonalitat in seinen Instrumental- ebenso wie in seinen
Blihnenwerken tanzerische Elemente (Jazz) mit der sinfonischen Technik der Kunstmusik
zu verbinden strebt. Zwischen Reger und der eben genannten Gruppe steht Erwin Lendvai
(geb. 1882 in Budapest). Er studierte in Italien und lebt seit 15 Jahren in Deutschland. Durch
seine Beschaftigung mit den A-cappelIa~Choren des 16. und 1 7. Jahrhunderts wird er der
modernen Chromatik und Klangfarbe entfremdet. Er bemiiht sich, in Kammermusikwerken
(Trios, Streichquartett) eine primitive Diatonik wiederherzustellen, nimmt auch exotische Stil-
merkmale auf (altjapanische Lieder, archaische Tanze) und bleibt hauptsachlich im Chor-
schaffen verankert, wo er ganz Eigenartiges produziert. Der Ostpreufie Heinz Tiessen
(geb. 1887 in Konigsberg), urspriinglich von Richard StrauB beeinflufit, hat eine Entwicklung
genommen, die ihn den Grenzen der tonalen Musik nahebrachte. Er gehort heute zusammen
mit Hindemith zu den Komponisten, die sich vom dichterisch Angeregten abwenden und zum
rein Musikalischen vorgedrungen sind. In seinen Werken sind trotz dem Vorherrschen der
linearen Gestaltung allgemeines Harmonieempfinden und Gefiihlsbetonung nicht vergessen.
Tiessen ist auch als philosophisch und musiWissenschaftlich geschulter Forscher Geschichts-
schreiber der jungen Musikbewegung. Von seinen Werken seien erwahnt: zwei Sinfonien,
eine Naturtrilogie fur Klavier, op. 18, mehrere Schauspielmusiken (zu ,,CymbeIine", ,,Ham~
let", ,,Sturm" von Shakespeare, zum ,,Postamt" von Tagore, zu ,,Don Juan und Faust" von
Grabbe und zu einigen modernen Stiicken), Kammermusik und Orchesterstiicke (Vorspiel zu
einem Revolutionsdrama, op. 33, und einem Tanzdrama, op. 34). Deutliche Vorliebe fur
,,expressionistische" Kunstmittel zeigt der Suddeutsche Lothar Windsperger und der im
Kriege 1915 gefallene Wormser Rudi Stephan, der mit Orchesterwerken und Liedern
hervortrat. Naher bei Schonberg steht der in Berlin lebende Dsterreicher Arthur Schnabel
in seinen Kompositionen (Klavier- und Kammermusik). Er lost die uberkommene Form
auf, gestaltet in neuen melodischen und harmonischen Barmen, ohne aber den Brucb
mit der Vergangenheit zu vervollstandigen, wie dies Schonberg getan hat. Arnold
Schonberg (geb. 1874 in Wien) gilt als Fuhrer des ,,Expressionismus". Er hat in
Wirklichkeit ganzlich neue Ausdrucksformen geschaffen. Von ihm ist nicht nur die
65*
1022 Die Moderne: Deutsche
junge Generation Deutsch lands, sondern auch Frankreichs (Ravel), Italiens (Malipiero)
und Rufilands (Strawinsky) beeinflufit. Da seine Schaffensweise am weitesten von jeder
Tradition abweicht, wird er an den Schlufi dieser Reihe gesetzt. Als Sohn eines friih
verstorbenen Kaufmanns genet er bald in diirftige Verhaltnisse. Bereits wahrend der
Scrmlzeit komponierte er, vorwiegend Kammermusik, studierte dann allein weiter und
genofi nur voriibergehend den Unterricht seines (zukiinftigen) Schwagers Alexander von
Zemlinsky. Nach mehreren Jahren bitterer Entbehrungen wurde Schonberg zuerst Kapell
meister an Wolzogens Uberbrettltheater, dann Lehrer am Berliner Sternschen Konservatorium,
kehrte 1903 nach Wien zuriick, wo er auch (1910) die ,,Erlaubnis" bekam, freie Kurse fur Kom-
position an der Staatsakademie zu halten. Nach einem zweiten voriibergehenden Aufenthalt in
Berlin (191 1 —14) lebte Schonberg bis 1925 in Modling bei Wien der freien {Composition und
dem Lehrberufe. Als Nachfolger Busonis wirkt er seit jener Zeit als Leiter einer Meisterklasse
an der Berliner Hochschule fiir Musik.
Schonbergs Werk laBt sich in vier Abschnitte gliedern. Der erste, welcher die Werke bis
zum ersten Streichquartett (op. 7) umfaBt, ist deutlich aus der EinfluBsphare Richard Wagners
hervorgegangen. Schonberg nimmt die Stilelemente der neudeutschen Richtung auf und
versucht einerseits durch Verstarkung der Mittel (wie Mahler), andererseits durch bewufites
Fortspinnen und Verfeinern der Thematik eine Weiterfiihrung. Durchaus auf romantischem
Boden stehend, findet er aber, besonders in kleineren Stiicken (Liedern), auch Beziehungen
zu Brahms. Ein plotzliches Abbrechen dieser Linie ist deutlich zu merken. Die Entwicklung
der gesamten deutschen Musik in diesen letzten Jahren, das Abriicken vom symphonischen
Klangkorper und das Hinneigen zum Kammerstil spiegeln sich im Einzelfall Schonberg. In
der zweiten Periode iiberwiegt die Gedanklichkeit die Empfindung, in der Harmonik be-
ginnen sich bereits ungeahnte Ergebnisse vorzubereiten, aber der formale Aufbau, die mo-
tivische Arbeit und Polyphonic ist noch aus der Tradition zu erklaren. Die Vorliebe fiir
Kammerwerke teilt Schonberg hier mit Reger, die eigenartige Quarten- und Ganztonharmonik
mit dem Fiihrer des franzosischen Impressionismus, Debussy. Die Werke op. 7 — 10 fallen
in diesen Abschnitt (Streichquartette, Kammersymphonie, Orchesterlieder). Mit den Klavier-
stxicken op. 11 beginnt der dritte Abschnitt des Schaffens Schonbergs. Der Bruch
mit der herkommlichen Art, musikalische Gedanken auszudriicken, wird vollkommen, jede
asthetische Wertung entfallt. Die Wahrheit tritt an Stelle der Schonheit. Kriterien dieser
Epoche sind in der Melodik das Bevorzugen grofier Intervallspriinge (Quarten, Septimen
und Nonen) und konstruktiver Pausen, das Aufgeben jeder Symmetrie, Sequenz, Wieder-
holung, dabei aber die Betonung des Linearen ; das Prinzip des Akkord- und Tonartenwechsels
wird in eine Stimme verlegt. Die melodischen Kadenzierungen der einzelnen Stimmen er-
folgen fast nie gleichzeitig. In der Harmonik ist die Aufhebung des Konsonanz- und Disso-
nanzbegriffes (beide werden nur als relativ und graduell verschieden erklart), der Kadenz und
des bewufiten Festhaltens einer Tonart festzustellen. Auch hier wird die Wiederholung ver-
pont (Oktaventriibungen, Einmaligkeit des Vorkommens von Klangen) und ganz neuartige Ge-
bilde entstehen. Die Akkorde sind zuweilen nur Akzente auf den Schwerpunkten der Melodie,
zuweilen aber choralartig jedem Melodieschritt beigegeben. Mit der Symmetrie in Melodik
und Harmonik fallen auch die formalen Kontraste und Abschnitte; die Dimensionen werden
verkiirzt. Die Instrumentation ist kammermusikalisch-polysolistisch. Eine neue Klangfarben-
Die Moderne: Deutsche ]Q23
melodic wird zum konstruktiven Prinzip. Nicht auf das Timbre einzelner Instrumente,
sondern auf ihre dynamische Registrierung und Kombinierung kommt es an, ein Prinzip,
das sich bereits bei Reger vorbereitet, hier aber restlos durchgefiihrt wird. In den Partituren
sind in neuer Bezeichnung (H und N fur Hauptstimmen und Nebenstimmen) die Starke-
grade und Wichtigkeitsverhaltnisse der Stimmen vermerkt. Alfred Einstein hat den Stil
von Schonbergs Werken aus dieser Zeit monozentrisch genannt, der Einmaligkeit wegen,
die ihnen aus dem Bediirfnis des Schopfergeistes nach vollstandiger Konzentration und Ent-
sinnlichung anhaftet. Der Klang als absoluter Ausdruck irgendeines Gefiihls wird abgelehnt,
das Nebeneinanderlaufen verschiedener Linien ergibt Schichtungen. Aus all dem folgt aber
keineswegs, dafi Schonbergs Kompositionsweise willkiirlich, ohne eigene formale Gesetze
ware. Diese beginnen bereits in den Orchesterstucken merkbar zu werden, wo der Komponist
mit Tonreihen arbeitet, in der Weise, dafi die melodische Grundgestalt der Themen zusammen-
gefafit eine bestimmte Anordnung des Materials ergibt, die auch harmonisch dem Stuck
zugrunde liegt. Das konstruktive Prinzip der Zwolftonreihe, von dem schon in der allgemeinen
Einleitung (S. 1004) die Rede war, beherrscht die vierte, vorlaufig letzte Epoche von Schon
bergs Schaffen. Das gesamte Tonmaterial wird hier durch intervallmafiige Reihung fur jedes
Stuck gewissermafien als Urmotiv festgelegt, aus dem sich die ganze Entwicklung ergibt.
Eine ganz bestimmte Technik zur Verwertung dieser Keimzellen ist ausgebildet, die Freiheit
des Ausdrucks und der Inspiration jedoch nicht dadurch beeinflufit. Die klassischen Form-
schemen der Sonate und der Suite werden wieder angewendet, allerdings mit neuartig-
konstruktivem Inhalt gefiillt. Periodisierung und Kadenzen sind einem neuen Formziel
gewichen : der Auswertung der Spannungsunterschiede und Spannungsmoglichkeiten in den
Intervallen durch Gleichgewichtsanderungen des Melos. So steht gewissermafien ein zeichne-
risches Prinzip, die Herrschaft der linearen Stimme, im Vordergrund.
Schonberg begann mit Liedern, die durch die Polyphonic der Begleitung und durch die
Deklamation auffallen, welche, vom Wortsinn sich entf emend, mehr die Linie zusammen-
fafit. Sein erstes grofieres Werk, ,,Verklarte Nacht" (Streichsextett, op. 4), ist einsatzig, aber
entsprechend dem vorangestellten Gedichte, in fiinf Abschnitte geteilt, die die Elemente der
Sonatenform mit dem Inhalt der einzelnen Stimmungen verbinden. Melodik und Harmonik
ist noch von Wagner abhangig, dessen Wirkungskraft im Jahre 1899 ungleich intensiver war
als heute. In den auf das Sextett folgenden ,,Gurreliedern" (ohne Opuszahl) driickt sich die
starkste Steigerung der aufieren und inneren Mittel der Wagnerschen Romantik aus. Dieses
Werk verlangt das bisher grofite Orchester, 5 Solisten, Sprecher und drei vierstimmige Manner-
chore, sowie achtstimmigen gemischten Chor. Formal sind die ,,Gurrelieder" eine Folge von
thematisch miteinander verkniipften Gesangen. Im Melodram vor dem Schlufichor, das erst
10 Jahre spater instrumentiert ist, ferner an einigen Stellen, die Schonberg spater iiberarbeitete,
ist deutlich eine Anderung der Technik zu erkennen. In die Zeit 1902 — 03 fallt auch die
einzige symphonische -Dichtung, die Schonberg schrieb: ,,Pelleas und Melisande" (op. 5),
nach Maeterlincks Drama (ohne dafi er Debussys Oper gekannt hatte). Formal entspricht
das Werk einer Symphonic mit durchgehenden Leitrnotiven (I. Satz Sonatenform ohne
Durchfiihrung, II. Satz Scherzo, III. Satz Adagio ml: durchfiihrungsartiger Einleitung,
IV. Satz teilweise Reprise des I. und III. Satzes und Epilog). Die einzelnen Satze geben die
Handlung in grofien Ziigen wieder. In der Orchesterbehandlung dieses Stiickes sind seltsame
I Q24 Die Moderne: Deutsche
Klange (Posaunenglissando, KontrabaBflageolett), in der Harmonik Quartenakkorde und Ganz-
tonfortschreitungen anzufiihren, sowie eine Polyphonic, die bis zur gleichzeitigen Verarbei-
tung von 4—5 Themen vorgeschritten ist. Mit diesem Werke (die Lieder, op. 6, sind noch
einzubeziehsn) bricht die Entwicklungslinie ab. Schonberg sucht den AnschluB an die Pro-
duktion fur Kammermusik. Die Werke op. 7, 9 und 10 setzen sich mit den Problemen der
realen Form und des traditionellen Aufbaues auseinander. Das erste Streichquartett (D-Moll)
ist einsatzig, enthalt aber deutlich die 4 Satze der alten Sonatenform, allerdings thematisch
vielfach untereinander verkniipft. Das Konstruktive ist in komplizierter, aber zwangvoll lo-
gischerWeise gelost. Auch die ,,Kammersymphonie" (op. 9, fur 15 Soloinstrumente, Streicher
nach Erfordernis zu verdoppeln) zeigt dieselbe formale Anlage. In knappen Umrissen wird
das Geriist einer Symphonic beibehalten, nur steht die Durchftihrung des 1 . Satzes zwischen
Scherzo und Adagio. In diesem Werke kommt die Quartenharmonik das erstemal zur be-
wufiten Durcharbeitung, ohne dafi die Tonalitat ganzlich verlassen wiirde. Das geschieht erst
im 3. Satze des 2. Streichquartettes, op. 10 (Fis-Moll). Der l.Satz (Sonatenform) und das
Scherzo dieses Quartettes, die satztechnisch noch auf dem Boden der Tradition stehen, werden
von einem Adagio con Variationi gefolgt, iiber das die hinzutretende Singstimme eine Lied-
form baut. Auch der letzte Satz wird gesungen; er ist trotz thematischer Verflechtungen
frei gestaltet. Die folgenden Werke, Klavierstiicke (op. 11 und 19), Orchesterstiicke (op. 16)
und die Buhnenwerke entrollen die schon erwahnten Probleme. Die friiher charakterisierte
Melodik wird aus kleinen Motiven gebildet, die nicht polyphon verarbeitet, sondern mit
anderen Bewegungen kombiniert werden. Das Harmonische unterliegt nicht mehr der ka-
denzieilenFunktion. Die Form deckt sich mit dem Ausdrucksgehalt, nicht mit schon bekannten
Typen (jedes Stuck ist anders gestaltet). Im Orchester wird der Einzelklang aus vielen Farben
zusammengesetzt, die Instrumente solistisch behandelt und dynamisch getrennt. Dabei werden
aber die alten kontrapunktischen Formen nicht vernachlassigt, sondern zu ungeahnter Kom-
pliziertheit gesteigert (Passacaglia, Kanon, Doppelkanon, Krebskanon, Spiegelkanon im
,,Pierrot lunaire" (op. 21), einem Werke, das auch durch die melodramatische Singstimme
eine umsturzende Neuerung ist). Die Komposition mit zwolf Tonen pragt sich zum erstenmal
in voller Gesetzmafiigkeit in den fiinf Klavierstiicken op. 23 aus. Schon in friiheren Werken,
besonders in den Orchesterliedern op. 22 waren Ansatze hierzu zu finden. Eine Reihe von
Kammermusikwerken zeigt Schonberg auf dem Wege zu immer groBerer Freiheit des Aus-
drucks trotz streijger Beibehaltung des Zwolf ton-Kompositionsprinzips, das nie zu starrer
Mathematik wird. Hierzu gehort die mehrsatzige Serenade fur Klarinette, BaBklarinette,
Mandoline, Gitarre und drei Streicher, op. 24, in deren Mittelsatz die neue Technik zum ersten
mal vokal angewendet wird (ein Petrarca-Sonett fur tiefe Mannerstimme). In den vier Stiicken
fur gemischten Chor, op. 27, und den drei Chorsatiren, op. 28, verzichtet Schonberg auf
jegliche instrumental Stiitze derZwolftonmelodik; in seinen Kammermusikwerken der letzten
Zeit erscheinen klassische Formtypen mit der neuen Zwolftontechnik erfiillt. Hierzu gehoren
die Suite fur Klavier op. 25 zum Teil in vorklassischen Tanzformen, und die Suite fur sieben
Instrumente op. 29 wahrend das Blaserquintett op. 26 und das Dritte Streichquartett op. 30
aufierlich dem Formtypus der klassischen Senate naherstehen. In den Orchestervariationen
op. 31 hat Arnold Schonberg die Zwolftonkomposition auch auf das Orchester iibertragen.
Schonberg hat aus tiefster Uberzeugung verneint, dafi er auf der Bahn der Musikentwicklung
Die Moderne: Deutsche 1025
in derselben Richtung weiterschreiten konne, wie sie bisher verlief . Er hat aus dieser Erkenntnis
die Konsequenzen gezogen und nicht nur spekulativ, sondern gefiihlsmaBig und intuitiv eine
ganzlich veranderte Ausdrucksart gefunden.
Schonberg, der als Lehrer eine umfangreiche Tatigkeit entfaltet (er veroffentlichte 1911 eine ,,Harmonielehre",
die 1922 umgearbeitet wurde), hatte mehrere Schiiler, die als Komponisten auf dem von ihm eingeschlagenen Wege
weiterschreiten. Zu den altesten gehoren Anton Webern (geb. 1883) und Alban Berg. Die meisten Werke von
\Vebern sind ganz kurz, dynamisch aufierordentlich fein abgestuft und zeigen eine vielverastelte Rhythmik. Er schrieb
eine ,,Passacaglia4', Orchester- und Instrumentalstiicke, sowie Lieder, in letzter Zeit Chore und eine Sinfonie. Diese
Arbeiten entbehren der herkommlichen Gestaltung und gehen im Stil noch iiber Schonberg hinaus. Der etwas
jungere Alban Berg (geb. 1885) "iiebt ausgedehntere Formen. Thematik ist klarer erkennbar, obwohl auch hier
die heterogensten Elemente verbunden sind. Zusammen mit anderen konstruktiven Elementen hat Berg die Zwolfton-
technik Schonbergs aufgenommen und in seiner ,,Lyrischen Suite" fur Streichquartett (1926) und in seinem Kammer-
konzert f iir Geige und Klavier mit 1 3 Blasern angewendet. Bergs wichrigste Arbeiten sind neben den genannten
eine Klaviersonate, Streichquartett, Lieder mit Klavier und Orchester und endlich eine Oper ,,Wozzeck", von der
noch die Rede sein wird. Zu den alteren Schonbergschiilern gehoren Karl Horwitz (1884 — 1925), der in seiner
letzten Zeit einen Stilwandel durchgemacht hat, der ihn dieser Richtung entfremdete, und Egon We lies z(s.S. 1036),
dessen Haupttatigkeit auf dem Gebiete der Oper liegt1). Jiingere Schonbergschiiler sind Viktor Ullmann, Felix
GreiBle aus der Wiener Zeit, daneben die heute als Kapellmeister in Deutschland wirkenden Ernst Bachrich,
Hans Svarovsky, Karl Rankl und Ludwig Trauneck, aus den letzten Berliner Jahren die Anhanger der Zwolfton-
musik Herrmann Zillig und Walter Gronostay. Eine Sonderstellung nimmt Hanns Eisler (geb. 1898) ein, der
sich technisch an Schonberg anschliefit, sich jedoch geistig durch naturalistische und kollektivistische Einstellung weit
von ihm entfernt. Eisler ist durch Vokalwerke skurriler und parodistischer Art, sowie durch Tendenzchore bekannt-
geworden. Der Deutschbohme Erwin Schulhoff (geb. 1894 in Prag), ein sehr fruchtbarer Komponist vorwiegend
virtuosenhafter Musik, reiht sich hier an. Dem Schonbergkreis steht auch Rudolf Reti (geb. 1891) nabe, sowie der
Deutschbohme Fidelio F. Finke (geb. 1891 in Josefstal), der in Klavierstiicken und Lyrik vorwiegend groteske
Wirkungen aufsucht. Hierher sind aber auch einige Schiiler Franz Schrekers (von dem spater gesprochen wird)
einzureihen, die, vollig gewandelt, in Schonbergs Werken ihr Vorbild senen. Alois Haba (geb. 1893), Tscheche,
voriibergehend in Berlin lebend, schrieb Kammermusik und Orchesterwerke und beschaftigt sich jetzt mit der
praktischen Einfiihrung und theoretischen Deutung des Vierteltonsystems, in dem er seit 1921 ausschliefilich kom-
poniert. AuBer Haba komponieren im Vierteltonsystem Richard H. Stein (geb. 1882), Jorg Mager und Willy
Moellendorf (derErbauer des ersten Vierteltonharmoniums). Felix Petyrek (geb. 1892) fallt durch seinen Hang
zur Parodie und Groteske sowie durch virtuose Beherrschung der Satztechnik auf. In letzter Zeit hat Petyrek, der
in Athen lebt, viele orientalische Motive folkloristisch in seine Musik aufgenommen. Allen dieseri, sowie den jiingeren
Josef Melichar, Herbert Windt und Leo Ornstein (geb. 1895), Wilhelm Maler (Koln 1902), Johannes Muller-
Dresden (1906), ist die Abkehr von der Tonalitat im hergebrachten Sinne und von der Formgestaltung der Klassiker
gemeinsam.
In ganz eigenartiger Weise komponiert der Osterreicher Josef M. Hauer (geb. 1883). Autodidakt, hat er ein
,,rein atonales" Tonsystem in mehreren theoretisch-asthetischen Schriften aufgestellt, nach dem er praktisch nur
fur temperierte Instrumente (Klavier, Harmonium, Celesta) und far Orchester arbeitet. Seine Art liefie sich als Ver-
such bezeichnen, mit primitiven Mitteln, vom Bausteine des Tones an sich ausgehend, neuen Ausdruck zuerreichen.
Ihm nahe verwandt ist der 1894 in Ortelsburg in Ostpreufien geborene Jurgen van der Wense, der, ebenfalls
zuerst in anderen Berufen tatig und in der Musik Autodidakt, in Liedern aus der Edda, deutschen Liedern und
Klavierstiicken in neoprimitiver Art nach Gestaltung ringt.
Die Vokalmusik
a) DAS LIED UND DER CHOR. Wahrend in der Instrumentalmusik die Entwicklung nach
einer neuen Richtung hin in groBen Ziigen merkbar wird, kann belm Lied nur von tastenden
Versuchen gesprochen werden; denn der Typus eines neuen, modernen Liedes wurde erst
um die Jahrhundertwende von Hugo Wolf aufgestellt (s. S. 954). Von ihm unmittelbar
*) In diesem Zusammenhange ist auch der Verfasser dieses Artikels, Paul Amadeus Pisk (geb. 1893) , zu nennen,
der wie als Schaffender (Lieder, Chore, Instrumentalmusik, Pantdmime) so als musikalischer Volksbildner,
Musikschriftsteller und Kritiker erfolgreich tatig ist. D. Hgbr.
1026
Die Moderne: Deutsche
beeinflufit sind in ihrer Lyrik alle Komponisten der neudeutschen Richtung, die bereits in
dem Abschnitt liber die Instnimentalmusik erwahnt Burden, aber auch einige Tonsetzer, die,
jiinger an Jahren, vorwiegend durch ihr Liedschaffen bekannt sind. Hierher gehort in erster
Linie der Nachromantiker Heinrich Kaspar Schmid (geb. 1874 in Landau). In semen zahl-
reichen Werken (Liederspiel ,,Tiirkisches Liederbuch", Kinderlieder) zeigt sich ein eigener
Zug, obwohl die Art der Diktion und des Satzes an Wolf emporgewachsen sind. Direkt an
Wolf schlofi sich der mit Schmid gleichaltrige Wiener Theodor Streicher (geb. 1874) in
seinen ,,Wunderhorn"- und ,,Hafis"- Uedern an, sowie der im gleichen Jahre geborene,
schon 1913 verstorbene Erich J. Wolff und Otto Vrieslander (Lieder nach K. F. Meyer
und Goethe). Hans Pfitzner, der seinen produktiven Schwerpunkt ins Vokale verlegt hat,
formt Gesange und grofiere Vokalwerke in echt romantischem Geiste. In der Harmonik
werden mannigfache freie Vorhaltsbildungen und Ostinato, im Klang mit Vorliebe die dunklen
Farben der tiefen Lagen angewendet. Pfitzner schreibt teils grofiere Einzelstiicke mit Orchester-
begleitung (..HerrOluf", op. 12, 1891; ,,Die Heinzelmannchen", op. 14, ,,Lethe", op. 37, fur
Mannerstimme) oder gruppenweise angeordnete Lieder mit Klavierbegleitung (zahlreiche
Opera 2, 3, 4, 5, 6, 7, 9 JO, 1 1, 15, 18 usw.) aus der Friihzeit, neuestens ,,Alte Weisen", op. 33
(1923), Sechs Liebeslieder, op. 35, und die Gesange auf den Tod der Gattin des Meisters.
Diese sind hier angefuhrt, da sie auf die jungere Generation nicht ohne Einflufi geblieben sind.
Eine deutliche Entwicklung zeigt Joseph Marx (geb. 1882 in Graz), 1922-1925 Direktor,
jetzt Lehrer der Staatsakademie in Wien. Er verfafite in den Jahren von 1900-191 1 zahlreiche
Lieder, die ihn weithin bekannt machten, zuerst in volkstiimlich breiterArt, etwa von Robert
Franz ausgehend, dann aber von Hugo Wolf, namentlich im symphonischen Klaviersatz, stark
angeregt. Seine j'etzt sichtlich ausgepragte Eigenart lafit sich einerseits in der rhythmisch wenig
differenzierten, immer voll klingenden Klavierbegleitung und in der Melodie aufzeigen, die
ungefahr die Mitte zwischen gedehnter Kantilene und dem Sprechton halt. Alle Gesange
zeichnen sich auch durch uberstromenden Gefuhlsinhalt und feine komplizierte Harmonik
aus. Das Lokalkolorit der steirischen Landschaft und Volkselemente werden oft merkbar.
Die Lieder sind, mit Ausnahme des ,,Italienischen Liederbuchs", nicht zyklisch angeordnet,
hingegen oft von Kammerorchester (einzelnen Instrumenten) begleitet. Neben Kammer-
musik (Sonaten, Klavierquartett, Trio), die aber immer dasGeprage edler Lyrik trSgt, wandte
sich Marx in den letzten Jahren der Instrumentalkomposition zu (Romantisches Klavierkon-
zert, 1919, ,,Herbstsymphonie", 1922, Idylle, Concertino fur Orchester, 1926, und neuestens
,,Nordlandsrhapsodie" mit folkloristischen Einfliissen). Auch hier ist eine echt romantische
Dberschwenglichkeit und das reiche Stromen der musikalischen Gedanken vorhanden. Stili-
stisch gehort Marx noch zu den teilweise vom Klangzauber der franzosischen Impressionisten
berauschten Spatromantikerh, in seiner Harmonik kiindigt sich jedoch schon eine Stilwandlung
an. Das Liedschaffen von Richard Straufi weist einen groBen Umfang und weite Verbreitung
auf. Seine Melodik entwickelt sich von der Aneinanderreihung kiirzerer Motive zu grofien Pe-
rioden, der Schwerpunkt liegt aber nicht so sehr im Gesanglichen, als im Klavier, da sich
die Phantasie des Meisters am Instrumental befruchtet und die Erkenntnis des Zwiespaltes
zwischen Melos und Sprache bei ihm zu stark ist, als dafi eine Synthese entstehen konnte.
Trotzdem hat StrauC das Ausdrucksgebiet des Liedes nach der ernsten und grotesken Seite
hin erweitert, ohne sich aber von seinen Vorbildern (Wagner— -Hugo Wolf) ganzlich freizu-
Die Modeme: Deutsche 1027
machen. Die Zahl seiner Lieder betragt etwa 130. Sie lassen sich ziemlich leicht in Gruppen
einteilen, da stets mehrere Vokalopera zeitlich beisammenstehen. Von den ersten Banden,
die in den Jahren 1885 — 88 entstanden, ist vor allem das ,,Standchen" aus op. 15 und ,,Breit'
iiber mein Haupt" (op. 19, Nr. 2) zu erwahnen, sowie die ,,Schlichten Weisen" (op. 21). Die
zweite Gruppe (in den Jahren 1894 — 97 komponiert) umfaBt die Werke mit Klavier op. 27,
29, 31 , 32, sowie die Orchesterlieder op. 33 und enthalt diejenigen Gesange von StrauB, welche
am bekanntesten wurden, u. a. ,,Cacilie", ,,Heimliche Aufforderung", ,,Morgen", ,,Traum
durch die Dammerung" und ,,Ich trage meine Minne". Nach den 3 Zyklen op. 36, 37 und 39
aus dem Jahre 1898 setzt im Sommer 1899 ein neues Liedschaffen ein, das bis 1901 andauert
und die Werke 41 , 43, 46 — 49 sowie die Orchesterlieder op. 44 in sich schliefit. Textdichter sind
neben Uhland und Rikkert von Modernen Henckell (,,W5nterweihe") und Dehmel (,,Freund-
liche Vision"). Nach einem einzelnen Heft (op. 56, 1903) trat eine jahrelange Pause in der Lied-
produktion StrauBens ein, die erst durch die Lieder, op. 66—68, und die ,,5 kleinen Lieder"
(op. 69) aus dem Jahre 1919 und die grofiangelegten 8 ,,Hymnen", op. 71 , unterbrochen wurde.
Die technische und formale Meisterschaft Straufiens kommt in den Gesangen der letzten
Periode ebenso zur Geltung als friiher. Merkwiirdig Jst auch der Entwicklungsgang Max
Regers. Sein Friihwerk, ungefahr 30 Gesange, steht unter dem Einflusse Brahms' und
Schumanns. Dann (etwa in der Weidener Zeit) folgt eine grofie Reihe von Liedern, die den
Stil Hugo Wolfs aufweisen. Reger, der nach eigenen Worten ,,Wolf iibertrumpfen wollte",
steigert die Polyphonic des Klavierparts, lafit die melodischen Linien abwechselnd von der
Singstimme in die Begleitung iibergehen und bringt viel Tonmalerei, sowie rein deldama-
torische Stellen. Reger verlafit jedoch mit seinen 12 Liedern op. 66 diese Bahn und wendet
sich in den spateren Jahren einer Vereinfachung des Stiles zu, der in den 60 ,,Schlichten
Weisen" (op. 76) am reinsten zum Ausdruck kommt. Es ist eine deutliche Riickkehr zurMelo-
dik und formalen Anlage (Strophen !) des alten Volksliedes; der archaisierende Charakter wird
auch durch angewendete Kirchentonharmonik betont. In alien Gesangen dieser Zeit stellt
sich Reger in bewufiten Gegensatz zu Richard Straufi, indem er Texte, die von jenem vertont
sind, in ganz anderer Weise in Musik setzt. In die letzte Zeit fallen die 12 geistlichen Lieder
(op. 137) und Kinderlieder (op. 142), die tiefsten Gefuhlsinhalt bergen. Das lyrische Ge-
samtwerk Regers umfafit iiber 300 Lieder, die vor allem aus dem rein Gefiihlsmafiigen, aus
der Stimmung heraus geschaffen sind. Daraus erklart sich die oft unbedenkliche Wahl minder-
wertiger Texte. Die Skala der Empfindungen Regers reicht von neckischer oder derber
Heiterkeit bis zu weltabgewandter Religiositat. In seinen letzten Liedern nahert er sich,
wenn auch nicht in bezug auf den harmonischen und melodischen Bau, so doch im Formalen
und in der Auffassung der Textverarbeitung der Lyrik Gustav Mahlers. Unmittelbar an
Wolf (in der motivischen Begleitung) und an Brahms (in der Formung der Melodie)
kniipfen die ersten Gesange Schonbergsan. In der weiteren Entwicldung entfernt sich
die Melodie durch Anwendung grofier Intervallspriinge immer mehr vom Deklamatorischen,
die Formen werden knapper, praziser, die Kontraste scharfer. Alle in der Instrumenfcdmusik
verzeichneten Merkmale formaler und technischer Art finden sich auch in Schonbergs Lyrik.
Als besonderen Fall des Zuriickkehrens zur Deklamation muB auf den ,,Pierrot lunaire" hin-
gewiesen werden, der, wohl aus dem Bestreben nach einer Oberschreitung derGrenzen der
absoluten Musik zwecksVereinigung mit der Schwesterkunst, der Rezitation, dieNeueinfiihrung
]Q28 Die Modeme: Deutsche
der ,,Sprechmelodie" enthalt. Die Worte sind unter genauer Beriicksichtigung der Tonhohe
und des Rhythmus zu sprechen. Die von Schonbergs Schulern und anderen jungen Kom-
ponisten seitdem weiter verwendete Sprechmelodie stellt die Synthese zwischen Lied und
Melodram einerseits und zwischen Deklamation und Gesangsstimme andererseits her.
Die Produktion von Chorwerken ist vielfaltig verastelt. Fassen wir die drei groBen Gat-
tungen: geistliches Oratorium, weltliches Oratorium und die iibrigen Chorwerke ins Auge, so
zeigt sich auf dem Gebiete des ersteren in den letzten Jahrzehnten nur geringe Entwicklung.
Nach der Reform dieses Typus durch Franz Liszt, der Wagners Technik auf das Oratorium
iibertrug, haben sich zahlreiche Wagnerepigonen schaffend an Oratorien versucht, ohne sti-
listisch fortzuschreiten. Neben Max Bruch, Joachim Raff, Felix Draesecke, die schon im
vorhergehenden Abschnitt behandelt wurden, und Philipp Wolfrum (geb. 1854), sind
von jungeren, erst in den letzten Jahren erschienenen Werken die ,,Siindflut" von Friedrich
Ernst Koch (geb. 1862) zu erwahnen, wo Rubinsteins EinfluB deutlich merkbar wird, ferner
das Oratorium ,,Ruth" (1908) von Georg Schumann (geb. 1866), das mit Wagnerischen Mit-
teln dramatische Belebtheit erreicht. An groBen, mehrteiligen geistlichen Oratorien ist sonst
Mangel, wahrend kleinere Werke, biblische Szenen oder Kantaten in groBerer Zahl veroffent-
licht werden. Hierher gehoren die ,,Heilige Sendung" und ,,Hollenfahrt Christi" von Karl
Bleyle (geb. 1880), die ,,0ffenbarung Johannes" von Walter Braunfels (s. S. 1014), sowie
die Chorwerke der Reger-Schule (Grabner) und Kaminskis. Im allgemeinen geht die Pro
duktion an grofien Chorwerken mit Orchesterbegleitung zuriick, sei es, daB die wirtschaft-
lichen Schwierigkeiten die Auffiihrung erschweren, sei es, daB sich die junge Komponisten-
generation bewuBt von dieser Gattung abwendet. Die vorklassische Vokalpolyphonie wird
Vorbild, und so kommt es, daB in einer Art von Chromatik gereinigter Mehrstimmigkeit der
Madrigalstil zu neuem Leben erwacht. Die geistige Bewegung, die Elemente des zeit-
genossischen Stiles auch auf die alten Formtypen der Vokalmusik zu ubertragen, hat zahl
reiche Werke fur Kammerchor a cappella hervorgebracht. Max Butting (A-cappella-Chore
op. 27), Paul Hindemith (Liederbuch fur mehrere Singstimmen op. 33) und Ernst Krenek
(drei gernischteA-cappeIla-Choreop.22, vier kleine A-cappella-Chore op. 35, vier A-cappella-
Chore op. 47, kleine Kantate fur A-cappella-Chor op. 51) haben sich zuerst mit dieser Gattung
beschaftigt, dann folgten ihnen zahlreiche Komponisten nach, unter denen noch Wilhelm
Weismann (geb. 1900) und Hugo Herrmann (s. S. 1037) und die O'sterreicher Felix
Petyrek und Hans Gal (Epigramme fur gemischten Chor a cappella op. 27) genannt seien.
Die grofie Bewegung des Massengesanges der Arbeiter (Manner- und gemischter Chor),
die in den letzten Jahren immer starker merkbar wird, hat einen ganzen Literaturzweig der
Chorproduktion, die Arbeitercho're, ins Leben gerufen. Zunachst begannen einige Kompo
nisten soziale Texte im Stile der konventionellen Chorkomposition der romantischen Ver-
gangenheit zu formen. Hierher gehoren etwa die Fiihrer der Bewegung Gustav Adolf Uth-
mann (1867-1920) in Deutschland und Josef Scheu (1841 — 1904) in O'sterreich. Eine Un-
zahl von Komponisten, die den Durchschnitt nicht iiberragten, waren auf diesem Gebiete
tatig. Erst in den letzten Jahren haben sich geistig und technisch hervorragende Vertreter der
jungeren Generation dieser Gruppe zugewendet, in Deutschland vor allem Wilhelm Knochel
(geb. 188I),HermannScherchen(s.S. 1009), Erwin Lendvai (s.S.1021) und Heinz, Tiessen
(s. S. 1021), inOsterreich Josef Sey fried (geb. 1871) und mehrere Jiingere. Alle diese Kom-
Die Moderne: Deutsche 1029
ponisten schreiben entweder kleinere Chorlieder fiir Arbeiter oder grofiere, abendftillende
Werke. Hier finden sich Ansatze zu neuartigen sozialistischen Oratorien. Dieser Gruppe
gegenuber steht eine andere, die tiefen geistigen Widerhall aus der alten Gemeinschaft des
Christentums mit neuen Kunstmitteln sucht. Die Vertonungen zahlreicher Psalmen (23. von
Alexander Zemlinsky, 69. von Heinrich Kaminski, 100. von Max Reger, 1 16. von Franz Schre-
ker u. a.) waren hier einzureihen, sowie die Werke, welche zur reinen Kirchenmusik iiberleiten
(Te deum und Grofie Messe von Braunfels, Berthold Goldschmidt ,,Requiem"). Die iiber dem
evangelischen Choral aufgebaute, rein vokal-mehrstimmige Choralkantate, welche die Uber-
tragung des instrumentalen Choralvorspiels (Bach) auf das Gebiet der Chorik darstellt und von
Max Reger erstmalig gestaltet wurde, ist gleichfalls hier anzufiihren. Das grofie weltliche Orato-
rium ist seit Bruch, Adalbert v. Goldschmidt sowie anderen um einige Werke bereichert worden,
die ebenfalls auf Wagner fuBen. In den letzten Jahren wurden bekannt: ,,Totentanz" von Felix
Woyrsch (geb. 1860), ,,DerSonneGeist" von F. Klose, ,,Friihlingsfeier" vonC. Prohaska,
des Wieners Karl Weigl ,,Weltfeier", das ,vHohe Lied" von Ernst Kanitz. Den Hohepunkt in
bezugauf Wirkung und Aufgebot bilden die ,,Gurrelieder" von Arnold Schonberg (s. S. 1021)
und Mahlers VIII. Symphonic (s. S. 1007). Die kleineren Arten, des weltlichen Oratoriums
sind schwer von der (dramatischen) Kantate und anderen Chorformen abzugrenzen. In dieser
Reihe waren noch zu nennen: mehrere Werke von J. L. Nicode, Richard Mandl (1859 — 1918),
das ,,Klagende Lied" von Mahler, Pfitzners ,,Der Blumen Rache", sowie die kleineren Chor-
werke von Reger (,,Romischer Triumphgesang", ,,Weihe der Nacht", ,,Gesang der Verklarten",
,,Die Nonnen" usw.). Im allgemeinen finden wir seit Reger erhohte Polyphonic, haufige An-
wendung von Enharmonik und Chromatik, sowie Vergrofierung des Umfanges der Stimmen.
Richard Straufi hat an Chorwerken mit Orchesterbegleitung ,,Taillefer**, ,,Bardengesang"
sowie „ Wanderers Sturmlied" komponiert. Ein Monumentalwerk schuf er mit den ,,Tages-
zeiten", einem Zyklus ftir Mannerchor und Orchester, op, 76 (1928). An A-cappella-Werken
sind die ,,Deutsche Motette" und zwei Gesange (,,Der Abend" und ,,Hymne"), samtlich far
16stimmigen gemischten Chor, zu nennen. Auch den Mannergesang A-cappella pflegt er
(Werk 42 und 45), ebenso wie Reger, der zahlreiche Volksliederbearbeitungen fur Manner
chor setzte. Zahlllos sind die Komponisten, die sich nahezu ausschliefilich auf dem Gebiet
des Mannerchores betatigen. Hier sind in Deutschland am bekanntesten : der Kolner
RichardTrunk (geb. 1879), der Leipziger Gustav Wohlgemuth (geb. 1863) und der Westfaler
Rudolf Buck (geb. 1866). In Dsterreich waren der greise Adolf Kirch I (geb. 1858) und Josef
R e i t e r (geb . 1 862) zu nennen, dann die f ortschrittlicheren Girl L a f i t e (geb. 1 872), Viktor K e 1 •*
dorfer(geb.l873)undHansWagner-Schonkirch(geb.l872).OskarFried(geb.l871)steht
in seinem Chorschaffen zwischen Mahler und Straufi. Sein ,,ErnteliecT und ,,Trunkenes Lied"
zeichnen sich durch Betonung des Deklamatorischen und gesteigerte technische Anforderungen
aus. Die Versuche mancher impressionistischer Komponisten waren noch zu erwahnen, die
Chorstimmen ohne Worte als klangfarbenden Instrumentaleffekt verwenden.
b) DIE OPER. Die stilistische Entwicklung der Oper in den letzten Dezennien strebt eine
Loslosung von dem Einflufi Richard Wagners an. Die Versuche in dieser Richtung erfolgen
in mannigfacher Weise. Richard Straufi wahlt literarisch wertvolle Texte, die er mit sym-
phonischer Musik in geeigneten Formen umkleidet, ohne der Farderung Wagners nach dem
musikdramatischen Gesamtkomplex in orthodoxer Art zu folgen. Eugen d'Albert und andere
Die Moderne: Deutsche
untermalen in naturaiistischem Sinne, ahnlich dem italienischen Verismo, das dramatische
Geschehen, mit dcm Hauptaugenmerk auf die Biihnenwirksamkeit. Bei Jhnen, wie allenthalben
In der Oper, machen sich (mehr als in andern Musikgattungen) die Einfliisse des Auslandes
am starksten geltend. Auch Franz Schrekers Schaffen ist von romanischen Elementen nicht
frei, die sich allerdings in anderer Weise auswirken. Er wendet sich einer Oper zu, die auf
Klangsymbole in impressionistischem Sinne gestellt ist, ohne aber auf dramatische Wirkung
und motivische Arbeit zu verzichten. Andere Komponisten, besonders Hans Pfitzner, setzen
das Werk Wagners im selben Sinne durch Steigerung der Mittel fort. Von dieser Rich-
tung, der ,,spatromantischen Oper", ist schon die Rede gewesen, da mit ihr die Entwicklung
des 19. Jahrhunderts abgeschlossen wird. Die, wenn auch erst in spateren Jahren ent~
standenen Buhnenwerke der Epigonen fallen ebenfalls nicht in diesen Abschnitt. Die komische
Oper hat seit der Jahrhundertwende keinen stilistischen Wendepunkt aufzuweisen, nur die
Volksoper (besonders in Osterreich) blunt weiter. In die letzten Jahre fallen Versuche der
Komponisten im Kreise um Arnold Schonberg und auch von diesem selbst,^der Oper durch
Versetzung ins Ubersinnliche, Mystische, ja sogar zuweilen ins Religiose eine Richtung zu
geben, die sie in die Nahe des Oratoriums bringt, aber vom Buhnendrama entfernt. Auch
die Beschaftigung mit Ballett und Pantomime, besonders unter russischem und franzo-
sischem Einflufi, wird wieder merkbar. Die jiingsten Komponisten, die den musikantischen
Eigenwillen als primares Gestaltungsprinzip betrachten, suchen fur die Oper Nummergliede-
rung mit rein musikalischen Formen oder Annaherung an das Singspiel durch Betonung des
tanzerischen Elementes.
Das Opernschaffen von Richard Straufi hat unmittelbar unter demEindrucke derMusik-
dramen Wagners eingesetzt. Seine Erstlingsoper (der dreiaktige ,,Guntram", op. 25), die im
Jahre 1894 entstand, geht in der Anlage und Arbeit genau auf den Bayreuther Meister zuriick.
Nur in manchen Melodien zeigen sich periodenartige Wendungen des Brahms-Schumann-
Stiles. Auch die nachsteOper, derEinakter ,,Feuersnot" (1901), op. 50, ist noch nicht ganz
selbstandig. Aber die symphonische Behandlung des Orchesters, der Hang zum Parodistischen,
zur Persiflage, ist neben breiter Lyrik schon deutlich merkbar. Auch die Vorliebe StrauBens
fur Erotik kommt, durch den Text Ernst von Wolzogens angeregt, das erstemal zum Durch-
bruch. Erotik durchzieht auch die dritte Oper, ,,Salome" (op. 54), entstanden 1905, in
welcher der Opernstil StrauBens entwickelt erscheint. In der Dichtung Oska, wudes tritt
ubrigens die Erotik nicht als Selbstzweck, sondern als Hintergrund eines tiefen Seelendramas
auf. Die Musik enthalt Stellen rein melodischer Art, dann wieder rhythmisch genau dem
Wort angepafiten Sprechgesang. Das Orchester wird noch mehr verselbstandigt und mit
grofiter Freiheit behandelt. Die ungeahntesten Tonmalereien und Klangbilder werden zur
Schilderung eines iiberspannten Gefuhlslebens und der aufieren Vorgange angewendet. Einzelne
Szenen bilden geschlossene Einheiten, der Tanz der Salome eine Art symphonischen Zwischen-
spiels als Peripetie des Dramas. Die Leitmotivtechnik ist aber noch deutlich, nur in der
Orchesterbehandlung gegen Wagner vorgeschritten. In diesem Stiicke herrscht ein offener
Gegensatz zwischen der naturhaften suddeutschen Geradlinigkeit der Musik und dem kom-
plizierten Geflecht des teilweise dekadent erscheinenden Textbuches. Um eine vollstandigere
Verschmelzung mit dem Text zu erreichen, ging StrauB eine standige kiinstlerische Verbin-
dung mit dem osterreichischen Dichter Hugo v. Hofmannsthal ein. Trotzdem aber die
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JQ32 Die Moderne: Deutsche
Meisterwerke der ,,Elektra ' (op. 58, 1909) und des ,,Rosenkavaliert€ (op. 59, 191 1) aus diesem
Zusammenarbeiten hervorgingen, Jst die Wesensart der beiden Kiinstler nichts weniger als
gieichartig. Und so entstand der Typus der literarisch-musikalischen Oper,.in der beide Teile
(Text und Musik) kunstlerisch wertvoll, aber nicht homogen sind. Die ,,Elektra ' bedeutet
den Endpunkt der ersten Entwicklungslinie des Straufischen Biihnenschaffens. Der Hohepunkt
der deskriptiven Musik wird erreicht, die Tonalitat an vielen Stellen verlassen, Charak-
terisierung durch rhythmische Klanggerausche nicht verschmaht. Die rein konzertmafiige
Fiihning der Instrumentalstimmen, zu denen die Singstimme nur wenig kontrastiert, wird
der Schilderung des gesteigert MaBlosen, Ungeheuerlichen dienstbar gemacht. Erst in der
Apotheose des Schlusses kehrt die Rundung einer naiv erfundenen, tonalen Melodic wieder.
Die Artistik erreicht auch im Orchester eine neue Hohe. In der ,,Elektra" sind die Streicher
durchgangig dreifach geteilt, die Holzblaser auf die Zahl von vier gebracht. (Klarinetten sogar
acht mit Es-Klarinette und Bassetthorn.) Dazu kommt das neu eingefiihrte Heckelphon
und im Schlagwerk Ruten und Ketten. Im ,,Rosenkavalier" kiindigt sich die Ruckkehr zur
Einfachheit an. Diese dreiaktige komische Oper enthalt eine mit Ausnahme weniger Stellen
vollig diatonische Harmonik. Die geschlossenen Gebilde (Duett, Terzett) zeigen in ausge-
sprochenerem Mafie als bisher bei Straufi liedformige Anlage; Tanztypen (Walzer) werden
angewendet und im Orchester, trotz der grofien Besetzung, solistisch kammermusikalische
Wirkungen aufgesucht. Derbe Realistik fehlt nicht, aber das Deskriptive tritt in den
Hintergrund. Die klassizistisch-formale Orchesteroper verdrangt die romantisch-symphonische
Dichtung. Diese Entwicklung setzt sich in ,,Ariadne auf Naxos" fort (op. 60, entstanden
1912, umgearbeitet 1917). Der Formwille und das Hinneigen zum Archaistischen wird starker
betont. 1st es doch urspriinglich ein Spiel im Spiele, wenn der ,,Biirger als Edelmann" (von
Moliere) seinen Gasten eine Opernvorstellung geben will. Da6 es ,,0pera seria1* und ,,buffa"
gemischt sein soil, ist nur eine Verstarkung des artistischen Reizes. Der Charakter der ,,Ariadne' -
handlung und -rnusik ist daher erotisch-pathetisch (homophon), der der eingeschobenen
,,Zerbinetta"-Episoden humoristisch-ironisch (polyphon). Die Formen sind die der alten
Oper(r>Szene und Arie", Rondo^ Ensembles), die Auffassung teils naturalistisch, teils stilisiert.
Das Orchester in Kammerbesetzung (36 Mann und Klavier) wird in ungeahnter Klangfiille
gesetzt, obwohl auch hier die archaisierende Tendenz durch chorische Verwendung und
Gegeniiberstellung der verschiedenen Klangcharaktere betont wird. Zwischen der ,,Ariadne
und den letzterschienenen Opern Straufiens liegt das im Jahre 1914 entstandene pantomimische
Ballett ,Josephslegende", welches for das russische Ballett verfaCt wurde. Die ,,Frau ohne
Schatten" (op. 65, 1919), eine symbolistische Marchenoper, wendet den ,,Ariadne"-Stil auf
groBere Dimensionen an. Die Musik halt sich an den Stimmungsgehalt ganzer Szenen, die
solistischen Orchesterwirkungen sind verstarkt. Die Einlagerung breiter lyrischer Partien in
den Flufi des Geschehens, die Anwendung von Monologen (im 2. Akt ein direktes ,,Lamento")
fallt auf. Die Singstimme ist mit Koloraturen, aber auch mit melodramatischen Satzen
ausgestaltet. Ensembles, (Kinder-) Chore und gebaute Finalszenen nehmen dem Werk den
Charakter des Biihnendramas und nahern es der barocken Festoper. Einen ganz anderen
Weg schlagt „ Intermezzo*' (op. 72, 1924) ein. Straufi nennt dieses Werk eine biirgerliche
Komodie mit sinfonischen Zwischenspielen. Stilistisch neuartig Jst der bis auf wenige kan-
tablere Teile konsequent festgehaltene rezitativische Sprechgesang, der sich zuweilen dem
Die Modeme : Deutsche ] 033
Naturalismus annahert. Die rein musikalische Entwicklung wird in geschlossene Stiicke
aufierhalb der dramatischen Handlung verlegt. StrauB hat den Text zu diesem Lustspiel
selbst gefafit; er stilisiert kiinstlerisch eine Episode aus dem eigenen Leben. Auf dem Wege
der ,,Frau ohne Schatten" schreitet ,,Die agyptische Helena" (op. 75, 1928) weiter, in welchem
Werk symbolisch die Syn these zwischen der Klassizitat der Antike und dem Wagnerischen
Ausdrucksdrama wieder angestrebt wird. Musikalisch verfolgt StrauB weiter die Richtung,
bei vollkommen beibehaltener sinfonischer Grundtendenz durch motivische Arbeit die Einheit
zwischen Szene und Musik zu erreichen. Kleinere Biihnenwerke Straufiens aus letzter Zeit
sind das heitere Wiener Ballett ,,Schlagobers'4 (op. 70, 1924) und die Erganzungsarbeiten
zur Hofmannsthalschen Neugestaltung von Beethovens ,, Ruin en von Athen". Als vorlaufig
letztes Biihnenwerk ist die Oper ,,Arabella" nach dem Text von Hofmannsthal (1929) zu
erwahnen.
Wie bei StrauB das musikalische Gestaltungsprinzip im Vordergrunde steht und das
metaphysische beiseite geschoben wird, ist dies auch bei einigen -^ndern Komponisten der Fall.
Die dramatische Linie wird aus der melodischen entwickelt. So bei Herrmann Wolfgang
Waltershausen (geb. 1882), dessen Gestalt sich vom Kreise der Miinchner Schule abhebt
und der mit seinem (1912 entstandenen) ,,0berst Chabert" den starksten Erfolg erreichte.
Auch E. N. v. Reznicek gehort in diese Reihe, (mit Ausnahme seiner neuesten Oper MRitter
Blaubart", in der sich eine Stilanderung ankiindigt), sowie Joseph GustavMraczek (geb. 1878
in Briinn) und der Osterreicher Franz Schmidt (geb. 1874) mit seinen, besonders an
symphonischen Stellen uberschwenglichen Opern ,,Notre-Dame" (1914) und ,,Fredegundis"
(1922), die jedoch an der Qualitat der Textbiicher leiden. In weiterem Abstande ist der
Jungosterreicher Hans Gal (s. S. 1015) mit seinen Opern ,,Die heilige Ente" (1923 mit viel
Erfolg aufgefuhrt) und ,,Das Lied der Nacht" (1926) zu nennen, ferner, ohne sie stilistisch
einzureihen, die osterreichischen Komponisten Franz Neumann (1874—1929), Ferdinand
Zaijcek-Blankenau (geb. 1877), Aladar Szendrei (geb. 1884) und Bernhard Paum-
gartner (geb. 1887); in Deutschland: Wilhelm Mauke (geb. 1867), Friedrich Klose (geb.
1862), Bernhard Schuster (geb. 1870), Paul Graener (geb. 1872), Jose B err (geb. 1874), Georg
Vollerthun (geb. 1876), Alfred Schattmann (geb. 1876), Hermann Noetzel (geb. 1880),
Albert Noelte (geb. 1885) und Heinrich Bienstock (geb. 1894). Die deutsche Oper wurde
durch den franzosischen Impressionismus, durch die Werke von Debussy und PaulJDukas,
stark beeinfluBt. Auch die Mystik der Texte Maeterlincks blieb nicht ohne Eindruck. Wah-
rend aber diese Einflusse bei Pfitzner und den spateren Komponisten umgestaltet und ver-
arbeitet auftreten, spiegeln sie sich in der Erscheinung Franz Schrekers am starksten.
Franz Schreker (1878 in Monaco geboren), wurde 1912 Theorieprofessor an der Wiener
Staatsakademie und ist seit 1920 Direktor der staatlichen Hochschule in Berlin Die kompo-
sitorische Entwicklung Schrekers liegt klar zutage. Die Jugendwerke vor 1900, vorwiegend
Lieder, stehen unter dem Einflusse von Brahms, der durch den Lehrer Fuchs noch verstarkt
wurde. Sie sind einfach gehalten, rein diatonisch, zeigen wenig motivische Arbeit, daftir den
Hang zum Spielerischen und zur Tonmalerei. Auch Chore, eine lyrische Oper ,,Flammen",
die durch eigenartige Homophonie auffallt, sind nicht besonders bemerkenswert. Die wach-
sende Beeinflussung durch Debussy, die sich vor allem in der Harmonik (Mischklange, Ak-
korde mit iibereinandergeschichteten Quinten) auspragt, beginnt mit den Orchesterwerken:
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Die Moderne: Deutsche
,,Romantische Suite", ,,EkkeharcT, ,JPhantastische Ouvertiire". In den nachfolgenden
Balletten: ,,Rokoko" (Suite im alten Stil) und ,,Der Geburtstag der Infanta" wird die Har~
monik personlicher, urn endlich in dem ersten grofien Biihnenwerk, ,,Der feme Klang" (1912)
ein spezifisches Geprage zu gewinnen. Der Schwerpunkt von Schrekers gesamter Musik liegt
in dieser Harmonik und der Instrumentation, die in ihren schillernden Klangen und Misch-
farben eigenartig wirkt. Der Dreiklang bleibt noch Grundlage, aber Sext und None werden als
,,Farbe" in inn einbezogen, fremde Wechselnoten in das Akkordische verlegt, ja ganze Gruppen
von Akkorden gemischt. Mannigfache Begleitungsfiguren und verschiedene, durcheinander
oszillierend verwendete Rhythmen dienen einem Kolorit, das durch die Instrumentation noch
verfeinert wird. Das symphonische Prinzip im Orchester ist vollig aufgegeben. Die Melodik,
von den Romanen befruchtet, ist nicht plastisch geformt, sondern in enge Verbindung mit
Klangflachen gebracht. Die Motive sind aber nicht tonmalerisch illustrativ, sondern gesang-
lich erfunden, die Einheit von Harmonie und Klang nicht zu trennen. Die Opern, deren
dramatische Grundidee immer von einem klanglichen Symbol ausgeht und deren dramatisches
Geschehen aus einer musikalischen Vision hervorgeht, haben gemeinsam, dafi in ihnen eine
Erotik Platz greift, die bis zum pathologischen Sexualtrieb ausartet. Das Biihnenwirksame,
Theatralische behalt aber stets die Oberhand liber das Symbolistische. Dem ,,Fernen Klang"
haften noch Ziige naturalistischer Schilderung an. Auch ist ein Versuch zu bemerken, den
ganzen 2. Akt formal wie eine Symphonie aufzubauen. ,,Das Spielwerk und die Prinzessin"
(1913, aber 1920 umgearbeitet), aufierlich eine romantische Marchenoper, begiinstigt ebenfalls
das Klangsymbolische. ,JDie Gezeichneten" (1918) sind erne Renaissanceoper, in dermystische
Phantastik sich mit handgreiflicher Wirksamkeit paart. Von den spateren Opern Schrekers
hat ,,Der Schatzgraber" (1920) die weiteste Verbreitung gefunden. In dieser Oper, deren
Textbuch (Schreker ist stets sein eigener Textdichter) wieder auf das Marchen zuriickgreift,
fmden sich Zlige vom Streben nach musikalischer Vereinfachung. Weitere Opern Schrekers
sind ,,Irrelohe" (1924) und ,JDer singende Teufel" (1928), die keine wesentlich neuen Stil-
elemente enthalten. In letzter Zeit hat Schreker mit seinen Orchesterliedern ,,Vom ewigen
Leben" und einer Suite fur Rundfunk neue Wege gesucht.
Eine grofie Anzahl jiingerer Komponisten ist aus Schrekers Schule hervorgegangen. Der Namen Haba^Krenek,
Petyrek und ihres Stilwandels wurde bereits gedacht. Ferner sind Walter Gmeindl (,,Gesang der Idonen", Chor-
werk), Josef Rosenstock (geb. 1895 in Krakau) mit mehreren Orchesterwerken, und der Wiener Ernst Kanitz (geb.
1894) mit Liedern und Orchesterstiicken zu nennen. Letzterer zeigt die Obertragung der Schrekerschen Harmonik
auf olas Gebiet der absoluten Musik am deutlichsten. Aus Franz Schrekers Wiener Lehrzeit sind noch Jascha Horen-
stein (1898) und Friedrich Reidinger zu nennen. Bekannter wurden Berliner Schiller Schrekers. So etwa Hugo
Herrmann (geb. 18%), der sich durch seine formal Uberaus interessant angelegten Werke (Chore, Lieder, Madri-
gale, Kammerkantate) hauptsachlich auf vokalem Gebiet in die erste Reihe der jiingsten Komponisten gestellt hat.
Vorwiegend instrumental arbeitetPaulHoffer (1893), der Kammermusik und Orchesterwerke veroffentlicht hat
und gegenwartig Lehrer an der Berliner Hochschule ist. Berthold Goldschmidt (geb. 1903) ist technisch sehr
begabt. Er hat sich der radikaleren Richtung unter Beibehaltung alter Formtypen angeschlossen. Ahnlich gerichtet
ist Ernst Pepping (1901), der sich Hindemiths Stil in mstrumentalen Arbeiten nahert. Der altere Karol Rathaus
(geb. 1895) ist seiner Abstammung nach der polnischen Moderne zuzurechnen.
Stilistisch ganz eigenartig, in der Orchesterbehandlung an Straufi gemahnend, in der Har
monik aber fast iiber Schreker hinausgehend, sind die Biihnenwerke Alexander v. Zemlinskys
(geb. 1872 in Wien, Opernleiter des Deutschen Landestheaters in Prag 191 1 — 1927, gegen
wartig Staatsoperndirigent in Berlin). Die Einakter ,,Eine florentinische Tragodie" und
,,Der Zwerg" sind emste, ,,Kleider machen Leute" und ,,Es war einmar* heitere, der lust-
Die Moderne: Deutsche 1035
spielartigen Marchenoper angenaherte Stiicke. Zemlinsky, der auch auf dem Gebiete der
Kammermusik und in absoluten Orchesterwerken Bedeutendes leistet, hat als Lehrer
(Schwager) Arnold Schonbergs und E. W. Korngolds groBen EinfluB auf diese beiden Kom-
ponisten.
Die dritte Richtung der Oper wird vornehmlich durch Eugen d 'Albert mitbestimmt. Sein
Stil begann im Zeichen Wagners, er ist deshalb auch in die vorige Stilepoche (s. S. 887) auf-
genommen. Seine spateren Biihnenwerke (,,FIauto Solo", 1905) verraten die Einfliisse des
italienischen Verismo und Konversationsopernstils, der auch in seinem Hauptwerk ,,Tiefland"
(J903, Text von Rudolf Lothar) hervortritt, wo er mit Beherrschung aller orchestertechnischen
Mittel eine brutal spannende Handlung naturalistisch auf die Biihne bringt. Diesem Werke
folgten noch zahlreiche andere, die jedoch keine nachhaltigen Eindriicke hervorrufen konnten.
Max von Schillings (geb . 1 868) ,1919 — 1 925 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper, ist
stilistisch der jiingeren Wagner-Nachfolge zuzuzahlen (s. S. 887). Mit seinem letzten Biihnen-
werk, der Renaissanceoper ,,Mona Lisa" (1915) beginnt ein Stilwechsel, der geschlossene
Formen, eine wirkungs voile Melodik und eigenartige Instrumentation erkennen laBt.
Ziige von der Theatralik d'Alberts, der Technik Richard StrauBens, vermischt mit der
Puccinis, aber auch charakteristische Merkmale zu eigener Entwicklung, finden sich in den
Opern Erich Wolfgang Korngolds (geb. 1897). Mit einer grofien Reihe von Werken hat
er schon in friiher Jugend Beachtung gefunden. Sein dramatisches Erstlingswerk, die Pan
tomime ,,Der Schneemann" (1908/09), wurde von seinem Lehrer Alexander v. Zemlinsky
instrumentiert. Die erste eigene Buhnenarbeit, die Spieloper ,,Der Ring des Polykrates" ent-
stand 1914 als op. 7. Schon in diesem Stuck enthiillt sich die fertige Kunst, musikalische
Motive zu variieren und zu verflechten. Zitate aus eigenen und fremden Werken sind lustspiel-
mafiig absichtsvoll angewendet, dabei die einzelnen Szenen formal geschlossen und architek-
tonisch gestaltet. Der Stil ist nicht neuartig, aber die Musik anmutig und leicht dahinflieBend.
Die zweite Oper: ,,Violanta" (1915, op. 8), ist einem ganz anderen Stimmungskreis entnommen.
Ein Renaissancedrama voll Biihnenwirksamkeit und tragischen Geschehens. Das Orchester
ist gegeniiber dem ,,Ring des Polykrates" vielfach verstarkt, die Leitmotive werden pragnant
erfunden, oft mit harmonischen Neubildungen im Sinne von StrauB und Schreker versehen.
Aber auch Stellen von geschlossener, uppig dahinfliefiender Melodik in italienischem Sinne
sind haufig. Die Instrumentationskunst ist bis zur Reife entfaltet und der Sinn fur dramatische
Wirkungen treff sicher ausgepragt. In der ,,Toten Stadt" (1918/19, op. 12), derdritten Oper des
jungen Komponisten, ist eine noch starkere Betonung der psychologischen Motivtechnik fest-
zustellen. Die Harmonik ist aber einfacher als in der ,,Violanta", die Mischung der Stilelemente
deutlicher. Das vorlaufig letzte Biihnenwerk Korngolds ist ,,Das Wunder der Heliane"
(op. 20, 1927), in dem die in der ,,Toten Stadt" eingeschlagene orchestrale Motivtechnik mit
ihren klangreichen Einfallen fortgefiihrt wird. Der Komponist hat sich auch durch vorbild-
liche Neubearbeitungen einiger Operetten von Johann StrauB und durch Formung des musi-
kalischen Nachlasses Leo Falls (,,Rosen aus Florida", 1929) auf dem Gebiet der leichten
Musik einen Namen geschaffen. Eine betrachtliche Anzahl von Kammermusikwerken, in
denen der orchestrale Klang und gewandter Aufbau vorherrscht, und mehrere Orchester-
stucke, sowie die Buhnenmusik zu Shakespeares ,,Viel Larm um nichts", erganzen das Bild
einer ungewohnlich reich und friihzeitig produzierenden Natur. In einer Richtung, die Korn-
66 H.d. M.
ie Moderne: Deutsche
golds Schaffen verwandt 1st, bewegen sich auch die Opern des ihm gleichaltrigen Wieners
Hans Ewald Heller (,,Satan", Operetta seria, 1920, ,,MessaIina*\ 1922).
In Osterreich hat das Bemiihen um eine volkstiimliche Oper leichteren Charakters nie auf-
gehort. An Kienzl (s. S. 886) und Richard Heuberger (,,Barfa6ele", 1905) sowie Leo Blech
(Vertonung des Raimundschen ,,Alpenkonig und Menschenfeind", 1903) reihen sich Werke,
welche die romantische Oper mit den Wiener Lokalsingspielen, aber auch mit den Erforder-
nissen des Musikdramas verquicken. Julius Bittners (geb. 1874 in Wien) Opernschaffen
fiihrt dieser Gattung neues Leben zu. Trotz seiner streng formalistischen Schulung stand
der Jiingling vollig unter Wagners EinfluB und begann vorerst deutsche Heldenopern zu kom-
ponieren. In der ,,Roten'Gred" (1906) gelangt er zur Eigenentfaltung : Warm empfundene
Melodien, teils stilisiert, teils in naturlichem Flusse, aber immer volksmafiig erdacht, emfache,
aber doch klingende Orchesterbehandlung, Sinn far derbbaurischen Humor, aber auch ver-
feinerte Sentimentalitat und Innigkeit. In den spateren Opern tritt auch der Zug zur Parodie
und zu beabsichtigten Stilkopien hinzu. Bei Bittner wechselt Motivarbeit mit geschlossenen
Liedern und vielen nur rhapsodisch dahinflieBenden illustrativen Textuntermalungen. ,,Der
Musikant" entstand 1907/08, dann in rascher Folge ,,Der Bergsee" (1911), ,,Das hollisch
Gold" (1916), ,,DIe Kohlhaymerin" (1921), ,,Das Rosengartlein" (1923), ,,Mondnacht"
(1928) sowie einige Singspiele und Operetten. Alle Texte hat sich der Komponist selbst
gedichtet, alle bergen dieselben starken, urwiichsigen Einfalle. Nur die Ausarbeitung ist
quaiitativ verschieden. ,,Der Musikant" und ,,Das hollisch Gold" zeigen Bittners in der Echt-
heit wurzelnde Begabung, die auch auf das Symbol zuriickgreift, am deutlichsten. Auch
die Opern von Robert Konta (geb. 1880) sind vorwiegend volkstiimlich-marchenhaft.
Schliefilich seien Versuche erwahnt, die den Stil und die Ausdrucksmoglichkeiten der
Biihne auf andere Gebiete iibertragen wollen. In Schonbergs erstem dramatischen Werk
,,Erwartung" (op. 17) ist das Problem gesetzt, sichtbar darzustellen, was in einem Menschen
in dem Momente hochster Spannung vorgeht. Diese Spannung wird in Szenen aufgelost
Die Musik schildert einzelne Gefiihlszustande, ohne sich an Irgendein Vorbild anzulehnen,
in den kiirzesten und pragnantesten Formen, Ein Takt geniigt oft zur Festhaltung einer
Stimmung. Von Expansion, Symmetrie ist keine Rede mehr. Wir haben eine neue, oft nicht
leicht verstandliche musikalische Ausdrucksform vor uns, deren Einwirkung auf den Opern-
stil vorlaufig noch nicht erkennbar ist. Auch die Wirkung der ,,Gliicklichen Hand" (op. 18),
die zur Erzielung der Stimmungen auch Farben und Lichter erfordert, laBt sich ohne Auf-
fiihrungsmoglichkeit aus der Partitur nur andeutungsweise ahnen. Auch Egon w'ellesz
(geb. 1885 in Wien) schreibt nicht Opern in der gebrauchlichen Art. Er will, vorwiegend
in seiner ,,Prinzessin Girnara" (1920), der ,,Alkestis" (1922) und an den Stil des Oratoriums
ankniipfend, innere Entwicklungen musikalisch ausdriicken. In Goethes ,,Scherz, List und
Rede" (1928) versucht er auch dem Singspiel neue Wege zu weisen. Mit den zeitgenossischen
Mitteln der modernsten Harmonik und Orchestrierung frei schaltend, wendet er auch ge-
schlossene Formen an, ohne aber dramatische Psychologic zu versuchen. Er ,,objektiviert" in
einem kultischen, weltabgewendeten Sinne, ohne sich durch die Wirksamkeit und den aufieren
Erfolg beirren zu lassen. Wellesz hat auch der Pantomime erhohte Aufmerksamkeit zuge-
wendet und ihr neue Moglichkeiten erschlossen (,,Diana", ,,Persisches Ballett", ,,Achilles
auf Skyros4', ,,Die Opferung des Gefangenen" 1926). Alban Berg fiihrt in seiner Oper
Die Moderne: Deutsche 1037
,,Wozzeck" die konzentrierten Formen der absoluten Musik wieder in die dramatische Szene
ein. Die 15 einzelnen Auftritte bilden abgeschlossene Musikstiicke, der 2. Akt eine Sym
phonic in 5 Satzen, der dritte 6 Inventionen. Auch hier ist auBerste Verdichtung, wie fcei
Schonberg, bewirkt.
Stilistisch ware hier der Wiener Max Brand (geb. 1892) anzureihen, der mit seiner Oper
,,Maschinist Hopkins" (Duisburg 1929) einen ganz aufiergewohnlichen Erfolg gehabt hat.
Dieses Werk zeigt zum Teil den expressionistischen Ausdrucksstil, der zuweilen bis an die
Grenze der Zwolftontechnik geht, zum Teil den EinfluB der modernen Tanze. Auch smd
bei Brand neue, beachtenswerte Versuche der Chorverwendung zu finden (Sprech- und Ge-
sangschor). Der Einflufi der Tanze und anderer absoluter Formen der Instrumentalmusik
auf die Oper ist flir die Werke der jiingsten Biihnenkomponisten charakteristisch. Sie gehen
nicht mehr von der Durchdringung von Text und Musik aus (Wagner), sondern von der
bewegungsmafiigen Entsprechung eigener Musikformen zu den Biihnenvorgangen. So ist
die Nummernoper ,,Cardillac" von Paul Hindemith (op. 39, 1926) stilistisch zu deuten, in
der konzertante Musikstiicke neben dem Drama laufen. Hindemith hat sich als dramatischer
Komponist in verschiedenen Stilen betatigt. Er schrieb zuerst drei Einakter: ,,Morder, Hoff-
nung der Frauen" (op. 12, 1921), das Marion ettenspiel ,,Das Nusch-Nuschi" (op. 20, 1921)
und ,,Sancta Susanna" (op. 21, 1922). Dann wendete er sich der Tanzpantomime zu (,,Der
Damon", op. 28, 1924) und hat dadurch dem Ballett, besonders durch die kammermusikalische
Orchesterbesetzung und neuartigen rhythmischen Ausdruck Anregungen gegeben. In seinem
letzten Biihnenwerke ,,Neues vom Tage" sucht Hindemith Ankniipfungen der ernsten Musik
an die Operette. Ebenso spielerisch ist sein Sketch ,,Hin und zuriick" (op. 45, 1927), in dem
die Form der sogenannten Kurzoper ausgepragt ist, die sich, durch die Musikfeste in Baden-
Baden angeregt, bei mehreren Komponisten eingebiirgert hat. Ganz wenige Buhnensanger,
ein Kammerorchester und eine moglichst zusammengedrangte Handlung charakterisieren sie.
Hierher gehoren: ,,Die Prinzessin auf der Erbse** Marchenoper von Ernst Toch (op. 43,
1927), ,,In zehn Minuten" von Walter Gronostay, ,,Gazellenhorn"von Hugo Herrmann
und ,,Saul" von Hermann Reutter (geb. 1900 in Stuttgart), ein besonders interessantes Stuck,
endlich dasSingspiel ,,Mahagonny" von Kurt Wei 11. Dieser Komponist zeigt in seinen Buhnen-
werken stets die Beeinflussung durch die Rhythmen der modernen Tanze. Er begann mit
dem Einakter ,,Der Protagonist" (1926), dann folgten die sketchartigen Stiicke ,,Royal Palace"
(1 927) und ,,'Der Zar lafit sich photographieren" (1 928), kurze Opern mit scharfen dramatischen,
geradezu explosiven Wirkungen. Den grofiten aufieren Erfolg hatte Kurt Weill mit seiner
,,Dreigroschenoper" (1928), in der er versucht, der altenglischen Bettleroper durch Auf-
pfropfung kabarettartiger Songs und moderner Tanzlieder neues Gewand zu geben. Schwacher
ist ,,Happy End" (1929) mit zahlreichen ,,Songs". Von witziger Scharfe zeugen auch die
Biihnenwerke Erwin Dressels ,,Armer Columbus" (1927) und ,,Kuchentanz" (1929). Zu
den meistaufgefuhrten jungen Biihnenkoniponisten gehort Ernst Krenek, dessen Arbeiten
zunachst mehr vom musikalischen Einfall und seiner einzelnen Gestaltung als vom Drama
tischen ausgehen. Wahrend einige Biihnenwerke diesen Komponisten auf der Suche nach
neuem Ausdruck zeigen, z. B. die Massenrhythmen in der ,,Zwingburg" (1922) und die drama
tische Psychologic in ,,0rpheus und Eurydike" (1923), hat er sich in seinem ,Jonny spielt
auf" (1927) dem EinfluC der Jazzmusik hingegeben und die Linie der ,,Gebrauchsmusik"
66*
1038 Die Moderne: Deutsche Schweiz
in seinen drei Einaktern ,,Der Diktator",< ,,Das geheime Konigreich" und ,,Schwergewicht"
fortgesetzt. Besonders dieses Werk, das zuweilen Offenbachische Ziige tragt, ist ebenso wie
die Stiicke von Kurt Weill ein Beweis dafur, da6 im Suchen der Oper nach neuen Wegen
bewuBt auf eine Verbindung mit der leichten, auch seichten Musik hingearbeitet wird.
Literatur
Adler, Guido: Musik in Dsterreich. Separatabdruck aus Studien zur Musikwissenschaft, Beihefte der Denk-
maler der Tonkunst in Dsterreich. Bd. XVI. Wien 1929, Universal-Edition A.G. — Bekker, Paul: Neue Musik.
Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart. — Biicken, Ernst: Fiihrer und Probleme der neuen Kunst. Tonger-Verlag,
Koln. — Busoni, Ferruccio: Von der Einheit der Musik. Hesse-Verlag, Berlin. — Mahler, Gustav: Schriften
von Guido Adler, Paul Bekker, Paul Stefan, Richard Specht. — Mersmann, H.: Die Tonsprache der neuen Musik.
Schott-Verlag, Mainz, — Reger, Max: Schriften von H. linger, G. Bagier, K. Hasse, M. Hehemann. — Schon-
berg, Arnold: Egon Wellesz. — Schreker, Franz: P. Bekker, J. Kapp, R. St. Hoffmann. — Schrenk, W.:
Richard Straufi und die neue Musik. Volksverband der Biicherfreunde, Berlin. — Stefan, Paul: Neue Musik und
Wien. Verlag E. P. Tal, Wien 1921. — Straufi, Richard: Schriften von R. Specht, M. Steinitzer, H. W. Walters-
hausen. — Tiessen, Heinz: Zur Geschichte der jiingsten Musik (1913—1928). Schott-Verlag, Mainz. — Von
neuer Musik: F. J. Marcan-Verlag, Koln (Sammelwerk).
Allgemeines: Paul Bekker, Deutsche Musik der Gegenwart und die Sinfonie von Beethoven bis
Mahler. — Edgar I s t e 1 , Die moderne Oper seit Wagner. — Julius K o r n g o 1 d , Opernschaffen der Gegen
wart. 2 Bde. — Biicher von Adolf Wreifimann, Herrmann Erpff. usw.
Paul A. P.isk
Deutsche Schweiz. Im geographischen Raum der heutigen deutschen Schweiz beginnt die christliche
Musikentwicklung etwa vom 7. Jahrhundert an mit der Reihe der Klostergriindungen, die sich vom Bodensee bis zur
Innerschweiz, von Basel bis tief nach Graubiinden, erstreckte und, politisch betrachtet, ein Glied der karolingischen
Renaissance darstellt. Am beriihmtesten und wichtigsten wurde St. Gallen (vgl. S. 86.); die beiden Namen Notker
Balbulus und Tuotilo (vgl. S. 86, 88) bezeichnen grundlegende, seelisch und geistig dem germanischen, genauer
gesagt, alemannischen und oberrheinischen Kulturkreis entstammende Enveiterungen und Entwicklungsmoglich-
keiten des gregorianischen Stiles (Sequenzen vgl. S. 86 ff., Tropen vgl. S. 88, geistliches Drama und Mysterien-
spiele vgl. S. 168ff.). Neumendenkmaler weisen u. a. St. Gallen und Einsiedeln (vgl. S. 97) auf. Ebenso beteiligten
sich Schweizer Kloster an den Versuchen, die Neumenschrift durch andere Notationsarten, zuletzt, wie iiberall,
durch die guidonische Reform, zu ersetzen (vgl. S. 97 f, 120). Die ersten Stadien der liturgischen Mehrstimmigkeit
sowie der Mensurierung sind schliefilich gut vertreten. Erwahnt sei hier die Handschrift 314 aus Engelberg (von etwa
1370), die neben einem Osterspiel die groBte Zahl mehrstimmiger (zweistimmiger) Stiicke aus dem 14. Jahrhundert
im deutschen Sprachgebiet enthalt. Sie weist zugleich, ein Zeichen der Weltabgeschiedenheit dieser Statte christlich-
musikalischer Liturgie und ihrer (wie auch anderer schweizer Pflegestatten der Musik) Vermittlerrolle zwischen
germanischem und romanischem Geist, deutlich auf den Stil der franzosischen Motettenkunst von der Mitte des
1 3. Jahrhunderts hin.
Die ebenfalls ins 14. Jahrhundert gehorende GroBe Heidelberger Liederhandschrift (vgl. S. 200), die J. J. Bodmer
im 1 8. Jahrhundert, allerdings ohne biindigen Beweis, "dem Liedersammler Ritter Manesse von Zurich (Ende des
1 3. Jahrhunderts) zuschrieb, zeigt durch eine grofie Zahl Namen an, dafi eine ansehnliche Gruppe deutschschweizeri-
scher Minnesanger sich Jm 13. und 14. Jahrhundert an die Gesamtbewegung dieser hofischen und weltlichen deut
schen Liedkunst angeschlossen hatten, so u. a. Toggenburg, Steinmar, Landegg, Singenberg, Teschler,
Winli, Klingen, Sax, Frauenberg, Hadlaub, Homberg. Das Volkslied der deutschen Schweiz erscheint
historisch zuerst als geistliches Volkslied, als Kriegs-, Kampf- und Trutzlied politischen und konfessionellen,
sowie rein soldatischcn Charakters, in bezug auf diese Stoffgebiete ist es entschieden herber (schon durch
das alemannische Sprachgewand) wie dasjenige der romanischen Schweiz. Die Kuhreigenmelodik Jst hingegert
(wie erhaltene Melodien aus dem 1 8. Jahrhundert zeigen) ebenfalls ernst-lyrisch gehalten und steht in engem
Kontakt mit dem Alphornblasen.
Zur Zeit der Reformation hebt sich als einigermafien geschlossene Gruppe von Komponisten, Theoretikern und
Musikdruckern hervor C. Alder (gest. 1550, mehrstimmige deutsche Lieder, lateinische Hymnen), B. Appenzeller
(gest. nach 1550, franzosische mehrstimmige Gesange), H. Kotter (gest. 1541, Tabulaturen mit Vokal- und Klavier-
satzen), Gr. Meyer (gest, 1576, mehrstimmige Kirchenmusik), L. Senfl (weitaus der bedeutendste aller Schweizer
Komponisten des 16. Jahrhunderts und mit einer der grofiten Meister des deutschen mehrstimmigen Kunstliedes,
Die Moderne: Deutsche Schweiz ]Q39
vgl. S. 354, 377 usw.), J. Wannenmacher (gest. 1551, mehrstimmige deutsche Lieder, Motetten, Psalmen). Uber
Glarean (Heinrich Loris, 1488 — 1563) als Musikschriftsteller, Theoretiker und Anthologist vgl. S. 357; als Musik'
drucker sei noch die Familie Apiarius (16. Jahrhundert) in Basel und Bern erwahnt. GlockenguB und Orgel-
bau werden eifrig gepflegt.
Dafi bei der vorwiegend negativen Einstellung zur Musik der schweizerischen Reformatoren kompositorisches
Schaffen von grofierem Umfang und kunstvollerer Faktur zumeist auf katholischer Seite im 1 6. Jahrhundert zu finden
war, ist nicht verwunderlich. Das gilt auch zum guten TeJI im 1 7. Jahrhundert und fur die DeutschscKweizer
M. G let tie (gest. ca. 1680, kirchliche Motetten, a cappella und instrumental begleitet bis zu SStmmen, funfstimmige
Psalmen, Konzertmessen, weltliche Instrumentalmusik), V. Molitor (gest. nach 1699, Weihnachtsgesange,
Messen, Motetten, Vespern). Auf reformierter Seite waren tiichtige Komponisten von Kirchenmelodien
J. U. Sulzberger (1638 bis 1701), Chr. Weberbeck (geb. 1652).
Ins 1 7. Jahrhundert fallt auch die Organisation des musikliebenden Dilettantismus durch zahlreiche Collegia
musica, aus denen vielfach offentliche Konzertinstitute wurden (Zurich 1613, Winterthur 1629). Die weltliche In
strumentalmusik, die etwa seit dem 1 5. Jahrhundert durch Spielleute, deren Gaugenossen- und Bruderschaften,
Spielgrafen- und -konigtume, spater durch Stadtmusikanten (Zinkenisten, Trompeter) vertreten und in der Ost-
und Nordschweiz belegt ist, wurde dadurch einer hoheren Kunststufe entgegengefiihrt, in Verbindung mit wachsender
und lebhafter Pflege des Streichinstrumentenspiels. Eine neue, dem Umfang nach sehr bedeutende Literatur ent-
stand namentlich im 18. Jahrhundert: vierstimmige Psalmenkompositionen, Sonaten, Sinfonik in italienischer Manier
sowie konzertante Instrumentalmusik, daran anschliefiend Kirchenmusik in grofiem Format, auch Singspiele, Ope-
retten usw.
In erster Linie seien genannt H. Albicastro (Sonaten und Konzerte fur Violine), K. Bach of en (1695 — 1755*
mehrstimmige protestantische Kirchenlieder, geistliche Konzertarien), B. D e ur i ng (1 690 — 1 768, katholische Kirchen
musik, Violinsonaten und Konzerte), J. H. Egli (1742 — 1810, weltliche und geistliche Gesange, ein- und mehr
stimmige Klavierlieder), W. I ten (1712 — 1768, katholische Kirchenmusik, besonders Motetten, Offertorien, Arien),
J. Chr. Kachel (1728—1795, Sinfonien, Klavierh'eder, weltliche und geistliche Kantaten), J.Schmidlin (1722
bis 1772, 3^stimmige geistliche Gesange, Kantaten, weltliche Lieder), J. J. Walder (1750—1817, Klavierlieder,
geistliche Chorlieder). Deutlich hebt sich eine katholische innerschweizerische Gruppe ab, an der Spitze Meyer
v. Schauensee (vgl. S. 749, lebte 1720 — 1789, geistliche Konzertarien, Messen, sonstige Kirchenmusik mit In-
strumenten, Sinfonien, deutsche und italienische Operetten und Singspiele, Orgel- und Klavierkonzerte), J. D.
Stalder (1725 — 1765, Streichsinfonien, Triosonaten), K. Reindl (gest. nach 1790, Kirchenmusik, Sinfonien,
Operetten). Meyer v. Schauensee war sichtlich von der neapolitanischen Schule beeinflufit, besonders sind
Sammartini und Pergolese zu nennen.
An der Demokratisierung, Popularisierung und Nau'onalisierung des mehrstimmigen, homophonen A-cappella-
Gesanges haben sich deutschschweizerische Komponisten um die Wende zum 19. Jahrhundert und bis zu dessen
Mitte eifrig beteiligt (vgl. den Wetzikoner Volkssangerkreis). Stilistisch geschah dies im Sinn einer emotionell ge-
maCigtenRomantik(wiesieetwaC.Kreutzer [vgl.S. 873] aufweist, der von 1801—1822 in der deutschen Schweiz
wiederholt als Komponist und Konzertgeber anzutreffen ist), technisch insbesondere in der Richtung des Manner-
chores. Wir nennen hiernur H. G. Nageli (vgl. S. 957, lebte 1773—1836; ungewohnlich vielseitig als Komponist,
Padagog, Theoretiker, Verleger, Musikschriftsteller, schrieb zahllose Chore, Gesange, Motetten, Lieder, Klavier-
werke von zum Teil personlicher und zugleich gesund nationaler Pragung), A. To bier (1777 — 1838, nahezu
200 Chore), F. F. Huber (1791—1863, Lieder, Chore, u.a.5sn"mmigeKuhreigen), A.Zwyssig(1808— 1854, katho
lische Kirchenmusik, Lieder, Chore, u. a. der ,,Schweizerpsalm"), J. R. Weber (1819—1895, Schullieder, Chore),
W. Baumgartner (1820—1867, Lieder, Chore, Klaviersachen), C.Attenhofer (1820—1914, Kirchenwerke,
Chore, Lieder, Klavierwerke), Ag. Billeter (1834—1881).
Allmahlich formt sich nun eine schweizerische Komponistenschule, die auf dieser Grundlage aufbauend, national
stark verwurzelt, im engen Anschlufi an die deutsche, klassizistische Romantik eines Mendelssohn, zum Teil auch
Schumann, grofiere Vokal- und Instrumentalformen pflegt. Von segensreicher Wirkung in diesem Sinn war sicher-
lich auch die Tatigkeit der Schweizerischen Musikgesellschaft, die 1808—1867 in alien groBeren Stadten der deut
schen und romanischen Schweiz grofie Chor- und Orchesterwerke auffuhren liefi, auch Opern, zum Teil in auch fur
heutige Verhaltnisse aufiergewohnlich grofier Besetzung (bis zu uber 600 Mitwirkenden), von Haydns ,,Schopfung"
und Sinfonien, Handels und Mozarts Werken bis zu Mendelssohns ,,Elias", Beethovens 9. Sinfonie und^ Bruchs
,,Fritjofszenen". Hierher gehoren Fr. X. Schnyder v.Wartensee (1786—1868, Opern, Kammermusik, Chore,
Lieder, Kantaten, Kirchenwerke, Sinfonien, Klaviermusik), J.J.Stunz (1793—1859, Opern, Kantaten, Chore,
viele Kirchenmusik, Ouverturen), K. Greith (vgl. S. 855, 858, 1828—1887, Messen und sonstige Kirchenmusik
Oratorien, Sinfonie, Melodramen), G.Arnold (1831—1900, schuf feinsinnige Klavierwerke, Chore, weltliche
Kantaten, Kirchenmusik), die Briider E. Munzinger (1847—1905) und K. Munzinger (1842— 191 1, mit Choren,
Kantaten, Sinfonien, sinfonischen Dichtungen, Konzerten, Kammermusik, Festspielen, Klaviermusik),. Th. Forch-
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hammer (1847—1923, Klavier- und Orgelwerke), G. Weber (1852-1918, Sonaten, Kammermusik, Lieder, Chore,
Kantaten, sinfonische Dichtungen), E. Frohlich (1852-1910, Chore mit und ohne Instrumentalbegleitung, Messen,
weltliche Kantaten, Motetten, Instrumentalmusik), Fr. Curti (vgl. S. 886, 1861—1898, Opern, Smfomen, Buhnen-
musiken, Kantaten und Chore). Erwahnenswert sind ferner L. Rotschi (1801-1864, Lieder, Chore, Messen
und andere Kirchenmusik, Buhnenmusiken), J. K. Eschmann (1826-1882, Lieder, Chore, Klavierwerke) ,
Th Stauffer (1826—1880, Lieder, Chore, zwei Opern), R.Low (1832-1898, Lieder, Chore, Kirchen- und
Orchestermusik, Orgelwerke), Th. Gaugler (1840-1892, Lieder, Chore, Kirchenmusik, Klavierwerke),
Fr. J. Breitenbach (geb. 1853. katholische Kirchenmusik), C. Meister (geb. 1859, Chore, Lieder,
Kirchenmusik), J. Frei (geb. 1872, katholische Kirchenmusik, weltliche Chore).
An der Spitze dieser Gruppe stehen zweifellos ihrer Bedeutung und Geltung nach Fr. Hegar (1841—1927, vgl.
S.949) und H.Huber (1852—1921, vgl.S.949). Hegar schuf nicht nur den nach der neudeutschen Romantik
orientierten tonmalerischen Bailadenstil fur unbegleiteten Mannerchor, der dann jahrzehntelang hundertfach nach-
geahmt wurde, sondern auch gediegene Kammermusik, Klavierlieder, etliche Kantaten, ein grofiangelegtes Oratonum.
Kerngesundes, kiinstlerisches Alemannentum, stilistisch eklektisch zwischen Liszt und Brahms, im ganzen durchaus
nachromantisch grundiert, zeichnet ihn aus. Wcit beweglicher und fruchtbarer, Schumanns Geist ziemlich nahe-
stehend, psychisch von der klassizistischen bis zur neudeutschen Nachromantik gespannt, jedoch erganzt durch erne
eigentiirnliche und in gewissem Sinn typisch scKweizerische Mischung von suddeutscher Warme und romanischem
Gestaltungs- und Klangtemperarnent, ist Huber mit Recht der Lehrvater der schweizerischen Musik genannt
worden. Durch umfangreiches und groBarchitektonisches Instrumentalschaffen nahert er sich durchaus dem Format
der grofien deutschen Komponisten des 19. Jahrhunderts. Immer liebenswiirdig, oft hinreiBend geistvoll, manchmal
wirklich bedeutend, darf er mit Achtung neben den eigentlichen Grofimeistern seiner Epoche genannt werden. Sein
Ubenswerkumfaflt 5 Opern, Schauspiel- und Festspielmusiken, weltliche Kantaten, Oratorien, Messen, 9 Sinfonien.
Klavierkonzerte, Orgel- und Klavierwerke, Kammermusik in reichster Auswahl, begleitete und unbegleitete Chore,
Klavierlieder.
AIs Ganzes und vom zentraleuropaischen Standpunkt aus gesehen, bilden die zuletzt genannten schweizer Kom
ponisten ein Glied der deutschen Nach- und Neuromantik, mit der sie schon durch den EinfluB der zahlreichen deut
schen Musiker verbunden waren, die in der deutschen Schweiz (ahnlich wie in der romanischen, vgl.S. 1078) als
Organisatoren des offentlichen Musiklebens, als Padagogen und reproduzierende Kiinstler lebten. Dazu kam, dafi
im Lande selbst keine hervorragenden einschlagigen Lehranstalten waren, so dafi die meisten schweizer Musiker
bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts auswarts, z. B. in Leipzig, sich ausbildeten, und so naturgemafi an eine
bestimmte, aufierschweizerische Tonschule zunachst anknupften.
Unter den deutschen, eben erwahnten Musikern in der deutschen Schweiz befanden sich zum Teil bedeutende
produktive Vertreter der deutschen Nachromantik, sowie der durch Wagner und Liszt begriindeten neudeutschen
Stilrichtung auf dem Gebiet des Musikdramas, der sinfonischen Dichtung, der Kirchen- und Kammermusik und
des Klavierstiickes. Aufier R. Wagner, dessen sechzehn schweizer Jahre (1849—59 in Zurich, 1866—72 in Triebschen)
doch einen tiefen Eindruck im einheimischen Musikleben hinterliefien, sind zu nennen J.J.Mendel (1809—81,
Chore, eine Sinfonie, ein Oratorium), E. Methfessel (Neffe von A. G. Methfessel, vgl. S. 873, 181 1—86, Lieder,
Chore, Kantaten, Opem), S.Bagge (1823—69, Kammermusik, Klavierstucke, Lieder, Chore, Kantaten, Messen,
Orchestermusik), Th. Kirchner (1823—1903, bedeutender Klavierkomponist von fesselnder Harmonik und feinstem
metrischem Leben, schrieb auch Lieder), E. Stehle (vgl. S. 856, 1839—1915, Kirchenmusik), H. G. Gotz (vgl.
S.875, 949, 972, 1840—76, Kammermusik, Kantaten, Sinfonien, Konzerte, Opern), L. Kempter (vgl. S. 884
1844—1908, Lieder, Chore, Kantaten, Opern, Fest- und Marchenspiele). Eine parallele Gruppe bilden:
S. G. Auberlen (1758—1828, Lieder, Chore, Sinfonien, Messen, Kantaten, eine Operette), A. Liste
(1774—1832, Chore, Klavierwerke, Kammermusik, Konzerte), Osw. Lorenz (1806-1889, Chore, Kantaten,
eine Messe), A. Muller (1808—1863, Chore, Buhnenmusik, Ouverturen), J. Edele (1811 — 1863, Opern,
Sinfonien, Messen, Kantaten, Ouverturen), E. M. Reiter (1814 — 1875, Lieder, Kamermusik, Sinfonie, Oper
Chore), Ad. Reichel (1820—1896, Lieder, Kammer- und Kirchenmusik, Sinfonien und Ouverturen),
Aug. Walter (1821—1896, Lieder, Kammermusik, Orchesterwerke, Chore), G. W. R a u c h e n e c k e r (1844 bis
1906, Oratorien, Kantaten, Sinfonie, Kammermusik, Konzerte), G. Haeser (geb. 1865, Lieder, Klavier-
und Kammermusik, begleitete Chorwerke, Chore), Lili Re iff (geb. 1866, Lieder, Klavier-, Kammer- und
Buhnenmusik, eine Oper), P. Fassbaender (1869 — 1920, Sinfonien und andere Orchesterwerke, Konzerte,
Kammermusik, Opern, Kantaten, Chore, Lieder) . Das in der deutschen Schweiz im Gesamtmusikleben organisa-
torisch, sozial und auch kiinstlerisch eine nicht unwichtige Rolle spielende A-cappella-Chorlied ist ferner von
F.Laur 0791—1854), J.D.Elster (1796—1857), I. Heim (1818— 80, Gesangbuchs€mmlungen), E. L. Liebe
(1819—1900), Fr. Abt (1819— 1885), W.Sturm (1842—1922, auch weltliche Kantaten, Opern), R. Wiesner
(1851—1921), G.Angerer (1851—1909), W. Decker (geb. 1860), G.Baldamus (geb. 1862) und G. Haug
(geb. 1871, auch Lieder und Kantaten) gepflegt worden.
Die Moderne: Deutsche Schweiz 1041
Aus diesem nur bedingt einheitlichen und autochthonen Stilboden wuchs und wachst
mit immer lebhafterer Tendenz zu selbstandiger Entwicklung und eigener kiinstlerischer
Physiognomic die junge Generation der deutschschweizerischen Musiker heran, die mehr
und mehr ein tatiges und nicht mehr vollig zu iibersehendes Glied der musikalischen Moderne
geworden ist. Fur die auffallige Zunahme einheimischer Talente seit Beginn des 20. Jahr~
hunderts lassen sich als aufiere Griinde die ausgebauten, intensiver arbeitenden Konser-
vatorien, die Zusammenfassung der kiinstlerischen Krafte Jm Schweizerischen Tonkiinstler-
verein, der padagogischen Bestrebungen im Schweizerischen musikpadagogischen Verband,
heranziehen.
Ganz anders als bei Stravinsky hat auch Bus on is Aufenthalt wahrend des Weltkrieges
in Zurich befruchtend auf eine ganze Reihe jiingster schweizer Komponisten eingewirkt.
Kloses lange Verbundenheit mit der neueren Schweizerischen Musikentwicklung und das
Eintreten des Dirigenten Scherchen in Winterthur far moderne Musik hat dazu beigetragen,
dafi die deutsche Schweiz verhalmismafiig friiher und namentlich viel intensiver als die roma-
nische Schweiz die stilistische Entwicklung der modernen Musik auf vokalem, instrumentalem
und dramatisch-szenischem Gebiete mitmachte, auffing und selbstandig verarbeitete.
Unschwer lafit sich eine dreifache Gliederung der musikalischen Moderne in der deut-
schen Schweiz nach den Namen ihrer hauptsachlichsten Vertreter darstellen. Zwischen der
von Hegar und Huber geistig beherrschten Epoche und der eigentlichen jiingsten Moderne
vermittelt eine durchschnittlich vor 1880 geborene Generation, deren wichtigste Personlich-
keiten innerhalb der Schweizerischen Musik die Bezeichnung ,,Meister" durch Inhalt, Form
und Reife ihres zum gut Teil iibrigens noch nicht abgeschlossenen Lebenswerkes in Anspruch
nehmen diirfen. Ihr Fiihrer ist H.Suter (1870-1926).
Im wesentlichen ist auch hier, wie bei der Hegar-Huber-Gruppe, die Verwandtschaft
mit der neudeutschen Romantik und ihrer neuzeitlichen Weiterentwicklung im Sinn von
Rich. StrauB und der Miinchener Tonschule (L. Thuille) festzustellen. Jedoch erscheint das
Alemannisch-Schweizerische scharfer herausgearbeitet in Form einer gewissen Knorrigkeit
und Versonnenheit, wie sie auch dem deutschschweizerischen Volkslied, besonders in semen
alteren Beispielen, innewohnt. Es ist kein Zufall, dafi dies manchmal auch zu einer spiirbaren
Annaherung an den Brahmsstil fiihrt; das nationale melodische Gut wird aber meistens nur
mafivoll verwendet, jedenfalls viel weniger, als etwa in den slawischen oder nordischen Musik-
stilen des 19. Jahrhunderts. Wiederum trifft man jene Fahigkeit zur Briicke zwischen ger-
manischer und romanischer Kunstauffassung in Spieltemperament, Formenklarheit und Klang-
ideal an, wie sie schon Huber aufwies. Die grofien Formen der Sinfonie, der Oper, des
Oratoriums, des Klavierliedes und die Kammermusik sind hier durch Werke vertreten, die
wachsende individuelle Eigenart, gleichzeitig aber auch gewisse generelle Gemeinsamkeiten
im Sinn einer Schweizerischen Tonschule besitzen und zudem durch die, wenn auch manch
mal noch sehr gemafiigte und vermittelnde moderne Faktur deutlich den bewuBten und wohl
auch hier und da innerlich gemufiten Anschlufi an die Charakteristika der eigentlichen Moderne
in freischweifender, nicht mehr kadenzgebundener Harmonik und linearer, in sich selbst
ruhender Polymelodie bezeugen.
Suter ist im Ausland besonders durch sein Oratorium ,,Le Laudi" bekannt geworden;
bei aller Gediegenheit, Formgewalt und stimmungsvollen Schonheit stellt es zwar die innere
I Q42 Die Moderne: Deutsche Schweiz
Auseinandersetzung des Komponisten mit dem gregorianischen Stil im Rahmen religioser
Naturpoesie dar, nicht aber den engen Kontakt mit der Moderne, dessen Suter fahig war,
wie es seine Sinfonien, Kammermusikwerke, Klavierlieder und das Violinkonzert zeigen. Die
nationale Bindung ist am deutlichsten in Choren und Festspielmusiken fur seine engere Heimat
erkennbar.
Erwahntseien noch F.Brun (geb. 1878; erschrieb Sinfonien, knorrig-brahmsisch-alemannisch,
doch auch wieder romanischem Geist und Landschaftsempfinden nahestehend, Kammermusik,
Lieder, Chore), V. And reae (geb. 1879, zwei Opern, Orchesterwerke, Kammermusik, Lieder,
Ch5re;Strau8sches Temperament und Kolorit, romanische Formgewandtheit und -klarheit
kennzeichnen sie), W. Courvoisier (geb. 1875, weltliche und geistliche Chore und Lieder
mit und ohne Begleitung, zwei Opern, zum Miinchener Thuillekreis kiinstlerisch und mensch-
lich gehorend).
Hierher geHoren noch K.W.Futterer (1873—1927, Opern, begleitete Chore), C. Vogler (geb. 1874, Lieder,
Chare, begleitete Chorwerke, Orgelstiicke, Marchenspiele), Fr. Stiissi (1874—1923, ein Oratorium, Kantaten
und Motetten, Chore, Kammermusik, Klaviersachen), Fr. Niggli (geb. 1875, Lieder, Chore, Kammermusik, Fest
spielmusiken), H. Jelmoli (geb. 1877, Lieder, Gesange, Biihnenwerke, Klavierwerke), R. Ganz (geb. 1877, Lieder,
Klavierstucke, eine Sinfonie), H. Pestalozzi (geb. 1878, Ueder, Chore, Klavierstucke, geistliche Musik). F. Klose
(vgl. S. 886, 1029, 1033) ist schweizerischer Abstammung, lebte mit Unterbrechungen lange in der Schweiz, gehort
aber stilisrisch zum Miinchener Kreis der unter Thuilles Fiihrung sich entwickelnden siid- und neudeutschen
Romantik (Biihnenwerke, Oratorien und Messen, Kammermusik, Lieder). Auch P. Juon (vgl. S. 1014) ist
schweizerischer (graubiindnerischer) Abstammung.
1st im kiinstlerischen Werdegang dieser Komponisten Ausgangspunkt, sachlich und histo-
risch, primar die Spatromantik vom Ende des 19. Jahrhunderts, von der aus weiterschreitend
sie wesentliche Elemente des Stils der eigentlichen Moderne iibernahmen, so baut die nach
1880 geborene zweite Gruppe, infolge ihrer musikalischen Erziehung und Umgebung zwar
auch zunachst noch auf den vor 1900 mafigebenden Stilfaktoren ihre personliche Schaffens-
eigenart auf, wachst aber dann erheblich iiber sie hinaus im Sinn der intensiven An- und Auf-
nahme der atonalen Harmonik und der linearen Schreibweise. Ihr geistiges Haupt und die
vielleicht produktiv starkste Personlichkeit der neueren Schweizer Tonkunst istO. Schoeck
(geboren 1886).
In etwa zwanzigjahriger Entwicklung von strengster Geradlinigkeit (beginnend als
Reger-Schuler) wurde Schoeck als Liedlyriker und Dramatiker ein beachtenswerter Exponent
des modernen Kammer- und Opernstiles, damit auch gleichzeitig der Fiihrer (neben Honegger)
der dritten und jiingsten deutschschweizerischen Komponistengeneration. Durch melodische
Gestaltung und Charakterisierungsbegabiuig im Lied geistig von Schubert und Wolf aus-
gehend, wuchs er bald organisch in den linearen Kammerstil hinein, ohne dessen aufierste
Extreme anzunehmen, und doch mit Auspragung starkster personlicher Eigenart (Lieder
und Liedzyklen). Rein kammermusikalisch entwickelte sich sein Stil vielleicht nicht so rasch,
aber ebenso konsequent (Sonaten, Quartette), weil ihn das Dramatisch-Szenische mehr und
mehr anzog (5 Biihnenwerke).
Neben Schoeck sind noch zu nennen K.H.David (geb. 1884, "Biihnenwerke, Kammer
musik, Sinfonien, Konzerte, Chore, ein Festspiel), H. Lavater (geb. 1885, begleitete und
unbegleitete Chore, Kammermusik, ein Klavierkonzert), E. Frey (geb. 1889, Klavierwerke,
eine Messe, Kammermusik, Konzerte, eine Sinfonie), E. Kunz (geb. 1891, Pfitzner-Schiiler,
Die Moderne: Deutsche Schweiz ]Q43
weltlicheundgeistliche Oratorien, Opern und Biihnenwerke, Konzerte, Klaviersachen,Lieder),
L.Kelterborn (geb. 1891, Kammer- und Kirchenmusik, Biihnenmusik, Klavierlieder, be-
gleitete Chore), R. Moser (geb. 1892, Instrumentalkonzerte, Kammermusik, Lieder, Orgel-
werke), W. Wehrli (geb. 1892, eine Oper, Festspielmusiken, Kantaten, Kammermusik,
Klavierlieder, Klavierstiicke), W.Schulthefi (geb. 1894, Klavierwerke, Lieder, Kammer
musik, Konzertstiicke, begleitete Chore), E. Levy (geb. 1895, sechs Sinfonien, Kammer
musik, begleitete Chore, Lieder, Klavierstiicke), R. Laquai (geb. 1896, Orchesterwerke,
Kammermusik, Konzerte und Messen, Biihnenwerke, ca. 200 Lieder), R. Flury (geb. 1896,
eine Oper, eine Messe, eine Sinfonie, Orchesterlieder, Kammermusik, Klavierlieder, Fest-
spielmusik).
Zu der dritten und jiingsten Gruppe gehoren eine Reihe von Komponisten, die, rund
30 Jahre alt, schon sozusagen von Anfang an kiinstlerisch in der Atmosphare der eigentlichen
Moderne aufgewachsen, zumindesten aus Gewohnheit, wenn nicht aus innerer Berufung und
innerer Anlage, vollige harmonische und kontrapunktische Freiziigigkeit in kleinen und
grofien Formen (mit Bevorzugung des konzertanten, kammermusikalischen und gemischt
vokal-instrumentalen Rahmens in kleiner Besetzung) pflegen und organisch mit dem Stil-
bereich des 19. Jahrhunderts kaum mehr zusammenhangen. Der Kontakt mit den Werken
der jungen franzosischen Schule (les ,,Six", besonders Honegger), der EinfluB von F. Busonis
Ziiricher Jahren und seiner nachfolgenden Berliner Lehrtatigkeit, zum Teil, wenn auch weniger,
der EinfluB der spezifisch deutschen Moderne mit Hindemith an der Spitze, ist hier deutlich
erkennbar. Architektonisch und klanglich mag in groBeren Formen sinfonischer Faktur oder
in religioser Musik auch die neuzeitliche Erkenntnis von Bruckners starker und organischer
Formenwelt mit ihrem besonderen Orchesterklang ernsthaftes Vorbild gewesen sein. Natur-
gemafi begegnet man auch der der neuesten Musik eigenen Vorliebe fur die vorklassische,
ja vorbachische Formanlage und Klangwelt (Suite, chorische Schreibweise, ricercarartige
Fugierung), ferner exotischen Rhythmen, Tanztypen, Melismen. Die Gruppe hat keinen
durch Begabung oder Werkfulle unbedingt hervorstechenden Fiihrer; als charakteristisch
fur ihre Tendenzen und Fahigkeiten darf man etwa K. Beck (geb. 1901, drei Sinfonien,
Kammermusik, Lieder, Chore, Konzerte, eine Kantate) und L. B aimer (geb. 1898, sin-
fonische Orchesterwerke, Konzerte, Kammermusik, Biihnenmusiken) bezeichnen. Letzterer
ist eigentlicher Busonischiiler, ebenso wie R. Laquai (s. oben), W. Geiser (geb. 1897, in-
strumentale und vokale Kammermusik, Orchesterwerke, begleitete Gesange, Klavierstiicke)
und R. Blum (geb. 1900, Opern, Konzerte, Kammermusik, Sinfonien, Lieder, Chore, Klavier
stiicke).
Erwahnt seien noch W. Lang (geb. 1896, Klavierlieder, Klavierstiicke, Kammermusik), P. Miiller (geb. 1898,
Tedeum, Orchesterwerke, Biihnenwerke, instrumentale und vokale Kammermusik), W. Burkhard (geb. 1900,
Liederzyklen, Chore, Kammermusik, Klavier" und Orgelstiicke, eine Sinfonie) und H. Haug (geb. 1900, Konzerte
Kammermusik, eine Oper, Chore).
Das musikalische Antlitz der Schweiz hat sich in verhaltnismafiig kurzer Zeit grundlegend
verandert im Sinn der allmahlichen Bildung einer Tonkunst gesamtschweizerischer Pragung.
Ihre musikalische Produktion bildet mehr und mehr ein nicht mehr zu ubersehendes Glied
in der zentraleuropaischen Musikkultur. Wenn nicht alles triigt, wird die produktive (und
auch reproduktive) Begabung des Schweizers auf musikalischem Gebiete nicht mehr so rasch
1Q44 Modeme: Englander
nur noch als eine sporadische und beinahe zufaliige erscheinen. Eifrig und nicht belanglos
1st die von drei Kulturen umgebene und genahrte Schweiz am modernen tonkiinstlerischen
Schaffen beteiligt.
Literatur
Vgl.S.108izum Abschnitt JRomanische Schweiz", ferner noch: Decu rtins, C: Ratoromanische Chresto-
mathie III: Die Weisen der surselvischen und subseivischen Volkslieder (Erlangen 1902). — Fisch. L.:
Canti popolari Ticinesi (Zurich 1916). - Gysi, F.: R. Wagner in der Schweiz. (1929). - I s 1 e r . E. : Hans Huber
(Zurich 1923). — Derselbe: C. Attenhofer (Zurich 1915). — Knappe , H.: Fr. Klose (Munchen, 1921).
— Kroyer, Th.: W. Courvoisier (Drei-Maskenverlag, 1929). Merian, W.: Das schweizerische Volkshed in
musikalischer Beziehung (1918). - Derselbe: H. Suter (in Vorbereitung). -Niggli, A.: Die Schweiz.
Musikgesellschaft (Zurich 1886). - Refardt, E.: Hans Huber (Zurich 1922). - Seidl, A.: Neuzeitliche
Tondichter, (Regensburg 1 927 ; Aufsatze iiber Andreae, Hegar, Huber, Klose, Schoeck, Suter). — Stein er A.:
Fr. Hegar (Zurich 1928). — Wyfi. Ed.: Das Volksiied, ein Spiegel der Zeitgeschichte und Kultur. 1919.
A. E. Cherbuliez.
ENGLANDER
Das Jahr 1880 bezeichnet den Beginn der sogenannten Renaissance der englischen Musik.
Seit dem Tode Purcells im Jahre 1695 hatte England wenig Wichtiges for die allgemeine
Musikgeschichte beigetragen. Es waren ununterbrochen Leistungen englischer Komponisten
zu verzeichnen gewesen, die oft sehr charakteristisch fur die englische Eigenart waren, doch
nur in kleineren Formen, die kaum aufierhalb des eigenen Landes gewurdigt worden waren.
Es gab eine edle Tradition der englischen Kirchenmusik, doch sie gehorte ausschliefilich der
anglikanischen Kirche an, und gegen das Jahr 1850 entartete diese Tradition zu niedrigem
Standpunkt wegen der Veranderungen im religiosen Gedanken, welche die Kirchenmusik
unter den schwachenden EinfluB Spohrs und Mendelssohns und spater unter den Gounods
brachte. Der wichtigste Ansatz in der allgemeinen Musikgeschichte wahrend des 18. und
19. Jahrhunderts war ,,The Beggar's Opera" (Die Bettleroper) und in weltlicher Musik die
englischen Singspiele (Ballad operas). Diese, sowie Lieder sind Englands eigenste Schopfungen
bis ungefahr 1800. Wahrend des 19. Jahrhunderts wurde die Musik in England ausschliefilich
als Unterhaltungangesehen. Die englischen Komponisten verfafiten langweilige Oratorien nach
Handel und Mendelssohn. Die englische Oper wich der aus Italien eingefuhrten. Von den
Zeiten Haydns an entwickelte sich mustergiiltiges Orchesterspiel, aber die Symphonien
und Konzerte, die aufgefuhrt wurden, waren grofitenteils auslandische Werke. Sterndale Bennett
(1816—1875), der Freund Schumanns und Schiller Mendelssohns, 1st der einzige englische
Komponist, der mit denen des Kontinents in der ernsten Musik konkurrieren konnte.
Die Geschichte der englischen Musik seit dem Jahre 1880 zerfallt in drei Hauptperioden :
die erste (etwa von 1880—1900) driickt den neuen Entschlufi der Englander aus, England noch
einmal zu einem musikalischen Lande zu machen. Die zweite (etwa von 1900—1915) zeigt die
Entwicklung eines neuen und ausgesprochen englischen Stiles unter dem Einflusse englischer
Volkslieder, welche seit 1 895 eifrig gesammelt und aufgezeichnet wurden ; die dritte Periode (1915)
fiihrt den vollkommenen Bruch mit den Traditionen des 19. Jahrhunderts herbei, sowie die all-
mahliche Anerkennung der Musik in England selbst als einer Kunst, auf welche die Englander als
Nation stolz sein konnen und die ebenfalls die gradweise Anerkennung auf dem Kontinent fand.
Moderne: Englander 1045
Wahrend der ersten Periode stand die englische Musik stark unter deutschem Einflusse,
besonders dem von Wagner und Brahms. Beriicksichtigenswert ist, dafi Liszt, trotz seiner
Beliebtheit in England als Virtuose, niemals mehr als einen sehr schwachen EinfluB auf die
englischen Komponisten gehabt hat, und das nur in vereinzelten Fallen. Die fiihrenden eng-
lischen Komponisten waren alle von deutschen Lehrern unterwiesen worden, und das Musik-
leben wurde hauptsachlich von deutschen Kapellmeistern beeinfluftt: Charles Halle und
seine Frau Norman-Neruda, Julius Benedict, Webers Schiller, August Manns, Hans Richter,
Georg Henschel, Eduard Dannreuther; diesen muB der machtige Einflufi Josef Joachims und
Klara Schumanns beigefiigt werden. Der englische Fiihrer der Renaissance war Charles
Hubert Hastings Parry (1848 — 1918). Er war ein Mann von guter Familie, der in Eton
und Oxford erzogen worden war: in den Augen alter Berufsmusiker nur ein reicher Amateur.
Sein erstes wichtiges Werk war ,,Prometheus unbound" (,,Der entfesselte Prometheus"), eine
musikalische Szenenfolge nach Shelleys Gedicht fur' Soli, Chor und Orchester (1880). Statt
der hergebrachten Oratorien oder Kantaten mit einem gebrauchlichen Libretto fand sich hier
ein Meisterwerk der englischen Dichtkunst, das von einem Manne vertont ward, der sein feines
literarisches Verstandnis in jedem Takte bewies. Der nachste Markstein ist ,,The Revenge"
(,,Die Revanche", 1886), ein Chorgesang von Charles Villiers Stanford (1852—1924)
nach Tennysons Ballade. Das zuerst zu erobernde Feld war das der Provinzfestspiele, wo die
Oratorien Handels und Mendelssohns allein herrschten. Parry und Stanford sahen, dafi die wirk-
liche Starke des Musiklebens in England in den Chorgesangen der Provinzen lag, und wahrend
dieser ersten Periode waren die wichtigsten englischen Werke fast nur Chorgesange. Die neue
Bewegung war hauptsachlich das Werk der beiden alten Universitaten Oxford und Cambridge.
Stanford wohnte von 1873—1892 in Cambridge; seit 1887 war er dort Professor der Musik.
Parry hatte die Wurde des Professors in Oxford von 1900— -1908. Beide setzten es sich zum
Ziele, die Musik in England zu einer Hohe zu erheben, in der ihr das akademische und ge-
sellschaftliche Ansehen gewahrt wurde, das durch Tradition der ,,Juristerei, Medizin und
Theologie" zugesprochen wurde. Sie verbanden mit dem musikalischen Talente die hochste
literarische Kultur — beide waren enge Freunde der Dichter Tennyson und Robert Bridges — ,
den ethischen Idealismus des Zeitalters der Konigin Viktoria und den ausgepragten Sinn des
Englanders fur das Gemeinwohl und die Staatskunst. Sie arbeiteten daran, fiir die Musik zu
tun, was Manner wie Carlyle, Huxley und Gladstone fiir andere Geistesgebiete getan hatten.
Es war sehr charakteristisch fiir Parry, dafi er Beethoven vergotterte, aber wenig Verstandnis
fur Mozart hatte; denn Mozart schien ihm Diener der Aristokratie, dagegen Beethoven der
geistige Fiihrer einer neuen Demokratie. Ein ahnlicher Wechsel fand in England wahrend
seines Lebens statt, und Parry, Aristokrat nach Anlage und Erziehung, war im personlichen
Leben Freidenker und Sozialist. Stanford war der von Natur aus begabtere Musiker, Parry
der tiefere Denker. Parrys Hingabe an die Pflicht fiir die Offentlichkeit hinderte immer seine
kiinstlerische Vervollkommnung. Er war des gewohnlichen Egoismus des Kiinstlers vollig
bar, sogar wenn er seine eigenen Werke dirigierte, schenlcte er den Worten des Dichters grofiere
Aufmerksamkeit, als seiner eigenen Musik.
Beide betrachteten die deutsche klassische Tradition als feststehende Tatsache; aber sie ent-
nahmen ihr nur das, was ihrem eigenen Temperamente zusagte. Parry studierte unter Stern-
dale Bennett und Macfarren in London und unter dem Englander Henry Hugo Pierson in
]Q46 Moderne: Englander
Stuttgart; er lernte auch viel von Wagners Freund Dannreuther in London. Parry hatte wenig
Gefiihl fur das Orchester; sein naturliches Ausdrucksmittel war Chorgesang. Er hatte Bach
griindlich studiert, und es ist groBtenteils Parrys EinfluB zuzuschreiben, daB heutzutage Bach
fast vollstandig Handel in England enrihront hat. Der Brahms, welcher ihm zusagte, war
der Brahms vom ,,Schicksalslied" und ,,Requiem", der Wagner der der ,,Meistersinger"
und des ..Parsifal". Man konnte fast sagen, daB die ersten Takte des Meistersingervorspiels
mehr im Geiste Parrys als Wagners sind. Diesen Einflussen muB der von S. S. Wesley (1810
bis 1876) beige^ellt werden, einem bedeutenden Komponisten von Kirchenmusik;m seiner Be-
handlung englischer Worte lernte er viel vom groBten Meister englischer Deklamation, Henry
Purcell Parrys hauptsachliche Chorwerke nach dem ,,Entfesselten Prometheus" sind ,,The
Glories of our Blood and State" (eine Trauerode, 1 883), ,,BIest pair of Sirens" (,,Holde Sirenen" ,
1887), das Oratorium .Judith" (1888), ,,Eton" (1891), ,,The Lotos-Eaters" (,,Die Lotosesser")
und das Oratorium ,,Hiob" (1892), vielleicht sein edelstes Werk, ,,Konig Saul" (1894), ,,A Song
of Darkness and Light" (,,Ein Sang vom Dunkel und vom Licht", 1898), die frische und ent-
zuckende ,,Ode an die Musik" (1901), ,,War and Peace" (,,Krieg und Frieden"), „ Voces Cla-
mantium" (,,Klagende Stimmen", 1903), ,/The vision of life" (,,Die Vision des Lebens", 1907)
und ,,Beyond these voices there is peace" (,,Jenseits dieser Stimmen ist der Friede", 1908).
Sie sind alle durch strengen Adel des Stiles ausgezeichnet; doch haben sie wegen Parrys ver-
haltnismaBiger VernacMassigung des Orchesters und seines mmmermuden Wunsches, den
Sinn der Dichtung zu verstarken, dem Publikum auf dem Kontinent nie sehr gefallen. Sie
konnen nur von denen richtig verstanden werden, welche genaue Kenntnis der englischen
Literatur besitzen. Parry hatte eine reiche humoristische Ader, welche in seinen Kompo-
sitionen nach Aristophanes (fur Auffuhrungen in Oxford und Cambridge) stark hervortrat
und in seiner Ballade fur Chorgesang ,,The Pied Piper of Hamelin" (,,Der Rattenfanger
von Hameln", 1903), welche eine meisterhafte Behandlung eines sehr schweren Textes ist,
und zwar Robert Brownings geistreicher Obertragung der wohlbekannten deutschen Sage.
Sein bestes Orchesterwerk sind die Variationen in E-Moll (1897); seine Symphonien und
die iibrige Instrumentalmusik haben, wenngleich sie immer gedankenreich und in gewissen
Momenten schon sind, die Aufmerksamkeit nicht fesseln konnen. Sein Stil ist eigensinnig
diatonisch und kontrapunktisch ; es wurde im Scherz von ihm gesagt, daB seine Kontrabafi-
stimmen, wie die Porporas, immer das Doppelte des gewohnlichen Preises kosten.
Stanford hat mehr Beriihrungspunkte mit der Musik des Festlandes, denn er hat aus-
giebig auf alien Gebieten gearbeitet. Seine Opern werden in einem spateren Teile dieses
Kapitels betrachtet werden. Er war ein Schiiler Friedrich Kiels in Leipzig, von welchem er
eine bewundemswerte Meisterschaft in der Form und Geschicklichkeit im Handwerklichen
lernte. Als intimer Freund Josef Joachims tat er viel fur den Kultus von Schumann und
Brahms in England. Brahms hat immer einen starken Einflufi auf ihn gehabt, von Wagner
nahm er den ritterlichen Stil des Parsifal. In einer spateren Entwicklungsepoche kam er unter
den Einflufi Verdis. Seine besten gesanglichen Werke sind von Tennyson und Henry Newbolt
inspiriert worden. ,,The Revenge" (,,Die Revanche") fuhrte die Mode der Ballade fur Chor und
Orchester ein, die sich einige 20 Jahre lang grofier Beliebtheit erfreute. Ihr folgte ,,The Voyage
of Maeldune" (,,Maeldunes Reise", 1889), ,,The Battle of the Baltic" (,,Die Schlacht in
der Ostsee", 1891) und ,,Der Barde ' (1894). Das Oratorium ,,Eden", ein Gedicht von
Moderne: Engender 1047
Robert Bridges (1891) ist wichtig wegen seiner Chore im Kontrapunkt der Kirchentone; Stan
ford gab hier den Impuls zum eingehenden Studium der Musik des 16. Jahrhunderts, welches
spater bemerkbare Erfolge hatte. Das ,,Requiem" (1897), das ,,Te Deum" (1898) und das
,,Stabat Mater" (1907) sind mehr im italienischen Stile; das erstere gehort zu einem der
schonsten der Stanfordschen Werke. ,,Last Post" (,,Zapfenstreich", 1902) ist eine sehr
riihrende Elegie auf die im stidafrikanischen Kriege Gefallenen; ungliicklicherweise ist
W. E. Henleys Gedicht allzu bewufit imperialistisch for das heutige Gefohl in England,
,, Songs of the Sea" (die ,,See-Lieder ") und ,,Songs of the fleet" (,,Flotten~Ueder") fur Bariton,
Chor und Orchester, zwei ultrapatriotische Liederzyklen von Henry Newbolt, haben sich
grofier Beliebtheit erfreut; wahrhafter und schoner sind die Lieder aus Tennysons ,,Prinzessin"
fur 4 Stimmen und Klavier. Aufier dem ,,Requiem" sind Stanfords charakteristische Werke
die, welche die irischen Themen seiner Heimat enthalten : die Irische Symphonic, die Irischen
Rhapsodien, die Gesangsballade ,,Phaudrig Crohoore", die Oper ,,Shamus O'Brien" und die
Irischen Lieder. Eine Folge von Variationen liber den englischen Matrosengesang ,,Down
among the Dead Men" (,,Tief unter den Toten") fur Klavier und Orchester und ein Klavier-
konzert in C-Moll zeigen geschickte und lichtvolle Behandlung des Klaviers.
Zeitgenossen von Parry und Stanford sind Alexander Campbell Mackenzie (geb. 1847),
Frederick Hy man Co wen (geb. 1852) und Edward Elgar (geb. 1857). In jiingeren Jahren
wurde Mackenzie oft fur den begabtesten unter diesen fiinf Komponisten gehalten. Er war
der am meisten kosmopolitische, da er lange in Deutschland und Italien gelebt hatte. Wie die
andern, komponierte er ein Oratorium (,,Die Rose von Saron") und Kantaten (,,Die Geschichte
des Sayid" und ,,Der Traum des Jubal"), Werke, voll von Farbe und Phantasie, die jetzt fast
vergessen sind. Er schrieb 2 Opern und verschiedene kleine Orchesterwerke, einschlieBlich
effektvoller Konzerte fiir Violine und Klavier iiber schottische Themen; seit ungefahr 1900
hat er wenig geschrieben. Es gelang Co wen nicht, die Hoffnungen seiner Jugend zu erfiillen,
auch er schrieb einige Opern und eine Menge grazioser BallettmusiL Wie Mackenzie, hat auch
er in vorgeriickten Jahren wenig produziert.
Elgar trat spater als die andern ins Musikleben ein und iiberraschte die Zuhorer durch den
ungewohnlichen Glanz seiner Orchestration und die gliihende Empfindung seiner Musik.
Wie Mackenzie, war er Violinspieler von Beruf und studierte Liszts Werke, welche den kon-
servativen akademischen Musikern ein Greuel waren. Er war iiberdies Katholik und mehr
oder weniger Autodidakt, der wenig von der literarischen Bildung Parrys und Stanfords hatte.
Im Jahre 1890 zog er zuerst die Aufmerksamkeit auf sich, eine Kantate ,,Caractacus" wurde
im Jahre 1898 in Leeds aufgefuhrt, und im Jahre 1900 veroffentlichte er den ,,Traum des
Gerontius", eine Komposition iiber Kardmal Newmans halbdramatisches Gedicht iiber Tod
und Fegefeuer. Darauf folgteh noch 2 Oratorien, ,,Die Apostel" und ,,Das Konigreich". Fiir
englische Ohren ist Elgars Musik allzu gefiihlvoll und nicht ganz frei von Vulgaritat. Seine
Orchesterwerke, Variationen, 2 Symphonien, Konzerte fiir Violine und Violoncell und ver
schiedene Ouvertiiren sind lebhaft in der Farbe, doch pomphaft im Stile und mit einer ge-
suchten Ritterlichkeit des Ausdrucks. Sein schonstes Orchesterwerk ist das symphonische
Gedicht ,,Falstaff", das jedoch durch allzu enges Anlehnen an das Programm geschwacht wird,
aber auf jeden Fall ein Werk von grofier Originalitat und Kraft ist. Seine Kammermusik
(Violinsonate, Streichquartett und Klavierquintett) ist trocken und akademisch.
J048 Moderne: Englander
Zur Parry-Stanford-Schule gehoren Charles Wood (1866—1926), der hauptsachlich als sehr
guter Lehrer der Komposition in Cambridge und London bekannt war, der aber auch gedanken-
tiefe Lieder, Kammermusik und kleine Chorwerke komponierte; Alan Gray (geb. 1855)
und Basil Harwood (geb. 1859), deren Kirchenmusik und Orgelwerke entschiedene Origi-
nalitat aufweisen; Henry Walford Davies (geb. 1869), ein Komponist von Kirchenkantaten
,,Der Tempel" (1902) und ,Jedermann" (1904); Arthur Somervell (geb. 1863), hauptsach
lich als Liederkomponist bekannt. Ein wenig abseits von ihnen steht Donald Francis Tovey
(geb. 1875), ein Musiker von aufierordentlichem Wissen, eng befreundet mit Josef Joachim;
er hat viel Kammermusik geschrieben, ist aber besonders wichtig als Lehrer und Schriftsteller.
Seine Oper ,,Die Braut des Dionysos" (Edinburg 1929) zeigte einen edlen Stil, aber wenig
dramatische Kraft. Bemerkenswerte Gaben wurden von Samuel Coleridge Taylor
(1875 — 1912) entfaltet, einem Neger, der ein Schiller Stanfords war und stark unter Dvoraks
Einflufi stand. Seine Kantate ,,Hiawatha" hat lebendige gefiihl voile Kraft und malerische
Orchestration.
Eine andere Gruppe von Komponisten wurde mehr von den romantischen Anschauungen
Wagners beeinfluBt und beschaftigte sich groBtenteils mit sorgfaltig ausgearbeiteter Programm-
musik. Sie waren fast alle Schiiler von Frederick Corder (geb. 1852), einem Schiller von
Ferdinand Hiller in Koln und spater Lehrer der Komposition an der Royal Academy of
Music. Das andere Institut, das Royal College of Music, verfolgte die klassische Tradition
Parrys und Stanfords. Granville Bantock (geb. 1868) hat eine Anzahl symphonischer Ge-
dichte geschrieben, groBtenteils iiber orientalische Stoffe, und eine schone Symphonic iiber
hebridische Volkslieder; diese gehort jedoch einer spateren Periode an, der nach dem Auf-
leben des Interesses an der Volksmusik. Sein wichtigstes Chorwerk ist ,,0mar Khayyam",
auch hat er verschiedene Werke groBen Mafistabes fiir a-cappella-Chore geschrieben. Er hat
ein meisterhaftes Verstandnis fiir das Orchester, aber seine Stellungnahme zur Musik ist
rein auBerlich; er ergreift jede Gelegenheit, zu erklaren und zu beschreiben, doch hat er
wenig Gefiihl fiir das innerste Wesen der Poesie. William Wallace (geb. 1860) war Arzt
und Chirurg (ebenfalls Schiiler von Corder) und hat verschiedene symphonische Gedichte
geschrieben, die heute sehr formell und akademisch klingen; John Blackwood Mac Ewen
(geb. 1866) schrieb einige gute Quartette; Josef Holbrooke (geb. 1878), auch ein Schiiler
Corders) neigt zum Krankhaften und Grotesken in der Wahl seiner Gegenstande. Er ist
sehr durch Wagner beeinflufit, besitzt aber unbezweifelt Schopferkraft, trotzdem es ihm an
Selbstkntik mangelt. Wie die andern Schiiler Corders, zieht er die Form des symphonischen
Gedichtes vor; er hat auch Opern geschrieben, welche spater besprochen werden sollen,
Wahrend des grofiten Teiles des 19. Jahrhunderts herrschte der Glaube, daB, wahrend die
Kelten von Irland, Schottland und Wales eine Fiille von Volksliedern besaBen, England keine
aufweisen konnte. Sammlungen von schottischen, irischen und walisischen Volksliedern sind
im Anfang des vorigen Jahrhunderts herausgegeben worden mit den nicht ganz passenden Be-
gleitungen Haydns und Beethovens, welche nicht das richtige Verstandnis fiir die nationalen
Tonarten hatten. Angeregt durch das Beispiel von Brahms (Sammlung deutscher Volks
lieder) veroffentlichte Stanford eine groBe Anzahl irischer Volkslieder mit neuer und wunder-
bar schoner Begleitung. Andere wurden von Charles Wood herausgegeben und gegen das
Ende des Jahrhunderts erwachte neues Interesse an heimatlichen Volksliedern. Im Jahre 1898
Moderne: Englander 1049
wurde die ,,Gesellschaft fur Volkslieder" zwecks wissenschaftlicher Sammlung von Volks-
liedern gegriindet. Eme der Anregungen zu dieser Bewegung war das Beispiel Dvoraks, dessen
^Bohmische Volkslieder" in England sehr geschatzt wurden. Friih im 20. Jahrhundert durch-
streifte eine Anzahl von Komponisten und Liebhabern das Land und sammelte Lieder von
den Lippen alter Bauern. Die Fiihrer der Bewegung waren Lucy Broad wood, an s dem Geschlecht
der beriihmten Klavierbauer, eine tiichtige Sangerin, und James Alexander Fuller Maitland,
der wohlbekannte Kritiker, sowie in einem spateren Zeitpunkte Cecil Sharp, wenig bedeutend
als Musiker, aber ein mmmermuder Sammler. Der schottische und irische Volksgesang fuBt
groBtenteils auf der pentatonischen Skala, die walisischen Volkslieder zeigen eine starke Vor-
Hebe fiir Tonika und Dominante; der englische Volksgesang ist oft in den Kirchentonen ge-
halten : die dorische, aolische und mixolydische sind sehr allgemein, die phrygische seltener.
Mit den Volksliedern des Kontinents verglichen entfalten die englischen Volksgesange eine
groBere Verschiedenheit des Rhythmus und eine bedeutend hohere Gestaltung der musi-
kalischen Form. Hand in Hand mit diesem Studium von Volksliedern ging ein bestandiges
Wiederaufbliihen des Interesses an der englischen Musik der friiheren Zeiten, an Purcell und
an der Zeit Elisabeths. Das Volkslied war ein Bindeglied zwischen der heutigen und der
kilns tlerischen Musik der Vergangenheit, denn der Volksgesang konnte in den Werken Purcells
und seiner Zeitgenossen ebensowohl nachgewiesen werden, wie in denen der Komponisten
far das Spinett (Byrd, Bull, Morley usw.)- Das war alles ein Teil der allgemeinen Reaktion gegen
die musikalische Richtung des 19. Jahrhunderts. Frankreich trug zur Wiederbelebung des
Gregorianischen Gesanges in der katholischen Kirche bei, Rufiland brachte die Gesangsweisen
des Ostens und seine eigene primitive Kultur in die Musik. Musikalisch gesprochen wendeten
sich fast alle Lander von der hergebrachten Form der Tonika und Dominante ab und zuriick
zu den Tongattungen (Tonleitern) des Mittelalters. In der Englischen Kirche vermehrte sich
die Anlehnung an den katholischen Gottesdienst, der Gregorianische Choral wurde dem eng
lischen Ritus angepaBt, und die Musiker begiinstigten den Volksgesang in den Kirchen als
gesundes Gegenmittel gegen den Spohr-Gounod-Stil der vorhergehenden Generationen. Un-
tersuchungen iiber die englische Kirchenmusik vor der Reformation ergaben, daB die alteren
englischen Komponisten ihre Messen oft auf Themen von Volksliedern aufgebaut hatten.
Das Interesse an der bodenstandigen englischen Musik war nicht nur theoretisch ; es verdankte
den gelehrten Forschern in den Bibliotheken viel, doch wurde es gleichzeitig praktisch ver-
wertet. Junge Komponisten gingen in die Dorfschenken, um vergessene Gesange und Balladen
zu entdecken; sie lernten traditionelle Volkstanze in den wenigen Dorfern, wo sie seit Shake-
speares Zeiten geiibt worden sind. Die Leute selbst hatten groBtenteils ihre eigene Musik
vergessen; nur sehr alte Manner und Frauen erinnerten sich noch der Lieder und Tanze.
Diese Musiker machten es sich zur Aufgabe, sie die Leute wieder zu lehren. Sie brachten
einen frischen Zug in die Werkstatten der grofien Stadte. Die Bewegung breitete sich iiber
ganz England aus, und jetzt lernen die Kinder diese Lieder und Tanze in fast jeder Schule,
Die Griindung kleiner Singvereine in Dorfern wurde durch die Einrichtung von Gesangswett-
streiten befordert, welche zuerst in Lancashire und Yorkshire abgehalten wurden, wo man in
England das beste Singen hort. Die Fiihrer der Bewegung waren, wie diejenigen der Bewegung
von 1880, eng verbunden mit Oxford und Cambridge; sie waren tatsachlich Schiiler Parrys
und Stanfords. Volkslieder erschienen auf jedem Konzertprogramm, sie wurden mit den
1050 Modeme: Englander
Klassikern als auf gleicher Hohe stehend betrachtet. Die Fiihrer begriifiten sie als reine Musik,
welche dem Durchschnittspublikum statt der Banalitaten der Geschaftskunst geboten werden
konnte. Das gelang ihnen so gut, daB die Lieferanten der Geschaftskunst bald Volkslieder
nachahmten, denen gerade so viel Anklang an Vulgaritat anhaftete, um sie bei Berufssangern
beliebt zu machen.
Die Volksliederbewegung hatte ihre komlsche Seite, dock sie zeitigte zwei sehr ernste Ergeb-
nisse, eines far die Komponisten, das andere fur das Publikum im allgemeinen. Wahrend des
19: Jahrhunderts hatten die Englander, sogar die musikliebenden, aufgehort zu glauben, dafi
die Musik als Kunst die Seele ihres Vaterlandes ausdriicken konne. Die meisten hochgebildeten
Englander betrachteten die Dichtkunst als die nationale Kunst. Die Leute konnten sich ver-
gegenwartigen, dafi die englische Dichtkunst, die englische Malerei, ja selbst die englische
Kochkunst jede in ihrer Art die verborgenen Ideale des englischen Charakters ausdriickten ;
die Musik, so leidenschaftlich sie sich ihrer auch erfreuten, war etwas von auBen Importiertes.
Seit ungefahr 1900 hat ein Wandel stattgefunden, und langsam starlet sich das Bewufitsein,
da8 die englische Musik ihren eigenartigen Stil hat und ein erganzender Teil der nationalen
Ausdrucksmittel ist. Dieses Gefiihl hat nichts mit journalistischem Patriotismus oder mit
politischem Ehrgeiz zu tun, es gehort innerlich vertrauteren Gefiihlen an, es schliefit sich
ans Land und eine jahrhundertealte Tradition mehr an, als an die Stadt und die modernen
Triebkrafte. Es ist nicht die Stimme des ,,Zeitgeistes", sondern dessen Korrektiv. Den
Komponisten brachte die Bewegung einen neuen Sinn fur die Gesangsmelodie, ein feineres
rhythmisches Gefiihl und groBere Kraft in der Klangfarbe, die eher auf Kirchentonarten als auf
den hergebrachten Dur- und Moll-Tonarten fufite. Ihr EinfluB ist in modernen englischen
Liedern klar ersichtlich. Der starke EinfluB der Universitaten, welcher von Parry und Stanford
ausging, brachte die jiingeren Musiker eng und enger in personliche Beriihrung mit ihren zeit-
genossischen Dichtern. Heute kann man einen Komponisten nach dem Werte der Gedichte
beurteilen, die er vertont. Das deutsche Beispiel der Schiiler Stockhausens erzog den lite-
rarischen Geschmack der Sanger der friiheren Periode; derselbe wurde weiter verfeinert durch
den EinfluB der jiingeren Schule von franzosischen Gesangskomponisten, Faure, Debussy,
Ravel; die Anwendung ihrer Technik auf englische LJeder entwickelte einen neuen und
charakteristischen Stil der Melodie, der seinen eigenartigen Rhythmus von dem der englischen
Dichtkunst ableitet. Dem englischen Naturell erscheint das Singen eine natiirlichere Aus-
drucksfonn, als das Spielen eines Instrumentes. Der Virtuose ist selten unter den englischen
Musikern; die englischen Komponisten werden von Konzerten und anderen Formen, die vir
tuose Behandlung erfordern, wenig angezogen. Alle Musik hat ihren Ursprung in der mensch-
lichen Stimme, und die englischen Komponisten sind sich dieser Tatsache noch tief bewufit.
Der bemerkenswerte Unterschied im Stil zwischen der englischen und deutschen Musik von
heute, verglichen mit der Ahnlichkeit des Stils vor 40 Jahren, ist hauptsachlich ein Unterschied
im Rhythmus, der aus der rhythmischen Verschiedenheit der beiden Sprachen entspringt und
durch die Tatsache erhoht wird, dafi die englische Tradition gesanglich, die deutsche vor-
herrschend instrumental ist.
Der grofite englische Komponist der Volksliedbewegung ist Ralph Vaughan Williams
(geb. 1872), welcher zuerst unter Charles Wood in Cambridge studierte, spater unter Parry und
Stanfprd, kurze Zeit unter Max Bruch in Berlin und mehrere Jahre spater unter Ravel in Paris
Modeme: Englander 1051
(1909) arbeitete. Er warf sich voll Eifer in die Volksliederbewegung und nahm die Weisen
vollig in seinen eigenen Stil auf. Wie Parry ist er am besten im emsten Gesang. Er wurde
zuerst bekannt durch seine Kompositionen nach Gedichten Rossettis und Stevensons und
durch ein kurzes, aber eindnicks voiles Chorwerk ,,Toward the Unknown Region" (,,Dem Un-
bekannten entgegen'*, Walt Whitman). Spater erschienen die ,,Mystischen Lieder" (George
Herbert) fiir Baritonstimme, Chor und Orchester, eine Gesangsphantasie iiber altbekannte
Weihnachtslieder und die ,,Meeressymphonie" in 4 Satzen fur Chor (Whitman). Dieses
Werk offenbart seine mystischen und asthetischen Anschauungen, welche der patriotischen
Ritterlichkeit Stanfords und dessen Behandlung von Seestucken sehr fern liegen. Die erste
Frucht seiner Studien bei Ravel war der Liederzyklus ,,0n Wenlock Edge" (,,Am Rande des
Wenlock", A. E. Housman) fur Tenor, Streichquartett und Klavier, welcher trotz der in Paris
erlernten neuen harmonischen Kunstgriffe eine durchaus englische Komposition eines der
beach tens wertesten Gedichte der zeitgenossischen Literatur ist. Seine Hauptwerke fiir In-
strumentalmusik sind fiir das Orchester: ,,Norfolk Rhapsodien" (iiber Volkslieder), ,,In the
Fen Country" (,,In der Moorlandschaft"), ,,The Lark Ascending" (,,Die aufsteigende Lerche")
fiir Violinsolo und Orchester, und 2 Symphonien, die ,,London"~Symphony, eine malerische
Impression des modernen London, die althergebrachte Ausrufe und moderne StraBen-
lieder enthalt, und die ,,Pastorale", die ein Sopransolo verwendet und wegen des Umstandes
bemerkenswert ist, dafi drei von den vier Satzen im langsamen Tempo gehalten sind. Andere
Gesangswerke Vaughan Williams sind ,,Sancta Civitas" fiir Chor und Orchester, ,,TeDeum"
fiir die Thronbesteigung des Erzbischofs von Canterbury 1929.
Zwei begabte jiingere Manner, die im Kriege fielen, folgten seiner Fiihrerschaft — George
Butterworth (1885—1916), der Komponist von 3 Volksliedidyllen fur Orchester, ,,A Shrop
shire Lad** (,,Ein Bursch aus Shropshire**), eine Orchesterrhapsodie iiber Housmans Gedichte,
von denen er viele als Lieder vertonte; und William Denis Browne (1888—1915), dessen
sehr originelle und empfindungsreiche Lieder. groBere Werke versprachen.
Eine andere Gruppe von Tonsetzern mufi hier erwahnt werden. Frederick Delius (geb.
1 863), obwohl in England aus deutschem Stamme geboren, wurde jahrelang in seinem Vaterlande
kaum anerkannt. Er verdankt seine jetzige Beliebtheit hauptsachlich den Anstrengungen
seines Freundes, des Kapellmeisters Thomas Beecham. Delius studierte kurze Zeit in Leipzig
unter Jadassohn und Reinecke, aber er ist hauptsachlich Autodidakt, und obgleich Grieg
einen starken EinfluB auf ihn gehabt hat, steht er abseits von der musikalischen Welt. Aber
seit ,,Brigg~Fair" (1908) hat auch er den EinfluB des englischen Volksliedes empfunden.
,,Appalachia" hatte als Grundlage ein Sklavenlied aus einem Teile Amerikas, wo die alten
Volkslieder Englands, wie neuere Nachforschungen ergeben, noch lebendig und der Menge
in Erinnerung geblieben sind. Seine spateren Werke sind mehr und mehr durch den Stil der
althergebrachten englischen Melodic beeinflufit worden. Seine friihen Werke fur Chor leiden
unter der allzu instrumental Behandlung der Stimmen. Dies ist ebenso bemerkbar in ,,Sea
Drift" O.Seetrift") und in der ,,Messe des Lebens", als auch im neuen ,,Requiem" (1921). Fur
englische Ohren ist die Behandlung der Worte (auch den langsameren Rhythmus des deutschen
Textes beriicksichtigend) schwach und kraftlos. Seit 1915 hat er eine Anzahl neuer Werke
in England herausgebracht : drei schone Konzerte fur Violine, Violoncell und fiir beide zu~
sammen, am bemerkenswertesten von alien ist ,,The song of the High Hills" (,,Das Lied
67 H.a. M.
1052 Moderne: Englander
von den Hohen") far Chor und Orchester. Hier singt der Gior ohne Worte und erreicht
einen wunderbaren gefahlvollen Hohepunkt. Delius' Vorliebe for 6/s- und 6/4 - Rhythmen
ist charakteristisch englisch; indem er von den harmonischen Neuerungen Griegs ausging,
empfand er bald, dafi die englische Volksmelodie eine umfangreichere Basis als die norwegische
far die weitere Entwicldung seines eigenen Stiles bot. Zur ScKule des Delius gehort eine
Gruppe jiingerer Leute, die alleSchiiler Ivan Knorrs in Frankfurt waren. Cyril Scott (geb.
1879) hat seinem Rufe durch eine groBe Menge sehr trivialer Musik sehr geschadet. Er hatte
in friiheren Zeiten eine ausgesprochene Eigenart in der Harmonik und war ein in England
seltenes Beispiel von ,,Impressionismus", welches ihm Bewunderer brachte, die ihn Debussy
an die Seite stellten, aber er hat nicht den friihen Erwartungen entsprochen oder irgend etwas
hervorgebracht, das iiber einen gewissen exotisch gezierten Reiz hinausging. Balfour Gar
diner (geb. 1877) hat wenig geschrieben, doch seme Musik hat entschiedene Originalitat und
Leben. Er ist stark durch das englische Volkslied beeinfluflt worden. Seine besten Werke
sind ,,Shepherd Fennels Dance" (,,Schafer Fennels Tanz", far Orchester), ein Streichquartett
in B'Dur und ,,News from Whydah" (,,Nachrichten aus Whydah", John Masefield), eine
Gesangsballade in prachtvoller Tonfarbe von starker Wirkung. Roger Quilter (1877) hat
viele entziickende Lieder geschrieben.
Unter den Jiingern Griegs befindet sich Percy Grainger (geb. 1882 in Australien), ein
Pianist von Rang und Schiiler von Busoni. Er war einige Jahre als intimer Freund Griegs in
Norwegen und ein beliebter Interpret von dessen Klaviermusik. Er warf sich enthusiastisch
auf die Bemiihungen um das englische Volkslied und komponierte viele hiibsche Arrangements
von Volksliedern far Chor und Orchester, wobei er viel Heiterkeit hervorrief, indem er sehr
eigenartige englische Tempo- und Ausdrucksbezeichnungen statt der hergebrachten Jtalienischen
annahm, die in der Musik in alien Landern iiblich sind. Seine Musik hat keine grofie Tiefe,
doch auBerordentliches Feuer und Glanz der Farbe; er ist am besten in seinen Kompositionen
far Kammermusik, ,,My Robin is to the Greenwood gone" (,,Mein Robert ist nach dem griinen
Walde gegangen"), ,,Walking Tune" (Wanderlied), ,,Mock Morris" (,,Tanzweise") und
,, Molly on the Shore" (,,MolIy am Strande"), alle auf Grundlage von englischen oder
irischen Volksliedern. Ein interessantes Experiment war ,,Colonial Song" (,,Kolonial-Lied")
far Sopran und Tenor (ohne Worte) und Orchester. W. G. Whittaker (geb. 1876) hat
sehr originelle Arrangements von northumberlandischen Volksliedern geschrieben. Martin
Shaw (geb. 1876), auch einer aus der Volksliederschule, hat interessante Lieder
komponiert.
Der europaische Krieg von 1914 — 1918 hatte keinen kiinstlerischen EinfluB auf die englische
Musik. AuBer den neueren franzosischen Komponisten waren Schonberg, Scrjabin und
Stravinsky den vorgeschrittenen englischen Musikern schon vor 1914 wohlbekannt. Sie waren
Wagners und Richard Straufi* schon mude und wandten sich den musikalischen Idealen Frank-
reichs und Rufilands zu, lange bevor irgendeine Voraussetzung von neuen politischen Kom-
plikationen erwuchs. Die unmittelbare praktische Wirkung des Krieges war das tatsachliche
Verschwinden von alien deutschen und osterreichischen Musikern und das Zustromen einer
groBen Anzahl von Belgiern und Russen. Dies brachte Cesar Franck in augenblickliche Gunst
als Ersatz far Brahms und bereitete den Weg far das russische Ballett nach dem Ende des
Krieges. Scrjabin wurde im Konzertsaal ungeheuer beliebt und Stravinsky von machtigem
Moderne: Englander 1053
Einflufi auf die jiingeren Komponisten. Eine andere Wirkung der Kriegszustande war die
Schwierigkeit, Chor- und Orchesterkonzerte zu geben. Aus Ersparungsgriinden entstand eine
Wiederbelebung von Kammermusik und alter Musik. Alle Lander wurden sich im Kriegs
zustande ihrer Volkseigentiimlichkeit mehr bewuBt. Die verschieden gerichtete Musik-
geschichte von Deutschland und England fiihrte hier zu sehr verschiedenen Resultaten.
Deutschland griindete natiirlicherweise sein Nationalgefiihl auf die Klassiker von Bach bis
Wagner und Brahms. In England blieben die deutschen Klassiker nicht weniger beliebt als
friiher, doch das Volksempfinden konzentrierte sich bis zu einem gewissen Grade auf die
Musiker der Elisabethzeit und auf Purcell, sowie vielmehr auf die lebenden englischen Kom
ponisten der jiingeren Generation. Alle Konzertgeber betrachteten es als ihre Pflicht, Werke
von jungen englischen Komponisten zu bringen. Der junge englische Tonsetzer hat nie eine
so giinstige Gelegenheit gehabt, gehort und wahrhaft verstanden zu werden, um so mehr,
als es eine Wirkung des Krieges war, ungeheures Interesse an alien Kims ten bei der Gene
ration hervorzurufen, die jung genug war, direkte Erfahrung aus dem Kriege zu ziehen. Es
war die natiirliche Reaktion gegen die physische und intellektuelle Niedrigkeit des
Soldatenlebens.
Trotz aller Veranderungen, die im allgememen Musikstil Platz gegriffen haben, ist es doch
bemerkenswert, da6 fast alle fiihrenden englischen Komponisten Schiller Stanfords oder
Schiller seiner Schiller sind. Gustav Hoist, urspriinglich von Hoist (geb. 1874), dessen
Familie, trotz des Namens, wahrend verschiedener Generationen vollkommen englisch ge-
wesen ist, suchte zuerst in orientalischen Themen Anregung (,,Hymnen aus der Rig- Veda")
und aus Algier (,,Beni-Mora", Orchestersuite). Seine bemerkenswertesten Werke sind ,,Die
Jesushymne", fur Chor und Orchester, und ,,Die Planeten", fur Orchester (1919). Er Jst
einer der wenigen englischen Komponisten, die im Monumentalstil schreiben. Die ,Jesus-
hymne", die Ubersetzung eines griechischen gnostischen Gedichtes, ist fur Doppel- und
Halbchor mit freier, kiihner Behandlung der Dissonanzen geschrieben. Hoist hat grofie
Vorliebe fur ungewohnlicheRhythmen, indem er lange Abschnitte in5/4- und 7/4-Takten schreibt.
Dieses Werk wurde im gleichen Konzert in London wie Delius' ,,Lied von den Hohen" auf-
gefiihrt und kontrastierte sonderbar mit dem beschaulichen Gefiihl von Delius auf Grund seiner
fast fanatischen Inbrunst. ,,Die Planeten" ist eine Suite for grofies Orchester in sieben Satzen,
Das Werk verrat verschiedene Einfliisse, deutsche und franzosische sowohl als auch englische;
es ermangelt an Einheit des Stiles, hat aber grofie Gefiihlskraft und endet mit einem Satz
von sonderbarer mystischer Entriicktheit. John Ireland (geb. 1879) hat zwei Violinsonaten
geschrieben, von denen die zweite betrachtliche Kraft zeigt, ferner Lieder, Klavierstiicke von
etwas Originalitat und ein kurzes Werk fur Orchester ,,The Forgotten Rite" (,,Der vergessene
Ritus"). Er ist stark durch das Volkslied beeinflufit worden, gehort aber entschieden der mo-
dernen Schule an. Cyril Rootham (geb. 1875) hat einige gedankentiefe Werke far Chor
geschrieben. Frank Bridge (geb. 1879), ein ausgezeichneter Bratschenspieler, hat Kammer
musik geschrieben, die wunderbare Kenntnis des Handwerks verrat, und eine Orchester
suite ,,Das Meer", aber seine Inspiration gleicht kaum seiner erstaunlichen technischen
Fertigkeit. Waldo Warner (geb. 1876), auch ein Bratschenspieler, hat gute Quartette ge
schrieben, und Herbert Ho wells (geb. 1892) erweckt Hoffnungen als Komponist von
Kammermusik.
67*
|Q54 Modeme: Englander
Arnold Bax (geb. 1883) war em Schiller Frederick Corders. Er ist wahrscheinlich der von
Natur aus am meisten begabte der englischen Komponisten, aber sein reicher UberfluB ist
oft eine Quelle der Schwachheit geworden. Er wird hauptsachlich von irischen Stoffen an-
gezogen. Seine Leistungen sind vielfaltig und umfassen Klaviermusik von verschiedener Quali-
tat. Da er alien Einflussen zuganglich ist, hat er erst neuerlich begonnen, seinen eigenen Stil
zu finden. Seine besten Werke sind ,,Der Garten von Fand" und ,,Novemberwalder", Ge~
dichte far Orchester, em Konzert und eine Sonate far Bratsche, in welchen die Grenzen des
Instruments ihn zu groBerer Knappheit gezwungen haben, als das sonst bei ihm der Fall ist;
ein gedankentiefes Quintett far Streichinstrumente und Harfe. Seine Musik ist romantisch
im Charakter, ruhig und empfindsam, seine Behandlung des Orchesters aufierordentlich ge-
schiclct. Cecil Armstrong Gibbs (geb. 1889), ein Schiller von Charles Wood, hat einige
interessante Quartette und mehrere Lieder von groBer Schonheit geschrieben, grofitenteils zu
Worten von Walter de la Mare.
Die allermodernsten Tendenzen sind vertreten durch Eugene Goossens, Arthur Bliss
und Lord Berners. Eugene Goossens (geb. 1893), von belgischer Abkunft, aber in Eng
land geboren und erzogen, ein Schiller von Stanford, ist besonders als Dirigent ausgezeichnet,
hat jedoch einige sehr gewandte Klavierstiicke und Kammermusik geschrieben, die durch die
moderne franzosische Richtung stark beeinfluBt sind ; auch ein symphonisches Gedicht ,,The
Eternal Rhythm** (,,Der ewige Rhythmus") und eine ,,Sinfonietta" von sehr anziehendem
Reiz und Geist. Arthur Bliss (geb. 1891), ebenfalls ein Schiller Stanfords, der abwechselnd
von Elgar und Stravinsky beeinflufit wurde, hat eine Anzahl seltsamer Experimente versucht :
Rhapsodien far Orchester mit Singstimmen ohne Worte; ,,Rout" far Kammerorch ester mit
Sopranstimme, die sinnlose Silben singt; ein Klavierkonzert mit Streichquartett, Schlagwerk
und Tenorstimme, die gleichfalls sinnlose Silben singt; etwas bemerkenswerter die Biihnen-
musik zu Shakespeares ,,Sturm" ; Lieder, von Klarinette allein begleitet, und schlieBlich eine
sogenannte ,,Farbensymphonie", auf deren Titel man keine besondere Riicksicht nehmen
muB. Bliss* Musik hat immer auBerordentliches Feuer und Energie; zugleich mit
seinen harmonischen Kiihnheiten hat er ein sehr starkes Talent far reine und aus-
drucksvolle Melodic. Sein Chorwerk ,,Pastoral" (1929) ist reich an lyrischer Erfindung.
Lord Berners (geb. 1883), ein Schiller Alfredo Casellas, widmet seine beachtenswerte Ge-
wandtheit und seinen Geist satyrischer oder komischer Musik. Bernhardvan Dieren (geb.
1885), ein in London lebender Hollander, hat sich in interessanten Experimenten im modernen
polyphonen Stil versucht, doch seine Musik scheint mehr das Produkt des Intellektes, als
wahrer Schaffenskraft zu sein. Zur selben Gruppe gehoren William Walton und
Constant Lambert, die jetzt einzigen Englander, welche den Jazzstil in der Kunst-
musik venvendet haben.
OPER. Die Oper arbeitet in England unter so groBen standigen Schwierigkeiten, dafi wenige
Komponisten versucht sind, dieselben zu iiberwinden. Bis 1914 war far einen englischen
Komponisten wenig Antrieb gegeben, Opern in seiner Muttersprache zu schreiben. In Eng
land hatte kein Opernhaus jemals irgendeine Subvention vom Hofe, vom Staate oder von einer
offentlichen Korperschaft empfangen. Wahrend des groBten Teiles des 19. Jahrhunderts war
in London eine jahrliche ,,Saison" far fremde Opern, zuerst hauptsachlich far die italienische,
dann, von ungefahr um 1 895, far italienische, deutsche und franzosische, wobei die Sanger fast
Moderne : Englander 1 055
bestandig Auslander waren. In den Provinzen gaben wenige reisende Gesellschaften zweit>
klassige Vorstellungen in englischer Sprache und mit sehr beschrankten Geldmitteln. Im Jahre
1880 war der hervorragende dramatische Komponist Arthur Sullivan (s. S. 919) allgemein
beliebt. Er hatte schon seine Zusammenarbeit mit W.S.Gilbert im Jahre 1875 durch ,,Trial
by Jury" (,,Untersuchung vor den Geschworenen") begonnen ; ,,The Sorcerer4* (,,Der Zauberer"),
1 877, begriindete zuerst beider Beliebtheit als gemeinsame Autoren von komischen Opern —
der Name Sullivans ist unzertrennlich von dem seines Librettisten. Dem ,,Zauberer" folgten :
,,Ihrer Majestat Schiff Pinafore" (1878), ,,Die Seerauber von Penzance" (1880), ,,Patience"
(1881), ,Jolantha" (1882), ,,Prinzessin Ida" (1884), ,,Der Mikado" (1885), ,,Ruddigore" (1887),
,,Die koniglichen Leibgardisten" (1888), ,,Die Gondoliere" (1889). Dann brach Sullivan mit
Gilbert und schrieb ,,Schlofi Haddon" im Jahre 1892 zu einem Libretto von Sydney Grundy.
Es folgte die Versohnung mit Gilbert und darauf erschien ,,Utopien, G. m. b. H." (1893)
und ,,Der GroBherzog" (1896). Dies war das letzte Libretto von Gilbert; Sullivan fand
andere Librettisten fur ,,Der Schonheitsstein" (1898), ,,Die Rose von Persien" (1899) und
,,Die griine Irlandinsel" (1900), welches Werk er bei seinem Tode unvollendet zuriickliefi.
Sullivan hatte seine Laufbahn als Kirchenkomponist begonnen. Er war ein Schiller von
Sterndale Bennett und vom Leipziger Konservatorium. Von Bennett lernte er seine Rein-
heit des Stiles; der EinfluB Mozarts und Schuberts erscheint Jmmerwahrend, sogar in seinen
komischen Opern; er nahm auch Einfliisse von Balfe und Wallace auf, obgleich dieOperetten
im absichtlichen Wetteifer mit Offenbach geschrieben wurden. In ihrer allgemeinen musi-
kalischen Richtung sind sie mehr mit den Werken Aubers und Lortzings zu vergleichen.
Die Zusammenarbeit von Gilbert und Sullivan ist eine Parallele zu*der von Goldoni und
Galuppiim 1 8. Jahrhundert. I hre Beliebtheit bleibt bis heute unvermindert. Er setzte einen
absolut englischen Stil der leichten Oper fest, auf welchem ihm folgten: Alfred Cellier
(1844—91), EdwardSolomon (1853—95) und Edward German (geb. 1862), welcher ,,Die
grime Insel" vollendete und auch viel wirksame Musik zu Shakespeares Stiicken schrieb.
In den letzten Jahren ist die Operetta in England sehr verfallen, indem sie langsam der
,,musikalischen Komodie" und der ,,Revue" den Platz raumen mufite.
Parry versuchte sich nie in der Oper, obgleich seine Musik zu griechischen Theaterstiicken
entschiedene Buhnenwirksamkeit hatte. Stanford hat, trotz vieler Mifierfolge, verschiedene
Opern geschrieben. Die zwei ersten wurden in Deutschland aufgefiihrt; ,,The veiled Prophet
(,,Der verschleierte Prophet") (Hannover 1881) und ,,Savonarola" (1884) hatten trotz vieler
interessanter Szenen wenig Erfolg. ,,Die Canterbury Pilger" (1884), welches Werk in Eng
land aufgefiihrt wurde, waren ein Versuch in der Absicht einer englischen ,,Meistersinger"-
Oper. Viel entscheidender national war ,,Shamus O'Brien" (1896) iiber ein irisches Thema,
voll von irischen Melodien. Die Oper hatte einen tatsachlichen Erfolg und wiirde spater
wieder aufgefiihrt worden sein, wenn sie nicht so viele politische Anspielungen enthalten
hatte. ,,Viel Larm um nichts" (1901) zeigt den EinfluB von Verdis ,,Falstaff" und verdiente
mehr Erfolg, als es hatte; ,,Der Kritiker" (1916) ist eine amiisante Vertonung von Sheridans
beriihmter Satire iiber die Biihne; ,,Der Reisegefahrte", Stanfords letzte Oper (1922; 1926
in Bristol aufgefiihrt), hat ein feines romantisches Gefiihl und ist auf der Biihne wirksam.
Mackenzies ,,Colomba" (1883), eine tragische Oper iiber ein korsisches Sujet, erweckte
Hoffnungen, die durch ihre Nachfolgerin ,,Der Troubadour" nicht erfullt wurden. Von der
1056 Moderne: Englander
Natur begabter fur das Theater war Arthur Goring Tho mas (1851 — 92), einer der wenigen
englischen Komponisten seiner Zeit, die hauptsachlich unter franzosischem EinfluB stehen.
,,Esmeralda" (1883), auf Victor Hugos ,,Notre Dame** gegriindet, und ,,Nadeschda" (1885)
haben groBen Reiz, doch ist ihr Stil mehr franzosisch als englisch. In einem leichteren, jedoch
mehr englischen Stil ist ,,Das goldene Gewebe", das erst nach des Komponisten friihem
Tode aufgefiihrt wurde. Sullivan machte einen Versuch zur groBen Oper in ,,Ivanhoe**
(1891), welches Werk mehr als hundertmal hintereinander aufgefiihrt wurde. Es sind viele
schone Stellen darin, es ist aber im grofien und ganzen zu pomphaft und konventionell, um
heutzutage eine Wiederauffiihrung ertragen zu konnen. Die giinstige Gelegenheit fur die Auf-
fiihrung neuer Opern in England war so gering, daB Ethel Smyth (geb. 1858), eine Schulerin
von Herzogenberg, sich nach Deutschland wandte, wo ihr ,,Fantasio" (Weimar 1898) und
,,Der Wald" (Dresden 1901) gegeben wurden. ,,The Wreckers", urspriinglich zu einem
franzosischen Libretto geschrieben, wurde in Leipzig Jm Jahre 1906 unter dem Titel ,,Strand-
recht" herausgebracht; es wurde 1909 in London aufgefiihrt. Es hat grofie dramatische Kraft
und malerische Orchestration. ,,The Boatswains's Mate" (,,Der gute Freund", London
1918) zeigt den EinfluB SuIIivans und des englischen Volksliedes. Das sehr geistreiche und
amiisante Libretto ist von der Komponistin selbst. Die Oper war sehr beliebt und ist eine
sichtliche Bereicherung der englischen dramatischen Musik. Josef Hoi brookes Opern ,,Die
Kinder von Don**, ,,DyIan" und ,,Bronwen" bilden eine Trilogie iiber walisische Legenden.
Der fur sie notige enorme Apparat hat ihre Auffuhrung zu einer sehr kostspieligen und
schweren Sache gemacht. Es kann bezweifelt werden, ob ein Versuch, das ,,Musikdrama"
Wagners und Richard 'Straufi* zu iiberbieten, der englischen Biihne angemessen ist. Einige
Jnteressante Opern sind von Nicholas Gatty (geb. 1874), einem Schiiler Stanfords, ge
schrieben worden. ,,Duke or Devil" (,,Herzog oder Teufel" 1909) zeigt eine sehr geschickte
Behandlung der Chore; ,,Der Sturm" (1920) ist eine gedankentiefe Vertonung von Shakespeare
und ,,Prinz Ferelon" (1921) ist ein einaktiges Marchenspiel oder „ extravaganza" von eigen-
tumhchem Reiz. Gattys Musik macht keinen Anspruch auf Modernitat, und er benutzt
ein kleines Orchester mit Riicksicht auf praktische Umstande, aber sein vollendeter Stil und
seine bewundernswerte Biihnensicherheit geben seinen Opern einen auffallend personlichen
Charakter. Zwei neuere Experimente von grofiem Interesse waren ,,Sawitri", eine Kammer-
oper von Hoist, und ,,Die lieblichen Berge", eine Art von Kirchenoper von Vaughan
Williams. Mit ,,Hugh the Drover" (1924), der Themata englischer Volkslieder verwendet,
schenkt Vaughan Williams seinen Landsleuten ein Volksstiick. Ein reizendes und sehr origi-
nelles Ballett ,,01d King Cole" auf altenglische Volkstanze und Tanzweisen basiert, welche
mit kiihnster Harmonik behandelt sind, wurde Juni 1923 in Cambridge gegeben. Hoists
,,At the Boars Head", eine Falstaff-Oper (1926), hatte wenig Erfolg. Eine andere Falstaff-
Oper von Vaughan Williams ,,Sir John in Love" (1929) ist eine wirklich dramatische und
im besten Smne echt englische Vertonung des von auslandischen Meistern so oft bearbeiteten
Stoffes.
Es ist schwer, sich einen allgemeinen Eindruck vom Charakter der englischen Musik zu
verschaffen. Auslandische Beobachter haben zuweilen behauptet, daB die englische Gewohnheit
der Selbstbeherrschung es den Englandern unmoglich machte, Musik zu komponieren ; wenn
dies aber der Fall ware, so wurde dieselbe sie ebenso verhindern, Gedichte zu schreiben. Die
Moderne: Englander 1057
englische Musik zeigt unzweifelhaft eine gewisse Verschwiegenheit und Zuriickhaltung des
Stiles sowohl, als ein iibertriebenes Absehen vor Virtuositat. Der EinfluB der puritanischen
Tradition ist bei den ernstesten Komponisten noch fuhlbar, sowohl in der Wahl ihrer Gegen-
stande als auch in deren Bebandlung. Man moge beriicksichtigen, da8 heutzutage die wirk-
lichen Fiihrer des englischen Musiklebens, Komponisten und Musikschriftsteller, Manner
von guter literarischer Bildung sind, welche die humanistischen Ideale der gebildeten Klassen
haben. Dies fordert die enge Verbindung von Musik und Literatur, nicht im Sinne von
Programmusik, sondern im engen Einklang von Dichtung und Lied. Nicht unwichtig ist die
Behauptung, dafi das Charakteristikum der englischen Musik ,,unsinnliche Heiterkeit" sei.
Die englischen Komponisten (obgleich die englischen Zuhorer durchaus nicht) haben wenig
Sympathie for die ungesunde Erotik in der Musik. Die Volksliedbewegung sagte alien
jenen zu, die eine Vorliebe fur Landleben und allgemein Menschliches haben. Die ultra-
moderne Gruppe konnte fast eine ,,aristokratische** Bewegung einleiten, da sie sich vorerst
an eine Heine Gefolgschaft hochkultivierter Leute wendet; sie ist intellektuell und gegen die
Sentimentalitat, ohne Riicksicht auf die Demokratie, jedoch auf jeden Fall ein wertvolles
Gegenmittel gegen die ,,biirgerliche" Vulgaritat. Die beiden Gruppen sind nicht War zu unter-
scheiden und in keinem Sinne einander feindlich. Das Problem, das sie alle auf verschiedene
Weise zu losen versuchen, ist der A.usgleich der modernen Musik mit der des 15. und
16. Jahrhunderts, welche sie fur die wahre Grundlage der englischen Schule halten, mittelst
der technischen Methoden des 20. Jahrhunderts.
Literatur
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Forty Years of Music 1865— 905. London 1908. — Stanford, Charles Villiers: Studies and Memories.
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Edward Dent
1058
Moderne: Franzosen
FRANZOSEN
Eine Reihe der Jm folgenden angefuhrten Personlichkeiten ist bereits in den vorangegangenen historischen
Darstellungen behandelt; hier werden sie in dem Zusammenhange mit der Modernen betrachtet und erhalten so eine
neue Beleuchtung, wie sie in der unserer franzosischen Zeitgenossen erscheinen. Bei manchen Komponisten ist
ausdrucklich auf die fruhere Erorterung hingewiesen. (Anmerkung des Herausgebers.)
Berlioz steht an der Spitze der Bewegung, die seit einem Jahrhundert die franzosische
Musik unaufhaltsam zu neuen Formen aneifert. Er hat da eine ahnliche Rolle gespielt, wie
Eugene Delacroix in der bildenden Kunst. Beide haben die allzu strengen klassischen Formen
gesprengt und der Kunst die freie Bewegung gewonnen. Mehr oder weniger gehen, beabsichtigt
oder unbewufit, alle Neuerer auf ilin zuriick, und auch Debussy, der Berlioz' Musik hafite,
weist seltsame Analogien mit diesem groBen Musiker auf. Intuitiv veranlagt, erfinden beide,
fast unbewufit, neue Formen und erschliefien dem Reich der Tone bisher ungekannte Welten,
weit mehr von ihrem Instinkt geleitet, als von der Vernunft. Darin unterscheiden sich haupt-
sachlich diese schaffenden franzosischen Kiinstler von den allezeit mehr aus bewufitem Wollen
schopfenden deutschen Meistern. Auch in Frankreich begegnet man Meistern, die in ihren
Werken eine Synthese vollziehen der Errungenschaften ihrer Vorganger und ihrer Zeitgenossen,
man konnte unter ihnen einen Cesar Franck, einen Saint-Saens, einen Gabriel Faure, einen
d'Indy, sogar einen Ravel anfuhren. Aber wie sonderbar, dafi die beiden grofiten modernen
franzosischen Musiker, Berlioz und Debussy, ganz anders vorgingen; sie erscheinen uns
gleichsam als Phanomene, die man keineswegs durch die Verhaltnisse, aus und in denen sie
sich kunstlerisch mitteilten, erfassen kann.
Berlioz schreibt mit 26 Jahren, 1829, schon 2 Jahre nach Beethovens Tode, die ,,Symphonie
fantastique", sucht mit blinder, instinktiver Gewalt die Normen der Symphonic zu sprengen
und mochte ein Beispiel einer symphonischen Dichtung geben, gleichzeitig die ganze Orche-
strationskunst umwandelnd. Spater hat Liszt sich fur dieses Werk begeistert und Berlioz* Idee
in ein System gebracht, was Berlioz selbst nicht getroffen hatte. Er begniigt sich damit, neue
Ideen auszustreuen, ohne sich um deren Verarbeitung zu kummern. Doch nichts geht davon
verloren: Liszt, Saint-Saens, Gounod, Bizet, Richard StrauB, Rimsky-Korsakow ziehen
Nutzen daraus.
DIE SCHULE VON O£SAR FRANCK. Neben dem durch Berlioz entstandenen neuen
Zuge, auf den wir noch zuruckkommen werden, darf man nicht die starke konservative Tra
dition iibersehen, welche gewissermaBen ein Gegengewicht zu den Kiihnheiterj der Vorkampfer
bildet und sich doch hier und da harmonisch mit ihnen einigt. Das Oberhaupt dieser Richtung
ist der Wallone Cesar Franck (1822—1890), der in Liittich geboren wurde, aber fast sein
ganzes Leben in Paris verbrachte. Cesar Franck spielt in Frankreich eine ahnliche Rolle wie
etwa Brahms in Deutschland. Er hat die Kompositionsart der grofien Klassiker systematisch
benutzt, ubernahm dabei das von Liszt (und vor ihm von Schubert) in der symphonischen
und Klaviermusik vertretene Prinzip der thematischen Einheit und schopfte aus der Wagner-
schen Chromatik neue Modulationen. Er schrieb Werke von bemerkenswerter Klarheit, deren
Plan streng logisch ist, ohne stereotyp zu werden. Aber noch bewundernswerter als die Form
ist bei Cesar Franck die Vornehmheit und Reinheit des Gefiihles. Wahrlich, er hatte eine
Moderne: Franzosen 1059
engelgleiche Seele, und in den ,,Beatitudes" und besonders in den ,,Drei Orgelchoralen**, die
er auf seinem Sterbebette vollendete, gibt es Stellen von einer Tiefe und Schonheit, derzufolge
man wohl berechtigt ist, den Autor den GroBen anzureihen.
Cesar Franck unterrichtete mit Freude, und eine Menge junger Musiker, die ihr Studium
ernsthaft betreiben wollten und von dem banalen Opernstil angewidert waren, stromte ihm zu.
Der erste seiner Junger war Henri Duparc (geboren 1848), den in der Bliite der Jahre
eine grausame Nervenkrankheit zum Schweigen verurteilte. Seine Liedersammlung, die sich
mit Recht der Beliebtheit erfreut, enthalt unbestreitbare Meisterziige. Es sind absolute Kunst-
werke: ein reiches, tiefes Empfinden spricht sich darin in ebenmafiiger Form aus. Man weiB
nicht, was man mehr bewundern soil : die klare, einfache und riihrende Linie der Melodik oder
die feine Harmonie, in der sich stellenweise schon die impressionistische Schule ankiindigt.
Ernest Chausson (1855 — 1899), eine traumerische Dichternatur. Von Franck und Wag
ner, von denen er ausgegangen war, suchte er sich allmahlich zu emanzipieren und verwendete
freiere Formen, als ein unerwarteterTod ihn ereilte. Mehrere seiner Lieder sind formvollendet,
und in seinem Klavierquartett und seinem Konzert fiir 6 Instrumente gibt es Stellen, die ihn
zu einem hervorragenden Musiker stempeln. Wahrend seiner letzten Lebenszeit tastete er sich ,
miihsam an ein Ideal heran, demjenigen recht naheliegend, das Claude Debussy auf den ersten
Griff von einer ganz anderen Richtung aus erreichte.
Vincent d'Indy, geboren in Paris am 27. Marz 1851, bietet den grofiten Kontrast zu
Chausson. Mit Eigenwillen, Energie und Sicherheit Jm Verfolg des einzuschlagenden Weges,
wie sie seinem Mitschiiler mangelten, macht Vincent d'Indy in seiner musikalischen Laufbahn
den Eindruck einer Personlichkeit, die sich von Anfang an ihrer Bestimmung bewufit ist. Als er
das Conservatoire in Paris glanzend bestanden hatte, wurde er durch Duparc mit Cesar Franck
bekannt. Unter der Leitung dieses Meisters erneute er seine Studien und-blieb sein treuester
Anhanger. Er war sehr produktiv: 4 grofie lyrische Dramen: Le Chant de la Cloche, Fer-
vaal, 1'Etranger, La Legende de St. Christophe ; 3 Symphonien, ferner symphonische Dichtungen,
Kammermusik, Klavierwerke usw. Vincent d'Indy ist einer der volkstumlichsten Namen der
franzosischen Schule. Er ist Meister im Aufbau, in die zartesten Geheimnisse der klanglichen
Architektur eingeweiht. Seine Arbeit ist logisch, geordnet, in der Zeichnung wie ein Garten
nach franzosischem Geschmack. Klarheit geht ihm iiber alles. Seine Werke sind in Licht ge-
badet. Trotz seiner tief religiosen Natur schrieb Vincent d'Indy wenig far die Kirche; doch
sind seine dramatischen Kompositionen von reinster christlicher Mystik getrankt. Es ist, als
wollte er in seinen Werken den Schopfer preisen, denn wenige franzosische Musiker haben
solche Naturliebe wie er. In lyrischen Naturschilderungen zeichnet er sich besonders aus: in
,,Fervaar zeigt er uns den in Nebel getauchten Druidenwald, in ,,1'Etranger" erweckt er die
Vision vom Aufleuchten des Smaragdscheines in den Furchen der Meereswogen. Vincent
d'Indy griindete 1896 mit Charles Bordes die ,,Schola Can to rum", in der er zahlreiche Mu~
siker in der Kompositionslehre unterrichtete. Er iibte seinen Einflufi auf Kiinstler hohen
Ranges aus, besonders auf Alberic Magnard, der mehrere Jahre unter seiner Leitung arbeitete.
Alberic Magnard (1865—1914) gehort zu den sonderbarsten Erscheinungen in der fran
zosischen Musik. Er lebte zuriickgezogen und unabhangig, liefi seine Werke auf eigene Kosten
drucken und verkaufte sie nur auf spezielles Verlangen. Er bezwang das Ungestlim, die Heftig-
keit seines Temperamentes und unterordnete sich den strengen Gesetzen der klassischen Kom-
1060 Modeme: Franzosen
positionslehre. Neben Langen, die oft langweilig wirken, f indet man in seinen Werken Stellen
von einer Schonheit, einem edeln Stolze, fast eines Beethoven wiirdig, besonders im Trio, im
Quintett fur Blasinstrumente, in der Violinsonate. Seine Oper ,,Berenice" ist ein ergreifendes
Werk; leider ist die Orchestration schwerfallig und ungeschickt.
An die Schule von Franck und d'Indy schlieBen sich: Deo da t de Severac (1873 — 1921),
ein ausgezeichneter provenzalischer Musiker voll Begeisterung und Poesie, dessen Klavier-
werke unter denen der franzosischen Moderne in Konzertproduktionen die meistgespielten
sind; GuyRopartz, der zahlreiche symphonische Werke und ein prachtvolles Trio verfaBte;
Witkowski, ein tiichtiger und origineller Musiker, dessen kiihner Kontrapunkt ofter dem
Stile Honeggers als dem Francks naher steht: von ihm Jst das ,,Poeme de la Maison", ein
grofies weltliches Oratorium von unleugbarer Grofie; Pierre de Breville, dessen ,,Melodies"
und die ,, Violinsonate" verdienten Erfolg ernteten; Mariotte, Jean Cras, dessen Oper
,,Polypheme" von Talent und lyrischer Kraft Zeugnis gibt; Paul Le Flem, dessen eigen-
artiges lyrisches Drama ,,Aucassin et Nicolette" seinen musikalischen Feinsinn und seinen
melodischen Einfallsreichtum bezeugt; Samazeuilh und auch noch andere, durchweg
tuchtige Musiker.
Andererseits schlieBt sich an Cesar Francks Schule Gabriel Pi erne, der sein Schiller in
der Orgelklasse am Conservatoire war. Dieser ebenso zartbesaitete, wie geistreiche Musiker
hat ein Oratorium ,,La Croisade des Enfants" geschrieben, in seiner Art ein Meisterstiick; und
ein sehr schones Klaviertrio. AuBerdem komponierte er zahlreiche symphonische Werke,
Kammermusik, Lieder usw.
Ein anderer Schiller Francks, Charles Bordes, hinterlieB entziickende, taufrische Melo-
dien und eine Orchestersuite iiber baskische volkstiimliche Themen. Er war ein bedeutender
Musiker und sein Name bleibt unloslich mit der franzosischen Renaissance auf musikgeschicht-
lichem Gebiete verbunden. Als Griinder der ,,Chanteurs de Saint-Gervais" liefi er die Haupt-
werke der Komponisten der franzosischen Renaissance auffiihren, wodurch er kraftig dazu bei-
trug, das Interesse des Publikums fur die Musik der Vergangenheit wiederzubeleben.
Diese Gruppe symphonischer Komponisten hat sich in Anlehnung an die debussystische
Bewegung weiter entwickelt. Sie hat ihren Einflufi auf unabhangige Kiinstler, wie Albert Rous-
sel, geiibt, und gerade auf ihn berufen sich die jungen Musiker, die vorgeben, gegen den musi
kalischen Impressionismus zu reagieren, wie Arthur Honegger, Darius Milhaud usw. Im histo-
rischen Sinne diirfte ihre Rolle darin bestanden haben, die von den Kiinstlern der Schule
Faure und Debussy verlassene Praxis des kontrapunktischen Stiles (die junge Schule hat ihn
jetzt wieder aufgenommen) zu erhalten, die Pflege der Formen und der soliden Architektur
fortzufiihren und dem grofien Publikum die Liebe zur symphonischen Musik einzupflanzen.
DRAMATISCHE MUSIK. Parallel zu der durch C. Franck eingeschlagenen Richtung kann
eine andere beobachtet werden, die, von Berlioz ausgehend, iiber Gounod sich an Bizet,
Edouard Lalo, Chabrier und Saint-Saens anschliefit. Die orchestrale Farbung, die Melodie, die
ausdrucksvolle, schillernde Harmonisierung sind wesentliche Kennzeichen dieser echt fran
zosischen Musik. Frei von allem Religiosen und Geheimnisvollen, ganz Lebensfreude, Licht,
Schonheit. Georges Bizet (s. S. 899) gibt uns in seiner ,,Arlesienne" und in ,,Carmen"
ein wunderbares Beispiel fur die ,,MitteImeermusik", wie Nietzsche sie nennt. Es ist das ver-
Moderne: Franzosen 1061
korperte Leben. Keiner wufite wie er die Wonne des Sonnenlandes zu weaken und das Leben
der Massen im leuchtenden StraBenstaube zu schildern. Bizet ist ein wahrer volkstiimlicher
Musiker, und ,,Carmen" bleibt das Kunstwerk typisch franzosischer Art, das mit Monsignys
,,Le Deserteur" und Gretrys ,,Richard Coeur de Lion** begonnen hatte. Edouard Lalo (1823
bis 1892) verdankt das wunderbare, in der Koloristik blendende Orchester der Kunst von
Berlioz, wahrend der feingebildete, seltene Sinn fur Harmonie sein Ureigenstes ist. Lalo, als
Komponist von ,,Le Roi d'Ys" und ,,Fiesque44, war von diesem Gesichtspunkt aus ein
wahrer Vorbote. Die Partitur des Ballettes ,,Namouna" mit ihren auserlesenen harmonischen
und orchestralenEJnf alien iibte den starksten EinfluB auf die Entwicklung von Debussy, Dukas,
ja sogar von Vincent d'Indy. Erwar einer der ersten dieser Generation, der, urn mitGoncourt
zusprechen, die ,,artistische" Schreibweise (style artiste) anwendete, indem er seinen Stil feilte
und sich bestrebte, auch aus der geringsten Auf einanderf olge von Akkorden , der leisesten Andeu-
tung einer Begleitung dem Ohr eine Freude und dem Geiste eine Uberraschung zu bereiten.
Leo Delibes (1836 — 1891) folgte in seinen entziickenden Balletten und komischen Opern
denselben Leitlinien, welche auch die von Chabrier und Faure waren, aber bei diesen letzteren
haben die stilistischen Einfalle immer etwas Spontaneres und minder Gekiinsteltes. Man merkt
bei ihnen weniger die Anstrengung. Diese sorgfaltige Beobachtung des Stiles, die zu dieser
Zeit bei den Literaten so eingreifend auftritt, macht sich bei Saint - Saens stark bemerkbar.
Ja, er stellt sie sogar iiber alles andere. Was liegt Jhm am Inhalt! Die Form allein ist das
Bestimmende. Er erreichte einen wunderbar abgeklarten Stil. Doch vermifit man bisweilen
Gemiitsregung. Seine klare, prazise, korrekte, kraftige Ausdrucksweise erinnert an die
von Rameau und Voltaire, sein Klangaufbau bezeugt die sichere Geschmacksrichtung und
eine ihm innewohnende Eleganz. Dieser gelehrte Musiker, der sich der musikalischen Welt-
kultur assimilierte, war nie pedantisch, und sein EinfluB -auf die folgende Generation war grofier,
als man es zu glauben versucht ware. Der Historiker wird eines Tages die Linie erkennen, die
von Saint-Saens iiber Gabriel Faure zu Maurice Ravel fiihrt. Mit der gleichen Meisterschaft
versuchte er sich in alien Gattungen, und das Trio in F-Dur (1865), die C-Moll-Symphonie,
,,Phaeton", ,,Samson et Dalila" sind, jedes in seiner Art, vollendete Kunstwerke,
DIE SCHULE DES THEATRE LYRIQUE. Gounod, Bizet und Saint-Saens iibten machtig
ihren EinfluB auf die franzosische Schule des lyrischen Dramas aus. Es ist zu bemerken, daB
die bedeutendsten Werke, welche nach ihnen fiir das Theater geschrieben wurden, von Mu~
sikern wie Debussy oder Dukas stammen, deren eigentliches Fach nicht die dramatische Musik
war. Die Nachwelt wird wohl nicht lange den Namen Ernest Reyer bewahren, der etwas
derb seine Opern mittels ziemlich aus alien Winkeln zusammengeklaubter Stoffe verfertigte.
In ,,Sigurd", in ,,Salammbo" erkennt man die entgegengesetztesten Einfliisse : Meyerbeer, Wag
ner, Gounod, Verdi. Jules E.F.Massenet (1842 — 1912) war trotz seiner ernsten Fehler ein
Rassemusiker, der ohne Anstrengung geschmeidige, sinnberauschende und einschmeichelnde
Melodien schuf , die seinen Stempel tragen. Man f indet seinen Einflufi bei den meisten Biihnen-
komponisten von heute, in Frankreich, in Italien und anderswo . . . ,,Manon" (1884), ,,Werther '
(1893) sind in ihrer Art vollkommen gelungene Werke und wenngleich oft das Geftihl, das sie
bewegt, der Vornehmheit entbehrt, wenngleich der melodische Strom uberaus leicht ist, die Sucht
nach Eff ekt allzu deutlich und das Orchester den Glanz entbehrt — so darf diesem Musiker nicht
1052 Moderne: Franzosen
der dramatische Sinn abgesprochen werden, die wahrhafte Befahigung, eine Szene zu kom-
ponieren und eine Macht hinzureifien, die mehr sinnlich als intellektuell ist, die aber auf die
Menge unwiderstehlich wirkt. Alfred Bruneau, geboren 1857, arbeitete einige Jahre mit
Massenet, dem er sich anschlofi, obwohl seine Kunst oft zur entgegengesetzten Richtung neigt.
Seine Eigenbegabung offenbarte sich 1891 in einem Kunstwerk ,,Le Reve", liber ein Libretto
von Gallet nach E. Zola. Die Kiihnheit des harmonischen Gefiihles, die wertvollen Melodien
und Eingebungen berechtigten zum Glauben, ein grofier Biihnenkomponist sei erstanden ; leider
entsprachen seine spateren Produktionen nicht diesen Hoffnungen. In ,,Messidor" sowie in
,,1'Attaque du moulin" finden sich riihrende und auch machtige Stellen mit grofiziigiger, volks-
tumlicher Inspiration; leider auch viel Schwache, atemlose und mittelmafiige Lyrik und, be-
sonders in diesen letzteren Kompositionen, eine grofie Diirftigkeit in orchestraler Behandlung.
Gustave Charpentier (geb. 1860) kommt unmittelbar von Massenet und Bruneau. Dieser
begabte Eklektiker hat sehr wenig geschaffen. ,,Louise" hat 1900 in Frankreich sowie auf der
ganzen Welt Triumphe gefeiert, weniger wegen des musikalischen Wertes der Partitur, als viel-
mehr dank dem trivial riihrseligen Libretto (vom Komponisten selbst gedichtet), das so recht
danach angetan ist, die Menge zu gewinnen. Charpentier hat Sinn fiir das Orchester und Ver-
standnis fur Biihneneffekte. Schade, dafi er diese Qualitaten vergeudete, indem er sie in den
Dienst eines Boheme-Idoles von widriger Niedrigkeit stellte. Gar keinenErfolg hatte 1913 die
Oper ,,Julien", eine Fortsetzung von ,,Louise", in welche Charpentier mit gewohnter Lassig-
keit betrachtliche Fragmente einer Jugendkantate, ,,La Vie du Poete", eingeschoben hatte.
Den Einflufi Massenets mehr oder weniger in {Combination mit dem von Saint-Saens findet
man wiederbeiXavierLeroux,ReynaldoHahn, Henri Fevrier, Max d'Ollone, Samuel
Rousseau, Laparra, Camille Erlanger. Die Musik von Georges Hue, Verfasser des
,,Miracle", ist wohl armlich, aber vornehm in der Intention. Der Zauber der debussystischen
Kunst ist nicht spurlos an ihm voriibergegangen. Seine Orchestration ist von strahlender Klarheit.
Von Henri Rabaud, Gabriel Dupont und Alfred Bachelet sollte in logischer Folge erst
nach Faure und Debussy gesprochen werden, von denen sie mehr oder weniger beeinflufit waren.
Aber wir wollen mit der Theaterschule abschliefien. Henri Rabaud, gegenwartig Direktor
des Conservatoire de Paris, ist ein Eklektiker, aber ein aristokratisch vornehmer Musiker. Sein
etwas akademischer Stil ist von bemerkenswerter Lauterkeit. In mehreren wertvollen sym-
phonischen Werken zeigt er sich geschickt im Orchestrieren. Aber seine eigentliche Begabung
zeigt er als Buhnenkomponist in seinem ,,Marouf", worm er die Tradition der spezifisch fran-
zosisch-musikalischen Komik, des Geistreichen und Raffinierten der Kunst von Auber und
Herold wieder aufiiimmt. Diese reizende, sonnige Partitur hatte das Gliick, von alien gut auf-
genommen zu werden. Alfred Bachelet hat fast nur furs Theater geschrieben. Er ist unter
den jetzt lebenden franzosischen Musikern zweifellos der dramatisch begabteste. Aus seinen
Partituren ,,Scemo", ,,Quand la Cloche sonnera" spricht eine unwiderstehliche Macht, die
packt und mitreifit, ohne dem Geist Zeit zu lassen, liber die angewandten Mittel nachzudenken.
Der Stil ist (besonders in den dramatischen Szenen) recht personlich. Gabriel Dupont,
der friihzeitig starb, hinterlieB 3 Opern : „ La Cabrera", „ La Glu" und,,Antar". Anfangs von
dem italienischen Verismus stark beeinflufit, machte er sich allmahlich davon los und schrieb
,,Antar", ein wirklich eingangiges Werk von unleugbarer Meisterschaft, das erst nach seinem
Tode aufgefuhrt wurde. Die reich quellende Melodic ist nie gewohnlich, die orchestrale
Moderne: Franzosen 1063
Farbungoftblendend. SylvioLazzariistein aufrichtiger, gewissenhafter Kiinstler, der seine
Kunsttechnik vortreffiich versteht. Man findet an seinen, in der Form oft vollkommenen
Werken nichts Tadelnswertes, es sei denn ein Mangel an Leben und dramatischer Kraft,
durch den sie trotz der unleugbaren Qualitaten ihre Anziehung einbiifien. Bevor wir uns von
den Theatermusikern wenden, miissen wir doch die Namen von Operettenkomponisten mit
reizenden Eigenschaften wenigstens anfiihren, wie Andre Messager, Claude Terrasse,
wiirdige Nachfolger eines Lecocq. Diese Musiker haben nicht Offenbachs unwiderstehliche
Heiterkeit, immerhin ist ihr Geist verfeinert und Jhre Partituren sind voll zarter Gesinnung.
DIE VORLAUFER DES IMPRESSIONISMS : Faure, Chabrier, Satie. Gabriel Faure, in
Pamiers (Ariege) am 13. Mai 1 845 geboren, gest. 1 924, studierte in Paris in der von Niedermeyer
gegriindeten Ecole de Musique Religieuse. Zu einer Zeit, da die klassische Musik vernachlassigt
wurde, bildete er sich an den Werken J. S. Bachs und an den Meistern der Polyphonie der
Renaissance. Saint-Saens, damals ein junger Lehrer an dieser Schule, war ihm ein wertvoller
Fiihrer, mit dem er sich in die Musik der Vergangenheit und der Gegenwart einlebte. Faure,
im Dienste der klassischen Formen erzogen, fafite diese nie als unantastbare Gebilde auf und
pafite sie miihelos den Bediirfnissen seines Empfindungslebens an, indem er sie mit der Grazie
seines originellen und personlichen Stils zu erneuern suchte. Wahrend mehr als eines halben
Jahrhunderts, von 1865 bis zur Jetztzeit, schuf er ununterbrochen Werke, die in der Gesamt-
heit fur Frankreich einen Schatz ergeben, etwa vergleichbar den Werken Schumanns fur
Deutschland. Er studierte alle Gebiete, widmete sich aber besonders dem Lied und der
Kammermusik. Die 2 Violinsonaten, die 2 Quartette und das wunderbare zweite Quintett(I921),
die zahlreichen Melodiensammlungen und erst vor kurzem (1922) ,,rHorizon Chimerique"
bezeugen die Fruchtbarkeit eines Talentes, das bis zu seinem Tode seine verfuhrende Jugend-
kraft bewahrte. Die feine Originalitat seiner Kunst tritt schon in seinen ersten Kompo-
sitionen (,,Le Secret" oder ,,Le Clair de Lune", 1887) zutage. Man findet darin jenen wunder-
baren Einklang zwischen Melodie und Harmonie, der Faure eigen ist, wobei man iiberdies
gleich anfangs den Ausgangspunkt in gewissen gelungenen Liedern von Gounod (z. B. ,,Venise")
bemerken kann. In bezug auf ,,Le Secret" schreibt Ravel: ,,Der Zauber der melodischen
Linien weicht nicht vor der Zartheit der Harmonien zuriick. AuBergewohnliche Wendungen,
Zweideutigkeiten, Modulationen mit entfernten Tonarten, die auf unbekannten Pfaden zum
Hauptton zuriickfiihren — lauter gefahrliche Spiele, die Faure von Anfang an als Meister
beherrscht." All diese Kiinste sind nie gesuchte Kunstgriffe; sie entsprechen einern tiefen
Bediirfnis seiner Natur und seiner Eingebung. Die ganze Musik Faures ist voll aufrichtiger
Empfindung, unendlichen Zartsinnes. Seine Lyrik bleibt immer aristokratisch zuriickhaltend,
er bricht nicht in Tranen, in Geschrei aus, er beobachtet Ma6 und Diskretion, und vielleicht
war seine Zuriickhaltung der Grund, warum er auBerhalb Frankreichs nicht allerorten recht
verstanden wurde. Faures Kunst Jst wie die von Debussy grundfranzosisch und in der Ver
gangenheit mit der Art des Racine verwandt. Besonders auffallend erscheint dies in den Kla-
vierstiicken, die so sehr dazu beitrugen, die franzosische harmonische Empfindsamkeit auf-
zufrischen ; in ihnen zeigt sich eine entschiedene Wendung zur pianistischen Schreibweise von
Ravel und Debussy. Faure schrieb sehr wenig for Orchester, aber die 2 Suiten ,,Shylock"
(1889), ,,Pelleas et Melisande" (1898), sowie die Fantasie fur Klavier und Orchester sprechen
1064 Moderne: Franzosen
far seinen feinen mstrumentalen Sinn. Doch besteht der Wert dieser Werke mehr in der
Schonheit der melodischen Linien, in dem Zauber der Harmonien und der Mannigfaltigkeit
der Rhythmen, als in der orchestralen Behandlung. Wunderbar ist Faures Kunst der Stimm-
fahrung: in der ,,Messe de Requiem", welche den Stempel seines pantheistischen Gefiihles
tragt, erweist sich seine Meisterschaft in der Handhabung der Chormassen; nicht minder in
,,Caligula'\ ,,Promethee" und ,,Penelope". Die Btihnenmusik zu ,,Promethee'4 enthalt Stellen
von Kraft und Grofie, wie man sie nicht von einem Komponisten so zahlreicher Werke er-
wartet hatte, in denen die Kraft gern vor der Anmut zuriickweicht. Das lyrische Drama
,,PeneIope" ist eines der franzosischen Hauptwerke des Theaters von heute. Die attische
Schonheit der melodischen Linie, die Vollkraft der Rhythrnen und besonders der Emdruck
strahlender Lauterkeit, die davon ausgehen, stempeln diese Oper unstreitbar zu einem wahren
Kunstwerk. Faure war ein rechter Vorlaufer der impressionistischen Schule. In seinem Re
quiem, in seinen Melodien und Klavierstiicken, die er um I860 — 1885 komponierte, findet
man Stellen, in denen sich eine ganz neue harmonische Empfindung offenbart. Er bahnte ge-
wissermafien mit Edouard Lalo und Chabrier den Weg fur Debussy; vor allem aber war er das
Haupt der Schule, deren Einflufi sich auf die Kiinstler der folgenden Generation bemerkbar
macht. Aus seiner Klasse am Conservatoire kamen Ravel, Florent Schmitt, Ladmirault, Ro-
ger-Ducasse, Louis Aubert, Charles Koechlin, Georges Enesco.
Auch Chabrier (1842 — 1894) besaB, wie Edouard Lalo, eine angeborene Begabung far
Orchestrierung und einen seltsamen, raffinierten Sinn fur Harmonisierung. Er hielt sich nicht
an die eiserne Zucht, die Saint-Saens als Lehrer angestrebt hatte; er liebte das Leben und
wollte es zum Ausdruck bringen. Dieser untersetzte Mann, derb im Benehmen, larmend, an-
scheinend t,boheme", hatte eine aufierst empfindsame, edle Seele. Und dieser Kontrast er-
scheint in all seinen Kompositionen. So stehen bisweilen pobelhafte Themen neben engelhaft
lieblichen Motiven und orchestrale Brutalitaten neben wahrhaft genialen harmonischen, klang-
lichen und rhythmischen Ideen. Schade, dafi seine leidenschaftliche Bewunderung fur Wagner
ihn von seiner eigentlichen Fahrte ablenkte. „ Gwendoline" (1886) ist trotz schoner Stellen
kern Meisterwerk. Sein Bestes gab Chabrier in seinen Orchesterstiicken, seinen Melodien und
in seinen ,,Pieces pittoresques" fur Klavier. An ihn schliefit sich ein eigenartiger Musiker : Erik
Satie (1866— 1925). Um einige Jahre alter als Debussy, hatte er Gedankenblitze. eine erstaun-
liche Erfindungsgabe und scharfe Einsicht in die Evolution der Kunst. Um das Jahr 1886, als
Chabrier sich eben nachBayreuth begab und sogar Debussy dem Zauber des ,,Parsifar unter-
lag, fand Satie, daB die Romantik im Untergehen begriffen, das Leitmotiv ein veraltetes System
sei und komponierte mit einem Gemisch von erstaunlichen harmonischen Neuerungen und
nicht minder erstaunlicher Unbeholfenheit die Biihnenmusik iiber ein Stuck von Peladan,
,,Le Fils des Etoiles", in dem er sich bemiihte, auf musikalischem Wege Seelenzustande und
sozusagen Klangornamente zu schaffen. Uber Lalo, Chabrier und Faure hinausgehend, war
er der erste, der die Wirkung der Zusammenstellungen von Tonen versuchte, die sich nach
den althergebrachten Gesetzen nicht erklaren lassen, die aber seither gefliigelte Worte in der
Musiksprache geworden sind. Debussys Ruhm warf ihn in den Schatten zuruck. Satie gab
die harmonischen Versuche auf, studierte unter d'Indys Leitung den Kontrapunkt und schrieb
reizende humoristische Stiicke in einem zerpfliickten, originellen Stil. In den letzten Jahren
liefi er ein eigenartiges, ungleichmafiiges Werfc, ,,Socrate", auffuhren, in welchem sich aber
Modeme: Franzosen 1065
wahrhaft geniale Stellen finden. Es sind Fragmente der Platon-Dialoge, die er mit Begleitung
eines kleinen Orchesters, aus mehr Bias- als Streichinstrumenten bestehend, vertonte. Satie
hat darin eine neuartige lyrische Deklamation mit seltsam archaistischer Steifheit erfunden,
wahrend die Begleitung mit ihren Jmmerwahrenden Wiederholungen den Eindruck jener ein-
fachen Farben erweckt, mit denen man in Griechenland den Unterschied der Friese und
Metopen deutlicher machte. Unvollkommen und originell hat er, wenngleich nicht
mittels seiner Musik, so doch durch seine Absichten, Einflufi auf die impressionistische
wie auf die junge Schule ausgeiibt, die sich bemiiht, gegen den Debussysmus zu reagieren.
CLAUDE DEBUSSY. Wahrend eines Vierteljahrhunderts beherrscht die Personlichkeit De-
bussys die Musikwelt in Frankreich und wohl auch anderwarts. Dieser aufierordentlich be~
gabte Musiker hat alles erneut: die symphonische Musik, das lyrische Drama, das Lied, die
Kammer- und KlaviermusiL Man kann ein anderes Ideal haben, als das seinige — aber die
aufiergewohnliche Originalitat dieses grofien Kiinstlers lafit sich nicht leugnen. In seiner An-
lage liegt, wie in der von Berlioz, etwas Ratselhaftes. Intuitiv vor allem, lafit er sich mehr vom
Instinkt als vom Verstande leiten und fordert herrliche Klangwirkungen zutage, ohne sich
jmmer iiber die dabei angewendeten technischen Mittel genaue Rechenschaft abzulegen.
Debussy wurde am 22. August 1862 in St. Germain en Laye bei Paris geboren. Er stammt
aus einer ganz musikfremden Familie. Sehr friih machte sich seine Begabung bemerkbar, und
mit 1 1 Jahren schickten ihn seine Eltern ans Konservatorium. Da erwarb er sich einige Preise
im Klavierspiel und Akkompagnement, und bekam fur seine Kantate ,,1'Enfant Prodigue" 1884
den Rompreis in der Kompositionsklasse Guiraud. In dem Schatten der Villa Medicis be-
gann er iiber seine Kunst nachzudenken und gab sich alle Miihe, die handwerksmafiige Routine,
die er sich angeeignet hatte, zu vergessen, um neue Wege mit neuen Normen einzuschlagen,
die seiner empfindsamen Natur entsprachen. In seinen ersten Kompositionen machten sich
die Einfliisse geltend, die Massenet, Wagner und etwas spater Moussorgsky, Lalo und Chabrier
auf ihn ausiibten. Als er seine Orchestersuite ,,Prmtemps'* aus Rom sandte, entstand wegen
seiner harmonischen Kiihnheiten ein wahrer Aufruhr im Institut.
Nach Paris zuriickgekehrt, machte er sich mit sicherem Instinkte die literarische Kultur,
die ihm gefehlt hatte, zu eigen. Die Symbolistengruppe zog ihn an, und er verkehrte im Hause
von Mallarme. Selbstverstandlich machten die Diskussionen iiber Symbolik, Impressionismus
in der Kunst einen tiefen Eindruck auf ihn. Aber viel weitblickender als Mallarme, der im
Wagnerkult steckenblieb, war sich Debussy, wie Erik Satie, klar dariiber, dafi der Musik
eine Umwalzung bevorstiinde, parallel derjenigen in Literatur und bildender Kunst: es gait,
die romantische Rhetorik zu verwerfen und Wege zu finden, um unmittelbar Eindriicke und
Gefiihle zu suggerieren. All diese innere Verarbeitung vollzog sich gleichsam dammernd, ohne
dafi sich Debussy dariiber vollig bewufit ward. Wahrend er seine bezaubernden ,,Ariettes
oubliees" nach Verlaine-Gedichten komponierte, rang sich langsam die Vertonung der ,,Cinq
poemes" von Baudelaire empor.
1892 liefi Debussy das ,,Prelude & 1'apres-midi d'un faune" auffiihren, eine von dem Hirten-
gedicht Mallarmes inspirierte symphonische Dichtung. In seiner Art war dieses Werk so neu-
artig und von solchen Folgen begleitet, wie etwa 1829 Berlioz' ,,Symphonie fantastique ,
nicht blofi durch die Erschliefiung einer bisher fremden Art des Aufbaues — es entstromte
1066 Moderne: Franzosen
auch dem harmonischen Stil, der Instrumentation, den Rhythmen, kurz allem ein unge-
kannter Duft.
Von da an folgte ein Kunstwerk dem andern: 1893 das wunderschone Quartett in so neuer
Schreibweise und dock vollendet in der Linienftihrung und Inspiration; 1894 die ,, Proses
lyriques' \deren eigenartigerText auch seiner Feder entstammt; 1898 die „ Chansons deBJlitis"
und fur Orchester die ,,Nocturnes", impressionist ische Gemalde, welche Empfindungen
erwecken, wie sie bisher die Musik wiederzugeben nicht vermocht hatte; 1902 fuhrte die
Opera comique ,,PelIeas et Melisande*' vor einem Auditorium auf, welches in der Absicht ge-
kommen war, sich zu unterhalten und das unaufhorlich kicherte und Glossen machte. Einige
Jahre spater hatte ,,Pelleas** einen fast volkstiimlichen Erfolg. Von der veralteten Oper und
dem lynschen Wagnerdrama, wie Franzosen es nachahmten, sich abwendend, kam Debussy
instinktiv auf die von Lully erweckte reine Tradition des franzosischen Musikdramas zuriick,
in dem der Gesang aus einer einfach notierten Deklamation besteht, wahrend das Orchester
um die Handlung eine Klangatmosphare webt. Mit einem Schlage gelang es Debussy, das
vollkommene Gleichgewicht zwischen Wort und Ton herzustellen. Mit Racinischer Zuriick-
haltung, gepaart mit einer geheimen und verhaltenen Kraft vermag er die schmerzlichsten
Empfindungen, die ein Menschenherz zu zerreifien imstande sind, in Tone zu bringen.
Trotz rrehrerer Versuche sollte Debussy kein lyrisches Drama mehr schreiben. Mit Aus-
nahme der (iibrigens sehr bedeutenden und einige seiner schonsten Inspirationen enthaltenden)
Biihnenmusik, die er fur das ,,Martyre de St. Sebastien" von d'Annunzio komponierte, und
eines Balletts ,Jeux" far die Truppe von Diaghilew schrieb Debussy nichts mehr f iirs Theater.
Er widmete sich dem Orchester und komponierte hintereinander ,,La Mer", ,,Rondes de
Printemps", ,,Iberia" und Kammermusik. Man konnte den zwei Praludienheften vorwerfen,
dafi sie minder spontane Werke enthalten, als seine ersten Sammlungen. Tatsachlich macht
sich darin eine gewisse Gesuchtheit in Stil und Schreibweise bemerkbar. Und doch, welch
tiefpoetischer Hauch umweht,,La Cathedrale engloutie", ,,Ce qu'a vu le vent d'ouest", ,,La
terrasse des audiences du clair de lune". Diese Kompositionen erachte ich fur wiirdig, den
vollkommensten und ergreifendsten Stiicken Chopins zur Seite gestellt zu werden, des Mei-
sters, den Debussy neben Mozart am meisten bewunderte.
Mehrere Jahre hindurch mit wahrem Heroismus gegen ein unheilbares Leiden kampfend,
das an ihm nagte, komponierte er Werke von iiberraschenderFrische, wie die Senate fur Flote,
Bratsche und Harfe und die Violin- und Violoncellsonaten. Er starb 1918 in Paris, das er
trotz des Bombardements nicht hatte verlassen wollen.
Debussy hat in der Kunst einen bemerkenswerten Umschwung vollzogen. Die geweihten
Formen durchbrechend, suchte er sie durch neue, wie mich deucht, nicht minder schone, zu
ersetzen, die sich besser dem Ausdruck der fluchtigen Empfindungen, der zarten Gemiits-
bewegungen anpafiten, die dieser Kiinstler so gern ins Musikalische iibersetzte. Er war der
unvergleichliche Maler des Geheimnisvollen, des Verschwiegenen, des Unwagbaren. Ihm ge
lang die Obertragung von Eindriicken, deren Mitteilung vor ihm wohl keiner so getroffen
hatte. Und wenn er Geschrei und Oberberedsamkeit hafit, wenn er seine Kraft auch nie ins
Fessellose schieBen Ia8t, so ist sie doch nicht minder echt, vergleichbar der ernes Racine, und
man muB in die franzosische Eigenart und Eigenbegabung tief eindringen, um zu begreifen,
daB ebensoviel Macht in ,,Phedre" wie in ,,Macbeth'* gelegen sein kann.
Moderne: Franzosen 1067
PaulDukas gehort derselben Generation an wie Debussy. Am 1. Oktober 1865 in Paris
geboren, studierte er am Conservatoire unter der intelligenten Leitung von Guiraud. Nach-
dem er 1888 den zweiten Rompreis bekommen hatte, liefi er 1892 in den Konzerten Lamoureux
eine Ouvertiire zu der Corneille-Tragodie ,,PoIyeucte" auffiihren, in welcher er die Todesangst
und den Triumph des Martyriums zum Ausdruck bringt. Man findet darin Spuren des Ein~
flusses Wagners, der damals die musikallsche Jugend Europas faszinierte. Dukas begriff die
Gefahr und wollte sick lieber den strengen Gesetzen der klassischen Formen unterwerfen.
1896 komponierte er seine Symphonic in C-Dur, dann seine groBziigige Senate in Es-Dur.
Zu dieser Zeit war er schon im Vollbesitze all seiner Mittel, wovon er 1897 den Beweis in
seinem glanzenden symphonischen Scherzo liber die Goethe-Ballade ,,Der Zauberlehrling"
lieferte. Hierauf widmete er sich 10 Jahre lang seinem lyrischen Drama ,,Ariane et Barbe
Bleue*4, das 1907 auf dem Theater der Opera comique autgefuhrt wurde. Dieses prachtige
Werk ist mit ,,Pelleas" das Meisterstiick der Theatermusik von heute. Dukas' Art ist von der
Debussys sehr verschieden. Es ist nicht mehr das vollkommene Gleichgewicht zwischen Wort
und Ton. Die Musik hat entschieden die Oberhand. Jeder Akt ist symphonisch aufgebaut
wie ein groBes Mozart-Finale. Dukas entwickelt im Verlaufe des Dramas die auBerordentlich
plastisch schonen melodischen Ideen nach dem Variationsverfahren, das er liebt und wovon er
auch in seinen ,,Variations, Interlude et Final" (1903) iiber ein Thema von Rameau (fur Kk-
vier) ein iiberzeugendes Beispiel gab. 1911 veroffentlichte Dukas die ,,Peri", eine Tanz-
dichtung, die ein Jahr darauf am Theatre du Chatelet aufgefuhrt wurde. Es ist kein Ballett,
sondern eine richtige symphonische Dichtung. Die Musik webt urn die mimische Handlung
eine Atmosphare wolliistiger Sehnsucht. Sehr ergreifend ist der SchluB, der die Verzweiflung
des Helden vor Nacht und Tod, die ihn umdrangen, ausdriickt. Aufier diesen grofien Werken
veroffentlichte Dukas wohl nur noch die reizende Villanelle fur Horn (1906) und ein sehr
schones Klavierstiick; ,,LaPlainte au loin du Faune" fur ,,Le Tombeau de Debussy". Seit mehre-
ren Jahren arbeitet er an einem groBen symphonischen Triptychon, von Shakespeares ,.Sturm"
inspiriert. Durch seine zunehmende Strenge in der Selbstkritik entschloB er sich nur sehr
schwer zur Veroffentlichung eines Werkes. Immer unzufrieden mit seiner Leistung, ver-
offentlicht er sie erst, sobald er die Oberzeugung gewonnen hat, daB er sie nicht welter
vervollkommnen kann. Er schreibt sehr viel, vernichtet aber fast alles, wie seinerzeit der Maler
Cezanne in den letzten Lebensjahren, von dem Wunsche nach hochster Vollkommenheit be-
seelt, in Verachtung seiner schonsten Schopfungen. Diese Gewissenhaftigkeit, diese kunstle-
rische Ehrlichkeit erheben Dukas zu einer der edelsten Gestalten der heutigen Kunst. Er hat
nie offizielle Ehrenbezeigungen oder die Gunst der Menge gesucht. Er lebt zuruckgezogen,
von der Liebe einiger treuen Freunde umgeben, meidet alle Geselligkeit und das offentliche
Kunstleben. Nie hat er denen, die sich urn Ratschlage oder Liebesdienste an ihn wandten,
die Hilfe verweigert. Man ahnt nicht, was ihm beispielsweise ein Albeniz schuldet, dessen
werdendes Talent er leitete. Grofi ist sein Einflufi auf die junge Schule gewesen, die aus
seinen Werken die seltensten Geheimnisse der Instrumentation lernte. Dukas besitzt im hoch-
sten Grade die Gabe der orchestralen Koloristik. Seine Musik ist blendend. Die zartesten
Nuancen, die seltensten Schattierungen wechseln mit den wuchtigsten und warmsten Tonen
Man kann diesem Farbenzauber nicht widerstehen. Aber Dukas ist nicht nur techmsch und
formal auf der Hohe, nicht nur ein Meister der instrumental Schreibweise, er ist em groBer
68 H.J.M.
1068
Mocierne: Franzosen
Kunstler, der in der Seele jenen wonnigen Taumel, jenes ganzliche Aufgehen in der Musik
hervorruft, an denen man die Macht des echten schopferischen Kiinstlers erkennt.
Maurice Ravel. Es ist schwer, iiber die Entwicklung von Ravels Talent zu sprechen, so
wenig veranderte er sich von seinem 20. bis nahezu zum 50. Lebensj'ahre : geistreich, fein, sich
seiner Gemiitsbewegungen schamend und bestrebt, seine tiefe Empfindsamkeit in ironischcs
Lacheln zu kleiden. Man konnte Ravel mit einer Gartenanlage im franzosischen Stil verglei-
chen, bei der die Natur dem menschlichen Willen unterjocht wurde, wo alles eingeordnet ist,
und selbst die lebhafteste Phantasie nie zur Extravaganz ausartet .und der Saft immer bereits
im Trieb gebandigt wurde. Ravel ist ein typisch franzosischer Musiker; er ist auf dem gleichen
Boden erwachsen wie Couperin und Rameau, und wie dieser letztere verbirgt er meisterhaft
die Kunst eben durch die Kunst selbst.
Am 1. Marz 1875 in Ciboure (Nieder-Pyrenaen) geboren, kam er als kleines Kind mit semen
Eltem nach Paris, wo er seine Studien ablegte. Seine Person lichkeit macht sich schon in den
ersten Versuchen geltend, besonders in der kostlichen ,,Habanera" (1895), die spater der
,,Rapsodie Espagnole" einverleibt wurde. 1897 beginnt er das Studium der Fuge und der
Komposition bei Gedalge und Gabriel Faure. Dem ersteren verdankte er eine unfehlbar sichere
Technik, letzterem wertvolle Ratschlage. So vermag er, wie Gabriel Faure, die Wahrung der
klassischen Formen mit der auflerordentlichsten Erfindungsfreiheit zu vereinen. 1898 liefi er
von der Societe Nationale seine ,,Sites Auriculaires" (fur zwei Klaviere vierhandig) auffiihren,
1899 die Ouverture zur Sheherazade (noch nicht herausgegeben) und die reizende ,,Pavane
pour une infante defunte", in der sich der Doppeleinflufi von Chabrier und Gabriel Faure be-
merkbar macht, Um diese Zeit schlofi er die Werke des Erik Satie ins Herz und fand darin
Anregungen und Ideen. Chabrier, Faure und Satie haben noch mehr als Debussy die Bildung
seiner Personlichkeit beeinflufit. 1901 erzielte Ravel den zweiten Rompreis mit der Kantate
>5Myrrha**, die er mit absichtlicher Ironie im Operettenstil hielt, was die Jury iibersah. Im
selben Jahre inaugurierte er einen neuartigen Klavierstil durch seine ,Jeux d'Eau", deren
launische Arabesken und blendende Laufe ein wahrer Ohrenschmaus sind. Man kann sagen,
dafi seit Liszt niemand einen so bedeutenden Beitrag zur Klaviertechnik geliefert hat.
1 904 erregte Ravel durch das FJDur-Quartett die Aufmerksamkeit des Publilcums. Klas-
sisch in der Form und dabei modern durch das harmonische Empfinden, die ihm entstromende
zarte Gemiitsbewegung und vor allem durch die Art, wie ein melodischer Gedanke aus dem
anderen entsteht, ohne den Eindruck miihseliger thematischer Arbeit zu erwecken — all das
stempelt das F-Dur-Quartett zu einem Meisterwerk. Noch einen anderen Erfolg errang Ravel
in demselben Jahre durch die 3Dichtungen f iir Gesang und Orchester, ,,Sheherazade", deren
Wirkung hinreifiend ist. 1905 rief der Beschlufi des Institutes, Ravel von der Bewerbung um
den Rompreis auszuschliefien, die Emporung der jungen Musiker und deren Anhanger hervor,
keineswegs aber die des Opfers, das unentwegt stets vollkommenere Werke weiterschuf : ,,La
Sonatine" und ,,Les miroirs" (1 906), ,,Gaspard de la Nuit" (1 908), endlich die seltsam neuartigen
,,Valses nobles et sent imen tales", eine Bereicherung der Klaviermusik um wahre Kunstwerke. In
den ,,Histoires Naturelles" (1907) verwendete er einen neuen, humoristischen Stil, in welchem
Ironie, Gefuhlswarme, Schalkhaftigkeit und Riihrung in iiberraschender Weise abwechselten
und ineinander verschmolzen. In der ,,Rapsodie espagnole" (1908) offenbart sich seine Be-
gabung fiir Koloristik. Da stellt er die Orchestrationskunst in den Dienst einer abwechselnd
Moderne: Franzosen 1069
an Heimweh, abwechselnd an Freude ruhrenden Inspiration. ,,Ma Mere 1'Oye" (1908), eine
Sammlung musikalischer Illustrationen von Feenmarchen, urspriinglich fur Klavier (vier-
handig) geschrieben, wurde 1 91 2 in Ballettform am Theatre des Arts gebracht. Inzwischen hatte
er in der Opera-Comique ,,L'heure Espagnole" auffiihren lassen. Mit dieser rief Ravel die alte
Form der Opera buffa parodiert ins Leben zuriick. Das Rezitativ folgt den leisesten Nuancen
der Sprache, indem es die grotesken Charaktere der Personen kennzeichnet, wahrend das Or-
chester in unwiderstehlich komischer Art die Absichten des Textes unterstreicht. Dieses Werk,
anfangs vom Publikum ziemlich mifiverstanden, feierte 1921 auf dem Theatre de la Monnaie
in Briissel und 1922 in der Opera de Paris Triumphe. Am 8. Marz 1912 fiihrte das russische
Ballett von S. de Diaghilew zum erstenmal ,,Daphnis et Chloe" (Choreographic von Fokine)
auf, das als Ravels Meisterwerk angesehen werden kann. Diejenigen, welche Ravel bis dahm
fiir einen Diminutivkiinstler gehalten hatten, der zierliche und niedliche Schmuckstiicke mit
peinlicher Sorgfalt ziseliert, mufiten zugeben, dafi diese Auffassung fur den Komponisten von
,,Daphnis" nicht paBte. Die Wucht der Rhythmen, die Schonheit der Melodien, die aus-
drucksvolle Kraft der Harmonien, der Glanz des Orchesters bekehrten die voreingenommensten
Geister. Von 1912 an war der Sieg vollstandig ermngen. Gegen 1912 freundete sich
Ravel mit Igor Stravinsky an, dessen , ,Petrouchka" und ,,Le Sacre du Printemps" die Musik-
welt eben aufier Rand und Band gebracht hatten. Er las auch mit Neugier Schonbergs ,,Pierrot
lunaire". Eigentlich beeinfluftten ihn diese Werke nicht, aber sie eroffneten ihm neue Aspekte.
Eine Spur dieser neuartigen Anregungen zeigt sich in seinen 3 ,,Dichtungen" von Mallarme
fur Gesang und kleines Orchester, wobei das Quartett, 2 Floten, 2 Klarinetten und das Klavier
je als Soloinstrumente behandelt sind. Die aufierordentlich raffinierte Schreibweise, die sorg-
faltige Beobachtung der Klangwirkung und des klanglichen Gleichgewichtes bezeugen^ein
Stravinsky und Schonberg analoges Trachten. Dieses Meisterwerk raffinierter Preziositat,
die iibrigens getreulich den Absichten Mallarmes entspricht, kontrastiert mit der Musik von
,,DaPhnis" und mit der ebenso machtigen wie prunkvollen Kunst des Trios. Es wurde nicht
zur Charakterisierung von Ravels Talent geniigen, sondern uns eine seiner originellsten Seiten
zeigen. Ravel war einer der ersten unter den Musikern der neuen Schule, der die Gefahren des
Impressionisms und des atherischen Gefiiges fiihlte, deren Bewaltigung einzig Debussys
Genie gelungen war. Das herrliche Trio, welches 1915 zum erstenmal aufgefiihrt wurde,
weist eine Riickkehr zu soliderem Bau und zu einfacberen Linien auf. Trotz der Kuhnheit in
der harmonischen Ausflihrung ist das Werk klassisch in der Form, aber dieser Klassizismus hat
nichts Schiilerhaftes. Das Werk ist lebendig, voll Empfinden, Geist und Zartlichkeit. Der
Weltkrieg brachte die schopferische Tatigkeit Ravels zum Stillstand, als er sein Trio und sem
,,Tombeau de Couperin ' fur Klavier vollendet hatte. Nach dem Kriege nahm er die Arbeit
ilngsam wieder auf. Zunachst orchestrierte er die subtileren Stucke aus ,,Le Tombeau de Cou-
perin44, dann schrieb er 1920 auf Serge de Diaghilews Bitte ,,La Valse". Dieses Werk feiert
mit einer dem Komponisten ganz eigenen Mischung von Ironie und Lyrik den schwindelnden
wirbelnden Rausch des Wiener Wai zers. Nahezu 20 Minuten dauernd, ohne daC durch die
Einmischung einer einzigen Episode die Entwicklung unterbrochen wiirde, ist diese Kompo-
sition ein wahres Kraftstiick. Wahrend des Sommers 1920 schrieb Ravel fiir ,,Le Tombeau
de Debussy", ferner den ersten Teil seiner Sonate for Violine und Cello, die er erst mZ
vollendete. Dieses Werk ist eigentlich eine zyklische Symphonie, in wmzige Proportionen
68*
1070 Moderne: Franzosen
iibertragen, gleichsam wie jene japanischen Zwergbaumchen, die den Anblick von Eichen und
Zedern bieten. 1922 schrieb er als Huldigung for Gabriel Faure eine ^Composition fiir Klavier
und Violine und orchestrisierte auf die Bitte Koussewitzkis die ,, Tableaux d'une exposition" von
Moussorgsky. 1923 hat er ein neues Werk far Violine ,,Tzigane" komponiert, 1924 ein Lied
fiir das ,,Tombeau de Ronsard". 1925 brachten die Oper in Monte Carlo und die Monnaie
in Briissel ,,L*enfant et les Sortileges*', eine Ballettoper, Text von Colette, die mit grofiem
Erfolg aufgenommen wurde; die reizende musikalische Fantasie, iiberfliefiend an Geistigkeit
und Erfindungsreichtum, oft von selten zarter lyrischer Stimmung, gibt eine Zusammenfassung
der verschiedenen Stile, deren sich Ravel bediente; der Hohepunkt der orchestralen Virtuositat
scheint erreicht. Mit seinen ,, Chansons Madecasses" for Singstimme, Klavier, Flote und
Violoncello kommt er zu einer neuen Gattung, in der er doch wieder er selbst bleibt, ist es
doch eines seiner meist personlichen Werke. Seine Senate for Violine, aus der man die auf-
gewandte Miihe zu verspiiren meint, scheint weniger gelungen. Fiir das Ballett der Ida Rubin
stein hat er 1928 einen Tanz, einen ,,Bolero", geschrieben, dessen einziges Thema von ver
schiedenen Instrumenten immer wiederholt wird, bis eine plotzliche Modulation mit dem-
selben Thema und Rhythmus den Schlufi herbeifahrt. Ravel arbeitet jetzt an einer Oper
,,Jeanne d'Arc".
DIE SCHULE FAURE UND DEBUSSY. FlorentSchmitt, Albert Roussel. Florent
Schmitt (geb. 1870) war ein Mitschiiler Ravels in der Klasse Gabriel Faure am Conservatoire.
Man kann sich kaum zwei verschiedenere Temperamente vorstellen. Florent Schmitt, ein un-
gestumer, eigensinniger Lothringer, liebt die Kraft und scheut nicht, siezurSchau zu tragen.
Er liebt den gigantischen Aufbau, zyldopische Architekturen, was geradezu einen Gegensatz
zu der von Debussy und Faure herangebildeten franzosischen Schule bietet. Doch schliefit er
sich in der Schreibweise und den stilistischen Eigenheiten dieser Schule an. Seine Arbeit ist
ungleich. Da es ihm an Fahigkeit mangelt, feinen Schliff herauszubringen, sind seine Klavier-
stticke im allgemeinen mittelmafiig und geben eine falsche Vorstellung von seinem Talente.
Um ihn richtig beurteilen zu konnen, mufi man sein groBziigiges Quintett kennen, das ein
Hauch wilder Macht streift, seinen prachtigen Psalm far Chore und mehrere Orchester, sein
Ballett ,,La Tragedie de Salome" oder die beiden, der Biihnenmusik von ,,Antoine et Cleo-
patre" entnommenen Orchestersuiten. Als ungestiimer Kolorist hat er dem Orchester bisher
ungekannte Wirkungen abgerungen. Dieser stiirmische und machtige Kiinstler erinnert eher
an die grofien franzosischen Bildhauer Pierre Puget, Rude, Rodin, als an die Musiker seiner
Generation. Seine Werke iiberstromen von gesunder Freude, heiterer Kraft.
Albert Roussel (geb. 1869), ein unabhangiger und aufrichtiger Kiinstler, hat sich erst spat
der Musik zugewendet. Als gewesener Seemann ist ihm, wie Baudelaire, von seinen Reisen die
Sehnsucht nach dem Meer und nach fremdlandischen Himmelstrichen geblieben, das sich ebenso
in seinen gewaltigen invocations" wie in ,,Pour une Fete de Printemps" aufiert. Dieses neue
Werk weist eine Veranderung in seiner Art auf. Er verwendet darin systematisch die Bitonali-
tat, mildert aber mit grofier Geschicklichkeit die Harte der Dissonanzen durch so intelligent
ausgesuchte Klangwirkungen, als wolle er die jungen Komponisten belehren, wie man diese
gefahrlichen Maschinerien handhaben miisse, ohne sie zur Explosion zu bringen. Die Sym
phonic, die einigermafien Aufsehen erregte, ist ein machtvolles Werk. Es driicken sich darin
Moderne: Franzosen 1Q71
die durch einen revolutionaren Sturm erschiitterten Gefiihle einer Menge aus. Die Jndische
Oper ,,Padmavati", die vor kurzem zur Auffiihrung gelangte, kundigt sich als eine der be-
deutendsten dramatischen Produktionen der letzten 20 Jahre an. Trotz seines Alters erlahmen
die Fortschritte Roussels nicht, und seine letzten Werke sind viel bedeutender als sein Jugend-
schaffen. Besonders zu nennen sind seine Suite in F for Orchester, sein Konzert fiir Klavier
und Orchester (1928) und endlich der 80. Psalm far Tenor, Chor und Orchester (1929),
ohne Zweifel sein Meisterwerk. Heute ist er wahrlich eine der hervorragendsten Personlich-
keiten der zeitgenossischen franzosischen Schule, ein wirklicher ,,chef de file", Vorkampfer.
Aus der Klasse Faure am Conservatoire ist eine Reihe sehr begabter Musiker hervor-
gegangen, die ihr Handwerk tadellos verstehen. Alle ihre Arbeiten zeigen dieEIeganz und die
sorgfaltig raffinierten Harmonien und Rhythmen, die sie aus dem Studium der Werke ihres
Lehrers schopften, was sie nicht hindert, bisweilen Beweise der Originalitat ihres Tempera-
men tes zu liefern. Dies ist der Fall bei Charles Koechlin (geb. 1867), einem griindlichen
Kiinstler, der die polyphone Schreibweise mit Scharfsinn beherrscht und dessen ansehnliche
Arbeit interessante Erfindungen birgt. Er war einer der allerersten in Frankreich, die melo-
dische Linien in verschiedenen Tonalitaten iibereinanderstellten. Louis Aubert ist ein
merkwiirdig geschickter Kiinstler. In seiner ,,Habanera" zeigt er einen wahrhaft personlichen
Orchestersinn. Nachdem sich Roger-Ducasse durch reizende Klavierstiicke und eine fran-
zosische Suite mit erstaunlich rhythmischem Schwung eingefuhrt hatte, widmete er sich der
Lyrik und verfafite lange, etwas wirre Kompositionen. Doch finden sich wirklich machtige und
fein empfundene Stellen in seinem (1914) fiir Petersburg komponierten Mimodrama ,,0rphee",
Andre Caplet (1879—1925), der wahrend Debussys letzter Lebensjahre sein intimer Freund
war, war nicht nur ein Dirigent ersten Ranges, sondern komponierte auch zart, fein, immer
geistvoll und bisweilen riihrselig. In seinem Oratorium ,,Le Miroir de Jesus" und in seiner
Messe fand er zum Ausdruck religioser Gefiihle neue Tone und zeigte sich hochst eigen-
artig. Der knappe Raum, iiber den wir verfiigen, zwingt uns, folgende sehr verdienstvolle.
Kiinstler blofi namenweise anzufuhren : Maurice Del age, Paul Ladmirault, Jean Hure,
Inghelbrecht, Lili Boulanger (gest. 1918)... All diese mit feinem Gefiihl begabten
Kiinstler haben es verstanden, aus den Erfindungen von Faure, Debussy und Ravel die letzten
Konsequenzen zu ziehen. Sie scheinen den Stoff erschopft zu haben und man findet hinter
ihnen nur mehr sparliche Nachlese. Das hat auch eine gewisse Anzahl junger Musiker ein-
gesehen und, nachdem sie alle mehr oderweniger dem Einflufi ihrer Vorganger erlegen waren,
fuhlten sie das Bediirfnis, sich davon frei zu machen, um andere Pfade zu suchen.
DIE JUNGEN. Wie in der bildenden Kunst sollte auch in der Musik die Reaktion gegen den
Impressionismus sich am starksten in demjenigen Lande aufiern, in welchem er begonnen
hatte. Wahrend in Osterreich Arnold Schonberg und seine Schule die letzten Konsequenzen
aus dem Impressionismus ziehen, wendet sich die franzosische Schule mehr oder minder heftig
gegen ihn, zugleich aus seinen Errungenschaften Nutzen ziehend. Die Musik ist im Vergleich
zur Malerei ein wenig im Riickstand, und man findet in Darius Milhauds und Honeggers
Werken nichts, was der kubistischeh Bewegung entsprache, wohl aber ein Bestreben, welches
dem der roten Stiirmer, wie van Gogh, Matisse, Othon Friesz, an die Seite zu stellen ist. In
mancher Hinsicht sind diese Umstiirzler klassischer als ihre Vorganger. Anstatt wie Debussy
]Q72 Moderne: Franzosen
neue architektonische Formen zu suchen, kehren sie gern zum Gebrauch der iiblichen Formen
zuriicL Sonaten, Fugen, Rondos, mehr oder weniger frei behandelt. Sie beanspruchen vor
allem das Recht, einfach zu sein und 5m Notfall brutal zu sagen, was sie denken. Ihre Technik
ist minder zart, minder verfeinert als die ihrer Vorganger, hat aber dynamische Qualitaten und
in der Begeisterung eine naive Frische, die den Musikern der Schule Debussy oft fehlte, denen
das Nachahmen des auBerlichen Vorgehens ihres Lehrers leichter war, als das Eindringen In
das Geheimnis seiner mysteriosen und unmittelbaren Kunst. Darius Milhaud und Honeg-
ger waren der Ansicht, dafi die Kunst, die Debussys Meisterwerke gezeitigt hatte, aus Farben-
und FormenscKattierungen bestehend, sich iiberlebt habe. Offen gesagt, waren sich schon
Ravel, Schmitt, Albert Roussel, Charles Koechlin dessen bewuBt. Die Umwalzung in der
Musik folgte der in der Malerei auf dem Fufie. Nach Claude Monet und Sisley haben Im-
pressionisten wie Cezanne und Renouard eingesehen, dafi die Form nicht der Farbe und das
Volumen der Korper nicht dem Licht, in dem sie sich auflosen, geopfert werden darf . Die
Tatigkeit Ravels kann man der Renouards zur Seite stellen, wahrend Darius Milhaud einem
Matisse eher entspricht. Im iibrigen verfolgt jeder der jungen franzosischen Musiker em an-
deres Ideal. Bei mehreren von ihnen kann man den gleichen Sinn fur Polyphonic und klassische
Formen, besonders aber die tonalen Ubereinanderstellungen beobachten.
Darius Milhaud, 1892 in Aix in der Provence geboren, ist ein Rassemusiker. Er schafft
unaufhaltsam, ohne Anstrengung mit der Leichtigkeit eines Rossini, und in seiner beachtens-
werten Tatigkeit reichen das Beste und das Schlechteste einander die Hande. Im Grunde ge-
nommen, ist seine Inspiration romantisch, und nicht ohne Grund betont er seine Bewunderung
fur Mendelssohn. Sonderbarerweise fehlten ihm Geschmack und Takt, diese Haupteigen-
schaften der franzosischen Musiker der vorangegangenen Generation; doch hat er Eigen-
schaften, die man kaum bei ihnen findet, stiirmische Kraft und entfesselte Leidenschaftlich-
keit. Darius Milhaud fiihit gem seine Polyphonic in mehreren iibereinandergesetzten Ton-
arten, er schrieb sogar ein Quartett (das fonfte), in welchem sich jede Stimme in einer anderen
tonalen Atmosphare bewegt. Wenn man sich an solche Dissonanzen gewohnt hat, bleibt man
gegeniiber der Macht und Spontanitat dieser Musik nicht gleichgiiltig, die stiirmend ist wie
ein Giefibach und viel Schlamm in den schaumenden Gewassern mitfuhrt. Der Verfasser des
,,Protee", der ,,Choephores", der ,,Eumeniden", der ,,Creation du Monde", der ,,Etudes
Symphoniques" und des vierten Quartettes ist ein wirklicher Musiker, dessen iiberwuchernde
Kraft und Lebensgaben gewifi die beste Verwendung am Theater finden werden.
Arthur Honegger, in Frankreich von Schweizer Eltern 1892 geboren, absolvierte seine
samtlichen musikalischen Studien in Paris am Conservatoire. Er ist ein mehr gesammelter,
mehr in sich verschlossener Kiinstler als Milhaud. Er fafit die Musik als ein echter Kiinstler
auf und schreibt nur, wenn er ein Gefiihl aufiern will. Diese empfindsame Auffassung der
Musik ist der eines Auric oder Poulenc vollkommen entgegengesetzt, und ganz mit LTnrecht
gesellt man oft ihre Namen dem seinen. Sein Werk ist schon betrachtlich und enthalt Or-
chesterkompositionen, namentlicheinMimodrama „ Horace Victorieux", ,,Pacific23I ", ,,Rugby"
(1928), Oratorien ,,Le roi David", ,Judith", Theatermusik und zahlreiche Sonaten fur ver^
schiedene Instrumente. Der ,,Konig David* ' wurde als Oper eingerichtet in Monte Carlo,
Briissel und mehreren Stadten Deutschlands und Amerikas gespielt. Mit seinem lyrischen
Drama ,,Antigone" hat er einen grofien Fortschritt gemacht in seinem Versuch der Erneuerung
Moderne: Franzosen 1073
der Gattung durch neue Behandlung der Stimme in ihren Beziehungen zum Orchester; sie
hat Jnnigen Anteil an dem polyphonen Bau wie in Bachs Kantaten; doch ist die Prosodie
andernteils natiirlich auf ganz und gar neue Prinzipien gegriindet. Das sehr originelle Werk
hat groSen Erfolg Jm Theatre de la Monnaie zu Briissel (1928) gehabt, miBfiel aber, vielleicht
wegen iibertriebener Ausstattung, in Essen. Dieser ernste und tiefe Musiker hat einen person-
lichen Stil und vervollkommnet sich unablassig. Man darf viel von ihm erwarten.
Georges Auric (geb. 1899) schopft langsam, mit Miihe, Werke von ungemeiner Kraft.
Seine Ballette ,,Les Facheux" und ,,Les Matelots" verraten mehr den EinfluB von Stravinsky,
als den seines Meisters Satie. Auric furchtet die Harte und selbst die Rohheit nicht. Seit
einigen Jahren scheint er sich etwas gehen zu lassen und sich der Leichtigkeit zu opfern.
Seine letzten Versuche in der Gattung der leichten Musik haben keinen Erfolg gehabt.
Francis Poulenc (geb. 1899) teilt die Ideen von Auric, aber gleicht ihm sehr wenig.
Ebenso spontan als Auric eigenwillig ist, ebenso stark melodisch begabt als sein Freund es
wenig ist, entziickt er durch feineFunde, die einen Duft der Jugend ausbreiten. Es gibtnoch
ungeschickte Stellen in seinem instrumentalen Stil, aber die Melodien des ,,Bestiaire", der
,,Poemes de Ronsard", sein Ballett ,,Les Biches" und gewisse Stiicke fur Klavier miissen
zu den besten Produktionen der jungen franzosischen Schule gezahlt werden. Besonders
soil sein Konzert fur Cembalo und Orchester, Wanda Landowska zugeeignet, genannt werden.
Jacques Ibert (geb. 1890) schliefit sich an die Schule von Ravel an. Er ist ein wirklicher
Musiker, der eine feste Technik besitzt, empfindungsvoll und geistreich. Seine ,,Deux Mouve-
ments" fur Blasinstrumente, seine Orchesterwerke ,,Les Escales" und ,,Rencontres" usw.
enthalten reelle Qualitaten. Seine Oper ,,Andromede et Persee" (in 2 Akten), 1929 in der
Grofien Oper zu Paris aufgefuhrt, aber schon 1920 geschrieben, ist ein ziemlich schwaches
Werk. Seine komische Oper ,,Angelique" aber ist eine der besten Produktionen dieser Gattung
der jungen franzosischen Schule.
Roland Manuel (geb. 1891), Schiller von Ravel, scheint insbesondere furs Theater begabt
zu sein, wertvoll ist seine Opera bouffe ,,Isabelle et Pantalon" (1927).
Marcel Delannoy, ein beinahe autodidaktischer Musiker, ist eine der Hoffnungen der
jungen Schule. Seine Muse hat eifrig die franzosische ,,Campagne" studiert, wo die Tradi-
tionen des alten Volksliedes fortleben. Seine Melodien sind diatonisch und von einer frischen
Inspiration. Er hat einen feinen Sinn fur die Polyphonic. Sein Orchester ist noch ziemlich
ungeschickt, hat aber ungemeine, iiberraschende Effekte. ,,Le Poirier de Misere", 1928 in
der Opera Comique aufgefuhrt, und besonders ,,Le Fou de la Dame", im Musikfest
der S. I. M. G. in Genf (1929) gesungen, zeugen fur ein Temperament eines wirklichen
Musikers.
P.O. Ferroud (geb. 1900), Schiller von Florent Schmitt, vielleicht weniger begabt, ist
ein ausgezeichneter Orchestertechniker. Seine symphonische Dichtung ,,Foules" hat emen
grofien Erfolg in der ganzen Welt gehabt, und seine komische Oper ,,Chirurgie" (1928) wurde
in Monte Carlo und Strafiburg begeistert aufgenommen.
DanielLazarus besitzt trotz seiner Jugend schon eine erstaunliche technische Fertigkeit.
Seine komische Oper ,,La Chambre Bleue" ist ein Werk voll kostlicher Ironic. Die Gerechtig--
keit heischt, dafi auch GermaineTailleferre genannt werde, deren Sonate fur Violine
und Klavier grazios ist mit Beherrschung des Handwerkes, ferner Georges Migot,
1074 Moderne: Belgier
Claude Del in court, Desormiere, Mlie de Manziarly, Louis Durey» Arthur
Hoeree, Raymond Petit usw.
Die Tendenzen der jungen franzosischen Schule sind vielfach und verschieden, aber nach
einern heftigen revolutionaren Drang kann man bei den ,,chefs de file" ein Bediirfnis nach
OrdnungundRuhebeobachten.DerBach-KuItus, eingeleitet durch Stravinsky, ist allgemein.
Es ist nicht unmoglich, dafi ein neuer Klassizismus seine Herrschaft begriindet auf den Ruinen
der Ikonoklasten, vorausgesetzt, da6 dieser die Emingenschaften der letzteren auszuniitzen weifi.
Literatur
Allgemeines: Aubry, J. G.: La Musique francaise d'aujourd'hui (Perrin). — Coeuroy, Andre: La musique
francaise moderne, quinze portraits de musiciens (Delagrave). — Derselbe: Panorama de la musique con-
temporaine (Kra). — Koechlin, Charles: Le retour a Bach (Revue Musicale, novembre 1927). — Milhaud,
Darius: La Polytonalite (Revue Musicale, fevrier 1923). — Rolland, Remain: Musiciens d'aujourd'hui (Hachette).
— Sere, Octave: Musiciens francais d'aujourd'hui (Mercure de France).
Spezialstudien: Caplet: M.Brillant: Andre Caplet, Musicien mystique (Revue Musicale, juillet 1925). —
Debussy: Numeros sp£ciaux de la Revue Musicale (novembre 1920 et mai 1926). Louis Laloy: Claude Debussy
(Dorbon). Ch. Koechlin: Debussy (Laurens). Henry Prunieres: Portrait de Debussy (50 ans de Musique francaise.
Tome II. Librairie de France). Maurice Emmanuel: Pelleas et Mfelisande (Mellotte'e, edit.)- Jardillier: Pelleas et
Melisande (Aveline, edit.). — Dukas: Samazeuilh: P. Dukas (Durand, 6dit.). — Faure": NumeYo special de la
Revue Musicale (octobre 1922). Ch. Koechlin: Gabriel Faure' (Alcan). — Honegger: Andre George: Arthur Honegger
(Aveline, e*dit. 1927). Rene Chalupt (Revue Musicale, Janvier 1922), Arthur Hoeree (Revue Musicale, Janvier 1929),
Henry Prunieres: Antigone (Revue Musicale). — Milhaud, D.: Henry Prunieres (Nouvelle Revue francaise, 1920).
Boris de Schloezer (Revue Musicale, mars 1925).— Poulenc: Henry Prunieres (The Sackbut, 1928). — Ravel, M:
Numero special de la Revue Musicale (avril 1925). Roland Manuel: M. Ravel et son ceuvre dramatique (Librairie de
France 1928). Henry Prunieres : Les Chansons Mad^casses (Revue Musicale). Henry Prunieres: Portrait de Ravel (50
ans de Musique francaise. Tome II. Librairie de France). — Roussel, Albert: Numero special de la Revue Mu
sicale (avril 1929). — Schmitt, Florent: P. 0. Ferroud (Revue Musicale, avril 1924). P. 0. Ferroud: Autour de
Florent Schmitt (Durand, edit.). rr n ..
Henry rrunieres.
ANHANG
Belgier. Die musikalischeProduktion Belgiens, die vom 1 7. bis zum 1 9. Jahrhundert zuriick-
getreten war, gewinnt seit der Errichtung des belgischen Konigtums (1 830) neue Kraft und erhebt
sich in aufsteigender Linie. Die Bevolkerung Belgiens umfafit zwei voneinander verschiedene
Rassen, die germanischen Flamen und die romanischen Wallonen. Hundert Jahre der Zu-
sammengehorigkeit haben sie eine gewisse Gleichartigkeit in Denken und Fiihlen gelehrt,
doch wahren sie beide nicht weniger ihre Stammeseigenarten, die sich in der musikalischen
Schreibweise deutlich offenbaren. So schliefien sich im groBen und ganzen die Flamen mehr
an die Tradition an und zeigen Verwandtschaft mit der deutschen Schule, wahrend die Wallonen
sich mehr fortschrittlich der franzosischen Richtung zuwenden. Man hat darum guten Grund,
sie getrennt zu betrachten.
Von den Flamen war Gevaert (1828—1908), Nachfolger Fetis als Direktor des Briisseler
Konservatoriums, in erster Linie Musikhistoriker; seine komischen Opern, der wichtigste
Teil seiner musikalischen Produktion, sind heute vergessen. Es gibt hier nur eine einzige
koordinierte Schule, die Antwerpener, gegriindet von Peter Benoit (1834^1901), mit seinen
Moderne: Belgier 1075
bedeutenden weltlichen Oratorien (Lucifer, La guerre usw.), grofiziigigen, prachtigen Werken,
die noch nicht den ihnen gebiihrenden Platz in der internationalen Kunst einnehmen. Benoits
hervorragendster Schiller, Jan Blockx (1851 — 1912), der volkstiimlichste belgische Opern-
komponist, iibertrug diese Eigenart auf die Biihne. In Verbindung mit ihm ist L. Mortel-
mans (1868), der gegenwartige Direktor des Antwerpener Konservatoriums, zu nennen. Die
anderen flamischen Komponisten, H.Waelput (1845-1885), K.Mestdagh (1850-1924),
E. Tin el (1854 — 1912) gingen ihre eigenen Wege, bewahrten aber immer den konservativen
Grundzug; der dritte, Nachfolger Gevaerts am Brusseler Konservatorium, ist besonders
bekannt durch seine Oratorien (Franciscus, Godelieve) in streng polyphoner Schreibweise,
deren Beeinflussung durch Klassik, Romantik und Brahms unverkennbar ist. Zur gleichen
Generation gehort J. B. vandenEeden (1842—1917). Der heute im Vordergrunde stehende
flamische Komponist ist P. Gils on (1865), der in seinen ,,Drames lyriques" und seinen
symphonischen Werken voile Beherrschung der Polyphonie, seltene Instrumentationskunst
sowie ausgesuchte Harmonik vereint, die aber trotzdem nicht in das zeitgenossische Extrem
geht. In letzter Zeit hat sich Gilson der Wiederbelebung der Blasermusik zugewandt, fur die
er viel geschrieben hat. Er ist auch als Lehrer sehr bedeutend, und man verdankt ihm eine
erstklassige Harmonielehre. Weiter sind zu nennen A. deBoeck (1865) mit seinen ,,Drames
lyriques", die sich von Wagnerschem EinfluB nicht freihalten, Lebrun (1863 — 1920), J. Rye-
landt (1870), der einige Oratorien im klassischen Stil schrieb, M. Lunssens (1871), F. Al-
paerts (1876), Kanonikus van Nuffel (1883) mit seinen entschieden modernen Kirchen-
werken, Herberigs (1886), der sich mit seiner im allgemeinen homophonen Schreibweise
mit Debussystischem Einschlag als der kiihnste der lebenden flamischen Komponisten zeigt,
schliefilich A. Meulemans (1884).
Nach Fetis, der auch insbesondere Musikwissenschaftler war, hebt die moderne wal-
lonische Schule an mit Ad. Samuel (1824—1898), einem fortschrittlichen Geiste, der sich
in seinen letzten Werken derNeuromantik anschloB, A. Dupont (1827—1890), einem frucht-
baren Klavierkomponisten, G. Huberti (1843—1910), der lyrische Stiicke schrieb, Em. Ma-
thieu (1844), dem Verfasser einiger Opern im alten Stil. Die nachste Generation umfafit
E. Raway (1850—1918), einen tiichtigen auf klassischem Boden schaffenden Musiker, Sylvain
Dupuis (1856), L. Du Bois (1859), F.Leborne (1862-1929), die sich der franzosischen
Schule in der Art Saint-Saens und Faures anschliefien, H. Thiebaut (1865) und N. Daneau
(1866).
Die moderne wallonische Schule ist beherrscht von dem grofien Namen Cesar Franck
(1822—1890), denwir, wenngleich er einer friiheren Generation angehort, jetzt erst nennen,
wegen des deutlich fortschrittlichen Charakters seiner Werke (2 Oratorien ,,Les Beatitudes'*,
Redemption"; Symphonic in D, Sonate fur Violine, Quartett, Quintett usw.). Bewunderns-
werter Kontrapunktiker, geht er in gewisser Beziehung in der Kiihnheit der Harmonik iiber
Wagner hinaus, namentlich hinsichtlich der Figuration und Modulation; als hervorragender
Padagoge war er der Begriinder der (heute iiberholten) , Jungfranzosischen" Schule und in
Frankreich der Schopfer einer Schule absoluter symphonischer und Kammermusik, die bis-
her aufier einzig durch Saint-Saens nicht gepflegt worden war. Zu Luttich geboren, zeigt
dieser Meister seine deutsche Abkunft (die Vorfahren vaterlicherseits waren Flamen und
Deutsche, die Mutter war Deutsche) in einer eigenen Art der Anwendung der Technik und
1076 Moderne: Belgier
in einer Mystik, die sich in gewisser Beziehung bei seinen Schiilern wiederfinden, wie dies
Debussy richtig bemerkt hat. An Cesar Franck schliefit sich, man konnte so sagen, der ,,wal~
lonische Zweig der jungfranzosischen Schule", in erster Linie vertreten durch Guillaume
Lekeu (1870—1894), eine der genialsten Personlichkeiten, die Belgien je hervorgebracht hat,
dessen Schreibweise wohl von Franck sich herleitet, aber ganz personliche Ziige, eine Art
Beethovenscher Kraft, vereint mit ungeheurem Streben, edler Melancholic zeigt. In seiner
Gefolgschaft sind zu nennen: TheoYsaye (1865—1918), V. Vreuls (1876), hervorgegangen
aus der Schola Cantorum zu Paris, und J. Jongen (1873), gegenwartig Direktor des Briisseler
Konservatoriums, der mit seiner zarten Harmonik schrittweise immer kiihner sich zu Debussys
Impressionismus und noch dariiber hinaus erhebt. Der Francksche Stil findet sich bei
V. Buffin (1867), A. Marsick (1878); A.Dupuis (1877) kehrt in seinen Opern zu Massenet
zuriick.
Wenn auch teilweise jiinger, zeigen doch die nachfolgenden Musiker mehr konservative
Ztige: F.Rasse (1873), A.Biarent (1871-1916), L. Delune (1876), L. Delcroix (1880),
L. Jongen (1884), F.Brumagne (1887), R.Barbier (1890), H. Sarly (1884). R. Mou-
laert (1875) war in Belgien gerade im Gegensatz zu den Genannten einer der ersten Jiinger
der fliissigen Schreibweise Debussys, sodann Faures; G. Knosp (1879), gelehrter Kenner
der orientalischen Musik, niitzt dies in phantasievollen Aneignungen extrem-orientalischer
Kunst aus; de Maleingreau (1887) zeigt strenge Ziige in seinen modernen Versuchen im
alten Stil.
Die Epoche, zu der wir nun gekommen sind, ist die, in welcher in alien Landern mit Schon-
berg, Stravinsky und anderen die viel umstrittenen und einstweilen unklassifizierbaren Er-
scheinungen der Gegenwartskunst auftreten. Man mufi aber der aufierordentlichen durch
den Weltkrieg verursachten Umstande gedenken, da sich Belgien einzig unter alien Krieg-
fuhrenden abgesondert fand von der allgemeinen Kunstentwicldung, die in andern Landern
fortfuhr, von Grund auf umstiirzend zu wirken; so erklart sich noch heute dieser Abstand.
Und dies, wo doch Samuel-Holeman (1863) in Belgien die Rolle eines Vorkampfers ahnlich
Erik Satie gespielt hatte; aber er blieb lange vereinzelt. Heute miiht sich eine geschlossene
Gruppe junger Musiker, technisch vortrefflich geschult, die verlorene Zeit wiederzugewinnen.
Insbesondere ist die ,,Synthetistes" genannte Gruppe, fast alle Schiller P. Gilsons, zu nennen
und an ihrer SpitzeM.Schoemaker (1890), M.Poot (1901), R. Bernier (1905). Aufierhalb
dieser Gruppe findet sich das moderne Streben bei F. Quinet (1898), A. Huybrechts
(1899), dem Trager des Coolidgepreises 1926, A.Souris (1899) und Ch.Houdret (1905).
Das Volkslied war in Belgien von unerhortem Reichtum; alle gebrauchlichen Arten der
erzahlenden, der Liebes-, Arbeits- und Scherzlieder finden sich vor. Aber hier zeigen sich
noch deutlicher als anderwarts die Unterschiede (die Gegensatze) der beiden Volksstamme.
Das flamische Volkslied deckt sich teilweise mit dem hollandischen, das wallonische mit dem
franzosischen in ihren eigensten Charakteren. Das erste schlieBt sich an die verschiedenen
ortlichen Dialekte der Flamen an. Dialektlieder der Wallonen sind viel seltener; die Mehr-
zahl der Gesange ist in einem mehr oder weniger entstellten Franzosisch abgefafit. Wahrend
die flamischen Gesange gesammelt und in zahlreichen ,,Idiotikon" veroffentlicht sind, wurden
die wallonischen Lieder bedauerlicherweise vernachlassigt, und man mufi sagen, dafi eine
uniibersehbare Zahl von ihnen unwiederbringlich entschwunden ist.
Moderne: Romanische Schweiz 1077
Literatur
Bergmans, P.: Henry Vieuxtemps, Collection Les grands Beiges, Turnhout Brepols 1920, sowie die in diesem
Werk angegebene Literatur. — van den Borren, Ch.: Belgian music and french music, Musical Quarterly,
Juli 1923. — Derselbe: The general trends in contemporary Belgian music, Musical Quarterly, Juli 1921.
— Closson, E.: Chansons populaires des provinces beiges, Ed. Schott. — Derselbe: Musiciens beiges d'hier
et d'aujourd'hui, Monde Musical IX/X, 1924. — van Duyse, FL: Het oude nederlandsche Lied, La Haye Nijhoff
1904 — 1908. — d'Indy, V.: Cesar Franck; Collection Les Maitres de la Musique, Alcan Paris. — Lorrain, M.:
Guillaume Lekeu, sa correspondance, sa vie et ses oeuvres, Morlanwelz 1923. — Mathieu: Adolphe Samuel. Hayez,
Briissel 1920. — Sere: Musiciens francais d'aujourd'hui. VI. Aufl. Mercure de France, Paris 1921. — Solvay, L.:
Notice sur Jan Blockx. Hayez, Briissel 1920. — Son neck, O. G.: Guillaume Lekeu, Miscellaneous Studies in
History of Music, p. 190ff. Ed. Macmillan, New York 1921. — Tinel, Paul: Edgar Tinel. Lombaerts, Briissel
1923. — A Dictionary of modern music and musicians. Beitrage der Unterzeichneten iiber belgische Musiker.
Dent, London 1924. Ernest Closson. Charles van den Borren
Die romanische Schweiz. Die franzosisch sprechenden Teile der heutigen Schweiz
sind kulturell naturgemafi stark vom westlichen GroCnachbar beeinflufit worden. Auch im
Musikleben zeigt sich dies deutlich, aufier im 19. Jahrhundert.
Sachlich greifbar ist vor der Reformation, wie auch sonst, in erster Linie die geistliche Musik und Musikiibung,
getragen von Klostern, Abteien, Domkirchen. Sie sind aucK in der romanischen Schweiz zunachst Ausstrahlungen
der sich zielbewufit ausbreitenden Kultur, die, begriindet durch Karl den Grofien und das Karoiingische Reich,
fortgesetzt, nach dessen Sturz, durch das altburgundische Konigtum in der ganzen heutigen Westschweiz schon
urns Jahr 1000 die Entstehung jener Statten bewirkte, die Trager einer allgemeinen christlichen Kultur und gewiB
auch liturgischer Musikausiibung waren, Im Hochmittelalter gehort das Gebiet zwischen Jura und Alpen stilistisch
in gewisser Hinsicht zum germanischen Minnesang. Der alteste Schweizer Minnesanger ist Rudolph von Fenis-
Neuenburg, dessen deutsch geschriebene Lieder (ca. 1200) im Cod. Manesse und der Weingartnerhandschrift
enthalten sind und die altesten, wenn auch indirekten Zeugen weltlicher Musik in der heutigen romanischen Schweiz
darstellen. Auch der Minnesanger Gliers aus Pruntrut gehort ins 13. Jahrhundert. Die ersten Spuren welt-
licher Instrumentalmusik sind die Stadtpfeifereien, nachweisbar seit dem 15. Jahrhundert (z. B. in Neuenburg),
wahrscheinlich aber bis ins 1 4. Jahrhundert zuriickreichend.
Auch das neuburgundische Staatswesen, dessen Hohepunkt in die Mitte des 15. Jahrhunderts fallt, erstreckte sich
iiber einen guten Teil der heutigen Westschweiz. Dem siidlichen Kulturkreis Neuburgunds (wallonisch-franzosischer
Sprache) entsprang bekanntlich eine Emeuerung und Entwicklung der Kunstmusik (Durchweltlichung der religiosen
Musik in Form der Chansons). Bis zum 16. Jahrhundert hat der franzosische Einflufi technisch und stilistisch iiber-
wogen. Calvin lenkte die reformierte Kirchenmusik fast ausschlieGIich in die Bahn des unbegleiteten einstimrnigen
Psalmengesanges. Doch schon zu seinen Lebzeiten kamen mehrstimmige, einfache oder kunstvolle Psalmenbearbei-
tungen heraus, so vom Franzosen L. Bourgeois (1547 in Genf naturalisiert), der auch wahrscheinlich die Melodien
der von Calvin veranlafiten Psalterausgaben von 1542 schuf oder bearbeitete. G. Franc von Rouen (gest. 1570,
Kantor und Gesanglehrer in Genf) bearbeitete ebenfalls den franzosischen Psalter. Von Goudimels Psalmen-
bearbeitungen erschienen mehrere in Genf (Motetten und vierstimmige Psalmen 1555—1580). Erwahnt sei noch
der Belgier S. Mareschall (gest. 1641 , Organist in Basel) mit vokalen und instrumentalen Bearbeitungen von Psalter-
melodien. Der Siidfranzose Davantes (1526-1561, seit 1559 Genfer Burger) betatigte sich als Theoretiker mit
einer neuen Notenschrift. Gindron in Lausanne, scheinbar ein Schweizer, komponierte 1542 eine Psalterausgabe
und mehrstimmige Kirchenmusik. Im 1 8. Jahrhundert hat auch der italienische Einflufl neben dem franzosischen
in der romanischen Schweiz sich bemerkbar gemacht, allerdings nicht so stark wie z. B. gleichzeitig in der Inner-
schweiz (vgl Meyer v. Schauensee, S. 749). Als Musildehrer und Hausmusikmeister hielten sich italienische
Musiker in den vornehmen Familien auf, so A. Zingarelli (vgl. S. 904), der 1790-1792 in Colombier weilte, so
Giotti als Organist in Yverdon (1795), der Opernkomponist Catrufo, langere Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts
in Genf sich aufhaltend. Allgemach fing das offentliche Konzertleben an; 1738 wird in Genf em Theatersaal em-
gerichtet, auch der Rathaussaal dient damals zu Konzertzwecken. Aber die Zahl der Berufsmusiker bleibt ver-
schwindend klein, Collegia musica gibt es nicht wie in der deutschen Schweiz.
Landesfremden Musikern in der romanischen Schweiz stehen als Gegenstuck emheimische Talente gegen-
iiber die im Ausland wirkten, J.X.Lefevre (1763-1829. beriihmter Klarinettist in Paris, komponierte fur
1Q7S Moderne: Romanische Schweiz
sein Instrument, daneben Kammermusik und Sinfonien), J. P. Dupuy (1773—1822, zuletzt Kapellmeister
in Stockholm, mehrere Opern, Violinduette), der Harfenvirtuose Elouis (geb. 1752, Werke fur Harfe). Den
Genfer G. Fritz (Sohn eines eingewanderten Deutschen, 1716—1783, Sinfonien, Sonaten, Konzerte) riihmte
Burney sehr. J.J.Rousseau (vgl S. 745 u. a.) hat sich in seinem Vaterland nicht als Komponist betatigt
oder es musikalisch gefordert, obwohl er, unter einem Pseudonym, in Lausanne und Neuchatel als Musik-
lehrer wirkte. Die Zahl der einheimischen Musiker von einiger produktiver Ader bleibt auch weiterhin zunachst
sering; erst gegen Ende des 1 9. Jahrhunderts wachst ihre Bedeutung. IrnAusland wirkten L. Bonvin (geb. 1850,
seit 1887 in Buffalo, Katholische Kirehcnir.usJk, Chore, Lieder, Orchesterwerke), L. Niedermeyer (in
Paris, 1802—1861, Sohn eines eingewanderten Deutschen, Schuler von Moscheles und Zingarelli, Opern,
Kirchenmusik, Orgel- und Klavierwerke, Lieder). Im Lande blieben Fr. Grast (1803—1871, Wmzerfest-
spiele, Chore. Lieder, Kantaten, Orchesterwerke) und, als vielleicKt feinsinnigster Vertreter der musikalischen
Romantik der romanischen Schweiz, Ch. Bovy-Lysbcrg (1821—1873, Chopinschiiler, Opern, Klavierwerke,
Chore).
Im 19. JahrhundertuberwiegtzweifellosdergermanischeEinflufi. Deutsche und Deutschschweizer Musiker organi-
sieren iiberall in der romanischen Schweiz das musikalische Unterrichtswesen, fuhren den Chorgesang em, grunden
Konzertinstitute. Genannt seien E. Wehrstedt, Schuler C. M. v. Webers, seit 1827 in Genf (Chorkompositionen),
A. Spaeth, seit 1821 in Merges (Opern, Kantaten, Lieder, Chore, Klavier- und Kammermusik), H. L.Plumhof,
seit 1855 in Vevey (Kantaten, Chore, Festspiele), F.Drasecke (1863—1876 in Genf und Lausanne), L. Kurz,
seit 1838 in Neuenburg (Chore), H. v. Senger (1835—1893), seit 1866 in Lausanne und Genf (Schuler von Moscheles
und M. Hauptmann, auch stark von Berlioz beeinfluflt; Chore, Lieder, Festspiele, Kantaten, Orchesterwerke),
E. Munzinger (seit 1868 in Neuenburg, Schuler von Gade; Chore, Oratorien, Kantaten, Sinfonien, Klavierkonzert,
Lieder), J. Vogt in Freiburg i, 0. seit 1833 (Chore, Orgelwerke). Schubert, Schumann, Weber, Mendelssohn und
Chopin sind die stilistischen Vorbilder dieser Komponistengruppe, wozu noch, namentlich in den Festspielen, die
Verwendung der romanisclien Volksliedmelodik kam. DieFesteder Schweiz. Musikgesellschaft (vgl. S. 1041) in
Genf, Lausanne, Freiburg, Sitten brachten fruchtbare Anregungen. Fr. Liszt's Tatigkeit als Lehrer und
Konzertgeber Jst fur die romanische Schweiz besonders durch den Genfer Aufenthalt (1835—1836) wichtig
geworden.
Die Volksmusik der romanischen Schweiz hangt ihrem Melos nach wahrscheinlich eng mit dem Alphornstil
zusammen, in Form melodischer Akkordbrechung auf der Grundlage der Durtonalitat. Eine gewisse Weichheit
und Zartheit, Sinn fur Idyllik, freundliche Frohlichkeit, warmer Ton der Heimatliebe ist ihnen gemeinsam. An den
Ufem der Seen, im Rebland bestimmt die Lebensart und Hauptbeschaftigung der Einwohner wieder lolcale Farbungen,
die sich bis zum Sarkasmus steigern konnen; in den Bergen tont es oft ernster und melancholischer, namentlich
in den Kuhreigen, mit schwebenden Quint- und Terztonen. Haufig sind Refrainlieder, deren Refrains Jm Sinn der
Proportio lebhafteres, ungerades Tempo aufweisen. Tanztypen und -rhythmen, etwa sizilianoartig, sind nicht selten;
das patriotische und religiose Element ist fast Jmmer mitbestimmend. In den entlegenen Alpentalern (z. B. in Wallis)
sind noch offenbar sehr alte instrumentale Traditionen erhalten (Tanzorchester mit Klarinetten, Zupfinstrument,
StreichbaB, Schlagzeug). Auf dem flachen Lande, im See- und Rebgelande xiberwJegt die Vokalmusik; Hohepunkte
sind Landesfeste historischen Charalcters oder politischer Natur. Das wichtigste und groBartigste ist das Winzer-
fest in Vevey, das vielleicht auf romisch-heidnische Gotterkulte zuriickgeht, funfmal im Jahrhundert stattfmdet,
mit durchkomponierter Musik. Wichtige Anregungen gingen und gehen auch von den Festspielen in Mezieres
aus, wo u. a. Biihnenmusiken von Doret und Honegger erstaufgefiihrt wurden (vgl. unten). Auch das Kinder-
lied wird besonders warm gepflegt, in Verbindung mit einem reich entwickelten Schulwesen. Als Abarten des Volks-
liedes der romanischen Schweiz miissen hier eingegliedert werden die italienisch (bzw. lombardisch) gesungenen
Lieder des Tessins und die ratoromanischen (im EngadJn ladinisch und im Rheintal sub- und
surselvisch textierten) Volkslieder Graubiindens, Das tessinische Volkslied steht naturgemafi dem oberitalienischen
nahe, das ratoromanische ist von alemannischer und deutschschweizerischer Seite her stih'stisch beeinflufit, was
dem Vordringen des Deutschen im Rheintal enspricht Um die Pflege des ratoromanischen Liedes macht
sich neben 0. Bar hi an (vgl. S. 1079) der Engadiner R. Cantieni (geb. 1873, Volks- und Schullieder)
verdient.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts andert sich die Struktur des Musiklebens in der romanischen
Schweiz sichtlich. Es entsteht eine autochthone Komponistengeneration, die die Technik
der musikalischen Moderne sich mehr und mehr aneignet, die grofien Formen des Musik-
dramas, der Oper, der sinfonischen Dichtung pflegt, dabei aber die heimatliche Volksmusik
durch eine iiberaus grofie Zahl volkstiimlicher und schlichtester Lieder gliicUich bereichert,
so dafi in vielen Fallen das Phanomen der Popularisierung eines neugeschaffenen Liedes bip
Moderne: Romanische Schweiz 1079
zum eigentlichen Volkshed beobachtet werden konnte. Durch ihre Studien sowohl mit den
nachromantischen oder durch Wagner stilistisch beeinflufiten Schulen in Deutschland wie
auch mit der von Cesar Franck und Saint-Saens begriindeten und ausgehenden Pariser jung-
franzosischen Richtung in Paris vertraut, bietet sie die ersten Beispiele einer im guten Sinn
kosmopolitisch orientierten schweizerischen Tonschule auf nationaler Grundlage mit roma-
nischem Einschlag. E. Jaques-Dalcroze (geb. 1865) begann nach Studien jahren bei
Bruckner und Delibes als Komponist von Opern, die eine Synthese von franzosischer
komischer Oper und lyrischem Drama darstellen (,Janie", ,,Sancho Panza", ,,Le bonhomme
jadis", ,,Les jumeaux de Bergame")- Seit 1 907 wurde seine rhythmische Gymnastik weitbekannt,
die sich zur plastischen Rhythmik weiterentwickelte. Seine besondere Begabung fiir das nationale
Festspiel (Waadtlandische und Genfer Zentenarfeiern) erhielt durch den erfolgreichen Vor-
stoB in das Gebiet direkter Verbindung von Korperbewegung und musikalischem Erleben
neue Nahrung. So entstanden die weitgespannten Festspiele, wo Orchesterklang, Chor-
massen, rhythmisch bewegte Gruppen und reichste Farbenwirkungen sich vereinigten (Fetede
la jeunesse et de la joie, 1923), daneben Chorwerke, Violinkonzerte, Orchesterdichtungen,
Kammer- und Klaviermusik sowie vor allem eine groBe Zahl von Kinderliedern und sonstigen
volkstiimlichen Gesangen. Bedeutender und schweizerisch-charakteristischer ist G. Doret
(geb. 1866, u. a. Schiller von Massenet); seine Musik ist herber, wenn auch rhythmisch
weniger verastelt, die Bergwelt seiner Heimat machte ihn besinnlich, aber ebenso auch leiden-
schaftlich und zu dramatischem Gestalten befahigt. Die Opern ,,Les armaillis", ,,Der Zwerg
vom Hasital", ,,La nuit des quatre temps** beweisen dies; die Verbundenheit mit der engeren
Heimat gibt den Blihnenmusiken zu ,,TelI", ,,Davel", den Festspielen ,,Le peuple vaudois**
und zum Winzerfest von 1905 und 1927 eine eigene Intensitat. Chore, Kantaten, weitere
lyrische Dramen, Orchestersuiten zeugen von vielseitigem Schaffen im Sinne sehr gemafiigter
Moderne, aber durchaus nicht ohne Eigenart. P. Maurice (geb. 1868) ist durch Anlage und
Studien trotz langem Aufenthalt in Miinchen dem Stil der Vorlaufer des Debussysmus treu-
geblieben, den er durch Pariser Studienjahre bei Faure und Massenet aufnahm; Feinheit
der melodischen Diktion, duftige Orchestrierung, raffinierte aber doch nicht atonale Harmonik
zeichnen ihn aus. ,,Die weifie Flagge", ,,Mise Brun", ,,Lanvar*, ,,Bei Nacht sind alle Katzen
grau** sind seine Hauptopern; doch auch sinfonische Dichtungen, Mimodramen, Orchester-
lieder sind zu nennen. Zur gleichen Generation gehoren auch J. Laubei (geb 186^^
Schiller sowohl von Rheinberger wie von Massenet, mit zahlreichen Kammermusikwerken,
Sinfonien, Oratorien, Kantaten, Konzerten von leichter, oft witziger, immer gewandter
Schreibart und bemerkenswerter formaler Rundung, ferner 0. Barblan, ein ladinischer
Engadiner, aber seit 1887 inGenf,der vielleicht ernsthafteste und gelehrteste Kontrapunktiker
der alteren Generation der romanischen Musiker (geb. 1860), mit versonnenen und stil-
sicheren Orgelwerken, Choren, Kantaten, Festspielen, einer Lukaspassion. Er steht sowohl
der ernsten Polyphonic und Harmonik eines Franck wie der neudeutschen Richtung nahe.
Mehren sich nun in der Folge, seit 1890, in rascher Entwicklung die Werke von Kompo-
nisten der romanischen Schweiz, die auf ein allmahliches Entstehen einer ernst zu nehmenden
romanischen Komponente schweizerischen Tonschaffens schliefien lassen, so dauert es doch
eine geraume Weile, bis das Vorbild Francks einem wirklich innerlich begriindeten modernen
Stil und dessen besonderer, wenn auch nicht notwendigerweise atonaler Harmonik und linearer
1080
Moderne: Romanische Schweiz
Schreibweise welcht. So hat weder die bekannte Gruppe der ,,Sixlt in Paris (Auric, Durey,
Honegger, Milhaud, Poulenc, Tailleferre; vgl. S. 1071 ft) mit ihrer als Reaktion gegen den
Impressionisms Debussys zu verstehenden Polytonalitat und naturalistischen Verachtung
der bisherigen Klanggesetze, noch der langere Aufenthalt von Stravinsky am Genfer See
(seit 1913) einen nennenswerten Einflufi auf die Gruppe der jiingeren Komponisten der
romanischen Schweiz ausgelibt, wenn auch sichtlich weitere Kreise, nicht zuletzt durch das
eifrige und iiberzeugte Emtreten des Genfer Dirigenten E. Ansermet, einen gewissen Kon~
takt mit der neuesten Musik fanden. P.Benner (gediegene KirchenmusJk), E. Blanchet
(virtuose, zwischen Chopin und Debussy stehende Klaviermusik), A. Denereaz (formgewandte,
eklektisch gehaltene Sinfonik und Kammermusik, Kantaten und Chore), W. Montillet
(Messen, Motetten, Orgelwerke) mogen als BeispJele der zwischen 1870 und 1880 geborenen
Generation genannt sein, die auch stilistisch sich eher konservativ verhalt. Zirka em Jahrzehnt
jiinger sind E.BIoch (nacb deutschen und belgischen Studienjahren seit 1915 in Amerika)
mit bewuBter und kraftvoller Betonung judischer Empfindungs- und Stilelemente, zweifellos
eine dramatische Begabung von nahezu internationalem Format; Straufl wie Debussy be-
einflu&en ihn. Das Musikdrama ,,Macbeth" hat Anlafi zum Vergleich mit ,,Elektra" und
,,Salomet4 gegeben, Orchesterlieder, Sinfomen („ Israel", 1916), Kammermusik, Suiten ver-
raten einen heifien und kraftigen Zug. Ferner J. Duperier (Orchesterwerke, Orchesterlieder,
Klavierlieder), H. Gagnebin (Sinfonien, Kammermusik, Ouverttiren), F. Hay (sinfonische
Dichtungen, Chorwerke, vokale Kammermusik, Violinkonzert), Ch. Chaix (Sinfonien, Kan
taten, Motetten). Bei dieser Gruppe ist schon ein ecbterer moderner Kompositionsstil im
Sinn des inneren Miissens spiirbar, wenn auch die Vorbilder von Franck bis Debussy deutlich
erkennbar sind. Obwohl noch einige Jahre jiinger, sind auch A. Fornerod (Sinfonien,
KammermusJk, Motetten, eine Messe, Orgelwerke) und F. Martin (Chorsinfonie, Orchester
lieder, Kammermusik, Biihnenmusik) nicht wesentlich tiber diese Linie hinausgegangen, zeigen
aber ebenfalls eine eigene Physiognomic. Wenn auch genealogisch aus der deutschen Schweiz
stammend, so ist doch A. Honegger (geb. 1 892) kunstlerisch in ausscblaggebender Weise neben
Schonbergdurch Frankreichbeeinflufit (vgl. S. 1 072) und mufi in gewissem Sinn auch als Reprasen-
tant der romanischen Schweiz betrachtet werden. Etwas Gesundes und Bodenstandiges ermog-
licht es ihm, harmonische Kiihnheiten, polymelodische Freizugigkeiten zu bringen, ohne dafi der
Eindruck der schematischen Uberspitzung um jeden Preis entsteht. Eigenwillige Kammer
musik, Quartette, Sonaten, vokale Kammermusik, sinfonische Orchestermusik, Klavier- und
Orgelstiicke, Konzerte, vor allem dramatische Musik zeigen eine ebenso ungewohnliche Produk-
tionskraft, wie ernsten und tiefen, personlichen Stil, der sich durchaus nicht in der Negation des
Impressionismus erschopft oder einer kalten und geistvollen Sachlichkeit ausschhefilich buldigt
(die virtuose Maschinenschilderung ,,Pacific 231"). sondern das Gefiihl sogar als den not-
wendigen Imperativ zum kiinstlerischen Schaffen anerkennt, obwohl er eine gewisse un-
romanische Verschlossenheit besitzt. Weitaus am erfolgreichsten war Honeggers zu emem
,,Sinfonischen Psalm" umgearbeitetes szenisches Oratorium ,,Konig David* '. Aus der aller-
letzten Zeit stammen noch ,,Antigone" und .Judith", Werke, die seine Begabung auf dem
Gebiete der grofien vokalen Konzertformen eindringlich bestatigen. Man darf Honegger
als eine wirkliche Hoffnung der schweizerischen oder franzosiscben nicht nur, sondern der
europaischen Musik betrachten.
ir
Moderne: Hollander ]Q8I
Literatur
Vgl. S. 1044 zum Abschnitt , .Deutsche Schweiz", fernernoch Anserrnet, E. : La musique en Suisse (Mercure
musical Paris, juin 1906).— Becker,G.:La musique en Suisse, Neuausgabe 1923 (Henn.Genf). — Cherbuliez, A. E.:
Zeitgenossische Schweizer Musik (Die Kultur, Wien 1927, S. 796—801). — Currat, P.: Les chants et coraules de
la Gruyere (1895). — Gagnebin, H.: Easier KongreBbericht (Breitkopf, 1924, S. 147—150). — Humbert, G.:
Musique et musiciens suisses (Vie musicale, Lausanne, juin 1908). — Kelber, 0.: Die Musik in der Schweiz
(,,GeschichtederMusik\191^^
Die Moderne Musik (Handbuch der Musikwissenschaft von Biicken, Athenaion, Potsdam 1927). — Montandon,M.:
La musique en Suisse (Lavignacs Encyclopedic de la musique, Delagrave, Paris 1922). — Nef, K.: Bibliographic
der Schweiz. Schriften iiber Musik und Volksgesang (Bern 1908). — Refardt, Edg.: Hist.-Biograph. Musiker-
lexikon der Schweiz (Hug, Zurich 1928). Programmheft des Boston Symphony Orchestra 1929 iiber A. Honegger.
— Roland-Manuel: A. Honegger (Paris 1925). — Rossat, A.: Chants patois jurassiens. — Vogler, C.:
DerSchweizerTonkiinstlerverein (Hug, Zurich 1925). — Schweiz. Jahrbuch fur Musikwissenschaft, Bd. I, II, III.
(Aufsatze von I. Bovet, A. E. Cherbuliez, F. Gysi, J. Handschin, L. Kathriner, P. Long, P. Marsop, W. Merian,
E. Refardt). — Schweiz. Musikzeitung, besonders die Festhefte der schweiz. Tonkiinstlerfeste.
A. E. Cherbuliez
HOLLANDER
Seit Jahrhunderten behauptet Holland in der Kulturgeschichte einen Ehrenplatz als das
Land der Maler. Als solches ist es auch in aller Bewufitsein lebendig. Die vielfaltigen Bre-
chungen des Lichtes in dem feuchten Seeklima, die zarten Farben der verschwommenen Uber-
gange, die reichen Formen der feingegliederten Landschaft, dabei das auf gesunden Realismus
gestellte ernste und derbfrohliche Wesen des Volkes, eine eigene alte, hochstehende Kultur
und die all diesen Bedingungen entsprechenden Lebensformen, dies alles waren gegebene
Grundlagen far eine Entwicklung des Malerischen. So giinstig in dieser Hinsicht alle Vor-
bedingungen waren, so wenig kamen sie den andern Kunstzweigen, der Dichtung und der Musik,
entgegen. Einer Bliite und ,vor allem einer f ruchtbringenden Auswirkung der Literatur hat stets
die relative Begrenztheit des hollandischen Sprachgebietes im Wege gestanden. Unddoch wird
man allenthalben schone Ansatze und hier und da hochst wertvolle, ja wirklich bedeutende
Einzelerscheinungen konstatieren konnen. Die Sprache der hollandischen Dichter ist reich und
ausdrucksfahig, namentlich auch far das Malerische, und dabei von plastischer Anschaulichkeit.
Die realistische, unromantische Lebensauffassung, die Eigenart des Hollanders, die der
Entwicklung der Malerei so sehr zugute gekommen, ist einer bedeutenden Produktivitat auf
musikalischem Gebiete nicht forderlich gewesen. In gleichem Sinne iibte wohl auch die vor-
nehmlich seemannische Betatigung des Hollanders ihren EinfluB, eine Riickwirkung, die
Willem Harmans dahin charakterisierte, ,,dafi die musikalische Produktivitat einer Nation im
umgekehrten Verhaltnis steht zu ihrer Bedeutung als Seemacht". Ausgesprochen musik-
feindlich ist ja auch der Calvinismus, der in Holland naturgemaB starke Wurzeln fassen mufite
und dessen strenge phantasietotende Dogmen das Land lange Zeit beherrschten und noch heute
den Lebensformen gewisser Kreise ihren Stempel aufdrticken.
Zuriickblickend iiber die Jahrhunderte, sehen wir nur einen Namen eines hollandischen
Komponisten von universeller Bedeutung hiniiberstrahlen, das ist Jan Pietersz Sweelinck
(s. S. 541) (1562 — 1621), wahrend die sogenannte ,,Niederlandische Schule" aus der zweiten
]Qg2 Moderne: Hollander
Halfte des 15. Jahrhunderts ihren Schwerpunkt mehr im siidlicheren Flandem hatte und nicht
eigentlich als ,,hollandisch" angesprochen werden kann.
Aber trotz dieses sehr bescheidenen Anteils an der Geschichte der Musik ist der Hollander
im Grunde tief empfanglich und begabt fur die Tonkunst. Das beweisen die reichen Schatze
urkraftiger Volksmusik, die zum Teil schon zu Anfang des 1 7. Jahrhunderts von Adrianus
Valerius unter dem Titel ,,Nederlandtsche Gedenk-CIanck" gesammelt noch heute Im
Volke lebendig sind; das beweist auch die Entwicklung der Musik wahrend der letzten
Dezennien. Ihr zufolge mufi man Holland heute als belangreichen Faktor im europaischen
Musikleben werten. Die Neigung und Veranlagung zur Musik hat sich bisher am auffalligsten
im Reproduktiven gezeigt, in der relativ sehr grofien Anzahl guter, ja bedeutender ausiibender
Kiinstler hollandischer Abstammung, zumal unter den Sangern und unter den Mitghedern
der Orchester in aller Welt, dann im Lande selbst in der starken Pflege der Hausmusik und in
der Lebhaftigkeit eines hervorragenden Konzertlebens. Die grofie ,,Maatschappij tot be-
vordering der Toonkunst" kann schon auf ein hundertjahrigesBestehen zuriickblicken. Emzelne
ihrer zahlreichen Ortsgruppen haben vorziigliche Chore, unter diesen steht Willem Mengel-
bergs Amsterdamer Chor als einer der besten Europas an erster Stelle. Die Vorzuge der
hollandischen Chore: Klangschonheit und gute Schulung zeichnen auch eine glanzende Kette
von Sangern und Sangerinnen aus. Der grofite von ihnen war Joh. Messchaert (1857— 1922),
dessen umfassende Kiinstlerschaft in seiner klassischen Bach- Interpretation gipfelte. Aus
Messchaerts Schule ragen Frau Noordewier-Reddingius, eine Oratoriensangerin grofien
Formats, und der Bariton Thorn. Denijs hervor. Als Liedersangerinnen sind vor allem
Julia Gulp und Tilly Koenen, auf der Biihne im deutschen Kulturkreis aufgehend Anton
van Rooy und Jac. Urlus als bedeutsame Erscheinungen zu nennen. — Eine einzigartige
Orchesterkunst moge noch im Zusammenhang mit der jungeren Komponistengeneration
charakterisiert werden, deren Geschmack und Ziele sie richtunggebend beeinflufit.
Im 19. Jahrhundert ist das hollandische Musikleben vollig von Deutschland abhangig.
In dieser Abhangigkeit ist es recht eigentlich erstarkt. Die erste energische Ftihrer-
personlichkeit war Johannes Verhulst (1816—91). In Jhm ist die Vorherrschaft der
alteren deutschen Romantik verkorpert. Mit Mendelssohn und Schumann verband ihn per-
sonliche Freundschaft. Auch als Komponist war Verhulst fruchtbar; er schrieb Orchester-
werke, Kirchen- und Kammermusik. Zu gleicher Zeit wirkte Richard Hoi (1825 — 1904),
der als Dirigent und Lehrer das Musikleben in Utrecht zu hoher Bliite brachte und zugleich
als Schriftsteller und vielseitig begabter Komponist tatig war. Neben Verhulst und Hoi sind
noch der aus Leipzig stammende, 1850 nach Holland iibersiedelte und lange Jahre in Amster
dam wirksame Gustav Adolf Heinze (1820—1904) und der Haager Willem F. G. Ni-
colai (1829 — 96) als leitende Kopfe jener Epoche zu nennen. In den 70er und 80 er Jahren
beginnt der EinfluC Richard Wagners immer starker zu werden. Gegen Jhn und die heran-
wachsende Generation bleibt Verhulst das Haupt der Reaktion. Die Zeit schreitet iiber ihn
hinweg. Mit ihr wachsen neue Talente heran. Obwohl Oper und Musikdrama dem Hollander
wesensfremd, ist es gerade Wagner, der das hollandische Musikleben neu belebt. Aber die Kom~
ponisten bleiben trotz starker, durch Wagner empfangener Anregungen meist der Biihne fern.
Bernard Zweers (geb. 1854) ist das Haupt der alteren, von Wagner beeinfluBten Kompo
nistengeneration. Er schrieb zahlreiche Chor- und Orchesterwerke, von denen seine grofi-
Moderne : Hollander \ Q83
angelegte III. Symphonic ,,An mein VaterlancT ein Ereignis in der Geschichte der hollan-
dischen Musik bedeutet. Sie ist denn auch seit der Urauffiihrung 1890 im Amsterdamer
Concertgebouw bis heute Repertoirestiick geblieben. Von Zweers' spateren Werken seien
noch genannt die Musik zu Vondels ,,Gijsbrecht van Amstel*', die Ouvertiire ,,Saskia" und
die Ode ,,Aan de schoonheid" fiir Chor und Orchester (nach P. C. Boutens). Alle seine Chor-
werke und Lieder sind auf hollandische Texte komponiert.
Auch urspriinglich von Wagner ausgehend, aber seiner geistigen Veranlagung nach ganz
anders gerichtet und im Laufe seiner Entwicklung neuen Zielen zustrebend, ist Alphons
Diepenbrock (1862 — 1921) als die bedeutendste Personlichkeit unter den hollandischen
Komponisten anzusprechen. In den Wandlungen, die Diepenbrock durchmachte, spiegeln sich
die Wege der geistigen und musikalischen Stromungen Hollands um die Jahrhundertwende.
Diepenbrock steht als einer der Fiihrer in der kulturellen Bewegung der 80 er Jahre in regem
Austausch mit Personlichkeiten aller Zweige des geistigen Lebens. Als em warmer Verehrer
Gustav Mahlers gehorte er spater zu dessen hollandischem Freundeskreis, der in Willem
Mengelberg und dem Amsterdamer Concertgebouw seinen Mittelpunkt hatte. Obwohl
vaterlicherseits von deutscher Abstammung, suchte Diepenbrock in seinen letzten Jahren
immer mehr und fanatischer Anschlufi an Frankreich und die franzosische Musik, vor allem an
Debussy und seine Schule. Dieser Zwiespalt, der der Erscheinung Diepenbrock eine gewisse
Tragik gibt, ist auch in seiner Kunst fiihlbar. Sie wurzelt im deutschen Geiste — aber nicht
tief genug, um sich zu einer absoluten Hohe aufzuschwingen ; und die franzosische Sonne,
nach der sie sich sehnt, gibt ihr keine rechte Warme und Kraft. Von Hause aus Altphilologe,
in der Musik Autodidakt, in seinem Wesen Mystiker und glaubiger Katholik, war Diepen
brock mehr eine reflektierende und kritisch-griiblerische Natur, als eine impulsiv gestaltende
schopferische Kraft. Seine Gesamterscheinung hat fraglos etwas Geniales, und seine musi
kalischen Schopfungen tragen einzelne durchaus bedeutende Ziige. Eine rituale Messe war
sein erstes grofieres Werk. 1897 komponierte er ein machtvoll inspiriertes ,,Tedeum" fur Chor,
Soli und Orchester. Lieder schrieb er auf hollandische, deutsche und franzosische Texte,
auBerdem Orchestergesange (nach Holderlin und Novalis) und Chore. Charakteristisch fiir
Diepenbrock sind verschiedene begleitende Biihnenmusiken, wie die Musik zu Verhages
Biihnenspiel ,,Marsyas", zu Vondels historischem Drama ,,Gijsbrecht van Amstel", zu Ari
stophanes* ,,Die Vogel", zu Sophokles' ,,Elektra" und zu Goethes ,,Faust".
Weniger phantasievoll und differenziert, aber geistig und technisch geschlossener als Diepen
brock ist Cornells Dopper (geb. 1870, seit 1909 zweiter Dirigent des Concertgebouw).
Er ist der hollandischeste unter Hollands Komponisten. Hollandisch in der Schlichtheit,
manchmal geradezu niichternen Derbheit seiner Themen, hollandisch in der einfachen klaren
Plastik der Stimmfuhrung, hollandisch auch in .seinem Humor und Sinn fiir das Malerische.
Seine Orchesterbehandlung ist von charaktervoller Meisterschaf t : sehr farbig, dabei aber
kernig und kraftvoll in den Linien und sich nie verlierend in vagem Experiment ieren. Dagegen
ist die thematische Entwicklung haufig etwas trocken und zerrissen. Doppers ungemein
starke Produktivitat hat sich auf alien musikalischen Gebieten betatigt, bevorzugt aber die
Orchestermusik. Von seinen sieben Symphonien tragt die zweite den Namen ,,Rembrandt<<,
die sechste heifit ,,De Amsterdamsche", die siebente „ Zuiderzee-Symphonic". Schon diese
Bezeichnungen weisen auf die Bodenstandigkeit der Dopperschen Musik hin. Diese offenbart
69 H.d.M.
1084
Moderne: Hollander
sich auch in dem ausgesprochenen Sinn fur das Volkstiimliche und Burleske. So gibt zum
Beispiel das Finale der sechsten Symphonic die Impression eines Amsterdamer Volksfestes
(,,Koninginnedag ') hochst originell und geistreich wieder. Es ist dieselbe Psyche, aus der
heraus ein Jan Steen seine urwiichsigen, derb-humorvollen Szenen make. In diese Linie ge-
hort auch das Scherzo der siebenten Symphonic. Mit geradezu genialer Kiihnheit das Banale
streifend, schildert es aus der Fiille drastischer Anschauung eine hollandische Bauernhochzeit
und ist so in gewissem Sinne als ein niederlandisches Gegenstiick zu Bruckners oberoster-
reichischen Scherzi anzusprechen. Darin manifestiert sich eine wichtige Seite der Bedeutung
Doppers, dafi er Melodien von ausgesprochen national-hollandischem Charakter in grofien
Formen verwertet und sie, dank einem meisterhaft beherrschten personlichen Stil, aus lokaler
Atmosphare zur AHgemeingiiltigkeit erhebt. Auch der erste Satz der Zuiderzee-Symphonic
ist durchsetzt mit alten hollandischen Volksweisen, wahrend der langsame Teil dieses ganz
aus dem Erlebnis der hollandischen Natur heraus erwachsenen Werkes, inspiriert durch emen
Sonnenuntergang auf dem Meere, musikalisch-malerische Stimmungen von grofier Intensitat
undEigenart enthalt. Eine der starksten Schopfungen Doppers ist seine ,,Ciaconna gothica"
for grofies Orchester (1920). Sie stellt einen Zyklus von Variationen auf ein achttaktiges
Grnndthema ernsten Charakters dar, Variationen, die trotz ihrer Gegensatzlichkeit und far-
bigen Belebtheit den wehmtitigen Charakter des Themas durchweg wahren, in Jhrem Verlauf
steigern und in dem leise und langsam verhallenden SchluB zu intensiver Stimmung verdichten.
Dopper kompomerte aufierdem noch verschiedene einsatzige Orcbesterwerke, Suiten und
Konzerte (u. a. ein Cellokonzert und ein Paukenkonzert !), mehrere Chorwerke, drei Opern
und Kammeimusik. Nebenbei hat er sich durch geschickte Bearbeitungen von Werken alter
Meister sehr verdient gemacht.
Gewisse nationale Ziige weist auch das Schaffen von Johan Wagenaar auf, der, 1862 in
Utrecht geboren, lange Zeit als Dirigent, Organist und Lehrer mit dem Musikleben seiner
Vaterstadt aufs engste verkniipft war und das fruchtbare Wirken seines Lehrers Hoi fortsetzte.
Seit 1918 ist Wagenaar Direktor des Kgl. Konservatoriums im Haag. Zu seinen charakter-
vollsten Werken gehoren die burlesken Opern ,,Der Doge von Venedig" und ,,Der Cid", und
die humoristisch-parodistische Kantate ,,De Schipbreuk" (,,Der Schiffbruch")- Diese Werke
haben, abgesehen von der meisterhaften, an Berlioz, R. Straufi und Mahler entwickelten Be-
herrschung alles Technischen, eine eigene Farbe durch das auf realistischer Lebensauffassung
begriindete Derb-Burleske, Humoristisch-Satirische ihres Inhaltes. Viel Melodic und gesunder
Rhythmus ist ihnen nachzuruhmen. Leider stehen die von Wagenaar benutzten Dichtungen
literarisch nicht auf einer Hohe, die der Musik entspricht; dabei ist diese doch wieder so eng
verkniipft mit den Wirkungen der hollandischen Sprache, dafi ein beispielsweise ins Deutsche
iibertragener Text dem Verstandnis erheblich hinderlich sein wiirde. Auch die rein instrumen-
talen Werke Wagenaars, darunter eine Anzahl Ouvertiiren (,,Cyrano de Bergerac", ,,De ge-
temde feeks" u. a.) und eine stark von Mahler beeinflusste Sinfonietta sind beachtenswert.
Zu Wagenaars vielverzweigtem Schiilerkreis gehort der Dirigent des von Henri Viotta,
einem fur die niederlandische Musikkultur verdienstvollen Anreger, 1904 gegriindeten
Residenzorchesters im Haag, Peter van Anrooy (geb. 1879), der sich in jungen Jahren
als Komponist der ,,hollandischen Rhapsodic" fur Orchester ,,Piet Hein" einen Namen
machte.
Moderne: Hollander 1085
Grofies Verdienst um die nationale volkstiimliche Kunst hat sich Julius Rontgen durch
reiche Sammlungen und Bearbeitungen althollandischer Tanze und Lieder erworben, wah-
rend er in seinen eigenen Werken eine mit der hollandischen Psyche im Wesen zusammen-
hangende Eigenart nicht aufweist. Er ist vielmehr durch Geburt, Schule und Neigung eng
verkniipft mit der deutsch-romantischen Schule, verbrachte seine Jugend als Kind hollandischer
Eltern in Leipzig und kam dann als 22jahriger 1877 nach Amsterdam, wo er u. a. als Direktor
des Konservatoriums eine sehr geachtete Stellung einnahm. Eine idealistische Kiinstlernatur
und schopferische Begabung von aufierordentlicher Produktivitat, hat Julius Rontgen als her-
vorragende Personlichkeit des Kreises um Brahms, als intimer Freund Griegs und so mancher
anderer Meister ein bedeutsames Stiick Musikgeschichte miterlebt und mitgebaut. Er schrieb
Orchester- und Chorwerke, Kammermusik, Klavierwerke, Lieder und zwei Opern.
Von den Komponisten, deren Tatigkeit und Schaffen mehr dem deutschen Kulturkreis zu-
gewandt ist, seien noch genannt: Jan Brandts - Buys, dessen komische Oper ,,Die Schneider
von Schonau" iiber viele Btihnen ging, Jan Ingenhoven (geb. 1876) und Jan van Gilse
(geb. 1881), der u. a. fiinf Symphonien und ein Chorwerk ,,Lebensmesse" (nach Dehmel)
komponierte. Als begabter Kammermusikkomponist hat sich neben vorziiglicher pianistischer
Tatigkeit Di r k Sch af er (geb. 1 874) erfolgreich betatigt. Er schrieb auBer Klaviersachen u. a. vier
Violinsonaten, ein Klavierquintett, ein Streichtrio und ein Streichquartett. Auch vom
Klavier kommend, aber in seiner weiteren Entwicklung mehr zur farbigen Orchester-
palette hinneigend, ist G. H. G. von Brucken - Fock (geb. 1859) ein auch als Maler ver-
anlagtes Naturtalent. Seine Klavierstiicke, seine Lieder und Orchesterwerke (darunter zwei
Symphonien) gehen vielfach von malerischer Anschauung aus und sind vor allem durch das
Meer in seiner ewig wechselnden Erscheinung inspiriert1). Ein feinsinniger Tondichter nach-
romantischer Pragung istWillem Landre (geb. 1874), wahrend Henri Zagwijn (geb. 1878)
durch seine problematisch-suchende Natur fesselt.
Mit der wachsenden Ausbreitung der katholischen Kirche in Holland sind auch einige
Komponisten geistlicher Richtung hervorgetreten, unter ihnen Hubert Cuypers (geb. 1873)
und TheovanderBijl,der eine Matthauspassion fur Chor, Soli und Orchester auf den latei-
nischen Text komponierte, ferner der vor allem als Pianist bekannte Willem Andriessen
(geb. 1887) und sein jiingerer Bruder Hendrik. Bemerkenswert ist die verhaltnismafiig grofie
Anzahl begabter Komponistinnen hollandischer Abstammung. Von ihnen seien genannt:
HendrikavanTussenbroekundCatharinavanRennes,derencharaktervollehollandische
Kinderlieder und Chore eine ganz eigene Physiognomic haben, weiterhin Cornelie van
Oosterzee, Anna Lambrechts-Vos, Elisabeth Kuyper, A. Mesritz-van Veldt-
huyzen, Henriette Bosnians u. a.
Bei der Betrachtung der letzten Komponistengenerationen wird deutlich, wie Holland sich
allmahlich aus der beengenden Sphare der deutschen Nachromantik mehr und mehr befreite,
vielseitigen Anregungen zuganglich wurde, insonderheit der Beeinflussung durch Mahler und
l) Der Verfasser dieses Artikels hat seiner kompositorischen Tatigkeit nicht Erwahnung getan: Rudolf Mengel -
berg (geb. 1892 in Krefeld) wirkt seit 1915 in Amsterdam, wo er als kiinstlerischer Direktor des Concertgebouw
tatig ist. Er entfaltet eine hochachtbare kompositorische Tatigkeit in Kammermusik, Orchesterwerken, Liedern
und hat bei der Preisausschreibung der Maatschappij tot bevordering der Toonkunst (Vorsitzender der Jury
Johan Wagenaar) 1929 den Weltpreis errungen. Er ist kulturell und kiinstlerisch tief verwurzelt im hollandischen
Boden und steht der Mahlerschen Kunst nahe, fur die er auch literarisch wirkt. Der Herausgeber.
69*
Moderne: Hollander
den neufranzosischen Impressionisms nachhaltig unterliegt, um zuglelch aber auf einer
breiterenErlebnisbasis sein eigenes Wesen starker zu entwickeln und erne den neuen Inhalten
entsprechende reifere Technik zu erlangen. Hierbei wirkte die durch Willcm Mengelberg
(geb. 1871 in Utrecht) zu hochster Bliite gelangte individualisierte Orchesterkunst ausgesprochen
stilschopferisch, und das 1888 ercffnete, seit 1895 dauernd unter seiner Leitung stehende
Amsterdamer ,,Concertgebouw" gewinnt als zentrales Musikinstitut richtunggebenden Em-
flufi. /.Mengelberg propagiert in hochster Instanz den Idinstlerischen Internationalismus,
gebildet aus gleichberechtigten, so stark und so rein wie moglich geaufierten Nationalismen.
Ich kenne keinen niederlandischen Meister, der grofieren Einflufi auf das niederlandische
MusiUeben hat als Willem Mengelberg" (Willem Pijper). Ein bedeutsamer Hohepunkt unter
den vielen musikalischen Ereignissen, die sich im Concertgebouw in den ersten dreifiig Jahren
dieses Jahrhunderts abspielten, war — als erstes Internationales Musikfest nach dem Welt-
kriege - das grofie Mahler-Fest (Mai 1920), auf dem alle Werke des osterreichischen Sym-
phonikers in zyklischer Folge an neun Abenden zur Auffuhnmg gelangten.
In der lebhaften Bewegung, die sich im gesamten hollandischen Musikleben seit dem Welt-
kriege geltend macht, tritt als Fiihrer einer neuen Sezession Willem Pijper hervor. Pijper
(geb. 1894) ist eine ausgesprochen zerebrale Natur, mit scharfem, vielfach zersetzendem
Kunstverstand begabt. Ein gewisser Mangel an tieferen musischen Kraften wird durch hervor-
ragende geistige Disziplin ersetzt. Sie gibt Pijpers gesamtem Schaffen einen durchaus person-
lichen, sachlich-strengen Charakter, der nach stets pragnanteren Formulierungen strebt.
Harmonisch steht er ganz auf atonalem Boden. Im Lyrischen bleibt eine gewisse Abhangigkeit
von Debussy fiihlbar. Die Reihe von Pijpers Werken ist, zumal im Hinblick auf ihre starke
Durcharbeitung, schon sehr ansehnlich. Sie umfaBt u. a. drei Symphonien, ein Klavierkonzert,
szenische Musik zu Dramen des Sophokles und Euripides, vier Streichquartette, ein Septett
und ein Sextett (far Blaser und Klavier), Trios, Sonaten, Lieder, Chore und Bearbeitungen
alterer Werke. - Der betrachtlich altere, 1881 geborene Sem Dresden ist als Schiller von
Zweers und Pfitzner mehr traditionsbelastet und hat sich erst allmahlich den neuen Zielen
zugewandt. Der Schwerpunkt seines Schaffens liegt in der Kammermusik und Vokalkompo-
sition. Der problematische Bernhard van Dieren (geb. 1884) ist, seit 1909 in London
lebend, dem hollandischen Kulturkreis entwachsen. In der Schule von Ravel und Roussel
herangebildet, schafft Alex. Voormolen (geb. 1895), vielfach exzentrisch suchend Daniel
Ruyneman (geb. 1886). Erwahnung verdienen noch B. van Sigtenhorst-Meyer (geb. 1888)
und die friihreifen Talente H. D. van Goudoever (geb. 1898) und Emile Enthoven
(geb. 1903).
Literatur
Bottenheim,S.:HetConcertgebouwteAmsterdam.1888— 1913 — Diepenbrock, A.: Ommegangen (Gesammelte
Aufsatze). Amsterdam 1922. — van Dokkum, J. D. C, De MaatscKappii tot bevorderbg der Toonkunst in
hare wording en ontwikkeling. Amsterdam 1918. — Derselbe, Hondert jaar muziekleven in Nederland
1829—1929. Amsterdam 1929. — Dresden, Sem: Het muziekleven in Nederland sinds 1880. Amsterdam
1923. — Gedenkboek Willem Mengelberg. 's Gravenhage 1920. — Riemsdyk, J. C. M. van: Het Stads-
Muziekcollegie te Utrecht (Collegium Musicum Ultrajectinum) 1631— 1881. — Scheurleer, D. F. :
Mozart's verbly in Nederland en het muziekleven aldaar in de laatste helft der 18de eeuw. — Derselbe,
Het muziekleven te Amsterdam in de 17de eeuw. — Derselbe, Het muziekleven te s' Gravenhage
in de tweede helft der 18de eeuw. — Viotta, Henri: Onze Hedendaagsche Toonkunstenaars. —
Moderne: Italiener 1087
Harmans, Willem: Die Entwicklung der Musik in Holland (,,Die Musikwelt", Hamburg, ILJahrg., drittes
Heft). — Holland -Heft der ,,Neuen Musikzeitung" (41. Jahrg., 1920, Heft 15). der ..Musikwclt*
(III. Jahrg., erstes Heft). — Bou wsteenen , Jaarboeken van de Vereeniging voor Nederlandsche muziek-
geschiedenis. — Tijdschrift van de Vereeniging voor Nederlandsche muziekgeschiedenis. — Geschiedenis en
handelingen van de Maatschappij tot bevordering der Toonkunst.
Rudolf Mengelberg
ITALIENER
Wer immer die Periode der musikalischen Produktion Italiens, die von 1880 bis auf unsere
Tage reicht, aufmerksam beobachtet, wird leicht ein typisches Phanomen in der Orientierung
dieser Produktion zwischen der ersten und zweiten Halfte dieser vierzig Jahre finden. In der
ersten bleibt die italienische Oper die Hauptform, in welcher die Komponisten Italiens sich
betatigen, um ihre musikalischen Energien zu messen und sich als Musiker festigen; in
der zweiten macht sich immer mehr die Tendenz geltend, aus dem geschlossenen und
fruchttreibenden Gebiete der Oper herauszukommen, um auf dem Felde der symphonischen
Musik und des lyrischen Gesanges zu saen und um die Quellen des Volksliedes und der histo-
rischen Forschung genau zu priifen. In dieser zweiten Halfte offenbart sich ein Geist des Wett-
eifers, welcher die Komponisten des Landes des ,,Bel Canto" treibt, in all das, was nur Jmmer
jenseits der Alpen an allermodernstem erscheint, einzudringen. Die sehr verschiedenen Ten-
denzen, die vormals im fast uniibersteigbaren Gehege der Oper enthalten waren, manifestieren
sich wie ein Springbrunnen, der iiberraschend auBerhalb des nationalen Bodens hervorquillt.
Trotz des jahen Wechsels der Geschehnisse Jst es noch moglich — wenigstens mit Bezug
auf gute zwei Dritteile dieser Periode — , klar die Abgrenzungslinie zu unterscheiden, die
einerseits von der reinen Furche der nationalen Kunst, andererseits von den Einfliissen, die
seitens der fremdlandischen Kunst ausgeiibt worden sind, gezogen ist. Daraus ergeben sich
vier charakteristische Momente: Im ersten Dezennium entbrennt der Kampf zwischen dem
Wagnerschen Tondrama und der traditionellen Oper, welche den ersten Platz behalt und mit
dem Erscheinen der ,,Cavalleria rusticana" die veristische Richtung hervorruft, die wahrend
des zweiten Dezenniums nahezu die Hegemonic erlangt. Nun folgt die Periode des Durch-
sickerns des Debussysmus in Italien. Wahrend des Ausbruches des grofien -Krieges entfacht
sich der nationale Geist und nahert sich wieder dem Gesichtspunkte der grofien italiemschen
Kunst der Vergangenheit, und unter diesem kunstlerischen Gesichtspunkte weckt er neue
Reihen von Anhangern, welche bereit sind, den Bahnen der Moderne zu folgen, ifridem sie
der Phantasie moglichst weite Grenzen ziehen und das Tor'auch jenen Arten offnen, die vom
herrschenden Geschmack verschieden sind, und zwar ohne AusschluB irgendwelcher Na~
tionalitaten. Mit dieser Einteilung haben wir nicht die Absicht, hier ein System aufzustellen,
welches einer objektiven Priifung der auf dem Gebiete der Kunst frei waltenden Geister nicht
standhalten konnte.
Als Verdi sich im Jahre 1880 Arrigo Boito naherte, um mit ihm die Umarbeitung seines
,,Sirnon Boccanegra" vorzunehmen, gab er (sicherlich unfreiwillig) Anlafi zu einer Tatsache,
welche etwas Symbolisches enthalt. Verdi, der hervorragendste Reprasentant der traditionellen
]Qgg McxJerne: Italiener
italienischen Opernliteratur, und Boito, der nach der giinstigen Aufnahme seines ,,Mefistofele"
in Bologna (1875) das Haupt der jungen Krafte von der revolutionaren Seite im allgememen
und der Wagnerianer Jm besonderen geworden war — diese beiden naherten sich emander,
nachdem sie sich wie zwei Antagonisten gegeniiber gestanden waren, und schlossen sich sogar
zu gemeinsamer Arbeit zusammen. Diese Arbeitsgemeinschaft zeitigte als erste Frucht im
Jahre 1887 den ,,0tello" und als fertige und ausgereifte im Jahre 1893 den .JFalstaff". Eine
derartige Arbeitsgemeinschaft konnte nur zum Besten der Entfaltung solch starker Personlich-
keiten ausfallen. Und in der Tat, die Umbildung Verdis im ,,0tello" kann nicht als direkte
Folge der Wagnerischen Einwirkung angesehen werden, laBt sich auch nicht auf Grund des
Werkes des Librettisten Boito erklaren, sondern wurde vielmehr von Verdi selbst als eine innere
Notwendigkeit gefuhlt, unmittelbar aus dem herrschenden Zeitgeist hervorgegangen. Verdi
konnte dem Wagnerianismus nicht entrinnen, soweit derselbe den Fortschritt der technischen
Mittel, einen Kampf gegen die Konvention um ihrer selbst willen, dann Steigerung der Aus-
drucksmittel, hervorgegangen aus der Vereinigung der lyrischen, dramatischen und szenischen
Elemente mit denen der Musik, bedeutete. Und in diesem Sinne fand Verdi in Arrigo Boito
einen sehr wirksamen Verbiindeten, in dessen Gesellschaft er die falschen Aufierlichkeiten
der grofien Oper des franzosischen Typus (,,Vespri Siciliani", ,,Don Carlos" und teilweise
auch ,,Aida") abstoBen und Shakespeare sich nahern lernte. So setzte er den Inhalt des Shake-
speareschen Dramas synthetisch in eine librettistische Form, die sozusagen befreit war vom
alten Schnitt der Arie, des Rezitativs, und sich poetisch iiber die gewohnlichen Libretti erhob.
Verdi erfiihlte auch die Mithilfe des Orchesters im Dienste des dramatischen Ausdruckes, alle
Krafte der vereinigten Jnstrumentalen Elemente zur Charakteristik der Biihnengestalten. Je-
doch fiihlte er sich deswegen nicht bemiifiigt, die Vokalitat der Oper zu verleugnen. Er war
ein Deszendent der reinen melodramatischen Tradition und bewahrte ihr Treue. Wer daher
den ,,0tello" in der Nahe betrachtet, wird sehen, wie in ihm sich die mstrumentalen Elemente
den vokalen unterordnen. In der Tat, kein Stuck des ,,0tello" konnte als symphonische Musik
angesehen werden, keines konnte je im Programme eines Konzertes Eingang finden. Die
Vokalitat einer Oper, welche von der vollen Auswirkung der Wagnerschen Prinzipien, mit
Boito als Mitarbeiter, ausgeht, ist die Negation dieser Prinzipien. Das Um und Auf der Ver-
dischen Oper besteht immer in der Fahigkeit der italienischen Musik im allgemeinen und
der Verdischen im besonderen, unmittelbar in der der Wahrheit am nachsten kommenden Art
die immanente Bedeutung des Wortes zu iibertragen. Diese Fahigkeit der Musik ist so groB,
daB gewisse ausdrucksvolle dramatische Momente erhebliche Vervollkommnungen erhalten
konnen, so gelegentlich einer lyrischen Stelle. Und im Gegensatze dazu ist der Fall nicht
selten, wo in erregteren Momenten des dramatischen Rezitativs sich scharfe dramatische
Akzente mit weichen fliefienden Stellen vermengen. Das asthetische Terrain, auf welchem
sich die erneuerte sparsame Technik der Verdischen Oper erhebt, ist somit noch jenes, welches
nach dem ,,Tell" Rossinis den ,,Rigoletto" moglich gemacht hat. Diese Asthetik ist es auch,
aus welcher namlich ebenso die Schonheit der dramatischen Schmahung des Rigoletto gegen
die Hofleute, wie auch der diistere, ironische Ton des Credos des Jago, ferner die siiBen
lyrischen Stellen der Gildarezitative und die Desdemona-Parlandos stammen.
Mit Verdi bleibt auch eine Gruppe von nicht mehr jungen Komponisten der Vokaltradition
treu, welche aber um 1880 und 1890 ihr Bestes for die italienische lyrische Szene geleistet
Moderne: Italiener 1089
haben. In erster Linie Amilcare Ponchielli, dem es im Jahre 1874 mit der ,,Gioconda"
gelang, eine bisher unerreichte Popuiaritat zu erzielen, der im Jahre 1880 seine beste Musik
im ,,Figliuol Prodigo" lieferte und sich 1885 im ,,Marion Delorme" erschopfte. Dieser Periode
gehoren ferner an: Gomes (,,Schiavo", 1889; ,,Condor", 1891), Cagnoni (,,Francesca da
Rimini", 1878), Bottesini (,,Ero e Leandro", 1879), Luigi Mancinelli (,,Isora di Pro-
venza", 1884), Auteri Manzocchi (,,Conte di Gleichen", 1887). Die Produktivitat aller
dieser Autoren blieb zwar vom Wagnerschen EinfluB frei, fand aber in sich nicht geniigend
Kraft, um sich wie Verdi zu erneuern, noch auch mit dem Hauche personlicher Schopfung
zu entfalten und nachhaltig zu wirken. Und trotzdem ist das geschilderte Bild von der ita-
lienischen Opernproduktion, welche von Verdi in jenem Dezennium beherrscht wird, nicht
vollstandig, wenn man nicht auch den Hintergrund betrachtet und das gewonnene Bild nicht
durch die Tatsache vervollstandigt, dafi sich in erster Linie die jungen Komponisten und
gleich nach ihnen auch das Publikum neue Kenntnisse erwarben, indem sie von derVerbrei-
tung der Wagnerschen Produktion und der symphonischen Oper Nutzen zogen*
Jene bei Verdi so sehr bewunderte Vokalitat, welche dem Baum der italienischen Opern-
tradition immer neue Bliiteperioden zu sichern schien, bekam gerade damals einen Schlag
seitens einer machtigen Rivalin : der symphonischen Musik. Auf diesem Gebiete hatte die
Verbreitung der Kenntnisse der symphonischen Klassiker und Romantiker, welche der ita
lienischen Sensibilitat in leidenschaftlicher Weise mit den Lockungen der Sentimentalitat und
mit dem bestrickenden Zauber des Kolorits entgegenkamen, zu Bundesgenossen die Orchester-
stiicke, welche der Wagnerschen Musik fur den Gebrauch der Konzertsale entnommen waren.
Ein Anzeichen far jene langsame Umbildung, die sich im Geschmack der studierenden Ju-
gend vollzog, ist die Tatsache des grofien Erfolges, den der ,,Lohengrin" in der Scala im
Jahre 1888 errang, wahrend derselbe ,,Lohengrin" 15 Jahre friiher bei seinem ersten Er-
scheinen abgef alien war. Natlirlich hatte diese Zustimmung zur Wagnerschen Oper in Mai-
land, sowie auch der Beifall, den 1888 ,,Tristan" in Bologna fand, keinen volkstiimlichen
Charakter. Die Wagnersche Reform war trotz der Bestrebungen einzelner italienischer Kom
ponisten, Dirigenten und Schriftsteller nicht der Ausgangspunkt, der in Italien eine beifallige
Aufnahme der ersten Versuche von Auffiihrungen Wagnerscher Opern hatte bewirken konnen.
Immerhin nahm das italienische Publikum, das natiirlich vor jedem asthetisch-theoretischen
Kanon zuriickschreckte, jene Auffiihrungen als geniale Leistungen auf. Das Problem der
Form interessierte es wenig, und wenn -auch, so reagierte es eher in negativer Weise ange-
sichts der kiinstlerischen Tat.
Das iibrigens hindert nicht, dafi, wie wir schon gesehen haben, die Sucht nach neuen Zielen
zu einem Erregungszustand der Gemiiter fiihrte. Die Worter ,,Polyphonie" und ,,Symphonis-
mus", welche aufgefafit wurden als Gegensatz zur Vokalitat, wurden immer mehr zwei Ge-
meinplatze in den Diskussionen der Jungen, besonders in den Konservatorien. Der Gedanke
eines farbenreichen Polyphonismus erstrahlte nunmehr machtig und glanzend, nicht so sehr
als ein Element einer organischen Reform der Oper, sondern vielmehr als eine vereinzelte
kiinstlerische Tat. Die italienischen Propagatoren des Wagnerianismus nahmen die Partitur
als einheitliches Ganze, sie fahlten sich beseelt von der symphonischen Offenbarung; sie
nahmen nicht viel Riicksicht auf den Gesamtwert des Werkes, dem diese Teile angehorten,
sondern machten sich gleich an die Nachahmung. Italien war voll von Wagnerianern ein-
Moderne: Italiener
seitigster Art; was daraus hervorging war ein technischer, kein asthetischer Fortschntt. Es
wurde in der Oper das Prinzip der Vokalitat zerstort, ihre Konstruktion wurde im Namen des
polyphon-instrumcntafcn Wagnerianismus haltlos und somit unfruchtbar Die zahlreichen
Werke dieser Jungen riefen - gerade weil sie ein traditionelles Element leugneten ohne es
durch etwas Organises oder wahrhaft Gefiihltes zu ersetzen, das iiber die oberflachliche
Nachahmung Wagners hinausgegangen ware - Debatten hervor, die in Wirkl.chke.t kerne
Folge batten. Dann kam die Gegenstromung, vorbereitet, erleichtert durch die Ermudung,
welche von jenen ungeniigenden und gekiinstelten Anstrengungen hervorgerufen war. bm
Funke, welcher mit einem Erfolge von ungeheurer Tragweite die angsthche Erwartung der
Geister des italienischen Publikums zur Entladung brachte, war ,,Cavallena rusticana , er-
schienen 1890. . „ .
Man konnte in der Stromung des lyrisch-veristischen Theaters mit der ,,Cavallena als
Ausgangspunkt eine Mache seitens des Verlegers erblicken, welche den Anlafi far emen Wett-
bewerb geben sollte, der in Rom 1890 eroffnet wurde. Aber kein Interessenzwang, kerne
vorbedachte Reklameinitiative konnten dem Publikum innerhalb und aufierhalb Italiens die
allgemeine Zustimmung nehmen, welche die ,,Cavalleria rusticana" und die Werke ahnlicher
Art in der Folgezeit erzielten. Dieser Wettbewerb war nur die zufallige Ursache dieser Tat-
sache, welche eine Bedeutung an sich hat, die durchaus unabhangig ist von der Art ihres Ur-
sprunges, welcher immer auch der der Oper innewohnende Wert sein mag Die ^Cavallena"
bedeutete zunachst eine einfache Riickkehr der italienischen Oper zu ihrer Uberlieferung ; zu
einer Tradition des Sujets, das sich direkt an das dramatische Temperament von Kiinstler
und Publikum Italiens wendete; einer Musikertradition, die, indem sie die von den Poly-
phonisten Wagnerscher Art vollzogene Assimilation vernachlassigte, eine Ruckkehr der ita
lienischen Oper zu ihren vokalert Anfangen bedeutete. Der entscheidende Schritt vollzog sich
briisk, wie dies bei alien impulsiven GegenstoBen der Fall ist. Diese Art aufierte sich kiinst-
lerisch mit einer fast brutalen Gewalt von naiver und roher veristJscher Haltung, wie e? am
besten pafite, nicht eine Kunst, die sich, um zu siegen, in der Arena der Wagnerianer zu
messen hatte. Diese unvorhergesehene Unterbrechung schien und war auch in der Tat eine
Herabminderung der asthetischen Werte; in Wirklichkeit jedoch war es fur die italienischen
Musiker erwiinscht, festzustellen, wieviel noch die alten Ausdnicksmittel der Oper vermochteru
sobald zwischen Musik und Gegenstand jenes Integrationsphanomen eintrate, welches die
Wagnerianer verkannt batten. Die einfache Diktion des Librettos zusammengefafit in einem
Stiicke voll kraftigster Farben, packendster Sinnlichkeit und Leidenschaft, findet in den em-
facheri geftihlvollen und farbenreichen Formen Mascagnis passenden Ausdruck. Jene Musik,
in der Volkslieder aus dem schonen Siiden Italiens durchklingen, in der nichts gekunstelt er-:
schien, weil der bescheidenen Idee des Musikers und den gewahlten- Formen entspr^qhend,
diese Musik schien hervorzuquellen aus dem dramatischen Sujet und aus der Leidenscbaft,
diedazu den Rahmen bildete. Es kamen dann vom selben Meister ,,Freund' Fritz * (1891)
und ,,Rantzau" (1892), dann der romantische ,,Ratcliff" (1895) und ,,Iris" (1898), denen es
an starken lokalkoloristischen Einschlagen und geistreicher Harmonisierung nicht -feblte, je-
doch geht diesen Partituren die in der ,,Cavalleria" ' so wirksame naturalistische Note ab.
Unter unleugbaren Spuren von Phantasie des Musikers zeigen sich die Anzeichen von Nach
ahmung in Formen, der Verzerrung der melodischen Linie und der launenhaften Art der
Moderne: Italiener JQQ]
musikalischen Durchdringung nicht weniger auffallig. Immerhin, mit der ,,Cavalleria" war
der Wiirfel einer Neuorientierung des italienischen lyrischen Theaters im veristischen Sinne
gefallen. Mit weniger Phantasie und mithin nicht mehr mit der Urspriinglichkeit der Mas-
cagnischen Einbildungskraft ging iiber die Biihnen Italiens der ,,Bajazzo" (1892) von Ruggiero
Leoncavallo (1858 — 1919), in den von der ,,Cavalleria" vorbereiteten Spuren, wobei die
Heftigkeit der Leidenschaft und die Sinnlichkeit des musikalischen Ausdrucks der ,,Cavalleria"
noch iibertroffen wurde. Auch Leoncavallo, als er den Schauplatz verliefi, auf dem der ,,Ba-
jazzo" einen so groBen Erfolg errungen hatte, fand nicht mehr den gleichen Beifall des Publi-
kums. So gingen die ,,Medici" (1893), ,,Chatterton" (1896), ,,Boheme" (1897), ,,Zaza" (1900),
,,Maia" (1910) voriiber, ohne dauernde Spuren zu hinterlassen. Ohne eine solche blieben
auch die ,,Zingari", mit welchen der Komponist im Jahre 1912 zu den Quellen seines Ruhms
zuriickzukehren trachtete. Aber die Zeiten und die Urspriinglichkeit der veristischen Oper
waren vorbei.
Mehr ausgeglichen und eine groBere Personlichkeit, wie auch in stetiger und aufsteigender
Entwicklung, ist Giacomo Puccini (1858-1924). ,,Le Villi" (1884) und ,,1'Egar" (1889) er-
schienen wie eine VerheiBung, bevor noch dem Jtalienischen Publikum die Namen Mascagni
und Leoncavallo bekannt waren; Puccinis Ruhm festigte sich, als im Jahre 1893 ,,Manon"
die sentimentale, melodische Ader des lucchesischen Komponisten, seine dramatische In
tuition, seinen sicheren Sinn fur Theatereffekte, fur das MaBhalten, far die Kunst der musi
kalischen Hebung der Personencharaktere offenbarte. Ohne in Tiefen hinabzusteigen, ohne
sich ideale Hohen zum Ziel zu nehmen, gewann Puccini durch seine menschlich packende
Note, durch eine gewisse aufiere Eleganz, die an die Zierlichkeit der franzosischen Musik er-
innert, eine der ersten Stellen in der Reihe der Opernkomponisten, die, je mehr sie produktiv
waren, desto besser aufgenommen wurden. Seine Eigenart, die schon in ,,Manon" fiihlbar
ist, wird noch typischer und personlicher in der ,,Boheme" (1896), wahrend ,,Tosca" (1900)
einen Schwung des Meisters nach der gewaltigen Manier hin, gegen das Aufbriillen der Leiden-
schaften und grausamen Effekte bedeutet. Umberto Giordano (geb. 1867) folgt Puccini in
kurzer Zeit mit ,,Andrea Chenier" (1896), er folgt ihm auch in gewisser Riicksicht beziiglich
Art und Sujet, die auch fiihlbar sind in ,,Fedora" (1898) und in ,,Siberia" (1903), obwohl
diese Opern durch das russische Milieu eine von dem franzosischen des ,,Chenier" verschie-
dene Farbung suchen. In die Reihe der Opernkomponisten der gleichen Stromung ist auch
Francesco Cilea (geb. 1866) mit ,,Adriana Lecouvreur" (1902) zu stellen.
Immerhin, neben dieser Reihe — die m Italien vielleicht die jungitalienische Schule deshalb
genannt wird, weil sie aus jungen Kraften zusammengesetzt von gemeinsamen Aspirationen
und Tendenzen bewegt schien — erlebt das lyrische italienische Theater im selben Dezennium
einige andere Ereignisse, die sich klar auf seinem Honzont abzeichnen. Auf der einen Seite
steht ,,Falstaff *, die letzte Schopfung des Verdischen Genius, mit welchem der Meister von
Roncole seinem bekannten Ausspruch: ,,Kehrt zuriick zur Vergangenheit, und ihr werdet
einen Fortschritt machen", konkreten Ausdruck gibt; auf der andern Seite steht eine fast
isolierte Gruppe von Opernkomponisten, wie Catalan!, Smareglia, Franchetti, auf
welche sich der Siegesmarsch des Verismus in der Oper nicht erstreckte
Weit entfernt von der Wagnerschen Stromung und hoher stehend als die auf dem Gebiet
des Verismus erzielten Schopfungen erhebt sich der ,,Falstaff" wie ein isoliertes Denkmal,
Moderne: Italiener
welches auf der Vergangenheit der lyrisch-dramatischen Kunst fufit und auf der Gegenwart,
mit welcher jene Vergangenheit sich verbinden sollte. Die Prinzipien des Realismus und der
Vokalitat sind sowohi im ,,Falstaff ' als auch im ,,0tello" gewahrt. Jedoch als Verdi zur vollen
Reife seiner Jahre und seiner kunstlerischen Erfahrung vom Dramatischen zum Komischen
gelangte, gestaltete sich die Idee, das Wahre im musikalischen Bilde zu erreichen, anstatt in
den Schwingungen des dramatischen Pathos. Von diesen Schwingungen schien die musi-
kalische Auffassung vor ,,Falstaff" beherrscht, immer reiner, bis sie sich in einem Werke von
hochster Schonheit und Klarheit verwirklichte, und mithin von einer Vollkommenheit ist, die
eher vereinzelt, als selten zu treffen ist. Nichts eigentlich Symphonisches im Orchester unter-
streicht, erlautert das Orchester im ,,FaIstaff", verwandelt den Ausdruck des Wortes auf in-
strumentalem Wege in ein Klangbild. Dieser Wortausdruck lafit an Wichtigkeit nichts ver-
missen gegeniiber dem musikalischen Ausdruck, zu dem er sich wie ein Schliissel verhalt.
Mittels der Assoziation oder auf dem besonderen Gebiete der komischen Oper vollzieht sich
eine vollkommene Verschmelzung zwischen der wahren Plastik der Musikbilder und dem
poetischen Ausdruck des Wortes. Die wenigen lyrischen Stellen, die vollendet in die Handlung
eingefiihrt sind und vom idyllischen Element mitten im komischen gefordert erscheinen, die
kurze Abschweifung auf das Gebiet des Phantastischen im letzten Akte storen nicht die orga-
nische Harmonic in der musikalischen Komodie. In dieser fliefit die Natiirlichkeit der De-
klamation ununterbrochen, reflektiert durch die Stimmen des Orchesters, in dem sie Zu-
sammenklange mit den Motiven findet, ja vielmehr selbst zum Motiv wird, so wie es die In
spiration diktierte.
Bei Catalani, Franchetti und auch Smareglia waren die Adern der Quelle, aus der sie schopften
verschieden. Alfredo Catalani (1854 — 93) bezeichnet den Untergang jener Romantiker, die
das letzte Echo der verflossenen Generation sind, vom Hauch der Wagnerischen Kunst be-
riihrt und beflissen, in ihrer Seek die poetischen Tone dieser Kunst mit den natiirlichen
Stimmungen und Anlagen ihres Genius zu verquicken. In der ,,Loreley" (1890) und in
r,Wally" (1892) schien ein milder Strahl von Poesie, der die auserwahlte und edle Personlich-
keit des lucchesischen Komponisten durchdrang, Schlaglichter des griinen Toskana, die sich
im ersten Werke mit dem Schatten der nordischen Phantasie, im zweiten aber mit dem unend-
lichen Blau der Tiroler Berge vermengten. Auch Antonio Smareglia (geb. 1854) schifft im
vollen romantischen Fahrwasser. Er blieb gleichgiiltig gegen die Erfolge des Neo-Verismus, er
horchte auf die Starke Schumanns und Wagners, die in seinem Innern sprach. Vom ,,Re Nala"
(1887) bis zum ,,Abisso" (1914) nahm der milde und zarte Ton seiner Musik oft den Aus
druck heftigeren Ausdruckes an, wie im ,,Vasallo di Szigeth" (1889), im ,,Cornelio Schutt"
(1893), in den ,,Nozze istriane" (1895), in ,,La Falena" (1896) und in ,,0ceana" (1903). Aber
sein Stil, der nach dem ,,Vasall von Szigeth" seine Musik als von italienischer Seele und Me-
lodie beseelt, aber auch von deutscher Genauigkeit und Wissenschaft belebt zeigt, hat ihn dem
italienischen Publikum entfremdet. Auch auf das erste Werk von Alberto Franchetti (geb.
1860), ,,Asrael" (1888), wirft die Romantik die letzten phantastischen Strahlen. Aber der
eklektische Geist der Musik Franchettis war nicht darnach angetan, sich immer in der Welt von
Engeln und Damonen zu bewegen. Durchtrankt mit akademischen Prinzipien und bewandert
in einer Technik, die auf strengen kontrapunktischen Uberlieferungen beruhte, erscheint
Franchetti als der Herold der Schule Rheinbergers, in der er studierte. Franchetti wurde
Moderne: Italiener ]Q93
es also leicht, von ,,Asrael" zum ,,Columbus" (1892) iiberzugehen, ohne den Stil zu andern.
Aber mit der Annaherung an ein historisches Motiv wurden die schwachen Seiten dieses
Stiles noch ersichtlicher, um so mehr, als Beriihrungspunkte mit dem Meyerbeerschen Eklek-
tizismus, die ihm vorgeworfen wurden, von ihm nicht geleugnet zu werden schienen. Trotz
alledem ist die melodische Ader Franchettis im ..Colombo" eine ansehnliche, und er hat in
dieser Oper sein Bestes gegeben. Die spater erschienenen Opern, wie ,,Fior d'Alpe" (1894),
,,Signor di Pourceaugnac" (1897), ,,Figlia di Jorio" (1906), ,,Notte di leggenda" (1915) und
,,Glauco" (1922) bezeichnen einen bemerkenswerten Sturz von der Erfindungsgabe dieses
Autors.
Um nun mit geniigender Deutlichkeit zu erklaren, auf welche Ursachen die von den ita-
lienischen Musikern seit Beginn des Jahrhunderts bis zum heutigen Tage beschrittene Bahn
zuriickgeht, miissen wir progressiv vorgehen, indem wir bei den von der Oper gezogenen
Grenzen beginnen ; um sodann in jede Art von Produktionen und Formen einzudringen, ist
es notig, die Stromungen genauer zu beobachten, die langere Zeit hindurch sich parallel zur
lyrischen Bewegung in dem oben geschilderten Zeitraum entwickelten. Neo-Verismus, ,,Fal-
staff* und Untergang der Romantik sind bedeutsame, aber nicht entscheidende Ereignisse.
Sicherlich bedeutet das Schicksal des ersteren eine jah absteigende Kurve in der Periode, die
unmittelbar auf seine ersten Erfolge folgt. ,,Falstaff" blieb ein prachtvolles Muster der ita-
lienischen Aktivitat, jedoch ohne weitere Einfliisse. Der Romantizismus der andern Kom-
ponisten, der vom Wagnerismus durchtrankt war, verschwand als solcher, zusammen mit dem
Zeitalter, deren letzter Exponent er war. Hingegen blieb der Anstofi, der der Kultur der Mu-
siker durch die Bekanntschaft mit den fremden lyrischen, symphonischen und Kammermusik-
werken gegeben worden war, mit immer wachsender Tendenz in den Theater- und Konzert-
salen Italiens bestehen, und nahm den Charakter einer immer mehr fortschreitenden inter-
nationalen Bewegung an. Schon die Scala hatte im Jahre 1898 ein schones Beispiel eines An-
stofies gegeben, indem sie auf eine in Italien bisher fast ganzlich unbekannte Kunstfunktion
abzielte, befreite sie sich vom jahrhundertealten Joch der Impresarios, um eine Kunst-
institution ohne gewinnbringende Zwecke zu werden. Arturo Toscanini war ihr Befreier.
Im Umkreis des neuen Horizontes, in dem sich die Oper und die Scala bewegte, fanden
auch die Konzertsale Zuwachs aller Art (Mailand, Rom, Turin).
In der Schule begann sich der Unterricht zu verjiingen.
In dieser Periode der Annaherung an die selbstandige Instrumentalmusik zeigten sich
G. Mar tucci (1856— 1909) und G.Sgambati (1843— 1914) als hervorragende Komponisten,
verschieden an Geschmack und Temperament, aber beide hervorgegangen aus dem sympho
nischen Klassizismus. Die Symphonie in D-Moll (1896) des ersteren, ein Werk, das dem
Stamme der 9. Symphonie von Beethoven entwachsen zu sein scheint, ihr folgend die andere
Symphonie in F-Dur (1905); dazu gesellt sich in wiirdiger Folge das Konzert fur Klaviei
und Orchester, das Klavierquintett, das Trio, die Cellosonate und eine reiche Sammlung von
Klavierstiicken. Neben Martucci steht Sgambati mit 2 Symphonien, 2 Klavierquintetten;
einem Klavierkonzert und einem Streichquartett.
Neben dem allgemeinen Erwachen macht sich auch die Musica sacra auf zwei Wegen geltend.
Zuriickkehrend zur Liturgie und zu den groCen Traditionen der alten italienischen Polypho-
nisten. Der zweiteWeg war der des Oratoriums, auf welchem Gebiete mit Erfolgen, die teil-
|Q94 Modeme: Italiener"
weise durch die Neuheit gerechtfertigt waren, Don Lorenzo Perosi (geb. 1872) und Enrico
BossJ (1861—1925) auftraten.
Somit offnet das neue Jahrhundert, das mit dem Tode Verdis, 27. Januar 1901, so ungliick-
lich begann, seine Pforten dem internationalen Musikgeschmack. Der Reihe nach kommen
StrauB, Debussy, Strawinsky nach Italien und driicken der allgemeinen Musikrichtung ihren
Stempel auf. Der erste fiihrt sich speziell in der Orchesterkomposition ein und bestimmt
hierin die Annaherung zur symphonischen Dichtung; er bleibt jedoch auch in der Oper nicht
fremd, zumindest im technischen Sinne und in der Farbung der thematischen Idee. Debussy
wirkt auf engerem Gebiete, aber vielleicht nachhaltiger als StrauB; insoweit er die Kennzeichen
seines harmonischen Stiles aufdriickt, womit er fast iiberall in den Kompositionen der schwa-
cheren Autoren eine Mischung der harmonischen Elemente im hergebrachten Sinne mit der
Ganztonskala herbeifiihrt. Aber die italienische Produktion^verdankt vielleicht Debussy mehr
als StrauB oder den andern dem Umstand, da6 das monodische Kunstlied sich wieder belebt.
Die feinen Farbungen Debussys reizen die Komponisten, und er treibt sie auf das Feld, wo
diese Feinheiten mit Hilfe des Klaviers leichter erzielt werden konnen, als in der schwierigen
Kombinationskunst der Instrumentierung. So entsteht eine Bliitezeit vornehmer vokaler
Kammerkompositionen, wie sie in friiheren Perioden unbekannt war. Angesichts der Aller-
modernsten unter den neuen Autoren konnen die leuchtenden Orchesterfarben der russischen
Meister von Rimsky-Korssakow bis Strawinsky nicht unerwahnt bleiben. Exotische Elemente
drangen sich iiberall ein bifichen hinein, sei es aus Liebe zur Technik oder des Kolorits, so-
dafi manchmal von ihnen die symphonische Dichtung neuesten Datums, wie auch das Ballett
nach russischem Vorbilde durchdrungen erscheint. Mit Riicksicht auf diese allgemeine Nei-
gung zur Internationalisierung ist es natiirlich, dafi selbst Komponisten mit starkerer person-
licher Note dieser Bewegung nicht langer fernblieben. Immerhin kann man nicht leugnen,
dafi die hervorragendsten unter ihnen, wie Puccini (f 1 924) und Mascagni, sichmehr als die andern
gegeniiber der vokalen Tradition der Oper ehrfurchtsvoll erwiesen haben. Jedoch mufi be-*
tont werden, dafi dieses Prinzip, ausgenommen die lyrischen Teile in den Opem dieser beiden
Meister, die so oft an die alte geschlossene Form erinnern, mehr formeller als reeller Natur
ist. Sowohl in den letzten Werken Puccinis, als in denen Mascagnis, besitzt deshalb die musi-
kalische Zeichnung der Deklamation an sich keinen absoluten Ausdruckswert, sondern es zeigt
sich vielmehr eine Uberstellung iiber die Orchestersprache ohne immanente Bedeutung. Das
Wort besitzt dergestalt nicht den ihm von Verdi verliehenen, ausgepragten Ausdruckswert.
Und nur in den Punkten, in denen die instrumentale Entfaltung durchbrochen werden mufi,
um fiir die Deklamation der hervorspringenden dramatischen Momente Platz zu machen, ge-
winnt das Vokale seine alten Rechte. Beziiglich des Stiles gelingt es Puccini in ,,Madame
Butterfly" (1904), im ,,Madchen aus dem Westen" (1910), im ,,Triptichon" (1917), in ,,Turan-
dot" (1926, nachgelassenes Werk, in der letzten Szene erganzt von Franco Alfano) die be-
zeichnenden Zuge seiner Personlichkeit nicht zu entstellen, wenn er auch einige harmonische
Elemente aus der franzosischen Schule entlehnt. Mascagni sucht in ,,Isabeau" eine <JuelJe
poetischer Idealitat, die moglichst entfernt ist von der Art, die ihm die ersten Erfolge ein-
getragen hatte, und noch weiter entfernt er sich von dieser Art bei der Vertonung des ,,Pa-
risina" (1913), der kunstvoll von d'Annunzio verfafit worden war* Aber um so grofier der Ab*
stand zwischen der freimiitigen und gesunden Dramatik der ,,CavalIeria", dem rornantiscK*
Moderne: Italiener ]Q95
ritterlichen Kolorit in ,,Isabeau", und dem mystischen, grausamen, erotischen Charakter des
Librettos von d'Annunzio ist,um somehr macht sich das innere Schwanken desMusikers fiihl-
bar, wenn er seine urspriingliche Art des Fiihlens und Gestaltens verandern mufi. BloB in
%,,Lodoletta" (1917) und bis zu einem gewissen Punkte im ,,Kleinen Marat" (1921) verein-
facht sich Mascagni merklich, lafit jedoch ein betrachtliches Sinken seiner Erfindungskraft
verspiiren. An der italienischen Oper des 18. Jahrhunderts und speziell an der goldonischen
Komodie inspiriert sich Ermanno Wolf- Ferrari (geb. 1876), sei es mit der Auswahl der
Sujets, sei es Jm musikalischen Stile. ,,Le donne curiose" (,,Die neugierigen Frauen"), 1903,
,,I quattro rusteghi" (,,Die vier Grobiane"), 1906, schreiten liber den Rahmen hinaus, in dem
sich die lyrische Produktion der Zeit einfiigt, noch mehr als ,,11 segreto di Susanna" (,,Das
Geheimnis Susannens"), 1909, ,,I giojelli della Madonna" (,,Der Schmuck der Madonna"), 191 1 ,
und ,,Amor medico" (,,Arzt aus Liebe"), 1913. Munterkeit, Natiirlichkeit, fliefiende Bewegung,
zeitliches und ortliches Kolorit sind die hervorstechenden Ziige der zwei ersten Opern, iiber
welche ein Hauch venezianischer Lagunendichtung schwebt, an welche sich die zarten Schleier
einer leichten, funkelnden Instrumentation, die niemals den lebhaften Gesang deckt, kniipfen.
Nach dem ,,Falstaff" hat die italienische komische Oper nichts Ahnliches mehr erreicht.
Von dieser Gattung hebt sich dennoch ab ,,Sly" (1928) wegen der darin enthaltenen phantasti-
schen und romantischen Elemente.
Schwankend zwischen dem Wagnerschen Einflufi und dem Debussys, aber mehr den ersten
als den zweiten spiiren lassend, geht Italo Montemezzi (geb. 1875) mit ,,Giovanni Gallurese"
(1905), mit,,Amore dei tre Re" (1913) und ,,Nave" (1918); wahrend Riccardo Zandonai
(geb. 1883), der nach ,,Conchita" (1911) vieles von sich hoffen lieB, besonders durch die
Komposition der d'Annunzioschen ,,Francesca da Rimini" (1914), sich sehr von Nach-
ahmungen frei hielt, aber weder mit dem ,,Weg durchs Fenster" (,,La via della finestra"), 1915,
noch mit ,,Romeo und Julie" (1922), Opern, in denen er das gewohnliche MittelmaB nicht
iiberschritt, hatte er Erfolg.
Lediglich aus Griinden der chronologischen Ordnung mufi an dieser Stelle angefiihrt
werden die Erscheinung des ,,Nerone" von Arrigo Boito in der Skala am 1. Mai 1924. Boito
war im Jahre 1918 gestorben; schon seit seiner friihesten Jugend hatte er sich mit der neroni-
schen Tragodie befafit, noch vor dem ,,Mefistofele" im Jahre 1 868, einem Werk, das in lyrischer
italienischer Schaffensart gehalten war wie ein Verkiinder einer neuen Richtung. Aber wahrend
Boito sich 1901 entschlossen hatte, Nerone als literarische Tragodie ans Licht zu bringen,
hatte seine Unzufriedenheit ihn immer wieder streben lassen, den Nerone auf der lyrischen
Biihne darstellen zu lassen. Endlich aber wurde der letzte Anstofi vom Direktor der Skala
Toscanini gegeben, und dieser war von Erfolg begleitet. In der neuen Tragodie fafit Boito
— treu dem romantischen Ideal — den Kampf zusammen zwischen dem Romischen Reiche und
<lem entstehenden Christentum, Und indem er die in Farbe sehr kontrastierenden Szenen vertonte,
in denen die Verkiindigung des heidnisch-orientalischen Lebens wechselt mit der poetischen
Darstellung des ersten evangelischen Lebens, betritt Boito harmonische und instrumental Wege
von bemerkenswerter Modernitat, besonders im Gegensatz zu denen, die er im ,,Mefistofele"
eingeschlagen hatte. Aber die formale Struktur des Nerone und die musikalische Auswahl der
Charaktere, das Hervortreten der Vokalitat stellen den Nerone aufierhalb der auslandischen
Einfliisse neben den ,,0tello" von Verdi innerhalb der Grenzen der italienischen Tradition.
Moderne: Italiener
Sehr befeuernd fiir die nationale Spannkraft, besonders der jugendlichen, war der Krieg.
Ein neuer Tatigkeitseifer, ein iibermachtiges Verlangen, sich auch in kiihnster Weise zu messen,
bestimmten einige Leistungen, die man nicht mit Unrecht als ,,Arte di avanguardia" (,,Vorhut-
kunst") bezeichnet. Wie gewohnlich ist die vorbereitende Stufe fiir diese Manifestationeri
in der vorhergegangenen Richtung zu suchen, die wir im Fluge vom Anfang unseres Jahr-
hunderts beobachtet haben. Es ist somit nichts Seltenes, da8 einige dieser stiirmischesten
,,Vorhutler" (,,Avanguardisti**) sich vor dem Kriege im Gefolge der schon allgemein an-
erkannten Anfiihrer befanden. Das ist zum Beispiel der Fall bei Alfredo Casella (geb. 1883),
dessen iiberreiche Produktion auf dem Gebiete der symphonischen und KammeTmusik par
allel lauft mit der Entwicklung der kiihnsten Ausdrucksarten des Auslandes, von denen sie
gleichsam einen Widerschein zuriickwirft. Auf demselben Boden, der von den auswartigen
Kiinstlern eroffnet wurde, wird Bemerkenswertes gesat und geerntet von Mario di Castel-
nuovo (geb. 1895), der jedoch lyrische Kammermusik und das Klaviercharakterstiick bevor-
zugt; Vincenzo Tommasini (geb. 1880), bekannt wegen seiner robusten Instrumentation;
Franco A If ano (geb. 1877), der von der veristischen Operzu komplizierteren Formen und einer
hoheren Idealitat iiberging (,,Sakuntala", 1921 ;,, Madonna Imperia", 1927) und der sich auf die
Technik dieser Oper mit einer Symphonic und einem Quartett vorbereitete ; Domenico A 1 a 1 e o n a
(f 1928), der die Theorien der neuen Harmonik durchforschte und auf ein ,,dodekaphonisches Sy
stem" (mit Rticksicht auf die harmonischen Obertone) aufbaute, das er praktisch in der Komposition
der Tragodie ,,Mirra" (1920) durchfiihrte; Vittorio Gui (geb. 1885) und Francesco Balilla-
Pratella (geb. 1880), der erstere ein sanfter lyrischer Komponist, der zweite ein wechsel-
voller und unruhiger Geist, welche beiden trotz ihrer urspriinglichen Anlehnung an das Fu-
turistische sich als Kammermusikautoren nach und nach maBigten (Lyrisches, Sonate, Trio);
Francesco Malipiero (geb. 1882), der eine geistige Arbeit von ungefahr einem Jahrzehnt seit
einer einfachen Cellosonate hinter sich hatte, bis er zu den harmonischen Grausamkeiten und
allermodernsten Ausdrucksmitteln in dem Orchesterwerk ,,Pause del silenzio" (,,Pausen des
Stillschweigens") und dem in Amerika pramiierten Streichquartett, ferner in den ,,Sette can-
zoni" (7 Ideinen, szenisch dargestellten symphonischen Stiicken), die 1920 in der Pariser Oper
aufgefiihrt wurden, gelangte.
In einer reineren modernen Atmospha're sind einige andere Komponisten aufgewachsen,
deren Schopfungen, wenn sie auch umstritten wurden, doch breitere und uneingeschranktere
Zustimmung seitens der offentlichen Meinung fanden. Einer von ihnen ist Ildebrando Piz-
zetti (geb. 1880), eine bestandige, nachdenkliche Natur, in langsamem, fortschreitendem
Aufsteigen begriffen. Dem Theater gab er 1915 eine,,Fedra", nach demBuche d'Annunzios^
in welcher Pizzetti sich als Bahnbrecher einer hochst einfachen Art der Deklamation erweist,
und in der er dem Chor die Wiirdestellung als machtiges dramatisches und lyrisches Element
verleiht. Nachdem die ,,Fedra*' in der Zahl jener Versuche geblieben war, wie sie eher im
Gefolge einer Theorie einherziehen, als unter Zuhilfenahme schwingender Erfindungs- und
Ausdruckselemente, erscheint nach je einer guten Klavier- Violin" und Klavier-Cellosonate im
Jahre 1923 ,,Debora und Jaele" in der Scala, welchem Werke er ein Kammertrio und sein
letztes Werk ,,Fra Gherardo" (1928) folgen liefi. Die Gregorianische Kultur Pizzettis, die orga-
nischen Elemente, die enthalten sind in der von ihm gebildeten Theorie des musikalischen
Dramas, werden in ,,Debora e Jaele" zu lebendigen Kunstfaktoren. Die Deklamation der
Modeme: Italiener ]Q97
Hauptpersonen mit Einbeziehung des Chores zeigt eine in der Oper noch nie dagewesene
Art. Das Orchester zeugt von Verstandnis far Mafi; auch die Deklamation wird nicht iiber-
deckt. SchlieCIich ist ,,Debora" auch ein guter Libretto versuch, welcher die Fahigkeit Pizzettis,
die dramatische Materie nach den musikalischen Notwendigkeiten organisch zu verteilen, be-
weist. Lebhafter als Pizzetti in der Instrumentation ist Ottorino Respighi (geb. 1879), wie-
wohl jener aus der neurussischen Schule hervorging. Respighis erste Versuche als Theater-
komponist — ,,Konig Enzio" (1905) und ,,Semirama" (1910) — erfahren eine reifere Fort-
setzung im ,,Belfagor" und in ,,Die versunkene Glocke" (1928). Aber inzwischen hatte
Respighi fern von der Biihne Gelegenheit, sich als starker Komponist von symphonischen
Dichtungen — ,,Le Fontane Romane" (,,Die romischen Brunnen"), 1917, ,,Ballata delle
Gnomidi" (,,Gnomentanz"), 1920, ,,I Pini di Roma" (1924), ,,Trittico Botticelliano" (1927) —
von Sonaten,Quartetten, Konzerten und zahlreichen lyrischen Kammermusikstiicken vornehmer
Pragung f estzusetzen . Er vernachlassigte auch nicht das Ballett — ,, Scherzo Veneziano" (,,Ve-
nezianischer Scherz") und ,,La bella addormentata" (,,Die schone Schlaferin") — , ftir welche
russische Art mimischer Darstellung er auch Rossinische Klaviermusik instrumentierte. In
der Reihe dieser vornehmlich symphonischen Komponisten sind auch: Victor De Sabata
(geb. 1892), Leone Sinigaglia (geb. 1 868), Riccardo Pick - Mangiagalli (geb. 1882) (spe~
ziell Ballettautor), Adriano Lualdi (geb. 1887) (auch Opernkomponist, ,,Konigstochter",1921)
und Giacomo Orefice(f 1922) zu nennen; wahrend in der Reihe der bekannteslen Kammer-
musikautoren zu nennen sind : Giuseppe Frugatta, Alberto Gasco, Muzio Agostini, Amil-
careZanella, Alessandro Longo, Carlo Ravasenga, Giacomo Benvenuti, RenzoBossi.
Als Fortsetzer der Form des Oratoriums, das von Perosi und Enrico Bossi wieder zu Ehren
gebracht worden war, sind zu nennen: Giocondo Fino und Arnaldo Furlotti. Mit den
Meistern Salvatore Gallotti (von der Metropolitankapelle in Mailand, f 1928) und Oreste
Ravanello (Leiter der Antoniuskapelle in Padua), Boezi, Casimiri, Refice, Ferretti
in Rom, Tebaldini in Loreto, wurde die Kirchenmusik wieder zur Hohe gebracht sowohl
auf praktischer Grundlage als auch auf der des Unterrichtes und der Wissenschaft, zur
Hohe der besten Zeiten, als die liturgische Komposition noch keine Vermischung mit dem
Stile anderer Formen kannte.
Eine bemerkenswerte Belebung auf dem Gebiete des Volksliedes ist der Erweckung des
nationalen Geistes im Kriege zu verdanken; ebenso eine Belebung zum Vorteile der altita-
lienischen Musik durch spezielle Publikationen.
Aber es ist zu vermerken, wie trotz der getanen vorbereitenden Arbeiten iiber das poetische
Element des Volksliedes die Studien iiber das musikalische Element ohne genaue Methode
vor sich gegangen sind. Proben hiervon sind gemacht worden in verschiedenen Gegenden
Italiens seitens der Oddone, der Sadero, Sinigaglia und anderer, aber mehr zu praktischen
als zu wissenschaftlichen Zwecken.BloB Giulio Fara (L'anima musicale d' Italia, Rom 1921)
wagte es, die Frage in der richtigen Weise und mit den geeigneten Bezeichnungen zu stellen,
indem er namlich die Priifung der Gesange vertiefte mittels der vergleichenden Methode
und indem er die natiirlichen Quellen suchte und die Melodietypen "der einzelnen Land-
schaften feststellte. Auch diirfen nicht vergessen werden die Besprechungen Alaleonas iiber
die Laudi spirituali des 16. und 17. Jahrhunderts (1909), soweit diese sich mit den weltlichen
Liedern verbinden und verweben.
Moderne : Spanier
Literattir
Accademia di Santa Cecilia: XX. Anni di Concerti. Roma 1915. — Alaleona, D.: ,,GJuseppe Verdi."
L'artista, 1'uomo, il cittadino; Recanati 1914. — BastJanelli, G.: ,,Pietro Mascagni", con nota delle opere e
ritratto. Napoli 1910. — Derselbe; Musicisti di oggi e di ieri. Milano 1914. — Bonaventura, A.: Saggio
storico sul teatro musicals italiano. Livorno 1913. — . Bragagnolo e Bettazzi: La vita di Giuseppe Verdi.
Milano 1905. — Cambiasi, P.: La Scala. 1778—1906. Milano 1 904. {Continuazione = Marangoni e Vanbianchi:
La Scala. Bergamo 1922.) — Cenni storico-statistici intorno alia Societa del Quartetto di Milano. Milano 1892.—
Colombani, A.: Lopera italiana nel secolo XIX. Milano 1900. — Corio, L.: Ricerche storiche sul R. Conser-
vatorio di musica di Milano. Milano 1908. — Depanis, G.: I concert! popolari ed il teatro Regio di Torino.
Torino 1915. — Galli, Macchi e Paribeni: ,,Umberto Giordano" nell* arte e nella vita. Milano 1915. —
Gutierrez, B.: II teatro Carcano (1803—1914). Milano 1914. — Luciani, S. A.: La rinascita del dramma.
Roma 1922. — Monaldi, G.: Le prime rappresentazioni celebri. Milano 1910. — Orefice, G.: ,,Luigi Man-
cinelli." Roma 1921. — Pompeati, A.: ..Arrigo Boito" poeta e musicista. Firenze 1919. — Prati, R.: ,,Giu-
seppe Martucci". Torino 1914. — Roncaglia, G.: ,,Giuseppe Verdi." Napoli 1914. — Verdi, Giuseppe: ,,I
Copialettere" pubblicati e illustrati da G. Cesari e A. Luzio. Milano 1913.
Gaetano Cesari
SPANIER
Das aktuellste Kapitel der modernen Musik in Spanien beginnt wohl mit der Entstehung
der Trilogie ,,Les Pyrenees" von Felipe Pedrell, und seines Manifestes ,,Por nuestra musica"
(,,Ftir unsere Musik", 1890), worin er seine Ansichten dariiber aufiert, was die moderne Musik
unseres Vaterlandes sein solite, namlich: ein Wiederaufleben unserer groBen Vokalkomponisten
des 16. und Instrumentalisten des 17. Jahrhunderts, durchdrungen vom Geiste des Volks-
gesanges. Zehn Jahre spater, 1900, hatten ,,Les Pyrenees" noch nicht das Rampenlicht ge-
sehen, aber diePrinzipien, die dieses Prachtwerk enthielt, hatten schon den Weg vorgezeichnet.
Die Erneuerung der spanischen Musik wurde bereits eine Tatsache und alle zehn Jahre ver-
andert sich das allgemeine Bild unserer Musik so stark und charakteristisch, da8 man zum
erstenmalseit unserer klassischen Epoche eine lebendige, heftig vibrierende kiinstlerische Quelle
findet. Ziemlich deutlich unterscheidet man charakteristische Phasen in unserer Musik von
1910, 1920 und der jiingsten Generation. Einige Worte seien hier vorerst iiber das 19. Jahr-
hundert eingefiigt: Nach der Invasion der italienischen Musik im 18. Jahrhundert (eingeleitet
1700 durch den Bourbonen Philipp V.), die die autochthone Musik und Oper verdrangt hatte
und nach schwachen Regungen eingeborener Kunstler hielt die Wiener klassische Musik
ihren Einzug, vorerst die Instrumentalmusik Haydns, der an L. Boccherini einen Rivalen
hatte. Don Pedro Albeniz (geb. 1795) war der Verfasser einer vorziiglichen Klavierschule.
Eine Reihe spanischer Komponisten schlofi sich an J. Haydn an: Joaquin Tadeo Murguia
(geb. 1 758), Doyague, Compta, Secanillas, Aranaz und besonders Juan Crisostomo de Arriaga
(jung gestorben 1826). DerEinflufi Bellinis 1st bemerkbar bei Baltasar Saldoni, der auch auf
dem Geist der altspanischen musikdramatischen Spiele (der Zarzuela und der Tonadilla)
weiterbaute, wie Barbieri, Gaztambide, Oudrid. Eslava und Barbieri waren gewiegte Theore-
tiker und Historiker, ersterer auch Gesangspadagoge. Obiols, Araciel und Tintorer bilden
den Obergang zu Pedrell. Rodriguez de Ledesma (geb. 1 778 ; Oper ,,Le Revenant", 1 833) zeigt
eine gewisse Ahnlichkeit mit Weber. Der Rossinikultus hielt 1814 seinen Einzug und mit ihm
wieder der Italianismus. Liszt (1844) und Glinka (1845) liefien starke Spuren zuriick. Letzterer
Moderne: Spanier JQ99
schrieb Werke auf Grund spanischer Volksmusik. Der Nationalismus entfaltete sich und mit
ihm die Romantik. Allem die Instrumentalmusik war in der Mitte des vorigen Jahrhunderts
von der Vokalmusik zuriickgedrangt — nur einzelne Ausnahmen von Instrumentalkonzerten
mit banalem, gemischtem Programm. 1866 stellte Asenjo Barbieri in Madrid ein symphoni-
sches Orchester zusammen, daneben eine Chorvereinigung. Miguel Marques brachte eine
Symphonic zur Auffiihrung. Beriihmte Gastdirigenten wurden berufen. Seit den achtziger
Jahren fanden Wagners Opern erhohte Beriicksichtigung. 1882 wurde zum erstenmal
Beethovens ,,Neunte" aufgefahrt, ,JDie Meistersinger** 1894. Pedrell war einer der ersten
Verteidiger der Wagnerschen Kunst in Spanien, fur die er aucli literarisch eintrat. Pedrell
(gest. 1 922) suchte das Verstandnis far die grofie musikalische Vergangenheit der spanischen
Musik nebst der Neuverwendung der Schatze der Volksmusik zu weaken. Letzteren Zweck
verfolgten auch die Dichter und Komponisten der Volkstheater mit ihren ,,Tonadillas",
,Jacaras" und ,,Entremeses", historisch - tradStionellen Arten von Biihnenstiicken. Pedrells
kompositorische Tatigkeit fand ihren Hohepunkt in der Trilogie ,,Les Pyrenees" (1893, auf
gefiihrt 1902). Im letzteren Jahre komponierte er die Tragikomodie ,,La Celestina" iiber einen
spanischen Text, ein schwungvolles Werk von tiefer Schonheit, eine Art spanischer ,,Tristan".
Eine eigene Stromung machte sich bemerkbar, die der Musik Barbieris und seiner Genossen
entsprungen war und sich an die historische ,,Zarzuela" anschloB. Anmutig leichte Talente
erwecken neues Leben in dieser Gattung, technisch schwach: Fernandez Caballero (1835
bis 1906), Rogel (1829—90), der sich Offenbach nahert, Brull, Zabalza, Chueca (1846—1908),
Jimenez und Valverde. Technisch reifer sind Ruperto Chapi (1851 — 1909), Thomas Breton
(1850 — 1923) und Emilio Serrano (geb. 1850), letzterer mit dem Bestreben, eine ,,National-
oper" zu kreieren. Als Komponisten dieser Zeit sind noch zu nennen: Enrique Morera
und Antonio Nicolau. Von den letztgenannten Gruppen ging die neue nationale Bewegung
eigentlich unter Fiihrung von Barbieri aus, denn die Tendenzen Pedrells waren mehr gelehrt
als volkstiimlich, entbehrten der Vi tali tat. Die ,,neue Schule" sammelte sich unter dem
Schlagwort des ,,Casticismo" — ins Deutsche schwer iibersetzbar, etwa reiner Stil mit Ver-
wendung landlichen Volksgesanges, volkstiimlich, nicht pobelhaft. Der Niedergang der
Technik sollte vermieden werden, ohne in den von Pedrell begiinstigten Wagnerismus zu ver-
fallen. Eine Kombination der Bestrebungen Pedrells mit dem Vibrieren der ,,Castiza* '-Musik
macht sich bemerkbar bei Isaac Albeniz, Enrique Granados und Manuel de Falla. Von diesen
sei weiter unten als den Hoffnungen der Zukunft gesprochen. Vorher mogen die Komponisten
mehr konservativen Schlages unserer Zeit Revue passieren. Seit 1898 war die musikalische
Sphare von der germanischen Musik erfallt. Neben Richard StrauB steht aber Cesar Franck als
Gegenstand der Bewunderung. Die meisten Komponisten waren Schiller von Breton und
von Serrano am Konservatorium zu Madrid.
Vicente Zurron (1871 in Calatayud geboren) war am Konservatorium ein Schiller des
liebenswiirdigen Komponisten Arrieta. Zurron hinterliefi nach seinem 1915 erfolgten Tode
einige Klavierwerke, ein Streichquartett und einige Orchestersuiten.
Manrique de Lara (1863— 1929) ist der einzige Schiller von Ruperto Chapi. Neben Studien
iiber spanische Literatur- und Musikgeschichte schrieb er eine Symphonic (1892) und
Stiicke zu einem Musikdrama ,,E1 Cid", eine Trilogie ,,L'Orestiade" far groBes Orchester
(1890—94) und ein Streichquartett.
70 H.d.M.
1 1 QQ Moderne : Spanier
Jacinto Manzanares, bei Logrono geboren, ehemaliger Schiller des Konservatoriums,
dessen klassische Lehren er verehrt, iibertrug dieselben auf seine zahlreichen Kammermusik-
werke und einige Orchesterdichtungen.
Vicente Arregui (1871—1925), ein gebiirtiger Baske, emtete einen der Rompreise. Er ist ein
Gemafiigterund trachtet, sich in dieserund jenerHinsicht der Moderne anzupassen. Em dis-
kreter Nationalisms ist das einigende Moment in alien seinen Werken : in seiner Symphonic,
in seinen Quartetten, Sonaten, symphonischen Dichtungen und einer Oper ,Jolanda".
Facundo de la Vina ist aus Castilien. Anfangs begeisterter Neuromantiker, sucht er jetzt
andere Pfade. Seine Hauptwerke sind groBziigige symphonische Dichtungen, Kammermusik
und eine Oper.
Conrado del Campo, geboren 1879 in Madrid, ist einer der fruchtbarsten Komponisten.
DieseReichhaltigkeit riihrt weder von mannigfaltiger Inspiration her,noch von seiner Technik,
die aus einer Mischung der deutschen Neuromantik mit dem Franckismus und ein wenig
Nationalisms und VolksmaBigkeit besteht. Er schrieb Opern, eine Reihe symphonischer
Dichtungen und Streichquartette.
Rogelio Villar, aus dem Lande Leon, erntete zur Zeit, als der Nationalisms im Entstehen
war, leicht errungenen Beifall durch zahlreiche Klavier- und Kammermusikwerke, in welchen
er das Volkslied seiner Heimat verwendet und die einen Zauber fast ahnlich dem von Grieg
iibten.
Eduardo Lopez Chavarri, aus Valencia, schrieb nette Quartette und Orchester- sowie
Klaviermusik. Wie der vorher Genannte, zeichnete auch er sich durch seine, der Moderne
entgegenstehenden kritischen Schriften aus. Tulio Gomez, ein Schiller Serranos, Fran
cisco Gales und Francisco Esbri sind jiinger als die oben Genannten. Jaime Pahissa,
ein Katalonier, verfafite die Opern ,,La Morisca" (1914), ,,Marianela" (1923), Juan Manen,.
auch Katalonier, schrieb Kammermusik und das ,,Goncerto grosso" ,,Iuventus", dessen tra-
ditionelle Technik durch anmutige Musikalitat mit ein wenig katalonisch-volkstiimlichem
Kolorit gehoben wird. Jesus Guridi, ein gebiirtiger Baske, ist in seiner engeren Heimat
sehr bekannt. Er ist ein Enkel des alten Nicolas Ledesma und einer der Schopfer der baskischen
Oper, so z. B. schrieb er ,,Mirentxu". Schlichte, schone Einfachheit zeichnet dieses Werk
aus, wogegen ,,Amaya" zu viel Begeisterung fur Wagners Art zeigt. J. M. Usandizaga,
auch ein Baske, der 1917 sehr jung starb, gait fiir ein dramatisches Talent. Er neigte ein wenig
zum italienischen Verismus. Unter anderm schrieb er ein Quartett, eine symphonische Dich-
tung und einige Klavierstiicke. A. Isasi, der in Deutschland arbeitete, ist auch ein Baske.
Die nationalistisc!>en Ideen haben mehr oder weniger all diese Komponisten inspiriert.
Trotz alledem kennzeichnen sich dieselben dadurch, dafi sie die Schule verehren, die sich
hier und da Streifziige in die Moderne gestattetund dabei doch den asthetischen Grundsatzen
der mitteleuropaischen Musik treu bleibt.
Mit den Musikern des Pedrell-Stammes verandert sich die Landschaft griindlich und ge-
wahrt den schonsten Ausblick auf unsere gegenwartige Musik und auf die einzigen Musiker
ersten Ranges. Ihr Nationalismus greift tief. Denn sie dringen in das Urwesen von Tonalitat,.
Rhythmik und Koloristik der so reichen Instrumentalmusik und desGesanges unsererBauern.
Nach Pedrells Beispiel straubten sie sich dagegen, sich irgendeiner aus allerhand Stiickwerk
bestehenden Volksmelodie zu bemachtigen und sie als ,,Sonatenthema" zu behandeln. Da-
Modeme: Spanier ]|01
durch wurde die stereotype Aufeinanderfolge zweier harmonischen Gruppen im Sonatensatz,
die ganze Ausdrucksart verandert. An die Stelle der Romantik trat der Impressionismus und
der russische und franzosischeEinflufiverdrangtedengermanischen. Es ist interessant, zu kon-
statieren, dafi die meisten Musiker dieser Gruppe: Albeniz, Granados, Falla, Turina
und Oscar Espla lange im Auslande gelebt haben, einige in Frankreich und Espla sowohl
in Frankreich wie in Deutschland. BloB M. Bartolome Perez Casas (geb. 1873) entwickelte
sich als Autodidakt in seiner heimatlichen Provinz, Murcia, am Mittelmeer, war nie gereist
und entdeckte, ohne es beabsichtigt zu haben, nur durch das Studium des Volksgesanges seines
Vaterlandes ein lebendiges Musikgenre mit eigenartigem Kolorit, ahnlich der Kunst Rimsky-
Korssakows. (Eine Verwandtschaft zwischen russischen und spanischen Melodien zeigt sich
wiederholt in verschiedenen Regionen unserer Volksmusik). Die Serie symphonischer Ge-
malde, die er 1890 begann, tragt den Titel ,,A mi tierra" (,,Meine Heimat") und ist nach
Pedrells Werken das grofiziigigste und beste unserer MusikKteratur. Perez Casas, von Grund
aus Techniker, ist auch einer der Mitbegriinder unserer modernen Orchestration.
Mit Isaac Albeniz (geb. 1860) erreicht die spanische Musik von heute ihren Gipfelpunkt.
Er ist eigentlich niemandes unmittelbarer Schiller und hat auch keine Schule herangebildet.
In der Musik seiner letzten Lebensjahre sind Pedrells Spuren zu erkennen, aber der ,,Casti-
cismo" hatte ihn von vornherein gefesselt. Als besonders begabter Pianist lernte er die Grund-
elemente seiner Kunst am Konservatorium zu Madrid, doch begann er mit neun Jahren seine
abenteuerlichen Reisen, auf denen er sein Brot durch Klavierspiel verdiente. Ein Jahr darauf
versteckte er sich auf einem Schiff, das nach den amerikanischen Kolonien fuhr. Als er ent-
deckt wurde, erwarb er sich das Geld fur seine Fahrkarte durch Konzerte an Bord des Schiffes.
So reiste er durch Kuba, Puerto Rico und die Vereinigten Staaten. Mit 14 Jahren begab er
sich nach Leipzig, urn daselbst Kompositionslehre bei Jadassohn und Reinecke zu studieren.
1877 machte er die Bekanntschaft von Liszt, der ihn zwei Jahre lang bei sich behielt und ihn
mit nach Weimar, Rom, Budapest u. a. nahm. Albeniz schrieb ,,Zarzuelas", kleine Klavier-
stiicke in ziemlich banaler spanischer Art. Ein reicher englischer Amateur bot ihm Libretti
aus der Geschichte Englands und aus den Legenden der Tafelrunde an. Albeniz komponierte
sie, aber nach einigen Auffiihrungen verschwanden sie (,,The Magic Opal", London 1893;
,,Henri Clifford", Barcelona 1895; die Trilogie ,,Le roi Artus", ,,Merlin", ,,Lancelot", ,,Gin-
evra", letztere unvollendet). Nur die einaktige Oper ,,Pepita Jimenez", ein ziemlich ungleiches,
doch auf spanischen Motiven aufgebautes Werk, blieb erhalten (Barcelona 1877; Prag 1899;
Briissel 1904; Paris 1923). 1893 installierte er sich in Paris. Albeniz nahrte sich von der
Musik Debussys und arbeitet auch mit D'Indy. Es folgen seine Hauptwerke: ,,Catalonia">
eine Rhapsodic fur Orchester und ,,Iberia", eine Reihenfolge von 12 Klavierstiicken (1908).
Albeniz starb in CamboJes-Bains, 48 Jahre alt (1909). In ,,Iberia" sind allzu deutliche Spuren
der Liszt-Technik, des Impressionismus Debussys und eines ziemlich starken Nationalismus
zu finden, freilich bedeutend lauterer und edler als derjenige unserer Theaterkomponisten.
Es bedurfte eines Manuel de Falla, um die Atmosphare weiter zu heben.
Eine ahnliche Mischung vollzog sich in Madrid, gleichsam als eine geistige Erbschaft der
,,Tonadilleros" und ,,Zarzuelistas". Es entstand eine Art Epidemic, als man im Maler Goya
den ausgepragteren Typus fur Madrid dazumal ,,entdeckte", und die Musiker beniitzten diese
Gelegenheit, um die alten Tonadillas und die Musik des ersten Teiles dieses Jahrhunderts
70*
] |Q2 Moderne: Spanier
wieder zu wecken. Enrique Granados, gest. 1916, war einer der begabtesten Musiker, den
diese Bewegung packte. Die ,,Goyescas" fiir Klavier sind seine beste Leistung; auBerdem
schrieb er einige ,,TonadiIIas" fur Gesang, seine schwachste Arbeit. Granados (1868 geboren)
war zartfiihlenden Temperamentes und hatte eine diskrete Technik. In den wertvollsten
Stellen, wo er Zuriickhaltung iibt, nahert er sich der duftigen Poesie Chopins. Heftige
Bemuhungen, die ,,Goyescas" fiirs Theater umzuarbeiten, erwiesen sich als grundverfehlt.
Die Arrangements ernteten einige Male Beifall in Newyork, doch kostete die Reise dahin
Granados Leben, denn das Schiff, auf dem er und seine Frau sich befanden, wurde auf
der Rikkreise torpediert. Dieser tragische Tod wob einen Glorienschein um seinen
Namen; daher sind Granados Verdienste als Musiker minder einzuschatzen als seine Be-
riihmtheit. Er schrieb einige schone ,,Zarzuelas", eine Sammlung reizender spanischer
Tanze, einige nie aufgefiihrte symphonische Dichtungen und veranstaltete eine gute Edition
der Scarlatti-Sonaten.
Manuel de Falla wird als einer der wertvollsten europaischen Musiker der Jetztzeit an-
gesehen. Wirklich tragen alle Arbeiten dieses Meisters den Stempel der Vollkommenheit, sind
korrekt und exakt. Falla (geb. 1876) war einer der Schiller Pedrells, erhielt 1905 von der
Akademie der schonen Kiinste den Preis fur seine Oper ,,La Vida Breve" (,,Das kurze Leben*'),
die seine Laufbahn als Komponist einleitet. Dieses tiefe und schone Werk verwirklicht durch
tadellose Technik die Tradition des gesunden ,,Espagnolismus" und des bewuCten Nationalis-
mus. Damals kannte Falla von Albeniz keinen Ton und erst nachdem er ,,La Vida Breve"
komponiert hatte, sah er einige Stellen aus Debussy- Werken, die ihn bestimmten, nach Frank-
reich zu reisen. Debussy und Dukas wurden seine Ratgeber und Ravel, Roussel und Schmitt
seine Freunde. Nach Spanien heimgekehrt, schrieb er seine reifsten Werke: die ,,Nocturnes"
fur Klavier und Orchester (,,Nachte in den Garten Spaniens", 1916), ein tief poetisches
Werk, in welchem Nationalmusik ohne direkte Obertragung und Impressionismus sich
glikklich vereinigen. Es folgten ,,Trois pieces espagnoles" (1912) und die ,,Fantasia
Baetica" (1921) fur Klavier. Zu seinen Biihnenwerken gehort zunachst die kleine Fantasie
,,E1 Amor Brujo" (,,L'amour sorcier", 1915), ein Bild aus dem Zigeunerleben, dessen
eigenartige, anziehende und geheimnisvolle Atmosphare dem Tanz, der Pantomime, dem
Gesang und dem stark reduzierten Orchester Spielraum gewahrt. Eine ahnliche Orche
stration, quantitativ noch verringert, findet man in der ersten Version (1917) von ,,Som-
brero de tres pi cos" (,,Le Tricorne"), einer aus Alar^ons Roman entnommenen Pantomime.
Daraus wurde auch eine ,,Suite" zusammengestellt. 1923 liefi Falla in Paris sein Mario-
nettenspiel ,,E1 Retablo de Maese Pedro" (,,Les Treteaux de Maltre Pedro") auffiihren.
Dieses Werkchen, aus einer Stelle des ,,Don Quijote de la Mancha" entstanden, ist fiir
Singstimmen, 20 Instrumente und Klavier komponiert. Fallas ,,Sept chansons espagnoles"
(1915) und die ,,Trois melodies" aus seiner Pariser Zeit vervollstandigen das Werk dieses
feinen Musikers. Sein letztes Werk ist ein Konzert fur Klavier und elf Instrumente. Er
arbeitet gegenwartig an einer ,,Atlantide" fiir Chor und grofies Orchester.
Den Genannten unahnlich und der Musik Spaniens entfremdet ist Oscar Espla. Er hangt
treuer an der Musik seiner Heimat, Alicante, am Mittelmeer, wo er 1886 geboren ward, als
Falla an Andalusien oder Albeniz an Katalonien. Seine Schreibweise ist derjenigen seiner
Lehrer entgegengesetzt, denn er liebt grofie orchestrale Aufmachungen, komplizierte sym-
Moderne: Spanier 1103
phonische Entwicklung und weitschweifige thematische Verbindung. Espla arbeitet mit Tona-
litaten, die der alicantischen Musik entstammen und baut sich seine eigenen Skalen, wodurch
sein Vorgehen eine gewisse Ahnlichkeit mit Scriabine aufweist. Wenn Fallas Musik durch voll-
kommenes Gleichgewicht und festaufgebaute Tonalitat neuklassisch trotz der impressio-
nistischen Schreibweise, die von Albeniz stark vertreten ist, genannt werden konnte, so ist
Espla bei uns der einzige Reprasentant des mitteleuropaischen Expressionismus. Sein be-
deutendstes Werk ist eine Orchester-,,Suite", die den Preis bei der in Wien 191 1 ausgeschrie-
benen internationalen Konkurrenz gewann. ,,Les cimes", eine Serie grofier symphonischer
Dichtungen, ,,L'ambiance de la danse *, ,,Sonatine du Sud", ,,Le Noel du Diable", ,,La veille
des armes de Don Quijote", eine Dichtung far grofies Orchester, ,,Escenas de ninos" und
,,E1 Sueno de Eros" gehoren zur ersten Epoche, in der er mit Max Reger in Miinchen
arbeitete. Fur Klavier schrieb er die ,,Chants de la vendange", ,,Danses alicantines", aufier-
dem eine groBe Sonate fiir Klavier und Violine und einige Kammermusikstiicke, ein Ballett
,,Ciclopes de Ifach" und eine Oper ,,La belle dormante au bois.*4 Auch Joaquin Turin a,
1882 in Sevilla geboren, komponierte national-impressionistisch, sanft und bescheiden, fur
Klavier: ,,Suite Seville", ,,Sonate romantique sur un theme espagnol", ,,Coins sevillans",
,,Danses andalouses" und anderes. Fiir Orchester: ,,La procesion del Rocio", ,,Sinfonia
Sevillana *. Fur Kammermusik ein Quartett, ein Quintett und ,,Scene andalouse", ferner
einige Biihnenstiicke, von denen ,Jardin d^rient*' 1923 am Theater Real aufgefiihrt wurde.
Turina lemte bei D'Indy an der ,,Schola Cantorum** in Paris. Seine Schreibweise ist
vornehm, dabei bescheiden und farbig leuchtend. Fehlt es ihm an Kraft, so ist ihm dafiir
Zartgeftihl eigen. Jaime Pah is s a*, im katalonischen Dialekt, versucht sich in Schonberg-
scher Richtung.
Wahrend der letzten Jahre des Weltkneges bildete sich eine ,,Gruppe der Neuen." Es sind
deren nicht viele, und alle genossen ihreBildung aufierhalb der offentlichen Schulen. Durch
seine zahlreichen Propagandaschriften zugunsten der modern en europaischen Musik und als
Sekretar der nationalen Musikgesellschaft wird derVerfasser dieses Artikels (Adolfo Salazar)
als einer der Fiihrer der jungen Generation angesehen. Ein Jiinger von Pedrell und Schiller
von Manuel de Faila, hat er auch mit Perez Casas gearbeitet, ist aber grofitenteils Autodidakt.
Begeisterter Anhanger des franzosischen Impressionismus, verbindet er diese Schreibweise
mit den polytonalen Vermischungen, deren Geschmeidigkeit im harmonischen Kolorit er liebt.
Zu seinen Werken gehoren ,,Arabia", fur Klavier und Streichquartett (1923), Phantasiestiicke
fiir Streichquartett ,,Rubaiyat*' (1924), ,,Pieces" fiir verschiedene Instrumente (1924), ein
Trio iiber japanische Motive, ein Streichquartett, ,,Trois Preludes'* und ,,Rivieres" far
Klavier, ,,Trois potees de Verlaine" urid andere Lieder, die Orchesterdichtungen , JDon Juan
aux enfers", ,,Paisages", 3 Praludien fiir Maeterlinckstiicke, Chorsatze usw.
Federico Moreno Tor rob a, auch in Madrid geboren, hat eine traditionelle Technik und
ausgepragtes Gefahl far den kastilianischen Volksgesang. Er schrieb ,,Cuadros Castellanos" und
andere Orchesterkompositionen. Juan Jose Mantle on, in Galicia geboren, liebt die expres-
sionistische Art mit starker sarkastischer Farbung und scharfer Ironie; so seine Klavierstiicke
,,Cirque<4. Sein Quintett tragt eher romantisches Geprage. Federico Mo mpou, ein gebiirtiger
Katalane, schrieb zarte Klavierstiickchen in eigenartig extra-impressionistischer Schreibweise,
die in Paris viel Anklang fanden. Rodolfo Half f ter, in Madrid geboren, nahert sich in seinen
Moderne: Spanier
expressionistischen Klavierkompositionen der jungen Wiener Schule, und zwar besonders
Arnold Schonberg; er genet in den klassizistischen EinfluB Fallas und den seines Bruders
Ernesto Halffter. Manuel Blancaf ort, em junger Katalonier, entwickelt sich, an Mompou
ankniipfend, zu einer interessanten Personlichkeit. Roberto Gerhard, in Katalonien geboren
und Schweizer Abstammung, war ein PedrelLSchiiler. Er schrieb ein Trio, Klavierstiicke
und Lieder. Jose Maria Franco, ein Baske, liebt den allzu heftigen, doch nicht schroffen
oder unedlen Nationalisms. Auch ein Baske ist Norberto Almandoz, der mehrere reizende
Chor- und Orchesterwerke schrieb. Eine Eigenstellung nimmt P.Jose Antonio Donostia
ein, ein baskischer Franziskanermonch, dessen aufierst sanfte und zarte Musik sich zwischen
Volksempfindung und franzosisch-impressionistischer Art bewegt. Von seinen Werken sind
die ,,Preludes basques" zu erwahnen und seine Vokal- und Orchesterdichtung ,,Sainte-Cecilia"
iiber einen Text von Henri Gheon. Auch die Valenzianer Palau und Rodrigo, die Madrider
S. Bacarisse, J. Bautista und F. Remacha, Schiller des Konservatoriums, sind hier einzu-
reihen. Im jiingsten und genialsten uns erer Musiker sehen die fortgeschrittensten spanischen
Musiker ihre Hoffnung, ihren Zukunftstraum, und seine Leistungen bereichern unsere Musik:
Ernesto Halffter, 1905 in Madrid geboren, mit lebhafter Phantasie, Schonheit der Ideen,
dessen freudiges, strahlendes Temperament seit Domenico Scarlatti nicht seinesgleichen fand.
Als ,,Scarlatti des XX. Jahrhunderts" wurde er bezeichnet, der trotz seiner Jugend iiber eine
sichere, dabei schlichte, klare Technik, frei von jeder Obertreibung, verfiigt. Er verwertet
intelligent und energisch alle jetzt bestehenden Schulen, hat keine davon besucht, erhielt aber
Ratschlage von Falla. Der Modernismus seiner Kammermusik wird sogar von den Ge-
mafiigtesten begeistert aufgenommen: ein Streichquartett ,,Zwei Skizzen", (,,Paysage mort**
und ,,La Chanson du lanternier") und eine ,,Sonatine~Fantasia", auch fur Quartett. Aufier-
dem schrieb er fur Klavier ,,Trois pieces enfantines" (vierhandig), ,,Marche joyeuse" und
3 Sonaten. Halffter Jst vaterlicherseits germanischer Abstammung, doch hat er eine spanische
Mutter und genoS auch spanische Erziehung. Sein Geist ist typisch heimischer Art, obwohl er
einige deutsche und franzosische Texte vertonte, neben spanischen ,,Canciones" iiber Gedichte
von R. Alberti. Fur Orchester komponierte er ,,Marcha grotesca" und ,,Deux portraits" und
kleinere Stiicke wie eine Sonatine far zwei Sopranstimmen, 2 ,,Preludes romantiques** fur
vier Geigen. Sein erfolgreichstes Werk ist seine ,,Sinfonietta" fur Soli und Streichorchester ;
auch sein Ballett ,,Sonatina" enthalt auBerordentlich schone Satze fur Klavier und Orchester ;
einzelne Stiicke dieses Balletts fur Klavier vom Komponisten bearbeitet gehoren zum besten der
gegenwartigen Klaviermusik. Schliefilich gehort nochsein ,, Automne malade" iiber Worte von
J. Apollinairehierher, far Gesangund Orchester, weiters Lieder und Klavierstiicke, eine Violin-
senate, ein Klavierkonzert und seine Oper ,,La Mort de Carmen", Text von A. Spaak, eine
Episode aus dem Roman Merimees behandelnd, die von Bizet nicht verwendet wurde.
Literatur
Cassanes, F. Virella: ,,La Opera en Barcelona." Barcelona 1888. — Chavarri, E. L: ,,Historia de la
Musica." Barcelona 1914 — 15. — Collet, Henri: ,,La Musique en Espagne." Le XIXe siecle. 2e partie. La
Renaissance musicale. vide Mitjana, — Laparra, Raoul: ,,La Musique et la Danse populaire en Espagne.*' —
Mitjana, R.: ,,La Musique en Espagne. Art religieux et art profane." Dans le 4e vol. de 1'EncycIope'die du
Conservatoire de Paris. Delagrave ed. 1920. — Munoz, P. Luis Villalba: ,,Ultimos musicos espanoles del siglo
Mcxierne: Portugiesen ] ]
XIX." Madrid, Alier ed. 1914. — Pen ay Goni, A.: ,,La Opera espafiola y la musica moderna en Espane en el
siglo XIX. Madrid 1881. — Pedrell, Felipe: ,,Por nuestra musica". Barcelona 1891. — Derselbe, ,,Teatro
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Derselbe: ,,Paginas postreras." Vails, Castell ed. 1922. — Salazar, A.: Programas para la JSociedad
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Sinfonla y ballet. Madrid 1 929. — Derselbe, Die Musik der Gegenwart in Spanien. Madrid 1 929. -— Saldoni , B. :
,,Efemerides de musicos espanoles." 4 vols. Madrid 1868—80. — Subira, T.: ,,La Tonadilla escenica." Madrid
J928/9. — Villar, Rg.: ,,Musicos espafioles." Madrid, Mateu ed. 1918. A , n c 7
Adotjo
PORTUGIESEN
Die Namen jener zeitgenossischen portugiesischen Musiker, die in ihrem Lande am meisten
bekannt und geschatzt sind, seien nur summarisch angefiihrt. Im allgemeinen ist ihr Mo-
«dernismus noch nicht weit gediehen, eine Fortfiihrung des klassischen Unterrichts. DieVer-
allgemeinerung musikdramatischer Auffiihrungen und die Entwicklung des Musiksinnes voll-
zog sich wahrend des ganzen 19. Jahrhunderts, da um 1825 die ersten Kiinstlervereinigungen
gegriindet und 1879 die ersten Orchesterkonzerte in Lissabon gegeben wurden. Kurze Zeit
darauf wurde das erste grofie Orchester in Lissabon gebildet und die Beethoven-Symphonien
aufgefiihrt. Neben der Hauptstadt spielt die Stadt Oporto eine wesentliche Rolle im Musik-
leben der Republik, schliefilich macht auch Coimbra von sich reden, die dritte Stadt Portugals.
Um zwei Hauptpersonen gruppieren sich die portugiesischen Musiker: Alexander Rey-
Colaco, gestorben 1928 in Lissabon, und Moreira de Sa, der auch schon einige Jahre tot
ist, in Oporto.
Die vor der Zeit gestorbenen Komponisten Marques Pinto und Miguel Angelo Pereira
berechtigten zu schonen Hoffnungen. Die besten Komponisten sind: Joao Arroyo, Minister
zur Zeit der Monarchic, hat mehrere Opern komponiert, auch einige symphonische Dichtungen
und Kammerstiicke. Oscar da Silva lernte in Frankfurt bei Clara Schumann, schrieb die Oper
,,Dona Mecia", ferner Sonaten und Quartette. Carlos Dubbin i komponierte symphonische
Dichtungen, Quartette und Lieder. Von David de Souza gibt es eine Oper (,,Inez") und
Kammerstiicke. Zu erwahnen ist noch der sehr geschatzte Pianist und Tonsetzer Vianna
da Motta.
Unter den Jiingsten sind zu nennen: Luis Costa, der Verfasser anmutiger Klavierstiicke.
Freitas Branco, einer der Vorgeschrittensten in der neuen Generation, studierte in Deutsch-
land bei Humperdinck und in Paris bei Grovlez und schrieb symphonische Werke, sowie
Fantasien iiber Baudelaires ,,Paradis artificiels". Auch ein Schiller Humperdincks ist Ruy
Coelho, begeisterter Anhanger der grofiziigigen Symphonienform und der Oper. Francisco
de Lacerda vertritt die entgegengesetzte Richtung und nahert sich vielmehr der modernen
franzosischen Schreibart. Antonio Fragoso (1897—1918) zahlte zu den schonsten Hoff-
nungen Portugals; er war Schiller von Freitas Branco und hinterliefi mehrere Werke, dar-
unter ein Orchesterstiick, ein Trio far Klavier, Viola und Cello und anderes. Ivo Cruz,
Vorkampfer der neuen Generation, aus Lissabon gebiirtig, arbeitet in Deutschland, Claudio
Carneyro lebt gegenwartig in den Vereinigten Staaten. Armando Leca ist Komponist und
bedeutender Musikforscher.
1106
Moderne: Danen
Auch Portugal ist sehr reich, was seine Folklore betrifft, und die Geschichte seiner Natur-
lieder hat engen Zusammenhang mit der Spaniens. Unter den Volksgesangen sind gegenwartig
am meisten verbreitet: die ,,Chulas" im Norden, die ,,Fados" besonders in Lisboa und Cintra
und die schon etwas aus der Mode gekommene,,Modinha". Die ,,Modinha" ist in Brasilien
entstanden; der Ursprung des ,,Fado", dieses im Auslande verbreitetsten portugiesischen
Gesanges, wird vielfach bestritten. Die einen behaupten, er sei spanischen, die andern afn-
kanischen Ursprunges.
Bei der Einreihung der portugiesischen Volkslieder nimmt Antonio Arroyo die geographische
Einteilung des Landes in vier klar iibersichtliche Zonen als Richtschnur: 1 . Der nordliche Teil
des Tejo, lebhafte, frohliche und herbe Lieder; 2. die Gegend des Douro und Estremadura,
anmutige Lieder sanften, zarten Charakters; 3. Alemtejo, traurige, langsame Weisen, bisweilen
landlich-heiter; 4. Algarve, frohliche, bewegte Lieder. Folgende portugiesische Volkslieder-
sammlungen sind anzufiihren: F. 0. Milcent, ,,Coleccao de Modinhas e Fados" (1793),
JosedeRego, ,,Cancoes populares do Alemtejo", Rey-Colaco, ,,Can£oes daBeira ', Pedro i-'er-
nandes Thomaz, ,,Velhas canc.oes e Romances populares portugezes" (Lisboa 1913).
Literatur
Lambertini, M. A.: La musique au Portugal. Paris 1920 (Encyclopedic du Conservatoire IV). — Soubies,
A.: La Musique a Portugal. Paris 1890. — Vasconcellos, J. de: ,,0s Musicos portuguezes." Lisboa 1892. —
Vieira, Ernesto: Diccionario biographico dos musicos portuguezes. Lisboa 1891. —Viterbo, Sousa: ,,Artes e
Artistas em Portugal." Lisboa 1892. ^4fee Cdmara-Santos Halffter
DANEN
Klein ist das Land und ungiinstig gelegen — ungiinstig, insofern es darauf ankommt, erne
selbstandige Kultur zu behaupten. An der Siidgrenze die grofien, stammverwandten mittel-
germanischen Volker, westlich, in ganz kurzer Zeit erreichbar, das britische Inselreich und
die nordfranzosische Kiiste, noch dazu beinahe territorial mit der skandinavischen Halbinsel,
mit Schweden und Norwegen verbunden : so liegt Danemark heute, und so lag es die ganze
historische Zeit hindurch eng eingekreist, scharf belagert von fremden, machtigen Kultur-
volkern. Und dann das flache, offene Land, wo kein Hindernis der Natur eine Isolierung der
Menschen mit sich fuhrte, wo der Begriff ,,abseitig" schon jetzt durch ein reich und fern ver-
asteltes Eisenbahnnetz beinahe ganz seine Realitat verloren hat. Endlich die anormale Zentrali-
sienmg des Geisteslebens : Kopenhagen, die eine, unverhaltnismafiig grofie Stadt als einzige
Universitats- und Kunststadt, deren geistige Eroberung stets die Eroberung des ganzen
Reiches bedeutete. Wie man sieht, die aufieren Bedingungen scheinen fiir die Selbstandigkeit
des Geisteslebens wenig fordernd, und man sollte meinen, daB das Land eine leichte Beute fiir
jede von draufien wehende geistige Regung ware. Wenn es doch nicht so ist — und es ist
in der Tat nicht so — , hangt dies ausschliefilich von der Volkspsyche ab. Ganz einfach ist
aber dieser Geist nicht zu definieren, fein nuanciert und sehr individuell veranlagt, wie er ist.
Els gibt gewifi Lander auf der Welt, wo Personlichkeit eine noch haufigere Erscheinung ist
als in Danemark. Im Zusammenhang hiermit steht, dafi der Dane Selbstgefuhl besitzt, doch
Moderne: Danen ]]QJ
gewohnlich nur im eigentlichen und guten Sinne des Wortes. Er bildet sich selten etwas ein,
weder auf sich noch auf seine Nation, hat iiberhaupt wenig Sinn fur Fata Morgana und der-
gleichen ; er besitzt aber ein ruhiges, gesundes Gefahl far das, was er ist und was ihm ge-
biihrt und frommt. Der Instinkt far seine Lebensbedingungen Jst bei ihm sehr fein entwickelt,
und nur das, was er in vollstandiger Kontinuitat mit diesen fiihlt, wird er annehmen, aus dem
iibrigen macht er sich nur wenig. In diesem vitalen Auserwahlungsprozefi wird er von einem
sehr hoch ausgebildeten kritischen Sinn unterstiitzt. Er ist sogar manchmal iiberkritisch, im
voraus gegen alles Neue, ob es fremd oder einheimisch ist, auf der Wacht. Sieht er aber endlich
ein, dafi etwas fiir ihn Wert hat, so nimmt er es vorbehaltlos an, weifi es daun aber gewohnlich
individuell zu gestalten, es personlich zu pragen. Diese rezeptive Art der Danen ist das biindigst
Entscheidende fur das ganze Wachstum und far die Entwicklung der Tonkunst iiberhaupt in
Danemark gewesen. In zweiter Reihe bestimmend wirkt dann das Volkstemperament. Es ist
bei den Danen vorwiegend lyrisch betont, ein wenig kiihl vielleicht, was das Aufiere be-
trifft, aber mit einer sehr zart vibrierenden Innerseite. Das Epische hat auch der Dane in
seiner Gewalt, far kiihne, grofiziigige Linien besafi er von jeher Sinn — dagegen scheint das
Dramatische ihm nicht recht zu liegen. Vielleicht hangt dies zusammen mit einer gewissen
Schiichternheit oder, richtiger gesagt, mit einem gewissen Unannehmlichkeitsgefahl gegen-
iiber dem Pathetischen oder zu off en und direkt Ausgesprochenen. Wenn etwas den Danen
tief bewegt, schweigt er wohl am liebsten ; muC er sich dennoch ausdriicken, macht er es urn
so beherrschter, je innerlich erschiitterter er ist, am liebsten sagt er es dann mit einem Scherz
oder gleichwie en passant. Vielleicht ist dieser Zug etwas spezifisch Nordisches; ich mochte
hier erinnern an die merkwiirdige, negative Art der islandischen Sagenmenschen, die in den
entscheidendsten Augenblicken ihres Daseins, oft wo es Leben oder Tod gilt, gewohnlich
nur ganz wenige, eiskalte Worte hervorbringen. — So geistig disponiert begegnet der Dane
alien Erscheinungen seines Lebens und somit auch der Musik.
Ist das Volk musikalisch? Eine komplizierte Frage, denn es ist wohl so, dafi jedes Volk
nur epochenweise als musikalisch zu bezeichnen ist, da6 es als Musiknation spriiht, bluht und
entblattert, um vielleicht erst nach mehreren hundert Jahren als solche wieder aufzubliihen.
Jedenfalls : einmal war das danische Volk in bedeutendem Sinne des Wortes musikalisch zu
nennen, damals namlich, als es im Mittelalter seine herrlichen Volkslieder hervorbrachte. Dies
steht ohne Zweifel fest als seine stolzeste Tat in Tonen, wie sie es auch poetisch bedeutet.
Die danischen Volkslieder sind gewohnlich episch gehalten und zeichnen sich durch einen sehr
fuhlbaren Sinn far die Natur und ihre mystische Macht iiber die Menschen aus. Rein arti-
stisch gesehen ist ihre Sprache von einer wundervollen Feinheit und Kultur gepragt, die wohl
niemals spater im Danischen erreicht worden ist. Auch musikalisch haben sie die hochste
Weihe, von kerngesundem, elementarem Intervallgefahl getragen und grofiziigig in plastischer
Kiihnheit aufgebaut. Die Zusammengehorigkeit mit dem Gregorianischen Gesang ist klar
und unleugbar. Man sehe z. B. die herbe, sich trotzig aufbaumende Weise von ,,Ebbe Skam-
melson" (in der Ausgabe Thomas Laubs, des tiefen Kenners und feinfahligen Restaurators
des danischen Volkslieds):
Skam-mel han bor sig nor i Ty
i 1 no Moderne: Danen
Wer wird wohl hier die beinahe vollstandige Ubereinstimmung mit der bekannten, typischen
Intonationsformel der ersten Kirchentonart verkennen? Aber trotz dieser tiefen inneren wie
auBeren Verwandtschaft des danischen Volkslieds mit dem Cantus gregorianus, ist doch hier
von einer vollstandig originellen und eigenartigen Kunst die Rede, eine Musik, bis in die
feinsten Details gepragt von ihren besonderen Ausdrucksbediirfnissen und Aufgaben und von
dem Volk, das sie erschuf. Sonst ist bis in die Neuzeit Danemark kein in eigentlichstem Ver-
stand musikalisches Land zu nennen. Musik ist allerdings seit einer vorhistorischen Ara dort
getrieben — die prachtvollen, noch schon erhaltenen Bronzeluren sind stoIzeZeugen einer mehr-
tausendjahrigen Tonkultur — aber soweit man zur Zeit zu beurteilen vermag, ist ein origineller
Akzent selten anzutreffen. Schade, dafi wir nicht wissen, was auf den Luren einst geblasen
wurde! Schade ebenso, da8 wir ganz im unklaren dariiber sind, was hinter der bekannten
Aussage des altenglischen Historienschreibers Giraldus Cambrensis (12. Jahrhundert) steckt,
in der vermeint wird, daC die Mehrstimmigkeit von danischen und norwegischen Wikingern
nach England gebracht wurde.
Was wir von danischen Musikwerken der Vergangenheit noch besitzen, scheint meistens
direkt importiert oder ganz unselbstandig abhangig von fremden Vorbildern zu sein, wie schliefi-
lich — soweit die nur sparsam vorhandenen Denkmaler iiberhaupt zu einem Urteil berech-
tigen — die altere danische Musik (wie gesagt mit Ausnahme des Volksliedes) wohl kaum far
mehr als ziemlich mechanische Reflexwirkung der sukzessiven europaischen Musikentwicklung
zu halten ist. Wir haben lateinische Sequenzen aus dem 12. Jahrhundert (in ,,Liber daticus
Lundensis" von Angul Hammerich hervorgezogen), die von franzosischen Einwirkungen
zeugen, was gut damit zusammenstimmt, daB die danische Kultur dieser Epoche (,,Die Walde-
maren-Zeit") in der Pariser Sorbonne eins ihrer Hauptzentren hatte. Wir haben Mensural-
musik aus der Zeit Christians III. (ca. 1550), von Niederlandern geschrieben, die vom Konig
berufen waren; wir haben auch kirchliche Kompositionen und Madrigale einheimischer
Tonsetzer, so von Jacob Orn, Mogens Pederson und Hans Nielsen, die beiden letztgenannten
Schiller des beriihmten Giovanni Gabrieli in Venedig und dem Musikstaate des grofien Konigs
Christian IV. (Anfang des 17. Jahrhunderts) angehorig. Der friihere Teil der Regierungszeit
dieses Fiirsten ist iiberhaupt musikkulturell als eine Bliitezeit zu bezeichnen. Der Konig war
selbst sehr musikfreudig, und zahlreiche in- wie auslandische Musiker hatten ihr Brot bei ihm,
ja selbst der beriihmteste unter den damaligen deutschen Komponisten, Heinrich Schiitz,
weilte mehrmals in Danemark im Dienste des Konigs. Wir haben auch die italienische Oper
bei uns erlebt: Bartolomeo Bernardi (f 1732), Paolo Scalabrini (1713 — 1806) und Giuseppe
Sarti (1729 — 1802) haben in Danemark zeitweise geweilt und geschaffen, dasselbe gilt von
deutschen Komponisten wie Reinhard Keiser und Chr. W. Gluck, welch letzterer in Kopen-
hagen 1749 als Kapellmeister der Mingottischen Truppe sich aufhielt und hier bei Gelegenheit
eines Hoffestes die Serenata ,,Tetide" schrieb. Aber in all diesen Jahrhunderten ist auch
nicht ei n danischer Komponist von wirklicher Bedeutung und selbstandiger Begabung hervor-
getreten. Doch ja, ein einziger ware hier zu nennen: Dietrich Buxtehude, ,,der gewaltige
Dane", wie deutsche Musikhistoriker ihn genannt haben. In Danemark geboren und den
grdfiten Teil seiner Lehrjahre hier lebend, ist er wohl als Dane zu bezeichnen, aber man mochte
immerhin wunschen, den musikkulturellen Zusammenhang, in welchem er in seinem Vater-
land aufgewachsen ist, genauer zu kennen, als es bisher moglich war, urn die Frage: ,,danisch"
Moderne: Danen ] |Qg
oder ,,deutsch" sicher entscheiden zu konnen. Die Sache ist wohl eben die, dafi auBer dem
Gregorianischen Gesang bis etwa gegen 1800 keine Musik in das Volk tiefer eingedrungen ist:
die meiste Ausiibung der Tonkunst ist nur mehr hofische Belustigung gewesen und hat nicht
vermocht, die schopferischen Impulse der Nation neu auszulosen. Erst gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts erklingen nach schier uniibersehbaren Zeiten aufs neue Tone, die das danische Volk
zum Aufhorchen bringen. Es ist der zu Liineburg 1747 geborene J. A. P. Schulz (1787—1 795
danischer Hofkapellmeister), dem mit seinen wundervollen ,,Liedern im Volkston" und mit
seinen danischen Singspielen diese tief bedeutungsvolle Tat gelingt. Schon die Zeitgenossen
fiihlen es klar ; so aufiert sich der feine Dicker Jens Baggesen : ,,Der deutsche Schulz hat Dane-
mark die erste danische Musik gebracht, und zwar so tief vom Grund der Quelle, da8 kein
Dane sie so lauter bringen wird." Und er hat recht: obwohl deutsch, besitzt Schulz in ganz
seltener Weise Eigenschaften, die gerade der Dane verstehen und als wesensverwandt empfinden
mufite: Edle Natiirlichkeit, hochste Disziplin und Okonomie der Ausdrucksweise, kristallklare
Heiterkeit und Frische. Kein Wunder, dafi Schulz als Ahnherr der neueren danischen Ton
kunst zu gelten hat, und dafi die Bewegung, die zum Wiedereintreten der Danen unter die
musikalischen Nationen fiihrte, zu ihm zuriickreicht. Und was Schulz begonnen hatte, wurde
von andern gleichartig geistig eingestimmten Musikern, wie seinem Amtsnachfolger F. L. A.
Kunzen (1761—1817), wieC.E. F. Weyse (1774—1842) und FriedrichKuhlau(1786— 1832)
fortgefiihrt. Diese drei Genannten waren wohl alle Deutsche von Geburt, aber sie kamen friih,
noch im Anfang ihrer Entwicklung, nach Danemark, und besonders Weyse — vielleicht einer
der feinsten Musiker, der je im Norden lebte — fiihlte sich vollig als Dane und wurde als solcher
angesehen, gehoren doch seine Romanzen und Lieder zum echtesten von allem, was danisch
genannt wird. Kunzen und der iippig musikalische Kuhlau waren besonders als Dramatiker
tatig; die Oper von Kunzen, ,,Holger Danske", ist unter den besten Arbeiten mit danischem
Text zu nennen, und von Kuhlau, der aufierdem noch frische, flott-musikantenfreudige Opern
wie ,,Lulu", ,,Die Rauberburg" und ,,Hugo und Adelheid" schrieb, lebt noch in seiner Po-
pularitat ungeschmalert die Musik zum Nationalschauspiel (von J. L. Heiberg) ,,Erlenhiigel"
(Elverhoj), 1828 entstanden. Kuhlau verwendet in dieser Arbeit in Reinkultur, was fur die
Folgezeit als spezifisch danischer Volkston Autoritat bekommen sollte. In der Tat kehrt er in
dieser Musik zu den nordischen Volksweisen zuriick und wird hierdurch ein Pionier for Ten-
denzen, die in der kommenden Epoche der romantischen Musik in Danemark bedeutungsvoll
hineinspielen. 1814 werden in der Textausgabe von Abrahamsen, Nyerup und Rahbek die
ersten danischen Volksmelodien gedruckt. Spater folgt die Ausgabe von Weyse und die von
A. P. Berggreen (1801 — 1880, fleifiiger Sammler, dabei tiichtiger, aber trockener Komponist).
Hiermit ist ein grofies, reichgegliedertes volksmusikalisches Material den Tonsetzern vorgelegt,
und inter essant ist es, zu sehen, wie es den Weg der Komponisten beeinflufit. In der Weise,
in welcher sich die schopferischen Tonkiinstler im Anfang des 1 9. Jahrhunderts, und besonders
die Grofimeister der musikalischen Hochromantik in Danemark, N. W. Gade (1817 — 90) und
J. P. E. Hartmann (1805—1900) zum Volkslied verhalten, hat man eine Parallele zur
Haltung der dichterischen Romantik mit ihrer tief entschefdenden Anknupfung an Sage und
Volkslied (Hauptreprasentant der tief geniale Adam Oehlenschlager) sehen wollen. Diese Ver-
gleichung halt doch nicht ganzStich; denn erstens greifen dieDichter zuriick zum echten, un-
verfalschten Volkslied, wahrend die Musiker mit mehr oder weniger chronologisch entstellten
1110
Modeme: Danen
Traditionen vorliebnehmen; zweitens ist wohl uberhaupt das Verhaltnis der Dichter zur Volks-
kunst von viel grofierer Innigkeit und Leben getragen, als das der Musiker. Besonders im
Auslande ist man geneigt gewesen, Werke der Gade-Hartmann-Epoche viel zu einseitig unter
dem Gesichtspunkt des Volksliedes sehen zu wollen. Unverkennbar ist hier eine Verbindung
vorhanden, aber keine allzu handfeste, mehr Anlehnung und Inspiration (leider meistens von
jiingern und weniger charakteristischen Melodien), als direkte Ubernahme und Bearbeitung
von Motiven. Ich denke, dafi die geschlossene, liedhafte Faktur der Themen, die uberhaupt
fur die spateren Romantiker charakteristisch war, hier Irrtumer in der Auffassung von seiten
der Nichtdanen veranlafit haben mag.
Mit N. W. Gade und J. P. E. Hartmann treten uns die ersten bedeutenden Komponisten
entgegen, die nicht nur Danen vom Geist, sondern auch ihrer Abstammung nach waren.
Von diesen beiden ist Gade sicher der aufierhalb Danemark bekannteste. Seine Ossian-
Ouvertiire, seine Symphonien (vor allem die 1. in C-Moll) und seine Chorballade ,,Erlkonigs
Tochter" (Elverslcud) besitzen noch europaischen Ruf. Er ist eine mit Mendelssohn auffallig
verwandte Erscheinung: eine gliicklich begabte, harmonische, formvollendete Natur; aber
doch musikalisch wie menschlich in mancher Beziehung fur sich stehend, was auch in Deutsch-
land anerkannt wurde. Man versteht sehr gut, worauf Robert Schumann zielte, als er in Ga-
dens Musik die danischen Buchenwalder zu spiiren vermeinte. Weniger universell veranlagt
als der eben genannte ist J. P. E. Hartmann, doch nicht weniger bedeutend — im Gegenteil
hat er eigentlich eine noch originellere Begabung, die eben wegen ihrer ausgepragten nationalen
Eigenart nur schwer aufierhalb der Grenzen seines Vaterlandes vordringen konnte. Prachtige
Musik hat er geschrieben; vor allem die kleine, gleichsam blauaugige Volksoper ,,Die kleine
Christine * (Liden Kirsten) — ein wundervolles Stuck tonenden Danischtums — und die
kraftstrotzende, nordisch gehaltene Musik zu den Balletten ,,Die Walkiire", ,,Thriimskviden"
und (zusammen mit Gade) ,,Eine Volkssage"; auch ein sehr wertvolles Chorstiick ,,Der Wala
Weissagung" (Volvens Spaadom), ware noch hervorzuheben. Zu Gade und Hartmann tritt
als dritter Hauptmeister dieser Epoche der besonders als Liederkomponist tatige P. A. Heise
(1830—79). Erist musikalisch wie poetisch ein echter, iiberaus feinsinniger Kiinstler, und
es ist sehr zu bedauern, dafi seine Musik sich so intim zur danischen Sprache verhalt, dafi
seine Lieder allzuviel durch die Ubersetzung verlieren, um sich im Auslande behaupten zu
konnen. Aufier Kleinkunst hat er nur wenig geschrieben, wirklich hervorragend ist doch eine
Oper mit historisch-nationalem Gegenstand, ,,Konig und Marschall" (Drot og Marsk. 1878).
Vor allem ist es aber Gade, der diese ganze Epoche pragt. Kraft seines iiberlegenen Musiker-
tums, kraft seines europaischen Ruhms und seiner glanzenden organisatorischen Begabung,
hat er eine Autoritat wie keiner neben ihm besessen, und mit fast unbeschrankter Gewalt hat
er bis zu seinem Tod (1890) alles im Musikleben Kopenhagens nach seinem Willen gestaltet.
Als Leiter des koniglichen Konservatoriums iibte er auf die jungen Komponisten tiefgehenden
EinfluB; unter seinen bekanntesten Schiilern sind zu nennen: Asger Hamerik (1843 — 1923;
6 Symphonien, Suiten, ein 6stimm. Requiem u. a.), Otto Mailing (1848 — 1915; Orchester-
sachen und Orgelmusik), JorgenMalling(I836 — 1905; Bruder des vorher Genannten), kom-
ponierte Lieder und Chorwerke, Victor Bendix (geb. 1851 ; 4 Symphonien, Kammermusik)
und der gediegen-musikalische und eigenartige Gustav H els ted (geb. 1857; 2 Symphonien,
Chorwerke: ,,Gurrelieder" und ,,Vort Land", Kammermusik, darunter eine sehr wertvolle
Moderne: Danen j i i i
Violinsonate in G-Dur). Dieser Generation von Musikern gehort aucK der hauptsachllch
autodidaktisch ausgebildete P.E.Lange-Miiller (geb. 1850), der mit herrlichen, tief poe-
tischen Uedern die Tradition Heisens fortgefiihrt hat und zum Marchenschauspiel von
HolgerDrachmann, ,,Es war einmal", eine Musik schrieb, die einfach als genial zu charak-
tensieren ist. In dieser Verbindung ist auch der in Leipzig ausgebildete C.F.E. Home-
man (1840-1906) zu nennen, ein feuriges Talent, das aufier kleineren Sachen Schau-
splelmus,k und Kantaten schrieb. Sein Hauptwerk ist die dramatisch wohl nicht voll-
standig gelungene Oper ,,AIaddin", die aber eine glanzende, festlich - inspirierte Ouver-
tiire besitzt. Endhch diirfen die Namen von Emil Hartmann (1836-98, Sohn des
J. P. E. Hartmann), Christian Barnekow (1837-1913; hauptsachlich Kirchenmusik)
Jacob Fabricius (1840-1919) und August Winding (1835-99) in diesem Zusammen-
hang nicht iibergangen werden.
Wahrend Gade noch auf der Hohe seiner Kraft und Macht stand, wurde er in Kopenhagen
von emem Idemen, blutjungen, fast iiberbescheidenen Militarmusiker aus der Provinz aufge-
sucht, welcher ihm einige Kompositionen vorlegte. Carl Nielsen nannte er sich, und Gade
hat sicher nicht im entferntesten geahnt, dafi dieser ,,der neue Mann" war. Er war es aber
trotz aller Unauffalligkeit, denn in diesem Bauernjiingling wohnte eine solche musikalische
Urspriinglichkeit und Grofie, eine so inbriinstige Bildungszucht und Tiefe, dafi er sich natur-
notwendig zu vielleicht dem bedeutendsten unter den Musikern, die bis jetzt im Norden lebten,
entwickeln mufite. Nachdem Gade wohlgefallig seine Kompositionen angeschaut hatte, wurde
er nach seinem Rate Schiller des Kopenhagener Konservatoriums ; er ist aber wenig weder von
Gade noch von Hartmann, die hier seine Lehrer waren, beeinflufit worden; merkwiirdig trau-
mend und unberiihrt ist er durch seine Studienjahre gewandert, ohne sich von den romantischen
Stromungen, die ihn umgaben, im geringsten beriihren zu lassen. Uberhaupt ist er eine ganz
merkwiirdig dastehende atavistische Erscheinung; mit den frischen, unverdorbenen Sinnen
ernes Urmenschen sieht er sich ganz unbeirrt von aller Tradition das Material an, als ob er
der erste ware, der es iiberhaupt sah, und es bekommt durch ihn eine neue, ungeahnte Aus-
drucksqualitat. Er besitzt vor allem eine lineare Begabung von kiihner und mannlicher Art.
Seine Melodien sind getragen von der GroBziigigkeit und der gesunden Kraft des Grego-
nanischen Gesanges, und mit eisenharter, zuweilen atemraubender Konsequenz weifi er sie
miteinander zu verkniipfen. Sein Wille zur Form ist unbeugsam, und sein Sinn fur architek-
tonischen Aufbau von souveraner Sicherheit gepragt. Stolze Zeugen hierfur sind besonders
seine Symphonien: Nr. 1 : G-Moll, Nr. 2: ,,Die vier Temperamente", Nr. 3: ,,Sinfonia es-
pansiva", Nr. 4: ,,Das Unausloschliche", Nr. 5 (ohne Angabe der Tonart) und Nr. 6 (,,Sin-
fonia semplice"). Aufierdem schrieb er die Chorwerke ,,Hymnus amoris'4, ,,An den Schlaf"
und ,,Friihlmg auf Fiihnen", die Opern ,,Saul und David" und ,,Mascarade" (nach Holberg),
Klarinettenkonzert, Flotenkonzert, 5 Streichquartette, 2 Violinsonaten, verschiedene Kammer-
musikwerke fiir Holzblaser, ,,Helios-Ouvertiire" und verschiedene andere Orchesterstiicke,
ein Violinkonzert, Kantaten, ein Choralbuch, ein Gesangbuch for die Volkshochschule,
Klaviersachen, Lieder usw.
Obwohl kein danischer Komponist sich zur Zeit mit Carl Nielsen messen kann, sind doch
aufier ihm noch Manner von Bedeutung da. So Fini Henriques (geb. 1867), eine reich aus-
geriistete artistische Begabung, Louis Glass (geb. 1864), gewandter Symphoniker (6 Sym-
|] J2 Moderne: Danen
phonien, von denen besonders die vorletzte, ,,Sinfonia svastica", durch ihre Bundigkeit und
Konzentration fiirdieWeiterentwicklung des Komponisten vielversprechend ist), August En n a
(geb. I860), Opernkomponist von internationalem Schwung, Rudolph Berg h (1859— 1924),
besonders Chorwerke und Lieder, Ludolf Nielsen (geb. 1876), Alfred Toff t (geb. 1865) und
Hakon Borresen (geb. 1876), Schuler des hochbegabten norwegischen Komponisten Johan
Svendsen (1840—191 1), der von 1883—1908 in Kopenhagen als Hofkapellmeister wirkte und
iiberhaupt groBen Einflufi auf die Entwicklung der jungeren danischen Komponisten ausiibte.
Unter den jungeren Talenten, die in groBerem Stil als Komponisten hervortreten, sind endlich
zu verzeichnen: EmilJus Bangert (geb. 1883), Peder Gram (geb. 1881), J. L. Emborg (geb.
1876), Adolf Riis-Magnussen (geb. 1883), Paul Schierbeck (geb. 1888), Paul v. Klenau
(geb. 1883), Rudolph Simonsen (geb. 1889), Roger Henrichsen (1876-1926) und Raa-
sted (geb. 1888). Unter den jiingsten Komponisten, die teilweise unter dem iiberwaltigenden
Einflufi Karl Nielsens stehen, teilweise von der modernen auslandischen, besonders franzosi-
schen Musik gepragt sind, teilweise sich aber auch recht selbstandig und vielversprechend
geben, ware besonders hervorzuheben: RudLanggaard (geb. 1893), Jorgen Bendzon (geb.
1897), Kundage Riisager (geb. 1897) und Finn Hoffding (geb. 1899).
Fragt man sich zum SchluB, wie denn eigentlich das danische Moment in der Musik zu
definieren sei, mufi man leider die Frage unbeantwortet lassen, jedenfalls wenn man sich nicht
mit undefinierbaren Gefiihlsangaben begnugen will. Wir Danen empfinden bald, ob eine
Musik uns heimisch vorkommt oder nicht. Wir verstehen auch ganz gut, woran Philipp Spitta
denkt, wenn er einen Melodietypus, den er nur bei danischen Komponisten zu f inden vermeinte,
mit ,,betauten Rosen" vergleicht. Verlangt man aber nach genaueren stilistisch-musiktech-
nischen Bestimmungen, und gibt man sich nicht mit den beliebten, billig gekauften Parallelen
zwischen landschaftlicher und volksmusikalischer Linie und dergleichen zufrieden, so wird
man kaum befriedigt werden. Wie kann man es aber anders erwarten, wenn zur Zeit nicht
einmal die grobsten Grundlinien des Nationalstil-Problems einigermaBen klargelegt sind? So
ist es zum Beispiel moglich — bisher unwiderlegt — die Hypothese aufzustellen, dafi vieles
von dem, was gewohnlich als national-musikalisches Kriterium angesehen wird, in Wirk-
lichkeit vielmehr chronologisch bestimmt ist. Moglich, daB das, was in einem gegebenen
Augenblick einem Volk den andern Volkern gegeniiber musikalische Eigenart verleiht, vielleicht
oft ein Stoff ist, welcher friiher andere Nationen passiert hat, und von der speziellen rezeptiven
Art des betreffenden Volkes abhangig, hier entweder spater eintraf oder sich langer behauptete.
So soil (obwohl mit grofitem Vorbehalt, weil noch nicht geniigend untersucht) der leise Ver-
dacht ausgesprochen werden, daB der ,,danische Ton" des fruhen 1 9. Jahrhunderts in einem
gewissen Zusammenhang mit alterer italienischer Musik, besonders des Seicento steht. Genug
der wissenschaftlichen Probleme ! Schliefilich ist die Musik eine Kunst, und iiber allem steht die
Frage vom Wert. Und somit ist man in der gliicklichen Lage folgendermaBen konkludieren
zu konnen : In Danemark ward eine musikalische Kunst von wahrer Bedeutung Wirklich-
keit, sie bliiht jetzt wie vielleicht nie zuvor und ist voraussichtlich noch im Aufsteigen begriffen.
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Knud jeppesen
NORWEGER
Eine Ubersicht liber norwegische Musik und die Bestimmung des Platzes, den sie innerhalb
der Weltkultur einnimmt, konnte mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts und den folgenden
Jahrzehnten anfangen, in denen unsere grofien Meister Grieg, Svendsen und Sinding in
die Arena treten und sich im Laufe kurzer Zeit intemationale Beriihmtheit erwerben. Aber
in Wirklichkeit miifite ein solcher Bericht iiber die Musik in Norwegen, wenn er vollstandig
sein soil, mit einem weit friiheren Zeitpunkt der Entwicklung beginnen. Historisch gesehen,.
miifite er ein ganzes Jahrtausend zuriickgehen.
Die alteste Periode von Norwegens Musik ist heute auBerhalb der Landesgrenzen noch so
gut wie unbekannt. Erst in den letzten Jahrzehnten haben norwegische Musikforscher wissen*
schaftlich und systematisch versucht, iiber dieses fur unser nationales musikalisches Fiihlen
so bedeutungsvolle Gebiet Aufklarung zu schaffen. Und es gliickte ihnen hier, interessante
Tatsachen ans Licht zu bringen. Es zeigt sich, dafi die Norweger eine uralte instrumental
und vokale Tonkunst besitzen, deren Ursprung bis in das friihe Mittelalter zuriickgefuhrt
werden mufi. Das soil hier nur fliichtig gestreift werden, indem naher auf das mehrbandige
Werk: ,,Norwegens Musikgeschichte", das vor kurzer Zeit in Oslo erschienen ist, hingewiesen
sein mag. Dies Werk, das erste seiner Art in Norwegen, ist redigiert von 0. M. Sandvik und
Gerhard Schjelderup, mit Jens Arbo und dem Verfasser dieses Artikels als Mitarbeitern.
Es wird hier versucht, unter anderm nachzuweisen, dafi die Mehrstimmigkeit in der Musik
in Wirklichkeit eine norwegische Erfindung sei, die aus dem Island und Norwegen der
Wikingerzeit stammt. Sandvik, der namentlich die alten ,,01avssekvenzen" zum Gegenstand
seines Studiums gemacht hat, glaubt hierauf die Behauptung griinden zu konnen, dafi die
norwegische Musik die Zeiten hindurch langer als 1 000 Jahre bestimmte gemeinsame Eigen-
tiimlichkeiten bewahrt habe.
Von Kunstmusik im strengen Sinne kann aber in Norwegen erst in verhaltnismafiig spater
Zeit gesprochen werden. In dieser Hinsicht steht Norwegen etwas hinter den Nachbarlandern
[ ] 1 4 Moderne : Norweger
Danemark und Schweden zuriick, die beide eine gewissermafien klassische Periode in ihrem
Musikleben aufweisen konnen, im gleichen Sinne, wie die grofieren Kulturlander. Irgendeine
derartige klassische Zeit besitzt die norwegische Musik nicht; diese hat sich verhaltnismafiig
spat entwickelt. Schuld daran sind eine Reihe von Umstanden — kulturellen und politischen — ,
auf die einzugehen hier zu weit fiihren wiirde. Die ausiibende Tonkunst ist natiirlich in den
groBeren norwegischen Stadten fleiBig gepflegt worden mit Auffahrungen alter italienischer
und deutscher Meisterwerke. Aber diese Pflege fremder klassischer Musik vermochte das
norwegische Gemiit nicht zu einem einzigen Werk von irgend bleibendem Werte zu inspirieren.
Der klassische Stil mit seiner objektiven und formellen, oft etwas beengenden Strenge lag
dem norwegischen Temperament relativ fern. Zur Auslosung des eigenen tonalen Bediirf-
nisses des norwegischen Volkes war er schlecht geeig net. Erst die Romantik — die National*-
romantik — war es, mit der ein durchaus zielbewuBtes kiinstlerisches Schaffen hierzulande
einsetzte. Die Romantik bot grofiere Freiheit far das, was norwegisches Wesen war — far
lyrisch freie und subjektive Stimmungen — , nicht gebunden von zu viel Formen und Zwang.
Dies war in den Zeiten nach Norwegens Befreiungsjahr 1814. Das musikalische Erwachen
geht Hand in Hand mit dem politischen. Die Nation entdeckt sich selber aufierhalb der Mauern
der Stadte, draufien im Volke. Der wichtigste Name ist hier der des Komponisten Waldemar
Thrane, der 1824 die erste nationalgefarbte Musik in Norwegen schreibt, das Singspiel
,,Fjeld-eventyret" (Bergmarchen). Wirklich kann man alle die reichen Tonkiinstler, die
jetzt ein paar Generationen hindurch entstehen, auf diesen volklichen Durchbruch als einer
Art kiinstlerischer Basis zuriickfehren. Und die jetzt in Norwegen folgende Musikbliite
ist verhaltnismaBig die reichste und bemerkenswerteste der Geschichte aller Lander.
Edvard Grieg (1843—1907), Christian Sinding (geb. 1856), Johan Svendsen(1840
bis 1911) und Johan Selmer(1844 — 1910) sind die Haupttrager der modernen norwegischen
Musikentwicklung. Die ersten drei haben Namen von internationaler Bedeutung, geradeso
wie Ole Bull, der ,,Geigerkonig" (1810 — 80). Dagegen diirfte ein f einer Lyriker, wie der
Romanzenkomponist Halvdan Kjerulf (1815 — 68), weiteren Kreisen allzuwenig bekannt
sein. Das gleiche gilt von dem etwas jiingeren und kraftiger gearteten Komponisten Richard
Nordraak (1842 — 66), dem Schopfer der norwegischen Nationalhymne, einer groBen Be-
gabung — er starb schon 1 866 im Alter von 23 Jahren. Auch der norwegische Volkslieder-
sammler L. M. Lindeman (1812 — 87) verdiente auBerhalb der Landesgrenzen genannt
zu werden, als bahnbrechende Erscheinung in unserer nationalen Romantik der 40 er Jahre.
Lindemans Sammlungen norwegischer Volksmelodien bilden in Wirklichkeit die Grundlage
far wichtige Teile unserer spateren musikalischen Produktion, vokaler wie instrumentaler.
Neben diesem nationalen Grundgeprage haben auch Stromungen von aufien her ihren Ein-
flu8 auf die Tonkunst ausgeiibt.
Halvdan Kjerulf erhielt seine Ausbildung in Leipzig in den 40 er Jahren und empfing
von der Leipziger §chule und ihren Meistern starke Impulse far seine Klavier- und Romanzen-
dichtung. Auch von Schumann hat er viel gelernt. Kjerulfs Form ist die Diminutivpoesie,
wie sie Schumann in seinen Liedern und kleineren Klavierstiicken geschaffen hat, eine Kunst
im Kleinen und Intimen; vor grofieren Formen wich er zuriick, und das Orchester blieb ihm
immer eine verschlossene Welt. Es liegt ein unverkennbarer Duft von Norwegen iiber der
einfachen, feinen und wunderbaren Lyrik dieses Stimmungsmusikers. Mit der Kjerulfschen
Moderne: Norweger 1115
Lyrik verwandt sind die feingestimmten poetischen Lieder und Klavierstiicke von Agathe
Backer Grondahl (1847 — 1907), sowie auch die wenigen, aber wertvcllen kleinen Kompo-
sitionen, die der im jungen Alter verstorbene Per Las son (1859—1883) hinterlassen hat.
Hier 1st auch Per Winge (geb. 1858) zu nennen. Was nun Edvard Grieg angeht,
so steht auch er in einiger Schuld bei Schumann. Eines seiner Hauptwerke, das Klavier-
konzert in A-Moll, leitet hier und da den Gedanken hin zu Schumanns Konzert in der
gleichen Tonart. Es ist dies einer jener Falle von kiinstlerischer Verwandtschaft, fur die
wir auch ein Beispiel haben in dem Verhaltnis zwischen Goethes ,,Faust" und Ibsens ,,Peer
Gynt". Griegs Vertonung dieser letzteren Dichtung ist ein Kunstprodukt vollendeter Art,
erne ideale Veremigung von Ton- und Dichtkunst, auf norwegischem Boden entsprossen
und erbliiht, ein in sich geschlossenes Erzeugnis aus der Personalunion zweier gleich-
gesinnter groBer Geister. Griegs Ausbildung in Deutschland (Leipzig) war die Voraus-
setzung fur seine Beherrschung der Technik. Das ganze norwegische Leben fafit er in
seine Tone und steht mit seinen Werken inmitten des groBen kiinstlerischen Weltverkehrs.
Auch dort, wo er sich ganz und ausschliefilich auf den Volksboden stellt, wie in seinen
,,Bildern aus dem Volksleben", in Balladen, Bauerntanzen u. a. vermochte er, wie die nor-
dischen Nachbaren, so auch Deutsche, Englander und Franzosen zu fesseln . Sein Lebenswerk
ist fur die ganze nachfolgende Tonkunst von mitbestimmender Bedeutung geworden. Nach
Geist und Temperament ist Grieg unvermischt norwegisch, der meist nationale Tondichter;
fiir die jiingere und jiingste Generation steht Grieg, was dieVerschmelzung nationalen Gefiihls
und moderner europaischer Kunst angeht, da als Ideal eines Tondichters. Im groBen und ganzen
kann man ruhig behaupten, dafi die Musik inNorwegen, trotz aller Einwirkung von auBen, mit
echterem und ursprunglicherem Geprage von Nationalitat und Volkseigentiimlichkeit dasteht
als vielleicht sonst in irgendeinem musikkultivierten Lande. So besitzt Z.B.Christian Sin-
ding, auch Schiller des Leipziger Konservatoriums, der in seinen Orchesterwerken An-
hanger Wagners ist, einen so deutlich norwegischen Tonfall in seiner gesamten Produktion, dafi
man an seiner Nationalitat gar nicht zweifeln kann. Vorziiglich auf dem Gebiet der Instrumen*
talmusik tatig(Symphonien, Kammermusikwerke, Konzerte), schrieb er auch Lieder und eine
Oper (,,Der heilige Berg"), die 1914 in Dessau aufgefiihrt wurde. Von jiingeren Musikern
sind die beiden bedeutenden Komponisten Hjalmar Borgstrom (1864—1925) und Ger
hard Schjelderup (geb. 1859), auch als zur deutschen Schule gehorend, zu bezeichnen,
und doch wurde wiederholt hervorgehoben und richtig erkannt, welch starker nationaler Zug
durch ihre Werke geht.
Dies ist in seinen wichtigsten Ziigen der deutsche Einflufi auf die norwegische Musik. Auch
von italienischem und gallischem Geiste hat Norwegen, wenn auch weit schwachere Impulse
empfangen. So steht Ole Bull im Gefolge von Paganini, wahrend Thomas Tellefsen
(1823 — 74) als Schiiler Chopins sich seinem Lehrer anschloB unter Hervorkehrung norwegischer
Eigenheiten; Johan Selmer (1844 — 1910) war Anhanger der Berliozscben Richtung. Wollte
man die Spuren gallischer Einwirkung in der norwegischen Tonkunst noch welter verfolgen,
so miiBte man einen Sprung bis ganz in die Musik von heute machen, zur Debussy schule.
Es ist klar, dafi in einer kurzen Ubersicht, wie dieser, eine ganze Reihe von bedeutenden
Komponisten entweder nur fliichtig genannt oder ganz unerwahnt bleiben muB. Der alteste
der jetzt lebenden norwegischen Komponisten ist Otto Wintrier Hjelm (geb. 1837).
71 H.d. ML
I ] I £ Moderne : Norweger
Johannes Haarkloti (1847-1925) nimmt einen hervorragenden Platz in der norwegischen
Musik ein. Seine umfassende Produktion besteht aus Oratorien, symphonischer Musik,
einigen Opern sowie einer Reihe von Liedern und Klavierstiicken. Haarklou ist in Leipzig
ausgebildet, und die deutschen Klassiker, namentlich Bach und Mozart, stehen semem
Herzen nahe. Ole Olsen (1850-1927) hat ebenfalls kleinere Opern und verschiedene
Arbeiten for Orchester und Chor geschrieben, und er ist, ebenso wie Haarkloa, verschiedent-
lich in Deutschland und sonst im Auslande aufgeftihrt worden. Andere Komponisten smd
Iver Holter (geb. 1850), Catharinus Elling(geb. 1858), der mit Erfolg die Arbeit des oben-
genannten L. M. Lindeman als Volksmusiksammler fortgesetzt hat, ferner Johan Halvorsen
(geb. 1864), dessen frisch geschriebene und instrument erte Orchesterstiicke auch im
Auslande grofie Verbreitung gefunden haben, und der oben erwahnte Gerhard Schjelderup,
der eine Reihe von Opem geschrieben hat, von denen mehrere mit grofiem Erfolg auf
deutschen Biihnen aufgefiihrt worden sind. Der allzu friih verstorbene, hoch begabte
Sigurd Lie (1871—1904) hat durch seine Lieder, Chorwerke und seine unter Wagners
Einflufi stehenden Instrumentalarbeiten einen unsterblichen Namen in der norwegischen
Tonkunst errungen.
Der bedeutendste norwegische Komponist der Zwischengeneration, der Komponist, der am
ehesten mit den drei GroBen Grieg, Svendsen und Sinding zusammen genannt werden kann,
ist Hjalmar Borgstrom. Seine Richtung ist die Programmusik modemen deutschen Stils>
und er hat auf diesem Gebiete Werke hervorgebracht, die zu den besten in der nordischen
symphonischen Kunst gehoren. Die wichtigsten hiervon sind die symphonischen Dichtungen
,Jesus in Gethsemane", ,John Gabriel Borchmann" (nach Ibsens Drama), ,,Hamlet" for
Klavier mit Orchester, und eine hochst eigenartige symphonische Dichtung, ,,Der Gedanke",
der mit grofier orchestraler Schonheit und Intensitat ein sehr hochschwebendes kosmologisches
Sujet ethisch-idealistischen Inhaltes behandelt. Der Komponist hat zu dieser letzten Arbeit
einen Prolog in Versen geschrieben, und sie ist ohne Zweifel eines der bedeutendsten Werke
der neunorwegischen und nordischen Musik seit Sinding und Sibelius.
Verschiedentlich jiinger als Borgstrom und jeder ein in seiner Art hervorragendes Talent sind
Halfdan Cleve (geb. 1879), Eyvind Alnas (geb. 1872) und Alf Hurum (geb. 1882). Namentlich
der zweite ist einer der hervorragendsten Namen des jungen Norwegen (2 Sinfonien, Konzert
for Klavier und Orchester, Lieder und Chorwerke). Wahrend Cleve in seinem Stil im Grunde
der deutschen Schule angehort, ist Hurum ein erklarter ,,Debussyaner" ; des weiteren
hat dieser neufranzosische Impressionismus auch bei einzelnen Komponisten der jiingsten
Gruppe Spuren hinterlassen, wie bei Pauline Hall und David Monrad Johan sen (geb. 1888).
Der letztgenannte Komponist gehort so wie auch die jungen Kiinstler Irgens Jensen (geb. 1894)
Harald Saverud (geb. 1897), Moaritz Ulfrstad (geb. 1890) und Arvid Kleven (geb. 1900)
entschieden zu den starksten Begabungen der jiingsten Tonkunst, es sind Talente, so frisch
und eigenartig, dafi man vollends von einer neuen und sehr uppigen Bltite in der norwegischen
Musik sprechen kann.
Seit Grieg hat die weitere Entwicklung einer eigenen nationalen Richtung ziemlich gestockt.
Es hat sich gezeigt, dafi der alte Meister schwer zu umgehen war, die meisten Versuche sind
unweigerlich in eyiem mehr oder weniger ausgepragten Epigonentum stecken geblieben, wie-
wohl sich die feinsten Gehore selber sagen konnten, dafi Grieg keinesfalls das letzte Wort
Moderne : Nonveger 1117
im genuinen norwegischen Tonsinn ausgesprochen hatte. Derjenige Komponist, von dem
man eine wirkliche Erneuerung unserer Musik in volkstiimlich nationalem Geiste erwarten
darf, und der eine solche schon deutlich markiert hat, ist der obenerwahnte Monrad Johansen,
der vor einigen Jahren seinen ersten Erfolg mit einem iibergrofi angelegten Werke for Manner-
chor ,,Draumkvade", feierte — ein Passionsgedicht aus dem Mittelalter, das iiber eine Volks-
lieddichtung aus einem der norwegischen Gebirgstaler aufgebaut ist. Noch entschiedener
aber hat Monrad Johansen seine Bedeutung als Stilerneuerer manifestiert durch sein jiingst
erschienenes und in Oslo mit aufierordentlichem Erfolg aufgefiihrtes Chorwerk mit Orchester
und Soli: ,,Voluspaa", das ebenfalls ein mittelalterliches Sujet von der Dbergangszeit zwischen
Heiden- und Christentum behandelt, — ,,DieProphezeiungVoIvens", ein Lied der Entstehung,
des Unterganges und der Erneuerung der Welt, aus der alteren Edda geholt. Dafi hier zum
Teil alte Kirchentonarten in Anwendung gebracht sind, ist erklarlich. Das Werk ist aber
durch und durch personlich erlebt und von einer intensiv primitiven Kraft auf volkstumlichem
Boden gepragt — aus einem alteren Toninstinkt als dem jetzt iiblichen geboren. Eine ganz
neue nationale Seite ist hier in der norwegischen Tonkunst angeschlagen.
Gleich wie Monrad Johansen folgt auch der junge Irgens Jensen der modernen Stromung
von jeglicher romantischen Richtung und Tendenz in der Musik weg. Er unterscheidet
sich aber von seinem alteren und mehr subjektiv betonten Kollegen durch sein starker aus-
gepragtes formales Interesse Jm Geiste des Neuklassizismus. Seine Begabung liegt mehr in
der stilistischen und polyphonen Richtung. Seine letzte grofie Arbeit fiir Orchester ,,Passa~
caglia" ist ein kompositionstechnisches Meisterwerk ersten Ranges und eines der bedeutendsten
Werke der neueren norwegischen Musik. Bei der Schubertkonkurrenz 1928 wurde Irgens
Jensens ,,Passacaglia" mit dem 2. Preis der nordischen Sektion dekoriert.
Die beiden talentvollen Komponisten Sverre Jordan (geb. 1889) und AmeEggen (geb. 1881}
schliefien sich in ihren Arbeiten, Orchesterwerken und Romanzen, hauptsachlich an die
nationale Richtung in Griegs Geiste an, wahrend man von einem so eigenartigen und fein-
gestimmten Musiker wie Fartein Valen (geb. 1887) sagen kann, dafi er viel von Besten in der
neudeutschen Musik gelernt hat, vielleicht am meisten von Max Reger und Arnold Schon-
berg. Zum Schlufi miifite hier auch noch ein produktiver Romanzenkomponist wie Johan
Backer-Lunde (geb. 1874) und Komponisten wie Borghild Holms en (geb. 1865), Signe
Lund (geb. 1868), F.W.Gomnas (geb. 1868), Alfred Andersen Wingar (geb. 1869), Per
Reidarson (geb. 1879), Trygve Torjussen (geb. 1885), Oskar Morcman (geb. 1892),
Odd Griiner-Hegge (geb. 1899), Fridtjof Kristoffersen, Arild Sandvold, Bjarne
B rust ad, Eyvind Groven und andere mehr genannt werden.
Im grofien ganzen darf man sagen, dafi die norwegische Musik in letzter Zeit eine neue
Bliite fand, sozusagen eine Renaissance erlebte. Kraftige und eigenartige Talente stehen
bereit, das Erbe der alten, grofien Tondichter zu iibernehmen. Und trotz all der Impulse,
die diese Musik in formeller Hinsicht von fremden Stromungen und Stiltypen empfangen
hat, bewahrt sie doch nach ihrem Inhalt ein unverkennbares norwegisches Geprage. Von
den jiingeren und jtingsten Komponisten sind schon mehrere mit ihren Schopfungen im
Ausland durchgedrungen. So sind zum Beispiel Cleve und Sverre Jordan 6'fters in
Deutschland gespielt und gesungen worden, wahrend Alnas, Hurum, Signe Lund
und Torjussen sich in Amerika eingebiirgert haben. Unter den ganz jungen haben be-
71*
{ ] 1 8 Moderne : Schweden
senders Talente wie Morcman, Kleven und vor allem Saverud und Ulfrstad in den
nordischen Nachbarlandern achtungsvolle Anerkennung gefunden.
Literatur
BerckenHaff, M.: Boken von Filharmonien. — Bisgaard, J. Chr.: Fr. Musikkens verden. —
Conradi, J. G.: Musikens Historic. — Eggen, E.: Edvard Grieg. — Derselbe: Skalastudien. — Elling, C:
Norske Folkemelodier. — Gronvold, A.: Norske Musikere. — Groven, Eyvind: Naturskalaen. — Reiss, G.:
To sekvenser for St. Olav. — Sandvik, 0. M., und G. Schjelderup: Norges Musikhistorie. — Sandvik, 0. M.:
Folkemusiken i Gudbrandsdalen. — Schjelderup, G.: Edvard Grieg. — Derselbe: Richard Wagner. —
Smith, Gustav: Om musikkens dobbeltvirkning. — Ober Ole Bull: 0. Vik, J. Lie, H. Wergelani
Reidar Mjden
SCHWEDEN
Das Jahr 1880 ist in vielen Beziehungen sehr wichtig in der schwedischen Musikgeschichte.
Das Interesse ftir das Volkstiimliche, das schon seit 2 Jahrzehnten mit immer grofierem Erfolg
sich geltend gemacht hatte, tritt mit dem Jahre 1880 in den Vordergrund der nationalen Be-
strebungen. August Soder man (1832 — 76) hatte schon in den fiinfziger Jahren die Richtung
bestimmt, indem er in seinen Orchesterballaden, Sololiedern, in seiner dramatischen Musik usw.
dem schwedischen Volkston zu folgen versucht hatte. Nach ihm kam IvarHallstrom, der
schwedische Nationalopern mit Motiven aus der Volkssage unter reichlicher Benutzung der
Volksweisen schrieb. Seine Oper ,,Den Bergtagna" (Die Bergentrlickte, 1874) wurde lange
als die beste Nationaloper des Landes gepriesen. Besonders in die achtziger Jahre fielen die
meisten seiner folgenden Opern: ,,Silverringen" (Der Silberring), ,,Per Svinaherde" (Der
Schweinehirt), ,,Melusina" usw. Das allgemeine Interesse an dem Volkstiimlichen, das durch
mehrere Vereine aufrechterhalten wurde, kam dieser Richtung iiberall entgegen. Die Volks-
lieder und Volkstanze wurden im ganzen Lande aufgezeichnet, Vereine fiir Neubelebung der
Volkstanze wurden gegriindet (,,Philochoros" in Uppsala, und ,,Der Volkstanz" in Stockholm),
die Museen fiir schwedische Volkskultur (das Nordische Museum in Stockholm, das Kultur-
historische Museum in Lund u. a.) veranstalteten Volksfeste mit Volksmusik und -Tanz. Musik-
auffiihrungen von bauerlichen Spielern hatten iiberall voile Hauser, und man glaubte fest an
eine national-schwedische Kuristmusik, die sich neu erheben sollte, ebenso wie Edw. Grieg
die norwegische Kunstmusik in die Hohe getragen hatte. Es dauerte aber nicht lange, bis man
einsah, dafi zuviel Dilettantismus in der ganzen Bestrebung steckte. Die Komponisten be-
safien nicht geniigende Schulung oder Individualitat, um eine solche Kunstmusik schaffen zu
konnen, und schon 1890 hatte man sich andern Kunstbewegungen zugewendet.
In den achtziger Jahren bliihten gleichzeitig die Liszt- und Wagner-Richtung auf . Das Mu~
sikdrama Wagners war ja schon mit dem Nibelungenring ,,nordisch** gefarbt, und der Meister
von Ba^euth hatte gezeigt, dafi gerade die altnordische Sage starke Moglichkeiten in sich
trug, um eine germanische Volkskunst zu schaffen. Auch Liszts Programmusik eignete sich
vorziiglich fiir musikalische Landschaftsmalerei in nationalem Sinne. Die russischen und
bohmischen Komponisten hatten mit Erfolg symphonische Dichtungen iiber Sagenstoffe ge-
schrieben. Auch diese Bewegung blieb den schwedischen Komponisten nicht fremd.
Moderne: Schweden ] J |9
Die Wagnerdramen waren schon in den sechziger und siebziger Jahren nach Stockholm ge-
kommen (,,Rienzi", 1865, ,,Der fliegende Hollander", 1872, ,,LohengrnT, 1874 und ,,Tann-
hauser", 1878), aber die schwedischen Komponisten verhielten sich dieser Richtung gegeniiber
noch abwartend. Der eigentliche Wagnerdurchbruch fand erst 1887 statt, als ,,Die Meister-
singer"aufgefiihrt wurden. Schon vorher hatte aber Andreas Hallen (1846—1925) das neue
Musikdrama in seine szenischen Werke, wie in die Oper ,,Harald der Wiking", aufgenommen,
die zwar in Leipzig 1881 — auf Empfehlung Uszts — ihre Uraurfuhrung hatte, aber erst 1884
in Stockholm gegeben wurde. Es war erst der ,,Tannhauser", der in dieser Weise in Schweden
seinen Einzug hielt, doch man wollte das Neue nicht anerkennen, und die Oper war bald
vom Repertoire verschwunden.
Nicht viel besser ging es mit der symphonischen Dichtung. Zwar wurde Liszts ,,Tasso"
1886 und ,,Les preludes" 1887, Berlioz' Symphonic phantastique 1888 aufgefiihrt, aber die
Kritik war gegen die ganze Richtung und die Komponisten wagten sich nicht hervor. Andreas
Hallen versuchte auch hier fur das Neue einzutreten und schrieb u. a. die beiden sympho
nischen Dichtungen ,,Frithiof" (die schon 1875 in Gotenburg aufgefiihrt wurde) und ,,Eine
Sommersage" (in Stockholm 1889 aufgefiihrt). Der Boden war noch nicht recht for die neu-
romantische Schule bereitet. Etwas grofieren Erfolg hatte das Chorwerk im Sinne Berlioz*
(,,Faust") und Liszts (,,Elisabeth"). Mendelssohn und Gade wurden in den Chorvereinen
fleifiig gepflegt und schwedische Komponisten folgten nach (Soderman, Norman,
Hallstrom, Svedbom u. a.). Andreas Hallen war in den siebziger Jahren Chormeister
in Gotenburg und schrieb schon damals ,,Vom Pagen und der Konigstochter" (Gotenburg
1871), ,,Das Ahrenfeld" (1880) und ,,Vineta ' (1882). In Stockholm griindete er 1885 die
,,Philharmonische Gesellschaft", welche er 10 Jahre hindurch mit grofiem Erfolg leitete.
Hier konnte er fur die neue Kunst eintreten und auch seine eigenen Chorwerke zur Auf-
fiihrung bringen. In den achtziger Jahren wurden u. a. aufgefiihrt: ,,Der Traumkonig", 1886,
,,DasZauberschlofi", 1889, ,,Styrbjorn Starke" (Nordlandskampf), 1889, ..DieBufierin", 1890.
Im iibrigen wurde zu dieser Zeit nur das Lied gepflegt, und zwar mit grofiem Erfolg von
Emil Sjogren. Die alte Mendelssohn-Schumann-Richtung, der vorher von vielen Kompo
nisten gehuldigt worden war (Norman, Svedbom, Korling, Myrberg), wurde von einer
norwegisch-danischen Stromung (Heise, Lange- Miiller, Grieg) verdrangt. Soderman
schuf, unbeirrt von dem in den fiinfziger und sechziger Jahren iiblichen Stil, seine markanten
Romanzen und Balladen, und Sjogren wurde sein Nachfolger, obgleich dieser mehr zur
lyrischen Poesie hinneigte. Zu seinen besten Liedersammlungen gehoren ,,Sieben Gesange
aus Tannhauser" (1881). Von Sjogren wurde auch ein individueller Pianostil geschaffen (Ero-
tikon 1883).
Die Kammermusik wurde in den achtziger Jahren von dem Aulin-Quartett (gegriindet
1 887 von T o r A u 1 i n , 1 866— 1914) gepflegt, obgleich sehr wenig einheimische Komponisten
fur diese Stilart schrieben. Vorher hatten Nor man und Berwa Id markante Werke geschaffen,
aber die neueren Komponisten wandten sich andern Musikgattungen zu. Nur Sjogren schrieb
seine zwei ersten Violinsonaten 1886 und 1889.
Mit den neunziger Jahren siegte die neuromantische Richtung, und die alten Komponisten,
welche im vorigen Jahrzehnt um die Gunst des Publikums gerungen hatten, wurden jetzt
iiberall anerkannt und gepriesen. Die Sjogrenromanze erklang iiberall im Lande, Andreas
]J20 Moderne: Schweden
Hallen erhielt den Auftrag, die Festoper zur Eroffnung des neuen Operngebaudes zu schreiben
(,,Der Schatz Waldemars", 1899). Die symphonische Dichtung wurde Modesache (Hallen
fiihrte auf : ,,Toteninser, 1898, ,,Im Herbst", 1895 u. a.), und das Chorwerk far Soli, Chor
und Orchester florierte mit Hallen (,,Die Wasasage", 1897, ,,Die Weihnacht", 1895) und Erik
Akerberg.
Unter den jiingeren Komponisten, die jetzt auftraten, verdienen Wilhelm Stenhammar
(1871 — 1927) undHugoAlfven (geb. 1872) genannt zu werden. Jener errang seinen ersten
groBen Erfolg 18% mit dem Chorwerk ,,SnofricT (schon 1892 war das Chorwerk ,,Die Prin-
zessin und der Page" gegeben) und 1897 mit einer Festkantate. Bald danach versuchte er sich
im Musikdrama: ,,Tirfing ' (Stockholm 1898) und ,,Das Fest auf Solhaug" (Stuttgart 1899;
Stockholm 1902). Im letzteren blieb er dem Wagnerstil treu, obgleich er durch eine liedmafiige
Fuhrung der Melodien das Rezitativische zuriickdrangen wollte. Stenhammar, der auch als
Pianist und Dirigent hervortrat, schrieb auBerdem mehrere Lieder, die starke Aufmerksamkeit
erweckten. Der Kammermusik gab er einige mit Erfolg gespielte Streichquartette. Das Aulin-
Quartett wurde in denneunziger Jahren fortgesetzt, und Stenhammar gehorte mehrere Jahre
diesem Ensemble als Pianist an. 1897 — 1900 war er auBerdem Dirigent der Philharmonischen
Gesellschaft.
Hugo Alfven errang grofien Erfolg mit seinen 2Symphonien (F-Moll, 1897 undD-Dur,
1899). Mit seiner Jahrhundertkantate, 1900, betrat er die Chorkomposition. Aufierdem schrieb
er Lieder.
Die schwedischen Volksmelodien als Unterlagen fur grofiere Kompositionen und die na-
tionalen Bestrebungen waren in dieser Zeit fast zuriickgetreten, obgleich Ivar Hallstrom noch
in der alten Richtung schrieb. Mit Wilhelm Peterson- Berger (geb. 1867) kam jedoch
wieder das national Gefarbte zum Vorschein, und seine Lieder errangen sich einen immer
wachsenden Kreis von Bewunderern. Mit dem Festspiel ,,Sveagaldrar" (1897) begann er seine
Wirksamkeit fur die Buhne. Der modernen Orchestersuite wurde in den neunziger Jahren
u. a. von Hallen und Aulin (,,Meister Olof") gehuldigt. Das Orchestergemalde pflegte u. a.
BrorBeckman.
Die franzosische Musik trat zu dieser Zeit wenig hervor, obgleich mehrere Werke von Mas
senet, Saint-Saens und C. Franck aufgefiihrt wurden. Im Orgelspiel machte sich die franzo
sische Richtung mehr geltend : die Werke von Widor, Guilmant und Franck wurden iiberall
gespielt. Als namhafter Orgelspieler (und Komponist) ist Gustaf Hagg (1867—1925) zu
nennen.
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts drang allmahlich auch die neuere deutsche
Musik durch. Mit wachsendem Erfolg wurden die symphonischen Werke von Richard Straufi
(,,Till Eulenspiegel", 1 901 , ,,Macbeth", 1 906, ,,Don Juan", 1 907, ,,Tod und VerUarung", 1910)
aufgefuhrt. Auch Max Reger wurde bekannt (Serenade, 1 906, Weihnachtskantate, 1910). Die
letzten Wagnerwerke kamen in diesem Jahrzehnt auf die schwedische Buhne. Die ,,Walkiire"
(Valkyrian) war zwar schon 1895 gegeben, aber ,,Rheingoldt4 folgte erst 1901, ,,Siegfried4<, 1905,
,,Gotterdammerung", 1907, ,,Tristan" in demselben Jahre. Auch andere Komponisten er-
zielten hiibsche Erfolge, darunter besonders d'Albert (,,Tiefland", 1908, .Jzeyl", 1910). Von
den Neuitalienern horte man mit Vorliebe Puccini (,,Boheme", 1901, ,,Tosca*, 1904, ,,Madame
Butterfly", 1908).
Moderne : Schweden ] [ 2 1
Die schwedischen Komponisten, die die deutsche Kunst weiter verfolgten, waren dieselben
\vie vorher. Stenhammar, Alfven und Peterson-Berger waren noch die fiihrenden Geister.
Stenhammar schrieb u.a. ein Violinkonzert, 1901, ,,Ein Volk" (Chorwerk), 1905, ,,Ithaka"
(Bariton mit Orchester), ,,Midvinter" (Chor und Orchester), 1 908, ein Klavierkonzert in D-Moll,
1908 (vorher eines in B-Moll 1894); aufierdem noch Kammermusik und Sololieder. Hugo
Alfven fiihrte eine dritte Symphonic in E-Dur, 1906, auf, ein Chorwerk ,,Vater unser", 1902,
Festspiel, 1 909, und die fast iiberall im Norden gegebenen Orchesterrhapsodien , ,Midsommar-
vaka", 1904, und ,,Eine Scharensage", 1905.
Peterson-Berger erzielte seine groBten Erfolge im Musikdrama, das Wagnersche Musik-
drama in nationaler Richtung weiter verfolgend : ,,Ran", 1903, und ,,Arnljot", 1910. Das letzt-
genannte Werk hat einen nachhaltigen Erfolg errungen und gilt als die bedeutendste National-
oper der Jetztzeit. In der Symphonie ,,Das Banner", 1904, wandte er sich auch der groBen
Orchesterform zu, seine Lieder und Pianokompositionen erfreuen sich auch grofier Beliebtheit.
Fur die Bekanntmachung der schwedischen Komponisten im Ausland wirkte mit grofiem
Erfolg Aulin, der zusammen mit Stenhammar mehrere Musikfeste, besonders in Deutschland,
veranstaltete. Beide griindeten in Stockholm 1 902 einen Verein fur Orchesterkonzerte. Mit
der Griindung eines Orchestervereins in Gotenburg 1905 trat allmahlich auch die zweite
Handelsstadt im Musikleben hervor, und mit Stenhammar und Aulin als Dirigenten konnte
Gotenburg einige Jahre sogar die Fiihrung iibernehmen.
Das zweite Jahrzehnt bezeichnet einen bedeutenden Aufschwung in dem schwedischen
Musikleben. Die deutschen Einfliisse sind noch die weitaus nachhaltigsten, doch beginnt all
mahlich auch der franzosische EinfluB hervorzutreten, obgleich die Orchesterprogramme nur
vereinzelte franzosische Werke aufzuweisen haben. Richard Straufi als Musikdramatiker ist
dem schwedischen Publikum nicht unbekannt geblieben(,,Salome", 1908, ,,Der Rosenkavalier",
1920), doch hat man sich gegeniiber seinen Neuerungen ziemlich reserviert verhalten. Auch
d'Albert konnte mit seinem Musikdrama ,,Die toten Augen" (1920) nicht durchdringen.
Einen nicht unbedeutenden Erfolg hatte Rabaud 1915 mit ,,Marouf".
Die schwedischen Komponisten schrieben in diesem und dem folgenden Jahrzehnt ofter fur
die Biihne, doch hat keines dieser Werke einen nachhaltigen Erfolg gehabt. Peterson-
Berger ist mit zwei Werken hervorgetreten : ,,Die Propheten des Jiingsten Gerichts", 1919
und ,,Adils und Elisiv", 1927. Von neuen Komponisten wurden aufgeftihrt: Natanael Berg,
,,Leila", 1912, Kurt Atterberg, ,,Harvard der Harfenspieler ', 1919, und ,,Backa-
hasten", 1925, TureRangstrom, ,,Mittelalterlich", 1921 , und ,,DieKronbraut", 1922 (Stutt
gart 1920). Berg und Atterberg sind auch mit PantomimbaHetten hervorgetreten. Von Alfven,
der vorher nicht fur die Biihne geschrieben hatte, wurde (1 923) ein Ballett ,,Der Bergkonig" auf-
gefiihrt Der Wagnerstil wird allmahlich mehr moderiert, die melodische Linie tritt immer
mehr hervor und damit auch die geschlossenen Musikformen. Die schwedischen Biihnen-
werke sind nur oberflachlich vom Impressionismus beeinflufit.
In den Orchesterwerken tritt dagegen der neue Geist mehr in den Vordergrund, obgleich
auch hier eine gewisse MaBigung zu bemerken ist. Die namhaftesten Komponisten fur Or
chester sind Kurt Atterberg (5 Symphonien, die meisten auch in Deutschland in den letzten
Jahren mit Erfolg gegeben,nebsteinerneuesten, die 1 928 von der internationalen Jury in Wien
mit dem ersten (Columbia-) Preise bedacht wurde, Konzerte fur Violine, 1913, Cello, 1923, ein
[{?? Moderne: Finnen
St reichquartett , Orchesterrhapsodie, Konzertouverture,Requiem, 1 9 1 4, u . a.),T ureRangstrom
(StrindbergsymphonieJ9I5,mehrereOrchestergemalde:,,DasMeersingttt,,,Dithyrambe'4,,,Ein
Mitlsommerstikk" ; Kammermusik, Lieder und Klavierstiicke), Natanael Berg(symphomsche
Werke: ,,Traumge waken", ,,AlIes endet, was entsteht", ,,Die Jahreszeiten" ; Chorwerk: Lob-
gesang; Saul und David; ferner Klavierquintett, Lieder u. a.) und Oscar Lindberg (sympho-
nische Dichtungen, Konzertouvertiiren u. a.). Von den vorher erwahnten Komponisten ist
Alfven mit einer neuen (4.) Symphonic (1919) hervorgetreten, Peterson-Berger mit 2 Sym-
phonien ,,Sunnanfard", 1913 und ,,Lappland", 191 7, mehreren JFestkantaten usw., Stenhammar
mit einer Festkantate fur die Musikakademie, 1 921, ,,Das Volk in Nifelhem44, ,,Friihlings-
nacht** usw.
Im Musikleben der Zeit nach 1923 sind wenige Veranderungen eingetreten. Die neuere
Tonkunst ist mehr geachtet worden, und man hort jetzt ofter Werke von Schreker
(,,Der feme Klang", 1927), Schonberg (,,Gurrelieder", 1925), Stravinsky (,,Pul-
cinella", 1927), Hindemith, Honegger, Bartok u. a. Zu der neueren Richtung
unter den schwedischen Komponisten gehort HiIdingRosenberg,dermit Symphonien,
Kammermusik, szenischer Musik, Sololiedern, Chorgesangen und Pianostiicken aufgetreten ist.
Literatur
Norlind, Tobias: Allmant MusJHexikon (2. Aufl. 1929) und Svensk Musikhistoria (2. Aufl. I9I8). — Der-
selbeu. Mo rales, 0. : K. Mus. Akad. 1771— 1921(1921). — Ders elbe u. Troba ck,E.: K. Hovkapellets
historia 1526 bis 1926 (1926). — Vretblad, Patrik: J. H. Roman (1914) und Konsertlivet i Stockholm under
1700-talet (1918). — Hillman, Adolf: Franz Berwald (1920),— Jeanson, G.: Aug. Soderman (1926).—
Flodmark, J. H. A.: Elisabeth Olinoch CarlStenborg (1903). — Nyblom, Holger: Gustaf III: s opera (1923).
— Personne, Nils: Svenska teatern (1918ff.). — Mehrere bedeutende Studien der schwedischen Instrumenten-
kunde sind von Daniel Fryklund herausgegeben. — Eine in deutscher Sprache abgefaBte Ubersicht der
schwedischen Musikgeschichte ist in der ,,Musik", 1904, (von T. Norlind) zufinden; in englischer Sprache ,,Swedish
Music" (auch von T. Norlind) in ,,The Swedish Year-book 1922" (spanisch: Suecia 1923).
Tobias Norlind
FINNEN
Die Tonkunst Finnlands erfreut sich seit etwa den letzten fiinf Jahrzehnten einer reichen
Entwicklung auf nationalem Boden und unter dem Einflusse eines regen Musiklebens. Die
Geschichte einer kiinstlerischen Musikiibung im engeren Sinne des Wortes reicht bis in die
zweite Halfte des 18. Jahrhunderts, die des Kirchen- und Schulgesanges in das Mittelalter, in
die Zeit der Einfuhrung des Christentums und der schwedischen Eroberung (Mitte des 1 2. Jahr-
hunderts). Wahrscjiemlich befinden sich in der finnischen Volksmusik Elemente aus noch
friiherer Zeit. Es sind besonders die am wenigsten von der modernen Kultur beriihrten Teile
des finnischen Volkes, die Kareler diesseits und jenseits der ostlichen Grenze, die auf dem
Gebiete der Volksmusik, wie auch der Volksdichtung, das alteste aufbewahrt haben. Im ganzen
kann man drei verschiedene Schichten in der finnischen Volksmusik wahrnehmen. Die alteste
wird durch rezitativische und improvisierende Melodik von engem Tonumfang in Verbindung
mit einer Art von Prosadichtung reprasentiert (die ,Joiku"-Gesange und die Klageweisen
Moderne: Finnen ] J23
der Kareler). Eine mehr entwickelte Stufe stellen die Runenmelodien mit ihrem festen rhyth-
mischen Bau dar (mehrere rhythmische Typen, von denen der ftinffiifiige:
! IN 1 1 i 1 1 1 1 i
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besonders charakteristisch). Der melodische Ambitus ist auch noch hier gering, oft eine
Quinte oder eine Quart e. Als die dritte und neueste Schicht, die allerdings altere und jiingere
Elemente in sich birgt, kann die noch heute iiberall lebendige Volksmusik von verschiedenen
Formen betrachtet werden. Charakteristisch fur das neuere Volkslied, das in seinen besten
Erscheinungen durch eine ausdrucksvolle, schone Melodik gekennzeichnet wird, ist ein rhyth-
mischer Typus von zwei Zeilenpaaren mit langen Schlufitonen:
It: I 111 III Ml I I I I I ! I I J I 1:11
il'j 41* * i * * I 4 ^ I * * I * * \& \ et "
Von neueren Einfliissen abgesehen zeigt sich in den finnischen Volksweisen manchmal eine
Verwandtschaft mit den mittelalterlichen Kirchentonarten und dem Minnelied. Eine besondere
Gruppe bilden die geistlichen Volkslieder, Varianten von kirchlichen Choralen und von geist-
lichen Gesangen oder mehr selbstandige Erzeugnisse. Neuerdings hat man mit diesen oft
wertvollen Melodien das Kirchenlied bereichern konnen.
Das traditionelle nationale Tonwerkzeug war der in der alten Volkspoesie geriihmte Kantele,
dessen alteste Typen fiinfsaitig sind. Ein interessantes Streichinstrument, der mit dem kel-
tischen Crwth nahe verwandte dreisaitige Jouhikantele lebte bis heute in einigen entfernten
Gegenden. Von andern alten Instrumenten des Volkes sind das ,,Bockhorn" und die Luren und
Pfeifen (aus der Birken- und Weidenrinde) des Hirten, von den jiingeren besonders die Geige
und die Klarinette und in jtingster Zeit die Ziehharmonika als Tanzinstrumente zu nennen.
Die alteren mit Klarinette und Geige gespielten Tanzmelodien hatten offenbar oft Jhre Vor-
bilder in der Kunstmusik des 17. — 18. Jahrhunderts.
Der finnischen Volksmusik begann man um 1800 Aufmerksamkeit zu widmen, und nament-
lich seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts ist die Arbeit des Sammelns und spater auch des
Herausgebens plangemafi fortgefuhrt worden. Eine Monumentaledition ,,Suomen kansan sa-
velmia" umfaBt bis jetzt ca. 5000 Melodien in 5 Teilen, von Ilmari Krohn (Teil 1 — 3)t
ArmasLaunis(Teil4)und A.O. Vaisanen (Teil 5) redigiert. Auf dem finnischen Gebiet sind
im ganzen ca. 1 5 000 Melodien gesammelt worden. Fur die neuere Entwicklung der finnischen
Tonkunst war die Volksmusik von grofier Bedeutung.
Die altesten geschichtlichen Denkmaler der Musik sind Neumenschriften aus dem 1 1. — 12.
Jahrhundert, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus den Landen am Niederrhein stammen.
Von der ganzen katholischen Zeit, die bis in das 1 6. Jahrhundert dauerte, haben sich zahlreiche
Codices des romischen Kirchengesanges, zu betrachtlichem Teil leider nur als Fragmente, er-
halten. Im spateren Mittelalter war der Kirchengesang Finnlands von der Dominikanerliturgie
stark beeinflufit. Weiter ist besonders eine Sammlung von Schulliedern, ,,Piae Cantiones",
von dem finnischen Studenten TheodoricusPetriRuutaim Druck herausgegeben (Greifs-
wald 1582; zahlreiche spatere Auflagen) zu nennen. Diese ein- bis vierstimmigen Lieder
waren Jm ganzen schwedischen Reich bekannt, namentlich aber in Finnland heimisch und sehr
wahrscheinlich zum Teil auch hier verfafit: ein ansehnlicher Teil der Lieder findet sich
nicht in auslandischen Sammlungen. Auch spatere Denkmaler des Schulgesanges sind
] ]24 Moderne: Finnen
erhalten. Einer selbstandigen musikalischen Arbeit begegnen wir welter in der Refor-
mationszeit, wo manche alte Melodien des lateinischen Kirchengesanges mit finnischem
Text- versehen und den Anforderungen der neuen Worte angepaBt wurden. Gregoria-
nische Elemente erhielten sich iiberhaupt lange auch nach der Einfiihrung des protestantischen
Chorals, zumal und in gewissem Grade bis heute in den Ordinariummefigesangen. Die welt-
liche Musik der alteren Zeit ist bis jetzt wenig untersucht worden; sie konnte kaum eine grofiere
Bedeutung gewinnen, weil die Gunst eines Flirstenhofes fast gar nicht hier zur Hand war.
Doch sei erwahnt, dafi der musikliebende Herzog Johann (1556—63; spater Konig Johann III.
von Schweden) in Abo (finnisch Turku) sich eine eigene Kapelle hielt unter J or en van He i-
den, der spater in Stockholm tatig war. Die Stadt Abo hatte ihre Stadtpfeifer wenigstens im
17. Jahrhundert, und in der Universitat zu Abo (gegriindet 1640) war man im 17—18. Jahr-
hundert auch wissenschaftlich mit den Fragen der Musik beschaftigt.
Die zweite Halfte des 18. Jahrhunderts, ,,die gustavianische Zeit", ward in Schweden-Finn-
land fur Kunst und Wissenschaft gtinstig. Da begann in Finnland ein eigentliches kunstle-
risches Musikleben im AnschluB an das uberall in dieser Zeit aufbliihende Konzertwesen.
Eine musikalische Gesellschaft in Abo wurde 1 790 gegrundet — Konzerte fanden von 1 773
an statt — , und ein reges und recht bedeutungsvolles Musikleben (Orchester, Chore, Kammer-
musik, Konzerte reisender Virtuosen) dauerte bis in das Jahr 1827, wo die Stadt durch einen
verheerenden Brand zerstort wurde. In dieselbe Periode gehort der erste bedeutende finnische
Komponist, der weitberiihmte Klarinettenvirtuose Bernhard Henrik Crusell (1775—1838),
der wahrend seiner besten Jahre in Schweden tatig war. Als Komponist ist Crusell bekannt
durch eine Reihe von wertvollen Klarinettenkompositionen, eine Oper (,,Lilla slafvinnan"),
sowie Lieder, besonders diejenigen zu Tegners ,,Frithiofs-Sage".
Inzwischen war die politische Stellung Finnlands eine andere geworden, indem das Land
1 809 als autonomer Staat mit RuBland vereinigt wurde. Nach dem Brand von Abo wurde die
Universitat in die neue Hauptstadt Helsingfors (Helsinki) versetzt, wo von da an das geistige
Leben sich konzentrierte. Das Musikleben wurde hier besonders durch Fredrik (Friedrich)
Pacius (1809—1891), einen geborenen Hamburger, Schuler von Spohr und Hauptmann, in
den Zeichen des klassisch-romantischen Stils befordert Sein Name lebt namentlich in dem
Nationallied Finnlands vom Jahre 1848 (Text von Runeberg) und in andern patriotischen
Liedern. Aber auch seine Biihnenwerke ,,Kung Karls Jakt" und ,,Prinsessan af Cypern"
(Texte von Topelius, der Stoff des letzteren aus dem Volksepos Kalevala), sowie ,,Loreley"
(deutscher Text von Geibel), sind bemerkenswert als erste Erzeugnisse der einheimischen
Opernkomposition. Neben Pacius erschienen einheimische Komponisten, die namentlich
schlichte, innige Lieder und Chore von dauerndem Wert schufen. Unter ihnen sind in erster
Linie zu nennen: F. A. Ehrstrom (1801—1850), A. G. Ingelius (1822—1868; komponierte
u. a. eine Sinfonie und eine Oper), K. Collan (1828—71), G. Linsen (1838—1914) und
J. F. von Schantz (1835 — 65), der in seiner ,,Kullervo"~Ouverture schon einen Stoff aus der
Volkspoesie programmatisch behandelte. Die Komponisten dieser Zeit, Pacius eingesdhlossen,
haben auch schon aus der Volksmusik einigermafien Eindriicke genommen. Als ein wiirdiger
Nachfolger Pacius' kann der ebenfalls in Deutschland (Danzig) geborene Richard Faltin
(1835 — 1918) betrachtet werden, ein gediegener Musiker, Komponist grofierer und kleinerer
Vokalwerke, Arrangeur von finnischen Volksweisen und Beforderer des Kirchengesanges.
Moderne: Finnen 1125
Faltin nahm auch als Kapellmeister tell an der ersten Tatigkeit der finnischen Oper, die 1870
bis 1879 unter der Leitung des Schopfers des finnischen Theaters, K. Bergbom, mit groBem
Enthusiasmus aufrechtgehalten wurde.
Die Periode des modernen Musiklebens tritt mit dem Jahre 1882 ein : da begannen ihr Lebens-
werk zwei bedeutende einheimische Musiker mit gediegener ktinstlerischer Bildung, Martin
Wegelius (1846 — 1906) als Direktor des neugegriindeten Konservatoriums (Musikinstitut)
und Robert Kajanus (geb. 1856; der derzeitige Dirigent des Stadtischen Orchesters zu Hel
sinki) als Dirigent eines neuen zeitgemafien Orchesters. Die ausgepragt nationale Richtung
in der schaffenden Tonkunst bekam in Kajanus ihren ersten bedeutenden Vertreter auf fin-
nischem Boden. Schiiler des Leipziger Konservatoriums und des norwegischen Komponisten
Joh. Svendsen, fing Kajanus an, Volksweisen in grofierer Orchesterform zu bearbeiten (zwei
finnische Rhapsodien) oder Stoffe aus der alten Volkspoesie orchestral darzustellen (,,Aino"*-
Symphonic, ,,Kullervo"-Trauermarsch). Zuseinen Kompositionen gehoren weiter emeOrche-
stersuite, ,,Sinfometta", Kantaten, Solo~ und Chorheder usw. Die kompositonsche Tatigkeit
Wegelius* umfafit Kantaten, Lieder u. a. von kultivierter, feinfuhliger Art, tritt aber vor seiner
iiberaus bedeutungsvollen padagogischen Wirksamkeit zuriick.
Um 1890tratmit den ersten Werken hervor Jean Sibelius (geb. 1 865), derjenige Komponist,
der vor allem die finnische Musik zur Geltung, nicht nur innerhalb der heimatlichen Grenzen ge-
bracht hat. Schon in seinen Jugendarbeiten, die hauptsachlich Kammer-musikwerke sind, zeigte
Sibelius ein ausgesprochen eigenartiges Talent . Nach Studien unter Wegelius sowie spater in Berlin
und Wien begann Sibelius mit ganzer Kraft einer urwiichsigen, reichen Phantasie und im Besitz
eines gediegenen orchestralen Konnens zunachst die alte Sagenwelt des finnischen Volkes
musikalisch zu illustrieren. Der eigene Stil, den Sibelius schuf, ist nahe verwandt dem
finnischen Volkslied, namentlich in dem archaistischen Ton der Melodik; Volksweisen als solche
hat er aber iiberhaupt nicht benutzt. Diese prachtigen, herben Tonmalereien sind einer ge-
nialen intuitiven Vertiefung in die national-mythischen Stoffe als nachststehend zu betrachten
und wurden auch von Anfang an als eine neue nationale Tonkunst begniBt Die erste Schaffens-
periode des Komponisten reicht etwa bis zum neuen Jahrhundert Neben den eigentlichen
Kalevalawerken: ,,Kwllervo4t-Symphonie, die Orchestersuite ,,Lemminkainen" (darin die be-
kannten Tondichtungen ,,Der Schwan von Tuonela** und ,,Lemminkainen zieht heimwarts"),
MDer Ursprung des Feuers** und die etwas spateren ,,Pohjolas Tochter'* und ,,Luonnotar*\
umfafit sie andre verwandtc und oft patriotische Tondichtungen (,,Eine Sage**, ,,Karelia**-
Suite, ,,Finlandiau, ,,Fruhlingslied**), Vokalwerke mit Orchester (,,Snofridu, ,,Gesang der
Athener*\ ,,Des F^hrmanns Braute'*), die Buhnenmusik zu Adolf Pauls ,,Konig Kristian 11."
u. a,, sowie eine hftchst bernerkenswerte Produktion von Solo- und Chorliedern (Texte z, B. von
Runeberg, Froding, Kivi und aus der Volkspoesie), in denen oft das malerische und das musi*
kalische Element zu einer harmonischen Zusammenwirkung von vollendeter Schonheit sich ver-
einigen. Auch die erste Symphonic (1899) gehort zu dieser Periode. Die zweite Symphonic (1 902)
darf als ein Wendepunkt Jm Schaffen des Komponisten angesehen werden. Die elementare
Kraft seinerTonsprache erreicht hier den Gipfel, und die folgende Zeit wird durch eine ruhigere*
mehr nach innen gewandte Kunst gekennzeichnet. Der Schwerpunkt des Schaffens wird gleich-
zeitig von der Programmusik auf das rein instrumental Gebiet, namentlich die Symphonic, ver~
setzt, DJese Entwicklung spiegelt sich deutlich in den (bis jetzt) 7 Symphonien Sibelius'. Wahrend
I ] 26 Moderne : Finnen
in den beiden ersten das klassische Formenschema mit eigenartigem und iridividuell behan-
deltem thematischen Material erfullt wird, zeigen die spateren in hoherem Grade einen Drang
nach Individuality auch in formaler Hinsicht, sie werden knapper und mehr intim gehalten.
Die starke Naturstimmung Sibelius' wendet sich in der vierten und funften Symphonic in das
Mystisch-Kontemplative. Auch die iibrige, reiche Produktion verrat in grofien Ziigen dieselbe
Entwicklung. Besonders seien noch genannt: die Orchesterwerke ,,Nachtlicher Ritt und Son-
nenaufgang" und ,,Die Okeaniden", das Violinkonzert in D-Moll, das Streichquartett „ Voces
intimae", die Biihnenmusiken ,,Pelleas und Melisande", ,,Svanehvit", ,,Belsazars Gastmahl",
,,Kuolema" (,,Der Tod", von Arvid Jarnefelt; enthalt die bekannte ,,Valse triste") und ,Jeder-
mann", die Pantomime ,,Scaramouche", Chorwerke mit Orchester (,,Die gefangene Konigm").
Lieder, Klavierstikke, Kompositionen fiir Geige, Cello usw.
Sibelius ist in hohem Grade eine kiinstlerisch einsam stehende Erscheinung, ohne bestimmten
Zusammenhang mit dieser oder jener Richtung in der zeitgenossischen Tonkunst. Einflusse
sind freilich da — so z. B. von Tschaikowsky — , sind aber bei der wahren schopferischen
Eigenart seiner Kunst von sekundarer Bedeutung. Fiir die finnische Musik muB seine Bedeu-
tung als epochemachend angesehen werden. Die geniale Personlichkeit, die aus seinen Werken
sprach, hat sicher viel dazu mitgewirkt, daB der friihere etwas konventionelle Ton aus der
jiingeren Musik Finnlands im allgemeinen gebannt und durch ein Streben nach individueller
und nationaler Bedeutsamkeit ersetzt wurde.
Von den Zeitgenossen und Nachfolgern von Sibelius sei zuerst Armas Jarnefelt, der der~
zeitige Hofkapellmeister in Stockholm (geb. 1869) genannt, ein hochbedeutender Musiker
und Komponist. Er schuf eine. ziemlich eng begrenzte, aber wertvolle Produktion, deren
heimatlicher und mit Sibelius verwandter Grundton leicht zu erkennen ist (symphonische
Dichtung ,,Korsholm", kleinere Orchestersachen, Buhnenmusik ,,Luvattu maa", Lieder
und Chore von zarter nordischer Stimmung). Erkki Melartin (geb. 1875, Direktor des
Konservatoriums) hat fast alle Gebiete der Komposition beriihrt, ist aber im Grund als
ein ausgepragter Lyriker von elegischer, gefiihlsgesattigter Natur zu fassen. Seine fliefiende
Melodik wandelt gern in den Bahnen des finnischen Volksliedes, wahrend sein Stil im
allgemeinen von kunstvoller Polyphonic bis zu den Tendenzen des Impressionismus und
neuerdings auch des Expressionismus reicht (vorziigliche Biihnenmusiken, 6 Symphonien,
symphonische Orchesterwerke, Streichquartette, Lieder, Klaviersachen, auch eine Oper
,,Aino" mit Stoff aus Kalevala). Ein vielversprechendes Talent war der jung ver-
storbene Ernst Mielck (1877 — 99; ,,Dramatische Ouvertiire" u. a.). Selim Palmgren
(geb. 1878, bedeutender Pianist) komponierte zahlreiche beliebte impressionistische Kla-
vierstiicke, Lieder und Chore — besonders wertvoll und eigenartig sind seine Mannerchore — ,
sowie grofiere Werke, wie eine Oper ,,Daniel Hjort" nach dem Drama J. J. Wecksells, Or-
chestersuiten (,,Aus Finnland"), Biihnenmusiken (,,Tuhkimo") undmehrere effektvolle Klavier-
konzerte (,,Der Flufi", ,,Metamorphosen**, ,,April"). Auch Palmgren benutzte ziemlich oft Volks-
melodien, nahert sich aber im iibrigen in gewissem Grade dem Kosmopolitismus in seiner
koloristisch wirkungsvollen Schreibart. Eine der gefiihlsstarksten Personlichkeiten der fin
nischen Tonkunst war Toivo Kuula (1884 — 1918; zur Zeit des Freiheitskrieges tragischer-
weise ermordet). Kuula verschaffte sich in der Heimat und im Auslande, Italien (bei Bossi)
und Paris ein solides technisches Konnen und nahm daneben Eindriicke aus der modernen
Moderne: Finnen ] ] 27
Iranzosischen Musik, die eigentliche Quelle seines Schaffens war aber die Volksmusik und die
Nfatur seiner Heimat, des siidlichen Osterbottens. Ein gliihendes Gefiihl, eine reiche musi-
kalische Phantasie und oft eine gewisse Volkstiimlichkeit sind seinen WerJcen eigen: zwei
,,0sterbottmsche Suiten" fiir Orchester, prachtige Tonmalereien enthaltend, Orchester- und
Chorwerke, ein Klaviertrio, eine Violinsonate, Kantaten, Lieder und Chore, u. a. groBe poly-
phon bearbeitete Kompositionen a cappella (,,0menapuut", ,,Auringon noustessa"). Ein mehr
nach innen gekehrter und verfeinerter Charakter erscheint in dem ebenbiirtigen Schaffen des
Leevi Madetoja (geb. 1887). Ein feinsinniger Harmoniker und Kolorist, ist Madetoja
emigermafien durch die moderne franzosische Musik beeinfluBt, bewahrt aber stets die klare
Tonalitat nebst einem geist- und stimmungsvollen, oft elegisch verschleierten musikalischen
Inhalt, Neben symphonischen Dichtungen, Chorwerken mit und ohne Orchester, Solostiicken,
Klaviersachen, Liedern usw. schrieb Madetoja drei durch ihren personlichen Gehalt bemer-
kenswerte Symphonien und eine Oper ,,Pohjalaisia". Mit gediegenen Orchester- und Kammer-
musikwerken trat Erik Furuhjelm (geb. 1883) hervor.
Von den jiingeren Opernwerken wurden oben einige genannt. Auf diesem Gebiete trat als
Bahnbrecher auf Oskar Merikanto (1868 — 1924; Organist und Operndirigent), der die erste
Oper in finnischer Sprache ,,,Pohjan neiti" (1899) schuf; seine spateren Opern stellen eine
bedeutende technische Entwicklung in der Richtung des itahenischen Verismus dar: ,,EHnan
surma" (,,Der Tod Elinas", nach von Numers) und ,,Regina von Emmeritz" (nach Topelius).
Merikanto ist in weitesten Kreisen bekannt durch seine grofie beliebte popular-melodische
Liederproduktion. Der Opernkomponist Armas Launis (geb. 1884; betrat zuerst die musik-
wissenschaftliche Bahn mit Studien liber lappische und Runenmelodien) zeigt individuelle
Tendenzen in seinen Opern ,,Seitseman veljesta" (deutsch: ,,Die Sieben vom Jochenhof ') und
,,Kullervo" — die Texte nach Kivi und Kalevala — durch reichliche kiinstlerische Anwendung
von Mitteln der primitiven Volksmusik und durch die konsequente Ausbildung eines finnisch-
rezitativischen Stils. Das Gebiet des Oratoriums hat zuerst Ilmari Krohn (geb. 1867; Ver-
treter der modernen Musikwissenschaft an der Universitat zu Helsingfors) mit seinem Werke
,,Ikiaartehet" (,,Die ewigen Schatze", 1912) betreten. Krohn, der in seinen Schopfungen spe-
ziell auf den architektonischen Bau zielt, ist auch sonst ein fruchtbarer Komponist: er schrieb
Kantaten, Lieder, Chore, speziell auch geisthche, sowie neuerdings eine Oper ,,TuhotuIva",
(,,Die Siindflut", 1919).
Von den Komponisten, die hauptsachlich nur die kleineren Formen des Solo- und Chor-
lieds pflegten, sind besonders zu nennen: Emil Genetz (geb. 1852; vorziigliche patriotische
Mannerchore), P. J. Hannikainen (1854-1924), Karl Flodin (1858-1925), Otto Koti-
lainen (geb. 1868), Axel von Kothen (1871-1927), MikaelNyberg (geb. 1871) und Axel
Tornudd (1874 — 1923). Eine Sonderstellung hat der vielverdiente Chordirigent und Schrift-
steller Heikki Klemetti (geb. 1876; Schopfer und Leiter des ausgezeichneten Chors ,,Suomen
Laulu**); er trat mit stilvoll ausgearbeiteten Choren und vorziiglichen Arrangements von
historischer und Volksmusik auf. Eine Reform des Kirchengesanges auf nationalgeschicht-
lichem Grund wurde von Krohn, Klemetti und Nyberg ausgefiihrt.
Mit der staatlichen Selbstandigkeit trat eine neue Periode im Leben des finnischen Volkes
ein. Die oben charakterisierte musikalische Produktion gehort im wesentlichen zu den Jahr-
zehnten vor diesem Wendepunkt, Der Boden, auf dem sie gewachsen, wurde von einem EinfluB
] 1 28 Moderne : Esten
der deutschen klassisch-romantischen Kunst befruchtet. Spater, bei dem Suchen nach ihrer
Eigenart, nahm sie mehr Eindrucke von den modernen Richtungen der romanischen und sla-
wischen Musik. Unter diesen Beziehungen zu der auslandischen Musik entstand auf eigenem
Boden eine kultivierte, im einzelnen verschiedenartige, in dem ernsten nationalen Grundton
aber viele gemeinsame Ziige aufweisende musikalische Kunst. Die Komponistengeneration,
die hauptsachlich in den letzten Jahren hervorgetreten ist, schliefit sich zum Teil an diese
Tradition. So namentlich Lauri I kon en , der bis jetzt 2 Symphonien in ernstem ungekiinstelten
Orchesterstil, Lieder, Chore, Kammerrmisik u. a. schrieb, wahrend in den Kompositionen von
Heino Kaski (Orchester- und Klavierkompositionen, Lieder), Ernst Linko (Pianist; u. a.
2 Klavierkonzerte) und Armas Maasalo (Chore, auch neuerdings grofiere Kompositionen)
eine mehr popular und volkstumlich gehaltene Schreibweise erscheint. Aufierdem hat auch
dieexpressionistischeRichtungVertretergefunden. Besonders sind zu bemerken die groCge-
dachten Orchesterwerke von Vain 6 Raitio (,,Nocturne", ,,Fantasia estatica",,, Antigone";
auBerdem Symphonie, Quintett, Streichquartett u.a.). Auf modernem Boden steht auch der
Liederkomponist Yr jo Kilpinen, der eine reiche Produktion von ausdrucksvoller, stark indivi-
dueller Lyrik schuf. Von den iibrigen jiingeren Tonsetzern seien weiter Aarre Merikanto
(Symphonie, symphonische Dichtungen u.a.), der hervorragende Pianist Ilmari Hanni-
kainen (Klavierkonzert), Bengt Carlson (Kammermusik) , Arvo Laitinen, Eino
Linnala, Uuno Klami und Sulho Ranta genannt.
Literatur
Eine zusammenfassende Geschichte der Tonkunst Finnlands fehlt vorlaufig. Von Studien und Artikeln seien
genannt :
Andersson, Otto: Inhemska musikstrafvanden. Helsingfors 1907. — Andersson, Otto: J«J. Pippingskold
och musiklivet i Abo 1808 — 1827. Helsingfors 1921. — Flodin, Karl: Finska musiker och andra uppsatser i
musik. Helsingfors 1 900. — Derselbe: Martin Wegelius. Helsingfors 1 922. — Haapanen, T.: Die
Neumenfragmente in der Univ. Bibl. Helsingfors, 1924. — Krohn, L: Geistliche Volksmelodien in Finnland.
1899. — Launis, A.: Estnisch-finnische Runenmelodien. Monographien iiber Sibelius von E. Furuhjelm
(1916; schwedisch und finnisch), W. Niemann (Leipzig 1917) und die englische von R. Newmarch (1905;
deutsch 1906).
Toivo Haapanen
ESTEN
Die Musik Estlands ist relativ jungen Datums. Noch bis 1819 befand sich das Bauernvolk
der Esten (ugro-finnischer Volksstamm) in Leibeigenschaft der herrschenden deutsclvbalti'-
schen Minoritat, die einst als Ordensritter im 13. Jahrhundert das Land eroberte. Beweise
fur eine reich ausgepragte Musikalitat der Esten lassen sich aus den altesten Zeiten erbringen :
die Verehrung des Gesanggottes ,,Wanemuine" (,,Altester der anderen", — finnisch
,,Wainamoinen"), die Sagen und Lieder, in denen die tiefe Musikalitat des Volkes Ausdruck
fand, schliefilich der grofie erhaltene Volksmelodienschatz. Bisher sind ca. 15000 Melodien
Moderne: Esten ] |29
gesammelt worden eine fur das Einmillionenvolk verhaltnismafiig hohe Zahl. Die Schaffung
eines Melodienkataloges ist zur Zeit in Angriff genommen worden.
Unter den Volksmelodien finden sich zwei scharf getrennte Gruppen. Die alteren sog.
,,Runenmelodien4t sind kurze melodische Floskeln, zu denen litaneiartig (meist durch Vor-
sanger und Chor) langere Texte vorgetragen resp. improvisiert wurden. Es sind kurze 4-
resp. 8-Takter, am haufigsten in der Motivgliederung aa* oder a b a'b', mit dem fur sie charak-
teristischen Quartenambitus und starken Spuren der alten Kirchentone. Die zweite Gruppe,
die der eigentlichen ,,Lieder", ist bedeutend jiingeren Datums (19. Jahrhundert) : hier zeigen
sich bereits erdriickende Einwirkungen deutscher (auch russischer) volkstumlicher Melodik
sowie Einfliisse der Kunstmusik.
Nicht minder rege entwickelt war auch die Instrumentalmusik im Volke. Das alteste und
popularste, -in den Sagen und Liedern meistgenannte Nationalinstrument war die noch bis ins
19. Jahrhundert allgemein im Gebrauch gewesene ,,Kannel" (finn. Kantele), ein Halb-
psalterium in Vogelfliigelform, als Brettzither aus einem einzigen Holzblock geschnitzt, mit
bootartig ausgehohltem Resonanzkorper, dem eine Schalldecke angeheftet wurde. Ein Teil
der Instrumente (besonders der aus den russischen Grenzgebieten siidlich des Peipussees)
weist eine freigeformte, den Schallkorper tiberragende Verlangerung der Resonanzdecke auf .
Die Zahl der Drahtsaiten war durchschnittlich sechs bis sieben, in manchen Gegenden bis neun.
Als ,,rootsi kannel" (Schweden-Kannel) war in den Kiistengebieten und auf den Inseln die
sog. nordische Harfe (tallharpa) im Gebrauch, eine viersaitige, mit dem Bogen gespielte Streich-
leier. Eines der beliebtesten Instrumente, hauptsachlich zur Besorgung der Tanzmusik,
war der Dudelsack unter dem Namen ,,toropir (,,torupiir). Verbreitung fand auch die rund-
biigelige Maultrommel (,,parmupiir*) und unter der Benennung ,,mollpiir* ein mit dem
Bogen gestrichenes Monochord. Schliefilich seien noch die zahlreichen Arten von Hirten-
schalmeien (nvile*4), Horner aus Holz, Horn, Metall (,,sarv") und die aus Holzleisten gefertigten
und durch Basturnwicklung zusammengehaltenen, oft bis 2 m langen ,,Hirtenposaunen"
(,,karjapasun") genannt.
Beeintrachtigt wurde die Entwicklung der Volksmusik einerseits durch das schwere Sklaven-
leben, anderseits durch die zu Beginn des 19. Jahrhundcrts sich im Volke immer mehr aus-
breitende Herrnhuter Briidergemeinde, die einen direkten Kreuzzug gegen das Volkslied
unternahm, wodurch viel wertvolles Gut verloren ging. Die durch dlese Sekte in ihrem Be-
stande gefahrdete lutherische baltische Kirche suchte das Volk wieder an sich zu ziehen durch
eine Pflege geistlichen Chorgesanges, die im Volke regen Anklang fand. Es gelang den deut-
schen Pastoren auf dem flachen Lande eine Chorgesangbewegung ins Leben zu rufen : aller-
orts entstanden Bauernchore - und hierrm't setzt die eigentliche estnische Kunstmusikpflege
ein. Besondere Bedeutung erlangte ein Chor im Flecken Oberpahlen, um 1840 vom dortigen
Schulmeister Martin Willberg (Schiiler eines Nagelijiingers) gegriindet. Der hochbegabte
ortliche Pastor Emil Horschelmann (1810 1854) verfaCte fur diesen Chor die ersten
estnischsprachigen geistlichen Originalkompositionen schlichte, aber tief gehaltvolle Chor-
geseinge, die in ihrer Art zwischen Choral und evangelischer Motette stehen.
In Joh. Wold. Jannsen ersteht dem Volke ein nationaler Fiihrer, der die Gesangbewegung
aus den Grenzen einer volkserzieherisch-religiosen in die Bahnen einer volkisch -abolition isti**
schen lenkt. Er organisiert 1869 anlafilich des SOjahrigen Befreiungstages von der Leibeigen-
1130 Moderne: Esten
schaft in Tartu-Dorpat ein erstes allgemeines estnisches Gesangfest, dem bald weitere Sanger-
feste folgten. Diese Gesangbewegung wurde zum Hauptfaktor im raschen kulturell-sozialen
Aufstiege der Esten.
Gleichzeitig traten die ersten estnischen Vokalkomponisten, anfangs noch Dilettanten, auf
den Plan, um eigene a-cappella-Lieder zu schaffen (die Schullehrer Briider A. Sabelmann-
Kunileid, Fr. Sabelmann, A. Thomson u. a.). Infolge Chorliteraturmangel setzte aber ein
immer starkerer Import deutscher Liedertafellieder ein, besonders unter dem Nachfolger
Jannsens, Karl August Hermann (1851—1908), unter dessen Leitung die estnische Gesang
bewegung aufierlich allerdings Jhren glanzendsten Kulminationspunkt erreichte, der aber das
ganzeLand mit billigen, musikalisch wertlosen Chorliedchen (auch Hunderten eigener Pro-
duktion) iiberschwemmte. Die nachstfolgenden Komponistengenerationen, Absolventen des
Petersburger Konservatoriums, hatten Mtihe, den eingerissenen seichten Liedertafelstil quali-
tativ zu heben, anfangs durch Anlehnung an die deutsche romantische Liedschule (Mendels
sohn). Hier sind zu nennen Johannes Kappel (1855 — 1907), Konstantin Tiirnpu (1865
bis 1927), Miina Hermann (geb. 1864) — letztere auch als Chorleiter von Bedeutung. Erst
Alexander Sprenk-Late (geb. 1860) gelang es, in seinem Liedschaffen nationale Tone an-
zuschlagen, ihm folgte Artur Kapp (geb. 1878). Volksttimliche melodische Wendungen,
Tonmalereien, Humor sind die neuen Elemente ihres kraftvoll urwiichsigen Schaffens, Be-
lebung der Mittelstimmen und hier und da auch polyphone Schreibweise ihre technischen
Hilfsmittel. Den Hohepunkt eines nationalen Liedschaffens erreichte der geniale Mart Saar
(geb. 1882), unerschopflich geistreich im Verarbeiten und Imitieren volkstiimlicher Motive.
Zu Anfang dieses Jahrhunderts beginnt auch ein Instrumentalmusikschaffen sich zu regen.
An erster Stelle steht der Altmeister Rudolf Tobias (1873—1918). Nationale Motive werden
mit starker personlicher Eigenart durchtrankt, die Darstellungsweise ist oft herbe, wuchtig
und dramatisch gespannt, bei voller technischer Beherrschung der Ausdrucksmittel. Von
seinen Werken seien nur genannt die Oratorien ,,Jenseits des Jordan" und , Jonas", die Kan-
tate ,,Ecclesia", Ballade ,,Sest ilmaneitsist", Ouvertiire , Julius Casar", ,,Capriccio", Klavier-
konzert, dazu Kammermusiken, Lieder, Klavier- und Orgelwerke sowie ein ,,KalewaIa"-
Opernfragment. Dberschatzt wurde der leider jungverstorbene Orgelkomponist Peter Slid a,
der nur weniges hinterliefi. Neben A. Late (,,Kalewala"-Ouverture, Streichquartett u. a. m.)
und A. Kapp (,,Suite iiber estnische Volksweisen", Ouvertiire ,,Don Carlos", Kantate ,,Zur
Sonne", Oratorium ,,Hiob", Kammermusiken und Orgelwerke) ist Mihkel Liidig (geb. 1880,
erster Direktor des Konservatoriums zu Tallinn; Orchesterwerke : Suite ,,Lembit", ,,0uver-
tiire-Phantasie", ,Johannisnacht") zu nennen. Die beiden letzteren weisen in ihrer Instru-
mentalmusik russischen EinfluB auf (Tschaikowsky), ebenso in ihren Liedern mit
Klavierbegleitung, die sich dem russischen Romanzenstil nahern. Epigonenhaft muten die
Kompositionen des ausgezeichneten Klaviervirtuosen Artur Lemba (geb. 1885) an: bald
klassizistisch gerichtet, wie etwa in den Fugen und seinem Meisterwerk, der monumentalen
Toccata, — bald romantisch angehaucht, wie im Klavierkonzert und den Symphonien
Nr. 1 und 2 (,,Auf dem Lebenswege"); letzteres Werk spielt in den beiden SchlufisStzen
schlieClich ins Gebiet der billigen Volksliederpotpourris hintiber, von dem leider nur zu
viele estnische Komponisten ein gewisses rationales" Geprage fur ihr Schaffen erhofften, —
eine bedauerliche Verirrung auf der Suche nach dem nationalen Stil. Ein starkes Talent
Moderne : Russen | ] 3 1
trat jiingst mit Heino Eller (geb. 1887) in Erscheinung: unter Verzicht auf jegliche melo^
dische Anlehnung an Volksgut und Vokalschaffen, sind hier Orchesterwerke entstanden,
die trefflich den Stimmungsgehalt des nordischen Landschaftscharakters mit impressionisti-
schen Mitteln wiedergeben (die symph. Bilder ,,Abenddammerung " und ,,Morgenrote",
,,Nachtliche Klange", ,, Scherzo", ,, Symph. Legende"). Ellers Partituren sind mosaikartige
Filigranarbeit, bei Neigung zu zarter Pastellmalerei (Klavierpreluden!). Mit den ,,Phantomen"
und einem Streichquartett trat in seinem Schaffen eine Wendung zum Expressionismus ein.
In letzterer Richtung arbeitet auch Adolf Vedro in seinen Orchesterwerken mit stark pro
grammusikalischem Emschlage (,,Sinfometta", ,,Wiegensang", ,, Scherzo" und verschiedene
Biihnenmusiken). Mit eigenen Orchesterwerken (,,Schlacht bei Kriuscha", ,,Phantasie iiber
Volksweisen", Salonstiicke fiir Orchester) ist auch der hervorragende estnische Dirigent
Raimund Kull an die Offentlichkeit getreten. Als vielversprechende jiingste Musiker waren
noch zu nennen Arkadius Krull und Ewald Aaw mit seiner Oper ,,Die Wikinger" (Estonia-
Oper, Tallinn, 1928). Die ganze estnische Instrumentalmusik ist noch ungedruckt. Neuer-
dings wurden vom staatlichen Kulturfond Kompositionen zwecks Drucklegung erworben.
Dem aufsteigenden Instrumentalschaffen gegeniiber befindet sich das a-cappella-Schaffen,
das seinen Hohepunkt iiberschritten hat, im Verfall. Hier wird seit der staatlichen Selbstandig-
keit in Anlehnung an eine grofie Vergangenheit nur Epigonenarbeit geleistet. Von neueren
Vokalkomponisten waren nur zu nennen der Lyriker Juhan Aawik (geb. 1884) und Juhan
Simm (geb. 1885; auch Orchestersachen, Biihnenmusik zu ,,Kalewipoeg und der Gehornte"),
die u. a. als populare Sangerfestdirigenten bekannt sind.
Fiir die Fortfuhrung der Gesangpflege im Lande als einer historischen Tradition sorgt
der ,,Eesti Lauljate Liit" (Estnischer Sanger-Bund), der in funfjahrigen Intervallen (1923,
1928 usw.) allgemeine Gesangfeste veranstaltet und der alle Chore des Landes umfaflt, ebenso
wie die zahlreichen Blaservereinigungen, deren Aufbliihen hauptsachlich der Privatinitiative
eines alten Dorfschulmeisters, D. 0. Wirkhaus, und seiner Familie zu vefdanken war.
Literatur
Volksmusik, Hermann, K. A.: Ober die estnischen Volksweisen.1 Verh. d. Gel. Estn. Ges. zu Dorpat,
1891. — LaunJs, Armas: uher Art, Entstchung und Verbreitung der cstnJsch-finnischen Runcnniclodicn. Helslng-
fors 1913. — Graf, Walter: Das estnische Volkslied. Wiener Diss.
HistorischcK. Tammann, A,; Die estnischen allgemelnen Gesangfeste irn XIX. Jahrhunclert. (Estnisch, ohne
Jahreszahl). — Neumann, Lennart: Einigc Kapitel aus der estnischen Musik^eschichtc. ,, Looming", 1924.
(Estnisch.) — Kasemets, Anton: Aus der Vergangenheit der estnischen Chorhcwegung, und: Strcif/iigc auf
dem Gebict der estnischcrj Musjkgeschichte. ,,Muu8»kaleht<4, 1925L (Estnisch,) — Arro, El mar: Cher das
Musikleben in Estland im XIX. Jahrhundert. Diss, Wien 1928.
Elmar Arro
RUSSEN
Rutland hat seinen Part im Konzerte der grofien europaischcn Kulturmachtc; als Ictztc erst
um die Wende des 18. Jahrhunderts ubcrnornmen, Viel weiter zuruck fiihrt natiirlich die
Geschichte des russischen Volksliedes und der russischen Kirchcnmusik, die jcdoch anfan^s
von gar keiner Bedeutung fiir die weltliche Kunstmusik in Rutland wart;n. Mrst zu Boujinn
'2 H, d. M.
1 1 32 Moderne : Russen
des 19. Jahrhunderts wurde die Ergiebigkeit dieser zwei unerschopflichen Musikquellen er-
kannt. Spater waren es dann gerade die Elemente des russischen Volksliedes und des litur-
gischen Kirchengesanges, die der russischen Kunstmusik ihr eigenartiges, von jeder andern
Musik so vollig verschiedenes Geprage verliehen. Das Verdienst, diese Elemente — von denen
die auf den alten Kirchentonarten aufgebaute Harmonik und die leittonlose Melodik sowie
der freie unsymmetrische Rhythmus die wichtigsten sind — sinngemafi in die Kunstmusik
eingefuhrt zu haben, gebiihrt dem ,,Vater der russischen Musik", Michael Glinka. Seinen
Nachfolgern war es vorbehalten, die weitgehendsten Konsequenzen aus den dadurch ge-
wonnenen stilistischen Grundprinzipien zu ziehen.
Die Geschichte des russischen Volksliedes reicht in die Zeiten grauen, sagenumsponnenen
Altertums hinein. Sie ist alter als die des russischen Reiches, zu dem sich im 9. Jahrhunderte
die verschiedenen slawischen Stamme vereinigten. Schon im 6. Jahrhundert erzahlen byzan-
tinischeSchriftsteller von gefangenen Slawen, die zwar keine Waffen zu handhaben verstanden,.
wohl aber die ,,Gusli" meisterten, jenes alteste russische Volksinstrument, das sich iiber ein
Jahrtausend lang im Gebrauche des musizierenden russischen Volkes erhalten hat. Die musi-
kalische Ethnographic, deren Forschungen in Rufiland auf Grund uoerreich vorhandenen
musikalischen Materials zu den interessantesten und uberraschendsten Ergebnissen gefuhrt
haben, ist es sogar gelungen, Zusammenhange der russischen Volksmusik mit dem griechischen
Altertum aufzuzeigen.
Die Geschichte der russischen Kirchenmusik lafit sich bis ins 9. Jahrhundert hinein ver-
folgen, d. h. bis zu der Zeit, als der apostolische Fiirst Wladimir der GroBe von Byzanz her
das Christentum und mit ihm den ,,engelgleichen" Gesang der byzantinischen Kirche iiber-
nahm. Den dokumentarischen Beweis fiir den genetischen Zusammenhang der russischen und
byzantinischen Kirchenmusik enthalten die altesten Notenhandschriften beider Lander. Aus.
ihnen geht zur Evidenz die (Jbereinstimmung der altbyzantinischen Neumen mit den alt-
russischen — den sogenannten ,,Krjuki" — hervor. Das vergleichende Neumenstudium hat
auf diesem Gebiete noch manche interessante Aufgabe zu losen.
Die ersten Anfange der Kunstmusik in RuBland liefien von ihrer spateren erstaunlichen
Entwicklung nichts ahnen. Unter den Moskauer Zaren hatte die weltliche Musik in Rufiland
jahrhundertelang Perioden schwerster Verfolgungen zu iiberstehen. Musik aufierhalb des
kirchlichen liturgischen Gebrauches gait geraume Zeit als ,,eitel Fleischeslust und Teufels-
spuk*' und wurde von den um das Seelenheil ihrer Untertanen mehr als notig besorgten Mos
kauer Zaren und Patriarchen m Acht und Bann getan. Noch im Jahre 1636 wurde, auf Grund
eines Dekrets des Moskauer Patriarchen Joasaph, ein Autodafe von Musikinstrumenten am
Ufer der Moskwa abgehalten, wobei mehr als 50 Fuhren Instrumente zu Lob und Preis Gottes
eingeaschert wurden.
Mit dem Regierungsantritt Peters des GroBen begann in Rufiland eine Zeit blinder Nach-
ahmung alles ,,Westeuropaischen", auf dem Gebiete der musikalischen Kunstiibung, ebenso
wie auf dem Gebiete der Staatsverwaltung, des Gesellschaftslebens, der Literatur und der bil-
denden Kiinste. Bcsonders die prunkvolle und verschwenderische Hofhaltung der weiblichen
Beherrscherinnen Rufilands, der Zarinnen Anna, Elisabeth und Katharina II,, war der Bliite
aller Kiinste, also auch der Musik, giinstig. Der Bedarf an Musik und Musikern wurde vor-
laufig allerdings fast ausschliefilich aus Italian gcdeckt. Francesco Araja, Baltasaro Galuppi,
Moderne: Russen
Tomaso Traetta, Giovanni Paesiello, Giuseppe Sarti, Vincenzo Martin ,,il spagnolo", Do-
menico Cimarosa nahmen nacheinander die sehr erstrebte, weil glanzend dotierte Stellung eines
russischen Hof kapellmeisters ein. Die Zahl der Opern, die diese Maestri fiir die Peters burger
Biihne schrieben, ist Legion, doch befindet sich keine darunter, die ftir die musikgeschichtliche
Entwicklung RuBlands irgendwelche Bedeutung gewonnen hatte. Der erste von den am rus
sischen Hofe tatigen italienischen Komponisten, der seine Aufmerksamkeit der russischen
Volksmusik zuwandte und insofern als Vorlaufer Glinkas bezeichnet werden kann, war Cat-
terino Cavos (1776 — 1840), der im Verlaufe eines Vierteljahrhunderts die Rolle eines musi*
kalischen Diktators in Petersburg spielte, nachdem er sich aus bescheidensten Anfangen zu
hochsten musikalischen und hofischen Ehren emporgeschwungen hatte. In seinen zahllosen
Opern benutzte er hin und wieder russische Volksmelodien, freilich ohne zu ahnen, welch
eine gewaltige musikalische Kraft in diesen Tonen schlummerte. Seine letzte Oper ,,Iwan
Sussanin" ist dadurch bemerkenswert, dafi in ihr derselbe Stoff verarbeitet ist wie in Glinkas
,, Leben fiir den Zaren".
Obgleich auch um die Wende des 18. Jahrhunderts noch das offizielle Musikleben RuBlands
ausschliefilich von Italienern bcherrscht xvurde, so begannen um diese Zeit doch die ersten
einheimischen musikalischen Krafte sich schiichtern zu regen. Auf den Opernblihnen er-
schienen Werke russischer Schiiler der italienischen Maestri. Ihre Namen sind uns grofiten-
teils nicht erhaltcn, dcnn in der Mehrzahl der Falle handelte es sich um Leibeigene beguterter
Aristokraten, deren Namen ihren Zcitgenosscn nicht wichtig gcnug erschienen, um der Nach-
wclt uberliefert zu werden. Eine Ausnahrne bildet ein gewisser Fomin, der mit seinen Sing-
spielopern ,,Anjuta'4 und ,,Der Miiller" (1779) sensationellen Erfolg errang. Charakteristisch
ist, da(i diese ersten musikalischen Biihnenwerke russischer Verfasser aus Moskau, dem Herzen
Ruftlands, starnmten und nicht immer bis nach Petersburg drangen. In Petersburg machten
die auf dem Gcbictc der Liederkomposition dilettierenden Hofkavaliere von sich reden:
A lab jew, dessen ,,Nachtigair mehr als ein halbes Jahrhundert lang das popularste Lied in
Rutland gewcsen ist, War la mow, dessen Lied ,,Der rote Sarafan" bald zum Volksliede
wurde, Gurilcw, Titow, Graf Wielhorski u. a. Zwei Petersburger Komponisten, Bere-
sowski (1745 — 1777) und Bortnjanski (1751 — 1825), die auf dem Gebiete der Kirchenmusik
Bedeutendes l<;isteten» kommen fiir die Entwicklung der profancn Musik in Rufiland so gut
wie gar nicht in Betracht. Der einzige russische Komponist weltlicher Musik, der in Rufiland
vor Glinka Werke geschaffen hat, die der Zeit einigermaBen erfolgreich getrotzt haben, ist
Alexei Werstowski (1799 — 1862). In seiner Oper ,,Askolds Grab", die noch am Anfange
des 20. Jahrhunderts zum Repertoire vieler Opern buhnen in Rutland gehorte, spurt man schon
ein wtjnig vom Hauche echter Volkstumlichkeit und von jenem wahrcn Verstandnis fiir den
Geist der russischen Volksmusik, aus dem spater die Meisterwerke Glinkas, Mussorgskis und
Rimski-Korssakows geboren werden sollten.
Michael Glinka (1804 — 1857) wird in Rufiland mit Recht als eine Art musikalischer Na-
tionalheiliger verehrt. Seine beiden Opern, ,,Das Leben fiir den Zaren** und ,, Russian und
Ludmilla'* (nach dem gleichnamigen Marchenpoem von Puschkin), sind tatsachlich die Ur-
quellen, aus denen alle Strdmungen der russischen Musik hervorgegangen sind, Das Erschei-
nen der Erstlingsoper Glinkas* ,,Das Leben fiir den Zaren'*, erregte einen wahren Aufruhr in
den Musikkreisen und in der gesamten kunstverstandigen Gesellschaft Petersburgs. Die ita-
72*
I ] 34 Modeme : Russen
lienische Musik mit ihrer zuckersiifien Melodik und wenig aufregenden Harmonik und die
bodenstandige russische Kunst Glinkas, nicht ohne Schlacken noch, doch kraftig, eigenartig
und hochst bedeutungsvoll als Gesamterscheinung und in vielen Einzelheiten, standen sich
als Rivalen gegeniiber. Die Anhanger beider Richtungen bekampften sicb nicht weniger leiden-
schaftlich, als seinerzeit etwa die Gluckisten und Piccinnisten in Paris. Der endgtiltige Sieg
blieb, obgleich das Kriegsgluck anfangs schwankte, den Werken Glinkas. Ihre Bedeutung liegt
nicht darin, dafi Glinka gelegentlich volkstiimliche russische Meiodien verwandte oder ahnlich
klingende erfand. Das hatten andere vor ihm auch schon getan. Die befreiende Tat Glinkas
bestand vielmehr darin, dafi er den nationalen Geist, den Gesamtcharakter der russischen
Volksmusik erfafite und in seinen Werken wiederzugeben bestrebt war — kurz, dafi es ihm
gelang, einen eigenartigen, fur alle seine musikalischen Nachfolger in Rufiland vorbildlichen
musikalischen Stil zu begriinden. An der Vervollkommnung dieses hochst charakteristischen
nationalrussischen Musikstils hat Glinka sein Leben lang gearbeitet, ohne doch selbst von den
erreichten Resultaten wirklich befriedigt zu sein. Seine Musik geriet ihm fur den eigenen Ge-
schmack bald ,,zu italienisch", bald ,,zu deutsch", entsprechend den beiden Etappen seines
musikalischen Bildungsganges in Italien bei Francesco Basili und in Berlin bei Siegfried Derm,
dem verdienten Musikgelehrteri und Bibliothekar der Koniglichen Musikbibliothek. Noch als
Dreiundfiinfzigjahriger begab sich Glinka zum zweiten Male nach Berlin, urn in gemeinsamem
Studium mit dem von ihm iiber alles verehrten Dehn den Schliissel zur naturlichen Harmoni-
sierung der russischen Kirchenkantilenen und Volkslieder zu suchen und um, wie er sich aus-
driickte, ,,den abendlandischen Fugenstil mit den Grundbedingungen der russischen Musik
durch die Bande einer legitimen Ehe zu verkniipfen". Der Tod vereitelte dieses Streben, von
dem sich die russische Musik die bedeutungsvollsten Resultate versprechen durfte. Mit seiner
ersten Oper hatte Glinka der Kunst die russische Wirklichkeit erschlossen, die nachher Mus-
sorgski zu so unerhort genialen Leistungen inspirieren sollte. Mit der zweiten, ,, Russian und
Ludmilla", die dem ,,Leben fiir den Zaren" in musikalischer und stilistischer Hinsicht weit
iiberlegen ist, begab er sich aufs vielverheifiende Gebiet der russisch-orientalischen Marchen-
phantastik, das nachher Rimski-Korssakow die Anregung zu seinen reizvollsten Kunstwerken
bieten sollte.
Der unmittelbare Nachfolger Glinkas als tonangebende musikalische Personlichkeit in Rufi-
land wurde Alexander Dargomyshski (1813 — 1869). Obgleich nur wenige Jahre jiinger
als Glinka, ist Dargomyshski nie als sein Rivale aufgetreten, sondern immer als getreuer Huter,
Vorkampfer und Verkunder der von Glinka ausgehenden klinstlerischen Ideen. Seine erste
Oper, die, wie es lange schien, auch seine einzige bleiben sollte, ,,Russalka" (,,Die Nixe")»
ordnet sich vollkommen den von Glinka aufgebrachten Stilprinzipien unter. Die ,,Russalka"
gehorte seit ihrem Erscheinen neben der erstgeborenen Oper Glinkas zu den beliebtesten Re-
pertoirestucken samtlicher russischer Opernbiihnen. Doch liegt die Bedeutung Dargomyshskis
fiir die musikgeschichtliche Entwicklung seines Landes nicht in diesem Werke. Dargomyshski
beschrankte sich nicht nur darauf, fremde Art mit Geschick nachzuahmen, er trug auch seine
eigenen Ideen in die von ihm gepflegte Kunstgattung hinein. Schon in seinen spateren Liedern,
deren er ebenso wie der Schopfer des ,,Russlan" viele iiberaus sangliche und melodienreiche
geschrieben hat, aufierte sich ein iiber Glinka hinausgehendes Bestreben nach musikalischer
Charakteristik und wahrheitsgetreuer Deklamation. An der Schwelle des Grabes stehend
Moderne: Russen 1135
schrieb er dann das Werk, das gleich Glinkas beiden Opern eine Fundgrube von Anregungen
fur das spatere musikalische Schaffen in Rufiland werden sollte: den ,,Steinernen Gast" — eine
wortgetreue Vertonung von Puschkins gleichnamigem dramatischen Gedicht. Dieses Werk
ist ein bewufiter Reformversuch auf dem Gebiete der musikalischen Biihnenkunst. Gleich
Wagner — von dem er jedoch unbeeinflufit war und den er kaum kannte — wollte Dargo
myshski beim musikalischen Biinnenkunstwerk das ,,Dramat4 ins Zentrum des Interesses- ge-
riickt sehen. Dadurch, dafi er das fertig vorliegende Drama Puschkins durchkomponierte,
wurde er dazu gefiihrt, auf formale musikalische Gliederungen im Sinne der alten ,,0per" zu
verzichten. Der ,,Steinerne Cast" bewegt sich in freiem rezitativischem Flufi, und das Haupt-
gewicht des musikalischen Ausdrucks liegt eben in diesem ,,melodischen" Rezitativ, nicht, wie
tei Wagner, im Orchester, das bei Dargomyshski die musikalische Charakteristik nur unter-
streicht, chne sich jemals zu selbstandiger Bedeutung zu erheben. Dargomyshski starb, bevor
er sein letztcs Werk vollendet hatte. Seinem Wunsche entsprechend hat Cesar Cui die Schlufi-
takte der ersten Szene nachkomponiert und Rimski-Korssakow die ganze Oper instrumentiert.
Das musikalische Vermachtnis Glinkas und Dargomyshskis wurde von einer Gruppe junger
Musiker ubernommen, die sich in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Petersburg
gebildet hatte und die von kiihnen, fortschrittlichen, ja revolutionaren musikalischen Ideen
beseelt war. Von ihren Widersachern wurde die Gruppe dieser ,,Funf" anfangs als ,,machtiges
Hauflein" verspottet und verlacht. Der alternde Dargomyshski, den sie als ihr geistiges und
musikalisches Oberhaupt bctrachteten, erkannte jedoch mit sicherem Blicke, dafi von diesen
musikbegeisterten Junglingen viel Bedeutsames fiir die kiinstlerische Zukunft Rufilands zu er-
warten sei. Der Verlauf der Dinge hat ihm recht gegeben. Von den ,,Fiinf * war damals
cigentlich nur ein einzigcr ,,gclernter" Musiker: Mili Balakirew. Die iibrigen waren: der
Fahnrich der Garde Modeste Mussorgski, der Artillerieleutnant Cesar Cui, der Midship
man der Flotte Nikolai Rimski-Korssakow und der Student der Militarmedizinischen
Akademie Alexander Borodin.
Der weitaus bedeutendste Geist von ihnen war unzweifelhaft Mussorgski (1835 — 1881).
In Rutland ist das erst etwa ein Vierteljahrhundert nach seinem Tode, im iibrigen Europa
noch viel spatcr erkannt worden. Mussorgski war in jungen Jahren — was er spater in ge-
wisser Hinsicht selbst bedauert hat — der typische musikalische Revolutionar. Er hielt nichts
von iiberliefcrtcr musikalischer Weisheit und war aus Grundsatz Autodidakt Zu seiner kunst-
lerischen Lebensaufgabe machte er — nachdem er den Militardienst quittiert hatte — an-
schliefiend an die Ideen Dargomyshskis die Reform der Oper und der Liedkunst. Auf beiden
Gebieten hat er Ureigenstes, in seiner Art unerhort Geniales geleistet. ,,Zu neuen Ufern
lautete die Losung, die er auf sein kunstlerisches Banner geschrieben hatte. Seine beiden
Opern, die er selbst ,,musikalische Volksdramen* nannte, gehoren zweifellos zu den bedeut-
samsten Erscheinungen der musikdramatischen Weltliteratur. Dem ,3oris Godunow" dienten
die gleichnamigen dramatischen Szenen Puschkins als textliche Unterlage, zu der ,,Chowansch-
tschina * (,,Die Fiirsten Chowanski") verfafite er, unter Assistenz des russischen Kunsthisto-
rikers und Musikschriftstellers Wladimir Stassow, selbst den Text. In beiden Werken entrollt
Mussorgski, geleitet vom Streben nach kiinstlerischer Wahrheit, eine Reihe musikalischer
Kulturbilder von fast unheimlicher Naturtreue und Ausdruckskraft. Dasselbe gilt im kleinen
seinen zahlreichen, von niemandem erreichten, geschweige denn iibertroffenen Liedern,
von
1136
Moderne: Russen
unter denen besonders die drei Zyklen ,,0hne Sonne", ,,Lieder und Tanze des Todes" (zu
Gedichten von Graf Golenischtschew-Kutusow) und ,,Die Kinderstube" (Text von Mussorgski)
hervorragen. Die geniale Vielseitigkeit der kunstlerischen Begabung Mussorgskis aufiert sich
unter anderem darin, dafi er fur Situationen von burlesker Komik und fur solche von tiefster
erschiitternder Tragik gleich iiberzeugende musikalische Ausdrucksformen zu fmden ver-
mochte.
Ganzlich andere kiinstlerische Bahnen schlug der um 10 JaKre jiingere Rimski - Korssa-
kow (1844 — 1908) ein. Von den gleichen nationalistischen Idealen beseelt, wandte er sich
dock nicht, gleich Mussorgski, der historischen Wirklichkeit zu, sondern der unhistorischen,
darum aber nicht weniger reizvollen und anziehenden russischen Marchen- und Sagenwelt.
Hatte Mussorgski den Wert der Technik auf dem Gebiete der {Composition unterschatzt, sd
mafi ihr Rimski-Korssakow eine fast iibertriebene Bedeutung zu. Durch strenge Selbstzucht
(er schrieb iiber ein Jahr lang taglich eine Fuge) entwickelte er sein satztechnisches Konnen
bis zur Hochstgrenze. In Anwendung dieses aufierordentlich starken Konnens hat er dann,
unterstiitzt durch seine reiche musikalische und dichterische Phantasie, eine lange Reihe musik-
dramatischer Kunstwerke von hochstem Wert geschaffen. An erster Stelle stehen darunter
die Marchenopern ,,Snegurotschka" (,,Schneeflockchen")> ,,Sadko", ,,Das Marchen vom
Zaren Saltan", ,,Das Marchen von der Stadt Kitesh", ,,Das Marchen vom Goldenen Hahn-
chen". Unter seinen iibrigen Opern, deren Stoffe der historischen Wirklichkeit entnommen
sind, ist die ,,Zarenbraut" die bedeutendste. In dem einaktigen Musikdrama ,,Mozart und
Salieri" wiederholte Rimski-Korssakow das Experiment Dargomyshskis : ein dramatisches Ge-
dicht von Puschkin wortgetreu und ohne Kiirzungen in Musik zu setzen. Auch auf dem Ge
biete der symphonischen Musik hat Rimski-Korssakow sehr bemerkbare Spuren hinterlassen
mit der Symphonic ,,Antar" und der symphonischen Marchensuite ,,Scheherezade" . Rimski-
Korssakow war ein gewaltiger Meister der Instrumentierungskunst. Er hat dem Orchester
seine raffiniertesten Klanggeheimnisse abgelauscht, die er dann in seinem xiberaus wertvollen
,,Handbuch der Instrumentationslehre" weiter verraten hat.
Im Gegensatze zu Mussorgski und Rimski-Korssakow, die den Militar- bzw. Marinedienst
quittierten, um sich ganz der Musik zu widmen, blieb Borodin (1834 — 1887) dem von ihm
gewahlten biirgerlichen Berufe treu. Er starb als Professor der Militarmedizinischen Akademie
in Petersburg, an der er zur Zeit seiner kunstlerischen Sturm- und Drangperiode Student ge-
wesen war. Die berufsmafiige Beschaftigung mit der medizinischen Wissenschaft brachte es
mit sich, da6 Borodin nicht viel Zeit zum Komponieren fand. Auch war die Produktionskraft
seines eigenartigen Talentes ohnehin nicht sehr stark. Seine einzige Oper ,,Fiirst Igor" ist
ein reifes Meisterwerk, besonders bemerkenswert durch das darin mit grofiem Geschick und
feinem Verstandnis zur Anwendung gebrachte orientalische Kolorit. In dieser Beziehung ist
Borodin fur alle seine Zeitgenossen und Nachfolger vorbildlich geblieben. In der sympho~
nischen und Kammermusikliteratur hat sich Borodin durch seine beiden Symphonien und
seine zwei Streichquartette einen festen und ehrenvollen Platz gesichert.
Viel fruchtbarer, aber auch viel weniger bedeutend war der vierte im Bunde, Cui (1835
bis 1915), der von Geburt Franzose, der Erziehung und Gesinnung nach jedoch durch und
durch Russe war. Cui hatte das Talent, sowohl als Komponist wie auch als Schriftsteller einen
sehr glatten, leicht dahinfliefienden Stil zu schreiben, dem das lesende und horende Publikum
Moderne : Russen 1 1 37
ohne Anstrengung, und deshalb gerne, folgte. Es fehlt ihm nicht an graziosen und pikanten
Einfallen, doch geht seinem musikalischen und literarischen Schaffen die Tiefe und die GroBe
ab. Ftir die Entwicklung der russischen Musik waren wichtiger als seine zahlreichen Opern
(,,Ratkli£P, ,, Mademoiselle Fifi", ,,Die Hauptmannstochter" u. a.) die polemischen und musik-
kritischen Aufsatze, die er fast ein halbes Jahrhundert lang in einer der gelesensten Petersburger
Tageszeitungen geschrieben hat. Die schriftstellerische Tatigkeit Cuis war trotz oder wegen
ihrer Einseitigkeit von unzweifelhafter Bedeutung fur die Popularisierung der von ihm und
seinem Kreise vertretenen fortschrittlich-nationalistischen musikalischen Ideen in RuBland.
Der am wenigsten produktive von den Begriindern der ,,neurussischen Schule" — diese
Bezeichnung wurde fiir die Bestrebungen der ,,Fiinf * in Rufiland selbst gepragt — war Bala-
kirew (1837 — 1910). Dennoch kommt ihm eine nicht geringe Bedeutung zu. Die Uberlegen-
heit seiner musikalischen Kenntnisse pradestinierte ihn von vorneherein zu einer fiihrenden
Rolle inmitten seiner anfangs nur dilettierenden musikalischen Gesinnungsgenossen, die ubri-
gens alle, mit Ausnahme von Rimski-Korssakow, einige Jahre alter waren als er. Diese Fiihrer-
rolle behielt er auch spater bei, als die andern selbst langst zu ,,Meistern" geworden waren.
Balakirew verftigte iiber einen sehr scharfen Verstand und ein iiberaus sicheres autontatives
Urteilsvermogen. Seine Ansicht wurde infolgedessen meist als Orakelspruch anerkannt. Wenn
auch nicht Erzeuger, so war er doch zum mindesten der geistige Pate der meisten Meister-
werke der neurussischen Schule. Und nicht nur dieser, denn auch der einem ganz andern
Lager angehorigc Tschaikowski nahm gerne manche von Balakirew gebotene Anregung auf.
Er selbst komponierte wenig, vorzugsweise fiir Klavier, da er selbst ein bemerkenswerter
Pianist war (,,lslamey"), und Lieder. An seiner Orchesterfantasie ,,Tamara" hat er fast sein
ganzes Leben lang gearbeitet. Eine von den Grundlagen der nationalen musikalischen Ent
wicklung, die von den Mitgliedern der neurussischen Schule ausging, war natiirlicherweise das
russische Volkslied. Die folkloristische Forschung hatte sich bis dahin vorzugsweise mit der text-
lichen Seite der russischen volkstiimlichen Liedkunst befafit. Balakirew und Rimski-Korssakow
gebiihrt das Verdienst, wertvolle, wenngleich nicht sehr umfangreiche Sammlungen russischer
Volkslieder in eigener, vollkommen stilgerechter Harmonisierung herausgegeben zu haben.
Ncbcn der von Glinka und Dargornyshski angebahnten, von Mussorgski und Rimski-Korssa
kow zur hochsten Bliite gebrachf-en fortschrittlich national gefarbten Musikrichtung kamen
in RuBland von der Mitte des 19. Jahrhunderts an auch gemafiigtere Internationale" musika-
lische Grundsiitze zur Geltung, die sich nach den von der westeuropaischen, speziell der deut-
schcn Musikentwicklung gebotenen Richtlinien orientierten, Ihre Vertreter nannte man mit
Entlehnung eines Ausdrucks aus der politischen Terminologie : ,,die Westlinge". Der erste
bedeutende unter ihnen war Alexander Sseroff (1820—1871), eine hochst bizarre Person-
lichkeit, dessen Wirken als gefiirchteter und einfluBreicher Musikkritiker fiir die Entwicklung
les musikalischen Geschmacks in Rufiland zeitweise von bestimmender Bedeutung war.
Sseroff polernisierte mit Leidenschaft gegen die nationalistischen musikalischen Bestrebungen
les ,,machtigen Haufleins" der Fiinf und brach nicht ohne Erfolg Lanze um Lanze fiir die in
^ufiland zu seiner Zeit nicht sonderlich beliebte Kunst Richard Wagners, an dern Sseroff mit
;iner an Vergotterung grenzenden Schwarmerei hing. Erst als Vierziger wagte Sseroff seinen
•rsten Versuch als Opernkomponist mit der nicht etwa im Wagner-, sondern im Meyerbeerstil
componierten ,,gro(W flinfaktigen Oper ,Judith<4. Das Werk erzielte einen durchschlagen^
1 138 Moderne: Russen
den Erfolg und hat sich, ebenso wie die zweite Oper Sseroffs, ,,Rogneda", bis zur jiingsten
Zeit im Repertoire der russischen Opernbiihnen erhalten. Weniger glucklich war Sseroff mit
seiner letzten Oper ,,Feindesmacht", die er unvollendet hinterliefi. In diesem Werke, dessen
hochdramatische Fabel (nach einem Drama von Ostrowski) dem russischen Dorfleben ent-
nommen ist, tritt die Armut der musikalischen- Erfindung Sseroffs — etwa im Vergleich zu
Mussorgski — in erschreckender Weise zutage.
Zwei weitere Vertreter der „ international" Musikrichtung in Rufiland waren die Briider
Anton und Nikolai Rubinstein (1829—1894 bzw. 1835—1881). Das Gebahren Anton
Rubinsteins als Komponist war in so hohem Grade weltbiirgerlich, dafi er in dieser Beziehung
fur die russische Musikgeschichte nicht in Betracht kommt, trotz seiner in Rufiland iiberaus
popularen Oper ,,Der Damon" (nach dem gleichnamigen Poem von Lermontow). Von hochster
Bedeutung fur Rufiland dagegen war die administrative musikalische Wirksamkeit der beiden
Briider. Anton Rubinstein war einer von den Begriindern und der eigentliche Initiator der
unter dem Protektorat der Prinzessin Helene von Sachsen-Altenburg im Jahre 1861 ins Leben
gerufenen ,,Kaiserlich Russischen Musikgesellschaft". Er und sein Bruder Nikolai waren die
Direktoren der beiden ersten Konservatorien in Rufiland, in Petersburg und in Moskau, um
die sich bald eine uniibersehbare Menge von Tochteranstalten fast in samthchen Provinz-
stadten Rufilands gruppierte. Die Kaiserlich Russische Musikgesellschaft bot, bevor die Re
volution von 1917 ihr ein Ende bereitete, mit ihren Konservatorien, Musikschulen und Kon-
zertunternehmungen das Bild einer so grofiartigen musikalischen Organisation, wie sie kaum
em anderes Land aufzuweisen gehabt hat.
Der erste russische Komponist, der den Ruhm der russischen Musik weit iiber die Grenzen
seines Vaterlandes hinaustrug und die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich zog, war
Peter Tschaikowski (1840 — 1893). Das nationale Element erkannte er nur als gelegentliche
Wiirze des musikalischen Stils an und befleifiigte sich im iibrigen, eine musikalische Welt-
sprache zu reden, die uberall ohne vorherige Vorbereitung verstanden werden konnte. Der
ungeheure Erfolg, den seine Werke in der ganzen Welt gefunden haben, beweist, dafi es ihm
gelungen ist, seine Absicht zu erreichen. Tschaikowskis verschwenderisch begabte musika
lische Natur versuchte sich auf alien Gebieten der Komposition mit dem gleichen Erfolge. Der
starke ungekiinstelte Ausdrucksgehalt seiner Musik verhilft ihr selbst zu einer unmittelbaren
fortreifienden Wirkung. Tschaikowski ist immer, auch in seinen umfangreichsten Werken, Ly-
riker. Er spricht immer von sich selbst. Aber was er zu sagen hat, ist meistens so interessant
oder doch anziehend, dafi man ihm diese musikalische Selbstbespiegelung nicht veriibeln mag.
Hin und wieder lafit er seinem ungebundenen slawischen Temperament die Ziigel schiefien.
Doch ist das kein Nachteil, sondern eher ein Vorzug seiner Werke, besonders in einer Zeit,
in der echtes Empfinden so oft durch gekiinstelte Maniriertheit ersetzt wird. Am bedeutendsten
ist Tschaikowski in seinen Symphonien, von denen die sechste ,,Pathetische" eine von kaum
einem andern Werke der modernen symphonischen Literatur erreichte Popularitat in der
ganzen Welt errungen hat. Ebenso erging es in Rufiland seiner Oper ,,Eugen On6gin", deren
Melodien bald jedermann auswendig kannte, ebenso wie die Verse des Jhr zugrunde liegenden
Puschkinschen Romans. Von einer zweiten Oper, deren Stoff einem Prosaroman von Puschkin
entnommen ist, ,,Pique Dame", wurde der Erfolg des ,,0n6gin" fast erreicht. Dagegen ver*-
sagte das Talent Tschaikowskis gegeniiber den Anforderungen grofier historischer Opern
Moderne : Russen 1139
(,,Die Jungfrau von Orleans", 5,DieOpritschniki", u. a.) Fur die Behandlung derartiger Stoffe
fehlte ihm die epische Ruhe und die Objektivitat des iiber seinem Stoffe stehenden Drama-
tikers, Seine Kammermusik und viele seiner iiberaus zahlreichen Lieder wurden im An-
schlusse an seine Symphonien bald in der ganzen Welt bekannt, ebenso sein 1. Klavier-
konzert, das von Hans von Billow, dem es gewidmet ist, mit beispiellosem Erfolg in die Kon-
zertsale Europas und Amerikas eingefiihrt wurde.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschiebt sich der Schwerpunkt des russischen Musik-
lebens von PeL°rsburg nach Moskau. Schon Tschaikowski war, obgleich er seine Schul- und
Studienjahre in Petersburg verlebt hatte, mehr Moskowiter gewesen als Petersburger. 1 1 Jahre
lang (1866 — 1877) wirkte er als Professor am Moskauer Konservatorium, und als er diese
Stellung aufgab, wahlte er ein nahe bei Moskau gelegenes Landhaus (in Klin) zu seinem
standigen Aufenthaltsorte. Den Ubergang von Tschaikowski zur nachsten Musikergeneration
bildet in Moskau sein bedeutendster Schiller und jiingerer Freund Sergei Tanejew1) (1856
bis 1916), der auch sein Nachfolger als Professor des Kontrapunktes und der freien Komposi-
tion am Moskauer Konservatorium wurde. Tanejew verfiigte iiber eine erstaunliche Fiille
musiktheoretischer Kenntnisse. Mit seinem grundlegenden zweibandigen Werke ,,Der imi-
tierende (verschiebbare) Kontrapunkt im strengen Stil" hat er sich ein unvergangliches Denk-
mal als Musikgelehrter gesetzt. Auf dem Gebiete der Komposition leistete Tanejew besonders
in der Kammermusik hochst Gediegenes und Wertvolles, wenngleich es ihm an wirklicher
Eigenart gebrach. Ein Oratorium „ Johannes von Damaskus" ist in Rufiland vielfach aufgefiihrt
worden, auch seine Operntrilogie ,,0resteia". Von grofiter Bedeutung fiir die musikalische
Kultur seines Landes war die padagogische Tatigkeit, die Tanejew fast 40 Jahre lang am
Moskauer Konservatorium ausgeiibt hat. Die Tanejew~Schuler bildeten in Moskau, ebenso
wie die Rirnski-Korssakow-Schiiler in Petersburg, eine ,,Klasse" fiir sich.
Der bedeutendste Schiller Tanejtws ist Alexander Skrjabin (1872 — 1915) — zweifellos
die hervorragendste musikalische Personlichkeit, die das an eigenartigen Talenten so reiche
Rufiland nach Mussorgski und Tschaikowski hervorgebracht hat. Die Musik Skrjabins schien
anfangs ganzaus dem Geiste Chopins und Liszts geboren. Zeugnis davon legen seine zahlreichen
Klavierkompositionen clwa bis Opus 34 (vierte Sonate) und seine ersten beiden Symphonien
ab. Allmahlich entaufierte sich die musikalische Sprache Skrjabins immer mehr aller fremden
Einwirkungen und rang sich zu einer vollkommen selbstandigen, im hochsten Sinne des Wortes
originalen Ausdrucksweise durch. Die spateren Orchesterwerke Skrjabins (,,Poemc divin",
,,Po£me de Textase'*, ,,Prometheus") sind der kiinstlerische Ausdruck eines schopferischen
Hochgcfiihls, das von der philosophischen Weltanschauung Skrjabins inspiriert wurde: Vcr^
gottlichung des Menschen, ZusammenbrucK und Neuschaffung des Weltengebaudes in eincm
zu errcichenden Zustandc hochsler schdpferischer Ekstase, Obergang zu eincm neuen ,,Da-
seinsplan'*. Skrjabin traumte nicht nur von einer synthetischen Zusammenfassung siimtlicher
Ktinstc in einem Gcsamtkunstwerke, sondern wollte alle Sinneseindrucke iiberhaupt der Kunst
dienstkar machcn. In der sym^honischcn Dichtung ^Prometheus44 wird die Musik schon von
einer Farben- und Lichlsymphonie begleitet, die auf eincm besonderen System der Partitur
notiert ist (,,Clavier a lumiire*4). In seinem ,,Mysterium", das halb rituelle Handlung, hall)
l) Nicht zu vervwelu'eln mit soincm Ohdm, dem welt wcniger bcdeutemlon K«i»ponisten, Hofmeistcr des Kaiser-
lichen Hofc*»» Alexander Tancjcw,
Moderne: Russen
Kunstwerk sein sollte, beabsichtigte er dann, die hochste Synthese aller moglichen Kunst-
und Sinneseindriicke zu vollbringen und damit selbst den Anstofi zur Verwirkhchung semes
philosophischenLebenstraumes im Sinne eines weltgeschichtlichen, ja kosmischen Vorganges
zu geben. Das Ringen und Streben Skrjabins war gigantisch. Der Tod setzte ihm em Ziel,
indem er den knapp Zweiundvierzigjahrigen im ersten Jahre des Weltkrieges dahinraffte. Die
Gegenwart steht dem kiinstlerischen Schaf fen Skrjabins noch zu nahe, urn ein endgiiltiges Urteil
daruber zu fallen. Bemerkenswert ist die harmonische Evolution, die sich in seiner Musik voll-
zieht und die ihn endlich — auf dem Wege der Intuition und nick auf dem theoretischer Speku-
lation — zu einer neuen Grundharmonie, dem sechstonigen Quartenakkorde f unite, der zum
ersten Male im ,,Prometheus" in Erscheinung tritt. Damit hatte Skrjabin einen der vielen
Wege gefunden, auf dem eine weitere Entwicklung und Bereicherung der musikalischen
Ausdrucksmittel erreicht werden kann. Spatere Zeiten werden daruber urteilen, ob es der
richtige war.
Einen weniger hohen Plug nahm das starke Talent Sergei Rachmaninows (geb. 1872).
Rachmaninow schreibt keine transzendentale Weltanschauungsmusik, sondern fufit rmt semen
Kompositionen mitten in alltaglichster Wirklichkeit. In unmittelbarer Anlehnung an Tschai-
kowski hat Rachmaninow doch viele bedeutende Werke geschaffen. Allerdings verleugnen sie
nur selten ihren epigonenhaften Charakter, trotz der stark persbnlichen Note, die sie durch-
dringt. Am wertvollsten sind seine Klavierkompositionen, unter diesen wieder die vier Kon-
zerte. Eine Jugendoper ,,Aleko" sowie zwei spatere einaktige Opern ,,Francesca da Rimini"
und ,,Der geizige Richter ' haben in Moskau Erfolg <gehabt. Mit dem letztgenannten Werke
setzte Rachmaninow das Experiment Dargomyshskis und Rimski-Korssakows fort, indem er
als textliche Vorlage zu seiner Oper wortgetreu und ohne Ktirzung die gleichnamige drama-
tische Szene Puschkins benutzte. Von seinen zwei Symphonien ist die erste nur emmal m
Petersburg aufgefiihrt und nicht herausgegeben worden, wahrend die zweite, ebenso wie eine
gedankentiefe und inhaltsreiche viersatzige Chorkantate, ,,Die Glocken", sich rasch m den
Konzertsalen eingeburgert hat. Aufierordentliche Popularitat hat Rachmaninow in Rufiland
als Liederkomponist erreicht. Auch auf diesem Gebiete folgte er den Traditionen Tschai-
kowskis und nicht denen Mussorgskis.
In den Werken aller Moskauer Komponisten ist im Gegensatz zu ihren Petersburger Kol-
legen nichts von ,,offiziellemu Nationalismus zu spiiren. Es fehlt ihnen die mitunter etwas
aufdringlich wirkende melodische und harmonische Etikette des ,,made in Russia*'. Sieht man
naher hin, so wird man sich iiber die Nationalitat der betreffenden Verfasser wahrscheinlich
nicht lange im Zweifel sein, doch mufi zu dieser Feststellung immerhin schon die psycholo-
gische Sonde benutzt werden. Auf Grund rein aufierlicher Merkmale kann sie nicht gemacht
werden. Eine Sonderstellung in bezug auf seine Nationalitat nimmt unter den Moskauer
Komponisten Nikolai Medtner (geb. 1879) ein. Zwei Seelen kampfen sozusagen in seiner
Brust. Medtner ist Deutschrusse. Das tritt in seiner Musik deutlich zutage. Er hat das Gliick,
nicht die Nachteile, sondern die Vorziige beider Nationen in sich zu vereinigen: den weit-
herzigen Schwung der slawischen Natur mit dem tiefen Ernst und der Gnindlichkeit des
Deutschen, Ein eigenartiges und kostbares Besitztum der russisch-deutschen Musikliteratur
ist der Liederschatz Medtners (drei Folgen Goethelieder, zwei Folgen Puschkinlieder, Texte
von Nietzsche, Tjutschew, Fet u.a.)- Der Schwerpunkt seines kiinstlerischen Schaffens liegt
Moderne : Russen 1141
jedoch in seiner Klaviermusik. Sie umfafit eine stattliche Reihe bedeutender Werke (Sonaten,
zwei Konzerte, Marchen, Novelletten, Dithyramben u.a.), in denen sich Medtner als wtirdiger
Schiiler des grofien Kontrapunktikers Tanejew zeigt.
Weitere Tanejew-Schiiler sind Reinhold Gliere (geb. 1874), hauptsachlich durch seine
Kammermusik, die leicht an den Stil Borodins anklingt, und seine Lieder, aber auch durch
einige symphonische Werke (,,Die Sirenen") bekannt; Sergei Wassilenko (geb. 1872),
dessen Erstlingswerk, eine Kantate, denselben Stoff behandelt, wie Rimsky-Korssakows my-
stische Oper ,,Kitesh" unjd der im iibrigen sowohl in seinen Liedern als auch in seiner sym-
phonischen Musik (,,Der Garten des Todes", nach Oscar Wilde u. a.) eine ausgesprochene
Vorliebe fur ,,pandamonische" Stoffe bekundet. .Einen ehrenvollen Platz nimmt unter den
Moskauer Komponisten der zweitjiingsten Generation George Catoire (geb. 1861) ein, der
gleich Cui seiner Abstammung nach Franzose ist, in seiner Musik jedoch ein durchaus sla-
wisch anmutendes Naturell bekundet. Catoire ist ein sehr feiner, etwas griiblerischer Kopf,
dessen iiberaus reizvolle Kammermusikwerke noch nicht die ihnen gebuhrende Beachtung ge-
funden haben.
Dasselbe Monopolrecht, das Tanejew als Padagoge in Moskau ausiibte, lag in Petersburg
in den Handen Rimski-Korssakows, seit er im Jahre 1871 die Professur fur freie ^Composition
am Petersburger Konservatorium iibernommen hatte. Tanejew bemiihte sich mit Erfolg,
seinen stockrussischen Schiilern seine internationale musikalische Weltsprache beizubringen,
Rimski-Korssakow dagegen gelang es, sogar der musikalischen Ausdrucksweise seiner Schiiler
nichtslawischer Nationalitat (der Lette Wihtol, der Italiener 0. Respighi, sein nachrnaliger
SchwJegersohn M. Steinberg u, a.) einen leichten russischen Akzent zu verleihen.
Der bedeutendste Rimski-Korssakow-Schuler der alteren Generation ist zweifellos Alex
ander Glasunow (geb. 1865), seinerzeit das ,,Wunderkind" der neurussischen Schule. In
anderthalb Jahren absolvierte Glasunow den gesamten Kursus der Kompositionslehre und
brachte schon als Sechzehnjahriger seine erste Symphonic, der bis jetzt noch sieben weitere
nachgefolgt sind, zur Auffiihrung. Glasunow, der das nationale Element in der Musik weniger
auffallend unterstreicht, als die iibrigen Mitglieder der neurussischen Schule, ist der einzige
reinbliitige Symphonikcr unter den Petersburger Komponisten. Furs Theater, das ihn me
sonderlich gereizt hat, hat er nur ein Ballett ,,Raimonda" geschrieben, das neben den Balletten
von Tschaikowski (,,Dornroschenu und MDcr Schwanensee") zu den prunkvollsten Ausstat-
tungsstikken des Grofien Theaters in Moskau und des Marientheaters in Petersburg gehorte.
Nach dcm Tode Rirnski-Korssakows wurde Glasunow scin Nachfolger nicht nur als Professor
der freien Komposition, sondcrn auch als Direktor des Petersburger Konservatoriurns.
Von alteren Rimski*Korssakow-Schulern haben sonst noch rnerklichc Spurcn in der
russischen Musik hinterlassen: Anatol Ljadow (geb. 1855), der fcinsinnige Klavier- und
Qrchesterpoet, Nikolai Tschcrepnin (geb. 1873), der gleich Glasunow die Phantastik der
Rimski-Korssakowschen Orchestcrfarbcn dcm Ballette dienstbar machte (..Pavilion der
Armida**).
Ganx ncuc Wcgc schlug dor Himptvortwtcr (iinor jiingeren Generation Rimski-Korssakow-
Schiilor ein, Igor Stravinskl (gob. 1882). Nicht unbecinflufJt durch die zu Anfang des
20. Jahrhundcrts in cler frarr/osi schon Malcrel und Musik auftauchcndon Riohtungcn — Stra-
vinski Icbtc nach AbsolvMjrung des Pctersburgcr Konscrvatoriums clauernd in Paris und in der
j 1 42 Moderne : Russen
Schweiz— , zog Stravmski in seiner Musik die letzten Konsequenzen dieser Bewegung, der die
Farbe alles, die Zeichnung nur wenig bedeutete. Blendendes Orchesterkolorit, spruhender
Geist und Witz einer skrupellosen Kontrapunktik verrnogen wohl einen vergniiglichen Ohren-
schmaus zu bereiten — das beweist der Welterfolg der Musik Stravinskis — , dock ware es
zum mindesten ubereilt, in den Seitenspriingen solcher geistreichen Harlekinaden den emzig
folgerichtigen Entwicklungsgang der Tonkunst zu sehen. Die Hauptwerke Stravinskis sind die
furs russische Ballett in Paris geschriebenen Ballette : ,,Petruschka", ,,Le sacre du prmtemps" ,
,,Le renard", die Oper ,,Mavra" (Text nach Puschkin), und die symphonischen Werke ,,Der
Feuervogel" (Jar ptiza) und ,,Feuerwerk". Etwa urn das Jahr 1924 vollzog sich ein radikaler
Bruch in der Kompositionstechnik Stravinskis. Er war es, der auch fur die Musik den Grund-
satz der ,,modernen Sachlichkeit" aufstellte und ihren Verzicht auf rein emotionelle Gehalte
forderte. Stilistisch aufierte sich das als Zurtickgreifen auf vorklassische Muster, wobei dieser
Neo-Klassizismus durch ein seltsames Gemisch von Raffinement und Primitivitat, Askese und
Uberschwang charakterisiert wird. Die Hauptwerke dieser Art sind: ein Klavierkonzert mit
Blasorchester und Kontrabassen, eine Klaviersonate, ,,Sinfonien" fur Blaser, das szenische
Oratorium „ Oedipus rex" (auf lateinischen Text) und das antikisierende Ballett ,,Apollon
Musagete" (Streichorchester). — Ein jiingerer talentvoller Nachahmer Stravinskis ist Sergei
Prokofieff (geb. 1891), der die Prinzipien der friihen Stravinskischen Kompositionstechnik
aus dem Theater auch auf reine Konzertmusik iibertragt (drei Klavierkonzerte, ,,Sarcasmen"
und andere Klavierstiicke). Von seinen Opern wurde ,,Die Liebe zu den drei Orangen" in
vielen Landern Europas, auch in Deutschland, und in Amerika aufgefuhrt, eine andere:
,,Der Spieler" (nach Dostojewski), nur in Amerika. Unaufgefuhrt sind eine Jugendoper
,,MagdaIena" und sein neuestes Blihnenwerk ,,Der feurige Engel". In alien diesen Werken
und auch in seinem Ballett ,,Le Bouffon (,,Das Marchen vom Tolpel, der sieben Tolpel iiber-
tolpelte") ist der iiberlegen ironische, ja witzige Stil seiner glanzenden Orchesterbehandlung
bemerkenswert.
Man sollte glauben, dafi die russische Revolution von 1917, die das ganze staatliche und wirt-
schaftliche Leben des Landes von unterst zu ofcerst kthrte, auch auf dem Gebiete der Musik
zu den iiberraschendsten Ergebnissen hatte fiihren miissen, wurde doch m der Sowjetrepublik
der ,,Futurismus" zeitweilig zur staatlich beglaubigten offiziellen Kunstrichtung erklart. Allein
die russischen Musiker haben den politischen Machthabern des Landes nicht den Gefallen
getan, nun auch ,,bolschewistisch" zu komponieren und die politischen Expenmente auf musi-
kalischem Gebiete nachzuahmen. Eher machte sich eine leichte Reaktion bemerkbar. Uber die
Vertreter dieser jiingsten Komponistengeneration Rufilands ist ein abschliefiendes historisches
Urteil natiirlich noch nicht mb'glich, handelt es sich bei ihnen alien doch erst um Anfange.
Die vielversprechendsten Namen dieser jiingsten russischen Komponistengeneration sind:
Nicolai Mjaskowski (geb. 1881), Verfasser von 10 Symphonien, der konservativen Richtung
angehorend, Nikolai Roslawez (geb. 1881), in seinen zahlreichen Kammermusikwerkcn Ver
treter der extrem linken Gruppe der russischen Komponistcn, die Briadcr Grigori und
Alexander Krein (geb. 1879 bzw. 1883), Samuel Feinberg (geb. 1890), Anatol Alexan-
drow (geb. 1888), deren Stil sich hauplsa'chlich aus dem Skrjabins hcrangchildet hat, Leon id
Polowirkin (geb. 1900), Leo Knipper (geb. 1900), Wassili Schirinski (geb. 1904) u. a.
Ganz besonders ragt unter ihnen Issai Dobrowen (geb. 1893) liervor, i-eil 1923 als Immigrant
Abb, 87* L S t r a v i n s k i ; S % e n e n b il cl z u „ D e r F c u e r v o g e I " von N. Gontcharowa, 1 926, zwcilcs BiicL
Aus Gregor-Fiilop, Das russischc Theater, Wien, Amalthea Verlag.
](44 Moderne : Polen
im Auslande lebend, dessen Klavierkompositionen, Kammermusik (Violinsonate) und Lieder
beweisen, dafi man auch heute noch auf dem Gebiete der Musik durchaus Eigenartiges und
Neues zu geben vermag, ohne harmonische Logik durch atonales Chaos zu ersetzen.
In der zweiten Halite des 19. und im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts hat Rufiland eine
nicht geringe Bedeutung fur die Entwicklung der europaischen Musik gewonnen. Die von
Skrjabin, Mussorgski, Stravinski entdeckten Wege werden nun ja auch von andern Nationen
mit Erfolg begangen. Ob einer von diesen Wegen zu neuen Hohen und Gipfeln fiihren wird,
dariiber Jst uns Zeitgenossen das Urteil versagt. Eines scheint sicher: ganz im Sande verlaufen
werden sie sich nicht.
Literatur
Russisch
Stassow, W.: Gesammelte Werke Bd. Ill (enthalt seine samtlichen musikwissenschaftlichen , kritischen,
historischen, biographischen Arbeiten, darunter die Mussorgski - Biographic), Bd. IV (als Nachtrag, Petersburg
1906). — Findeisen, N., M. J. Glinka. Petersburg 1898, Neuausgabe 1923. — Derselbe: A. N. Sseroff.
Moskau 1904. — Iwanow,M. M.: Geschichte der russischen Musik. Petersburg 1913. — Tschaikowski, M.:
Das Leben Peter Iljitsch Tschaikowskis. Moskau 1900—1902. — Ssabanejew, L.: N, A, Skrjabin, Moskau
1916. — Rimski-Korssakow: Chronik meines musikalischen Lebens. Petersburg 1909. — Glebow, Igor;
,,Syrr>phonische Etuden", Leningrad, 1922.
Franzos isch
Olenine d'Alheim, M.: Le legs de Mussorgski. Paris 1908. — Calvocoressi, D.: Moussorgski (1909
in Chantavoines ,,Maitres de la Musique"). — Cui, C.: La musique en Russie. Petersburg.
Deutsch
Tschaikowski, M.: Das Leben P. J. Tschaikowskis. Deutsch von P. Juon. Petersburg 1904. —-Stein, Rich. H.:
P. I. Tschaikowskij. Stuttgart 1927. — Rimski-Korssakow, N.A.: Chronik meines musikalischen Lebens.
Stuttgart 1926. — Riesemann, 0. v.: Monographien zur russischen Musik. Bd. I. Mtinchen 1923. Bd. II.
1925 (Mussorgski). — Derselbe: Die Notationen des altrussischen Kirchengesangs. Leipzig 1909. —
Ssabanejew-Riesemann, Geschichte der russischen Musik (Leipzig 1926).
Oskar von Riesemann
POLEN
In Chopins genialen Klavierdichtungen und in Stanislaw Moniuszkos (1819 — 72)
Liedern und romantisch-nationalen Opern hat sich der Geist der polnischen Kultur im 1 9. Jahr-
hundert in musikalischer Beziehung klar ausgedriickt. Alles, was in Polen wahrend der trau-
rigen Zeit nach der dritten Teilung vor Chopins Auftreten geschaffen wurde, urn nur die
Namen G. Eisners und K. Kurpinskis zu nennen, mufite sich vor dem Glanze Chopinscher
Kunst in den Schatten der Verges s en heit zuriickziehen. Je tiefer seine Werke, welche ja aus
dem Urschofie der polnischen Nation zur Welt gebracht wurden, in das geistige Leben des
Volkes eindrangen, desto schwieriger gestaltete sich die Aufgabe anderer zeitgenossischer
polrascher Komponisten, sich auf der Oberflache des musikalischen Lebens in seiner Nahe
zu erhalten. Moniuszko verstand es instinktiv, sich den von Chopin vernachlassigten Formen
Moderne: Polen
zuzuwenden und begriindete seine fur die polnische Musikgeschichte epochemachende Be-
deutung durch seine seit dem Jahre 1838 herausgegebenen, spater in Heften verbundenen
Lieder (beinahe 300), denen er seine zahlreichen Opern an die Seite stellte, bis er im Jahre 1858
in der Warschauer Fassung der ,,Halka" und im Jahre 1865 in der Oper ,,Das Gespenster-
schlofi" zu den Gipfeln seines Schaffens gelangte. In der Zeit nach Chopins (1849) und
Moniuszkos (1872)Tode bis 1900 erglanzte zwar der polnischen Musik kein dem ersten eben-
biirtiges Genie auf dem Felde der reinen Instrumentalmusik und kein dem zweiten gleiches
lyrisches und dramatisches Talent, dennoch aber erschienen von 1880 bis heute in dem sich
Jmmer reger gestaltenden musikalischen Leben in Polen einige bedeutende kunstlerische Per-
sonlichkeiten, welche dasNiveauder polnischen Musik auf eine wiirdige Hb'he zu heben im-
stande waren. Manche aufierliche giinstigere Verhaltnisse, betreffend die Organisation des
Musiklebens, trugen das ihrige zur Entwicklung der musikalischen Kultur und zu dem Gedeihen
der schopferischen Talente bei.
Von einigen polnischen Komponisten, welche noch zu Chopins Lebzeiten geboren wurden
und nach Moniuszkos Tode im Hohepunkt ihres Wirkens sich befanden (wie Alexander
Zarzycki, Adam Miinchheimer, Ludwik Grosman, Henryk Jarecki, Ignacy Krzyza-
nowski, Emanuel Kania u. a.) muB an erster Stelle Wtadyslaw Zelenski (1837—1921) ge-
nannt werden. Er trat zwar schon im Jahre 1865 als Liederkomponist hervor und bald nach-
her veroffentlichte er auch eine Klaviersonate (op. 5), seine wichtigsten Werke ctammen je-
doch aus der Zeit nach 1880. Zelenski kultivierte mit einem weit hoheren Eifer als alle die
andern polnischen Komponisten ncbcn und nach Chopin die grofien zyklischen Formen in
alien Gattungen der Kammer- und Orchesterrnusik (Klaviersonate op. 20, Streichquartette
op. 21, 28 u. 42, Klaviertrio op. 22, Klavierquartett op. 61, 2 Violinsonatcn, op. 30 u. 78,
Klavierkonzert op. 60, zwei grofie Symphonien). Ein vollkommencr Beherrscher der Formen
und der technischcn Mittcl, ein fanatischer Anhanger der Klassiker, von denen er Gluck
am moisten verehrte, suchte Zelenski in seinen Kunstwerkcn ihre Ideale zu vcrfolgen.
Die romantische Welt- und Kunstanschauung blieb ihm nicht fremd und Schumannsche Ein-
fliisse sind in seiner Kunst fuhlbar. Dabei hatte Zelenski manche Zlige mit Brahms gemein.
Der Stil seiner Lieder erinnert bei alien polnischen Mcrkmalen ihrer melodischen Mittel
und des mneren Wcscns an den Wiener Meistcr. Die lyrischen Traditionen Moniuszkos er-
hielten in Zelenskis mehr als 70 Liedern eine Bekriiftigung. Als dramatischer Komponist be-
reicherte Zelenski den geringen polnischen Opernschatz urn vicr Werkc; im Jahre 1885 wurde
,,Konrad Wallenrod" (nach Mickiewiczs Dichtung) aufgefiihrt, 1892 folgtc die roman
tische Oper ^Goplana" (nach einem Trauerspiel von Slowacki), 1900 ,Janek" (eine zwei-
aktigeVolksoper) und 1907 ,,Stara basn" (,,Einc alte Mahre", nach Kraszewskis gleichnamigem
Roman). Zelenski war kein geborener Musikdramatiker; er verblieb in seinen Opern e*n
mehr absoluter als ein theatralischer Komponist und tastete die alten vorwagnerischen Formen
nicht an» Wagners stilistische Errungenschaften sowie der Geist seiner Harmonik und die
unerreichte Pracht seiner Instrumentationskunst blieben Zelenski fremd. W~>hl aber hat er
an vielen Stellen seiner Opern durch den Reiz seiner melodischen Einfalle zu wirken gewuflt
Der zweite bedeutende polnische Komponist der Epoche nach Moniuszko war Zygmunt
Noskowski (1846 — 1909), ein vielseitiges und leicht produzierendes Talent, ein guter Kontra-
punktist und Orchesterkomponisl. Seine 2 Symphonien und die symphonischen Dichtungen
1146 Modeme: Polen
,,Morskie Oko" (Tatra See) und ,,Die Steppe", sowie ein Zyklus Orchestervariationen ,,Aus
dem Leben" iiber das A-Dur-Praludium von Chopin bilden die Grundsteine der modernen
polnischen Orchestermusik. Nur eine voriibergehende Bedeutung hatten Noskowskis 3 Opern
,,Uvia Qumtilla" (1900), ,,Das Urteil" (1907) und ,,Die Rache" (1909, nach AI. v. Fredros
gleichnamiger Komodie) sowie ein Jge Vaudevilles. Seinen Werken fehlte es an tieferer poe-
tischer Erfassung und an anziehendem Lyrismus. Von seinen zahlreichen Klavierkompo-
sitionen, iiber 100 Liedern, einigen umfangreichen Kantaten mit Orchesterbegleitung und
Kammermusikwerken wie Chorliedern erfreuten sich mehrere einer Popularitat, sind aber
nicht tiefer in das kulturelle Leben Polens eingedrungen. Ein lang nachhallendes Echo in
-der Zeit nach 1880 verblieb in der polnischen Musik nach den glanzenden und meisterhaft
geformten, wie in poetischer Beziehung wertvollen Violinwerken von Henryk Wieniawski,
welcher eben an der Schwelle dieser Penode aus dem Leben geschieden war (1835 — 80).
Die groBeren polnischen Stadte, in denen sich das geistige Leben konzentriert, waren fur
•die Pflege der Musik nicht in dem Ma6e reich an Mitteln, wie fur die bildenden Kiinste und
das Theater. Warschau besafi zwar eine grofistadtische Oper, doch war der Zutritt zu ihr fur
die polnischen Werke aufierst schwer. Vor der Griindung der Philharmonie mit einem stan-
digen Symphonieorchester im Jahre 1902 konnte man nicht die grofieren Instrumentalformen
und Chorwerke leicht auffiihren. Ubel stand es um die Musik in Krakau und in Posen, ein
wenig besser in Lemberg, wo es allerdings zu einer standigen Oper (1900) und zu einer ephe-
meren Philharmonie (1903) kam. Man mufite sich mit den kleinen Instrumental- und Lied-
formen, mit dem Mannergesang begniigen. Das Beste, was einige Komponisten aus den letzten
zwei Dezennien des 19. Jahrhunderts schufen, ist eben das Lied. Stanislaw Niewiadomski
(geb. 1859) ist der anmutigste lyrische Komponist in Polen in der Epoche nach Moniuszko
bis gegen das Ende des 19. Jahrhunderts. Er ist riihrend und temperamentvoll, lustig und
melancholisch wie in seinem volksmafiig stilisierten Liederzyklus ,Jaskowa doia" (,,Hansens
Geschick"), so in dem eleganten, salonmafiigen Zyklus ,,Z wiosennych tchnien" (,,Im
Friihlingshauch") und in mehreren andern Liedern zu Mlckiewicz' Worten, im Zyklus
,,Slonko" (,,Das Sonnchen") und in den ,,Chansons d'avril", in denen er kosmopolitische
Formen sicher bewahrt. Seine melodische Erfindung spricht durch ihre edle Anmut an,
alliiberall in seinen Liedern kornmt seine Personlichkeit zum Vorschein. Niewiadomski war
niemals ein Fortschrittler. Neben seinen wertvollen und in Polen ungemein popularen
Liedern hat Niewiadomski eine grofiere Anzahl Chorlieder (weltliche und kirchliche) und
kleinerer Klaviersachen veroffentlicht, sowie sich auch in der Kammermusik und Symphonic
erprobt. Niewiadomski war im Jahre 1882 Schiiler von Krenn in Wien, spater auch von
Jadassohn in Leipzig.
Ein an melodischer Erfindungsgabe sehr reiches Talent, aber ohne starkere musikalische
Kultur, war Jan Gall (1856—1912), welcher durch einige schone Lieder und eine Menge
von ongmellen und aus verschiedenen Volksgesangen bearbeiteten Mannerchoren (im Lieder-
tafelstil) sich eine ungemeine Popularitat — speziell in Galizien — erwarb und einen starken
Einflufi auf das Musikleben ausiibte. Mit mehr Willenskraft und mehr musikalischer Fach-
bildung ware Gall imstande gewesen. auch bedeutendere Werke zu schaffen. Was Gall und
Niewiadomski for Galizien, bedeutet for Kongrefipolen Piotr Maszynski (geb. 1855). Sein
schones, lyrisches Talent driickte sich in iiber 100 Liedern und Dutzenden von vortrefflichen
Moderne: Polen \ 147
Chorgesangen aus. Maszynski hat sehr viel zu der Entwicklung der Musikkultur in Polen
durch seine organisatorische und seine Dirigententatigkeit beigetragen. Als Opern- und Ora-
torienkomponisten derselben Generation polnischer Musiker sind an erster Stelle Statkowski
und Soltys zu nennen.
Roman Statkowski (1859—1925) wurde fur seine beiden Opern ,,Philenis" und ,,Marja"
mit ersten Preisen ausgezeichnet, fur die erste m London an dem mternationalen Opernpreis-
ausschreiben 1903, fiir die zweite in Warschau 1905. Die beiden Werke sind in dem Uber-
gangsstil zwischen der vorwagnerischen Opernform und dem wagnerischen Musikdrama ge~
halten, zeichnen sich durch edle ariose Einfalle und feine Instrumentation aus. Er hat
auch gute Klavierstticke, drei Streichquartette und Orchesterwerke geschrieben. Mieczyslaw
Soltys (geb. 1863), ein Schtiler von Krenn in Wien und von Gigout und Saint-Saens in Pans,
hat die ersten zwei groBen polnischen Oratorien geschaffen. Sein Talent hat sich in dem
Rahmen dieser Gattung besser zurechtgefunden als in seinen 5 Opern (nur drei von ihnen
wurden aufgefiihrt). In den Reihen der mehr konservativ schaffenden polnischen Komponisten
haben sich neben den genannteneingefunden:ErazmDlu ski (1858 — 1923), HenrykPachulski
(1859—1920), Feliks Starczewski (1868), Michal Swierzynski (1868). Den klassischen
Kirchenmusikstil pflegte mit grofiem Eifer P. Jozef Surzynski (1851 — 1918), welcher
nach 1880 zum Hauptforderer der musikhistorischen Forschung in Polen wurde.
Als einer der ersten, welcher die Neuerungen der nachchopinschen Epoche in sich aufnahm
und einer Weiterentwicklung fahig war, trat in Polen Juliusz Zarebski (1854 — 85) mit seinen
brillanten Klavierkompositionen hervor, Ein Schiller von Dachs in Wien und von Liszt,
hat sich Zarebski im allgemeinen dem Chopin-Lisztschen Klavierstil anzupassen gewufit und,
ein wenig an Alkan erinnernd, betrat er schon die Wege des Impressionisrnus. Eine feine
Intelligenz und der Wille, sich in erneuerten Formen und mit frischen Mitteln auszudrucken,
ist aus seinen 33 Klavierwerken und einern Klavierquintett herauszufiihlen. Auf dem Felde
der Liedkomposition war gleichzeitig Eugenjusz Pankiewicz (1857—1898) eine vielver-
sprechende Erscheinung; er schrieb iiber 40 Lieder und Chorkompositionen.
In Ignacy Jan Pader^wski (geb, 1860 in Kurylowka) erbliihte der polnischen Musik der
Zeit nach Chopin und Moniuszko die prachtigste Personlichkeit. Seinem uberwaltigenden
reproduktiven Genius stellte Paderewski ein den hohen Kunstzielen zustrebendes Schaffen
an die Seite. Er bewaltigt meisterhaft die groBen Formen und wendet sich mit Vorliebe
der Klavierfuge zu. Seine Klaviervariationen (op. 10, 14, 23), die grofiangelegte Klavier-
sonate op. 21 » Klavierkonzert und Klavierfantasie mit Orchester sowie die Symphonic in
H-Moll ,,Polskau G,Polen") bergen viele pathetische Ideen in sich. Eine einzige Opernprobe
Paderewskis, ,,Manru" (der Inhalt entnommen einem Roman von Kraszewski), kann man
nicht zu seinen gelungensten Kompositionen zahlen. Er errang als Pianist Weltruf ; mit dem
Ausbruch des, Weltkrieges unterbrach er seine Virtuosenlaufbahn und stellte sich in den poli-
tischen Dienst seines Volkes: 1919 ward er Ministerprasident der polnischen Republik. Zwei
andere vortreffliche polnische Pianisten: Zygmunt Stojowski (geb, 1869) und Henryk
Melcer (1869--1928), haben sich einen sehr respektablen Platz in der neueren polnischen
Musik gesichert, der erste mittels eines Klavierkonzerts Fis-IVIoll, einer breitangelegten Sym
phonic (D-Moll) und vieler Salonstiicke, der zweite durch zwei grofie Klavierkonzerte und
eine in moderner Faktur gesetzte Oper nMarja" (eine von den zahlreichen polnischen Opern»
73 H,d. M.
1148
Moderne: Poien
welche sich auf die romantische Dichtung von Antoni Malczewski ,,Marja ' stiitzen). Eme
Violinsonate und einige Lieder (auch zu Dehmels Texten) liefien Melcer in der Zeit ihrer
Abfassung und ihres Erscheinens (1907-10) zu der modernsten Richtung beirechnen. Von
den Komponisten, welche zu derselben Generation gehoren, mogen noch folgende genannt
werden: FelicjanSzopski (geb. 1865), welcher in einerOper ,,Lilje" (1917, Stoff entnommen
einer Ballade von Mickiewicz) im Wagnerschen Stil und einigen spateren Liedern in nova-
torischer Manier die Proben seines — leider epigonenhaften — Talentes ablegte; Franciszek
Brzeziriski (1867), ein meistens in kontrapunktischen Formen sich auslebender, ernsthafter,
obwohl auch zu musikalischen Spafien geneigter Komponist von gediegenen Klavier- und
Kammerwerken (Suite polonaise op. 4, Triptique op . 5, eine Violinsonate us w.) ; Emil M i y n a r s k i
(geb. 1870), ein ausgezeichneter Dirigent, zeitweise Direktor des Staatskonservatoriums und der
-Oper in Warschau, hat in einem Violinkonzert, einer rnonumentalen Symphonic op. 1 4 mit einem
patriotisch-allegorischen Programm und einer lyrischen Oper ,,Eine Sommernacht" (Warschau
1923) groBe technische Gewandtheit und ernste Begabung zum Vorschein gebracht; Henryk
Opienski (geb. 1870), welcher neben seinen zahlreichen musikwissenschaftlichen Publika-
tionen mit zwei symphonischen Dichtungen und zwei Opern (Marja, 1924, und Jakob der
Lautenist, 1927) sowie mit einigen gelungenen Liedern hervorgetreten ist und sich im Opern-
und Konzertleben zu erhalten wuBte. Eine hervorragende Stellung in dieser Gruppe fallt
dem im Jahre 1873 geborenen Witold Maliszewski zu. Seine vier Symphonien und einige
meisterhafte Kammerwerke sowie die Ballettoper ,,Sirene" (1928) lassen eine aufierst sichere
Hand und eine edle Erfindung (in klassizistischer Richtung mit Wagnerschen Nachklangen)
erkennen. Tadeusz Joteyko (geb. 1872) hat als Komponist von zwei historischen Opern
(Zygmunt August, 1925, und Hedwig, 1928) einen Massenerfolg errungen, vermochte aber
mit seinen anderen Werken kein besonderes Interesse zu erwecken. Als ein Komponist,
dessen Schaffen hauptsachlich auf Massenwirkung berechnet zu sein scheint, will Feliks
Nowowiejski (geb. 1877) betrachtet werden. Von seinen Orator Jen und Opern mufi man
in erster Linie das Oratorium: Quo vadis? (1907) und die Oper: ,,Baltische Legende" (1924)
nennen. Ungemein feiner in seinen Opern: ,,Megae"(1912) und ,,Wyzwolony" (1928), einem
Ballett ,,Lalita" (1924) sowie symphonischen Dichtungen und Kammerwerken ist Adam
Wieniawski (geb. 1879), welcher auch einige anspruchsvolle Lieder geschaffen hat. Juljusz
Wertheim (geb. I860, gest. 1928 am Dirigentenpult wahrend der Auffuhrung des Meister-
singervorspiels in der Warschauer Philharmonic) huldigte der klassizistischen Richtung (viele
Lieder, Klavier- und Kammerwerke, auch Orchestersachen). Sehr fortschrittlich war da~
gegen Gregor Fitelberg (geb. 1879) veranlagt, und nachdem er sich friih in einigen preis-
gekronten Kammerwerken erprobte, hat er die kompositorische Tatigkeit zugunsten seiner
machtigen Dirigierkunst fast ganzlich vernachlassigt. In seinen Liedern und einer symphoni
schen Dichtung ,,Das Lied von dem Falken", op. 18, hat sich Fitelberg den aufiersten Grenzen
der Chromatik und der Dissonanzharmonik genahert.
Einige polnische Komponisten, welche in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts hervor
getreten sind (hauptsachlich aus dem Warschauer Konservatorium hervorgegangen) und spater
eine Gesellschaft zur Herausgabe ihrer Werke bildeten, erhielten gemeinsam den Namen:
Musikalisches Jung-Polen. Zu dieser Gruppe wurden gezahlt: Mieczyslaw Karlowicz,
Karol Szymanowski, Ludomir Rozycki, Apolinary Szeluta und Fitelberg. In Mie*
Moderne : Polen ] ) 49
czyslaw Karlowicz (geb. 1876, gest. 1909 in einer Schneelawine im Tatragebirge) erbliihte
der polnischen Musik das erste symphonische Talent in hoherem Stil. Unter starkem Einflufi
von Liszt und noch mehr von Richard StrauB entwickelte sich Karlowicz zu einem modernen
Symphoniker programmatischer Richtung, indem er der von den Schopfern der symphonischen
Dichtung ererbten Form seinen ihn verzehrenden Weltschmerz, seine slavische Melancholic
und seine Sehnsucht nach dem All und dem Ewigen einordnete. Rein technisch genommen,
ging Karlowicz nicht iiber Straufi hinaus (ausgenommen die vielfache Teilung der Geigen-
chore in ,,Stanislaw i Anna OswiQcimowie") und hatte in seinen Themen manche Anklange,
ebenso an den Komponisten der symphonischen Dichtungen ,,Don Juan" und ,,Zara-
thustra", wie auch an Wagner. Seinem starken Willen, nur monumentale Tongebilde zu
schaffen, entsprach nicht immer die Potenz seines Talents, er vermochte aber immer in seinen
symphonischen Dichtungen den gewahlten Grundgedanken und die ihm passende Stimmung
wiederzugeben und sich in der Ausarbeitung der Details interessant zu zeigen. Karfowicz'
Hauptwerke sind die folgenden: Symphonic op. 7 (Renaissance), ,,Wiederkehrende Wellen"
(symph. Dichtung op. 9), ,,3 Urewige Lieder" (,,Ewige Sehnsucht", ,,Liebe und Tod",
,,Allsein"; symph. Dichtung op. 10), ,,Litauische Rhapsodic", op. 11, ,,Eine traurige
Mare", op. 12, ,,Stanislaw i Anna OswiQcimowie", op. 13, und ,,Ein Drama auf dem
Maskenball**. Die letzte von diesen Dichtungen hat Karlowicz nicht zuEnde instrumentieren
konnen.
Mit der programmatischen symphonischen Dichtung begann seine kompositorische Lauf-
bahn auch Ludomir Rozycki (geb. 1883). Seine jugendlichen Werke, wie: ,,Stanczyk",
,,Pan Twardowski" und ,,Bolesiaw der Kiihne", hatten mehr Charakter, starker ausgepragte
Thematik und mehr Leben im Rhythmus, als die spateren, der mystisch gestimmte ,,Anhelli"
(nach Slowacki), oder der in Liebe vcrgehende ,,Konig Kofetua" (nach J. Zeyer), ,,War~
szawianka" und ,,Monna Lisa", Rasch hat er sich als Dramatiker entwickelt. 1909trat er mit
dem Musikdrama ,,Boleslaw der Kiihne" hervor, Im Jahre 1913 folgte ,,Meduza" (Lionardo
da Vinci als Held) und 1916 ,,Eros und Psyche" (die Dichtung nach Jerzy Zulawski's gleich-
namigem Drama), die, von Breslau ausgehend, auf vielen deutschen und polnischen Btihnen
mit groftem Erfolg gegeben wurde. Es folgte dann eine komische Oper ,,Casanova" 1923 und
zuletzt eine tragische ,»Beatrix Cenci" 1927, beide in Warschau, sowie ein Ballett ,,Pan Twar
dowski" 1921 , welches auf der Btihne des Warschauer grofien Theaters iiber 300 Auffuhrungen
erreichte. Rozycki hat ein stark entwickeltes Biihnengefuhl und weifi sehr treffend alle Elemente
des rnusikalischen Ausdrucks den dramatischen Vorgangen (in plastischer und psychologischer
Perspektive) anzupassen. Seine Motive und Themen, in ihrer rhythmischen, melodischen,
harrnonischen und koloristischen Behandlung gehen direkt von der szenischen Situation aus.
In den zahlrdchen Klavierstticken, Liedern, Kammermusikwerken Rozyckis iiberwiegen ton-
inalerische Elemente iiber alien anderen Faktoren, doch es mufi bemerkt werden, dafi ihre
melodischen Konturen von einer reichen und sicheren ErHndung Zeugnis ablegen,
Eine Gruppe von gemaBigter fortschrittlicher Tendenz, welche auch Rozyckis Schaffen
immer kennzeichnete, bilden folgende Komponisten, die derselben Altersklasse wie er mit-
angehoren: Piotr Rytel (geb. 1884) betrat auf dem Gebiete der symphonischen Dichtung den
sicheren Weg der Liszt ^Wagnerschen Orchesterkunst, um nach einer Reihe von Werken
dieser Gattung (Grazyna, Korsarz, Dantes Traum, Der heilige Hain, St. Georg) auf das Feld
73*
t 15Q Moderne: Polen
der Oper iiberzugehen (Ijola). Michal Rogowski (geb. 1881) trachtet immer seine Werke
durch aparte Klangwirkungen und orientalische Motive interessant zu machen. Er hat eine
Oper ,,Tamara", ein Ballett, einige Lieder und kurze impressionistische Orchestersatze ge-
schrieben. Wahrend Bronislaw Szulc (geb. 1881) und Wlodzimierz Kenig (1883) als ge-
wandte symphonische Dirigenten sich mehr. der Orchesterkomposition widmen, hat den
eminenten Krakauer Chorleiter Boleslaw Wallek-Walewski (geb. 1885) seine diesbeziigliche
Tatigkeit in erster Reihe zum Chorkomponisten gestempelt. Walewskis groBe A-cappella-
Chorwerke (einige andere mit Begleitung von solistischen Instrumenten, der charakteristischen
Wirkung zuliebe benutzt) zeichnen sich durch originelle Technik und Jmpressionistische Ziige
aus. Als Dramatiker hat Walewski zwei interessante Werke zu eigenen Texten geschaffen,
namlich ,,Das Verhangnis" (1919) und ,Jonteks Rache" (1927,- eine dramatische Konsequenz
der Halka von Moniuszko). Die weltbekannten Klaviervirtuosen Ignacy Friedmann
(geb. 1881) und Raul Koczalski (geb. 1885) huldigen vor allem dem virtuosenhaften Klavier-
stil, Koczalski hat aber auch als Oratorien- und Opernkomponist (,,Rymond" 1902 und ,,Die
Siihne" 1909) auf sich die Aufmerksamkeit zu lenken gesucht. Stanislaw Lipski (geb. 1880),
ebenfalls vom Klavier ausgehend, ist ein beliebter Liederkomponist geworden.
Alle andern iiberragend, erhebt sich in der heutigen polnischen Musik die kompositorische
Personlichkeit von Karol Szymanowski (geb. 1883). Er begann, ganz instinktiv, als ein
feiner Klavierdichter mit kleinen Formen (op. 1,9 Praludien) und zeigte eine Geistesvcrwandt-
schaft mit Chopin, bald aber (nach einer episodischen Anlehnung an Scrjabin) erwies er sich
als eine starke konstruktive Kraft und als ein Meister imitatorischer Technik. Szymanowskis
tondichterische Natur umfafit die lyrischen Regungen des menschlichen Wesens von den
tiefsten Abgriinden der Seele bis zu den gliickseligsten Hohen einer erhabenen Entziickung.
Er ist unvergleichlich originell und fein in seinen vielen Liedern (vor allem op. 13, dann ,,Bimte
Lieder**, op. 22, ,,Des Hafis Liebeslieder", op. 24, ,,Lieder des verliebten Muezzin", op. 42).
Seine zweite Klaviersonate A-Dur, op. 21, und seine zweite Symphonic B-Dur, op. 19 (beide
Werke mit Variationenzyklen den 2. und 3. Satz vertretend und mit prachtigen Endfugen) und
die Violinromanze, op. 23, gehoren wohlzum Besten, was die moderne absolute Musik zu verzeich-
nen hat. Als Opernkomponist ist Szymanowski in der 1912 entstandenen ,,Hagith" (Text von
Felix Dormann) Straufischen Beispielen (,,Elektra") gefolgt. Im Vollbesitz aller musikalischen
Mittel verfeinerte Szymanowski ununterbrochen seine Ausdrucksweise bis zu dem Subtilsten
und Raffiniertesten. Schon ein frillies Orchesterlied, ,,Penthesilea", und die 12 Lieder op. 17
lassen die spatere Entwicklung Szymanowskis als Harmoniker ahnen. Nach op. 24 verlieB
Szymanowski immer mehr den Boden der tonalen Harmonie und djiickt sich heute mehr-
fach in atonaler Weise, oft ohne konsonierende Harmonieen und mit Hilfe von radikalster
Heterophonie aus. Dabei bleibt er treu den strengen Formprinzipien und in imitatorischer
Beziehung bietet er kuhne Leistungen. Die Tendenz, durch koloristische Phanomene
auf den Horer zu wirken, hat Szymanowski zur Entdeckung ganz eigenartiger Effekte
gefiihrt. Von diesem Standpunkt betrachtet, sind die 3 Violinstiicke ,,Mythes", op. 30
(,,La Fontaine d'Arethuse", ,,Narcisse", ,,Dryades et Pan") eine hochst bemerkenswerte
Erscheinung. Den Gipfel seines bisherigen Schaffens darf man in dem Violinkonzert op. 35,
einem Werke, welches auf einer poetischen Basis gebaut (ein phantastisches Gedicht von
Tadeusz Micinski: Friihlingsnacht), die hochsten Errungenschaften von Szymanowskis In-
Moderne : Polen j j 5 j
strumentaltechnik in sich schliefit, sehen. Das Konzert folgte der dritten Symphonic op. 27
mit einem Tenorsolo und Endchor zu den Worten einer Poesie von Mevlana Djelaleddin Rumi.
Nach einem Zyklus von hochst originellen Klavierwerken (zwolf Etiiden op. 32, Masques
op. 34 und einer dritten Sonate op. 36) hat Szymanowski seine zweite Oper ,,Konig Roger"
geschaffen. Dem Werke, zu Jaroslaw Iwaszkiewicz' gemeinsam mit dem Komponisten ge~
schriebenen, die dionysische Ideologic darstellenden Texte mufi in der Reihe der zeit-
genossischen Opern eine Ausnahmestellung gewahrt werden, ebenso wegen seiner erhabenen
poetischen Anlage, wie auch wegen des hohen Fluges der Inspiration, welche aus Elementen
der antiken Musik, des altgriechischen Kirchengesanges, aus orientalischen Motiven und
einer fiirwahr dionysischen Entziickung ein unvergleichliches Ganzes gebildet hat. Auf dem
Gebiete der religiosen Musik hat Szymanowski ein wundersames ,,Stabat Mater" op. 53 seinen
religiosen Liedern und seinen beiden Opern an die Seite gestellt. Die grofie Zahl seiner Werke,
deren Verschiedenheit der Formen und die hohe Meisterschaft der Klangmittel haben Szyma
nowski zur fiihrenden Personlichkeit in der heutigen polnischen Musik und zu einem der
originellsten Komponisten der Welt gemacht.
Ein reges Schaffen herrscht in der Gruppe der jiingeren und jiingsten polnischen Kompo
nisten, woraus auf eine schone Zukunft der polnischen Musik gerechnet werden darf. Dieser
Gruppe schlieBt sich Lucjan Kamieriski (geb. 1885) mit seinen vielen Liedern, Kammer-
musikwerken und einer nesigen Symphonic mit Soli und Chb'ren an. Adam Soltys (Sohn
von Mieczyslaw, geb. 1890) und Kazimierz Sikorski (1892) liefien sich als feinfiihlende
Symphoniker schatzen. Unter Tadeusz Jareckis (geb. 1889) zahlreichen Orchester- und
Kammerwerken zeichnet sich vor allem das meisterhafte Streichquartett op. 16 aus. Seine
Musik gehort der fortschrittlichsten Richtung an. Sehr progressiv in seinen Kompositionen
ist Czeslaw Marek (geb. 1891), welcher mit seiner ungemein edlen Orchestersuite und der
,,Sinfonia brevis" ein groBes Interesse erweckt hat. Marek tritt vor die Dffentlichkeit nur mit
wahrhaft vollwertigen Werken. Aleksander Tans man (geb. 1895) produziert mit einem
unerhorten Temperament viele Werke in alien Formen und Gattungen. Er kann als ein
polnisches Pendant zu Darius Milhaud betrachtet werden. Mehr konservativ ist Witold
Friemann (geb. 1889) in seinen zahlreichen, auBerst feinen Liedern. In Karol Rathaus
(geb. 1895) vielen Instrumental-, Chor- und Biihnenwerken hat die zeitgenossische Musik
Werke von dauerndem Werte erhalten. Auch an einzelnen Werken gernessen stellen 'sich
die schopferischen Moglichkeiten einer Reihe von jiingeren polnischen Komponisten wie
Stanislaw Wiechowicz (Chorwerke grofierer Dimensionen), Jerzy Fitelberg (Sohn von
Gregor Fitelberg, eine Orchestersuite, ein Streichquartett und eine Rhapsodic fur vier Klaviere),
Pawel: Klecki (Klavierkompositionen), Jerzy Lefeld (ein Streichsextett), Piotr Pcrkowski
(ein Ballett), Michal Kondracki (eine Orchesterpartita) und Jan Adam Maklakiewicz
(ein Klavierkonzert mit Sopransolo), sehr giinstig vor.
Literatur
Jachimecki, Zd.: Historja muzyki polskiej. Krakau. Gebethner i Wolff . 1920. — Derselbe: Polish music.
,,The Musical Quarterly". New York-Boston 1920. — Derselbe: Karol Szymanowski. ,,The Musical
Quarterly." 1922. — Derselbe: Karol Szymanowski rys dolychczasowej tworczosci. Krakau 1927. —
— Opienski, H.: La musique polonaise. Paris 1918 und 1929. — Muzyka Polska: Eine Sammel-
monographie. Muzyka Warschau 1927. Red. Mateusz Gliriski, ZdzislaW Jachimecki
] ]52 Moderne: Letten
LETTEN
Das historische Schicksal des slawischen Volksstammes der Letten war in seiner Ver-
gangenheit nicht nur politisch, sondern auch kulturell eng mit dem seines baltischen Nachbar-
volkes der Esten verbunden: einerseits die eine freie Entwicklung des Volkes behindernde
Leibeigenschaft unter der Vorherrschaft einer deutschen Minoritat des Landes, andrerseits
die dadurch vollzogene Vermittlung deutschen Kulturgutes in jenen ehemaligen russischen
Ostseeprovinzen.
Insbesondere Riga als ein Zentrum deutsch-baltischen Geisteslebens war in den ver-
flossenen Jahrhunderten Hort einer hochstehenden Musikpflege.
Eine eigene deutsch-baltische Musikgeschichte liefie sich seit der Reformation verfolgen.
Riga erhielt bereits 1530 ein eigenes Gesangbuch. Die geistliche Musik wurde besonders
gepflegt, so dafi man versucht ware, von einer Hochbliite evangelischer Kirchenmusik des
1 7. Jahrhunderts im Baltikum zu reden. Die Kantoreien, die engste Heranziehung der Stadt-
musikanten zu den Gottesdiensten, die zahllosen Erwahnungen von geistlichen Musiken und
kirchlichen Gelegenheitskompositionen in jener Zeit wiirden dazu berechtigen. Die Chorale
des li viand ischen Landrates Gustav v. Mengden (1627—88) sindwohl eines der interessan-
testen erhaltenen Denkmaler baltischer geistlicher Tonkunst aus jener Zeit, wahrend sonst
das meiste leider verlorengegangen ist — so z. B. die nachweisbar in Riga geschriebenen und
aufgefiihrten Werke hervorragender deutscher Meister ihrer Zeit, wie Joh. Val. Meder (1649
bis 1719; Domorganist zu Riga), Joh. Gottfr. Miithel (1728—90; Organist zu St.Petri),
des jungen G. Mich.Telemann (1748—1831; Domorganist und Musikdirektor der Stadt
Riga) u. a., die alle im Baltikum Asyl und fruchtbares Wirkungsfeld fiir ihr Schaffen fanden.
Nicht zuletzt sei auch noch die Oper am Hofe der Herzoge von Kurland erwahnt, ganz ab-
gesehen von manchem weiteren musikhistorisch interessanten und zum grofien Teil noch
nicht erforschten Material im alten Baltikum. Im 19. Jahrhundert sehen wir eine ganze Reihe
baltischer Musiker in Deutschland wirken, wie auch heute noch unter den fiihrenden deutschen
Komponisten, ausiibenden Kiinstlern und Musikwissenschaftlern sich einige gebiirtige Balten
finden als letzte Reprasentanten ihres durch die Umwalzungen verflossener Dezennien sozial
entwurzelten Volksstammes.
Das Erbe einer grofien kulturhistorischen Vergangenheit iibernehmen nun in durchaus
vielversprechender Weise die Letten, die sich in der zweiten Halfte des 1 9. Jahrhunderts
lebhaft zu regen begannen. Auffallend ist vor allem die kunstlerische Begabung, die geistige
AgiIJtat und Anpassungsfahigkeit dieses Volkes. Bereits die Volkslieder der Letten, die
,,Dainas", zeigen den Typus des hochentwickelten neueren europaischen Volksliedes, wobei
trotz mancher deutscher und russischer Einfliisse sich melodische Eigenarten erhalten haben.
Die in ihren Anfangen von den baltischen geistlichen Kreisen auf dem flachen Lande an-
geregte Gesangbewegung kommt auch auf dem siidlichen lettischen Territorium in einer
Reihe allgemeiner lettischer Gesangfeste zu einer gewissen Bliite, ohne allerdings jene unv
fassend tiefe Bedeutung fur die kulturelle Entwicklung des Volkes zu f inden, wie es bei den
nordischen Nachbarn, den Esten (s. dort), der Fall war.
Das Lehrerseminar zu Walk, eigentlich ein ,,Musikseminar" zur Ausbildung landlicher
Organisten und gleichzeitig Schulmeister, wurde dank seinem Leiter J. Zimse, der als erster
Moderne: Letten
bei den Zoglingen ein Interesse fiir die Lieder des Volkes weckte, zum Ausgangspunkt einer
volkischen Musikbewegung.
Der alteste lettische Komponisl nationaler Richtung ist Andrejs Jurjans (1856—1922;
Symph. Dichtung, Volkstanze, Marsche, Kantaten, diverse Instrumentalwerke, Lieder und
Chore), der allerdings bis zum Weltkriege in Charkow wirkte, fiir die Heimat aber vor allem als
einer der ersten Verarbeiter lettischer Volksmotive bedeutsam wurde. Er ist der alteste und
begabteste von vier Briidern, die sich alle um die lettische Musikentwfcklung Verdienste
erwarben. Der eine Bruder Juris arbeitete anfangs ebenfalls in Charkow, kehrte aber schon
friiher in die Heimat zuriick und bemiihte sich hier eifrig um die Belebung des lettischen
Konzertwesens. Von altesten Musikern sind noch E. Wiegners als Musikpadagoge und
Ludw. Behtins als Klaviervirtuose zu nennen.
Der hervorragendste unter den Komponisten der alteren Generation ist Josefs Wihtols
(geb. 1863), Nestor der lettischen nationalen Tonschule, der jedoch in seinem meisterhaften
Schaffen (Symphonic, Suite, ,,Lihgo", Ouverturen, Chorwerke, Streichquartett, Klavierstiicke,
Lieder u, v.a.) weit iiber die Grenzen des eng Nationalen hinausragt. In einer Reihe von Werken
werden von ihm Volkslieder in gediegenster Weise hineingeflochten und verarbeitet; von seinen
verschiedenen Volksliederbearbeitungen seien die von ihm herausgegebenen ,,200 Volksweisen"
mit Klavierbegleitung hervorgehoben. Auch Wihtols lebte bis zum Kriege in Rufi-
land, wurde spa'ter Operndirektor in Riga und 1919 Griinder und Direktor des lett-
landischen staatlichen Konservatoriums, Em hochbegabter, interessanter Kiinstler ist
Alfred Kalnins (geb. 1879), Orgelvirtuose und Komponist mit stark nationalem Ein-
schlage. Er verfaBte Orchesterwerke (,,Latwija", ,,Meine Heimat*', ,,Heimatlied"), Chor
werke, Lieder, Klavierstucke, Buhnenrnusiken u. a. Als altere Komponisten wa'ren noch zu
nennen Emils DarzinK, Jazeps Me dins und Emils Melngails, der gleichzeitig als
Volksliedforscher arbeitet.
Aus der jiingeren Musikcrgeneration ragt als starkstes Talent Janis Medims (geb.
1890) hervor, einer der moderngcrichtetsten und vielversprechendsten lettischen Ton-
kunstler. In der Komposition Autodidakt , schrieb er bisher eine Symphonie, die sym-
phonische Dichtung ,,Imanta", eine Suite in altem Stil, Kantate, Cellokonzert, Klavier
stucke, Lieder u. a,
Das Gebiet der drarnatischen Musik wird bei den Letten besonders liebevoll gcpflegt. Die
erste lettische Oper ,,Spoku stunda" von S. Ozols kam 1893 in Riga heraus. Eine Oper
,,Rozainas dienas'* von E. Damns blieb unbeondet. Der Orgelvirtuose und Komponist
Adam Ore schrieb seine Vokalwerke (u. a. die Oper ,,Gunda") noch uber dcuUche Tcxtc.
In den letzten Vorkriegsjahrcn kam es zu einer Reihe von Opernauffiihrungen im Lettischen
Verein zu Riga auf Initiative des Dirigenten Pawuls Jurjans, der auch die Organisation lettischer
Symphoniekonzerte betricb und nebcn zahlrelchen musikpadagogischen Lehrbiichcrn selbst
eine lyrische Oper ,,S^hrdeenite*' und eine ,,Dramatische Ouvcrture" verfalite, Wiihrend cles
Krieges wurde 7-ur Griindung einer lettischen Operngesellschaft geschritten, Heute ist die
daraus entstandene Nationaloper in Riga ein Kunstinstitut ersten Ranges, als deren hervor-
ragende Dirigenten Theodor Reiters und jungst Kmil Cooper zu nennen sind. Seit der staal-
lichen Selbstandigkcit sind in Riga folgende bcachtcnswerte Opernwerke zur Auffiihrung ge-
kommen: ,,BanjuU" (1920) und ,,Salinickit4 (Die Insulaner; 1925) von Alfred Kalninw; die
1154
Moderne: Litauer
Oper ,,Uguns un nakts" (Feuer und Nacht; 1921), ,,Dievi un cilveki" (Cotter und Menschen;
1922) und ,,Spriditis" (Daumling; 1925) von Jlnis Medins; zur 10. Jahresfeier der Republik
1927 ,,Waideloteu (Die Vestalin) von Jazeps Medins.
Literatur.
Busch, Nik.: Zur Geschichte des Rigaer Musiklebens im 1 7. Jahrhundert (Sitzungsber. d. Ges. f. Gesch. u.
Altertumskunde a. d. J. 1910), Riga 1911.— Falck, Paul Th.: Zur Geschichte der Musik im Baltenlande, Bait.
Monatsschrift Bd. 73, 1911, und Das Kirchenlied im Baltenlande, ebd. Bd. 74, 1912. — Perl, C. J.: Drei
Musiker des 17. Jahrhunderts in Riga, Zeitschr. f. Musikwiss. I. 12, 1919. — Rudolph, Moritz: Rigaer
Theater- und Tonkiinstler-Lexikon, Riga 1890.
Straumes, Jahnis: Muhsu musikas mahksleneeki, Monografiski apraksti (Unsere Musik-Kiinstler, Mono-
graphische Deskriptionen), Riga 1922. Elmar Arro.
LITAUER
Grundlagen der neueren nationalen Tonschulen sind die uralten Lieder des Volkes. Die
litauischen Volkslieder enthalten manches Charakteristische und Eigenartige fiir das Ohr eines
Fremden, ohne daft jedoch diese Eigenart analytisch leicht feststellbar ist. Der Umfang der
Lieder ist verschieden, iibersteigt aber selten eine Oktave. Die Tonalitat der Melodien lafit
sich nicht ohne weiteres in unser Dur und Moll einfassen, am ehesten lieBe sich hier noch das
griechische Tonsystem zugrunde legen, wobei wohl am haufigsten das Hypodorische und
Aolische anzutreffen ware. Dazwischen treten immer wieder unerwartet und iiberraschend
Halbtonfolgen auf. Besonders wechselvoll ist die Rhythmik der Gesange. Die oft nach dem
Prinzip der unendlichen Melodic litaneiartig gegliederten Strophenfolgen (indem der Schlufi-
ton einer melodischen Phrase durch eine dominantische Wendung wieder zum Anfangston
zuriickleitet) werden in ihrer daraus resultierenden Einformigkeit durch standiges, oft auch
textlich bedingtes rhythmisches Variieren gemildert. Dieses, wie ebenfalls eine oft in Er-
scheinung tretende psalmodierende Deklamationsweise (im Charakter jener gewissen, als
typisch slawisch gekennzeichneten monotonen Schwermut) diirften wohl phylogenetisch als
Uberreste alterer, primitiverer Entwicklungsstufen anzusehen sein. Obwohl in jiingeren Zeiten
die Terzenbegleitung durch eine zweite Stimme sehr beliebt wurde, ist das litauische Volks-
lied (jedenfalls bis in das 18. Jahrhundert) einstimmig gewesen. Zur Begleitung des Gesanges
findet sich auch hier als ,,kankles" das bei den Nachbarvolkern am siidlichen Ostseestrand
beliebte Psalterium im Kantele-Typ vor (bei den Letten ,,Kohkleu)- Das 16. und 17. Jahr
hundert ist als die Bliitezeit der wandernden Volkssanger und Kanklesspielcr anzusehen, die
die Volkslieder, die sog. ,,dainos", miindlich iiberlieferten. Zahlreiche Dainen sind aber auch
in Niederschriften aus jenen alteren Zeiten (u. a. in verschiedenen Kodizes) erhalten.
Von Volksinstrumenten finden sich bei den Litauern neben der in zwei Formen, einer
grofieren darmsaitigen und einer kleineren drahtsaitigen, vertretenen Kankles noch eine Reihe
von Blasinstrumenten vor: eine Trompete .jtrimitas*' (als ehemaliges Kriegsinstrument), ein
Horn ,,ragas" und eine Pfeife ,,birbyne<4 (beides angeblich noch Altarinstrumente aus dem
heidnischen Zeitalter), eine Querflb'te ,,skudutis", eine Langflote aus Rohr ,,skurduczei'\ eine
Moderne : Litauer | ] 55
Pansflote aus 12 Holzpfeifen ,,skaudumas", schlieBlich als ein Streichinstrument vom Rebec-
Typus das ,,birbininke".
Infolge der zur Zeit der Russenherrschaft so spat erfolgten Befreiung des Volkes von der
Leibeigenschaft beginnt ein volkisch-kultureller Aufstieg im Lande erst in den 80 er Jahren
des vorigen Jahrhunderts, so dafi die Litauer unter alien ihren Nachbarvolkern am spatesten
zu einer nationalen Kunstmusikpflege gelangen. In den Anfangen derselben tritt vor allem
ein starkes Interesse an geistlicher Musik in Erscheinung. Als Vorlaufer hierzu konnen in
alterer Zeit die in Litauen gedruckten lutherischen Chorale imd die Kirchenlieder des 1 7. Jahr
hunderts angesehen werden. Kalvaitis (Organist an der Kathedrale zu Kowno) schreibt
1886 die erste litauische Messe, J.Starka um die Jahrhundertwende eine feierliche Messe.
Ein Nachfolger des ersteren an der gleichen Kirche, Juozas Naujalis (geb. 1869; studierte
u. a. an der kirchenmusikalischen Hochschule zu Regensburg), verfafite einige weitere Messen
(Casimir-Messe, Messe der Jungfrau Maria, Missa solemnis), ein Requiem, Canti sacri,
Kirchenhymne, und gab u. a. auch ,,Dainos" und Orgelwerke heraus; gleichzeitig griindete
er eine Organistenschule (die nach der Reichsbegriindung zur staatlichen Musikschule wurde)
und setzte sich fur die Einfuhrung des gregorianischen Kirchengesanges in Litauen ein. Der
ihm an Bedeutung gleichstehende Theodor Brazys (geb. 1870, Organist und Priester,
studierte noch ab 1905 zu Regensburg, 1907—17 Chorleiter an der Kathedrale zu Wilna),
ebenfalls ein Reformator des gregorianischen Gesanges in Litauen, schrieb zahlreiche Kirchen-
musiken, wie z. B. einige Messen, Responsorien, Vespern, Kantaten, ein Tedeum, Comple-
torium usw. und gab eine Liedersammlung, ein Gesangslehrbuch und eine ,,Musiktheorie" heraus.
An Choralsammlungen erschienEnde des vorigen Jahrhunderts die noch unter star kem deutschen
Einflufi stehende des Ereminas; eine Sammlung von Choralen ,,Litauische Klange'* veroffent-
lichte im Jahre 1922 A. Kacanauskas, der auch Chore, Lieder und Klavierstiicke verfafite.
In zweiter Linie zeigt sich fur die Vokalmusik, speziell natiirlich fur die heimatlichen Dainen,
ein starkes Interesse der schaf fenden Kiinstler. Gegen Ende des 1 9. Jahrhunderts erschien
etwa ein halbes Hundert von V. Kudirka als Mannerchore herausgegebener Dainen (dar-
unter die jetzige Staatshymne). Kurz darauf fanden eine Reihe anonym verfafiter gemischter
Chorlieder weite VerbreHtung. Auch der fur die litauische Musik bedeutsame und hoch*
verdienstvolle Naujalis veroffentlichte Chorlieder und griindete in Kowno einen Chor, mit
dem er unter dem Druck der politischen Verhaltnisse im geheimen iiben muBte. In Amerika,
unter den litauischen Auswanderern, wirkte Miskas Petrauskas fiir die Chorpropaganda :
er ist ein vielgedruckter Komponist (auch einiger Operetten), sein Bruder Kipras ist ein
bekannter Opernsanger der ehemaligen russischen Hofoper, Mitbegriinder der litauischen
staatlichen Oper im Jahre 1921. Auf dem Gebiete des Vokalschaffens liegt auch die Haupt-
bedeutung des hochtalentvollen Stasys Simkus (geb. 1887, Schiller Naujalis und der Kon-
servatorien zu Wilna, Warschau und Petersburg): er hat ca. 1000 Volkslieder gesammelt, war
wahrend des Krieges in Amerika, wo er eine litauische Musikzeitschrift ,TMuzika" herausgab,
und komponierte zahlreiche Chore und Lieder, eine Klaviersonate, Klaviertrio, Streich-
quartett und die Opern »,Die Zigeuner" und ,,Der Auswanderer". Juozas Talat-Kelpna
(geb. 1 888 ; Organist, spater noch Schiiler am Petersburger Konservatorium und an der Berliner
Hochschule, dann Direktor der Musikschule und Opernchef zu Kowno) ist hauptsachlich
als Volksliederbearbeiter zu werten, gab auch eigene Lieder und Chore heraus und schrieb
I 1 56 Moderne : Tschechoslowaken
eine Orchestersuite und eine Biihnenmusik. Als Vokalkomponisten sind des weiteren zu
nennen: Ceslovas Sasnauskas (u.a. dieKantate ,,Broliai"), Juozas 2ilevicius (Chore; auch
als Musikschriftsteller tatig, unterhalt ein 1923 gegriindetes Symphonieorchester), J. Guda-
vicius (Chore und Lieder) und schliefilich J. Gruodis (Chore und Klavierwerke), der als
einziger der litauischen Musiker neben der Verarbeitung von Volksmotiven modernistischen
Tendenzen huldigt. Als Instrumentalkomponist wirkte Ciurlionis, dessen Symphonien
und Klavierwerke leider Manuskript blieben.
Literatur
In deiitscher Sprache erschienene und benutzte Literatur: Gerhard, C.: Die Volkspoesie der Litauer, Neue
Musikzeitung 1893, Nr. 2 — 3. — Sachs, Curt: Die litauischen Musikinstrumente, Intern. Arch. f. Ethno
graphic 1916. — Einstein, Alfred: Das Neue Musiklexikon, 1926. — Greiser, Wolfgang: Litauische Musik,
Musik XXI, 5, 1929. Elmar Arro.
TSCHECHOSLOWAKEN
BC)HMEN. Der Schopfer der modernen tschechischen Musik ist Friedrich (Bedrich) Sme-
tana (1824 — 84). Seine Grofie liegt in der Erreichung der Hohe seiner Bestrebungen
und in der Harmonic seiner Fahigkeiten. Sein Hauptlebenswerk bildet allerdings seine Kompo-
nistentatigkeit, jedoch gesellten sich dazu noch weitere: seine Dirigenten- und seine literarische
und virtuose Betatigung. Smetana hat durch Organisierung einer Konzertbewegung in Prag
die reproduktive Kunst auf ein die strengste Kritik vertragendes Mafi gehoben. Dadurch
half er das Publikum nicht nur musikalisch, sondern auch gesellschaftlich zu erziehen. Als
Korrespondent der Zeitschrift ,,Slavoj" und als Musikreferent der ,,Narodni lisiy" fiihrte
er einen erbitterten Kampf gegen den italienischen Opernschlendrian und fur die Verwirk-
lichung des Musikdramas. Als Dirigent des Gesangvereines ,,Hlahol" hob er das Niveau auch
der iibrigen Gesangsvereinigungen in Bohmen, denen der Prager ,,HIahor als Muster diente.
In der Fremde genofi er einen klangvollen Namen als Klaviervirtuose und als Dirigent sym-
phonischer Konzerte, besonders in Goteborg. Endlich sehen wir ihn mit grofiem Erfolg am
Dirigentenpult im Prager Interimstheater tatig. Dennoch gait er in seinem Vaterlande nicht
als Prophet; man verstand ihn nicht. Seine Oper ,,Dalibor" fand eher Widerstand als Be-
geisterung, denn eine feindliche Partei (Pivoda) witterte in ihm Wagnerianismus und Deutsch-
turn. Aber Smetana ist kein Wagnerepigone, steht eher im Gegensatz zu Wagner. Smetana
reprasentiert den tschechischen Volkstypus. In seiner symphonischen Dichtung ,,Mein Vater-
land" nahert er das Heldentum der grauen Vorzeit der Gegenwart, weckt das Nationalbewufit-
sein und das Vertrauen in die Zukunft. In der Oper ,,Libuse*' ist er selbst der Prophet,
welcher dem tschechischen Volke eine glanzende Zukunft weissagt Desgleichen ist der
tschechische Humor ein spezifischer Teil von Smetanas Musik. Bohmische Polkas und boh-
mische Tanze schakern in launigen Weisen. Smetanas Humor ist verschieden von jencm
Mozarts, so in seinen komischen Opern ,,Prodana nevesta * (,,Verkaufte Braut*'), ,,HubickaA*
(,,Der Ku6"). Beide sind durchleuchtet von einer zauberhaften Lyrik und getrankt mit dem
einfachen Gesang des Volkes. In seiner Oper ,,Dve vdovy" (,,Zwei Witwen") kontrastiert
reizvoll der salonmafiige Konversationston mit dem herzlichen Tone des Landlebens und in
Moderne: Tschechoslo waken 1 157
seiner Oper ,,Tajemstvi" (,,Geheimnis") entwickelt er mit einem Hauch von Romantik alle
Qualitaten, die man schon in seinen friiheren Werken findet. Speziell mittels der Polyphonic
vermag er dem tschechischen Humor charakteristischen Ausdruck zu geben. In seiner Oper
,,Certova stena" (,,Teufelswand") weicht Smetana von der bisherigen Linie der komischen
Oper ab und fligt dem Humor parodistische Tone bei. Sein Quartett ,,Z meho zivota" (,,Aus
meinem Leben") bedeutet in seiner Stellung innerhalb der tschechischen Kammermusik
dasselbe, was die Oper ,,Libuse" auf dem Gebiete der Opernschopfung. Auch in jenen Schop-
fungen, in denen Smetana seinem Conner Liszt — ,, Richard der III.", ,,VaIdstyniiv tabor"
(,,Wallensteins Lager") und ,,Hakon Jarl" — seine Dankbarkeit zum Ausdruck bringt und
gegen sein Lebensende, da sein Talent gebrochen erscheint und er dennoch eine Oper, ,, Viola"
und eine Orchestersuite ,,Prager Karneval" (,,Prazsky Karneval") schreibt, kommt sein Genie
zum Vorschein, so auch in dem zweiten Quartette aus dem Jahre 1883, welches programm-
mafiig dem ersten angegliedert ist. Sein aufieres Schicksal, so seine Ertaubung, ahnelt dem
des groBen Beethoven. Das tschechische Volk bezeichnet Smetanas Musik als Nationaleigen-
tum und in der heimischen Musikwelt nimmt sie den ersten Rang ein.
Antonin Dvorak (1841 — 1904) hatte in der Heimat seinen ersten Erfolg erst in seinem
30. Jahr, den er durch seinen ,,Hymnus" fur gemischten Chor und Orchester errang. Als
ein Vierziger fand er grofie Anerkennung in England durch seine Oratorien und Kirchen-
kompositionen. In seinem 50.'Lebensjahr ist er der weltberiihmte Komponist und erklimmt
den hochsten Gipfel seines Ruhmes. In seinen Schopfungen verlegt Dvorak den Schwerpunkt
auf die absolute Musik, worm er sich wesentlich von Smetana unterscheidet. In der absoluten
Musik und besonders in der Symphonic und Kammermusik kniipft er an die Tradition der
Klassiker und Romantiker an und bringt einen nationalen Einschlag in ihre Formen. Ins-
besondere finden wir dies in seiner Symphonic ,,Z nove"ho sveta" (,,Aus der neuen Welt"),
worin er einen glanzenden Reichtum von rhythmischen und orchestralen Kunstmitteln zur
Schau stellt Als Symphonien im kleinen Mafie erscheinen seine ,,Suite" im Tanzrhythmus
und seine ,,Slovanske tance" (,,Slavische Tanze"), welche urspriinglich fur Klavier vier-
handig komponiert wurden. Es sind dies keine Paraphrasen bestimmter Volksweisen, sondern
freie Fantasien iiber Tanzmotive aus tschechischen, slovakischen, kleinrussischen und jugo-
slavischen Tanzmelodien. Als tschechischer Tanztypus kommt der ,,Furiant" zur Geltung
und dies nicht nur in den ,,Slavischen Tanzen", sondern auch in den Symphonien. Nebst
symphonischen Werken in zyklischen Formen kultiviert er die Ouvertiire in Sonatenform und im
Syrnphoniestil, letztere nicht nur als einen Opernbestandteil, sondern auch als selbstandiges
Konzertstiick. Die zurEroffnung des Nationaltheaters komponierte ,,Hussitenouvertiire" tragt
tschechisches Geprage. Hingegen sind ,,V pffrode" (,In der Natur"), MKameval", T,0thello"
Schopfungen, welche die Natur, das Leben und die Liebe zum Gegenstand haben. In der
Kammermusik folgt er den Spuren von Beethoven und Brahms. Eine Sondererscheinung ist
eine Reihe von ,,6 Dumkas" (MDumky ') fur Klavier, Violine und Cello. In der dramatischen
Musik nahert sich Dvoraks Individualitat der Neuromantik Wagners und Liszts: ,,Kr£l
a uhltf" (,,Der Kdnig und der Kohler14). ^Spater zeigt er Neigung zu den Opern von Mozart
und Lortzing. Er befleifiigt sich dabei einer Verbindung einzelner Szenen durch eine ge-
schlossene Szenenform und belebt seine Tonschopfungen durch den Geist der tschechischen
- nach dem Vorgang Smetanas: ,,§elma sedlak" (,,Der Bauer ein Schelm"). Spater
] ] 58 Moderne : Tschechoslowaken
nahert er sich der Tradition der grofien Meyerbeerschen Oper (,,Dimitrij", ,Jakobin"), und
sucht in seinen letzten Opern den Anforderungen des modernen dramatischen Stiles zu ent-
sprechen, und zwar in den Neubearbeitungen von ,,Dimitrij" und ,,Cert a kaca" (,,Die Teufels-
kathe"), ferner in ,,Armida" und besonders in der ,,Rusalka", die seine Absichten verwirk-
lichen. In der letztgenannten Oper kommt seinen Fahigkeiten das gute Libretto von Kvapil
entgegen. Seine religiose Begeisterung brachte Dvorak auf ein von andern gemiedenes Feld,
zur Kantate und zum Oratorium : ,}Stabat Mater", ,,Sv. Ludmila", ,,Requiem", ,,Tedeum"
und die ,,Geisterbraut".
Zdenko Fibich (1850 — 1900), der dritte von den verewigten Schopfern der tschechischen
modernen Musik, ist ein Anhanger der Wagnerreform, jedoch immer bestrebt, das eigene
Geprage zu wahren. Er baut das moderne tschechische Musikdrama und das szenische Melo
drama auf und geht andere Wege als Smetana und Dvorak, welche bestrebt waren, musika-
lische Schopfungen als Ausdruck der slavischen Rasse zu bringen, wie es damals die Zeit
und der politische Kampf um die Erhaltuhg des Slaventums erforderten. Fibich stellte sich
schon mehr aufierhalb des Romantisch-Nationalen und schlug eine andere Richtung ein, eine
kosmopolitische, auch in der Wahl der Stoffe. Er fand sie bei Schiller, Shakespeare, Byron und
auch in derAntike, so in der Trilogie ,,Hippodamie", doch vernachlassigte er die tschechische
Geschichte nicht, so in seinen Opern ,,§arka" und ,,Pad Arkuna" (,,Der Fall Arkonas"), die
der Geschichte der Elbeslaven entnommen sind. Alle diese so verschieden gewahlten Texte
sind vornehmlich ein Ausdruck seines inneren, subjektiven Lebens, in dem die Hauptrolle
das Weib und die Natur spielen. Sein Gedankenreichtum und sein LebensprozeB spiegeln
sich in seinen wunderbar gezeichneten Frauengestalten in den Opern ,,Die Braut von Messina",
,,Trilogie", ,,Heda" und ,,Der Fall Arkonas" wider. Nebst engelhaften und nebst damo-
nischen Frauengestalten ist es hauptsachlich die Natur, welche ihn, den auf dem Lande erzoge*-
nen Forsterssohn, ganz besonders fesselt. Er interessiert sich auch nach Bendl und Dvorak
fur die Ballade, welche er entweder in Form des Melodramas (,,Der Wassermann", ,,Hakon"),
oder in Form der symphonischen Dichtung behandelt. Im Anschlufi an Schumann erzielt
er in Klavierkompositionen einen ergreifenden Ton und Intimitat. Hier besingt er die Natur
(,,Aus den Bergen") und entfaltet seine inneren ,,Stimmungen, Eindriicke und Erinnerungen"
(352 Klavierkompositionen). Ein intimer lyrischer Zauber aufiert sich auch in seinen Liedern.
Der alteste lebende tschechische Komponist ist J. B. Foerster (geb. 1859). Sein
Grundmerkmal ist der Subjektivismus, in welchem der Kiinstler sich selbst zum Objekt
wird. Auch im Drama dramatisiert Foerster sich selbst. Seine Symphonic ist ein Drama und
seine Oper eine dramatisierte Syrrfphonie. Den Ausgangspunkt und den Mittelpunkt seiner
Werke bildet das psychologische Problem. Dadurch unterscheidet er sich von Smetana,
welcher ein objektiver Dramatiker nach dem Schlage Glucks war, und er lost in seinem Sub
jektivismus psychologische Probleme des gegebenen Operntextes, welchen er oft selbst ge-
schrieben hat. In seiner Lyrik schliefit er sich Fibich an. Das Geheimnis seiner Schopfungen
bildet die reine Liebe zu allem, was erhaben ist. Er liebt seine Mutter als das reinste Weib,
er liebt die Schonheit seines Vaterlandes, er liebt die Natur, er verneigt sich vor Gott,
aber anders als Dvorak (,,Stabat Mater", ,,Hymnus der Engel", ,,Getsemane", III. und
IV. Symphonic). In den Opern verlegt er den dramatischen Schwerpunkt von den aufieren
Geschehnissen in das Innere der handelnden Personen. In dieser Richtung bewegen sich alle
Moderne : Tschechoslowaken | 1 59
semeOpern: ,,Debora", ,,Eva", ,Jessika", ,,Nepremozenf ' (,,Die Uniiberwundenen") und die
letzte Oper: ,,Srdce" (,,Herz4'). Eben als Opernkomponist wird er zum Schopfer des psycho-
losrischen Dramas, und im Vokalstil bringt er besonders neue Akzente in die Mannerchor-
literatur. Im Liede ahnelt er zumeist Hugo Wolf und versteht es, solche Texte zu wahlen,
in denen er am besten das eigene Innere schildern kann. Sein letztes groBes Werk ist das
Oratorium ,,Svaty Vaclas" (Der hi. Wenzeslaus) 1929. In seiner vielfachen Tatigkeit kommt
er Smetana nahe, obwohl seine Lebensverhaltnisse anders waren. Stiinde er nicht an hervor-
ragender Stelle als Komponist, neben seinen Zeitgenossen in Bb'hmen, so wiirde er eine ehren-
volle Erwahnung als literarischer Essayist, als padagogischer Fiihrer, als Professor und Rektor
des Prager Konservatoriums finden. Die Charakteristik seines Lebens und seines Schaffens
bezeichnet am besten das seiner Autobiographic eingefugte Motto: ,,Das schnellste Pferd,
das dich zur Vollkommenheit bringt, ist der Schmerz." Und eben in dieser Lebenslinie unter-
scheidet er sich am scharfsten von seinem jiingeren Kollegen Vitezslav Novak.
Novak wurde imjahre 1870 geboren. Seine Tatigkeit als junger Komponist leitet dieOppo-
sitionsara gegen die altere, schon aussterbende Generation ein. Noch in seiner ersten Jugend
neigt er zum Romantizismus. Die Einfliisse von Schubert, Liszt und Byron zeigen sich in der
Programmouvertiire ,,Korsar" und in der ,,Ballade", op. 2 (Byrons ,,Manfred")- Er lehnte sich
an die intime Lyrik Dvoraks an, und dies zeigt sich insbesondere in seinen ersten Liedern
(,,Das Marchen des Herzens") und in seinen Klavierwerken (Zyklus ,,In der Dammerung",
op. 13, ,,Eklogen4', op. 11, ,,Barcarole", op. 10, und ,,Bagatellen", op. 5). Auch an Brahms,
bei welchem er durch seinen Lehrer Dvorak eingefiihrt wurde, sucht er Anlehnung, doch ver-
lafit er den Weg seines Lehrers, weil ihm der unmittelbare musikalische Ausdruck fremd ist.
Hingegen zieht ihn Brahms' Intellektualismus an, welcher besonders in seinen Kammermusik-
werken zutage tritt (Klavierquartett C-Moll, op. 7 und Klavierquintett, A-Moll, op. 12). Zu
diesem Intellektualismus, welcher bald ein ironisches Geprage annimmt, kommt noch sein
eigener Erotismus, ohne jedoch den Ironiker jemals zu verleugnen, was klar aus seiner Klavier-
serenade und aus seiner Serenade fur kleines Orchester hervorgeht. Doch bald entzieht sich
Novak Brahms' und TschaikowskysEinflufi und spezialisiert seine Ausdrucksmittel durch dieEin-
driicke aus Mahren und der Slowakei. Einen mahrischen Einschlag weist ein Zyklus von 4 Balladen
(,,Ranosa", ,,Zakleta dcera", ,,Vrazedny mily", ,,Nescastna vojna") for gemischten Chor und
Orchesterbegleitung auf. Slowakischen Charakter zeigen ferner seine ,,Slowakische Suite**,
sein Streichquartett in G-Dur, op. 22, insbesondere die ,,Sonata Eroica**, op. 24, und seine
symphonische Dichtung ,,In der Tatra**, op. 26. Das letztgenannte Werk bildet zugleich einen
Ubergang von der slowakischen Periode des Meisters zur Periode des Impressionismus. Diese
neue Richtung verfolgen auch seine symphonischen Dichtungen ,,0 vecne touze" (,,Von ewiger
Sehnsucht") und ,Toman a lesni pana** (,,Toman und die Waldfee") und seine Lieder.
Gesteigert ist Novaks Impressionismus in seinem ,,SturnV' (,,Boure"), einer Meeresphan-
tasie fiir grofies Orchester, Solostimmen und gemischten Chor auf die Worte von Svatopluk
Cech (op. 42). Es ist dies ein Werk von glanzender Kantatenform, worin Novak es verstanden
hat, die dramatischen Momente elementar hervorzuheben. Mit alien zur Verfugung stehenden
musikalischen Mitteln schildert er hier den endlichen Untergang derjenigen, die sich Wellen
anvertrauen. Als Gegensatz zu diesem machtig konzipierten Werke stellt Novak ,,Pan" (op. 43)
auf, ein Kunstwerk von feinster Intimitat. Hier schildert der Autor sich selbst, seine Liebe
I ] 50 Moderne : Tschechoslowaken
zum Meer, zu den Bergen und zum Weibe. Hier konzentriert er seine impressionistische
Kunst und druckt sie ursprunglich durch das Klavier aus (spater instrumentiert). Das Werk
ist gewissermafien das Ideenresultat der friiher geschriebenen Werke. Im ,, Sturm* * und
,,Pan" gelangt Novak auf den Gipfelpunkt seiner impressionistischen Kunst. In der Kan-
tate ,,Die Totenbraut", op. 48, will er Neues aufstellen gegeniiber Dvorak, welcher den
gleichen Stoff komponiert hatte. Endlich entschlieBt sich Novak zu einer Opernkomposition.
Er wahlt ein launiges Libretto, ,,Zvikovsky rarasek" (,,Der Burgkobold"), worin er sein gliick-
liches, zufriedenes Familienleben zum Ausdruck bringen will. Es ist dies sein letztes Werk
aus der Periode des Impressionismus. Wahrend des Krieges finden bei Novak patriotische
Motive Widerhall (die Oper ,,Karlstein", op. 50). Die gleiche Tendenz finden wir auch in
seinen kleineren Vokalkompositionen, welche er dem Reprasentanten des Staates und den-
jenigen, die ihn aufgebaut haben, widmet. Zu Novaks dramatischen Werken der letzten Zeit
gehort das vieraktige musikalische Marchen ,,Lucerna" (Die Laterne),1923, ein lyrisches Sing-
spiel, ferner ,,Deduv odkaz" (Grofivaters Vermachtnis), 1926, dessen Handlung auf die Slowakei
lokalisiert wurde, und zwei Pantomimen, 1 928. Er setzt die Harmonisierung des slowakischen
Liedes aus der Sammlung (Manuskript) von Plicka fort, wo in der Klavierbegleitung der
Geist des Volkssangers zum Ausdruck kommt. Novaks ganzer Charakter, die Leiden seiner
Jugend und die Existenzkampfe aufiern sich als Neigung zur Melancholic, zum bitteren Humor,
zur Ironie und Eruptivitat in alien seinen Werken. Sein Kennzeichen ist Kontrast, Pragnanz
der Auffassung, Mannigfaltigkeit und Sicherheit im Charakterisieren von Personen und
Situationen. Dadurch unterscheidet er sich wesentlich von Dvorak und J. B, Foerster.
In einem gewissen Gegensatz zu dem Philosophen und Rationalisten Novak steht das Mit-
glied des ,,Bohmischen Quartettes", Josef Suk (geb. 1874), ein feiner Lyriker, wie solche
in der franzosischen Schule zu finden sind. Hatte sich Novak von seinem Lehrer Dvorak ent-
fernt, so sehen wir Suk, welcher eine Tochter Dvoraks ehelichte, nahe an Dvorak in der Breite
der Melodik und den lyrischen Passagen verbleiben. Suk will im Anschlufi an Beethoven,
Brahms und Dvorak zeigen, dafi er ein geborener Polyphoniker ist (sein Jugendwerk ,, Serenade
fur Streichorchester"). Und aus dieser Polyphonic entstehen iiberraschende harmonische
Folgen, weich und vertraumt klingend. Und eben durch diese ertraumte Welt von weicher,
siifier Schonheit unterscheidet sich der Meister von der Realitat Dvorakscher Farben, voll von
sprudelndem Leben. Diese weiche Lyrik spiegelt sich hauptsachlich in seinen Werken ,,Stim-
mungsbilder", ,,Wiegenlieder", ,,Sommereindrucke", ,,Suite" und ,,Vom Mtitterchen". Er
findet Gefallen an dem gleichgestimmten tschechischen Dichter Zeyer und komponiert
die Musik zu dessen Marchen ,,Raduz und Mahulena". Auch seine Schauspielmusik zur
,,Legende vom Apfelbaum" (op. 20) ist eine musikalische Illustration Zeyerscher Verse, in
Wirklichkeit aber ein Hymnus auf das Familiengliick. Seine Klavierzyklen ,,Fruhlingt4 und
,,Sommereindrucke" bilden die Fortsetzung hiervon. So schafft der Meister in seiner Jugend
unberiihrt von Schmerz. Aber auch ihm bleibt er nicht erspart. Schwer getroffen wird er
durch seines Meisters und seiner Frau Tod. Die Trauersymphonie ,,Asraer (op. 27) besingt
die Majestat des Todes, welche das Liebste hinwegrafft. Er sehnt sich nicht nur riach denen,
die ihn auf immer verliefien, auch nach Prag *st ihm bange: symphonische Dichtung ,,Praga"
(op. 26). Seine weiteren symphonischen Werke ,,Pohadka leta" (,,Sommermarchenu) und
,,Zrani" (,,Das Reifen", op. 35) sind voll ausgereifte Werke. In der Kriegszeit rief eine Be-
Moderne : Tschechoslo waken 1161
geisterung seine ,,Meditation auf den St. Wenzeslaus-Choral" fur Streichquartett (oder
Orchester) hervor.
Nebst den Genannten wirkte vor dem Umsturz am Prager Konservatorium Karel Stecker
(186 1 — 1 91 8) als Kompositionslehrer in der Orgelabteilung, mit dem Hauptaugenmerk auf
die Kirchenmusik in reformiertem Geiste der vokalen Polyphonic (Orgelsonate, Missa solemnis,
Requiem, Te Deum,* Motetten). Zu seinen Schiilern gehort Ludvik Vitezslav Celansky,
geb. 1870, welcher sich in der letzten Zeit der spiritualen Richtung zuwendet (Die Trilogie
Adam, Noe, Moses, Hold slunci — Huldigung an die Sonne), Jaroslav Kricka, geb. 1882
(nebst witzigen Liedchen und Parodien eine breit angelegte Kantate Pokuseni, die Ver-
suchung,und die symphonische Dichtung Adventus). Kricka zeigt eine lebhafte Aufnahms-
fahigkeit fiir Elemente und Richtungen der Weltliteratur. Aus Steckers Schule ist auch der
fruhzeitig verstorbene Jaroslav Jeremias (1889— 1916), der Autor des Oratoriums Jan Hus,
hervorgegangen.
Smetana hat durch gliickliche Ausnutzung von weltmusikalischen Mitteln im Rahmen der
Neoromantik, doch im tschechischen Geiste, den Grund zur heimatlichen musikalischen
Tradition gelegt. Direkte Schiller hatte er nicht, denn es blieben ihm die Tore des Prager
Konservatoriums verschlossen. Dvorak hat als Lehrer der {Composition eine ganze Reihe
von Schiilern gehabt : Vitezslav Novak, Josef Suk, 0. Hornik, Oskar Nedbal, Rudolf
Karel und Frantisek Spilka. Die Fiihrung der neuen Generation ubernahm Vitezslav Novak.
Er bildete eine Reihe von Schiilern aus, welche die strenge Erudition der Kompositionstechnik
des vielseitigen Schaffens ihres Meisters in sich aufnehmend, ihre eigene Richtung einschlugen.
LadislavVycpalek, geb. 1882, blieb der logischen Konstruktion, welche er in der mahrischen
Ara von Novak fand, treu. Die Polyphonic spielend beherrschend, verblieb er in der Diatonik.
Seine Krafte weiht er dem Liede und der Kantate in religiosem Stile. Seine Kantate ,,0 posled-
nich vecech 8loveka" (,,Vonden letzten Dingen desMenscheni4)hat einen Wiederhall auf dem
internationalen Festival in Prag und auch in der Fremde gefunden. Boleslav Vomacka,
geb. 1887, einst ein getreuer Bekenner von Nov&ks Chromatik, schreitet parallel mit Vycpalek
in der Diatonik in seiner Kantate ,,2ivf mrtvjrirT (,,Die Lebenden den Toteni>ndim,,Lieder-
zyklus 1914". Der schaffensreiche Jindrich bietet ein Pendant zu Novaks Impressionisms
und kniipft hierbei an dieVolkstradition der Choden an. Otakar Jeremias, geb J 892, schreibt
ahnlich wie JanAfiek sozial eingestellte Chore (,,Celove6erni Cyclus Zborov", Zyklus von
Chdren Zborov) und nebst zahlreichen Symphonic- und Kammerwerken die Oper ,,Die Briider
Karamasoff", das Sujet von Dostojewsky 1929. Er wird von Smetanas Geiste beeinflufit.
Der Direktor des Brtinner staatlichen Konservatorium, Jan Kunc, geb. 1883, lehnt sich
an Novak an (Ostrava), er bringt in geeigneter Art die mahrische Volkspoesie zum Ausdruck.
Auch Werke von groBerem Umfang hat er herausgegeben (,,Siebzigtausend" fur Chore ^und
Orchester, die symphonische Dichtung ,,Pisen mladi", Das Lied der Jugend, ,,Z prazdnJn44 21 ,
Aus den Ferien), Vaclav fitepan, geb. 1889, zeigt in seiner Kammermusik den Einflufi
seines Lehrers und das Studiurn der gleichzeitigen franzosischen Musik (Klavierquartett,
Streichsextettop. 1 If 5 Hefte von Bearbeitungen tschechischer Lieder). K.B. Jirik, geb. 1891,
ein Schiller von Novik undFoerster, errang sich bald unter den ersten Komponisten der jungen
Generation durch seine Werke (die Oper Apollonius von Tyana, 2 Symphonien, Psalm 23,
Liederzyklen, Streichquartett c-Moll) einen hervorragenden Platz. Seine Musik weist bei
Moderne: Tschechoslowaken
allem modernen Stil und bei aller Polyphonic einen gesunden tschechischen Kern auf. Emil
Axmann, geb. 1887, bringt sich durch Kantaten (Balada o ocich topicovych, Die Ballade
von den Augen des Heizers), durch Symphonien sowie durch Mannerchore im mahrischen
Schlag auf dem internationalen Forum zur Geltung. Otakar Zitek, geb. 1892, Operndramaturg
und nach Neumann Direktor des Brunner Nationaltheaters, widmet sich der Opernkomposition.
Alois Haba, geb. 1893, ging zwar auch aus Novaks Schule hervor, doch wurde er in der
Theorie und Praxis Bahnbrecher des Vierteltonsystems. Er verwendet melodisch und har-
monisch die Vierteltoneinteilung und in neuester Zeit die Sechsteltoneinteilung. Ihm zur
Seite steht sein Bruder Karel Haba.
Auch die jiingste Generation weist viele Vertreter der Novakischen Schule auf. Es sind
dies der Dirigent Aim, Blaha Mikes s, Miroslav Krejci (Violinsonate, Orgelpraludium und
Fuge, funfstimmige Messe ohne Credo, Caniculae polyphonicae, Suite fur Orchester Konig
Uvra), ferner der Dirigent Vidav Kilfk, geb. 1891 , der in Amerika lebende Vladimir Poll vka,
geb. 1896 (symphonische Dichtung Der Fruhling, Suite), Felix Zrno, geb. 1890 (Vokalwerke),
der talentvolle Jar. Novotny (1886-1918), I. Tomasek, K. Konvalinlca und andere.
Aus Dvoraks Schule ging ferner Josef Suk hervor, in dessen Meisterschule fur ^Composition
am Prager Konservatorium noch Spuren der Tradition seines Meisters zutage treten. Zu dieser
Schule gehortBorkovec und hauptsachlich Frantisek Pic ha, ein sehr fleifiiger Komponist
von Choren und Liedern. Er pflegte auch die grofie Form: die Symphonic Osvobozem cloveka
(Die Befreiung des Menschen) und die Kantate Slavne vysiny (Beriihmte Hohen), op. 15.
Bohuslav Martinu, geb. 1890, zeigt eine besondere Vorliebe far das Russische und besonders
fur Stravinsky, obwohl nebstSuk auch der Pariser Roussel als seine Lehrer zu betrachten sind
(TschechischeRhapsodien furChore undOrchester, die Ballette Istar und ,,Wer ist am machtig-
sten in der Welt'*, das Orchester-Rondo Halftime und die komische Oper ,,Der Soldat und
dieTanzerin").Zu den direkten Schiilern Dvoraks gehorten auch noch OskarNedbal, Frantisek
Spilka und Rudolf Karel. Oskar Nedbal, geb. 1874, widmet sich hauptsachlich der Kompo-
sition von Balletten, welche eine frische Invention und die Dvoraksche glanzende Instrumen
tation aufweisen (Polska krev [Polenblut], Pohadka o Honzovi [Der faule Hans], und die
Oper Sedlak Jakub [Der Bauer Jakob]). Frantisek Spilka, geb. 1877, hervorragend als Dirigent
tatig, schrieb 2 Opern und eine Rhapsodic fur grofies Orchester, Sonaten und Chore. Rudolf
Karel, geb. 1881, bildet mit Vycpalek und Jirak ein Trifolium. Seine Domane ist die absolute
Musik. In seinen slavischen Tanzweisen und slavischen Scherzi findet man die Spuren
seines Lehrers. 3 Symphonien, ferner die symphonische Dichtung ,,Idealy" (Die Ideale), Damon
zeigen die Regersche Polyphonic. Die Oper .Jlscino srdce" (Uses Herz) ist noch im alteren
Stil gehalten. Die Kantate ,,Vzkrfseni" (Die Auferstehung) entstand in der Kriegszeit. Er
iiberwindet hier Form und Materie in einer iiberraschenden Weise.
Fibich hatte ein gleiches Schicksal wie Smetana. Er war nicht Professor am Prager Kon
servatorium, hatte aber eine Reihe von Privatschulern. Unter den alteren ist Emanuel
Chvala (1851 — 1924), ein Musikkritiker. Er kniipft in seinem Streichquartett und in seiner
Oper Zaboj an die Smetana-Tradition an, ferner der ehemalige Opernchef des Prager National-
theaters Karel Kovarovic (1862—1920), er verwertet seine Buhnenerfahrungen im Aufbau
von effektvollen Opern in eklektischem Stil: Psohlavci (Die Hundskopfe), Na star6m belidle
(Auf der alten Bleiche). Antonin Vojtech Horak (1875-1910) ehrte seinen Meister durch
Moderne : Tschechoslowaken 1 ] 63
die Opern ,,Na Vecer bile soboty" (Am Ostersabbat) und ,,Babicka" (Das Groflmiitterchen). Karel
Weiss, geb. 1882, zeigt einen lebhaften Sinn fur dramatische Situationen im Opernaufbau:
,,Polsky zid" (Der polnische Jude).
Von den jiingeren Komponisten steht Otakar Ostrcil (geb. 1879) Fibich am nachsten.
Er ist gegenwartig Opernchef am Prager Nationaltheater. In seinen Werken, die Oper Vlasty
skon (Vlastas Tod), A-Dur-Symphonie, Symphonietta, Streichquartett, iibernahm er des
Meisters Kompositionstechnik. Zum Impressionismus neigt er in seinen weiteren Opern
Kunalovy oci (Kunalas Augen) und Poupe (Die Knospe). Als moderner Polyphoniker zeigt
er sich in seinen letzten Werken (Die Legende von Erin und in dem Choralwerk Die Legende
von der hi. Zita). Auch in seiner Vorliebe fur das Melodramatische verleugnet er nicht seinen
Lehrer (Vom toten Schuster und von der Tanzerin, Die tschechische Ballade). Zu seiner
letzten Schopfertatigkeit gehort die ,,Synfonicke Vanoce" (Symphonische Weihnacht) und
,,Kffzova cesta" (Der Kreuzweg). Ostrcil bringt als Opernchef des Prager Nationaltheaters
nebst j'ungen tschechischen Komponisten (Jeremias) die eminenten Erscheinungen der Welt-
literatur (Berg) zur Geltung. Zu Ostreils Richtung bekennt sich I.Zelinka (Orchester,
Chore, Opera buffa).
Bei Otokar Zich (1879), Professor der Asthetik an der Prager Universitat, wachst sein eine
personliche Note tragendes Werk aus der Volksmusik empor, deren hervorragender Kenner
er ist, ferner aus der Smetana-Tradition : ,,0sudna svadba" (Die verhangnisvolle Hochzeit),
,,0eska suita" (Tschechische Suite). Friihzeitig wendet er sich der dramatischen Musik zu, worin
er von dem Einakter ,,Malirsky napad'* (Der Einfall eines Malers) zum kompromifilosen
Modernismus und zur Polytonalitat in der tragischen Oper ,,Vina" (Die Schuld) schreitet.
Einen richtigen Sinn fiir das Komische bringt er in ,,Preciezky" zur Geltung.
Aus Fibichs Schule kommt auch indirekt J. Vojac;ek, welcher bei Lauber in Genf studierte.
Er kniipft an denpolytonalenStil der franzosischen Meister an (Symphonic fiir grofies Orchester,
Streichquartett, Kammersymphonie fiir 14 Instrumente). In seinen letzten Werken klart sich
sein Stil (geistliches Oratorium Litania, II. Missa). Zur neuesten Richtung der franzosischen
,,Groupe de six" und zu Hindemith bekennen sich Jiraks Schiiler Ua Krej'c i (Chore, Diverti-
ments fiir Blasinstrumente, Symphonien), Bohuslav Taraba (1894) mit seinen Orchestral-
werken (3 Meditationen fiir 10 Instrumente, 2 Symphonien, Pantomime Kain), Emil Nemecek
(1902), dessen jugendliches Werk ,,Kralovnin omyl" (Der Irrtum der Konigin) schon in seinem
19. Lebensjahre im Prager Nationaltheater aufgeftihrt wurde, Kalaw (Doma/Jicka -- Tausser-
Symphonic). Zu den wichtigen Vertretern der Symphonik gehort fttedron. Jaroslav Je'/ek
verwendet Jazzlnstrumente bei modernen Tanzweisen. E, F. Burian fiihrt in die Musik
Voiceband ein, Jaromir Weinberger (1896), aus der Schule von Krioka hervorgegangen,
sucht sich seine Themen in dem slowatochen Volkslied und in Smetanas und Dvoraks Werkent
welche er witzig ineinanderflicht und instrumentiert (Ouverttire zum Marionettenspiel, Die
Pantomime Die Entfiihrung der Eveline und die Volksoper ftvanda Dudak).
MAHREN. Leo.s Janac'-ek (1854 1928) steht in einem absoluten Kontraste mit der neo-
romantischen Schule, mit deren Polyphonic und deren Leitmotlven. Doch verschrnahl or
stellenweise nicht harrnonische, farbige Motive, Seine Melodien sind koine Plagiate dos Volks-
mundes, sondern stilisiert. Melodische und rhythmisch« Linie des Idbcndcn Worles Jst ftir
ihn das wirkungsvollate Mittel zur Erruichunj? des dramatischen Ausdruckcs, Die Harmonic
74 H. <!, M.
] ]64 Moderne: Tschechoslowaken
ist zeitweise bis zur Orgiastik explosiv, dann wieder inbriinstig oder schiichtern. Durch
solistische Instrumentation verhindert er die Ubertaubung der menschlichen Stimme durch
das Orchester. Seine Bedeutung liegt in der Opern- und Vokalkomposition. Er wiederholt
sich nirgends und schreitet in seinen Opern schrittweise empor, von ,Jejf pastorkyna" (Jenufa)
zur Burleske Die Abenteuer des Herrn Broucek in 2 Teilen : Vylet pana Broucka na mesi'c
(Ausflug des Herrn Broucek auf den Mond) und Vylet pana Broucka do XV. stoleti (Ausflug
des Herrn Broucek in das 15. Jahrhundert), zur Kata Kabanova, zur Liska bystrouska (Das
listige Fiichslein) bis zur Vec Makropulos (Die Sache des Makropulos). Gleichfalls schreitet
er kiihn in Choren vor: von der Kantate Amarus bis zu seinem grandiosen Werk Glagolska mse
(Glagolitische Messe). Das mahrische Volkslied hat in ihm den besten Kenner gefunden und
in seinem Kunsthede nimmt den ersten Platz ,,Zapisnik Zmizeleho" (Tagebuch des Ver-
schollenen) ein. Seine Sinfonietta, 2 Quartette und die Rhapsodic Taras Bulba riefen in
der Musikwelt Enthusiasmus hervor. Seine Mannerchore bilden ein prominentes Repertoire
des Singvereins Moravssti ucitele (Die mahrischen Lehrer). Janacek hat seine Zeit und die
jiingsten Komponisten, welche vordem Popularitat erreichten, iiberschritten, nachdem er
lange Zeit unbekannt war. In seinen Spuren schreiten in Mahren einige Komponisten, ob-
wohl sie zumeist in der Prager Schule wurzeln. Von den mahrischen Komponisten kommt
hauptsachlich in der Vokalmusik Kunc, in der Kammermusik J. Kvapil (geb. 1893) und
V. Petrzelka, in der Opernkomposition 0. Zitek zur Geltung.
Dieslowakische Musik hatte in Ungarn vor dem Umsturze ein dilettantisches Geprage.
Ihr Zweck war nicht Kunstbetatigung, sondern blofi ein Mittel, das sterbende National-
bewufitsein zu erhalten. Die Autoren harmonisierten das slowakische Volkslied oder sie
komponierten in dessen Geiste Chore und Gesange. Zu ihnen gehoren: Bui la, Franc is ci,
Izak-Lihoveck^-, M. Lichard, Moyzes sen., Sasko. Neuere Richtungen verfolgen
Figus-Bystrj?- in der Kantate Slovenska pfsen (Slowakisches Lied) und in der Oper Detvan,
welche auf einem falsch aufgefafiten Folklorismus basiert, weiter Schneider"Trnavsk^T
in der Harmonisation des slowakischen Volksliedes und des Kunstliedes. Desider Lauko
komponiert hauptsachlich Klaviersachen. Der Direktor der Prefiburger Musikakademie Frico
Kafenda schrieb Lieder, Violin- und Cellosonaten, Quartett, Fragment einer slowakischen
Oper. Zu der jiingsten slowakischen Generation gehoren Frano Dostal ik (Violinsonate, Oper)
und Moyzes jun. (Symphonic D-Dur, Streichquartett). Die grofite Bedeutung aber unter
den slowakischen Autoren hat deren Nestor Jan Levoslav Bella, der einen Platz neben den
tschechischen grofien Neoromantikern einnimmt. Wahrend seiner 40jahrigen Tatigkeit in der
Slowakei widmete er sich hauptsachlich in seinen polyphon gehaltenen Werken der Reform
der katholischen Kirchenmusik. Er schreibt Lieder im Geiste von Schubert und Schumann.
In Hermannstadt widmet er sich bis zum Umsturz der evangelischen Kantate. Nebst seiner
symphonischen Dichtung ,,SchicksaI und Ideal" ist sein Hauptwerk die dreiaktige Oper , , Wieland
der Schmied", urtextlich von Schlemm nach einer Skizze Richard Wagners bearbeitet. Sie
gelangte erst nach 50 Jahren mit einem slowakischen Texte von Roy zur Auffiihrung, ferner
schrieb er die slowakische Kantate Svadba Janosika (Janosiks Hochzeit) und slowakische
Chore und Lieder.
Von den tschechischen Autoren sind in der Slowakei tatig: Emanuel Marst'k, ein Schiiler
der Budapester Akademie: Opern Oern^r leknfn (Die schwarze Seerose) und Studentska laska
Moderne : Siidslawen ] ] 65
(Studentenliebe), symphonische Dichtungen und Lieder; Zdenko Folprecht: der Einakter
Lasky hra osudna (Der Liebe Schicksalsspiel), die Kantate Vzkrisem (Auferstehung).
Literatur
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Dobroslav Orel
SUDSLAVEN
Die siidslawische Musik resultiert aus den Kulturkomponenten des Westens und des Ostens,
sowie der nationalen Eigenart des Volkes. Bei den Slowenen und Westkroaten ist die abend-
landische Komponente starker betont. Die Ostkroaten lei ten zu den Serben und Bulgaren
iiber, wo die Ostkultur noch die Oberhand hat. Allen diesen Stammen ist jedoch ein ent-
schiedener Drang nach Westen eigen.
Die Slowenen kamen zuerst unter den EinfluB der romanisclvgermanischen Kultur.
Sie ubernahmen die spatantike Musik von Aquileia und Salzburg, ohne ihre eigenen heid-
nischen Lieder aufzugeben. Mit dieser vereinigten Musikkultur gingen sie durch das ganze
Mittelalter. Sie lernten auch die Polyphonic friih kennen. Vertreter derselben sind Georg
v. Slatkonja (1456-1522), der Organisator und Leiter der Wiener Hofkapelle seit 1498,
Primus Trubar (1508-1586), der das erste protestantische Kirchengesangbuch fur die
Slowenen zusammenstellte, und Jakob Gallus1 (1550—1591), der zu den ausgezeichnetsten
Tonsetzern uberhaupt zahlt. Diese hatten eine Reihe von Musikern slowenischer Abkunft
zu Zeitgenossen, wie Andreas Legat (ca. 1549), Joh. Globokar (ca. 1560), Michael Voglar
(ca. 1564), Joh, Andreas Kapelle (ca. 1615) u. a. m. Adam Bohoric (1525-1598) sei als
Reprasentant der Lehrer und Kantoren angefiihrt. Er besafi eine Musikaliensammlung (iiber
2000 Stuck), die er dem Lande Krain schenkte. Im 17. Jahrhundert stieg die Musikkultur.
Der Bischof Thomas Chron von Laibach (1560—1630) forderte die Tonkunst, verschrieb
Musiker aus Bohmen, fuhrte Jnstrumentierte Kirchenmusik ein und errichtete Studenten-
stipendien mit der Bedingung, dafi die Geniefier Musik lernen miissen. Die erste Oper wurde
in Laibach 1650 von Italienern aufgefiihrt; 1662 sang daselbst eine deutsche Operntruppe.
Dann erhielt Laibach 1742 eine Biihne in der Landesburg und 1765 ein eigenes Theater-
gebaude. Die erste MPhilharmonische Gesellschaft'* Europas wurde hier Jm Jahre 1702 ge-
l) Latinisiert filr ,»Handr't vielleicht ,,Petclin44 — demnach ist die ursprungliche Namensform nicht sichergestellt.
Er leke und wirkte in Wien, Olmutz, Prag (a. S. 355f.)- ^«r Herausgeber.
74*
Moderne : Sudslawen
griindet und besteht noch heute. Auch Oratorienkomponisten aus dieser Epoche kennen wir,
so Mihael Omersa (1679-1742), der zwischen 1709—1713 fiinf Oratorien komponierte.
Istrien war seit dem 1 6. Jahrhundert von der italienischen Kunstmusik abhangig. Das National-
moment war nur im alten Volksliede verankert. Die erste slowenische Originaloper ,,Belm"
(Musik von Jakob Zupan) ging zu Laibach 1780 in Szene. Mehrere Slowenen bereicherten
auch die deutsche Opernliteratur, wie Georg Micheuz (1805—1882), der fur Wien fiinf
Opern und anderes schuf.
Die Slowenen hielten also mit der westeuropaischen Musikkultur Schritt, mogen ihre
Leistungen den Kulminationspunkt auch nicht erreicht haben. So blieb es bis etwa 1850,
wo das erwachte Nationalbewufitsein diesen Charakter schiichtern umzumarkieren begann.
Gleichzeitig erwachte das Bedurfnis nach tieferer musikalischer Ausbildung ; man suchte sie
in Graz, Wien, Prag, Mailand und selbst in Paris. Ein markanter Fall ist Kamillo Masek
(1830—1859), der begeistert aus Wien zuriickkehrte und eifrig zu reformieren begann, jedoch
zu friih starb. Volksmafiige Kunstlieder schrieb der Domchorleiter Gregor Rihar (1796 bis
1863). Ihm folgten — durch 50 Jahre — andere indigene Komponisten, deren Schaffen mehr
in der nationalen Begeisterung, als in der Musik gipfelte. Unterdessen kam — durch tiichtig
geschulte Musiker aus Bohmen — frischeres Kunstleben ins Land, ohne der nationalen Seite
Abbruch zu tun. So war Anton Nedved (1828—1896) Padagog, Komponist und Dirigent,
eine wertvolle Akquisition far Laibach. Er und Anton Foerster (1837—1926), der iiber 600
Kompositionen, darunter zwei Opern, schrieb, waren ihren Zeitgenossen gute Wegweiser.
Zu diesen gehoren Miroslav Vilhar (1818-1871) sowie die Bruder Benjamin (1829-1908)
und Gustav Ipavec (1831-1908). Selbstandiger war Davorin Jenko (1835-1914), Kapell
meister in Belgrad, wo alle Theatermusik durch ein Vierteljahrhundert auf seinen Schultern
ruhte. Aufier 31 Biihnenwerken schuf er ,,Die slowenische Marseillaise* ' (Naprej zastava slave)
und die serbische Nationalhymne (Boze pravde). Franz Gerbic (1840—1917) war Opern-
sanger, Komponist (zwei Opern, Instrumentalwerke) und Padagog. Anton Stoeckl (1850 bis
1902) schrieb eine Operette u. a. m. Jakob Aljaz (1845—1927) komponierte weltliche Chore.
P. Hugolin Sattner (geb. 1851) schreitet gemafiigt mit der Zeit; er schrieb das erste slowe
nische Oratorium (Assumptio), vier grofie Kantaten, eine Oper u. a. m. Franz S. Vilhar (1852
bis 1928), ist Komponist von 292 Werken, darunter vier Opern, eine Operette, eine Burleske.
Viktor Parma (1858—1924) ist mit vier Opern, vier Operetten und vielen anderen Werken
vertreten. Friedrich v. Sirca (geb. 1859) gab den Slowenen drei Opern, eine dramatische
und mimische Szene u. a. Anton Schwab (geb. 1868) ist Schopfer einer Operette und
anheimelnder Chore. Oskar Dev (geb. 1868) tat sich als Liederkomponist und Sammler
slowenischer Volkslieder aus Karnten hervor. Gojmir Krek (geb. 1875) behauptet als
Komponist und Reformator einen Ehrenplatz.
Hier setzt die Moderne ein; individuelle, subjektive Musik. Sie landet dort, von wo sie
ausgegangen war: in der allgemein-europaischen, von alien Seiten beeinfluBten Kunst. Zu
den besten Vertretern derselben gehoren: Emil Hochreiter (geb. 1871), mit einer Oper,
einem Oratorium usw. Emil Adamic (geb. 1877) mit iiber 200 Werken; hervorragend :
Tatarische Suite, Laibacher Aquarelle. Anton La jo vie (geb. 1878), Schdpfer gediegener
Musik (41. und 42. Psalm fur Soli, Chor und Orchester, Lieder u. a.). Franz Kimovec
(geb. 1878), vertreten mit Kirchengesangen ; ist auch Sammler von Volksliedern im
Moderne : Siidslawen
inselgebiet. Stanislaus Premrl (geb. 1880), fruchtbarer Komponist mit iiber 660 Werken.
Karl Adamic (geb. 1887) schafft fiir die Kirche und den Konzertsaal. Janko Ravnik (geb.
1891), Pianist (Lieder, Klaviermusik). Slavko Osterc (geb. 1895) ist mit einer Operette,
Liedern u. a. hervorgetreten ; ist auch Propagator der Vierteltontheorie. Marius Kogoj (geb.
1895) hat eine Oper und viele Lieder komponiert. Lucian M. Skerjanc (geb. 1900), begabter
Komponist von Liedern, Choren, zwei Quartetten u. a. Eine Auffiihrung anderer verbietet
der Raummangel.
Die Kroaten besiedelten ihr Land im 7. Jahrhundert. Das Christentum erhielten sie aus
Aquileia und Salzburg. Die Musikdenkmaler des hohen Mittelalters in Kroatien stammen
durchwegs aus dem Westen. Doch bestand seiner Zeit auch ein byzantinischer Einflufi.
Das alteste Inventar liturgischer Biicher ist aus dem Jahre 1 042 ; es verzeichnet nur import ierte
Codices. Die Musikkultur war eine respektable, doch keine kroatisch-nationale, ausgenommen
die alten Volkslieder. Diese wirkten modifizierend auch auf die gregorianischen Melodien.
Jiingere Forscher wollen darin einen ,,slawischen" Choral sehen. Reste solcher Zwitter-
melodien sind erhalten. Das Volk unterschied verschiedene Provenienzen (Melodien von
Vrbnik usw.) und hielt festliche (vela nota) und gewohnliche (mala nota) Gesange auseinander.
Die alteste Niederschrift eines kroatischen Kirchenliedes ist vom Jahre 1320. — AuCerdem
ist eine (importierte) Osterliturgie (12. Jahrhundert), ein Passionsspiel und ein Mysterium
,,Kreuzabnahme" (15. Jahrhundert) erhalten. Organisten sind in verschiedenen Stadten
bezeugt: in Zagreb seit 1363, in Zara seit 1392; es waren meist heimische Leute, darunter
viele Priester. Im 16. Jahrhundert sind mehrere Musiker, meist nur dem Namen nach, be
zeugt. P.Anton Tudrovie (gest. 1506), Simon Klimantovic (gest. 1544), Simon Glavic
(gest. 1564), Emanuel Zlataric (gest. 1570), P. Benedikt Babic (gest. 1591), P.Gabriel
Tamparica (gest. um 1600 in Wien), Secundus Brugnoli (gest. um 1600), P. Nikolaus
Gaudencije (gest. 1601), P. Serafin Razzi (gest. 1611), Innocenz Jerkovic (gest. 1636),
Ivan LukacSie (gest, 1649), P. Nikola Krajacevic (gest. 1653) und P.Franz Gucetic
(gest. 1658). Eine griindliche Durchforschung der kroatischen Musikgeschichte wird diese
Reihe vervollstandigen. Es ist bei der Musikliebe der Kroaten einerseits und angesichts des
venetianischen Einflusses in Dalmatien undenkbar, dafi keine grofiere Anzahl von Tonkiinstlern
vorhanden gewesen ware. Aus dem 1 7. Jahrhundert kennt man mehrere kroatische Lieder-
bxicher. So A, Georgiceo (1635), ein Pauliner Gesangbuch (Manuskript vom Jahre 1644),
P. N. Krajacevic (1651),Cithara octochorda (1/1701, 2/1723, 3/1757), Herovic (Manu-
skript 1799), Unter diesen ist manche Perle des kroatischen Liedes erhalten.
Das weltliche Lied friiherer Zeiten ist durchwegs Nationalschopfung. Die friiheste Auf-
zeichnung solcher Volksgesange bietet P. Hektorovic' zu Venedig 1568 gedruckte Idylle
,,Ribanje" (mit zwei Weisen). Das Verstandnis fiir Volkslieder entfaltete sich indessen erst
in unserer Zeit, wo mehrere Sammler rayonweise tatig sind (§. Bosiljevac, M. Brajsa-
Rasan, A. Dobroni6, L. Kuba, F. Kuha6, M, Lang, L. Lukic, Z. Spoljar, S. Vraz,
V. 2ganec), Dieses Volkslied ist weniger widerstandsfahig als das serbische; es erhalt
sich traditionell, doch ohne Lebensenergie.
Die Kunstmusik hatte in Kroatien zwej Hauptstiitzen : die Kirche und den Edelsitz. Im
1 7. Jahrhundert war die Entwicklung fihnlich wie bei den Slowenen, nur bedachtiger, Der
Wohlstand lockte in den Bann der westlichen Musikkultur, vorab in den Wiens. Man ver-
I 58 Moderne : Siidslawen
langte von Kiinstlern gebotene Musik, was nur Begiiterte erschwingen konnten. Zwei Stadte
waren als Musikzentren beriihmt: Varazdin und Zagreb. Fremde MusJker zog es hin oder
sie wurden verschrieben. Die oberen Schichten lernten so moderne Werke kennen. Im
Jahre 1827 griindete Karl Wiesner v. Morgenstern (1783—1855) in Zagreb den ersten
Musikverein und dieser eine Musiklehranstalt. Albert v.Striga (1821 — 1897) rief 1841
einen Gesang- und Musikverein ins Leben; dieser sollte den Nationalgesang pflegen.
Der bedeutendste Musiker war damals Vatroslav Lisinski (1819—1854); er komponierte
die erste kroatische Oper (,,Ljubav i zloba"), deren Premiere 1846 stattfand. Eine zweite
Oper (,,Porin") wurde 1897 aufgefiihrt.
Im Jahre 1861 forderte die Landesverwaltung Opernauffiihrungen. Begonnen wurde mit
der Operette; die Musik war international; 1902 muBte die Oper aufgelassen werden. Nun
vertieften sich die Kroaten ins Musikstudium und warfen sich vielfach auf die groCen Formen,
wie Niko Strmic (1840-1906) mit zwei Opern, Gjuro Eisenhuth (1841-1891) mit drei
Opern und anderem. Es folgte V. Kolander (1848—1912) als Organist und Kirchenkom-
ponist, Vj.Klaic (1849-1928), als Violinist und Organisator. V.v.Bersa (1864-1927)
schrieb vier Opern u. a. Oton Zert (1866—1907) war Violinist und Komponist. A. v. Vancas
(1867-1888) schuf Instrumentalsachen.. S.Albini (geb. 1869) folgt mit fiinf Operetten.
Vj.Rosenberg-Ruzic (geb. 1870) ist Padagog und Komponist. J. Muhvic (geb. 1876),
Militarkapellmeister und Komponist. H. Tomicic (geb. 1879), lehnt sich an die Nordlander
an. J. Mandic (get>. 1883) mit einer Oper und Orchestersachen.
Die Opernvorstellungen wurden 1909 restituiert und jiingere kamen zum Wort. So B. Bersa
(geb. 1873), J- Tkalcic (geb. 1877), J. Hatze (geb. 1879), L. §afranek-Kavi6 (geb. 1882),
Grafin Dora v. Pejacsevich (1885—1924) und B, girola (geb. 1889), dieser mit neuen
Problemen, auch Musikgelehrter. Dann F.v. Lucic (geb. 1889), K. Baranovic (geb. 1894)
als Eklektiker auf nationaler Grundlage. A. Brlic (geb. 1893), 2. Hirschler (geb. 1894),
R. Taclik (geb. 1894), J. Stoker (geb. 1896) mit der symphonischen Oper ,,Stvarjenje".
Diese Gruppe beschliefit der modernste und extrem nationale Komponist J. Gotovac (geb.
1895) mit seinen Richtungsgenossen Z. Grgosevic (geb. 1900), A.Novak u. a.
Die Serb en waren lange nach der Besiedlung ihrer Gebiete mit der Westkultur in sehr
lockerer Beriihrung. Sie bewahrten ihr altes nationales Musikgut fast unberiihrt. Es waren
Tanzlieder mit charakteristischen Ausdrucksgebarden, religiose und epische Gesange sowie
lyrische Lieder. Die Epen durften alle aus der christlichen Epoche sein. Die christliche
Liturgie ubernahmen sie von der griechischen Kirche unter Heraklios (610—614). Es war
demnach byzantinische Kirchenmusik. Auf nationaler Grundlage organisierte die serbische
Kirche erst der hi. Sava (gest. 1237). In der Zeit vom 9. bis 13. Jahrhundert hat die serbische
Kirche die iibernommenen Melodien nach ihrem Empfinden umgestaltet, d. h. nationalisiert.
Ein frischeres Leben begann nach 1882, d. i. nach Errichtung des Konigreichs Serbien. Dann
erst begann man russischen Kirchengesang einzufuhren, besonders D. Bortnianskys Kompo-
sitionen, ohne das Alte ganz aufzugeben. Serbien bewahrt noch alte Kirchen- und Profan-
melodien; letztere werden gesungen wie vor 1000 Jahren. An diesen Stand der Musikpflege
kniipft die Modern isierung vor 100 Jahren an. Der Pfadsucher war Militarkapellmeister
Jos. Schlesinger (1829 nach Belgrad berufen), der Marsche auf bekannte Nationalmotive
schrieb. Seither ist in Serbien der Zug nach Westen standig geblieben : alle dortigen Musiker
Moderne : Siidslawen ] ] 69
studierten seither in Wien, Miinchen, Leipzig, Berlin, Paris, Italian, London, Budapest und
Prag. Doch war das Bestreben immer lebendiger, mit der neuen Technik Nationalmotive
zu verarbeiten. Nun begann das Sammeln der Volkslieder (Kolarovic, Kalaus, Stanko-
vic, Marinkovic).
Zu Beginn der serbischen Musikrenaissance wirkt entscheidend der Slowene Davorin
Jenko (s. oben). Nach M. Topalovic (1849-1912) und J. Marinkovic (geb. 1851) erhielt
Serbien eines seiner grofiten Talente: S. Stojanovic (Mokranjac, 1855—1914). Er stu-
dierte in Leipzig, Miinchen und Italien ; wirkte als Komponist, Dirigent, Lehrer und Organi-
sator. Aufier seinen 15 ,,Rukoveti" (verarbeitete serbische Volkslieder), schrieb er auch Litur-
gien mit Nationalmotiven. Neben ihm sind zu nennen B. Joksimovic (geb. 1868), V. Djor-
djevic (geb. 1869), u. a., als Sammler der Volksmusik. Es folgte Stan. Binicki (geb. 1872)
mit einer Oper, Liturgien u. a. Griinder der Musikschule ,,Stankovic", vorziiglicher Dirigent.
Neben ihm P.J.Krstie (geb. 1877), begabter Instrumentalkomponist, Direktor der Bel-
grader Musikschule. Vertreter teils romanischer, teils russisch-expressionistJscher Rich-
tung ist S. K. Hristic (geb. 1885), Schiiler M. Regers, vervollkommnet in Moskau, Rom
und Paris; begabter Komponist: Opern, Instrumentalstiicke, Kirchengesange u.a.; auch
Musikschriftsteller. In Serbien und Kroatien wirkt P. Konjovic (geb. 1883) als Dirigent
und Komponist moderner Richtung (Oper, Symphonic, Klaviersachen usw.); auch Schrift-
steller. Eine iiberaus reiche, allseitige Tatigkeit entfaltet Miloje Milojevic (geb. 1884).
Studierte in Miinchen, Paris und Prag. National-modern in seinen Werken, subjektiv. Schreibt
fur Orchester, auch Lieder, Chore u.a.; hervorragender Musikschriftsteller. Ein Arbeiter,
an den auch die Musikwissenschaft ihre Hoffnungen kniipft. Mit diesem schafft K. P. Ma-
nojlovic (geb. 1890). Studierte in Miinchen und Oxford. Schrieb Kirchengesange, Chore,
Kammermusik, Klaviersachen. Sammler von Nationalliedern, Fachschriftsteller. M.Pauno-
vic (1889-* -1925), Schiiler des Prager und Leipziger Konservatoriums (Riemann, Reger),
komponiert fur Orchester und Biihne, Kapellmeister und Lehrer.
Die Bulgaren blicken auf eine wesentlich einfachere, aber auch sprunghaftere Entfaltung
ihrer Musik zurtick. Das Stammtongut waren heidnische Gesange ritueller, epischer, choreuti-
scher odor lyrischer Natur. Das Christentum kam aus Byzanz, samt dem Kirchengesang.
Dieser erfuhr cine nationale Modifizierung. Gegen Ende des 10. Jahrhunderts iibernahmen
ihn die Russen von den Bulgaren. Im 15. Jahrhundert vertrieben Fanarioten die bulgarischen
Popen. Diese fltichtcten und brachten einen national entwickelteren Gesang nach Rufiland.
Noch heute heifit dort die altere Fassung ,,bolgarski razpjev", die entwickeltere ,,Kievo^
peeerski razpjev". In Bulgarian wurde der Kirchengesang im 1 9. Jahrhundert durch den
spatgriechischen ersetzt.
Im Volke sproBte das profane Lied, als Ausdruck gedrikkter Seelen, weiter. Die Bulgaren,
politisch den Ttirken, geistig den Griechen untergeordnet, verloren ihre eigene Kultur. Auch
die Musiktradition. Man mufite beide neu schaffen und schickte die Jugend ins Ausland,
woher sie fremde Musik brachte und bulgarische Lieder nach importierten Melodien sang.
Urn 1890 begann man die Weckarbeit mit literarisch-musikalischen Abenden, mit Schulen
(Musiklehrbiicher verfaBten Machan, Paunov, Bajdanov, Kod^amanov) und schlichten Kom-
positionen. Daran beteiligte sich die erste Generation: E. Manolov (1860—1902), A, Badov
(1863 -1908), tiichtiger Komponist und Forscher (Rhythmische Grundlagen des bulgarischen
[]7Q Moderne: Ungarn
Volksliedes); auch guter Dirigent. D. Christov (geb. 1875), Dvoraks Schiiler, schrieb Chore,
zwei Orchestersuiten, eine Operetta u. a. A. Bukorestliev (1868-1918), erster bulgarischer
Pianist und Organist, Sammler von Volksliedern (3500). P.Naumov, erster bulgarischer
Violinist, Padagog und Komponist (Lieder, bulgarische Rhapsodien, Dorftanz fur Orchester)
u. a. P. Bojadzijev konzertierte als erster mit bulgarischen Choren im Ausland und schrieb
eine Operette (,,Snezanka").
Eine modernere Schicht der ersten Generation stellten folgende dar: G. Atanasov (geb.
1 872), Schiiler des Bukarester Konservatoriums und P. Mascagnis ; Komponist von fiinf Opern,
und mehreren Operetten, verdienter Militarkapellmeister, Volksliederforscher. D. Georgiev,
Prager Schiiler, Komponist (Lieder, zwei Opern), einer von den Grundern der Musikschule
in Sofia. D. Karadzov, Wiener Schiiler, Komponist, schrieb mehrere Opern, darunter die
impressionistische ,,Pilatus' Tochter", und ,,Der junge Konig" (Urauffuhrung in Wien). -
Ferner N. Atanasov, A.Stojanov, Professor an der Musikakademie in Sofia, auch guter
Komponist. Endlich noch SasaPopov, Slavko Popov, L. Vladigerov, B. Konstantinov,
A. Vapordziev — alle Komponisten und Musiklehrer.
Die modernste Richtung vertritt Panco Vladigerov (geb. 1899), Berliner Schiiler (P. Juon,
Georg Schumann). War schon in Berlin Kapellmeister (Reinhardt-Theater). Instrumental-
komponist. (Charakteristisch : 10 Impressionen for Klavier, Burlesken fur Violine und Or
chester, Exotische Praludien for Klavier). Neben ihm sind zu nennen A.Dimitrov, And.
Stojanov, H.Nestorov, V.Bobcevski, C.Cankov, D. Tumangelov, M.Todorov,
P.Stefanov, S.Stefanov (geb. 1881) und D.Georgiev.
Literatur
Tancev, F., Liturgijsko-obredne igre u Zagrebackoj stolnoj crkvi. (Liturgische Spiele in der Zagreber Dom~
kirche.) Narodna starina 1925. (Kroat.) — Goglia, A.: Hrvatski glazbeni zavod 1827—1927. (Das kroatische Musik-
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slovenske cerkvene pesmi. (Die geschicntliche Entwicklung des slowenischen Kirchenliedes.) In: ,,Ccrkveni Glas-
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1870—1920.) Zagreb 1920. (Kroat.) — Sirola, B.: Pregled povijesti hrvatske muzike. (Oberblick iiber die
Geschichte der kroatischen Musik.) Zagreb 1922. (Kroat.)
Josef Mantuani.
UNGARN
Der modernen ungarischen Musik gebiihrt ein besonderer Platz in der europaischen Musik-
literatur: diese Musik ist das Produkt eines Volkes asiatischer (ugrischer) Abstammung, das
zur Entwicklung einer hoheren, polyphonen, also der abendlandischen Tonkunst vergleich-
baren und doch autochthonen Kunstmusik gelangte. Diese Entwicklung vollzog sich unter
dem Einflusse der europaischen Kultur, der sich das Ungarvolk bald nach seiner Emwande-
Moderne: Ungarn j]7]
runganschlofi. Der indogermanische Einflufi konnte jedoch nicht die aus Asien mitgebrachten
Keime einer orientalischen Weltanschauung ersticken, im Gegenteil : die alte, urspriingliche
Weltanschauung wurde durch die Einwirkungen des Abendlandes zu steter eigenartiger
Weiterentwicklung getrieben und blieb demnach vor einer — fiir die iibrigen asiatischen
Kulturen typischen — Erstarrung bewahrt.
Als altesten Zeugen der vom westlichen Einflufi noch unberiihrten ungarischen Musiksprache konnen wir die
pentatonische (G-B-C-D-F, vgl. die Pentatonik der Vogulen- oder Tscheremissen-Musik) Urschicht der ungarischen
Volksmusik betrachten. Da finden wir straff isometrisch rhythmisierte von barbarischer, elementarer Urkraft
strotzende Tanzlieder im ,,tempo giusto", zu denen sich diistere, leidenschaftliche, tragisch-visionare Volksballaden
im ,,Parlando-Rubato"-Stil gesellen. Der Formwille dieser ungemein ausdrucksvollen und konzisen Weisen kennt
noch keinen architektonischen Bau. Wahrscheinlich im weiteren Verlauf der Entwicklung wird die Pentatonik durch
verzierungsartige Ubergangs- oder Schleiftone (vgl. ,,Pientone" in der chinesischen Musik) — die Tonleiter G — B —
C — D — F durch A oder As als 2. Stufe, E oder Es als 6. Stufe — erweitert und spater, durch die regelrechte Heran-
ziehung dieser anfanglich nur iibergangsweise beriihrten Stufen, zu dorischen, phrygischen, aolischen Tongattungen
umgestaltet. (Gewisse pentatonische Wendungen bleiben aber auch weiterhin hochst charakteristisch.) Die Iso-
rhythmik weicht einer Heterorhythmik des Strophenbaues, die Gliederung der Melodielinien wird eine immer
differenziertere. Auch inhaltlich zeigt sich eine Gliederung der Formen, die Gesange werden (teils unter auswartigem
Einflufi) an verschiedene Gelegenheiten gebunden: neben der tausend und abertausend Bliiten treibenden Liebes-
lyrik erscheinen tragische Nanien, zarte ,,Aubaden," taufrische Kinderlieder, frohliche Hochzeitsweisen usw,,
einen fast beispiellosen Reichtum origineller Melodien und Rhythmen entfaltend.
Trotz dieser aufierordentlich fruchtbaren Volksmusikunterlage konnte Ungarn Jahrhunderte hindurch nur bis
zu gewissen primitiven Ansatzen einer bodenstandigen Kultur derKunstmusik gelangen. Das soil aber nicht be-
deuten, dafi die hohe Kunstmusik in Ungarn unbekannt war. Unser Land beherbergte von je her auslandische Kiinstler
ersten Ranges (z. B. Oswald v. Wolkenstein, Behaim, Stolzer, Willaert, erne ganze Reihe vorziiglicher italienischer
und burgundischer Musiker am Hofe des Konigs Matthias Corvinus) und forderte Talente (z. B. der beriihmte
Lautenmeister des 16. Jahrhunderts Valentin Bakfark, die Briider Neusiedler; im 17. Jahrhundert Johann Kusser).
Doch in dem von unerbittlichen historischen Sturmen immer wieder zerrutteten Lande konnten diese wertvollen
inneren Regungen und aufieren Anregungen nicht zu einer bodenstandigen hohen Tonkunst fortgedeihen. Es
fehlte die ruhige, organische, kontinuierliche Entwicklung der Kultur und Zivilisation ; auch blunt das musikalische
Gemeinschaftswesen bei einem in seiner Musik par excellence auf Homophonie eingestellten Volke, wie es das
ungarische ist, verhaltnismafiig langsamer auf.
Den ersten Ansatz zu einer Kunstmusik bildet das Spielleutentum, das parallel mit dem abendlandischen
erscheint. Bis zum 16. Jahrhundert fehlen leider musikalische Dokumente. Es ist aber feststellbar, dafi diese Spiel-
leute neben ausl&ndischen auch autochthone ungarische Reprasentanten hatten, die infolge der Zeiten verschiedene,
wechselnde Schichten bildeten, — Das Spielleutentum erreicht im 16. Jahrhundert eine besonders hohe Bedeutung.
Musikalische Dokurnente zeugen von einer verbreiteten und mannigfaltigen Kultur des originellen historischen
und biblischen Gesanges (Reimchroniken, Versnovellen). Die Spielleute dieser Epoche — es waren die Zeiten der
schwersten Tiirkenkrlege — waren von den diisteren Schicksalen ihres Volkes umwolkte Dichtergeister (der
hervorragendste : Sebastian Tin6di, der LautenschlSger) ; sie erhoben sich iiber ihr Volk und zeigten ihm die Lage,
in der es sich befand, sie zeigten sie mit einem oft gliihend hervorbrechenden, lyrischen Pathos, das auch den zugleich
aufbltihenden geistlichen Volksgesang durchstromt. So spiegelt sich in diescn Gesangen ein wcnn auch fragmen"
tarisches, doch gewaltig ausdrucksvolles Seelenbild einer um das Leben ringenden Nation.
Diese vokale Kultur cpischen Charakters wird allmShlich von einer des lyrischen Gesanges (sog. ,,Blumengesange")
abgeUtet, die in der Aristokratenmusik des 17. Jahrhunderts ihren Gipfelpunkt erreicht. Die Musik dieser
Stilperiode bliiht an den Magnatenreaiclenzen und ftihrt durch eifrige Pflege der Hausmusik zu einer instrumental
Kultur. Virginaltranskriptionen geben Nachricht von einer reichen Liebesliedlyrik und volkstiimlichen Tanzmusik.
Verschicdencn Gelegenheiten gema'fi bilden sich mannigfaltige instrumentale Ensembles aus Geigen, Virginalen,
Trompeten, ,,Turkenpfeifen*', Krumrnh8rnern, Zithern, Zimbalen, Lauten, Sackpfeifen, Pauken. Dieses Jahrhundert
wurzelt noch stark in den einheimisch-volkischen Traditionen, Auch die beriihmten Soldatengesange und Tanze
der Kurutzenkriege (Rik<kzy-Zeiten) zcigen noch cntschieden volkischen Charakter.
Im 18. Jahrhundert wcndet sich schon die Aristokratie von der vdlkischen Tradition schroff ab und huldigt
allcin der hohen abendlandischen, vorziiglich der dsterreichischen Musik (J, Haydn ais Kapellmeister beim Fiirsten
Esterha'zy, Michael Haydn, Dittersdorf, Albrechtsberger; sp&ter Beethoven und Schubert als G&ste ungarischer
MagnatenhHuscr). Auch in den Stadten lassen sich deutsche Musikmeister nieder. Durch sklavische Nachahmung
des deutschen Liedes entsteht allm&hlich eine der ungarischen Prosodie fremde Kunstliedliteratur, Inmitten dieaer
I j 72 Moderne : Ungarn
Germanisierung wird jetzt der berufene Weiterfuhrer einheimischer Musikalitat eine untere Schicht der Edelleute,
der sog. ^Kleinadel", der noch imstande war, die auslandischen Einfliisse mit der bodenstandigen volkischen Tradition
lest zu verweben. In den Kollegien der Reformierten erstand eine interessante primitive Chorkultur. In der
Instrumentalmusik erscheint ein (vielleicht an die erwahnten Virginaltranskriptionen volkischer Tanze
ankniipfender) ganz neuer Stil, der einen eigenartig ungarisch-kolorierten Melodientyp und punktiert-synkopierten
Rhythmus, den sog. Verbunkos- (Werbungstanz-) Rhythmus entwickelt. In diesen herrlichen Werbungstanzen
spiegelt sich vielleicht am bewuBtesten die Heldennatur der Nation: sie sind halb Tanz-, halb Kriegsklange, stolz,
edel, feurig, doch von tragischer Glut durchgltiht und mit einer eigenartigen, mannlichen Wehmut (dem polnischen
,,Zal" vergleichbar) durchtrankt. Diese Musik erreicht ihren kiinstlerischen Hohepunkt am Anfang des 19. Jahr-
hunderts in der Pflege virtuoser Volksmusikanten der Geige, an deren Spitze Janos Bihari (der mutmaBliche Schopfer
des Rakoczy-Marsches), ferner CserrnakundLavotta stehen. Die Musik dieser Werbungstanzformen liegt mit
ihrer Dur-Molltonalitat und ihrem architektonischen Aufbau schon naher dem abendlandischen Formensinn und
gait Ga sie gilt oft auch noch heutzutage) im AllgemeinbewuBtsein des Auslandes falschlich als ,,die" ungarische
Musik, obwohl sie nur eine kleine Schicht davon reprasentiert. Sie befruchtete auch europaische Musiker, indem
sie dieselben zu zahlreichen ,,Hungarismen" (all'ongarese) inspirierte.
Inzwischen fand auch im Volkslied eine groBere Umwandlung statt. Das alte Volkslied ging in ein moderneres
iiber (architektonisch, Dur-Mollstil), in dem das Bauernvolk viele fremde Elemente sich zu eigen gemacht hatte
und ganz originell neugestaltete. Diese neue sog. ,,silberne" Schicht hangt mit der alten ,,goldenen" organisch
zusammen, lafit in der Melodiebildung die Spuren der Pentatonik deutlich erkennen und bildet einen hochst ursprung-
lichen, homogenen Stil.
An der Schwelle des 1 9. Jahrhunderts finden wir vier Hauptquellen des musikalischen Lebens in Ungarn : 1 . das
neue Volkslied (mit dem sich die Vokalmusik der Kollegien eng verband), 2. den Werbungsmusikstil, 3. die
nach deutschem Muster gebildete Kunstliedliteratur, endlich 4. als eine Abzweigung der Verbunkmusik die unter
dem EinfluB eingewanderter deutsch-osterreichischer Musiker aufkeimende primitive Kammermusik. Aus diesen
Stilrichtungen entstand im 1 9. Jahrhundert ein grbfies Stilgemisch, in dessen Zustandekommen die Zigeuner-
musikantendie Hauptrolle gespielt hatten. Die Zigeuner verstanden mit grofier Empfanglichkeit und chamaleon-
artiger Scbmiegsamkeit sich jeder Stilrichtung in den Dienst zu stellen. Was sie erlernten, das haben sie mit ihrer
originellen, iippigen, sich durch reiche Verzierungen und iiberschwengliche ,,Rubatos" auszeichnenden Vortrags-
kunst ausgestattet. Ihr Wanderleben pradestinierte sie zum Vermittlertum. In dem so entstandenen Stilgemisch
fiihrt auch schon die Chromatik ein bedeutendes Wort (die zwei falschlich als ,,typisch4t ungariscn geltenden Tonleitern
G—^s—H— C— D— Es— Fis— G und G— A— B—Cis— D— Es— Fis— Gl). Aus den durch die Zigeuner vermittelten
musikalischen Stoffen schufen mehr oder minder begabte stadtische Dilettanten (Simonffy, Szentirmay) eine reiche,
volkstiimliche Liedliteratur, die unter der Devise ,,ungarisches Volkslied" auch im Auslande allgemein bekannt
wurde. Diese pseudovolkische Literatur entwickelte zwar gewisse charakteristische Lied- und Tanzmusiktypen
(die Verb unksmusik ging in den vierziger Jahren zum Teil in eine mehr salonmaBige Tanzliteratur [R6zsavolagi], zum
Teil in die Csardasmusik iiber), doch sie lieB die innere Homogenitat, die reine Musikalitat, die konzise Ausdrucks-
kraft und den mit ihr verbundenen originellen ,,asthetischen Lakonismus" des echten Bauernliedes vermissen und
fiihrte so zu einer immer grofieren Verf lachung. So ging im 1 9. Jahrhundert im BewuBtsein der hoher stehenden
Volksklassen die alte, tiefdurchgeistigte ungarische Musiktradition verloren, sie wurde von dem loseren pseudo-
volkischen Stilgemisch des Jahrhunderts ganzlich verschiittet.
Dies geschah gerade zu der Zeit, als mit dem Durchbruch demokratischer Ideen die hohe abendlandische Musik"
kultur aus den exklusiven Aristokratenpalasten hinausdrang, also die groBen deutschen, italienischen, franzosischen
Musikwerke durch eifrige Pflege Gemeingut wurden, und als der grofie nationale Aufschwung — der in der Dicht-
kunst (weniger pragnanter auch in der Malerei) Meisterwerke ersten Ranges in Erscheinung treten lieB — seine
Macht auch auf das Gebiet der Musik ausbreiten wollte. An der Spitze dieser Bewegung stand bald kein Geringerer
als Franz Liszt. Mit ihm teilten noch zwei hochbegabte starke kunstlerische Personlichkeiten, Franz Erkel (Kom-
ponist der grofien Nationalopem ,,Hunyadi Lassl6" und ,,Ba"nkban") und Michael Mosonyi, die geistige Fiihrer-
schaft. Das ,,Ungarische" in der Musik dieser MeJster beschrankt sich auf ein aus dem ungarischen Stilgemisch
des Jahrhunderts entlehntes nationales Kolorit, das wir im Falle Liszts den Saint-Saensschen ,,Exotismen*\ im
Falle Erkels und Mosonyis dem Tschaikowskyschen ,,Russentum" vergleichen konnten. Die groBe Bedeutung dieser
Meister liegt darin, dafi sie sich der zeitgenSssischen Musik des Abendlandes vorbehaltlos anschlossen und dabei
die Mo'glichkeit einer bodenstandig-ungarischen hohen Kunstmusik ahnen lieBen. ,,Ungarisieren" und ,,sich der
abendlandischen Tonkunst anschlieBen", diese zwei Tendenzen kennzeichnen auch die Weiterfuhrer der Liszt-
Erkelschen Epoche. Obwohl diese zwei Tendenzen miteinander fest verbunden sind, konnen wir die ihnen folgenden
Musiker doch in zwei Gruppen teilen. Die eine sah ihre Aufgabe eher in dem immer starkeren ,,Ungarisieren"
(Alexander Bertha, der durch seinen virtuosen Klavierstil hervorragende Lisztschiiler Aladar Juhdsz, weiterhin
Henrik Gobbi, Agghazy, Beliczay u. a.), die andere mehr in einer hochkultivierten Anpassung an die abend"
Moderne : Ungarn ] | 73
landische Musik (Viktor Herzfeld, der feinsinnige Wagnerepigone Edmund Michalovich u. a.). Aus diesen
beiden Gruppen fuhren die Faden direkt in die Gegenwart.
Erkels ,,ungarisierende" Tendenz hat eine Art patriotischer Tradition gegriindet, die in
der Pflege einiger riickschrittlicher Musiker alsbald erstarrte und verseichte. Diese Musiker
(Jeno Hub ay, Bela Szabados und der verstorbene Arpad Szendy) schreiben iibrigens
eine Musik im Stile der vorwagnerschen kleineren, meist deutschen Romantiker (Hubay stiitzt
sich in seinen Violinkompositionen hauptsachlich auf Vieuxtemps), ausgeschmiickt mit Zieraten
der Zigeunermusik. Als wertvollstes Aufglimmen der Erkelschen Tradition miissen wir die
komische Oper ,,Hochzeit im Fasching" von Eduard Poldini erwahnen, eine in dramatischer
Hinsicht gut durchdachte, stimmungsreiche, modernere ,,Buffa"~Schwester <jer heroischen
Opern Erkels. Poldini folgt der internationalen Musikentwicklung bis Wagner und macht
Exkursionen bis R. StrauB, ahnlich wie sein mehr konservativer Zeitgenosse, der Symphoniker
Peter Konig.
Bedeutendere Entwicklung ging von der Gruppe der sich nach internationalen Idealen
orientierenden ungarischen Musiker hervor. ,,Europaisiertes Ungartum" war ein Losungs-
wort, das bisher das individuelle Streben unterdriickte, ein Ideal, dem die Komponisten des
19. Jahrhunderts, personliche Probleme beiseitelassend und so in der grofien Allgemeinheit
der Kulturtendenz verschwebend, ihre Opfer darbrachten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts
wich diese allgemeine Kulturtendenz bald einem kraftigeren individuellen Schaffensdrang.
Es erschien eine Gruppe von Tonkiinstlern, die in Ungarn nicht blofi eine Heimstatte des
musikaliscnen Europaertums begriinden wollte, sondern in dieser Kulturheimat ein freies,
unbefangenes, personliches Ktinstlerleben fiihrte. Einige aus dieser Kiinstlergeneration ver-
ankerten sich ganz in auslandischer Kultur: so Erwin Lendvai, Eugen Zador, Albert Siklos
in den neueren osterreichisch-deutschen Stilrichtungen, Desider Antalffy-Zsiross, Theodor
Szanto, Tibor Harsanyi im franzosischen Impressionismus. Andere schlossen sich enger
an ihre Heimat an, so der fruhverstorbene, hochbegabte Aladar Rado und Nikolaus Radnai.
Durch ihre volkstumlich ungarischen Beziehungen gewann auch die Brahmssche Kunst fiir
die ungarische Musik groOe Bedeutung. Hans Kofilers Schule entwuchs Ernst Dohnanyis
(geb, 1877) vornehme Meisterschaft, welche die poetischen Errungenschaften der in Wagner
wurzelnden Spatromantik, jedoch im Geiste des Brahmsschen Klassizismus mit leichter, form-
sicherer Hand zusammenfalite* In seinen Jugendwerken erweist sich Dohnanyi als bedeutend-
ster Nachfolger des Wiener Meisters ; doch schon zeigen seine eleganteren Formen seine leicht-
fliefiende Satztechnik (Quartett Des-Dur) und insbesondere die dem Wesen des Instrumentes
prachtig angepafite Behandlung des Klaviers (Passacaglia) den originellen Kammermusik-
gestalter. Die spatromantische Ideologic findet hier harmonisch geschlossene Form, und so
konnen wir Dohnanyis Stil als den Gegenpol zu der drarnatisch gegliederten aUfresko-Schreib-
weise der Weitergestalter der neudeutschen Schule betrachten. Als geniale Beispiele dafiir
konnen die 4Rhapsodien fiir Pianoforte und das II.Klavierquintett gelten. Auch seine Blihnen-
musik (,,Der Schleier der Pierrette*4, Pantomime, ,,DerTurm des Vojwoden**, Oper in 5 Bildern,
,,Der Tenor**) fesselt durch die Auflosung dramatischer Momenta in symphonischer Ge-
staltung. Dohnanyi ist einer der hervorragendsten Vertreter der absterbenden asthetisch
verfeinerten biirgerlichen Kammcrmusik (3 Streichquartette, 1 Trioserenade). Den sehn-
siichtigen Blick auf das unerreichbare Wiener Klassikertum gerichtet, schwebt sein Geist in
I ] 74 Modeme : Ungarn
milder Melancholic, die selbst seine ergotzlichen Humoresken (Kinderliedvariationen fur
Klavier und Orchester) durchdringt, wie ein geheimes Trauern, das wir mit der zu
parnassistischen Formen fliichtenden Resignation eines Thomas Mann vergleichen konnen.
Von den Schatten klassischer Vergangenheit unangefochten, sprudelt die glanzende Invention
des aufierst formgewandten Meisters Leo Weiner (geb. 1885). Unfehlbare musikalische
Sicherheit, auch im Strenghorizontalen koloristisch reiche Fantasie, schwarmerische Melodien-
seligkeit belebt seine 2 Klavier-Violin-Sonaten, die 2 Streichquartette (darunter das mit dem
Coolidge-Preis gekronte Fis-moll-Quartett), die Orchesterhumoreske ,,Fasching'4, die grofi-
angelegte Buhnenmusik zu Vorosmartys Marchendrama ,,Csongor und Tiinde". Ein echtes
Scherzotalent, das die Technik franzosischer Impressionisten mit hochstem Geschmack und
originellem Humor auszubeuten versteht.
Wenn wir nun diese im 19. Jahrhundert aufbliihende und in das 20. Jahrhundert auslaufende
Entwicklung iiberblicken, so miissen wir in ihr die letzten ,,Schuljahre" der ungarischen
Musik erkennen. In dieser Zeit gingen zwar die originellsten und wertvollsten musikalischen
Traditionen des Ungartums verloren, doch das Musikertum des Landes lernte inzwischen
alles, was in der hochsten Schule der zeitgenossischen Musikkultur zu erlernen waY. An dieser
Arbeit beteiligten sich auch zahlreiche deutsche Meister, die sich im Lande niederliefien oder
da wenigstens eine geraume Zeit lang wirkten (vollkommen eingegliedert : Franz und Karl
Doppler; bestandig: Robert Volkmann, D. Popper, H. Koessler; voriibergehend : G. Mahler;
als oft begriiCter Cast: J. Brahms). — Die Entwicklung der ungarischen Musik gelangte viel-
leicht jetzt zum kritischsten Punkte. Es gait ja nun die Frage: wird der urwiichsige Genius
der ungarischen Musikalitat den abendlandischen Einfliissen unterliegen oder wird er die
iibernommene europaische Kultur mit den Kraften seiner eigensten Weltanschauung ganzlich
durchdringen, umbilden und so daraus etwas vollig Neues und Bodenstandiges entstehen
lassen? Die glinstige Losung dieser Frage konnten nur urwiichsige kiinstlerische Individual^
taten herbeifiihren. Als solche bewiesen sich die beiden, alles bisherige iiberragenden Meister
der ungarischen modernen Musik: Bela Bart 6k (geb. 1881 in Nagyszentmiklos) und Zoltan
Kodaly (geb. 1882 in Kecskemet). Wohl lehnte sich Bartok in seinen Erstlingswerken
auch an die ungarisierenden Schopfungen Liszts, doch bei ihm war das nationale Geprage
der Rhythmen und Melodiefiihrung schon keine aufierliche Tendenz, sondern eine damals
einzige Moglichkeit des ersten grofien Emporstrebens des ungarischen Kunstwillens, der
sich noch keine eigene Sprache gestaltete und sich darum mit den von fremdem Geiste
durchdrungenen Formen begniigte. Die Hauptwerke dieser Epoche (die symphonische
Programmdichtung ,,Kossuth", 1903, die Rhapsodic fur Klavier und Orchester, 1904,
die I. Orchestersuite, 1904) zogen die Formen noch etwas in die Breite, iiberluden sie
mit kostlichen Episoden. Ihre Motive waren den alteren Melodien der zweiten Volkslied-
periode nachgebildet, die temperamentvollen Tanzsatze atmeten frische und uberschaumende
Jugendkraft. Das Orchester stand auf der aufiersten technischen Hohe StrauBscher Instru--
mentierungskunst, die Harmonik mit ihren kiihnen Auflosungen geht den Weg, den Liszt
eingeschlagen, Liszt war der erste, der durch die Verwendung der Ganztonskala, durch die
Einfiihrung der ,,schwebenden Tonalitat" und der Mischung verschiedener Tonarten an den
Ausgangspforten des Dur-Moll-Systems riittelte, und so den ungarischen Neuerern unbewufit
den Weg bahnte. Die zweite groOe Anregung verdanken unsere Modernen dem franzosischen
Moderne: Ungarn 1 1 75
Impressionismus, der mit der Erscheinung Debussys die bisherige deutsche Vorherrschaft
tangierte und so zur gesteigerten Nationalisierung der Tonkunst fiihrte.
Das eigentliche Epochemachende war aber die Entdeckung des alten Volksliedes durch die
unermiidlichen Folklonsten : Bartok und Kodaly. Das Schaffen Debussys, dessen Einflufi sich
im Werke Kodalys und nach ihm bei Bartok zeigte, war nur eine Notbriicke, die das Uber-
steigen jenes Abgrundes erleichterte, der die bisherige ungarische Kunstmusik von der Formen-
welt der altesten pentatonischen Volksdichtungen getrennt hatte. Die Beziehung zwischen
Bartok^Kodaly und der Volksmusik ist kemeswegs eine romantische. Debussy nahm, durch
Mussorgsky beemflufit, von der russischen Volkskunst nur die neuen, asthetisch anregenden
Moglichkeiten, nicht aber den Geist; seine orientalischen beziehungsweise iberischen Stim-
mungen sind Zeugnisse daflir, dafi ihn im Volklichen nur eine romantische Exotik anzog. Der
Hang zum Volklichen zeichnet sich bei den jungen Ungarn durch eine tiefe Objektivitat aus,
die nur bei Komponisten moglich war, welche die neuentdeckte Formensprache als etwas
natiirlich Gegebenes, als ihre eigene Muttersprache empfanden. Das alte Volkslied gab frische
urwiichsige Phraseologie, ungeahnt reiche Rhythmen, Keime, aus denen eine neue Harmonik
sprofi, und ermoglichte so den weiten Sprung, mit dem Kodaly-Bartok iiber den damals herr-
schenden Impressionismus hinaus zu einem konstruktiven Klassizismus gelangten. Das neue
Melodienmaterial, der alten Pentatonik entspriefiend, eliminierte die iiberfeinerte Chromatik
und die iibertrieben harmonisch bestimmten Linien; die Melodie bestimmte das Harmonische,
das Horizontale trat wieder in seine Rechte und verdrangte die Herrschaft des vertikalen Prin-
zipes, das seit dem Romantizismus in der Tonkunst die Uberhand gewonnen hatte. Das Nur-
Koloristische verschwand, alles drangte zu logischer Geschlossenheit. Das horizontal Prinzip
fiihrte zu einer neuen Kontrapunktik, die sich, wie bei Schonberg, aus dem Melodischen er-
klaren lafit. Das Dur-Moll-System loste sich in mannigfaltigste Formen der modernen Har
monik auf, ohne sich im Netze ausgekliigelter Theorien zu verfangen. Neben dem Gebrauch
der schwebenden Tonalitat baut Bartok gerne das harmonische Gebaude auf zwei Grund-
akkorde, die sich zueinander wie Tonika und Dominante verhalten ; seine letzten Werke er-
setzen die Tonalitat durch bedeutungsvoll wiederkehrende einzelne Tone, von Antal Molnar
treffend ,,Tonsymbole" genannt. Die Volksmusik bot den ungarischen Neuerern nur frische
Urelemente der Tonsprache; urn grofie Formen zu finden, mufiten beide Fiihrer, Kodaly
und Bart6kt aus sich selbst schopfen, und da schlug ein jeder seinen eigenen Weg ein. Zur
ersten grofien Epoche des zu eigener Sprache gelangten Bart6k fuhren 2 Orchesterwerke : die
II, Suite (1905/7) und die ,,Zwei Portraits" (1907), in denen wir schon zwei der interessan-
testen Gesichte Bart6kscher Kunst beobachten konnen. Beide bilden sich zwar aus der Volks-
musJk, doch beide weisen mit ihrem Blicke iiber das Nationalvolkliche hinaus. Das eine ist
das Lyrisch-Subjektive des romantischen Kiinstlers, in dessen Ziigen wir Einsamkeit, Insich-
versenken lesen, dessen Temperament zwar orgiastisch nach Befreiung kampfen kann, doch
es windet sich auch so im Banne personlicher Probleme. Das andere Gesicht blickt in ent-
gegengesetzter Richtung nach dem Allgemeinprimitiven, Urinstinktiven, wo es einen Blick
Strawinskyscher Kunst auffangen kann. Bart6ks zum Grotesken neigende fieberische Phan-
tasie gelangt hier zu bedeut'ender Rolle, doch seine bittere Ironic hat gar nichts Dadaistisch-
Negatives, nichts von dem grofiartigen Zynismus Strawinskys. Hier waltet nur die oft grotesk
wilde GegensStzlichkeit der Leidenschaften primitiver Seelen. In trotzigen, in ihrer unend-
I I 75 Moderne : Ungarn
lichen Differenziertheit und Kapriziositat doch mechanisch straffen Rhythmen kampfen sich
re volution a' re Urtriebe durch. Die zwingendste Pragnanz gewinnt das im beriihmten ,, Allegro
barbaro" (1911) und im Scherzo des II. Streichquartetts (1915/17). In Bartoks plastischen
Charakterbildern(z.B.die ,,DreiBurIesken", 1910) spiegelt sich seine romantisch-humoristische
Art. Die T,Zwei Elegien" (1908) fuhren ganz in die Welt des einsamen Romantikers. Die hier
angewandte glanzende, doch weniger konzentrierte GroBtechnik verleiht auch den beiden
,,Rumanischen Tanzen" (1910) romantischen Charakter. Der Tanzrhythmus bietet hier, wie
in den Chopin-Polonasen, prachtige Gelegenheit zu groBziigiger Kriegsmusik.
Mogen diese romantischen Exkursionen in die GroBtechnik, in die pianistische Vollgriffig-
keit Bartoks Farbenskala noch so bereichern, die eigentliche Grundlage seines Schaffens bilden
die knappen, aufierst konstruktiven Volksliedbearbeitungen, die in seinem Oeuvre das spezial
Klassische darstellen. Die Jahre 1908/09 brachten 3 Sammlungen dieser Art (,,Fiir Kinder",
4 Hefte, ,,Zehn leichte Klavierstiicke", ,,Bagatellen"). Die sonore, homophon gehaltene Me-
lodie stiitzt sich auf ein Akkompagnato, das einen streng analytischen Charakter zeigt, also
sich von jeder Umschreibung fern halt. Die iibliche Form dieser Kompositionen ist, dem stro-
phischen Bau des Volksliedes entsprechend, die Variation, wozu insbesondere die verschiedene
Auffassung der tonalen Beziehungen der Melodie kiihn und logisch als Mittel angewendet wird.
Zu dieser Stilart gehoren auch Stiicke mit eigener Melodie, an deren Spitze die feierlich ein-
fachen ,,Vier Naenien" (1910) stehen. Die an die Monumentalitat Bachscher Choralbearbei-
tungen mahnende Grandiositat dieser kleinen Werke weist schon deuthch auf die Grofiziigig-
keit des Kiinstlers der grofien Formen hin.
Bartoks grofie Form war anfangs die Suite, also eine Folge kleinerer Stticke. Neben diesen
stehen Orchesterwerke, in zwei, miteinander stark kontrastierende Satze geteilt, so die ,,Zwei
Bilder" (1910), die Bartok auf der Hohe der abgeklartesten Instrumentierungskunst zeigen.
Die Zusammenfassung der Suitensatze in eine grofie einheitliche Linie reprasentiert sein Ein-
akter ,,Herzog Blaubarts Burg". Das Libretto von Bela Balazs off net die diistere Seele des nach
Liebeserlosung suchenden Blaubarts durch sieben verriegelte, doch auf den Wunsch der Ge-
liebten Judith aufspringende Pforten der herzoglichen Burg. Dementsprechend entwickelt
Bartok sieben herrlich gesteigerte symphonische Bilder. Epochemachend war im Werke die
Losung der ungarischen Gesangsdiktion. Man kann sich kaum einen geeigneteren dramatischen
Stil denken, als den aus dem leidenschaftlich dramatischen, expressionistisch-gedrungenen Ton
der Volksballaden entwickelten Klassizismus Bartoks und Kodalys. Wir gehen nicht zu weit,
wenn wir das Rezitativ des Einakters, der seinesgleichen in der modernen Musik nur in Kodalys
Orchesterliedern findet, an reichen Ausdrucksmoglichkeiten mit Wagners und Monteverdis
Sprechgesang vergleichen. Das zweite Buhnenwerk Bartoks, die Pantomime ,,Der holzge-
schnitzte Prinz" (1914/16), zeigt wieder streng geteilte musikalische Abschnitte. Doch das
bedeutet keineswegs Riickkehr zur Suitenform, denn hier bewahrt Bartok die dramatisch-musi-
kalische Einheit durch Verwendung der Reprise mit veranderten Themen. Die Pantomime
(Text von Balazs) entwickelt ein musikalisches Weltbild im Sinne der Mozartschen ,,Zauber-
flote". Im Mittelpunkt steht die tiefmenschliche Gestalt des Prinzen, dessen Kampf urn das
Weib, die von der seelenlosen, aufierlich geschmuckten Holzpuppe verleitet wird, doch endlich
emiichtert, sich zum wahren Prinzen ihre^r Leidenschaft bekennt. Das Damonisch-Leere,
Mechanisch-Seelenlose des Lebens findet tiefgreifende Schilderung in der Tanzmusik der
Moderne : Ungarn ] ] 77
prinzenhaft geputzten Holzfigur, die sich in der Desillusionsszene (veranderte Reprise) in
lacherlicher Groteskheit entlarvt. Dem Menschlichen und Mechanischen gegeniiber stehen
die Urkrafte der Natur im Ballettchor als Wald, Blumen und Bach symbolisiert.
Was den Aufbau betrifft, reihen sich die besprochenen Werke Bartoks unter zwei verschiedene
Formprinzipien, die ihre reifste architektonische Betatigung in seiner Kammermusik finden.
Das erste Formprinzip ruht auf einer Art fortspinnender Technik, das sich auch auf die
Attaccasatzfolge ausdehnt und die Senate als psychologisch aus sich selbst entwickelnde Ein-
heit auffaBt. Diese Formenbestrebung gestaltet das I. Streichquartett (1908), das auch die
erste grofie Stichprobe der neuen polyphonen Kunst ist. Auf den Beethovenschen Tiefsinn
des Meisterwerkes wurde schon von verschiedensten Seiten hingewiesen, und wahrhaft spiegelt
diese Schopfung mit ihrem einheitlichen Gufi, mit ihren sich psychologisch entwickelnden
Stimmungen etwas vom Geiste der letzten Beethoven quartette. Das andere Formprinzip, das
die Senate in drei streng geschiedene, scharf kontrastierende Satze gliedert, herrscht im
II. Streichquartett, das mit dem erschiitternd tragischen LentoschluBsatz zu den tiefsten
Offenbarungen Bartokscher Kunst gehort.
In Bartoks Stil vollzog sich indessen eine weitere Entwicklung. Die ,,Rumanischen Volks-
tanze" und ,,Ungarischen Bauernlieder" fiir Pianoforte aus dem Jahre 1915 weichen von den
friiheren Volksliedbearbeitungen durch breitere, vollgriffige Behandlung des volklichen Stoffes
ab. Die ,,Drei Etiiden" (1918) entwickeln die aufierste technische Virtuositat seines Klavier-
satzes. In den ,,Improvisationen iiber ungarische Volkslieder * (1920) erfolgt die Konzentra-
tion der neueren technischen und harmonischen Errungenschaften in einer bisher unerhort
pragnanten und logisch strengen Weise. Die Nebenstimmen gewinnen hohere polyphone
Bedeutung, die einzelne Strophen trennenden Zwischenspiele wachsen zu monumentalen
Visionen. Die umfassenden Werke dieser letzten Periode sind (neben der Pantomime ,,Der
wunderbare Mandarin", 1926) zwei grofie Sonaten fiir Klavier undVioline. Die erste Senate
(1921) ist die monumentalste Pragung der in 3 Teile gegliederten Bartokschen Sonaten-
form. Diese Form iiberwindet das Transzendental-Symmetrische durch die ebenso formale
wie gehaltliche Verwandlung der Themen in der Reprise. Das Pessimistische wird in der
Adagioandacht zwar verklart, doch nicht aufgehoben. Ein echt ungarischer Zug in Bartoks
Kunst ist, daft er trotz seiner pessimistischen Lebensauffassung und trotz der iiberreich quellen-
den visionar'-exaltierten Phantasie mit bauerlicher Ntichternheit dem transzendentalen Gebiete
unglaubig gegeniibersteht und sich mit tragischer Liebe oder mit herbem, eft tretzigem Humor
immer zum Leben bekennt. So strotzt der iibermiitige Schlufisatz des I. Streichquartetts von
kiihnem Lebensmut, und so singt Bart6k im Rondo der I. Sonate ein urkraftiges, das Blut
aufpeitschendes Kampflied. Die 'beiden Instrumente haben, ihrem verschiedenen Charakter
gemafi, verschiedene Partien, sie iibernehmen also voneinander die Themen nicht, sie finden
sich nur in der klanglichen Synthese zusammen. In der II.Klavier-Violin-Senate (1922) nimmt
Bart 6k wieder den Faden der fortspinnenden Attaccaform des L Quartetts auf. Eine kurze
Fantasie fiihrt gleich zum Rondo, das vielleicht das inhaltlich Reichste ist, was Bart6k in einem
Satze bisher geschaffen. Das Volksliedthema steht hier wieder im Mittelpunkte, von dem aus
Bart6ks Fantasie, vielleicht hier am eklatantesten, einerseits nach dem subjektiv Einsamen,
andererseits nach dem primitiv Grotesken greift. Seine jiingsten Werke sind 2 Streich-
quartette und ein Klavierkonzert (1926).
H78 Moderne: Ungarn
Dem revolutionaren suchenden Kiinstlertum Bartoks gegenuber steht Zoltan Kodaly
(geb. 1882) als typischer zusammenfassender Geist der volkischen Musikkultur Ungarns. Das
vollige Eingewurzeltsein im vaterlandischen Geistesleben gab seiner Musik einen reinen,
schlackenlosen Ton, eine Ausdrucksweise, die mit der inneren poetischen Vorstellung ursprung-
lich zusammenfallt, eine Form, die seine kunstlerische Weltanschauung selber bedeutet. Ko
dalys Entwicklung von der mit impressionistischem Geist durchdrungenen Spatromantik zu
konstruktiver Geschlossenheit ging rasch ihren Weg. Das I. Streichquartett (1910) und die
Cello-Klavier-Sonate (1910) fallen noch in diese Ubergangepoche. Die Sonatenform ist schon
hier festgepragt, das Ideal der primaren, die Romantik absorbierenden Sonatenform schon
erreicht; der umschreibende Charakter kommt eher von den reichen Episoden. Im Violin-
Cello-Duo (1914) finden wir Kodaly schon am Ziel.
Was den Stil Kodalys in erster Reihe festlegt, ist das ungehemmt stromende, herrlich ge-
schwungene Melos, das mit keuscher Leidenschaft emporschwillt und durch eigengeschaffene
tonale Gesetze bestimmt zum Ruhepunkte heimkehrt. Diese Melodie bringt von seiner volk-
lichen Quelle die meistens dorische, phrygische und mixolydische Thematik, zu der sich die
Harmonik fester als bei Bartok halt. Die Wesenhaftigkeit und innerste Geschlossenheit der
Melodie teilt seine Sonatenexpositionen in melodisch scharf getrennte, doch durch kunstvolle
Polyphonic leicht ineinander iibergreifende Satze. Die Reprise baut sich nach der kurzen
Durchflihrung ganz frei auf, wodurch die Themen besonders neue positionale Bedeutung ge-
winnen. Vielleicht das Originellste, was Kodaly der modernen Tonkunst gab, war die neue
Bewertung des grofiangelegten langsamen Satzes. Der Gesang entfaltet sich hier mit seiner
ganzen lyrisch-dramatischen Macht; der herben Tragik Bartoks gegenuber hebt sich da ein
inniger, geheimer Klagelaut, eine mannliche Melancholic, die die Wehmut der Gedichte des
ein Jahrhundert friiher lebenden Csokonay in uns wachruft. In Bartoks Kunst geht ofter die
Phantasie dem Lyrismus voran. Bartok ist oft der Besessene seiner eigenen fiebenschen Vi-
sionen, Kodalys Schaffen spiegelt die vollige Einheit des phantastischen und lyrischen Ele-
mentes, die rniteinander harmonisch durchdrungen sind. Auch in der Kodalyschen Sonate
bedeutet der letzte Satz eine Aussohnung mit dem tragischen Leben ; doch der urlebensmutigen
Kampfstimmung dem Bartokschen Finale gegenuber fxihrt uns Kodaly in die harmonische Welt
des Volkstanzes, den er in seinem abgeklartesten poetischen Wesen ergreift. Die rondoartige
Form bringt in den Episoden oder Trios oft lyrische Bilder aus dem ungarischen Volksleben.
Nach breiten, langsamen Satzen geht dem Tanzsatz gewohnlich eine grofiere, zum Ideengehalt
des ersten Satzes zuriickgreifende Einleitung voran, die an das Praludieren alter ungarischer
Instrumentalmusik mahnt. Im II. Streichquartett ist das Finale mit dem Adagio program-
matisch zusammengeflochten : ein Finalethema erscheint inmitten der erschiitternden Adagio-
tragik ,,quasi lontano". Doch solche programmatische Schilderungen haben bei Kodaly nichts
Literarisch-Deskriptives. Hierhandelt es sich nur um die Anwendung musikalischer Formen,
die ihre Entstehung dem Volksleben verdanken, und so ihre Beziehungen zu diesem lebendig
bewahren. Der programmatische Inhalt gehort also von vornherein zu der Form, und so triibt
er nie die stilistische Reinheit des Absolut-Musikalischen. Das schonste Beispiel dafiir bietet
die Serenade fur 2 Violinen und Bratsche (1920), das abgeklarteste Werk, das Kodaly uns
bisher geschenkt hat. Nach der Entratastimmung des ersten Satzes entwickelt sich im klein-
malerischen Lento ein Dialog der Bratsche und der I.Violine, halb sehnsiichtig, halb humori-
Moderne: Ungarn ] ] 79
stisch, \vie das nachtliche Zwiegesprach zweier Liebenden. Nach der Beruhigung heimlicher
Leidenschaften setzt das launische Musizieren des Volkstanzfinales ein.
Das Kodalysche Melos flihrt zum Einzelinstrument. Das Einswerden der Melodic mit dem
ausfiihrenden Instrument, das wir bei Mozart bewundern, ist auch die hochste Tugend Ko-
dalyscher Kammermusik. Das Jnnerste Wesen des Instrumentes wird hier ergriffen, und so
verliert sich das Solistische auch in der ungewohnlich reichen Synthese nicht, mit der Kodaly
vertikale Moglichkeiten auszubeuten versteht So gelangt Kodaly in der Solo-Cello-Sonate (1915)
zu einer Wiederentdeckung des Einzelinstrumentes. Auch im grofien Orchester bewahrt
Kodaly diese eigenartige Verwendung der Instrumente. Die ,,Zwei Orchesterlieder", Ver-
tonungen von Gedichten von Berzsenyi und Andreas Ady (neben Petofi der grofite ungarische
Lyriker), ziehen auch das Koloristische in den Dienst konstruktiven Aufbaues. Durch die ge-
schlossene Melodielinie findet Kodaly auch den Weg zu der reinsten Form der Lieddichtung.
Sie verhilft der Gesangstimme zu obligater Herrschaft, sodafi sie sich im Gewebe der Be-
gleitungsstimmen nie als Stimme unter Stimmen verliert; doch geht sie auch nicht so riick-
sichtslos straff ihren Weg liber der Begleitung wie die Gesangspartien der Strawinsky-Lieder.
Sein vokales Oeuvre besteht aus einer Liedersammlung liber Volksliedtexte, aus Volkslied-
hearbeitungen und Choren und einer Reihe von Liedern liber Texte von Ady, Csokonay,
Arany, Berzsenyi und Kolcsey, Kodalys sostenuto-appassionato oder parlando-rubato breit-
slromendes Melos cntspricht mehr dem Wesen der Streich-, wie dem der Schlaginstrumente.
Sein Klaviersatz cntwickelte sich darum langsamer; in seinem strengokonomischen Schaffen
konntc das Pianoforte nicht die libliche Rolle des Instrumentes der Improvisation spielen. Die
auf und ab wogende, ausflillende Begleitung der ,,largamente'* Motive mufite vorerst ersetzt
werden. Das gcschah im II. Hcfte seiner ,,Klaviermusiklt (1918) durch eine originelle Aus-
nlitzung des vcrschiedencn Charakters der entferntesten Klavierlagen. So bewegt sich die
Melodic des ,, Lento" in grofien Intervallen, die Phantasie des Zuhorers wird gezwungen, um
die Charakter- und Timbreverschiedenheit der einander fernliegenden Tone zu verbinden,
grofie Wege zu durchlaufcn, das Gleichgewicht der Phrase, das ganze Tongebaude gerat da-
durch ins Sdhwanken und so gewinnt das Stuck einen vehementen Charakter, der trotz des
langsamen ZeitmaCes und der Klirzc (23 Alla-breve-Takte) zu bedeutender Grofie emporwachst.
Um die sonore einfache Volksmelodielinie dramatisch zu betonen, wendet sich JCodalys Kla-
vier.stil zu mannigfaltigen Fiorituren, die also ihre alte Bedeutung wiedergewinnen. So werden
in den Szeklerlied-Variationen die Vor- und Nachschlagverzierungen Mitte) zur Variation
und die Variation ein Mittel zu dramatischer Steigerung. Sein bedeutendstes Werk der jiingsten
Zeit ist der ,,PsaImus Hungaricus" fur Tenorsolo, Chor und Orchester, 1923. Weiter sind
zu nennen die Singspielmusik ,,Hary Janos*', 2 Violinsonaten und weitere Chore.
Bart6k und Kodaly sind Exponenten der osteuropaischen Musiklcultur, die der abendlan-
dischen Musik frische volkliche Elcmente zuflihren. Sie gehoren zu den Begriindern des
neuen, sich vom Impressionismus lossagenden konstruktiven Stils, der durch den EinfluB
Strawinskys insbesondere in Frankreich und Italicn Schulc machte. Auf der positiven Basis
cler Volksmusik stehend, haben sie nichts Gemeinsames mit der sogenannten ,,Negermusik4<
der abendlandischen Moderne, denn sie sind aus fester Tradition erwachsen und reihen
sich organisch in die Musikentwicklung unserer revolutionaren Epoche ein. In Ungarn haben
sie die junge Generation fur sich gewonnen. Die ersten, die sich der modernen ungarischen
75 H. U, M.
1180
Moderne: Griechen
Tonkunst anschlossen, waren Ladislaus Lajta, Anton Molnar und Endre Szabo. Ihnen
folgte eine Reihe vorziiglich geschulter, teils auch hochbegabter junger Musiker : Eugen Adam,
LudwigBardos, CezaFrid, Paul Hermann, Paul Kadosa, Hugo Kelen, GeorgKerenyi,
Georg Kosa, Ervin Major, Matthias Scheiber, Franz Szabo, Stephan Szelenyi, Zoltan
Szekely u. a. Alexander Jemnitz (aus der Schule Regers und Schonbergs hervorgegangen)>
obzv/ar von Geburt Ungar, ist ein reprasentativer Sendbote modernster deutscher Musik in
Ungarn.
Literatur
Abranyi, Komel: Erkels Leben und Wirken. 1895. — Bartalus, Stephan: Die liturgischen Gesange der unga
rischen Konfessionen im 16.— 17. Jahrhundert. 1869; Beitrage zur Geschichte der ungarischen Musik (iiber Bak-
fark und P. Eszterhazy). Neue Beitrage usw. 1882. — Bartok: La musique populaire hongroise. Revue MusJcale
1920; Primitive Volksinstrumente in Ungarn. 1917; Die Instrumente des ungarischen Volkes. Ethnographia
1911 — 12; Das ungarische Volkslied. 1924. — Bartok-Kodaly: Siebenbiirgische Volkslieder. 1923. — Fabo,
Bertalan; *Die musikalische Entwicklung des ungarischen Volksliedes. — Isoz, Koloman: Musikalische Kulturge-
schichte der Stadt Budapest, 1. 1926. Studien iiber Liszt und Erkel. — Kodaly: Pentatonik in der ung. Volksmusik.
1917; Strcphenbau im ungarischen Volkslied. 1906; Die Argirus-Weise. 1921 ; Bela Bartok. Revue Musicale 1920. —
Major. Erwin: Johannes Bihari. 1928; Johann Fufl und seine Zeit. 1925; Ungarische Tanzweisen in Haydn-Be-
arbeitung. 1928; Die Quellen von Liszts ungarischen Rhapsodien. 1929. — Matray, Gabriel: Melodien unga-
rischer historischer, biblischer, satyrischer Gesange aus dem 16. Jahrhundert. 1859. — Molnar, Anton: Neue
ungarische Musik. 1926; Csokonay und das Kunstlied. 1929. — Molnar, Ge"za: Theorie der ungarischen Musik.
1904.; Ungarische Tanze aus dem 16. Jahrhundert. 1907. — Seprodi, Johann: Die literatur- und musikgcschicht-
lichen Beitrage des Codex Kajoni. 1909. — Szabolcsi, Benedikt: Die ungarischen Spielleute des Mittelalters. (Ein
Auszug davon auch in der ,,Abert-Gedenkschrift4' 1928); Die Musik von Sebastian Tinodi. 1929; Die ungarische
Magnaten-Musik des 17. Jahrhunderts. 1928; Die ungarischen Chorpartituren des 18. Jahrhunderts. Zeitschr. f.
Musikwiss. 1929; Probleme der alten ungarischen Musikgeschichte. Zeitschr. f. Musikwiss. 1929; Beitrage zur Ge
schichte der altungarischen metrischen Gesange. 1929. — Sztank6, B^la: Die Tanze des Tahulaturbuches von
Locse (Leutschen). 1927. Aladdr von Tdth.
GRIECHEN
Bis zum Abzug der Turken (1824) bestanden keinerlei musikalische BezJehungen zwischen
Griechenland, und Europa. Die Turken unterdriickten jeden geistigen Verkehr rnit dem
Westen und hatten sogar Gastspiele italienischer Stagiones verboten, Das Musizieren be-
schrankte sich auf die byzantinische Kirchenmusik, die (noch heute gepflegten) arabischen
Schattenspiele und das Volkslied. Von groCer Schonheit sind die Lieder der Klephten, der
nationalen Banden, welche die Befreiung Griechenlands vorbereitet haben. Diese Volkslieder,
einstimmig und unbegleitet gesungen, haben sich bis heute lebendig erhalten. Die Lieder
und Tanze der Volksmusik — die wissenschaftlich noch nicht erschopfend aufgearbeitet
sind — weisen auf den verschiedenen Landstrichen und Inseln groBe Verschiedenbeiten auf.
Zumeist melancholisch bis monoton, webt ein kompliziertes rhythmisches Leben -in ihnen.
Was am griechischen Volkslied als spezifisch griechisch anzusehen ist, dariiber gehen die
Ansichten auseinander. Es spiegelt sich in ihm die Geschichte des Landes wieder. Ver-
schiedene Einfliisse durchsetzen es; slawische, albanische, italienische, tiirkisch-arabische.
Konstantin Psachos hat eine Anzahl Volkslieder aufgenommen und in byzantinischer Nota
tion, die heute noch in derKirche in Geltung ist, herausgegeben. Er hat einige Harmoniums
Moderne: Griechen 1181
bauen lassen, auf welchen die Oktave in die 42 ungleichen Teile der byzantinischen Musik
geteiltist, die er auch als das grundlegende System der Volksmusik ansieht, und hat Bearbei-
tungen sowie eigene Kompositionen (auch mit Chor) der Offentlichkeit vorgefiihrt.
Europaische Musik wurde zuerst nach Griechenland gebracht durch die Konzerte der
bayerischen Militarkapellen (1830—1860). Von groGerer Bedeutung wurden die seit 1838
haufigen Gastspiele italienischer Stagiones. Mit Begeisterung nahm man die italienische
Musik auf. Italiener leiteten die musikalische Erziehung. Rafael Parisini (1830—1875)
griindete die erste Musikschule und schrieb die erste Musiktheorie in griechischer Sprache.
Die ersten griechischen Komponisten schrieben italienische Opern: N.Mantzaros, Spir.
Xyndas (1814—1892), Pavlos Karrer (1829-1896), Al. Katakouzinos (1824-1892). Die
erste Oper mit griechischem Libretto ist ,,Der Bewerber** (1857) von Xyndas. Zu grofier
Popularitat gelangte Spiro Samara (1863—1917) aus Korfu, Schuler von Delibes. Sein Stil
ist noch stark italienisch, trotz einzelner griechischer Motive und Wendungen. Einige seiner
Opern wurden auch im Ausland gespielt: ,,Flora mirabilis" (Mailand 1886), ,,Medge" (Rom
1888), ,,La Biondinetta" (Gotha 1906), ,,Mamsell Belle Jsle'* (Berlin 1909), ,,Rhea*' (Florenz
1908). Am Ende seines Lebens wandte er sich mit wenig Gliick der Operette zu. Operette
und Vaudeville erschienen ab 1873 durch franzosische Ensembles. Man begann nach franzo-
sischem Vorbild Operetten zu schreiben, die stellenweise griechisches Kolorit aufweisen (Lud.
Spinellos, gest. 1901, Dim. Kokkos, gest. 1892, Sakelaridisu.a.). Napoleon Lambelett
(geb. 1864) wandte sich nach dem Erfolg seiner Oper ,,Fenella" der englischen Operette zu.
,,Yasniak*', ,,Potpourri**, ,,The Transit of Venus", ,,Prince Valencia** wurden in London
aufgefiihrt. Der Stil (und Kffolg) dieser Opern und Operetten wurde bestimmend fiir die
iiberaus beliebte Gattung des volks turn lichen Liedes: italienische Trivialitat, reichliche
Sentimentalitat, em wenig franzosischer Esprit mit etwas orientalischem Aroma. Solche
Lieder schrieben Dim. Rodios, Georg Lambiris, Nik. Kokkinos, Samara, Nap.
und Georg Lambelett, Timoth. Xanthopoulos, Joh. Psarouda, Sakelaridis u.a.
Dionysios Lavranca (geb. 1864 auf Kephalonia, Schuler von Massenet, Griinder und Leiter
der ,,Griechischen Oper**) steht dieser Gruppe nahe. Seine Oper ,,Dido" hat ihn auch im
Ausland bekannt gemacht Weitere Opern: ,,Elda di Vorn", ,,La vita e un sogno", ,,Zwei
Briider", ,,Der schwarze Schmetterling". Sinfonische Werke: zwei griechische Suiten, Reli
giose Bilder, Sinf. Ouverture, Jota Navarra, Romaneska, Lyrisches Intermezzo sind mit Fein-
heit instrumentiert.
Bedeutungsvoll fur die musikalische Entwicklung Griechenlands war die Griindung des
,,Athener Konservatoriums** ('l^Wor \'l"fhjr<7)r) im Jahre 1871, welches seit 1890 unter der
Leitung von Georg Nasos steht. Sowohl als Schule wie durch Konzerte (Orchester, Chor,
auswartige Solisten) bildetc cs das Musikleben in der Gesellschaft Athens heran. Andere
Musikschulen grundete in Athen und in der Provinz Manuel Kalomiris (geb. 1883 in Smyrna,
Schuler von Gradener und Sturm in Wien, 1906—1910 in Charkow, seither in Athen). Er
sucht ,,dic Musik ins Volk zu tragen** und leistete verschiedene organisatorische Arbeit, wie
Reform der Militarmusik, Forderung von Noten- und Instrumentenhandel usw. Seine Opern
,,Dcr Obermeister*' (1915), ,,Das Ringlein der Mutter'4 (1917) sind starker mit griechischen
Elcmenten durchsetzt als die Werke seiner Vorganger. Er schrieb ferner zwei Symphonien
(Symphonic der Schonheit, Symphonie der unwissenden und guten Menschen), sinf . Dichtung
75*
|g2 Moderne: Rumanen
,JDodekanes", Kammermusik, Klavierstucke, Lieder. Der Professor der Theorie, Georg
Sklavos (geb. 1888 zu Braila, Schiller von Marsyck) schrieb die Opern ,,Niobe", ,,Lestenitza",
das Melodram ,,Kyra Phrosyni", fiir Orchester eine ,,Kretensische Fantasie", eine ,,Arkadische
Suite", ,,Heroische Dichtung" und Idyllen, durchaus ernste, gediegene Musik. Von Marios
Warwoglis (geb. 1883 Brussel) liegt vor eine ,,0per im griechischen Stil", ,,Die hi. Barbara**,
zwei Orchesterstucke (,,Kirchweih*' und ,,Griechisches Capriccio"), ein Streichquartett und
Lieder.
Die musikalische Moderne reprasentiert Dimitri Mitropolos, 1896 in Athen geboren,
studierte bei Wassenhoven, Marsyck, Gilson und Busoni; glanzender Pianist, Leiter der
Symphoniekonzerte in Athen. Seine ,,Kretensische Suite" fur Orchester ist ein sehr gliick-
licher Versuch eines neugriechischen Stils, eine Synthese aus Volksmusik und zeitgemafiem
Musikempfinden. Die ,,Inventionen" fiir Sopran und Klavier (nach Gedichten von Cavaffy)
sind streng nach Schonbergs 1 2-Ton-Theorie gearbeitet. Ein neuer Stilversuch ist sein
,, Concerto grosso" fiir Orchester. Jeder Satz ist einheitlich aus einem Intervall entwickelt.
Urspriinglicher wirken eine Klavierpassacaglia und eine Sonate fur Geige und Klavier.
Die jiingeren Tondichter zeigen in ihrem Schaffen entweder ihre Herkunft vom franzosischen
Impressionismus, wie der kultivierte Emil Ryadis, oder ihre Abstammung von deutscher
Schule, wie Dim. Lalios, Kontis (geb. 1888, Klavierstucke, Lieder), Loris Margaritis
(geb. 1894, Klavierstucke, Lieder, Tanzspiel ,,Nausikaa"). Zu erwahnen sind noch Be-
arbeitungen von Volksmelodien durch Petro Petridis, Theodor Spathys. Das musikalische
Leben hat sich bisher ausschliefilich auf Athen beschrankt. Seit einigen Jahren beginnt Sa-
loniki, wo Margaritis und Ryadis wirken, sich zu einem zwei ten Kunstzentrum zu entwickeln.
Die meisten der erwahnten Werke sind noch Manuskript. Ein grofierer griechischer Verlag
existiert noch nicht. Gedruckt werden hier meist nur ,,beliebte" Lieder. Einige Werke sind
im Selbstverlag und einige im Ausland erschienen (Paris, Senart).
Li teratur
SynadJnos, Theodor N.: GeschicKte der neugriechischen Musik von 1824 — 1919. Erster Teil, Athen 1919. —
Derselbe: Das griechische Lied (5 Vortrage). Athen 1922. — Psachos, Konstantin: Volkslieder Gortiniens, in
byzantinischer und europaischer Notenschrift. (1. Sammlung.) Athen 1923. — Derselbe: Die Zeichenkunde der
byzantinischen Musik. (H IIAPA2HMAXTHKH). Athen 1917. — Economo, Konstantin: Studien iiber das neu-
griechische Volkslied. Wiener Diss. — Remandas, A., und Zacharias, P. D., Arion, Sammlung griechischer
Weisen von den altesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Athen 1917. — Musika Chronika. Musikalische Monats-
schrift, gegrundet und geleitet von Georg Lambelett (seit 1927). Felix
RUMANIEN
Das Volkslied. Die ersten aufgezeichneten rumanischen Volkslieder und Tanze sind in der ,,Geschichte des
transalpinischen Dakiens" (1781 Wien, Rudolf Graffer) von Franz Josef Sulzer zu finden. Die hier ver/eichneten
griechischen, walachischen und turkischen Lieder blieben aber der Musikwelt ziemlich unbekannt, denn im 4. Jahrg.
der Slbde. d. IMG. schreibt Otto Heilig irrtumlicherweise die Jm Jahre 1781 gedruckten Lieder Sulzers einem Cnv.
de Florio (1835) zu. Und doch ist Sulzer derjenige, der gegen die vom ersten Musiktheoretiker Rumaniens, dem
Moldauer Fiirsten Dimitrie Cantemir, hochgepriesene turkische Vierteltonmusik (in der ,,Geschichte des osmanischen
Reiches" 1712) polemisch eintritt. In der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts waren die in by/antinischer Notation
aufgezeichneten Liebeslieder und Weihnachtssternlieder von Anton Pann sehr verbrcitet. Dieser war ein beriihmter
Moderne: Rumanen 1183
Dichter, Lehrer und Kirchensanger an der Metropohe in Bukarest. Die von Alexander Berdescu aufgezeichneten
Volkslieder und Tanze (1860—1862, 5 Hefte) stammen von Zigeunermusikanten (Lautari). Von den spateren guten
Bauernliedersammlungen Altrumaniens sei hier die von Ciorogariu (,,Cantece din popor", 60 Melodien, Bukarest
1909) verfafite erwahnt. Erst mit den phonographischen Melodieaufnahmen Gustav Weigands (Dialekte der Buko-
wina und Bessarabiens 1904, Leipzig), Pompiliu Parvescus (,,Hora din Cartal" , mit 63 instrumentalen Tanzmelodien,
Bukarest 1908, von der Academia Romana herausgegeben) und iiberhaupt Bela Bartoks (,,Chansons populaires du
departement de Bihor", 371 Melodien mit Text, ebenfalls von der Academia Romana 1913 herausgegeben) begann
sich die rumanische Musikwelt fur das echte Volkslied zu interessieren. Dimitrie Kiriak (1866—1927), einer der
ersten strebsamen Volksliedforscher, setzte beste, einfachste, in Volksgeist gehaltene Klavierbegleitung zu ausge-
wahlten Volksliedern; als Musterbeispiel sei sein Volkslied ,,Unde~aud cucul cantand" (deutsch: ,,Wenn ich den
Kuckuck singen bore") zitiert. Zu derselben Zeit erscbienen aucb zablreiche mit Klavierbegleitung versehene Volks-
liederbande von Tiberius Bredicianu. Als bekannte Volksliedforscber und Bearbeiter seien hier auch C. Brailoiu
und Borgovan (beide in Bukarest) genannt. Fur Chor bearbeitete Kiriak mit einfachen und wirksarnen harmonischen
und rhythmischen Mitteln zahlreiche Volkslieder. Erfolgreicb trat auch der Banater Komponist Vidu mit Volks-
liederchorwerken hervor. Heutzutage ist die Fuhrung der volkstumlichen Chorkomposition in den Handen von
Cucu. Auch Sabin Dragoiu aus Temisoara (Banat), der junge Autor der im rumanischen Volksgeist komponierten
Oper ,,Napasta", hat sich eben in diesem Werke als Meister des volkstumlichen Chorstiles erwiesen. Von rumanischen
musikwissenschaftlichen Abhandlungen iiber das ruma'nische Volkslied ist nur der Aufsatz von Breazul zu erwahnen
(Zeitschr. ,,Ideea Europeana" 1924). Breazul gelang es Jm Jahre 1926, die in diesem Aufsatze enthaltene Idee, die
Grlindung eines Staatsphonogrammarchivs far Volkslieder in Bukarest, zu verwirklichen. Mit Heranziehung der
nicht ganz einwandfreien letzten theoretischen Aufstellungen Bela Bartoks (,,Volksmusik der Rumanen von Mara-
mures" und ,,Das ungarische Volkslied") sei hier iiber das rumanische Volkslied im heutigen Stadium der Forschung
Nachfolgendes gesagt'):
Der gesangliche im Brustton gehaltene Vortrag des rumanischen Volksliedes ist einstimmig. Eine Ausnahme
bildet das Volkslied der Rumanen von Makedonien und Albanien, das archaisch heterophon zweistimmig oder
dreistimmig gesungen wird. Das rumanische Hirtenvolk kannte seit jeher den Cimpoiu- bzw. Sackpfeifenvortrag.
Charakteristisch sind bei diesem alten doppelklarinettartigen Instrument die vikarierenden und die liegenden
Borduntone, die der Melodie harmonische Stutzen geben. Als Nachahmung des Cimpoiuspiels weisen auch heute
Floten- und Violintanzweisen wie auch Gesange die vikarierende leere Quart unterhalb des Grundtones auf. Die
gefltisterten Stiitztone am Anfang der Lieder und die Quartfalle der Kadenzen geben diesen Gesangen einen latenten,
liegend harmonischen Charakter. . Der verzierte Vortrag mancher Liederarten (Hora lunga und Doina) ist aber mit
dem alten byzantinischen Kirchengesang sowie auch mit dem islamischen orientalischen Makame verwandt Die
Hora lunga wird nur auf der Langsflote ohne Grifflocher und ohne Mundstiick von Bauern gespielt. Im allgemeinen
ist der Vortrag des rumanischen Volksliedes fihnlich dem Vortrage mit der Flote, und zwar durch Schleifer, primitive
Portamenti, Riickschlage, Scotshsnaps, langausgehaltene Tone und typische Verzierungen gekennzeichnet.
Das lockere Verh<nis zwischen Text und Gesang ware schon dadurch charakterisiert, dafl die typische acht-
silbige, fallend spondfiische oder trochaische Verszeile schon sprachlich verschobene Betonungen enthalt und sich
den mannigfaltigst synkopterten mehrzeitigen Rhythmen anpafit. Die haufig verschobene Betonung des Sechs-
und Achtsllblers ist auf den Einflufl des Tanzzurufes zuruckzufiihren, bei welchem der straffe Tanzrhythrnus den
improvisierten Versen das einheitliche beschwingte Schema verleiht. Andererseits gab aber der arhythmische
Parlando-Rubatovortrag wie auch die rezitierende Hora lunga diesem rhythmischen akzentuierten Schema durch
Solmisatiomsilben (Mclismen auf einem Vokal) eine groBe Freiheit. Die alte Vortragsweise kniipft aber niemals
einen einzigen Text an eine Melodie an, und umgekehrt: Melodien und Textverse bleiben heterogen in der Uber~
lieferung erhalten,
Das typische ruma'nische Volksliedintervall ist die fallende Quart. Grofie Intervalle alternieren im Auf^ und Ab-
steigen mit kleineren. Die im rumanischen Volkslied haufig vorkommende pentatonische Skala ist als gewohnliche
siebenstufige anzusehen, wobei zwei Stufen fehlen konnen. Die dorische, phrygische, hypodorische und mixolydiscbe
Skala ist sehr verbreitet. Neutrale Intervalle kommen auch vor. Chromatik trifft man eher in den stidostlichen
Provinzen RurnSniens, dagegen die Pentatonik im Gebirge und hauptsa'chlich in Transsylvanien. Das Vorkommen
des Dur-Mollsystems (Tonika-Dommanteverhaltms) ist ganz neuen Datums und auf Beeinflussung westeuropaischer
stsdtischer Gassenhauer zurUckzufiihren.
Der Rhythmus des rumHnischen Volksliedes ist bald durch den Impetus des Parlando-Rubato- oder rezitierenden
Stils, bald durch Tanzlieder oder andere Vortragsmomente bedingt. Das Rezitierende bzw. Parlandoartige wird mit
dem streng-rhythmischen Element kombiniert und je nachdem es sich um Tanzweisen, WeihnacKtsIieder (G>lmdie),
^) Der Verfasser dlieserAbhancllung hat auf Grund seiner Wiener Dissertation ,,Studien zum rumanischen
liecT (1927) ein grdlkresWerk in Vorbereitung. D. Hgbr,
|]§4 Moderne: Rumanen
Trauerlieder (Bocete). schwermutige oder leichtbeschwingte Lieder handelt, erhalt dieses oder jenes Ausdrucks-
mittel den Vorzug. Die Hora- oder Doinalieder, die sich trotz ihres Parlando-Rubatostils dem Tanzliede nahern,
haben meistens eine parallele periodische Gliederung (achtteilig gegliedert, manchmal rhythmisch achttaktig er-
scheinend); dies wird besonders durch die harmonische Gegenuberstellung der Hauptzasur auf der 3. Stufe mit
Unterganztonwirkung der 7. Stufe und des Schlusses auf der 1. Stufe hervorgehoben. In den Schlufiformeln ist
die latente Harmonic der zerlegten Akkorde abwechselnd Dur und Moll; dissonant zerlegte Akkorde kommen nur
bei den Zasuren vor. Der Hora-Iunga-Stil (orientalisches Geprage) hat nicht den aktiv gestaltenden Charakter der
Hora (europaisches Geprage). Seine konzentiscben SchluGformeln, aucb solmisierte Interludien, baben stets einen
linearen Ablauf. Die Hora lunga verleiht durch das stete Zasurieren auf derselben Schlufttonika den Versteilen einen
Satzgruppencharakter. Vermag man tiefer zu blicken, so erkennt man ein jahrhundertaltes Ringen zwischen den
den siidosteuropaischen Landern eigentiimlichen Koloraturen und Rezitativen des altertiimlichen Psalmod»erens
einerseits und andererseits den melodisch vereinfachten, aber hingegen aktiv rhythmischen mit zerlegten Akkord-
wirkungen und plastischen Motiven versehenen nordwesteuropaischen (germanisch-romanisch-keltischen) und nord-
osteuropaischen (tartarisch-ugrofinnischen) Volksliedern.
Der liturgische Gesang. Die byzantinische Oberlieferung der orthodoxen Kirche hat sich auch in Rumanien
erhalten, freilich mit alien Vor- und Nacbteilen der Textubersetzung ins Rumanische aus dem Altgriechischen und
Slawischen. Zunachst ist die byzantinische Notation sowohl aus dem Banat, Siebenbiirgen und der Bukowina wie
auch aus Bessarabien durch das westeuropaische Musiknotensystem verdrangt worden. Die mehrstimmigen Liturgien
Mandyczewskis (Bukowina), Vidus und neuerlich die von Sabin Dragoiu (Banat) lehnen sich an den kirchlichen
Chorsatz an. In Bessarabien ist die mehrstimmige russische kirchliche (italienisierende) Musik durch Muzicescu
bestimmend gewesen. In Altrumanien ist man dem Oktoech und der um 1820 durch den Mcinch Makarie durch-
gesetzten Reformation der byzantinischen Notation treu geblieben, aber nur im Sologesang. Die mehrstimmige
Kirchenmusik Flechtenmachers und Wachmanns in Bukarest ist vom deutschen Kirchenstil, die von Muzicescu
(Jassy) vorn russischen beeinfluBt. Erst Kiriak brachte durch seine im rumanischen Volksgeist erfaBten kirchlichen
Gesange einen neuen rumanischen Kirchenliederstil (als Muster gilt ..Ingerul a strigat4', deutsch: ,,Der Engel hat
gerufen4'). Cucu ist heute derjenige, auf welchen alle Hoffnungen gesetzt werden. Von den jungeren Banater Kom-
ponisten sei Sabin Dragoiu mit seiner imposanten Liturgie ..Heiliger Johann", 1926 fur Mannerchor komponiert,
erwahnt. Dieselbe steht allerdings nicht in so naher Beziehung zum altbyzantinischen Stil wie die liturgischen in
einfach erhabener wirkungsvoller Mehrstimmigkeit gehaltenen Kompositionen von Cucu. In Bukarest wird eben
noch das altbyzantinische Psalmodieren mit Vierteltonwendungen von beriihmten Opernsangern, wie dem Bassisten
Folescu, dem Baritonisten Athanasiu usw. und von samtlichen griechisch-orthodoxen Priestern sowie alien ehe-
maligen Schulern des Bukarester theologischen Seminars vom Blatt nach der byzantinischen Notation vorgetragen.
Zum Zwecke des Wiederauflebens der byzantinischen kirchlichen Gesangspflege wurde 1928 unter dem Protektorate
des Patriarchen Miron Christea eine Musikakademie an der rumanischen Patriarchie mit besten Lehrkraften gegrundet.
Wie wir vom Fiirsten Dimitrie Cantemir und Franz Josef Sulzer bereits wissen, wurde
im 18. Jahrhundert noch tUrkische Musik an walachischen und moldauischen Fiirstenhofen
gepflegt. Noch am Anfang des 19. Jahrhunderts wird die furstliche Meterchane (turkisches
Blaser- und Schlagwerkorchester) am Bukarester Hofe in den Zeitchroniken erwahnt. Das
aristokratische Bukarester Publikum kam 1819 durch Vermittlung von Friedrich v. Gentz,
der ein Gastspiel des Wiener Opernensembles in Bukarest ermoglichte, in engere Beziehung
mit der westeuropaischen Musik Mozarts, Rossinis usw. Die rumanischen Komponisten,
die allmahlich gegen das Ende des 1 9. Jahrhunderts auftauchten, fuhren noch in fremden
Gewassern, und zufolge nicht geniigenden Konnens konnten sie auch nichts Bedeutendes
leisten. So weit ging die Anlehnung an die deutsche und italienische Musik, daB sogar die
rumanische Nationalhymne von Hiibsch oder die noch heute wirksamen patriotischen Lieder
vom Transylvaner Ciprian Porumbescu sowie die zu den rumanischen Gedichten anmutig
vertonten Lieder Dimas (1847—1927), ferner die historischen Opern Eduard Caudellas eher
an Westeuropa als an das orientalische Rumanien erinnern. Allmahlich aber, angestachelt
durch das Beispiel der Russen und vermoge einer debussystischen gegen Wagner gerichteten
Bewegung, erstrebt die jiingere rumanische Schule ein neues kiinstlerJsches Niveau, das ge-
festigt wird durch Verwendung und Einarbeitung des rumanischen Volksliedes und so all-
Moderne: Rumanen | ] §5
mahlich zu einem eigenartigen Stil sich emporringt. Allerdings iibernahm fast jeder junge
Autor die Kunstgriffe der zeitgenossischen franzosischen, deutschen oder tschechischen Schule,
die er zur Vollendung seines Kompositionsunterrichtes besucht hatte. An dieser Stelle mu6
man als bedeutendsten Kompositionslehrer an der Musikakademie in Bukarest neben K i r i a c
den Italiener Alfons Castaldi nennen.
Georg Enescu (geb. 19. August 1881 in der Moldau, Rumanien) besuchte die Wiener
und die Pariser Musikschule und lebt seit 1900 in Paris, zeitweise auch in Bukarest.
Zahlreiche Orchesterwerke, 3 Symphonien, 2 Suiten, 3 Rhapsodien, ferner Kammermusik
(3 Sonaten fur Geige und Klavier, 1 Quartett, 2 Klaviersuiten usw.), franzosische ,,Clement
Marot-Lieder" und endlich seine breit angelegte Oper ,,0dipus", Text von Edmond Fleg,
zeugen von einer grofien entwicklungsfahigen Kompositionsbegabung, die, wenn auch alter-
nierend vom rumanischen Volkslied und von westeuropaischer moderner Musiktechnik ge-
farbt, interessante Originalitat aufweist. Enescu stiftete 1912 einen Nationalpreis in Bukarest,
der von den jungen rumanischen Komponisten Otescu, Cuclin, Alessandrescu, Jora, Enacovici,
Lazar, Negrea, Andricu, Stan Golestan und Dragoiu errungen wurde. Nona Otescu, seit 1919
Direktor des rumanischen Konservatoriums in Bukarest, trat zunachst (noch vor dem Kriege)
mit einem im franzosischen Geist komponierten Orchesterwerk ,,Enchantement d'Armide"
und sodann mit der Buhnen- und Ballettmusik zu ,,Ilderim" und ,,Ileana Cosanzeana", ge-
dichtet von Konigin Maria, auf . Der eigentlich rumanische Charakter aber, der in der Kompo-
sitionstechnik Otescus vom Volksgeist fein und witzig gesattigt ist, zeigte sich als wirkliche
Offenbarung in 2 Orchesterbruchstucken aus der Oper ,,Dela Mateiu citire". Michail Jora
hatte einen groBen Erfolg mit seiner Orchester^Suite ,,Moldauische Landschaften", 1923 auf-
gefiihrt Er erwies sich auch mit seinen Kammerorchester- und Klavierstiicken als Meister
in der modernen Klangfarbungstechnik, sich an rumanische Volksliedwendungen anlehnend;
obwohl er ein Schiller Stephan Krehls in Leipzig war, hat seine Kompositionstechnik eher
Debussy- und Strawinsky-Anklange, die sich am besten in der Ballettmusik ,,Am groBen
Markt'4 (1928) u, a. zeigen. Daher steht er der modernen franzosischen Richtung naher.
Alfred Alessandrescu mit seinen Orchesterwerken ,,Didonna" und ,,Acteon** ist in die
moderne Debussy^Schule einzureihen, Filip Lazar mit seinem „ Divertissement" fur Orchester
hat auch franzosische Pragung in der Komposition und Instrumentierungstechnik, verwendet
aber auch rumanische Volksliedmotive. Michail Andricu, Stan Golestan, Rogalski und
Michalowitsch sind alte und junge Vertreter der modernen rumanischen Schule, die durch
franzosisch-russische Kunstgriffe der Debussy-Strawinsky-Schule sehr modern wirken. Zwei
junge Transylvanier, Martian Negrea (Cluj) und Sabin Dragoiu (Temesoara) sind eher
als Schiiler der deutschen modernen Ridhtung zu bezeichnen. In Negreas Werken erkennt
man den polyphonen Orchest ersatz Max Regers, \vahrend in Dragoius Werken die tschechische
Schule Dvoraks und JanacSeks ab und zu zum Vorschein kommt. Beide sind hoffnungsvolle
Talente, die immer mehr an Klarheit und Originalitat gewinnen dadurch, dafi sie entschieden
rumSlnisch-volkstumHche Weisen zu thematisch grofi angelegten Orchester-- und Chor-
werken heranziehen, Die Oper ,,Napasta" nach einem Drama von Girageale, Musik von
Sabin Dragoiu, hat im Jahre 1928 einen grofien Erfolg gehabt und ist dadurch bedeutend,
dafi sie das ruminische Volkslied durch eine feine Orchestration und Stimmfiihrung der
Ch5re in europaisches Gewand kleidet. Es zeigt sich in dieser Oper em gewisser Einflufi
[ ] 86 Moderne : Amerika
von Mussorgski. Besonders eines der ,,Lieder des wahnsinnigen Jon*' erinnert an Stellen
in ,, Boris Godunow", Puccinismen finden sich in den hohen Lagen des Liebes- und Hafi-
duetts (Anka und Dragomir). So kreuzen sich moderne Einfllisse verschiedener Art und
diirften einer Eigenentfaltung der rumanischen Musik nicht im Wege stehen.
Emil Riegler-Dinu
AMERIKA
Unter Amerika kurzweg verstehe man hier den nordamerikanischen Staatenbund, Diese
Vereinigung umfafit 48 Staaten mit einer Bevolkerung von iiber 110 100000 Seelen (1923)
und einem Flachenraum von rund 3 026700 (amerikanischen) Quadratmeilen, (Im Jahre 1800
war das Verhaltnis: 17 Staaten, 5 300 000 Seelen, 892000 Quadratmeilen.) Die Zahl der in
dieser Bevolkerung aufgegangenen oder noch im Verschmelzen begriffenen Rassen ist eine
erhebliche. Fast alle Volkerschaften Europas sind darin vertreten, obzwar ein deutliches Ober-
gewicht auf seiten des angelsachsischen Stammes liegt, wie auch die englische Sprache die
fiihrende ist. Hierzu kommt der nicht unbetrachtliche Einschlag afrikanischer Rassen, der
sich in den verschiedenen Graden der Negerkreuzungen zu erkennen gibt, den mehr oder
weniger reinen Abkommlingen der urspriinglichen Sklaven. Auch Asiaten, wie Tlirken, Ar~
menier, Chinesen, Japaner, geben dem allgemeinen Volksleben, speziell in den Grofistadten
und in gewissen Gegenden, ein eigentiimliches Geprage. Die sparlichen Reste der indianischen
Ureinwohner leben meistens abgesondert in den ihnen zugewiesenen ,,Reservationen" und
nehmen an der Kulturentwicklung des Landes keinen Anteil. Trotz des unvermeidlichen An-
schlusses von Stammesgenossen zu engerem gesellschaftlichen, geistigem und wirtschaftlichem
Verkehr unter sich halt diese buntscheckige, vielsprachige Masse dennoch an einem einheit-
lichen nationalen Gedanken fest und fiihlt sich eins unter den edlen und grofiziigigen Prin-
zipien, die der republikanischen Verfassung vom Jahre 1787 zugrunde liegen.
Der Wille zu politischer Einheit und Unabhangigkeit regte sich zuerst unter den britischen
Kolonisten des Ostens, unter den Bewohnern der Europa zugewendeten Kiiste. Dort stand
auch die Wiege amerikanischen Geisteslebens und Kunstbediirfnisses. Die politische Selb-
standigkeit wurde nach blutigem Ringen (1775—1783) siegreich erzwungen. Die friedlichere
Errungenschaft einer geistigen und kiinstlerischen Autonomie ist bis auf den heutigen Tag
noch nicht erreicht. Die Ostkiiste dieser neuen Welt ist nach wie vor die empfindsame Stelle,
der Schofi intellektuellen Antriebes, der den befruchtenden Pollen von den Keimtragern einer
alteren.Zivilisation empfangt. Diese Befruchtung hat sich bereits seit mehreren Jahrzehnten
weithin iiber den Westen des Kontinents erstreckt und hat dort auch zu Erscheinungen ge-
fiihrt, die vielleicht lebensfahiger und selbst national typischer sind als die Mischerzeugnisse
der stets von Europa beeinflufiten Entwicklung des Ostens. Und doch lafit es sich nicht
leugnen, dafi der schmale Kiistenstreifen, der noch bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts
hmein der einzig bildungsrege Landstrich war, auch heute noch der tonangebende ist, weil eben
dort die Riesenmarkte liegen, wo neben den Lagerhausern voll ungezahlter Ballen und Kisten
mit importierten Giitern die Faktoreien der Phantasie, die Wechselstuben des Geschmacks,
mit den Reichtiimern des menschlichen Genies einen unermefilichen Welthandel treiben.
Moderne: Amerika
Weit andere waren die Zustande wahrend der ersten 300 Jahre nach der spanischen Besitz-
ergreifung Zentralamerikas durch Kolumbus (1492). Die Verhaltnisse fur kiinstlerische Be-
strebungen jeder Art hatten kaum ungiinstiger sein konnen. Daher hat auch Amerika keine
kiinstlerische Geschichte, speziell keine musikhistorische Vergangenheit im Sinne Europas.
Die grofite Zahl der Ansiedler wagte sich in die ungewisse und dock lockende Feme, weil
politische oder religiose Meinungsverschiedenheiten ein Bleiben im Vaterlande unerwiinscht
oder unmoglich machten; weil strafbare Verfehlungen zur Flucht drangten; oder weil der
Hunger nach Gewinn und die Lust nach Abenteuern groCer waren als die Furcht vor den zu
bestehenden Gefahren. Die friihesten Ansiedlungen durch Englander fallen in die ersten zwei
Dezennien des 17. Jahrhunderts. Eine der wichtigsten war das Eintreffen der sogenannten
,,Pilgrims" in Massachusetts (Plymouth 1620). Es war eine Gruppe religioser Separatisten,
die auf heroische Weise sich von der Natur und den Rothauten Existenzberechtigung er~
kampften. Zu ihnen gesellten sich im Laufe der nachsten 20 Jahre Mitglieder der englischen
Puritanergemeinde in grofierer An2ahl. Zusammen fanden sie hier eine zweite Heimat, ,,Neu-
England". Ihr Leben stand im Zeichen der Postille und Pistole. Stets auf Angriffe der Wilden
gefafit, verbrachten sie die ersten Jahre in einem bestandigen Belagerungszustand. Wider-
standskraft und Trost fanden sie in ihrer Gottesfurcht und ihren Erbauungsbiichern. Ge-
lehrte, besonders theologische Studien fanden friihzeitig regsame Pflegestatten (Harvard Col
lege, Cambridge, Massachusetts 1636; William and Mary College, Williamsburg, Virginia
1693). Musik hingegen, im allgemeineren Sinne, vertrug sich nicht recht mit den Anschau-
ungen dieser ehrbaren Leute. Und dieses Vorurteil hat sich noch auf Jahre hinaus fuhlbar
gemacht, wenn auch nicht in dem Mafie, wie es manche Historiker glauben. Dem wider-
sprechen die Tatsachen. Das Singen beschrankte sich in erster Reihe auf Psalmen, in metri-
scher Umdichtung, und andere geistliche Gesange. Den meisten dieser Weisen fehlte zwar
die tippige Melodik der barocken Kirchenmusik Italiens oder die herbe Harmonik des Bach-
schen Chorals. Immerhin entwickelte sich gerade in diesem Felde eine ungewohnlich reiche
Literatur, die vielleicht am ehesten verdiente, als Ersatz fur die fehl^nden Volkslieder an-
gesehen zu werdcn.
Den ,,Pilgern", die auf der winzigen ,,MayfIower" den weiten Ozean kreuzten, diente noch
der ,,Psalter" von Ainsworth (1612 in Amsterdam) und die Psalmensammlung von Sternhold
und Hopkins, die seit 1560 in verschiedenen Ausgaben in London erschienen war. Doch selbst
diese diirftige musikalische Betatigung fand unter den schwierigen Lebensverhaltnissen dieser
Ansiedler nicht den notigen Boden zu intensiverer Entfaltung, bis mit dem wachsenden Ge^
meindesinn und dem Eingreifen kirchlicher Propaganda das Singen wieder zu Ehren kam.
Die Pflege instrumentaler Musik in Neu-England war noch ein Ding hochster Seltenheit.
Ungefahr mit dem Jahre 1 720 hob ein neuer sanglicher Aufschwung an, der sich hauptsachlich
auf kirchliches Gemeindesingen stiitzte. Die Veroffentlichung und Verbreitung sogenannter
Tune - Books nahm rasch an Zahl und Ausdehnung zu. Es waren dies Gesangblicher, denen
in den meisten Fallen kurze theoretische und naive stimmtechnische Anweisungen voran-
gingen. An Stelle geschulter Musiker waren es gewohnlich mehr oder weniger begabte Dilet-
tanten, welche die Herausgabe dieser Sammlungen besorgten, Unter ihnen sind zu nennen
der Gerber William Billings (1746 — 1800), der Zimmermarm Oliver Holden (1765 bis
1834?), der ,,Gesanglehrer" Andrew Law (1748 — 1821)» und besonders der Prediger James
1 88 Moderne : Amerika
Ly o n (1 735—1 794). Sein um das Jahr 1 761 erschienenes Buch ,,Urania ' enthalt Proben eigener
Komposition und 1st historisch bemerkenswert. 0. G. Sonneck hat in James Lyon den ersten
kirchlichen und in Francis Hopkinson (1737 — 1791) den ersten weltlichen Komponisten
amerikanischer Goburt nachgewiesen, denen, wenn auch nur in bescheideriem Mafie, der Name
Komponist unbedingt zukommt. Zu erwahnen ist noch unter den Herausgebern von geistlichen
Gesangbiichern des 18. Jahrhunderts Josiah Flagg (1738 — 1794) aus Boston; jedoch sein
Hauptverdienst besteht in Konzertunternehmungen, die er von etwa 1 765 fast 1 0 Jahre lang
in Boston leitete und in denen er bereits Vertrautheit mit Werken von Handel, Stamitz, Abel
und dem Londoner Bach bezeugte. Auch der in England geborene William Selby (1738
bis 1798) verdient Erwahnung als einer der tatkraftigsten Forderer des Bostoner Musikwesens
gegen das Ende des 18. Jahrhunderts. Wie die ersten Psalmenbucher sich noch stark an Tallis,
Ravenscroft, Playford u. a. lehnten, so wirkte auch in der Folge englischer EinfluB auf die Ent-
wicklung der vielen Hymn-books, Anthems und spateren Gospel Hymns (von ca. 1875 an).
Der letztere Typus, im allgemeinen seicht, ist oft nicht ohne weltlichen Anklang. Wenn von
solcher Dutzendware Notiz genommen wird, so geschieht es, um die Geschmacksrichtung
einer spateren Generation zu erhellen, die zum groBen Teil an diesen suBlich-sentimentalen
Erzeugnissen grofi geworden. Der bekannteste Komponist und Bearbeiter solcher Lieder ist
zweifellos Ira David Sankey (1840 — 1908). Als Sanger begleitete er den eifernden Prediger
D. L. Moody auf seinen weiten Streifzligen durch Amerika und England. Dem eindringlichen
Vortrag dieser Gesange, vor Tausenden von zerknirschten und religios exaltierten Zuhorern,
ist es wohl beizumessen, wenn von Sankeys verschiedenen Biichern die stattliche Anzahl von
rund 50 Millionen Exemplaren verkauft warden.
Von diesem Hintergrunde hebt sich um so scharfer das Profil Lowell Masons (1792
bis 1872) ab. In diesem einfachen, aber echten Musiker, in diesem fortschrittlichen, aber
griindlichen Erzieher verkorperte sich wahre Liebe zur Kunst, vereinigten sich die Talente eines
spontan empfindenden Komponisten und eines iiberzeugenden Fiihrers. Seine schopferische
Begabung beschrankt sich zwar auf'Kirchengesange, doch haftet diesen ein wertvollerer Zug an
und viele davon sind als Tradition in den Gottesdienst der protestantischen Kirche Amerikas
eingegangen. Mason, in seiner erzieherischen Tatigkeit, ist vorbildlich geworden.
In den mehr siidlich gelegenen Teilen der langsam erschlossenen Kolonien machten sich
friihzeitig andere religiose Genossenschaften ansassig. Bethlehem in Pennsylvania verdankte
seine Griindung den Moravischen Briidern (Herrnhuter), aus deren sangesfrohen Nachkommen
sich der beriihmte Chor gebildet hat, der sich heute in hervorragender Weise dem Kultus der
Musik des groBen Bach widmet. Ebenso brachten die deutschJutherischen Gemeinden eine
gesunde Vorliebe for Frau Musika mit, und in bis heute geschichtlich noch nicht klar auf~
gedeckter Weise verschiedene deutsche Mystikersekten, die sich vom Ende des 1 7, Jahrhunderts
ab in Pennsylvania niederliefien.
Wenn hier an erster Stelle von der musikalischen Betatigung in kirchlichem Zusammen-
hange die Rede gewesen ist, so soil damit nicht der Eindruck erweckt werden, dafi darin die
grundlegenden Triebe der musikalischen Entwicklung Amerikas liegen. Es ist vielmehr in
der Absicht geschehen, eine wichtige, aber nicht mafigebende Seite fliichtig zu streifen und
damit abzutun, wenngleich auf ihr das heute noch stark vorherrschende Interesse fiir kirch-
Iiche Komposition fufit. Um eine kritische Wiirdigung der musikhistorischen Vergangenheit
Moderne: Amerika I 189
der Vereinigten Staaten zu ermoglichen, mufi an der Tatsache festgehalten werden, dafi die
beiden Hauptfaktoren, die dem Musikwesen des damaligen Europas zugute kamen, hier absolut
fortfielen: der kostspielige Vergniigungssinn und die materielle Unterstiitzung der Fiirsten
und Adligen, sowie die unerschopflichen Bediirfnisse und das stete Wohlwollen der katholischen
Kirche. Obwohl dieser Fortfall unfraglich Nachteile mit sich brachte, besonders was die Bik
dung einer feineren Geschmacksrichtung anbetrifft, so hat er doch nicht die allgemeine Musik-
betatigung aufzuhalten vermocht. Es ware durchaus falsch, zu glauben, dafi sich unter den
ersten Ansassen des 17. Jahrhunderts und spateren Einwanderern des 18. Jahrhunderts nicht
viele begabte und gebildete Elemente befunden hatten. Wie sich aus den Forschungen 0. G.
Sonnecks klar ergeben hat, war das musikalische Interesse in der Kolonialzeit nicht gering,
sondern unverhaltnismaBig groB. In dem seit 1607 besiedelten Virginia, unter den nach 1685
in Karolina eingewanderten Hugenotten und s.peziell unter den besseren Gesellschaftsklassen
solcher Stadte wie Charleston, Annapolis, Georgetown, Baltimore, Philadelphia, Neuyork
und Boston land schon friih eine Obertragung des heimatlichen Musizierens in die Neue Welt
statt. Es war wohl nur naturgemaB, dafi die Art dieses Musizierens in der englischen Kunst-
iibung ihr Vorbild suchte und dafi bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts London in Sitten
und Gebrauchen, in Unterhaltung und Kunst zur Nachahmung einlud. Ebensowenig darf
iibersehcn werden, dafi gerade urn die Zeit der ersten britischen Niederlassungen England in
musikalischer Beziehung zu reifer Blute gelangt war. Es ist fur unsere Zwecke hier nicht so
belangreich, dafi es einen Byrd, einen Gibbons oder gar einen Purcell besessen, sondern daB
Pepys in seinem kostlichen und an musikalischen Hinweisen so reichen Tagebuch unter dem
27. Juli 1663 berichten konnte, er sei in Epsom Wells auf eine Gruppe singender Leute ge-
kommcn, die er erst fur fahrende Strafienmusikanten hielt; wie es sich herausstellte, waren es
zufallig zusammengctroffene Burger des Fleckchens, die in fehlerloser Weise vier- und fiinf-
stimmige Lieder improvisiert zum besten gaben. Solche Streiflichter sind charakteristisch fiir
die Kreise, aus denen die meisten englischen Kolonisten Amerikas stammten. Aus den vor-
nehmeren Schichten wuchsen die kolonialen Patrizierfamilien, die an Stolz und Klassenvor-
urteilen kaum hinter ihren europaischen Vettern zuruckstanden. Zu den Pfhchten der vor-
nehmen Welt gchorte es, hin und wieder cin wenig Musik zu horen. Es nimmt daher nicht
wunder, dafi Konzertvcranstaltungen schon gegen den Anfang, Opernvorstellungen schon urn
die Mitte des 18. Jahrhunderts nicht mehr zu den Seltenheiten rechneten.
Vor 1800 war Philadelphia die groBte Stadt der jungen Republik. Dort fand am 4. Juli 1776
die denkwiirdige Unabhangigkeitserklarung der 13 Urstaaten statt. Unter den Zeichnern dieses
Dokuments befand sich der Philadelphier Francis Hopkinson (1737—1791), Staatsmann,
Jurist, Komponist, Dichter und Verbesserer des Harpsichords. Dort war der eigentliche
Wirkungskreis ernes andern Zeichners, des aus Boston gebxirtigen Benjamin Franklin
(1706—1790), Drucker, Schriftsteller, Diplomat, Erfinder des Blitzableiters und Vervollkomm-
ner der »,musikalischen Glaser", Harmonika genannt. Der Ruhm dieses groBen, schlichten
Mannes war fruhzeitig international Unter den bei Abukir 1798 versenkten Schlachtschiffen
der Franzosen war ems, das seinen Namen trug. Aus Frankreich gesellten sich seit der Re
volution wirksame Einflusse, die neben den vorherrschenden englischen einherliefen. Be-
rechtigte Betonung geblihrt der seit 1750 in Amerika immer wachsenden Vorliebe fiir die eng-
Ksche ,,Balladenoper4< und Op^ra comique, aus deren Nachwirkungen sich leicht der fort-
Moderne: Amerika
bestehende Hang zur Operette und Musical comedy erklaren lafit. So ist es kaum zu verwun-
dern, dafi auch auf amerikanischen Konzertprogrammen der Zeit neben den Englandern Arne,
Shield, Storace, Dibdin und Hook Franzosen wie Gretry, Monsigny, Dalayrac und Gossec
regelmafiig anzutreffen sind. Des ofteren finden wir vor 1800 die Namen (Johann Christian)
Bach, Handel, Gluck, Stamitz, Vanhall, Haydn, Kozeluch, Mozart, Pleyel, Gyrowetz. An
Italienern treten hervor Sacchini, Piccinni, Boccherini, Guglielmi, Paesiello. Diese Liste ist
selbstverstandlich nicht erschopfend. Sie zeigt aber zur Geniige, daft zeitgenossische Musik
bald ihren Weg nach Amerika gefunden. So gelangte z. B. der Handelsche ,,Messias", mit
einigen Auslassungen, in New York bereits 1 770 unter William Tuckey (1 708 — 1 781) zur Auf-
fiihrung, 2 Jahre bevor Deutschland das Werk zu horen bekam.
Es entsprach dem Bedurfnisse der noch stark auf sich selbst angewiesenen Bevolkerung, daB
sich bald, und in ziemlich rascher Folge, in alien groBeren Stadten immer mehr Vereinigungen
bildeten, die im gemeinsamen Musizieren Zerstreuung und Genufi suchten. Schon um 1759
hatte Philadelphia einen Orpheus Club; wenige Jahre darauf bildete sich eine St. Cecilien-Ge-
sellschaft in Charleston. Die Namen derselben Schutzpatrone zierten unzahlige ahnliche Ver-
eine wahrend der nachsten einundeinhalb Jahrhunderte, und sind auch heute noch allerorten
in Amerika anzutreffen. Die Griindung der Bostoner Handel and Haydn Society, eines treff-
lichen Chores, reicht bis auf das Jahr 1815 zuriick. Schon um 1820 gab es in Portland (Maine)
eine Gesellschaft, die sich mit Beethovens Namen schmiickte. Mendelssohns ,,Paulus"
wurde in New York 1838 von der Sacred Music Society gegeben, 2 Jahre nach der Diissel-
dorfer Erstauffiihrung.
Verbesserte Verkehrsmittel fingen an, die Entfernung zwischen dem alten und dem neuen
Erdteil zu klirzen. Lorenzo da Ponte, Mozarts Librettist, brachte noch 86 Tage und Nachte
auf dem Wasser zu, als er 1805 die Uberfahrt unternahm, um sein bewegtes Leben in New York
als Sprachlehrer und Theaterdirektor zu beschliefien. 20 Jahre spater konnte Manuel Garcia,
der Vater der Malibran und Pauline Viardot, es wagen, mit einer ganzen Operntruppe den
weiten Weg nach dem Lande des Dollars zu machen. Der unheimlich wachsende Reichtum
des Handelsstandes und der Grundbesitzer, die nicht immer zu den geistig gebildetsten Schich-
ten des Publikums gehorten, gaben dem Konzertwesen, dem Drama und der Oper allmahlich
das Geprage des Sensationellen, des Virtuosenhaften, des viel Geld Kostenden. Der ,,Star"
ward geboren. Das Zeitalter der Reklame brach an. Das Credo Barnums wurde zum allein-
seligmachenden. Mit dem Triumphzug Jenny Linds (1850 — 52) war ein konzertgeschichtlicher
Wendepunkt erreicht.
Eine heilsame Gegenstromung kam gliicklicherweise von Deutschland her. Zuerst wieder
aus politischen Griinden, setzten gegen 1848 die Einwanderungen vieler vortrefflicher Deut-
schen ein, die in das nationale, geistige und kiinstlerische Getriebe Amerikas energisch und
zielbewufit eingriffen. Immer weiter verbreitete sich dieser segenspendende Zuflufi. Die
nachsten Jahre brachten Karl Anschiitz (1862, die erste deutsche Oper), Karl Bergmann
(1850, Dirigent des Germania-Orchesters), Adolf Neuendorf f (1871 , Lohengrin; 1877, die Wai-
kiire, erstmalig in New York), Carl Zerrahn (in Boston viele Jahre Dirigent der Handel and
Haydn Society und des Harvard Orchesters), Theodor Thomas (vielleicht der grofite musi-
kalische ,,Erzieher" des amerikanischen Publikums, 1864 Griinder des nach ihm benannten
Orchesters) und Leopold Damrosch (1871; Griinder der Oratorio Society, 1873, und des
Moderne: Amerika 1191
New Yorker Symphonieorchesters, 1877). Die Deutschen machten Schule. Als Henry Lee Hig-
ginson mit groBartigem geschaftlichen Weitblick sah, daB einem Bankhause mit internationalen
Beziehungen nichts so gut ansteht, als wenn sein Chef den Weltruf eines uneigenniitzigen Kunst-
patrons genieBt, nef cr 1881 das Bostoner Symphony Orchester ins Dasein. Zuerst der Leitung
Georg Henschels anvertraut, wurde es spater unter Wilhelm Gericke, Arthur Nikisch und Karl
Muck zu einem Instrument hochster Vollendung. Aus ihm ging das Kneiselquartett hervor, eine
Meistervereinigung, die liber 25 Jahre hindurch eine wahre Missionstatigkeit in der heiligen
Sache der Musik geiibt hat. Dem Orchester gehorten auch urspriinglich die bedeutenden
Komponisten Charles Martin Loeffler (Boston) und Gustav Strube (Baltimore) als
Geiger an.
Der amerikanische Blirgerkrieg (1861 — 65) inspirierte die unausbleiblichen und unzahligen
Gesange und Marsche, die in der Neuzeit derartige Erscheinungen zu begleiten pflegen. Nur
einige Lieder (wie Tramp, tramp, tramp) von George Frederick Root (1820 — 95) und
(wie Marching through Georgia) von Henry Clay Work (1832 — 84) haben die endgliltige
Wiederherstellung der Union iiberlebt. Weit grofierer Popularitat erfreut sich das 1859 fur
eine ,,Minstrer*-Truppe komponierte ,,Dixie" von Daniel Decatur Emmet (1818 — 1904).
Es ist ein Volkslied im besten Sinne des Wortes. Oberragt wird es nur durch die zum
Allgemeingut gewordenen Lieder von Stephen Collins Foster (1826 — 64). Die Neger-
frage, die einer der Griinde zum Kriege gewesen, hatte in Wort und Weise manchen senti-
mentalen oder humorvollen Widerhall gefunden. Euphemistisch sprach man von ,,Aethiopian
Ballads". Die sogenannten ,,Ministrel Shows" spezialisierten darin. Es war Foster, einem
WeiBen, vorbehalten, die ergreifendsten darunter zu schreiben. Mit einer harmonischen
Schlichtheit, die ganz volkstiimlich ist, verbindet sich eine Melodik, die oft selbstandige
Wege geht; die besten unter diesen Liedern, wie Old folks at home, Old black Joe,
My old Kentucky home, haben sich weit iiber Amerika hinaus heimisch gemacht, eben
weil sie doch mehr der Ausdruck eines tief empfindenden WeiBen sind, als wie etwas dem
Negerstamme Eigentiimliches.
Vielleicht diirfte es hier am Platze sein, einige Bemerkungen iiber die sogenannten Negro-
songs und Negro -spirituals einzuschalten. Sie bilden den hauptsachlichsten Beitrag der
Negerbevolkerung zu der Musik Amerikas. Diese alten Sklavengesange — teils Arbeitslieder
von den Baumwollpflanzungen desSiidens, teils religiose Litaneien einer heidnisch-christlichen
Mixtur und kindlichen Naivitat — sind von hochstem ethnologischen und musikologischem
Interesse; sie verdienen vollstens das eingehende Studium, das ihnen in letzter Zeit gewidmet
worden ist. Die Neger sind musikalisch hochbegabt. Ihre Originalitat ist nicht immer auf
der Hohe ihrer Nachahmungsfahigkeit. Eine gesellschaftliche Annaherung der Weifien und
Schwarzen ist vorlaufig absolut ausgeschlossen. Daher diirfte es unkritisch und libertrieben
erscheinen, wenn man den von der schwarzen Rasse herrlihrenden Beitrag als die spezifisch
volksmaBige oder gar ,,nationale" Musik des gesamten amerikanischen Volkes charakterisiert,
wie es nur zu oft geschieht
Erstens ist diese Negermusik keineswegs rein, sondern lehnt sich haufig an ,,weifie" Vor-
bilder an, Zweitens sind eine Anzahl der popularsten Negerlieder das eigenste Werk WeiBer,
wie die erwahnten Lieder Fosters. DaB die amerikanische populare Musik im Laufe der Zeit
beeinflufit worden ist von den rhythmischen Verschiebungen, den Synkopen des ,, rag-time ,
I ] 92 Moderne : Amerika
von gewissen faszinierenden Besonderheiten in der Art der Neger zu musizieren, das stellt
wohl niemand in Frage. Dieser Einflufi ist vergleichbar mit dem, den die maurische Herr-
schaft in Iberien auf die spanische Volksmusik ausgeiibt hat. Das Aufpfropfen eines fremd-
artigen Zweiges hat der Frucht des Baumes eher genutzt als geschadet. Doch die Wurzel hat
es nicht beriihrt. Auf die kunstmafiige Benutzung und die ktinstliche Harmonisierung von
Negermelodien, wie auch Melodien der Indianer, wird noch die Rede kommen. Nur sei hier
um den Gedankengang dieser Parenthese zu schliefien, die Behauptung gestattet, dafi die Ver-
suche, mit solchen Anleihen vonMohren undRothauten eine national-amerikanische ,,Schule"
zu griinden, gescheitert sind und scheitern mufiten, trotz Dvoraks wohlgemeinten, aber irre-
flihrenden Ratschlagen.
Nach Beendigung des Biirgerkrieges setzte ein allgemeiner Aufschwung ein, wenigstens in
dem siegreichen Norden und dem mit Riesenschritten vorwartseilenden Westen. Trotz der
politischen Einheit, die fur die Zukunft gesichert war, blieb doch eine Gesinnungskluf t zwischen
dem nordlichen und siidlichen Teil, die sich noch auf iange Zeit hinaus fiihlbar machte.
Wahrend im 18. Jahrhundert das Musikinteresse bei den siidlichen Pflanzern, bei den Ari-
stokraten Virginias, bei den Handelspatriziern Philadelphias und Baltimores reger gewesen als
in dem puritanisch angehauchten Boston, machte sich seit der Mitte des 1 9. Jahrhunderts ein
deutlicher Umschwung geltend. Der einzige Komponist des'Stidens aus dieser Periode,
dem man eine gewisse Bedeutung beimessen kann, ist Louis Moreau Gottschalk (1829
bis 1869), ein franzosischer Kreole, aus New Orleans gebiirtig. Das Zentrum seiner musika-
lischen Empfindungswelt lag in Paris; sein Herz hing an den tragen Tagen und schwiilen
Nachten Westindiens. In den Salons des Faubourg Saint-Germain lernte er von Chopin
und der Pariser Noblesse. In dem wirren Negerviertel seiner Geburtsstadt sah und horte
er die verponte Bamboula. Aus diesen gegensatzlichen Eindriicken wufite der glanzende
Klaviervirtuose und rastlose Wandervogel nichts Tieferes zu ziehen, als hofliche Salonmusik
und Bravourstiicke mit leicht exotischer Farbung.
Als Vorlaufer der nordlichen Komponistengruppe seien 3 Namen genannt: William Fry
(1813—64), George Bristow (1825—98) und Stephen Emery (1841—91). Die ersten
beiden gingen so weit, sich in Opern und Symphonien zu versuchen. Der dritte, in Leipzig
unter Richter und Hauptmann geschult, trat als Lehrer in das 1 867 gegriindete New England
Conservatory in Boston ein und gehorte der Anstalt bis zu seinem Tode an. In alien dreien
fand sich mit hoherem Wollen wenigstens ein reiferes Konnen gepaart, obzwar in keinem von
ihnen der gottliche Funke schlummerte. Hier mag unverhohlen zugegeben werden, dafi die
Historiker, die den besagten gottlichen Funken auch in alien anderen und spateren amerika-
nischen Komponisten vermissen, vielleicht nicht ganz unrecht haben. Verglichen mit den
Heroen der Tonkunst, die uns die Alte Welt geschenkt, hat Amerika allerdings noch nichts auf-
zuweisen, das einem Beethoven, Wagner oder Debussy nahe kommt. Und dennoch soil der
Versuch gemacht werden, in knappster Folge eine nicht unbetrachtliche Zahl von Kompo
nisten anzufiihren, die durch Gediegenheit, durch Vielseitigkeit, oft durch personliche Eigen-
art, und zuweilen durch ausgesprochene Genialitat den zweifellosen Beweis liefern, dafi Ame
rika — neben den Hunderten von minderwertigen Dilettanten, an denen auch Europa keinen
Mangel leidet — eine musikalische Moderne besitzt, die in mannigfarbiger Abtonung ein reiches
und bewegtes Bild schopferischer Tatigkeit bietet. Bald vielleicht werden in dem Gebiete der
Moderne: Amerika ]]93
Murik Manner auftreten, die solchen Amerikanern, wie Poe, Whitman, Emerson, Whistler,
Sargent, St. Gaudens und Edison ebenbiirtig zur Seite stehen.
Bereits bei dem Stammvater der Bostoner Komponistengruppe — ,,Schule" kann man es
kaum nennen, obwohl Harvard und das New England Conservatory in der Folge gewissermafien
musikerzieherische Brennpunkte wurden — , bereits bei John Knowles Paine (1839 — 1906)
miissen wir die deutschen Grundlagen hervorheben. Mit wenigen Ausnahmen wurde es nun
Brauch, in Deutschland musikalische Studien zu treiben. Deutscher EinfluB wurde daher vor-
herrschend. Paine war Orgelschiiler Haupts. Er war nicht nur ein ausgezeichneter Organist,
sondern besafi eine hohe und weitreichende musikalische Bildung. Diese Eigenschaften fuhrten
dazu, da6 bei der Besetzung des 1862 errichteten Lehrstuhles fur Musik an der Harvard-Uni-
versitat die Wahl auf ihn fiel. 43 Jahre sind eine lange Lehrtatigkeit. DaC sie nicht ebenso
gesegnet als lang gewesen, lag wohl daran, dafi Paines Personlichkeit nicht markant genug war,
um seinen vielen Schiilern mehr als handwerksmafiige Anleitung zu geben. Seine zahlreichen
Kompositionen zeugen von Formensinn und technischer Gewandheit; ihnen fehlt aber das
innere Leben, das sie vor friihem Vergessen schiitzen kann.
Weit ausgepragter ist das musikalische Profil von George Whitefield Chadwick (geb.
1854), der heute (1929) noch an der Spitze des New England Conservatory zu Boston steht.
Jadassohn und Reinecke dankte er wertvollen Unterricht. Doch ist er nicht bei den Idealen
eines Leipzig der siebziger Jahre stehengeblieben. Seine verschiedenen Symphonien und gro-
Ceren Orchesterdichtungen zeugen von einer individuellen Entfaltung, die bis in seine jiingsteri
Werke reicht. Er stellt heute den Altmeister unter amerikanischen Komponisten dar und tragt
sein Amt mit einer Wiirde, der sich feiner Humor als trefflicher Gefahrte beigesellt. Diese
Note froher Bejahung f inden wir am starksten in denjenigen seiner Kompositionen, die durch ur~
wiichsige Frische einem amerikanischen ,,Stilu am nachsten kommen. Seine ,,Vagrom Ballad4'
fiir Orchester ist ein leuchtendes Beispiel dafur. In seiner Kammermusik bewahrt er dieselbe
voile Btherrschung der Mittel, die sein symphonisches Scherzo ,,Tam O'Shanter" auszeichnet
Unter die Bostoner Komponisten, die auf den Bahnen der deutschen Nachromantik wan-
deln, zahlen hauptsachlich der in Amerika geschulte, vortreffliche Kiinstler Arthur Foote
(gcb. 1853), der viele Jahre in Berlin ansassige Arthur Bird (1856— 1923), sowie die ge-
wandte Klavierspielerin und fruchtbare Komponistin Frau H. H. A, Beach (1867). Zu der-
selben Generation und Stilrichtung gchoren der aus Pittsburgh geburtige Adolphe Martin
Foerster (1854— 1927), dermit20Jahren nach Amerika ausgewanderteWestfaleBrunoOskar
Klein (1858 — 1911), und der 1862 zu St. Louis geborene Ernest Richard Kroeger. Reifes
und ehrliches Musikertum ist hier mit dem Stempel epigonenhafter Abhangigkeit gezeichnet.
Selbstandiger und von weitaus tieferer Beseelung und dichterischer Potenz erfullt ist die Musik
Edward MacDowells (1861 — 1908). Seit Jahren nimmt sie eine Art Ehrenstellung unter
den Werken amerikanischer Musiker ein; scit Jahren hat sie sich auch in Europa eingeburgert,
wo sie eigentlich zuerst bekannt geworden. Mac Dowell war Schiller Teresa Carefios in New
York, spater war er in Marmontels Klasse am Pariser Conservatoire (Studiengenosse Debussys),
zuletzt erhielt er KompositJonsunterricht von Joachim Raff in Frankfurt. Sudamerikanische,
franzosische und deutsche Lchrmeister haben es nicht vermocht, Mac Dowell von seincm
eigensten Pfade abzulenken, ihn seinem angestammten Wesen zu entfremden. Wenn von einer
geistigen Verwandtschaft hier die Rede sein kann, so besteht sie vielmchr mit Grieg oder dem
1194 Moderne: Amerika
keltischen Urstock, dem MacDowells Vorfahren entsprungen. Ein leichter Hauch nb'rdlicher
Schwermut, das krankhafte ,,Hellsehen" einer Rasse, die seit undenklichen Zeiten mit Elfen
und Geistern auf vertrautem Fufie gestanden, der ritterliche Zug des mittelalterlichen Helden-
epos, die traute Beschaulichkeit des stillen Neu-England-Dorfchens, dessen schneeweifie
Hauser sich still an die grunen Hiigel schmiegen, der Duft des sommerlichen Waldes, die
salzige Seeluft — alle finden sie sich in den ausdrucksvollen Miniaturen, den Bravourstiicken
und den Sonaten fiir Klavier, in den Liedern und Orchesterwerken. Die Harmonik Mac Do-
wells ist nicht uberreich, der ,,Satz" oft sparlich. Und doch weifi Mac Dowell mit meister-
hafter Okonomie seine Ziele zu erreichen. Unter den 2 Orchestersuiten verdient die ,,In-
dianische" besondere Erwahnung, da sie vielleicht die bis jetzt vornehmste, ktinstlerischste
und treffendste Verwendung indianischer Motive in symphonischer Form darstellt.
Wie Mac Dowell in den letzten Jahren vor seiner geistigen Umnachtung als Professor der
Musik an der New Yorker Columbia-Universitat gewirkt, so ist der Name Horatio Parkers
(1863—1919) eng mit der seit 1893 an der Yale-Universitat in New Haven eroffneten Musik-
abteilung verkniipft. Wahrend aber in Mac Dowells Musik der ,,akademische" Ton fast ganz-
lich fehlt, gibt er sich, wenn auch nicht in alien, so doch in den meisten von Parkers Werken
klar zu erkennen. Ein Schiller Rheinbergers, haftete ihm lange eine gewisse formale Strenge
an, die der natiirlichen Ausdrucksart Zwang aufzulegen schien. Wo dieser Zwang angebracht
war, wie in der Vertonung der alten Hymne ,,Hora Novissima" fiir Chor und Orchester (1893),
da hat Parker ein vollgultiges Meisterwerk geschaffen. Seine Opern sind preisgekront worden
und vom Repertoire verschwunden. Fiir den Kirchengebrauch hat er manches geschrieben,
das semen Namen lange im Gedachtnis erhalten diirfte.
In der Komposition von Chorwerken haben Amerikaner iiberhaupt Vorziigliches geleistet.
Der stetige Bevolkerungszuwachs, die Einwanderurig aus sangesfrohen Gesellschaftsschichten
Deutschlands hauptsachlich, schuf bald den bestehenden Chorvereinigungen die Moglichkcit,
grofiere stimmliche Mittel zuerlangen und hohere kiinstlerische Zwecke anzustreben. Die Ein-
fuhrung von Sangerfesten und Musikfesten in fast alien grofien Stadten des Landes gab Man-
nernwieDudleyBuck(1839— 1909), Frank van derStucken (1858- 1929), Peter Lutkin
(1858), Albert Stanley (1851), Gelegenheit, sich als tiichtige Komponisten und gewandte
Dirigenten zu bewahren. Mehr nach der Seite der Orchester- und Kammermusik neigt der
verdienstvolle und auch in Deutschland ruhmlichst bekannte Edgar Still man Kelley (1857),
obzwar sein am meisten aufgefuhrtes Werk, eine Jugendarbeit, die Musik zu der Dramati-
sierung^des ,,Ben Hur" ist. In der ,,New England Symphony", in seinem Chorwerk ,,The
Pilgrim's Progress" finden sich unerschlaffte Erfindungsgabe neben womoglich noch sichercr
Ausfiihrung. Ein anderer Zeitgenosse dieser Gruppe ist der schon seit langem in der Schweiz
lebende George Templeton Strong (1856).
Das musikalische Interesse des Westens begann sich in den achtziger Jahren machtig zu
regen. Wie Stillman Kelley fruchtbringende Jahre in San Francisco verbrachte, so gewann
Chicago, neben Theodor Thomas, in Frederic Grant Gleason (1848--1903) cinen cner-
gischen und hochbegabten Pionier, dessen symphonische Werke oft von Thomas aufgefuhrt
wurden. In New York, bevor dort sieben vollzahligc Symphonicorchcsler glcichzeitig exi-
stierten, waren es die Sohne Leopold Damroschs, Frank (1859) und Walter (1862), die
ihres Vaters Traditioncn aufrecht erhieltcn; der alterc der Bruder in crstcr Reihe als Leitcr
Moderne: Amerika ) 195
der Oratorio Society und als Direktor des Institute of Musical Art in New York; der jungere
als Nachfolger seines Vaters in der Leitung des New York Symphony Orchestra und als be-
geisterter Forderer der Wagnerschen Sache. Seine eigenen Opern haben es nicht zu mehr als
einem Achtungserfolg gebracht. Zwei Rheinberger Schiiler, die in Kammermusik ihr Bestes
geleistet haben, sind Henry Holden Huss (1862) und Arthur Whiting (1861). Wenn man
die Summe dieser Entwicklungsperiode zieht, so erhalt man allerdings ein Kompositum der
Leipziger Schule Mendelssohn-Reinecke, mit einem stetig zunehmenden Quantum Wagner
vermengt.
Diese oft etwas unerquickliche Stilmischung wurde noch komplizierter, als amerikanische
Komponisten, im Bestreben ihrer Musik einen nationalen Charakter zu verleihen, sich darauf
besannen — oder vielleicht durch Dvoraks Vorbild dazu verleitet wurden — , die Motive der
Neger- und Indianergesange thematisch zu verwerten. Schon lange vor Dvorak war Anton
Philipp Heinrich (1 781 — 1861) auf den Gedanken gekommen, indianische Weisen zu seinen
wundersamen und etwas hohlen Werken zu benutzen. Aber es war doch erst Anfang der neun-
zigerJahre,dafidieseBewegungintensiveres Leben gewann. Aus ehrlichster Uberzeugung und
selbstlosester Hingabe griindete Arthur Farwell ( 1872) die Wa-wan-Gesellschaft und begann
die indem,,neuenGeiste"geschriebenen Werke — meistens Lieder und Klavierstiicke — seiner
Anhanger zu drucken. Er selbst hat in der Harmonisierung von Indianer- und Cowboymelo-
dien manchen gliicklichen Wurf getan. Der fraglos feinfiihligste Musiker dieses Kreises ist
Harvey Worthington Loomis (1865). Ebenso gewandt in der Behandlung von Neger-
weisen wie von Beschworungs- und Kriegsgesangen der verschiedenen Indianerstamme, hat er
doch vielleicht wie kein anderer Amerikaner, sicher als erster, einen personlichen Liedstil ent-
wickelt, in dem es an graziosen Einfallen, an treffender Untermalung und reizvollen Klang-
neuheiten nicht fehlt. Sein reiches Talent hat in ungezahlten kleineren und groBeren Chor-
liedern fiir Schulen der amerikanischen Jugend einen grofien Dienst geleistet. Mehr der wissen-
schaftlich-musikalischen Beschaftigung mit den Indianern ergaben sich Frederick Russel
Burton (1861 — 1909), Thurlow Lieurance (1880), und vorallem die verdienstvolle undzu
friih ver$chiedcneForscherinNatalieCurtisBurlin(f 1921). Auf gefallige, aber etwas seichte
Art haben Charles SanfordSkilton (1868) in Orchestertanzen, und besonders der sehr pro-
duktive Charles Wakefield Cad man (1881) in vielen Liedern und Klavierstiicken aus diesem
Zwitterstil Gewinn gezogen. Des letzteren Oper ,,Shanewis", sowie Victor Herberts ,,Na-
tomau, fufien auf indianischen Stoffen und Motiven. Verschiedene Musiker, die der Negerrasse
angehoren, haben Proben kompositorischer Begabung abgelegt. Wahrend Henry T. Bur lei gh
(1866), von Beruf Sanger, sich mehr auf die Liedform beschrankt, haben Will Marion Cook
und der geschultere Nathaniel Dett (1882) auch interessante Instrumentalmusik geliefert.
Angeregt durch Mac Dowell, dessen Schiiler er war, und von Natur auf den ,,Volkston" ge-
stimmt,hatHenryF, Gilbert (1868— 1928)die symphonische Brauchbarkeit von Neger- und
Indianermotiven in gl&nzender Weise bewiesen. Seine ,,Comedy Overture on Negro Themes4*,
seine ,,Negro Rhapsody**, die ,,Indian Sketches**, ,,Dance in Place Congo", sind unum-
stofiliche Belege seiner eigene Pfade suchenden Schaffenskraft. Dafi sie aber eine wirkliche
nationale Kunst darstellen, ist wohl zu bezweifeln. Sie sind exotisch und versinnbildlichen
nur eine noch unverschmolzene Minderheit des amerikanischen Volkes. In ihnen finden wir
eine Parallelerscheimmg der auch in Europa sich verbreitenden Exotik als Rettung aus dem
76 H.a,M.
Moderne: Amerika
Stildilemma. Gilbert hat auch in keltischen Melodien ebenso anregenden Stoff gefunden
(Overture to Synge's ,,Riders to the Sea"), hat sie in herbe, tiefergreifende Klange gekleidet
und damit dem Vorwurf der Einseitigkeit den Boden entzogen.
Einer eigentlich nationalen Schule entbehrend, bisher noch frei von nationalen Vorurteilen
oder Chauvinismus, ist Amerika in Sachen der Kunst um so leichter fur fremde Anregung
empfanglich gewesen, ist um so williger auslandischen Vorbildern gefolgt. In den letzten 1 5
oder 20 Jahren macht sich eine starke und strenge Spaltung bemerkbar; auf der einen Seite
ist es der auf Wagner folgende Einflufi von Brahms und Richard StrauB, dem endlich die
Jiinger Mahlers anzureihen sind; auf der anderen Seite sind es franzosische Tendenzen, wie sie
von Gabriel Faure, Franck, Debussy und Ravel ausgehen. In jiingerer Zeit haben naturgemafi
die Russen Rimsky-Korsakoff, Scriabin und Strawinsky, sowie der Wiener Arnold Schonberg
den Schopfungen einer schnell wechselnden Geschmacksrichtung ein neues Geprage verliehen.
Bevor \vir zu einer stilmafiigen Trennung der zeitgenossischen Generation schreiten, verdient
ein Musiker besondere Beachtung, weil sich in ihm diese Wandlung am besten verfolgen laBt
und weil er wohl am meisten dazu beigetragen hat, die Wiirdigung moderner franzosischer
Musik in Amerika zu beschleunigen. Abgesehen von diesen aufierlichen Grunden Hegt aber
noch der innere Zwang vor, Charles Martin Loeffleran erster Stelle zu nennen, weil ihm
ein iiberragender Platz als Ktinstler zusteht. Elsasser von Geburt (1861), wurde er in Berlin
bei Joachim und in Paris bei Leonard ausgebildet. Mogen seine Jugendwerke auch Spuren
einer Vorliebe fur Brahms aufweisen, mag seine Orchestertechnik in der Obergangsperiode
von den damaligen Kiihnheiten eines Richard Straufi gelernt haben, so kam doch schon friih-
zeitig bei diesem Musiker von deutscher Griindlichkeit ein Hang nach gallischem Wesen zum
Durchbruch. Ohne im geringsten einer blofien Nacl'ahmung zu huldigen, hat sein geistreiches,
zart abgetontes Musizieren einen unverkennbar franzosi^rhen Anstrich. Tiefes Studium des
Gregorianischen Gesanges hat in Loefflers Melodik manchen Nachklang hinterlassen. Die
meisterhafte Polyphonie, die seinem ,, Pagan Poem'4, seiner ,,Hora mystica" (Symphonic mit
Mannerchor) und seiner Kammermusik ein so bewegtes, schillerndes Lehen verleiht, ist stets
einem hyperkritischen Klangsinn unterworfen, der in erster Reihe auf sinnliche Schonheit be^
dacht ist.
Eine Gruppierung, wie sie hier in weiterem Sinne vorgenommen wird, hat notwendiger-
weise etwas Mangelhaftes. Die unterschiedlichen Merkmale sind oft zu fein, um sich in eine
grofiere Gruppe einreihen zu lassen. Dennoch kann man bei Komponisten wie Frederick
S. Converse (1871), Rubin Goldmark (1872, dem Neffen Karls), Henry Hadley (1871),
Arne Oldberg (1874), Howard Brockway (1870), Daniel Gregory Mason (1873),
Louis Adolph Coerne (1870 — 1922), L. V. Saar (1869), von einer gewissen Stilverwandt-
schaft sprechen, da ein jeder von ihnen, trotz der oft differenzierten Ziige, auf das Architek-
tonische und Formale, das fur Brahms und StrauB kennzeichnend ist, das Hauptgewicht legt.
Auch in der Harmonik schreiten sie nicht weit iiber die Grenzen dieser deutschen Meister,
was die Folge davon sein diirfte, da6 die Mehrzahl unter ihnen entweder in Deutschland stu-
diert oder dort langere Zeit gelebt hat. Ihnen kann man als Fortsetzung dem zum Regeri-
sieren geneigten Mortimer Wilson (1876) und den Max Schillings-Schiiler Philip Greely
Clapp (1888) anreihen, der in dem orchestralen Aufbau seiner Symphohien stark an Mahler
gemahnt. Auf der Schwelle zwischen der deutschen Moderne und derp franzosischen Inv
Moderne: Amerika ] ]97
pressionismus stehen der elegante Klaviervirtuose Ernest Schelling (1876) und der viel-
seitige David Stanley Smith (1877), Horatio Parkers Nachfolger an der Yale Universitat.
Stimmungszauber, Klangkitzel, wie sie von den Franzosen in den letzten 20 Jahren ver-
feinert worden, sind der Strebepunkt, auf den die zweite Gruppe zielt. Zu Jhr gehoren Ed
ward Burlingame Hill (1872), Gustav Strube (1867) und John Alden Carpenter
(1876), der begabteste Schiller des lange in Chicago ansassigen hervorragenden Theoretikers
Eeir.hard Ziehn (1845 — 1912). Ein jeder dieser drei beherrscht in souveraner Weise den
modernen Orchesterapparat. Carpenters ,,Perambulator Suite" ist ein Erzeugnis feinsten
amerikanischen Humors mit gallischer Grazie gepaart. Seine zahlreichen Lieder zeichnen sich
durch feinfiihlige Prosodie und Charakterisierungskunst aus. In seiner Pantomime ,,Krazy
Kat" und in seinem Ballett ,,Skyscrapers" (1926 in New York, 1928 in Munchen) hat er den
Versuch gemacht, die modernste Form der amerikanischen popularen Musik, P,Jazz",
kunstlerisch zu verwenden. Dafi die lange in Paris lebenden Blair Fairchild (1877) und
Campbell Tipton (1877—1919) im Fahrwasser der franzosischen Schule schwimmen,
ist unvermeidlich. Von dieser Schule ging auch der vielversprechende Charles T. Griff es
(1884 — 1920) aus, gelangte aber vor seinem friihzeitigen Tode zu einer bedeutend personliche-
ren Manier, die zu den schonsten, nun leider vereitelten Hoffnungen Anlafi gab. Seine Lieder,
Klaviersonate, eine symphonische Dichtung und ein ,,PoerrT fur Flote und Orchester sichern
ihm einen unbestrittenen Platz im Vordergrund der modernen Bewegung. Eine Sonderstellung
gebuhrt dem gewandten (Joseph) Deems Taylor (1885), der nicht nur auf symphonischem
Gebiete mit Werken wie ,,Through the Looking-glass " (1922) und ,Jurgen" (1925), sondern
mit seiner Oper ,,The King's Henchman" (Metropolitan, New York, 1 927) nachhaltige Erfolge
erzielt hat, die noch zu hb'heren Erwartungen berechtigen. Raffinierte Exotik zeichnet die
besten Lieder und Orchesterstucke Emerson Whithornes (1884), Stuart Masons (1883)
und Henry Eichheims (1870) aus. Mehr oder weniger im Banne Cesar Francks stehen die
Organisten Edward Shippen Barnes (1887), Edwin Grasse (1884), Eric de Lamarter
(1880) und John Lawrence Erb (1877), die hauptsachlich fur ihr eigenes Instrument ge-
haltvolle und gediegenc Werke geschricben haben. Unter den katholischen Organisten
zeichnen sich Anton Gloetzner (1850—1928) durch meisterhafte Kontrapunktik, Pietro
AlessandroYon (1886) durch effektvolle Sonaten und Konzerte fur die Orgel und Nicola
Aloysius Montani (1880) durch Offertorien und Messen im reinsten Kirchenstil aus.
Hattc Amerika nichts anderes aufzuwcisen als diese wenn auch dichtgescharte Phalanx, die
noch in europaJschern Kunstsold steht, so konnte schwerlich von einer amerikanischen Mo
derne, im eigentlichen Sinne, die Rede sein. Ein regcs und anregendes Musiktreiben wiirde
damit wohl bezeugt sein, aber noch kein Abschwenken in selbstandige Bahnen, fur welche die
Bezeichnung ,,amerikanisch" mehr als lokale Bedeutung hatte. Aber ein solches Abschwenken
macht sich augenblicklich doch bemerkbar. Obzwar auch hier wieder ein Zusammenfassen in
groBere Gruppen die Gefahr bringt, nicht jedem individuellen Merkmale, nicht alien Graden
intellektueller Unabhangigkeit gerecht werden zu konnen, so darf man wohl schon von einer
,,amerikanischen Schule4, von einer ,,amerikanischen Moderne44 sprechen, zumal diese
Richtung begonnen hat, einen riicklaufendcn EinfluC auf gewisse Musiker Europas auszuiiben.
Da diese Schule noch im Werden begriffen ist, Isfit sich von ihr ein abgerundetes Bild nicht
geben. Immerhin ist eine neu erwachende Pragnanz, ein kiihneres Vordringen auf unge-
76*
I 1 98 Moderne : Amerika
wohnten harmonischen Pfaden zu verzeichnen, ohne da8 sich bei jedem Schritt ein Schielen
nach den Neuerern der ,,Alten" Welt bemerkbar macht. In seinen ,,Amerikanischen Tanzen"
fur Violine und Klavier spricht Albert Stoessel (1894) eine durchaus idiomatische Sprache;
ebenso John Powell (1882) in seiner ,,Rhapsodie Negre" fur Klavier und Orchester; Arthur
Shepherd (1880) im letzten Satz seiner schon 1908 geschriebenen Klaviersonate ; A. Walter
Kramer (1890) in seinem ,,Chant Negre"; Cecil Burleigh (1885) in seinen ..Plantation
Sketches" und ,,Prairie Sketches"; Albert Spalding'(1888) in seinem ..Alabama"; Leo So-
werby (1895) in einem Klavierkonzert und in Kammermusik; Marion Bauer in reizvollen
Klavierstiicken ; Frederick Jacobi (1891) in seinem Streichquartett iiber Indianische Motive;
Louis Griinberg (1883) in seinem ,,Daniel Jazz" und 0. G. Sonneck (1873—1928) in
stimmungsvollen Liedern. Der letztere ist hauptsachlich als hervorragender Schriftsteller
auf musikhistorischem Gebiet bekannt, und sein groBter Ruhm bleibt der glanzende Ausbau
der musikalischen Abteilung in der Nationalbibliothek zu Washington (Library of Congress),
dem er 15 Jahre seines Lebens widmete. SeitSonnecks Tode nimmt unter den Musikwissen-
schaftlern Amerikas Otto Kinkeldey (1878) die fuhrende Stellung ein. Er leitet zur Zeit
die Musikabteilung der New Yorker Bibliothek. Die Leitung der Musikabteilung der Library
of Congress in Washington hat Carl Engel iibernommen. <
Die Wogen der europaischen Ultramoderne haben auch die Ufer Amerikas bespiilt und in
den jiingsten Werken von Edward Royce, des Busoni-Schiilers Louis Griinberg (1883),
CarlRuggles (1876) und anderer einen deutlichen Niederschlag zuriickgelassen. Doch sind
es vier im Auslande geborene und jetzt in Amerika lebende Komponisten, die hier als Fiihrer
zu nennen sind: der Russe Leo Ornstein (1895), der Australier Percy Grainger (1882),
der hispano-franzosische Carlos Salzedo (1885), bahnbrechend auf dem Gebiet der kompo-
sitorischen Verwendung der Harfe, und die unter alien kiinstlerisch starkste Gestalt des Schwei-
zers Ernest Bloch (1880). Die spezifisch hebraischen Ziige, die Blochs Musik noch bis vor
kurzem eigen waren, haben sich seit seinem Aufenthalt in Amerika zu einem reicheren und
mannigfaltigeren Ausdrucksvermogen erweitert. Schon jetzt zahlt er mit seiner Oper ,, Mac
beth", der „ Israel* '-Symphonic, dem hochoriginellen Streichquartett und Klavierquintett und
der wundervollen Suite fur Bratsche und Klavier (auch orchestriert) unter die allerbedeutend-
sten Komponisten der gesamten heutigen Musikwelt. Mit seiner symphonischen Dichtung
,,Amerika" (1928) hat er ein historisch-musikalisches Panorama geschaffen, das in Anlage
und Wirkung woW einzig dasteht. Diesen Haupttragern des Banners der Moderne folgen
viele noch nicht ausgereifte Talente, die jedoch auf eine verheifiungsvolle Zukunft weisen.
Zu diesen ,,Neutonern" treten seit den letzten Jahren Howard Hanson (1896; jetzt
Direktor der Eastman School of Music in Rochester, N. Y.) mit Kammermusik und Orchester-
sachen, Roger Huntington Sessions (1896; Schiller von Bloch) mit einer Symphonic
(1927), und Aaron Copland (1900; Schiiler von Nadia Boulanger in Paris) mit einer Sym
phonic far Orgel und Orchester und einem Klavierkonzert. Henry Cowell, Charles
E. Ives, Dane Rudyar (recte Rudyar D. Chenneviere) und Edgar Varese (1885) gehen
in ihrer Musik teilweise bis zu den aufiersten Grenzen des Bizarren. Den bleibenden Wert
dieser Werke mufi die Nach welt bestimmen.
Selbst dieser skizzenhafte UmriC der amerikanischen Musik wiirde eine unverzeihliche
Liicke aufweisen, wenn nicht wenigstens mit einem Worte der umfangreichen Lied- und
Moderne: Amerika ] ]99
Balladenliteratur und der Salonstiicke gedacht wurde,dienebeneinerunglaublichen Anzahldes
minderwertigsten Zeuges doch Vertreter fanden, die Achtbares geleistet haben. Am bekann-
testen diirfte Ethelbert Nevin (1862 — 1901) sein, der Komponist von ,,Narcissus" und ,,The
Rosary", die sich tatsachlich liber die ganze Erde verbreitet haben. Als Liederkomponisten
von leichter Einganglichkeit und viel Geschick miissen auch James H. Rogers, Sidney
Homer und Brainbridge Crist gelten, wahrend in den Gesangen von Frank Laforge,
Henry Clough - Leighter, Kurt Schindler und Percy Atherton ansprechende Me-
lodik sich mit tieferem Kunstsinn und grb'fierem Konnen verbindet. Doch hier ist eine auch
nur annahernd erschopfende Nennung der Namen unmb'glich.
Steigen wir mutig eine Stufe hinab, so begegnen wir einer leichteren, aber ausnehmend
pikanten Muse, zu deren Dienern treffliche Musiker zahlen, wie Victor Herbert (1859 bis
1924), der Komponist von iiber 40 teils reizenden Musical comedies, sowie Reginald de
Koven (1861 — 1920), der mit der Operette ,, Robin Hood" ein klassisches Werk geschaffen.
Unter den derzeitigen amerikanischen Operettenkomponisten zeichnen sich Jerome Kern
(1885) durch feinfiahlige Rhythmik und Harmonik, und Irving Berlin (1888) durch un-
bedingten Sinn fur einschmeichelnde Melodik aus. Zu ihnen zahlt auch George Gershwin
(1898), doch ist der letztere auf ein ernsteres symphonisches Gebiet vorgedrungen mit seiner
,, Rhapsody in Blue" und mit einem Konzert fur Klavier und Orchester, dessen zweiter Satz
unleugbar zu den eigenartigsten Erzeugnissen einer typisch amerikanischen Moderne gehort.
Ubertroffen wird es nur in Frische, Geist und orchestraler Technik durch Werner
Jans sen's (1899) symphonische Dichtung ,,New Year's Eve in New York" (1928). Die
Schlager dieser Komponisten sind Gemeingut der an leichter Musik zehrenden Welt ge-
worden, Zu internationaler Anerkennung hat es auch der ,,Marschkonig" John Philip Sousa
(1854) gebracht. Immer mehr verbreiten sich amerikanische Lieder und Tanze ernes popularen
Charakters und finden ihren Weg nach Europa. Wenn die von Wien importierte Operette noch
hier und da am Broadway auftaucht, so ist es gewohnlich des ,,Buches4< wegen. Die Musik be-
kommt unter den Handen berufener Umarbeiter neuen Odem eingeflofit, iiber den nur Amerika
verfiigt. Diese Einfuhr halt aber kaum Schritt mit der immer mehr zunehmenden Ausfuhr von
typisch amerikanischen Hits (Schlagern), die oft eines unnachahmlichen Schwunges, einer
kecken Harmonik nicht entbehren. Ja, heute sehen wir, wie nach den vielen Jahren der musika-
lischen Abhangigkeit von Europa die todeskranke Zivilisation des Mutterbodens sich angstlich,
fast phrenetisch, an die Exportwaren der amerikanischen Belustigungszauberer klammert; und
jeder Notenschreiber sucht sein Heil in ,,Bostons", ,,Shimmies", ,,Foxtrotts" und dem kro-
nenden Erzeugnis einer larmenden, vielstimmigen Metropole, der sogenannten ,,Jazz"-Musik.
Uber ,Jazz" Jst in Europa noch mehr diskutiert worden als in Amerika. Franzosische, deutsche,
englische Kritiker haben ihm eingehende Abhandlungen gewidmet. Unter den durch Gram-
mophonplatten uberall bekannten , Jazz-bands** sind einige, die aus wirklichen Orchester-
virtuosen bestehen. Europaische Musiker haben sich dem neuartigen Reiz dieser Orchester-
technik nicht entziehen konnen. Die Tanzwut des Mittelalters, durch die kriegsgelahmte und
pestentnervte Volker wieder mit dem Lebenstrieb, mit dem Willen zur blinden Fortpflanzung
aufgepeitscht wurden, holt sich heute in Amerika die aphroditischen Rhythmen, die hysterischen
Unlaute dieser grandiosen, im Werden begriffenen Volksmusik. Verpont, wie es die erste
Sarabande, der erste Walzer waren, liegt doch auch in ihr etwas Zwingendes, etwas Dyna-
1200
Moderne: Amerika
misches und der Entwicklung Fahiges, das sich nicht von der Hand weisen lafit. Mit blofiem
Naseriimpfen kann man diese Musik nicht abtun. Auch hat Amerika es nicht notig, sich ihrer
zu schamen; denn sie wird mehr wie aufgewogen durch die ernsten, kiinstlerischen Be-
strebungen, die mit jedem Tage der amerikanischen Moderne einen grofieren und gefestigteren
Raum in der Musikgeschichte sichern.
In den letzten Jahren hat sich in Amerika das musikalische Macenatentum stark entwickelt.
Unter den grofiherzigen und weitblickenden Forderern der Kunst nimmt Elizabeth Sprague
Coolidge eine besondere Stellung ein; es ist ihrer Initiative zu verdanken, dafi durch ihre
der Nationalbibliothek (Library of Congress) in Washington gemachte Stiftung (1925) end-
lich die amerikanische Regierung dahin gebracht worden ist, an der Auffiihrung und Ford^rung
von Kunstmusik einen vorerst kleinen, aber nicht zu unterschatzenden Anteil zu nehmen.
Die allgemeine Verbreitung des Musizierens in ganz Amerika wachst stetig. Durch hervor-
ragende Orchester, wie diejenigen von Boston (Serge Koussevitzky), Philadelphia (Leopold
Stokowski), Detroit (Ossip Gabrilowitsch), Cleveland (Nikolai Sokoloff), Chicago (Frederick
A. Stock), San Francisco (Alfred Hertz) ist fur eine weitgehende Verfeinerung des Geschmacks
gesorgt. Die offentliche Meinung wird von wirklich kunstverstandigen Kntikern, wie Philip
Hale, Lawrence Gilman, William J. Henderson, Paul Rosenfeld, H. T. Parker, immer tiefer
und eingehender geschult. Die Musikerziehung des Volkes, vom „ Kindergarten" bis zur
Universitat, ist heutigen Tages eine wahre Riesenindustrie. Der ,,Rundfunk" tut das iibrige.
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Carl Engel
REPRODUZIERENDE KUNST
Erst allmahlich entwickelt sich aus der Improvisation durch immer starkere Variation
die freie kiinstlerische Gestaltung. So kommt es, dafi bei jenen Volkern, bei denen die Im
provisation im Vordergrund der Kunst steht, das Spielmannswesen sich langer erhalten
und einen hoheren Stand hat, als bei jenen Volkern, bei denen die Improvisation durch eigen-
wertige Gestaltung iiberwunden wurde. Altertum, Orient und Naturvolker kennen keinen
Unterschied zwischen Komponisten und Spielmann und jene Volker, die, wie die Orientalen,
Siidlander oder Slawen, der Natur naherstehen, haben relativ mehr Virtuosen hervorgebracht
als die Mitteleuropaer. Wahrend im Mittelalter die kirchliche Musik in den Handen der
Geistlichkeit liegt, ist die weltliche Musik von der kirchlichen vollig gesondert. Die welt-
lichen Spielleute bilden eine gesonderte Zunft, deren Angehorige auf eine Stufe mit der
untersten Schicht des Volkes gestellt werden — zum Teile ein Erbe spatromischer Kaiser-
zeit, da ja bereits nach romischem Recht die Musiker Ehrbeschrankungen unterworfen waren.
Der Sachsenspiegel stellt Spielleute und solche, ,,die sich to egene geven" (Lustknaben), gleich,
und nach einigen Rechten waren Spielmannskinder vom Erbrecht ausgeschlossen. Gelegent-
lich wird der Spielmann als Mensch bezeichnet, der ,,Gut um Ehre" nimmt. Diese soziale
Minderwertigkeit des weltlichen Musikers und insbesondere des ausiibenden Kunstlers
hat erst allmahlich einer Gleichbewertung Platz gemacht vor allem infolge der steilen Auf-
wartsentwicklung der Kunst selbst, wozu nicht wenig der Umstand beitrug, dafi Landes-
fiirsten und hoher Adel um die Wette an ihren Hofen Musik hielten. So wurden von Fiirsten
Unsummen Geldes fur die Musik verausgabt und aus der urspriinglichen Pracht- und Auf-
wandsgier entwickelt sich mit der Zeit ein ehrliches Mazenatentum, das seinerseits die Ur-
sache der sozialen Emanzipation des Kiinstlerstandes wird. Aber erst durch die Emanzipation
der Kunst vom Mazenatentum selbst entwickelt sich der freie und vollwertige Musikerstand,
wie ihn das 19, Jahrhundert kennt, frei auch von den gelegentlichen Uberwertungen des
Virtuosentums im 18. Jahrhundert.
Sehr zeitlich machen sich die nationalen Unterschiede bei der Bewertung der Spielleute
geltend. Im Roman de Cleomades werden neben den bohmischen Flotern die deutschen
Geiger geriihmt. Der Hof von Ferrara lafit 1441 deutsche Trompeter anwerben, wahrend
in anderen Quellen franzosische Geiger genannt sind. Die ersten ausiibenden Musiker, liber
deren Kunst wir gewichtigere Zeugnisse besitzen, sind Organisten. Stand ja die Orgel seit
friihester Zeit im Vordergrund der Musikpflege, und alte Abbildungen (Reliefs) beweisen, daB
die Orgel im Abendland bereits bekannt war, bevor Kaiser Constantin Kopronymos 757
dem Konig Pippin eine Orgel schenkte. Sowohl in Deutschland als in Italien geht die Ent-
wicklung des Orgelbaues Hand in Hand mit jener des Orgelspiels. Man begegnet im 14. Jahr
hundert dem gefeierten blinden Orgelvirtuosen Francesco Landino (1325^ 97), der nicht
nur die Orgel und ein selbst konstruiertes Klavierinstrument (Serena serenorum) meistert,
sondern auch Laute, Gitarre und Flote spielt Im 15. Jahrhundert bliiht Antonio Squarcia-
lupi (auch Antonio degli organ! genannt), dessen Tod von Lorenzo Magnifico tief betrauert
wird, Der bedeutendste und grofite Organist jener Zeit ist der blinde Konrad Paumann
(1410—73), tiber den sein Landsmann Hans Rosenpltit ein interessantes Zeugnis ausstellt,
das bekundet, welche Bewertung ernes auBerordentlich hochstehenden Kiinstlers in jener
J-202 Keproduzierende Kunst
Zeit in biirgerlicher Umwelt moglich 1st. Das Zeugnis des Rosenpliit zeigt aber auch, daB
man bereits im 15. Jahrhundert einen genauen Unterschied machte zwischen Improvisation
und notierter Kunst.
Wahrend Orgel und Klavier infolge der festen Intonation und der nur beschrankten Be-
einflussungsmoglichkeit der Klangerscheinung das Virtuose im Rahmen der technischen
Moglichkeiten des Instrumentes entwickelt haben, hat die Ausbildung des Violins piels
und des Gesanges verhaltnismaBig bedeutend groBere Dimensionen angenommen, wenn man
in Betracht zieht, dafi hier die Entwicklung der Reproduktion nur bis zu einem gewissen
Grade von der Technik der Klangquelle abhangig ist. Denn die Violine hat mindestens seit
dem Anfang des 1 7. Jahrhunderts dieselbe Gestalt wie heute, ihr Bau ist demnach seit dieser
Zeit vervollkommnet worden, wahrend das yiolinspiel selbst sich technisch ganz gewaltig
entwickelt hat, freilich nicht in einheitlicher Richtung. So geht die Entwicklung des Geigen-
spiels in Italien mehr nach der kantablen, mehr monophonen Seite hin, wahrend das deutsche
Violinspiel im 17- Jahrhundert in einer Weise nach der polyphonen Seite hin zustrebte, wie
dies bis auf den heutigen Tag nicht mehr der Fall war. Wie bei den iibrigen Instrumenten
sind in alterer Zeit im Gegensatz zur Gegenwart die Geiger auch Komponisten und Inter-
preten ihrer technisch aufierordentlich anspruchsvollen Werke. Dies gilt insbesondere von
den alteren italienischen Meistern der Mantuaner Schule, deren Begriinder Monteverdi
ist, die insbesondere das Spiel in den hohen Lagen, den springenden Bogen und andere
Requisite der Violinistik zur Ausbildung brachten. Man wird kaum fehlgehen, die Haupter
der Mantuaner Geigerschule, zu denen die Vertreter der ersten Instrumentalmonodie, wie
Salomone Rossi, Biagio Mar in i und Giovanni Battista Buonamente gehb'ren, mit der
Wiener Geigerschule, deren Begriinder Giovanni Valentini, Antonio Bertali und deren
Spitzen Johann Heinrich Schmelzer und der Deutschbohme Heinrich Franz von Biber
sind, in Zusammenhang zu bringen. Biber und Schmelzer haben, wie das Haupt der sachsi-
schen Geigerschule, Johann Jakob Walther, insbesondere die Scordatura (,,Verstiimbung")
gepflegt, mittels welcher besondere, der Klangkultur des Barock entsprechende Effekte er-
zielt wurden. In der erhaltenen Korrespondenz Schmelzers mit dem Fiirstbischof Karl
Liechtenstein Kastelkorn von Olmutz kommt in bezeichnender Weise zum Ausdruck, wie
solche ,,verstumbte" Sachen in damaliger Zeit gesucht waren. Die Technik der Skordatur
wurzelt im Lautenspiel, das insbesondere von Frankreich aus im 1 7. Jahrhundert einen mafi-
gebenden EinfluB nicht nur auf das Violinspiel, sondern insbesondere auch auf das Klavier-
spiel (der ,,gebrochene" Klavierstil Frobergers) nahm. Die bedeutendsten Vertreter des
virtuosen Lautenspiels, dessen Klangbild heute nur schwer rekonstruierbar ist und das be-
stimmenden EinfluB auf den Klang des barocken Orchesiers nahm, sind die Mitglieder der
Familie Gaultier, Gallot, Dufaut u. a. Die bedeutendsten Vertreter des deutschen
Lautenspiels, das bereits im 16. Jahrhundert in Spanien, Italien und Deutschland seine erste
Bliitezeit erlebt hat, sind Esaias Reusner, Leopold Sylvius Weiss, Graf Losy, Questen-
berg u. A.
Mit dem Abklingen de* Lautenspiels besinnen sich die Geiger wieder auf die monophone
Natur ihres Instruments, wozu auch die Rekonstruktion des Bogens beitrug. Der nicht straff
gespannte Bogen in seiner alten Form sowie der flache Steg ermoglichten das polyphone
Spiel in bedeutend hoherem Mafie als die heutigen Formen von Bogen und Steg. Die italie-
Reproduzierende Kunst 1203
nischen Meister haben sich seit jeher der Skordatur enthalten. Beispiele spaterer Skordatur
finden sich bei Paganini, der die Saiten um einen halben Ton hoher stimmt, damit sein Fla-
geolett hoher klinge. Aber auch Mozart stimmt in seiner ,,Symphonie concertante" fiir Violine
und Viola die Bratsche um einen halben Ton hoher. In Vieuxtemps' ,,Norma"-Fantasie sowie
in einigen Stiicken Beriots finden sich noch Auslaufer dieser alten Gepflogenheit, (Vgl. auch
das Scherzo von Mahlers IV. Symphonic und Saint-Saens' ,,Danse macabre".)
Das 1 8. Jahrhundert f indet das Geigenspiel auf dem Boden der durch die Opernarie be-
einflufiten monophonen Melismatik. Die bedeutendsten Meister sind, abgesehen von den
noch ins 17. Jahrhundert fallenden GroBmeistern Arcangelo Corelli (1653—1713), Giuseppe
Torelli (1660-1708): Antonio Vivaldi (1680-1743), Pietro Locatelli (1693-1764),
Francesco Maria Veracini (1685 — 1750), Nicola Porpora (1686—1766) und der Begriinder
der sogenannten Piemonteser Schule Giovanni Battista Somis (1676—1763), deren Haupter
I.M.Leclair (1697-1764) und Gaetano Pugnani (1731-98) sind. Alle diese Klinstler
werden jedoch durch das Spiel Giuseppe Tartinis (1692—1770) verdunkelt, dessen Haupt-
werk, die ,,Teufelstrillersonate", neben den Solosonaten Bachs eine eigenartige Synthese
mono- und polyphonen Spiels bedeutet. Eine der besten theoretischen Fassungen der Er-
rungenschaften des Violinspiels im 18. Jahrhundert ist Leopold Mozarts ,,Griindliche
Violinschule", die Bibel der beiden nachsten Geigergenerationen. Bedeutungsvoll fiir
das Violinspiel erscheint insbesondere die Mannheimer Schule, an ihrer Spitze Johann
Stamitz, die ganz besonders die dynamischen Mb'glichkeiten des Instrumentes zur Ent-
wicklung brachte. Das moderne Violinspiel geht auf Giovanni Viotti (1753—1824) zuriick,
der eigentlich die drei grofien Richtungen des 19. Jahrhunderts, die franzosisch-belgische,
die Wiener und die Prager Schule, inauguriert hat.
Die franzosisch-belgische Violinschule geht auf Rudolf Kreutzer zuriick (1766
bis 1831), der allerdings urspriinglich Schiiler Anton Stamitz' ist und welchem Beethoven
seine Violinsonate Op. 47 widmete, die freilich urspriinglich dem mulattischen Geiger Bridge-
tower gewidmet war, dessen aufierordentliches temperamentvolles Spiel den Beifall Beethovens
fand. Als Mitbegriinder der alteren franzosisch-belgischen Schule gilt auch Pierre Francois
Baillot (1771 1842), vor allern aber Pierre Rode (1774-1830), dessen ,,24 caprices" zum
Besten der instruktiven Violinliteratur gehoren und dessen ,,Air vane** ein Glanzstiick der
Catalan! war. Mit Kreutzer zusammen war er auch an Baillots ,,Methode de Violon" beteiligt.
Der Begriinder der modernen Richtung ist jedoch Francois Antoine Habeneck (1781 — 1849),
ein Schiiler Baillots, der Jm iibrigen die noch heute als Padagogen wichtigen Geiger Jaques
F.Mazas (1782 1849), Josef L.Meerts (1800-63), Charles August Beriot (1802-72)
und LB, Ch.Dancla (1818 1907) schulte. Die feine, hauptsachlich bogentechnisch voll-
kommene Art der franzosischen Geigerschule gipfelt in Pablo de Sarasate (1 844— 1908),
dessen eminentes Virtuosentum in einer reinen Intonation und in dem hinreiBenden Zauber der
Tongebung bestand. Demgegeniiber hatte vielleicht Henri Vieuxtemps (1820—81) ein um-
fassenderes Repertoire und einen grofieren Wirkungskreis. Bedeutende Vertreter dieser Schule
sind noch Johann Christian Lauterbach und Emil Sauret. Aus der Schule Habenecks
sinderwahnemwert: D.Alard(1815 88), H.Leonard (1819 90), Philipe Sainton (1813
bis 1890), B, W.Besekirsky (geb. 1835 in Moskau), C Thomson (geb. 1857), der lange
Zeit als der bedeutendste Techniker nach Paganini gait, und M.P. I. Marsick (geb. 184H),
]2Q4 Reproduzierende Kunst
der der Lehrer bedeutender moderner Geiger, wie Karl Fleschs, wurde. Direkt von
R. Kreutzer stammt der auch als Padagoge zahlende L. I. Massart (181 1 -92), unter dessen
Schiilern wiederum Henri Wieniawski (1835-80), Isidor Lotto (geb. 1840), Franz Ries
(geb. 1846), Frant.Ondricek (1859-1922) hervorragen.
Als Begriinder der Wiener Geigerschule gilt Beethov ens Freund IgnatzSchuppanzigh,
der ja auch Lehrer Beethovens war, und dessen Freund May seder, diemit Weifi und Lin eke
im Schuppanzigh-Quartett vereinigt, die beruhmtesten zeitgenossischen Interpreten der Kam-
mermusik der Klassiker waren. Zwischen Schuppanzigh und Mayseder ist Franz Clement
zu nennen, dem Beethoven sein Violinkonzert widmete. In diesen Zusammenhang gehort
Josef Bohm, der Fortsetzer des Schuppanzighschen Quartettspiels, aus dessen Schule die
DynastieHellmesberger hervorging: GeorgHellmesbergerVater(1800— 73), Georg Hellmes-
berger Sohn (1830—52), Josef Hellmesberger, der Sohn des alteren Georg Hellmesberger
(1828-93) und dessen Sohn Josef (1855-1907), Klinstler, die das Quartettspiel besonders
erfolgreich pflegten. Der bedeutendste Schiller Josef Bohms ist Joseph Joachim(1831 —1907),
ein hervorragender Mittler klassischer Musik, der insbesondere durch seinen Kontakt mit
Mannern wie Spohr und Mendelssohn berufen war, die klassische Art der Reproduktion,
die durch restloses Eingehen auf das Kunstwerk und Herausholung der letzten Geheim-
nisse derselben gekennzeichnet ist, fortzufiihren und sie zu verbinden mit jener Brahms'
und dessen Zeitgenossen. Joachim ist der Lehrer einer bedeutenden Anzahl groBer Geiger,
wie Karl Halir (1859-1909), Henri Petri, des Linksgeigers Richard Barth. Schiiler
Josef Bohms war auch Heinrich Wilhelm Ernst (1814—65), der einzige Rivale Paganinis.
Niccolo Paganini (1782—1840) gilt als der grofite Violinvirtuose aller Zeiten, unerreicht
durch seine Technik. Diese Wirkung seiner Technik erklart sich aus der bis zu seiner Zeit
unerhorten Art seiner Passagen und Flageolette (hauptsachlich Doppelflageolett), gesteigert
wurde sie noch durch die sein romantisches Zeitalter anziehende geheimnisvolle Damonie
seiner Personlichkeit. Seine Capricen bedeuten heute noch das letzte technische Problem
und letzten Endes wurzeln in Paganinis Interpretation fast samtliche heutigen Geiger von
Weltbedeutung. Von den Schulen der Gegenwart ist es besonders die Sevciks, die Paganinis
Kunst lehrt, ohne die originelle Personlichkeit Paganinis vermitteln zu konnen. Paganinis
Antipode in Deutschland war der grofite deutsche Geiger Louis Spohr (1784—1859), der
im Gegensatz zu Paganini auch das Quartettspiel erfolgreich pflegte. Spohrs Violinspiel ent-
sprach besonders dem Wesen der deutschen Romantik mit ihrem Hang zu chromatischer
Weichlichkeit, aber auch mit gewissen Aufierlichkeiten (Spohrsche Trillerchen). Spohrs
Schiiler ist Ferdinand David (1810—73), der wiederum Lehrer August Wilhelm js ist
(1845—1908). Wilhelmj, der Freund Richard Wagners, ist als Konzertmeister der Bayreuther
Festspiele erwahnenswert. Neben Paganini sind noch sein einziger Schiiler E. C. Sivori
(1815—94), ferner die bertihmten Geigerinnen A. Marie und Theresa Milanello erwahnens
wert, auch Theresina Tua (geb. 1867) und Antonio Bazzini (1818—97).
Die Prager Schule wurde vom Mannheimer Pixis begriindet. Ihre vorziiglichsten Re-
prasentanten sind Moritz Mildner (1812— 65), dessen Schiiler Ferdinand Laub (1832—75),
einer der grofiten Geiger des 19. Jahrhunderts, der bedeutende Prager Padagoge Anton Benne-
witz (1833 -1926) und Johann Hrimal,f (geb. 1844) sind.
Bekannt sind das englische Geigerpaar Alfred und Henri Holmes, die nordischen Violin-
Reproduzierende Kunst 1205
spieler Waldemar Tofte (1832-1907), Tor Aulin (1866-1914), Ole Bull (1810-90) und
Johann S. Svendsen (1840-1911).
Kurz charakterisiert, legt die franzosisch-belgische Schule ihr Hauptaugenmerk auf eine
leichte Bogenfiihrung, frei aus dem Gelenk, bevorzugt die springenden Stricharten, sieht auf
moglichst siiBe Tonentfaltung und Glatte. Die Wiener Schule bevorzugt mehr die Innigkeit
und Warme des Vortrags, dabei Temperament und em gewisses schwebendes Rubato; die
Bogen- und Fingertechnik ist natiirlicher als die finessenreiche der franzosischen Schule.
Die Prager Schule sieht auf eine pemlich saubere Fingertechnik, die der Interpretation ein
besonderes Niveau gibt; die geistige Auffassung entbehrt oft jeder Sentimentalitat, neigt
aber gelegentlich zu melancholisch-slawischem Einschlag. Die deutsche Schule endlich be-
zieht ihre Anregungen von den Klassikern; vor allem auf Griindlichkeit, Exaktheit, breite
Tonentfaltung, polyphones Spiel, Interpretation der Bachschen Solosonate und Pflege der
Kammermusik richtet sich ihr Augenmerk.
Von den heute lebenden Geigern stammen aus der franzosisch-belgischen Schule der
Massartschiiler Fritz Kreisler (geb. 1875), der als Wiener die Vorztige der Wiener Schule
und der franzosischen Schule vereint: bliihender, warmer Ton, geschmeidige Bogen
fiihrung, Geist und Witz vereint mit seelenvollem Vortrag; am besten gelingen ihm Mozart,
Schubert, kleinere Stiicke besonders in seinen eigenen feinen Bearbeitungen, die Klassisches
und Modernes umfassen; Henri Marteau (geb. 1874), der einst gefeierte Interpret be
sonders deutscher Meister und Freund Max Regers, als Theoretiker nicht geringer wie als
ausiibender Kiinstler, dessen Kunst als eine Synthese modernen Geigenspiels angesprochen
werden kann; Bronislav Huberman (geb. 1882), einer der temperamentvollsten Geiger,
dessen belcanto schwer nachahmbar ist; Willi Burmester (geb. 1869), dessen Starke ins-
besondere die rechte Hand ist, gilt als einer der besten Bachspieler, freilich ist sein Spiel
stadc auf virtuose Effekte bedacht; Eugen Ysaye (geb. 1858), der glanzendste Vertreter
franzosisch-belgischer Richtung, dern man gewisse Willkurlichkeiten beim Vortrage von
Werken Beethovens und Brahms' vorwarf, immerhin bedeutet er durch die schwelgerische
Schonheit des Tons und die Leichtigkeit beider Hande, nicht weniger auch durch sein aufieres
Auftreten, den Gipfelpunkt der virtuosen franzosischen Geigenkunst; als Lehrer verdient
Ysaye Erwahnung durch seinen Schuler Geza von Krecz; neben Hugo Herrmann (geb.
1844) gehoren hierher noch Jacques Thibaud (geb. 1880), Konzertmeister der GroCen Oper
in Paris, Karl Flesch (geb, 1873) mit mehr kuhler und sachlicher Interpretation, der sich
in letzterZeit als Theoretiker einenNamen machte, und Adolf Rebner (geb. 1876), der sich
mehr der Kammermusik widmete.
Schuler Sevciks (der selbst Schuler von Bennewitz war und seine Adepten zu fast unfehl-
barer Sicherheit auf dem Griffbrett und zu ausgesprochen virtuosen Geigern heranbildete)
sind Jan Kubelik (geb. 1880), der ,,tschechische Paganini'4 genannt. Er gait lange Zeit als
der Inbegriff der technischen Vollkommenheit und hatte die groBten Publikumserfolge, doch
litt seine Interpretation unter dem EinfluB der einseitig ausgebildeten Technik an Kiihle
und Seelenmangel; Jaroslav Kocian (geb. 1884) wandelte in Kubeliks Bahnen, ohne jcdoch
seinen Ruhm zu erreichen; Erika Morini, deren Spiel merkwurdig an Sarasate gernahnt;
Va&a Prihoda, der moderne beste Interpret Paganinis und der Virtuosenliteratun Aus
Bennewitz1 Schule stammen weiter Karl Hoffmann, der mit Josef Suk, Neclbal und Wihan
)206 Reproduzierende Kunst
das beriihmte tschechische Streichquartett griindete; besonders Oskar Nedbal ist einer
der bedeutendsten Bratschisten. Als Schiiler des tschechischen Geigers Hrimaly konzertieren
heute mit grofitem Erfolg Alexander Petschnikoff (geb. 1873) und der Tscheche Franz
Adler, der auch zur Schule Bennewitzens gehort.
Das deutsche Viol inspiel hat durch die iiberragende padagogische Tatigkeit Joseph Joachims
(1 83 1 — 1907) die meisten Kiinstler aufzuweisen. Erwahnenswert sind vor allem Leopold v.
Auer (geb. 1845), friiher einer der gefeiertsten Virtuosen, dessen Lehre durch seine heute in
der ganzen Welt gefeierten Schiiler J. Heifetz, Efrem Zimbalist und Mischa Elmann
vertreten ist. Zu Joachims Schiilern gehorten auch Eugen Hubay , dessen Schiiler A. Szigeti
und Vecsey Weltruhm erlangten; E. F. Arbos, H. Handler, Issays Barmas, Bram Elde-
ring, Gustav Havemann, Karl Prill, Marie Soldat-Roger, die eine der mannlichsten
Spielerinnen ihrer Zeit war und ein vorziigliches Streichquartett griindete. Auch der heute als
der grofite deutsche Geiger gezahlte Adolf Busch (geb. 1891) geht durch seinen Lehrer Bram
Eldering auf Joachim zuriick. Busch, dessen Spiel voll Innerlichkeit und Noblesse Jst, hat in
der Interpretation der deutschen Meister kaum einen Rivalen. Arnold Rose (geb. 1863), aus
der Wiener Schule Bohms (durch dessen Schiiler Heifiler), hat seine Hauptbedeutung durch
das von ihm begriindete Quartett, das seit 46Jahren die Tradition der Quartette Joachims
und Hellmesbergers fortsetzt und in der Wiedergabe Beethovens, Mozarts und Schuberts
kaum zu iiberbieten ist. Rose ist .als Konzertmeistei1 und Solist im Orchester in jeder Hin-
sicht vorbildlich. Noch zu nennen sind: der italienische Geiger A. Serato (geb. 1877),
F. Guarnieri, der spanische Geiger Joan Man en (geb. 1883), der als Virtuose iiberall
Triumphe feiert und, ohne die Siifie des Spiels Sarasates zu besitzen, diesem in der Technik
ahnelt. Besonders hervorzuheben ist Paul Hindemith (geb. 1895), der mit seinem Quartett
nicht weniger als der Wiener Linksgeiger Kolisch Kiinder moderner Musik ist.
Wahrend in friiherer Zeit Viola da Gamba und Viola d'amour nur gelegentlich Meister
fanden, soOrazioBassani (della Viola), um 1600, Christopher Simpson (1610 — 77), Andree
M.augars, um 1620 (beriihmt durch seinen Bericht iiber italienische Musik seiner Zeit), Marin
Marais (1656—1728), der Grofimeister des Gambenspiels, Roland Marais, Karl Stamitz,
D. Funck, A. Kiihnel, M. Kiihnel, Blainville, Karl Friedrich Abel, ist das Violon
cello hinsichtlich der Vollendung des Spiels der Violine heute nahezu gleichberechtigt. Seit
dem 17. Jahrhundert hat das Cello die Gambe immer mehr verdrangt. Der erste Cellist an
San Petronio in Bologna, einer der Hauptstatten des Kammermusikspiels im 1 7. Jahrhundert,
warPetronio Franceschini. Der Schopfer des heutigen Cellofingersatzes mit Daumeneinsatz,
der den Anstofi zur eigentlichen Cellovirtuositat gab, ist Jean Louis Duport (1749—1819).
Er und seinBruder Jean Pierre (1741— 1818), der der erste Cellist der Berliner Hofkapelle war,
gehorten zu den bedeutendsten Cellisten ihrer Zeit. Hierzu gesellen sich noch I, C. Fr dal-
1'Abaco (1709—1805), ebenso wie sein Vater, der beriihmte Komponist, E. F. dalTAbaco
(1675—1742), MarinBerteau (gest. 1756), der erste namhafte franzosische Cellist und Lehrer
von J. B. Coup is, der selbst eine Cello- und Bratschenschule herausgab, die beiden Briider
Alessandro und Josef Canavasso, die (1735—53) in Paris lebten, Salvatore Lanzetti
(1710—1780), Luigi Boccherini (1743—1805), der beriihmte Komponist, der seiner er-
haltenen Kammermusik nach zu schliefien, eineFiille neuer Figurationsformen geschaffen hat,
insbesondere auch die Dynamik des Instrumentes bereicherte und den virtuosen Salonstil im
Reproduzierende Kunst 1 207
guten Sinne des Wortes begriindete, Giacomo Basse vi detto Cervetto (1682—1783),
Henri und Pierre Francois Levasseur (1753- 181 5), J. J. Friedrich Dotzauer (1783-1860),
Schiller des bedeutenden Cellisten Bernhard Rom berg (1767—1841), der einer der ersten
Virtuosen war, die auswendig spielten, Robert Lindley (1776—1855), ein Schiiler Cer-
vettos, Karl Ripfel (1799—1870), von Bernhard Romberg als der grofite Techniker seines
Instrumentes bezeichnet, Christian Kellermann (1815—66), Schiiler Merks (1795 — 1852),
N.J.Platel (1777-1835), Schiiler von L. Duport, Max Bohrer (1785- 1867), Josef Menter
(1808—56, Schiiler Merks), Seligmann, Karl Schubert, Sebastian und Louis Lee,
Friedrich August Kummer, der insbesondere als Lehrer Julius Goltermanns (1825—76)
bekannt ist, David Popper (1843 — 1913), der hauptsachlich das virtuose Element aus-
bildete und die halsbrecherischesten Kunststiicke auf seinem Instrumente ausfiihrte, Karl
Davidow (1838—89), der pseudoklassischen Richtung des Cellospiels angehorend, dessen
Spiel W. Hutor zum Gegenstand einer eigenen Monographic machte; von den Modernen
de Swert, Liibeck, A. Lindner, Hugo Becker, F. Hilpert, Hausmann, der beriihmte
Cellist des Leipziger Gewandhausorchesters Julius Klengel, der auch als Gambist hervor-
tretende und als Mitarbeiter Hindemiths ausgezeichnete Spieler Maurits Frank. Weitaus
in allererster Reihe nicht nur der Cellisten, sondern auch aller ausiibenden Kiinstler der
Gegenwart, steht Pablo Casals (geb. 1876), der hinsichtlich Technik und urspriinglicher
grandioser Musikalitat seinesgleichen nicht hat.
Wahrend das Kammermusikspiel bis ins 19. Jahrhundert hinein zur Domane des Hauses
gehorte, hat sich desselben im letzten Jahrhundert auch das Konzertpodium bemachtigt.
Es haben sich mit der Zeit standige Kammermusikvereinigungen herausgebildet, die auf die
Ensembles bei den adeligen und hcfischen Orchestern zuriickgehen. Als eine der altesten
Kammermusikvereinigungen im modernen Sinne gilt das beriihrnte Rasumowsky-Quartett,
nach dem Fiirsten Andreas Rasumowsky genannt, der 1808—16 ein Streichquartett unter-
hielt, in dem er selbst die zweite Violine spielte, wahrend die erste Geige Schuppanzigh, die
Bratsche WeiB und das Cello Lincke vertraten und auch, nachdem der Fiirst sich von der
Vereinigung zuriickgezogen, beisammen blieben, Beethoven widmete Rasumowsky die drei
Quartette Op. 59. — Die bekanntesten Quartettvereinigungen des 19. Jahrhunderts sind
das Bohrer-Quartett, das durch den Violinisten Jakob Zeugheer 1824 begriindete pseudo-
nyme Streichquartett Gebriider Herrmann, das bis 1830 mit grofiem Erfolg Westeuropa
bereiste, das 1866 von dem Violinvirtuosen Jean Becker begrundete Florentiner Quartett
(zweite Violine Enrico Masi, Bratsche Chiostri, Cello Hilpert), das infolge seiner Leistungen
in hohem Ansehen stand und erst 1880 auseinanderging, das Schroder -Quartett, das aus
den vier Brudern Herrmann (erste Violine), Franz (zweite Violine), Alwin (Viola) und Karl
(Cello) bestand und grofien Ruf genofi; das Dan cla- Quartett, in dessen Quartettsoireen
aufier dem Violinisten Charles auch seine Briider Arnaud und Leopold mitwirkten, das
Joachim -Quartett, das Meisterleistungen vor allem in der Auffuhrung der letzten Beethoven-
quartette vollbrachte (de Ahna, Kruse, Halir, Hausmann), das Hellmesberger- Quartett,
gegriindet 1849 (Hellmesberger, Durst, Heifiler, Schlesinger), das Petersburger Quartett,
das Maazer- Quartett in Stockholm, das Petri-Quartett, das nach der Schweizer Besitzung
des New Yorker Bankiers de Coppet genannte Flonzaley-Quartett, das Rose-, das
Fitzner-, das Adolf Busch-, das Leipziger Gewandhaus-Quartett, das Schachte-
|2QQ Reprocluzierende Kunst
beck-Quartett, das Amar-Hindemith-Quartett, das tschechische Zika-Quartett und
das hauptsachlich der neuesten Musik gewidmete Kolisch-Quartett.
Als im Mittelalter und insbesondere in der Neuzeit groBere Klangkorper, wie Chor und
Orchester, selbstandige Ton- und Musikquellen wurden, erlangten auch ihre Leiter, die
Dirigenten, Eigenbedeutung als ausubende Kiinstler. Da die individuelle Auffassung
des Einzelkiinstlers im Ensemble zurikktreten mufi, im Hinblick auf das asthetische Grund-
gesetz der Einheit in der Mannigfaltigkeit, die nur durch den Willen eines Einzelnen zum
Ausdruck gebracht werden kann, wurde die Auffassung des Dirigenten allein mafigebend,
dessen Tatigkeit eigentlich nur in der Willensubertragung und dessen Wert im grofieren
oder geringeren Grade der Dbertragungsfahigkeit liegt. Die Mittel des Dirigenten als
eines ausiibenden Kiinstlers sind, verglichen mit jenen, denen die Bearbeitung des Klang-
materials unmittelbar obliegt, wesentlich beschrankt, wenigstens bei der Auffuhrung selbst.
Er wirkt aufierlich durch ein Minimum an Handbewegungen, wahrend die tatsachliche
Wirkung dem Zuschauer unsichtbar bleibt und dem Zuhorer nur mittelbar durch das Er-
lebnis des Orchester- oder Chorklanges bewufit wird. Der Dirigent kann freilich wahrend
der Proben und in den Zwischenpausen durch verschiedentliche Instruktion wirken; dies
kommt aber bei der modernen gerauschlosen Taktierweise wahrend der Auffuhrung nicht
in Betracht.
Schon im Altertum kannte man das Taktschlagen und aus der Zeit des Gregorianischen
Chorals wissen wir, dafi jene Sangergemeinschaft, die Gregor der Grofie gegriindet haben
soil, die ,,schola cantorum" in Rom, einheitliche Regeln, daher auch Dirigierregeln hatte.
Der Dirigent der ,,schola cantorum" hiefi ,,Primicerius". Der Bericht iiber eine Osterfeier in
Ingolheim besagt, dafi der Kantor nach dem ,,Halleluja Pasca nostrum" die Hand erhob,
um die Weisen der Sequenz mit der Hand zu malen. Das heifit also, dafi die Sequenz nicht
taktiert, sondern ,,mit der Hand in die Luft gemalt", mit anderen Worten, da8 die Melodic
durch Handbewegungen veranschaulicht wurde. Man nennt diese Art des Dirigierens die
Cheironomie, eine Dirigierweise, die nicht nur im Mittelalter, sondern schon im Altertum
gebrauchlich war und vermutlich aus dem Osten stammt, Das Amt des Vorsangers, das im
jiidischen Tempelgesang vorgebildet erscheint, bekommt in der Liturgie des Abendlandes
besondere Bedeutung. Aus den cheironomischen Zeichen entwickeln sich die Neumen,
in denen die cheironomischen Bewegungen graphisch niedergelegt erscheinen. Wie etwa
im 13. Jahrhundert dirigiert wurde, zeigt eine von Schunemann zitierte Stelle aus der ,,Scientia
artis musicae" von Elias Salomon, in der die Direktion eines Satzes im Organalstil beschrieben
wird. Nach Salomon geht im Organalstil Vorsingen und Dirigieren Hand in Hand. Nach
Art des heutigen Chorgesanges wird jeder einzelnen Stimme der Ton angegeben, bis die
Harmonie sichergestellt ist. Die Sanger haben der Stimme des Chorleiters zu folgen, natur-
lich so, dafi alle Stimmen in gleicher Bewegung gehen, Bei Kadenzen hat der Chorleiter
die rhythmische Bewegung durch Handbewegung anzudeuten. Nach einer Pause beginnt
der Dirigent wieder als erster mit seiner Stimme; wahrend des Gesanges wird auf die Noten,
die man zu singen hat, wegen leichterer Orientierung mit einem Finger oder Stabchen hin-
gewiesen.
Grofiere Bedeutung erlangt die Direktion in der Periode der Mensuralmusik. Auch hier
finden wir die schon im Altertum gehandhabte Dbung des Taktschlagens, Die Takteinheit
Reproduzierende Kunst 1209
ist ursprtinglich die ,,Longa", seit der Zeit der ars nova jedoch die ,,Brevis". Aus den Dar-
stellungen der bildenden Kunst jener Zeit geht hervor, daB das Taktieren mit Auf- und
Niederschlagen der Hand oder des Fingers etwas ganz allgemeines war. Der Taktstock ist
bereits seit dem 16. Jahrhundert als Direktionsmittel verbreitet. Man taktiert nach Art des
Metronoms, also rein mechanisch, ohne Expression. Die Affektdirektion ist eine Errungen-
schaft der Renaissance, deren Vorboten allerdings bereits im 16. Jahrhundert zu spiiren sind,
so wenn SchneegaB in seiner ,,Isagoge musicae" sagt, daB nach MaBgabe des Textes bis-
weilen eine langsamere Taktart zu fiihren sei und in dieser die Anmut und Erhabenheit
eines Gesanges zu suchen ware.
Erst das 17. Jahrhundert und die zur Weltherrschaft gelangende Oper hat einen volligen
Umschwung in der Bedeutung des Dirigierens und hiermit des Dirigenten als ausiibenden
Kiinstlers gebracht. Die grofie Bedeutung der Improvisation gelegentlich der Opernauf-
fiihrungen, mit der die ,,stenographische Notation** im engsten Zusammenhange steht, bot
der Individuality des Dirigenten den weitesten Spielraum. Wir wissen, daB in den erhaltenen
Opernpartituren nur der geringste Teil der aufzufiihrenden und aufgefiihrten Musik ent-
halten ist, so wenn bei nur notierter GeneralbaB- und Singstimme die zur Verwendung ge~
dachten Instrumente nur genannt werden. Da hatte der Dirigent, der freilich in dieser Zeit
fast immer der Komponist selbst war, die Aufgabe, die Art und Weise der Ausfiihrung des
Generalbasses, mithin die Harmonik und Stimmfiihrung selbst, sowie die Auswahl der In
strumente vorzunehmen und zu iiberwachen. Hier fallt demnach dem reproduzierenden
Kiinstler ein groBer Teil der Schopfung des Kunstwerkes selbst zu, oder besser gesagt, es
lafit sich fur diese Zeit die Trennung des schopfenden und reproduzierenden Kiinstlers
schwer vornehmen. Der Kapellmeister sitzt zu dieser Zeit am Cembalo, er regelt die Auf-
stellung der Spieler, gibt dynamische Hinweise, besorgt und kontrolliert die Anfertigung
und Verteilung der Intavolaturen und sorgt dafiir, dafi die Spieler mit ihren Improvisationen
nicht den Gesang iibertonen. Das Taktschlagen erhalt sich neben der Cembalodirektion
weiter, wobei die Verwendung der verschiedensten Taktiermittel bezeugt ist, wie nach Ban-
chieri das Schnupftuch, nach andern ein Schliissel usw. Die Mensur geschieht zu dieser
Zeit in der Weise, daB die geraden Takte in Halften, die ungeraden in ungleiche Teile geteilt
werden. Das Bild einer mehrchorigen Kirchenmusik finden wir im ,,Theatrum Instrumentorum"
des Michael Praetorius. Man sieht den Hauptchor mit dem Dirigenten, der aus einem Noten-
buch clirigiert, wahrend rechts und links auf Emporen je ein Musikchor postiert ist, der von
einem Subdirektor aus Noten dirigiert und von einer kleinen Orgel begleitet wird.
Sobald Opern und grofiere Chorwerke durch Druck der Allgemeinheit bekanntgegeben
waren, machte sich auch das Bediirfms geltend, durch Expressivbezeichnungen dem Berufs-
dirigenten (nicht Komponisten) Handhaben zur Auffiihrung zu bieten. Das Zeitalter der
Renaissance hat in dieser Hinsicht einen volligen Umschwung herbeigefiihrt und man er-
kennt etwa aus dem Vorwort des ersten Tokkatenbuches von Frescobaldi, daB es um diese
Zeit ein wohlverstandenes Rubato gibt: ,,Die Art des Spielens darf nicht dem strengen Takt
schlagen unterworfen sein. Man mufi diese Stiicke vielmehr in der Art der modernen Madri-
gale vortragen, die, obschon schwierig, dennoch fiir die Auffassung erleichtert werden durch
den Wechsel im Zeitmafie, indem man bald schmachtend, bald rasch singt, bisweilen den
Ton gleichsam in der Luft hemmt, wie es gerade der Ausdruck des Affekts verlangen mag
1210 Reproduzierende Kunst
und der Sinn des Wortes." — So wird in der Renaissance die Freiheit der Wiedergabe grofier,
als sie heutzutage ist. Die neue Form des gruppenartigen Taktierens scheint aus Italien zu
kommen, wenigstens gibt Lorenzo Penna (,,Le primi albori musicali") ein Taktierschema,
das darin besteht, dafi beim 4/4-Takt der erste Teil durch den Niederschlag, der zweite durch
ein ma'Biges Heben der Hand (un poco ondeggiando), der dritte durch einen Aufschlag und
der vierte durch das vollige Heben der Hand zustande kommt, wahrend im Tripeltakt der
erste Teil auf den Niederschlag, der zweite auf das Wiegen der Hand und der dritte auf den
Aufschlag kommt. Die franzosischen Musiker dirigieren nicht wie die italienischen vom
Cembalo aus, sondern mit dem Taktstock, dies wohl in Anbetracht dessen, dafi in der franzo
sischen Oper und im Ballett auf die scharfste rhythmische Exaktheit Gewicht gelegt wurde
und dafi der Dirigent mit dem Ballettmeister Hand in Hand arbeitete, wahrend in Italien
die Primadonna und der Primuomo im Vordergrund des Interesses standen. So ist eigentlich
Lully, der bekanntlicherweise beim Dirigieren mit einem langen Stock sich eine Fufiver-
letzung zuzog, an deren Folgen er starb, der erste moderne Operndirigent, da er Gesang,
Instrumentalmusik und Tanz auch in der Direktion als Syn these auffafite. Italienische und
franzosische Dirigierweise spielten auch im Kampfe zwischen italienischer und franzosischer
Oper eine Rolle, und Melchior Grimm nennt im ,,Petit Prophete de Boehmisch Broda" den
franzosischen Dirigenten einen ,,bucheron", einen Holzhacker. Nicht weniger spotten Rous
seau, Casanova u. a., ebenso Quantz, Hiller und Mattheson iiber diese Taktierung. Noch
Goethe sah im Kloster ,,dei Mendicanti" den Chordirigenten auf franzosische Weise horbar
den Takt schlagen und war dariiber entsetzt, in Italien diese Unart vorzufinden. Im Taktieren
selbst hat man zwischen italienischer und franzosischer Form zu unterscheiden, indem die
erstere auf wiederholtem Auf- und Niederschlagen beruht, wahrend die Franzosen auf den
ersten Taktteil den Niederschlag geben und die iibrigen Zeiten in Seitenbewegungen aus-
fiihren. Die franzosische Form des Taktierens ist nicht nur exakter, sondern gestattet rhyth
mische Feinheiten und Differenzierungen, wodurch sich diese Taktierform mit den Taktier-
figuren, wie sie heute iiblich sind, auch gegen den Widerstand Deutschlands und Italiens
die Welt erobert hat.
Die Entwicklung des Continuospiels im 17. Jahrhundert und des Generalbasses iiber-
haupt hat in Oper, Kirche und Kammer die Praxis der Doppeldirektion herausgebildet,
indem der maestro di cembalo vom Fltigel und der erste Violinspieler vom Pult aus dirigierten.
Die Oberdirektion oblag dem Cembalisten, wahrend das Orchester oder die Ripienisten vom
ersten Geiger gefuhrt wurden. Dem Kapellmeister oblag nicht nur die Auswahl der Opern
und Konzertstiicke, sondern er hatte meist Komponierverpflichtung, wahrend dem ersten
Violinisten die Leitung des Orchesters zufiel. Das Prinzip, dafi sich der Kapellmeister auch
fiir fremde Kompositionen einzusetzen hat, ist verhaltnismafiig neu; erst Mattheson verlangt,
dafi der Kapellmeister ,,anderer Leute lobliche Arbeit nicht gantz unter die Banck wiirfe".
Aus dieser Zeit datiert die eigentliche Trennung von Komponist und Kapellmeister, die
sich allmahlich durchsetzt. Wahrend des ganzen 1 8. Jahrhunderts kann sowohl von der
Geige als auch vom Cembalo her dirigiert werden. Gyrowetz dirigiert seine Symphonien
in Neapel mit der Geige, Paisiello am Klavier und Josef Haydn mufi in London seine grofien
englischen Symphonien, die langst keinen Continue notwendig haben, vom Klavier her
dirigieren. Ebenso wechselt die Art der Direktion bei Mozart; er dirigiert, wie bei der
Reproduzierende Kunst 121 1
Wiener Auffiihrung der ,,Entfiihrung", vom Klavier aus, wahrend er gelegentlich wieder
von der Geige her fiihrt. Im ganzen und grofien leitet man in der Oper vom Klavier,
bei der Symphonic von der Geige aus. Schon im 18. Jahrhundert haben einzelne Dirigenten
den Ruf besonderer Exaktheit und Einfiihlung in das Kunstwerk erworben. Besonders in
Frankreich hatte man auf Egalitat des Tones und der Bogenfuhrung gesehen, ein Vermachtnis
der Lullyschen Schule. Der Ruhm der Dresdner Kapelle unter Masses Leitung beruht
zum Teil auf der franzosischen Erziehung des Orchesters durch Volaumier und Pis en del,
besonders letzterer soil einer der genauesten ,,Anfiihrer" gewesen sein, nicht weniger Carl
Heinrich Graun oder Franz Ben da. Immer mehr sind die Konzertmeister die maBgebenden
Faktoren und der Ruf, den einzelne Orchester erlangen, riihrt von der Personlichkeit und
Geschicklichkeit ihrer ,,Anfiihrer" her. Das beriihmteste Orchester des 18. Jahrhunderts,
das ,,Mannheimer", verdankt sein prazises Spiel der Erziehung durch Joh. Stamitz und
Christian Cannabich, der nach Schubart alle Zaubereien des Orchesterspiels erf and, die
Europa bewunderte, zu denen vor allem das beriihmte Mannheimer Crescendo gehorte.
Der tiefere kiinstlerische Hintergrund der Dirigentenleistungen des 1 8. Jahrhunderts lafit
sich wohl durch sinngemafie Anwendung der Affektenlehre erschliefien . Der Dirigent hat
die Gedanken eines Stiickes zu bestimmen, er mufi die ausgedruckten Affekte erkennen und
danach die Direktion einrichten. Uber die Art der Direktion der beruhmtesten Dirigenten
des 18. Jahrhunderts gibt es unzahlige Anekdoten. Schon von Lully wird berichtet, dafi er ein
aufierordentlich strenges Regiment fiinrte und ,,demjenigen die Violin auf dem Puckel entzwei
schlug, welcher sie nicht zu gebrauchen wuGte. Aber nach geendigter Probe ruffte er ihn zu
sich, bezahlet ihm die Violine doppelt und behielt ihn bei sich zu Gaste". Auch Handel
und Gluck nahmen wenig Rticksicht auf Primadonnen und Instrumentalisten, und besonders
von letzterem wird erzahlt, daB er Passagen, die nicht gingen, zwanzig- und dreifiigmal wieder-
holen lieB.
Das 1 9. Jahrhundert bildet bei strenger Scheidung des Komponisten vom Dirigenten und
Abspaltung dieses vom Konzertmeister das Berufskapellmeistertumaus, im Zusammen-
hang rnit der Emanzipation der Musikpflege vom adeligen Mazenatentum und der Ubernahme
der Musikkultur durch das Biirgertum einerseits, andererseits durch Zuriickdrangung des
Generalbasscs. Im Anfang hat freilich die franzosische Taktiermethode und die Ausschaltung
des Fliigels Mifibilligung auch der grofieren Geister gefunden, und noch der junge Schumann
und Moritz Hauptmann nahmen Anstofi am Taktstock. Unter den ersten, die fur die neue
Direktionsart eintreten, stehen Karl Maria v. Weber, Spohr, Spontini, Mendelssohn. Ins-
besondere hat Spohr in London unter allgememem Aufsehen mit Taktstock dirigiert, wo
man vorher ausschlieftlich vom Cembalo aus dirigicrtc. Der erste Dirigent im modernen Sinne
war vielleicht Beethoven, der laut ubefkommenen Berichtcn seine Intentionen mit dem
allergroBten Nachdruck und mit einem nie dagewesenen Gebarden- und Mienenspiel ver-
folgtc, das an die Manieren einiger modernster Dirigenten erinnert. Der allgemcinen Stagna
tion der Wiener nachklassischen Zeit unter Lannoy, Klenim, Holz, Assmayer, Rand-
hartinger, Georg Hellmesberger u. a. machten erst die Dirigentenleistungon Otto Nicolais
(1842) c'in Kncta Nicolai, cine echte Dirigentenbcgabung voller Energie, Unerhittlichkeit
und Strenge, rnachte mit den kitschigen Prograrnmen und Auffuhrungcn von einzelnen
Symphonicsatzen und Virtuosenkunststiicken SehlulJ. Nach 1847 vcrflacht wieder das
77 R <1,M,
J212 Reproduzierende Kunst
Wiener Konzertleben unter dem alteren Georg Hellmesberger, bis Carl Eckert (1820—79)
als Reformator auftritt. Als Dirigent hat sodann Carl Spohr grofies Aufsehen erregt, der mit
einer Papierrolle vollig gerauschlos das Orchester dirigierte, einen ungemein exakten Vortrag und
eine aufierordentliche Willensiibertragung erzielte. Neben Spohr war einer der bedeutendsten
Dirigenten seiner Zeit Spontini, vielleicht einer der Ersten, der durch seine faszinierende
Damonie an die Ubertragungskraft der heutigen Dirigenten erinnert. Richard Wagner schreibt
in seinen ,,Erinnerungen an Spontini", dafi er iiber die Forderungen, die dieser bei der Dresdner
Auffiihrung der ,,Vestalin" an die Musiker stellte, geradezu erschreckt war; er legte das
Hauptgewicht auf scharfe Unterstreichung der rhythmischen Akzente und auf Korrespondenz
zwischen Szene und Musik. Carl Maria v. Weber gilt als Reformator der Direktion und des
Orchesters; er stellt das Orchester nach neuen Gesichtspunkten auf, beginnt mit ,,Ein-
fiihrungen", indem er auf die Programme historische und asthetische Skizzen setzt, raumt
mit der Klavierdirektion auf und beginnt, besonders in Prag, mit der obligatorischen Takt-
stockdirektion ; er nimmt Richard Wagners Gesamtkunstwerk vorweg, indem er, wie er an
den Prager Theaterdirektor Liebich schreibt, ein Kunstwerk wiinscht, ,,wo alle Teile sich
zum Schonen, Ganzen runden". Weber ist einer der ersten Asthetiker der Direktion, seine
Ideen sind in zahlreichen Schriften niedergelegt. Felix Mendelssohn-Bartholdy war
gegeniiber dem deutschen Organisator Weber und dem romanischen Feuerkopf Spontini
mehr der elegante, asthetisch geschulte und iiberlegene Routinier, vielleicht an Wein-
gartner erinnernd, dessen schnelle Tempi zum erstenmal seiner Zeit auffielen. Im Range wohl
unter Mendelssohn steht der von Richard Wagner mit ihm unter den ,,Musikbankiers" genannte
Giacomo Meyerbeer, der vielleicht einer der Ersten ist, bei dem sich die Dirigierkunst
von der Schopfergabe scharf abhebt ; er ist unsicher, und das Dirigieren bereitet ihm seelische
Pein. Von den zeitgenossischen Dirigenten sind zu erwahnen Georg Miiller, Heinrich
Marschner, Franz Lachner, Julius Rietz. Ein iibersichtliches Bild der Direktion dieser
Zeit gibt das kleine Biichlein von F. S. Gassner ,,Dirigent und Ripienist" (1844).
Die Kunst der Neudeutschen bringt in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts eine neue
Direktionsmethode und eine neue Kunstauffassung, die vor allem von Paris ausging. Ein
Pionier dieser neuen Richtung war Franz Habeneck, der erste Fanatiker der Exaktheit und
der modernen, bis zur Selbstverzehrung gehenden restlosen Ausschopfung des Kunstwerkes ;
trotzdem erlaubten er und mit ihm die Dirigenten dieses Kreises sich Freiheiten, die heute
unverstandlich sind. Seine Direktion hat auch auf Berlioz entsprechend Einflufi genommen,
der im Gegensatz zu Habeneck weniger als Interpret der klassischen Musik, als seiner eigenen
Werke zu werten ist, deren Wiedergabe sich unter seiner Fiihrung durch besondere Klang-
wirkungen auszeichnete. In seiner ,,Instrumentationslehre" hat er eine Reihe von theoreti-
schen Anweisungen fur den Dirigenten gegeben. Seine Ideen wurden vor allem durch Franz
Liszt in Deutschland verbreitet, dessen Dirigentenkunst, gemafi seiner allgemeinen Kunst
auffassung, auf der Habeneckschen Exaktheit und der Berliozschen synthetischen Auf-
fassung des Kunstwerkes beruhend, der poetischen Idee des Kunstwerkes gerecht wird. Er
ist als Dirigent ein Vertreter der Wagnerschen Inhaltsasthetik; dazu kommt ein zum erstenmal
auftretender Sinn fur die Phrasierung, sofern er Themengruppen und Perioden in einer
bisher unbekannten Weise ad aures fiihrte. In der Geste ist er gegeniiber dem mecha-
nischen Trigonal- und Polygonalschlagen seiner Vorganger ebenfalls neu, indem er ahnlich
Reproduzierende Kunst 1213
der Cheironomie der altesten Zeiten versucht, durch visuelle Darstellung des Melos in
den Handbewegungen von dieser Seite her das Orchester zu beeinflussen ; das Orchester
wurde bald ein vollkommen beherrschtes Instrument unter seinen Handen, das sich seinem
Willen restlos unterordnete, so dafi er sich gelegentlich auch gestatten konnte, ganz ohne
Dirigierstab und Handbewegungen zu ,,dirigieren". Richard Wagners Direktion ist
gekennzeichnet durch seine Stellung und Propagierung des ,,Gesamtkunstwerkes". Sein
klassisches Werk ,,Uber das Dirigieren" fafit die Errungenschaften der nachklassischen
Direktion zusammen, bringt jedoch in ahnlichem Sinne wie Liszt in Temponahme, prak-
tischen Vorschlagen und Analysen das Originellste und Beste, was auf diesem Gebiete iiber-
haupt geleistet wurde. Der moderne Operndirigent, der gleichzeitig Orchester, Sanger und
Szene bis in die subtilsten Beleuchtungseffekte beherrscht, ist ohne Wagner undenkbar.
Wichtig ist auch seine Neuerung, das Opernorchester durch Tieferlegung und Verdeckung
klanglich abzudampfen, eine Reform, die an ahnliche Mafinahmen der Renaissance erinnert.
Von den nachwagnerischen Dirigenten sind hervorzuheben Hans v. Biilow, ein Kunst-
fanatiker von gelegentlich skurriler Art, der oft merkwiirdige Mafinahmen zur Erzielung nicht
dagewesener Orchestereffekte zu treffen verstand, Experimente mit einer Orchesterdynamik
machte, die durch das sukzessive Einsetzen mehrerer Geigenpulte eine Art Mannheimer Cre
scendo erzielte ; gelegentliche Differenzierung von Phrasierungen in einer und derselben Stimme
u. v. a. zeigen das Launenhafte und Sprunghafte seiner Personlichkeit. Die Meininger Kapelle
wurde durch ihn das Vorbild des deutschen Orchesters. Blilows bedeutendster Schiiler ist
Richard Straufi, der freilich besonders in den letzten Jahren den abgeklarten Dirigenten-
typus darstellt. Arthur Nikisch (1855—1922), geborener Ungar, hat seine ostliche Ab~
stammung, was Temperament und Sinnlichkeit der Ausdeutung der klassischen und romanti-
schen Kunstwerke betrifft, nie recht verleugnen konnen, daneben war er ein vorziiglicher Inter
pret Brahmsscher und Brucknerscher Musik. Als eine Art Reaktion gegen die Biilowsche
Darstellungsweise ist die ebenmafiige und weniger problematische Auffassung Felix v. Wein-
gaitners (geb. 1863) zu erwahnen, wahrend Felix Mottls (1856—1911) Interpretation sich
durch Warme und begeisterte Verve auszeichnete. So wie MottI ist auch Hermann Levi
(1839—1900) exstatischer Wagnerdirigent, nicht weniger wie Hans Richter (1843- 1916),
Karl Muck (gob. 1859), Siegmund Hausegger (geb. 1872). Ist Mucks Direktion mehr mann-
lich, energisch, so ist Hauseggers Wesen von starkem Pathos getragen und ein wenig uberethisch
und asthetisch. Einer der genialstcn Dirigenten der neueren Zeit war Gustav Mahler (1860
bis 191 1), dcssen Encrgie, clie er zur Darstellung des Kunstwerkes verwendete, zu Ubermafi
und Selbstverzehrunff ging. Aus Mahlers Schule sind zu erwahnen Arthur Bodanzky (geb.
1877), Alexander Zcrnlinsky (geb. 1872), Oskar Fried (gebJ8/l), Otto Kl^mperer
(geb. 1885) und der bcdeutendste Mahlerschiiler Bruno Walter (geb. 1876), einer der geist-
vollsten Orchester- und Operndirigenten der Gegenwart. Von den noch iihrigen deutschen
Dirigenten seicn angefuhrt: Franz Schalk, Wilhelm Furtwiingler, einer der crfolg-
reichsten Dirigenten der Gegenwarl, LeoBlech, Gustav Brecher, Fritz Busch, Robert
Heger, Franz v, Hasslin, Gerh. v. Keussler, Erich Klciber,Hans Knappertsbusch,
Clemens Kraus, Richard Lert, Franz v. Mikorcy, Rudolf Nilius, Bcrnhard Paum-
gartner, Egon Pollak, Leopold Reichwein. Fritr Reiner, Josef Rosenstock, Paul
Scheinpflug, Hermann Scherchen, Hermann v. Schmeidel, Rudolf Schul/.-Dorn-
77*
1214 Reproduzierende Kunst
burg, Fritz Stein, Ernst Steinbach, Hans Wilhelm Steinberg, Joseph Stransky,
Georg Szell, Eugen Szenkar,
Die bedeutendsten franzosischen Dirigenten sind: Henri Busser, Gabriel Grovlez
(geb. 1879), Pierre Montex, H. C. Gabriel Pierne (geb. 1863), Rhene-Baton, Ruhl-
mann, Straram, George Martin Witkovski, Albert Wolf. — Englische Dirigenten sind:
Thomas Beecham (geb. 1879), Aldrian Cedric Boult (geb. 1889), Eugen Goossens
(geb. 1893), Hamilton Harty (geb. 1879), — Italiener: Arturo Toscanini, einer der be
deutendsten Dirigenten der Gegen wart, Pietro Mascagni, Barvagnoli,Belezza, Alfredo
Casella, Vittorio Gui, Gino Marinuzzi, Bernardo Molinari, Roberto Moranzoni,
Leopoldo Mugnone(geb. 1858), Pampanini, EttorePanizza(geb. 1875), GiorgioPolacco,
Vittorio de Sabata, Tullio Serafin (geb. 1878), Egisto Tango, Arturo Vigna,
Edoardo Vitale. — Ungarn : Alexander Dohnanyi, Anton Fleischer, Jeno v. Hubay,
Aladar Szendrei. — Polen: Gregor Fitelberg, Ernst Mlynarski, Leopold Stokovski.
— Spanier: Benedittoy Vives. — Russen: Glasunow, Emil Kuper, Kussewitzky,
Malko, Safonoff. — Tschechen: K. B. Jirak, Karel Kovarovic, Jaroslav Kricka,
Jaroslav Krupka, Karel und Oskar Nedbal, Franz Neumann, Ottakar Ostrcil,
Frantisek Spilka, Vaclav Talich, Ferdinand Vach. — Amerikaner: Ossip Gabri-
lowitsch, Leopold und seine Sohne Frank Heino und Walther Johannes Damrosch,
Alfred Herz s. S. 1190 u. 1200 - Hollander: Peter von Anrooy, Willem Mengel-
berg, Johan Wagenaar.
• Im Anschlusse an das oben (S. 121 1 ) tiber Orchesterleitungen Gesagte seien noch genannt:
Gleichzeitig neben dem Mannheimer das Dresdner Orchester unter Hasse, im 19. Jahr-
hundert das Wiener Opern- (philharmonische) Orchester, das schon in der Zeit der Klas-
siker hohen Rang einnahm, das Pariser Conservatoire-Orchester, das Londoner philharmo
nische Orchester, das Orchester der Scala in Mailand und in alien Stadten samtlicher
musikalischer Kulturlander Europas und Amerikas eine grofie Anzahl von mehr oder
weniger wohldisziplinierten Orchesterverbanden mit ihren Dirigenten von Rang. Ohne
Anspruch auf Vollstandigkeit seien hinzugefiigt: die philharmonischen Orchester in Berlin,
Budapest, Dresden, Hamburg, Madrid, New York, Petersburg, Prag, Warschau; das Ge-
wandhaus-Orchester in Leipzig, das Augusteo in Rom; die Symphonic- und Tonkiinstler-
orchester in Berlin, Boston, London, New York, Wien; das Konservatoriumsorchester in
Paris; das Museumsorchester in Frankfurt a. M.; die Staats- (Hof-) und stadtischen Orchester
in Berlin, Hamburg, Koln (Giirzenich), Mainz, Meiningen, Stuttgart, Weimar; schliefilich
die Privatorchester Concertgebouw in Amsterdam, Casals in Barcelona, Queens-Hall und
Albert-Hall in London, Colonne und Lamoureux in Paris, Tonhalle in Zurich, sowie solche
in Basel, Oslo und Stockholm. In all diesen Stadten sind auch geschulte Chorvereinigungen.
Die Technik des Klavierspiels zeigt in ihrer Entwicklung den gleichen Gegensatz wie
die Entwicklung des Instrumentes vom Clavichord und Clavicembalo in ihren primitiven
Formen zum Hammerklavier eines Steinway und eines Bliithner. Vom Anfang des schwer-
falligen Tastenschlagens bei Verwendung eines unnatiirlichen Fingersatzes bis zu dem heute
erreichten Stand der Spieltechnik, die auf dem Bau der Hand gegriindet ist und Arm, Ober-
korper und die gesamte Muskulatur in den Dienst der Sache stellt, ist ein waiter Weg zuriick-
gelegt worden. Die primitivste Technik, die Daumen und funften Finger ausschlieBt, wird
Reproduzierende Kimst 1215
in der altesten Klaviermusik, von 1450—1600, verwendet von den Koloristen, denen gegen-
iiber die englischen Virginalisten etwas fortgeschrittener erscheinen und bereits Dreiklang-
und Oktavzerlegungen, Dbersetzen der linken iiber die rechte Hand kennen, die vor allem
in ihren Variationen zum erstenmal aus dem Geiste des Instrumentes geborene Musik
schaffen und in John Bull (1563—1628) den ersten reisenden Klaviervirtuosen hervorbringen.
Von den Englandern beeinflufit sind die Franzosen, die gegeniiber dem rein virtuosen Spiel
jener mehr das galante Moment zum Ausdruck bringen, dessen Wesen in einer iiberaus reichen
barocken Verzierungstechnik sowie in der ,,gebrochenen Spielweise", die wiederum in der
barocken Auflosung der Linie besteht, liegt. Chambonnieres (1602—70) und Francois
Couperin (1668—1733) sind die unerreichten Meister dieser frtihen franzosischen Virtuosen-
schule. Der erste Vertreter des modernen konzertierenden Virtuosentums ist Domenico
Scarlatti (1683—1757), dessen brillantes feuerspriihendes Spiel fiir lange Zeit unerreicht
war. Wahrend Girolamo Frescobaldi (1583-1643) und Bernardo Pasquini (1637-1710)
die grofiten italienischen Orgel- und Klavierspieler des 1 7. Jahrhunderts sind und insbesondere
Pasquini das Klavier von der Orgel emanzipiert hat, hat Scarlatti das Klavier aus seiner
dienenden Stellung als Generalbafiinstrument erlost und zum selbstandigen Soloinstrument
erhoben. Er bedeutet die Emanation italienischer Freude am Klang, den er in seinem In
strument unvergleichlich beherrscht. Leichtigkeit und Beweglichkeit, moglichste Verkettung
der beiden Hande bei geteilter Bewegung und souverane Beherrschung der damaligen Klang-
moglichkeiten des Instrumentes zeichnen diesen ersten, wahrhaft weltbiirgerlichen, genialen
Virtuosen aus. Den Gipfelpunkt deutscher Klaviermusik, die bis zu seiner Zeit insbesondere
in Johann Jakob Froberger von Frankreich und Italien abhangig ist, bedeutet Johann Seb.
Bach, der ebenso groB wie als Schopfer auch als Nachschaf fender war und von seinen Zeit-
genossen als der grofite Klavierspieler geriihmt wird. Man sagt ihm die grofite Ruhe und
Okonomie der Bewegungen, Deutlichkeit und Plastik des Anschlages sowie Beweglichkeit
der Finger in einem ausgebildeten Untersetzungssystem des Daumens, der bis dahin nur
bei grofien Spannungen gebraucht worden war, wie auch der mittleren Finger, wobei immer
nur ein kleinerer einem grofieren untersetzt werden durfte, nach. Seine Fingerhaltung war
dem Geiste des Instrumentes seiner Zeit angepafit, indem die fiinf Fingerspitzen iiber den
Tasten eine gerade Linie bildeten, wobei der Anschlag nur durch eine geringfiigige Bewegung
erfolgte und nachher die Finger nach der Innenflache der Hand mit einer gleichfalls gering-
fiigigen Bewegung abgezogen wurden, eine Spielart, die nur die vorderen Fingerglieder
verwendet, was nur moglich ist bei der Beniitzung eines leicht spielbaren Instrumentes, wie
des Clavichords oder Clavicembalos. Bach war ein unerreichter Meister der Improvisation,
dem vielleicht nur G, Fr. Haendel und in unserer Zeit Anton Bruckner anzureihen sind.
Ein Teil der Gesamtpersonlichkeit Bachs ist uns heute unfafibar, weil wir iiber die Grofie
seines Vortrags doch nur dokumentarisch unterrichtet sind. Erst die Erfindung und Vervoll-
kommnung des Hammerklaviers brachte die Losung des techmschen Problems des Klavier^
Instrumentes und fuhrte somit Klavierkomposition und Klavierspiel der Vollendung ent-
gegen. Die Zeit nach Bach wird reprasentiert durch Karl Philipp Emanuel Bach, der die
strenge Kontrapunktik zugunsten des galanten Stils aufgibt. Sein ,,Versuch iiber die wahre
Art das Klavier zu spielen" (1753) behandelt ausfuhrlich Vortrag und Applikatur, wobei
der Daumen zur Grundlage des Spiels erhoben wird, mit dessen Hilfe man das Untersetzen
Reproduzierende Kunst
der beiden Hande bewerkstelligt. Auf seinem Werk fufit Friedrich Wilhelm Marpurgs
,,Anleitung zum Klavierspiel".
Wahrend Haydns Spiel als nicht bedeutend bezeichnet wird, war Mozart im selben
Grade Klaviervirtuose wie schaffender Kiinstler; seit friihester Jugend hatte er sich Klang-
fiille und Kantabilitat angeeignet; besonders wird ihm die Ausnutzung der dynamischen
Moglichkeiten des Instrumentes sowie zierliche, perlende Passagentechnik und reiner An-
schlag nachgeriihmt. Ein ganz GroBer am Klavier war wieder Beethoven, der als Spieler
geschildert wird, der seine Horer zutiefst zu packen verstand, dessen fur seine Zeit fabel-
haftes, das Pianistische fast durchbrechendes und ans Orchestrale gemahnendes Spiel hochst
naturalistisch und Aufsehen erregend war. Wahrend fur Beethoven die Technik nur Mittel
zum Zweck war, ist eine Reihe von Zeitgenossen des Meisters lediglich vom virtuosen Stand-
punkt zu werten. Es folgt die Zeit des Epigonentums, da die groCe klassische Schule eine
solche Fiille technischer Probleme gezeitigt hatte, die nun Selbstzweck warden. Es macht
sich dies auch in der Herausbildung klaviertechnischer Schulen geltend, die zum Teile ihre
Erfahrungen in Lehrbuchern niedergelegt haben, wie die von Adam, Hummel, Kalkbrenner
und Czerny. Luis Adam (1758—1848) war Lehrer von Kalkbrenner und Verfasser einer
,,Methode des Klavierspiels" (1802) sowie einer ,,Methode ou principe general de doigter"
(1798), in der nach Erlangung der Alleinherrschaft des Hammerklaviers die verschiedenen
Anschlagarten untersucht werden, die notig sind, um das Spiel recht niiancenreich zu ge-
stalten. Auch der Gebrauch des Pedals wird bereits behandelt, das I. N. Hummel (1778
bis 1837), ein Schxiler Mozarts, vollkommen verabscheut. Er hat in seiner ,,Ausfuhrlichen
Anweisung zum Pianoforte-Spier' (1 828) ein wohldurchdachtes System des Klavierspiels ge~
geben. Friedrich Kalkbrenner (1788—1849), Verfasser einer ,,Methode pour apprendre
le pianoforte*' (Paris 1830), vereinfacht die Hummelsche Methode und zeigt bereits An-
fange einer Phrasierungslehre ; sein Prinzip war die Ausbildung der Fingerfertigkeit ohne
Aufwendung von Armkraft; man fiihrt auch die Methode des Oktavenspiels sowie die
seit seiner Zeit besonders gepflegte Aufmerksamkeit auf das Spiel der linken Hand auf
ihn zuriick. Carl Czerny (1791 — 1857), Schiller Beethovens? dessen Etiidenwerke heute
noch in Ansehen stehen, war vorwiegend ein auf das Praktische gerichteter Theoretiker, der
von einer der natiirlichen Beschaffenheit der Finger angepafiten Verwendungsmoglichkeit
ausgeht. Sein Vortrag war vor allem auf Entwicklung der Gelaufigkeit und moglichst rasche
Bewegung gerichtet. Mittelpunkt ernes jeden Systems dieser Zeit ist die Spielmechanik,
so in Luis Plaidys (1852) ,,Technischen Studien" und Luis Kohlers (1857) ,,Systematischer
Lehrmethode fiir Klavierspiel und Musik". Im allgemeinen herrschen unter alien Klavier"
theoretikern von Bach und Turk bis zu Kalkbrenner, Lebert und Stark nur ganz gering^
fiigige Abweichungen iiber Hand- und Fingerhaltung, die Finger sind leicht gekrlimmt,
mit den Ballen auf der Taste aufruhend, der Arm leicht herabfallend.
Wie in der Geschichte des Violinspiels, kann man auch in jener des Klavierspiels gewisse
lokale Zentren unterscheiden. Solche sind: Frankfurt a. M. : Georg Johann Vollweiler
(1770-1847), Alois Schmitt (1788-1866). Leipzig: Felix Mendelssohn (1809-47),
Rob. Schumann (1810-56), Ignaz Moscheles (1794-1870), Schiiler von Dionys Weber
zu Prag. London: Johann Christian Bach (1735-82), Josef Haydn (1732 1809), Ignaz
Pleyel (1757-1831), der Italiener Muzio dementi (1746-1832), Paris: Johann Gotl-
Reproduzierende Kunst 1217
fried Eckardt (1735-1809), Johann Schobert (gest. 1767), Luis Adam (1758-1848),
Hyacinthe Jadin (1769-1800), Friedrich Kalkbrenner (1788-1849). Petersburg: Der
Englander John Field (1782-1837), die Deutschen Johann Wilhelm Hafiler (1747-1822,
1792-94 in Petersburg, 1794-1822 in Moskau), Ludwig Berger (1777-1839), Schiller
dementis, 1804-1812 in Petersburg), August Alexander Klengel (1783-1852, verliefi
Petersburg und lieB sich 1814 in Dresden nieder). Wien : Hierher gehoren Techniker von
europaischem Ruf, ihr Kennzeichen ist Brillanz des Spiels. Carl Czerny (1791—1857), der
Vollenderder Wiener Technik und Lehrer Liszts, Josef Wolfl (Wolf fl) (1772-1812), Schuler
von Leopold Mozart und Michael Haydn, I. N. Hummel (1778—1837), Schuler Mozarts,
Anton Eberl (1766-1807). Prag: Friedrich Dionys Weber (1766-1842), Schuler von
Abt Vogler, Wenzel Johann Tomaschek (1774—1850), sowie seine Schuler Johann Fried-
rich Kittl (1806—1868), Ignaz Amadeus Tedesco (1817—82), Alexander Dreyschock
(1818-69), Julius Schulhoff (1825-98), Josef Proksch (1794-1864), Anton Proksch
(1804-66), Theodor Proksch (1843-76), Heinrich von Kaan-Albest (1852-1926),
Schuler von Blodek und Skuhersky, Karl Hoffmeister (geb. 1868), Schuler von Kaan,
Romeo Finke (geb. 1868), Wilhelm Kurz (geb. 1872), Schuler von I. V. Holfeld und Knittl,
Jan Hermann, V. Stepan, Ilona Kurz-Stepan.
Nach Meistern, welche die Schule begriinden, kann man unterscheiden eine Schule Mozarts,
Beethovens, Clementis, Bergers, Hummels. 1. Schule Mozarts: Wolffl, Hummel, Francesco
Pollini (1763-1846). 2. Schule Beethovens: Erzherzog Rudolf, Ferdinand Ries (1784
bis 1838), C. Czerny (Beethovenschiiler 1800-03). 3. Schule Clementis: Johann Baptist
Cramer (1771—1858), John Field, Aug. A. Klengel, Ludwig Berger. 4. Schule Hummel:
Julius Benedict (1804-85), Ferdinand Hiller (1811-85), Sigismund Thalberg (1812-71),
Heinrich Rudolf Willmers (1821-78), Ernst Pauer (1826-1905), Schuler von W. A. Mozart
(Sohn), der selbst ein Schuler Hummels war. 5. Schule Czernys: Franz Liszt (1811—86),
Anna Belleville-Oury (1808-80), Theodor Dohler (1 81 4- 1856), Theodor Kullak (1818-82),
Alfred Jaell (1832-82). 6. Schule Bergers: Heinrich Dorn (1804-92), Wilhelm Taubert
(1811-91), Albert Loschhorn (1819-1905).
Die Bliitezeit der Technik bringt eine besondere Gattung zur Entfaltung, die Etude, die
ein Motiv rein auf den technisch-pianistischen Zweck hin zur Entfaltung gelangen lafit;
diese Form wird bei den Romantikern (Schumann, Moscheles) zum Trager bestimmter
romantischer Stimmungen. Von den grofien romantischen Pianisten mu6 an erster Stelle
genannt werden Friedrich Chopin (1810—49), der wegen seines zarten, weichen und poetisch-
traumerischen Spiels, ebenso wie John Field (1782—1837) vor allem eine starke Verwendung
des Rubatos und, entsprechend seiner ostlichen Herkunft, das formauflosende, improvisations-
mafiige Spiel pflegte, nach der techmschen Seite hin sich durch Weitgriff igkeit, Selbstandigkeit
der Finger und durch einen fur den jeweiligen Vortrag zweckmafiigen Fingersatz (Verwendung
des Daumens fur die Obertasten, ebenso wie Liszt und Biilow, oder Verwendung eines Fingers
fur zwei Tasten) auszeichnete. Chopin war der vollendetste, verfeinertste und empfindlichste
Klavierpoet des 19. Jahrhunderts.
Franz Liszt (1811—86) ist der Begriinder der modernen Klavierkunst. Die Entwicklung
seines Spiels steht einerseits unter dem Einflufi Paganinis, andererseits unter dem Erlebnis
der Klangftille und Mannigfaltigkeit des neueren Orchesters. So ergibt sich sein Klavier-
1218 Reproduzierende Kunst
satz und die Technik seines Spiels aus der Tendenz, auf dem Klavier orchestrale Wirkungen
zu erzielen, und diesem Ziele strebt er mit neuen pianistischen Mitteln zu, wie Spriingen,
Tremolis, weiten Intervallen, deren Voraussetzung allerdings die einzigartige Lisztsche Hand
war, Glissandis, Ineinandergreifen der Hande, besonderen Fingersatzen zur Erzielung eines
expressiven Spiels, insbesondere dort, wo ein kantables Rezitativ erreicht werden soil, usw.
Liszt war der erste Virtuose, der ausschlieBlich Klavierkonzerte gab, ahnlich wie Paganini
faszinierte er seine Mitwelt, insbesondere die Frauen, und verkehrte als ein Konig seiner
Kunst, als par inter pares mJt den Grofiten seines Zei takers. Die Lisztsche Epoche des Klavier-
spiels ist noch gekennzeichnet durch Anton Rubinstein (1829—94), einen Pianisten grofien
Formats von leidenschaftlichster Ausdruckskraft und subjektivstem Spiel, das gelegentlich
bis zur Unkorrektkeit ging, im Gegensatz hierzu Hans v. Biilow (1830—94), Schiller von
Franz Wieck und Liszt, der mit scharfem, analysierendem Verstand, vielleicht etwas doktrinar,
die Klassiker oft serienweise (er ist der Begriinder dieser Art von Konzertpflege) zum Vor-
trag brachte, und Carl Tausig (1841—71). Liszt hat eine Anzahl von Virtuosen heran-
gebildet, die zum Teil heute noch leben: Eugen d' Albert (geb. 1864), Alfred Reisenauer
(1863-1907), August Stradal (geb. 1860), Bernhard Stavenhagen (1862-1914), Friedrich
Lamond (geb. 1868), Conrad Ansorge (geb. 1862), Arthur Friedheim (geb. 1859),
Moritz Rosenthal (geb. 1862), Emil Sauer (geb. 1862), Alexander Siloti (geb. 1863).
Unter alien ragt als Lehrer hervor Theodor Leschetizky (1830—1915), em Schiiler Czernys,
seit 1878 in Wien, an dessen Unterricht sein Schiiler I. Friedmann grofien, singenden Ton,
Transparenz und Differenzierung der Klangfarben, rhythmische Prazision, Nuancenreichtum
und Zuspitzen auf offentlichen Vortrag und Wirkung als besondere Starke sieht, wahrend
Ossip Gabrilowitsch das Hervorheben des Geistigen und Improvisatorischen gegeniiber dem
spezifisch Technischen, die grofite Beriicksichtigung des Klanglichen als besondere Kenn-
zeichen anfuhrt. Unter der iiberaus grofien Zahl von Pianisten, die bei ihm in die Lehre
gingen, sind noch zu nennen: Ignaz Paderewski, Annette Essipoff, Mark Hambourg und
Arthur Schnabel.
Die nach-Lisztsche Zeit seit 1900 ist vor allem durch eine aufierordentliche Erweiterung
des Kreises Klavierspielender und zwar auch Dilettanten, gekennzeichnet, eine Erscheinung,
die vor allem durch den steilen Aufstieg des Klavierbaues und die faszinierende Personlichkeit
Liszts bedingt ist. Diese Flut ist erst in letzter Zeit durch Grammophon und Radio ein-
gedammt worden. Die Bedeutung des Klavierspiels bedingte Bestrebungen nach Neu-
gestaltung des Musikunterrichtes, der nicht nur das rein Technische, sondern das geistig
Musikalische in den Vordergrund stellte (Kullak, Klauwell, Breslaur). Die Folge hiervon
war ein starkes Anwachsen der klaviertheoretischen Literatur, aus der hervorzuheben sind:
Riemann, ,,Theoretisch-praktische Klavierschule", Lebert und Stark, ,,Grofie Klavierschule",
Mayer-Mahr, ,,Die Technik des Klavierspiels", Busoni, ,,Klavieriibungen", Joseffy, ,,Meister-
schule des Klavierspiels", Pischna, ,,60 Exercices pour piano", Plaidy, ,,Technische Studien
fur das Pianoforte", Mertke, ,,Technische Studien", Germer, ,,Die Technik des Klavier
spiels", Jiranek, ,,Technische Studien"; die padagogischen Klavierwerke von Wiehmayer
und Zuschneid, Theodor Kullak, ,,Schule des Oktavenspiels", und theoretische Werke von
Adolf Kullak, Emil Breslaur, Alfred Richter, Karl Zuschneid, A. F. Christiani, Gustav Stowe,
Elisabeth Caland, Marie Jaell, R. M. Breithaupt, Malvine Br6e, F. A. Steinhausen, Tony Band-
Reproduzierende Kunst 1219
mann, Eugen Tetzel, Xaver Scharwenka, Ludwig Riemann, Leonid Kreutzer. Die Methodik
des Klavierunterrichtes erfolgte auf neuer psycho-physiologischer Grundlage unter Ausniitzung
der naturgegebenen Funktionen des gesamten Spielapparates. Wahrend das Spiel friiher
auf Fingern, Hand oder Vorderarm, sowie den entsprechenden Gelenken beruhte, wurde es
nunmehr zu einem Arm- und Gewichtsspiel, zu einem Spiel des freien Wurfs, des Schwungs
und der Gelenksrollung. Hauptvertreter dieser Methode ist vor allem R. M. Breithaupt.
Der neue Unterricht nimmt auch Bedacht auf die geistige und korperliche Individuality
des Spielers, wobei vollstandige Beherrschung des Technischen selbstverstandliche Voraus-
setzung des Spieles ist, dessen wichtigste Erfordernisse Nuancierung des Anschlages, Klang-
schattierung und Tonfarbigkeit sind. Gegenliber der romantischen gefiihlsschwelgerischen
Spielart bevorzugt man heute (nach dem Prinzip der neuen Sachlichkeit) ein mehr objektives,
klihles Spiel, wahrend eine Reihe von bedeutenden Spielern mehr das Expressionistische und
Impressiomstische pflegt (Gieseking).
Ein groBer Teil der modernen Pianisten war beeinflufit durch die iiberragende Personlich-
keit Francesco Benvenuto Bus on is, des grofiten Meisters seit Liszt und Rubinstein, dessen
technische Vollendung nur Hintergrund einer tiefst geistigen Auffassung des Klavierspiels
war. So hat er nicht nur Bach, sondern auch Mozart in letzter Zeit formlich neu entdeckt.
Besonders hervorzuheben ware unter seinen Schiilern der als Vorkampfer der Modernen
bekannte Eduard Steuermann, ein durchaus durchgeistigter Virtuosentyp, dem man ins-
besondere die Nahebringung Schonbergscher und anderer modernster Werke zu verdanken
hat. Seine besondere Art plastischer Verdeutlichung speziell der modernen Werke ist durch
den logischen Weg iiber Klassiker und Romantiker begriindet. Ohne irgend Anspruch auf
Vollstandigkeit zu erheben, seien noch genannt : Isaac Albeniz, Wilhelm Backhaus, Bela Bartok,
Harold Bauer, Alfred Cortot, Ernst von Dohnanyi, Mac Dowell, Edwin Fischer, Ignaz
Friedmann, Ossip Gabrilowitsch, Leopold Godowsky, Enrique Granados, Alfred Griinfeld,
Mark Gtinzburg, Mark Hambourg, Ignaz Paderewski, Ernst Pauer, Max Pauer, Raoul
Pugno, Serge Rachmaninoff, Edouard Risler, Julius Rontgen, Moriz Rosenthal, Anton und
Nikolaus Rubinstein, Wassili Safonoff, Dirk Schafer, Xaver Scharwenka, Arthur Schnabel,
Jose Vianna da Motta; Therese Carerlo, Annette Essipoff-Leschetizky, Sophie Menter, Elly
Ney, Varette Stepanoff, Clara Wieck-Schumann. Ferner von Vertretern des neuen Virtuosen-
systems: Walter Gieseking, Eduard Erdmann, Rudolf Serkin, Erwin Schulhoff, Franz
Osborn, Friedrich Wuhrer, Arthur Rubinstein, Jean Wiener, Carlo Zuchi, George Antheil,
Paul Otto Mockel,
Von alien Musikinstrumenten ist das vollendetste die menschliche Stimme, wohl aus
dem Grunde, weil kein anderes Instrument so unmittelbar zum Menschen sprechen kann
und seelische Erlebnisse wiederzugeben imstande ist als jenes, das dem Menschen am nachsten
steht. Das hochste Lob fur Geiger und Klavierspieler bedeutet die Bezeichnung ,,singen".
Freilich ist vom Briillen und vom ,,Urschrei" des Primitiven bis zur vollendetsten Gesangs^
kultur ein weiter Weg und in der Geschichte der Gesangskunst spiegelt sich jeweils die Ge-
schichte der Musik. Wenn nach der Theorie Spencers der Gesang aus der gesteigerten Er-
regung beim Sprechen entstand und nach der Ansicht Darwins das Singen die Sublimierung
der Geschlechtslockrufe ist, wahrend nach der Anschauung Stumpfs der Gesang aus den
gemeinschaftlichen, zu Klangen organisierten Signalrufen entstand, so diirfen wir annehmen>
1220 Reproduzierende Kunst
dafi die altesten, vor allem nordischen Volker, ebenso wie die Primitiven vorerst mit dem
Stimmaterial zu kampfen hatten, wie dies noch aus dem alten Sprichwort ,,Frisia non cantat"
hervorgeht, und dafi von einer Stimmkultur vorerst noch keine Rede war. Auch die antiken
Volker dlirften der Gesangskunst als solcher nicht jene Aufmerksamkeit geschenkt haben,
wie das Abendland, well dort Dichter und Sanger, Poesie und Musik eine Gemeinschaft
bildeten, die, wenn man auch von einem Virtuosentum bei den alten Griechen und Romern
spricht, eine Gesangsvirtuositat schwerlich aufkommen liefi. Gesangsvirtuositat mag sich
vor allem im Orient ausgebildet haben, wo seit jeher das Melos an sich, unabhangig vom Wort,
die grofite Rolle spielte ; und so sehen wir, dafi mit der Ubertragung orientalischer Gesangs-
weise nach dem Westen vor allem durch die Ubernahme ostlicher Liturgie auch dem Gesangs-
wesen erhohte Bedeutung geschenkt wird. Schon im 5. Jahrhundert soil unter Papst Hilarius
in Rom eine Sangerschule gegriindet worden sein, nach deren Muster in Metz und St. Gallen
bertihmte Schulen entstanden, deren es im Mittelalter eine grofie Zahl gab; die beruhmtesten
waren aufier der romischen ,,Schola cantorum" jene zu Paris und Cambrai. Die Kompositionen
des 15. und 16. Jahrhunderts weisen in ihren verschnorkelten Einzelstimmen auf einen hohen
Stand der Gesangstechnik hin, wenn man nicht etwa, wie Riemann und Schering, wenigstens
einen Teil der Stimmen Instrumenten zuweisen will. Auch in der Palastrina-Epoche wird
zum Teil eine ubermaftig melismatische Gesangstimme bevorzugt; die Tatsache der Re-
duktion der niederlandischen konstruktiven Kompositionsart auf den a cappella-Stil selbst
bedeutet vom gesangstechnischen Standpunkt aus eine fortschrittliche Neuerung. Der liber-
mafiige Tonumfang der Kompositionen seit dem Ende des 1 6. Jahrhunderts bis zu drei
Oktaven, die Hoquetus-Manier, der cantus fractus, der Trillo, die zum Teil heute nicht
mehr gebrauchlich smd, smd Zeichen hochstehender Gesangsvirtuositat. Wie in dieser Zeit
die Musikstlicke sowohl von Instrumenten als auch von Gesangstimmen ausgefuhrt werden
konnten (,,per sonare e cantare"), so wird oft die Gesangskunst in'allgemeinen Musiklehr-
biichern behandelt, von denen in diesem Zusammenhange zu erwahnen sind : die von Girolamo
della Casa (1584), Francesco Rognone Taegio (1592), Bovicelli (1594), und als das wich-
tigste das des Lodovico Zacconi (1592). Leider wissen wir iiber das in Italian und auch
in Spanien hochbltihende Improvisatorentum fast nichts. Andeutungen mancher Schrift-
steller, wie etwa G. B.Basile u. a., lassen vermuten, dafi wir in dieser Hinsicht noch vor
musikgeschichtlichem Neuland stehen. Die Forschungen Einsteins iiber Normalmelodien
auf die Nationalepen, wie die ,,Aria di Ruggiero", werden, sobald sie abgescKlossen sind,
zeigen, dafi es in Italien abseits der Zunft ein hochstehendes Volksvirtuosentum gab. Es
mag wohl durch die aufkommende iiberragende Macht der Oper, die erst recht ein eigemV
liches Gesangsvirtuosentum mit sich brachte, in den Schatten gestellt worden sein. Gleich
die ersten Opernkomponisten, wie Peri und Caccini, waren bedeutende Sanger und Caccini
hat wohl in seiner Vorrede zur ,,Nuove musiche" 1602 gezeigt, welche Anforderungen man
gerade damals an einen Sanger stellte. Die ersten Gesangsvirtuosinnen, von denen wir wissen,
sind die beiden Tochter Caccinis, Lucia und Settimia, ferner Vittoria Archil ei und die
beruhmte Schwester Giov. Battista Bas iles , ,,La bella Adriana", vielleicht jene erste Sangerin,
die nicht nur durch Jhre Stimme, sondern auch durch ihre Schonheit sich Italien zu Ftifien
zwang. Von den deutschen Opernhofen des 17. Jahrhunderts werden uns die Namen einer
ganzen Reihe von Sangern und Sangerinnen gemeldet, und es entwickelt sich friihzeitig ein
Reproduzierende Kunst J221
freilich noch nicht berufsmafiiges Impresariotum. Theaterklatsch und Intriguen sind schon
zur Zeit der venezianischen Oper nicht unbekannt, wie etwa aus dem Briefwechsel
J. H. Schmelzers hervorgeht, der iiber die Sangerin Giulia Masotti, die als etwas abge-
takelte Primadonna am Wiener Hof gelandet war, nicht unergotzliche Geschichten zu be-
richten weifi.
Im 17. Jahrhundert verbreitet sich das Kastratenwesen, das bereits in Italien seit langer
Zeit, mindestens seit dem 16. Jahrhundert, bekannt war; die Kastration hat den Zweck, die
mit dem Eintritt der Pubertat stattfindende Mutierung zu verhuten und so die Knaben-
stimme zu konservieren, die ganzen Generationen mehr Reiz als die Frauenstimme zu bieten
vermochte, allein die Unschuld der Knabenstimme war verwischt und ladiert. Gewifi
haben die Kastraten die Vorziige des Timbres und der Tonlage des Knaben mit der Atem-
technik und Kraft des Mannes veremigt, da ja Lunge und Brust mannlich entwickelt waren;
dazu komm- , daB der musikalische Barock mit seiner verschnorkelten Unnatur das rein
Instrumental der Menschenstimme vor dem Personlichen bis zur Vernachlassigung des
Geschlechtes bevorzugt. Durch die iiberlegene Atemtechnik, die Absolvierung von end-
losen Passagen und eine heute ungekannte Ausbildung des ,messa di voce* ermoglicht,
standen die Kastraten bis gegen 1800 im Vordergrund des theatralischen Interesses. Natlirlich
waren auch an deutschen Hof en Kastraten bekannt (,,Kapaunen" genannt), und es gab auch
eigene Erziehungsstatten fur solche, an denen der entsprechende Wundarzt nicht fehlen durfte.
Von den beriihmtesten Kastraten des 18. Jahrhunderts seien nur genannt: Loreto VI t tori
(auch Dichter und Komponist), Francesco Bernardi, genannt Senesino, der in dem
Handel zwischen Buononcini und Handel eine grofie Rolle spielte, Giovanni Cares tin!
(1705—60), der sich zu Ehren der ihn protegierenden Mailander Familie Cusani Cusanino
nannte und zu Rom, Prag, Mantua, Venedig und 1733—35 unter Handel in London, spater
in Berlin und Petersburg sang. Quantz ruhmt seine Contra- Altstimme als eine der kraftigsten,
schonsten und umfangreichsten (d— g")> er war auch eine der gliicklichsten Theatererschei-
nungen. Besondere Virtuositat und Langatmigkeit, gepaart mit einem vorziiglichen belcanto,
vereinigte Baldassare Ferri, der in polnischen und osterreichischen Diensten stand. Antonio
Bernachi (1685 ~1756) war Schiiler des beruhmten Begrunders der Bologneser Gesang-
schule Francesco Pistocchi (1659—1726). Pistocchi ist der erste Gesangsvirtuose, der sich
ausschlieBlich der Theorie und dem Unterricht zuwandte, nachdem er als ausiibender Sanger
erfolglos geblieben war. Um 1 700 soil er zu Bologna jene beriihmte Gesangschule gegrundet
haben, die ihm dauernden Ruhm eintrug und in der zum erstenmal ein streng methodischer,
in verschiedene Klassen eingeteilter Unterricht erteilt wurde. Gaetano Majorano, nach
seinem Entdecker Caff aro Caff are Hi genannt (1703—83), wird besondere Koloraturfertig-
keit, Technik chromatischer Laufe und Starke im pathetischen Gesang nachgeriihmt. Einer
der letzten und bedeutendsten Kastraten war Girolamo Crescentini (1766—1846), der sich
erst 1812 von der Biihne zuruckzog. Als aufierlich hafilicher Halbmann wird der durch seinen
geschmaekvollen Vortrag bekannte Gasparo Pacchiarotti (1744—- 1821) geruhmt. Dafi
man im 18. Jahrhundert blofie Stimmhelden von guten Darstellern zu unterscheiden ver
mochte, lehrt das Zeugnis Burneys iiber Giovanni Manzuoli, der noch 1771 von Leopold
und Wolfgang Mozart gehort wurde und der sich weniger durch Koloraturfertigkeit als durch
Darstellungskraft auszcichnete. Welchen Weltruf einzelne Kastraten im 18. Jahrhundert
1222 Reproduzierende Kunst
genossen, zeigen oft zeitgenossische Briefwechsel und Memoirenwerke, deren Autoren mit
der Bekanntschaft dieser Sanger oft prahlen, wie die Denkwiirdigkeiten Casanovas, der sich
vor allem der Bekanntschaft Carestinis, Felice Salimbenis (1712—51) und des beruhm-
testen aller Kastraten, Carlo Broschis, genannt Farinelli (1705—82), riihmt. Farinelli hat in
letzter Zeit eine Monographic durch Franz Habock erfahren, der auf Grund der einzelnen
Arien und Partien, die fur den Sanger geschrieben waren, vor allem durch Leonardo Leo,
Leonardo Vinci, Hasse, Porpora, Ariosti u. a., die Entwicklung der Stimme des Sangers nach-
weist. Schon als halbwiichsiger Knabe erlangte er in Italien Beriihmtheit unter dem Namen
,,11-ragazzo" (der Bube), 1722 feierte er zu Rom in Porporas Oper ,,Eumene" einen trium-
phalen Erfolg ; vor allem wird sein ,messa di voce* geruhmt, sowohl hinsichtlich der Tondauer
als Starke, nicht weniger seine Koloratur; mit Karl VI. war er personlich bekannt, Philipp V.
von Spanien konnte ohne seinen Gesang nicht leben und auch der Nachfolger Philipps,
Ferdinand VI., stand unter seinem politischen EinfluB. Fur die grofie Musikgeschichte
Jst Farinelli deswegen von Bedeutung, weil Handel in London, als seine Gegner Farinelli
in ihr Lager zogen, die Oper iiberhaupt aufgeben und sich dem Oratorium zuwenden mufite
(1734).
Gegeniiber den Kastraten spielen die iibrigen Sanger der betreffenden Zeit, wie die
Tenoristen (Anton Raaff, fur den Mozart die Partie des Idomeneo schrieb, Paita, Venanzio
Rauzzini u. a.) eine verhaltnismafiig geringe Rolle. Die Reinigung des italienischen Musik-
barocks durch die deutschen klassischen Meister brachte auch eine wohltuende Anderung
des Geschmacks mit sich; man wandte sich vom Kastratentum ab und iiberliefi das Koloratur-
wesen den Sangerinnen. Neben dem Primo uomo spielt in der italienischen Oper des
18. Jahrhunderts die Primadonna die grofite Rolle. Von den bedeutendsten Sangerinnen
sind zu erwahnen vor allem Faustina Hasse, geb. Bordoni, die in Venedig, Bologna und
Neapel 1722, etwas spater in Miinchen und Wien phanomenale Erfolge errang, 1726 von
Handel fur London engagiert wurde und dort 1726—28 mit FrancescaCuzzoni rivalisierte.
Anna Maria Strada, die an der Seite Handels stand, Lucrecia Agujari, deren Stimm-
umfang nach der Hohe fast unglaublich war, und die noch auf dem dreigestrichenen / trillerte
und das viergestrichene c sang, Luiza Rosa de Agujari verheiratete Todi, die beriihmteste
Sangerin portugiesischer Abkunft, die mit Gertrud Elisabet Mahrer am Ende des 18. Jahr
hunderts zu Paris in heftigster Rivalitat stand, die Goethesangerin Corona Schr 6 ter, die
Glucksangerin Marianne Pirker und Regina Mingotti, die Gattin des bekannten
Opernunternehmers, waren als die bedeutendsten Sangerinnen des 18. Jahrhunderts zu
nennen.
Der Verfall der italienischen Oper im 1 9. Jahrhundert brachte auch den Niedergang des
bel canto mit sich, der freilich auch jetzt noch praktisch und theoretisch gepflegt und be-
handelt wurde. Der beriihmte Altist Giuseppe Aprile (1738-1814), Schuler von Girolamo
Abos und Lehrer von Cimarosa, verfafite eine noch heute beliebte Gesangschule mit Sol-
feggien, ebenso Ambrogio Minoja (1752-1825), der ,,lettere sopra il canto" 1812 und. einen
sehr verbreiteten ,,metodo pratico di canto italiano per camera" verfafite, und Giulio Marco
Bordogni, Schuler von Simon Mayr und Lehrer von Henriette Sontag, der sehr verbreitete
Vocalisen herausgab. Am meisten werden aus dieser Zeit die Solfeggien von Concone (1810
bis 1861) verwendet. Beriihmt als Gesanglehrerin war auch Mathilde Marchesi geb. Grau-
Reproduzierende Kunst 1223
mann (1821 1913), Schulerin von Otto Nicolai und Manuel Garcia (1805-1906) in
Paris, der seinerseits als Erfindei des Kehlkopfspiegels und Verfasser der gekronten Akademie-
schrift ,,memoire sur la voix humaine" und ,,Traite complet du chant" eine grofie Rolle
in der Gesangspadagogik spielt. Er gehorte als Sohn des Manuel del Popolo Vicente Garcia
und Enkel des Jeronimo Rodriguez und der Marianne geb. Aguilar, einer Sangerdynastie an.
Seine beruhmtesten Schulerinnen sind seine beiden Tochter Maria Malibran (1808—36),
deren Altstimme von enormem Umfang war, und Pauline Viardot (1821—1910). Zu er-
wahnen sind in diesem Zusammenhang auch Angelica Catalan i (1780 — 1849), die mit korper-
licher Schonheit besondere Stimmittel vereinigte, sich vom getragenen Gesange, zu dem
ihr die Eignung fehlte, dem Ziergesang zuwandte und ganz Europa in Taumel versetzte.
Mit der Catalani wetteiferte Henriette Sontag (1806—54), die sich vor allem in den Weber-
schen Opern und als Rosine im ,,Barbier von Sevilla" gelegentlich der Catalani uberlegen
erwies. Als eine der bedeutendsten Sangerinnen ihrer Zeit gilt Jenny Lind (1820—87),
bekannt als die ,,schwedische Nachtigall", die wegen des herrlichen Klangs ihres Soprans,
wegen ihrer Koloratur, ihrer Triller und ihres Staccatos angestaunt wurde und wohl die best-
bezahlte Sangerin ihres Jahrhunderts war.
Durch Richard Wagner hat sich die Antithese zwischen dramatischen und lyrischen
Sangern herausgebildet, von denen jene mehr den bel canto und das rein Musikalische, diese
das Dramatische und Darstellerische bevorzugten. Freilich wurde auch durch Wagner
und die moderne Vokalmusik die Pflege der Stimme zugunsten des Darstellerischen etwas
in den Hintergrund gestellt. Von den iibrigen Gesangslehrern der jiingeren Zeit und der
Gegenwart seien nur erwahnt Franz Hauser (1794—1870), Julius Stockhausen (1826
bis 1906), dessen Bestreben es war, eine Stilbildungsschule fur den Vortrag deutscher musik-
dramatischer Werke zu schaffen und der ein grofies gesangpadagogisches Werk ,,Deutscher
Gesangunterricht" herausgab, eine aufierordentlich grtindliche Methode, den Schiller von
den Anfangen der Tonbildung bis zur hochsten kunstlerischen Reife zu flihren, Josef Genz-
bacher, R. v. zur Miihlen und August Iffert. -Von Sangern und Sangerinnen seien noch
erwahnt: Wilhelmine Schroder-Devrient (1804—60), die mehr dramatische Leidenschaft
und Darstellungskraft als Musikalitat und Stimme besafi, Pauline Anna Milder-Haupt-
mann (1785—1838), die Stimmittel und Darstellungstalent vereinigte und fiir die Beet
hoven die Rolle des Fidelio schrieb, Charlotta und Adelina Patti, letztere (1843— 1919)
berlihmt als Koloratursangerin, deren nicht sehr starke Stimme besonderen Wohllaut hatte,
Emma Albani (geb. 1852), Schulerin von Duprez und Lamperti, besonders als dramatische
Sangerin bekannt, und schliefilich aus der Zahl der beruhmtesten Sanger und Sangerinnen
der letzten Vergangenheit und Gegenwart: Sigrid Arnoldson (geb. 1861), Gemma
Bellincioni (geb. 1864), Emmy Destinn (geb. 1878), Geraldine Farrar (geb. 1882),
Elena Gerhardt (geb. 1883), Maria Ivogiin (geb. 1891), Berta Kiurina, Selma Kurz
(geb. 1877), Lilli Lehmann (1848-1929), Pauline Lucca (1841-1908), Amalie Mater na
(1845-1918), Nellie Melba (geb. 1861), Marie Renard (geb. 1863), Ernestine Schumann-
Heink (geb. 1861), Marcella Sembrich (geb. 1858). - Mattia Battistini (1857-1928),
Th. Bertram (geb. 1869), Enrico Caruso (1873-1921), BenjaminoGigli (geb. 1890), Ernst
Kraus (geb. 1863), Luigi Lablache (1794-1858), Richard Mayr (geb. 1877), Theodor
Reichmann (1849-1903), Anton van Rooy (geb. 1870), Emil Scaria (1838-86), Feodor
|224 D'f> F-nUickluns der MusikthtorJe scil dcrn Endc dc-s 15 Jahrhundcrts
Ivanowitsch Schaljapin (geb. 1873), Leo Slezak (geb. 1875), Franz Wild (1792-1860),
Hermann Winkelmann (1849-1912). Wie viele waren noch zu nennen!
Literatur
Beckmann: Das Violinspiel in Deutschland vor 1700. - Bie, Oscar, Das Klavicr. - De rse Ibe: Die
Primadonna. — De r selbe: Der Virtuose. — De rse 1 be: Das Klavier und seine Meister. - Einstein:.
Das neue Musiklexikon. — Fantoni: Storia universale del canto. — Fetis: Biographic universellc. —
G a 6 n e r : Dirigent und Ripienist. — G o 1 d s c h m i d t : Die italienische Gesangsmethode des 1 7. Jahrhunderts . —
'Habock: Die Gesangskunst der Kastraten. — Kinkeldey: Orgel und Klavier in der Musik des 16. Jahr
hunderts. — Moser, Andreas: Geschichte des Violinspiels. — Niemann, Walter: Meister des Klaviers.
— Riemann-Einstein: Musiklexikon, II. Auflage. — Schunemann: Geschichte des Dirigierens. —
Weitzmann: Gescbichte des Klavierspiels.
Paul NettL
DIE ENTWICKLUNG DER MUSIKTHEORIE SEIT DEM
ENDE DES 15. JAHRHUNDERTS
In der zweiten Halfte des 15. Jahrhunderts wurde das Studium der Musiktheorie durch
den Einflufi des Humanismus stark belebt. Boethius trat wieder in den Mittelpunkt des
Interesses und bereltete den Weg zum Verstandnis der erhaltenen griechischen Quellen-
schriften, die bald im Druck herauskamen. Erschienen doch 1475 die Probleme des Aristo
teles in Mantua, 1491-99 die ersten Boethius-Ausgaben, 1497 Euklid, Vitruv und Censorinus,
1498 Martianus Capella, um nur ein paar herauszuheben. Die Zeit ist aucb nicht fern, wo
vulgarsprachliche Ubersetzungen von Aristides Quintilian, Bryennius, Bacchius, Ptolemaeus
angefertigt wurden; Ercole Bottrigari wirkt in dieser Richtung besonders anregend.
Einen eifrigen Vertreter fand die Sache des Boethius neben Ugolino von Orvieto und
neben Georg Anselm von Parma in Vittorino da Feltre in Mantua. Aus seiner Schule
ging Johannes Gallicus Carthusiensis (ca. 1415—73) hervor, der auf viele Theoretiker
des 15. Jahrhunderts bestimmend einwirkte. Tinctoris, Ramis, Burzio fiihren ihn als Autoritat
an. Sein Streben nach einfachen Verhaltnissen wird bekundet durch seine Stellung zur guido-
nischen Solmisation, der er keine grofiere Bedeutung beimifit als den Silben ba be bi bo bu bam,
und seine Abwehr gegeniiber der verzwickten Zeichengebung der Mensuralmusik mit ihren
vielen Ziffern und Zeichen. Nicht unbedeutend war auch sicherlich Johannes Godentag
alias Bonadies, der als Lehrer von Gafori genannt zu werden verdient. In Neapel sehen
wir damals drei niederlandische Theoretiker tatig: Ycaert, Guarnerius und Tinctoris,
von denen der letzte (gest. 1511 zu Nivelles) zu den bedeutendsten Theoretikern aller Zeiten
zu rechnen ist. Kein anderer hat damals wie er so enge Fiihlung mit der Praxis, weiB jedes
Kapkel der Musiktheorie so lebendig zu gestalten. Im ,,Liber de arte contrapuncti" findet
sich die beachtenswerte Bemerkung, dafi erst in den letzten vierzig Jahren Kompositionen
geschaffen seien, die die Gebildeten fur beachtenswert ansahen. Zwei seiner Arbeiten kamen
bereits zu semen Lebzeiten in Druck heraus: das ,,Diffinitorium", das alteste terminologische
Lexikon, um 1495, gedrudkt mit Typen von Gerardus de Lisa in Treviso, und der Trakat
Die Entwicklung der Musiktheorie seit dem Ende des 15. Jahrhunderts 1225
,,De inventione et usu musicae", der wahrscheinlich schon 1488 von Francesco del Tuppo
in Neapel zum Druck gebracht worden ist. Eine Gesamtausgabe seiner Schriften besorgte
Ed. de Coussemaker.
Eine nicht unbedeutende Rolle spielte in jener Zeit auch der Karmeliter John Hothby,
ein Englander, der nach vielen Reisen durch Spanien, Frankreich, Deutschland und Italien
1467 in Lucca festen Fufi fafite und dort eine segensreiche Tatigkeit als Gesanglehrer der
Kleriker entfaltete, 1486 aber nach England zuriickberufen wurde und dort 1487 starb.
Wir kennen aus den Veroffentlichungen Coussemakers eine ganze Reihe seiner theoretischen
Schriften, unter denen mehrere Streitschriften gegen den Spanier Ramis besonders heraus-
zuheben sind. Sein bedeutendstes Werk ist die ,,Calliopea legale", eines der umfassendsten
Lehrbiicher des cantus planus, das auch das chromatische Tonmaterial in die Betrachtung
einbezieht.
Richtunggebend wurde fur die Theorie des 16. Jahrhunderts der Spanier Ramis de Pareia.
Er war ein Schiller des Johannes de Monte und bereits in Salamanka als Interpret des Boethius
bekannt, als er seinTatigkeitsfeld nach Bologna verlegte. Gafori bezeichnet ihn als ,,illitteratus".
Seine 1482 in Bologna erschienene ,,Musica practica", fur Laien aufgerissen, enthalt neben
altem Ballast aus Boethius Neues in der Monochordteilung, die im AnschluB an Didymus
und Ptolemaeus die beiden Ganztone 9:8 und 10:9 und damit die natiirlichen Terzen 5:4
und 6:5 als gesetzmaBJg anerkennt. Nun liegt der Weg klar vor uns, den schlichtern bereits
Walter Odington betreten hat, und liber Fogliano schreitet die Entwicklung zu Zarlino weiter.
Abgelehnt wird die Funfteilung des Ganztons, die Marchettus von Padua lehrte. Gebrochen
wird auch mit der guidonischen Solmisationslehre durch Aufgabe des Hexachords zugunsten
des Oktochords und durch Anwendung der Silben: (p)sal, li, tur, per, vo, ces, is, tas. Damit
ist die schwierige Mutationslehre im Prinzip ad acta gelegt, vor der Hand aber nur fur ihn
und seinen Kreis. Bis ins 18. Jahrhundert hinein, bis hin zu dem Streite von Mattheson
und Buttstedt (1717), steht sie noch voll in Bliite, wenn auch durch andere Solmisationen,
wie die von David Montard (bo, ce, di, ga, lo, ma, ni) und Graun (da, me, ni, po, tu, la, be) neben
manchen andern, ihre Reichweite etwas eingeengt wurde. Drittens bemerkenswert ist bei Ramis
die Lehre von den semitonia subintellecta. Zwar altes Musikergut aus der Zeit des Diskants,
hat sie nie vorher so pragnanten Ausdruck gefunden : unvollkommene Konsonanzen (Terzen,
Sexten) sind grofi bci Auswartsbewegung der Stimmen, klein bei Innen- und Seitenbewegung.
Auch der Uberblick xiber die Mensuraltheorie ist nicht ohne Belang trotz aller Kiirze, und
selbst die wenigen knappen Bemerkungen zur Instrumentenkunde sind nicht ohne Wert,
Diese Arbeit des Ramis entfesselte einen Theoretikerstreit, der beispiellos in der Musik-
geschichte dasteht. Zwei todeswurdige Verbrechen werden Ramis besonders zur Last gelegt:
die Abkehr von der pythagoraischen Intervallberechnung und von der guidonischen Solmi-
sation. In den Streit griffen zuerst ziemlich sachlich Hothby als Verteidiger des Pythagoras
und durchaus personlich Nicolao Burzio in seinem ,,Florum libellus" 1487 als Racher
des Gmdo ein. Burzio wird durch den Ramis-Schiiler Giovanni Spataro bald erledigt.
Dagegen ersteht diesem ein gefahrlicher Gegner in Franchino Gafori (1451 — 1522) aus
Lodi, der seit 1484 am Dome zu Mailand wirkte. Hatte er bereits in seiner ,,Harmonia musi-
corum instrumentorum" (1518) gegen die Monochordteilung des Ramis Front gemacht,
so griff er in seiner ,,Apologiau (1520) die ganze Bologneser Schule an. Spataro antwortet
]226 Die Entwicklung der Musiktheorie seit dem Ende des 15. Jahrhunderts
ihm 1521 mit seinen ,,Errori di Franchino Gafori" und seiner ,,Dilucide et probatissime
Dimonstratione". Einen klaren Uberblick tiber die theoretische Tatigkeit Gaforis verdanken
wir Paul Hirsch, der in einer ausgezeichneten Studie das umfassende Schrifttum Gaforis
klargestellt hat. Herausgehoben seien: ,,Theorica musicae" 1480 und 1492, ,,Practica musicae"
1496, 1497, 1502, 1508 und 1512, ,,Angelicum ac divinum opus'* 1508, ,,De harmonia musi-
corum instrumentorum" 1518, ,,Apologia adversum Spatarum" 1520. Unter diesen Schriften,
zu denen noch ein paar nur handschriftlich in Bologna bewahrte Traktate treten, nimmt die
,,Practica musicae" die selbstandigste Stellung ein. Dafi bereits um etwa 1490 eine Nieder-
schrift derselben, vielleicht als Kolleg, vorhanden gewesen sein mufi, beweist der ,,Trattato
vulgare de canto figurato" des Gafori-Schiilers Francesco Caza, der 1492 bei Leonard
Pachel in Mailand erschien. Neues bietet die ,,Practica" herzlich wenig; zu erwahnen ware
vielleicht die Einfiihrung der Terz iiber der Finalis als chorda judicialis zum Zwecke der
Tonartbestimmung: Liegen mehr Tone iiber derselben als unter ihr, so ist die Tonart authen-
tisch, sonst plagal. Wichtig ist auch sein Eintreten fur die semibrevis als Takteinheit, charak-
teristisch fur die Zeit die Proportionslehre, die aber Dberraschendes kaum darbietet.
Als Kampfer auf seiten von Spataro lernen wir Pietro Aron, Giovanni del Lago und
Frate Aiguino kennen. Aron, um 1490 zu Florenz geboren, kam 1516 mit seiner ,,Institutio
harmonica", 1523 mit seinem ,,Toscanello in musica", 1525 mit seinem ,,Trattato della natura
et cognitione di tutti gli tuoni di canto figuratou und 1545 mit seinem ,,Lucidario" heraus,
nicht zu vergessen den undatierten ,,Compendiolo di molti dubbi". Seine Bedeutung Hegt
in der trefflichen Darstellung der Kontrapunktik und in seinem Versuch der Temperatur
der Tasteninstrumente. Auch sein Ruf ,,Los von der Lehre der semitonia subintellecta" be--
weist eine neue Zeit. Der Brescianer Aiguino war ein Schiller Arons.
Unberiihrt von dem Theoretikerstreit wirkte der aus Potenza gebiirtige Petrus de Ca-
nuntiis, dessen in Dialogform abgefafite, lexikalischen Charakter tragende ,,Regulae florum
musices" 1510 in Florenz erschienen. Bedeutsam tritt Giovanni Maria Lanfranco 1533
mit seinen ,,Scintille di musica" auf, dessen Darstellung fur die Instrumentenkunde be*
sondere Wichtigkeit hat; die Stimmungen der verschiedensten Instrumente werden an-
gegeben. In dem gleichen Jahre erschien auch das ,,Recanetum de musica aurea" des Stef ano
Vanneo, das in klarer Gruppierung den alten Stoff des cantus planus und cantus mensuratus
darbietet. Gleich angeschlossen sei auch Angelo da Picitono, der stark auf deutsche
Theoretiker wie Georg Rhau, Ottomar Luscinius und Sebaldus Heyden zuriickgreift und
mit seiner Darstellung von comma / \ diesis /^, kleinem >$< und grofiem ^ Halbton auffallt.
Gefolgschaft findet erinVincenzoLusitano. Bemerkenswert ist weiter Luigi Dentice,
der 1553 mit ,,Due dialoghi della musica" herauskam. Fur die Zeit ganz charakteristisch
ist die Einleitung des zweiten : Auf der Strafie begegnen sich Antonio Serone und Paolo Soardo,
der, eben aus einem trefflichen Konzert im Hause der Johanna von Aragon kommend, von
dem Ohrenschmaus erzahlt, den ihm Sanger und Instrumentalisten bereiteten; im Hand-
umdrehen sind beide in ein tiefes Gesprach iiber musikalische Satzkunst verwickelt.
An die Ramissche Lehre von der Abmessung der Intervalle schKefien sich Ludovico
Fogliano und Giuseppe Zarlino an, Fogliano (gest. 1539) in seiner ,,Musica theorica"
von 1529, Zarlino (151 7—90) in seinen ,,Istitutioni harmoniche" von 1558. Giuseppe
Zarlino, dieser grofie Chioggiote, Schiller von Adrian Willaert, bestimmt fur Jahrhunderte
Die Entwicklung der Musiktheorie seit dem Ende des 15. Jahrhunderts 1227
den Gang der Theorie. Seine ,,Istitutioni harmoniche" (1558), seine ,,Dimostrationi har
moniche" (1573) und seine ,,Sopplimenti musicali" (1588) sind geradezu Fundgruben musi-
kalischen Wissens. Heben wir nur die Hauptgedanken heraus. Die Sechszahl unter Zuhilfe-
nahme der ersten Kubikzahl enthalt alle konsonanten Intervalle. Fiir die Instrumente halt
er eine Temperatur fiir notig. Die Kunstlehre der Alten beschaftigt ihn lebendig: zu ihrer
Veranschaulichung bedient er sich eines Gravicembalo von Domenico Pesarese (1548). Ziem-
lich gleichzeitig kam Nicola Vicentino mit seinem Archicembalo heraus. Hochst bedeutsam
ist die Kontrapunktlehre Zarlinos mit ihrer meisterlichen Behandlung von Kanon und Fuge.
Nicht zu iibersehen ist seine Intervallcharakteristik. Grofie Terzen und Sexten erschemen
ihm munter, kleine lieblich mit Neigung zum Traurigen und Schmachtenden ; ihre haufige
Verwendung bestimmt den Charakter des Tonstiickes. Dissonanzen sind Jhm Bindemittel
zwischen den Konsonanzen. Als Hauptregeln gelten ihm: 1. Eine Komposition mufi im
wesentlichen aus Konsonanzen bestehen und eingemischt Dissonanzen aufweisen. —
2. Der Satz mufi sich gut entwickeln. — 3. Melodic und Harmonic miissen mannigfaltig
sein. — 4. Das Tonstiick muB einem bestimmten Ton angehoren. — 5. Die Harmonien
miissen dem Wortinhalte entsprechend gewahlt werden. Er betont die Bedeutung der
Kadenzen.
Die ganze Zeit steht unter dem Einflusse der Renaissance. Die Erkenntnis des griechischen
Geisteslebens wird angestrebt, die Sehnsucht nach der Wiederbelebung der Antike macht
sich auch in der Musik geltend. Zwei Theoretiker verdienen in dieser Richtung besondere
Beachtung: Nicola Vicentino und Vincenzo Galilei. Vicentino, der Verfasser der ,,An-
tica musica ridotta alia moderna prattica" (1555), glaubt allein das Wesen der antiken Musik
erfafit zu haben. Er sucht die drei Klanggeschlechter der Griechen wieder in die Praxis
einzufuhren, komponiert in ihnen und schafft Instrumente (Arciorgano und Archicembalo),
die die Wiedergabe seiner chromatischen und enharmonischen Kompositionen ermoglichen.
Der Punkt uber und unter einer Note zur Bezeichnung der Erhohung und Vertietimg um
eine Diesis spielt in seinen Werken eine Rolle. Seine Bestrebungen werden gestiitzt durch
Ercole Bottrigari (1531 —1612), einen vornehmen Bolognesen, der sich in seinem ,,Melone"
1599 bedingt als ein Anhanger des Vicentino entpuppt und sich im ,,Patrizio" (1593) und
auch im ,,Desiderio" (1594) durchaus als Aristoxeniker zu erkennen gibt. Er hat ein f eines
Verstandnis fiir die Theorie der Antike und hat sich Boethius und Macrobius durch Uber-
setzungen zuganglich gemacht.
Zarlino, Vicentino und Bottrigari werden bekampft durch Giovanni Maria Artusi,
einen streitbaren Bolognesen, der sich in seiner ,,Arte del contraponto" (1586) als ein txich-
tiger Theoretiker erweist und in seinem ,,Artusi" betitelten Werke (1600—03) besonders
gegen die Kompositionstechnik von Claudio Monteverdi anrennt.
Die groGten Erfolge beim Studium der Antike, in dem er reichste Unterstiitzung vom
Grafen Bardi di Vernio in Florenz fand, konnte Vincenzo Galilei (1533 bis nach 1589)
buchen, dessen ,,Dialogo della musica antica et della moderna"- 1581 und in 2. Auflage 1602
erschien. Er legt als erster griechische Melodien in der originalen Notation vor. Als ein
scharfer Gegner des Zarlino erweist er sich in seinem ,,Discorso" vom Jahre 1 589. Wie ernst
es die damaligen begiiterten Kreise mit dem Studium der Musik nehmen und welche gesell-
schaftliche Macht diese bedeutete, das ersehen wir aus den Briefen des Kardinals Pietr
78 H.d.M.
1 228 Die Entwicklung der Musiktheorie seit dem Ende des 13. Jahrhunderts
Bembo und des Niirnberger Patriziers Christof Kress, das zeigt uns vor allem der ,,Cortigiano"
(Hofmann) des Baldassare Castiglione (1528), und auf englischem Boden der ,,Compleat Gentle
man" von Henry Peacham 1622. Es gehorte zur guten Erziehung, einen Part vom Blatt zu
singen und aus dem Stegreif spielen zu konnen.
Auch Deutschland hat seit der Zeit Adams von Fulda an der theoretischen Entwicklung
regsten Anteil. Bedeutsam tritt die Literatur hervor, die im Reformations] ahrhundert far
den Gesanguntemcht der evangelischen Schulen geschaffen worden ist. Da diese am lateini-
schen wie deutschen Kirchendienst beteiligt wurden, so mufiten sie sowohl den Gregorianischen
Choral als auch die Figuralmusik beherrschen lernen. Gern wird der ganze elementare Lehr-
stoff in Dialogform behandelt. Aus der Masse der ziemlich gleichartig gestalteten Arbeiten
seien die Musiklehren von Martin Agricola (1528) far Magdeburg, von Georg Rhau (1530)
und Listenius (1533) fur Wittenberg, von Sebald Heyden (Ars canendi 1537) fur Nurn-
berg, von Lucas Lossius (1563) fur Liineburg, von Wolfgang Figulus (1565) fur Meifien,
von Callus Dresler (1571) fur Magdeburg, von Heinrich Faber, Gregor Faber, Ambrosius
Wilphlingseder und anderen herausgehoben. Selbst ein so umfassendes Werk wie das
Dodekachord von Glarean aus dem Jahre 1547 fand im Schulbetrieb Verwendung.
Historisch aufgerissen, voll tref fender Urteile iiber das kiinstlerische Schaffen so manchen
alten Meisters, liegt seine Hauptbedeutung in der theoretischen Erorterung von zwolf Ton-
arten gegeniiber den acht des Mittelalters ; die aus der Volkskunst bekannten Leitern auf
den Stufen a und c (Moll und Dur) werden in das System einbezogen. Besonders heraus
gehoben sei auch der ,,Micrologus" des Andreas Ornitoparch von 1517, weil hier die ver-
schiedenen Praktiken des aus dem Sprachgesang herausfliefiendeh kirchlichen accentus ein-
gehend behandelt werden. Die Lehre von den Kirchenakzenten, wie sie in den rezitativischen
Weisen der Kirche wirken, liegen hier vor.
Bedeutsamen Anteil am Ausbau der Theorie nimmt von jeher England. Erinnert sei nur
an Namen wie Alkuin, Jo. Cotto, Ailred, John of Salisbury, Adam von Dover, Gregor von
Bridlington, an den englischen Anonymus, der gegen 1270 die Musikverhaltnisse an Notre
Dame in Paris erforscht, an Jo. Garlandia den Alteren, Pseudo-Aristoteles, Walter Odington,
Jo. Garlandia den Jungeren, Hanboys, Robert of Brunham, Robert Trowell, Jo, de Muds,
Simon Tunstede, Theinred, John Torksey, Richard Cuttell und wie sie alle heifien, die vom
8. bis zum 15. Jahrhundert an der theoretischen Erkenntnis mitgearbeitet haben. Wir ge-
denken der beiden Musiker Lionel Power und Chilston, die um die Wende des 14. zum
15. Jahrhundert mit Guilelmus Monachus vornehmlich iiber die englischen Kontra-
punkttechniken von Gymel und Fauxbourdon im Zusammenhange mit der Lehre von den
sights berichten, Techniken, die wie ein harmonischer Sauerteig die ganze festlandische
Kontrapunktik durchsetzen. Hingewiesen sei auch noch einmal auf den bereits beriihrten
John Hothby, besonders mit seiner ,,Calliopea legale". Das 1 6. Jahrhundert kennt eigent-
lich nur einen bedeutenden englischen Traktat, die ,,Plaine and easie introduction to practicall
musicke" von Thomas Morley aus dem Jahre 1597; eine zweite Ausgabe erschien 1608,
ein Neudruck 1 771 . In Dialogform abgefafit, gibt er im ersten Teil das allgemeine musikalische
Riistzeug, um dann im 2. und 3. Teil Mehrstimmigkeit und Kontrapunkt zu behandeln.
Anschliefien lassen sich Thomas Ravenscrofts ,,Brief discourse of mensurable musick44
(1614) und Thomas Campions Kontrapunktlehre von 1618.
Die Entwicklung der Musiktheorie seit dem Ende des 15. Jahrhunderts 1229
Die Entwicklung zur Monodie im 1 6. Jahrhundert fuhrt notwendigerweise zur General-
baBpraxis, die sich auf einer alten Organistenpraxis aufbaut. Italien ging voran. Viadana
sei besonders erwahnt mit der Vorrede zu seinen ,,Concerti ecclesiastic! " (1602). Neben
kurzen Erorterungen in Emilio de* Cavalieris ,,Rappresentazione di anima e di corpo" und
Peris ,,Euridice", von der Verwendung der Zahlen in Caccinis ,,Euridice" ganz zu schweigen,
verdienen die Traktate von Bianciardi (Breve regola per imparar'a sonare sopra il basso
con ogni sorte d'istrumento", 21 sett. 1607) und Agazzari (Del sonare sopra '1 Basso con
tutti 11 stromenti e dell'uso loro nei conserti" 1607) besonders genannt zu werden. Die Ab-
weichungen von den tonalen Dreiklangsharmonien werden in Zahlen notiert Auf deutschem
Boden geben Gregor Aichinger, Michael Praetorius, Heinrich Albert, S.Th. Stade
zuerst theoretisch Rechenschaft iiber den Generalbafl, der schnell Allgemeingut wird, weil
er mit der neuen Praxis fest verwachsen ist. Und auch die alte Literatur eines Lasso und
Palestrina unterwirft sich ihm vollig. Eine Flut von Generalbafilehren ergiefit sich iiber alle
Under. Von deutschen hebe ich nur heraus: Werckmeister (1698), Heinichen (171 1),
Telemanns ,,Sing-, Spiel- und Generalbafiiibung" (1733/34), deren ausgefiihrte Bei-
spiele besonders lehrreich sind, Mattheson (1731), Sorge (1760), Marpurg (1745, 1752),
C. Ph. E. Bach (1762), Kirnberger (1781), Turk (1791) und viele andere mehr. Haben die
Generalbafilehren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts praktische Bedeutung und als Ziel,
den Generalbassisten fur Kirche, Theater, Konzert und Haus zu bilden, so bedeuten sie
fur das 19. Jahrhundert, wo der praktische Zweck hinfallig geworden ist, nur mehr eJne Schule
der Harmonik und, wie zu Bachs Zeit, eine Vorschule der Komposition.
Der Sinn fur Harmonic wird schon im Mittelalter lebendig. Ihre eigentliche Begrundung er-
fuhr die Harmonielehre aber erst in Frankreich durch Jean-Philippe Rameau (1683-1764).
Er knupft, wenn auch nicht gleich, an Zarlinos dualer Begrtindung der Harmonic an und
benutzt Sauveurs seit 1700 vorliegende Erkenntnis, dafi der Ton etwas Zusammengesetztes
sei und aus Grundton + Obertonen bestehe. Auch Tartinis Aufdcckung der Kombinations-
tone, die bis in das Jahr 1714 zuriickgeht, konnte ihm bekannt geworden sein. Ihm kommt es
darauf an, die wahren Grundlagen der Harmonic aufzuweisen. Bei jedem Ton klingen nach
ihm mit Oktav -f Quinte und Doppeloktav +Terz, die angenahert den Durdreiklang ergeben,
und schwingen mit die ticfere Oktave + Quinte und tiefere Doppeloktave + Terz, die an-
gcnahcrt zum Molldreiklang fiihren sollen. Beide Quinten eines Grundtons vereinigen sich
aber im Septimenakkord, der Grundlage aller Dissonanzen. Die Quinten sind harmonic
bildend, die Terzen variieren sie. Dem Generalbafi stellt er seinen GrundbaC (basse fonda^
mentale) gegenuber, der die Grundtone aller Akkorde in der Stammlage verbindet^ zwar
nicht erklingt, aber die harmonischen Beziehungen klarlegt. Hat er doch im ,,Traite' von
1722 auf die Identitat der Akkorde in Stammlage und Umkehrungen hingewiesen. Er erkennt
die leiterbildende Bedeutung der Dreiklange von Dominante und Subdominante und ftigt
dem Dominantdreiklang die Septime und dem Subdominantdreiklang die Sexte hinzu. Rar
meaus Lehre fand geteilte Aufnahme: gegen sie erklarten sich z.B. der Akustiker Cartel,
J.J.Rousseau und die Enzyklopadisten (Baron Grimm), zu schweigen von Kirnberger;
fur sie traten ein d'Alembert, dessen Rameaus ,,D^monstration4' glossierende ,,Elemens de
musiquc" (1752) bereits 1757 von Marpurg ubersetzt wurden, und neben Marpurg auch
der Deutsche Daube. Von Rameaus Arbeiten seien besonders sein ,,Nouveau systeme thfo-
78*
] 930 ^e Entwicklung der Musiktheorie seit dem Ende des 13. Jahrhunderts
rique" (1726), seine ^Generation harmonique" (1737) und seine ,, Demonstration du principe
de rharmonie4' (1750) herausgehoben.
Auf die Verschiedenheit der Bezifferung will ich nicht eingehen, sondern nur die Regel-
losigkeit auf franzosischem Boden betonen, die durch Rameaus Tabelle in seiner ,,Dissertation*'
von 1732 evident wird. Darin schafft auch er nicht Wandel. Erst Gottfried Weber (1822)
fuhrt Rameaus Reformgedanken erfolgreich weiter; der grofie Buchstabe verkorpert ihm
den Durdreiklang, der kleine den Molldreiklang.
Aus der weiteren Entwicklung seien besonders die Bestrebungen von Moritz Hauptmann
(,,Natur der Harmonik" 1853) und A. von Oettingen (,,Harmoniesystem in dualer Ent
wicklung" 1866) herausgehoben, die Moll als Umkehrung von Dur ansehen. Oettingen
zieht auch die Konsequenz daraus und betrachtet den Molldreiklang von seiner Dominante
aus: <T bedeutet ihm C-dur (C E G), g° c-moll (g es c), Vorwarts schritt auf diesem Wege
Hugo Riemann mit seinen Funktionsbezeichnungen, die den Gang der Modulation vollig
klarstellen. Jeder Akkord wird nach der Bedeutung seines Grundtons als Tonika- (T), Do
minant- (D) und Subdominantklang (S) als Dur- (+) oder Molldreiklang (o), als Paralleling
(p), welcher statt der Quinte die Sexte verwendet, als Leittonwechselklang usw. bezeichnet.
Ein Mittelsmann zu seiner Theorie war ihm Otto Tiersch, dessen ,,System und Methode"
1868 erschien.
Es ware miifiig, alle die Theorielehren aufzufuhren, die sich zum Teil auf den Forschungen
von Rameau aufbauen. Ihre Zahl ist unendlich grofi. Darunter befindet sich so manches
treffliche Werk von Vogler, Reicha, Fetis, Dehn iiber Harmonielehren eines Richter,
Jadassohn, Louis und Thuille, Schreyer, Juon, Krehl, Schenker, Georg Capellen mit seiner
neuen Terminologie bis hin zu Werken eines Schonberg, der richtunggebend fur die Theorie
der Neueren wurde.
Neben den Harmonielehren bewahrten aber die Kontrapunktle hren ihre Bedeutung.
Zar linos geniale Arbeiten wirkten sich in der Theorie des ganzen Kontinents aus. Sein Schiiler
Jan Pieter Sweelinck schuf ihm in den Niederlanden Anerkennung und durch dessen Schiiler
Praetorius, Scheidt, Schild, Siefert auch in Norddeutschland Boden. Ebenso erlag Mittel-
deutschland dem Einflusse Zarlinos. Seth Calvisius, Lippius, Baryphonus, Johann
Cruger und manchen andern sehen wir in seinem Gefolge. Aber bei aller Gebundenheit
lassen sich bei diesen doch eigene Ziige beobachten, die vor allem in der harmonischen Durch-
dringung des kontrapunktischen Stoffes zu erkennen sind, noch schwach bei Calvisius in seiner
,,Melopoiia" von 1592 und bei Lippius in seiner ,,Synopsis musica" von 1 612, immer deut-
licher aber bei Baryphonus in seinen ,,Plejades musica** von 1615 und bei Johann Cruger,
dem Berliner Kantor an St. Nikolai, in seiner „ Synopsis musica** von 1624, die auch unter
Sweelinckschem Einflusse steht, gerade so wie die handschriftlich erhaltenen ^Compositions-
regeln Johann Adam Re in kens. Ja, bis in die neuere Zeit reicht Zarlinos EinfluB. Denn
was Fux 1725 in seinem ,,Gradus ad Parnassum", und im AnschluB daran Heinrich Seller-
mann in seinem ,,Kontrapunkt** darbietet, ist zum Teil auf Zarlinos Lehre aufgebaut.
Eine zweite Gruppe von Arbeiten schlieBt sich an Heinrich Schlitz an, der nur gelegentlich
in der Vorrede zu seiner ,,Geistlichen Chormusik*' (1648) die Grundgedanken seiner Theorie
erkennen lafit, aber sich ganz in den theoretischen Arbeiten seines Schulers ChristopH Bern-
hard offenbart. Drei Arbeiten Bernhards stehen in Frage: seine ,,Singekunst", die die Jugend
Die Entwicklung der MusiktKeorie seit dem Ende des 15. Jahrhunderts 1231
zum Singen anleiten und in die {Composition einfuhren will, sein ,,Bericht von dem Gebrauch
der Kon- und Dissonanzen" und sein ,,Tractatus compositionis augmentatus", in dessen
Mittelpunkt wie bei Zarlino die Behandlung des doppelten Kontrapunktes steht. Diesen
Traktaten sind gleich die ,,Fundamenta compositonis" Johann Kuhnaus von 1703 an-
zuschliefien, die sich auf Bernhard stiitzen. Eine dritte Gruppe nimmt von Michael
Praetorius (1571 — 1621), dem Wolfenbiittler Kapellmeister, Ausgang. Als Praktiker be-
sonders fur die kirchliche Kunst von hoher Bedeutung, hat er auch als Theoretiker mit
seinem ,,Syntagma musicum" wertvollstes Gut hingestellt. Das Werk ist geradezu der
Schliissel fur die Auffiihrungspraxis seiner und der vorangehenden Zeit. Dazu werden alle
Fragen der Theorie behandelt und eine Instrumentenkunde geboten, wie sie besser jene Zeit
nicht kannte. Von ihm abhangig ist der Niirnberger Johann Andreas Herbst (1588—1666),
Kapellmeister zu Frankfurt a. M., der besonders mit seiner ,,Musica poetica" 1643 und
seiner ,,Arte prattica et poetica*' 1653 in den Vordergrund riickt. Charakteristisch fur jene
Zeit ist auch die Tatigkeit von Andreas Werckmeister. Seine Werke stehen in engster
Beziehung zur zahlengemafien Erfassung der Musik; er ist nach Versuchen mit ungleich
schwebender Temperatur, die sich bei Arnold Schlick (1511), Pietro Aron (1523), Fogliano
(1529), Vicentino(1555), Zarlino (1558), Robert Smith, Mersenne, Gio. Battista Doni, Sorge
und vielen anderen nachweisen lassen, wohl der erste, der mit Nachdruck fur die gleich-
schwebende Temperatur eintritt. Seine Hauptwerke sind: der ,,Hodegus musicae mathe-
maticae" von 1686, die ,,Musikalische Temperatur" von 1697 und die auf dem GeneralbaB
aufgebaute Kompositionslehre, die ,,Harmonologia musica" von 1702. Ihm anzureihen ist
Johann GeorgNeidhardt, der in drei Werken (,,Die beste und leichteste Temperatur der
Monochordi", 1706, ,,Sectio canonis", 1724, und ,,Ganzlich erschopfte mathematische
Abteilung", 1732) zur Temperatur Stellung nahm, und auch Marpurg mit seinem
,,Versuch iiber die musikalische Temperatur" (1776),
Ansehen besafi um die Wende des 17. Jahrhunderts auch der ,,Musico Prattico" von Gio
vanni Maria Bononcini (1673); in einer Ubersetzung, die 1701 bei Treu in Stuttgart ausging,
scheint das Werk ziemliche Verbreitung gefunden zu haben. Ebenso spielt Giacomo Caris-
simis(?) ,,Wegweiser" in der theoretischen Literatur eine Rolle. GewissermaBen eine
Synthese aller dieser Werke stellt Johann Gottfried Walt hers ,,Kompositionslehre" dar.
Das 18. Jahrhundert ist nicht gerade reich an umwalzenden Problemen. Es weist eine
Reihe von Musikern auf, die nicht nur als Praktiker ihren Mann stehen, sondern auch iiber
ihre Kunst nachdenken und zu schreiben vermogen, wie Kuhnau, Fux, Mattheson, Tele-
mann, Walther, Marpurg, Kirnberger, Reichardt, eine Reihe, die sich im 19. Jahrhundert fort-
setzt: man denke nur an C. M. v. Weber, Schumann, Liszt, Wagner, P. Cornelius, Pfitzner,
Schreker, Schenker u. a. m. Nicht zu vergessen sind auch Quantz, C.Ph. E. Bach, Leopold
Mozart, Jo. Friedr. Agricola, Jo. Adam Hiller und auf franzosischem Boden J. P. Rameau,
J.J.Rousseau, Gr&ry, Berlioz.
Beriihrt sei jedoch nochmals die praktische Theorie. Es ist im ganzen genornmen keine
grofie Entwicklung zu erkennen trotz der grofien Wandlungen, die sich in der Musik voll-
/ogen. Dickleibige Werke erscheinen, die den ganzen Bereich der praktischen Theorie zum
Teil mit neuen Methoden zu umfassen suchen, wie Abt Voglers ,,Mannheimer Tonschule",
wie Reichas ,,TraIte de haute composition", Marx' ,,Lehre von der musikalischen Korn-
J232 Die Entwicklung der Musiktheorie seit dem Ende des 15. Jahrhunderts
position", Sechters Werke oder Anton Andres ,,Lehrbuch der Tonsatzkunst", urn nur
wenige herauszugreifen. Es erschienen aber auch umfassende Einzeldarstellungen, wie
Cherubinis wertvoller ,,Cours de contrepoint", Fetis interessanter ,,Traite de contrepoint
et de la fugue" oder Prouts ,,Counterpoint". Der Inhalt blieb jedoch im wesentlichen un~
verandert; das Schulbeispiel herrschte meist. Kein Wunder, dafi da der Gedanke auftauckte,
die Theorie starker mit der lebendigen Kunst zu verbinden. War diese Sachlage doch im
16. Jahrhundert die gegebene, und hatte auch schon z. B. Padre Martini in seinem Werke
,,Esemplare o sia saggio fondamentale pratico di contrappunto" gezeigt, wie anschaulich und
gangbar dieser Weg war. Im 19. Jahrhundert kniipfen besonders Hugo Riemann in seiner
,,GroCen Kompositionslehre", Johannes Schreyer, Ernst Kurth und Schenker in seinen
,,Neuen musikalischen Theorien" (1906—22) hieran an.
Daneben wurden auch bisher mehr oder weniger vernachlassigte Gebiete der Tonsetzkunst
angebaut. Hector Berlioz verfafit seinen ,,Traite ^instrumentation", der noch heute seine
Giiltigkeit hat. Rudolf Westphal, Hugo Riemann, Matthis Lussy, Jaques-Dalcroze,
Wiehmayer, Tetzel und bedingt auch Rutz wenden sich der Rhythmik zu. Der Erziehung
des Musiksinns wird seit Max Battke grofiere Aufmerksamkeit zugewendet. Besonders im
Bereiche der Schule entsteht eine z.T. bedeutsame Literatur; erinnert sei nur an Namen
wie Jode, Henselt, Marcus, Miinnich, Walter Ktihn. Dem Musikdiktat wird mit
Recht hoher Wert beigemessen. Der Bau von Melodien und Satzen wird untersucht, der
Wert der Analysen erkannt, aber auch zum Teil iiberschatzt. Die Phrasierungslehre Hugo
Riemanns ist ohne Frage erkenntnisfordernd, aber zu stark betont worden (Phrasierungs-
ausgaben). Der angestrebte, viel starkere geistige Einschlag ist besonders in Ernst Kurths
Werken herauszuheben, in denen sich Theorie, Geschichte, Psychologic und Asthetik die
Hand reichen. Hingewiesen sei nur auf seine ,,Romantische Harmonik" und seine ,,Grund-
lagen des linearen Kontrapunkts" (1917).
Eine neue Zeit bricht an, nicht erst durch den verlorenen Krieg in die Wege geleitet, sondern
bereits angebahnt durch die starke modulatorische Bewegung bei Meistern des ausgehenden
19. Jahrhunderts. Die Theorie hat bereits begonnen, fur diese Neuerungen klare Formeln
zu suchen. Erinnert sei nur an Schriften wie Schonbergs Harmonielehre, Gentilis
,,Nuova teoria dell'harmonia", Erpfs ,,Studien zur Harmonic- und Klangtechnik der
neueren Musik" oder an die Joseph Hauers, wie z. B. seine ,,Zwolftontechnik".
Literatur
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Musikwissenschaft ] 233
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Johannes Wolf.
MUSIKWISSENSCHAFT
Guido Adler hat 1885 die ,,VierteIjahrsschrift fur Musikwissenschaft" mit der Studie
,,Umfang, Methode und Ziele der Musikwissenschaft" eroffnet, worin dieser Erkenntniszweig
folgendermafien abgegrenzt wird:
I. Historischer Teil: A. Notenschriftwesen.
B. Kunstform (in modern wissenschaftlicher Erfassung).
C. Theorie des Tonsatzes (in zeitgenossischer Formulierung).
D. Instrumente.
Hilfswissenschaften : Palaographie, Chronologie, Diplomatik, Literaturgeschichte,
Biographistik.
II. Systematischer Teil; A. Spekulative Theorie (Harmonik, Rhythmik, Metrik).
B. Asthetik.
C. Padagogik (Elementarlehre, Harmonielehre, Kontrapunkt,
Komposition, Instrumentation, Methodik).
D. Musikologie (musikalische Ethnographic).
Hilfswissenschaften : Akustik, Mathematik, Physiologic, Psychologic, Logik, Gramma-
tik, allgemeine Padagogik, allgemeine Asthetik.
In dieser erschopfenden Umgrenzung bedeutet die Musikwissenschaft selbst fur die moderne
Forschung noch ein vielfach erst zu erfullendes Programm. Moderne Werke, die beide Teile,
von den Hilfswissenschaften ganz abgesehen, durcharbeiteten, gibt es (aufler Lexicis und
wenigen in grofien Ziigen orientierenden Biichern, wie Hugo Riemanns ,,Grundrifi der Musik
wissenschaft** ) noch nicht. Die Oberfiille der Erkenntnisse und Probleme zwingt zu weit-
gehender Spezialisierung. Auch die modernste Literatur behandelt entweder den historischen
oder den systematischen Teil. Von historischen Werken gibt es allgemeine Musikgeschichten
(Originalarbeiten und Kompendien), Spezialarbeiten (nach Kompositionsgattungen, Zeitab-
schnitten und Territorien gesondert), Biographien einzelner Meister, ferner Neudrucke von
Musikwerken und theoretischen Schriften alterer Epochen, endlich erkenntnistheoretische
Werke (wie Guido Adlers ,,Stil in der Musik" und ,,Methode der Musikgeschichte"). Die
systematische Literatur entbehrt sogar zusammenfassender Kompendien iiber alle Jhre
vier Zweige ganz; sie besteht aus kompositionstechnischen Arbeiten, die ausnahmslos Lehr-
zwecke verfolgen und daher die theoretischen Auseinandersetzungen mit didaktischen Obungen
verbinden (die grofien, von der Elementarlehre bis zur Instrumentation handelnden Kompo-
sitionslehren), Einzeldarstellungen aus diesen Gebieten (Harmonielehren, Kontrapunktlehren
usw,)» Instrumenten- und Gesangsschulen, Werken iiber Musikasthetik und solchen liber
Musikwissenschaft
Musikologie, die sich zur ,,vergleichenden Musilcwissenschaft" entwickelt hat. Es sei nun in
groBten Ziigen die allmahliche Herausbildung dieser Verhaltnisse der Gegenwart untersucht.
Wie auf alien Erkenntnisgebieten standen die Griechen auch in der Musikwissenschaft
auf einer Hohe, die nach der Zerstorung der antiken Kultur durch die Volkerwanderung erst
allmaHich im Laufe vieler Jahrhunderte wieder erreicht werden konnte. Freilich war die
griechische Kultur das Endergebnis einer langen in Vorderasien und Agypten vollzogenen
Entwicklung, deren Verlauf, wenigstens in der Musikwissenschaft, so gut wie unbekannt ist.
Was die griechische und die nach ihrem Vorbilde angelegte romische musiktheoretische Lite-
ratur auszeichnet, ist das Vorkommen vollstandiger systematischer Kompendien (die Musiko-
logie ausgenommen), in die auch die gesamte Akustik aufgenommen ist. Naheres daruber ent-
halt das betreffende Kapitel dieses Handbuches. Historische Notizen finden sich nur gelegent-
lich, das Interesse fur die Musik der Vergangenheit war Idein, die Praxis der jeweiligen Gegen
wart steht im Vordergrunde. Daneben sind zahlreiche Abhandlungen iiber Einzelgebiete aus
Theorie, Akustik und Asthetik erhalten.
Die Musikwissenschaft des Mittelalters ist wie die aller Zeiten als Bestandteil der all-
gemeinen Erkenntnis von der Jewells herrschenden philosophischen Denkungsart abhangig,
also in diesem Falle von der scholastischen Philosophic. Deren Grundprinzipien waren die
Vereinbarung der antiken Erkenntnisse mit den kirchlichen Dogmen und kunstlerischen An-
schauungen und ein gewisses Bestreben, Fernerstehende durch formale Schwierigkeiten der
Gedankenfassung am Eindringen in den Wissensschatz zu behindern. So stellt sich die mittel-
alterliche Theorie anfangs als schwacher Versuch dar, die antike kompendiose Vereinigung von
Akustik, Notations- und Kompositionslehre in mehr oder minder den neuen Verhaltnissen
(Gregorianischer Choral usw.) angepafiter Art weiterzuf iihren . Auch hier sei betreffs der
wichtigen Werke und Autoren auf die Spezialkapitel des Handbuches verwiesen. Wieder fehlt
ernsthafte Beschaftigung mit vergangenen Verhaltnissen fast ganz, die historischen Riickblicke
beschranken sich auf Zusammenstellungen die Musik betreffender Stellen aus der Bibel und
antiken Sagen. Die Absicht, Laien abzuschrecken, ist oft unverkennbar, wenn einfache Dinge
in ein geheimnisvolles Gewand gekleidet und wichtige Punkte umgangen, offenbar mundlicher,
unmittelbarer Unterweisung vorbehalten werden. Auch die Notationspraxis zeigt vielfach
dieses Bestreben. Neben den grofien Kompendien erscheinen zahlreiche Traktate iiber Einzel
gebiete. Erst vom 13. Jahrhundert an ftihrt die durch das Oberhandnehmen der Mehrstimmig-
keit erfolgte vollstandige Anderung der Musikverhaltnisse zur allmahlichen Ablosung von der
antiken Theorie, aber freilich erst recht nicht zum Interesse fur die musikalische Vergangenheit.
Die seit dem 14. Jahrhundert immer wieder einsetzenden Renaissancebestrebungen
bringen mit der empirischen und rationalistischen Philosophic, dem Humanismus und der
Erfindung des Buchdrucks auch der Musikwissenschaft neue Antriebe. Die Autoren befleifiigen
sich klarerer Formulierungen und im 16. Jahrhundert (theoretische Hauptwerke Henricus
Loritus Glareanus ,,Dodekachordon ', Basel 1547, und Gioseffo Zarlino ,,Istituzioni har-
moniche", 1558, ,,Dimostrazioni harmoniche", 1571, ,,Sopplimenti musicali", 1588) erwacht
endlich auch historisches Interesse, allerdings nur fur die antike Musik. Dieses Interesse lauft
in Plane zur Wiederbelebung der griechischen Tonkunst aus und unternimmt drei Vorstofie
in die musikalische Praxis (um 1500 die ,,Humanistenodeni<, um 1540 die ,,Neue Chromatik"
im Madrigal, um 1580 die ,,Monodie"). Die gleichzeitig einsetzende starke Vermehrung der
Musikwissenschaft ] 235
Literatur, besonders der gesangs- und instrumentaltechnischen, geht mit auf die groBere
Verbreitungsmoglichkeit solcher Werke durch den Buchdruck zurlick.
Auch das 17. Jahrhundert und die erste Halfte des 18. kennt historische Aufmerksamkeit
nur fur die antike Musik. Die grofien Kompendien freilich (von Marin Mersenne, 1588
bis 1648, Giovanni Battista Doni, 1593—1647, Rene Descartes, 1596—1650, Athana-
sius Kircher, 1602 — 80, und anderen) weisen eine solche Materialflille und Grundlichkeit
auf, dafi die Hb'he der antiken Musiktheorie endlich wiedererreicht erscheint, wenn auch unter
ganz andern Verhaltnissen ; daran andert der Umstand nichts, da8 neben ausgezeichneten Be-
obachtungen oder Deduktionen Beweise naivster Vertrauensseligkeit fremden ,,Beobachtungen"
gegeniiber stehen. Auch die padagogischen Spezialarbeiten der Zeit (von Caccinis Vorrede
zuden ,,Nuove musiche", 1602, und Michael Prat or i us* ,,Syntagma musicum", 1615—20,
bis zu Pier Francesco Tosis ,,Anleitung zur Singkunst", 1723, Joachim Quantz' ,,Versuch
einer Anweisung, die Flote traversiere zu spielen", 1752, Philipp Emanuel Bachs ,,Versuch
iiber die wahre Art, das Clavier zuspielen", 1753—62, und Leopold Mozarts ,,Versuch einer
griindlichen Violinschule", 1 756) lassen an Grundlichkeit und Klarheit nichts zu wiinschen tibrig.
Erst die zweite Halfte des 18. Jahrhunderts, das Zeitalter der Aufklarungsphilosophie, wandte
ihr Interesse der Kunst der Vergangenheit zu und zwar bezeichnenderweise unter Englands
Fiihrung. Wie nach Eintritt des Verfalls der griechischen Musik im 4. Jahrhundert vor Christus
die Musiktheorie emporgebliiht war, so traten in England nach dem Versiegen der eigenen
Produktion (um 1700) Theorie und Geschichte der Musik in den Gesichtskreis zahlreicher
Musikbeflissener. 1710 begriindete Dr. Johann Christoph Pepuschin London die „ Academy
of ancient music" und 1776 erschienen ,,A general history of the science and practice of music*'
von John Hawkins (1719—1789) und der erste Band von ,,A general history of music" des
Dr. Charles Burney (1726—1814, letzter Band 1789). Vorher (1756) hatte freilich schon das
Werk eines Italieners zu erscheinen begonnen, die ,,Storia della musica" von Padre Giam-
battista Martini (1706—84, letzter Band 1781), doch kam dieser iiber die griechische Musik
nicht hinaus, wahrend die beiden englischen Musikgeschichten den gesamten Stoff erledigten.
1780 folgte dann der ,, Essay sur la musique ancienne et moderne" von Jean Benjamin de
Labor de und 1788—1801 das erste deutsche Werk dieser Art, die ,,AUgemeine Geschichte
der Musik" von Johann Nikolaus Forkel (1749—1818), die leider mit dem Jahre 1500 ab-
schliefit, Ein ahnliches Schicksal hatten die spateren Werke von August Wilhelm Ambros
(1816—76) ,,Geschichte der Musik" (1862—82 erschienen, geht bis zum Beginn des 17. Jahr
hunderts) und Francois Joseph F6tis (1784—1871), ,,Histoire generale de la musique" (er
schienen 1869—75, reicht bis 1500). Die Oberfulle des Materials erforderte eben Speziali-
sierung der Forschungsarbeit und so ist es erklarlich, dafi selbst das ,,Handbuch der Musik-
geschichte" von Hugo Riemann (1905 — 13 erschienen) trotz des Versuches der Zusammen-
fassung nur als eine Folge von Spezialstudien iiber einzelne Probleme erscheint, die den Autor
besonders fesselten. Die englische ,,0xford history of music" (1901—05 erschienen) suchte
die Aufgabe durch Zuweisung der einzelnen grofien Epochen an verschiedene Bearbeiter zu
erfiillen (H. Ellis Wooldndge, Hubert H. Parry, John Alexander Fuller -Maitland,
William Harry Hadow, Edward Dannreuther), wahrend die von Hermann Kretzschmar
herausgegebenen ,,Kleinen Handbiicher der Musikgeschichte" den Stoff in seine Einzelgebiete
(Instrumentalkonzert, Qratorium, Motette, Messe, Lied usw.) auflosen, die von SpezialJsten
]236 Musikwissenschaft
bearbeitet werden. Einen ganz neuen, beide eben erwahnten Arbeitsmethoden kombmierenden
Weg schlagt das vorliegende Handbuch ein, das im Rahmen eines einheitlichen Werkes Spe-
zialistenarbeiten iiber die einzelnen Perioden und Abschnitte der Entwicklung zusammen-
schliefit. Sehr zahlreich sind dagegen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die kompilatorisch
gearbeiteten Handbiicher, von denen genannt seien Arrey von Dommers ,, Handbuch der
Musikgeschichte" (3. Auflage 1914 von Arnold Sobering neubearbeitet), August ReiB-
manns ,,Allgemeine Geschichte der Musik*', John Frederic Rowbothams ,,A history of
music", Adolf Prosniz' , Compendium der Musikgeschichte*', Emil Naumanns ,,Illustrierte
Musikgeschichte*' (neubearbeitet von Eugen Schmitz 1908), Heinrich Adolf Kostlins
,,Musikgeschichte im Umrifi", Karl Storcks ,, Geschichte der Musik", Hugo Riemanns
,,Kleines Handbuch der Musikgeschichte" und Johannes Wolfs ,, Geschichte der Musik."
Die Hauptmasse der modernen musikhistorischen Literatur bilden naturgemafi Spezialarbeiten
und Biographien; letztere werden ebenfalls seit den englischen Forschern am Ende des
18. Jahrhunderts (z. B. Hawkins' Monographic liber Corelli 1777) reichlicher. Die metho-
disch und in ihren Resultaten wichtigsten Lebensbeschreibungen sind in den Literatur-
angaben der einzelnen Abschnitte des Handbuches verzeichnet.
Die musikgeschichtlichen Arbeiten bis ungefahr 1800 waren nach dem Prinzip abgefaflt,
die Erkenntnis iiber eine Zeit einzig deren eigenen AuBerungen zu entnehmen. Die Methode
besteht also in der Aneinanderreihung und Auslegung von Zitaten aus Schriftstellern des be-
treffenden Zeitraumes, erhartet und erlautert durch Musikbeispiele. So entstehen in erster
Linie grofie Materialsammlungen. Die erste Halfte des 1 9. Jahrhunderts schuf zwei weitere
Arbeitsweisen : eine rein gefiihlsmafiige, vom Standpunkt des ,, modernen** Musikers aus
asthetisierende und eine an die altere Methode ankniipfende, die aber auch der eigenen An-
schauung und sachlichen Beurteilung ihren Platz einraumt. Dabei wird auf sprachlich vollendete
Darstellung gesehen und nur das Ergebnis, nicht der zu diesem fiihrende analytisch-synthe-
tische Weg vorgefiihrt. Den Hohepunkt dieser z. B. von Rafael Kiesewetter in seiner ,,Ge~
schichte der europaisch-abendlandischen und unserer heutigen Musik'* (1834) vertretenen
Arbeitsweise bilden die Werke von Ambros und F&is. Natiirlich fehlt es nicht an alien er-
denklichen Verquickungen der asthetisierenden und der exakten Geschichtsschreibung. Seither
ist man bemiiht, da's Asthetisieren zu einer wirklichen Musikasthetik auszubauen und so den
Inhaltsproblemen der Tonkunst beizukommen (Hermann Kretzschmars ,,Musikalische
Hermeneutik'*). Andererseits wurde von Guido Adler die exakte stilkritische Methode be-
hufs Ausbaues einer kompositionstechnisch, kulturhistorisch, psychologisch und iisthetisch
fundierten Stilgeschichte begriindet und erlautert (,,Stil in der Musik'* und ,,Methode der
Musikgeschichte**). Letzterer Arbeitsweise haben besonders die analytischen Untersuchungen
der englischen Forscher George Grove (1820—1900), Ebenezer Prout (1835—1909) u. a,
vorgearbeitet. Selbstverstandlich wird als Kontrolle der Autopsie nach wie vor die eigene
Literatur der zu untersuchenden Epoche herangezogen und grofies Gewicht auf die Wirkung
moglichst originalgetreuer Auffiihrungen alter Musik gelegt. Der Ermoglichung dieser Kon-
trollmittel dienen Neuausgaben alterer Tonwerke und Musiktraktate, hervorgegangen aus den
Notenbeispielen und Zitaten der ersten Geschichtswerke. Die erste grofie Sammlung mittel-
alterlicher Musiktheoretiker sind die ,,Scriptores ecclesiastici de musica sacra potissimum4' des
Furstabtes Martin Gerbert (1784 erschienen, 1908 neu gedruckt), 1864—76 folgten die
Musikwissenschaft 1 237
,,Scriptores de musica medii aevi" von Charles Edmond Henry de Cousse maker (gleichfalls
1908 neu aufgelegt). Ein Internationales, von Guido Adler geleitetes ,,Corpus scriptorum de
musica" mufite vorlaufig zuriickgestellt werden. 1771 veranstaltete Burney eine Ausgabe der
Gesange der Karwoche in der Sixtinischen Kapelle zu Rom und gab damit den Anstofi zu
zahlreichen mehr oder weniger originalgetreuen Editionen alterer Musik, die in der zweiten
Halfte des 19. Jahrhunderts durch die wissenschaftlich-kritischen Gesamt- und Denkmaler-
ausgaben abgelost wurden. Diese sind in den Literaturverzeichnissen der einzelnen Kapitel
des Handbuches zu ersehen; in Deutschland beziehungsweise Osterreich verkniipfen sich da
mit in erster Linie die Namen der Forscher Friedrich Chrysander (1826—1901), Robert
Eitner (1832—1905), Franz Commer (1813—1887), Otto Kade (1819—1900), Philipp
Spitta (1841—94), Guido Adler (geb. 1855), Rochus Freih. von Liliencron (1820—1912),
Hermann Kretzsch mar (1848— 1924) und Adolf Sandberger (geb. 1864). Ein 1887 den
Regierungen von Osterreich und Deutschland vorgelegter Plan Guido Adlers, die musikalischen
Denkmaler aller Kulturnationen im Verein herauszugeben, fand in Deutschland keine Folge
und es begannen 1892 die ,,Denkmaler deutscher Tonkunst" und 1894 die ,,Denkmaler der
Tonkunst in Osterreich*' zu erscheinen. Die wichtigsten aufierdeutschen Denkmaler-Edi-
toren sind fur Frankreich: Henry Expert (geb. 1863), Alexander Guilmant (1837 bis
1911), Vincent d'Indy (geb. 1851) und Charles Malher be (1853—1911), fur Italian:
Gaetano Cesari (geb. 1870), Oskar Chilesotti (1848—1916) und Luigi Torchi (1858
bis 1920), fur England: John Alexander Fuller-Maitland (geb. 1856), William Barclay
Squire (geb. 1855) und H. Ellis Wooldridge (geb. 1845), fur die Niederlande:
Robert JulienvanMaldeghem(1810— 1893) und Albert Smijers (geb. 1888), fiirSpani en:
Francesco Asenjo Barbieri (1823—1894), Don Miguel Hilarion Eslava (1807—1878) und
Felipe Pedrell (1841-1922), fur Polen: Josef Surzyriski (1851-1919).
Mit einem Teile der eben angefiihrten Namen ist auch die Aufstellung und Inswerksetzung
der modernen Musikwissenschaft verbunden. Chrysander liefi 1863 und 1867 ,Jahr-
biicher fiir musikalische Wissenschaft" erscheinen, deren 1 . Band eine knappe programmatische
EJnleitung enthalt. 1 884 begriindete Adler mit.Chrysander und Philipp Spitta die ,,Viertel-
jahrsschrift fiir Musikwissenschaft*', deren Programm die eingangs zitierte Studie Adlers
iiber ,,Umfang, Methode und Zicle der Musikwissenschaft" festlegte. Damit war der Begriff
aufgestellt und scharf umrissen und gleichzeitig ein wissenschaftliches Organ fiir Arbeiten auf
alien Teilgebieten geschaffen. Die Musikologie wuchs sich, ausgehend von den (oft sehr
merkwiirdigen) Notizen der Forscher des 17. und 18. Jahrhunderts, im 19. zur ,,Verglei~
chenden Musikwissenschaft" aus. Die wichtigsten Etappen dieser Entwicklung be-
zeichnen die Namen Alexander John Ellis (1814—90), Richard Wallaschek (1860—1917),
Karl Stumpf (geb. 1 848), Erich M. vonHornbostel(geb. 1877), Julien Tier sot (geb. 1857),
Pierre Aubry (1874—1910) und Robert Lach (geb. 1874). Ein Hinweis auf die machtige
Erweiterung der iibrigen Literatur des systematischen Teils der Musikwissenschaft ist kaum
notwendig. Die Lexikographie, mit dem ,,Terminorum musicae difinitorium" des Johannes
Tinctoris (um 1475) beginnend, nahm erst im Zeitalter der Enzyklopadisten einen grofieren
Aufschwung (Johann Gottfried Walthers ,,Musikalisches Lexikon", 1732, J.J.Rousseau,
,,Dictionnaire de musique**, 1767), hatte in der Zeit der ersten Musikgeschichten ihren Haupt-
vertreter in Ernst Ludwig Gerber (Lexika von 1791 — 92 und 1812 — 14) und wuchs im
] 238 Musikwissenschaft
19. Jahrhundert seit der ,,Biographie universelle des musicians" von Fetis (1837—44) gewaltig
an. Nur Riemanns ..Musildexikon" und George Groves Dictionary of music and musi
cians*' seien hier genannt.
Mit den .Jahrbiichern" Chrysanders und der ,,Vierteljahrsschrift" haben wir das
Gebiet periodischer Veroffentlichungen betreten.
Rein musikwissenschaftliche Tendenz vertreten die ,,Monatshefte fur Musikge-
schichte" (redigiert von Robert Eitner, 1869—1905), ,,Kirchenmusikalisches Jahr-
buch" (1886—1911), die Publikationen der ,,Internationalen Musikgesellschaft"
(,,Zeitschrift", ,,Sammelbande' ', ,,Beihefte' ', ,,Kongrefiberichte", 1899—1914), das ,,Jahr~
buch der Musikbibliothek Peters" (seit 1895), die ,,Zeitschrift fiir Musik
wissenschaft" der Deutschen Musikgesellschaft (seit 1918) und das ,,Archiv fiir
Musikwissenschaft"(1918— 1 927) des Musikwissenschaftlichen Instituts in Biickeburg1) ;
als Jahrbiicher erscheinen seit 1913 die ,,Studien zur Musikwissenschaft, Bei-
hefte der Denkmaler der Tonkunst in Osterreich". Von nichtdeutschen Or-
ganen dieser Art sind besonders hervorzuheben : ,,Rivista musicale Italiana" (Bocca,
Turin, seit 1894), ,,Tribune de St. Gervais" (seit 1895), ,,Revue musicale' (seit 1901,
neu 1920), ,,The musical Antiquary" (1909—13), ,,The musical Quarterly" (New York,
seit 1915), ,,Tijdschrift der Vereeniging voor Noordnederlands Muziekgeschiedenis",
,,Svensk Tidskrift for Musikforskning" (seit 1919).
Die wichtigsten verstorbenen Musikwissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts aufier den
schon Genannten sind: Hermann A b e r t (1871 — 1927, Antike, Oper, Mozart), Pierre Aubry
(1874—1910, Hauptgebiet: Ars antiqua), Alessandro Ademollo (f 1891, Oper), Wilhelm
Baumker (1842—1905, Katholisches Kirchenlied), Friedrich Bellermann (1795—1874,
griechische Musik), Heinrich Bellermann (1832 — 1903, Notation und Theorie der a-cappella-
Zeit), Eduard Bernoulli (1867—1927 Notation, Musik der Renaissancezeit), Michel
Brenet (1858-1918), Georges Cucuel (1889-1918), Lionel Dauriac (1847-1923),
M. Dietz (1857-1928), Jules Ecorcheville (1872—1915), Ludwig Erk (1807—83,
deutsches Volkslied), Gaetano Gaspari (1807—1881), August Gevaert (1828—1908,
griechische Musik), Franz XaverHaber 1(1840 — 1910, Gregorianischer Choral und a~cappella~
Musik), Eduard Hanslick (1825-1904, Asthetik), Friedrich von Hausegger (1837—1899),
Ottokar Hostinsky (1*847-1910), Gustav Jacobsthal (1845—1912, Notation und Theorie
des Mittelalters), Otto Jahn (1813—69, Mozart), Carl von Jan (1836—99, antike Theorie),
Ludwig von Kochel (1800—77, Wiener Hofkapelle, J. J. Fux, Mozart), Victor Mahillon
(1841-1924), Eusebius Mandyczewski (1857—1929), Adolf Bernhard Marx (1795
bis 1866, Beethoven, Kompositionslehre), Don G. Morphy (1836 — 99, spanische Lauten<-
musik), Ludwig Nohl (1831—1885, Musik des 18. und 19. Jahrhunderts), Federico Pari-
sini (1825-1891), Dom Joseph Pothier (1835-1923, Choral), Arthur Pougin (1834
bis 1921), Karl Ferdinand Pohl (1819-87, Haydn), Hemy Quitta rd (1864-1919), Hein
rich Rietsch (1860-1927, Minnesanger, 18. und 19. Jahrhdt), August Gottfried Ritter
(1811—1885, Orgelmusik), D.F.Scheurleer (1855-1927), Anton Schmid (1787—1857,
Gluck), A. Seidl (1863-1928), 0. G. Sonneck (1873-1928, Leiter der Musikabteilung
der Library of Congrefi in Washington), Philipp Spitta (1841 — 1894, Bach und seine Zeit,
*) Die der Musikkritik zugewendeten Zeilschriften s. S. 1241 ff.
Musikwissenschaft ] 239
Schiitz), Edmund van der Straeten (1826—1895, niederlandische Musik), Alexander
Wheelock Thayer (1817—97, Beethoven), Luigi Alberto V ill an is (1863—1906), Joseph
von Wasielewski (1822 — 96, Instrumentalmusik des 16.— 18. Jahrhunderts, Schumann),
J.B.Weckerlin(1821— 1910),CarlWeinmann(1873-1929),A.Wei6mann(1873-1929),
Karl Friedrich Weitzmann (1808—1880, Klaviermusik), Rudolph Westphal (1826—92,
antike Musik und Theorie), Karl von Winterfeld (1784—1852, protestantische Kirchen-
musik, G. Gabrieli und seine Zeit), Philipp Wolf rum (1854—1919, evangel. Choral, Bach),
Theodor de Wyzewa (1862-1917, Mozart). •
Seit der Errichtung musikwissenschaftlicher Lehrkanzeln und Arbeitsinstitute an Uni-
versitaten und andern Hochschulen sind unter Fiihrung hervorragender Fachvertreter ganze
Schulen von Forschern entstanden. In Deutschland und Osterreich kommen in erster Linie
in Betracht: Wien (Guido Adler), Berlin (Philipp Spitta und Hermann Kretzschmar),
Leipzig (Hugo Riemann), Miinchen (Adolf Sandberger), Strafiburg (Gustav Jacobsthal).
Der Wiener Schule gehoren u. a. an: Hugo Botstiber, Erwin Felber, Rudolf Picker,
Wilhelm Fischer (Innsbruck), Josef Gregor, Zdzistaw Jachimecki (Krakau), Knud Jep-
pesen (Kopenhagen), Adolf Koczirz, Oswald Koller, Ernst Kurth (Bern), Josef Man-
tuani (Laibach), Alfred Orel, Dobroslav Orel (Prefiburg), Heinrich Rietsch (Prag),
Albert Smijers (St. Michielsgestel), Egon Wellesz, Josef Zuth. Heinrich Rietsch hat
in Prag eine eigene Schule begriindet, der Robert Lach, Robert Haas und Paul Nettl ent-
stammen. Philipp Spittas Schiller sind u. a. Franz Bolsche, Oskar Fleischer, Max
Friedlander, Hermann Gehrmann, Karl Krebs, Willibald Nagel, Karl Pasler, Adolf
Sandberger, Rudolf Schwartz, Max Seiffert, Hermann Springer, Emil Vogel, Jo
hannes Wolf. Von Hermann Kretzschmar resp. Johannes Wolf wurden herangebildet :
Hermann Abert, Wilhelm Gustav Beckmann, Eduard Bernoulli, Edward Buhle, Hans
David, Wolfgang Graeser, Karl Hasse, Alfred Heufi, Otto Kinkeldey, Wilhelm
Krabbe, Torben Krogh, Josef Kromolicki, Robert Lachmann, N. Lott, Kathi
Meyer, Hans J. Moser, Karl Nef, Friedrich Noack, Arthur Priifer, Curt Sachs,
Arnold Schering,, Max Schneider, Georg Schiinemann, Adam Soltys, Arno Wer
ner, Werner Wolffheim, Philipp Wolfrum. Auch Hugo Leichtentritt und Albert
Mayer -Reinach entstammen der Berliner Schule. Enkelschuler Kretzschmars sind
Moritz Bauer (Bernoulli), Hans Schnoor (Schering) und Fritz Stein (Wolfrum).
Gustav Jacobsthals bedeutendste Schiiler sind Friedrich Ludwig und Peter Wagner;
aus des ersteren Schule sind Higini Angles, Heinrich Besseler, Friedrich Gennrich,
August Mahrenholz, Josef M. Miiller-Blattau und H. Spitta hervorgegangen, aus
Wagners Schule Karl Weinmann und Josef Gmelch. Hugo Riemann leitete die musik-
wissenschaftliche Ausbildung von Gustav Becking, Bernhard Engelke, Wilibald Gurlitt,
Kurt Rudolf Mengelberg, Karl Mennicke, Oskar von Riesemann, Rudolf Steglich,
Albert Thi erf elder u. a. Adolf Sandberger bildete u. a. heran: Ernst Biicken, Adolf
Chybinski, Alfred Einstein, KarlG. Fellerer, Edgar Istel, Theodor Kroyer, Alfred 0.
Lorenz, Erich Schenk, Ludwig Schiedermair, Eugen Schmitz, Hans Scholz, Oskar
Son neck, Hermann Stephani,BertaAntonia Wai In er, Theodor Wilhelm Werner. Theodor
Kroyers Schiiler sind Herbert Birtner, Hermann H a Ibig, KurtHuber, Gustav Friedrich
Schmidt, Helmut Schultz, Otto Ursprung und Hermanr Zenck. Mehr oder weniger
] 240 Musikwissenschaft
autodidaktisch war der musikwissenschaftliche Studiengang von Theodor Frimmel, Georg
Kinsky,KarlStiehl, Hermann W.Walt ershausen, Ernst von WerraundFriedrichZelle.
Die wichtigsten lebenden Vertreter der franzosischen Musikwissenschaft auCer den
schon Genannten sind Paul Bergmans (Belgier), Ch. van den Borren (Belgier), Jean
Chantavoine, Ernest Gloss on (Belgier), Maurice Emmanuel, Amedee Gastoue, Louis
Laloy, L. de la Laurencie, Dom Andre Mocquereau, Andre Pirro, J. G. Prod'-
homme, Henry Prunieres, Remain Rolland, Georges Comte de Saint-Foix, Albert
Schweitzer, J.B.E. Julien Tiersot, A. Wotquenne (Belgier). Von englischcn Musik-
forschern waren aufier den schon genannten Mitarbeitern der ,, Oxford musical history" und
Editoren noch Herbert Antcliffe, Henry Davey, Edward Deht, R. W. H. Frere,
W. J. Lawrence, John South Shedlock und A. H. Fox Strangways anzufiihren.
Italian ist durch Arnaldo Bonaventura, Leonida Busi, Raffaele Casirniro Casimiri,
Gaetano Cesari, Stefano Davari, Lodovico Frati, Salvatore di Giacomo, Guido
Pannain, Giuseppe Radiciotti, Corrado Ri cci , G. Tebaldini, Fausto Torrefranca,
Francesco Vatielli u. a. vertreten, Schweden durch Tobias Norlind, Norwegen
durch 0. M. Sandvik und Gerh. Schjelderup, Finnland durch Ilmari Krohn, Heikki
Klemetti und Toivo Haapanen, Rutland durch Jean Baptist Thibaut. IndenVei-
einigten Staaten von Nordamerika wirken besonders Carl Engel, Waldo Pratt
und Albert Stanley. Die Erforschung des judischen Tempelgesanges hat sich A. Z. Idel-
sohn zur Aufgabe gemacht.
Von lebenden Musikforschern und -schriftstellern seien noch genannt (ohne Anspruch
auf Vollstandigkeit) :
A. Aber, W. Altmann, M. Arend, H. Bauerle, G. Bagier, P. Bekker, F. K. Benndorf,
H. Bewerunge, E. Bezecny, 0. Bie, I. Biehle, E. Bienenfeld, F, Blume, I. Branberger,
R. Buchmayr, M. Burkhardt, G. Calmus, A. E. Cherbuliez, H. Daffner, E. Decscy,
I. Dimitrowitsch Engel, R. Englander, H. Erpf, M. Graf, P. Griesbacher, K. Grunsky,
F. Gysi, A. Hammerich, M. Hasse, W. Heinitz, VI. Helfert, R. St. Hoffmann, R. H. Hohen-
emser, W. Kahl, L. Kamiensky, J. Kapp, 0. Kaul, H. Keller, A. M. Klafsky,
W. Klatte, Karl Kobald, H. Kralik, L. Landshoff, A. Leitzmann, L. v. Liitgendorff, P. Mar-
sop, W. Merian, H. Mersmann, E. Meumann, K. G. Meyer, P. Mies, P. R. F. Molitor,
G. Molnar, P. Moos, E. und H. Miiller, K. Navratil, Karl Nef, A. Neisser, Zd. Nejedly,
W. Niemann, H. v. d. Pfordten, S. Pisling, A. Polinski, R. v. Prochazka, E. Refardt,
J. L. ReiC, G. Renker, L. Riemann, E. Rychnowski, K. L. Schaefer, X. Scharwenka,
H. Schenker, F. Scherber, Leopold, Ernst, Karl, Anton, W. Schmidt, A. Schmitz,
G. Schulz, K. Singer, J. Smend, R. Sondheimer, R. Specht, H. Spies, Fr. Spitta,
H. Springer, P. Stefan, R. Stein, E. Steinhard, M, Steinitzer, H. Stephani, Jose Subira"
Puig, G. Thouret, W. Trendelenburg, B. Ulrich, M. und G. H. Unger, F. Volbach,
C. Vivell, F. W. Walter, F. Weingartner, J. H. Wetzel, L. und E.Wolff, H. P. v. Wolzogen.
Dem Vorgang der Komponisten folgend, die namentlich zurZeit der Romantikim 19. Jahr-
hundert sich schriftstellerisch betatigten, wie in hervorragender Weise Berlioz, Schumann,
Liszt, Wagner, Cornelius, Saint-Saens, A. Boito, haben auch Tonsetzer unserer Zeit ihre
,,Bekenntnisse" mitgeteilt, so V. Stanford, H. Parry, F. B. Busoni, H. Pfitzner, A. Schon-
berg u. a. Wilhelm Fischer
MUSIKKRITIK
Mit der Ausbildung der als Musikkritik bezeichneten Funktion und mit der Sicherung
der Grundlage, auf welcher diese Funktion moglich wird, hat der Begriff Musikkritik eine
Umgrenzung gewonnen. Musikkritik im engeren Sinne dieses Begriff s setzt eine standige
und offentliche Musikiibung voraus und ein Instrument, welches die musikkritische Aufierung
verbreitet. Dieses Instrument ist die periodische Presse. So wird jetzt unter Musikkritik
die mehr oder minder regelmafiig fur die Offentlichkeit verantwortlich gegebene Urteils-
aufierung u'ber musikalische Werke und Leistungen verstanden. Urteile iiber Zustande und
Einrichtungen des Musiklebens greifen in den Bereich der Musikpolitik iiber: sie sind nur
in einem uneigentlichen Sinne zur Musikkritik zu rechnen.
Die musikkritischen Anfange reichen bis zum Beginn des 1 8. Jahrhunderts zuriick. Dber
Ansatze und Versuche, die in alteste Zeiten zuriickfuhren, hat Arnold Schering wertvolles
Material zusammengetragen. Die englischen und franzosischen Zeitschriften, das ,,Gentle-
rnans Magazine**, Addisons ,, Spectator", der ,,Tatler", ,,der ,,Mercure galant", bezogen
musikalische Dinge und Ereignisse in ihrer Gesellschaftsbetrachtung ein. Urteile und Be-
richte in Reisedarstellungen, in Korrespondenzen, in asthetischen und historischen Werken
suchten Ersatz zu geben fiir die regelmafiige kritische Information iiber musikalische Dinge.
Burney fiigt in den dritten Band seiner General History einen ,,Essay on musical criticism4'
ein, in welchem er das Nichtvorhandensein einer Musikkritik in England bedauernd fest-
stellt und mit psychologischer Einsicht Winke fiir die Urteilsfindung gibt. Zu der Zeit, wo
Burney schrieb, war in Deutschland bereits eine musikkritische Fachpresse begriindet. Der
Weg, derdicseEntwicklungbezeichnet, beginntbeiMattheson. Seine,, Critica musica" ( 1722),
sein ,,Musikalischer Patriot" (1728), Lorenz Mizlers ,,Musikalische Bibliothek" (1736),
Scheibes ,,Critischer Musicus" (1737), Marpurgs ,,Historisch-Kritische Beitrage zur Auf-
nahme der Musik" (1755) und ,,Kritische Briefe iiber die Tonkunst" (1760) bezeichnen die
Hauptstationen. Diese altesten musikalischen Zeitschriften waren stiickweise erscheinende
Arbeiten eines einzelnen Autors iiber musikasthetische Gegenstande, durch dogmatische
Enge und hemmungslosc Streitsucht gezeichnet. Grundsatzliche Polemik, mit mafiloser
Grobheit gefiihrt, erdriickte oft die positive kritische Arbeit. Mattheson entstellt diehochst
ausfuhrliche, in alle Einzclheiten gehende Untersuchung der Handelschen Johannispassion
durch eine bosartige Grausamkeit. Zunftkritik im engsten Sinne, geht das Urteil meist vom
Handwerksmafiigen, von der theoretischen Regel aus. WennMizler sich mit Graefes Samm-
lung verschiedcner und auserlesener Oden von 1 737 beschaftigt, so interessiert ihn im wesent-
Jichen nur die falsche Deklamation und formales Detail. Ein freierer Geist, wie Scheibe,
der Gottscheds Bahnen folgtc, wurde bei seiner negativen Bachkritik, die sich zu hart-
nackigcm Strcit auswirktc, als bewufiter Vertreter neuer kiinstlerischer Zeitideen immerhin
von tieferen Grunden bestimrnt. Die individuelle Kunsterscheinung trat zurikk hinter dem
Interesse an der asthelischen Theorie und ihrer Verteidigung. Man wandte sich nicht an
den groBen Kreis der Musikfreunde, sondern hielt sich an die Spczialkenner und suchte bei
ihnen recht xu behaltcn. Das Urteil wurde in rationalistischem Sinne engen Bindungen
untcrworfcn, untcr wclchen der Schematismus der Affoktenlehre besonders miichtig
wurde.
] 242 Musikkritik
Der Schritt von asthetischer Polemik zu f reier kritischer Einstellung gegenuber dem kiinst-
lerischen Objekt wurde bald getan. Die Basis der musikliterarischen Arbeit wurde verbreitert.
Die ,,Wochentlichen Nachrichten und Anmerkungen die Musik betreffend", die Johann
Adam Hiller anonym herausgab (1766), machten zuerst den Versuch, Erscheinungen und
Ereignisse des Musiklebens in grofierer Mannigfaltigkeit in ihren Gesichtskreis einzubeziehen.
Gefordert wurde diese Tendenz durch die zunehmende Bewegung im offentlichen Musik-
leben. Neben Nachrichten iiber auswartige Ereignisse finden sich kritische Berichte iiber
Auffuhrungen. Langsam erkannte man die Aufgabe, die wir heute der Musikkritik als eine
der wichtigsten zusprechen: das Ganze der musikalischen Erscheinungen einfuhrend und
wertend in ein Bild zu fassen. Die Kritik kam aus der Beschranktheit des Fehler suchenden
Rezensenten heraus. Sierjewohnte sich daran zum Musikliebhaber zu sprechen, ihn zu unter-
richten und aufzuklaren. Diese musikliterarische Arbeit wurde in den beiden letzten Jahr-
zehnten des achtzehnten Jahrhunderts besonders rege. Unter den zum Teil nur kurzlebigen
Zeitschriften wurden Forkels ,,MusikaIisch-kritische Bibliothek", Cramers ,,Magazin der
Musik", Bosslers,,MusikalischeReaI-Zeitung"wichtig. Voglers,,Betrachtungen der Mann-
heimerTonschule"vertraten gegenuber diesen mehr popularen Organen in ihren eingehenden
Analysen theoretische Fachkritik. In Johann Friedrich Reichardt erstand eine einflufi-
reiche Kritikerpersonlichkeit von grofiter Aktivitat, bedeutend als kiinstlerisches und kri-
tisches Temperament, gedankenreich, von starkem Mitteilungsdrange, oft verletzend und
riicksichtslos : der Typus des impulsiven Kritikers, ungiinstig beeinfluBt von seinem Selbst-
bewuBtsein als Komponist, widerspruchsvoll, in bezug auf die Sachlichkeit des Urteils nicht
unanfechtbar.
Die Kritik spiegelt den geistigen Zustand der Zeit. Nach der Starrheit des schreib- und
streitlustigen Rationalismus drangte das freie Personlichkeitsgefiihl zur Entfaltung. Rei
chardt, der schon friih mit kritischen Broschuren heraustrat, gewann durch sein ,,Musikali~
sches Kunstmagazin" (1782) und mehrere andere Zeitschriften autoritativen Einflufi. Eine
anonyme, Jhm mit Unrecht zugeschriebene Publikation ,,Bemerkungen ernes Reisenden iiber
die 1787—1788 zu Berlin gegebenen offentlichen Musiken", rief eine Entgegnung hervor,
welche die erste kritische Arbeit von Karl Friedrich Re 11 stab darstellt. Dieser hatte nicht
nur den leidenschaftlichen Willen zu kritischem Wirken, sondern er fuhlte auch die Eignung
und die Berufung dazu. Die Tageszeitungen hatten ihren Interessenkreis immer mehr auf
die Musik ausgedehnt: in Berlin befafiten sich die Spenersche und die Vossische Zeitung
vorbereitend und berichtend mit musikalischen Werken und Ereignissen. Karl Friedrich
Rellstab ubernahm 1808 das musikkritische Amt in der Vossischen Zeitung und fiihrte es
ftinf Jahre hindurch bis zu seinem Tode. In Reichardt und in K. F. Rellstab formte sich
zum ersten Male das Bild des Berufskritikers. Im Jahre 1 798 begann die Allgemeine Musicalische
Zeitung in Leipzig bei Breitkopf & Hartel zu erscheinen: Friedrich Rochlitz bereitete den
Weg fur eine freiere Auffassung vom Wesen der Tonkunst und der schopferischen Personlich-
keit., Seine Zeitschrift hat sich den weiten kritischen Blick offen gehalten. Hier erschien um
1810 E. T. A. Hoffmann mit seiner Beethovendeutung, die eine geniale kritische Tat und
einen Markstein in der Geschichte der Musikkritik bedeutet. Hoffmann vereinigt analytischc
Fundierung des Urteils mit einer Intuition der geistigen Krafte. Die romantische Musik-
auffassung, die in einem mystischen Untergrund wurzelt, spricbt sich im bildmalJigen Er-
Musikkritik 1243
fassen des Kunstwerks aus. Mit Hoffmann erhebt sich die Musikkritik zu Leistungen von
schopferischem Eigenwert. Auch Carl Maria von Weber griff in personlicher Art in die
musikkritische Bewegung ein. In Wien sammelte sich eine ebenso griindliche wie begeisterte
Kritikarbeit in der ,, Wiener Allgemeinen Musikalischen Zeitung" (1818), wo I. von Mosel.
Kanne und I. von Seyfried schrieben. Gottfried Webers 1824 begriindete ,,Cacilia"
gab ernsthaften kritischen Arbeiten Raum, Adolph Bernhard Marx kampfte in seiner ,,Berliner
allgemeinen musicalischen Zeitung" von 1824 an als Wegebereiter Beethovens und mufite von
Dorn in der Cacilia einen Tadel fiir die Einseitigkeit horen, die nur das Hochste, Bach und
Beethoven, anerkenne. Mit der Verbreiterung des Konzert- und Virtuosenbetriebs trat neben
der Beurteilung der Werke die Auffuhrungskritik immer mehr in den Vordergrund. Anonyme
Beitrage, zum grofien Teil von Dilettanten herriihrend, nahmen einen breiten Raum ein.
Sie haben mcist lediglich den Wert eines Tatsachenberichts. Die Anonymitat der Kritik,
welche das Moment der personlichen Verantwortlichkeit aufhebt, und die im Laufe der Zeit
fast ganz verschwunden ist, wurde friiher mit seltsamen Griinden verteidigt. Als Kritiker
der Vossischen Zeitung gelangte Ludwig Rellstab, der Sohn, zu einer Machtstellung,
die er durch seinen iibereifrigen Kampf gegen Spontini befestigte: er begriindete 1830 eine
eigene Zeitschrift ,,Iris", die bald ebenso wie die nach Rochlitz' Tode von G. W. Fink ge-
leitete Leipziger Zeitung in ihrer kritischen Frische und Regsamkeit zuriickging.
Im Jahre 1834 erschien Robert Schumann mit seiner ,,Neuen Zeitschrift fiir Musik"
und loste die Kritik aus der Erstarrung, die nach einer Zeit des Aufschwungs eingetreten
war. Schumanns Personlichkeit als Kritiker hebt sich aus der ihn umgebenden Mittelmafiig-
keit urn so bedeutender heraus. Der schaffende Musiker war zugleich ein geborener Kritiker.
Wert und Einflufi seiner kritischen Tatigkeit lag im sicheren Erfiihlen der neuen Werte und
im kiinstlerischen Schwung der Formulierung. Von Mattheson bis Schumann fuhrt der
Weg aus gelehrtem nuchternem Spezialistentum zu freier begeisterungswilliger Empfangs-
bereitschaft Das intuitive Erkennen des schopferisch Neuen, das Hinausschauen iiber asthe-
tische Theorie, das Mitschwingen der kiinstlerischen Personlichkeit war die Geburt der
Musikkritik in ihrem hochsten Sinne.
In geistiger Nahe von Robert Schumann steht Berlioz: der Bedeutendste unter den
Schaffenden, die Beruf skritiker waren. Fast dreifiig Jahre lang wirkte er am , Journal des Debats" :
mit wundervollem Schwung, wo er sich begeistern kann, gereizt und uberscharf in der Ab-
lehmmg des Mittelmafiigen, oft gewaltsam, von Zorn und Hafi getrieben. In Frankreich,
wie iiberall aufierhalb Deutschlands, hatte sich der Ausbau des musikkritischen Schrifttums
langsamer vollzogen, Von 1827 an wirkte Fetis als Herausgeber und Kritiker der von ihm
begriindeten ,,Revue Musicale" und der ,,Revue et Gazette Musicale", die bis in das letzte
Vicrtel des 19. Jahrhunderts die bedeutendste kritische Zeitschrift Frankreichs darstellte. In
England tat sich die Monatsschrift ,,The Harmonicon" von 1823 an durch umfassende und
griindlJche Berichte hervor. In Italien beherrschte die bei Ricordi seit 1 842 erscheinende ,,Gazetta
Musicale di Milano" vor allem unter Filippo de Filippi das musikkritische Gebiet.
In der zweiten Jahrhunderthalfte wurde Stoff und Antrieb der Musikkritik von der neuen
Kunst gegeben, die durch Wagner, Liszt und die neudeutsche Schule bezeichnet wird. Aus
dem Streit der Meinungen wurde eine Parteisache. Die Schumannsche Zeitschrift, die sich
von Anfang an auf ein Programm der Erneuerung und Bewegung eingestellt hatte, prokla-
79 H, cl, M.
1 244 Musikkritik
mierte unter ihrem neuen Herausgeber Franz Brendel den Kampf far einen ,,musikalischen
Fortschritt". Die alteren Fachorgane sammelten sich zu einer Reaktion gegen den Vorstofi:
die Tagespresse verstarkte die Spaltung der kritischen Meinung. Wagner selbst hat im Gegen-
satz zu Schumann und Berlioz trotz der Fiille seiner kritischen Wertungen und Perspektiven
nicht als Kritiker im eigentlichen Sinne, sondern als Vorkampfer seiner Reformideen zu gelten.
Der schaffende Kiinstler ist meist um so weniger zum Kritiker berufen, je starker und eigen-
williger seine schopferische Personlichkeit ist. Der Zustand einer parteimafiigen Stellung-
nahme dauerte als eine schwere Gefahr fur die geistige und ethische Haltung der Musikkritik
auch dann noch an, als der Kampf um Wagner beendet war und neue Probleme klinstlerischer
Wandlung das Musikschaffen und die Musikkultur beherrschten.
Aus dem Bilde unerfreulicher Zerrissenheit treten Erscheinungen wie Ambros heraus,
der auch als Tageskritiker arbeitete. In Wien stand Eduard Han slick als starkste Personlich
keit und machtigster Wortfuhrer der konservativen Richtung da. Umfassendes Wissen,
logische Scharfe und fliissige Darstellungskunst verschafften seiner kritischen Stimme den
grofiten Einflufi. Seine Linie wird heute von Julius Korngold, seinem Nachfolger an der
„ Neuen Freien Presse", fortgesetzt. Ludwig Speidel, der Feuilletonredakteur des Blattes,
und K. E. Schelle wirkten in gleicher Richtung wie Hanslick. Fur die Berliner Art dieser
Kunstbetrachtung sind Manner wie Heinrich Ehrlich, Gustav En gel, Otto Gumprecht
bezeichnend, die eifrig und nlichtern das kritische Amt versahen. In Berlin stand in Wilhelm
Tappert der starkste Vorkampfer und Parteiganger der Wagnerschen Kunst auf. In diesen
Kampf en kam die Kiitik nur allzu leicht in die Gefahr, zu kunstpolitischer Polemik herab-
zusinken. Ein merkwiirdiges Beispiel bietet die kurze musikkritische Tatigkeit des jungen
Hugo Wolf , die heute mit Recht in ihrem positiven Werte anerkannt, aber auch iiberschweng-
lich idealisiert wird. Durch Mafilosigkeit und Feindseligkeit des Urteils und ungeheuerlichen
Schimpfton brachte sich seine oft so notwendige, kiinstlerisch begriindete und prachtvoll
formulierte Kritik, sein mit jugendlicher Leidenschaft gefuhrter Streit gegen die starrsinnige
Ablehnung des Neuen um alle Wirkung.
Einige Namen mogen Richtung und Wirken der Musikkritik vom ausgehenden 19. Jahr-
hundert bis zur Gegenwart andeuten. Unter den (S. 1 238 ff.) verzeichneten Musikschriftstellern
haben sich viele auch als Musikkritiker betatigt. Als Wortfuhrer an Tageszeitungcn im
deutschen Sprachbereich seien Richard Batka, Elsa Bienenfeld, H. Chevalley, Ernst
Decsey, Max Graf, Karl Holl, Max Kalbeck, Wilhelm Klatte, Heinrich Kralik,
Carl Krebs, Max Marschalk, 0. Neitzel, Bernhard Pfohl, Leopold Schmidt,
W. Schrenk, Richard Specht; als kulturpolitisch eingestelltc Krafte Arthur Seidl,
Karl Storck, Paul Marsop genannt. Personlichkeiten von scharfer Pragung, wie Oscar Bie,
PaulBekker, Adolf Wei C man n, bezeichnen die Mannigfaltigkeit der individuellen Leistung,
Namen wie Alfred Einstein und Alfred HeuC, die Verbundenheit mit der wissenschaft-
lichen Forschung1)- Die kritische Bewegung im Zeitschriftengebiet wird durch die Heraus-
gebernamen E. W. Fritsch, Otto LeBmann mit seinem Nachfolger P, Schwers bis zu
Bernhard Schuster, Paul Stefan, E. Steinhard, Hans Mersmann belcgt. Die neuere
Musikkritik Frankreichs fiihrt von Adolphe Jullien iiher Carnille Bellaigue, Alfred
Bruneau, Jean Marnold, George Servieres, Julien Tiersot bis /,u J. Chantavoine,
]) Der geehrte Verfasser dieser Studie ist da mit an erster Stelle zu nennen. Der Heraiis^'ljcr.
Musikkritik ] 245
Hugues Imbert, Louis Laloy, Henry Prunieres, Emile Vuillermoz. Ernest Newman,
W.Barclay Squire, A. H. Fox Strangways, Edward J. Dent, Edwin Evans, Dunton
Green, A. Eaglefield-Hull belegen Personlichkeiten und Tendenzen der Musikkritik in
England. Gaetano Cesar i, Guido M. Gatti, Fausto Torrefranca wirken fuhrend m
Italien. Ftir Amerika sind H. E. Krehbiel, W. J. Henderson, James Huneker,
0. Downes, 0. G. Th. Sonneck, Carl Engel, I. Schwerke zu nennen; fiir Spanien
Rogelio Villar und Adolf o Salazar; fiir Skandinavien Angul Hammerich (Danemark),
Tobias Norlind (Schweden), Reidar Mjoen (Norwegen); fiir Belgien M. Kufferath,
E. Closson; fur Holland L. M. G. Artzenius, W. Pi j per, H. Rutters, P. Sanders; fiir
Polen der dem 1 9. Jahrhundert angehorende Josef Sikorski,St.Niewiadornsk],M.Gliriski,
Z. Jachimecki, L. Kamienski , F. Szopski; fiir die Tschechoslowakei J.Lowenbach,
Z.NejedlyjfurRuBlandA.N.Seroff, V. Derschanovsky, J. Gleboff , V. M. Belaiev.
Aufgaben und Pflicbten der Musikkritik sind immer scharfer erkannt worden. Der Zen-
suren erteilende Rezensent, der am AuBeren der Erscheinungen hangende Berichterstatter
verschwindet immer mehr hinter dem auf die grofien ktinstlerischen und kulturellen Zu-
sammenhange blickenden Kritiker. Die tiefgreifenden Veranderungen der Zeit haben neue
Aufgaben geschaffen. Neben den rein kiinstlerischen Zielen treten die kunstpolitischen
starker denn je hervor. Die mitten in den Kampfen um neue Stilprobleme stehende Kritik
von heute sieht die Pflicht, tiber den Parteistandpunkt hinaus sachliche Fundierung mit zeit-
verbundener geistiger Haltung zu vereinigen. Diese Kritik wehrt sich gegen die von radikaler
Seite versuchte Politisierung : gegen Hafireaktion und agitatorische Leidenschaft, Die Festi-
gung der Musikkritik wird von der Musikwissenschaft gefordert. Immer mehr wird die
kritische Arbeit musikwissenschaftlich gebildeten Kraften anvertraut. Der im Jahre 1913
begriindete Verband deutscher Musikkritiker richtet seine Tatigkeit auf die Hebung des
Kritikerstandes und auf die Kontrolle des Berufslebens. Entgegen dem Paradoxon Oscar
Wildes, nach dem jede Kritik ungerecht sein miisse, schwebt die von Guido Adler fiir den
Historiker geforderte Objektivitat auch der Musikkritik, die man oft mit einem gewissen Recht
angewandte Musikwissenschaft genannt hat, als erreichbares Ziel vor. Die Bedingungen
geistiger, psychologischer, ethischer Art, die als Grundlagen der Berufseignung gelten miissen,
werdcn tiber alle Unterschiede der Welt- und Kunstanschauung, des Temperaments und der
individuellen Personlichkeit hinaus anerkannt. In der Richtung eines Zusammenfassens
aller Forderungen des musikkritischen Berufs wird die Sicherung einer vollwertigen und
produktiven Arbeit gesucht,
L iteratur
Freystatter, W.: Die musikalischen Zeitschriften. 1884. — Krome, F. : Die Anfnngc des musikalischen Jour-
nalismus in Deutschland. 1897. — -Striffling, L,: Esquisse d'une histoire du gout musical en France au XV I lie s.
1912. — Stege, P.: Die deutsche Musikkritik des 18. Jahrhundcrts unter clem EinfluB der Affeklenlehre. Zeitschr,
f. Musikwias. Jg. 10. — Sobering, A.: Aus der Geschichte der musikalischen Kritik in Deutschland. Jahrbuch der
Musikbihliothek Peters ftir 1928. — Kaiser, G.: Beitrage zu einer Charakteristik C. M, von Wehers als Musikschrifl-
steller. 1910. — Guttmann, 0.; J, K. F. Rcllstab, Diss. Leipzig 1910. — Kroll, E.: Hoffmanns musikalische
Anschauungen. Diss. Konigsberg 1909, •— -Bckker, P.: Das deutsche Musikleben. 1916. — Calvocorcssi, M.: The
principles and methods of musical criticism. 1923. — Friedland, M.: Kritik als kulturphilosophischcs Problem.
1925. — Springer, H.; Normen und Fehlerqucllen der Musikkritik. Melos 1925. — Matzke, H.: Musik-
Skonomik und Musikpolitik. 1927.— -Mah ling, F. : Musikkritik. Umversitas-Archiv 23, 1929.
Hermann Springer
79*
VERZEICHNIS DER NOTENBEISPIELE
Nr. Seite
1 — 17: Musikstiicke exotischer Naturvolker.
1. Gesang der Bellakula-Indianer 5
2. Gesang der Chippewa-Indianer 6
3. Gesang der Wedda auf Ceylon 6
4. Gesang der Wedda 6
5. Gesang der Murray ~ Insulaner in der Torresstrafie 6
6. Gesang der Indianer aus Britisch - Kolumbien 6
7. Gesang der Murray - Insulaner 6
8. Gesang der Salomo - Inselbewohner 6
9. Musikstuck der Nutka - Indianer, Britisch - Kolumbien 7
10. Musikstiick der Indianer aus Britisch - Kolumbien 7
1 1. Musikstiick der Indianer aus Britisch - Kolumbien 7
12. Musikstiick der Kwakiutl ~ Indianer 7
13. Instrumentalstiick der Salomo - Inselbewohner 8
14. Musikstiick der Salomo - Inselbewohner 8
15. Desgleichen 9
16. Desgleichen 9
17. Gesang der Wasukuma 9
18 — 29: Musikstiicke orientalischer Kulturvolker.
18. Chinesischer Ahnenhymnus „ 13
19. Chinesisches Volkslied 14
20. Siamesischer Fachertanz 21
21. Annamitisches Musikstiick 21
22. Kasantatarisches Musikstiick 21
23. Sibirisch -tatarisches Musikstiick 21
24. Kirgisisches Musikstiick 21
25. Baschkirisches Musikstuck 21
26. Mischerisches Musikstuck '. • 21
27. Altarabischer Gesang von Abdolkadir ben Isa 25
28. Krimtatarisches Maqam 28
29. Javanisches Gamelanstiick 29
30. Delphischer Hymnus an Apollon 63
31. LieddesSeikilos 66
32. Jemenische Weisen (Fragmentc) ; . , - 77
33. Englische Neumen des 1 1 . Jahrhunderts 103
34. St. Caller Neumen mit Literac significativae des 10. Jahrhunderts .... 105
35. Germanische Neumen (Hufnagelschrift) des 15. Jahrhunderts 107
36. Chor- und Solopsalmodie im Gregorianischen Choral (Fragmente) . . . 109
37. AntiphoneEcceSacerdosnachKodex391,St Gallen, p. 186 112
1 248 ' Verzeichnis der Notenbeispiele Nr. 38—73
Nr. Seite
38. AntiphoneStatuit nach Kodex 339, St. Gallen, p. 27 112
39. AllelujaBenedictusnachKodex339, St. Gallen, p. 115 113
40. Hymnus Veni redemptor 113
41 . Alleluja und daraus gebildete Notkersche Sequenz Grates mine omnes 114
42. Hymnus Tous phosteras, aus Kodex 883, Nationalbibliothek Athen 131
43. Stereoson mou ton noun aus Kodex Grottaferrata E.?'. II 136
44. Sticheros des 6.Echos. Ubertragung einer russischen Kr Juki-Notation ... 145
45. Fragmente jiidischer Bibelweisen 130
46. Kolnidremelodie 151
47. Fragment einer jiid ischen Weise • 152
48. Pilgergesang 0 Roma nobilis aus Rom, Vat. 3227 und Monte Cassino Q 318 . . 161
49. Aurea personet lyra aus Florenz, Bibl. Naz. Conv. soppr. F 3, 565 162
50. Organum nach der Musica enchiriadis 164
51 . Zweistimmiger Hymnus auf den heiligen Magnus aus Upsala, Kodex C 233. 167
52. Fragmente aus der Lamentatio Rachel aus Paris, Bibl. Nat. lat. 1 139 169
53. Fragmente aus dem Sponsus-Spiel aus Paris, Bibl. Nat. lat. 1139 170
54. Zweistimmiges Organum Alleluja Angelus domini aus Chartres 109 . . . . 175
55. Anfang eines zweistimmigen Benedicamus aus Paris, Bibl. Nat. lat. 3719 . . . 179
56. Anfang des zweistimmigen Viderunt Hemanuel aus Paris, Bibl. Nat. lat. 3719 179
57. Anfang des zweistimmigen Viderunt Hemanuel aus Paris, Bibl. Nat. lat. 3549 179
58. Fragment aus dern zweistimmigen Nostra phalanx aus Santiago, Kodex Calix-
tinus 182
59. Fragment aus dem zweistimmigen Gratulantes aus Santiago, Kodex Calixtinus 182
60. Dreistimmiger Benedicamus-Tropus Congaudeant aus Santiago, Kodex
Calixtinus 182
61. Rondellus En ma dame und Veni sancte spiritus spes 184
62. Fragmente aus Veritas, equitas, largitas corruit aus Paris, Bibl. Nat. frc. 196 185
63. Conductus Beata viscera Marie vonPerotin aus Wolfenbiittel Helmst. 1099 187
64. Dirai vos von Marcabru 189
65. Lancan vei la folha von Bernart von Ventadorn 190
66. Tanzlied Kalenda may a von Raimbaut von Vaqueiras und Sou vent
souspire 190
67. Romanze En un vergier 195
68. Refrainlied Joliement doi chanter aus dem Chansonnier de Noailles mit
Refrain-Parallelen 196
69. Hofisches Minnelied De fine amor von Thibaut de Champagne und sein
geistliches Kontrafaktum Vivre touz temps 197
70. Streitgedicht Adan, vauries vous manoir von Adam de la Halle aus Paris,
BJbl.Nat.fr?. 25566, Arras 657 und Rom, Vat. Reg. 1490 199
71. Kreuzlied Nu alerst lebe ich mir werde von Walther von der Vogelweide 204
72. Mailied Der wait undeangher von Fiirst Wizlaw von Riigen 205
73. Meistersingerweise Wer ler in den geschrifften such von Michel Beheim
aus Heidelberg 31 2 und nach Adam Puschman 206
Verzeichnis der Notenbeispiele Nr. 74—100 ]249
Nr. Seite
74. Silberweise Salve, ich grus dich schone von Hans Sachs 206
75. Weihnachtslaude Gloria in cielo ausCortona91 und Florenz, Bibl. Naz. II I 122 211
76. Lauda Stella nuova 'nfra la gente aus Cortona 91 211
77. Lauda Sancto Lorenzo aus Florenz, Bibl. Naz. II I 122 211
78. Fiinf Fragmente aus den Cantigas de S. Maria von Alfons X 213
79. Fragment aus dem zweistirnmigen Oster-Alleluja Pascha nostrum aus
Leonin's Magnus Liber 216
80. Anfang des zweistimmigen Oster-Graduals Hec dies aus Leonin's Magnus
Liber 217
81 . Anfangeder zweistimmigen Conductus. Mac in die rege nato und Mac in die
Gedeonis 223
82. Anfang des Versus des dreistimmigen Alleluja Nativitas von Perotin aus
Montpellier H 196 226
83. Anfang des vierstimmigen Weihnachts-Graduals Viderunt von Perotin aus
Florenz, Laur. pi. 29, 1 mit der vierstimmigen Motette Vide prophecie . . . 229
84. Anfang einer zweistimmigen Clausula Et gaudebit und der aus ihr abgeleiteten
zwei- und dreistimmigen Motetten und Doppelmotetten 234
85. Anfang einer zweistimmigen Clausula In Bethleem und der aus ihr abgeleiteten
Motette und Doppelmotette 237
86. Schlufi einer zweistimmigen Clausula Ne und der aus ihr abgeleiteten Motetten
und Parallelen zum Refrain Qi mon cuer et mon cors a 240
87. Fragmente aus der dreistimmigen Doppelmotette He amours und Amou-
rousement mit Refrain-Parallelen 242
88. Fragmente aus drei den Refrain Dieus je n'i os aler usw. benutzenden
Doppelmotetten 244
89. Zweistimmige Motette Tot le premier jor de mai aus Miinchen mus. 4775 . 246
90. Zweistimmige Motette L'en dit qe j'ai am 6 aus Wolfenbiittel Helmst. 1099 . 247
91. Zweistimmige Motette Maniere esgarder aus Miinchen mus. 4775 .... 248
92* Anfang der Doppelmotette Aucun ont und Lonctens me sui von Petrus de
Cruce 254
93. Anfang der Doppelmotette Descendi in ortum mit drei verschiedenen
Tripla ' 257
94. Fragment aus La seconde Estampie Royal aus dem Chansonnier du Roi .... 261
95. Vierstimmige Doppelballade Ne quier veoir und Quant Theseus von
Guillaume de Machaut 270
96. Fragmente aus dem zweistimmigen Madrigal Un bel sparver von Jacopo von
Bologna 283
97. SchluC des zweistimmigen Madrigals Nel mezzo a sei paon von Giovanni
daCascia 284
98. Schlufi der dreistimmigen Caccia Con bracchi assai von Piero 284
99. Dreistimmiges Tripelmadrigal Musica son, Ciascun vuole und Gia furon
von Francesco Landini , 287
100. Fauxbourdon Pange lingua . 299
] 250 Verzeichnis der Notenbeispiele Nr. 101— 142
— —
101. Anfang des Salva nos domine des Duf ay 300
102. Fragmente aus Hobrechts Salve regina 311
103. Fragment aus Hobrechts Missa L'hommearme 314
104. Fragment aus Josquins Motette Inviolata, integra 315
105. Fragment aus Josquins Motette 316
106. Kyrie aus Josquins Missa Pange lingua 318
107. H. Jsaac, In Gottes Namen fare wyr 321
108. Kolorierung der Choralweise Benedicta sit sancta trinitas in Tr. 88 und
im Chor. Const. Heinrich I saacs 324
109. Fragment aus der Sequenz Solemnia celebrantes aus Isaacs Chor. Const. 324
1 10. Anfang von Isaacs Missa paschalis 325
111. Clemens non Papa, Motette Levavi oculos, Anfang 328
1 12. Pierre Cl ereau, Missa In me transierunt, Kyrie 330
113. Orlando Lasso, Mofcette In hora ultima, Fragment 332
114. —Madrigal Christe, dei soboles, Anfang 333
115. G. P. Palestrina, Lamentatio Hieremiae prophetae, nach Arch. Mus. Lat. Cod. 59 337
116. — Umgestaltung des Modells in der Missa Dum complerentur 340
117. — Motette Crucem sanclam subiit, Anfang 342
118. —Motette Alleluja, tulerunt, Schlufi 343
119. — Geistliches Madrigal Vergine bella, Fragment 344
120. — Motette Dum ergo essent, Fragment 345
121. — Motette Vidi turbam, Fragment . fc 346
122. Chr. Morales, Matutin-Responsorium 0 vos omnes, Fragment 348
123. T. L. da Victoria, Canticum Zachariae, Fragment 349
124. A. Wi I la ert, Paternoster, Fragment 349
125. — Magnifikat, Fragment 350
126. Cl. Merulo, Motette In Deo speravit, Fragment 351
127. G. Gabrieli, Tedeum, Fragment 352
128. — Motette Ego dormivi 353
129. — Imitationsthema Timor et tremor 354
130. J. Callus, Ave Maria, Anfang 355
131. — Michael coeli signifer, Anfang 356
132. — - Motette Estote fortes in bello, Anfang 356
133. — Motette, Fragment 356
134. AnonymeFrottole. Lib. VII mo, Nr. 27. Poi chel ciel 360
135. J. Arcadelt, Madrigal Ancidete-mi pur grievi martiri 363
136. CipriandeRore, Madrigal, Lib. Imo, Strane rupi, Fragment 366
137. LucaMarenzio, Madrigal, Lib. Imo, Strinse Amarilli, Fragment 367
138. A. Willaert, Canzona villanesca alia Napolitana, Cingari simo 370
139. G. L. Primavera, Canzon Napolitana, Dolce mi seria uscir 372
140. Jo. Baston, Chanson amoureux, Fragment 374
141. Passereau, Chanson II est bel et bon, Fragment 374
142. Lorenz Lemlin: Schelmenlied, Der gutzgauch auf dem zaune safi 377
Verzeichnis der Notenbeispiele Nr. 143—182 1251
_ — .
143. Conrad Paumann, Bearbeitung des Liedes Der summer aus dem Lochheimer
Liederbuch. Fundamentum organisandi 384
144. G. Cavazzoni, Ricercar, Fragment 388
145. — Choralbearbeitung Christe redemptor, Fragment 392
146. L. Kleber, Praambulum 393
147. G. Gabrieh, Intonazione secundo tono 393
148. Anfang eines Rei gens und entsprechenden Nachtanzes 396
149. J. A. Dalza, Italienische Lautentabulatur 398
150. Anriquez de Valderavano, Spanische Lautentabulatur 400
151. J. B. Besardiis, Altere franzb'sische Lautentabulatur 402
152. Ph. Fr. Le Sage de Richee, Neufranzosische Lautentabulatur 404
153. Me Ic hi or News idler, Altdeutsche Lautentabulatur 406
154. Bernhard Schmid, Deutsche Orgeltabulatur 408
155. Peri, Orfeo, Rezitativfragment, Che sospirar 418
155a.Caccini, Orfeo, Rezitativfragment der gleichen Stelle 419
156. Cl. Monteverdi, Orfeo, Tokkata, Anfang 420
157. St. Land i, S. Alessio, Scherzlied der Pagen, Fragment 422
158. Cl. Monteverdi, Incoronazione di Poppea, Duett Pur timiro, Fragment . . , .425
159. Cavalli, Dafne, Lamento, Fragment 425
160. — Le Nozze di Teti e Pelide, Sinfonia, Anfang 426
161. — Giro, Vorspiel, Fragment 427
162. L. Luzzaschi, Madrigal Ch'io non t'a mi cor mio, Fragment 431
163. Sig. d'India, Canzonetta Le Musiche 433
164. — Madrigal Intenerite voi, Le Musiche, Fragment 433
165. Cl. Monteverdi, Partenza amorosa, Rezitativ Se pur destina, Fragment .... 436
166. G. P. Bert i, Kantate Oh con quanta vaghezza 437
167. A. Falcon ieri, Kantate, Deh dole' anima mia 438
168. M. A. Cesti, Kantate Tu m'aspettasti al mare 439
169. Nun bitten wir den heiligen Geist, aus Walters Gesangbuch nach Babst 448
170. Christ ist erstanden aus J. Walters Gesangbuch, Fragment 449
171. H. Schiitz, Psalm 84, Wie sehr lieblich und scheme, Anfang 453
172. —Passion nach Matthaus, Fragment 455
173. Tob. Michael, Musicalische Seelenlust 11/3, Fragment 458
174. Joh. Herm. Schein, Christ, unser Herr, zum Jordan kam 459
175. H, Schutz, Kleine geistliche Konzerte Nr. 4, 0 siifier, o freundlicher, o gutiger
Herr Jesu Christe 461
176. Joh. Cr tiger, Frohlich soil mein Herze springen 465
177. Frey ling h aus ensches Geistreiches Gesangbuch, Fragmente 466
178. Reinhard Keiser, Passion, Fragment 469
179. S. Scheldt, Choralmotette Wir glauben all an einen Gott, Fragment 471
180. G, Fr, Anerio, Dialog zwischen Jesus und der Samariterin, Fragment 488
181. Dialoglauda Anima e Corpo, Anfang 489
182. Lauda Grida qual trornba grida, Fragmente 489
] 252 Verzeichnis der Notenbeispiele Nr. 183—225
— — ' toto
183. G. Carissi mi, Oratorium Baltazar, Fragment 496
184. A. Stradella, Oratorium S. Giov. Battista, Fragment 500
185. A. Ari os ti, Passion, Togliete, cruciate, Fragment 501
186. Leopold I., Oratorium Erlosung des menschlichen Geschlechtes, Fragment ... 503
187. H. Schiitz, Wemnachtsoratorium, Intermedium I. Fragment 505
188. G. Gabrieli , Motette Surrexit Deus, Fragment 508
1 89. — Motette In deo salutari meo, Fragment 508
190. A. Banchieri, Concert! ecclesiastic!, Ave hostia, Fragment 509
191. J. Stadlrnayr, Pfingsthymnus Veni creator, Fragment 512
192. Chr. Straus, Messe Veni sponsa Christi, Fragmente 513
193. A. Bertali, Missa semiminima, Fragment 515
194. J. K. Kerll, Missa a trechori, Fragment 518
195. — Requiem, Fragment 520
196. H. J. F. Biber, Missa St. Henrici, Fragment 521
197. — Requiem, Fragment -521
198. J. H. Schmeltzer, Missa nuptialis, Fragmente 522
199. J.K. Kerll, Requiem, Fragment 523
200. H.J. F. Biber, Josephslitanei, Fragment 523
201. J. J. Fux, Missa canonica, Fragment 526
202. — Missa purificationis, Fragment 526
203. A. Scarlatti, Messe A-Dur, Ritornellfragment 527
204. P erg olese,MesseD-Dur, Anfang 528
205. J. A. Has se, Requiem in C, Fragmente 530
206. — Messe in Es, Fragment 53 1
207. A. Gaidar a, Missa dolorosa, Fragmente 532
208. G. Frescobaldi, Canzona, Fragmente 542
209. J. J. Froberger, Themen von Ricercaren, Canzonen usw 543
210. J. B. Lull y, Ouvertiire einer Orchestersuite, Anfang 553
21 1. A. Vivaldi, Violinkonzert, C-Dur, op. 7/2, Fragment 557
212. J. S.Bach, Klavierkonzert D-Moll, Fragment 557
213. G. Frescobaldi, Tokkata, Fragment 560
214. Paul P cue rl, Themen der Variationssuite Nr. 7 565
215. Passacaglienbasse 570
216. S chul dram a Daniel, Conductus referentium vasa 641
217. Adam de la Halle, Jeu de Robin et Marion, Fragment 641
218. Ballet comique de la Royne, Fragmente 644
219. J. B. Lully, Alceste, Fragmente ' 649
220. — Thesee, Fragment . 651
221 . — Alceste, Fragment 652
222. J. Ph. Rain eau, Hippolite et Aricie, Parzentrio, harm. Schema 655
223. — Zoroastre, Fragmente 655
224. H. Puree 11, Dido and Aeneas, Fragmente 660
225. Kloster Engelberg, Ostergesang Quern quaeritis, Fragment 668
Wr^cichnis clcr Notcnhcispiclc Nr. 226 — 268 ] 253
Mr. Seite
226. J. K. Kerll, Fia ct fortis mulier, Fragmente 671
227. J. W. Franck, Cara Mustapha, Fragment 675
228. G. F. Handel, Almira, Fragment 676
229. R. Keiser,0ctavia, Fragmente 677
230. Pratorius, Jodelet, Fragment 678
231. J. J. Fux, Costanza e fort ezza, Fragmente 680
232. J. S. Bach, Kantate Nr. 2. Ach Gott, vom Himmel sieh darein, Rezitativ, Fragment 684
233. G. F. Handel, Kronungsanthem Zadock der Priest er, Fragment 688
234. H. Albert, Auf, mein Geist! Und nun erhebe, Fragment 691
235. A. Krieger, Weicht, ihr Gedanken, Fragment 693
236. Sperontes, Ungezahlter Blumen Menge, Anfang 696
237. K. Fr. Hurlebusch, Melindens Auge sen ich nicht 697
238. J.A. P. Schulz,Mailied, Anfang 700
239. G. B. Pergolese, Giuseppe, Fragment 709
240. A. Draghi, L'Esclamar a gran voce, Pianto der Maria 711
241. J. Matthes on, Die heylsame Geburth, Fragment 713
242. G. Ph. Tel em an n, Die Tageszeiten, Fragmente 714
243. A. K. Kunz en, Absalon, Fragment 717
244. A. Scarlatti, Rosaura, Fragmente 719
245. L.Vinci, Zite 'n galera, Fragment 721
246. G. B. Pergolese, Flaminio, Fragment 722
247. — Serva padrona, Fragment 722
248. — Frate 'nnamurato, Fragment 722
249. — Livietta e Tracollo, Fragment 722
250. J.A. Has se, AttilioRegolo, Fragment 724
251. T. Tract ta, Ar mi da, Fragment 726
252. Ch. W. Gluck, Orfeo, Che puro ciel, Fragment 731
253. — Orfeo, Fragment r. . . 733
254. — Alceste, Fragmente 734
255. — Paride ed Elena, Fragmente 735
256. A. Schweitzer, Alceste, Fragment 741
257. N. Piccini, Cecchina, Fragment 744
258. P. A. Monsigny, Fugenthemen aus Rose et Colas und Le Deserteur 746
259. E. M. Gretry, Richard Lowenherz, Fragment 747
260. E. N. Mehul, Ariodant, Fragment 748
261. L. Cherubini, Fragment 748
262. — Der Wassertrager, Fragmente 749
263. J. Haydn, Der aufs neue begeisterte und belebte Bernardon, Fragmente 750
264. C. Stand fufi, Der lustige Schuster, Fragment 751
265. J.A. Hiller, Die Jagd, Fragment 752
266. G. Benda, Ariadne, Fragmente 752
267. W. A. Mozart, Schuldigkeit des ersten Gebotes, Fragment 756
268. — Idomeneo, Fragmente 758
|?54 Vcrzcichnis dor Notcnbcispiolc Nr. 269— 298
Nr. Seite
269. W. A. Mozart, Cos! fan tulte, Fragmente 760
270. — Don Giovanni, Fragmente 762
271. — Zai'de, Fragment 763
272. L. v. Beethoven, Leonore, I. Fassung, Fragment 766
273. Fr. Conti, Pallade trionfante, Sinfonia, Fragmente 797
274. J. Stamitz, Sinfonia D-Dur, Fragmente 803
275. G. B. Pergolese, Fragmente aus Serva Padrona und Triosonaten 804
276. Fragmente von 7 Seitensatzen Pergolesis, Monns, Stamitz' und Wagenseils 805
277. Seufzermotive 806
278. Fragmente von 2 Epilogen Monns und Stamitz' 806
279. Fragmente aus kontrastierenden Sonatenhauptsatzen Monns, Stamitz', Wagen
seils, J. Haydns 806
280. J.Haydn, Quartett op. 2, Nr. 6, Fragment 811
281. J. Starzer, Roger und Bradamante. Ballett, Fragment . . ." 812
282. J.Haydn, Quartett op. 33, Nr. 3, Fragment 812
283. W. A. Mozart, Fragmente aus den Symphonien G-Moll und Es-Dur 816
284. — Don Giovanni, Ouverture, Fragment 817
285. L. v. Beethoven, Fragment aus Trio op. 1/3 und Sonate op. 2/1 821
286. — Bagatelle, op. 33/3, Fragment 822
287. J. Haydn, Erste Messe, F-Dur, Fragment 834
288. — Cacilienmesse, Fragment 837
289. — Missa in B, Harmoniemesse, Fragment 844
290. — Stabat mater, Fragment 845
291 . M. Haydn, Missa in Dominica Palmarum secundum cantum choralem, Fragment 846
292. — Missa Sti. Francisci, Fragment 847
293. Fr. Schubert, Messe Es-Dur, Fragment 854
294. Fr. Liszt, Missa choralis, Fragment 860
295. — Graner-Messe, Fragment 860
296. A. Bruckner, D-Moll-Messe, Fragment 862
297. K. Lo ewe, Erlkonig, Fragment 945
298. EbbeSkammelson, Fragment, nach Th. Laube 1107
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Nr. Seite
1. Neumen englischer Herkunft, intervallmafiig geschrieben. 11. Jahrhundert.
Fragm. A 1284 der kgl. Bibl. Stockholm 102
2. Neumen mit Literae signifivativae, Cod. 359 St. Gallen, 10. Jahrhundert . . 104
3. Germanische Neumen (Hufnagelschrift) auf Linien, 15. Jahrhundert. Cod. 35
des Miinsterschatzes in Aachen 106
4. Mittelbyzantinische Notation, 13. Jahrhundert, Cod. Grottaf errata E.J. II . 135
5. Russische Krjuki-Notation mit Ubertragung in quadratische und gewohnliche
Notenschrift nach einem Originalnotenblatt. Nach: Riesemann, Die Notationen des
Altrussischen Kirchengesanges 144
6. Perot inus, Quadruplum Viderunt, Florenz, Bibl. Medicea Laurenziana, Cod.
PIut.29, Uol. 1 228
7. Francesco Landini, Tripelmadrigal Musica son, Ciascun vuole und Gia furon,
Codex Squarcialupi, Florenz, Bibl. Laur. pal. 87 286
8. Heinrich Isaac, Autograph, In Gottes Namen fare wyr, Preufi. Staatsbibliothek . 320
9. G. P. da Palestrina, Autograph, Lamentatio Hieremiae prophetae, Archivio Musi-
cale Lateranense, Cod. 59, f. 1 . Nach Casimiri, II Codice 59 336
10. Joanambrosio Dalza, IntabulaturadeLauto, Libro Quarto fol. 5, OttavianoPetrucci,
Venedigl508 398
11. Anriquez de Valderavano, Libro llamado Silva de Sirenas, Valladolid 1547 . . 400
12. Joannes Baptista Besardus, Thesaurus Harmonicus Divini Laurencini, Coloniae
Agrippinae 1 603 402
13. Philipp Franz Le Sage de Richee, Cabinet der Lauten 404
14. Me Ichi or News idler, Teutsch Lautenbuch, Strafiburg 1574 406
15. BernhardSchmid, Tabulatur Buch von Allerhand auserlesnen Schonen Lieblichen
Praeludijs, Toccaten . . . auff Orgeln und Instrumenten zugebrauchen, 1607 .... 408
16. M. A. Cesti, II Pomo d'Oro, Blick auf Biihne und Zuschauerraum bei der Wiener
Auffiihrung 1 666 nach dem Entwurf von L. Burnacino 429-
17. Positiv, Harfe, Alt -Tenorfiedel. Van Eyck, Center Altar, Gent, St. Bavo.
KHalfte 15. Jahrhundert 574
18. Psalterium, Trurnscheit, Laute, Trompete in Schleifenform , Pommer.
Memling, Antwerpen, Museum. Um 1480 576
19. Trompeten, Portativ, Harfe, Fiedel. Memling, Antwerpen, Museum.
Um 1480 577
20. Querflote, Laute und Lautenkasten. Wien, Galerie Harrach. 1. Halfte
1 6. Jahrhundert 579
21. Kielfliigel, Violine, Viola, Violoncello, van Loo, Petersburg, Eremitage.
18. Jahrhundert 581
22. Flofipsalterium, Kinderspielzeug aus Oberagypten. Wien, Musikwissenschaftliches
Seminar der Universitat 585
23. Hackbrett Berlin, Staatliche Sammlung alter Musikinstrurnente. Nach: Sachs,
Sammlung alter Musikinstrumente 585
1 256 Verzeichnis der Abbildungen Nr. 24 — 48
Nr. Seitc
24. Docke von einem KielUiigel. Nach: Kinsky, Katalog des Musikhistorischen
Museums von W. Heyer in Koln 586
25. Clavichordtaste. Nach: Kinsky, Katalog des Musikhistorischen Museums von
W. Heyer in Koln 587
26. Gebundenes Clavichord. Wien, Musikwissenschaftliches Seminar der
Universitat 588
27. Englische Fliigelmechanik, Modell. Berlin, Staatliche Sammlung alter Musik-
instrumente 588
28. Giraff enfliigel (geoffnet). Wien, Gesellschaft der Musikfreunde 589
29. Deutsche Fliigelmechanik, Modell. Berlin, Staatliche Sammlung alter Musik-
instrumente 589
30. Antike Lyra, von der Sapphovase in Miinchen. Nach: Furtwangler-Reichhold,
Griechische Vasenmalerei 590
31. Crwth. Wien, Gesellschaft der Musikfreunde 591
32. Chitarrone von Mathias Albanus. Nach: Liitgendorff, Die Geigen- und Lauten-
macher 592
33. Mandola. Bart. Vivarini, Venedig, Frarikirche. 1474 593
34. Geige (Rebec). Pinturicchio, Rom, Aracoeli. 1484 593
35. Colascione. Berlin, Staatliche Sammlung alter Musikinslrumente. Nach: Liitgen
dorff, Die Geigen- nnd Lautenmacher 594
36. Wolbgitarren. Berlin, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente 594
37. Gitarre und Gitarrekasten. Marc Antonio Raimondi, 1510 — 15 596
38. Lira da braccio, Laute. Cima da Conegliano, Venedig, Akademie. 1. Viertel
16. Jahrhundert 597
39. Tenorviola da Gamba. Leipzig, Instrumenten - Museum der Universitat.
Nach: Kinsky, Katalog des Musikhistorischen Museums von W. Heyer 598
40. Viola d'amore, Sammlung Wildhagen. Nach: Liitgendorff, Die Geigen- und
Lautenmacher 599
41. Baryton. Berlin, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach: Liitgendorff,
Die Geigen- und Lautenmacher 599
42. Violine von Niccolo Amati. Wien, Sammlung Reti. Nach: Liitgendorff, Die
Geigen- und Lautenmacher 600
43. Violine von Antonio Stradivari. Cremona 1709. Wien, Sammlung Hammerle.
Nach: Liitgendorff, Die Geigen- und Lautenmacher . . 601
44. Violine von Giuseppe Guarneri del Gesu. 1736. Stuttgart, Hamma u. Co.
Nach: Liitgendorff, Die Geigen- und Lautenmacher 602
45. Violine von Jakob Stainer. 1658. Stuttgart, Hamma u. Co. Nach: Liitgendorff,
Die Geigen- und Lautenmacher 603
46. Cister von Girolamo de Virchi. Brescia 1574. Wien, Staatl. Sammlung alter Musik-
. instrumente. Nach: Schlosser, Unsere Musikinstrumente '. , . 604
47. Drehleier. St. Jago di Compostella, Portico della Gloria. 12.— 13. Jahrhundert . 605
48. Altagyptische Harfe aus dem Grabe Ramses III. Urn 1160 v. Chr. Nach:
Sachs, Die Musikinstrumente des alten Agypten 607
Verzeichnis der Abbildungen Nr. 49—76 1257
Nr- Seite
49. Blockfloten: a) 16. Jahrhundert; b) um 1700. Berlin, Staatliche Sammlung alter
Musikinstrumente. Nach : Sachs, Sammlung alter Musikinstrumente 609
50. Einhandflote mit Trommel, gerade Trompeten, Pauken, Schalmei.
Lorenzetti, Siena, S. Leonardo al Lago. 14. Jahrhundert 610
51. Schema derZungen: a) Gegenschlagzunge, b) Aufschlagzunge, c) Durchschlag-
zunge. Nach: Sachs, Die Musikinstrumente Indians und Indonesians 611
52. Sopranklarinette von Denner. Berlin, Staatliche Sammlung alter Musikinstru
mente. Nach: Sachs, Sammlung alter Musikinstrumente 612
53. Bassetthorn. Wien, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach:
Schlosser, Unsere Musikinstrumente 613
54. Altsaxophon. Wien, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach:
Schlosser, Unsere Musikinstrumente 613
55. Aulos und Klappern. Von einer Schale des Epiktet, London, British Museum.
Nach: Furtwangler-Reichhold, Griechische Vasenmalerei 614
56. Englischhorn. Wien, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach:
Schlosser, Unsere Musikinstrumente 615
57. Fagott. 16. Jahrhundert. Wien, Gesellschaft der Musikfreunde 615
58. Krummhorn. Carpaccio, Venedig, Akademie. 1510 616
59. Diskantrackett. Wien, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach:
Schlosser, Unsere Musikinstrumente 617
60. Sackpfeife. Wien, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach: Schlosser,
Unsere Musikmstrumente 618
61. Japanisches Muschelhorn (Horanokai). Wien, Gesellschaft der Musikfreunde . 619
62. Krummer Zink. Wien, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach:
Schlosser, Unsere Musikinstrumente 620
63. Serpent. Wien, Gesellschaft der Musikfreunde 621
64. Ophikleide. Wien, Gesellschaft der Musikfreunde 622
65. Soprankornett. Wien, Gesellschaft der Musikfreunde 623
66. Waldhorn. Wien, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach: Schlosser,
Unsere Musikinstrumente 624
67. Tenorzugposaune. Wien, Staatliche Sammlung alter Musikinstrumente. Nach:
Schlosser: Unsere Musikinstrumente 625
68. Regal u«d Regal pfeife. Berlin, Staalliche Sammlung alter Musikinstrumente . 626
69. Schellentrommel, Becken. Niccolo Pizzolo, Padua, Eremitanerkirche. 15. Jahr
hundert 630
70. Triangel. Le Sueur, Paris, Louvre. 1 7, Jahrhundert 631
71. Xylophon. Holbein, Totentanz. Um 1525 632
72. Nagelgeige. Wien, Gesellschaft der Musikfreunde 632
73. Ballet comiquede la Royne, Szenenbild nach einem zeitgenossischen Stich . . 643
74. J.B. Lully, Szenenbild, Schlummerszene aus der Oper Atys, nach dem Entwurf
von B^rain 650
75. J.S.Bach, Autograph, H-Moll-Messe, Crucifixus, Preuft. Staatsbibliothek .... 687
76. G. Fr. Handel, Autograph, Messias, Halleluja, King's Library, London 690
1258 Verzeichnis der Abbildungen Nr. 77—87
Nr. Seite
77. W.A.Mozart, Szenenbild zur Zauberflote. Historisches Museum der Stadt Wien 765
78. J. Haydn, Autograph, Streichquartett op. 76, Nr. 3, Kaiser-Quartett, Preufi. Staats
bibliothek 771
79. W. A. Mozart, Autograph, Symphonie C-Dur, K. V. 551, Jupitersymphonie, Preufi.
Staatsbibliothek 775
80. L. v. Beethoven, Autograph, Klaviersonate As-Dur op. 26, Preufi. Staatsbibliothek 777
81 . R. Wagner, Autograph, Meistersinger, Vorspiel, Germanisches Museum, Niirnberg . 877
82. R. Wagner, Szenenbild, Siegfried, Briinhildes Erwachen, Nach der Bayreuther
Urauffiihrung gezeichnet von KnutEkwald, Richard- Wagner- Museum, Eisenach . .881
83. G.Verdi, Szenenbild, Othello, l.Akt, Der Sturm. Nach der Auffiihrung der
Mailander Scala gezeichnet von A. Bonamore 909
84. G.Verdi, Autograph, Falstaff, G.Ricordi & Co., Mailand 913
85. Fr. Schubert, Autograph, Erlkonig 943
86. R. Straufi, Szenenbild, Rosenkavalier, 1 . Akt, Wiener Staatsoper, von Alfred Roller.
Adolph Fiirstner, Berlin 1031
87. I.Stravinsky, Szenenbild, der Feuervogel, von N. Gontcharowa. Nach: Gregor-
Fiilop, Das russische Theater 1141
INDEX
Personen- und Sachregister, zusammengestellt von K. A. Rosenthal.
Die Aatorennamen in den Literaturverzeichnissen am Ende jedes Kapitels sind hier nlcht aufger
Aaw, Ewald 1131.
Aawilc, Juhan 1131.
dall'Abaco, Evaristo Felice 551, 555,
571, 1206.
dall'Abaco, I.C.F. 1206.
Abbatini, Antonio M. 420, 511.
Abel, Karl Friedrich 800, 1206..
Aber, A. 1240.
Abert, Hermann 1238, 1239.
Abert, Johann Joseph 883.
Abos, Girolamo 1222.
Abt, Fr. 1040.
Adam, Adolphe Charles 892, 893,894.
Adam de la Halle I93f., 198ff., 258,
262., 641 f.
Adam, Eugen 1180.
Adam, Luis 1216, 1217.
Adam von Dover 1228.
Adam von Fulda 123, 377, 385.
Adam von St. Victor 88, 173.
Adamic, Emil 1166.
Adamic, Karl 1167.
Addison, John 662, 1241.
Ademollo, Alessandro 1238.
Adler, Franz 1206.
Adler,Guido,431 #., 1233, 1236, 1237,
1239 u.a.O.
Adlgasser, Ant Cajetan 712, 814,838.
Aerophone 607 ff.
Agathon 60.
Agazzari, Agostino 421 f., 509, 1229.
Agghazy 1172.
Agostini, Marco 1097.
Agostini, Paolo 511.
Agr^ments 550, 570.
Agricola, Alexander 326.
Agricola, Joh. Friedr. 1231.
Agricola, Martin 385, 448, 451 , 1228.
Aguiar 539.
Aguilar, Marianne siehe Garcia.
Agujari, Lucrecia 1222.
Agujari, Luiza Rosa siehe Todi.
Agypten 12f., 5 If,
Ahlc, Joh. Gcorg 462, 506, 694.
Ahle, Joh. Rudolph 462, 506, 568,
694.
Ahlstrtim, J. N. 917.
Aibl!ng<% J. C. 855.
Aichinger, Gregor 1229.
Aiguino, I'Vate 1226.
m H, d. M.
Ailred 1228.
Aim 1162.
Ainsworth 1 187.
Air (Aria) 569.
Akerberg, Erik 1120.
Akklamationen 128f.
Akkompagnement, obligates 789 ff.,
811, 812, 850f.
Akkordion 628.
Alabjew, Alexander 1133.
Alaleona, Domenico 1096, 1097.
Alard, D. 1203.
d'Alayrac, Nicolaus 747, 749.
Albani, Emma 1223.
Albeniz, Don Isaac 915, 1099, 1101,
1219.
Albeniz, Don Pedro 1098.
d'Albert, Eugen 875, 883, 887, 1035,
1120f.
Albert, Heinrich 465, 691 f., 1229.
Alberti, Domenico 800, 802, 808.
Albicastro, B. 1039.
Albini, S. 1168.
Albinoni, Tommaso 555.
Albinus, Caeionius Rufus 38.
Albrechtsberger, Johann Georg 773,
820, 846, 1171.
Albrici, Vincenzo 451.
Alcuinus Flaccus 116, 1228.
Alder, C. 1038.
Aldrich, Henry 537.
d'Alembert, Jean le Rond 1229.
Alessandrescu, Alfred 1185.
d'Alessandri, Giulio 500,
Alexandrow, Anatol 1142.
Alfano, Franco 1094, 1096.
Alfons X. der Weise 183, 212.
Alfven, Hugo 1120, 1121, 1121
Algarotti, Francesco, Graf 723, 730.
Aljaz, Jakob 1166.
Alkaios 56.
Alkman aus Sardes 56.
Allegri, Gregorio 495.
Alleluia 86ff., llOf., 113, 114.
Allemande 564f., 566 f., 975, 977 f.
de Alma 1207.
Alrnandoz, Norhcrto 1 104.
Alrnenrader, Karl 580, 618.
Alnas, Eyvind 1116, 1117.
Alpaerts, F. 107").
Alpharabius 19.
Altenburg, Mich. 464.
Alteration 252 f., 307.
Altfldte 612.
Altmann, W. 1240.
Alypios 37, 42.
Amalar 92.
Amati, Andrea 600.
Amati, Antonio 600.
Amati, Gerolamo 600.
Amati, Nicola 600.
Amar-Hindemith-Quartett 1208.
Ambros, August Wilhelm 51, 1235.
1236, 1244.
Ambrosius, Bischof 79f ., 1 11,115,137.
Ambrosius, Hermann 1014.
Amener 975.
Amenfuge 516.
Ammerbach (Amerbach), Elias N.
385, 451.
d'Ana, Francesco 335.
Anakreon von Teos 56.
Anastasios 130.
Anders, Erich 1014.
Andre*, Anton 1232.
Andre, Johann 701, 752, 944.
Andrea da Firence 279.
Andreae, Volkrnar 1042.
Andreas Antiquus 326.
Andreas von Fleury 175.
Andreas von Kreta 131.
Andreozzi, Gaetano 905.
Andres, Johann 946.
Andricu, Michail 1185.
Andriessen Hendrik 1085.
Andriessen, Willem 1085.
Andricu Contredit von Arras 195.
Andrieu, F. 274.
Anerio, Felice 347, 490, 495, 5 1 to.
Aneno, Giovanni Francesco 488 f,.
491, 492, 510.
Anfossi, Pasquale 709. 744, 757.
Angerer, G. 1040.
Anglaise 568 f.
AngK\s. Higini 1239.
d'Anglehert, Joan Henri 571.
AnhemitonischelVntatonik siehe Pcn-
tatonik.
Animuccia Giovanni 3r5f., 339, 484
490,
1260
Index: Anrooy — Ballad-opera
Anrooy, Peter van 1084, 1214.
Anschutz, Karl 1190.
Ansermet, E. 1080.
Ansorge, Konrad 1014, 1218.
Antaffy-Zsiross, Desider 1173.
Antcliffe, Herbert 1240. •
Antegnati, Costanzo 547.
Antheil, Georg 1219.
Anthem 473.
Anthimus 130.
Antiphon 79, 112f.
Antiphonar 82, 83.
Antiphonie 129 u. a. 0.
Antonius de Arena 981.
Aeolsharfe 866.
Aoden 53.
Apiarius 1039.
Apostrophes 93.
Appenzeller, B. 1038.
Aprile, Giuseppe 1222.
Arabisch-Persischer Kulturkreis 18ff.
23 ff., 25, 33.
Araciel 1098.
Araja, Francesco 1132.
Aranaz 1098.
Arbeau, Toinot 396, 977ff.
Arbeiterchore 1028f.
Arbo, Jens 1113.
Arbos, E.F. 1206.
Arbter, Alfred 1015.
Arcadelt, Jacob 361 , 363 ff., 375, 376.
Archicembalo 1227.
ArchJlei, Vittoria 1220.
Archilochos von Paros 56.
Architektonik, musikalische
Anfange 6;
der Orientalischen Kulturvolker
24f.;
Archiv f. Musikwissenschaft 1238.
Archytas von Tarent 36.
Arciorgano 1287.
ArditJ, Luigi 908.
Arebbo, A. 472.
Arend, M. 1240.
Arensky, Anton E. 924.
dall'Argine, Costantino 912.
Aria siehe Air (Tanzstiick).
Aribo von Freising 100, 112.
Arie vide Oper u. Oratorium 436 ff.,
708, 739, 743, 757 f.
d'Arienzo, Nicola 912.
Ariette 701 u. a. 0.
Arion 58.
Ariost 363.
Ariosti, Att. 500f.
Aristides Quintilianus 37, 115, 1224.
Aristophanes 61.
Aristoteles 36, 44, 46, 49, 416, 974,
1224.
Aristoxenos von Tarent 36 f., 42, 44,
46, 54, 416.
Armenier 137, 139f.
Armonie siehe Radleier.
Ame, Tomas A. 662, 929, 962.
Arnold, G. 1039.
Arnold, Samuel 929.
Arnold von Bruck 377, 378, 450.
Arnoldson, Sigrid 1223.
Aron, Pietro 1226, 1231.
Arpeggione 603.
Arregui, Vicente 1100.
Arresti, Giul. Cesare 500.
de Arriaga, Juan Crisostomo 1098.
Arrieta, Juan 1099.
Arroyo, Antonio 1106,
Arroyo, Joao 1 105.
Ars antiqua 163ff.
Ars nova 266 ff.
Arsis 42, 67.
Artusi, Giov. Maria 1227.
Artzenius, L. M. G. 1245.
Aschylus 58, 59.
Asplmayer, Franz 752, 81 4 f.
Assmayer, J. 855, 1211.
Asthetik 1236.
Asthetik der Griechen 48 ff.
Aston, Hugh 536, 537.
d'Astorga, Emanuele 443.
Atanasov, G. 1170.
Atanasov, N. 1170.
Athanasiu 1184.
Athenaios aus Naukratis 38.
Atherton, Percy 1199.
Atherwellenmusik 1005.
Athiopier 138f.
Atonalitat 1003.
Attaignant, Pierre 326, 374, 395 f.
Attenhofer, C. 1039.
Atterberg, Kurt 1121.
Atterbury 929.
Auber, Daniel Francois Esprit 889,
892, 893f,
Auberlen, S. G. 1040.
Aubert, Louis 1064, 1071.
Aubry, Pierre 1237, 1238.
Auer, Leopold v. 1206.
Aufschnaiter, Benedikt 553, 568, 571 .
Augustinus Aurelius 115,159.
Aulin, Tor 1119, 1121f., 1205.
Aulodie 55.
Aulos43,46, 47, 52, 53, 58,61,573,
614, 616.
Aurelianus von Reome 117, 134.
Auric, Georges 1073,
Auteri-Manzocchi, Salvatore 914.
d'Auvergne, A. 657, 745, 746.
d'Avenant, Sir William 658 f.
Axman, Emil 1 162.
Ayrer, Jacob 669.
Azzaiuolo, Filippo 371.
Babic, Benedikt 1167.
Babst 447f.
Bach, August Wilhelm 479.
Bach, Carl Philipp Emanuel 468, 474,
557, 563, 697, 699, 700, 776, 800f.,
802f., 806, 808ff., 814, 823, 826,
929, 1215f., 1229, 1231, 1235.
Bach, Johann Christian 739, 800f.,
802, 804, 808, 1216.
Bach, Johann Christoph Friedr. 462,
506, 717, 800f.
Bach, Johann Ernst 698, 700.
Bach,Joh.Seb.602,617,683ff.,1215.
Fugen usw. 543f., 545ff., 562f.
Kirchenmusik470, 472, 559ff.,696.
Kirchensonaten 55 If., 553 f.
Konzerte 546, 555, 557f.
Oratorien (Kantaten) 482, 71 7f.
Suiten568,569f.,571f.,801,977ff.
Verschiedenes 562 f., 580, 697.
Bach, Wilhelm Friedemann 560,
800f., 831.
Bache, Francis Edward 919.
Bachelet, Alfred 1062.
Bachgesellschaft, N<sue 480.
Bachrich, Ernst 1025.
Backer-Lunde, Johan 1117.
Backhaus, Wilh. 1219.
Backofen, K. 1039.
Badia, C.A. 679, 686, 710.
Badov, A. 1169f.
Baena, Lope de 539.
Bagge, S. 1040.
Bagier, Guido 1018, 1240.
Barf, J, A. 375, 379, 642.
Baillot, Pierre Francois 1203.
Bajdanov 1169.
Bakcheios 37.
Bakchylides 57.
Balafo 32.
Balakirew, Mily A. 921, 972, 1135
1137.
Baldamus, G. 1040.
Balducci, Franc. 493.
Balfe, Mich, William 9 19,
Balilla-Pratella, Francesco 1096,
Ballade (Balada) 944f,
fran/osischc 192, 268 f., 276.
italienische 209, 21()f., 278 f.
Ballad-opera 662, 1044, 1189.
Index: Ballard — Bernardi
1261
Ballard 278, 648, 649.
Ballett 81 4f.
franzosisches Hof- 642 ff.
Ballett (Schautanz) 395.
Balletto (Tanzlied) 372.
Ballettsuiten 566.
Balmer, Luc. 1043.
Baltazarini siehe Beaujoyeulx.
Banchieri, Adriano 373,394, 414,508,
509, 1209.
Bandler, H. 1206.
Bandmann, Tony 1218.
Bandoneon 584, 628.
Bangert, Emilius 1112.
Banister, John 659.
Banjo 32, 584, 596.
Bantock, Granville 962, 1048.
Barabra 15.
Baranovic, K. 1168.
Barbier, R. 1076.
Barbieri, Carlo Emanuele di 915,
1098.
Barbieri, Franc. Ascnjo 1099, 1237.
Barbitos 47, 56.
Barblan, 0. 1078, 1079.
Bardu Giovanni 414,4l6f., 421, 1227.
Bardos, Ludwig 1180.
Barmas, Issays 1206.
Barnard, John 473, 536.
Barnekow, Christian 1111.
Barnes, Edward Shippen 1197.
Barnett, John 918.
Barock 70 u. a. 0. •
Bartay, Andreas 926.
Battels, Wolfgang 1015.
Barth, Richard 1204.
Bnrtok,B<'la926, 1122, 117411,1183,
1219.
Bartolino von Padua 279, 281, 291.
Bartolnmeo da Bologna 292.
Bartsch, K. 188.
Bnrvagnoli 1214.
Baryphomus 1230.
Baryton 599, 784.
Basel!, Fritz 887,
Basevi, Abrarno 908.
Bnsile, Adriana 1220.
Basilc, G. B. 1220.
Hanili, Francesco 905, 1 1 34,
Bns.sani, G. Batt. 500, 548 f., 571,
BuHHani, Ora/io <l<;lla Viola 1206,
Basse danc<* J%.
Biiswlthorn 580, 615, 615, 784.
BasHcvi dcttoC'<irv<'tlo,(»iaa)mol217.
Bullhorn, ckngliHfhos 621.
HaUklarinotto 615,
BHHHO oHtinatu ">70.
BaGtuba 622.
Baston, Jo. 374.
Bataille, Gabriele 645.
Bateson, Thomas 381.
Bathyllus Alexandrinus 62.
Batka, Richard 1244.
Battanchon, Felix 972.
Battistini, Mattia 1223.
Battke, Max 1232.
Bauer, Harold 1219.
Bauer, Marion 1198.
Bauer, Moritz 1239.
Bauerle, H. 1240.
Baumgartner, W. 1039.
Baumker, Wilhelm 1238.
Baufinern, Waldemar von 887, 1014.
Bax, Arnold 1054.
Bazin, Francois E. J. 894.
Bazzini, Antonio 908, 1204.
Beach, H. H.A. 1193.
Beauchamps 648, 980.
Beaujoyeulx, Balthasar de 642 ff., 977.
Beaulieu, Lambert de 642.
Beccaria 981.
Beck, Franz 800.
Beck, K. 1043.
Bccken 574, 630 f.
Becker, Albert 477 f.
Becker, Cornelius 453.
Becker, Dierlrich 568, 571.
Becker, Hugo 1207.
Becker, Jean 1207.
Becker, Rcinhold 884.
Becking, Gustav 1239.
Beckman, Bror 918, 1120.
Beckmann, Wilh. G. 1239.
Beda Venerabilis 82, 84.
Beecham, Thomas 1051, 1214.
Beer, Max J. 885.
Beer-Waldbaum, Anton 1013.
Beethoven, Ludwig van 769 ff.. 819,
1171, 1211, 1216, 1217.
Instrumcntalmusik 580, 819ff.,
824 f., 826 ff.
LJcder 702L, 941, 1048.
Mcssen 849ff.
Opem 766 f., 866.
Oratorienversuche 788, 927, 9*2.
Tmue 984, 987.
I,,c Bf<bgue, Nicolas Antoiiu1 571.
Boheini. Michi'l 206. 1171.
Berlins, Ludw. 11) 3.
Beier, Fran/ 886.
Bdlschmiilt, Curt 1015,
Brkkcr, Paul 1240, 1244.
Bclaicv, V. M. U45.
Bcle//.a 1214.
Beliczay 1172.
Bella, Jan Levoslav 1164.
Bella, Rudolf 1015.
Bellaigue, Camille 1244.
Bellere 375.
Bellermann, Friedrich 1238.
Bellermann, Heinrich 477, 1230,
1238.
Belleville 645.
Belleville-Ourv, Anna 1217.
Bellincioni, Gemma 1223.
Bellhaver 394.
Belli, Domenico 421.
Bellini, Vincenzo 907, 908.
Bembo, Pietro 362, 1228,
Benda, Franz 1211.
Benda, Georg 752f., 815, 929.
Bendidia, Lucrezia 370.
Bendix, Victor 1110.
Bendl, Karl 925.
Bendzon, Jorgen 1112.
Benedict, Julius 1045, 1217.
Benevoli, Orazio 510L, 517, 582f.
Benndorf, F. K. 1241.
Benner, P. 1080.
Bennett, William Sterndale 972,
1044, 1055.
Bennewitz, Anton 1204.
Benoit, Peter 937, 962, I074F.
Benserade, Isaac de 646, 647.
Benvenuti, Giacomo 10Q7.
Benvenuti, Tomaso 912.
Berdescu, Alexander 1183.
Berens, Hermann 883.
Beresowski, Maxim 146, 1133.
Beretta, G. B. 499.
Berg, Alban 1025, 1036f.
Berg, Natanael 1121, 1122.
Brrgamasca 980.
Bergbom, K. 1125.
Berger, Ludwig 958, 1217.
Bergsreen, A. P. 1109.
Bergh, Rudolph 1112.
Bergmann, Karl 1190.
Bergmann-Sserow, Val. 923.
Bergmans, Paul 1240.
Bcriot, Charles A. 1203.
Berlin 699ff.u.a.O.
Berlin, Irving 1 W.
Berlio/, Hektor 615, 621, 733, 856,
8^5 f., 90(>, 937, 962, 963 f., 970,
1058,1243, 1212, 1231,1232, 1240.
Bernabei, Ercole'672,
Bernacchi, Antonio 1221.
Bernard!, Bartolormro 1108.
Bernard!, Francesco 1221.
Bernard!, Steffano 517,
1262
Index: Bernardoni — Branco
Bernardoni 503.
Bernart vonVentadorn 183, 188,189f.
Berner, Friedrich W. 478, 479, 506.
Berners, Lord 1054.
Bernhardt, Christoph 460, 46 If.,
1230f.
Bernier, R. 1076.
Bemo von der Reichenau 87, 89, 1 20,
164.
Bernoulli, Eduard 1238, 1239.
Berr, Jose 1033.
Bersa, B. 1168.
Bersa, V. v. 1168.
Bertali, Antonio 451, 503, 51 5f., 521 ,
548,671, 1202.
Berteau, Marin 1206.
Bertha, Alexander 1172.
Berti, Ant. 499.
Berti, Giovan Pietro 437 f,
Bertolotti da Salo, Gasparo 600.
Bertom, F. G. 709, 733.
Bertram, Th. 1223.
Bertran de Born 188.
Berwald, Fr.A. 1119.
Besardus, Joannes Bapt. 402 f.
Besch, Otto 1015.
Besekirsky, B.W. 1203.
Besseler, Heinrich 1239.
Bettleroper 1044.
Beverini, Franc. 413.
Bewerunghe, H. 1240.
Bezecny, E. 1240.
Bharata 17.
Bianchi, Francesco 904.
Bianchini 499.
Bianciardi 1229.
Biarent, A. 1076.
Biber, Heinrich Johann Franz von
516, 517, 521, 523, 551, 572f.f 671,
1202.
Biber, Karl Heinrich von 838.
Bibiena, Fr. Galli 679.
Bibl, Andreas 855.
Bibl, Rudolf 856.
Bicilli 499.
Bie, Oskar 1240, 1244.
Biehle, J. 1240.
Bienenfeld, Elsa 1240, 1244.
Bienstock, Heinrich 1033.
Bihari 1172.
van der Bijl, Theo 1085.
Billeter, Ag. 1039.
Billings, William 1187.
Binchois, Gilles 298, 358 f.
Binder, Karl 991.
Binicki, St. 1169.
Bird, Arthur 1193.
Birtner, Herbert 1231.
Bistropha 93.
Bitonalitat 1003f.
Bittner, Julius 632, 1036.
Bizet, Alexandre Cesar Leopold
Georges 630, 892, 899, 1060f.
Blainville 1206.
Blamont, Colin de 654.
Blancafort, Manuel 1104.
Blanchet, E. 1080.
Blangini, Giuseppe 905.
Blaramberg, Paul J. 924.
Blasinstrumente 580f., 607ff.
Blasinstrumente der Griechen 47 f.
Blavet, Michel 745.
Blech, Leo 875, 1014, 1036, 1213.
Blemmydes, Metrophanes 132.
Bleyle, Karl 1028.
Bliss, Arthur 1054.
Bloch, Ernest 1080, 1198.
Blockflote 609f.
Blockx, Jan 1075.
Blodek, Wilhelm925, 1217.
Blondel von Nesles 194.
Blow, John 661.
Bluhmel 580.
Blum 447.
Blum, Robert 1043.
Blume, F. 1240.
Blumner, Martin 477, 935.
Bobcevski, V. 1170.
Boccherini, Luigi 792, 814, 1206f.
Bock 754.
Bodanzky, Arthur 1213.
Bodenschatz, Erhard 453, 462.
De Boeck, Auguste 1075.
Boehe, Ernst 1012.
Boesset, Antoine 645, 648.
Boesset, J. B. 646.
Boetius, A.M.T.S.38, 115f., 416,
1224.
Boezi 1097.
Bogen-Gitarre 602 f.
Bohm, Georg 470, 472, 543, 558 f.,
568, 571, 595.
Bohm, Josef 1204.
Boehm, Theobald 580, 61 1,616, 618.
Bohnke, Emil 1015.
Bohoric, Adam 1165.
Bohrer, Max 1207.
Bohrerquartett 1207.
Boieldieu, Francois Adrien 893.
Du Bois, L. 1075.
Boito, Arrigo 912, 1088, 1095, 1240,
Bojadzijev, P. 1170.
Bolero 983.
Bolsche, Franz 1239.
Bomhart siehe Pumhart.
Bonadies siehe Godentag, Joh.
Bonaventura, Arnaldo 1249.
Bonini, Severe 417.
Bonno, Josef 709.
Bononcini, Giov. Maria 500, 555,
662, 665, 679, 709, 71 Of., 1231.
Bononcini, Marc' Antonio 662, 709,
711.
Bontempi, G. A. 673.
Bonvin, L. 1078.
Bordes, Charles 1059, 1060.
Bordini, Faustina siehe Hasse.
Bordogni, Giulio Marco 1222.
Boretti, G. Antonio 428.
Borgovan 1183.
Borgstrom, Hjalmar 1115, 1116.
Borkovec 1162.
Borodin, Alexander P. 922, 972, 1 135,
1136.
Borren, Ch. van den 1240.
Borresen, Hakon 1112.
Bortnjanski, Dimitri 146, 924, 1133,
1168.
Bosiljevac, S. 1167.
Bosnians, Henriette 1085.
Bossi, Enrico 857, 962f., 1094.
Bossi, Renzo 1097.
Bossinensis, Franciscus 387, 431.
Bofiler 1242.
Boston 983.
Botstiber, Hugo 1239.
Bott, Jean J. 883.
Bottegari, Cosimo 431.
Bottesini, Giovanni 908, 1089.
Bottrigari, Ercole 1227.
Boulanger, Lili 1071.
Boult, Aldrian Cedric 1214.
Bourree 568, 980.
Bourgault-Ducoudray, Louis Alb.
904.
Bourgeois, Loyo 298, 1077.
Bovicelli 1220.
Bovy-Lysberg, Ch. 1078.
Boyce, William 473, 539, 928, -962.
Brade, William 564.
Bradsky, W. Theodor 925.
Brahms, Johannes 915, 945, 949,
950ff.,953,961,968f., 1013, 1174.
Brailoiu, C. 1183.
Brajsa-Rasan, M. 1167.
Brambach 936.
Brambilla, Paolo 905.
Branberger, J. 1240.
Branca, Guglielmo 914.
Brancaccio, Antonio 908.
Branco, Luiz de Freitas 1105.
Index: Brand — Carissimi
1263
Brand, Max 1037.
Brand (Brandt), Michael 926, 1172.
Brandts-Buys, Jan 1085.
Branle 564, 975 ff.
Brasart de Leodio, J. 298.
Bratschisten 1206.
Braun, Fritz 3.
Braun, Rudolf 1013f.f 1015.
Braunfels, Walter 923, 1028, 1029.
Brazys, Theodor 1155.
Breazul 1183.
Brecher, Gustav 1213.
Bredicianu, Tiberius 1183.
Bree, Malvine 1218.
Breitenbach, Fr. J. 1040.
Breithaupt, R. M. 1218.
Brendel, Franz 1244.
Brenet, Michel 1238.
Breslaur, Emil 1218.
Breton, Thomas 1099.
Breton y Hernandez Tomas 915.
Breville, Pierre de 903, 1060.
Brevis 91, 252,265.
Bridge, Frank 1053.
Bridgetower 1203.
Briegel, W. K. 466.
Bristow, George 1 1 92.
Brlic, A. 1168.
Broadwood, Lucy 1049.
Brockes, Heinrich 468, 469, 473, 717.
Brockway, Howard 1196.
Bronner 466.
Bronner, Georg 674.
Bronsart, Hans von 883.
Bronsart, Ingeborg von 884.
Broschi, Carlo 1222.
Brosig, Morltz 479, 856.
Browne, William Denis 1051.
Bruch, Max 884, 936, 949, 961 , 972.
von Brucken-Fock, G. H. G. 1085.
Bruckner, Anton 623, 861 ff., 963,
965, 971 f., 1006, 1215.
Brugnoli, Secundus 1167.
Bruhns, Nikolaus 472.
Brull 1099.
Briill, Ignaz 884f., 949.
Brumagne, F. 1076.
Brumel, Antoine 326.
Brun, Fritz 1042.
Bruneau, L. Ch. B. Alfred 892, 901,
903, 1062, 1244.
Bruno von Foul 89,
Brustad, Bjarne 1117.
Bryennios, Manuel 38, 107, 1224.
Brzezitiski, Franciszek 1148.
Bucenus 455.
Bucher, Karl 4, 974,
Buchmayr, R. 1240.
Buck, Dudley 1194.
Buck, Rudolf 1029.
Biicken, Ernst 1239.
Buffonistenstreit 654 f.
Buhle, Edward 1239.
Buini, G. M. 742.
Bukorestliev, A. 1170.
Bull, John 390, 473, 1215.
Bull, Ole 91 6, 972, 1114, 1115, 1205.
Bulla 1164.
Biilow, Hans von 876, 883, 972, 1213,
1218.
Bungert, August 884, 949.
Buonamente, G. B. 1202.
Buongiorno, Crescenzo 914.
Burck, Joach. v. 455.
Burian, E. F. 1163.
Burk Mangold 202.
Burkhard, W. 1043.
Burkhardt, M. 1240.
Burleigh, Cecil 1198.
Burleigh, Henry T. 1195.
Burleska 572.
Burlin, Natalie Curtis 1195.
Burmester, Willi 1204.
Burnacini, Giov. 670.
Burney, Charles 1235, 1237, 1241.
Burton, Frederick Russel 1195.
Burzio, Nicolao 1225.
Busch, Adolf 1206.
Busch, Fritz 1213.
Buschquartett 1207.
Busi, Leonida 1240.
Busine siehe Trompete.
Busnois, Antoine 304.
Busoni, Ferruccio 914, 1004, 1005,
1019, 1041, J218. 1219, 1240.
Busser, H.P. 904.
Buti, Fr. 647.
Butter worth, George 1051.
Butting, Max 1021, 1028.
Buttstedt 470, 472, 1225.
Buus, Jacob 383, 388.
Buxtehude, Dietrich 461 f., 464, 472,
504, 506, 543, 551 f,, 558f., 561,
572, 1108.
Buxtehude, Job. 544. ,
Buzzola, Antonio 908.
Byrd, William 381 f., 390, 472, 536,
538f.
Byzantinische Kirchenmusik 126ff,,
1168.
C-aballero, Fernandez 1099,
Cabezon, Felix Antonio de 388,391,
Caccia 278, 282 ff.
Caccini, Francesca 421, 432 f.
Caccini,Giulio414,416, 417, 418f.,
445,644, 1220, 1229, 1235.
Caccini, Lucia 1220.
Caccini, Settimia 1220.
Cacilianismus 857 ff.
Cacilienverein 480, 857.
Caffarelli siehe Majorano, Gaetano.
Cadman, Charles Wakefield 1195.
Cagnoni, Antonio 908, 1089.
Caland, Elisabeth 1218.
Calata 396.
Caldara, Antonio 444, 509, 531 ff.,
551,681,686,709,710,722,798.
Caldicott, Alfred James 919.
Qles, Fr. 1100.
Caletti-Bruni, Pier- Francesco, siehe
Cavalli.
Calrnus, G. 1240.
Calsabigi, Ranieri di 726, 729f.
Calvisius, Sethus 452, 453, 1230.
Cambefort, Jean 646, 649.
Cambert, Robert 648, 659.
Cambini, Giov. Giuseppe 904.
Camerata, Florentiner 416ff., 430,
432 ff.
Campion, Thomas 658, 1228.
del Campo, Conrado 1100.
Campra, Andre 444, 553, 653 f.
Canario 568, 980.
Canavasso, Alessandro 1206.
Canavasso, Josef 1206.
Cancov, C. 1170.
Cannabich, Christian 800, 1211.
Cantata da Camera 434ff.
Cantemir, Fiirst Dimitri 1182.
Canti Carnascialeschi 370f., 414f.
Cantieni, R. 1078.
Cantus planus 99.
Canuntiis, Petrus de 1226.
Canzon siehe Kanzone.
Canzonetta 372, 433 f.
Capellen, Georg 1230.
Cap let, Andre 1071.
Capriccio 387, 543.
Capricornus, Samuel 497.
Caproli, Carlo 646.
Capucci, Giov. Antonio 904.
Cara, Marchetto 359, 431.
Carafa de Colobrano, MJchele 892,
905.
Cardoso, Manuel 540.
Careno, Therese 1219,
Carestini, Giov. 1221.
Carey, Henry 662.
Carissimi, Giacomo 427, 439, .445,
451, 498, 688, 705, 1231.
1264
Index: Carl VI. - Coerne
Carl VI. 524.
Carlson, Bengt 1128.
Carmen 274.
Carmina Burana 187 f.
Carneyro, Claudio 1105.
Caro, Paul 886.
Caron, Philipe 304.
Caroso 978, 981.
Carpenter, John Alden 1197.
Carraud 901.
Caruso, Enrico 1223.
.Casali 709.
Casals, Pablo 1207, 1214.
Casas, M. Bartolome Perez II 01.
da Cascia, Donato 279.
da Cascia, Giovanni 278, 281.
Casella, Alfredo 1096, 1214.
Casella, Pietro 905.
Caserta , Phillipotus von 274, 276, 29 1 .
delta Casa, Girolamo 1220.
Casimiri, R. C. 1097, 1240.
Casimiro da Silva, Joaquim 915.
Cassiodorius Magnus, Aurelius 38,
88, 115.
Castaldi, Alfons 1185.
Castel, L.B. 1229.
Castelnuovo, Mario di 1096.
Casticismo 1099, 1101.
Castiglione Bald. 431, 575.
Castim, Vila 539.
Catalani, Alfredo 1091f.
Catalani, Angelica 1223.
Catalano, Ottavio 495.
Catch 382.
Catoire, George 1141.
Catrufo 1077.
Caudella, Eduard 926.
Caurroy, Eustache de 375.
Cavalieri, Emilio de1 414, 416ff.,
421 f., 487, 492, 1229.
Cavalli, Francesco 425 f., 509, 645,
646L, 670.
Cavazzoni, Girolamo 387, 388f., 392.
Cavos, atterino 905, 920, 1133.
Caza, Francesco 1226.
Cazzati, Maurizio 500, 509, 547,
548L, 571.
Celansky, L. V. 1161.
Celesta 583, 632.
Cellier, Alfred 919, 1055.
Celtes, Conrad 379, 668.
Cembalo siehe Clavicembalo.
Cennani 499.
Cent 16.
Cephalicus 94.
Certon, Pierre 330, 375.
Cervantes 978 f.
Cesari, Gaetano 1237, 1240, 1245.
Cesaris, Joh. 274, 358.
Cesti, Marc'Antonio 427 ff., 439ft,
445, 497, 670, 671 f.
Cesti, Remigio 427.
Chabrier, Alexis Emanuel 900, 1064.
Chace 267.
Chaconne 570, 980.
Chadwick, George Whitefield 1 193.
Chaillou de Pesstain 266.
Chaix, Ch. 1080.
Chalumeau 612.
Champion de Chambonnieres, Jac
ques 564, 1215.
Chanson 191 f., 358f., 373ft, 386.
Chanson, instrumental siehe Kanzone.
Chantavoine, Jean 1240, 1244.
Chapi y Lorente, Ruperto 915, 1099.
Charpentier, Gustave 892, 901, 903,
1062.
Charpentier, Marc-Antoine 497, 647,
936.
Chausson, Ernest 903, 1059.
Chavarri, Eduardo Lopez 1 1 00.
Cheironomie 95, 1208.
Chelius, Oskar von 886.
Chelys 47.
du Chemin 374.
Chenneviere, Rudyard D. siehe Do
nald Rudyard.
Cherbuliez, A.E. 1240.
Cherubini, Luigi 738, 748 f., 766, 779,
822, 855, 904, 1232.
Chevalley, H. 1244.
Chevallier 645.
Chiabrera, Gabrielo 416, 418, 421,
433.
Chilese, Bastiano 547.
Chilesotti, Oskar 1237.
Chilston 292, 299, 1228.
Chinesen 13 ff., 20f.
Chiostri 1207.
Chitarra battente 575, 595.
Chitarrone 577, 592, 593.
Choirilos 59.
Chomonie 142f.
Chopin, Fre*deYic Francois 963, 964,
966f., 1144f., 1217.
Choral, evangelischer 379, 446ft
Choralfantasie 392, 471 ,472,559.
Choralkantace 460.
Choralvariation 392, 451, 471, 558f.
Choralvorspiel 392, 451, 472, 558f.
Chorgesang:
Byzantinischer 126ft
Evangelischer 446ft
Gregorianischer 75 ff.
Chorgesang: Griechischer 55 f., 57 ff.
Jiidischer 149ft
Russischer 140ff.
Chormusik 955 ff. u. a. 0.
Christea, Miron, Patriarch 1184.
Christiani, A. F. 1218.
Christov, D. 1170.
Chromatik der Griechen 44, 60.
ChrSn, Thomas 1165.
Chrotta 260.
Chrysander, Friedrich 1237, 1238.
Chrysanthos 136.
Chrysaphos, Manuel 132.
Chrysothemis 51.
Chueca, Federico 1099.
Chvala, Emanuel 1 162.
Chybinski, Adolf 1239.
Ciacona siehe Chaconne.
Ciampoli 492.
Ciconia, Johannes 292, 298, 358.
Cilea, Francesco 916, 1091.
Cimarosa, Domenico 709, 744f, 904,
1133.
Cimbalon 586.
Ciorogariu 1183.
Grille 720.
Cister 591, 603, 604.
Ciurlionis 1 1 56.
Clapisson, Antoine Louis 894.
Clapp, Philip Greely 11%,
Clarino 578, 623 f.
Clasing,J.H.933.
Clausula 218ft, 232, 252 f.
Clavicembalo 260, 383, 575, 586f.,
I214f.
Clavichord 260, 383, 575, 587f.,
1214f.
Clayton, Thomas 662.
Clemens non Papa, Jacob 327 f., 375.
Clement, Franz 1204.
dementi, Muzio 825, 1216, 1217.
Clerambault, Louis Nicolas 444.
Clereau, Pierre 330.
Cless, Johann 669.
Cleve, Halfdan 1116, 1117.
de Cleve, Johannes 328.
Climacus 93, 251.
Clivis 93, 251.
Clodius, Christian 696.
Closson, Ernest 1240, 1245.
Clough-Leighter, Henry 1199.
Coccia, Carlo 905.
.Coccon, Nicolo 908.
Codax, Martin 183.
Coelestinl. 81.
Coelho, Ruy 1105.
Coerne, Louis Adolphe 11%.
Index: Cohen — Demestische Notation
1265
Cohen-Linaru, M. 926.
Coignet, Horace 752, 815.
Colascione 591, 594, 595.
Colasse, Pascal 553, 653.
Coleman, Ch. 659.
Coleman, E. 658 f.
Collan, K. 1124.
Collegium tibicmum 62.
Colonna, G. Paolo 500.
Colonne 897, 1214.
Color siehe Mensuralnotation.
Coltellini, Marco 726, 729, 733.
Come"die-ballet 647.
Commedia del arte 371, 373, 415.
Commemoratio brevis 91 f.
Commer, Franz 477, 1237.
Compere, Loyset 304.
Compta 1098.
Concertino 555.
Concerto siehe Konzert.
Concerto grosso 555.
Concorie, Giuseppe 908, 1222.
Conductus 167, 171, 183, 184ff.,
221 ff., 264,297.
Conon v. B^thune 194.
Conradi, August 883.
Conradi, Job. Georg 674.
Conradi, Job. Gottfried 916.
tonti, Francesco 662, 681, 686, 709,
710, 722, 797f., 799, 804.
Continue siehe GeneralbaB.
Converse, Frederick S. 1196.
Cook, Will Marion 1195.
Cooke 296.
Cooke, Henry 659.
Coolidge, Elisabeth Sprague 1200.
Cooper, Emil 1 153.
Coperario (Cooper), Jobn 658.
Copland, Aaron 1198.
Coppola, Pier Antonio 908.
Copula 223, 226, 259.
Coquard, J. A. 900, 904.
Corbus, Jacobus 279.
Cordelia, Giacomo 905.
Corder, Frederick 919, 1048,
Cordier, Baude 358.
Corelli, Arcangelo 548ff., 555, 568,
571, 688, 1203.
Corezarius, Job. B. 279.
Cornazaro 981.
Corneille 646.
Cornelius, Peter 875, 948, 961 f.,
1231, 1240.
Cornemuse siehe Sackpfeife 619.
Cornet a pistons 621.
Cornctti 621.
Cornetto, Antonio 414.
Cornisb, William 381.
Coronaro, Gaetano 914.
Corri, Domenico 904.
Corsi, Giuseppe 499.
Corsi, Jacopo 416ff.
Corsini, Bonavitus 279.
Cortot, Alfred 1219.
Cossoni, Don. 500.
Costa, Luis 1105.
Costa, Micbele 908.
Costeley, Guillaume 375.
Cotto, Johannes 97, 112, 120, 165,
176, 1228.
Coucy, Kastellan von 194.
Couperin, Francois 568, 571, 1215.
Couperin, Louis 564.
COUDJS, J.B. 1206.
Couplet ifn Rondeau 569.
Courante 564f., 566f., 975, 978.
Courtois 375.
Courvoisier, Walter 888, 1013, 1042.
de Coussemaker, E. H. 124, 1237.
de Cousu, Antoine 304.
Cowell, Henry 1198.
Cowen, Frederic Hyman 919, 1047.
Cramer, Johann Baptist 833, 1217.
Cramers Magazin der Musik 1242.
Cras, Jean 1060.
Crequillon, Thomas 375.
Crescentini, Girolamo 1221.
Crist, Brainbridge 1199.
Cristofori, Bart. 588 f.
Cruger, Johann 465, 1230.
Crusell, Bernhard Henrik 1124.
Cruz, Agostinho da 540.
Cruz, Ivo 1105.
Crwth 591.
Csermak 1172.
Cuclin 1185.
Cucu 1183, 1184.
Cucuel, Georg 1238.
Cui, CasarA. 921 f., 1135, 1136L
Gulp, Julia 1082.
Cunn, Hanish Mac 920.
Curti, Franz 886, 1040.
Cusanino siehe Carestini, Franc.
Cuttell, Richard 1228.
Cuvelier, Jean 274, 275.
Cuypers, Hubert 1085.
Cuzzoni, Francesca 666, 1222.
Czardas 982 f.
Czernohorsky, Bohuslav 800, 846.
Czemy, Karl 833, 1216, 1217.
JL/ach, Simon 691.
Daffner, H. 1240.
Damo 1152, 1154.
Dalza, Joanambrosio 387, 398.
Damasus 81 .
Damett 296.
Damo'n von Athen 36, 49.
Damrosch, Frank 1194f., 1214.
Damrosch, Leopold 1190, 1214.
Damrosch, Walter 1194f., 1214.
Dancla, J. B. Ch. 1203, 1207.
Danclaquartett 1207.
Daneau, N. 1075.
Dannreuther, Edward 1045, 1235.
Dantz 396, 564, 976.
Danzi 742.
Daquin, Louis Claude 571.
Dargomyshky, Alexander S. 148,
920 f., 972, 1134f.
Darwin, Charles 3, 1219.
Darzins, Emil 1 153.
Dasianotation 99, 118, 159, 164.
Dassoucy 646, 648.
Daube 1229.
Dauriac, Lionel 1238.
Davari, Stefano 1240.
Davenant, Sir William siehe d'Ave-
nant.
Davey, Henry 1240.
David, Felicien Cesar 896, 972.
David, Ferdinand 972, 1204,
David, Hans 1239.
David, K. H. 1042.
Davidow, Karl 1207.
Davies, Henry Walford 1048.
Davis, John David 920.
Day, John 538.
Daza, Esteban 431.
Debain, Alexandra Francois 627.
Debussy, Claude A. 878, 904, 998,
1058, 1065f.
Decker, W. 1040.
Decsey, E. 1240, 1244.
Dedekind, Konstantin Christian 673,
693.
Degtarew, Stephan 147.
Dehn, Siegfried 477, 875, 920, 1 134,
1230.
Delage, Maurice 1071.
Delannoy, Marcel 1073.
Delcroix, L. 1076.
Delibes, Leo 901 f., 1061.
Delincourt, Claude 1074.
Delius, Frederick 617, 920, 1019,
1020, 105 If.
Deller, Florian 726, 729, 814.
Dellinger, Rudolf 886.
Delune, L. 1076.
Demantius, Christof 380, 455.
Demestische Notation 141.
1266
Index: Demokritos — Ellerton
Demokritos 36, 49.
Denereaz, A. 1080.
Denijs, Thomas 1082.
Denkmaler der Tonkunst in Oster-
reich 1237.
Denkmaler deutscher Tonkunst 1 237.
Denkmalerausgaben 1237.
Denner, J. C. 612.
Dent, Edward 1240, 1245.
Dentice, Luigi 1226.
Derschanovsky, V. 1245.
Descartes, Rene 1235.
Desmarets 653.
D6sormrere 1074'.
Destinn, Emmy 1223.
Destouches, Andre* 553, 653, 654.
Dett, Nathaniel 1195.
Deuring, B. 1039.
Deutscher (Tanz) 981 f., 984f.
Dev, Oskar 1166.
Devise 443.
Devozioni 491.
Dezede 747.
Diabelli, A. 855.
Dialoglauden 210, 487 ff.
Didymos Alexandrinus 37.
Diepenbrock, Alphons 1083.
van Dieren, Bernhard 1054, 1086.
Dieter, Chr. L. 752,
Dietrich, Albert H. 883.
Dietrich, Sixt 377, 378, 450.
Dietrichstein, M. Graf 703.
Dietz, M. 1238.
Dimas 1184.
Diminution 458f., 550f.
Dimitrov, A. 1170.
Dionysios 37.
Dirigenten 1085, 1 190f., 1200, 1208ff.
Diruta, Girolamo 394, 492.
Discantus 99, 215ff., 259.
Diskant-Messe 299ff.
Diskant-Tenor-Messe301 ,303f.,306.
Dithyrambus 58f., 60.
Dittersdorf, Karl Ditters v. 709, 71 1,
754f., 814, 846, 1171.
Divertimento 785f., 796, 802, 823.
Divertissement 568.
Divitis, Antonius 326.
Djordjevic", V. 1169.
Dluski, Erazm 1147.
Dobronic, A. 1167.
Dobrowen, Issai 1142, 1144.
Doebber, Johannes 887.
Dohler, Theodor 1217.
Dohnanyi, Ernst von 926, I173f..
1214, 1219.
Doles, Joh. Friedrich 473.
Dolza, J.A., siehe Dalza.
Domarto, P. de 304.
Dominiceti, Cesare 908.
Dommer, Arrey von 1236.
Donfried 453.
Doni, Giovanni Battista 493, 1231,
1235.
Donizetti, Gaetano 892, 894, 907.
Donostia, Jose Antonio 1 1 04.
Doppelpedalharfe 607.
Dopper, Cornells 1083f.
Doppler, A.Franz 926, 1174.
Doppler, Karl 926, 1174.
Doret, Gustave 1079.
Doring, Gottfried 476.
Dorn, Heinrich 1217.
Dorn, Heinrich L. E. 873, 1243.
Dostalik, Frano 1164.
Dotzauer, Friedrich 972, 1207.
Dowell, Edward Mac 1193f., 1219.
Dowland, John 390.
Downes, 0. 1245.
Doyague 1098.
Draeseke, Felix A. B. 884, 978, 1078.
Draghi, Antonio 503 f., 524, 672, 710,
711.
Draghi, G. B. 659.
Dragoiu, Sabin 1 183, 1184, 1185 f.
Drama, geistliches 158, 168f., 484,
490f., 641, 667 f.
Dramma per musica siehe Oper, An-
fa'nge der.
Drechsler, J. 855.
Drehleier siehe Radleier.
Dresden 530 f., 544, 673, 71 1 f. u. a.O.
Dresden, Sem 1086.
Drese, Adam 694.
Dressel, Erwin 1037.
Dressier, Callus 453.
Dretzel 466.
Dreyschock, Alexander 972, 1217.
Dritteltone 1005.
Dubbini, Carlos 1105.
Diiben, Gustav 472 f., 917.
Dubois, F.C1. Theodore 901, 937.
Ducis, Benedikt 326, 377, 378, 379,
450.
Ductia 260, 395, 975 f.
Dudelsack siehe Sackpfeife.
Duett 444f.
Dufaut 1207.
Dufay, Guillaume 298ff., 309, 310,
358.
Dukas, Paul 904, 1067f.
Dulichius, Philippus 453, 456.
Duni, Egidio R. 746.
Dunstable, John 273, 295.
Duparc, Henri 1059.
Duperier, J. 1080.
Duplum 177.
Dupont, A. 1075.
Dupont, Gabriel 1062f.
Duport, Jean Louis 1206.
Duport, Jean Pierre 1206.
Duprato, Jules L. 902.
Duprez 1223.
Dupuis, A. 1076.
Dupuis, Syivain 1075.
Dupuy, I.P. 1078.
Dupuy, J.B.Ed. 917.
Durante, Francesco 443, 502, 528,
709, 800, 802.
Durante, Ottavio 492, 509.
Durazzo, Giacomo, Graf 726, 729.
Durey, Louis 1074.
Durst 1207.
Dussart, Johannes (de Sarto) 304.
Dussek, Ladislaus 825.
Dvorak, Anton 973, 1157f., 1161.
Dynamis 42.
Eaglefield-Hull, A. 1245.
East 381.
Eberl, Anton 703, 774, 825, 1217.
Eberlin, Joh. Ernst 712f., 749, 802,
814, 838.
Ebner, Wolfgang 544, 565.
Eccard, Johann 380, 452 f.
Eccles, John 662.
Eckardt, Joh. Gottfr. 1217.
Eckert, Karl A. F. 883, 1212.
Ecorcheville, Jules 1238.
Ecossaise 985, 988.
Edele, J. 1040.
Edingius 454.
Editio Medicaea 124.
Editio Vaticana 125.
van den Eeden, J. B. 819, 1075.
Eggen, Arne 1117.
Egidius Velut 298.
EglJ, J. H. 1039.
Ehrlich, Heinrich 1244.
Ehrstrdm, F. A. 1124.
Eichheim, Henry 1197.
Einhandtee 610.
Einstein, Alfred 1239, 1244.
EisenHuth, Gjuro 1168.
Eisler, Edmund 993.
Eitner, Robert 1237, 1238.
Eldering, Bram 1206.
Elgar, Edward 962, 1047.
Elias Salomonis 122.
Eller, Heino 1131.
Ellerton, John Lodge 919.
Index: Elling — Fistula
1267
Elling, Catharinus 916, 1116.
Ellis, J.A. 16, 1237.
Elmann, Mischa 1206.
Elouis 1078.
Eisner, G. 1144.
Eisner, Josef 964.
Elster, J. D. 1040.
Emborg, J.L. 1112.
Emery, Stephen 1 192.
Emmanuel, Maurice 1240.
Emmet, Daniel Decatur 1191.
Enacovic 1 185.
Enesco, Georges 1064, 1185.
Engel. Carl 1198, 1240, 1245.
Engel, Gustav 1244.
Engel, J. Dimitrowitsch 1240.
Engelbert von Admont 122.
Engelke, Bernhard 1239.
Engender, R. 1240.
Englischhorn 614, 615, 617.
EnharmonikderGriechen44f,,54,60.
Enna, August 1112.
Enthoven, Emile 1086.
Entstehung der Musik:
Brauns Theorie 3.
Biichers Theorie 4.
Darwin s Theorie 3.
Groos' Theorie 3.
Hackers Theorie 4.
Spencers Theorie 3, 24.
Stumpfs Theorie 4.
Torrefrancas Theorie 4.
Wallaces Theorie 3.
Wallascheks Theorie 4.
Ephraem von Nisibis 137.
Epigoneion 47.
Epikur 37, 49.
Epinikien 57.
Epiphonus 94.
Epstein, Julius 1007,
Erard, S<£bastien 581, 589, 607.
Erart, Jehans 195.
Eratosthenes Alexandrinus 37.
Erb, John Lawrence 1197.
Erbach, Christian 543.
Erdmann, Eduard 1219.
Ereminas 1155,
Erk, Ludwig 1238.
Erkel Franz 926, 1072.
Erlanger, Camille 904, 1062.
Erlebach, Philipp Heinrich 553, 568,
571, 674, 695.
Ernst, Heinrich Wilh. 1204.
Erpf, H. 1232, 1240.
Ertel, Jean Paul 1012.
Erzcister 604.
Erzlauten 592 f.
Esbry, Fr. 1100.
Eschenburg, Johann J. 754.
Eschmann, J. K. 1040.
Escobedo, Bartholomeo 347.
Eslava, Don M. Hilarion 915, 1098,
1237.
Espagne, Franz 858.
Espla, Oscar 1101, 1102f.
Esposito, Michael 914.
Esser, Heinrich 873, 972.
Essipoff-Leschetizky, Annette 1218,
1219.
Ethoslehre der Griechen 39, 42, 46,
48ff.
Ethoslehre der Primitiven und Exo~
ten 30.
Ett, Kaspar 855.
Ettinger, Max 1014.
Eukleides 37, 1224.
Euphonium 622.
Euripides 60.
Evans, Edwin 1245.
Mac Ewen, John Blackwood 1048.
Expert, Henry 1237.
Expressionismus 998, 1003f.
Eybler, J. 855, 933.
Eysler, Edmund 993.
raber, Gregor 1228.
Faber, Heinrich 448, 505, 1228.
Fabricius, Jacob 1111.
Faccio, Franco 912.
Fago, Nicola 430, 502.
Fagott 576, 578, 615, 618.
Fahrbach, Philipp 988.
Fairchild, Blair 1197.
Fairfax, Robert 326, 537.
Faiflt, Immanuel G. Fr. 479.
Falconieri, Andrea 438 f.
Fall, Leo 993, 1035.
de Falla, Manuel 587, 1 099, 1 1 01 , 1 1 02.
Faltin, Richard 1124f.
Famintzin, Alexander S. 924.
Fandango 983.
Fantasia 385, 390, 541.
Fantasie 563, 808, 832.
Fara, Giulio 1097.
Farbenklavier 1005, 1139.
Farinelli siehe Broschi, Carlo.
Farjeon, Harry 920.
Farmer, John 381.
Farnaby 381.
Farrar, Geraldine 1223.
Farsa 88.
Farwell, Arthur 1195.
Fasch, Johann Friedrich 470, 553 f.,
568, 571, 717.
FaBbander, P. 1040.
Faure, Gabriel M. 901 , 1063f., 1068,
1071.
Fauxbourdon 291, 299, 309," 1228.
Favart, Charles 745, 897.
Feinberg, Samuel 1142.
Felber, Erwin 1239.
Fellerer, K. G. 1239.
Fellinstrumente 628 ff.
Fenis, Rudolf v. 202.
Feo, Francesco 709, 798.
Ferdinand III. 524, 670.
Ferrabosco, Alfonso 658.
Ferrari, Benedetto 438, 500.
Ferretti, Don Paolo 1097.
Ferri, Baldassare 708, 1221.
Ferroud, P.O. 1073.
Fesca, Alexander Ernst 873.
Fesca, Fr.E. 873.
Fesch, W. de 929.
Festa, Costanzo 335, 363.
Fetis, Francois Joseph 1075, 1230,
1235, 1236, 1237, 1243.
Feuillet 980.
Fevrier, Henri 1062.
Fibich, Zdenko 973, 1158, 1162.
Ficker, Rudolf 1239.
Fidula siehe Fiedel.
Fiebach, Otto 885.
Fiedel 260, 574, 577, 591, 596 ff.
Field, John 833, 1216, 1217.
Fielding 707.
Figulus, Wolfg. 1228.
Figus-Bystry 1 164.
Filippi, Filippo de 1243.
Filke, Max 856.
Filtz, Anton 774, 800.
Finale 744.
Finalis 117.
Finck, Heinrich 336, 376f,, 385.
Fink, G.W. 1243.
Finke, Fidelio F. 1025.
Finke, Romeo 1217.
Fino, Giocondo 1079.
Finolt 505.
Fioravanti, Valentino 905.
Fioravanti, Vincenzo 908.
Fischer, A. 476.
Fischer, Edwin 1219.
Fischer, Gotth. 479,
Fischer, Johann Kaspar Ferdinand
544, 553,561, 568, 571.
Fischer, Karl August 479.
Fischer, Wilhelm 1239.
Fischhof, Robert 1015.
Fischietti 709, 712, 743.
Fistula siehe Flote.
1268
Index: Fitelberg — Gandolfi
Fitelberg, Gregor 1148, 1214.
Fitelberg, Jerzy 1151.
Fitzner-Quartett 1207.
Flageolett 610.
Flagg, Josiah 1188.
Flechtenmacher 926, 1184.
Fleischer, Anton 1214.
Fleischer, Oskar 1239.
Le Flem, Paul 1060.
Flesch, Karl 1204, 1205.
Flexa 93.
Flexaton 584, 631.
Flodin, Karl 1127.
Flondor, Th. de 926.
FIonzaley-Quartett 1207.
Floquet, E.J. 737.
Flor 472.
Florentiner Streichquartett 1207.
Florenz'416ff., 432 ff., 502 u. a. 0.
Florio, Cav. de 1182.
FloBpsalterium 585.
Flote 12, 260, 574f., 576, 579, 580,
581, 609ff.
Flotow, Friedrich v. 875.
Fliigelhorn 580, 621.
Flury, R. 1043.
Foggia, Francesco 497, 499.
Fogliano, Ludovico 1226, 1231.
Folescu 1184.
Follia (Folie) 570, 980.
Folprecht, Zdenko 1165.
Folquet von Marseille 188.
Fomin 1133.
Fontaine, Petrus 358.
Fontana, Giovanni Battista 548.
Fontes 539.
Foote, Arthur 1193.
Forchhammer, Th. 1039.
Forgeron, Charles siehe Kovarovic,
Karl.
Forkel, Joh.Nikolaus 928, 1235, 1242.
Formen, musikalische
des Gregorian Jschen Chorals 108ff.
der Halblculturvolker 25 ff.
der orientalischen Kulturvolker
25 ff.
siehe einzelne Abschnitte.
Formschneider, Hieronymus 3 1 9,
326.
Fornerod, A. 1080.
Foroni, Jac. 917.
Forster, Georg 376.
Foerster, Adolphe Martin 1193.
Foerster, Anton 1166.
Forster, Caspar 463, 470, 497, 506.
Forster, Christoph 553 f., 568, 571.
Forster, Em. Alois 825.
Foerster, J. B. 1158f.
Fortsch, J.Ph. 674.
Foster, Stephen Collins 1191.
Foxtrott 974.
Fragoso, Antonio 1105.
Franc, G. 1077.
Franceschini, Petronio 1206.
Franchetti, Alberto 914, 109HL
Francisci 1 1 64.
Franck, Cesar Aug. 855, 902, 937,
972, 998, 1058f., 1075f.
Franck, Johann Wolfgang 674 f.f 692,
695.
Franck, Melchior 380, 452, 564.
Franck, Salomo 467.
Franckenstein, Clemens v. 1014.
Franco, Jose" Maria 1 1 04.
Franco von Koln 254, 261.
Franco von Paris 261.
Francceur 654.
Frank, Ernst 875, 885.
Frank, Maurits 1207.
Frankl, Paul 1009.
Franklin,. Benjamin 633, 1189.
Frantz, W. 475.
Franz, Robert 476, 947 f., 961.
Franziscus von Assisi 207.
Frati, Lodovico 1240.
Frauenberg 1038.
Freeh 475.
Frei, J. 1040.
Frere,R.W. H. 1240.
Freschi, Domenico 429, 500.
Frescobaldi, Girolamo 472, 54 Iff.,
547, 558, 560, 567, 1209f., 1215.
Frestele siehe Flote.
Freudenberg, Wilhelm 884.
Frey, E. 1042.
Frey, Walter 304.
Freylinghausen 466.
Friberth, Karl 701.
Frid, Geza 1180.
Fried, Oscar 1029, 1213.
Friedheim, Arthur 1218.
Friedlander, Max 1239.
Friedmann, Ignaz 1150, 1218, 1219.
Friemann, Witold 1151.
Frimmel, Theodor 1240.
Frischenschlager, Friedrich 1015.
Fritsch, E. W. 1244.
Fritz, G. 1078.
Froberger, Johann Jakob 472, 543,
561, 562, 566,571, 1215.
Frohlich, E. 1040.
Fromm, Andreas 506.
Frottola 335, 359ff., 370, 379.
Frugatta, Giuseppe 1097.
Frutolf von Michelsberg 121.
Fry, William 1192.
Fuchs, Albert 886.
Fuchs, Ferdinand Karl 873.
Fuchs, Robert 887, 949, 1007, 1015.
Fuenllana, Miguel de 387, 401 f., 431 .
Fuge 542, 545 f.
Fuge, Vorformen der 278, 541 ff.
Fiihrer, R. 856.
Fuller-Maitland, John-Alexander
1049, 1235, 1237.
Funck, D. 1206.
Fundamentinstrumente 587.
Funfstufigkeit siehe Pentatonik.
Furlotti, Arnaldo 1097.
Furtwangler, Wilh. 1213.
Furuhjelm, Erik 1127.
Futterer, K. W. 1042.
Fux, Johann Joseph 524ff., 547, 548,
551, 553, 568, 571, 679ff., 686, 709,
710, 778, 780, 1230, 1231.
Gabrieli, Andrea 352, 356, 367, 388,
389, 390, 394, 414, 452, 455, 540.
Gabrieli, Giovanni 352 ff., 388, 390 f.,
393 f., 455, 460, 507 f., 547, 548.
Gabrielli, Domenico 500.
Gabrielli, Conte Nicole 908.
Gabrilowitsch, Ossip 1200, 1214,
1218, 1219.
Gace Brute 194.
Gade, Niels Wilhelm 935 f., 949, 961,
972, 1109L
Gaffi, Bernardo 499.
Gafurius, Franchinus 308, 309 f.,
1225 f.
Gagliano, Marco di Zanoti da 417,
420, 421, 509.
Gagliarda siehe Galliarde.
Gagnebin, H. 1080.
Gil, Hans 1015, 1028, 1033.
Galilei, Vincenzo 416, 432, 1227.
Galiot, Jean 274.
Gall, Jan 1146.
Galli, Amintore 914.
Galliarde (Caillarde, Gagliarda) 3%,
564f.f 975, 978.
Galiot 1202.
Gallotti, Salvatore 1097.
Gallus (Handl), Jacobus 355 f., 453,
1165.
Galopp 988,
Galuppi, Baldassare 146, 709, 739,
742, 743f., 840, 1132.
Gamben 575,
Gamelan 32.
Gandolfi, Riccardo C.D.D. 912.
Index: Gangler — Gotovac
1269
Gangler, Th. 1040.
Gansbacher, J. B. 855.
Ganz, R. 1042.
Garcia, Jeronimo Rodriguez 1223.
Garcia, Manuel 905, 1190, 1223.
Garcia, Manuel del Popolo Vicente
1223.
Garcia, Marianne 1223.
Gardano, Antonio 326.
Gardiner, Balfour 1052.
Gasco, Alberto 1097.
Gaspari, Gaetano 1238.
GaiJmann, Florian 709, 712, 733, 740,
743, 744, 754, 755, 846.
Gafiner, F. S. 1212.
Cast, Peter 885.
Gastoldi, Giov.Giac. 372, 451, 452.
Gastoue, Amed£e 1240.
Gatti, Guide M. 1245.
Gatty, Nicholas 1056.
Gaudencije, Nikolaus 1167.
Gaudentios 37.
Gaultier, Denis 405, 564, 1202.
Gautier de Coincy 262.
Gautier de Dargies 194,
Gaveaux, P. 766.
Gavinie's, Pierre 800.
Gavotte 568, 976.
Gay, John 662, 707.
Gaztambide, Joaquim 1098.
Gazzaniga 761 f.
Gebirgszither 585 f.
Gedalge 1068.
Gehrrnann, Hermann 1239.
Geierhaas, Gustav 1014.
Gcigc 260, 574, 591 , 593, 595 u. siehe
Violine.
Geigenfiedel 599.
Geiger 1202ff.
Geijer, Gosta 918.
Geiringer, Else 1015.
Geisef, W. 1043.
Grisler, Paul 886.
Gelinek, Josef 825.
Gellius 38.
Genu'indelted,
cvangcli.sche.s 447.
katholisehes 847 ff,
Geminiani, Francesco 551, 557, 571,
8fX).
Genee, Richard 993.
GeneralbaB 380, 417, 432,456, 464,
508,550,691,1209f.J229u.a.O.
General!, Pietro 905, 908.
Genet/., Kmil 1127.
Gennrich, Friedrich 1239.
Gentili 1232.
Genzbacher, Josef 1223.
Georg Anselm von Parma 1224.
Georges, Alexander 904.
Georgiceo, A. 1 167.
Georgiev, G. 1 1 70.
Gerber, Ernst Ludwig 1237.
Gerbert, Furstabt Martin 124, 1236f.
Gerbic, Franc 1 166.
Gerhard, Roberto 1104.
Gerhardt, Elena 1223.
Gericke, Wilhelm 1191.
Gerle, Hans 388.
German, J. Edward (Jones, German
Edw.) 91 9f., 1045.
Germer 1218.
Gernsheim, Friedrich 936.
Gero 363.
Gershwin, Georg 1 1 99.
Gervais, Ch. H. 654.
Gesellschaftslied, deutsches 376ff.
Gesellschaftstanz 395 ff., 973 ff.
Gesius, Bartholomaus 452, 454, 455,
464.
Gesualdo da Venosa, Carlo 363, 367,
369, 417.
Gevaert, August 82, 1074, 1238.
Gewandhausquartett 1033, 1207.
Ghirardello 279.
Ghiselin, Jean 326.
Giacomelli, Gemmiano 528.
Giacomo, Salvatore di lz4Q.
Gianotti, Ant. 500.
Gibbons, Christoph 659.
Gibbons, Orlando 381 f., 536, 539.
Gibbs, Cecil Armstrong 1054.
Gieseking, Walter 1219.
Gigli, Benjamino 1223.
Gigue siehe Geige.
Gigue (Instrumentalstiick) 564, 567,
979.
Gil, Pero 539.
Gilbert, Henry F. 1195f.
Gillebert von Berneville 194, 195.
GillJers, Ch. 745.
Gilman, Lawrence 1200.
van Gilse, Jan 1085.
Gilson, Paul 1075, 1076.
Gindron 1077.
Gintzler, Simon 395.
Giordano, Umberto 1091.
Giosa, Nicola de 908.
Giotti 1077.
Giovanelli, Ruggiero 375, 510.
Giovannini 697,
Giraffenklavier 589, 590.
Giraldus Cambrensis 166, 1108.
Gitarre 260, 574f., 591, 595 f.
Giustiniani, Vincenzo 431.
Glareanus, Heinrich Loris357, 1039,
1228, 1234.
Glaser, Franz 873.
Glasharmonika 633, 866, 1189.
Glass, Louis 11 1 1 f.
Glasunow, Alexander 922, 1041, 1214.
Glaukos von Rhegion 36.
Glavic, Simon 1 167.
Gleason, Frederic Grant 1194.
Gleboff, J. 1245.
Glee 382.
Glettle 1039.
Gliere, Reinhold 1141.
Gliers von Pruntrut 1077.
Glinka, Michael Iwanowitsch 147,
148, 920,972, 1133f.
Glinski, M. 1245.
Globokar, Joh. 1165.
Glockenspiel 632.
Gloetzner, Anton 1197.
Gluck, Christoph Willibald 554, 629,
699, 728ff., 745, 747, 754, 769 f.,
792, 805, 813, 814, 816f., 928, 929,
1108, 1211.
Glykys, Johannes 132.
Gmeindl, Walter 1034.
Gmelch, Josef 1239.
Gobelinus Person 123.
Godard, L. P. Benjamin 901.
Godentag, Joh. 1224.
Godowsky, Leopold 1219.
Goes, Damaib 539.
Golbi, Henrik 1172.
Goldmark, Karl 873, 949, 972.
Goldmark, Rubin 1196.
Goldoni, Carlo 742 f.
Goldschmidt, Adalbert von 885, 936,
1029.
Goldschmidt, Berthold 1027, 1034.
Golestan, Stan 1185.
Goller, Vinzenz 858, 1015.
Goltermann, Julius 1207.
Gombert, Nicolas 327 f., 375.
Gomes, Amadeo Carlos 1089.
Gomez, T. 1100.
Gomnas, F. W. 1117.
Gong 632.
Goossens, Eugene 1054, 1214.
Goepfart, Karl E. 886.
Corner, Valentin 698, 955.
Gospel Hymns 1188.
Gossec, Franz Joseph 737, 747, 800,
936.
Gofiwin, Anton 379.
Gotik 69 u. a. 0.
Gotovac, J. 1168.
1270
Index: Gottschalk — Hall
Gottschalk, Louis Moreau 1192.
Goetz, Hermann 875, 949, 972, 1040.
Goudimel, Claude 3301, 375, 379,
452, 453, 1077.
van Goudoever, Henri D. 1086.
Gounod, Charles Francois 855, 895,
896 f., 937.
Grabert, Martin 579.
Grabner, Hermann 1018f., 1028.
Grabu, Louis 659.
Graf, Max 1240, 1244.
Grafe, Friedrich 697.
Graffigna, Achille 908.
Grainger, Percy 1052, 1198.
Gram, Peder 1112.
Grammann, Karl 884.
Granados, Enrique 1099, 11 01, 1 102.
1219.
Grandi, Alessandro 509 f.
Graener, Paul 1033.
Graser, Wolfgang 1239.
Grasse, Edwin 1 197.
Grast, Fr. 1078.
Gratiani, Bonif. 497.
Gratiosus von Padua 279.
Graumann, Mathilde siehe Marchesi.
Graun, Johann Gottlieb 800, 801.
Graun, Karl Heinrich 473, 474, 679,
697, 699, 712, 728, 800, 801, 929,
1211, 1225.
Graupner, Christoph 470, 557, 678.
Gravicembalo 1227.
Gray, Alan 1048.
Greco, Gaetano 502, 709.
Green, Diinton 1245.
Greff,Bakfark, Valentin 387 fM 1171.
Grefflinger 693.
Gregor von Bridlington 1228.
Gregor I., der GroBe, Papst 82f.,
116.
Gregor, Josef 1239.
Gregori, Lorenzo 555.
Gregorianischer Gesang 75 ff., 339.
Entstehung 75 ff.
Formen 108ff.
geschichtliche Bedeutung 75.
Niedergang 123 f.
nordische, germanische Fassung
85, 100.
Reform 100, 124, 339.
Stilarten UOff.
Theorie I14ff.
TonscHrift 90ff.
Verbreitung 84 ff.
GreiBle, Felix 1025.
Greith, Karl 855, 858, 1039.
Grell, E. A. 477.
Grenon, Nic. 298.
Gretry, Ernest Modeste 737, 746,
747, 1231.
Gretschaninow, Alexander T. 147,
924.
Gr?o*evic, Z. 1168.
Griechen 35 ff.
Asthetik der Griechen 48ff.
Instrumente der Griechen 47 f.
Notenschrift der Griechen 35 ff.
Theorie der Griechen 39 ff.
Ursprung der Musik der Griechen
50ff.
Grieg, Edvard 916, 962, 972, 1113,
1114, 1115, 1119.
Grlepenkerl, W.R.891.
Griesbacher, Peter 858, 1240.
Griffes, Charles T. 1197.
Griff i, Horatio 488f., 490 ff.
Griffloch 608.
Grimace 274.
Grisar, Albert 894.
Grondahl, Agathe Backer 1115.
Gronostay, Walter 1025, 1037.
Groos, Karl 3.
Grosman, Ludwik 1145.
Grossi, Carlo 428.
Grossi, Ludovico, siehe Viadana.
Grossin de Parisiis 298.
Grosz, Wilhelm 1021.
Ground 570.
Grove, George 1236, 1238.
Groven, Eyvind 1117.
Grovlez, Gabriel 1214.
Griinberg, Louis 1 1 98.
Griiner-Hegge, Odd 1117.
Griirtewald 70L
Grunfeld, Alfred 1219.
Grunsky, K. 1240.
Gruodis, J. 1156,
Grutzmacher, Friedrich 972.
Guami, Joseffo 394, 547.
Guarini 363, 415, 435.
Guarneri, F. 1206.
Guarneri, Giuseppe del Gesu
601 f.
Guarnerius 1224.
Gucetic, Franz 1167.
Gudavicius, J. 1 1 56,
Guedron, Pierre 645.
Gueranger, Dom Prosper 124.
de la Guerre, Michel 648.
Guerrero, Francisco 348.
Guglielmi, Pietro 709, 739, 744.
Gui, Vittorio 1096, 1214.
Guidiccioni, Laura 414, 421, 492.
Guido d'Eu von Longpont 122.
GuidovonArezzo92,98, 112, 119f.,
164ff., 176.
Guido von Cherlieu 122.
Guilelmus monachus 299, 309.
Guillaume le Grant 298.
Guilleaume le Heurteur 330.
Cuilmant, Alexander 1237.
Guilmant, F. 855.
Guiot von Dijon 195.
Guirand, Ernest 902, 1065, 1067.
Guitar, English 604.
Gumbert, Ferdinand 883.
Gumpeltzhaimer 452.
Gumprecht, Otto 1244.
Gungl, Joseph 988.
Giinzburg, Mark 1219.
Guridi, Jesus 1 100.
Gurilew, Leo 147, 1133.
Gurlitt, Cornelius 883.
Gurlitt, Manfred 1015.
Gurlitt, Wilibald 1239.
Giirzenich 1214.
Gusla 1132.
Gyrnel 309, 1228, siehe Fauxbourdon.
Gyrowetz, Adalbert 823, 873.
Gysi, F. 1240.
Gyttering 296.
Haan, Willem de 885.
Haapanen, Toivo 1240.
Haarklou, Johannes 916, 1116.
Haas, Joseph 1018.
Haas, Robert 1239.
Haba, Alois 1005, 1025, 1034, 1162.
Haba, Karel 1162.
Habeneck, Fr. A. 1203, 1212.
Haberl, Franz X. 858, 1238.
Habert, J. E. 856.
Hackbrett 260, 575, 585, 586.
Hacker 4.
Hadlaub 1038.
Hadley, Henry 11%.
Hadow, William Harry 1235.
Haeser, G. 1040.
Hafner 750.
Hagg, Gustaf 1120.
Hagiopolites 133.
Hahn, Reynaldo 1062.
Hakenharfe 606.
Hakenneumen 93 f.
Halbif,, H. 1239.
Hale, Philip 1200.
Halevy, Jaques Fromental 891, 894.
Halffter, Rodolfo 1103f.
Halffter, Ernesto 1104.
Halir, Karl 1204, 1207.
Hall, Pauline 1116.
Index: Halle - Hiller
1271
Halle, Charles 1045.
Hallen, Andreas 918, 1119, 1120.
Haller, Michael 858.
Hallstrom, Ivar 917f., 1118, 1119,
1120.
Halm, August 1020.
Halslauten 591 ff.
Halversen, Johan 1116.
Hambourg, Mark 1218, 1219.
Hamburg 468 f., 543, 663, 674ff.f
713ff. u.a.O.
Hamerik, Asger 1110.
Hammerich, A. 1240, 1245.
Hammerklavier 581, 588 ff., 1215f.
Hammerschmidt, Andreas 451, 462,
506, 547, 565, 692, 693.
Hanboys 1228.
Handel, Georg Friedrich 686f".,!21 1,
1215,
Anthems 473.
Konzerte 555, 557.
Opern 662, 663 ff., 676 f.
Oralorien 473, 474, 481 ff., 704ff.
Suiten 568, 571, 801.
Verschiedenes 443, 468, 469, 473,
551 f., 553f.
Hannikainen, Ilmari 1128.
Hannikainen, P. J. 1127.
Hans, Lio 1015.
Hanslick, Eduard 1238, 1244.
Hanson, Howard 1198.
Hanssens, Ch. 855.
Harfe 260, 573, 574, 575, 577, 590,
606 f.
Harmonielehren 1229 f.
Harmonika 633, 784.
Harmonium 627 f.
Harnisch 464.
Harpsichord 1189.
Harsanyi, Tibor 1 173.
Hartmann, Emil 1111.
Hartmann, J. P. E. I109F.
Harwood, Basil 1048.
Harty, Hamilton 1214.
Hasse, Faustina 666, 1222.
Hasse, Johann Adolf 474, 530 f., 679,
709, 710, 71 If., 722, 723 ff., 800,
801, 1211.
Hasse, Karl, 1018, 1239.
Hasse, M. 1240.
Hasslcr, Hans Leo 356f., 380, 452,
456, 543.
Hftsslcr, Wilhelm 1217.
Hatton, John Liptrot 919.
Hatze, J. 1168.
Hauer, Josef M. 1025, 1232.
ff, G, 1040.
Haug, H. 1043.
Haultin, Pierre 326.
Hauner, N. 849.
Haupt, Karl August 479.
Hauptmann, Moritz 478, 960 f., 1211,
1230.
Hausegger, Friedrich v. 1238.
Hausegger, Siegmund von 888, 1012,
1213.
Hauser, Franz 1223.
Hausmann 1207.
Haussmann, Valentin 380, 564.
Havemann, Gustav 1206.
Hawkins, John 1235, 1236.
Hay, F. 1080.
Haydn, Joseph 599, 605, 769ff.,809f.,
1171, 1210, 1216.
Instrumentalmusik 802, 807, 808,
81 Iff., 81 8f., 824.
Lieder 701 f., 1048.
Messen 833 ff., 843 ff.
Oratorien 709, 927, 929ff.
Singspiele 750.
Tanze 984.
Haydn, Michael 750, 774, 791, 809,
829, 838, 846 f., 848 f., 870, 957,
1171.
Heck, Johann 696.
Heckel, Emil 617, 703.
Heckel, Wolf 388.
Heckelphon 617.
Hegar, Friedrich 949, 1040.
Heger, Robert 1015, 1213.
van Heiden, Jb'ren 1124.
Heifetz, J. 1206.
Heifler 1206, 1207.
Heim, J. 1040.
Heinichen, Johann David 530, 709,
712, 1229.
Heinilz, W. 1240.
Heinrich, Anton Philipp 1195.
Heinze, Gustav Adolf 1082.
Heise, P. A. 1110, 1119.
Hektorovic 1167.
Helbig 467.
Helfert, VI. 1240.
Helikon 580.
Heller, Hans Ewald 1036.
Heller, Stephen 972.
Hellmesberger, Georg 1204, 1207,
1211.
Hellmesberger, Josef 1204.
Hellmesbergerquartett 1204, 1207.
Helsted, Gustav 1 11 Of.
Henderson, William 1200, 1245.
Henke, Joh. Jakob 1061.
Hennebcrg, Richard 918,
Henri d'Andeli 194.
Henrichsen, Roger 1112.
Henriques, Fini 1111.
Henry, Michel 645.
Henschel, Georg 885, 1045, 1191.
Henselt, Adolf 972, 1232.
Herakleides Ponticus 36.
Herberigs 1075.
Herbert, Victor 1195, 1199.
Herbing, Valentin 698 f.
Herbst, Joh. Andreas 1231.
Hericus von Paris 89.
Hermann, Jan 1217.
Hermann, Karl August 1130.
Hermann, Minna 1130.
Hermann, Nikolaus 450, 452.
Hermann, Paul 1180.
Hermannus Contractus 87, 120, 164.
Hermeneutik 1236.
Hermesdorff, Michael 124.
Herold, Louis Joseph Ferdinand
893, 894.
Heron von Alexandria 37
Herovic 1167.
Herrmann, Hugo 1028, 1034, 1037,
1205.
Gebrtider Herrmann-Streichquartett
1207.
Hertz, Alfred 1200, 1214.
Herve siehe Ronger, Florimond.
Herz, Henry 972.
Herzfeld, Viktor 1173,
Herzog, Joh. G. 479.
Herzogenberg, H. von 477 f .
Hesse, Ernst Chr. 479.
Hesiod 52, 54.
Hesychios 38.
Heterophonie 68, 999.
der Griechen 39, 56.
der Ostasiaten 27 f.
Heuberger, Richard Fr. J. 885, 1015,
1036.
Heu6, Alfred 1239, 1244.
Heuschkel, Peter 870.
Hexachorde 120.
Heyden, Sebald 1228.
Heydrich, R. Bruno_887.
Hieronymus 81.
Hieronymus de Moravia 122, 261 f.
Hildegard von Bingen 89.
Hill, Edward Burlingame 1197.
Hill, Wilhelm 884.
Hillemacher, Lucien J. E. 901,
904.
Hillemacher, Paul J. W, 901, 904.
Hiller, Ferdinand 883, 934 f., 949
972, 1217.
1272
Index: Hiller — Intrada
Hiller, Johann Adam 473, 474, 699 f.f
751 f., 754,956,1210,1231,1242.
Hilpert, F. 1207.
Hilton, John 381.
Himmel 709.
Hindemith, Paul 616, 621, 1020,
1028, 1037, 1122.
Hindemith-Quartett 1206.
Hinno 392.
Hinton, Arthur 920.
Hippasos von Metapont 36.
Hirschbach, Hermann 883.
Hirschler, Z. 1168.
Historian 453 f, 504f.
Hjelm, Otto Winther 1115.
Hobrecht, Jacobus 310ff., 359.
Hochberg, Bolko Graf 884.
Hochreiter, Emil 1166.
Hoeree, Arthur 1074.
Hoffding, Finn 1112.
Hoffer, Paul 1034.
Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus
793f.,829ff.,865,866,869, I242f.
Hoffmann, Karl 1205.
Hoffmann, Leopold 814.
Hoffmann, Rudolf Stephan 1015,
1240.
Hoffmeister, Karl 1217.
Hofhaimer, Paul 377, 379, 668.
Hofmann 701.
Hofmann, Heinrich K. J. 884, 949,
Hogarth, George 707.
Hoger von Werden 118.
Hohenemser, R. H. 1240.
Hoi, Richard 1082.
Holbrooke, Josef 1048, 1056.
Holden, Oliver 1187.
Holfeld, I.V. 1217.
Holl, Karl 1244.
Hollander, Christian 328, 380.
Holmes, Alfred 1204.
Holmes, Augusta M. A. 904.
Holmes, Henry 1204.
Holmes, William H. 919.
Holmsen, Borghild 1117.
Hoist, Gustav von 612, 920, 1053,
1056.
Holstein, Franz von 873.
Holter, Iver 916, 1116.
Holtzner, Anton 543.
Holz 1211.
Holzbauer, Ignaz 709, 729, 742, 774,
800.
Holzer 701.
Holzhauser, H. 524.
Holzstabspiel siehe Xylophon.
Homberg 1038.
Homer 52 f.
Homer, Sidney 1199.
Homilius, G. A. 473, 929.
Homophonie 68.
Honegger, Arthur 1072f., 1080, 1 122.
Hopffer, Ludw. Bernh. 884.
Hopkins 1187.
Hopkinson, Francis 1188, 1189.
Hoquetus 259 f., 1220.
Horak, Vojtech 1162f.
Hora lunga 1183f.
Horenstein, Sascha 1034.
Horheim, Bernger v. 202.
Horn 260, 573, 580, 620ff.
Horn, Camillo 949, 1015.
Horn, Charles Edw. 918.
Hornborstel, E. M. v. 1237.
Horneman, C. F. E. 1111.
Horninstrumente 620 ff.
Hornik, 0. 1161.
Hornpipe 563 f.
Horschelmann, Emil 1229.
Horwitz, Karl 1025.
HoBlin, Franz von 1213.
Hostinsky, Ottokar v. 1238.
Hothby, John 123, 308, 1225, 1228.
Houdret, Ch. 1076.
Howells, Herbert 1053.
Hnmaly, Adalbert 925.
Hrimaly, Johann 1204.
Hristic, S.K. 1169.
Hubay, Jeno (Huber> Eugen) 926,
1173, 1206, 1214.
Hubay, (Huber) Karl 926.
Huber, F.F. 1039.
Huber, Hans 199, 1040.
Huber, Kurt 2349.
Huberman, Bronislaw 1206.
Huberti 1075.
Hucbald v. St. Amand 89, 94 f., 118,
134, 163.
Hudson, G. 659.
Hue, Georges A. 904, 1062.
Hufnagelschrift 98, 106.
Hughes 707.
Hiibsch 1184.
Humanistendrama 668 f.
Humanistenmusik 379.
Humfrey, Pelham 659.
Hummel, Ferdinand 886.
Hummel, Johann Nepomuk 825, 830,
855, 1216, 1217.
Humperdinck, Engelbert 885 f.
Huneker, James 1245.
Hupfauf 396, 975.
Hure, Jean 1071.
Hurlebusch, Konrad Friedrich 697 f.
Hurum, Alf 1116, 1117.
Hufl, Henry Holden 1195.
Husen, Friedrich v. 202.
Huybrechts, A. 1076.
Hyagnis 51, 52.
Hydraulos 625.
Hymnen 79f., 87, 111, 113L, 126
129ff., 157f.
Hymnen, armenische 139.
Hyporchema 55.
Ibert, Jacques 1073.
Ibykos von Rhegion 56.
Idelsohn, A. Z. 1240.
Iffert, August 1223.
Ikonen, Lauri 1128.
Imbert, Hugues 1245.
Imitation 301, 305.
Imperfection 252, 265, 307.
Impressionisms 998, 1002f., 1065f.
Inder 17, 22 f., 24, 33.
d' India, Sigismondo 433 f.
Indianer 1195.
d'Indy, P. M. Th. Vincent 855, 903
1059, 1237.
Ingegneri, Marc- Antonio 347.
Ingelius, A. G. 1124.
Ingenhoven, Jan 1085.
Inghelbrecht 1071.
Innozenz III. 88.
Instrumentalmusik
der Prirnitiven und Exoten 30 ff.
im evang, Gottesdienst450f, 456 ff.
inderOper419f., 424 u. a. 0.
Instrumentalmusik
der Griechen 39, 47, 55.
der Romer 62.
des 13. und 14. Jahrhunderts 260 f.,
280.
von 1450-1600 382ff,
von 1600—1750 540ff.
von 1750—1828 795 ff.
von 1828-1880 963 ff.
moderne 1 006 ff. und in den Einzel-
abschnitten der Moderne.
Instrumentalnotenschrift der Grie
chen 46.
Instrumente der Griechen 47 f.
Interjektionen im Gesang 9, 10, 29,
142f.
Intermedien 414.
Intermezzi der Oper 422 f., 722.
Intermezzi der Suite 568 ff.
Internationale Musikgesellschaft, Pi>
blikationen 1238.
Intonazione 392 ff., 560.
Intrada 564 f.
Index: Invention — Kattnigg
1273
Invention des Waldhorns 622.
Ipavec, Gustav 1166.
Ippolitow-Iwanoff, Michael M. 924.
Ireland, John 1053.
Isaac, Heinrich 319ff., 354, 376 f.
Isasi, A. 1100.
Isidor von Sevilla 115.
Iso 86, 88.
Isortilli, Dorisio 492.
Isouard, Niccolo 892, 905.
Istel, Edgar 1013, 1239.
Iten/W. 1034.
Ivcs 658.
Ives, Charles E. 1198.
Ivogtin, Marie 1223.
I/ak-Lihovecky 1164.
Jacchini, Giuseppe ,555.
Jachimecki, /d/.islaw 1239, 1245.
Jacobi, Frederick 1198.
Jacobsthal, Gustav 1238, 1239.
Jacobus von Liittich 122f., 254 f.
Jacopo da Bologna 278, 280 ff., 291.
Jacopo da Fircnce 279.
Jaooponfi da Todi 88, 169, 207.
Jacques-Dalcroze, E. 1079, 1232.
Jadassohn, S. 1230.
Jadin, Hyacinthc 1217.
Jacll, Alfred 1217.
Jaell, Mane 1218.
Jahn, Otto 1238.
Jahrbuch der Musikbibliothek Peters
1238.
Jakob von Edessa 137.
Jakob von Sarug 137.
Jakobnohn 153,
Jan, Carl von 1238.
Janacek, UoS 624, 1163f.
Jannequin, Clement 330, 375, 572.
JnnnHen, Joh. Wald. 1129L
Jans8ttn, Werner 1199.
Japans 15, 24, 34.
Jarecki, Henryk 1 145.
Jarrcki, Tadcus/, 1151.
Jared 138f.
JarnacK Philipp 914, 1019, 1020.
jHrncfeh, Armas 1126.
Jarno, Georg 887.
Javaner 5, 16f.» 32.
Jar/, 584, 596, 610f., 616, 617, 622,
624, 628, 629, 631, 983, 1199f.
Jeep, Joh, 380, 452.
Jchan Bretel 198f.
Jehan de Lescurfl 266.
Jelmoli, H. 1042.
Jemnitz, Alexander 1180.
Jenko, Davorin 1166, 1169.
Jensen, Adolf 886, 949.
Jensen, Irgens 1 1 16f.
Jeppesen, Knud 345, 1239,
Jerkovic, Innozenz 1167.
Jeremias, Jaroslav 1161.
Jeremias, Otakar 1161.
Jesuitendrama 668 ff.
Jeu parti 198ffM 641.
Jezek, Jaroslav 1 165.
Jimenez, Jeronimo 1099.
Jindrich 1161.
Jirak, K. B. 1161 f., 1214.
Jiranek 1218.
Joachim, Joseph 972, 1204, 1206.
Joachimquartett 1204, 1207.
Jochlautcn 590f.
Jode, Fritz 1020, 1232.
Johannes Aegidius von Zamora 122.
Johannes de Garlandia 122, 261 , 272,
1228.
Johannes de Groccheo 122, 260, 965 f.
Johannes de Monte 1225.
Johannes de Muris 123, 307, 1228.
Johannes Eriugena 163.
Johannes Gallicus Carthusiensis 1 224.
Johannes von Damaskus 131f., 133.
Johansen, David Monrad I116f.
John of Salisbury 1228.
Johnson, Robert 658.
Joksimovic, B. 1169.
Jomelli, Niccolo 709, 7 10, 723, 725 f.,
726, 739, 840.
Joncieres, Victorin de 902.
Jones, German Edw., siehe German,
J. Edward.
Jonge, Nicholas 381.
Jongen, Joseph 1076.
Jongen, L. 1076.
Jora Michael 1185.
Jordan, Sverre 1117.
Josef fy 1218.
foseph I. 524, 710.
Josquin dePres 314ff., 326, 359, 373,
386.
Jota 983,
Jotcyko, Tadeusz 1148.
Judenkunig, Hans 392, 395, 403,
407.
Judischer Tempelgesang 149ff.
EinflulJ auf den Gregoriamschen
Choral 76 ff.
Juhasz, Aladar 1172.
Julien, Adolphe 1244.
Junta, Luca Antonio 326.
Juon, Paul 1014, 1042, 1230.
Jurjans, Andrejs 1 1 53.
Jurjans, Juris 1 1 53.
Jurjans, Pawuls 1 1 53.
Justinian 130.
Kaan-Albest,Heinrich von 925, 1217.
Kacanauskas, A. 1155.
Kachel, J. Chr. 1039.
Kade, Otto 476, 1237.
Kadenz, 306, 309.
Kadosa, Paul 1180.
Kafenda, Frico 1164.
Kahl, W. 1240.
Kajanus, Robert 1125.
Kalas 1163.
Kalaus 1169.
Kalcher, J. N. 870.
Kalik, Vaclav 1162.
Kalkbrenner, Ferdinand Wilh. 833.
Kalkbrenner, Friedr. 1216, 1217.
Kalliwoda, W. 959.
Kalnins, Alfred 1153.
Kalomiris, Manuel 1181f.
Kalvaitis 1155.
Kambodschaner 17, 27.
Kamienski, Lucian 1151, 1240, 1245.
Kaminski.HeinricK 1018, 1028, 1029.
Kammerduett 444 f.
Kammermusik 1207f.
Kania, Emanuel 1145.
Kanitz, Ernst 1029, 1034.
Kanne 1242.
Kanondichtung 129ff., 137.
Kantate 434ff., 466f.
Kantatenmesse 532.
Kantele (Kannel, Kankles, Kohkle)
1123, 1129, 1154.
Kantorate 449, 462, 474.
Kanzone 374, 387 ff., 390, 542f.
Kapelle, Joh. Andreas 1165.
Kapp, Artur 1130.
KaPP, J. 1240.
Kappel, Johannes 1 1 30.
Kapsberger, Joh. Hier. 509.
Karadzov, D. 1170.
Karel, Rudolf 1161, 1162.
Karl VI. 710.
Karl der Grofie 85.
Kartowicz, Mieczystaw I148f.
Karrer, Pavlos 1181.
Kaschperow, Wladimir N. 924.
Kasia 131.
KaskJ, Heino 1128.
Kassation 785, 796.
Kastagnetten 583, 630.
Kastalski, Alexander 147.
Kastraten 1121f.
Katakouzinos, AL 1181.
Kattnigg, Rudolf 1015.
1274
Index: Kauder — Korita
Kauder, Hugo 1009.
Kauer, Ferdinand 755.
Kaul, 0. 1240.
Kaun, Hugo 1014.
Kayser, H. E. 901.
Keck, Johannes 123.
Keiser, Reinhard 468, 469, 470, 473,
663, 675 ff., 686, 717, 789, 1108.
Keldorfer, Viktor 1029.
Kelen, Hugo 1180.
Keller, H. 1240.
Kellermann, Christian 1207.
Kelley, Edgar Stillman 1194.
Kellner 472.
Kelterborn, L. 1043.
Kempis, Nicolaus 548.
Kempter, Karl 856.
Kempter, Lothar 884, 1040.
Kenig, Wlodzimierz 1050.
Kerenyi, Georg 1180.
de Kerle, Jakob 328.
Kerll, Johann Kaspar 472, 5 16 f., 518,
519f.t 522f., 544, 561, 566, 568,
571, 572, 670f.
Kern, Jerome 1199.
Kern, Kurt 1014.
Kesseltrommel 628 f.
KeBler, Wendelin451.
Keuchenthal 450.
KeuBler, Gerhard v. 1014, 1213.
Kiel, Friedrich 477 f., 935, 1046.
Kielfliigel 581, 586 f.
Kienzl, Wilhelm 599, 886, 949, 1036.
Kiesewetter, Rafael 261, 1236.
Kilpinen, Yrjo 1128.
Kimovic, Franz 1166f.
Kindermann, Joh. Erasmus 462, 472,
506, 543.
Kinesias 60.
Kinkeldey, Otto 1198, 1239.
Kinsley, Georg 1240.
Kirchengesang, ambrosianischer 80,
82 f.
byzantinischer 126 ft, 1168, 1184.
bulgarischer 1169.
evangelischer siehe Choral, evang.
1152.
gallikanischer 80.
gregorianischer siehe Greg. Gesang.
romischer 80ff.
russischer 140 ft, 1132, 1184.
spanisch-mozarabischer 80.
Kirchengesangverein, Deutscher
evangelischer 480.
Kirchenlied, evangelisches447, 464ft,
474 f.
katholisches 847 ft
Kirchenmusikalisches Jahrbuch 1238.
Kirchensonate, Entwicklung der
547 ff.
Kirchentone 306, 357 u. a. 0.
Kircher, Athanasius 1235.
Kirchhof 472.
KirchI, Adolf 1029.
Kirchner, Th. 1040.
Kiriak, Dimitrie 1183, 1184, 1185.
Kirnberger, Johann Philipp 547, 944,
1229, 1231.
Kissar 15, 28.
Kistler, Cyrill 885.
Kithara 42, 43, 47, 52, 53, 60, 62,
573, 590.
Kitharodie 54 f.
Kittel, Johann Chr. 474, 479.
Kittl, Joh. Friedrich 1217.
Kitzler, Otto 861, 965.
Kiurina, Berta 1223.
Kjerulf, Halvdan 1114f.
Klafsky, Don Anton Maria 1015,
1240.
Klaic, Vj. 1168.
Klami, Uuno 1128.
Klappe 608.
Klappenhorn 621.
Klapper 614, 630 ff.
Klarinette 578, 580, 612ff.
Klatte, W. 1240, 1244.
KlaudiosPtolemaios37,61,416,1224.
Klauwell 1218.
Klavicembalo siehe Clavicembalo.
Klavichord siehe Clavichord.
Klavicymbel siehe Clavicembalo.
Kiaviermusik des 16. Jahrh. 390, 394.
Kleber, Leonhard 392 f.
Klecki, Pawel 1151.
Kleemann, Karl 884.
Kleiber, Erich 1213.
Klein, Bernhard 933, 957, 958.
Klein, Bruno Oscar 1193.
Klein, Walther 1015.
Kleinmichel, Richard 885.
Klemm 1211.
Klemetti, Heikki 1127, 1240.
Klemperer, Otto 1213.
v. Klenau, Paul 1112.
Klengel, August Alexander 833, 1217.
Klengel, Julius 1207.
Klenowski, Nikolai S. 924.
Kleoneides 37.
Kleven, Arvid 1116, 1118.
Klimantovic, Simon 1 1 67.
Klimow, M. G. 148.
Klingen 1038.
Klonas von Tegea 55.
Klose, Friedrich 886, 1029, 1035,
1041, 1042.
Klotz (Violinbauer) 602.
Klug 447 f.
Klughardt, August 885.
Knab, Armin 1016.
Knappertsbusch, Hans 1213.
Knecht, Justin H. 479.
Kneiselquartett 1 191.
Knipper, Leo 1 142.
Knittl 1217.
Knochel, Wilhelm 1028.
Knodt, Heinrich 1015.
Knorr, Iwan 885, 1052.
Knosp, G. 1076.
Kniipfer, Sebastian 462, 506.
Kobald, Karl 1240.
Kobelius, J. A. 679.
Koch, E. E. 476.
Koch, Friedrich Ernst 886, 93 1 , 1028.
Koch, Karl 858.
Kochel, Ludwig von 1238.
Kocher, Konrad 475.
Koechlin, Charles 1064, 1071.
Kocian, Jaroslav 1205.
Koczalski, Raul 1150.
Koczirz, Adolf 1239.
Kodaly, Zoltan 1074f., 1078f.
Kodzamanov 1 1 69.
Koenen, Tilly 1082.
Kogoj, Marius 1 167.
Kohler, E. 931.
Kohler, Louis 883, 1216.
Kokkinos, Nik. 1181.
Kokkos, Dim. 1181.
Kolander, V. 1168.
Kolarovic 1169.
Kolisch 1206.
Kolischquartett 1206, 1208.
Koller, Oswald 1239.
Kolon 59.
Kolor 266, 307.
Kolorierung 296, 298, 299f.
Koloristen (deutsche Orgelkompo-
nisten) 384ft, 451, 1215.
Komodle der Griechen 60 f.
der Romer 6 1 f .
Kompositionslehren 1231 f.
Komzak, Karl 993.
Kondakarien-Notation 141.
Kondracki, Michal 1151.
Konig, J, B. 466.
Konig, Peter 1173.
Konjovic, P. 1169.
Konnemann, Arthur 886,
Konstantinov, B. 1170.
Konta, Robert 1036.
Index: Kontakion — Lambrechts-Vos
1275
Kontakion 130f.
Kontertanz 981.
Kontis 1182.
KontrabaB 599.
Kontrafagott 580, 618.
Kontrafaktur 194, 197f.f 238, 276,
333, 378, 379.
Kontrapunkt 308ff., 384.
Kontrapunktlehren 1 230 f .
Kontratenor 268.
KonvalJnka, K. 1162.
Konzert 444, 456 ff., 462, 507 ff.,
554 ff.f 797, 808, 813, 816, 822,
967 u. a. O.
Konzertform 555 f.
Konzertsymphonie 555.
Kophl, Wolf 453.
Kopten 138.
Korling, Sven A. 1119,
Kornauth, Egon 1015.
Korner, Chr. G. 479.
Kornett 621, 623.
Korngoia, Erich Wolfgang 1035.
Korngold, Julius 1244.
Kosa, Georg 1180.
Koselitz, Heinrich siehe Peter Cast.
Kosmas von Jerusalem 131 f., 133.
KoeBler, Hans 885, 1174.
Kostlin, Heinrich Adolf 1236.
von Kothen, Axel 1127.
Kotilainen, Otto 1127.
Kotillon 981, 988.
Koto 15, 32 f.
Kotter, H. 1038,
Koussevitzky, Serge 1200, 1214.
Kovatovic, Karel 925, 1162,1214.
de Koven, Reginald 1199.
Kowalski, Max 1014.
Kozeluch, Leopold 709, 711, 825.
Krabbe, Wilhelm 1239.
Krafft, Ludwig 304.
Krajacevic, Nikola 1167.
Kralik, H. 1240, 1244.
Kramer, A.Walter 1198.
Kraus, Clemens 1213.
Kraus, Ernst 1223.
Kraua, J. M. 929.
Krause, Christian Gottfried 699.
Krebs, Johann Ludwig 560.
Krebs, Karl 1239, 1244.
Krecz, Geza von 1205.
Krehbiel, H. E. 1245.
Krehl, Stephan 1230.
Krejci, ISA 1163,
Krejci, Miroslaw 1162.
Krein, Alexander 1142.
Krein, Grigori 1142,
81 H, <1 M
Kreisler, Fritz 1205.
Kremberg, Jacob 694.
Krenek, Ernst 1021, 1028, 1034,
1037f.
Krenn, F. 856.
Krenn, Theodor 1007.
Kreta 52, 55.
Kretzschmar, Hermann 482, 1235,
1236, 1237, 1239.
Kreutzer, Leonid 1219,
Kreutzer, Rudolf 1203.
Kreuzer (Kreutzer), Konradin 873,
889, 959, 1039.
Krexos 60.
Krezschmer, Edmund 873.
KrTcka, Jaroslav 1161, 1214.
Krieger, Adam 693 f., 696.
Krieger, Johann 451, 470, 472, 544,
571.
Krieger, Joh. Phil. 451 , 470, 472, 506,
553, 563, 571, 663, 674.
Kristoffersen, Fridtjof 1117.
Kritiker 1200, 1241ff.
KrjukJ-Notation Miff., 1132.
Krlk, Gojmir 1.166.
Kroeger, Ernest Richard 1193.
Krogh, Torben 1239.
Krohn, Ilmari 1123, 1127, 1240.
Kromolicki, Josef 1239.
Kroyer. Theodor 1239.
Krstic, J. 1169.
Krufft, Niklas Freiherr v, 703.
Krug-Waldsee, Joseph 886.
Kruger, Johann 694.
Krull, Arkadius 1131.
Krummhorn 616, 619.
Krupka, Jaroslav 1214.
Kruse, Joh. S. 1207.
Krusis 56.
Krzyzanowski, Ignacy 1145.
Ktesibios 625.
Kuba, L. 1167.
Kubelik, Jan 1205.
Kudircka, V. 1155.
Kuen, Johannes 695.
Kufferath, M. 1245.
Kuhac, F. 1167.
Kuhlau, Friedrich 1109.
Kiihn, Walter 1232.
Kuhnau 474.
Kuhnau, Johann 467, 468, 544, 551,
561,563,568, 571, 572, 1231.
Kuhnel, A. 1206.
Kuhnel, M. 1206.
Kukuzeles, Johannes 132, 133.
Kukuzeles, Josaphat 133.
Kull, R. 1131.
Kullak, Adolf 1218.
Kullak, Theodor 1217, 1218.
Kulenkampff, Gustav 885.
Kummer, Fr. A. 1.207.
Kiimmerle, S. 476.
Kunc, Jan 1161, 1164.
Kundigraber, Hermann 1015.
Kunz, E. 1042f.
Kunzen, Adolph Karl 717.
Kunzen, Aemilius 701, 740, 929.
Kunzen, F.L.A. 1109.
Kuper, Emil 1214.
Kurpinski, K. 1144.
Kurth, Ernst 1232, 1239.
Kurth, Otto 885.
Kurtz-Bernardon 750.
Kurz, L. 1078.
Kurz, Selma 1223.
Kurz, Wilh. 1217.
Kurzoper 1037.
Kurz-Stepan, Ilona 1217.
Kusser, Johann Sigmund 568, 674
675, 1171.
Kiister, Hermann 477.
Kuula, Toivo 1126f.
Kuyper, Elisabeth 1085.
Kvapil, J. 1164.
Lablache, Luigi 1223.
Laborde, Jean Benjamin de 1235.
de Lac6pede 747.
de Lacerda, Francisco 1 1 05.
Lach, Robert 1015, 1237, 1239.
Lachner, Franz 855, 873, 931, 944,
972, 1212.
Lachner, Ignaz 873, 972.
Lachner, Vincenz 972.
Lachmann, Robert 1239.
Lacombe, Louis Brouillon 901.
Ladmirault, Paul 1064, 1071.
Lafite, Carl 1029.
Laforge, Frank 1199.
del Lago, Giovanni 1226,
Laitinen, Arvo 1128.
Lajovic, Anton 1166.
Lajta, Ladislaus 1180.
Lalios, Dim. 1182.
Lalo, Edouard V. A. 900, 1061.
Laloy, Louis 1240, 1245.
de Lamarter, Eric 1197.
Lambelett, Georg 1181.
Lambelett, Nap. 1181.
Lambert, Constant 1054.
Lambert, Lucien 904.
Lambert, Michel 646, 649.
Lambiris, Georg 1181.
Lambrechts-Vos, Anna 1085
1276
Index: Lamento — Litolff
Lamento 425, 660.
Lamond, Friedr. 1218.
Lamoureux, Charles 897, 1214.
Lampe 662.
Lamperti 1223.
Lampugnani, G. B. 739.
Landegg 1038.
Landi, Stefano422, 495.
Landini, Francesco 470ff., 1201.
Landler 981.
Landre, Willem 1085.
Landshoff, L. 1240.
Lanfranco, Giov. Maria 1226.
Lang, M. 1167.
Lang, W. 1043,
Lange, Hieronymus Gregor 380.
Lange-Muller, P. E. 1111, 1119.
Langer, Ferdinand 884.
Langert, Job. August Ad. 884.
Langgard, Rud. 1112.
Laniere, Nicolas 658.
Lanner, August 988.
Lanner, Joseph 985 ff.
Lannoy, Eduard 1211.
Lantins, Arnold de 298.
Lantins, Hugo de 298.
Lanzetti, Salvatore 1206.
Laparra, Raoul 1062.
Laquai, R. 1043.
de Lara, Manrique 1099.
Laruette, Jean Louis 745.
Laska, Gustav 885.
Laskaris, Johannes 132.
Lasos von Hermione 36.
Lassen, Eduard 883.
Lasso, Orlando 331 ff., 362, 367, 371,
375, 379 f., 457, 642.
Lasson, Per 1115.
Late, A. 1130.
Latilla, Gaetano 722, 739.
Laub, Ferdinand 1204.
Laub, Thomas 1107.
Lauber, J. 1079.
Lauden 183, 208ff., 485 ff.
Lauko, Desider 1164.
Launis, Armas 1 1'23, 1127.
Laur, F. 1040.
Laurencie, L. d. 1240.
Laute 260, 383, 385, 387 f., 392, 395,
398 ff., 574f, 576, 579, 590, 591,
592 f., 597.
Lauteninstrumente 590ff.
Lautenisten 1202.
Lautenkonzert 571.
Lauterbach, Job, Chr. 1203.
Lavater, H. 1042.
Lavigna, Vincenzo 910.
Lavotta, Johann 1172.
Lavranca, Dionysios 1181.
Law, Andrew 1187.
Lawes, Henry 658 f.
Lawes, William 658.
Lawrence, W. J. 1240.
Layolle, Fran£ois 330,
Layriz 475.
Lazar, Filip 1185.
Lazarini, Seb. 499.
Lazarus, Daniel 1073.
Lazarus, Gustav 886.
Lazzari, Sylvio 886, 903, 1063.
Lebert, Sigmund 1218.
Leborne, F. 1075.
Lebrun 1075.
Leca, Amando 1 1 05.
Lechner, Leonhard 379, 453.
Lechthaler, J. 858.
Leclair, L M.I 203.
Lecocq, Alexander Charles 898.
de Ledesma, Rodriguez 1098, 1100.
Leduc, Simon 800.
Lee, Louis 1207.
Lee, Sebastian 1207.
Lefebvre, Charles Ed. 904, 937.
Lefeld, Jerzy 1151.
Lefevre, J. X. 1077f.
Legat, Andreas 1165.
Legrenzi, Giovanni 428, 500, 509,
548.
Lehar, Franz 993.
Lehmann, Lilli 1223.
Leich (lai) 158.
Leichtentritt, Hugo 1014, 1239.
Leier 260, 573, 590f.
Leinentrommel 629.
Leisentritt 567,
Leitmotiv 747, 748, 858, 867, 911,
922, 970 u. a. 0.
Leitzmann, A. 1240.
Lejeune, Claude 330, 375.
Lekeu, Guillaume 1076.
Lemacher, Heinrich 1015.
Lemoyne, J. B. 737.
Lemba, Artur 1130.
Lemlin, Lorenz 377.
Lendvai, Erwin 1021, 1028, 1173.
Lenepveu, Ch. Ferdinand 902. .
Leo, Leonardo 528, 709, 710, 721,
798.
Leonard, H. 1203.
Leoncavallo, Ruggiero 914f., 1091.
Leone 1 296.
Leoninus 214ff.
Leopold I. 503 f., 524, 67 If.
Leroux, Xavier H. N. 901 , 904, 1062.
Lert, Richard 1213.
Lesbos 55, 56.
Leschetizky, Theodor 1218.
Leslie, Henry David 919.
Lessmann, Otto 1244.
Letaldus von Micy 89.
Levasseur, Henri 1207.
Levasseur, Pierre F. 1207.
Levi, E. 1043.
Levi, Hermann 876, 1213.
Lexikographie 1237.
Licenza 682.
Lichard, M. 1164.
Lichfield381.
Lie, Sigurd 1116.
Liebe, E. L. 1040.
Liebert, Reginald 298, 302f.
Liebesoboe siehe Oboe d'amore.
Lied, geistliches 172f., 378f.
Liedertafel 957 f.
Liedkomposition 691 ff., 939ff. u.a.O.
Lieurance, Thurlow 1195.
Ligatur 251.
Liliencron, Rochus Frhr. v. 476 f.,
1237.
Lillo, Giuseppe 908.
Lind, Jenny 891, 894, 1190, 1223.
Lindberg, Oscar 1122,
Lindblad, A. 917,
Lindeman, L. M. 1114, 1116.
Lindley, Robert 1207.
Lindner, A. 1207.
Lindpaintner, P. J. v. 873, 931, 972.
Ling-lun 13.
Linke 1204, 1207.
Linko, Ernst 1128.
Linnala, Eino 1 1 28.
Linsen, G. 1124.
Lippenpfeifen 607, 609ff.
Lippius, Johann 1230.
Lipski, Stanislaw 1150.
Liqueszenz 94.
Lira da braccio 597.
Lira da gamba 597.
Lissenko, Nikolai W. 924.
Lissinsky, Watroslaw 926, 1168.
Liste, A. 1040.
Listenius, Nikolaus 1228.
Liszt, Franz 479, 963, 964 f., 970.
1078, 1118, 1119, 1172, 1212f.,
1217f., 1231, 1240.
Lieder 944, 948.
Messen 859 ff.
Oratorien 937 ff.
Litaneienprinzip der Halbkultur-
volker 25.
Litolff, Henry Charles 898, 972.
Index: Litterae — Marcello
1277
Litterae significativae 97.
Ljadow, Anatol 1141.
Locatelli, Pietro 551, 557, 571, 1203.
Lobo, Duarte 540.
Lobwasser, Ambrosius 453, 472.
Lochamer (Lochheimer) Liederbuch
376, 385.
Locke, Matthew 472, 539, 566, 659.
Loder, Edward J. 919.
Loeffler, Charles Martin 1191, 1196.
Logroscino, Nicolo 722, 742, 743.
Lohet, Simon 542.
Lohner, Johann 674, 694.
Lolli, Giuseppe 833.
Lomakin, Gabriel 147.
Longa 91, 252.
Longo, Alessandro 1097.
Loomis, Harvey Worthington 1195.
Lorenz, A. 0. 1239.
Lorenz, K. Adolf 884, 936.
Lorenz, Oswald 1040.
Loreto, Vittorio 422, 493.
Loris-Glareanus, Heinrich, siehe Gla-
reanus.
Lortzing, Albert 874.
Loschhorn, Albert 1217.
Lossius, Lukas 447, 1228.
Losy, Graf 1202.
Lotosflote 611.
Lott, N. 1239.
Lotti, Antonio 444, 509, 530, 679,
709, 710.
Lotto, Isidor 1204.
Loufenberg, Heinrich 172.
Louis, Rudolf 1230.
Loure 568 f.
Low, R. 1040.
Loewe, Johann Jakob 568, 674, 694.
Loewe, J. Karl G. 476, 873, 933 f.,
940, 944f., 958.
Lowenbach, J. 1245.
Lowenstern, Matheus 670.
Lualdi, Adriano 1097.
Liibeck, Louis 1207.
Liibeck, Vincentius 472.
Lucca, Pauline 1223.
Lucchesi, Andrea 904.
Lucic, F. v. 1168.
Lucretius Carus, T. 38,
Ludecus 454.
Ludig, Mihkcl 1130.
Ludwig XIII. 645.
Ludwig XIV. 645 ff.
Ludwig, Friedrich 1239.
Luftinstrumente 607 ff.
Lukacic, Ivan 1 167.
Lukic, L. 1167.
Lully, Jean Baptist 539, 553, 571,
646ff., 649ff.
Lund, Signe 1117.
Lunssens, M. 1075.
Lupot, Nicolaus 602.
Luren 573, 620.
Lusitano, Vincenzo 1226.
Lussy, Ma.tthis 1232.
Lustgarten, Egon 1009.
Liitgendorff, L. v. 1240.
Luther, Martin 378, 446 ff.
Lutkin, Peter 1194.
Luython, Carolus 328, 362, 542.
Luzzaschi, Luzzasco 394, 431 f., 541,
547.
Lwow, Alexis 147, 148.
Lyon, James 1 188.
Lyra 47, 62, 573, 590.
Lyra, Justus Wilh. 476.
Lyraflugel 590.
Maasalo, Armas 1128.
Maazer-Quartett 1207.
Mabellini, Teodulo 909.
Maccioni 670.
Macfarren, Alex. 937.
Machan 1169.
Machaut (Machault), Guillaume de
267ff., 305.
Mackenzie, Alexander Campbell 972,
1047, 1055.
Macrobius, Theodosius 38.
Madeira 539.
Mader, Raoul M. 886.
Madetoja, Leevi 1127.
Madrigal
geistliches 344 f.
konzertierendes 444.
weltliches 278f., 335, 359, 361 ff.,
376, 381 f, 386, 415, 431 ff.
Madrigalkantate 444.
Madrigalkomodie 373, 415.
Magadis 47.
Magalha^s, Filipe 540.
Mager, Jorg 1005, 1025.
Maggini, Giovanni Paolo 600.
Magnard, Albenc 1059L
Mahillon, Victor 1238.
MahW, Gustav 595, 596, 615, 621,
631, 632, 863, 944, 949 f., 951,
952f., 997f,, 1006, 1007f£, 1029,
1174f 1203, 1213.
Mahrenholz, August 1239.
Mahrer, Elisabeth 1222.
Mahu, Stephan 450.
Maillart, Louis Aim<£ 894.
Le Maistre, MatthSus 379, 453.
Majo, Francesco 709, 712, 728, 736,
739.
Major, Erwin 1080.
Majorano, Gaetano 1221.
Makarie 1184.
Maklakiewicz, Jan Adam 1151.
Malaguena 983.
Maldeghem, Robert Julien van 1237.
Maleingreau 1070.
Maler, Wilhelm 1025.
Malherbe, Charles 1237.
Malibran, Maria 908, 1223.
Maliczewski, Witold 1148.
Malipiero, Francesco 1096.
Malko 1214.
Mailing, Jorgen 1110.
Mailing, Otto 1110.
Malvezzi, Cristofano 414, 417.
Manara 500.
Mancinelli, Luigi 1089.
Mandic, J. 1168.
Mandl, Richard 1029.
Mandola 574 f., 591, 593.
Mandoline 575, 593 ff.
Mandyczewski, Eusebius 1015, 1238.
Manelli, Francesco 423.
Man6n, Joan 916, 1100, 1206.
Manesse von Zurich 1038.
Mangold, Karl 873.
Mangold, Wilhelm 873.
Manieren 550.
Mann siehe Monn,
Mannerchore 957 ff., 1029.
Mannheim 774 ff., 800 ff., 1203 u.a.O.
Manni, Ag. 492.
Manns, August 1045.
Manojlovic, K. P. 1169.
Manolov, E. 1169.
Mansfeld, Edgar siehe Pearson, Henri
Hugh,
Mantecon, Juan Jose 1103.
Mantuani, Josef 1239.
Mantzaros, S. 1181.
Manuel, Roland 1073.
Manzanarcs, Jacinto 1 1 00.
de Manziarly, 1073.
Manzocchi, Auteri 1089,
Manzuoli, Giovanni 1221.
Maqam 18ff., 22, 25 f.
Marais, Marin 653, 1206.
Marais, Roland 1206.
Marazzoli, Marco 422, 492, 645.
Marbeck, John 536.
Marcabrus 188f.
Marcelle 980.
Marcello, Benedetto 443, 444, 557,
723, 800, 802.
81*
1278
Index: Marchand — Mesritz
Marchand, Louis 571.
Marches!, Mathilde 1222f.
Marchetti, Filippo 908.
Marchettus vonPadua 122, 291 , 1225.
Marcorelli 497.
Marcus 1232.
Marechal, Henri 904.
Marek, Czeslaw 1151.
Marenco, Romualdo 912.
Marenzio, Luca 367 ff., 414, 490.
Mareschall, S. 1077.
Margaritis, Louis 1182.
Marimba 32, 584.
Marini, Biagio 548, 550, 1202.
Marinkovic, J. 1169.
Marino 363.
Marinucci, Gino 1214.
Mariotte, Antoine 1060.
Markull, Friedrich Wilh. 883.
Marmontel, A. Fr. 897.
Marnold, Jean 1244.
Marot, Clement 375.
Marpurg, Fr. W. 1216, 1229, 1231.
1241.
Marquard von Echternach 89.
Marques, Miguel 1099.
Marschalk, Max 1244.
MarscKner, HeinrichAug.872f.,958,
959, 970, 1212.
Marsick, A. 1076.
Marsick, Emanuel 1164f.
Marsick, M. P. 1203L
Marsop, P. 1240, 1244.
Marsyas 51, 52.
Marteau, Henri 1205.
Martianus Capella 38, 115, 1224.
Martin, F. 1080.
Martin y Soler, Vincenzo 762, 1 133.
Martini, Padre Giambattista 146, 709,
801, 840, 1232, 1235.
Martini, Giov. Marco 500.
Martini, Jo. 304.
Martini, J. P. E. 747 f., 985.
Martinu, Bohuslav 1162,
Martucci, Giuseppe 1093.
Marty, Georges Eugene 901.
Marx, Adolf B. 934, 123 If., 1-238,
1243.
Marx, Eduard 964.
Marx, Joseph 1026.
Marx, Karl 1014.
Mascagni, Pietro 914, 1090f.f 1094,
1214.
Maschera, Florentio 390, 547.
Mascherata 415.
Masek, Kamillo 1166.
Masi, Enrico 1207.
Masini, Lorenzo 279.
Maskenspiele, englische, Masques
658 f.
franzosische 642.
Mason, Daniel Gregory 1196.
Mason, Lowell 1188.
Mason, Stuart 1 197.
Masotti, Giulia 1221.
Massainus, Tiburtius 517, 547.
Massart, L. I. 1204, 1205.
Masse, Victor (Felix Marie) 894.
Massenet, Jules E. F. 599, 892, 901,
902, 937, 1061 f.
Maszynski, Piotr 1 146.
Materna, Amalie 1223.
MatKeis, Nicola 680.
Mathieu, Em. 1075.
Matteo von Perugia 292.
Mattheson, Johann 468, 470, 473,
525, 675, 678, 686, 713f., 717,979,
1210, 1225, 1229, 1231, 1241.
Mauduit, Jaques 375.
Maugars, Andre 1206.
Mauice, Wilhelm 1033.
Maultrommel 866.
Maurice, P. 1079.
Mayer, Lise Maria 1015.
Mayer-Mahr, Moritz 1218.
Mayer-Reinach, Albert 1239.
Mayr, Richard 1223.
Mayr, Simon 709, 766, 905 f.
Mayseder, Joseph 1204.
Mayshuet, Joan de 274.
Mazas, F. 1203.
Mazurka 982.
Mazzaferrata, G. B. 445.
Mazzinghi, Jos. 905.
Mazzocchi, Domenico 422, 492 f.
Mazzochi, Virgilio 422, 495, 497, 511.
Mazzucato, Alberto 908.
Meder, Joh. Valentin 497, 1152.
Mederitsch, Johann Gallus 766.
Medins, Janis 1153f.
Medins, Jazeps 1153f.
Medrascha 137.
Medtner, Nikolai 1140f,
Meerts, Josef L. 1203.
Megel, Daniel 668.
Mehrchorigkeit 312, 3 1 6f., 333, 350f.
355f. , 391, 510ff.
Mehrstimmigkeit 159, 214ff. u.a.O.
der Naturvolker 8f.
der Orientalischen Kulturvolker
27f.
Mdwl, Etienne Nicolas 748, 749, 822,
855.
Mef, Girolamo 416.
Meier, Peter 692.
Meiland, Jacob 380, 454.
Meinardus 935.
Meifiner 754, 897.
Meister, C. 1040.
Meistersinger 202, 206.
del Mel, Rinaldo 490.
Melani, Jacopo 428.
Melani, Otto 428.
Melanippides 60.
Melartin, Erkki 1126.
Melba, Nellie 1223.
Melcer, Henryk 1147F.
Melgaco, Diogo 539 f.
Melichar, Josef 1025.
Melngails, Emils 1153.
Melodram 752 £, 814f.
Melodramma 423.
Membree, Edmond 902.
Menantes, Hunold 468, 473.
Mendel, J. J. 1046.
Mendelssohn, Arnold 479, 880.
Mendelssohn, Felix 475, 476, 479,
873, 932, 934, 945 f., 958, 959 f.,
963f., 965 f., 1211, 1212, 1216.
Mendes, Manuel 540.
Meneghetti 798.
Mengden, G. v. 1 152,
Mengelberg, K. Rudolf 1015, 1085,
1239.
Mengelberg, Willem 1082, 1080,
1214.
Mengewein, Karl 88 X
Mennicke, Karl 1239.
Mensuralnotation 251 ff., 265 f., 277,
307, 399, 511.
Menter, Josef 1207.
Menter, Sophie 1219.
Menuett 568, 979, 981.
Mercadante, G. Saverio R. 906, 908.
Merian, W. 1240.
Merikanto, Aarre 1128.
Merikanto, Oskar 1127.
Merk, Joseph 1207.
Merkel, G. A. 479.
Mermet, Auguste 902.
Merques, C. 298.
Merques, N, 298.
Mersenne, Marin 1231, 1235.
Mersmann, H. 1240, 1244.
Mertke, Eduard 883 f., 1218.
Merula, Tarquinio 509 f., 548, 566 f,
Merulo, Claudio 351, 388, 394, 414,
547.
Mesarites, Nikolas 131.
Mesenez, Alexander 142, I43f.
Mesritz van Veldthuyzen, A. 1085.
Index: Messager — Miiller
1279
Messager, Andre Ch. P. 895, 898,
1063.
Messchaert, Joh. 1082.
Messe 293, 297 ff., 302 ff., 313, 317f.f
325, 328ff.f 330, 334, 339ff., 356,
833 f f.
Messe, deutsche 446 f., 848f.
Messe, Entstehung der 81.
Messe, protestantische 446 f.
MeBner, Joseph 1014.
Mestdagh, K. 1075.
Metallstabspiel 632.
Metastasio, Pietro 494, 503, 666, 682,
708, 723.
Methfessel, Alb. Gottl. 873.
Methfessel, E. 1040.
Metzdorff, Richard 884.
Meulemans, E. 1075.
Meumann, E. 1240.
Meyer, Eduard 51.
Meyer, Fr. W. 1009.
Meyer, Gri 1038.
Meyer, K. G. 1239, 1240.
Meyer Leonti v, Schauensee 749,
1039.
Meyerbeer, Giacomo (Beer, Jakob
Liebmann) 599, 890 f., 1212.
Mezzapunto 51 2 f.
Michael, Rogier 452.
Michael, Tobias 458, 462.
Michalowitsch 1185,
Michel de la Guerre 648.
Micheuz, Georg 1 1 66.
Mielck, Ernst 1126.
Mies, P, 1240.
Migot, Georges 1073.
Mihalovich, Edmund von 926, 1173.
Mikess, Blaha 1162.
Mikorey, Franz von 1213.
Milan, Luiz 387, 401, 431.
Milanello, A. Marie 1204,
Milanello, Therese 1204.
Milcent, P.O. 1106.
Milder-Hauptmann, Pauline Anna
1223.
Mildner, Moritz 1204,
Milhaud, Darius 1072.
MillScker, Karl 884, 993,
Milojevic, Miloje 1169.
Mimus 6H.
Minato, Nice. 426, 503, 672.
Mincu8» Ludwig 902.
Mingotti, Regina 1222.
Minima 255, 265.
Minnesang, deutscher 183, 200ff.
Minoja, Ambrogio 1222.
Missa, Edmond J.L. 901.
Mitropolos, Dimitri 1182.
Mitterer, Ignaz 858.
Mittler, Franz 1015.
Mizler, Lorenz Christof 1241.
Mjaskowski, Nicolai 1142.
Mjden, Reidar 1113, 1245,
Mtynarski, Emil 1 148.
Mlynarski, Ernst 1214.
Mockel, Paul Otto 1219.
Mocquereau, Dom Andre 124, 1240.
Modalnotation 193, 25 If., 265.
Moisisovich, Roderich v. 1015.
Mokranjac, S. siehe Stojanovic, S.
Molier, Louis 646.
Molieres, Baptiste 647 f.
Molinari, Bernardo 1214.
Molitor, Joh.B. 858.
Molitor, P.R. F. 1240.
Molitor, V. 1039.
Moellendorf, Willy 1005, 1025.
Molnar, G. 1240.
Molza, Tarquinio 370.
Mompou, Federico 1103.
Monatshefte f . Musikgeschichte 1 238.
Monch von Salzburg 172, 201, 202.
Mondonville 657.
Moniuszko, Stanislaw 1144f.
Monn, Georg Matthias 547, 800, 802,
805 f., 808.
Monochord 47, 115, 260, 588.
Monodie4!5ff.,430ff.,492ff.u.a.O.
Monodie, instrumentale 391, 548.
Monpou, Hippolyte 894.
Monsigny, Pierre AL 745, 746 f.
Montani, Nicola Aloysius 1 1 97.
Montard, David 1225.
de Monte, Philipp 328, 362, 367.
Montecassino 96.
Monteclair, M. P. 654.
Montemezzi, Italo 1095.
Monteverdi, Claudio 367, 369, 41 9ff .,
423ff., 436f., 455, 552, 627, 676,
1202, 1227.
Monteverdi, Giulio Cesare 421.
Montex, Pierre 1214.
Montillet, W. 1080.
Montirande" 976.
Moos, P. 1240.
Morales, Christobal 347f.
Moranzoni, Roberto 1214.
Morcman, Oskar 1117, 1118.
Moreira de Sa 1105.
Morera, Enrique 1099.
Moresca 974, 980.
Morini, Erika 1205.
Moritz 622.
Morlacchi, Francesco 709, 905.
Morley,Thomas381 f., 390,472, 1228
Morphy, Don G. 1238.
Mortelmans, L. 1075.
Mortimer, Peter 475.
Morungen, Heinrich v. 202.
Mosca, Giuseppe 905.
Mosca, Luigi 905.
Moscheles, Ignaz 833', 1216.
Mosel, I. von 742, 1243.
Moser, Franz 1015.
Moser, Hans Joachim 1239.
Moser, R. 1043.
Mosewius, Joh. Theodor 478.
Mosonyi siehe Brand, Michael.
Moszkowski, Moritz 885.
Motette 159, 221, 227, 232ff., 255ff.,
263 f, 267, 272 ff., 279, 296f.,
310ff.,316f.,319ff.,331ff.,342ff.,
355 f., 386, 449, 462.
Motettenpassion 313f.f 455.
Motetus 233.
da Motta, Vianna 1105.
Mottl, Felix 886, 907, 1213.
Moulaert, R. 1076.
de Moulu, Pierre 330.
Mouret, Jean 654.
Mouton, Jean 326, 349, 400f.
Moyzes 1164.
Mozart, Leopold 776, 810, 814, 838,
1203, 1231, 1235.
Mozart, Wolfgang Amadeus 595, 615,
632, 769ff., 810, 826, 917, 1210f.,
1216, 1217.
Instrumentalmusik 580, 8 1 4, 8 1 5ff .,
823f., 1203.
Lieder 702, 941.
Messen 530, 834, 839ff. ,
Opern 423, 709, 753, 754, 755 ff.
Oratorien 712.
Mozart, W. A. (Sohn) 1217.
Mraczek, Joseph Gustav 1033.
Muck, Karl 1191, 1213.
de Mudarra, Alonso 431.
Muffat, Georg 544, 554, 555, 563,
568, 571, 671.
Muffat, Gottlieb 547, 568, 571, 572,
801.
Mugnone, Leopoldo 1214.
von zur Muhlen, R. 1223.
Muhvic, J. 1168.
Muller, Adolf 884, 1040.
Miiller, Chr. Gottlieb 875.
Muller, E. 1240.
Muller, Georg 1212.
Muller, H. 1240.
Muller, Johannes 1025.
Muller, P. 1043.
1280
Index : M tiller — Novotny
Miiller, Wenzel 755, 764.
Miiller-Blattau, Josef 1239.
MuIIer-Hartmann, Robert 1015.
MuIIer-Hermann, Johanna 1015.
Miinchen 516f., 544, 670f., 672f.,
855f., I013f. u.a.O.
Miinchheimer, Adam 1 145.
Munday, John 572.
Muneira 983.
Munktell, H. 918.
Munnich, Richard 1232.
Munzinger, E. 1039, 1078.
Munzinger, K. 1039.
Muret 375.
Murguia, Joaquin Tadeo 1098.
Musa siehe Sackpfeife.
Muschelhorn 619, 620.
Muset, Colin 194.
Musette 569, 619.
Musica Enchiriadis 118, 159, 163ff.
Musica falsa 308.
Musica ficta 308.
Musicaplana 122.
Musical Antiquary 1238.
Musical Quarterly 1238.
Musikdrama der Orientalen 33 f.
Musikschriftsteller
byzantinische 38.
griechische 35ff.,,61.
moderne 1238ff., 1244f.
Musikwissenschaft 1233ff.
vergleichende 3, 1237.
Mussorgski, Modeste Petrowitsch
914, 921, 972, 997, 1035f., 1070.
Miithel, Joh. Gottfr. 1152.
Muzicescu 1184.
Myrberg, Aug. M. 1119.
Mysliweczek, Joseph 712, 800.
Mysterien 667 f. u.a.O.
Nachtanz 396, 976.
Nagel, Willibald 1239.
Nagelgeige 632f.
Nageli, Hans Georg 475, 957, 1039.
Nanino, Giovanni Bernardino 510.
Nanino, Giovanni Maria 339, 347,
490, 510.
Naprawnik, Eduard Fr. 924, 925.
Narses aus Mahalletha 137.
Narvaez, Luis de 431.
Nasos, Georg 1181.
Naturvolker, Musik der 5ff.
Naue, J. Fr. 475.
Naujalis Juozas 1155.
Naumann, Emil 883, 1236.
Naurnann, Joh. Gottl. 531, 709, 712,
740, 743f., 917.
Naumov, P. 1170.
Navratil, K. 1240.
Neapel 498 ff., 527ff. u.a.O.
NeapolitanischeSchule428ff.,498ff.,
527ff., 707ff., 718E, 739ff., 799ff.
Nedbal, Karel 1214.
Nedbal, Oskar 925, 1161, 1162,
1205f., 1214.
Nedved, Anton 1166.
Neefe, Christian Gottlob 699, 752,
753, 819.
Nef, Karl 1239, 1240.
Negrea, Martinu 1185.
Negri, Cesare 978, 981.
Negro-songs 1191f.
Negro-spirituals 1191f.
Neidhardt, Joh. Georg 1231.
Neidhart von Reuenthal 201.
Neisser, A. 1240.
Neitzel, Otto 885, 1244.
Nejedly, Zd. 1240, 1245.
Nemecek, Emil 1163.
Neri, Filippo 339, 344, 481, 484 ff.
Neri, Massimiliano 547, 548, 555.
Nero 62.
Nerses Schnorhali 139.
NeBler, Viktor E. 884.
Nestorov, H. 1170.
Nesvera, Joseph 925.
Nettl, Paul 1239.
Neubauer, Johann 565.
NeueZeitschrift fur Musik 968, 1243.
Neuendorff, Adolf 1190.
Neukomm, S. v. 703, 855.
Neumann, Franz 1033, 1214.
Neurnark, Georg 694.
Neumeister, Erdmann 467.
Neumen
byzantinische 134ff.
Intervallbedeutung 94ff.
lateinische 90ff., 159f.
Rhythmik 90ff.
russische 141 f.
Tabellen 90.
Neuplatoniker 50.
Neupythagoraer 50.
Nevin, Ethelbert 1199.
Newman, Ernest 1245.
Newsidler, Hans 387, 395, 406ff.,
1171.
Ney, Elly 1219.
Niccolini, Giuseppe 904.
Niccolo von Perugia 279.
Nicode~, Jean Louis 949, 1012,
1029.
Nicolai, Otto 874f., 1211.
Nicolai, Phil. 452.
Nicolai, Willem F. G. 1082.
Nicolau, Antonio 1099.
Niederlandische Schulen 298ff.
Niedermeyer, L. 1078.
Nielsen, Carl 1111.
Nielsen, Hans 1108.
Nielsen, Ludolf 1112.
Niemann, Walter 1014, 1240.
Niewiadomski, Stanislaw 1 146, 1245.
Niggli, Franz 1042.
Nikisch, Arthur 1191, 1213.
Nikomachos Gerasenus 37.
Nilius, Rudolf 1213.
Noack, Friedrich 1239.
Noderman, P. 918.
Nodnagel, Ernst Otto 1009.
Noelte, Albert 1033.
Noetzel, Hermann 1033.
Nohl, Ludwig 1238.
Nola, G. Domenico da 372.
Nomos 53 f., 60.
Nonnengeige 605.
Nordewier-Reddingius 1082.
Nordraak, Richard 916, 1114.
Noren, Heinrich G. 886.
Norlind, Tobias 1240, 1245.
Norman, Ludwig 1119.
Norman-Neruda 1045.
Noskowski, Zygmunt 1145f.
Notation
armenische 139f.
byzantinische 134ff.
Daseia-99, 118, 159f., 164.
der italienischen Laudi 209 f,
der Minnesinger 203 f.
der spanischen Cantigas 213.
der Trouveres 193.
gregorianische 90ff.
griechische 46ff.
judische 149f.
Mensural- 25 Iff., 265 f., 277, 307,
399, 511.
Modal- 193, 25 Iff., 265.
russische 141 ff.
Tabulatur- 383, 385 f., 398 ff.
Notationsreform, russische 142ff.
Notendruck 326 f.
Notenlinie 98.
Notker Balbulus 86, 97, 114, 117,
667, 1038.
Notker Labeo 117.
Notturno 785, 796.
Novak, A. 1168.
Novak, Vitezslav 1159f., 1I6K
Noverre, Jean Georges 726, 729, 814,
980.
Novotny, Jar, 1162,
Index: Nowowiejski — Pamphos
1281
Nowowiejski, Feliks 1148.
Nuffel, J. van 1075.
Nuove Musiche 41 7 f., 432 f., 434.
Nux, Veronge die la 904.
Nyberg, Mjkael 1127.
Obertone 608.
Obiols 1098.
obhgat 789.
Oboe 578, 580, 61 6f.
Oboe d'amore 578, 614, 617.
Obrecht siehe Hobrecht.
Ochs, Siegfried 886.
Ochsenkuhn, Seb. 388.
Oddone 1097.
Oderannus von Sens 120.
Odington, Walther 91, 1 12, 122, 261
1228.
Odo von Clugny 112, 119, 164.
Oeglin, Erhard 326,
Oettingen, A. v. 1230.
Offenbach, Jacques 897 f., 990f.
OginskJ, Michael Kleophas 831 f.
Okeghem, Johannes 304 ft, 314.
Oktavengattungen
byzantinische 133f,
griechische 41 ff.
indische 17f.
mittelalterliche 118, 121.
Oktoechos 131, 137.
Oldberg, Arne 1196.
Olen 51.
Olifant 620.
Olivier de la Marche 642.
d'Ollone, Max 901, 904, 1062.
• Olsen, Ole 916, 1116.
Olympos 46, 51, 52, 53 f.
Ornersa, Michael 1166.
Ondricek, Franc. 1204.
van Oosterssee, Cornelie 1085.
Oper 4I3ff., 863 ff.
deutsche 667,ff., 740 ff., 864ff.,
1029ff. u.a,0.
englische 658 ff.
Florentiner 416ff,
franzosische 641 ff, 659, 735 ff.,
889 ff. u.a.O.
Jtalienisehe 645 ff., 662, 670ff.,
718ff., 904 ff. u.a.O.
Neapolitaner 429 ff.
Stoftxebiet 423 u. a. 0,
Venezianer 423 ff., 670 ff.
in Arnerika 1189ff.
in Bcihmen 924 f., 1156ff,
in Bulgarien 1 170.
in Deutschland 667 ff., 740 ff,,
864ff.J029ff. u.a.O.
Oper:
in Danemark 1106ff.
in England 658ff., 918ff., 1054ff.
in Estland 1131.
in Finnland 1124ff.
in Frankreich641ff.,889ff.,1060ff.
in Griechenland 1180ff.
in Holland 1081 ff.
in Italien 413ffM 718ff., 904ff
1087ff.
in Kroatien 926, 1167f.
in Mahren 1163f.
in Norwegen 916, 1113ff.
in Polen 1144ff.
in Portugal 915, 1105f.
in Rumanien 926, 1184f.
in RuBIand 920 ff., 1133ff.
in Schweden 91 7f., 1118ff.
in Serbien 1 1 69.
in der Slowakei 1164f.
in Slowenien 1165ff.
in Spanien 915, 1098ff.
inUngarn 926, 1172ff. u.a.O.
Opera buffa 422, 721 ff., 742 ff. u.a.O.
Ope"ra comique 738, 745 ff., 892 ff.
u.a.O.
Opera seria 721, 723, 739ff. u. a. 0.
Operette 697 f., 990 ff., 1199.
Ophikleide 580, 621, 622.
Opienski, Henryk 1148.
Oratorio centone 502.
.Oratorio erotico 497.
Oratorium 463 f., 481 ff., 704ff.,
927ff.
Orchester 510, 520f., 529, 579ff.,
784f., 807f., 825f., 827 f, 1006,
1190, 1200, 1214.
Orchestermusik 390, 396 u. a. 0.
Ordre (Suite) 568.
Ore, Adam 1153.
Orefice, Giacomo 721, 1097.
Orel, Alfred 1239.
Orel, Dobroslav 1239.
Organisten 1197, 1201 f.
Organistrum siehe Radleier.
Organum99, 122, 159, 163ff.,214ff.f
225 ff., 262, 293.
Orgel 62, 85, 260, 383, 388, 393 f.,
408L, 450f., 471, 479, 573, 578,
625 ff.
Orgel bei den Byzantinern 128.
OrJentaliscKe Kulturvolker 12ff.
Oriscus 94.
Orlandi, Fernando 905.
Orlandi, Vine. 500.
Orn, Jacob 1108.
Ornamentinstrumente 577 f.
Ornithoparch, Andreas 1228.
Ornstein, Leo 1025, 1198.
Orpheus 51.
Ortiz, Diego 385.
Ortwein, Magnus 858.
Osborn, Franc 1219.
Osiander, Lucas 378 f., 452.
Osterc, Slavko 1167.
Ostrcil, Otakar 1163, 1214.
Oswald von Wolkenstein 202, 203,
276, 1171.
Otescu, Nona 1185.
Ott, Hans 376.
Ottolino da Brescia 279.
Oudrid 1098.
Ouverture siehe Oper 813, 816f., 822
831 u.a.O.
Ouverture, franzosische 552f., 568,
646 u. a. 0.
neapolitanische 554, 568, 719, 796
u. a. 0.
Ozols, S. 1153.
lacchiarotti, Gasparo 1221.
Pachelbel, Johann 472, 544, 558,
561, 571.
Pachulski, Henryk 1147.
Pachymeres, Georgios 38.
Pacini, Giovanni 908.
Pacius, Fredrik 1124.
Paderewski, Ignacy Jan 1147, 1218,
1219.
Padovana, Paduana, siehe Pa vane.
Padovano, Annibale 383.
Paer, Ferdinando 709, 712, 740, 766,
905, 906.
Paesiello, Giovanni (Paisiello) 709,
712, 738, 743, 744f., 904, 1133,
1210.
Paganelli, Giovanni Antonio 800.
Paganini, Nicolo 972, 1203, 1204.
Pagliardi 428.
Pahissa, Jaime 1100, 1103.
Paian 55.
Paine, John Knowles 1193.
Paita 1220.
Paix, Jacob 385, 451.
Paladilhe, Emile 902.
Palestrina, Giovanni Pierluigi 336 ff.,
367, 484, 490, 857f
Palla, Scipio della 417.
Pallavicino, Carlo 428, 500, 673.
Palmgren, Selim 1126.
Parner, Fritz Egon 1015.
Pamer, Michael 985.
Pampanini 1214.
Pamphos 51.
1282
Index: Panain — Pindaros
Panain, Guido 1240.
Pandora 603.
Pamzza, Ettore 1214.
Pankiewicz, Eugeniusz 1147.
Pann, Anton 1182f.
Pannard 745.
Panpfeife 48.
Pantaleon 586.
Pantomimus 62.
Paolo da FJrence 279, 291.
Papadike 133, 136.
Parakataloge 56, 61.
Pariati 503.
Paris 745 ff. u. a. 0.
Parisini Federico 1238.
ParisinJ, Raffael 1181.
Parker, Horatio 962, 1194, 1200.
Parma, Viktor 1166.
Parodiemesse 328ff.f 334, 339ff.,
512ff., 525.
Parry, Charles Hubert Hastings 972,
1045f., 1055, 1235, 1240.
Parry, Joseph 919.
Parsley, Osbert 536.
Parthenien 56.
Partita (Partie) 567, 802.
Parvescu, Pompiliu 1 1 83.
Pasdeloup, J. E. 897, 899, 1214.
Pasler, Karl 1239.
Pasquini, Bernardo 499, 500, 799,
1215.
Passacaglia 561, 570, 980.
Passamezzo 396, 978.
Passepied 568, 979.
Passereau 374 f.
Passion 313, 454 f., 468f., 473, 482,
668f.. 717.
Passo dobie 983.
Pastoraldrama (363), 415, 648.
Patti, Adelina 902, 1223.
Patti, Carlotta 1223.
Pauer, Ernst 1217, 1219.
Pauer, Max 1219
Pauke 574, 575, 580, 610, 628 f.
Paumann, Conrad 384, 391, 407,
1201 f.
Paumgartner, Bernhard 1033, 1213.
Paunov 1169.
Paunovic, M. 1169.
Pavane 395, 564 f, 975, 977, 978.
Pavesi, Stefano 905.
Peacham, Henry 1228.
Pearson (Pierson), Henry Hugh
(Mansfeld, Edgar) 919.
Pedalharfe 606 f.
Pederson, Mogens 1108.
Pedrell, Felipe 1098f., 1237.
Pedrotti, Carlo 908.
Peifil. Frhr. von 931.
Pejacsevich, Dora v. 1 1 68.
Pektis 47.
Pelogtonleiter 17.
Pena, Lorenzo 1210.
da Pena, Peirolo 539.
Pentatonik, anhemitonische
der Agypter 12.
der Chinesen 13.
der Griechen 14, 46.
der Japaner 15.
der keltischen Volker 14.
der Laos 17.
der Ungarn 1171.
Pentenrieder, Fr. X. 883.
Peperara, Laura 370.
Pepping, Ernst 1034.
Pepusch, Joh. Chr. 662, 1235.
Peranda 451, 673.
Pereira, Miguel Angelo 1105.
Perez, David 709, 712, 728.
Perfectio 251 ff., 265.
Perger, Richard von 885.
Persolesi, Giovanni Battista 474,
528f., 709, 721 ff., 739, 800,
801 ff.
Peri, Achille 908.
Peri, Jacopo 416, 41 7f., 421, 432,
1220, 1229.
PerkowskJ, Piotr 1151.
Perosi, Don Lorenzo 936, 1094.
Perotinus Magnus 186, 214, 216ff.,
224, 225 ff., 263.
Perrin d'Angecourt 194, 241 f.
Perrin, Pierre 648.
Persiani, Giuseppe 908.
Persisch-arabischer Kulturkreis 18ff.,
23ff., 25, 33.
Perti, Jac. Ant. 500.
Pes 93, 251.
Pesarese, Dom. 1227.
Pescetti, Giovanni Battista 800.
Pestalozzi, H. 1042.
Peterka, Rudolf 1015.
Peters, Guido 1015.
Peters, Rudolf 1015.
Petersburger Streichquartett 1207.
Petersen, Wilh. 1015.
Peterson-Berger, Wilhelm 918, 1120,
1121, 1122,
Petit, Raymond 1074.
Petrarca, Francesco 362.
Petrauskas, Kipras 1155.
Petrauskas, Miskas 1155.
Petrejus, Johann 326.
Petrella, Enrico 908.
Petri, Henri 1204.
Petri-Quartett 1207.
Petridis, Petro 1182.
Petrucci, Ottaviano 304, 317, 326,
335, 359, 387, 395, 398 f.
Petrus de Cruce 254 ff., 262.
Petrus Picardus 261.
Petrzelka, V. 1164.
Petschnikoff, Alexander 1206.
Petyrek, Felix 1025, 1028, 1034.
Peuerl, Paul 548, 564f., 571.
Peutinger 326.
Pfeife siehe Flote.
Pfeiffer 819.
Pfitzner, Hans 612, 887f.f 952, 1013
1026, 1029, 1030, 1231, 1240.
Pfleger 497.
Pfohl, Bernhard 1244.
Pfordten, H. v. d. 1240.
Phalese 375, 978.
Philammon 51.
Philidor, Francois Andr<§ 645,
746.
Philipp de Grevc 185.
Philipp von Vitry 266, 267, 273.
Philipps, Peter 390.
Philodemos aus Gadara 37.
Philolaos 36.
Philoxenos aus Kythera 60.
Phinot, Dominicus 330.
Phorminx 47, 53.
Phrynichos 59.
Phrynis aus Mytilene 6Q.
Pianino 590.
Pianisten 1214ff,
Pianoforte 578, 588 ff., 808.
Piatti, Alfred 972.
Picander 467, 718.
Piccini, Luigi 905.
Piccinni, Niccolo 709, 712, 737, 739,
742, 743, 744.
Piccoloflote 61 1 f.
Pichl, Wenzel 814.
Picitono, Angelo da 1226.
Pick-Mangiagalh", Riccardo 1097.
Picka, Fr. 1162.
PIern<£, H. C. Gabriel 901, 904, 1060,
1214.
Piero 279, 282.
Pierre de Corbie 240 f.
Pierre de la Rue 326, 359.
Pierre des Molins 274.
PJerson, H. H. 1045.
Pietismus 468.
Pijper, Willem 1086, 1245,
Pilkington, Francis 381.
Pindaros von Theben 57.
Index: Pinsuti Questenbers
1283
Pinsuti, Giro 908.
Pinto, Marques 1 105.
Pirani, Eugenic 914.
Pirker, Marianne 1222.
Piron 745.
Pirro, Andre 1240.
Pisador, Diego 431.
Pischna, Johann 1218.
Pisendel, Johann Georg 557, 1211.
Pisk, Paul Amadeus 1025.
Plsling, S. 1240.
PistocchI, Franc. Ant. 500, 1221.
Piston 623.
Pitra, J.B. 130.
Piva 396.
Pizzetti, Ildebrando I096f.
Pizzi, Emilio 914.
Plaidy, Louis 1216, 1218.
Planquette, Robert 898.
Platania, Pietro 908.
Platel, N.J. 1207.
Platerspiel 260, 619.
Platon 36, 39, 42f., 52.
Plautus 61.
Playford 1188.
Plektron 47, 586.
Plefi, Hans 1009.
Pleyel, Ignaz 825, 1216.
Plica 94, 252.
Plinius major 38.
Plotin 50, 62.
Pluddemann, Martin 945.
Plumhof, H. L. 1078.
Plutarch 5, 37, 46, 54.
Pneuma 24.
Pochette 595.
Podatus 93, 251.
Podbertsky, Theodor 885.
Poglietti, Alessandro 544, 568, 571,
572.
Pohl, Karl Ferd. 1238,
Poise, J. A. Ferdinand 902.
PoissI, J. N. 742.
Polacco, Giorgio 1214.
Poldini, Eduard 926, 1173.
Polinski, A. 1240.
Polivka, Vladimir 1162.
Poliziano 413,
Polka 982, 988,
Pollak, Egon 1213.
Pollarolo, Carlo Francesco 428, 500.
Pollini, Francesco 1217.
Pollux, Julius 38.
Polonaise (PolonSse) 568f,, 831 f., 982.
Polowirkin, Leonid 1142.
Polymnestos von Kolophon 55.
Polvtonalitat 1003, 1072.
Pommer 576, 616.
Ponchielli, Amilcare 908, 1089.
Poot, M. 1076.
Pope 707.
Popov, Sasa 1170.
Popov, Slavko 1170.
Popper, D. 1174, 1207.
Porpora, Nicola 530, 709, 710, 721,
739, 798, 800, 1203.
Porrectus 93, 251.
Porsile, Giuseppe 686, 709.
Porta, Constanzo 347,
Portamento
der Naturvolker 5.
der orientalischen Kulturvolker 29.
Portativ 260, 575, 577, 627.
do Porto, Pero 539.
Portogallo, Marcos (Portugal) 904 f.
Porumbescu, C. 925, 1184.
Posaune 580, 624 f.
Posch, Isaak 565.
Positiv 260, 574, 575, 627.
Postel, C. H. 468, 473, 674.
Pothier, Dom Joseph 124, 1238.
Pottgiefier, Karl 886.
Pougin, Arthur 1238.
Poulenc, Francis 1073.
Powell, John 1198.
Power, Lionel 292, 299, 1228.
Praludium und Fuge, Entwicklung
561 ff.
Pratinas 59.
Pratorius, Hieronymus 453, 462.
Pratorius, Jacob 472.
Pratorius, Michael 453, 456ff., 464,
576,616,621,977,979,1209,1229,
1231, 1235.
Pratt, Waldo 1240.
Predieri 709.
Preindl, Jos. 855.
Premrl, Stanislaus 1167.
Pressus 94.
Preyer, G. 856.
Priamel (Preamel, Praeambulum)
392 f.
Prihoda, Vasa 1205.
Prill, Karl 1206.
Primavera, Giov. L. 372.
Primitive Musik 5ff.
Pringsheim, Klaus 1014.
Prinner 696.
Prinzipalregister 626.
Proch, Heinrich 873.
Procha"zka, Rudolf von 887, 1015,
1240.
Prod'homme, J. G, 1240.
Programmusik 375, 572 f. u. a. 0.
Programmusik in derOper652f.,655,
813u.a.O.
Prohaska, Carl 1015, 1029.
Prokofieff, Sergei 1142.
Proksch, Anton 1217.
Proksch, Josef 1217.
Proksch, Theodor 1217.
Prolatio 265.
Pronomos von Theben 47.
Proporz 396, 975.
Proprium missae 81 f.
Prosa 87.
Prosdocimus de Beldomandis 29],
307 f.
Proske, Karl 857.
Prosniz, Adolf 1236.
Prout, Ebenezer 1232, 1236.
Provencalische Lyrik 183, 188ff.
Provenzale,Francesco 428 f., 527, 709.
Priifer, Arthur 1239.
Prunieres, Henry 1240, 1245.
Psalmen, jiidische 76 ff. '
Psalmlied 453 f.
Psalmodie 79, 108ff.
Psalterium 47, 260, 574, 575, 576, 586.
Psaronda, Johann 1181.
Psellos, Michael 38.
Pseudoaristoteles 261,
Pseudomonodie 370, 430ff.
Puccini, Giacomo 599, 625, 632, 915.
1091, 1094, 1120.
Puccita, Vincenzo 905.
Pugnani, Gaetano 800, 1203.
Pugni, Cesare 908.
Pugno, St. Raoul 904, 1219.
Pujet, Paul 904.
Pumhart 408.
Punctum 92ff., 98, 253, 266.
Purcell, Daniel 662.
Purcell, Henry 473, 539, 551, 553,
659, 660 ff., 707.
nuschmann, Adam 202, 206.
Pycard 296.
Pylades aus Cilicien 62.
Pyramidenklavier 590.
Pyrrhiche 55, 62,
Pythagoraer 37.
Pythagoras von Samos 25, 52.
Quadrat-Notation 98, 193, 251 ff.
u. a. 0.
Quadrille 981, 988.
Quagliati, P. 394, 495.
Quantz, Johann Joachim 474, 699,
1210, 1231, 1235.
Querflote 575, 579, 61 1 f.
Questenberg 1202.
1284
index: Quilisma — Richter
Quilisma 94.
Quilter, Roger 1052.
Quinault, Philippe 646, 647, 649 f.
Quinet, F. 1076.
Quinterne 260, 596.
Quittard, Henry 1238.
Quodlibetkompositionen 377, 6%.
rvaaff, Anton 1222.
Raasted 1112.
Rabaud, Henri 901 , 904, 1062, 1 121 ,
Rachmaninow, Sergei W. 147, 924,
1140, 1219.
Rackett 617, 619.
Radecke, A. M. Robert 883.
Radicati, Felice 905.
Radiciotti, G. 1240.
Radleier 578, 579, 591, 604 f.
Radnai, Nikolaus 1173.
Rado, Aladar 1173.
Raff, Joachim 931, 935, 949, 972.
Raguenet, Abbe" 654.
Raida, Karl Alexander 885.
Raimann, Rudolf 886.
Raimbaut v. Vaqueiras 190.
Raimondi, Pietro 905, 936.
Rainald von Langres 89.
Raitio, Vaino 1128.
Rameau, Jean Philippe 444, 552, 554,
571,654ff.,800f., 1229f.f 1231.
Ramin, Giinther 1014.
Ramis de Pareia, Bart. 1225.
Randegger, Alberto 908.
Randel, A. 917.
Randhartinger, Benedikt 856, 873,
1211.
Rangstrom, Ture 1121, 1122.
Rankl, Karl 1025.
Ranta, Sulko 1128.
Raphael, Giinther 1014.
Rappresentazione 415.
Rappresentazione sacra 421, 491.
JRaselius, Andreas 452.
Rasse, F. 1076.
Rastrelli, Joseph 908.
Rasumovskyquartett 1207.
Rathaus, Karol 1034, 1151.
Rathgeber, Valentin 696, 955.
Ratsche 583.
Ratselkanon 305.
Rauchenecker, Georg 884, 1040.
Rauzzini, Venanzio 904, 1222.
Ravanello, Oreste 1097.
Ravasenga, Carlo 1097.
Ravel, Maurice 1063, 1064, 1068 ft
Ravenscroft 1188, 1228.
Raway, Erasme 1075.
Rawnik, Janko 1167.
Raynaud, G. 194.
Razzi, Serafin 1167.
Rebab 595.
Rebec 33, 260, 593, 595.
Rebel 654.
Rebello, Joao Lourenco 540.
Rebikow, Wladimir J. 924.
Rebner, Adolf 1205.
Redlich, H.F. 1019.
Reed, Thomas German 919.
Refardt, E. 1240.
Refice 1097.
Refrainchanson 192, 195f.
Refrainkantate 439.
Refrainmotette 239 ff.
Regal 626, 627.
Reger, Max 479, 998, 1013, 1015 ff.,
1027, 1029, 1120.
Regino von Prum 118f., 134.
Regis, Johannes 304.
Register 626.
Regnart, Jacob 379, 452.
Rego, Jos£ de 1116.
Reicha, Anton 1230, 1231.
Reichardt, Gustav 957.
Reichardt, Johann Friedrich 700 f.,
709, 740, 866, 940, 944, 956, 959,
1231, 1242.
Reichel, Ad. 1040.
Reichmann, Theodor 1223.
ReichWein, Leopold 1213.
Reidarson, Per 1117.
Reidinger, Friedrich 1034.
Reiff, Lili 1040.
Reigen 396.
Reimann 466.
Reimsequenz 88.
Reindl, K. 1039.
Reinecke, Karl K C. 883, 949.
Reiner, Fritz 1213.
Reinken, Johann Adam 472, 506,
543,551. 558f., 561, 568, 571, 1230.
Reinmar der Alte 202.
Reinthaler, Karl M. 883.
Reisenauer, Alfred 1218.
Reiss, L. J. 1240.
Reissiger, Carl Gottlieb 873, 958,
972.
Reissiger, Fr. Aug. 916.
Reissmann, August 1236.
Reiter, E. M. 1040.
Reiter, Josef 1029.
Reiters, Theodor 1153.
Rellstab, Karl Fr. 1242.
Rellstab, Ludwig 957, 1243.
Remigius von Auxerre 117.
Remigius von Paris 89.
Renaissance 69 f.
Renard, Marie 1223.
Rendano, Alfonso 914.
Renker, G. 1240.
Renner, Josef 856.
van Rennes, Catharina 1085.
Reproduktion 310, 120 Iff.
Resende, Andre de 539.
Resende, Garcia de 539.
Resinarius 450.
Respighi, Ottorino 1097, 1141.
Reti, Rudolf 1025.
Retirada 566.
Reuchlin 668.
Reusner, Esajas 568, 1202.
Reusz, August 888, 1013.
Reutter, Georg 535 f., 544, 709, 710,
800, 802.
Reutter, Hermann 1037.
Reutter, Johann Georg 535 f., 709.
Revue musicale 1238.
Rey-Colaco, Alexander 1105, 1106.
Reyer, L. E. Ernest (Rey) 902, 1061.
Rezitativ
der Inder 24.
der Japaner 24.
der Oper, siehe Oper a. v. 0.
liturgisches 108.
Reznicek, Emil Nikolaus von 875,
1012, 1033.
Rhapsoden 54.
Rhau, Georg 326, 378, 448, 450, 451 ,
1228.
Rheinberger, Josef 479, 855 f., 949,
972.
Rhene--Baton 1214.
Rhythm ik
als Ursprung der Musik 3.
der Naturvolker 7.
der orientalischen Kulturvolker
20ff.
Jm Verhaltnis zur sprachlichen
Metrik 23, 25.
Ribera, J. 212 f.
Ricci, Corrado 1240.
Ricci, Federico 908.
Ricci, Luigi 908.
Ricercar 387ff., 540ff.
Richafort, Jean 327.
Richard, Louis 658.
Richter, Alfred 1218.
Richter, Ernst Friedrich 478, 1230.
Richter, Ferd. Tobias 504, 544, 562,
670.
Richter, Franz Xaver 800.
Richter, Hans 876, 1045, 1213.
Index: Riegler-Dinu — Sainton
1285
Riegler-Dinu, Emil 1183.
Riemann, Hugo 54, 203 f., 482, 1218,
1230,1232,1233,1235,1236,1238,
1239.
Riemann, L. 1219, 1240.
Riemenschneider, Georg 885.
Ries, Ferdinand 873, 933.
Ries, Franz 949.
Riesemann, Oskar v. 1239.
Rietenburg, Burggraf v. 202.
Rietsch, Heinrich 1015, 1238, 1239.
Rietz, Julius 883, 949, 1212.
Rigaudon 568, 979.
Righini, Vincenzo 904.
RJhari, Gregor 1 166.
Riis-Manussen, Adolf 1112,
Riisager, Kundage 1112.
Rimsky-Korssakow, Nicolai A. 147,
921, 922, 972, 1135, 1136, 1142.
Rinaldini, Josef 1015.
Rinaldo da Capua 722, 742.
Ringwaldt 452.
Rinuccini, Ottavio414, 416, 418, 421,
433, 644 f.
Rlpfel, Karl 1207.
Risler, Eduard 1219.
Rist, Joharm 465, 692.
Ristori, Giovanni A. 530, 679, 709,
712.
Ritornell 278, 424.
Ritornell im Rondeau 569, 818.
Ritter, Alexander 875, 949.
Rittcr, A. G. 479, 1238.
RivisJ;a musicale Italiana 1238.
Robert de Handle 261 f.
Robert de la PJere 195.
Robert of Brunham 1228,
Rochlite, Friedrich 1242.
Rode, Pierre 1203.
Roder, Martin 885.
Rodios, Dim. 1181.
Rodriguez, Johannes 259.
Rogalski 1185.
Rogel, Jos<5 1099.
Roger-Ducasse 1064, 1071.
Rogers, Benjamin 566,
Rogers, James H. 1199.
Rogowski, Miehal L. 1150.
Rtthrenglocken 583, 632.
Rtihrentrornrnc! 573, 629*
Rokoko 70,
Holland, Romain 1240,
Rollc, Joh, Heinrich 473, 474, 929.
Rom 334 ff., 421 f., 5 1 Off. ti.n.O.
Roman de Fauvel 266 f,
Roman, Johari H. 917,
RcmianeHca 196, 437.
Romanini 394.
Romanos 87.
Romanos aus Edessa 130.
Romantik 70, 793 f., 825 f., 864 ff.,
932 ff., 939 ff., 963 ff.
Romanusbuchstaben 97.
Romberg, Bernhard 1207.
Romer 38, 50, 61 f.
Romhild, J. Th. 470.
Rondeau 569.
Rondell 183f., 192.
Rondo 818f.
Rondokantate 439.
Ronger, Florimond (Herve) 897.
Ronsard, Pierre 375, 379, 642.
Rontgen, Julius 1085, 1219,
Root, George Frederick 1191.
Rootbam, Cyril 1053.
Rooy, Anton van 1082, 1223.
Ropartz, Guy 903, 1060.
de Rore, Cyprian 35 1 , 362, 365 f., 388.
Rose", Arnold 1206.
Rosenberg, Hilding 1 122.
Rosenberg-Ruzic, Vj. 1168.
Rosenfeld, Paul 1200.
Rosenhain, Jakob 883.
Rosenmuller, Johann 451, 461, 506,
548, 566, 568, 571.
Rosenstock, Josef 1034, 1213.
Rosenthal, Moritz 1218, 1219.
Rose'quartett 1207.
Rosini, Girolamo 493.
Roslawez, Nic. 1142.
Rossi, Lauro 908.
Rossi, Luigi 428, 439, 645 f,
Rossi, Michelangelo 422.
Rossi, Salomone 153, 548, 566, 570,
1202.
Rossignol, Fe"lix Ludger (siehe Jon-
cieres, Victorin de).
Rossini, Gioacchino 831, 889, 905,
906f.
Rofiler 875.
Rosthius 505.
Rotruenga 191, 194.
Rotsohi, L. 1040.
Rotter, L. 856.
Roullet, Jo. 298.
Rousseau, J. J. 745, 752, 772, 815,
1078, 1210, 1229, 1231, 1237.
Rousseau, Samuel A. 904, 1062.
Rousscl, Albert I070f.
Rovctta, Giovanni 509 f.
RowUhmn, J. F. 5, \2 36.
Roycc, Kclward 1198.
Royllurt, Philipp 27).
Ko/koisny, Joseph R. 92),
Rozsavolagyi 1172.
Rozycki, Ludomir 1148. 1149.
Rubebe siehe Rebec.
Rubenson, Alb. 918.
Rubert, Jobann Martin 568.
Rubinstein, Anton 923, 935, 949.
972, 1138, 1218, 1219.
Rubinstein, Artur 1219.
Rubinstein, Nicolai 1 138, 1219.
Riickauf, Anton 886.
Rudnick, Wilhelm 885.
Rudolf, Hans Albrecht 503.
Rudolf, Tobias 1130.
Rudolph, Joh. Joseph 726, 814,
Rudolph von Fenis-Neuenburg 1077.
Rudyar, Done 1198.
Rufer, Philippe B. 884.
Ruhlmann 1214.
Ruhrtrommel 629.
Ruggi, Francesco 905.
Ruggles, Carl 1198.
Rupprecht 701, 755.
Russischer Kirchengesang 140ff.,
1132.
Rust, Friedrich Wilh. 825.
Ruta, Michele 908.
Rute 583, 631.
Riiter, Hugo 886.
Rutters, H. 1245.
Rutz, Ottmar 1232.
Ruuta, Theodoricus Petri 1l23f.
Ruyneman, Daniel 1086.
Ryadis, Emil 1182.
Rychnowski, E. 1240.
Ryelandt, J. 1075.
Rytel, Piotr 1149f.
Saar, L. V. 1196.
Saar, Mart 1130.
De Sabata, Victor 1097, 1214.
Sabelmann, Fr. 1130.
Sabelmann-Kunileid, A. 1130.
Sablieres 648.
Sacchetti, Franc. 279, 282.
Sacchini, Antonio 709, 712, 738, 905.
Sachlichkeit, Neue 1004f., 1143.
Sachs, Curt 1239.
Sachs, Hans 206 f.
Sackpfeife 260, 575, 578, 618, 619.
Sacrati, Francesco 426, 428, 645.
Sadero 1097.
Safonoff, Wassili 1214, 1219.
Safranek-Kavic 1168.
1 .e Sage dc Richie, Ph. Fr. 404 f., 745.
Sailer, Sebastian 749.
Snint-Foix, Georges Comic cle 1240.
Sainton, Philipp 1203.
1286
Index: Saint-Saens — Schnabelflole
Saint-Saens, Ch. Camille 617, 632,
855, 892, 895, 899 f., 902, 937,
1061, 1203, 1240.
Saiteninstrumente 584 ff.
der Griechen 47.
der Primitiven und Exoten 31 f.
Sakadas aus Argos 49, 55.
Sakellaridis 1181.
Salazar, Adolfo 1103, 1245.
Saldoni, Baltasar 1098.
Salendrotonleiter 16.
Salicus 94.
Salieri, Antonio 709, 736, 738, 740,
754, 773, 820, 829, 855, 904.
Salimbensis, Felice 1222.
Salmhofer, Franz 1015.
Salmon, Thomas 642.
Salomon, Elias 1208.
Salomon, Joh. P. 929.
Salomon, Siegfried 917.
Saltarello 3%, 976, 978.
Salvayre, G. Bernard 902.
Salzburg 51 7, 671, 838, 846 f. u. a.O.
Salzedo, Carlos 1198,
Samara, Spiro 916, 1181.
Samazeuilh 1060.
Sammartini, Giovanni Battista 800,
840.
Samuel, Ad. 1075.
Samuel-Holeman 1076.
Sances, Joh. Fel. 516, 671.
Sandberger, Adolf 887, 1237, 1239.
Sanders, 0. 1245.
Sandrin 375.
Sandvik, 0. M. 1113, 1240.
Sandvold, Arild 1117.
Sanger 121 9 ff.
Sangerschule
romische 81 ff., 339, 1208, 1220.
russische 147f.
von St. Gallen 85f., 95f,, 117f.
von Metz 84f., 96.
von Reichenau 120f.
Sankey, Ira David 1 188.
Sannazzar 363.
Sappho 56.
Sarabande 564f., 566f., 978f.
Saracini, Claudio 509.
Sarasate, Pablo de 1203.
Sardana 983,
Sarly, H. 1076.
Sarri, Dom. 430.
Sarrus 617.
Sarrusophon 581, 617.
Sarti, Giuseppe 146, 738, 739, 762,
1108, 1133.
Sasko 1164.
Sasnauskas, Ceslovas 1156.
Satie, Erik 1064f.
Sattner, Hugolin 1166.
Sauer, Emil 1218.
Sauret, Emil 1203.
Sauveur, Joseph 1229.
Savard, M. G. A. 901.
Saverud, Harald 1116, 1118.
Savioni, Mario 439.
Sax, Adolphe 615,
Sax, Minnesinger 1038.
Saxophon 581, 613, 61 5f.
Scalabrini, Paolo 728, 1108.
Scalmani 499.
Scandello, Antonio 379, 454, 455, 505.
Scandicus 93, 251.
Scaria, Emil 1223.
Scarlatti, Alessandro 430, 443, 502,
527f.,530, 554, 662, 708f,, 719ff.,
799.
Scarlatti, Domenico 572, 799, 801,
804, 1215.
Scarlatti, Giuseppe 743.
Schachtbret siehe Clavicembalo.
Schachtebeckquartett 1207f.
Schadaeus 453.
Schafer, Alexander N. 924.
Schafer, Dirk 1085, 1219.
Schafer, K. L. 1240.
Schafhautl, Karl v. 611.
Schaidurow, I wan 142.
Schaljapin, Fedor 1224.
Schalk, Franz 1213.
Schalmei 260, 574, 610, 616.
von Schantz, J. F. 1124.
Scharwenka, Franz Xaver 885, 1219,
1240.
Scharwenka, Philipp 949.
Schattmann, Alfred 1033.
Scheibe, Joh. A. 791, 1241.
Scheiber, Matthias 1180.
Scheidernann, Heinrich 472, 543, 561 ,
692.
Scheldt, Samuel 451, 456, 460, 471,
543, 558, 561.
Schein, Joh. Herm. 380, 453, 456,
459f., 464f., 547, 565, 977.
Scheinpflug, Paul 1012, 1213.
Schelle, Johann 462, 506.
Schelle, K.E, 1244.
Schellen trommel 630,
Schelling, Ernest 1197.
Schemelli, Georg Chr. 466, 696.
Schenk, Erich 1239.
Schenk, Johann 755, 773, 820,
Schenker.H, 1230, 1231,1232, 1240.
Scherber, Ferdinand 1015, 1240.
Scherchen, Hermann 1C09, 1028,
1041, 1213.
Schering, Arnold 48 If., 1236, 1239.
Scherzo 572, 821, 965.
Scheu, Josef 1028.
Scheurleer, D. T. 1238.
Schicht, J. G. 473, 474.
Schiedermair, Ludwig 1239.
Schiedermayr, J. B. 855.
Schierbeck, Paul 1112.
Schildt, Melchior 543, 561.
Schillings, Max von 617, 887, 1012.
1035.
Schimon, Adolf 883.
SchindelmeiBer, Ludwig 883.
Schindler, Kurt 1199.
Schira, Francesco 908.
Schirasi, Mahmud 24 f.
Schirinski, Wassili 1142.
Schirmer, D. 673.
Schjelderup, Gerhard 916, 1112,
1115, 1116, 1240.
Schlaginstrumente 628 ff.
Schlager, Hans 883.
Schlecht, Raymond 124.
Schlesinger, Jos, 1168.
Schletterer, H. Michel 883.
Schlettner 709,
Sthlick, Arnold 385, 1231.
Schlogel, A. 858.
Schldger, Matthaus 800, 808.
Schmalstich, Clemens 1014.
Schmeidel, Hermann v, 1213.
Schmeltzl, Wolffgang 377.
Schmelzer, Joh. Heinr. (Schmeltzer)
504, 516, 521 f., 548, 568, 571, 672,
1202.
Schmicorer, J. A. 553, 568, 571.
Schmid, Anton 1238.
Schmid, Bernhard 385, 408 f., 451,
Schmid, Heinrich Kaspar 1026,
Schmidlen, S. 1039.
Schmidt, Anton 1240.
Schmidt, Ernst 1240,
Schmidt, Franz 1015, 1033.
Schmidt, G.Fr. 1239.
Schmidt, Johann Christian 530.
Schmidt, Karl 1240.
Schmidt, Leopold 1240, 1244.
Schmidt, W, 1240.
Schmitt, Alois 1216.
Schmitt, Florent 1064, 1070.
Schmitz, A. 1240.
Schmitz, Eugen 1236, 1239.
Schnabel, Artur 1021, 1218, 1219.
Schnabel, J. J. 478.
Schnabelfldte 574, 609f.
Index: SchneegaB — Simpson
1287
Schneegafi, Cyriacus 1209.
Schneider, J. Ch. Friedr. 479, 873,
933, 958.
Schneider, J. Gottlob 479.
Schneider, Max 1239.
Schneider-Trnavsky 1 1 64.
Schnoor, Hans 1239.
Schmiffis, Laurentius von 695.
Schnyder von Wartensee, Fr. X.
1034.
Schoeberlein, L. 476.
Schobert, Johann 800, 808, 1217.
Schoeck, Othmar 1042.
Schoffer, Peter d. J. 326.
Scholz, Bernhard E. 884.
Scholz, Hans 1239.
Scholze, Johann Sigismund 696 f.
Schoemaker, M. 1076.
Schonberg, Arnold 581 f., 595, 615.
624, 998, 1004, 1009, 1021ff.,
1027f., 1029, 1030, 1036, 1122,
1230, 1232, 1240.
Schop, Johann 465, 692.
Schott, Gerhard 274, 275.
Schreck, Gustav 479.
Schreiber, Fritz 1009.
Schreker, Franz 595, 627, 632, 1029,
1030, 1033f., 1122, 1231.
Schrems, Joseph 858.
Schrenk, W. 1244.
Schreyer, Johann 1230, 1232.
SchrSder, Karl 885, 1207,
Schroder-Devrient, Wilhelmine 908,
1223.
Schrdderquartett 1207.
SchrSter, Korona 940, 1222.
Schrfltter (SchrSter), Leonhard 453,
456,
Schubart, Chr. Fr. Daniel 577 f.,
1211.
Schubart, Franz 603, 773, 781, 784,
787, 794, 829, 1171.
Lieder und Balladen 701, 940ff.,
944, 958f.
Me8senl780, 849, 852 ft,
Opcrn 742, 868 f.
Oratorien 933.
Tanze 984f.
Schubert, Ferd. 855.
Schubert, Karl 1207.
Schubiger, Anselm 124,
Schuldrama 379, 668 f,, 749.
Schuihoff, Erwin 1025, 1219.
Schulhoff, Julius 972, 1217.
Schulliedfder Humanisten 379,
Schultheifl, W. 1043,
Schuitz, Hclmuth 1239.
Schultz-Dornburg, R. 1215f.
Schulz, G. 1240.
Schulz, Johann Abraham Peter 700,
955 f., 1109.
Schumann 447.
Schumann, Georg 479, 1028.
Schumann, Robert 479, 856, 873,
935, 942, 944, 945, 946 f., 960,
963, 964, 967 f., 1211, 1216, 1231,
1240, 1243.
Schumann-Heink, Ernestine 1223.
Schunde, W. 616.
Schiinemann, Georg 1239.
Schuppanzigh, Ignaz 1204, 1207.
Schuppanzigh-Quartett 1204, 1207.
Schurer, Joh. Georg 531, 709, 712.
Schurmann, G. Ch. 679.
Schuster, Bernhard 1033, 1244.
Schuster, J. 709, 7 12, 740, 743 L, 929.
Schiitt, Eduard 949, 1014.
Schtitz, Heinrich 451, 453 ff., 456,
460ff., 463, 472, 505 f., 669 f., 1108,
1230.
Schwab, Anton 1166.
Schwalm, Robert 884.
Schwartz, Rudolf 1239.
Schwartzendorf siehe Martini, I, P.E.
Schwegel 610.
Schweitzelsperg 679.
Schweitzer, Albert 1239, 1240.
Schweitzer, Anton 740ff., 752.
Schweitzerpfeife 611.
Schwemmer 472.
Schwerke, I. 1245.
Schwers, Paul 1244.
Scontrino, Antonio 914.
Scordatura siehe Skordatur.
Scott, Cyril 1052.
Scotto, Ottaviano 326.
Sebastiani, Joh. 463, 506,
gebor, Karl 925.
Secanillas 1098.
Sechter, Simon 855, 861, 965,
1232.
Sedaine 897.
Seeger, Johann 8CO.
Seguedilla 983.
Seidl, A. 1238, 1244.
Seiffert, Max 1239.
Seikilos 66 f.
Selbstklinger 630 ff.
Selby, William 1188.
Selden-Goth, Gisella 1015.
Selesses siehe Senleches.
Seligmann 1207.
Selle, Thomas 462, 506, 691.
Selmer, Johan 1114, 1115.
Selneccer, Nikolaus 450, 452.
Sembrich, Marcella 1223.
Semet, Thdophile A. E. 902.
Semibrevis 252, 265.
Semiminima 265.
Senesino siehe Bernardi, Franc.
Senfl, Ludwig 319, 354, 377, 378,
379, 450, 668, 1038.
Senger, H. v. 1078.
Senleches, Jac. de 274.
Sepolcro 503, 672.
Sequenz 86 ff., Ill, 114, 158.
Serafin, Tullio 1214.
Serato, A. 1206.
Serenade 785, 796.
Sergios, Patriarch v. Konstantinopel
130f.
Serkin, Rudolf 1219.
Sermisy, Claudin de 330, 375.
Serpent 621.
Serrao, Emilio (Serrano) 915, 1099.
Servieres, George 1244.
Sessions, Roger Huntington 1198.
Sevcik, Otokar 1204, 1205.
Se\erac, D<$odat de 1060.
Severus von Antiochia 137.
Sextus Empiricus 37.
Seydelmann, Fr. 531,709, 712, 740
Seyfried, Ign. R. v. 855, 1243.
Seyfried, Josef 1028.
Sgambati, Giovanni 1093.
Sharp, Cecil 1049.
Shaw, Martin 1052.
Shedlock, J.S. 1240.
Shepherd, Arthur 1198.
Sibelius, Jean 1125f.
Siciliano 568 f.
Siefert, Paul 543, 561.
Siegl, Otto 1015.
van Sigtenhorst-Meyer. B. 1086.
Siklos, Albert 1173.
Sikorski, J6sef 1245.
Sikorski, Kazimierz 1151.
Silcher, Ph. Friedrich 475, 958.
Siloti, Alexander 1218.
da Silva Leite, Antonio 904.
da Silva, Oscar 1105.
Silver, Charles 901, 904.
Simeon von Gesir 137.
Simkus, Stasys 1155.
Simm, Johann 1131.
Simon, James 1014.
Simonffy 1172.
Simonides von Keos 57
Simonsen, Rudolph 1112,
Simpson, Christoffer 1206.
Simpson, Thomas 564.
1288
Index: Binding — Steinhard
Sinding, Christian 972, 1113, 1114,
1115.
Sinfonia 424, 568, 796, 799 ff.
Singenberg 1038.
Singende Sage 584, 631.
Singer, K. 1240.
Singspiel, deutsches 749ff. u. a. 0.,
Wiener 754ff.
Sinigaglia, Leone 1097.
Sirca, Friedrich v. 1 1 66.
Sirola, B. 1168.
Sivori, E. C. 1204.
Sjogren, Emil 1119.
Skala
Entstehung lOff.
arabisch-persischel 7f.
byzantinische 133f.
chinesische 12f.
griechische 40ff.
indische 17.
japanische 15f.
javanische 16f.
siamesische 16.
temperierte 544 f.
Skerjanc, Lucian M. 1167.
Skilton, Charles Sanford 1195.
Sklavos, Georg 1182.
Skordatur551, 1202f.
Skrjabin, Alexander 1005, 1139f.
Skroup, Franz 925.
Skroup, Johann Nepomuk 925.
Skuhersky, Z. Franz 925, 1217.
Slatkonja, Georg v. 1165.
Slezak, Leo 1224.
Smareglia, Antonio 914, 109!f.
Smend, J. 1240.
Smetana, Friedrich 973, 1 156f., 1 161.
Smijers, Albert 1237, 1239.
Smith, David Stanley 1197.
Smith, John Christopher 928.
Smith, Robert 1231.
Smyth, Ethel M. 919, 1056.
Sodermanjoh. Aug. 918, 1118,1119.
Soghdische Punktnotation 127.
Sogitha 137.
Sohier, Mathias 330.
Sohier, Valentin 330.
Sokolow, Nikolai A. 924, 1200.
Solage 274, 275.
Soldat-Roger, Marie 1206.
Solmisation 120, 122, 1224f.
Solokonzert 555 u. a. 0.
Solomon, Edward 105^
Solooratorium 497.
Solosonate 548, 550f.
Solowjew, Nikola Th. 923, 924.
Soltys, Adam 1151, 1239.
Soltys, Mieczyslaw 1147.
Somervell, Arthur 1048.
Somis, G. B. 1203.
Sommer-Kanon 264, 381.
Sommer-Zincke, Hans 875.
Sonata da camera 566 f.
Sonata da chiesa 549.
Sonata im 1 6. Jahrhundert 387ff.
Sonatenform 547, 552, 554, 562 f.,
567, 783, 795 ff., 815.
Sondheimer, R. 1240.
Sonneck,OskarG. 1198, 1238, 1239,
1245.
Sontag, Henriette 1222, 1223.
Sophisten 36, 49.
Sophokles 58, 59, 414.
Sophronius von Jerusalem 130.
Sorge, Georg A. 472, 1229, 1231.
Soriano, Francesco siehe Suriano.
Souris, A. 1076.
Sousa, John Philip 1199.
Sousaphon 622.
de Souza, David 1105.
Sowerby, Leo 1198.
Spagna, Arcangelo 487, 494, 499.
Spalding, Albert 1198.
Spangenberg, Job. 447, 448, 450.
Spanischer Tanz 983.
Sparta 52, 55, 56.
Spataro, Giovanni 1225f.
Spath, A. 1078.
Spathys, Theodor 1 1 82.
Specht, R. 1240, 1244.
Spechtshart von Reutlingen, Hugo
122.
Spee, Friedrich 694.
Speidel, Ludwig 1244.
Spencer, Herbert 3, 24, 1219.
Speratus, Paulus 446.
Sperontes 696 f.
Spharophon 1005.
Spies, H. 1240.
Spilka, Frant. 1161, 1162, 1214.
Spinellos, Ludwig 1181.
Spinett 586 f.
Spinnacino, Fr. 387.
Spitta, Fr. 1240.
Spitta, H. 1239.
Spitta, Philipp 478, 1237, 1238,
1239.
Spohr, Ludwig 329ff., 869, 886, 933,
1204, 1211, 1212.
Spontini, Gasparo L. P. 889f,? 905,
906, 1200, 1212.
Sprenk-Late, Alexander 1130.
Springdantz 396, 975.
Springer, Hermann 1239. 1240. 1244.
Springer, Max 858, 1015.
Squarcialupi, Antonio 281, 1201.
Squire, William Barclay 1237, 1245.
Sseroff, Alexander N. 922f,, 1 137f.,
1245.
Sseroff, Valentine 923.
Stade, S. Th. 1229.
Staden, Johann 462.
Staden, Sigmund Theophil 462, 670,
692, 694.
Stadler, Abbe Max 855, 933.
Stadlmayr, Johann 512, 517.
Stadtfeldt, Alexander 883.
Stainer, Jakob 601, 603.
Stalder, I, D. 1139.
Stamigna 499.
Stamitz, Anton 1203.
Stamitz, Johann 774, 800, 802, 803,
805ff., 1203, 1211.
Stamitz, Karl 1206.
Stampiglia, S. 503, 681.
Standfufi, C. 751.
Stanford, Charles Villiers 1045ff.,
1048, 1055, 1240,
Stanley, Albert 1194, 1240.
Stanley, Ch. J. 929.
Stantipes 260, 395, 076.
Starczewski, Feliks 1147.
Stark, Ludwig 1218.
Starka, J. 1155.
Starzer, Josef 812, 814.
Statkowski, Roman 1147.
Staudt 670.
Staufer, G. 602.
Stauffer, Th. 1040.
Stavenhagen, Bcrnhard 1218.
Stecker, Karel 1161.
Stedron 1163.
Stefan, Paul 1240, 1244.
Stefanov, P. 1 1 70.
Stefanov, S. 1170.
Steffan, Johann Anton 701,
Stefiani, Agostino 439, 445, 553, 568 ,
672f.
Steglich, Rudolf 1239.
Stegmann, Karl David 465, 752,
Stegreifkomodie, Wiener 749 f.
Stehle, E. 856, 1040.
Steibelt, Daniel 825.
Steigleder, Adam 542.
Steigleder, Johann Ulrich 543.
Stein, Fritz 1214, 1239.
Stein, Richard H. 1025, 1240.
Steinbach, Ernst 1214.
Steinberg, M. 1141.
Steinberg, Wilh. Hans 1214.
Steinhard, E. 1240, 1244.
Index: Steinhausen — Tadolini
1289
Steinhausen, F. A. 1218.
Steinitzer, M. 1240.
Steinmar 1038.
Stenborg, K. 917.
Stenhammar, Wilhelm 918, 1120,
1121, 1122.
StSpan, Vaclav 1161, 1217.
Stepanoff-Leschetizky, Varette 1219.
Stephan, Rudi 1021.
Stephani, Hermann 1239, 1240.
Sterkel, Franz 825.
Sternhold 1187.
Stesichoros von Himera 56.
Steuerlin 455.
Steuermann, Eduard 1219.
Stiehl, Heinrich F. D. 883.
Stiehl, Karl 1240.
Stil, arios-rezitativischer 508ff.
Stil, galanter 770ff., 788.
Stilarten der Griechen 43.
Stile concertato 507 ff.
concitato 421.
espressivo 493.
nuovo 413ff., 430ff.
obligato 507, 512.
oratorio 482.
rappresentativo 417, 419, 434, 493.
recitativo 417, 419, 434, 493.
Stilkritik 1236.
Stilperioden 68 ff.
Stimmer, Karl 1015.
Stiva siehe Sackpfeife.
Stivori, Fr. 387.
Stobaus, Job. 453.
Stock, Frederick, A. 1200.
Stockhausen, Julius 1050, 1223.
Stdckl, Anton 1166.
StShr, Richard 949-, 1015.
Stoiker 49,
Stojanov 1170.
Stojanovic, S. 1169.
Stojowski, Zygmunt 1147.
Stokowski, Leopold 1200, 1214.
Stoltzer, Thomas 326, 377, 378, 385,
450, 1171.
StSizel, G,H. 470, 580, 717.
Stoker, J. 1168.
Stopfen (des Horns usw.) 622.
Storck, Karl 1236, 1244.
Stoessel, Albert 1198.
Stdwe, Gustav 1218.
Strada, Anna Maria 1222.
Stradal, August 1218.
Stradella, Alessandro 428 ff., 443,500.
Stradivari, Antonio 600 f.
Straesser, Ewald 1014,
Straeten, Ed. v.d. 1239.
Strangways, A. H. Fox 1240, 1245.
Stranitzky 750.
Stransky, Josef 1214.
Straram 1214.
Strata, Giov. B. 488.
Straube, Karl 479.
Straus, Christoph 512ff.
StrauB, Eduard 993.
StrauB, Franz 1009.
StrauB, Johann 993.
StrauB, Johann d.A. 985, 986 ff.
StrauB, Johann d. J. 988ff., 992f.,
1035.
StrauB, Josef 993.
StrauB, Oskar 888, 993.
StrauB, Richard 614, 615, 616, 617,
623,624,625,631,632,737,878,
887, 997f., 1009ff., 1026f., 1029,
1030ff., 1120, 1121, 1213.
Stravinsky, Igor 583 f., 586, 612, 624,
1041, 1069, 1074, 1122, 1141 ff.
Streicher, Theodor 1026.
Streichinstrumente 596ff.
Streichquartette 1204ff.
Strepponi, Giuseppina 910.
Striegler, Kurt 1015.
Striggio, Alessandro 375, 414, 415,
419.
Strija, Albert v. 1168.
Strmic, Niko 1168.
Strohfiedel siehe Xylophon.
Strong, George Templeton 1194.
Strozzi, Piero 416.
Strube, Gustav 1191, 1197.
Strungk, Nikolaus Adam 544, 551,
673, 674, 679.
Struntz, K. 855.
van der Stuc^en, Frank 1 1 94.
Studien zur Musikwissenschaft 1 238.
Stumpf, Karl 4, 11, 1219, 1237.
Stunz, J. J. 1039.
Sturgeon 296.
Sturm, W. 1040.
StiiB, Fr. 1042.
Stuttgart 725 ff. u.a. 0.
Subira-Puig, Jose" 1240.
Succo, Reinhold 477.
Suda, Peter 1130.
Le Sueur, Jean Francois 748, 855,
936 f.
Suidas 38.
Suite 563 ff., 566 ff.
Ballett* 566.
deutsche 564 f.
engHsche 563 f.
franzSsische 564, 566 ff.
italienische 566.
Suitenvorspiele 568.
Suk, Josef 1160f., 1162, 1205.
Suk, Vasa 925.
Sullivan, Arthur Seymour 898, 919,
1055, 1056.
Sulzberger, J. 1039.
Sulzer, Fr. J. 1182.
Sulzer, Salomon 153.
Sumerer 51.
Suppe", Franz von 991 f.
Suriano, Francesco 347, 490, 510.
Surzynski, J6zef 1147, 1237.
Susato, Tylman 326, 375, 978.
Susay, Jean 274.
SiiBmayer, Franz X. 759, 766, 774,
843, 873.
Suter, Hermann 1041f.
Svarovsky, Hans 1025.
Svedbom 1119.
Svends Tidskrift for Musikforskning
1238.
Svendsen, Johan 972, 1112, 1113,
1114.
Svendsen, Job. S. 1205.
Sweelinck, Jan Pieters 375, 471 f.,
541 ff., 546, 558, 561, 564, 1081,
1230.
Swegel siehe Flote.
de Swert, Jules 1207.
Swierzynski, Michal 1147.
Sylvester I. 81.
Symphonia siehe Radleier.
Symphonic als Opernvorspiel 552
u. a. 0.
Syrer 137.
Syrinx 48.
Szabados, Bela 1173.
Szab6, Endre 1180.
Szab6, Franz 1180.
Szant6, Theodor 1173.
Szekelyi, Zoltan 1180.
Szetenyi, Stephan 1180.
Sze-11, Georg 1012, 1214.
Szeluta, Apolinary 1148.
Szendrei, Aladar 1033, 1214.
Szendy, Arpad 1173.
Szenkar, Eugen 1214.
Szentirmay 1 1 72.
Szigeti, Joseph 1206.
Szopski, Felicjan'1148, 1245.
Szulc, Bronislaw 1150.
Szymanowski, Karol 1148, 1150.
Tabourot, Jean siehe Arbeau,Toinot.
Tabulatur 383, 385f., 398ff.
Tadik, R. 1168.
Tadolini, Giov. 909.
1290
Index: Taegio — Torrefranca
Taegio, Franc. Rognone 1220.
Tafeiklavier 590.
Tailhandier, Pierre 274.
Tailleferre, Germaine 1073.
Takt 22, 46f., 307.
Taktierschemen 1210.
Taktzeichen 265.
Tala 22.
Talat-Kelpsa, Juozas 1155.
Talich, Vaclav 1214.
Tallis, Thomas 381, 390, 473, 536,
538 f.
Tamburin 630.
Tamparica, Gabriel 1 1 67.
Tam-Tam 583, 633.
Tanbur 595.
Tanejew, Alexander S. 924, 1139,
1142.
Tanejew, Sergei J. 147, 924, 1139.
Tango, Egisto 1214.
Tansman, Aleksarider 1151.
Tanzform 567, 797 u. a. 0.
Tanzmusik383, 394 ff., 563 ff., 831 f.,
973 ff.
Tapissier 274.
Tappert, Wilhelm 1244.
Taraba, Bohuslaw 1163.
Tarchan el Farabi 19.
Tarogato 616.
Tartini, Giuseppe 55 1 , 571 , 800, 808,
1203, 1229.
Tasso, Torquato 363, 415.
Tataren 21 f.
Taubert, K. G. Wilhelm 873, 949,
1217.
Tausig, Karl 1218.
Taverner, John 536, 537 f,
Taylor (Joseph), Deems 1197.
Taylor, Samuel Coleridge 1048.
Tebaldini, Giovanni 1097, 1240.
Tedesco, Ign. Amadeus 1217.
Telemann, Georg Philipp 468, 469,
470,473,551, 553 f, 557, 568, 571,
663, 679, 686, 698, 714ff., 717,
929f., U29, 1231.
Teiemann, K Michael 1152.
Telestes von Selinunt 60.
Tellefsen, Thomas 1115.
Temperatur 544 f., 1231 u. a. 0.
Tenor 108, 177.
Tenorhom 621 f.
Terpander 5, 44, 55.
Terradellas, Domenico 728.
Terrasse, Claude 1063.
Terziani, Eugenio 908.
Teschler 1038.
Testo im Oratorium 482, 487f f . , 493 f ,
Testudo 47, 590.
Tetrachord der Griechen 40.
Tetzel, Eugen 1232, 1239.
Teyber, Franz 766.
Thalberg, Sigismund 972, 1217.
Thaletas von Gortyn 51, 55.
Thayer, Alex. W. 1239.
Theile, Job. 463, 506, 674.
Theinred 1228.
Theoger von Metz 121.
Theophrast 36.
Theorbe 577, 593.
Theorie
der Byzantiner 38, 133f.
des Gregorianischen Chorals 114ff.
der griechischen Musik 35 ff., 1234.
der mittelalterlichen Musik 163f,.
176f., 259f, 261 f., 291, 1234 f.
der romischen Musik 38.
der russischen Musik 142.
seit dem 15. Jahrhundert 1224ff.
Theremin 1005.
Thesis 42, 67.
Thespis 58.
Thibaud, Jaques 1204.
Thibaut, Anton Fr. J. 475, 857.
Thibaut de Courville 642.
Thibaut, Graf v. d. Champagne 1 94,
197f.
Thibaut, Jean B. 1240.
Thiebaut, H. 1075.
Thiele, J. Fr. Ludwig 479.
Thierfelder, Albert 884, 1239.
Thoma, Rudolf 883.
Thomas a Sancta Maria 401.
Thomas, Arthur Goring 855, 919,
1056.
Thomas, Charles Louis Ambroise
895.
Thomas, Kurt 1040.
Thomas, Theodor 1190, 1194.
Thomas von Aquin 88.
Thomas von Celano 88.
Thomaz, Pedro F. 1106.
Thome\ Fr. L. J. 904.
Thomson, A. 1130.
Thomson, C. 1203.
Thouret, G. 1240.
Thrane, Waldemar 916, 1114.
Thuille, Ludwig 886, 949, 1013,
1230.
Tibia siehe Aulos.
Tiento 387.
Tierhorn 620.
Tiersch, Otto 1230.
Tiersot, J. B. E, Julien 1237, 1240,
1244.
Tiessen, Heinz 1004f., 1021, 1028.
Tijdschrift der Vereeniging vooi
Noordnederlands Muziekgeschie-
denis 1238.
Timokles 130.
Timotheos von Milet 60.
Tinctoris, Johann 99, 123, 295, 309,
1224 f., 1237.
Tinel, Edgar 855, 962, 1075.
Tinodi, Sebastian 1171.
Tintorer 1098.
Tipton, Campbell 1197.
Titow 1133.
Tkalcic, J. 1168.
Tobler, A. 1039.
Toccata 385, 387, 394, 41 9f., 560 ff.
Toch, Ernst 1020, 1037.
Todi, Luiza Rosa 1222.
Todorov, M. 1170.
Toeschi, Carlo Giuseppe 800.
Tofft, Alfred 1112.
Tofte, Waldemar 1205.
Toggenburg 1038.
Tomadini, Jac. 936.
Tomaschek, Johann Wenzel 830,855,
1217.
TomAsek, J. 1162.
Tomcic, H. 1168.
Tomkins, Thomas 381 f., 536, 539
Tommasini, Vincenzo 1096.
Tomtom 629.
Tongeschlechter
der Byzantiner 133f.
der Griechen 44 ff.
Tonkiinstlersozietat 711.
Tonmaterial der Naturvolker 5f.
Tonschrift siehe Notation.
Tonsysteme
der Byzantiner 133f.
Entstehung lOff.
des Gregorianischen Chorals 1 14ff.
der Griechen 40 ff.
der Naturvolker lOf.
der orientalischen Kulturvo'lker
12ff.
der Russen 142.
Topalovic, M. 1169.
Topfer, Joh. Gottlob 479.
Torchi, Luigi 1237.
Torcuius 93, 251.
Torelli, Giuseppe 55 1 , 555, 571 , 1203.
Torelli, Jacomo 645.
Torjussen, Trygve 1117.
Torksey, John 1228.
Tornudd Axel 1 127.
Torroba, Federico Moreno 1103.
Torrefranca, Fausto 4, 1240, 1245.
Index: TorrJ — Vielle
1291
Torn, Pietro 500, 679.
Toscanini, Arturo 1093, 1095, 1214.
Tosi, Pierre Franc. 1235.
Tourdion 975, 976.
Touront, Jo. 304.
Tovey, Donald Francis 920, 1048.
Trabacci, Giovanni Maria 567.
Traetta, Tomaso 725, 726ff., 733,
736, 749, 1133.
Tragodie der Griechen 57 ff.
der Romer 61 f.
Transponierende Instrumente 61 3 f.
Trapassi siehe Metastasio.
Trapp, Max 1014.
Traquenard 980.
Trauneck, Ludwig 1025.
Trebor 274, 275.
Trendelenburg, W. 1240.
Trento, Vittorio 904.
Trezza 980.
Triangel 574, 631.
Tribune de St. Gervais 1238.
Trienter Codices 296.
Trienter Konzil 338, 339.
Trigon 94.
Trigonon 47.
Triller, Valentin 450.
Trio 569.
Trionfi 415, 642.
Triosonaten 548, 550 f.
Tripla 565.
Tristropha 93.
Tritonius, Petrus 379, 668f.
Tromboncino, Bartol. 335, 359, 431.
Trommel 610, 629f.
Trompete 574, 576 f., 580, 610, 623f.
Trompete der Griechen 48, 260.
Trompeteninstrumente 620, 623 ff.
Trompette marine 605.
Tronsarelli 492.
Troparien 130.
Tropus 88, 158.
Trotto 976.
Troubadours 183, 188ff.
Trouveres 173, 183. 191 ff.
Trowell, Robert 1228.
Trubar, Primus 1165.
Truhn, Fr. Hieronymus 883.
Trumba siehe Trompete.
Trumscheit 573, 575, 576, 579, 591,
605 f.
Trunk, Richard 1029.
Tsai-Yu 13.
Tschaikowsky, Peter J. 147, 923f,
972, 1138f.
Tscherepnin, Nikolai N. 1141.
Tua, Theresiha 1204.
Tuba 108.
Tuben 580, 622.
Tucher, Gottlieb v. 475.
Tuckey, William 1190.
Tudor Church Music 473, 536ff.
Tudrovic, Anton 1167.
Tudway, Thomas 537.
Turck, D.G. 473, 479, 929, 1229.
Tuma, Franz 800, 846.
Tumangelov, D. 1 1 70.
Tunder, Franz 462.
Tunstede, Simon 1228.
Tuotilo 88, 667, 1038.
Turba 313, 454 u. a. 0.
Turina, Joaquin 1101, 1103.
Turini, Francesco 5C9.
Turniermusiken 642.
Turnpu, Konst. 1130.
Turtschaninow, Peter 147.
van Tussenbroek, Hendrika 1085.
Twinger von Konigshofen 276.
Tye, Christopher 381, 473, 538.
Typp, W. 296.
Tyrtaios 55.
Uberblasen 608.
Oberlee 935.
Uccelini, Marco 548.
Udalschalk von Augsburg 89.
Udbyes, M.A. 916.
UgolJno von Orvieto 123, 1224.
Ukulele 596.
Ulbrich, B. 755, 1240.
Ulenberg 454.
Ulfrstad,. Moaritz 1116, 1118.
Ullmann, Viktor 1025.
Umlauff, Ignaz 701, 754, 755.
Umlauft, Paul 885.
Unger, G. H. 1240.
Unger, Hermann 1018.
Unger, Max .1014, 1240.
Urlus, Jacques 1082.
Urspruch, Anton 875.
Ursprung der Musik 4ff.
Ursprung, Otto 1239.
Usandizaga, I. M. 1100.
Uthmann, G.A. 1028.
Uttendal, Alexander 328.
Uttini, Fr.A.B. 917.
Vach, Ferdinand 1214.
Vade, Jean Joseph 745.
Vaet, Jakob 328.
Vaillant, Jean 274.
Vaisanen, A. O. 1123.
Valderavono, Anriquez de400ff.,431.
Valen, Fartein 1117.
Valentini, Giovanni 512, 515, 548,
1202.
Valerius, Adriamis 1082.
Valverde, Joaquim 1099.
Valverde Quirino 1099.
Vancas, A. v. 1168.
Vanhall siehe Wanhal.
Vanneo, Stefano 1226.
Vapordziev, A. 1170.
Varese, Edgar 1198.
Variation 563 ff., 569f. u.a.O.
Variation in der Wiener klassischen
Schule 783f., 823f.
Variationensuite 564 f.
Variationsprinzip der orientalischen
Kulturvolker 26f., 28.
Variationsricercar 541 ff.
Varro, M. Terentius 38.
Vatielli, Francesco 1240.
Vaudeville 745.
Vecchi, Orazio 372, 373, 415.
Veczey, Franz v. 1206.
Vedro, Adolf 1131.
Veglien 415.
Vehe, Michael 446, 847.
Venatorini, Giuseppe siehe Mysli-
weczek.
Venedig349ff.,415,423f. u. a. 0.
Venezianische Schule 498.
Ventil 609, 622f.
de Vento, Ivo 380.
Ventura, Domenico 981.
Veracini, Antonio 551, 571.
Veracini, Francesco Maria 551, 555,
571, 798.
Verbunko 1172.
Verdelot, Philippe 361, 363, 431.
Verdi, Giuseppe 856f., 892, %9ff.,
998f, 1087ff., 109H.
Verhulst, Johannes 1082.
Verismus 914f., 998, I090f.
Verovio, Simone 431, 485, 490.
Verso 391, 542.
Verschmelzungstheorie 11
Versette 542, 547.
Verzierungsmanieren 9f., 28 ff.
Viadana, Ludovico (Grossi) 451 , 455
508f., 1229,
Vianna da Motta, Jos6 1219.
Viardot, Pauline 1223.
Vicente, Gil 539.
Vicentino, Nicola 1227, 1231.
Victoria, T. Ludovico da 347ff.
Vidal, Paul A. 901, 904.
Vidu 1183, 1184.
Vielk siehe Fredei
Vielle siehe Radleier.
82 H. d.M.
1292
Index: Vierling — Weber
Vierling, Georg 479, 936.
Vierteljahrsschrift fiir Musikwissen-
schaft 1237.
Vierteltone
der Griechen 44 f.
der Inder 17f.
der neueren Musik 1003, 1025,
1150, 1167 u.a.O.
de la Vieuville, Freneuse 654.
Vieuxtemps, Henri 1203.
Vigna, Arturo 1214.
Vilhar, Franz S. 1166.
Vilhar, Miroslaw 1166.
Villanella 361, 370ff., 376.
Villanis, Luigi Alb. 1239.
Villar, Rogelio 1100, 1245.
de la Vina, Facundo 1100.
Vincent 645.
Vincenzo von Imola 279.
Vincenzo von Rimini 279.
Vinci, Leonardo 528, 665, 709, 721,
739, 793.
Viola 260, 581, 597 ff.
della Viola, AlfonsD 355, 363,
414.
Viola bastarda 593.
Viola d'amore 578, 598 f.
Viola da bracclo 597 f.
Viola da gamba 335, 597 1
Viola pomposa 602.
Violine578, 581, 597 ff. u.a.O.
Violinisten siehe Geiger.
Violoncellisten 1206f.
Violoncello 581, 599.
Viotta, Henri 1034.
Viotti, Giovanni Battista 825, 1203.
Virchi, Girolamo da 604.
Virdung, Sebastian 385.
Virelai 192.
Virga 92ff., 93.
Virginalisten, englische 390, 558, 563,
1215.
Vitale, Edoardo 1214.
Vitali, Giov. Batt 500, 54Sf., 571.
Vitruvius Pollio, M. 38, 1224.
Vittori, Loreto445, 497, 1221.
Vittoria siehe Victoria.
Vittorino da Feltre 1224.
Vivaldi, Antonio 551, 555ff., 562,
571, 796f., 793, 1203.
Vivarino, Innocenzio 548,
Vivell, C. 1240.
Vives, Benedetto y 1214.
Vladigerov, L/ 1170.
Vladigerov, Panco 1170.
Vogel, Emil 1239.
Vogel, J. Chr, 737 f.
Vogel, Wladimir 1020.
Vogelgesang 3, 4f.
Voglar, Michael 1165.
Vogler, Abb6 Georg Joseph 479» 829,
855, 870, 890, 1217, 1230, 1231,
1242.
Vogler, C. 1042.
Vogt, J. 1078.
Vogtlander, Gabriel 692 f., 696.
Vojacek, J. 1163.
Vokalnotenschrift der Griechen
46.
Volaumier 1211.
Volbach, F. 1240.
Volckmar, Wilhelm V. 479.
Volkmann, Robert 949, 972.
Volkslied, bslgisches 1076.
bulgarisches 1169.
danisches 1107f.
deutsches 206.
englisches 1048ff.
estnisches 1l28f. '
finnisches 1 122f.
griechisches 1180f.
kroatisches 1167.
lettisches 1152.
litauisches 1154.
portugiesisches 1 1 06.
, rumimischss 1182ff.
russisches 1132, 1137.
schwedisches 1118.
schweizer 1078.
serbisches 1163f.
ungarisches 1 1 71, 1172, 1175.
Volkstanz 394f., 973 ff.
Vollerthun, Georg 1033.
Vollweiler, Georg Joh. 1216.
Volta 979f.
Voma'cka, Boleslav 1161.
Voormolen, Alex. 1086.
Vorspiele der Suiten 568.
Vortragsweise
der Naturvolker 9.
der orientalischen Kulturvolker
28ff.
Vottgr, Romanus 695.
Vraz, S. 1167.
Vreuls, Victor 1076.
Vrieslander, Otto 1026.
Vulpius, Melchior 454, 462.
Vycpalek, Ladislav 1161.
Wachmann, Ed. 926, 1184.
Wackernagel, Phil. 476.
Waelput, H. 1075.
Waelrant 375.
Wagenaar, Johan 1084, 1214.
Wagenseil, Georg Christoph 536,
709,711,730, 800, 802,805,807,
808, 809.
Wagner, J. F. 993.
Wagner," Peter 1239.
Wagner, Richard 582, 615, 617, 623,
625, 629, 63 1 , 632, 737, 875 ff., 928,
934, 963, 965, 970f., 1213, 1231,
1240, 1244.
Lieder 948.
in Frankreich 897, 898.
in Italien 1089f.
in Schweden 918, 1118f., 1121.
in Spanien 1099.
Wagner, Siegfried 888.
Wagner-Schonkirch, Hans 1029.
Wagnertuba 623.
Waldhorn 578, 622f., 624.
Waldhorntuba 623.
Walder, J. J. 1039.
Waldis, Burkhard 453.
Wallace, William 3.
Wallace, William V. 919, 1048.
Wallaschek, Richard 4, 1237.
Wallek-Walewski, Boleslav 1150.
Walliser, Chr. Th. 452.
Wallishauser, E. 870.
Wallner, Berta Antonia 1239.
Wallnofer, Adolf 885.
Walter, August 1040.
Walter, Benno 1009.
Walter, Bruno 1009, 1213.
Walter, F. W. 1240.
Walter, Johann 378, 447, 448, 449f.,
451, 454, 668.
Waltershausen, Hermann Wolfgang
von 1013, 1033, 1240.
Walther, Joh. Gottfr, 472, 1231, 1237.
Walther, Johann Jakob 551, 1202.
Walther von der Vogelweide 202
204f.
Walton, William 1054.
Waltrammus 87.
Walzer 831, 981 f., 985ff.
Wanhal (Vanhall), Johann Baptist
814, 846.
Wanley, Humphrey 537.
Wannenmacher, J. 1039.
Ward, John 382.
Warlamow, Alex. J. 1133.
Warner, Waldo 1053.
Warwoglis, Marios 1182.
Wasielewski, Joseph von 1239.
Wassilenko, Sergei 1141.
Wead, Ch. 11.
Webbe, Samuel 962.
Weber, Bernhard Chr. 545,
Index: Weber — Zacconi
1293
Weber, Carl Maria von 829 ff., 856,
869ff.f 944,958, 959, 1211, 1212,
1231, 1243.
Weber, Friedr. Dionys 1217.
Weber, G. 1040.
Weber, Gottfried 1230, 1243.
Weber, J. R. 1039.
Weber, Ludwig 1020.
Weber, Miroslaw 886.
Weberbeck, Chr. 1039.
Webern, Anton 1025.
Wecker, Georg Kaspar 462, 472.
Weckerlin, J. B. 1239.
Weckmann, Mathias 461 f., 463, 504,
506, 543.
Wedel, Artem 147.
Weelkes, Thomas 38 If.
Wegelius, Martin 1125.
Wehrli, W. 1043.
Wehrstedt, E. 1078. •
Weigand, Gustav 1183.
Weigl, Josef 709, 755, 873.
Weigl, Karl 1009, 1029.
Weill, Kurt 1021, 1037.
Weinberger, Jaromir 1 1 63.
Weinberger, Karl Rud. 886.
Weiner, Leo 1174.
Weingartner, Paul Felix von 887, 949,
1213, 1240.
Weinlig, Ch. E. 875.
Weinmann, Karl 1239.
Weiamann, Julius 1014.
Weismann, Wilh. 1028.
WeiB, Franz 1204, 1207.
Weiss, Karel 886, 925, 1163.
WeiB, Leopold Sylvius 1202.
WeiBe 447.
WeiBe, Chr. F. 751.
Wcifiheimer, Wendelin 884.
Weissmann, A. 1239, 1244.
Weitzmann, Karl Fr. 1239.
Welleaz, Egon 923, 1025, 1036, 1239.
van der Wense, Jiirgen 1025.
Werckmeister, Andreas 544f., 1229,
1231.
Werner, Arno 1239.
Werner, Gregor Joseph 813.
Werner, Theodbr Wilhelm 1239.
Werra, Ernst von 1240.
Werstowski, Alexei N. 920, 1133.
de Wert, Giaches (Jacquca)>2, 370,
431.
Wertheim, Julius/. 1148.
Wesley, S.S. 1046.
Wentphal, Rudolph 1232, 1239,
Wetchy; Gthmar 1015.
Wetterharfc 866.
Wetzel, J.H. 1240.
Wetzler, H. H. 1014.
Weyse, C. E. F. 1109.
Whithorne, Thomas 381.
Whithornes, Emerson 1197.
Whiting, Arthur 1195.
Whittaker, W. G. 1052.
Whvte, Robert 536, 538.
Widor, Charles Marie 901.
Wiechowicz, Stanislaw 1151.
Wieck, Franz 1218.
Wieck-Schumann, Clara 964, 1045,
1219.
Wiegners, E. 1153.
Wiehmayer, Theodor 1218, 1232.
Wielhorski 1133.
Wien 427, 502 f., 517, 524ff., 530,
531 ff., 544, 565 f., 670ff., 679 ff.,
701 ff., 710L, 728ff., 749ff., 754 ff.,
776ff., 809ff., 833ff., 981 f., 984ff.
u. a. 0.
Wiener klassische Schule 579f.,
701ff.,76Sff.,809ff.f833ff.u.a.O.
Wiener, Jean 1219.
Wiener, Karl 1009.
Wieniawski, Adam 1148.
Wieniawski, Henryk 1146, 1204.
Wieprecht 622.
Wiesner v. Morgenstern, Karl 1168.
Wiesner, R. 1040.
Wihan, Hans 1205.
Wihtols, Joseph 1141, 1153.
Wilbye, John 381 f.
Wild, Franz 1224.
Wilhelm, G, L. 962.
Wilhelm von Hirschau 121.
Wilhelmj, August 1204.
Willaert, Adrian 349 ff., 362, 363,
365, 370f., 375, 383, 388, 431, 541,
1171.
Willberg, Martin 1129.
Williams, Ralph Vaughan 1050L
1056.
Willmers, Heinr. Rudolf 1217.
Willner, Artur 1014.
Wilphingseder, Ambrosius 1228.
Wilsing, Daniel Fr. E. 935.
Wilson, Mortimer 1196.
Winchester, Makebiite von 173.
Winchester, W. von 173, 263.
Winding, August II II.
Windsperger, Lothar 1021.
WJndt, Herbert 1025.
Wingar, Alfred Anderssen 1117.
Winge, Per 1115.
Winkclrnann, Hermann 1224.
Winli 1038.
Winter, Peter v. 765 f., 855, 906, 931.
Winterfeld, K. v. 475, 1239.
Wipo 87, 169, 667.
Wirbel 591.
Wirbeltrommel 629.
Wirkhaus, D.O. 1131.
Wise, Michael 539.
Witkowski, Georges Martin 1060,
1214.
Witt, Chr. Fr. 466, 472.
Witt, Franz X; 857f.
Wittgenstein, Paul 101 1.
Wizlaw von Riigen 205.
Wohlgemuth, Gustav 1029.
Wolbgitarre 575, 594, 595.
Wolf, Albert 1214.
Wolf, E. W. 752.
Wolf', Hugo 875*, 944, 950, 954ff.,
962, 1025, 1244.
Wolf, Johannes 1236, 1239.
Wolf, Max 884.
Wolf-Ferrari, Ermano 915, 1095.
Wolff, Erich J. 1026, 1240.
Wolff, L. 1240.
Wolff heim, W. 1239^
Wolfl, Josef 823, 825, 1217.
Wolfrum, Philipp 476, 1028, 1239.
Wolfurt, Kurt v. 1018.
Wolpe, Stefan 1015, 1239.
Woltz, Johann 385.
Wolzogen, H.P. v. ,1240.
Wood, Charles 1048. '
Wood, Henry Jos. 920.
Wooldrige, H. Ellis ]235, 1237.
Work, Henry Clay 1191.
Wormser, Andre1 A. T. 904.
Worotnikow, Paul 147.
Worzischek, Johann Hugo 830.
Wotquenne, A. 1240.
Woyrsch, Felix 1029.
Wramtzky, Paul 755, 766.
Wuerst, Richard F. 883, 949.
Wuhrer, Friedrich 1219. '
Wundt, W, 973.
Wyzewa, Theodor de 1239.
Xanthopoulos, Timoth. 1181.
Xylophon 575. 583, 63 If.
Xyndas, Spin 1181.
Ycaert 1224.
Yon, Pietro Alessandro 1197.
Ysaye, Eugen 1205.
Ysaye, Th6o 1076.
Zabalza 1099.
Zacconi, Lud. 453, 1220.
82*
1294
Index: Zach — Zwyssig
Zach, Johann 800.
Zacharias, Nic. 278; 279, 291.
Zacher, J. M. 524, 670.
Zachow, Friedrich Wilhelm 469, 470,
544, ,663/707.
ZSdor, Eugen 1173,
Zagwijn, Henry 1085.
Zahn, Johannes 475, 476.
Zaijcek-Blankenau, Ferdinand 1033.
Zambonini 670.
Zamponi, Giuseppe 646.
Zandonai, Riccardo 1095.
Zanella, Amilcare 1097.
Zanetti 540.
Zanninus de Peraga 279.
Zarebski, Juliusz 1147.
Zarfino, Giuseppe 357, 415, 416, 541 ,
12261., 1230, 1231, 1234.
Zarzuela 915f., 1099ff.
Zarzycki, Alexander 1145.
Zaytz (Zajic), Giovanni von 926.
ZeitscKrift fur Musikwissenschaft
1238.
Zeitschriften
musikkritische 1241ff.
musikwissenschaftliche 1238.
Zelenka, Johann Dismas 530, 709, 7 1 2.
Zelenski, Wladysiaw 1145.
Zelinka, I. 1163.
Zelle, Friedrich 1240.
Zeller, Karl 993.
Zelter, Karl Fr. 701, 866; 957, 963.
Zemlinsky, Alexander von 888, 1009,
1029, 1034f., 1213.
Zenck, Herm. 1239.
Zengers, Max 884.
Zeno, Apostolo 494, 503, 681 f., 708,
723.
Zepler, Bogumil 886.
Zerrahn, Carl 1190.
Zert, Oton 1168.
Zeugheer, Jakob 1207.
Zeuta, Hermann, siehe Holmes, Au
gusta M, A.
Zganec, V. 1167.
Ziani, M.Ant. 427, 428, 524, 679,
709.
Ziani, Pietro Andrea 428, 509, 672.
Zich, Otokar 1163.
Zichy, G<§za Graf 926.
Ziehharmonika 628.
Ziehn, Bernhard U97.
Ziehrer. C. M. 993.
Zieritz, Crete 1015.
Zigeuner 28, 1172.
Zihaquartett 1208.
Zilcher, Hermann 1013L
Zilevicius, Juozas 1 1 56.
. Zillig, Hermann 1025.
Zimbalist, Efrem 1206.
Zimse, J. 1153.
Zingarelli, Nic. Antonio 904, 1077.
Zink 260, 620, 621.
Zitek, Otakar 1162, 1164.
Zither 585 f., 603.
Zlataric, Emanuel 1167.
Zollner, Heinrich 885, 949, 958.
Zrno, Felix 1162.
Zucchi, Carlo 1219.
Zumpe, Hermann 875.
Zumsteeg, Johann Rudolf 701, 752,
944.
Zunfttanz 974f.
Zungenpfeifen 607, 611, 612ff.
Zupan, Jakob 1166.
Zurron, Vicente 1099.
Zuschneid, Karl 1218.
Zuth, J. 1239.
Zweers, Bernard 1082f.
Zwolftonmusik 1004, 1182, 1232.
Zwyssig, A. 1039.
08713