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Full text of "Handbuch der Nervenlehre des Menschen"

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http://www.archive.org/details/handbuchdernerveOOhenl 


HANDBUCH 


DER 


NERYENLEHRE 


DES 


MENSCHEN 


VON 


DrJ.  HENLE, 

Professor  der  Anatomie  in  Göttingen. 


MIT     ZAHLREICHEN    IN     DEN    TEXT    EINGEDRUCKTEN    HOLZSTICEEK 


BRAUNSCHWEIG, 
DRUCK  UND  VERLAG  VON  FRIEDRICH  VIEWEG  UND  SOHN. 

1871. 


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V  0  E  E  E  D  E. 


Abermals  bin  ich  in  der  Lage,  ein  Heft  meines  Handbuchs  mit  Ent- 
schuldigungen wegen  der  Verzögerung  der  Herausgabe  einführen  zu 
müssen.  Die  Ursache  liegt  diesmal  zum  Theil  in  der  Schwierigkeit, 
das  Material  zu  beschaffen,  und  diese  war  dadurch  veranlasst,  dass  sich 
zu  den  Untersuchungen  über  den  feineren  Bau  des  Centralorgans  nur 
frische  Präparate  verwendbar  zeigten  und  dass  ich  mich  in  Fragen  des 
Faserverlaufs  an  den  Menschen  halten  zu  müssen  glaubte,  da  erst  die 
Vergleichung  menschlicher  und  thierischer  Centralorgane  uns  über  den 
Grad  der  Uebereinstimmurig  ihrer  Structur  belehren  kann. 

V/ie  die  Bearbeitung,  war  auch  der  Druck  seit  langer  Zeit  im 
Gange  und,  als  die  Abhandlungen  von  Ger  lach  und  Meynert  in 
Stricker's  Handbuch  erschienen,  schon  zu  weit  gediehen,  um  darauf 
Bezug  nehmen  zu  können. 

Für  die  topographische  Beschreibung  des  Gehirns  habe  ich  eine 
von  den  bisherigen  Methoden  abweichende  gewählt,  deren  Zweckmäs- 
sigkeit zu  beurtheilen  ich  Anderen  und  besonders  den  Lernenden  an- 
heimstelle. Ich  bevorworte  nur,  dass  man  nicht  erwarten  möge,  bei 
einmaliger,  wenn  auch  aufmerksamer  Leetüre  ein  Bild  zu  gewinnen. 
Die  erste  Schilderung  (S.  88  bis  98),  die  nur  über  den  Zusammen- 
hang der  Räume  zu  orientiren  bezweckt,  lässt  manches  dunkel,  das 
erst  durch  die  zweite  (S.  98  bis  171),  die  Ausführung  des  Einzelnen, 
Licht  erhält  und  verstänÄicher  werden  wird,  wenn  man  sie  nach  Be- 
trachtung des  Einzelnen  wiederholt.  Gewisse  Formen  sind  aber  über- 
haupt nicht  durch  Wort  oder  Bild  anschaulich  zu  machen.    Bei  diesen 


VI  Vorrede. 

hat  das  Buch  nur  die  Mission  des  Cicerone,  der  mit  seinen  Erläuterun- 
gen die  Anschauung  des  wirklichen  Objects  begleitet.  Die  dritte  Be- 
schreibung (S.  177  bis  288)  ist  ein  Versuch,  ein  Studium  zu  populari- 
siren,  das  bisher  nur  in  den  Händen  einiger  Wenigen  war.  Es  war  zu 
dem  Ende  nöthig,  sich  auf  die  einfachsten  und,  nach  meiner  Meinung, 
gesichertesten  Thatsachen  zu  beschränken;  doch  glaube  ich  nichts  über- 
gangen zu  haben,  was  im  physiologischen  Interesse  weiterer  Forschung 
werth  ist  und  hoffe,  dass  sich  zweifelhafte,  wie  positive  Aussprüche  ge- 
nug finden  werden,  die  zu  weiterer  Forschung  anregen.  Es  thut  Thei- 
lung  der  Arbeit  Noth  und  jede  einzelne  Nerven wurzel  kann  einen  Ar- 
beiter beschäftigen. 

Noch  ein  Wort  über  die  Präparationsweisen.  Dass  es  allein  die 
Stilling'sche  Methode,  die  mikroskopische  Untersuchung  successiver 
Durchschnitte  ist,  die  einen  Fortschritt  und  Abschluss  in  der  feinern 
Anatomie  des  Centralorgans  hoffen  lasst,  ist  meine,  wie  aller  Histologen 
Ueberzeugung.  Zur  Härtung  habe  ich  mich  durchgängig  des  Alkohols 
bedient,  auch  bei  den  Präparaten,  denen  vorher  durch  Chromsäure  oder 
Müll  er 'sehe  Flüssigkeit  Consistenz  verliehen  war.  Die  Aufhellung  der 
Durchschnitte  wurde  auf  verschiedene  Art  erzielt.  Zur  Verfolgung  der 
Nervenfasern  eignet  sich  vorzüglich  die  Behandlung  der  vorher  ausge- 
wässerten Alkoholpräparate  mit  verdünnter  Kalilösung,  welche  alle  Kör- 
ner und  Nervenzellen  bis  auf  das  Pigment  zerstört  und  Bindegewebe 
und  gelatinöse  Substanz  erblassen  macht.  Das  Brönner'sche  Fleck- 
wasser hat  sich  uns  fortwährend  als  ein  eben  so  vortreffliches,  aber 
auch  eben  so  capriciöses  Hülfsmittel  erwiesen,  wie  wir,  Merkel  und 
ich,  es  in  unserer  Abhandlung  über  die  Bindesubstanz  der  Centralor- 
gane  (Ztschr.  für  rat.  Med.  3.  R.  XXXIV,  49)  geschildert  haben.  So 
wahrscheinlich  es  ist,  dass  die  Unterschiede  der  Reaction  von  dem 
Wassergehalt  bedingt  sind,  so  fruchtlos  waren  unsere  wiederholten  Be- 
mühungen, eine  Mischung  herzustellen,  die  den  Erfolg  sicherte.  Dies 
ist  um  so  bedauerlicher,  da  das  Mittel,  wenn  es  einschlägt,  die  in  jedem 
Sinne  glänzendsten  Bilder  liefert,  namentlich  die  Axencylinder  bis  zu 
denen  der  feinsten  Nervenfasern  hinab  in  einer  Schärfe  zeigt,  die  durch 
keine  Färbung  erreicht  wird,  weil  die  Färbemittel  alle  auch  mehr  oder 
weniger  auf  die  gelatinöse  Substanz  wirken.  Ich  bemerke  noch,  dass 
gelungene  Brönnerpräparate  sich  ein  oder  ein  paar  Mal  24  Stunden  in 
Nelkenöl  aufbewahren  und,  wenn  sie  darin  erblasst  sind,  durch  Alko- 
liol  wieder  herstellen  lassen. 


A^orrede.  Vli 

Die  gefärbten  Präparate  habe  ich.  als  Molybdän-  und  Carminprä- 
parate  bezeichnet.  Beiderlei  Färbungen  führte  Merkel  nach  eigenen 
Methoden  aus,  die  ich  nach  seinen  Worten  mittheile: 

„Die  Flüssigkeit  zur  Molybdänfärbung  bereitet  man  folgender- 
maassen:  Man  verdünnt  1  Vol.  einer  ganz  concentrirten  Lösung  von 
molybdänsaurem  Ammoniak  mit  1  bis  2  Vol.  Wasser,  setzt  eine  Mes- 
serspitze Limatura  ferri  hinzu  und  träufelt  langsam  unter  stetem  Um- 
rühren soviel  officinelle  Salzsäure  zu,  als  nöthig  ist,  um  eine  tief  dun- 
kelblaue, fast  schwarze  Färbung  zu  erzeugen. 

Der  im  Anfang  des  Säurezusatzes  entstehende  weisse,  wolkige  Nie- 
derschlag ist  unschädlich  und  löst  sich  beim  Umrühren  rasch  wieder 
auf.  Wird  aber  die  Flüssigkeit  braun  statt  blau,  was  hier  und  da  vor- 
kömmt, so  ist  sie  unbrauchbar  geworden. 

Die  Lösung  lässt  man,  wenn  sie  die  gewünschte  Farbe  hat,  etwa 
10  Minuten  stehen  und  filtrirt  sie  dann. 

In  die  so  gewonnene  blaue  Flüssigkeit,  die  man  nun  nach  Bedürf- 
niss  mit  Wasser  verdünnen  kann,  legt  man  Schnitte  von  Bücken-  oder 
verlängertem  Mark  —  Gehirn  scheint  sich  weniger  gut  zu  eignen  — 
ein,  und  findet  sie,  je  nach  der  Concentration  des  Färbemittels  in  6  bis 
15  Stunden,  blau  gefärbt.  Die  Färbung  ist  eine  durchgehende  und  an- 
scheinend gleichmässige,  doch  treten  an  guten  Präparaten  die  Axen— 
cylinder  sehr  klar  hervor.  Der  Einschluss  der  Präparate  ist  der  ge- 
wöhnliche: nach  Entwässerung  in  Alkohol  und  Aufhellung  in  Nelkenöl 
legt  man  sie  in  Canadabalsam  ein. 

Zur  Färbung  von  Präparaten  des  Centralnervensystems ,  die  in 
Chromsäure  erhärtet  sind,  bedient  man  sich  vortheilhafter  einer  ande- 
ren Methode,  die  eine  der  G er lach-Clarke 'sehen  Carminbehandlung 
ähnliche  Farbe  erzielt,  aber  den  bedeutenden  Vorzug  hat,  dass  sie  die 
Fertigstellung  eines  Präparates  in  5  Minuten  gestattet,  während  die 
gewöhnliche  Carminfärbung  immer  wenigstens  24  Stunden  in  Anspruch 
nimmt. 

Man  legt  einen  gut  ausgewässerten  Schnitt  in  eine  Lösung  von 
Palladiumchlorid  von  1 :  300  bis  600  Wasser.  Hierin  lässt  man  den- 
selben so  lange  liegen,  bis  er  eine  schwach  strohgelbe  Färbung  ange- 
nommen hat,  was  etwa  1  bis  2  Minuten  dauert.  Dann  wäscht  man 
das  überschüssige  Palladium  gut  aus  und  bringt  den  Schnitt  in  eine 
concentrirtere  Lösung  von  carminsaurem  Ammoniak.  Hierin  färbt  er 
sich  dann  fast  momentan  roth  und  die  Färbung  ist  am  schönsten,  wenn 


viii  Vorrede. 

die  Röthe  noch  eine  Beimischung  von  Gelb  zeigt.  Dann  wäscht  man 
den  Schnitt  aus  und  legt  ihn  in  der  gewöhnlichen  Weise  in  Canada- 
balsam  oder  Damarfirniss  ein. 

Die  Axencylinder  sind  in  solchen  Präparaten  lebhaft  roth,  das 
Nervenmark  gelb  gefärbt;  erst  bei  längerem  Verweilen  in  der  Carmin- 
lösung  färbt  sich  auch  das  Nervenmark  roth,  was  jedoch  der  Deutlich- 
keit gewöhnlich  keinen  Eintrag  thut. 

Lässt  man  die  Schnitte  zu  lange  in  der  Palladiumlösung  liegen, 
so  dunkeln  sie  leicht  nach,  wodurch  dann  das  Präparat  verdorben 
wird'^ 


Fig.  49  ist  statt  Sn  zu  setzen  Lc  und  in  der  Erklärung  statt  „Substantia  nigra" 
Locus  coeruleus.     S.  127  und  128  statt  „Plexus  choroideus"  lies  Tela  choroidea. 


VI.     Nervenlehre. 


Der  Beschreibung  des  Nervensystems,  welche  die  folgenden  Blätter  ent-  Yerhäitniss 
halten,  ist  es  nöthig,  einige  Bemerkungen  über  das  Verhältniss  der  Anatomie  Tolie^^*''"" 
der  Nerven  zur  Physiologie  derselben  vorauszuschicken. 

Während  im  Allgemeinen  die  anatomische  Schilderung  die  Grundlage 
bildet  für  die  Reflexionen  und  Versuche,  durch  welche  die  Physiologie  die 
Nothwendigkeit  und  den  Zweck  der  Organe  zu  erfassen  sucht,  wird  in  der 
Nervenlehre  die  Physiologie  zu  einer  Hülfswissenschaft  der  Anatomie;  jene 
liefert  das  verhältnissmässig  positive  Material,  auf  welches  diese  ihre 
Schlüsse  baut. 

Und  wenn  es  uns  demnach  beim  Vortrage  der  anderen  Zweige  der 
Anatomie  freisteht,  wie  weit  wir,  um  den  Werth  der  anatomischen  That- 
sachen  in  das  rechte  Licht  zu  setzen,  in  physiologische  Fragen  vordringen 
wollen,  so  ist  es  in  der  Nervenlehre  geradezu  unerlässlich ,  die  Resultate 
der  physiologischen  Forschung  in  Rechnung  und  mit  dem  anatomischen 
Befund  in  Einklang  zu  bringen.  Der  Grund  liegt  darin,  dass  Nerven  sich 
functionell  verschieden  verhalten,  welche  gegenüber  jedem  anderen  Hülfs- 
mittel  der  Untersuchung  gleichartig  erscheinen,  und  dass  sie,  vermöge  der 
verschiedenen  Function,  an  jeder  Stelle  ihres  Verlaufs  wieder  erkannt 
werden  können. 

Die  heutige  Physiologie  oder,  wie  Joh.  Müller  sie  nannte,  die  Physik  der 
Nerven  entwickelte  sich  aus  dem  unter  dem  Namen  des  Bell' sehen  Lehr- 
satzes bekannten  Gesetze,  wonach  von  den  beiden  Wurzeln,  aus  welchen 
jeder  Spinalnerv  zusammengesetzt  wird,  die  vorderen  ausschliesslich  der 
Bewegung,  die  hinteren  der  Empfindung  dienen.  Reizung  der  einen  oder 
anderen  Wurzel  bewirkt  entweder  Muskelcontraction,  oder  Schmerz  ;•  Tren- 
nung der  einen  oder  anderen  hebt  für  einen  bestimmten  Bezirk  entweder 
die  Fähigkeit   zu  willkürlicher   Bewegung,   oder  zur  Empfindung  auf.     Die 

Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abtb.  2.  i 


2  Nervenlehre. 

Frage,  ob  der  Grund  dieser  Versciliedenlieit  der  physiologischen  Function 
in  der  eigenen  Substanz  der  Nerven  oder  in  der  Art  und  dem  Orte  ihrer  Ver- 
bindung mit  den  Centralorganen  beruhe,  kann  vorerst  unentschieden  bleiben ; 
genug,  dass  wir  uns  der  physiologischen  Reaction  als  eines  Merkmals  be- 
dienen müssen,  um  Arten  von  Nerven  zu  unterscheiden,  die  sich  in  chemi- 
scher Beziehung  identisch  verhalten  und  auch  für  das  Auge  höchstens  in  einem 
unwesentlichen  Piinkte  von  einander  abweichen. 

Auch  diese  unAvesentliche  Differenz  der  Fasern  der  motorischen  und  sensibeln 
Nerven  wurzeln ,  welche  in  dem  Kaliber  derselben  besteht,  wurde  von  J.  Müller 
und  Ehrenberg  (Müller's  Archiv  1834,  S.  36),  Valentin  (über  den  Verlauf  und 
die  Enden  der  Nerven.  Bonn  1836,  S.  50)  und  Lersch  (de  retinae  structu»a 
microscop.  Berol.  1836,  p.  7)  nicht  anerkannt.  Emmert  dagegen  (über  die  Endi- 
gungsweise  der  Nerven  in  den  Muskeln,  Bern  1836,  S.  9)  schrieb  den  vorderen 
Wurzeln  dickere  Primitivfasern  zu,  iind  ich  (allg.  Anat.  1841,  S.  669)  u.  Eosen- 
thal  (de  ntimero  atque  mensura  microscopica  fibrillarum  elementarium.  "Wratisl. 
1845)  stimmten  ihm  bei.  Ich  fand,  trotz  der  grossen  Schwankungen  des  Durch- 
messers der  Primitivfasern ,  den  Unterschied  darin  ausgesprochen ,  dass  die  Mehr- 
zahl der  Fasern  in  den  hinteren  Wurzeln  feiner  ist,  als  in  den  vorderen,  ferner, 
dass  die  dicksten  Fasern  der  vorderen  Wurzeln  stärker  sind,  als  die  dicksten  der 
hinteren  Wurzeln,  und  dass  endlich  die  Zahl  der  feinsten  Fasern  in  den  hinteren  Wiu'- 
zeln  viel  grösser  ist,  als  in  den  vorderen.  Nach  Rosen thal  stellt  sich  das  Ver- 
hältniss  des  Durchmessers  der  hinteren  Wurzeln  zu  den  vorderen  im.  Mittel  wie 
4:6.  In  rein  inotorischen  Nerven  sah  derselbe  nur  stärkere  Fasern,  in  gemischten 
um  so  mehr  feine  Fasern ,  je  mehr  deren  sensible  Function  vorherrscht.  Nach 
Stannius  (das  peripher.  Nervensj'^stem  der  Fische.  Rostock  1849,  S.  114)  über- 
Aviegen  bei  den  Fischen  in  den  hinteren  Wurzeln  die  feinen  Fasern,  in  den  vorderen 
kommen  die  breiten  Fasern  ausschliesslich  oder  doch  nur  mit  wenigen  feinen  unter- 
mischt vor. 

Neuerdings  wurden  diese  Untersuchungen  von  Reissner  (Arch.  für  Anat.  1861, 
S.  721;  1862,  S.  125)  und  Luchtmans  (Anteekeningen  van  het  verhandelde  op  de 
Sectievergaderingen  van  het  provinc.  Utrechtsche  genootschap  1864,  p.  6;  1866, 
p.  69)  wieder  aufgenommen.  Darnach  wäre,  je  nach  den  Regionen  des  Rücken- 
marks, das  Verhältniss  der  feinen  und  starken  Fasern  in  den  Wurzeln  der  Spinal- 
nerven verschieden.  In  der  Reihe  der  Cervical-  und  Lumbarnerven  enthalten 
beiderlei  Wurzeln  feine  und  starke  Fasern;  aber  in  den  hinteren  Wurzeln  liegen 
die  feinen  Fasern  bündelweise,  in  den  vorderen  vereinzelt;  in  den  Dorsalnerven 
enthalten  auch  die  vorderen  Wurzeln  die  feinen  Fasern  in  Bündeln  und  eben  so 
zahlreich,  wenn  nicht  zahlreicher,  als  die  hinteren.  Im  N.  oculomotorius ,  Rani, 
lingualis  N.  hypogiossi  und  in  den  motorischen  Bündeln  der  Caiida  equina  vermisste 
Luchtmans  die  Bündel  feiner  Fasern;  Reissner  beobachtete  in  den  drei  Bewe- 
gungsnerven der  Augenmuskeln,  dem  N.  oculomotorius,  trochlearis  und  abducens, 
zwar  ein  Uebergewicht  der  starken  Fasern,  aber  feinere  und  feinste  fehlten  nicht; 
sie  fanden  sich  im  N.  oculomotorius  in  nicht  geringer  Zahl ,  meist  in  Gruppen  in 
der  Peripherie  des  Nerven,  im  N.  trochlearis  meist  vereinzelt  oder  zu  zweien,  selten 
in  Gruppen  von  6  bis  10  Fasern;  im  N.  abducens  Avaren  sie  häufig,  aber  zerstreut. 

Die  Fasern  der  specifischen  Sinnesnerven,  des  N.  opticus  und  acusticus,  gehören 
allerdings  zu  den  feinsten ;  dass  aber  feine  Fasei-n  auch  den  motorischen  Impulsen 
dienen  können,  beweisen  die  Nerven  des  Herzens  und  anderer  EingeAveide.  Bidder 
und  Volkmann  (die  Selbständigkeit  des  sympathischen  Nervensystems.  Lpz.  1842. 
Bidder  in  Müller's  Archiv  1844,  S.  359;  Volkmann  in  R.  Wagner's  Hand- 
wörterbuch II ,  595)  fanden  in  diesen  Nerven  eine  so  überwiegende  Zahl  feiner 
Fasern ,  dass  sie  die  letzteren  als  sympathische  Nerven  oder  als  Nerven  der  un- 
willkürlichen Muskeln  den  cerebrospinalen,  willkürlich  motorischen  Nerven  gegen- 
über stellen  zu  dürfen  glaubten  ,  woran  sich  die  Vermuthung  knüpfte,  der  Gehalt 
der  hinteren  Wurzeln  an  feinen  Fasern  möge  darin  begründet  sein,  dass  mit  diesen 


Nervenlehre.  3 

Wurzeln  die  Nerven  der  Gefässe  von  oder  zu  dem  Eückenmark  (aus  den  Spinal- 
ganglien) verliefen. 

Ob  Unterschiede  des  Kalibers  der  Nerven  überhaupt  von  Bedeutung  seien, 
diese  Yorfrage  hielten  Eid  der  und  Volkniann  dadurch  für  erledigt,  dass  sie  den 
Mangel  an  Uebergängen  oder  Mittelgrössen  zwischen  starken  und  feinen  Pasern 
nachwiesen.  Nach  ihrem  Vorgange  maass  Harting  (Eech.  micrometriques  sur  le 
developpement  des  tissus.  Utrecht  1845)  die  Fasern  imBrusttheil  des  Grenzstranges 
des  sympathischen  Nerven.  Die  Lücke  fand  sich  zwischen  einem  Dui-chmesser  von 
0,011  und  0,013  Mm.  Alle  Fasern  unter  diesem  Maass  waren  demnach  feine,  alle 
über  demselben  starke  oder  cerebrospinale. 

Die  Mehrzahl  der  späteren  Forscher,  Valentin  (Eepertorium  1843,  S.  96), 
Kölliker  (die  Selbständigkeit  und  Abhängigkeit  des  sympathischen  Nervensystems. 
Zürich  1844),  Wagner  (Göttinger  Nachr.  1847,  Nr.  6),  Beck  (über  die  Verbin- 
dungen des  Sehnerven  mit  dem  Augen-  und  Nasenknoten.  Heidelberg  1847,  S.  88), 
Stannius  (a.  a.  o.  S.  144)  und  Eeissner  (Arch.  für  Anat.  1861)  sprachen  sich 
indess  gegen  diese  Sonderung  aus  und  fanden  die  Grenze  zwischen  stai-ken  und 
feinen  Fasern  durch  Uebergänge  verwischt. 

Zuletzt  wird  der  Werth  der  Kaliberunterschiede  noch  dadurch  mehr  als  zweifel- 
haft, dass,  wie  man  allgemein  anerkennt,  alle  Fasern  gegen  die  peripherische,  wie 
gegen  die  centrale  Endigung,  hier  allmälig,  dort  durch  wiederholte  Theilung  sich 
verjüngen,  und  dass  selbst  im  Verlaufe  der  einzelnen  Fasern  dickere  und  dünnere 
Stelleia  mit  einander  wechseln. 


Ebenso  iinzulänglicli,  wie  in  der  Unterscheidung  der  Species  der  Nerven, 
erweist  sich  die  anatomische  Untersuchung  in  der  Verfolgung  ihrer  Bahnen. 
Sie  darf,  als  Resultat  der  mikroskopischen  Zergliederung  der  Nerven,  den 
Satz  aussprechen,  dass  jede  Faser  selbständig  und  ununterbrochen  vom  cen- 
tralen zum  peripherischen  Ende  verläu-ft;  aber  wie  die  Stämme  durch 
gegenseitigen  Austausch  ihrer  Bündel  an  vielen  Stellen  Geflechte  bilden,  so 
gehen  die  secundären  Bündel  auch  innerhalb  der  Stämme  Verflechtungen 
ein,  und  diese  sind  in  vielen  Nerven  so  häiifig,  dass  der  einzelne  Strang 
sich  kaum  auf  eine  Strecke  von  einigen  Millimetern  isoliren  lässt  ^).  Den 
einzelnen  Primitivfasern,  die  man  nur  mikroskopisch  zu  unterscheiden  und 
demnach  nur  in  sehr  kleinen  Theilen  ihres  Weges  zu  übersehen  vermag, 
durch  diese  zahlreichen  Anastomosen  nachzugehen,  ist  unthunlich.  Noch 
grösser  sind  die  Schwierigkeiten,  wenn  es  sich  um  den  Lauf  der  Nerven  in  den 
Centralorganen  handelt,  wo  die  Fasern  der  Nervenwurzeln  sich  früher  oder 
später  nach  dem  Eintritt  vereinzeln  und  zwischen  anderen  Elementen  zerstreuen. 
Die  Substanz  der  frischen  Centralorgane  gestattet  ihrer  Weichheit  wegen 
keine  Zerfaserung,  die  Zerfaserung  der  gehärteten  enthüllt  nur  die  Richtung 
der  groben  Züge,  und  die  Sti  Hing 'sehe  Methode,  die  Zerlegung  des  ge- 
härteten Organs  in  feine  Scheiben,  lässt  Zweifel  über  die  einander  correspon- 
direnden  Fasern  verschiedener  Schnitte,  Zweifel,  die  durch  die  Meinungs- 
verschiedenheit der  Beobachter  auf  diesem  Gebiete  nur  zu  anschaulich  werden. 
Das  physiologische  Experiment  kommt  zu  Hülfe,  indem  es  z.  B.  die  Fasern, 
deren  Reizung  die  Contraction  eines  bestimmten  Muskels  hervorruft,  mittelst 


^J  Ein  Beispiel  eines  solchen  Flechtwerks,  in  das  der  Stamm  des  N.  medianus  zerfällt, 
findet  sich  bei  W.  Krause,  Beiträge  zur  Neurologie  der  oberen  Extremität,  Leipzig  und 
Heidelberg  1865,  Taf.  111. 


4  Nervenlehre. 

der  Reizixng  aufsucht,  sie  auf  ihren  Irrwegen  durch  Anastomosen  und  Plexus 
zu  den  Wurzeln  und  von  den  Wurzeln  aus  in  die  Centralorgane  verfolgt, 
oder  indem  es  durch  Trennung  der  Continuität  Lähmungen  erzeugt,  welche 
üher  die  Correspondenz  der  peripherischen  Bezirke  mit  Stämmen,  Wurzeln, 
centralen  Regionen  Aufschluss  geben.  In  dieser  Weise  suchten  Kronen- 
herg^)  und  Peyer-)  am  Plexus  hrachialis,  jener  heim  Frosch,  dieser  beim 
Kaninchen,  Koschewnikoff  ^j  an  den  hinteren  Extremitäten  des  Frosches 
und  Türck*)  an  den  Dorsalnerven  des  Hundes  mittelst  Reizung  oder 
Durchschneidung  einzelner  Nerven  würz  ein  die  Yerbreitungsbezirke  der- 
selben zu  erforschen.  Eine  Beobachtung,  wie  die  von  Petit  ^),  dass 
Reizung  des  Ganglion  cervicale  supr.  auf  die  Pupille  wirkt,  oder  die  von 
Bernard*'),  dass  auf  Durchschneidung  des  N.  sympathicus  am  Halse  die  Blut- 
gefässe der  entsprechenden  Kopfhälfte  sich  erweitern,  lässt  Alles,  was  Messer 
und  Mikroskop  in  Verfolgung  der  Nerven  leisten  können,  weit  hinter  sich. 
Die  zahllosen  Versuche,  welche  seit  Bell  über  die  physiologischen  Eigen- 
schaften der  verschiedenen  Rückenmarksstränge  unternommen  wurden,  hatten 
zunächst  kein  anderes  Ziel,  als  den  Gang  der  eintretenden  Nerven  wurzeln 
zu  ermitteln.  Den  hinteren  Strängen  ausschliesslich  Sensibilität  zuschreiben, 
hiess  behaupten,  dass  die  sensibeln  Fasern  allein  in  den  hinteren  Strängen 
verlaufen;  die  Frage,  oh  einseitige  Verletzung  der  Centralorgane  die 
entgegengesetzte  Körperhälfte  in  Mitleidenschaft  ziehe,  ist  identisch  mit 
der  anatomischen  Frage  nach  der  Kreuzung  der  Fasern. 

Es  wird  kaiim  der  Rechtfertigung  bedürfen,  wenn  ich  den  Gewinn,  den 
die  Anatomie  des  Nervensystems  aus  der  Pathologie  zieht,  nicht  besonders 
erwähne,  sondern  die  pathologischen  Erfahrungen  unter  die  physiologischen 
subsummire.  Pathologische  Thatsachen  sind  Experimente,  die  der  Zufall  für 
uns  anstellt ;  sie  können  schon  deshalb  nicht  entbehrt  werden ,  weil  sie, 
abgesehen  von  chirurgischen  Operationen,  die  einzigen  sind,  denen  der 
menschliche  Körper  sich  unterziehen  lässt;  sie  haben  aber  den  eigentlich 
physiologischen  Experimenten  gegenüber  den  Nachtheil,  dass  sie  abgewartet 
werden  müssen  iind  dass  sie  sich  selten  so  rein  darbieten,  wie  die  Kritik  sie 
verlangen  muss.  Die  Aetiologie  oder  die  sogenannte  nächste  Ursache  einer 
krankhaften  Erscheinung  ist  leichter  festzustellen,  wenn  der  Beobachter  die 
Verletzung  selbst  und  mit  Bewusstsein  beigebracht,  als  wenn  ein  Ungefähr 
oder  gar  eine  langsame  Anhäufung  von  Schädlichkeiten  sie  erzeugt  hat,  und 
beispielsweise  dadurch  der  Causalnexus  zwischen  einer  Geschwulst  und  einer 
Lähmung  oder  Neuralgie  hergestellt  werden  soll.  Uebrigens  ist  bekannt- 
lich auch  das  bewusste  physiologische  Experiment  vor  Fehlschlüssen  nicht 
sicher.  Ein  Fehlschluss  wäre  es  schon,  wenn  man  in  diesem  Gebiete  die 
Beobachtungsresultate  von  Einer  Gattung  auf  andere  übertrüge.  Wie  ver- 
schieden die  Resultate  der  Decapitation  beim  Frosch  und  bei  höhereu  Thieren 
sich  gestalten,  ist  allgemein  bekannt.    Aber  auch  die  entsprechenden  Organe 


^)  Plexuum  nervorum  structura  et  virtutes.  Berol.  1836.  ^)  Zeitschrift  für  rat.  Med. 
N.  F.  IV,  52.  3)  Archiv  für  Anat.  1868,  S.  326.  *)  Wiener  Sitzungsberichte  1856,  Juli, 
S.  586.  Die  Hautsensibilitätshezirke  der  einzelnen  Rückenmarksnervenpaare ,  A.  S.  Nach- 
lasse herausgegeben  von  C.  Wedl.  Wien  1869.  ^)  Mem.de  l'acad.  des  sciences  1727,  p.  1. 
'')   Vutch.   o.xperimentiiles  sur  le  grand  Kympatlii(iue.  Paris   1854. 


Nervenlehre.  5 

des  Menschen  und  der  Sängethiere  sind  keineswegs  als  gleich werthig  zu 
betrachten.  Die  Thiere,  sagt  Schiff,  können  vom  Gehirn  aus  gar  nicht, 
vom  Rückenmark  aus  nicht  dauernd  hemiplegisch  werden,  während  beim 
Menschen  vollkommene  Hemiplegie  vom  Gehirn  aus  häufig  vorkommt.  Läh- 
mung der  gleichnamigen  hinteren  (unteren)  Extremitäten  ist  dagegen  bei 
Thieren  häufiger,  als  beim  Menschen,  und  dieser  Unterschied,  der  mit  der 
verschiedenen  Art  der  Ortsbewegung  zusammenhängen  mag ,  scheint  zu  be- 
deuten, dass  bei  den  Thieren  die  motorischen  Centra  jeder  Hirnhälfte  sich 
auf  beide  Körperhälften  beziehen  und  die  Kreuzung  der  motorischen  Nerven 
minder  vollkommen  ist,  als  beim  Menschen.  Ausserdem  ist  der  physiolo- 
gische Versuch,  wie  jeder,  und  mehr  als  der  physikalische,  ünvollkommen- 
heiten  und  Fehlerquellen  unterworfen:  die  Ausführung  entspricht  nicht 
immer  der  Absicht;  sie  bringt  die  verrufenen  Nebenbedingungen  ins  Spiel, 
wie  z.  B.  wenn  man  durch  Druck  die  hinteren  Rückenmarksstränge  zu  reizen 
unternimmt,  und  dabei  die  vorderen  gegen  die  Wirbelkörper  andrängt.  Die 
Unsicherheit,  welche  aus  solchen,  wenn  auch  nicht  immer  so  groben  Täu- 
schungen entspringt,  ist  Ursache,  dass  die  Physiologie  ihrerseits  bei  den 
Fortschritten  der  anatomischen  Untersuchung  interessirt  ist. 

Die  Durchschneidung  der  Nerven  hat,  neben  der  augenblicklichen 
Lähmung  der  Bewegung  und  Empfindung  in  den  von  den  Nerven  versorgten 
Theilen,  noch  eine  langsamer  sich  entwickelnde  Folge,  die  ebenfalls  für  die 
Anatomie  verwerthet  werden  kann.  Fasern,  deren  Zusammenhang  mit  den 
Centralorganen  unterbrochen  ist,  gewinnen,  je  nach  der  Thiergattung  früher 
oder  später,  im  lebenden  Körper  dasselbe  Aussehen,  welches  die  Nerven- 
fasern der  Leiche  darbieten  und  welches  man  an  frisch  unter  dem  Mikro- 
skop ausgebreiteten  Fasern  allmälig  sich  entwickeln  sieht.  Diese  Veränderung, 
die  man  mit  dem  Namen  der  Gerinnung  des  Nervenmarks  zu  bezeichnen 
pflegt,  besteht  darin,  dass  der  im  normalen  Zustande  wasserhelle  Inhalt  der. 
Faser  oder  Röhre  erst  doppelrandig,  dann  mehr  und  mehr  grobkörnig  und 
in  gleichem  Maasse  undurchsichtig  wird.  Wenn  nun  die  in  einer  Wurzel 
eines  Plexus  enthaltenen  Fasern  sich  in  verschiedene,  von  dem  Plexus  aus- 
gehende Aeste  vertheilen,  so  werden,  nach  der  Trennung  jener  Wurzel,  die 
von  ihr  ausgehenden  Fasern,  gegen  die  übrigen,  mit  denen  sie  in  einem 
Aste  zusammen  liegen,  durch  ihre  körnige  Beschaffenheit  abstechen.  Waller  ^) 
benutzte  diese  Erfahrungen  zu  einer  Bestätigung  des  Bell' sehen  Lehrsatzes: 
nach  der  Durchschneidung  der  hinteren  Wurzeln  der  Spinalnerven  (unter-, 
halb  der  Ganglien)  bei  Fröschen  waren  sämmtliche  Hautnerven,  nach  der 
Durchschneidung  der  vorderen  Wurzeln  sämmtliche  Muskelnerven  entartet. 
Zur  Untersuchung  des  Verlaufs  der  Nervenfasern  durch  den  Plexus  brachialis 
(beim  Kaninchen  und  Affen)  wurde  die  genannte  Methode  mit  Erfolg  von 
W.  Krause  2)  angewandt,  zur  Untersuchung  der  Vertheilung  der  Nerven- 
wurzeln in  den  hinteren  Extremitäten  des  Frosches  benutzte  sie  C.  Meyer  ^). 

Zur  Ermittelung  des  Faserverlaufs  in  den  Centralorganen  erschliesst 
sich  in  den  Nervensympathien  eine  Quelle,  die  zwar  nur  auf  einem  Umwege 
zu  erreichen  ist,   aber  doch  nicht  vernachlässigt  werden  darf,    so  lange  die. 


^)  Nouvelle    methode  anatomique  pour  l'investigation  du  Systeme  nerveux.    Bonn   1852. 
Müller's  Archiv   1852,  S.  393.      ~)  A.a.O.       3)  ztschr.  für  rat.  Med.  3.  R.  XXXVI,  164, 


6  Nervenlehre. 

Resultate  der  directeren  Metlioden  nicht  besser  gesichert  sind.  Man  ver- 
steht unter  sympathischen  Erregungen  der  Nerven  diejenigen,  welche  secun- 
där,  durch  Reizung  eines  anderen  Nerven,  zu  Stande  kommen;  die  Sympa- 
thie äussert  sich  in  zweierlei  Weise:  durch  einen  dem  Zustande  des  primär 
erregten  Nerven  gleichartigen  Erregungszustand  (SymjDathie  im  engeren 
Sinne,  Synergie)  und  durch  den  entgegengesetzten,  Depression  des  einen 
Nerven  auf  Erregung  des  anderen  (Antagonismus).  Die  Erscheinungen  sind 
unzweideutig,  wenn  die  primäre  Erregung  einen  den  äusseren  Reizen  zu- 
gänglichen, also  sensibeln  Nerven  trifft,  wie  dies  bei  Reflexbewegungen  (Ver- 
engung der  Pupille  auf  Lichtreiz,  Zusammenschrecken  auf  starken  Schall) 
und  Mitempfindungen  (Ausbreitung  des  Schmerzes  von  einer  wunden  Stelle 
auf  die  Umgegend)  der  Fall  ist.  Bei  den  Mitbewegungen  und  bei  den  ge- 
wisse Krampfformen  begleitenden  Schmerzen,  welche  Stromeyer^)  als 
Reflexempfindungen  charakterisirte ,  ist  der  Zusammenhang  dunkler.  Wir 
kennen  nicht  die  Einrichtungen,  durch  die  die  Seele  den  Anstoss  zur  will- 
kürlichen Bewegung  giebt,  und  vermögen  deshalb  nicht  zu  entscheiden,  ob 
die  unabsichtlichen  Bewegungen,  welche  sich,  bei  Mangel  an  Uebung,  zugleich 
mit  intendirten  Bewegungen  einstellen,  einer  mangelhaften  Isolirung  des 
Willens  oder  der  motorischen  Nerven  zui-  Last  fallen.  Doch  sind  wir  auf 
die  letztere  Annahme  hingewiesen,  wenn  gelähmte  und  dem  Willenseinüuss 
entzogene  Muskeln  die  willkürlichen  Bewegungen  benachbarter  oder  sym- 
metrischer Muskeln  mitmachen-),  wenn  Muskeln,  die  niemals  dem  Willen 
unterworfen  sind,  durch  willkürliche  Bewegungen  zur  Contraction  angeregt 
werden,  wie  die  Schlundmuskeln  bei  Bewegung  der  oberen,  die  Darmmus- 
keln bei  Bewegung  der  unteren  Extremitäten  •^).  Uebrigens  ist  die  Neigung 
der  Nerven  zur  Association,  auch  bei  einer  Anregung  von  innen,  eine  That- 
sache,  die  sich  nicht  von  selbst  versteht  und  welche,  wie  die  Sympathie, 
einer  Erklärung  bedarf. 

Zur  Erklärung  der  Sympathien  gehört  der  Nachweis:  1.  der  Bedin- 
gungen, von  welchen  die  Uebertragung  abhängt,  und  2.  des  Gesetzmässigen 
in  der  Richtung  derselben.  Von  den  Bedingungen  der  Uebertragung  er- 
wähne ich  hier  nur  Zweierlei :  sie  ist  dem  physiologischen  Experiment  zufolge 
nicht  anders  möglich  als  durch  Vermittelung  der  grauen  Substanz,  also  nur 
im  Gehirn  und  Rückenmark  und  in  den  Ganglien,  und  sie  ist,  nach  Ana- 
logie aller  Molekularwirkungen,  nicht  anders  denkbar,  als  durch  Continuität 
oder  unmittelbare  Contiguität.  Ich  darf  vorerst  die  anatomischen  That- 
sachen,  welche  füi-  die  eine  oder  andere  Alternative  sprechen,  auf  sich  be- 
ruhen lassen;  in  jedem  Fall  ergiebt  sich  die  Richtung,  nach  welcher  die 
Uebertragung  fortschreitet,  aus  der  topographischen  Anordnung  der  Nerven 
in  den  Centralorganen,  und  umgekehrt  gestattet,  worauf  es  hier  ankommt, 
die  Richtung  der  Sympathien  einen  Schluss  auf  die  topographische  Anord- 
nung der  Nervenfasern.  Nun  breitet  sich  in  den  äusseren  Sinnen ,  bei 
welchen  überhaupt  von  räumlichen  Vorstellungen  die  Rede  sein  kann,  die 
Erregung  im  Allgemeinen  nachbarlich  aus ;  die  Tendenz  zui*  Mitbewegung 
ergreift  die  zunächst  gelegenen  Muskeln;  wenn  Hautreize,  wie  Kitzeln,  Re- 


^)  Beiträge    zur    operativen    Orthopädik.     Hannover  1838.        ^)  Vergl.    mein    Handbuch 
der  ration.  Pathologie  I,  205.       3)  Ebendas.  S.  225. 


Nervenlehre.  7 

flexbewegungen  veranlassen,  so  treten  diese  in  den  Muskeln  des  gereizten 
Theiles  anf.  Hielten  die  Sympathien  immer  diese  Regel  ein,  so  würde  man 
kaum  versucht  gewesen  sein,  zum  Verständniss  derselben  die  innere  Orga- 
nisation zu  Hülfe  zii  nehmen;  es  wäre  nur  natürlich  erschienen,  dass  sich 
die  Wirkungen  einer  Reizung,  ähnlich  einem  Wassertropfen  auf  Fliesspapier, 
über  die  Umgegend  verbreiten.  Aber  hier  wurde  in  der  That  die  Regel 
durch  die  Ausnahmen  erläutert.  Die  Regel  lässt  annehmen,  dass  die  Reihen- 
folge, in  welcher  die  Nerven  peripherisch  geordnet  sind,  in  den  Central- 
organen  sich  erhält;  die  Ausnahmen  drängen  zu  der  Vermuthung,  dass  Nerven- 
fasei'n,  welche  am  peripherischen  Ende  weit  aus  einander  liegen,  am  centralen 
Ende  sich  einander  nähern.  Solche  Ausnahmen  zeigen  sich  in  den  Sympathien 
der  äusserlich  weit  von  einander  gelegenen  Nerven  symmetrischer  Organe, 
in  der  Neigung  zu  symmetrischen  Actionen  der  gleichnamigen  Extremitäten, 
ferner  in  den  Sympathien  zwischen  manchen  Regionen,  welche  von  divergi- 
renden  Zweigen  eines  Stammes  versorgt  werden,  wie  z.  B.  zwischen  den 
dorsalen  und  intercostalen  Aesten  der  Spinalnerven  (Spinalirritation),  zwi- 
schen den  im  äusseren  Gehörgang  und  im  Kehlkopf  sich  verbreitenden 
Aesten  des  N.  vagus  ^).  In  beiden  Fällen  wird  die  Annahme,  dass  die 
Nerven  im  Centralorgan  zusammenrücken,  durch  ihre  gegenseitige  Annä- 
herung beim  Eintritt  in  dasselbe  unterstützt.  Darauf  hin  wird  es  erlaubt 
sein,  in  den  Fällen ,  wo  der  Verlauf  des  einen  oder  anderen  Nerven  sym- 
]Dathisch  verbundener  Theile  unbekannt  ist,  eine  Hypothese  über  deren  Lage, 
wenigstens  am  centralen  Ende,  auszusprechen.  Bei  der  Erörterung  der  Ge- 
fässnerven  gedenke  ich  von  dieser  Erlaubniss  Gebrauch  zu  machen.  Eine 
auf  die  Nerven  aller  unwillkürlichen  Organe  bezügliche  Betrachtung  muss 
indess  schon  hier  eingeflochten  werden. 

Unter  den  Begriff  der  Nervensympathie  fällt  auch  die  Wechselwirkung 
zwischen  dem  Organ  der  Seele  und  den  eigentlichen  motorischen  und  sen- 
sibeln  Körpernerven;  die  Reizung  der  Sinnesnerven  erzeugt,  je  nach  der 
Form  ihrer  Affection,  bestimmte  Vorstellungen,  und  Vorstellungen  haben,  je 
nach  ihrem  Inhalte,  Bewegungen  bestimmter  Muskeln  zur  Folge.  Störungen 
der  Continuität  im  Gehirn  heben  diese  Wechselwirkung :  das  Bewusstwerden 
der  sinnlichen  Eindrücke,  wie  den  Uebergang  des  Willens  in  Muskelthätig- 
keit,  auf.  In  der  Verfassung  aber,  in  welche  die  sonst  willkürlichen  Nerven 
durch  eine  zufällige  Trennung  gerathen,  befinden  sich  beständig  die  Nerven 
der  vorzugsweise  als  unwillkürliche  bezeichneten  Muskeln  der  Haut,  der  meisten 
Eingeweide,  des  Herzens,  der  Gefässe  und  der  Drüsen.  Man  darf  daraus 
auf  das  anatomische  Verhalten  derselben  schliessen  und  annehmen ,  dass  die 
genannten  Nerven  nicht  bis  zu  dem  Theile  des  Gehii^ns  hinaufreichen,  welcher 
die  eigentlichen  Seelenthätigkeiten  vermittelt.  Sie  sind  dem  Einfluss  desselben 
dennoch  nicht  ganz  entzogen.  Bei  einer  gewissen  Intensität  der  Vorstellung 
stellt  sich  mit  der  gewollten  Bewegung  oder  auch  ohne  eine  solche  eine 
Reihe  von  unwillkürlichen  Actionen  ein,  Veränderung  des  Athmens  und 
Herzschlags,  der  Thränen-,  Schweiss-  und  Speichelsecretion  und  des  Tonus 
der  Gefässe,  die- den  Affect  charakterisiren ;  aus  dem  Affect  bildet  sich  beim 
Kinde  allmälig,  durch  Uebung    und  Erziehung,   die  willkürliche   Bewegung 


1)  Kationelle  Pathol.   I,  209. 


8  Nervenlehre. 

hervor,  iind  diese  geht  hei  dem  ErwachseBen  wieder  in  den  Affect  über,  so 
oft  die  Intensität  des  Willens,  z.  B.  durch  einen  Widerstand,  durch  Erfolg- 
losigkeit der  anfänglichen  Bemühungen,  gesteigert  wird. 

Wenn  man  mit  einem  geläufigen  Bilde  die  Seele  einem  Klavierspieler 
und  die  motorischen  Nerven  den  Tasten  vergleicht,  so  lässt  sich  das  Ver- 
hältniss  der  willkürlich  und  unwillkürlich  motorischen  Nerven  zu  den 
Seelenthätigkeiten  in  der  Art  versinnlichen,  dass  die  willkürlichen  einem 
leisen  Anschlag  folgen,  die  unwillkürlichen  aber  nur  bei  einem  kräftigen, 
weithin  in  die  Tiefe  wirkenden  Drucke  getroffen  werden. 


Eintheiiung.  Anatomisch  scheidet  man  das   Nervensystem  in   einen  centralen   und 

einen  peripherischen  Theil.  Den  Centraltheil  oder  die  Centralorgane  bilden 
Gehirn  und  Rückenmark,  jenes  die  compacte  kugelförmige  Masse,  welche 
die  Schädelhöhle  erfüllt,  dies  der  cylindrische  Anhang,  der  sich  in  die 
Wirbelhöhle  erstreckt.  Der  peripherische  Theil  besteht  aus  den  Nerven- 
stämmen, welche  vom  Gehirn  und  Rückenmark  abgehen,  und  deren  Veräste- 
lungen. Gehirn  und  Rückenmark  nebst  den  Nervenstämmen  und  deren 
Zweigen,  soweit  dieselben  deutlich  durch  fortgesetzte  Theilung  aus  den  Stäm- 
men hervorgehen,  werden  unter  dem  Namen  des  animalischen  oder  Cere- 
brospinalsystems  zusammengefasst ;  ihm  gegenüber  steht  das  organische 
oder  sympathische  oder  Eingeweidesystem,  zwei  innerhalb  des  vege- 
tativen Rohrs  zu  beiden  Seiten  der  Wirbelhöhle  herablaufende  Stränge, 
welche  mit  den  cerebrospinalen  Nervenstämmen  dxirch  feine  Aeste  zusammen- 
hängen und  durch  die  reichlichen  Geflechte  ihrer  peripherischen,  den  Ein- 
geweiden und  Gefässen  bestimmten  Verzweigungen  sich  auszeichnen. 
w^eisse  und  Der    centrale     wie   der  peripheriche   Theil    des  Nervensystems   ist   aus 

sunz^.  ^^  zweierlei  Substanzen  zusammengesetzt,  die  man  als  weisse  ^)  und  graue  2) 
unterscheidet.  Im  peripherischen  Theil  bildet  die  Hauptmasse  die  weisse 
Substanz,  welche  identisch  ist  mit  den  bündelweise  zusammengefassten 
Nervenfasern,  und  ihre  charakteristischen  Eigenschaften  dem  Inhalte  dieser 
Fasern  oder  Röhren,  namentlich  dem  sogenannten  Nervenmark  verdankt. 
Dasselbe  umgiebt  als  eine  im  normalen  Zustande  wasserhelle,  halbflüssige, 
stark  lichtbrechende  Hülle  den  in  der  Axe  der  Faser  befindlichen  cylindri- 
schen  oder  abgeplatteten,  blassen  Faden,  den  Axencylinder,  und  wird  selbst 
wieder  von  einer  feinen,  structurlosen ,  häutigen  Scheide  umfasst.  Es  fehlt 
nur  oder  ist  eigenthümlich  modificirt  in  dem  grössten  Theile  der  Nerven- 
fasern des  sympathischen  Systems,  dessen  Aeste  deshalb  auch  in  ihrer  Farbe 


')  Marksubstanz,  Subsianüa  alba  s.  mcdullaris.        ^)  Rindensubstanz,  Suhstantia  grisea 
corlicalis. 


Nervenlehre.  9 

gegen  die  weissen  Cerebrospinalnerven  abstechen  nnd  mit  dem  Namen  der 
grauen  oder  gelatinösen  Nerven  belegt  worden  sind. 

Eigentlich  graue,  ihrer  Strnctiir  nach  mit  der  grauen  Masse  der  Central- 
organe  verwandte  Substanz  kommt  im  peripherischen  Nervensystem  nur  in 
einzelnen  kugel-  oder  spindelförmigen  Körpern,  die  von  Nervenfasern  durch- 
setzt werden,  an  bestimmten  Stellen  vor :  an  den  hinteren  Wurzeln  der  Spinal- 
nerven, an  den  Vereinigungswinkeln  der  cerebrospinalen  Nerven  mit  den 
sympathischen,  und  besonders  zahlreich  an  dem  Plexus  der  letzteren.  Diese 
an  den  Nerven  zerstreuten  Anhäufungen  grauer  Substanz  werden  Ganglien, 
Nervenknoten  genannt.  Die  Centraloi"gane  enthalten  die  graue  Substanz 
in  zusammenhängenden  Massen,  das  Rückenmark  als  Axe,  das  Gehirn  theils 
als  Rinde,  theils  als  Kern  gesonderter  Anschwellungen;  die  weisse  Substanz 
des  Gehirns  und  Rückenmarks  ist  nicht  so  deutlich  in  Bündel  geschieden, 
wie  die  der  Nerven,  besitzt  aber  im  Uebrigen  die  Eigenschaften  der  letz- 
teren und  lässt  sich  auch  nach  einiger  Erhärtung  in  der  Richtung  der  Fa- 
sern spalten.  Der  einzige  histologische  Unterschied  zwischen  den  periphe- 
rischen und  centralen  Nervenfasern  beruht  in  dem  Mangel  der  häutigen 
Scheide  bei  den  centralen. 

Da  die  weisse  Substanz  der  Centralorgane  im  Wesentlichen  der  Sub-  Kräfte  der- 
stanz  der  peripherischen  Nerven  gleicht,  so  war  es  natürlich,  dass  man  die 
Functionen,  durch  welche  die  Centralorgane  sich  vor  den  peripherischen 
Nerven  hervorthun,  der  grauen  Substanz  zutheilte  und  in  der  weissen  Sub- 
stanz der  Centralorgane  nur  die  Fortsetzungen  der  Nervenwurzeln  sah.  Was 
sich  durch  die  ersten  und  kunstlosesten,  vor  aller  Physiologie  unternommenen 
Experimente  als  Folge  der  Zerstörung  der  Centralorgane,  insbesondere  des 
Gehirns  herausstellte,  war  die  Aufhebung  des  Antheils  der  Seele  an  den 
körperlichen  Verrichtungen,  woraus  sich  in  weiterer  Folge  der  Erfahrungs- 
satz entwickelte,  dass  das  Bewusstwerden  eines  jeden  Eindrucks  auf  Sinnes- 
nerven, wie  der  Uebergang  jedes  inneren  Antriebs  auf  motorische  Nerven, 
an  den  Zusammenhang  der  betreffenden  Nerven  mit  dem  Gehirn  gebunden 
sei.  Im  Gehirn  also,  so  war  man  berechtigt  zu  schliessen,  ist  der  Sitz  des 
Bewusstseins,  in  welchem  Nerveneindrücke  zu  Vorstellxingen ,  Vorstellungen 
zu  Bewegungsimpulsen  umgewandelt  werden;  die  Nerven  sind  die  Bahnen, 
auf  welchen  das  Bewiisstsein  seine  Botschaften  empfängt  und  aussendet.  Dass 
man  alsdann  das  Organ  des  Bewusstseins  speciell  in  die  grauen  Massen  des 
Gehirns  verlegte  und  den  weissen  nur  das  Geschäft  weiterer  Leitung  durch 
die  Centralorgane  zugestand,  war  ein,  wie  gesagt,  naheliegendes  Vorurtheil, 
aber  doch  ein  Vorurtheil,  weil  eine  gesonderte  Prüfung  der  Kräfte  der  grauen 
und  weissen  Substanz  unterblieb.  Hieran  hat  auch  die  neuere,  exactere 
Physiologie  nichts  geändert;  sie  hat  vielmehr  nur  dem  Vorurtheil  einen  all- 
gemeineren, bestechenderen  Ausdruck  verliehen.  Denn  in  Anbetracht,  dass 
nach  der  Trennung  des  Gehirns  vo'm  Rückenn^^ark  die  aus  dem  Rückenmark 
entspringenden  Nerven,  wiewohl  dem  Einfluss  der  Seele  entzogen,  doch  für 
andere  Reize  empfänglich  bleiben  und  dass  sie  diese  Reizbarkeit  erst  nach 
der  Trennung  vom  Rückenmark  verlieren,  wurden,  nach  einem  von  der  Elek- 
tricität  entlehnten  Bilde,  die  Herde  grauer  Substanz  als  Nervenkraft  oder 
Nervenprincip  erzeugende  (neuromotorische),  die  weissen  Fasern  aber  als  Leiter 
(Conductoren)  aufgefasst.     Nachdem  es  sich  vollends  gezeigt,  dass  die  graue 


10  Nervenlelire. 

Substanz  aus  Zellen  bestellt,  vermählte  sich  in  neuester  Zeit  dem  physiolo- 
gischen Vorurtheil  das  histologische,  welches  den  Zellen  allein  organische 
Initiative  zutraut.  Die  Frage,  ob  der  functionelle  Gegensatz  der  motorischen 
und  der  verschiedenen  Arten  sensibler  Nerven  in  einer  Verschiedenheit  der 
Qualität  der  Nervenfasern  oder  in  ihrer  Verbindung  mit  verschieden  be- 
gabten Massen  der  grauen  Substanz  beruhe,  ist  consequenter  Weise  längst 
zu  Gunsten  der  letzteren  Alternative  entschieden.  Zu  der  gleichartigen 
Thätigkeit  der  Nerven,  die  höchstens  in  der  Richtung  der  Leitung,  ob  cen- 
trifugal  oder  centripetal,  einen  Unterschied  darbieten  würde ,  schien  die  bis 
auf  geringe  und  nicht  durchgreifende  Schwankungen  des  Kalibers  gleichartige 
Structur  der  motorischen  und  der  verschiedenen  sensibeln  Fasern  wohl  zu 
stimmen.  Freilich  sind  die  Verschiedenheiten  der  Grösse  und  Form,  die 
man  an  den  Zellen  der  Centralorgane  antrifft,  kaum  besser  geeignet,  als  die 
der  Nervenfasern,  um  wesentliche  Verschiedenheiten  der  Function  zu  er- 
klären, und  die  Verbindung  der  im  Nervensysteme  wirkenden  Kräfte  mit  der 
Materie  bleibt  ein  gleich  unergründliches  Räthsel,  mag  man  sie  sich  an 
Zellen  oder  an  Fasern  gebunden  denken. 

Deshalb  schien  mir  bei  einer  früheren  Bearbeitung  dieses  Gegenstandes  ^) 
die  andere  Hypothese,  welche  zugleich  die  einfachere  ist  und  in  den  Nerven- 
fasern selbst  den  Grund  der  eigenthümlichen  physiologischen  Energien  sucht, 
der  Erwägung  wohl  werth;  sie  wird  es  noch  mehr  durch  die  Wandlungen, 
welche  seitdem  die  Ansichten  über  das  physiologische  Verhalten  der  weissen 
und  grauen  Rückenmai-ksstränge  erfahren  haben.  Sie  bedürfte  keiner  weiteren 
Begründung,  wenn  die  Versuche  von  Philipeaux  und  Vulpian^)  über  die 
Regeneration  der  Nerven  sich  bestätigten,  wenn  es  gewiss  wäre,  dass  Nerven 
nach  ihrer  Trennung  vom  Centrum,  nach  vollständiger  Alteration  und  ohne 
vorgängige  Wiedervereinigung,  ihre  normale  Structur  und,  soweit  die  Prü- 
fung möglich  ist,  ihre  Reizbarkeit  wieder  gewinnen.  Schifft)  erklärt  die, 
allen  bis  dahin  bekannten  Thatsachen  widersprechenden  Resultate  dieser 
Versuche  daraus,  dass  Philipeaux  und  Vixlpian  zu  denselben  nur  ganz 
junge,  meist  neugeborene  Thiere  verwandten;  Landry^)  wiederholte  sie 
auch  bei  jungen  Thieren  mit  durchaus  negativem  Erfolg,  und  so  dürfen  wir 
uns  der  Mühe,  unseren  Beweis  auf  minder  directem  Wege  zu  führen,  noch 
nicht  überheben.  Ich  machte  geltend,  dass  Erstens  ein  von  der  Verbindung 
mit  den  Centralorganen  gelöster  motorischer  Nerv,  bevor  seine  Reizbarkeit  er- 
lischt, ermüdet  werden  imd  sich  durch  Ruhe  oder  durch  Zufuhr  von  arte- 
riellem Blut  ■')  erholen  kann.  Wäre  der  Muskelnerv  nur  der  Leiter  einer  ihm 
von  den  Centralorganen  mitgetheilten  Bewegung,  so  Hesse  sich  allenfalls, 
nach  Analogie  mit  anderen  Naturkräften,  verstehen,  wie  er  gleichsam  mit 
einem  Vorrath  an  Kraft  versehen,  und  nach  der  Trennung  von  der  Quelle 
dieser  Kraft  noch  eine  Zeit  lang  geladen  bleiben  könne ;  aber  die  Kraft  dürfte 
sich,  wenn  sie  nur  geborgt  iKid  angesammelt  ist,  einmal  erschöpft,  nicht 
wieder  erzeugen. 

Zweitens  wies  ich  hin  auf  die  Masse  der  Nervenfasern  in  der  weissen 


1)  Allgem.  Anat.  S.  717.  ^)  Gaz.  med.  1860,  Nro.  27  ff.  ^)  Ebendas.  Nro.  49. 
*)  .Journal  de  la  Physiologie.  1860,  p.  218.  •'')  Brown-Sequard,  Meissner 's  Jahresbericht 
1860,  S.  429. 


Nerveillehre.  1 1 

Substanz  des  Gross-  und  Kleinhirns,  deren  Reizung  weder  Bewegung  noch 
Empfindung  veranlasst;  denselben  ist  vielleicht  ein  Theil  oder  gar  das  ganze 
System  der  longitudinalen  Fasern  der  weissen  Rückenmarksstränge  zuzu- 
rechnen 1).  Physiologische  Experimente  und  pathologische  Thatsachen  sprechen 
dafür,  dass  in  der  weissen  Substanz  der  Grosshirnhemisphären  das  organische 
Substrat  der  Seelenthätigkeiten ,  in  der  weissen  Substanz  des  Kleinhirns 
ein  Organ  für  die  Regelung  der  Ortsbewegungen  zu  suchen  sei;  über  die 
Bedeutung  der  longitudinalen  Fasern  des  Rückenmarks  wird  es  gerathen  sein, 
das  Urtheil  zurückzuhalten,  so  lange  die  Thatsachen  bestritten  sind  und  so 
lange  die  von  Pflüg  er  2)  angeregte  Controverse  über  die  psychischen  Func- 
tionen des  Rückenmarks  in  der  Schwebe,  so  lange  es  unentschieden  ist,  ob 
in  den  sogenannten  Reflexbewegimgen,  welche  geköpfte  Thiere  zur  Abwehr 
eines  Reizes  unternehmen,  Willkür  oder  Mechanismus  waltet.  So  viel  aber 
steht  fest,  dass  es  im  Gehirn  und  Rückenmark  zweierlei  Fasern  giebt,  die 
einstrahlenden  Nerven  würz  ein,  die  sich,  den  peripherischen  Fasern  gleich, 
motorisch  oder  (im  weitesten  Sinne  des  Wortes)  sensibel  vei-halten,  und 
andere,  welche  gegen  die  Reize,  mittelst  deren  wir  die  motoi'ische  oder 
sensible  Natur  der  Fasern  prüfen,  unempfindlich  sind.  Man  hat  nur  die 
Wahl,  entweder  beiden  Faserarten  selbständige  Thätigkeit  zuzuerkennen 
oder  zwei  Arten  leitender  Fasern  anzunehmen,  die  einen  als  Fortsetzungen 
der  anderen  und  sonderbarer  Weise  gerade  die  inneren  als  unfähig,  von 
den  Eindrücken  afficirt  zu  werden,  deren  Fortpflanzung  ihnen  obliegt. 

Es  erscheint  drittens  nicht  minder  paradox,  dass  die  gewöhnlichen 
Nervenreize,  direct  auf  die  graue  Substanz  applicirt,  nicht  im  Stande  sind, 
die  Lebensäusseruugen  zu  wecken,  zu  welchen  die  graue  Substanz  durch 
Vermittelung  der  sensibeln  Nervenfasern  angeregt  wird,  und  zu  welchen 
sie  die  motorischen  Fasern  anregen  soll.  So  verhält  sich  wenigstens  das 
Rückenmark,  dessen  graue  Stränge  mechanisch  gereizt  und  zerschnitten 
werden  können,  ohne  dass  Schmerzen  oder  Krämpfe  entstehen  ). 

Viertens.  Unter  den  Beweisen  für  die  Beziehung  der  Grosshirn- 
hemisphären zu  den  eigentlich  psychischen  Thätigkeiten  steht  obenan  ein 
Versuch,  welcher  zuerst  vonFlourens  ausgeführt  und  seitdem  häufig  wieder- 
holt worden    ist:    die   Abtragung  der   Hemisphären    versetzt   die   Thiere    in 


1)  Zuerst  hatte  van  Deen  die  Behauptung  ausgesprochen,  dass  die  Elemente  der  weissen, 
namentlich  der  vorderen  und  hinteren  Rückenmarkstränge  nicht  erregbar  seien  durch  künst- 
liche (inadäquate)  Reizmittel,  und  Schiff,  Chauveau,  Brown-Sequard,  Sanders  und 
Guttmann  hatten  Reihen  bestätigender  Versuche  mitgetheilt.  Neuere  Beobachtungen  (von 
Vulpian,  von  Fick  und  Engelken)  haben  dies,  wie  es  schien,  fest  begründete  Resultat 
wieder  zweifelhaft  gemacht:  es  bedürfte,  diesen  Autoren  zafolge,  nur  stärkerer  Reize  zur 
Anregung  der  Rückenmarksfasern,  als  der  Nervenwurzeln;  dagegen  wendet  S.  Meyer  ein, 
dass  die  auf  Reizung  der  Vorderstränge  erfolgenden  Bewegungen,  da  sie  sich  als  geordnete 
erweisen,  nicht  directe  Folgen  der  Reizung,  sondern  nur  reflectorischer  Natur  sein  können. 
Meissner's  Jahresberichte  1858,  S.  520.  529;  1865,  S.  434;  1866,  S.  404;  1867, 
S.   521;   1868,   S.  404. 

^)  Die  sensorischen  Functionen  des  Rückenmarks.  Bei'l.  1853. vgl.  Meissner's  Jahres- 
berichte 1856,  S.   599;  1860,  S.   510;  1861,  S.  401. 

^)  Ich  hebe  hier  nur  diese  negative  Eigenschaft  der  von  Schiff  sogenannten  ästheso- 
di.schen  und  kinesodischen  Substanz  hervor;  der  Antheil ,  den  sie  an  der  Leitung  zwischen 
den  Nervenwurzeln  und  dem  Organ  des  Bewusstseins  nimmt ,  ist  für  die  vorliegende  Unter- 
suchung gleichgültig  (vergl.  Meissner's  Bericht   1858,  S.   522.  529). 


12  Nervenlelire. 

einen  Zustand  des  Stumpfsinnes,  bei  welchem  alle  körperliclien  Functionen 
ungestört  fortdauern  und  alle  Bewegungen  ausführbar  bleiben ,  aber  der 
Trieb  zu  deren  Ausführung  fehlt.  Der  Erfolg  des  Versuchs  ist  aber  davon 
abhängig,  dass  die  Hemisphären  vollständig  entfernt  werden;  eine  ver- 
hältnissmässig  dünne  Schichte,  die  zurückbleibt,  bedingt  die  Fortdauer  der 
Intelligenz.  Dieser  Rest  ist  aber  hauptsächlich  weisse  Masse;  die  Rinde  des 
Gehirns  wird  schon  durch  einen  oberflächlichen  Schnitt  beseitigt,  und  es  ist 
demnach  gewiss,  dass  die  Zerstörung  des  grössten  Theils  derselben  die  psy- 
chischen Functionen  nicht  aufhebt. 

Fünftens.  Je  nachdem  man  die  Quelle  der  eigenthümlichen  Kräfte  des 
Nervensystems  in  die  weisse  oder  in  die  graue  Substanz  verlegt,  muss  man  an- 
nehmen, den  Gegensatz  der  verschiedenen,  namentlich  der  sensibeln  und 
motorischen  Energien  in  den  Nervenfasern  oder  in  den  Ganglienzellen  aus- 
gesprochen zu  finden.  Der  Entscheidung  dieser  Frage  konnte  man  sich 
durch  das  Experiment  zu  nähern  hoffen,  indem  man  die  centralen  und  peri- 
pherischen Stümpfe  zweier  physiologisch  verschiedenen  Nerven  mit  einander 
vei-tauschte  und  verheilte,  oder  einen  Nerven  aus  den  Stümpfen  von  zwei 
physiologisch  verschiedenen  künstlich  zusammensetzte.  Den  ersten  Ver- 
such dieser  Art  unternahm  Flourens^);  um  zu  erfahren,  ob  ein  Hirnnerv 
„das  Princip  seiner  Thätigkeit  aus  dem  Rückenmark  zu  schöpfen  vermöge", 
vereinigte  er  (bei  einem  Hahn)  das  peripherische  Ende  des  durchschnittenen 
Vagus  mit  dem  centralen  eines  durchschnittenen  Cervicalnerven.  Der  Ver- 
such fiel  verneinend  aus,  da,  nach  Herstellung  der  Continuität  in  dem  künst- 
lichen Nerven,  die  Durchschneidung  des  anderen,  unversehrten  Vagus  den- 
selben Erfolg  hatte,  als  ob  beide  Nv.  vagi  durchschnitten  worden  wären.  Er  ist 
aber  bedeutungslos,  da  es  sich  hier  nicht  um  die  Kräfte  der  einzelnen  Fasern, 
sondern  um  das  regelmässige  Zusammenwirken  einer  Anzahl  derselben  handelt. 
In  Bidder's^)  Versuchen,  die  über  den  Erfolg  einer  Anheilung  desN. hypo- 
glossus  an  den  N.  lingualis  Aufschluss  geben  sollten,  waren  trotz  aller  Vor- 
sichtsmaassregeln  die  Stümpfe  der  durchschnittenen  Nerven  in  die  ursprüng- 
lichen Verbindungen  zurückgekehrt;  danach  bezweifelt  Bidder,  ob  ein  Zu- 
sammenwachsen verschiedener  Nervenfasern  überhaupt  möglich  sei.  Indessen 
ist,  was  er  umsonst  anstrebte,  späteren  Experimentatoren,  Gluge  undThier- 
nesse^),  Philipeaux  und  Vulpian  ■^)  undRosenthal  ^),  gelungen.  Gluge 
und  Thiernesse  erhielten  von  der  Reizung  eines  centralen  Lingualisstum- 
pfes,  mit  welchem  der  peripherische  Hypoglossusstumpf  durch  nervenhaltiges 
Narbengewebe  verbunden  war,  nur  negative  Resultate.  Die  übrigen  Beob- 
achter aber  konnten  durch  die  Narbe  hindurch  von  dem  centralen  Lingualis- 
stück  das  peripherische  Ende  des  Hypoglossus,  wie  von  dem  peripherischen 
Ende  des  Hypoglossus  das  centrale  Ende  des  Lingualis,  wirksam  reizen. 

Wenn  man  nicht  annehmen  will  —  was  Rosenthal  für  möglich,  aber 
doch  für  unwahrscheinlich  hält  ^ ,  dass  sich  aus  beiden  Stümpfen  Fasern 
an  einander  vorüber  in  den  entgegengesetzten  Stumpf  verlängert  hätten,  so 


^)  Ann.  des  sciences  naturelles.  T.  VIII.  (1828),  p.  113.  Ztschr.  für  organ.  Physik.  II, 
322.  2)  Müller's  Archiv  1842,  S.  102.  3)  Journal  de  la  physiologie  II.  1860,  p.  686. 
Gaz.  hebdomadaire  1864,  p.  423.  *)  Gaz.  med.  1860,  Nro.  35.  Journal  de  la  physiol.  VI, 
(1864),  p.  421.  474.       &)  Medicin.  Centralbl.   1864,  S.  449. 


Nerve::ilelire.  13 

wäre  hiermit  der  Beweis  geliefert,  dass  motoriscTie  und  sensible  Faserstücke 
verschmelzen  und  sicli  im  versclimolzenen  Zustande  functionsfähig  erhalten 
können,  dass  die  Erregung  der  einen  sich  auf  die  anderen  fortpflanzen  und 
in  jeder  Faser  von  der  erregten  Stelle  aus  ein  Strom  nach  beiden  Richtungen 
ausgehen  könne.  Mehr  nicht.  Die  Schwierigkeit,  Fasern  von  entgegenge- 
setzter physiologischer  Energie  zur  Verwachsung  zu  bringen,  bleibt  immerhin 
bemerkenswerth.  Das  Yerhältniss  solcher  zusammengesetzter  Fasern  zu  den 
Centralorganen  zu  ermitteln,  wäre  aber,  wenn  die  Nervenfasern  die  Reize 
nur  zu  leiten  haben,  auch  nach  völlig  hergestellter  Leitung,  eine  unlösbare 
Aufgabe.  Denn  der  vom  Gehirn  ausgehende  Impuls  zur  Bewegung  müsste, 
wenn  er  in  der  Narbe  von  einer  motorischen  Faser  auf  eine  sensible  über- 
ginge, an  dem  Orte  der  peripherischen  Endigung  der  letzteren,  in  der  Ha^lt 
und  deren  Papillen,  wirkungslos  verschwinden,  und  nicht  viel  mehr  Wirkung 
Hesse  sich  von  Gefühlseindrücken  erwarten,  wenn  die  Nerven,  welche  sie 
aufnehmen  und  zu  dem  sensibeln  Centralorgan  fortleiten  sollten,  statt  in 
der  Haut,  im  Inneren  der  Muskeln  sich  verbreiteten. 

Stellt  sich  nach  der  Durchschneidung  und  Wiedervereinigung  eines  ge- 
mischten Nerven  die  Function  wieder  her,  wie  dies  Regel  ist,  so  kann  es  sich 
nicht  fragen,  ob  die  aus  der  Vereinigung  je  eines  sensibeln  ixnd  eines  mo- 
torischen Stückes  entstandenen  Fasern  leitungsfähig  bleiben  oder  werden. 
Denn  was  der  Nerv  als  blosser  Leiter  leistet,  bliebe  latent.  Es  giebt  für 
jene  Thatsache  nur  zwei  Erklärungen:  entweder  bringt  es  der  Zufall  oder 
die  Neigung  der  Fasern  mit  sich,  dass  eine  grössere  oder  geringere,  zur 
Wiederaufnahme  der  Thätigkeit  genügende  Zahl  von  Fasern  sich  in  der 
ursprünglichen  Ordnung  zusammenfindet,  oder  aber  es  kommt  bei  der  Wirk- 
samkeit der  Nerven  nicht  darauf  an ,  mit  welcherlei  Elementen  der  grauen 
Substanz  sie  in  Verbindung  stehen. 

Sechstens.  Die  specifische  Verschiedenheit  der  Nervenfasern  kann 
man  läugnen,  wenn  man  ihre  specifischen  Lebensäusserungen  als  Reactionen 
der  Hirntheile  auffasst,  von  denen  die  Fasern  ausgehen.  An  der  specifischen 
Natur  der  Nervenenden  aber  lässt  sich  nicht  zweifeln,  da  sie  sich  gegen 
äussere  Einflüsse  verschieden,  und  sich  namentlich  die  einzelnen  Sinnesnerven 
gegen  die  sogenannten  adäquaten  Reize:  Licht,  Schallschwingungen,  Riech- 
stoffe u.  s.  f.,  durchaus  exclusiv  verhalten. 

Wie  aber  hat  man  sich  die  „Leitung"  adäquater  Reize  durch  den 
Sinnesnerven  zum  Gehirn  zu  denken?  Von  einer  Fortpflanzung  der  Licht- 
oder Schallwellen  als  solcher  kann  nicht  wohl  die  Rede  sein;  die  physika- 
lische Beschaffenheit  der  Nerven  widerspricht  einer  solchen  Annahme;  sie 
wird  zum  Ueberfluss  dadurch  widerlegt,  dass  die  Nervenfaser  zwischen  End- 
organ und  Gehirn  nur  durch  die  allgemeinen  Nervenreize  (Druck,  Elektricität 
und  dergl.),  nicht  durch  den  adäquaten  Reiz  erregbar  ist,  wie  am  entschie- 
densten der  Mariotte'sche  Versuch,  die  Blindheit  der  Retina  an  der  Ein- 
trittsstelle des  Sehnerven,  beweist.  Die  Schwingungen  also,  die  das  äussere 
Medium  in  dem  peripherischen  Nervenendorgan  liervori'uft,  müssen  auf  die 
Nervenfaser  übertragen  werden,  die  sie  in  einer  unfassbaren  Qualität  durch- 
ziehen, lim  am  centralen  Ende  der  Faser  abermals  einen  Umwandlungs- 
process  zu  erfahren,  der  sie  endlich  zu  Empfindungen  macht.  Man  sieht, 
ich  hatte   das  Recht,    dieser  Hypothese   die  Einfachheit  abzusprechen.     Und 


14  Nervenlehre. 

wie  verwickelt  wird  sie  erst  in  ihrer  Anwendung  auf  die  Sinne ,  welche 
räumliche  Anschauungen  gewähren!  Ist  es  denkbar,  dass  die  Tast-  und 
Sehnervenfasern,  nach  allen  Verflechtungen  der  Zweige  und  Bündel,  sich  im 
Gehirn  in  derselben  Ordnung  wieder  aufstellen,  in  welcher  sie  von  dem  Tast- 
und  Sehorgan  ausgingen?  Und  wenn  dies  nicht  der  Fall  wäre  oder  wenn, 
wie  es  häufig  genug  geschieht,  durch  Tansplantation  eines  Hautlappens  die 
Lage  der  äusseren  Endpunkte  verändert  würde,  welche  Verwirrung  müsste 
in  der  Correspondenz  der  Seele  mit  den  Tastnerven  eintreten!  Dieselbe 
ungefähr,  wie  wenn  die  an  einer  Telegraphenstange  hinlaufenden  Drähte 
zerschnitten  und  bei  Herrichtung  der  Leitung  verwechselt  würden. 

Allen  diesen  Schwierigkeiten  entgehen  wir,  wenn  wir  den  Nervenpröcess, 
der  sich  in  Bewegung  und  Empfindung  äussert,  statt  in  die  graue  Substanz, 
in  die  Nervenfasern  selbst  verlegen  und  demnach  zugeben,  dass  die  Empfin- 
dung in  den  Sinnesorganen  selbst  zu  Stande  komme.  Die  Verbindung  der 
Sinnesnerven  mit  den  Centralorganen  bleibt  nichtsdestoweniger  unerlässliche 
Bedingung  des  Bewusstwerdens  der  Empfindungen.  Denn  wie  die  willkür- 
liche Bewegung  zusammengesetzt  ist  aiis  dem  Vorsatze  zur  Bewegung  und 
dem  Nervenact,  der  die  Muskelfaser  zur  Contraction  veranlasst,  so  ist  auch 
in  der  Empfindung  ein  Doppeltes  zu  unterscheiden :  die  Nervenerregung  und 
die  Aufmerksamkeit,  die  die  Empfindung  zur  bewussten  macht.  Zu  diesem 
Zusammenwirken  der  Seele  mit  den  Sinnesnerven  ist,  wie  zu  ihrem  Zusam- 
menwirken mit  den  Muskelnerven,  die  Continuität  der  beiderseitigen  Organe 
erforderlich.  Aber  mit  demselben  Rechte,  mit  welchem  man  die  sinnliche 
Erregung  sich  längs  den  Nerven  nach  innen  fortpflanzen  lässt,  ist  es  ge- 
stattet, den  Nerven  als  die  Bahn  zu  betrachten,  auf  welcher  die  psychische 
Thätigkeit  sich  nach  aussen  verbi-eitet.  Nur  Verblendung  kann  behaupten, 
class  das  Wesen,  welches  alle  die  mannigfaltigen,  vei'gangenen  und  gegen- 
wärtigen Modificationen  unseres  Nervenlebens  zur  Einheit  des  Selbstbewusst- 
seins  zusammenfasst,  besser  begrifien  werde,  wenn  wir  es  für  eine  Monade 
mit  festem  Wohnsitz,  als  wenn  wir  es  für  ein  den  ganzen  Körper  durch- 
dringendes Imponderabile  erklären.  Für  die  Diff'usibilität  der  Seele  zeugt 
jedenfalls  die  Zeugung. 

Um  die  wirklichen  Leistungen  der  grauen  Substanz  kennen  zu  lernen, 
ist  es  nöthig,  den  Einfluss  des  Denkorgans  zu  eliminiren,  und  die  Resultate 
der  Durchschneidung  der  Nervenfasern  innerhalb  und  ausserhalb  des  Rücken- 
marks mit  einander  zu  vergleichen.     Sie  unterscheiden  sich  in  Folgendem: 

1.  Marshall  Hall  hatte  gezeigt,  dass  bei  Schildkröten  durch  Zerstö- 
rung der  Centralorgane  des  Nervensystems  der  'Verschluss  des  Sphincter  ani 
nicht  beeinträchtigt  wird,  so  lange  nur  der  unterste  Theil  des  Rückenmarks 
erhalten  bleibt.  Ich  sprach  die  Ansicht  aus  ^),  dass  die  Sphincteren  nicht 
die  einzigen,  in  anhaltender  Contraction  begriffenen  Muskeln  seien,  dass 
vielmehr  jeder  Muskel  beständig  in  massiger  Contraction  verharre  „ohne 
einen  anderen  Reiz  als  den,  welchen  die  lebendige  Wechselwirkung  der 
Theile  des  Organismus  auf  ihn  ausübt."  Der  Tonus  der  Muskeln,  wie  ich 
diesen  Zustand  unscheinbarer  Thätigkeit  während  der  sogenannten  Ruhe 
nannte,  hat  verschiedene  Beurtheilungen  erfahren  und  ist  Gegenstand  einer 


1)  Casper's  Wochenschr.   1838,  Nro.   18.   19. 


Nervenlehre.  1 5 

langen,  noch  ungeschlichteten  Controverse  geworden.  Darüber  aber  besteht 
unter  denen,  welche  ihn  anerkennen,  kein  Zweifel,  dass  er  an  den  Zusam- 
menhang der  Nerven  mit  dem  Rückenmark  gebunden  ist,  und  mit  der  Auf- 
hebung dieses  Zusammenhangs  verloren  geht. 

2.  Wird  ein  Nervenstamm  ausserhalb  des  Rückenmarks  durchschnitten, 
so  erlischt  die  Reizbarkeit  desselben  binnen  kurzer  Zeit  und  seine  Structur 
alterirt  sich  in  der  oben  (S.  5)  bezeichneten  Weise.  Nach  Durchschnei- 
dung des  Rückenmarks  behalten  die  unter  der  Durchschnittsstelle  austre- 
tenden Nerven,  wiewohl  der  Einwirkung  der  Seele  entzogen,  ihre  Reizbarkeit 
und  ihre  normale  Structur. 

3.  Nur  so  lange,  wie  die  Nerven  mit  dem  Rückenmark  in  Verbindung 
stehen,  sind  sie  in  der  Lage,  ihre  Erregungszustände  einander  mitzutheilen. 
Wird  das  Rückenmark  zerstört  oder  der  Zusammenhang  der  Nerven  mit  dem- 
selben unterbrochen,  so  bleibt,  auch  wenn  die  Nerven  noch  reizbar  sind,  die 
Wirkung  der  Reizung  auf  die  gereizte  Faser  beschränkt.  So  benutzt  man 
die  Reflexbewegungen,  um  zu  entscheiden,  ob  eine  Lähmung  von  der  Quer- 
theilung  des  Rückenmarks  (Paraplegie),  oder  ob  sie  von  Desorganisation  des- 
selben oder  Trennung  der  Nerven  herrühre. 

4.  Vielleicht  im  Rückenmark,  jedenfalls  aber  im  verlängerten  Mark 
finden  sich  Apparate,  welche  eine  Anzahl  Nerven  zu  gemeinsamer  geregelter, 
auch  wohl  rhythmischer  oder  alternir ender  Thätigkeit  associiren,  wie  dies  z.  B. 
für  die  Athem-  und  Darmbewegungen  erforderlich  ist,  und  sich  selbst  in 
manchen  Krämpfen,  durch  das  Zusammenwirken  der  Streck-  oder  Beuge- 
muskeln äussert.  Und  wenn  ein  Organ,  wie  das  Herz,  auch  nach  seiner 
Trennung  von  den  Nervencentren  noch  geordnete  Gesammtbewegungen  aus- 
führt, so  dürfen  wir  die  Ursache  davon  in  den  Filialen  grauer  Substanz 
suchen,  die  das  Organ  einschliesst. 

Der  Antheil,  den  in  den  angeführten  Fällen  die  graue  Substanz  an  den 
Functionen  der  Nerven  nimmt,  lässt  sich  kurz  dahin  zusammenfassen,  dass 
sie  die  normale  Structur  der  Nervenfasern  erhält  und  den  Zusammenhang 
zwischen  Fasern  vermittelt,  die  ausserhalb  der  Centralorgane  isolirt  sind. 
In  der  ersten  Beziehung,  als  ernährende  Substanz,  ist  sie,  wie  die  Nahrungs- 
mittel in  ihrer  Beziehung  zum  Gesammtorganismus ,  Conditio  sine  qua  non 
der  Kraftäusserungen,  ohne  doch  selbst  zu  denselben  befähigt  zu  sein.  Der 
im  Vergleich  zur  weissen  Substanz  vorwiegende  Gefässreichthum  der  grauen 
spricht  für  ein  vormundschaftliches  Verhältniss  der  angedeuteten  Art,  welches 
sich  freilich  nicht  näher  bezeichnen  lässt.  Ebenso  ist  es  mir  immer  bedeu- 
tungsvoll erschienen,  dass  die  beiden  Bestandtheile  der  Nervensubstanz,  die 
im  Mark  der  Nervenfasern  auf  eine  räthselhafte  Weise  zu  einer  homogenen 
Masse  gemischt  sind,  in  dem  Protoplasma  der  Nervenzellen  und  in  der  dif- 
fusen, feinkörnigen  Rinde  der  Centralorgane  gesondert,  wie  in  einer  Emul- 
sion gemengt,  neben  einander  bestehen. 

Was  den  zweiten  Punkt,  die  Fortpflanzung  der  Erregung  von  einer 
Faser  auf  die  andere,  und  die  Zusammenfassung  der  Fasern  zu  gemeinsamer 
Action  betrifft,  so  führt  er  uns  auf  die  Morphologie  der  Centralorgane  zurück. 
Die  Richtung,  in  welcher  die  Fortpflanzung  erfolgt,  deutet,  wie  bereits  er- 
wähnt, auf  die  Anordnung  der  Nervenfasern,  und  die  Möglichkeit  der  Fort- 
pflanzung überhaupt  und  der  Fort|3flanzung  in   gewissen  Bahnen  setzt  ana- 


16  Nervenlehre. 

tomisclie  Einviclitungen  voraus,  die  man  greifbar  zw  finden  hoffen  durfte. 
Anfangs  meinte  man,  den  Gegensatz,  der  bezüglich  der  Mittheilbarkeit  der 
Nervenerregung  zwischen  dem  peripherischen  und  centralen  Theile  des  Nerven- 
systems besteht ,  schon  damit  erklären  zu  können ,  dass  die  Nervenfasern 
beim  Eintritt  in  die  Centralorgane  die  äussere  Hülle  oder  die  Markscheide 
ablegten,  welche  in  den  peripherischen  Nerven  Ursache  der  Isolirung  sein 
sollte.  Man  hatte  übersehen,  dass  das  Räthsel,  dessen  Lösung  erstrebt 
wurde,  nicht  in  der  isolirten  Wirkung  der  Fasern  lag,  die  sich  ja  von  selbst 
versteht,  sondern  darin,  dass  eine  ungereizte  Faser  an  den  Zuständen  der 
gereizten  sich  betheiligt.  Als  später  die  Irrlehre  von  den  peripherischen 
und  centralen  Endschlingen  der  Nervenfasern  herrschend  wurde,  tauchte  die 
Vorstellung  auf,  dass  durch  die  Schlinge  hindurch  die  Erregung  von  dem 
einen  Schenkel  auf  den  anderen  übergehen  möge;  sie  wurde  noch  vor  dem 
Ende  der  Endschlingen  durch  die  Betrachtung  widerlegt,  dass  ein  Quer- 
schnitt durch  das  Rückenmark,  der  die  centralen  Endschlingen  von  dem 
peripherischen  Theile  der  Nerven  trennen  müsste,  die  Reflexbewegungen  in 
den  unterhalb  des  Schnittes  gelegenen  Körpertheilen  nicht  aufhebt.  Auch 
Hess  sich  gegen  diesen  und  gegen  jeden  Versuch,  dem  Uebergang  der  Erre- 
gung von  einem  Nerven  auf  den  anderen  bestimmte  Bahnen  im  Centrain er- 
vensystem  anzuweisen,  geltend  machen:  1.  ein  Experiment  Volkmann's  i), 
welches  zeigte,  dass  Reizung  der  sensiblen  Nerven  von  der  einen  Körper- 
hälfte sich  den  motorischen  Nerven  der  anderen  mittheilen  kann,  so  lange 
beide  Rückenmarkshälften  noch  irgendwo  durch  eine  Brücke  grauer  Sub- 
stanz zusammenhängen;  2.  die  Erfahrung,  dass  je  nach  dem  Maasse  der 
Erregbarkeit  und  der  Stärke  des  Reizes  die  sympathische  Erregung  sich 
über  kleinere  oder  grössere  Strecken  ausbreitet,  und  dass  sie  von  jedem 
Nerven  aus  jede  mögliche  Richtung  einschlagen,  auf  gleichartige,  ungleich- 
artige oder  symmetrische  Nerven  übergehen  kann  -).  Dies  musste  die  Vor- 
stellung von  einer  diffusen  Beschaffenheit  der  die  Leitung  vermittelnden 
Substanz  erwecken. 

Unterdessen  hatten  sich  neben  den  Ansichten  über  die  Endigungsweise 
der  Nerven  auch  die  Ansichten  über  ihr  Verhältniss  zu  den  Zellen  der 
grauen  Substanz  geändert,  ja  in  ihr  Gegentheil  verkehrt.  Nach  Valentin's 
Vorgang  ^)  hatte  man  nur  allseitig  abgeschlossene  Nervenzellen  und  Nerven- 
fasern, welche  die  Gruppen  derselben  durchsetzen  oder  umspinnen  sollten, 
statuirt;  im  Jahre  1847  entdeckten  R.Wagner,  Bidder  und  Robin  gleich- 
zeitig die  Fortsätze  an  den  Zellen  der  Spinalganglien  der  Fische,  die  in 
dunkelrandige  Nervenfasern  übergehen ,  und  bald  mehrten  sich  die  Beob- 
achtungen über  Nervenzellenfortsätze  dergestalt,  dass  die  Existenz  fortsatz- 
loser (apolarer)  Zellen  in  Zweifel  gezogen  werden  konnte.  Durch  vielseitige, 
zahlreiche,  mittelst  Theilung  sich  noch  vermehrende  Fortsätze  zeichnen  sich 
insbesondere  die  Nervenzellen  der  Centralorgane  aus,  und  unter  der  Vor- 
aussetzung, dass  diese  Fortsätze  zur  gegenseitigen  Verbindung  der  Zellen 
dienten  oder  in  Nervenfasern  übergingen,  wäre  es  verständlich,  wie  die  Wir- 


1)  Müller's  Arch.  1838,  S.  19.  2)  Vergl.  meine  rationelle  Pathologie  I,  203.  ^)  Ueber 
den  Verlauf  und  die  letzten  Enden  der  Nerven.  Acta  Acad.  Caes.  Leop.  Carol.  Vol.  XllI, 
P.   ].   1836. 


Nervenlelire.  17 

kung  jeder  Reizung  sich  von  dem  gemeinsamen  Zellenprotoplasma  aus  nach 
allen  Seiten  erstrecken,  wie  jede  Zelle  oder  Zellengruppe  eine  Anzahl  Fasern 
zu  gemeinsamer  Action  combiniren  könne.  Um  die  thatsächlichen  Grund- 
lagen dieser  Voraussetzung  zu  prüfen  ist  es  nöthig,  auf  die  Textur  der 
grauen  Substanz  Ucäher  einzugehen. 


„Graue  Substanz"  ist  ein  GattungsbegriflF;  er  schliesst,  wie  schon  die  Textur  der 
Betrachtung  mit  freiem  Auge  lehrt,  verschiedene  Arten  oder  Nuancen  ein,  stanz^'^  ^^^' 
die  sich  stellenweise,  wie  an  der  Rinde  des  Gross-  und  Kleinhirns,  als 
Schichten  präsentiren.  Die  Unterschiede  beruhen  theils  in  der  Farbe,  die 
ins  Gelbliche,  Röthliche,  Bräunliche  bis  zum  tiefen  Schwarzbraun  spielt,  theils 
in  tiefer  liegenden  Verhältnissen  der  Textur,  von  denen  es  abhängt,  ob  der 
Durchschnitt  mehr  ein  durchscheinendes,  gallertartiges  oder  ein  mattes 
Ansehen  darbietet.  Allen  Arten  der  grauen  Substanz  kommt  ein,  im  Gegen- 
satz zur  weissen,  bedeutender  Gefässreichthum  zu. 

Die  histologische  Untersuchung  der  grauen  Substanzen  lehrt  eine  Mannig- 
faltigkeit von  Elementarbestandtheilen  kennen,  aus  deren  verschiedenartigen 
Combinationen  die  Unterschiede  des  äusseren  Ansehens  entspringen.  Diese 
Bestandtheile  sind  von  dreierlei  Art:  1.  formlose,  diffuse,  feinkörnige  Sub- 
stanz; 2.  Fasern  und  3.  kugelige  Bildungen,  Kerne  und  Zellen,  wobei  indess 
zu  bemerken,  dass  Fasern  und  Zellen  zum  Theil  nur  Fragmente  eines  und 
desselben  Gewebselementes,  Fasern  aussendender  Zellen  sind. 

Die  diffuse,  feinkörnige  oder  molekulare  Siibstanz,  geronnenem  Chylus  i.  Oeiati- 
ähnlich  aus  einer  Masse  punktförmiger,  in  einer  homogenen,  festweichen  ^tTnz^'^''" 
Grundlage  eingebetteter  Moleküle  zusammengesetzt  i),  bildet  die  äussere 
Lage  der  Rinde  des  Gross-  und  Kleinhirns,  sowie  eine  dünne  Rindenschichte 
des  Rücken-  und  verlängerten  Marks,  umgiebt  in  geringer  Mächtigkeit  den 
centralen  Canal  des  letzteren  und  stellt  den  peripherischen  Theil  der  hinteren 
grauen  Säulen  desselben  dar.  An  keiner  dieser  Stellen  ist  sie  scharf  be- 
grenzt; sie  setzt  sich  vielmehr  als  Bindemittel  oder  Stroma  zwischen  die 
Fasern  und  Zellen  der  angrenzenden  weissen  oder  grauen  Schichten  fort, 
so  dass  man  sie  in  der  That  als  die  Grundlage  der  Centralorgane  des  Nerven- 
systems betrachten  kann,  die  nur  in  dem  Maasse,  wie  die  übrigen  Elemente 
sich  häufen ,  zurücktritt.  Sie  selbst  erscheint  auch  nirgends  rein ;  sie  ent- 
hält, nur  zerstreut,  dieselben  Körperchen  und  Fasern,  durch  deren  Anhäu- 
fung sie  in  der  benachbarten  Schichte  verdrängt  wird.  Namentlich  ist  sie 
überall  durchsäet  mit  einer  Art  kleiner,  kugeliger  Körper,  die  den  Lymph- 
körperchen  gleichen  und  alsbald  näher  beschrieben  werden  sollen.    Zii  diesen 


^)  Neuroglia    Virchovv     (Gesammelte    Abhandl.    Frkf.    1856,     S.    890.)      Netzförmige 
Bindesubstanz  M.   Schnitze.      Stützsubstanz  (Retieulum)   Kö!l.     In  Betreff  der  Controversen 
über  dieses  Gewebe  vergl.   Henle  und  IMerkel,  Ztschr.  für  rat.  Med.  XXXIV,  49. 
Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abtb.  2.  o 


18 


Nervenlehre. 


gesellen  sich  in  den  tieferen  Schichten  der  Grosshirnrinde  verzweigte  Nerven- 
zellen. Feine  Nervenfasern,  die  auf  Behandlung  mit  kaustischer  Kalilösung 
deutlich  hervortreten,  sind  in  der  Gross-  und  Kleinhirnrinde  in  netzförmiger 
Anordnung,  in  den  hinteren  Säulen  des  Rückenmarks  bündelweise,  in  der 
den  Centralcanal  umgebenden  Substanz  vereinzelt  enthalten.  In  die  äussere 
Schichte  der  Hirn-  und  in  die  Rückenmarksrinde  dringen  von  der  Gefäss- 
haut  her  bindegewebige  Fasern  ein.  Je  geringer  aber  die  Zahl  dieser  Bei- 
mischungen, um  so  entschiedener  gallertartig  nimmt  der  Durchschnitt  der 
feinkörnigen  Substanz  sich  aus,  und  so  passt  mehr  oder  weniger  auf  alle 
Partien*  derselben  der  Name  einer  Suhstantia  gelatinosa,  welchen  Rolando 
der  peripherischen  Schichte  der  grauen  Hintersäulen  ertheilte. 
2.  Fasern.  Die  Fasern  der  grauen  Substanz  sind  bindegewebige  und  nervöse.    Die 

weWge.*^^^^  bindegewebigen  gehen  von  den  Einstrahlungen  der  Gefässhaut  und  von  den 
Scheiden  der  stärkeren  Gefässe  aus  und  sind,  so  lange  sie  in  lockigen  Bün- 
deln zusammenliegen,  von  Nervenfasern  leicht  zu  unterscheiden.  Die  Mög- 
lichkeit der  Verwechselung  von  Bindegewebsfasern  und  feinen  Nervenfasern 
beginnt,  wenn,  wie  dies  im  Grunde  der  Medianfissuren  der  Fall  ist,  die 
Bündel  sich  in  auseinanderfahrende  Fibrillen  auflösen  und  zwischen  den 
Nervenfasern  zerstreuen.  Zur  Diagnose  dient  alsdann  verdünnte  Kalilösung, 
in  welcher  die  Bindegewebsfasern  schwinden,  die  Nervenfasern  dagegen,  auch 
die  feinsten,  sich  mit  dunkeln,  eigenthümlich  rauhen  Contouren  erhalten. 
Schwerer  ist  die  Unterscheidung  der  Bindegewebsfasern  von  nackten  Axen- 
cylindern ,  da  diese  in  Kalilösung ,  wie  in  verdünnter  Essigsäure ,  ebenfalls 
unsichtbar  werden.  Zwar  ist  die  Art  des  Verschwindens  eine  andere,  indem 
die  Bindegewebsfaser  durch  die  genannten  Reagentien  rasch  zu  einem  un- 
förmlichen, gallertartigen  Klümpchen  zusammenschnurrt,  der  Axencylinder 
dagegen  an  Ort  und  Stelle  erst  etwas  anschwillt  und  dann  erbleicht.  In- 
dessen ist  man  selten  in  der  Lage,  das  Yerhalten  der  einzelnen  Fasern  im 
Momente  der  Einwirkung  beobachten  zu  können,  und  so  muss  das  allge- 
meine Resultat  genügen,  dass  unter  den  feinen  Fasern  der  grauen  Substanz 
an  manchen  Stellen,  z.B.  in  der  grauen  Commissur  des  Rückenmarks,  Binde- 
gewebsfasern mit  unterlaufen. 

Einen  überwiegenden  Bestandtheil  bilden  Bindegewebsfasern  in  der 
äussersten  Lage  der  grauen  Hirn-  und  Rückenmarksrinde;  sie  stehen,  wie 
bereits  erwähnt,  mit  der  Gefässhaut  in  Berührung,  gehören  aber  einer  an- 
deren Varietät  des  Bindegewebes  an,  als  die  Schichten  der  Gefässhaut,  der 
verfilzten  nämlich,  deren  steife  Fibrillen,  in  den  mannigfaltigsten  Richtiingen 
durch  einander  gewebt,  von  kleinen  multipolaren  Zellen  ausgehen  ^). 

Die  in  der  grauen  Substanz  enthaltenen  Nervenfasern  sind  sämmtlich 
markhaltig  2),  aber  von  sehr  verschiedenem  Kaliber.  Die  meisten  sind  fein, 
doch  kommen  an  gewissen  Stellen,  namentlich  in  den  grauen  Säulen  des 
Rückenmarks,  Fasern  vor,  die  den  stärksten  Fasern  der  peripherischen 
Nerven  nur  wenig  nachstehen.    Feine  wie  starke  Fasern  liegen  parallel  oder 


b.    Nervöse. 


^)  Zar  Erläuterung  der  hier  kurz  angedeuteten  Textur  des  Bindegewebes  verweise  ich 
auf  meine  Jahresberichte   1867,  S.   37   und   1868,  S.   39. 

^)  Weder  von  den  nackten  Axencylindern ,  noch  von  den  grauen  oder  gelatinösen,  dem 
sympathischen  System  eigenthümlichen  Fasern  scheint  mir  hinreichend  bewiesen,  dass  sie  in 
dem  Centralorgan  vorkommen. 


Nervenlelire.  19 

gekreuzt,  netzförmig  oder  xinordentlicli  durch  einander  gewirrt  i)  oder  zu 
Bündeln  vereinigt;  die  Menge  derselben  im  Verhältniss  zu  anderen  Elementen, 
zu  feinkörniger  Substanz,  Körnern  und  Zellen,  wechselt  je  nacb  den  Regionen 
der  Centralorgane;  es  giebt  StellcJi,  wie  die  graue  Commissur  und  die  soge- 
nannte spongiöse  Substanz  der  Hintersäulen,  welche  fast  ganz  aus  parallelen, 
transversalen  oder  longitudinälen  Nervenfaserbündeln  bestehen  und  deren 
Querschnitt  sich  vor  dem  Querschnitt  eines  weissen  Stranges  nur  durch  die 
grössere  Feinheit  der  Fasern  und  die  verhältnissmässig  grössere  Breite  der 
Interstitien  der  Bündel  auszeichnet.  Fragt  man  nach  der  Ursache  des 
grauen  Farbentons  solcher  Stellen,  so  ist  die  Antwort  nicht  ganz  leicht.  Er 
kann  nicht  in  der  Feinheit  der  Fasern  begründet  sein,  denn  der  N.  opticus 
mit  seinen  durchgängig  feinen  Fasern  ist  nicht  minder  glänzend  weiss,  als 
jeder  andere  Cerebrospinalnerv.  Einigen  Einfluss  auf  die  Farbe  mag  die 
Quantität  und  der  Charakter  der  Zwischensubstanz  haben,  welche  die  Nerven- 
bündel trennt.  Es  ist  aber  auch  möglich,  dass,  trotz  aller  Aehnlichkeit  in 
den  Reactionen,  das  Mark  der  Nervenfasern  in  der  grauen  Substanz  eine 
etwas  andere  Mischung  und  andere  lichtbrechende  Eigenschaften  besitzt, 
als  in  der  weissen.  Dafür  spricht  folgender  Versuch:  wenn  man  Rücken- 
marksdurchschnitte mittelst  Nelkenöl  durchsichtig  gemacht  hat  und  dann 
Wasser  zusetzt,  so  erhalten  in  der  weissen  Substanz  die  Längs-  und  Quer- 
schnitte der  Nervenfasern  ihre  dunkelen  Contonren  wieder,  in  der  grauen 
Substanz  bleiben  sie  unverändert. 

Die  kugeligen  Elemente  der  grauen  Substanz  zerfallen  in  zwei,  schon  3.  Kugelige 
durch  ihre  Dimensionen  unterscheidbare  Arten.  Ich  fasse  die  einen  unter  a.  "^Körner, 
dem  indifferenten  Namen  Körner  ziisammeji;  die  anderen  werden  allgemein 
als  Zellen  (Nerven-  oder  Ganglienzellen,  Nervenkörper)  bezeichnet.  Eine 
scharfe  Trennung  dieser  Arten  ist  schon  darum  nicht  zu  erwarten,  weil  die 
eine  die  niederen  Entwickelungsstufen  der  anderen  enthält.  Als  Mittelglied 
zwischen  beiden  kommen  Körper  vor,  Avelche  den  am  meisten  entwickelten 
Körnern  in  der  Form  gleichen ,  in  den  Dimensionen  aber  sie  übertreffen, 
Zellenkerne  von  einer  Grösse,  wie  sie  unter  den  Elementartheilen  des  mensch- 
lichen Körpers  nur  in  den  Nervenzellen  gefunden  werden. 

Die  Körner  haben  zum  Theil  die  Bedeutung  von  Kernen  und  bleiben 
bei  jeder  Behandlung  einfach,  zum  Theil  zeigen  sie  im  frischen  Zustande 
oder  nach  Einwirkung  verdünnter  Essigsäure  einen  schmalen  blassen  Saum, 
der  als  Zelle  den  dunkleren  Kern  einhüllt.  Zwischen  einer  Masse  von  ziem- 
lich genau  kiigelrunden  Formen  findet  man  einzelne  elliptische,  eckige,  auch 
abgej)lattete.  Der  Durchmesser  der  kugeligen  beträgt  0,006  bis  0,007  Mm. 
Von  den  einfachen  Körperchen  lassen  sich  zwei  Arten  unterscheiden :  die  der 
einen  Art  haben  einen  etwas  rauhen  Contour  und  eine  granulirte  Oberfläche, 
die  der  anderen  zeichnen  sich  durch  glatten  Contour,   helle    Oberfläche  und 


^)  Es  ist  hierbei  im  einzelnen  Fülle  schwer  zu  ermitteln,  ob  die  Fasern  mit  Erhaltung 
ihrer  Selbständi=;keit  über  einander  wegziehen  oder  sich  verästeln  und  anastomcsiren  und 
wirklich  haben  Schaffner  (Ztschr.  für.  rat.  Med.  IX,  247),  v.  Hessling  (Froriep's  No- 
tizen 1849,  Nro.  186.  Jenaische  Ann.  1850,  S.  283),  Harless  (ebendas.  S.  284)  solche 
Verästelungen  der  Hirnfasern  beschrieben.  Die  neueren  Beobachter  sind  einig  in  dem  Wider- 
spruch gegen  dieselben. 

2* 


20  Nervenlelire. 

ein  centrales  Pünktchen  aus;  es  sind,  anit  einem  Worte,  Kerne  mit  einfachen 
Kernkörperchen.  Beide  Arten  können  als  Kerne  der  eben  erwähnten  Zellen 
auftreten. 

In  allen  Theilen  des  Nervensystems  kommen  Körner  vor.  In  den  peri- 
pherischen Nerven  liegen  sie  in  den  Zwischenräumen  der  Fasern,  am  zahl- 
reichsten im  N.  opticus.  In  den  Ganglien  umgeben  sie  in  meist  einfacher 
Schichte  die  Nervenzellen  und  bilden  sich  stellenweise  zu  einem  zusammen- 
hängenden Epithelium  aus.  In  der  weissen  Substanz  der  Centralorgane 
finden  sie  sich  einzeln  oder  reihenweise  zwischen  den  Fasern  und  werden 
sichtbar,  wenn  man  die  letzteren  mit  Terpentin  oder  einem  ähnlich  wirken- 
den Eeagens  durchsichtig  macht.  In  der  grauen  Substanz  trifft  man  sie 
ebenfalls  vereinzelt  und  regellos  zerstreut,  oder  sie  stellen,  wie  in  der  Rinde 
des  Kleinhirns,  massenhaft  gehäuft  eine  besondere  Schichte,  die  sogenannte 
Körnerschichte,  dar. 

Man  hat  diese  Elemente  bald  dem  Nerven-,  bald  dem  Bindegewebe 
zugetheilt.  Wahrscheinlich  sind  sie  potentia  beides,  d.  h.  sie  können  sich 
zu  Bestandtheilen  des  einen  und  anderen  Gewebes  und,  wie  eben  erwähnt, 
auch  zu  Epithelzellen  entwickeln.  Im  unentwickelten,  indifferenten  Zustande 
aber  scheinen  sie  identisch  zu  sein  mit  den  Körperchen  der  Lymphe, 
den  conglobirten  Drüsen-  und  den  farblosen  Blutkörperchen  (amöboiden 
Körperchen),  auf  deren  weite  Verbreitung  in  den  verschiedenartigen  Gewe- 
ben, in  welche  sie  durch  Auswanderung  aus  den  Blutgefässen  gelangen,  alle 
neueren  Untersuchungen  hinweisen.  Walther  ^)  wollte  an  aufgethauten 
Durchschnitten  des  gefrorenen  Froschgehirns  amöboide  Bewegungen  der 
Körner  wahrgenommen  haben.  Merkel  und  ich  vermochten  nicht,  diese 
Beobachtung  zu  bestätigen;  auch  misslangen  bei  Fröschen  unsere  Versuche, 
mit  Zinnober  imprägnirte  Lymphkörperchen  im  Parenchym  des  Gehirns  wie- 
derzufinden. Bei  einem  Huhn  aber,  dem  wir  durch  eine  Lücke  des  Schädels 
in  Wasser  zerrührten  Zinnober  unter  die  dura  mater  gebracht  hatten,  fanden 
wir  am  achten  Tage  nach  der  Operation  die  Rinde  des  Grosshirns  bis  zu 
einer  Tiefe  von  0,02  Mm.  mit  zerstreuten,  zinnoberhaltigen  Körperchen 
durchsäet. 

Die  Forsclier,  welche  den  Körnern  die  Bedeutung  nervöser  Elemente  zuer- 
kennen, beschreiben  Ausläufer  oder  Fortsätze  derselben,  durch  deren  Vermitteluug 
sie  mit  Nervenfasei-u  oder  mit  entschiedenen  Nervenzellen  zusammenhängen  sollen. 
So  findet  Gerlach  (Mikroskop.  Studien.  Erlangen  1858,  S.  5)  an  den  meisten 
einen  oder  zwei,  selten  drei  fadenförmige  Anhänge,  die  mit  Fortsätzen  der  eigent- 
lichen Nervenzellen  und  mit  markhaltigen  Nerveuröhren  communiciren ,  und  er 
hält  eine  directe  Verbindung  dunkelrandiger  Nervenröhren  mit  Körnern  für  das 
regelmässige  Verhältniss,  Avelches  nur  deshalb  selten  zur  Anschauung  komme,  weil, 
die  Ohromsäure  und  ihre  Salze  den  Axencylinder  entblössen.  Seiner  Meinung  nach 
müsste  an  jedem  Korn  eine  zugehende  und  eine  in  entgegengesetzter  Richtung  ab- 
gehende Faser  unterschieden  werden.  Damit  stimmen  auch  Hess  (De  cerebelli 
gyrorum  textura,  Dorp.  1868)'  und  F.  E.  Schulze  (lieber  den  feineren  Bau  der 
Rinde  des  kleinen  Gehirns.  Rostock  1863)  überein;  M.  Schultze  aber  ist  geneigt, 
sie  für  unipolare  Nervenzellen  und  für  die  eigentlichen  Ursprungsstätten  der  Pri- 
mitivfibrillen  (s.  unten)  zu  halten,  die  nach  seiner  Meinung  die  grösseren,  multi- 
polai-en  Nervenzellen  nur  durchsetzen.    Mey n er t  (Vierteljahrsschrift  für  Psychiatrie 


'j   Med.  fViitralblatt   1868,  Nro.   29. 


Nervenlehre.  '      '  21 

1867,  S.  205)  erklärt  die  Körner  ebenfalls  für  nervös,  behauptet  aber  von  ihren 
Fortsätzen,  dass  sie  durch  Verästelung  ein  in  die  Grundsubstanz  eingetragenes  Ge- 
flecht darstellen.  Neuerdings  versichert  Strachan  (on  the  histology  of  the  cere- 
bellum.  Edinburg  1869),  an  dem  Gehirn  eines  Affen  den  Zusammenhang  der  Ele- 
mente der  Köruerschichte  mit  Nervenfasern  constatirt  zu  haben. 

Nervenzellen  finden  sich,  in  allen  peripherischen  Ganglien,  in  den  grauen  b.  Zellen. 
Säulen  des  Rückenmarks,  in  der  Rinde  des  Gehirns  und  in  den  inneren  An- 
häufungen grauer  Substanz,  den  sogenannten  grauen  Kernen  dieses  Organs, 
vereinzelt  und  unbeständig  auch  in  der  weissen  Substanz  der  Centralorgane. 
Die  Grösse  der  Zellen  variirt  inne;rhalb  weiter  Grenzen:  die  einen  bilden 
schmale  Säume  um.  die  kleineren  Kerne,  sie  sind  an  sich  kaum  von  multi- 
polaren  Bindegewebszellen  zu  unterscheiden;  andere  haben  einen  Durch- 
messer, der  um  das  3-  bis  4fache  den  Durchmesser  der  grossen  Kerne,  die 
sie  einschliessen,  übertrifft.  Das  Protoplasma  der  Nervenzellen  ist  eine  im 
Allgemeinen  der  molekularen  Hirnrinde  ähnliche,  feinkörnige  Substanz,  je- 
doch einigermaassen  wechselnd  in  der  Stärke  des  Korns,  in  Glanz  und  Con- 
sistenz  und  in  der  Widerstandsfähigkeit  gegen  chemische  Agentien,  daher 
bald  resistenter  und  dunkler ,  bald  löslicher  und  heller ,  als  die  molekulare 
Masse,  in  welcbe  die  Zellen  eingebettet  sind.  In  vielen  Regionen  enthält 
jede  derselben  mehr  oder  minder  beständig  ein  Häufchen  körnigen  Pigments, 
dessen  Farbe  die  erwähnten  Farbennüancen  der  grauen  Substanz  bedingt. 
Die  Grösse  des  Pigmentflecks  und  die  Intensität  der  Farbe  scheint  im  Alter 
zuzunehmen. 

Die  Ansicht,  die  ich  über  das  Protoplasma  der  Nervenzellen  hier  ausspreche, 
wird  von  zwei  entgegengesetzten  Seiten  angefochten.  Auf  der  einen  Seite  steht 
Bidder  (Zur  Lehre  vom  Verhältniss  der  Gangiienkörper  zu  den  Nervenfasern 
Lpz.  1847,  S.  23),  welchem  neuerlichst  Jolly  (Ztschr.  für  wissenschaftl.  Zool.  XVII, 
443),  Courvoisier  (Archiv  für  mikroskop.  Anatomie  IV,  133)  und  Sander  (Archiv 
für  Anat.  1866,  S.  390)  sich  anschhessen ,  mit  der  Behauptung,  dass  die  fzüsche 
Ganglienzelle  homogen  und  glashell ,  die  körnige  Beschaffenheit  eine  Leichen- 
erscheinung sei.  Von  anderen  Seiten  werden  neben  den  Molekülen  Fasern  beschrieben, 
die  in  verschiedenen  Richtungen  die  Zelle ,  selbst  den  Kern  durchsetzen.  Die  Er- 
örterung derselben  verspare  ich  Avegen  der  Beziehungen,  in  welche  man  sie  zu  den 
Fortsätzen  der  Zelle  und  zu  den  von  der  ZeUe  entspringenden  Nervenfasern  ge- 
bracht hat,  auf  eine  spätere  Stelle.  C.  H.  Hoffmann  (Nederlan^sch  Archief  voor 
Genees-en  Natuurk.  IV,  380)  fand  die  Spinalgangiienzellen  im  frischen  Zu- 
stande homogen,  die  Nervenzellen  des  Rückenmarks  dagegen  körnig-streiflg. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Formen  der  Nervenzellen  wird  hauptsächlich 
durch  die  Anordnung  der  Fortsätze  bedingt.  Sie  sind  flaschen-  oder  zwiebei- 
förmig, wenn  Fortsätze  nur  nach  einer  Seite  abgehen,  spindelförmig,  wenn 
.sie  nach  zwei  entgegengesetzten  Richtungen  Fortsätze  aussenden,  dreiseitig 
oder  gewürznelkenförmig,  wie  in  der  Rinde  des  Klein-  und  Grosshirns,  wenn 
von  dem  einen  Pol  ein  Fortsatz,  von  dem  anderen  mehrere  entspringen, 
endlich  kugelig,  doch  in  der  Regel  etwas  abgeplattet,  oder  sternförmig, 
wenn  die  Fortsätze  nach  verschiedenen  Seiten  ausstrahlen. 

Auf  das  weitere  Verhalten  dieser  Fortsätze  komme  ich  nun  zurück,  um 
darzulegen,  wie  weit  die  anatomische  Forscbung  dem  physiologischen  Postulat 
entspricht,  d.  h.  wie  weit  ihr  bis  jetzt  der  Nachweis  der  Bahnen  gelungen 
ist,  auf  welchen   die    Communication   der  Nerven   stattfindet.     Die   fortsatz- 


22  '  Nervenlehre. 

losen  Zellen ,  wenn  es  deren  giebt  i),  kommen ,  wie  sich  von  selbst  verstellt, 
hierbei  nicht  in  Betracht;  ebenso  wenig  die  unipolaren,  die  nur  einer  ein- 
zigen Faser  den  Ursprung  geben  -) ;  aber  auch  die  bipolaren  Zellen  der 
Spinalganglien ,  die  ihre  Fortsätze  nach  entgegengesetzten  Richtungen  aus- 
senden, haben  mit  der  Uebertragung  der  Erregung  nichts  zu  thun;  die  Be- 
deutung der  Nervenzelle  liegt  in  diesem  Falle,  wie  es  bereits  Bidder  aus- 
sprach, nicht  darin,  zwei  Nervenfasern  zu  verbinden,  sondern  die  Continuität 
einer  Faser  zu  unterbrechen ;  über  ihre  Function  belehrt  uns  die  Beobachtung 
Wall  er 's  ^),  dass  die  sensiblen  Fasern  nicht  degeneriren,  wenn  die  hinteren 
"Wurzeln  oberhalb  der  Ganglien  durchschnitten  werden  *). 

Eine  Art  von  Zellen,  die  nach  der  Anordnung  ihrer  Fortsätze  zur  Mit- 
theilung  sympathischer   Erregung    geeignet    scheinen  könnte ,    steht   in  der 


^)  Diese  Frage  wird  noch  immer  verschieden,  jedoch  vorwiegend  negativ  beantwortet. 
Gegen  die  apolaren  Zellen  stimmen,  wenigstens  für  den  Frosch,  Kollmann  und  Arnstein 
(Ztschr.  für  Biologie  VI,  271)  und  Sander  (a.  a.  0.  S.  398);  Polaillon  (Etudes  sur 
les  ganglions  nerveux.  Paris  1866,  p.  88)  verwirft  sie  nicht  absolut  und  Kölliker 
(Gewebelehre,  5.  Aufl.,  S.  255)  beharrt  zwar  dabei,  dass  es  im  Gebiete  des  Sympathicus 
Zellen  ohne  Fortsätze  gebe,  hält  es  aber  für  wahrscheinlich,  dass  sie  nur  niedere  Ent- 
wickelungsstufen  der  mit  Fortsätzen  versehenen  Zellen  seien.  Ihm  tritt  Courvoisier, 
nachdem  er  früher  (Archiv  für  mikroskop.  Anat.  II,  13)  die  apolaren  Zellen  ebenfalls  ver- 
worfen hatte,  in  seiner  neueren  Abhandlung  (ebendas.  IV,  138)  mit  der  Modification  bei, 
dass  er  die  apolaren  Zellen  (Beizellen)  lieber  für  abgestorbene  halten  möchte. 

^)  Nach  der  Entdeckung  der  bipolaren  Zellen  der  Spinalganglien  haben  sich  gegen  die 
unipolaren  dieselben  Zweifel  erhoben ,  wie  gegen  die  apolaren ,  dass  sie  nämlich  aus  Ver- 
stümmelung bipolarer  Zellen  hervorgegangen  seien,  Zweifel,  welche  nicht  leicht  zu  wider- 
legen sind,  weil  dafür,  dass  die  Präparation  die  Zellen  unversehrt  gelassen  habe,  kaum 
Sicherheit  zu  gewähren  ist.  Man  suchte  deshalb  nach  indirecten  Beweisen  für  die  Existenz 
unipolarer  Zellen,  und  glaubte  dieselben  darin  zu  finden ,  dass  an  vielen  Ganglien  die  aus- 
tretenden Nerven  mehr  Fasern  enthalten,  als  die  eintretenden  (Kölliker,  die  Selbständigkeit  und 
Abhängigkeit  des  sympathischen  Nervensystems.  Zürich  1844,  S.  21.  Volkmann  in  R.  Wa  g - 
ner's  Handwörterbuch  II,  497),  ferner  in  einer  Form  mikroskopischer  Ganglien,  die  man 
gestielte  nennen  könnte,  deren  austretende  Fasern  nämlich,  welche  den  Stiel  bilden,  sich 
unter  spitzem  Winkel  an  die  Fasern  eines  Nervenstammes  anlegen,  mit  dem  sie  weiter  ver- 
laufen (Wharton  Jones  in  Lond.  med.  Gaz.  1846,  Novbr.,  p.  837.  Engel,  Ztschr.  Wiener 
Aerzte  1847,  August,  S.  307.  Manz,  die  Nerven  und  Ganglien  des  Säugethierdarms.  Freib. 
1859).  Indessen  widerlegen  diese  Thatsachen  nur  die  Behauptung,  dass  die  Zellenform,  die 
nach  entgegengesetzten  Seiten  in  Fasern  übergeht,  die  einzige  in  Ganglien  vorkommende 
sei;  sie  beweisen  aber  nicht,  dass  die  Zellen  der  betreffenden  Ganglien  nur  je  eine  Faser 
abgeben,  und  erklären  sich  auch  unter  der  Annahme,  dass  mehrere  von  einer  Zelle  aus- 
gehende Fortsätze  nach  derselben  Seite  gerichtet  seien.  So  sehen  wir  uns  doch  wieder  auf 
die  directe  Beobachtung  angewiesen  und  haben  zu  constatiren,  dass,  nachdem  Kölliker 
(a.  a.  0.  S.  17-  22.  Mikroskop.  Anat.  I,  507),  Beck  (Ueber  die  Verbindung  des  Sehnerven 
mit  dem  Augen-  und  Nasenknoten.  Heidelb.  1847,  S.  41),  Ludwig  (Müller's  Archiv 
1848,  S.  143),  Axmann  (Beitr.  zur  Anat.  des  Gangliennervensystems.  Berlin  1853,  S.  30) 
and  Küttner  (De  origine  nervi  sympath.  ranarum.  Dorp.  1854)  im  Allgemeinen  den  im 
strengen  Wortsinn  unipolaren  Zellen  Anerkennung  verschafi"t  haben ,  die  neuesten  Unter- 
suchungen diese  Zellenform  als  die  den  Spinalganglien  der  höheren  Wirbelthiere  eigenthüm- 
liche  darstellen  (vergleiche  Vulpian,  Journ.  de  la  physiol.  1863,  p.  5.  Schwalbe,  Archiv 
für  mikroskop.  Anat.  IV,  45.  Courvoisier,  ebendas.  S.  124).  Die  bipolaren  Zellen 
scheinen  auf  die  Spinalganglien  der  Fische  beschränkt  zu  sein. 

^)  Nouvelle  methode  anatomique  pour  l'investigation  du  Systeme  nerveux.  Bonn  1852, 
p.  23.  vergl.  Schiff,  Archiv  des  Vereins  zur  Förderung  der  wissensch.  Heilkunde  I,   609. 

*)  Von  der  Wurzel  selbst  degenerirt  nach  der  Durchschneidung  der  centrale  ,  nicht  der 
peripherische  Stumpf,  woraus  Waller  den  Schluss  zieht,  dass  die  Spinalganglien  nach  beiden 
Seiten  als  Ernährungscentra  wirken  (Gaz.  med.   1856,  Nro.   14). 


Nervenlehre.  23 

Mitte  zwischen  uni-  und  bipolaren  und  ist  in  der  That  unter  beiden  Namen 
beschrieben  worden.  Bidder  i)  hatte  in  den  Spinalganglien  neben  den  ge- 
wöhnlichen grossen  bipolaren  Zellen  kleinere  angetroffen,  von  welchen  zwei 
Nervenfasern  dicht  neben  einander  entspringen  und  peripherisch  mit  ein- 
ander verlaufen.  Er  hatte  diese  Zellen  im  Gegensatz  der  cerebrospinalen 
als  sympathische  bezeichnet.  In  jüngster  Zeit  lehrten  Beale  2)  und  J.  Ar- 
nold '^)  fast  zugleich  in  den  sympathischen  Ganglien  des  Frosches  Zellen  kennen, 
welche  von  einem  Pole  zwei  Fasern  aussenden,  eine  gerade,  entschieden  mark- 
haltige  und  eine  blassere  Faser,  welche  anfänglich  die  markhaltige  spiralig 
umkreist  *).  Die  sj^mpathischen  Ganglien  der  höheren  Thiere  enthalten  nach 
Courvoisier  Zellen  ähnhcher  Art  mit  der  allerdings  nicht  unerheblichen 
Verschiedenheit,  dass  von  jedem  der  beiden  einander  gegenüberliegenden 
Pole  je  eine  gerade  und  eine  spiralige  Faser  entspringt  ^).  Einen  kurzen 
Faserstumpf  oder  einen  längeren  Fortsatz  von  dem  Charakter  einer  blassen 
Faser,  die  den  geraden  Fortsatz  in  einer  oder  mehreren  Spiraltouren  umgab, 
will  J.  Arnold^)  auch  an  Nervenzellen  aus  dem  Ganglion  semilunare  wahr- 
genommen haben.  Statt  der  einen  Spiralfaser  kommen  beim  Frosch  zwei 
bis  drei  vor  (Arnold,  Kollmann  und  Arn  stein),  welche  zuweilen  später 
zusammenfliessen  (Courvoisier).  Die  spiraligen  Windungen  können  sehr 
zahlreich  sein  (bis  20),  aber  auch  auf  eine  einzige  sich  reduciren  oder  gänz- 
lich fehlen ,  so  dass  die  Spiralfasern  von  der  geraden  Faser  nur  durch  das 
Kaliber,  oder,  da  nach  Courvoisier  auch  dieser  Charakter  sich  verwischen 
kann,  durch  die  Art  des  Ursprungs  unterscheidbar  sind,  indem  die  gerade 
Faser  aus  dem  Inneren  der  Zelle,  die  spiralige  von  deren  Oberfläche  entsprin- 
gen soll,  aus  einem  Netze  feiner  Fasern,  welches  vom  Kernkörperchen  aus 
Kern  und  Zelle  durchziehe  und  die  letztere  umspinne.  Nach  kürzerem  oder 
längerem  Verlauf  in  gemeinschaftlicher  Hülle  trennen  sich  beiderlei  Fasern, 
um  jede  in  ihrer  eigenen  Scheide  entgegengesetzte  Richtungen  einzuschlagen. 
Arnold  sah  wiederholt  die  Spiralfaser  unter  nahezu  rechtem  Winkel  ab- 
biegen, in  das  benachbarte  Bindegewebe  eintreten,  sich  theilen  und  mit  den 
aus  der  Theilung  hervorgegangenen,  mit  Kernanschwellungen  versehenen 
Fäden  eine  kleine  Arterie  umspinnen. 

Die  Entdecker  der  Spiralfaser  halten  dieselbe ,  gleich  der  geraden, 
für  ein'e  Nervenfaser.  Den  Einwürfen  Krause's''^),  Sander's^),  Fräntzels^), 
Kölliker's  ^'^)  gegenüber,  welche  die  Spiralfaser  für  ein  durch  Runzeln  der 


^)  A.a.O.  S.  37. —  ^)  Microscop.  Journ.  1863  Oct.  New  observations  upon  the  structure 
and  functions  of  certain  nervous  centres.  Lond.  1864.  —  ^)  Archiv  für  pathol.  Anat.  und  Physiol. 
XXXr,  1.  — *)  Unipolar  heissen  diese  Zellen  bei  Arnold  und  Guy  e  (Med.  Centralbl.  1866,  Nro. 
56),  bipolar  dagegen  bei  Beale,  Kollmann  und  Arnstein,  und  Bidder.  Cour  voi  sier  (Archiv 
für  mikroskop.  Anat.  II,  13)  räth,  diesem  üebelstande  dadurch  zu  begegnen,  dass  man  den 
Pol,  von  welchem  Zwillingsfasern,  d.  h.  je  eine  gerade  Faser  in  Begleitung  einer  spiraligen 
ausgehen,  einen  Holopol  (Zwillingspol  schlechthin),  die  Ursprungsstätte  einer  einfachen  Faser 
einen  Hemipol  nenne.     Für  die  Zelle  schlägt  er  den  Namen  Geminipol  vor  (a.  a.  0.  IV,  127). 

^)  So  weit  stimmt  Courvoisier  mit  Küttner  überein,  der  ebenfalls  den  Fröschen 
unipolare,  den  Säugethieren  bipolare  Ganglienzellen  zuschreibt.  Doch  kommt  nach  Küttner 
aus  jedem  Pol  nur  eine  Faser,  die  sich  weiterhin  gabelig  theilt. 

6)  Archiv  für  path.  Anat.  und  Phys.  XLI,  178.  —  '')  Ztschr.  für  rat.  Med.  3.  Reihe 
XXIIl,  60.  —  8)  A.  a.  0.  —  9)  Archiv  für  pathol.  Anat.  und  Physiol.  XXXVIII,  549.  — 
1^)   Gewebelehre  S.   254.   331. 


24  Nervenlehre. 

Scheide  erzeugtes  Trugbild  oder  für  elastisch  öder  bindegewebig  erklären, 
wird  geltend  gemacht,  dass  sie  sich  nach  Zerstörung  der  Scheide  erhalte, 
mit  Goldchlorid  die  für  Nervenfasern  charakteristische  Färbung  annehme 
und,  was  das  Entscheidende  ist,  sich  nach  einer  gewissen  Strecke  ihres  Ver- 
laufs mit  Mark  umgebe  (Arnold,  Courvoisier,  Friedländer  ').  Der 
neueste  Autor  über  diesen  Gegenstand,  Schwalbe,  ist  geneigt,  zwei  Arten 
von  Spiralfasern  anzuerkennen :  1 .  nervöse,  die  unmittelbar  aus  der  Substanz 
der  Zelle  entspringen,  keine  oder  nur  einige  wenige  Touren  um  die  gerade 
Faser  machen  und  dieser  an  Stärke  ziemlich  gleichkommen,  und  2.  Fasern, 
die  sich  aus  einem  Netz  am  Grunde  der  Zellen  entwickeln  und  als  Verdickun- 
gen der  Scheide  aufzufassen  wären.  Was  die  Bedeutung  der  Fasern  betrifft, 
so  stimmen  Arnold,  Courvoisier,  Kollmann  und  Arnstein  darin  über- 
ein, die  gerade  Faser  als  (vom  Rückenmark  oder  Sj)inalganglion)  zutretende, 
die  spiralige  als  austretende,  sympathische  anzusehen,  und  Courvoisier 
gründet  diese  Annahme  auf  den  Erfolg  der  Durchschneidung  der  Rr.  commu- 
nicantes,  wonach  zuerst  die  geraden  Fasern,  dann  die  Zellen  und  zuletzt  die 
Spiralfasern  degeneriren.  Bidder  war  bereits,  als  er  unter  den  gewöhn- 
lichen bipolaren  Zellen  der  Spinalganglien  solche  fand ,  welche  zwei  nach 
einer  Seite  verlaufenden  Nervenfasern  den  Ursprung  geben,  auf  die  Ver- 
muthung  gekommen,  dass  die  eine  Faser  oder  der  eine  Schenkel  der  Schlinge, 
in  deren  Spitze  eine  Ganglienzelle  eingebettet  sei,  in  centripetaler,  der  andere 
Schenkel  in  centrifugaler  Richtung  leiten  möge.  Aber  er  verkennt  nicht, 
dass  unter  dieser  Voraussetzung  die  Fortpflanzung  der  Reizung  von  einer 
centripetalen  Faser  auf  eine  Mehrheit  von  centrifugalen  ein  ungelöstes 
Räthsel  bleiben  müsse.  Nach  der  Auslegung,  welche  die  genannten  jüngeren 
Forscher  den  Zellen  mit  von  einem  Pol  entspringenden  Zwillingsfasern  geben, 
würden  sie  überhaupt  nicht  der  Reflexbewegung  dienen;  sie  wären  nur,  wie 
die  bipolaren  Zellen  der  Spinalganglien  mit  gegenständigen  Fortsätzen,  Ein- 
schaltungen in  den  Verlauf  einer  Faser,  in  welcher  sie  den  Uebergang  aus 
dem  cerebrospinalen  in  das  sympathische  oder  Eingeweidesystem  bezeichnen 
würden. 

Die  physiologischen  Vorgänge  im  Nervensystem  verlangen  Verbindun- 
gen der  Nervenzellen  unter  einander  oder  einen  grösseren  Reichthum  an 
Fortsätzen  oder  beides.  Betrachten  wir  mit  Rücksicht  hierauf  die  Nerven- 
zellen zuerst  der  Ganglien,  dann  der  Centralorgane. 

Was  die  gegenseitigen  Verbindungen  der  Zellen  in  den  Ganglien  be- 
trifft, so  liegt  nur  eine  flüchtige  Bemerkung  Duchenne's^)  und  eine  vielfach 
angefochtene  Beobachtung  Courvoisier's  vor;  der  ersteren  zufolge  sollen 
die  Zellen  der  menschlichen  Cervicalganglien,  je  zwei  und  zwei,  durch  einen 
queren  Fortsatz  in  Verbindung  stehen;  nach  Courvoisier  sollen  die  proble- 
matischen ,  die  Zellen  durchziehenden  und  umspinnenden  Fasernetze ,  aus 
welchen  die  Spiralfasern  abgeleitet  werden,  einander  Fäden  zusenden.  Mul- 
tipolare Zellen  aus  Ganglien  haben  Vorjahren  Stannius  und  Schaffner, 
dannRemak^),  Klebs'^),  Duchenne,  neuerdings  Schwalbe,  Stieda^) 


')  V.  Bezold,  Unters,  aus  dem  physiolog.  Laboratorium  in  Würzburg.  Heft  2,  Lpz. 
1867,  S.  159.  —  2)  Comptes  rendus  1865.  16.  Janv.  —  3)  Deutsclie  Klinik  1854,  Nro. 
16.  —  *)  Medicin.  Centralbl.  1863,  Nro.  36.  —  ^)  Zeitschrift  für  wissenschaftl.  Zoologie 
XIX,    15. 


Nervenlehre.  25 

und  Bidder^)  beschrieben,  und  Kölliker  gesteht  zu,  dass  in  seltenen  Fällen  ' 
3  bis  4  blasse  Fortsätze  an  einer  Ganglienzelle  vorkommen,  die  aber  sämmt- 
lich  an   einer  Seite   der  Zelle   entspringen  und  nach  einer  Richtung  zu  ver- 
laufen scheinen. 

Dass  die  Nervenzellen  der  Centralorgane  nach  verschiedenen  Seiten 
'Fortsätze  abschicken,  deren  Zahl  sich  durch  Theilung  noch  beträchtlich  ver- 
mehrt, ist  eine  ausgemachte  und  leicht  zu  bestätigende  Thatsache;  selbst 
die  spindelförmigen  Zellen  der  grauen  Substanz,  die  sich  nach  zwei  entgegen- 
gesetzten Richtungen  in  Fasern  verlängern,  werden  durch  Verästelung  dieser 
Fasern  zu  multipolaren.  Erst  in  Betreff  des  weiteren  Verhaltens  der  Fort- 
sätze gehen  die  Meinungen  auseinander.  Anastomosen  der  Fortsätze,  zur 
Verbindung  der  Nervenzellen  untereinander,  wurden  in  zweierlei  Weisen  be- 
schrieben. Man  sprach  von  einem  Netz  feinster  Endigungen  der  verzweig- 
ten Fortsätze ,  welches  in  der  molekularen  Masse  der  grauen  Substanz  ein- 
gebettet sein,  ja  sich  in  dieselbe  auflösen  sollte  (R.  Wagner),  und  von 
einem  Zusammenhang  durch  einfache,  kürzere  und  längere  Brücken  oder 
Commissuren.  Netze  der  ersten  Art  werden  kaum  faetisch  zu  demonstriren 
sein,  aber  auch  die  Commissurenfrage  ist  in  der  langen  Reihe  von  Jahren, 
seitdem  zuerst  Valentin  2)  diese  Art  der  Verbindung  beschrieb,  noch  nicht 
zum  Abschlüsse  gediehen.  R  e  m  a  k  ^),  S  t  a  n  n i  u  s  *),  R.  W  a  g  n  e  r  ^),  C 1  a  r  k  e  ^), 
Schröder  v.  d.  Kolk^),  Metzler ^),  v.  Lenhossek^),  Bidder  und 
Kupffer^oj,  Jacubowitsch^^),  S tillin g^-),  v.  Bochmanni'^),  Dean^*), 
Walteri^),  de  Voogt^e),  Hendryi'),  Bealei«),  Leydigi"),  Luys^o) 
und  Roudan'o  wsky  21)  halten  die  Commissuren  der  centralen  Nervenzellen 
für  erwiesen,  wenn  auch  ihre  Angaben  bezüglich  der  Häufigkeit  der  Anasto- 
mosen, der  Dichtigkeit  des  Netzes,  welches  die  verbundenen  Zellen  bilden,  von 
einander  abweichen,  und  wenn  auch  die  einen  mit  grosser  Vorsicht  zu  Werke 
gehen  zu  müssen  meinen,  wo  die  anderen  in  jedem  Schnitt  Beweise  für  ihre 
Ansicht  zu  finden  behaupten.  Dass  der  Anblick  noch  so  feiner  Durch- 
schnitte wegen  der  mannigfaltigen  Kreuzung  und  An-  und  Uebereinander- 
lagerung  der  Fortsätze  keine  sichere  Gewähr  biete,  hat  schon  Wagner  an- 


1)  Archiv  für  Anat.  1869,  S.472.  —  2)  Repertorium  1838,  S.  76.  Müll.  Arch.  1839,  S. 
.139.  —  ''^)  Observat.  anat.  et  microscop.  de  System,  nervosi  structura.  Berol.  1838,  p.  10  — 
*)  Gott.  Nachr.  1849,  Nro.  8.  Arch.  für  physiolog.  Heilk.  1850,  S.  75.  —  ^)  Neurolog. 
Unters.  Gott.  1854,  S.  48.  163.  —  ^)  Philosoph.  Transact.  1851,  P.  II,  p.  614.  — 
^)  Anatomisch-physiol.  onderzoek  over  het  fijnere  zamenstel  van  het  ruggemeig.  Amst.  1854, 
p.  28.  —  ^)  De  medullae  spin.  avium  textura.  Dorp.  1855,  p.  32.  —  ^)  Neue  Unters,  über 
den  feineren  Bau  des  centralen  Nervensystems,  Wien  1855,  S.  9.  —  ^^)  Untersuchungen 
über  die  Textur  des  Rückenmarks  1857,  S.  63.  —  ^l)  Mittheilungen  über  die  feinere  Struc- 
tur  des  Gehirns  und  Rückenmarks,  Breslau  1857,  S.  22.  —  ^^)  Neue  Unters,  über  den  Bau 
des  Rückenmarks,  Cassel  1859,  S.  941.  —  ^^)  Beitrag  zur  Histologie  des  Rückenmarks, 
Dorp.  1860.  —  l'*)  Microscop.  anatomy  of  the  lumhar  enlargement  of  the  spinal  cord.  Cam- 
bridge 1861.  The  grey  substance  of  the  medulla  oblongata  and  trapezium.  Smithson. 
Institut.  1864,  p.  14.  25.  —  15)  Archiv  für  pathol.  Anat.  u.  Fhysiol.  XXII,  249.  — 
1^)  Beschouwingen  over  de  zamenstelling  van  het  ruggemerg.  Leyden  1862.  —  1'^)  Quart. 
Journ.  of  microscop.  science  1863,  Jan.  p.  41.  —  ^^)  New  observations  upon  the  structure 
and  functions  of  certain  nerv,  centres,  Lond.  1864,  p.  21.  —  i")  Vom  Bau  des  thierischen 
Körpers.  Tübingen  1864,  S.  90.  —  ^^)  Recherches  sur  le  Systeme  nerveux  cerebro-spinal. 
Paris   1865.  —  ^i)  Journ.   de  l'anat.   1864,  p.   225. 


26  Nervenlehre. 

erkannt  und  deshalb  das  HaiiptgewicM  auf  die  allerdings  seltenen  Fälle  ge- 
legt, wo  es  ihm  gelang,  die  verbundenen  Zellen  isolirt  zur  Anschauung  zu 
bringen.  Derartige  Präparate  wurden  noch  jüngst  vonBesser^),  Arndt-) 
und  Hoff  m  ann  ■'^),  aus  der  Grrosshirnrinde ,  von  Jolly*)  aus  dem  Rücken- 
mark beschrieben  und  abgebildet.  Indessen  hat  Kölliker  nie  aufgehört, 
die  einfachen  Commissuren  zu  bestreiten,  und  nachdem  auch  R  e  m  a  k  '^)  seine 
frühere  Ansicht  zurückgenommen,  äusserten  sich  in  gleichem  Sinne  M  a  u  t  h  - 
ner^),  Goll''),  Stieda^),  Marcusen^),  Grimma"),  Deiters  ^i)  und 
Courvoisier.  Mir  selbst  ist  unter  vielen  Bildern,  welche  für  gegenseitige 
Verschmelzung  der  Zellenfortsätze  sprechen  konnten ,  keines  vorgekommen, 
das  einer  scrupulösen  Prüfung  Stand  gehalten  hätte,  und  für  besonders  ver- 
dächtig halte  ich  den  Umstand,  dass,  wo  die  Zellen  mit  ihren  Fortsätzen  am 
regelmässigsten  geordnet  liegen,  wie  in  der  Rinde  des  Kleinhirns,  am  selten- 
sten der  Anschein  einer  Verbindung  der  Fortsätze  entsteht.  So  kommt 
vielleicht  Reissner^^)  der  Wahrheit  am  nächsten,  wenn  er  zwar  die  Com- 
missuren der  Nervenzellen  nicht  absolut  verwirft,  aber  die  Ueberzeugung 
ausspricht,  dass  sie  eine  Seltenheit  seien,  eine  Bildungshemmung  dürfte  man 
hinzufügen ,  wenn  feststände,  dass  Nervenzellen  sich  durch  Theilung  verviel- 
fältigen und  nach  der  Theilung  auseinanderrücken  ^^).  Damit  hätten  denn 
freilich  die  Zellencommissuren  ihren  physiologischen  Werth  eingebüsst. 

Kaum  weniger  heftig,  als  in  der  Angelegenheit  der  Commissuren,  war 
der  Streit  über  die  Frage,  ob  die  Fortsätze  der  Nervenzellen  des  Rücken- 
marks und  Gehirns  schliesslich  zu  Nervenfasern  würden  und  in  die  Wurzeln 
peripherischer  Nerven  gelangten.  Auch  hierin  verhielt  sich  Kölliker  am 
längsten  skeptisch,  während  R.  Wagner  und  seine  Schüler  wiederholt  von 
der  Umwandlung  blasser  Zellenausläufer  in  dunkelrandige ,  markhaltige 
Fasern,  in  grösserer  oder  geringerer  Entfernung  von  ihrem  Ursprung  aus 
der  Zelle  berichteten,  und  Stilling  auf  diese  Thatsache  seine  Darstellung 
der  feineren  Structur  des  Rückenmarks  begründete.  Ich  darf  mir  eine  Auf- 
zählung der  Stimmen  für  und  wider  erlassen,  da  die  Ursache  der  Meinungs- 
differenzen durch  eine  Entdeckung  aufgeklärt  ist,  welche  einigermaassen 
beide  Theile  rechtfertigt  und  eine  neue  Basis  für  die  Anatomie  der  Central- 
organe  geschaffen  hat. 

Schon  im  Jahre  1847  hatte  R.  Wagner  beobachtet  i*) ,  dass  aus  den 
Nervenzellen  der  Central organe  des  Zitterrochen  zweierlei  Fortsätze  ent- 
springen, neben  mehreren  verzweigten  ein  einziger  unverzweigter,  blasserer 
(selten  zwei),    der   mehr  einer  Nervenfaser   gleicht  und  in  eine  solche  über- 


^)  Archiv  für  pathol.  Auat.  und  Physiol.  XXXVI,  134,  Taf.  IV.  —  2)  Archiv  für 
mikroskop.  Anat.  III,  441 ;  Tat".  XXIII,  Fig.  5  d.  —  ^)  Nederl.  Tijdschr.  voor  Geneeskunde 
D.  IV,  Taf.  I,  Fig.  2.  —  *)  Ztschr.  für  wissensch.  Zool.  XVII,  443.  —  ^)  Deutsche  Klinik 
18.54,  Nro.  16.  —  ^)  Beiträge  zur  näheren  Kenntniss  der  morpholog.  Elemente  des  Nerven- 
systems, Wien  1860.  —  ^)  Denkschr.  der  medic.-chirurg.  Gesellsch.  des  Cantons  Zürich, 
1860,  S.  130.  —  ^)  Ueber  das  Rückenmark  und  einzelne  Theile  des  Gehirns  von  Esox  lucius, 
Dorp.  1860.  Müll.  Arch.  1864,  S.  407.  Ztschr.  für  wissensch.  Zool.  XVIII,  1.  —  ^)  Die 
Familie  der  Mormyren,  Petersb.  1864,  S.  51.  —  i")  Müll.  Arch.  1864,  S.  502.  —  ")  Unters. 
über  Gehirn  und  Rückenmark  des  Menschen  und  der  Säugethiere ,  Braunschweig  1864.  — 
12)  Der  Bau  des  centralen  Nervensystems  der  ungeschv^ränzten  Batrachier ,  Dorpat  1864, 
S.  13.  —  13)  Kölliker,  Gewebelehre,  S.  332.  —  1*)  Handwörterbuch,  Bd.  III.  Abthei- 
lung], S.   377;  vgl.  Gott.  Nachr.   1851,  Nro.   14. 


Nervenlelire.  27 

geht.  Remak')  hatte  dieselbe  Anordnung  an  den  Nervenzellen  der  grauen 
Vordersäulen  des  Rückenmarks  beim  Ochsen  wahrgenommen.  Durch  die  Unter- 
suchungen von  Deiters-)  erhält  sie  Geltxmg  für  alle  Zellen  der  Centralorgane. 
Die  verästelten  Fortsätze,  in  welche  das  körnige,  oft  sogar  das  pigmentirte  Pro- 
toplasma unmittelbar  übergeht,  Jiennt  Deiters  Protoplasmafortsätze; 
den  Namen  Axencylinder-  oder  Nerven fortsatz  giebt  er  dem  ua ver- 
zweigten Fortsatz,  der  aus  einer  starren,  hyalinen,  resistenteren  Substanz  be- 
steht, sich  in  geringer  Entfernung  vom  Ursprung  mit  einer  Scheide  von  Nerven- 
mark überzieht  und  von  den  Zellen  der  vorderen  grauen  Säulen  des  Rücken- 
marks in  die  vorderen  Nervenwurzeln  eintritt.  Aber  auch  mit  den  Proto- 
plasmafortsätzen steht  nach  Deiters  ein  System  von  Axencylindern  in 
Verbindung :  es  sind  feine ,  nur  in  Chromsäurelösungen  von  bestimmter 
Concentration  conservirbare  Fasern,  die  mit  den  Axencylindern  der  feinsten 
Nervenfäserchen  ein  etwas  unregelmässiges  Ansehen ,  leichte  Varicositäten 
und  die  chemischen  Reactionen  gemein  haben.  Sie  erscheinen  nicht  als  ein- 
fache Theilungen,  indem  sie  meistens  mit  dreieckiger  Basis  aufsitzen;  sie 
selbst  theilen  sich  in  der  Regel  nicht  weiter;  einige  Male  war  es  gelungen, 
sie  in  dunkelrandige  Fasern  zu  verfolgen  oder  mit  einer  Markscheide  sich 
iimgeben  zu  sehen. 

Die  Deiters'  sehe  Classification  der  Fortsätze  und  die  Schilderung 
ihrer  wesentlichen  Charaktere  fand  alsbald   von   allen   Seiten  Bestätigung  ^). 

Den  Uebergang  der  Axencylinderfoi-tsäze  aus  den  vorderen  Rückenmarks- 
säulen in  die  vorderen  Wurzeln  halte  auch  ich  mit  Deiters  und  G  e  r  1  a  c  h 
für  zweifellos,  sowie  ich  auch  in  einzelnen  Präparaten  einen  Zellenfortsatz  der 
hinteren  Säulen  den  durch  die  gelatinöse  Substanz  austretenden  Wurzeln 
sich  beigesellen  sah.  Was  aber  die  Umwandlung  der  feineren  Protoplasma- 
fortsätze in  markhaltige Nervenfasern  betrifft,  so  hat  bis  jetzt  nur  Gerlach 
sich  zustimmend  geäussert,  imd  diese  Fasern  innerhalb  der  grauen  Säulen 
in  Netze  feinster  Fasern  verfolgt,  zu  welchen  andererseits  Fasern  traten, 
welche  aus  wiederholter  Theilung  der  Nervenfasern  der  hinteren  Wxirzeln 
hervorgingen.  J  o  1 1  y  konnte  sich  nicht  davon  überzeugen ,  dass  die  Ver- 
zweigungen der  Protoplasmafortsätze  den  Charakter  von  Nervenfasern  an- 
nehmen undM.  Schnitze'*)  erklärt  sich  entschieden  dagegen. 

Ein  einziges  positives  Ergebniss  wird  also  durch  die  aufgezählte  Reihe  von 
Beobachtungen  geliefert,  der  Ursprung  der  peripherischen  Nervenfasern  aus 
Zellen  theils  der  Ganglien,  theils  der  Centralorgane.  Ob  alle  von  den  Central- 
organen  axisgesandten  Nervenfasern  in  Zellen  wurzeln,  kann  freilich  nicht  durch 


1)  Deutsche  Klinik  1854,  Nro.  27.  —  2)  A.  a.  0.  S.  55.  —  ^)  Vgl.  M.  Schultze,  bei 
Deiters,  a.  a.  0.  S.  XV;  Boddaeit,  Bulletins  de  l'Acad.  royale  de  Belgique  XIX,  58; 
JoUy,  a.  a.  0.;  Gerlach,  Medicin.  Centralbl.  1867,  Nro.  24.  25;  J.  Arnold,  Archiv 
für  pathol.  Anat.  und  Phj-siol.  XLI,  178.  Kölliker  (Gewebelehre  S.  276.  306)  meint,  dass 
diese  Form  vorzugsweise  den  Zellen  der  Medulla  oblongata  eigen  sei;  L.  Meyer  (Medicin. 
Centralbl.  1867,  Nro.  8),  Hoffmann  (a.  a.  0.),  Arndt  (Archiv  für  mikroskop.  Anat.  III, 
441)  schreiben  sie  auch  den  Zellen  der  Grosshirnrinde  zu;  Koschennikoff  (Archiv  für 
mikroskop.  Anat.  V,  332)  und  Iladlich  (Archiv  für  pathol.  Anat.  u.  Physiol.  XLVI,  218) 
bestätigen  sie  für  die  grossen  multipolaren  Zellen  der  Kleinhirnrinde;  R.  Wagner's  Angabe, 
dass  aus  den  Zellen  der  elektrischen  Lappen  von  Torpedo  zuweilen  zwei  Axencylinderfortsätze 
hervorgehen,  wird  von  M.  Schultze  (bei  Deiters  p.  57)  bestritten.  —  *)  Observ.  de  struc- 
tura  cellularum  fibrai'umque  nervearum ,  Bonn   1868. 


28  Nervenlehre. 

unmittelbare  BeobacMang  entschieden  werden ;  doch  ergiebt  sich  auch  dafür 
eine  Wahrscheinlichkeit  dadurch,  dass  in  jedem  ßückenmarksquerschnitt 
die  Zahl  der  Ganglienzellen  im  Verhältniss  steht  zur  Masse  der  Nerven- 
wurzeln  ^).  Die  Vermuthung,  die  sich  als  die  einfachste  zuerst  darbot,  dass 
die  einzelne  Zelle  als  Quelle  einer  Anzahl  peripherischer  Fasern  die  physio- 
logische Verbindung  derselben  direct  vermittele ,  findet  in  der  Anatomie  der 
Ganglien  wie  der  Centralorgane  nur  eine  unsichere  Stütze.  Und  nähme 
man  auch  Gerlach's  Darstellung,  wonach  die  Protoplasmafortsätze  sich 
schliesslich  zu  hinteren  Wurzeln  umbilden,  als  erwiesen  an,  so  macht  doch 
das  complicirte  Fasernetz,  in  welches  die  Fortsätze  von  der  einen,  die 
Nervenwurzeln  von  der  anderen  Seite  eintreten,  die  Verfolgung  ihres  Ver- 
laufs unmöglich.  So  haben  die  histologischen  Forschungen  im  günstigsten 
Falle  Bahnen  kennen  gelehrt,  auf  welchen  die  Nervenerregung  sich  fort- 
pflanzen kann,  ohne  uns  zu  enthüllen,  auf  welchen  Bahnen  und  nach  wel- 
cher Richtung  sie  sich  fortpflanzen  m  u  s  s.  Hieran  "Sf ird  auch  dadurch  nichts 
geändert,  dass  an  gewissen  Stellen,  auf  die  ich  in  der  besonderen  Beschrei- 
bung näher  eingehe ,  die  Fortsätze  bestimmte  Richtungen  einhalten, 
da  die  feinsten,  dem  Auge  sich  entziehenden  Verzweigungen  möglicher- 
weise eine  von  dem  Stamme  des  Fortsatzes  verschiedene  Richtung  nehmen. 
Von  dem  Ziele,  dem  die  Morphologie  der  Centralorgane  zustrebt,  den 
Gang  und  die  Verbindungen  der  einzelnen  Nervenfasern  innerhalb  der  Cen- 
tralorgane darzulegen,  sind  wir,  wie  man  sieht,  noch  weit  entfernt.  Wir 
dürften  kaum  hoff'en,  ihm  jemals  näher  zu  kommen,  wenn  die  jüngst  von 
M.  Schnitze-)  ausgesprochene  Ansicht  vom  Bau  der  Nervenzellen  und  Fa- 
sern richtig  ist.  Danach  wäre  die  Substanz  der  grossen ,  multipolaren 
Nervenzellen  zusammengesetzt  aus  einer  feinkörnigen  Masse  und  sehr  feinen 
Fasern,  Primitivfibrillen,  die  die  Zelle  in  verschiedenen  Richtungen  durchziehen 
und  sich  besonders  an  der  Oberfläche  zusammendrängen.  An  der  Austritts- 
stelle der  Fortsätze  sollen  sie  sich  zu  Bündeln  sammeln,  und  Bündel  dieser 
feinsten  Fasern  seien  sowohl  die  Axencylinder-  als  die  Protoplasmafortsätze, 
mit  dem  Unterschiede,  dass  die  ersteren  sich  mit  einer  Hülle  von  Mark  um- 
geben und  in  die  letzteren  die  feinkörnige  Masse  mit  vordringt.  Die  Ver- 
ästelung der  Protoplasmafortsätze  entspricht,  wie  die  Verästelung  der  Nerven 
im  Groben,  einer  Zerlegung  in  Bündel  von  immer  geringerer  Faserzahl  bis 
zur  Auflösung  in  die  einzelnen  Primitivfibrillen ;  dieselbe  Zerfaserung  läge 
nach  Schnitze  der  peripherischen  Verästelung  der  Nervenfasern  zu  Grunde, 
die  man  bisher  als  Theilun'gen  der  Primitivfasern  beschrieb.  Die  Nerven- 
zellen hören  nach  dieser  Vorstellung  auf,  Ursprungsstätten  der  Nervenfasern 
zu  sein ;  es  sind  Körper ,  innerhalb  deren  die  verschiedenen  Fortsätze  ihre 
Fasern  geflechtartig  austauschen,  um  sie  in  neuen  Combinationen  austre- 
ten zu  lassen.  Ueber  die  Herkunft  der  Fibrillen,  die  so  von  einem  Fort- 
satz dem  anderen  und    möglicher  Weise  von  einer  Zelle  der  anderen  über- 


••)  Ich  verweise  auf  die  Anschwellungen  des  Rückenmarks  an  der  Austrittsstelle  der 
Extremitäteunerven  und  auf  die  von  Bidder  (Bidder  und  Kupffer,  a.  a.  0.  S.  57)  mit- 
getheilte  Thatsache,  dass  bei  langhalsigen  Vögeln,  wo  die  Nervenwurzeln  in  grösseren  Ab- 
ständen von  einander  abgehen,  die  graue  Substanz  entsprechend  dem  jedesmaligen  Ursprünge 
eines  Nerven  grössere  Dimensionen  und  eine  grosse  Zahl  von  Nervenzellen  zeigt.  —  ^)  Observ. 
a.  a.  0.;  Strick  er 's  Handbuch  der  Lehre  von  den  Geweben,  S.  208. 


Nervenlelire.  29 

liefert  werden,  geben  Schnitze's  Beobachtungen  keinen  Anfschluss ;  er  ver- 
weist, wie  erwähnt ,  auf  die  noch  wenig  erforschten  kleinen ,  im  Gross-  und 
Kleinhirn  zerstreuten  Zellen  und  Körner. 

Diese  neueste  Wendung  der  vorliegenden  Frage  führt  uns  zurück  zu  den  An- 
gaben über  den  feineren  Bau  der  Nervenzellen,  die  zugieicli  den  Ursprung  der  Port- 
sätze und  insbesondere  der  Nervenfasern  berühren.  Versuche,  die  Substanz  der 
Fortsätze  ins  Innere  der  Zellen  zu  verfolgen,  wurden  wiedei'holt  und  in  verschiede- 
nem Sinne  gemacht,  zuerst  imd  am  häufigsten  so,  dass  man  die  Nervenfasern  mit 
dem  Kern  der  Zelle  in  Verbindung  brachte.  Die  heute  noch  nicht  abgeschlossene 
Controverse  über  diesen  Gegenstand  beginnt  im  Jahre  1846  mit  einer  Angabe  von 
Harless  (Müller' s  Arch.  1846,  S.  282),  wonach  der  Kern  der  Nervenzellen  des 
elektrischen  Lappens  bei  Torpedo  nach  einer  oder  zwei  Seiten  sich  in  eine  Ner- 
venfaser fortsezt.  Sie  wurde  von  Axniann  (De  gangliorum  systematis  structura, 
Berol.  1847)  bestätigt,  von  Lieberkühn  (De  structura  gangliorum  penitiori,  Be- 
rol.  1849)  nach  Untersuchungen  am  Frosch  dahin  präcisirt,  dass  jede  Zelle  eine 
Faser,  der  Kern  die  Markscheide,  das  Kernkörperchen  den  Axencylinder  liefere, 
und  sie  gerieth  in  Vergessenheit,  nachdem  E;  Wagner  (Handwörterbuch  a.  a.  0.) 
und  Kölliker  (in  den  früheren  Auflagen  seines  Handbuchs)  sich  dagegen  ausge- 
sprochen hatten.  Gr.  Wagener  nahm  im  Jahre  1857  (Ztschr.  für  wissensch.  Zool. 
VIII,  455)  den  abgerissenen  Faden  wieder  auf,  indem  er  sich  als  Zeichner  der 
Lieberkühn'schen  Tafel  zu  erkennen  gab  und  dieselben  Verhältnisse  aus  den 
Ganglien  einiger  wix-belloser  Thiere  beschrieb  und  abbildete.  Es  folgt  nun  eine 
Keihe  zustimmender  Vota,  von  Hensen  (Zeitschr.  für  wissensch.  Zool.  XI,  19), 
Mau.thner  (Beitr.  zur  näheren -Kenntniss  der  morpholog.  Elemente  des  Nerven- 
systems, Wien  1862,  S.  32),  Luys' (a.  a.  0.  S.  14)  und  Hoffmann;  ferner  mit 
Bezug  auf  die  gerade  Faser  der  Ganglienzellen  (s.  oben)  von  J.  Arnold,  Guye, 
Sander.  Nach  Kollmann  und  Arnstein  geht  zwar  der  Axencylinder  in  das 
Kernkörj^erchen ,  aber  nicht  die  Markscheide  in  den  Kern  über;  nach  Bidder 
(Archiv  für  Anat.  1867,  S.  14)  ist  es  der  Axencylinder,  der  mit  dem  Kern  sich 
verbindet,  und  nach  Arndt  entspringt  von  einer  die  Oberfläche  des  Kerns 
einschliessenden  Substanz  ein  in  den  Axencylinderfortsatz  vordringender  dunkler 
Streifen.  Fräntzel  verfolgte  die  Nervenfaser  unipolarer  Nervenzellen  der  Spi- 
nalganglien, Courvoisier  die  gerade  Faser  der  Nervenzellen  des  Sympathicus 
von  der  Insertion  an  die  Zelle  bis  in  die  Nähe  des  Kerns;  von  ihrem  Zusam- 
menhang mit  dem  Kern  konnten  sie  sich  nicht  überzeugen.  Dagegen  sahen 
Stilling  (Neue  Unters.  S.  820.  1189)  und  Kölliker  (Gewebelehre,  4.  Aufl.  S.  291) 
einen  Fortsatz  vom  Kern  gegen  den  Rand  der  Zelle  sich  erstrecken,  der  den  Zellen- 
fortsatz nicht  erreicht»,  und  Jolly  berichtet  von  einer  allerdings  geringen  Zahl 
von  Zellen,  in  welchen  vom  Kernkörperchen  aus  durch  den  Kern  und  einen  Theil 
der  Zellsubstanz  ein  heller  Streifen  verlief,  und  von  einem  Fall,  wo  dieser  Streifen 
die  Richtung  gegen  den  Axencjdinderfortsatz  nahm,  allerdings  ohne  ihn  zu  er- 
reichen. Diesen  ganzen  und  halben  Bestätigungen  gegenüber,  die  zudem  alle  darin 
übereinkommen,  dass  positive  Ergebnisse  zu  den  seltenen  Glücksfällen  gehören, 
stehen  nun  die  negativen  Resultate  von  Buchholz  (Archiv  für  Anat.  1863,  S.  248) 
und  Schwalbe  (a.  a.  O.  S.  64),  die  Wirbellosen  betreffend,  und  von  Waldeyer 
(Zeitschr.  für  rat.  Med.  3.  R.  XX,  241)  Deiters,  M.  Schnitze,  Leydig  (vom 
Bau  des  Thierkörpers  I,  90),  Stieda  und  Kölliker  (in  der  5.  Aufl.  seines  Handb. 
S.  253.  331)  bezüglich  der  Nervenzellen  der  Wirbelthiere.  Einen  Schritt,  um  die 
Irrthumsquelle  aufzudecken,  aus  welcher  die  gegentheiligen  Ansichten  entsprimgen 
sein  könnten,  hat  Kölliker  gemacht:  an  einer  Zelle,  deren  Kern  einen  Fortsatz 
abzugeben  schien,  ergab  die  nähere  Prüfung,  dass  der  Kern  geplatzt  war,  und  das 
Kernkörperchen  durch  die  Substanz  der  Zelle  bis  zur  Oberfläche  sich  eine  Bahn 
gegraben  hatte,  die  wie  eine  A'om  Kern  ausgehende  Faser  aussah.  Schwalbe 
beobachtete  den  nämlichen  Vorgang,  und  ich  kann  eine  Methode  angeben,  um  ihn 
in    einer   grossen  Anzahl  von  Zellen    nach  Belieben   hervorzubringen.     Wenn  man 


30  Nervenlehre. 

nämlich  einen  feinen  Durchschnitt  eines  in  Alkohol  erhärteten  Ganglion  mit  kau- 
stischer Kalilösung  und  danach  mit  Essigsäure  behandelt,  so  findet  man  in  vielen 
der  zuerst  erhlassten  und  dann  wieder  dunkelkörnigen  Zellen  den  Kern ,  mit  und 
ohne  Kernkörperchen,  verlängert,  hirnförmig,  in  Spitzen  ausgezogen.  Immerhin  ist 
hiermit  nur  der  Forts'atz  des  Kerns,  nicht  des  Kernkörperchens  aufgeklärt. 

In  eine  Verbindung  ganz  anderer  Art  brachten  J.  Arnold  (Archiv  für  jiath. 
An.  und  Phys.  XXXI,  1)  und  Courvoisier  (Arch.  für  mikrosk.  Anat.  II,  13) 
den  Kern  der  sympathischen  Nervenzellen  mit  dem  unter  dem^  Namen  der  Spiral- 
faser beschriebenen  Fortsatz.  Wie  erwähnt ,  sollten  feine ,  vom  Kernkörperchen 
radienförmig  ausgehende  Pasern  zuAveilen  schon  im  Kern ,  regelmässig  im  Proto- 
plasma der  Zelle  und  zuletzt  an  der  Peripherie  derselben  zu  einem  Netze  zusammen- 
treten, welches  den  Spiralfasern  den  Ursprung  gebe.  Die  Täuschung,  welche  dem 
peripherischen  Netze  zu  Grunde  liegt,  wurde  durch  Fräntzel  aufgeklärt:  sie  wurde 
bewirkt  durch  die  Grenzen  von  Zellen,  welche,  seit  langer  Zeit  bekannt,  die  Höhle, 
in  welcher  die  Nervenzelle  liegt,  auskleiden.  Bereits  hat  Courvoisier  (Archiv 
für  mikrosk.  Anat.  •  IV,  142)  das  intermediäre  Netz  zwischen  den  Nucleolarfäden 
und  der  Spiralfaser  aufgegeben  und  J.  Arnold  (Archiv  für  path.  Anat.  u.  Physiol. 
XLI,  178)  an  die  Stelle  desselben  ein  „körnig-fibrillares  Gewirr"  gesetzt.  So  mag 
der  extracellulare  Theil  des  Netzes  und  dessen  Verhältniss  zur  Sj)iralfaser ,  deren 
nervöse  Natur  ohnehin  noch  nicht  über  allen  Zweifel  erhaben  ist,  auf  sich  beruhen.  - 
Was  aber  die  innerhalb  des  Kerns  und  der  Zelle  sich  ausbreitenden  Fasern  angeht, 
so  erhalten  Arnold's  Angaben  eine  Bestätigung  durch  das,  was  gleichzeitig  From- 
mann (Ai'ch.  für  pathol.  Anat.  und  Ph3'siol.  XXXI,  129)  über  die  Nervenzellen 
des  Bückenmarks  und  der  Spinalganglien  mittheilte  und  Arnold  selbst  wieder  au 
diesen  Zellen  bestätigte.  F rommann  sah  Fasern  vom  Kernkörperchen  der  Nerven- 
zellen des  Eückenmarks  und  der  SiDinalganglien  nach  mehreren  Seiten  durch  den 
Kern  und,  von  einem  röhrigen  Fortsatz  des  Kerns  begleitet,  durch  die  Zelle  in  den 
Anfang  eines  Fortsatzes  der  Zelle  verlaufen.  In  umgekehrter  Pachtung  verfolgte  er 
Fibrillen  aus  den  Fortsätzen  der  Nervenzellen,  in  welchen  sie  je  nach  der  Stärke  der 
Fortsätze  zu  2  bis  20  nebeneinanderlagen,  in  das  Innere  der  Zellen,  wo  sie  zum  Theil 
längs  des  Zellenrandes  als  fasrige  Einfassung  der  Zelle  hinzogen,  theils  gerade  oder 
im  Bogen  in  den  Kern  zum  Kernkörperchen  und  über  ihn  hinweg  oder  seitlich 
von  ihm  nach  dem  entgegengesetzten  Rande  der  Zelle  ausstrahlten.  Dichtere  Kreu- 
zungen und  Verflechtungen  der  Fasern  fand  Frommann  in  der  Umgebung  des 
Kerns;  Arnold  sah  dem  Kern  zunächst  ziemlich  weite  Netze,  von  Avelchen  ein 
Theil  der  Fäden  gegen  den  Kern,  ein  anderer  nach  aussen  zog,  um  auf  halbem  Wege 
zwischen  dem  Kern  imd  der  Peripherie  der  Zelle  ein  enges  Netz  zusammenzusetzen. 
Ihm  gelang  es,  an  einzelnen  Zellen  Fäden  des  Kernkörperchens  durch  das  Proto- 
plasma bis  in  die  Fortsätze  der  Zelle  zu  verfolgen.  Frommann  fügte  später 
(Anat.  des  Eückenmarks,  Thl.  II,  Jena  1867,  S.  42)  noch  die  Entdeckung  hinzu, 
dass  die  aus  dem  Kernkörjperchen  entspringenden  und  scheinbar  im  Kern  verschwin- 
denden Fasern  in  Körnchen  des  Kerns  übergehen  und  vermuthet,  dass  diese 
Körnchen  wieder  durch  Fasern  mit  anderen  Körnchen  des  Kerns  und  durch 
die  aus  dem  Kern  tretenden  Fasern  mit  entsprechenden  Theilen  des  Protoplasma 
zusammenhängen. 

Die  nervöse  Natur  der  beschriebenen  Pasernetze  wird  dadurch  nicht  wahr- 
scheinlicher gemacht,  dass  nach  Frommann's  eigener  Wahrnehmung  (a.  a.  O. 
S.  17)  die  gleichen  Fasern  in  den  Kernen  und  Zellen  des  Epithelium ,  des  Binde- 
gewebes ,  der  Knorpel  und  Knochen,  der  Capillargefässe  und  anderer  Gewebe  vor- 
kommen. Dagegen  trifft,  was  er  über  das  fibrilläre  Gefüge  der  Zellenfortsätze  be- 
merkt ,  mit  Beobachtungen  zusammen ,  welche  in  anderen  Gebieten  des  Nerven- 
systems zu  einem  ähnlichen  Umschwung  der  Ansichten  geführt  haben. 

Ich  gedenke  zuerst  der  sogenannten  gelatinösen  (marklosen,  kernhaltigen)  Fa- 
sern, wie  sie  dem  sympathischen  Nervensystem  und  unter  den  Gehirnnerven  dem 
N.  olfactorius  eigen  sind.  Man  hatte  diesen  Pasern  einen  homogenen  oder  fein- 
körnigen,   flüssigen  oder  soliden  Inhalt  zugeschrieben.     Aber  schon  Stannius  be- 


Nerveiilehre.  -31 

merkt  von  den  Fasern  des  Olfactorius  der  Fische  (Das  peripherische  Nervensystem 
der  Fische,  Eost.  1849,  S.  6),  dass  sie  sich  zuweilen  nach  dem  Tode  am  abge- 
schnittenen Ende  fein  zerfasern  und  dass  in  ihrer  Längsrichtung  feine,  mit  fein- 
körnigem Anflug  versehene  Fasern  verlaufen.  M.  Schnitze  (Berliner  Monats-Be- 
richt 1856,  ISTovbr.  VergL:  Ueher  den  Bau  der  Nasenschleimhaut,  Halle  1862)  sah 
den  Inhalt  der  Kiechnervenfasern  verschiedener  Wirbelthiere ,  der  im  frischen  Zu- 
stande schon  längs-streifig  erschien ,  nach  Chromsäurebehandlung  sich  in  engver- 
klebte Fasern  von  0,0005  bis  0,0024  Mm.  Durchmesser  sondern.  Durch  Kochen 
in  verdünnter  Salpetersäure  reissen  sie  nach  Owsjannikow  (Archiv  für  Anat. 
1860,  S.  475)  in  der  Weise,  dass  aus  jeder  Faser  5  bis  8  und  mehr  kleine  Härchen 
hervorragen.  Beissner  (Bau  des  centralen  Nervensj'stems  der  ungeschwänzten 
Batrachier,  S.  102)  beschreibt  den  N.  olfactorius  des  Frosches  als  ein  Bündel  feiner 
Fibrillen,  welche  durch  eine  eigenthümliche  Marksubstanz  geschieden  und  durch 
Bindegewebsscheiden  unvollständig  abgetheilt  werden.  Walther  (a.  a.  0.)  und 
Waldeyer  (Zeitschr.  für  rat.  Med.,  3.  E.  XX,  193)  bestätigen  M.  SchuJtze's 
Angaben. 

Denselben  Bau  fand  Waldeyer  wieder  an  den  gelatinösen  Fasern  des  N.  S3'm- 
pathicus  beim  Frosche  und  beim  Menschen.  Sie  sind  nach  seiner  Ansicht  Bündel 
feinster  Fibrillen,  die  er  Axenfibrillen  nennt,  umgeben  von  einer  zarten,  kernhaltigen 
Scheide  ohne  weiteren  Inhalt. 

Bei  den  Wirbellosen  kommen  zweierlei  Arten  von  Nervenfasern  vor:  die  ver- 
breitetsten  werden  mit  den  gelatinösen  Nervenfasern  der  höheren  Thiere  zusammen- 
gestellt; sie  sind  ihnen  auch  darin  ähnlich,  dass  ihr  Inhalt  bald  als  eine  blasse, 
feinkörnige,  bald  als  eine  fibrilläre  Substanz  geschildert  Avii-d  und  bei  gewissen 
Arten  und  an  gewissen  Stellen  wirklich  in  blasse  Fibrillen  zerfällt  (Leydig,  Histo- 
logie S.  59;  Waldej'er  a.  a.  0.).  Eine  Punktsubstanz,  welche  nach  Leydig  die 
Zwischenräume  der  Fasern  erfüllt,  erkennt  Waldeyer  nicht  an  und  meint,  dass 
der  Anschein  derselben  nur  von  zerstörten  Fibrillen  herrühre.  Die  Nervenfasern 
der  zweiten  Art,  von  Eemak  (Müll.  Archiv  1843,  S.  197;  1844,  S.  463),  Leydig 
(a.  a.  0.)  und  Häckel  (Müll.  Archiv  1857,  S.  469)  aus  dem  Bauchstrang  des 
Flusskrebses  beschrieben,  von  Waldeyer  aiich  bei  Käfern  nachgewiesen,  zeichuen 
sich  durch  ihre  Stärke  vor  anderen  aus  und  enthalten  innerhalb  einer  weiten  Eöhre, 
von  heller  Substanz  umgeben ,  ein  centrales  Bündel  feiner  iind  zarter  Fibrillen. 
Dass  beide  Arten  Nervenfasern  nicht  wesentlich  von  einander  verschieden  sind, 
ergiebt  sich,  wie  Waldeyer  bemerkt,  daraus,  dass  die  letzteren  nach  wiederholten 
Theilungen  die  Stärke  und  dann  auch  die  Structur  der  gewöhnlichen  Nervenfasern 
annehmen.  Wenn  aber  diese  gewöhnlichen  Fasei'n  mit  den  gelatinösen,  so  konnten 
jene  colossalen  mit  den  dunkelrandigen  oder  markhaltigen ,  ihr  centrales  Faser- 
bündel mit  dem  Axencylinder  verglichen  wei-den,  und  dazu  war  Eemak  umsomehr 
berechtigt,  da  er  bereits  an  dem  Axencylinder  der  höheren  Thiere  eine  Spur  fibrillärer 
Streifung  hervorgehoben  hatte. 

Eemak  sagt  von  dem  Axencylinder  (Observat.  de  sj^stematis  nervosi  structura. 
Berol.  1838,  p.  2):  „Plerumque  fibra  haec  primitiva  ita  apparet ,  ut  ex  multis  te- 
nuissimis  fibris,  in  decursu  suo  saepe  nodulatis,  sibi  parallelis  composita  esse  videa- 
tur",  Hannover  (Eech.  microscop.  sur  le  Systeme  nerveux,  Coiienh.  1844,  p.  29) 
nannte  ihn  feinkörnig,  zuweilen  längsstreifig;  eine  feine  Strichelung  hatte  auch 
M.  Schnitze  früher  (a.  a.  O.  S.  66)  nicht  selten  an  Axency lindern,  die  in  gewissen 
Flüssigkeiten  isolirt  worden  waren,  wahrgenommen,  aber  zugleich  bestimmt  die 
Möglichkeit  einer  Zerfaserung  bestritten. 

Der  Widerspruch  zwischen  dieser  Aussage  und  den  jüngsten  Erfahrungen 
Schultze's,  welchen  ich  oben  mitgetheilt  habe,  bedarf  einer  Lösung  und  ich  glaube 
sie  geben  zu  können.  Der  Axencylinder,  welchen  Schnitze  in  seiner  neuesten 
Schrift  abbildet  (a.  a.  O.  Fig.  5),  und  der  Axencylinder,  welcher  bisher,  trotz  seines 
zuweilen  streifigen  Ansehens,  ihm  und  Änderten  als  homogen  gegolten  hat,  sind 
zweierlei.  Jener  füllt  fast  die  ganze  Nervenfaser  aus  und  lässt  nur  einen  schma- 
len Saum  Nervenmark  am  Eande  übrig.    Der  Axencylinder,  wie  man  ihn  bis  jetzt 


32  Nerveillehre. 

gekannt  hat,  ist  eine  cylindrische  oder  abgeplattete,  nicht  immer  genau  centrale  Taser, 
deren  Durchmesser  nur  selten  die  Hälfte  des  Durchmessers  der  ganzen  Nervenfaser 
erreicht.  Wenn  das  von  Schii  Itze  beschriebene  Gebilde  der  Axency linder  der  frischen 
Nervenfasern  ist,  so  ist  der  bisher  unter  diesem  Namen  cursirende  durch  Schrum- 
pfung entstellt,  in  welchem  Falle  leicht  die  Fasern,  aus  welchen  der  frische  Axen- 
cylinder  besteht,  bis  zur  Unkenntlichkeit  und  Untrennbarkeit  zusammengebacken 
sein  könnten.  Schultze's  Ansicht  träfe  dann  in  manchen  Punkten,  wenn  aiTch 
nicht  in  der  Hauptsache,  zusammen  mit  einer  Schilderung,  welche  Eemak  (Amtl. 
Bericht  der  Naturforscherversammlung  in  Wiesbaden,  1853,  S.  182)  von  dem  Axen- 
cylinder  gab,  dass  er  nämlich  während  des  Lebens  schlauchförmig  sei,  der  Markscheide 
dicht  anliege  und  erst  nach  Einwirkung  verschiedener  Agentien  zum  Axencylinder 
der  Autoi-en  sich  zusammenziehe;  eine  Längsfaserung  bemerkte  Eemak  in  der 
dünnen,  aber  festen  Wand  des  Schlauches,  nicht  im  Inneren  desselben.  Ja  es  käme 
noch  die  vereinsamte  und  hart  angefochtene  Opposition ,  die  ich  bis  vor  Kurzem 
der  Präexistenz  des  Axencjdinders  entgegensetzte,  zu  ihrem  Rechte,  w«nn  es  sich 
zeigte,  dass  sich  derselbe  von  dem  inneren  Contour  der  doppelrandigen  Fasern  nach- 
träglich, vielleicht  durch  Auspressen  eines  Theils  seines  Inhalts,  zurückzöge.  Aber 
dem  steht  entgegen,  dass  auch  an  ungehärteten  Präparaten,  ja  selbst  an  in  Chrom- 
säure aufbewahrten  Nerven,  von  welcher  Schnitze  behauptet,  dass  sie  die  Primi- 
tivfibrillen  aufquellen  mache,  die  gleichen  schmalen  Axencylinder  gefunden  werden. 
Wie  dem  sei,  so  wird  als  Beweis  für  die  zusammengesetzte  Natur  des  Axencjdin- 
ders  die  faserige  Beschaffenheit  der  Fortsätze  angeführt,  durch  die  er  mit  den  Ner- 
venzellen zusammenhängt.  Aber  die  Beobachtungen  dieser  Art  beziehen  sich  der 
Mehrzahl  nach  auf  die  Protoplasmafortsätze,  und  nur  zum  kleineren  Theil  auf  den 
Axencjdinderfortsatz.  Auch  hier  steht  wieder  Rem ak  an  der  Spitze.  In  dem  Vor- 
trage vor  der  Naturforscherversammlung  zu  Wiesbaden  (1853)  gedenkt  er  der  Nerven- 
zellen eines  Rochen,  deren  körnige  Substanz  nach  24 stündigem  Verweilen  in  dünner 
Chromsäurelösung  in  ein  regelmässig  faseriges  Gefüge  iimgewandelt  war,  und  zwar 
Hessen  sich  zwei  Schichten  von  Fäserchen  unterscheiden.  Die  innere  umgab  con- 
centrisch  den  Kern ,  die  äussere  verlief  nach  beiden  Polen  in  den  Canal  des  Axen- 
schlauchs.  An  den  multipolaren  Nervenzellen  im  Rückenmark  der  Säugethiere 
war  ein  ähnlicher,  faseriger  Bau  wahrnehmbar.  An  den  Fortsätzen  der  multipo- 
laren Zellen  des  Bulbus  olfactorius  vom  Kalb  bemerkte  Walther  einen  fibrillären 
Bau,  welcher  der  fibrillenBeschaffenheit  der  Riechnervenfasern  entsprach,  ebenso  an 
den  Fortsätzen  der  Nervenzellen  wirbelloser  Thiere  (Mikroskop.  Studien  über  das  Cen- 
tralnerven System  wirbelloser  Thiere,  Bonn  1863,  S.  33).  Hierher  gehört  der  Theil 
der  Angaben  Frommann's,  der  die  Fäden  der  stärkeren  Fortsätze  und  deren  Ein- 
strahlung in  die  Nervenzellen  betrifft  und  von  M.  Schnitze  (bei  Deiters,  p.  XV)  und 
Schwalbe  bestätigt  wird,  während  sie  sich  von  der  Existenz  des  centralen  Theils  der 
Fromm  an n' sehen  Fäden  nicht  überzeugen  konnten.  Nach  Frommann  aber  er- 
streckt sich  die  fibrilläre  Structur  nicht  über  die  Aeste  zweiter  Ordnung  der  verzweig- 
ten Nervenzellen  hinaus.  Die  Fibrillen  des  Axencylinderfortsatzes  im  Zusammenhang 
einerseits  mit  den  die  Zelle  durchsetzenden  Fäden  und  andererseits  sich  fortziehend 
in  die  dunkelrandige  Nervenfaser  hat  zuletzt  M.  Schnitze  aus  dem  elektrischen 
Lappen  der  Torpedo  dargestellt. 

Bevor  ich  diesen  histologischen  Gegenstand  verlasse,  muss  ich  noch  mit  einigen 
Worten  die  Frage  berühren,  wie  weit  die  streifige  Zeichnung  der  Flächenansicht  zu  der 
Annahme  eines  fibrillären  Baues  berechtige.  Wie  erwähnt,  hat  Remak  die  Streifung 
als  einen  Charakter  der  Hülle  des  Axencylinders  aufgefasst;  auch  Jolly  hält  die  Striche- 
lung  der  Substanz  der  Nervenzelle  für  den  Ausdruck  von  Einziehungen  und  Erhaben- 
heiten der  Oberfläche ;  die  Streifang  der  Fortsätze  machte  ihm  den  Eindruck  von  Reihen 
kurzer  Striche,  die  sogar  immer  mehr  oder  weniger  schräg  gestellt  waren.  Dem  ersten 
Einwurf  lässt  sich  durch  Aenderungen -des  Focus  begegnen;  er  wird  widerlegt  durch 
die  Betrachtung  des  wirklichen  oder  scheinbaren  Querschnittes,  wenn  derselbe,  was 
Frommann  zu  ei'wähnen  nicht  versäumt,  das  Bild  gesonderter  Pünktchen  ge- 
währt.    Jolly 's  Angabe  bedarf  einer  genaueren  Prüfung;    die  kurzen  Striche,  die 


Nervenlehre.  33 

ich  ebenfalls  kenne,  könnten  gerade  für  die  faserige  Natur  der  Fortsätze  zeugen, 
wenn  sie  von  der  Ausscheidung  einer  dem  ISTervenmark  ähnlichen  in  Schüppchen 
sich  ablagernden  Substanz  herrührten.  Den  eigentlich  entscheidenden  Beweis  liefert 
allerdings  nur  die  Isolirung  der  Fibrillen. 

Die  Hypothese,  dass  Fäden  aus  verschiedenen  Ganglienzellen  zur  Bildung  eines 
Axencylinders  zusammentreten  möchten,  ist  nicht  ganz  neu.  M.  Schiiltze  wurde 
auf  sie  zuerst  geführt  durch  seine  Studien  über  den  Ursprung  des  N.  olfactorius,  für  den 
sie  wegen  der  Aehnlichkeit  der  feinen  Endzweige  der  Protoplasmafortsätze  mit 
den  Fibrillen  der  Nervenfasern  besonders  plausibel  erschien.  Er  dehnte  sie  später 
(1862)  auf  die  Axencylinder  anderer  cerebrospinaler  Nerven  aus,  und  in  der  That 
Hess  sich,  so  lange  man  nur  verzweigte  Fortsätze  kannte,  kein  anderes  Mittel  erdenken, 
um  den  Zusammenhang  der  Nervenzellenfortsätze  mit  den  Nervenwurzeln  herzu- 
stellen. Walt  her  und  Waldeyer  glaubten  in  dem  Ceutralnervensystem  der  Wir- 
bellosen Bestätigungen  der  Schultze'schen  Hypothese  zu  finden  in  nicht  ganz 
übereinstimmender  Weise,  da  Waldeyer  von  einer  Verschmelzung,  Walther  von 
Aneinandeiiagerung  der  Fortsätze  verschiedener  Zellen  spi'icht.  Noch  anders  fasste 
Lej'dig  (Vom  Bau  des  thierischen  Körpers,  I,  91)  die  Verbindung  auf;  zwischen 
den  Nervenzellenfortsätzen  tmd  den  Anfängen  der  Axencylinder  sollte  ein  Gewirr 
feinster  Fäserchen  eingeschaltet  sein,  so  dass  der  einzelne  Axencylinder  seine 
fibrilläre  Substanz  als  ein  Gemenge  aus  den  verschiedensten  Nervenzellen  erhielte. 
Wie  fern  wir  aber  selbst  bei  den  Wirbellosen  noch  vom  Abschlüsse  sind,  erhellt 
aus  dem  fundamentalen  Widerspruch,  in  welchem  zwei  sorgfältige  Beobachter  be- 
züglich der  Umwandlung  der  Zellenfortsätze  zu  Nervenfasern  sich  befinden.  Wal- 
deyer meint,  dass  keiner  der  stärkeren  Fortsätze  jemals  direct  in  eine  Nerven- 
faser übergehen;  Buchholz  dagegen  bezweifelt,  ob  die  feinen  Foi-tsätze  irgend 
etwas  zur  Bildung  der  Nervenfasern  beitragen. 

Die  Dunkelheit ,  die  auf  dem  centralen  Ende  der  Nerven  liegt ,  macht  auch 
das  Urtheil  über  ihr  peripherisches  Verhalten  unsicher.  Man  kennt  Theilungen 
der  Primitivnervenfasern  hier  und  da  schon  in  den  Stämmen  (in  gewissen  Nerven- 
stämmen und  Aesten  der  Fische  sind  sie  nach  Stannius  sehr  häufig);  allgemein 
finden  sie  sich  an  den  peripherischen  Enden  der  motorischen  und  im  engeren 
Sinne  sensibeln  Nerven.  Sollen  wir  auch  in  dieser  Theilung  nur  Zerlegung  von 
Bündeln  sehen?  Dies  wird  sehr  unwahrscheinlich,  wenn  man  den  Querschnitt  der 
Aeste  mit  dem  der  Stammfaser  vergleicht  und  die  enorme  Vervielfältigung  erwägt, 
welche  z.  B.  die  motorischen  Fasern  des  Frosches  durch  Theilung  erfahren  (Rei- 
chert in  Müll.  Arch.  1851,  S.  29).  Und  zugegeben,  dass  die  Primitivfaser  ein 
Fibrillenbündel  repräsentire,  welche  Consequenzen  ergeben  sich  aus  der  Annahme, 
dass  dies  Bündel  seine  Fäden  aus  verschiedenen  Zellen  sammelt?  Wenn  die  Stx'uc- 
turverhältnisse  dev  Centralorgane ,  die  die  gemeinsame  Thätigkeit  der  Nerven  ver- 
mitteln, geheimnissvoll  sind  und  vielleicht  noch  lange  bleiben  werden ,  so  schien 
die  Möglichkeit,  ja  die  Nothweudigkeit ,  dass  „Ein  Schlag  tausend  Verbindungen 
schlägt" ,  wenigstens  in  so  weit  verständlich,  als  die  peripherischen  Enden  Theile 
Einer  Primitivfaser  sind.  Es  hat  einen  Sinn,  dass  Organe,  die  nach  dem  Plane 
des  Organismus  stets  zusammenwirken  sollen,  wie  z.  B.  die  Bündel  Eines  Muskels, 
im  Centralorgan  durch  ein  Einfaches,  sei  es  Faser  oder  Zelle  repräsentirt  seien. 
Wenn  fortgesetzte  anatomische  Untersuchungen  die  Schultze'sche  Hypothese 
rechtfertigten,  so  naüsste  die  Phj^siologie  verlangen,  dass  die  verschiedenen  Zellen, 
welche  zu  Einem  Axencylinder  Beiträge  liefern,  functionell  gleichwerthig  seien. 
Aus  dem  Gesichtspunkte,  dass  sie  Ernährungsherde  der  Nerven  sind,  könnte  eine 
solche  Einrichtung  zweckmässig  erscheinen;  das  Verhältniss  der  Leitung  in  den 
Centralorganen   brächte  sie   uns  aber  nicht  näher. 

Stände  uns  eine  vollkommene  Einsicht  in  den  Bau  des  Nervensystems 
zu  Gebote,  so  hätte  die  anatomische  Beschreibung  desselben  die  Aufgabe, 
jede  Faser  oder  doch  jede  physiologisch  eigenthümliche  Grupj)e  von  Fasern 

Henle,  Anatomie.     Bd.  III.  Abth.  2.  3 


34  Centralorgan. 

von  den  Nervenzellen,  ans  welchen  sie  ihren  Ursprung  nehmen,  bis  zum 
Oi-te  der  peripherischen  Endigung,  oder  in  umgekehrter  Richtung,  zu  ver- 
folgen. Die  peripherischen  Enden  werden  hier  nur  so  weit  abgehandelt,  als 
sie  nicht  ihrer  Gleichmässigkeit  wegen  der  Histologie  anheimfallen  (Muskel- 
nerven) oder  wegen  ihrer  Ausstrahlung  in  besondere  Organe  zweckmässiger 
mit  diesen  Organen  in  der  Eingeweidelehre  dargestellt  wurden  (Sinnesnerven). 
Was  die  centralen  Endigungen  der  Fasern  betrifft,  so  gestattet  der  gegen- 
wärtige Zustand  unserer  Kenntnisse  nicht,  dieselben  aus  der  comjDacten 
Masse  der  sogenannten  Centralorgane  auszuscheiden.  So  weit  also  die  Fa- 
sern der  peripherischen  Nerven  durch  die  Centralorgane  verlaufen,  werden 
sie  als  Bestandtheil  der  letzteren  geschildert.  Dadurch  erhalten  die  Aus- 
drücke Wurzel  und  Ursprung  einen  Doppelsinn.  Sie  bedeuten  sowohl 
die  an  der  Oberfläche  der  Centralorgane  austretenden  Fäden  und  deren 
Austrittsstelle,  als  auch  die  Zellenfortsätze,  in  welche  die  Nervenfasern  in 
der  Tiefe  übergehen,  und  die  Zellen,  mit  welchen  sie  zusammenhängen. 
Die  letzteren  führen  in  Beziehung  zu  den  aus  ihnen  hervorgehenden  Ner- 
ven auch  den  Namen  Kerne. 

Noch  einen  zweiten  Doppelsinn,  der  im  Gebiete  der  Nerven  mit  den 
Worten  Anfang  und  Endigung  und  deren  Synonymen  verbunden  ist,  habe 
ich  zu  berichtigen.  Dem  physiologischen  Charakter  der  Nerven  gemäss 
lässt  man  die  centrifugalleitenden  im  Centralorgan,  die  centripetalen  in 
der  Peripherie  entspringen.  Die  anatomische  Sprache  beachtet  diesen 
Unterschied  nicht.  Für  sie  wurzeln  alle  Nerven  ohne  Rücksicht  auf  die 
Richtung ,  in  welcher  sie  leiten ,  im  Centralorgan. 

A.     Centralorgan.     Centrum  cerehro- spinale  i). 

Gehirn  und  Rückenmark  liegen  mit  den  Anfängen    der  Nerven  in   der 
°^^^^-  entsprechenden  Höhle ,  von  einer  mehrfach  geschichteten  Hülle  umschlossen, 

deren  ausführliche  Beschreibung  später  folgen  wird.  Hier  sei  nur  erwähnt, 
dass  man ,  dem  allgemeinen  Brauche  der  systematischen  Anatomie  zu- 
wider, mit  den  die  Höhle  auskleidenden  Membranen  auch  die  Membran, 
die  sogenannte  Gefässhaut  oder  Pia  mater,  zusammenstellt,  welche,  dem 
fibrösen  oder  bindegewebigen  Ueberzug  mancher  Eingeweide  entsprechend, 
die  Nervensubstanz  unmittelbar  umgiebt,  ihr  Gefässe  zuführt  und  ohne  Zer- 
reissung  der  Gefässe  und  anderweitiger  Verbindungen  nicht  von  ihr  getrennt 
werden  kann.  Ursache  dieser  Inconsequenz  ist  die  geringe  Festigkeit  des 
Zusammenhanges  zwischen  Hülle  und  Organ,  die  es  namentlich  am  Gehirn 
möglich  macht,  die  Gefässhaut  ohne  auffällige  Verletzungen  abzustreifen. 
Die  Verletzungen  fehlen  dennoch  nicht ,  da  die  Elemente  der  tiefsten 
Schichten  der  Gefässhaut  sich  mit  den  Nervenelementen  mischen  und  da 
nicht  nur  zwischen  den  gröberen  Abtheilungen  des  Centralorgans  gefäss- 
haltige  Scheidewände  und  Gefässe,  sondern  auch  zwischen  den  einzelnen 
Nervenfasern  vereinzelte  Fibrillen  aus  der  Umhüllungshaut  nach  innen 
dringen,  die  mit  der  Abstreifung  der  Gefässhaut  zerrissen,  theilweise  her- 
ausgezogen werden  und  Nervensubstanz   mit  sich   ziehen.     Indess    wird   die 


A.     Central- 
organ. 
Hüllen. 


^)   Centrum  s .  massa  &.  axis  encephalo-spinalls.    Cenire   cephalo-raclildlen.  Nervencentrum. 


Centralorgan.  35 

äussere  Form  des  Organs,  mit  der  wir  uns  zunächst  beschäftigen,  durch 
diese  Zerstörungen  nicht  alterirt.  Aus  einem  anderen  Grunde  aber  wird 
es  unvermeidlich,  schon  bei  Beschreibung  der  äusseren  Formverhältnisse 
des  Gehirns  auf  Einzelnheiten  in  der  Anordnung  der  Gefässhaut  einzu- 
gehen. Von  der  Oberfläche  gewisser  Hirntheile  erhebt  sich  nämlich  diese 
Membram  in  Form  von  Falten,  welche  stellenweise  mit  dichten,  gefäss- 
schlingenhaltigen  Zotten,  den  sogenannten  Plexus  choroidei,  besetzt  sind. 
In  diese  Falten  erstrecken  sich  bis  zu  einer  gewissen  Tiefe  und  meist  ohne 
scharfe  Begrenzung  zarte  Platten  der  weissen  Nervensubstanz,  deren  Lage 
nicht  ohne  Rücksicht  auf  die  Falten,  in  welchen  sie  verlaufen,  verständlich 
zu  machen  ist. 

Das  Centralorgan  kann  als  ein  unpaares  Organ  angesehen  werden,  Commissu- 
welches  durch  mehr  oder  minder  tiefe  Spalten  unvollkommen  in  zwei,  im  '^^°" 
Wesentlichen  symmetrische  Hälften  getheilt  wird,  oder  als  ein  paariges  Or- 
gan, dessen  Seitenhälften  durch  mediane  Brücken  verbunden  sind.  Von 
dem  letzteren  Gesichtspunkte  ausgehend,  nennt  man  die  eigentlich  unpaa- 
ren,  namentlich  die  mit  transversaler  Faserung  die  Medianebene  durch- 
setzenden Theile  Commissuren,  oder  man  schreibt  ihnen,  wenn  sie  andere 
Namen  tragen,  die  Bedeutung  von  Commissuren  zu  (Corpus  callosum,  Bruecke, 
Velum  medulläre  ant.).  Die  Bedeutung  aber  besteht,  wie  es  scheint,  darin, 
zum  Theil  die  gleichartigen  Gebilde  beider  Körperseiten  in  Verbindung  zu 
setzen,  zum  Theil  aber  auch  die  gleichnamigen  Fasern  beider  Körperhälften 
gegen  einander  auszutauschen  ^). 

Das  Centralorgan  zerfällt  zunächst  in  zwei  Abtheilungen,  Gehirn  und  Eintheilung. 
Rückenmark;  das  Gehirn  ist  ein  ungefähr  kugeliger,  das  Rückenmark  ein 
cylindrischer  Körper,  jenes  nimmt  die  Schädel  - ,  dies  die  Wirbelhöhle  ein. 
Seiner  Lage  wegen  zieht  man  zum  Gehirn  auch  ein  Gebilde,  welches  in 
seiner  Form  sich  eher  dem  Rückenmark  anschliesst,  das  verlängerte  Mark, 
MedulJa  öblongaia.  Es  verhält  sich  zum  Rückenmark  wie  eine  leichte  An- 
schwellung desselben,  zum  Gehirn  wie  der  Stiel,  der  die  kugelige  Masse 
trägt.  Da  in  der  That  die  Fasern  der  Medulla  oblongata  sich  gegen  das 
Gehirn  ausbreiten  und  das  Gehirn  die  Entfaltung  der  durch  das  verlän- 
gerte Mark  aufsteigenden  Stränge  zu  enthalten  scheint,  so  empfiehlt  es  sich, 
bei  der  Darstellung  des  Centralorgans  mit  dem  Rückenmark  zu  beginnen 
und  aufwärts  fortzuschreiten. 

Es  ist  nicht  leicht,  aber  glücklicher  Weise  auch  nicht  wichtig,  die 
Grenze  zwischen  den  Abtheilungen  des  Centralorgans  zu  bestimmen.  Das 
verlängerte  Mark  ist  gegen  das  Gehirn  nur  an  der  unteren  Fläche  durch 
den  hinteren  Rand  der  Brücke  scharf  abgesetzt;  an  der  oberen  und  den 
Seitenflächen  gehen  die  Stränge  des  verlängerten  Marks  ununterbrochen  in 
die  Stiele  des  Kleinhirns  und  den  Boden  der  vom  Kleinhirn  bedeckten 
Höhle   über.      Gleichermaassen   ist   auch   zwischen   verlängertem    Mark  und 


^)  Theoretisch  könnte  man  Commissuren  und  Kreuzungen  trennen,  wenn  man  die 
Commissuren  als  Verbindungen  durch  rein  transversale  Fasern  definiren  wollte.  In  praxi 
ist  es  oft  schwer  zu  entscheiden,  ob  man  transversale  oder  unter  sehr  spitzem  Winkel  ge- 
kreuzte Faserzüge  vor  sich  habe.  So  hat  man  der  weissen  Commissur  des  Rückenmarks 
diesen  Namen  gelassen,  obgleich  man  allgemein  zugiebt,  dass  in  derselben  eine  ähnliche 
Kreuzung,  wie  zwischen  den  Pyramiden,  stattfindet. 

3* 


36 


Rückenmark. 


Hücken- 

mark. 

Porm. 


Rückenmark  nur  an  der  unteren  Fläche  eine  bestimmte  Grenze  zu  bezeich- 
nen: es  ist  die  Stelle,  wo  die  vordere  Medianfissur  plötzlich  seicht  wird, 
weil  die  von  beiden  Seiten  einander  kreuzenden  Fasern  gegen  die  Ober- 
fläche vordringen  (Pyramidenkreuzung).  An  den  Seiten  mag  der  hintere 
Rand  der  Fibrae  arciformes  als  Grenzmarke  dienen,  an  der  hinteren  Fläche 
findet  sie  sich  etwas  unterhalb  der  Spitze  des  Sinus  rhomboideus,  alles  Bil- 
dungen ,  welche  erst  bei  der  Beschreibung  des  verlängerten  Marks  zur 
Sprache  kommen.  Die  Zunahme  in  der  Dicke  und  besonders  in  der  Breite, 
die  das  verlängerte  Mark  im  Vergleich  zum  Rückenmark  zeigt,  erfolgt 
ganz  allmälig. 

1.    Rückenmark.     Medixlla   spinalis^). 

Das  Rückenmark  ist  ein  cylindrischer,  im  sagittalen  Durchmesser  na- 
mentlich an  der  Vorderfläche  abgeplatteter,  gegen  das  untere  Ende  ver- 
jüngter und  in  einen  dünnen  Faden  auslaufender  Strang,  welcher  die  Wir- 
belhöhle nicht  ausfüllt.  Zwischen  der  gefässreichen  Membran,  von  der  es 
zunächst  umschlossen  ist,  und  der  äusseren  fibrösen  Hülle  desselben  befindet 
sich  ein  Zwischenraiim,  der  von  Serum,  der  sogenannten  Cerebrospinalflüs- 
sigkeit ,  eingenommen  und  von  den  Nervenwurzeln ,  Gefässen  und  feinen 
Bindegewebsfäden  durchzogen  wird  (Fig.  1). 

Fi  ff.  1. 


Querschnitt  des  Rückenmarks  in  der  Halsgegend.     E a,  Rp  vordere,  hintere  Wurzel. 


^)    Chorda  s.  funiculus  sjnnalis  s.   dorsalis.      Rückenstrang.     Mark. 


Rückenmark. 


37 


Im  oberen  Theil  der  Brust- 
wirbelsäule, wo  das  Rücken- 
mark am  dünnsten  ist,  hat 
es  im  transversalen  Durch- 
messer 1 0,  im  sagittalen  8  Mm. 

Zwei  langgestreckte  spin- 
delförmige Anschwellungen 
(Fig.  2),  welche  dem  Ur- 
sprünge der  Extremitäten- 
nerven entsprechen,  und,  wie 
vergleichend  anatomische  und 
pathologische  Erfahrungen 
darthun,  in  einem  bestimm- 
ten Verhältniss  zur  Masse 
der  Extremitäten  und  ihrer 
Nerven  stehen,  finden  sich 
die  Eine,  Intumescentia  Cer- 
vicalis,  oberhalb  jener  dünn- 
sten Stelle,  die  andere,  In- 
tumescentia lumharis,  unter- 
halb dei'selben.  In  beiden 
kommt  die  Volumzunahme 
vorzugsweise  auf  Rechnung 
des  transversalen  Durchmes- 
sers ,  der  am  breitesten  Thei- 
le  der  Cervicalanschwellung, 
der  Ursprungsstelle  des  fünf- 
ten Cervicalnerven ,  13  bis 
14  Mm.,  am  breitesten  Thei- 
le  der  Lumbaranschwellung 
12  Mm.  beträgt,  während 
der  sagittale  Durchmesser 
kaum  um  1  Mm.  wächst. 
Zwischen    der    Cervicalan- 

Zu  Fig.  2,. 

Rückenmark ,  hintere  Fläche.  Fg 
Funic.  gracilis.  Fe  Fun.  cuneatus. 
Sip  Sulc.  intermed.  post.  Fmp 
Fissura  mediana  post.  Slp  S"ulc. 
lat.  post.  Fp  Funic.  post.  Fl 
Fun.  lateralis.  Ct,  cf  Conus  und 
Filum  termin. 

Zu  Fig.  3. 

Rückenmai'k,  von  vorn ;  die  fibröse 
Haut  (dura  mater)  hinten  und  vorn 
in  der  Medianlinie  durchschnitten 
und  zurückgeschlagen.  Nc,  Nd,  Nl, 
Ns  N.  cervic. ,  dor?.,  lumh.,  sacr. 
Ld  Ligam.  denticulatum. 


38  Rückenmark. 

Schwellung  und  der  Medulla  oblongata  hat  das  Rückenmark  einen  trans- 
versalen Durchmesser  von  11  bis  12  Millimeter.  Die  Lumbaranschwellung 
geht  abwärts  direct  in  die  kegelförmige  Spitze  des  Rückenmarks,  den  Co- 
nus terminalis'^),  über,  welcher,  wo  er  sich  in  den  Endfaden,  das  Fi- 
lum  terminale,  fortsetzt,  auf  einen  Durchmesser  von  2  Millimeter  redu- 
cirt   ist. 

Am  Uebergang  des  Conus  in  das  Filum  terminale  beobachteten  mehrere  Ana- 
tomen (Huber,  Haller,  Frotscher,  Sömmerring  u.  A.)  zwei,  durch  eine 
seichte  Einschnürung  getrennte  Erhabenheiten,  auf  welche  ziTweilen  noch  zwei 
schwächere  folgen.  Die  Meisten  betrachten  diese  Bildung  als  Folge  einer  Zerrung 
des  erweichten  Rückenmarks,  doch  behauptet  Valentin  sie  auch  an  dem  frischen 
Organ  wahrgenommen  zu  haben.  (Vgl.  Arnold,  Bemerk,  über  den  Bau  des 
Hirns  und  Rückenmarks.  Zürich  1838.  S.  7.  Valentin,  Hirn-  und  Nerven- 
lehre.    S.  227.) 

Lage.  In  der  Länge  misst  das  Rückenmark  des   erwachsenen  Mannes    35  bis 

40°™.  Seine  obere  Grenze,  d.  h.  die  Austrittsstelle  des  ersten  Cervicalner- 
ven,  liegt  in  gleicher  Höhe  mit  dem  oberen  Rande  des  hinteren  Bogens 
des  Atlas,  etwas  veränderlich  je  nach  der  Stellung  des  Kopfes;  die  Spitze 
des  Conus  terminalis  erreicht  in  der  Regel  den  Körper  des  zweiten  Bauch- 
wirbels, variirt  aber  ebenfalls  einigermaassen  je  nach  den  Individuen  xmd 
der  (gestreckten  oder  gebeugten)  Haltung  der  Wirbelsäule.  Die  Cervical- 
anschwellung  endet  am  zweiten,  die  Lumbaranschwellung  beginnt  am  zehn- 
ten Brustwirbel. 

Die  Angabe ,  dass  das  Rückenmark  im  weiblichen  Körper  weiter  abwärts 
reiche,  als  im  männlichen,  hält  Arnold  selbst,  der  sie  mittheilt  (a.  a.  0.  S.  8), 
für  noch  nicht  hinreichend  statistisch  begründet.  Beim  Neugeborenen  ist  das  Rü- 
ckenmark verhältnissmässig  länger  als  beim  Erwachsenen.  Ueber  den  Fortschritt 
der  relativen  Verkürzung  während  des  Wachsthums  fehlt  es  an  genaueren  Nach- 
weisen. 

Das  Gewicht  des  Rückenmarks   beträgt   25  bis  30  Grm.,   es  verhält  sich 
zum    Gewichte  des  Gehirns  wie  1  :  48  (Arnold). 

Die  Abstände  zwischen  den  Ursprüngen  der  Nerven  vergrössern  sich  in 
der  Richtung  von  oben  nach  unten,  jedoch  in  geringerem  Maasse,  als  die 
Abstände  zwischen  den  Intervertebrallöchern,  von  denen  namentlich  die 
unteren  wegen  der  Höhe  der  Bauchwirbel  weit  auseinanderrücken.  Dies 
hat  zur  Folge,  dass  die  Nervenwurzeln  ,  je  weiter  abwärts  sie  entspringen, 
einen  um  so  längeren  und  um  so  steileren  Verlauf  innerhalb  der  Wirbel- 
höhle haben.  Vom  zweiten  Lumbarnerven  an  liegen  sie  fast  parallel  dem 
Terminalfaden  und  bilden  mit  demselben  ein  Büschel,  dem  man  den  Na- 
men Pferdeschweif,  Cauda  equina ,  ertheilt  hat  (Fig.  3  a.  v.  S.). 
isistenz.  In   dem   Stadium    der  Zersetzung,     in  welchem   man   das  Rückenmark 

bei  Sectionen  menschlicher  Leichen  anzutreffen  pflegt,  ist  es  weich  mit- 
unter bis  zum  Zerfliesslichen  und    quillt    über    die  Schnittfläche  hervor.     Im 


^)    Conus  medullaris.     Zapfen.  Mark-  oder  Endzapfen. 


Eückenmark. 


39 


frischen  Zustande  besitzt  es  eine  eigenthümliclie  Zähigkeit  und  Elasticität 
und  ist  fest  genug,  um  die  Ablösung  der  Gefässhaut  ohne  merklichen  Sub- 
stanzverlust zu  ertragen,  wobei  freilich,  wie  erwähnt,  von  einer  reinlichen 
Trennung  der  Elementartheile  beider  Gebilde  nicht  die  Rede  ist.  Nebst 
feinen  Gefässen,  Fäden  und  Lamellen  von  Bindegewebe  werden  schon  bei 
geringer  Gewalt  die  Nervenwurzeln  mit  der  Gefässhaut  eine  Strecke  weit 
aus  dem  Rückenmark  hervorgezogen  und  abgerissen ;  die  Oberfläche  dessel- 
ben erhält  dadurch  ein  etwas  rauhes,  feinlöcheriges  oder  feinfaseriges  An- 
sehen. Zwei  mediane  Spalten ,  eine  vordere  und  eine  hintere ,  Fissura  Furchen. 
tflecUana  anterior  und  JF.  fit.  posterior  ^),  theilen  das  Rückenmark  bis  auf 
eine  verhältnissmässig  schmale  Brücke  oder  Commissur  in  zwei  symmetri- 
sche Seitenhälften.  Beide  Fissuren  werden  bis  axii  den  Grund  von  Fort- 
sätzen der  Gefässhaut  ausgefüllt.  Die  vordere  Fissur  ist  seichter,  als  die 
hintere  (jene  2,5,  diese  3  bis  3,5  Mm.  tief),  aber  breiter;  demgemäss  ist  das 
in  die  vordere  Fissur  eindringende  Septum  mächtiger  als  das  hintere;  jenes 
lässt  sich  als  eijie  selbständige  Bindegewebsplatte  hervorziehen,  während 
das  Septum  der  hinteren  Fissur,  von  0,05  Mm.  Mächtigkeit,  nur  auf  Quer- 
schnitten mit  Hülfe  des  Mikroskops  im  Zusammenhange  dargestellt  werden 
kann.  Die  vordere  Fissur  erweitert  sich  in  ihrem  Grunde  dadurch,  dass 
die  Wände  der  Seitenhälfte  des  Rückenmarks,  welche  sie    einschliessen,   mit 

abgerundeten  Rändern  sich  an  die  Vorderfläche 
der  Commissur  anlegen  (Fig.  4) ;  die  hintere  Fissur 
nimmt  auch  zuweilen  in  einiger  Entfernimg  vom 
Eingang  an  Breite  zu,  ist  aber  bis  zur  Commissur 
von  ebenen,  parallelen  Wänden  begrenzt.  Im 
Grunde  der  vorderen  Fissur  finden  sich  Löcher 
für  den  Eintritt  der  Gefässe  in  das  Rückenmark 
in  zwei  parallelen  Reihen  2) ;  der  Grund  der  hin- 
teren Fissur  zeigt  nur  eine  einfache  Reihe  feine- 
rer Gefässlücken. 

Jede  Seitenhälfte  des  Rückenmarks  gleicht 
einem  der  Länge  nach  halbirten  Cylinder  mit  einer 
äusseren  convexen  und  einer  medialen  planen 
Fläche;  beide  Flächen  stossen  vorn  in  einem  ab- 
gerundeten, hinten  in  einem  scharfen  Rande  zu- 
Die    mediale    Fläche    ist    unterbrochen    durch    die   Insertion    der 


Querschnitt  des  Dorsaltheils 
des  Rückenmarks. 


^)  Fissura  longitudinalis  ant.  und  post.  aut.  Die  hintere,  schmalere  und  deshalb  min- 
der auftällige  Spalte  wird  von  den  älteren  Autoren  als  Furche  {Sulcus,  Scissura)  bezeichnet. 
M.  J.  Weber  theilt  sie  der  Länge  nach  in  zwei  Fissuren,  eine  obere  und  eine  untere,  die 
deutlicheren  medianen  Spalten  der  Cervical-  und  Lumbaranschwellung ,  und  eine  beide  Fis- 
suren verbindende  Furche.  Der  alte  Streit  über  die  Existenz  der  hinteren  Fissur  ist  ein 
Streit  um  Worte.  Wenn  die  Substanz  des  Rückenmarks,  wie  dies  jetzt  allgemein  zuge- 
standen wird,  scharf  getheilt  ist,  so  befindet  sich  zwischen  beiden  Hälften  eine  Spalte, 
gleichviel  ob  die  Spalte  enger  oder  weiter,  ob  der  Eingang  durch  Abrundung  seiner  Ränder 
furchenartig  vertieft  ist  oder  nicht. 

2)  Die  mediane  sogenannte  Raphe ,  welche  Foville  (Traite  complet  de  l'anatomie  etc. 
du  Systeme  nerveux  cerebrospinal.  Paris  1844,  p.  133)  zwischen  diesen  Reihen  von  Lö- 
chern längs  der  Commissur  wahrnahm ,  entspricht  der  Anheftung  des  Septum. 


40 


Rückenmark. 


Commissur,  die  äussere  Fläche  durch,  die  Anheftung  des  Lig.  denticulatum 
(Fig.  3.  6)  und  die  Austrittsstellen  der  Nervenwurzeln.  Das  Lig.  denticu- 
latum ist  ein  frontaler,  zarter  Sehnenstreifen,  welcher  einerseits  mit  einer 
Reihe  spitzer  Zacken,  alternirend  mit  den  Durchtrittsstellen  der  Nerven, 
an  der  inneren  Fläche  der  dura  mater,  andererseits  an  der  Gefässhaut  des 
Rückenmarks  in  der  ganzen  Länge  desselben  ungefähr  gleich  weit  von  der 
vorderen  und  hinteren  Fissur  angeheftet  ist.  Es  löst  sich  mit  der  Ge- 
fässhaut  vom  Rückenmark  ab,  ohne  an  dei-  Oberfläche  des  letzteren  eine 
Spur  zu  hinterlassen.  Die  Nervenwurzeln  treten  aus  dem  Rückenmark  in 
zwei  fast  ununterbrochenen  Längsreihen  hervor,  einer  vorderen  und  einer 
hinteren,  beide  in  ziemlich  gleicher  Entfernung  von  der  entsprechen- 
den Fissur  und  näher  dieser  Fissur  als  der  Anheftung  des  Lig.  denti- 
culatum. Der  Abstand  der  hinteren  Wurzeln  von  der  hinteren  Fissur 
beträgt  am  Cervicaltheil  des  Rückenmarks  3,5 ,  am  Dorsaltheil  2,5, 
an  der  Lumbaranschwellung  3  Millimeter  und  nähert  sich  am  Conus 
allmälig  der  Mittellinie.  Der  Abstand  zwischen  den  vorderen  Wurzeln 
und  der  vorderen  Commissur  lässt  sich  nicht  so  genau  bestimmen. 
Denn  während  die  hinteren  Wurzeln  mit  einer  geringen  Zahl  stärkerer, 
cylindrischer  Bündel  in  Einer  Reihe  aus  dem  Rückenmark  hervortreten 
(Fig.  5  A),  setzen  die  vorderen  Wurzeln  sich  aus  zahlreichen  feinen, 
mehr  platten  Bündeln  zusammen,  deren  Austrittsstellen  über  einen  etwa 
2  Millimeter     breiten     Streifen    zerstreut    sind    (Fig.  5  B).     Doch   rücken 

Fig.  5. 


Sla 


Rückenmark  mit  den  Nervenwurzeln.   A  vordere,  B  hintere  Fläche;  je  eine  Nervenwur- 
zel ausgerissen.      Fmj),    Fma   Fissura    mediana  post.  und    ant.      Ra,    Rp  vordere  und 

hintere  Nervenwurzel. 


auch  die  Ursprünge  der  vorderen  Wurzeln  am  Dorsaltheil  gegen  die  Mittel- 
linie heran  und  am  unteren  Theil  der   Lumbaranschwellung  nähern  sie  sich 


Rückenmark. 


41 


einander  von  beiden  Seiten  bis  auf  1,5  Mm.,  so  dass  die  A.  spinalis  ant.  bin- 
reicbt,  den  zwischen  denselben  befindlichen  Theil  der  Yorderfläcbe  des  Rü- 
ckenmarks zu  verdecken. 

Entfernt  man  die  Gefässhaut,  so  ziehen  sich,  wenn  man  es  nicht  durch 
besondere  Vorsicht  verhütet,  die  Nervenwurzeln  mit  heraus  und  hinterlassen 
Reihen  von  Löchern  und  Spältchen,  welche  als  vordere  und  hintere  Seiten- 
furche, Sulcits  lateralis  Clnt.  und  S>  l,  posf.  beschrieben  werden.  Im  Grunde 
verdienen  sie  diesen  Namen  nur  im  Bereich  der  hinteren  Wurzeln  des  Cer- 
vical-  und  allenfalls  des  Lumbartheils,  denn  nur  hier  ist  die  Oberfläche  des 
Rückenmarks  gegen  die  Nervenursprünge  vertieft  und  zwischen  denselben 
seicht  gefurcht.  Am  Dorsaltheil  (Fig.  6)  ist  sie  in  den  ansehnlichen  Zwi- 
schenräumen, welche  die  Wurzeln  je  Eines  Stammes  und  der  einzelnen  Stämm.e 
von  einander  trennen,  durch  nichts  ausgezeichnet  und  so  sind  die  Austritts- 
stellen dieser  hinteren,  sowie  der  ganzen  Reihe  der  vorderen  Wurzeln  nach 

Entfernung  der  Wurzeln  nur  so  weit 


Fig.  6. 


Dorsaltheil  des  Rückenmarks,  hintere 
Fläche,  die  fibröse  Haut  durch  einen 
medianen  Schnitt  geöffnet  und  zurück- 
geschlagen. Nd  N.  dorsalis.  Ld  Lig. 
denticulat. 


kenntlich,  als  an  deren  Statt  Lücken 
zurückbleiben. 

Zu  diesen  das  Rückenmark  in  sei- 
ner ganzen  Länge  durchziehenden 
Spalten  und  Furchen  kommt  in  der 
oberen  Hälfte  desselben  noch  eine 
feine  Längsfurche,  Siticus  interme- 
dhis  2^ost.  Bellingeri  1)  ,  zur  Seite 
der  hinteren  Medianfissur  etwa  1  Mm. 
von  derselben  entfernt  und  demnach 
in  etwas  geringerer  Entferniing  von 
ihr  als  von  der  hinteren  Seitenfurche 
(Fig.  2.  5  A). 

Die  Reihen  der  Nervenwurzeln  und 
die  entsprechenden  Furchen  theilen 
die  Oberfläche  jeder  Rückenmarks- 
hälfte in  drei  Streifen  ab,  die  man 
als  äussere  Flächen  eben  so  vieler 
Stränge,  eines  Ifunictdus  anterior  ^), 
F.  posterior  ")  und  JT.  lateralis  *), 
ansieht,  obgleich  das  Rückenmark  von 
diesen  Furchen  aus  nui'  künstlich  und 
kaum  leichter  als  von  jeder  anderen 
Stelle  der  Oberfläche  sich  der  Länge 
nach  spalten  lässt.  Der  hintere  Strang 
zerfällt  diirch  den  Sulcus  intermedius 
post.   in   den    zur   Seite    der   Median- 


1)  Flssura  lateralis  Meckel.  Sulcus  late- 
ralis postremus  Krauste.  ^)  Funiculus  (Fa- 
sciculus  s.  Columna)  cerebralis  Bellingeri, 
De  Medulla  spinali.  Augusta  Tauriu.  1823. 
•'')  Fasciculus  cerebeUosus  Burda  eh.  ^)  Fu- 
niculus medius.      Fasciculus  restiformis  B. 


42 


Rückenmark. 


Commissii- 
ren. 


Graue  Com- 
missur. 
Can.  centra- 
lis. 


furche  gelegenen  zarten  Strang,  Funiculus  gracüis  Burdach  i)  und  in 
den  Keilstrang,  Funiculus  Cuneaius  B.  (Fig.  2.  Fig.  5  Ä).  Die  sämmt- 
liclaen  Stränge  sind  indess  weder  morphologiscli  nocli  physiologisch  selbstän- 
dige Bildungen;  man  benutzt  die  Trennung,  xim  sich  in  topographischer 
Beziehung  über  Regionen  des  Rückenmarks  zu  verständigen.  Feine  Längs- 
spalten, zuweilen  mehrere  neben  einander,  kommen  auch  im  Gebiete  der 
y orderstränge  vor ,  aber  sie  sind  zii  iinbeständig ,  um  zur  Eintheilung  die- 
ser Stränge  zu  dienen  ^). 

Der  mediane  unpaare  Theil  des  Rückenmarks,  die  Commissur  im  wei- 
teren Sinne  des  Wortes,  besteht  aus  zwei  Schichten,  einer  weissen,  Com- 
missura  alba  ^)  xmd  einer  grauen,  Commissur a  grisea  4).  Die  weisse  Com- 
missur liegt  vor  der  grauen,  jene  bildet  den  Grund  der  vorderen,  diese  den 
Grund  der  hinteren  Medianfissur.  Beide  zusammen  haben  eine  Mächtigkeit 
von  0,8  bis  1  Mm.,  wovon  an  der  Cervical-  und  Lumbaranschwellung  die 
grössere  Hälfte  auf  die  vordere  Commissur  kommt,  während  in  den  übrigen 
Regionen  des  Rückenmarks  die  hintere  Commissur  fast  doppelt  so  mächtig 
ist  als  die  vordere  (Fig.  7). 

Die  graue   Commissur   wird  in  der  Regel  in  ihrer    ganzen   Länge  von 

einem  Canal,  Candlis  Cen- 
tralis ■^),  durchzogen,  der  sich 
aufwärts  in  die  untere  Spitze 
des  vierten  Ventrikels ,  am 
unteren  Ende  des  Conus  ter- 
minalis  in  die  hintere  Fissur 
öffnet  (Stil ling)  und  im  Le- 
ben wahrscheinlich  von  der- 
selben Flüssigkeit  erfüllt  ist, 
welche  das  Gehirn  und  Rü- 
ckenmark umspült.  Er  liegt 
in  der  Mitte  der  Median- 
ebene und  vor  der  Mitte  des 
sagittalen  Diirchmessers  der 
grauen  Commissur,  demnach 
der  vorderen  Fläche  des  Rü- 
ckenmarks ungefähr  so  viel 
näher,  als  die  vordere  Median- 


FiR-.  7. 


nä  ^ 


'i^^Ji- 


-Ca. 


~Cg 


Mittlerer  Theil    des  Querschnitts   des    Cervicalmarks,  i)  Hintere    Pyramide  Rol  an do 

durch  verdünnte  Kalilösuug    aufgehellt,  bei  durchfal-     (Ricerche    anatomiche    sulla     strut- 
lendem  Licht.     Fa,  Fp  Funiculus  ant.  und  post.  gc     tura    del    midoUo    spinale.      Torino 
Substantia  gelatinosa  centr.    gc,    grc  Subst.     grisea     1824).        Columna     post.     mediana 
centralis  und  corticalis.    *   Gefässdurchschnitt.  Cruv.      GolPscher  Keilstrano- K  ö  1- 

liker.  ^)  Chaussier  und  Burda  ch  unterscheiden  einen  dem  Funiculus  gracilis  entsprechen- 
den Strang  zur  Seite  der  vorderen  Medianfurche  und  einen  Sulcus  intermedms  ant.  Cruveil- 
h-ier  dagegen  zieht  den  Seitenstrang  mit  dem  vorderen  zu  einem  antero-lateralen  Strang 
zusammen.  Nach  Foyille  (p.  285)  ist  bei  Neugeborenen  von  dem  Seitenstrang  durch  eine 
Lage  durchsichtiger  grauer  Substanz  ein  feiner  Strang  geschieden,  der  sich  durch  die  ganze 
Länge  des  Rückenmarks  erstrecken,  auf  das  verlängerte  Mark  und  weiter  in  das  Kleinhirn 
übergehen  soll.  ^)  Commissura  anterior.  *)  Commissura  jyosterior.  Nucleus  cinereus.  Cen- 
trum cinereuni.     Mittlerer  grauer  Strang.     •'')    Can.   spinalis. 


Rückenmark.  43 

fissur  seichter  ist  als  die  hintere.  Seine  Wand  bildet  ein  flimmerndes  Cylin- 
derepitheliiim ,  dessen  0,015  Mm.  hohe  Zellen  zu  etwa  100  in  der  Peri- 
pherie des  Canals  Platz  finden.  Sein  Lumen  ist  im  Querschnitt  kreisförmig 
oder  elliptisch  mit  transversal  oder  (häufiger)  sagittal  gerichteter  längster 
Axe.  Die  Weite  des  Canals  wechselt  nach  den  verschiedenen  Regionen 
und  entspricht  im  Allgemeinen  der  Stärke  des  Rückenmarks ;  sie  ist  am  ge- 
ringsten im  üorsaltheil  (nach  Stilling  0,045  Mm.  im  sagittalen,  0,1  Mm. 
im  transversalen  Durchmesser) ;  in  der  Cervical-  und  Lumbaranschwellung 
kann  sie  das  Doppelte  erreichen  und  es  kann  der  Canal  auf  Querschnitten 
dem  unbewaffneten  Auge  als  feines  Pünktchen  erscheinen  (Fig.  4).  Doch 
findet  man  ihn  auch  zuweilen,  vielleicht  in  Folge  einer  Quellung  des  Rücken- 
marks auf  eine  enge,  einfache  oder  ästige  Spalte  reducirt.  Beim  Menschen 
wird  er  häufig  vermisst  und  seine  Stelle  durch  einen  Strang  kugeliger  Kör- 
perchen eingenommen. 


Genauere  Maassangaben  macht  Stilling  (Neuere  üntersucliungen  über  den 
Bau  des  Eückenmarks.  S.6).  Nach  v.  Lenhossek  (Neuere  Untersuchungen  über 
den  Bau  des  centralen  Nervensystems.  Wien  1855,  S.  16)  wird  im  Alter  das  un- 
tere Drittel  des  Centralcanals  geräumiger.  Demselben  Beobachter  zufolge  ist  der 
Horizontalschnitt  des  Canals  im  Conus  terminalis  bis  zur  LumbarauscliAvellung 
eine  sagittale  Spalte,  wird  dann  rautenförmig,  oberhalb  der  Lumbaranschwellung 
eine  Querspalte,  in  der  Mitte  der  Dorsalgegend  ein  Kreis,  in  der  Cervicalanschwel- 
lung  ein  Di-eieck  mit  vorderer  Basis  und  hinterer  Spitze  und  zunächst  der  oberen 
Mündung  wieder  eine  sagittale  Spalte  wie  am  unteren  Ende  des  Bückenmarks. 

Dass  der  Centralcanal ,  den  man  früher  für  eine  dem  Fötus  eigenthümliche 
Bildung  hielt  und  beim  Erwachsenen  höchstens  im  Cervicaltheil  fortbestehen  liess, 
bei  allen  Wirbelthieren  in  jedem  Alter  und  in  jedem  Theile  des  Bückenmarks  re- 
gelmässig vorhanden  sei,  darüber  lassen  die  verbesserten  Untersuchungsmethoden 
der  neueren  Zeit,  nainentlich  die  mikroskopische  Betrachtung  feiner  Querschnitte 
des  gehärteten  Organs,  keinen  Zweifel.  Ob  aber  diese  Eegel  nicht  mehr  oder  min- 
der häufige  Ausnahmen  erleide,  darüber  haben  sich  die  Meinungen  noch  nicht 
geeinigt.  Für  die  absolute  Beständigkeit  des  Canals  erklären  sich  Bidder  (a.a.O. 
S.  41),  Owsjannikow  (Disquit.  microscop.  de  medullae  spin.  textura.  Dorpat 
1854,  p.  33),  E.  Wagner  (Neurolog.  Unters.  Göttingen  1854,  S.  166),  Schrö- 
der V.  d.  Kolk  (anatomisch-physiolog.  onderzoek  over  het  fljnere  zameustel  en 
de  werking  van  het  ruggemerg.  Amst.  1854,  p.  51)  und  Stilling  (a.a.O.  S.  14); 
sie  vermiuthen,  wo  er  nicht  gefunden  wurde,  einen  Fehler  der  Präparations-  oder 
Härtungsweise.  Nach  Foville  (p.  268)  ist  er  bei  Kindern  beständig  und  leicht 
zu  demonstriren ,  schwerer  bei  Erwachsenen.  Dagegen  hält  Kölliker  an  der 
Behauptung  fest ,  dass  der  Centralcanal  nicht  selten,  am  häufigsten  im  Cervical- 
theil, obliterire,  in  welchem  Falle  seine  Stehe  durch  einen  Strang  von  theilweise 
mehrkernigen  Zellen  eingei:iommen  werde.  Frommann  (Unters,  über  die  nor- 
male und  pathol.  Anat.  des  Bückenmarks.  Jena  1864,  S.  62)  fand  unter  25  Bücken- 
marken nur  drei  mit  offenem  Centralcanal,  in  allen  übrigen  zeigte  sich  statt 
desselben  ein  gefässhaltiger  Haufen  kernreicher  Zellen.  Auch  Clarke  (Phil, 
transact.  1859.  P.  I,  p.  455)  sah  den  Canal  öfters  von  Keimen,  die  er  für  Trüm- 
mer des  Epithelium  desselben  hält ,  ausgefüllt ,  aber  mitten  in  diesen  unregelmäs- 
sigen Kernhaufen  den  Querschnitt  eines  einfachen,  zuweilen  auch  eines  doppelten, 
von  regelmässigen  Cylinderzellen  begrenzten  Lumens.  In  anderer  Weise  war  der 
Canal  in  einem  von  G oll  (Denkschriften  der  medicin.-chirurg.  Gesellschaft  des  Can- 
tons  Zürich  1860,  S.  141)  beobachteten  gesunden  menschlichen  Bückenmark  zwi- 
schen dem  dritten  und  fünften  Ceiwicalnerven  durch  ein  feinkörniges,  gefässhalti- 
ges  Bindegewebe  obliterirt.  Es  kann  nicht  schwer  sein,  solche  Fälle,  wo  der  Ca- 
nal während  des  Lebens  unterbrochen   war,    von  denen   zu   unterscheiden,    wo   er 


44 


Rückenmark. 


Substantia 
gclat.  contr. 


sich  nach  dem  Tode  mit  Gerinnseln,  Epithelium  -  Fragmenten,    Blutkörpern  u.  dgl. 
gefüllt  hatte. 

Ob  die  "Verdoppelung  des  Centralcanals,  welche  Schüppel  (Archiv  füi-  Heil- 
kunde 1864,  S.  569)  an  dem  Halstheil  eines  menschlichen  Eückenmarks  in  der 
Länge  von  etwa  15  Mm.  wahrnahm,  diesen  Namen  Avirklich  verdient  oder  auf 
die  von  Clarke  beschriebene  Canalbildung  in  der  Ausfüllungsmasse  des  ursprüng- 
lich einfachen  Canals  zurückzuführen  sei,  wird  sich  kaum  mehr  entscheiden  lassen. 

Dem  Centralcanal  zunächst  hat  die  graue  Commissur  in  einer  Mächtig- 
keit,  die  dem  Durchmesser  des  Centralcanals  ungefähr  gleichkommt,  den 
Charakter  der  gelatinösen  Substanz :  an  feinen  Querschnitten  des  Rücken- 
marks zeigt  sich  der  Centralcanal  von  einem  verhältnissmässig  schmalen, 
durchsichtigen  Ring  umgeben,  der  sich  vorn  und  hinten  schärfer  als  nach 
beiden  Seiten  gegen  den  übrigen  Theil  der  Commissur  absetzt.  Die  durch- 
sichtige Schichte  ist  die    Suhstantia  f/elatinosa  Centralis  Stilling  i).     Ihre 

Fig.  8. 


Ca 


Umgebung  des  Centralcanals  im   Querschnitt,  durch    Kalilösung    aufgehellt.     Fp    Funic. 
post.      Ca,    Cg  Commissura  alba  und  grisea.      Cc  Can.  centralis  **Gefässdurchschnitte. 


1)  Ringcommissur  Stilling  (St.  und  Wallach,  Untersuchung  über  die  Textur  des 
Rückenmarks.  Leipzig.  1842,  S.  23).  Was  Kölliker  in  seiner  mikroskop.  Anat.  (Abth.  I., 
S.  411)  als  grauen  Kern,  Substantia  grisea  centralis,  und  Virchow  (Archiv  VI,  137)  als 
centralen  Ependymfaden  bezeichnen,  ist  die  Substantia  gelatinosa  centralis  mit  dem  oblite- 
rirten  oder  collabirten  Centralcanal,  den  Beide  damals  noch  dem  Erwachsenen  absprachen. 


Rückenmark. 


45 


Durchsiclitigkeit,  rührt,  wie  die  Behandlung  mit  Kalilauge  lehrt,  davon  her, 
dass  sie  fast  frei  ist  von  den  feinen  Nervenfasern,  welche  weiterhin  in  mehr 

Fiff.  9. 


Hintere  Wand  des  Centralcanals  und    Umgebung   im    Querschnitt,   vom    Kaninchen. 
Cg    Commiss.   grisea.      7'p   Funiculus    post. 


oder  minder  dichten  Massen  die  graue  Siibstanz  durchziehen.  In  den  in- 
nersten Regionen  der  centralen  gelatinösen  Substanz  sieht  man  nur  verein- 
zelte longitiidinale  Fasern,  die  auf  dem  Querschnitt  in  Form  zerstreuter 
Pünktchen  erscheinen  (Fig.  8) ;  weiter  nach  aussen  treten  vor  und  hinter 
dem  Centralcanal  transversale  Fasern  erst  vereinzelt,  dann  bündelweise  auf, 
indess  zwischen  denselben  zu  den  Seiten  des  Centralcanals  longitudi- 
nale  und  schräg  aufsteigende  Fasern  sich  häufen.  Ausser  den  spärli- 
chen Fasern  sah  ich  in  der  feinkörnigen  Substantia  gelatinosa  centralis 
beim  Menschen  nur  Körner  in  geringer  Zahl;  bei  den  Säugethieren  ist  sie 
von  ringförmigen  Bindegewebsfasern  durchzogen ,  welche  von  den  in  den 
Fissuren  des  Rückenmarks  enthaltenen  Septa  einstrahlen;  hier  kommen  auch 
multipolare  Bindegewebszellen  und  fadenförmige  Fortsätze  der  spitzen 
Enden  der  Epithelzellen  des  Centralcanals  vor,  welche  in  Ausläufer  multi- 
polarer Bindegewebszellen  oder  in  Bindegewebsfasern  überzugehen  schei- 
nen (Fig.  9). 

Owsjannikow  (a.  a.  0.  p.  35)  fand  in  der  Substantia  gelatinosa  centralis 
des  Menschen  weder  Zellen  noch  Tasern.  Lenhossek  (a.  a.  0.  S.  19)  sah  Zellen 
ähnliche,  jedoch  kernlose  Körper  auf  die  Substantia  gelatinosa  centralis  des  Conus 
meduUaris  beschränkt.  Andere  Beobachter  schreiben  dieser  Substanz  in  allen 
Theilen  des  Rückenmarks  Zellen  und  Pasern  zu,  weichen  aber  in  der  Schilderung, 
wie  in  der  Deiitung  derselben  vielfach  von  einander  ab.  Die  Zellen  betreffend, 
so    sind   Stilling    (Neue    Unters.    S.  35),    Kölliker   und   Frommann    (a.  a.  0. 


46  Rückenmark. 

S.  61)  darüber  einig,  dass  sie  von  manclifaltigei- Gestalt  und  mit  mehreren  Aveiterhin 
getheilten  Ausläufern  versehen  seien;  ihren  Durchmesser  aber  giebt  Stilling  zu 
0,007  bis  0,011,  Kölliker  zu  0,013  bis  0,018  Mm.  an,  ihren  Kern  fand  Stilling 
fast  immer  einfach,  Kölliker  und  Trommann  fanden  häufig  (in  einem  Drittel 
der  Zellen)  mehrfache  Kerne,  Kölliker  meistens  zwei,  aber  auch  drei  bis  vier 
und  in  seltenen  Fällen  selbst  fünf  und  sechs.  Stilling  sah  die  Zellen  meist  ver- 
einzelt, in  manchen  Eegionen  des  Rückenmarks  aber  auch  dicht  gehäuft,  bald  zu 
den  Seiten  des  Centralcanals,  bald  vor  und  hinter  demselben.  Frommann  scheint 
sie  öfters  vermisst  zu  haben ;  vro  sie  vorkamen ,  Vikaren  sie  um  den  Centralcanal 
am  dichtesten  gestellt,  erstreckten  sich  aber,  wie  auch  Stilling  angiebt,  in  mehr 
zerstreuter  Anordnung  in  die  graue  Commissur  und  in  die  Seitentheile  der  grauen 
Substanz.  Am  meisten  stimmt  mit  meinen  Wahrnehmungen  die  Beschreibung 
Clarke's  (Phil,  transact.  1859.  P.  I,  p.  455),  der  zufolge  kleine  runde  und  eckige, 
körnige  oder  mit  einem  glänzenden  Kernkörperchen  versehene  Kerne  in  die  Um- 
gebung des  Centralcanals  eingestreut  sind;  doch  sollen  auch  von  diesen  Kernen 
Fäden  ausgehen,  welche  mit  den  Fasern  der  gelatinösen  Substanz  in  Verbindung 
treten. 

Unter  diesen  Fasern  unterscheidet  Stilling,  abgesehen  von  spärlichen,  ent- 
schiedenen, dunkelrandigen  Nervenfasern,  zwei  Arten,  beide  in  der  Ebene  des 
Querschnitts  verlaufend,  beide  von  besonderer  Feinheit  und  beide  im  Zusammen- 
hano-  mit  Fortsätzen  der  Epithelialcylinder  des  Centralcanals  und  mit  den  Fasern 
der  bindeo-ewebigen  Septa ,  sowie  mit  den  Ausläufern  der  eigenen  Zellen  der  gela- 
tinösen Substanz.  Die  Einen  umkreisen  bogenförmig  das  Epithelium  des  Central- 
canals, die  anderen  durchsetzen  die  centrale,  gelatinöse  Substanz  in  radiärem  Ver- 
lauf, indem  sie  zum  Theil  ununterbrochen  von  den  spitzen  Enden  der  Epithelial- 
cylinder ,  deren  Fortsetzungen  sie  sind,  zu  den  Bindegewebsfasern  des  vorderen 
und  hinteren  medianen  Septum  sich  erstrecken.  Fasern  von  beiderlei  Eichtungen, 
wenngleich  minder  regelmässig  gekreuzt,  beschreiben  Clarke  und  F rommann, 
doch  konnte  der  Letztere  den  Uebergang  der  Epithelialcylinder  in  Fasern  nur  bei 
Säugethieren,  nicht  beim  Menschen,  bestätigen.  Anders  verhalten  sich  in  Ver- 
lauf und  Charakter  die  Fasern  der  Substantia  gelatinosa  centralis  nach  den  Be- 
schreibungen von  Lenhossek  und  Groll.  Darnach  hätten  sie  eine  \mter  sich 
und  im  Wesentlichen  der  Axe  des  Rückenmarks  parallele  Richtung  und  eine 
ansehnliche  Stärke.  Lenhossek  findet  sie  stärker  als  die  Primitivfasern  der 
weissen  Substanz;  Goll,  der  ihnen  den  Namen  Ependymfaser n  beilegt,  be- 
stimmt ihren  Durchmesser  zu  0,003  bis  0,0062  Mm.,  er  nennt  sie  längsstreifig 
und  granulirt  und  meint,  dass  sie  sich  gegenseitig  verflechten  und  ein  lang-  und 
engmaschiges  Netz  darstellen. 

Wie  über  den  Bau ,  so  gehen  auch  über  die  Bedeutung  der  fraglichen  Ele- 
mente die  Ansichten  aus  einander;  doch  ist  Stilling  der  Einzige,  der  die  Zellen, 
Goll  der  Einzige,  der  die  Fasern  für  nervöse  Bildungen  erklärt.  Stilling  hält 
es  nicht  für  unstatthaft,  anzvinehmen,  dass  die  feinsten  Elemente  der  Gefässhaut 
und  der  Nervenfasern  und  Nervenzellen  ein  Netzwerk  von  Röhren  bilden,  die  mit 
einander  Anastomosen  eingehen,  und  weist  die  Vermuthung,  dass  die  Epithelzellen 
des  Centralcanals  Nervenzellen  seien,  nicht  zui'ück.  Die  anderen  Beobachter, 
welche  den  Zusammenhang  der  Zellen  und  Pasern  der  gelatinösen  Substanz  mit 
Epithelzellen  und  Bindegewebsfasern  für  erwiesen  halten,  finden  gerade  darin  eine 
Nöthigung,  jene  Elemente  der  gelatinösen  Substanz  für  bindegewebig  zu  er- 
klären. 


Der  übrige ,  die  centrale  gelatinöse  Substanz  iimscbliessende  Theil  der 
grauen  Commissur  besteht  wesentlich  aus  feinen  Nervenfasern ,  welche  vor 
und  hinter  dem  Centralcanal  vorzugsweise  transversal,  vielleicht  unter  sehr 
spitzen  "Winkeln  gekreuzt,  zu  den  Seiten  desselben  vertical  und  schräg  auf- 
steigend verlaufen  (Fig.  8}.     Die  Hauptmasse  der  transversalen  Fasern  liegt 


Rückenmark.  47 

hinter  dem  Ceutralcanal  j  vor  ihm  zieht  meist  ein  mir  dünnes  Faserbündel  ^) 
vorüber ,  welches  sich  mehr  oder  minder  dicht  an  die  dunkelrandigen  Fa- 
sern der  vorderen  Commissur  anlegt.  In  einzelnen  Regionen  des  Rücken- 
marks, namentlich  in  der  Cervical-  und  Lumbaranschwelhing  sind  die  hinter 
dem  Centralcanal  gelegenen  Bündel  feiner  Fasern  mit  stärkeren  gemischt, 
wodurch  die  graue  Commissur  im  Ganzen  oder  streifenweise  eine  weisse 
Farbe  erhält  und  der  vorderen  ähnlicher  wird.  Die  Bindegewebsbündel, 
welche  sie  durchsetzen,  und  die  Körperchen,  welche  sich  von  der  centralen 
gelatinösen  Substanz  aus  in  die  Commissur  verbreiten,  wurden  bereits  er- 
wähnt. 

Der  sagittale  Durchmesser  der  grauen  Commissur  ist  am  grössten 
(0,4  Mm.)  im  oberen  Theil  des  Conus  meduUaris,  am  geringsten  (0,03  Mm.) 
im  Dorsaltheil;  in  der  Cervical-  und  Lumbaranschwellung  beträgt  er  0,13 
Millimeter  (Stilling). 

Im  E-ückenn:iark  des  Kalbes  ist  die  graue  Commissur  zwischen  dem  vierten 
bis  dreizehnten  Dorsalnervenpaar  an  ihrer  hinteren  Fläche  von  einer  dünnen  Lage 
gelatinöser  Substanz  bekleidet ,  die  die  gelatinösen  Schichten  der  hinteren  grauen 
Säulen  beider  Seitenhälften  mit  einander  verbindet.  Dem  Menschen  fehlt  diese 
gelatinöse  Commissur  (Stilling). 

Die  weisse  Commissur  ist  aus  dunkelrandigen  Nervenfasern  zusammen-  Weisse 
gesetzt  und  erscheint  an  feinen  Querschnitten  bei  durchfallendem  Lichte  '-'°™"'issur. 
nur  deshalb  durchsichtiger  als  die  weisse  Substanz  der  Seitentheile ,  weil 
die  Nervenfaserbündel,  aus  welchen  beide  bestehen,  dort  parallel  ihrer  Axe, 
hier  senkrecht  aiif  dieselbe  durchschnitten  sind.  Ihre  Mächtigkeit  ist  ver- 
schieden und  überall  der  Mächtigkeit  der  Nervenwurzeln  proportional ;  sie 
maass  bei  einem  fünfjährigen  Kinde  im  Dorsaltheil  0,20,  im  Cervicaltheil 
0,20  bis  0,27  Mm.  und  war  am  stärksten  in  der  Lumbaranschwellung,  in 
welcher  sie  vom  unteren  Ende  des  Rückenmarks  an,  wo  sie  0,07  Mm.  be- 
trug, bis  zum  vierten  Lumbarnerven  fast  stetig  bis  auf  0,60  Mm.  wxichs 
(Stilling).  Den  grössten  transversalen  Durchmesser  (2,53  Mm.)  hat  sie 
in  der  Gegend  des  Ursprungs  des  siebenten  Cervicalnerven  und  nimmt  von 
da  auf-  und  abwärts  an  Breite  ab.  Breite  und  Form  der  weissen  Commis- 
sur sind  abhängig  von  dem  Verhalten  der  longitudinalen  Fasern  der  Seiten- 
theile des  Rückenmarks,  welche  bald  eine  compacte  Masse  bilden,  bald 
durch  einstrahlende  Fasern  der  Commissur  in  Bündel  abgetheilt  werden,  in 
welchem  Falle  die  Commissur  eine  grössere  oder  geringere  Zahl  von  Fort- 
sätzen in  die  Seitentheile  zu  senden  scheint.  Die  longitudinalen  Bündel 
rücken  mehr  oder  minder  nahe  an  die  Mittellinie  heran ;  in  den  unteren 
Theilen  des  Rückenmarks  erstrecken  sie  sich  sogar  in  continuirlicher  Reihe 
durch  die  Mittellinie  von  einer  Seite  zur  anderen  (Fig.  10  a.  f.  S.). 


^)  Comviissura  grlsea  ant.  Commlssura  anterior  accessoria  Stilling.  Stilling  zählt 
diese  Fasern  der  weissen  Commissur  zu  und  bezeichnet  eine  frontal  durch  den  Centralcanal 
gelegte  Ebene  als  Grenze  beider  Commissuren.  Ich  halte  die  Trennung  nach  dem  Charak- 
ter der  Fasern  für  eine  natürlichere  und  nehme  deshalb  den  Ausdruck  „graue  oder  hintere 
Commissur"  in  dem  Sinne,  welchen  ihm  Schilling  (De  medullae  spinalis  textura.  Dorpat 
1852)  beigelegt   und  auch  Goll  adoptirt  hat. 


4:8 


Eückeumark, 


Seiteutheile. 


Der    Verlauf   der    eigentlicheri ,    im  Wesentlichen  horizontalen    Fasern 
der    weissen    CommissiTr   ist   im   Allgemeinen    ein    in    der   Mittellinie  unter 

spitzen  Winkeln  gekreuzter,  in- 
dem die  Fasern  beim  Uehergang 
aus  Einer  Seitenhälfte  in  die  an- 
dere die  Commissur  schräg,  in  der 
Richtung  von  vorn  nach  hinten 
und  umgekehrt,  durchsetzen.  Häu- 
fig haben  sie  zugleich  eine  in  mas- 
sigem Grrade  schräg  aufsteigende 
Richtung  oder  biegen  aus  der  hori- 
zontalen in  die  aufsteigende  Rich- 
tung um.  Ausser  der  Kreuzung 
der  beiderseitigen  Fasern  in  der 
Mittellinie  findet  auch  eine  Kreu- 
zung der  Fasern  Einer  Seitenhälfte 
in  der  Art  Statt,  dass  die  am  wei- 
testen nach  hinten  eingetretenen 
Fasern  die  Commissur  am  weitesten 
nach  vorn  verlassen  und  umge- 
kehrt (Gerlach)  2).  Ob  neben 
den  einander  kreiizenden  Commis- 
surenfasern  rein  transversale  vor- 
kommen, ist  streitig. 

Zu  den  Seiten  des  Centralcanals 
und  der  denselben  umgebenden 
Substantia  gelatinosa  centralis 
setzen  sich  weisse  und  graue  Com- 
missur ungesondert  in  die  graue  Masse  fort,  die  den  Kern  der  Seiten- 
hälften bildet.  Zwischen  den  vor-  und  rückwärts  divergirenden ,  an  den 
der  grauen  Substanz  zugewandten  Flächen  der  vorderen  und  hinteren  weis- 
sen Stränge  hinziehenden  horizontalen  Fasern  beider  Commissuren  treten, 
wie  erwähnt,  feine  verticale  Fasern  auf,  deren  Durchschnitte  auf  Querschnit- 
ten sich  besonders  dicht  um  die  Blutgefässe  gruppiren. 

Noch  im  Bereich  des  medianen  Theils  des  Rückenmarks,  meistens  nahe 
an  der  hinteren  Fläche  der  weissen  Commissur ,  verläuft  der  Canal,  der  die 
centrale  Vene  des  Rückenmarks  (Gefässlehre  S.  360)  enthält  (Fig.  7  *)  '^'). 
In  jeder  Seitenhälfte  des  Rückenmarks  erweitert  sich  die  graue  Masse 
des  medianen  Theils  zii  einer,  durch  eine  Einbiegung  der  lateralen  Fläche 
unvollkommen  in  eine  vordere  und  hintere  Hälfte  abgetheilten  grauen 
Säule  '^),  welche  von  weisser  Substanz  umlagert  ist,  die  sich  ihrerseits  wieder 
in  der  Regel  von  einer  dünnen  grauen  Schichte  bedeckt  zeigt.  Das  Volu- 
men der  grauen  Säule  und  ihr  Verhältniss  zur  weissen  Umhüllung  wechselt 
je  nach  den  Regionen   des   Rückenmarks:   im   Dorsalmark  (Fig.  10)  ist  sie 


Querschnitt  des  Rückenmarks  aus  der  Gegend, 
in  welcher  die  untersten  Wurzelfasern  des 
dritten  Sacralnervenpaars  entspringen.  Fma, 
Finp  Fissura  mediana  ant.  und  post.  Ca 
Commiss.  ant.  Cc  Can.  centr.  gc  Substantia 
gelat.  centr.      RjJ  Rad.  post. 


1)  Nach  Stilling,    Neue  Unters.  Taf.  III,  Fig.   38.  ■ 

^)  Medicin.   Centralbl.   1868.  Nr.   24.   25.      ^)  Die  Ausstrahlung  der  grauen  Commissur, 
in   welcher  die  BJLitgefässe  liegen,  nennt  Goll  (p.   153)   Trigonum  cervkale.      *)  Kernstrang. 


Eückenmark. 


49 


verhältnissmässig  schmal,  im  transversalen  Durchmesser  ahgeplattet,  so  dass  Gr; 
ihre   Breite   kaum    ein   Drittel   der   grössten   Breite    einer    Seitenhälfte   des  ^'^" 


aue  Säu- 


grössten 

Fig.  m). 


.'^J^. 


Querschnitt  des  Rückenmarlis  aus  der  Gegend  des  Ursprungs  der  obersten  Wurzelfasern 
des  sechsten  Cervicalnervenpaars.      Pr   Proc.  reticulares. 

Rückenmarks  beträgt;  auf  Querschnitten  des  Rückenmarks  bilden  die 
grauen  Säulen  beider  Seitenhälften  mit  der  Commissur  die  Figur  eines  H, 
dessen  wenig  divergirende  Schenkel  vorn  abgerundet,  hinten  zugespitzt 
enden.  An  den  Anschwellungen  nimmt  die  Masse  der  grauen  Säule  beson- 
ders im  vorderen  Theile  zu;  die  vordere  Hälfte  derselben  erhält  die  Gestalt 
eines  mehr  oder  minder  regelmässigen  Cylinders  oder  eines  vierseitigen 
Prisma  mit  abgerundeten  Kanten,  während  die  hintere  sich  von  der  Com- 
missur an  nach  einer  Einschnürung-)  in  die  Breite  ausdehnt^).  Auf  dem 
Querschnitt  erscheinen  die  Säulen  halbmondförmig  mit  einander  zugewandter 
Convexität  und  kolbig  angeschwollenen  Hörnern;  dabei  beträgt  der  Durch- 
messer  der    grauen    Vordersäule  ^)    in    der    Cervicalanschwellung   (Fig.  11) 


1)  Nach  Still  ing,  a.  a.  0.  Taf.  II,  Fig.  3.  2)  Qervlx  cornu  posterioris  Clarke. 
^)  Caput  cornu  posterioris  Ders.  *)  Ich  gebrauche  den  Ausdruck  „Vorder-  und  Hinter- 
säule", Columna  ant.  und  post.  [Lam'ma  grtsea  s.  Funiculus  cinereus  ant.  und  post.)  statt 
des  üblichen  „Vorder-  und  Hinterhorn",  Cornu  s.  crus  ant.  und  post.,  welcher  nur  auf  die 
Zeichnung  des  Querschnitts  passt. 

Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthlg.  2.  4 


50 


Rückenmark. 


ungefähr  die  Hälfte  des   grössten  transversalen   Durchmessers   der   Rücken- 
markshälfte, während  in  der  Liimbaranschwellung  (Fig.  13)   nnd  im  Conus 
Fig.  12  ^).  Fig.  132). 


15 
1 


fC',^mß%. 


^^2^' 


Quersrliiiitt    des  Dorsalmarks.      v    Col.    vesicularis. 


Querschnitt   des   Rückenmarks  aus  der 

Gegend    des    Ursprungs    der    mittleren 

WuvzelfMsern  des  dritten   Sacralnerven- 

paares. 


terminalis  die  weisse  Substanz  auf  einen  schmalen,  die  Unebenheiten  der 
grauen  Säule  ausgleichenden  Ueberzug  reducirt  ist.  Auch  ist  der  Umfang 
der  grauen  Säule,  sowohl  der  vorderen  als  der  hinteren,  in  der  Lumbar- 
anschwellung absolut  grösser  als  in  der  cervicalen. 

Aus  dem  convexen  Rande    der  Vordersäule   und  aus  dem  medialen  und 

'hinteren  Rande,  resp.  der  hinteren  Kante  der  Hintersäule  gehen  die  Ner- 
venwurzeln in  einer  Anzahl  von  Bündeln  hervor;  ähnliche  schwächere  Bün- 
del, die  die  Oberfläche  des  Rückenmarks  nicht  erreichen,  strahlen  von  den 
lateralen  Rändern  beider  Säulen  aus  und  da  ausserdem  im  ganzen  Um- 
fange des  Rückenmarks  in  geringen    Abständen  feine,   bindegewebige,   hier 

"lind  da  anastomosirende  Septa,  in  welchen  Blutgefässe  enthalten  sind,  zwi- 
schen der  Gefässhaut  und  der  Oberfläche  der  grauen  Substanz  sich  er- 
strecken, so  erhält  die  letztere  auf  Querschnitten  ein  zackiges  Aussehen  und 
scheint  mit  radiär  angeordneten  Fortsätzen  in  die  weisse  Substanz  vorzu- 
springen. Zunächst  der  Furche,  in  welcher  Vorder-  und  Hintersäule  an- 
einanderstossen ,    durchtetzen  stärkere,  vielfach  anastomosirende  Blätter  der 


1)  Nach  Stilling  Taf.   II,   Fig.  8.     2)  Desgl.  Taf.  III,  Fig.   17. 


Rückenmark. 


51 


grauen  Siibstanz  die  weisse  und  theilen  sie  in  sclimale  Bündel  ab,  so  dass 
der  Quersclinitt  dieser  Stelle  ein  Netzwerk  grauer  Substanz,  Processus  Tdi- 
culares  Lenbossek^,  zeigt,  dessen  Lücken  von  Durcbscbnitten  longitudi- 
naler  Faserbündel  eingenommen  werden  (Fig.  11.  12).  Vor  derselben  ragt  im 
Cervical-  und  oberen  Dorsaltbeil,  von  oben  nacb  unten  an  Grösse  abneh- 
mend, eine  prismatische,  im  Querschnitt  dreiseitige  Leiste,  Trachis  inter- 
medio-latercäis  Clarke  '^),  in  die  weisse  Substanz  vor  (Fig.  12). 

An  dem  unteren  Cervical  -  und  dem  Dorsaltbeil  des  Rückenmarks ,  wo 
die  Hintersäule  sieb  rückwärts  zu  einer  Kante  zuscbärft  und  auf  dem  Quer- 
schnitt in  eine  Spitze  ausläuft,  setzt  sich  diese  Spitze  in  Form  eines  schma- 
len Streifens  gegen  die  Oberfläche  und  zwar  gerade  gegen  die  hintere  Sei- 
tenfurche fort  (Fig.  12. 14).    Der  Streifen  hat  verschiedene  Bedeutung  ^).    An 

vielen  Stellen  entspricht  er  einem  durch  die  hin- 
tere Seitenfurche  eintretenden  Arterienstämm- 
chen  und  dem  dasselbe  begleitenden  Bindegewebe ; 
an  anderen  Schnitten  bietet  der  scheinbare  graue 
Streifen  gleich  der  weissen  Substanz  mir  Quer- 
schnitte von  Nervenfasern  dar  und  die  Verschie- 
denheit der  Färbung  beruht  allein  in  der  grösse- 
ren Feinheit  der  Fasern  des  Streifens.  Nicht 
immer  ist  dieser  Unterschied  des  Kalibers  der 
Fasern  deutlich  aiisgeprägt ;  dann  fehlt  der  Strei- 
fen und  die  Hintersäule  scbliesst  in  grösserer 
Y  oder   geringerer   Entfernung   von   der   Oberfläche 

mit  einer  mehr  oder   minder    scharfen   Spitze   ab. 

Querschnitt  des  Dorsaltheils     -^  ,  .^       ,         r<   i     -xj^      •       j^  •  d-     n    i 

,      „..  ,  ,  JNur    selten   trint    der  Schnitt  ein  lemes  üundel 

des   Ruckenmarks. 

horizontaler   Fasern,    welche   aus  der   Spitze   der 

Hintersäule  austreten  und  sich  mit  anderen,  aus  dem  medialen  Rande 
der  letzteren  hervorgehenden  zur  Nervenwurzel  vereinigen. 

Mit  blossem  Auge  oder  schwachen  Vergrösserungen  unterscheidet  man 
in  den  grauen  Säulen  des  Rückenmarks  zwei  Nuancen  grauer  Substanz,  die 
spongiöse  (s,  Fig.  15  a.  f.  S.)  und^  die  gelatinöse  ((/);  dazu  kommt  im 
Dorsaltbeil  noch  eine  dritte,  welche  die  Golumnae  vesiculares  {v)  *)  dar- 
stellt und  in  Farbe  und  Consistenz  sich  der  weissen  Substanz  annähert. 
Spongiöse  Substanz  bildet  die  Grundlage  beider  Säulen;  die  gelatinöse  Sub- 
stanz umfasst  wie  eine  gewölbte  Platte,  im  Querschnitt  wie  ein  halbmond- 
förmiger Saum  die  hintere  Fläche  und  einen  grösseren  oder  geringeren 
Theil  der  Seitenflächen  der  hinteren  Säule;  ihre  Mächtigkeit  beträgt  im 
Dorsaltbeil  etwa  0,3  Mm.,  sie  ist  beträchtlicher  in  der  Cervicalanschwellung 
und  erreicht  die  höchste  Ziff'er  in  der  Lumbaranschwellung.  Die  Columna 
vesicularis  ist  ein  cylindrischer   oder   prismatischer  Körper   an    der   Grenze 


Emp 


1)  Dritte  Säule  S  tili  in  g.  Seitenhorn  Goll.  '^)  Mittleres  Hörn  C.  Krause.  Seit- 
liches Hörn  Reichert.  2)  Allgemein  wurde  er  früher  für  die  aus  der  Hintersäule  austretende 
Nervenwurzel  gehalten.  Goll  (a.  a.  0.  S.  152),  der  ihn  als  Apex  cornu  posterioris  be- 
schreibt ,  berichtigte  diesen  Irrthum ;  er  nennt  den  Apex  ein  rein  bindegewebiges  Gebilde, 
widerlegt  dies  aber  selbst,  indem  er  die  Nerveiifaserbündel  schildert,  die  ihn  der  Länge 
nach  durchziehen.  *)  Dorsalkerne  Stilling.  Coluinaae  vesiculares  post.  Gl  ar  ke.  Clarke'- 
sche  Säulen  oder  Stilling' sehe  Kerne  Köll. 


52 


Rückenmark. 


Gelatinöse 
Substanz. 


P^iof.    15. 


der  vorderen  und  hinteren  Säule,  zur  Seite  der  hinteren  Commissur  und 
des  weissen  Hinterstrangs,  von  welchem  sie  nur  durch  eine  dünne  Lage 
■feiner  horizontaler  Nervenfasern  geschieden  ist.  Sie  hat  im  unteren  Theil 
des  Dorsalmarks  einen  Durchmesser   von   fast    1  Mm.   und   nimmt  demnach 

mehr  als  die  Hälfte  der  Breite 
des  eingeschnürten  Theils  der 
hinteren  grauen  Säule  ein;  auf- 
und  abwärts  wird  ihr  Durch- 
messer etwas  geringer  und  ge- 
gen die  Cervical-  und  Lumhar- 
ansch wellung  schwindet  sie,  in- 
dem ihre  charakteristischen  Zel- 
len und  Fasern  sich  verlieren. 

Unter  diesen  verschiedenen 
Arten  grauer  Substanz  besitzt 
die  gelatinöse  den  einfachsten 
Bau.  Grundlage  derselben  ist 
die  nämliche  feinkörnige  Masse, 
die  den  Centralcanal  umgiebt. 
In  dieser  sind  Körner  in  ver- 
änderlicher Zahl  eingestreut  und 
sie  ist  durchzogen  von  dünnen 
Bündeln  feiner  Nervenfasern, 
die  einen,  je  nach  der  Form  der 
Hintersäule  verschiedenen  Ver- 
Querschiiitt  des  Dorsalmarks,  durch  Kalilösung  lauf  haben.  An  den  Anschwel- 
aufseliellt.       Tl.  Tract.    intermedio-lateralis.      T'r     hmgen    des     Rückenmarks,      WO 


Proc.    reticularis,    s  spongiöse,    g  gelatinöse  Sub- 
stanz   der   Hintersäule,    grc   Subst.    grisea  cortic. 
Ca    Commiss.    alba.       Cg    Commiss.    grisea.     Cc 
Can.  centr.  *Gefässdurchschnitt. 


die  gelatinöse  Substanz  auf  dem 
Querschnitt  wie  ein  einfach 
halbmondförmiger  Saum  den 
hinteren  Rand  der  Hintersäule 
bekleidet,  durchziehen  die  Nervenbündel  diesen  Saum  in  der  Richtung  von 
vorn  nach  hinten,  ähnlich  den  Meridianen  einer  projicirten  Hemisphäre, 
sanft  gekrümmt  und  die  Concavität  der  Krümmung  von  beiden  Seiten  her 
der  Axe  der  Hintersäiüe  zugewandt.  An  der  schmalen  und  in  eine  scharfe 
Kante  auslaufenden  Hiutersäule  des  Dorsalmarks  enthält  die  late- 
rale Platte  der  gelatinösen  Substanz  zerstreute  verticale  Bündel;  in  der 
medialen  Platte  bis  zur  Spitze  und  zuweilen  noch  in  dem  der  Spitze  näch- 
sten Theil  der  lateralen  Platte  folgen  einander  in  weiten,  mitunter  sehr 
regelmässigen  Abständen  gerade  oder  leicht  gebogen  von  der  inneren  zur 
äusseren  Fläche,  zugleich  mehr  oder  minder  steil  abwärts  verlaufende  Ner- 
venbündel, welche  in  den  weissen  Hinterstraug  übergehen,  entweder  direct 
oder  nachdem  sie  zuvor  eine  Strecke  an  der  Grenze  der  gelatinösen  und 
weissen  Substanz  zurückgelegt  haben.  Sie  setzen  sich,  wie  später  gezeigt 
werden  soll,  in  die  hinteren  Nervenwurzeln  fort.  Auf  Horizontalschnitten 
des  Rückenmarks  (Fig.  16)  erscheinen  sie  als  faserige,  unterbrochene  Strei- 
fen; auf  Frontalschnitten  (Fig.  17)  wird  ihre  gegen  die  weisse  Substanz 
absteigende  Richtung  deutlicher.     Längs    der   Grenze  der    gelatinösen  Sub- 


Rückenmark. 


53 


stanz  gegen    die   spongiöse   häufen   sich   cylinclrische    longitudinale   Nerven- 
faserhüudel   und    ähnliche  Bündel  kommen  theils  vereinzelt,  theils  grujDpeu- 

Fiff.  16. 


Querschnitt  der  Hiiitersäule,    Lage  und  Präparation  wie  in  Fig.   15. 

weise   längs   der    Grenze    der   gelatinösen    gegen   die   weisse   Substanz   vor. 
Grössere  Nervenzellen  finden  sich  in  der    gelatinösen   Schichte   nur  sjDärlich, 

am  häufigsten  noch  an  der  äusseren  Grenze; 
ihre  vielstrahligen  Ausläufer  lassen  sich  nur 
auf  kurze  Strecken  verfolgen. 

Die    Columnae   vesiciilares    bestehen   aus  Coiumnae 
denselben  feinen,    durch   Kalilösung    darstell- 
baren Nervenfasern,  wie  die  hintere  Commis- 
sur,  die ,  nur  viel  dichter  gedrängt  und ,  wie- 
wohl in  verschiedenen  Richtungen  durch  ein- 
ander gewirrt,  doch  der  überwiegenden  Mehr- 
heit nach  einen  longitudinalen  Verlauf  haben 
und     häufig     bündelweise      zusammenliegen. 
Transversale    Fasern    kommen    in     grösserer 
Zahl  nur  als  Einstrahlungen  aus  der  hinteren 
Commissar  vor.     Zwischen  den  Faserbündeln 
Frontalschnitt     der     Hintersäule     Hegen  mitunter  in  ziemlich  regelmässiger  x\n- 
durch    die    gelatinöse     Substanz.     Ordnung  zahlreiche  Nervenzellen  von  ansehn- 
Fl)  Funic.   post.   s  Subst.  spongiosa     ,.   ,  -rs.  .  n     m  •     i    ii>-- 

„  ,  ,       1  ^-  liehen  Dimensionen,    grossentheils    siDindeltor- 

(]  Subst.  gelatin.  _  _  °  -■- 

mig,  mit  dem  grösseren  Durchmesser  der  vor- 


60 
1 


54 


Rückenmark. 

Fig.  18. 


Querschnitt    der    Col.    vesicularis    (v),  Lage    und     Präparationsweise    wie    Fig.   15.     Fp 

Funic.  post. 


Fig.  19. 


Im. 


mmEmf    ^■^'^'^—- 


^==^ 


^y; 


!     I      / 


mh 


Frontalschnitt  des  Kückenmarks  durch  die  Col.  vesicularis.    Mit  Brönner'schem  Flecl* 
Wasser  aufgehellt.      Cg  Commissura  grissea. 


Kückenmark.  55 

heiTsclieiiden  longitudinalen  Richtung  der  Nervenfasern  parallel;  sie  haben 
durchschnittlich  im  grösseren  Durchmesser  0,045,  im  kleineren  0,03  Mm. 
Manche  sind  bipolar,  die  meisten  multipolar,  jedoch  so,  dass  das  Eine  Ende 
in  eine  Faser  sich  zuspitzt ,  während  das  entgegengesetzte,  stumpfere  Ende 
Fortsätze  nach  verschiedenen  Seiten  aussendet.  Der  Kern  liegt  gewöhnlich 
im  stumpfen  Ende  und  ist  von  einem  Häufchen  gelben  Pigments  umgeben. 
Zellen  derselben  Art,  jedoch  kleiner  und  blasser,  kommen  innerhalb  hori- 
zontaler Faserzüge  vor,  Ausstrahlungen  der  grauen  Commissur,  welche  die 
Columna  vesicularis  am  vorderen  und  hinteren  Rand  umfassen,  sich  mit 
sagittalen  Fasern  am  äusseren  Rande  derselben  verflechten  und  in  die ,  die 
gelatinöse  Substanz  durchziehenden  Faserzüge  überzugehen  scheinen.  Ge- 
gen das  obere  und  untere  Ende  der  Col.  vesicularis  nehmen,  wie  ihi^e  Be- 
grenzung undeutlich  wird,  auch  die  Zellen  derselben  rasch  an  Grösse  ab. 
In  dem  oberen  Theil  des  Cervicalmarks ,  zwischen  den  Ursprüngen  des 
dritten  und  ersten  Nervenpaares ,  zeigt  sich  an  der  der  Columna  vesicularis 
entsprechenden  Stelle  wieder  ein  dunkleres  und  mehr  umschriebenes,  aus 
grossen  und  kleinen  Zellen  und  Nervenbündeln  zusammengesetztes  Gebilde 
von  dreiseitigem  Querschnitt  (Clarke).  Abwärts  erreicht  die  Columna 
vesicularis  ihre  grösste  Stärke  am  Beginn  der  Liimbaranschwellung ;  dann 
aber  verliert  sich  ihre  Begrenzung  und  mindert  sich  die  Zahl  und  Grösse 
ihrer  Zellen. 

Die  Col.  vesicularis  des  Ochsen  unterscheidet  sich  nach  Clarke  (Phil,  transact. 
1859.  P.  I,  p.  437)  von  der  menschlichen  dadurch,  dass  die  Zellen  spärlicher  und 
mehr  in  der  Axe  der  Säule  zusammengedrängt  sind.  "Wie  beim  Ochsen  die 
Col.  vesicularis  an  der  oberen  und  unteren  Grenze  des  Dorsalmarks  sich  verliert, 
schildex't  Clarke  in  folgender  Weise:  in  der  Nähe  der  Cervicalanschwellung  wird 
sie  allmälig  dünner,  doch  erhalten  sich  die  Zellen  in  der  medialen  Hälfte  der  Ein- 
schnürung (Cervix)  der  Hintersäule.  Zuweilen  wird  die  Col.  vesicularis  durch  Büu-^ 
del  der  grauen  Commissur  in  kleinere  Abtheilungen  zerlegt.  In  der  Mitte  der 
Cervicalanschwellung  sind  die  Coutouren  der  Col.  vesicularis  völlig  verwischt ,  aber 
die  mediale  Hälfte  der  Einschnürung  ist  mit  Zellen  erfüllt  und  enthält  eine  dunk- 
lere, undeutlich  abgegrenzte  Masse,  welche  von  den  Fasern  der  grauen  Commis- 
sur und  der  hinteren  Wurzeln  durchsetzt  wird.  Die  Zellengruppe,  die  an  der 
Stelle  der  Col.  vesicularis  in  der  Gegend  der  obersten  Cervicalnerven  erscheint, 
ist  dunkler  als  beim  Menschen,  und  enthält  grössere  Zellen.  Eine  cylindrische, 
nicht  genau  begrenzte  Gruppe  grosser  Zellen,  welche  zur  Seite  und  etwas  nach 
hinten  vom  Centralcanal  in  der  Gegend  des  zweiten  Sacralneiwenpaars  auftritt 
und  unterhalb  desselben  allmälig  wieder  schwindet,  hatte  Clarke  in  einer  frühe- 
ren Mittheilung  für  das  untere  Ende  der  Col.  vesicularis  erklärt;  er  ist  jetzt  mit 
Stilling  einverstanden,  dass  sie  einem  besonderen  Kern  angehören,  der  genauer 
mit  den  vorderen  Nerven Avurzeln  verbunden  ist  als  mit  den  hinteren. 

Die  eigentliche  graue  oder  spongiöse  Substanz,  d.  h.  die  Substanz  der  Spongiöse 
grauen  Vordersäule  und  der  Hauptmasse  der  grauen  Hintersäule  ^),  enthält 
Fasern  und  multipolare  Zellen  in  so  verwickelter  Anordnung,  dass  es  kaum 
möglich  ist,  den  Zug  der  Fasern  und  der  Zellenfortsätze  auf  längere  Strecken 
zii  verfolgen.  Die  Fasern,  starke  und  feine,  laufen  vereinzelt  und  netz- 
förmig gekreuzt  oder  in  Bündeln,  gerade  oder  gebogen  in  den  verschieden- 
sten Richtungen ;  ebenso  strahlen  die  Fortsätze  der  Nervenzellen  nach  allen 
Seiten  aus,  die  Nervenbündel   theils    begleitend,   theils  unter   verschiedenen 


^)  Basis  des   Caput  coniu   Clarke. 


56  Rückenmark. 

Winkeln  schneidend.     Nur  an  der  Grenze    der  grauen   Substanz  gegen  die 
weisse  (Fig.  20)  kehren  Faserzüge  mit  einer  gewissen  Beständigkeit  wieder, 

Fig.  20. 


Querschnitt  des  Rückenmarks  in    der    Halsgegend,    durch  Brönn  er '  sches    Fleckwasser 

aufgehellt;    weisse  Commissur  (Ca)    und    Vordersäule    mit  der   angrenzenden,    weissen 

Substanz.    Cc  Can.   centralis. 

die  sich  in  horizontalen  Ebenen  aus  den  Nervenwurzeln  in  die  graue  Masse 
fortsetzen  und  in  derselben  nach  verschiedenen  Richtungen  zerstreuen,  an- 
dere, welche  ebenfalls  horizontal  streichend,  die  Peripherie  der  grauen 
Säulen  umgeben,  und  verticale  in  dichten  oder  isolirten,  gleichsam  von  den 
weissen  Strängen  abgelösten  Bündeln,  welche  um  so  feiner  werden,  je  wei- 
ter sie  sich  von  der  Oberfläche  der  grauen  Säule  entfernen.  Bündel  der 
letzteren  Art  finden  sich  am  reichlichsten  in  der  spongiösen  Substanz  der 
Hintersäulen,  an  deren  Basis  und  an  dem  der  gelatinösen  Substanz  zuge- 
kehrten Rande.  Was  die  Gestalt  der  Nervenzellen  betrifft,  so  sieht  man 
sie  oft  auf  Querschnitten  den  Zwischenräumen  der  Nervenbündel  angejoasst 
und  mit  ihren  Fortsätzen  die  Bündel  umfassen  (Fig.  21).  Von  den  an  der 
Grenze  der  grauen  und  weissen  Substanz  gelegenen  lassen  sich  die  unver- 
zweigten Fortsätze  in  die  Nervenwurzeln  verfolgen  (Fig.  22).  Die  Zellen 
sind  constant  in  Einer  Richtung  abgeplattet  und  die  unverzweigten  (Axen- 
cy linder-)  Fortsätze  entspringen  in  der  Regel  von   einer  der  Flächen,  wäh- 


Rückenmark. 


57 


rend  die  Mehrzahl  der  verästelten  Fortsätze   vom   Rande   ausgeht   (Jelly). 
Im  üebrigen    finden  sich  kugelige,   eckige  und   langgestreckte,   elliptische, 


Fig-.  21. 


Aus    einem  Querschnitt  der  grauen  Vordersäule ;    verzweigte   Nervenzellen.     Carrain- 

präparat. 


einfach  körnige  und  pigmentirte  Formen;  nur  bezüglich  der  Dimensionen 
zeigen  sich  je  nach  dem  Sitz  constante  Unterschiede.  Die  grössten  Zellen, 
von  etwa  0,1  Mm.  Durchmesser  i),  sind  in  den  Vordersäulen  enthalten  und 
in  zwei  Gruppen  oder  Stränge  geordnet,  deren  Stärke  entsprechend  der 
Stärke  des  ganzen  Rückenmarks  und  namentlich  der  grauen  Säulen  zu-  und 


^)  Motorische  Zellen. 


58 


Rückenmark. 


abnimmt.      Ein    lateraler    Zellenstrang  i)    von    cylindrisclier    Gestalt    nimmt 
die    seitliclie   Region    der    Vordersänle    ein    und  veranlasst  in    der   Cervical- 


Fiff.  22. 


imdLumbaranschwel- 
lung  den  Vorsprung 
der  grauen  in  die 
weisse  Substanz ;  über 
der  Cervicalanscbwel- 
lung  spaltet  er  sich 
häufig  in  zwei  oder 
drei  schmalere  Strän- 
ge. Ein  medialer 
Strang  ^),  cylindrisch 
oder  prismatisch,  häu- 
fig  in   zwei   bis  drei 

Stränge     zerfallen, 
liegt     am     vorderen 
Rande     der     grauen 

Vordersäule  und 
dehnt  sich  bald  ge- 
gen den  medialen, 
bald  gegen  den  late- 
ralen Rand  dieser 
Säule  aus.  Einzelne 
Zellen  liegen  zer- 
streut in  dem  Gewebe, 
welches  die  beiden 
Zellenstränge  schei- 
det; im  Dorsal-  und 
oberen  Cervicaltheil 
verwischen-  solche 
Zellen  die  Grenzen 
zwischen  den  aus  spärlichen  und  weiter  aus  einander  gerückten  Zellen  be- 
stehenden Strängen.  Der  Tractus  intermedio -lateralis  am  unteren  Drittel 
der  Cervicalanschwellung  und  dem  angrenzenden  Dorsaltheil  scbliesst  einen 
dritten  Strang  von  Zellen  grösster  und  mittlerer  Dimension  ein ;  die  spin- 
delförmigen unter  denselben  sind  mit  dem  längeren  Durchmesser  im  latera- 
len Theile  des  Stranges  sagittal,  im  medialen  transversal  gerichtet,  entspre- 
chend dem  Verlauf  der  Commissurenfasern,  zwischen  welchen  ihre  Fortsätze 
sich  verlieren. 

Die  spongiöse  Substanz  der  Hintersäulen  enthält  nur  vereinzelte  Zellen 
und  unter  diesen  nur  wenige,  die  an  Grösse  den  Zellen  der  Vordersäulen 
nahe  kommen. 

Clarke  (Phil,  transact.  1851.  P.  2,  p.  607)  theilt  die  Nervenfasern  der  grauen 
Substanz  in  zwei  Classen,  horizontale  (transverse)  und  longitudinale,  und  die  hori- 
zontalen wieder  in  zwei  Abtheihingen ,    sagittale  (antero-posterior)  und  transversale 


Vom  vorderen  Rand  eines  Querschnitts  der  grauen  Vordersäule  ; 

Uebergang  der  Nervenzellenfortsätze    in    Nervenwurzeln.      Car- 

minpräparat. 


^)  Hintere  oder  äussere  Gruppe  grosser  Nervenzellen  des  grauen  Vorderhorns  Stilling. 
^)  Vordere  oder  innere  Gruppe  Stilling. 


Rückenmark.  59 

(latero-transverse).  Die  sagittalen  liegen  der  Mediauebene  zunächst  und  convex 
gegen  dieselbe,  treten  aus  den  weissen  Hintersträngen  in  die  grauen  Hintersäulen 
ein  und  lösen  sicli  in  den  Vordersäulen  in  ein  Netzwerk  auf,  in  dessen  Maschen 
die  Nervenzellen  enthalten  sind.  Einzelne  dieser  Fasern  kreuzen  einander  vor 
dem  Centralcanal.  Die  transversalen  Fasern  stammen  aus  den  Commissuren  und 
breiten  sich  dui'ch  die  grauen  Säulen  in  die  weissen  Stränge  aus.  Die  longitudi- 
nalen  Fasern  schreibt  C 1  a  r  k  e  vorzugsAveise  der  gelatinösen  Substanz  zu.  Nach 
Groll  sind  im  Cervicalmark  die  Gruppen  der  grossen  Ganglienzellen  der  Vorder- 
säulen, 40  bis  60  in  Einem  Querschnitt,  wieder  in  kleinere  Gruppen  von  7  bis  15 
Zellen,  theils  durch  Nervenfaserbündel,  theils  durch  stärkere  Gefässe  getrennt. 
Häufig  stehen  die  Zellen  kleinerer  Grupi^en  oder  die  Abtheilungen  grösserer  in 
einer  Kreislinie;  ebenso  oft  haben  die  Längsaxen  der  Zellen  bestimmte  Richtun- 
gen, parallel  oder  gegen  einen  Punkt  convergirend.  Die  Nervenfaserbündel  der 
grauen  Vordersäulen,  die  stärksten  30  bis  45,  die  feinsten  5  bis  10  Fasern  ent- 
haltend, lösen  sich  in  der  Nähe  der  Ganglienzellen  in  isolirt  ausstrahlende  Fasern 
auf.  Ihr  Weg  ist  häufig  durch  stärkere  Blutgefässe  deutlich  markirt.  Goll  theilt 
sie  in  drei  Classen  :  I.  Grösste  ,  gruiDpentrennende  Hauptstränge,  0,10  bis  0,17  Mm. 
stark ,  horizontal  und  schräg  vor  -,  rück-  und  seitwärts  verlaufend.  II.  Die  Peri- 
pherie der  Zellenhaufen  drittel  -  bis  halbringförmig  und  mitunter  fast  vollkommen 
ringförmig  umspinnende  Bündel,  0,04  bis  0,09  Mm.  stark.  III.  In  das  Innere  von 
Zellenhaufen  oder  in  die  Nähe  einzelner  Zellen  ausstrahlende  Bündel,  0,03  bis  0,06 
Millimeter  breit.  Drei  Bahnen  der  Fasern  der  ersten  Classe  sind  fast  constant : 
l)  parallel  der  inneren  Peripherie  der  Vordersäule ;  2)  von  der  Mitte  der  vorderen 
Peripherie  der  Vordersäule  schräg  rück-  und  lateralM^ärts ;  3)  vom  vorderen  late- 
ralen Winkel  der  Vordersäule  theils  sich  mit  der  vorigen  vereinigend,  theils  im 
Centrum  der  Vordersäule  sich  verlierend.  Mit  diesen  gröberen  Zügen  stehen  die 
Bahnen  der  in  die  Vordersäule  einmündenden  vorderen  NervenAvurzeln  in  Verbin- 
dung, indem  sie  sich  theils  mit  einander  scheinbar  vermengen,  theils  unter  sjaitzen 
Winkeln  kreuzen.  Längsbündel  enthalten  die  grauen  Vordersäulen  nur  in  gerin- 
ger Zahl  und  Stärke,  bestehend  aus  fünf  bis  zehn  feinen,  markhaltigen  Fasern 
(von  0,004  bis  0,007  Mm.  Durchmesser) ;  stärkere  verticale  Nervenfasern  kommen 
nur  einzeln,  höchstens  paarweise  vor.  Mit  allen  drei  Classen  von  Nervenfasern 
scheinen  die  Fasern  der  Peripherie  der  Vordersäule  und  die  in  den  Scheidewänden 
der  weissen  Stränge  enthaltenen  Fasern  zusammenzuhängen,  v.  Bochmann 
(Beitr.  zur  Histologie  des  Eückenmarks.  Dorpat  1860)  konnte  eine  so  constante 
Gruppirung  der  grossen  Nervenzellen  in  den  vorderen  grauen  Säulen  des  Eücken- 
marks, Avie  Goll  sie  beschreibt,  nicht  bestätigen.  Constant  schien  ihm  nur  die 
Lage  der  Zellen  im  vorderen  Winkel  der  Säule,  doch  stellen  auch  diese  keine 
scharf  begrenzte  Gruppe  dar. 

Als  einen  allgemeinen  Bestandtheil  der  grauen  Substanz  führt  Ger  lach  das 
oben  erAvähnte  Netz  feiner  Fasern  auf,  dessen  nervöse  Natur  er  durch  das  Ver- 
halten gegen  Goldchloridkalium  sicherstellte.  Er  spricht  sich  nicht  bestimmt  dar- 
über aus ,  ob  er  sich  das  Netz  durch  wirkliche  Anastomosen  oder  durch  Kreuzun- 
gen der  Fasern  gebildet  denke ,  doch  macht  der  Zusammenhang  mit  den  verzweig- 
ten Nervenzellenfortsätzen  die  erstere  Annahme  Avahrscheinlicher. 

Wenden  wir  uns  zur  weissen  Substanz ,  so  selten  wir  der  unvollkom-  weisse 
menen  Scheidung  in  drei  Stränge,  welche  an  der  Oberfläche  durch  die  bei-  '^^"se. 
den  Seitenfurchen  angedeutet  wird,  eine  eben  so  unvollkommene  Theilung 
von  innen  aus  durch  die  gegen  die  Seitenfurchen  gerichteten  Vorsprünge 
der  grauen  Säiile  entgegenkommen.  An  einem  Querschnitt,  der  die  Ner- 
venwurzeln von  ihrem  Ursprung  aus  der  grauen  Säule  bis  zur  Austritts- 
stelle  blosslegt,  ist  allerdings  die  Abgrenzung  der  Stränge  vollständig, 
wenn  man  nämlich  das  am  meisten  seitwärts  gelegene  Bündel  der  aus  meh- 
reren Bündeln  zusammengesetzten  Wurzel  als  Grenzbezeichnung  gelten  lässt. 
Querschnitte  aber ,    welche  in  die  Zwischenräume  der  Nervenwurzeln  fallen. 


60  Rückenmark. 

zeigen  die  Stränge  nur  so  weit  geschieden,  als  sie  von  den  grauen  Säulen 
umfasst  werden.  Die  über  die  Spitzen  derselben  hinwegziebende  peripberi- 
scbe.  Scbicbte  der  weissen  Substanz  lässt  in  ibrem  ganzen  Umfange  nur 
dieselbe  gleicbmässige  Zerspaltung  durcb  feine,  von  der  Gefässbaut  ausge- 
bende Septa  erkennen. 

Die  weisse  Substanz  bestebt  wesentlich  aus  Nervenfasern,  welche  zum 
Tbeil  und  zwar  in  weit  überwiegender  Menge  einen  verticalen,  zum  Theil  einen 
horizontalen  Verlauf  haben.  Deshalb  lässt  sich  das  erhärtete  Rückenmark 
zwar  der  Länge  nach  in  Fasern  reissen ,  aber  die  Rissflächen  sind  rauh 
und  uneben.  Uebrigeus  dürfen  die  Ausdrücke  vertical  und  horizontal  nicht 
ganz  buchstäblich  verstanden  werden.  Die  verticalen  Fasern  verlaufen 
häufig  geschlängelt,  spitzwinklig  gekreuzt  über  einander  und  in  den  tiefe- 
ren Schichten  der  weissen  Substanz  sind  sie  zu  Bündeln  vereinigt,  welche, 
vielfach  anastomosirend,  ein  Flechtwerk  mit  rhombischen,  parallel  der  Axe 
des  Rückenmarks  langgestreckten  Maschen  bilden ;  von  den  Fasern  aber 
die  wegen  des  Zusammenhangs  mit  den  Nervenwurzeln  als  horizontale  zu 
betrachten  sind,  haben  viele,  namentlich  in  den  hinteren  Strängen,  eine  ge- 
neigte und  stellenweise  sehr  steil  auf-  oder  absteigende  Richtung. 
Verticaie  Das  Kaliber  der  verticalen  Fasern  schwankt  innerhalb  weiter  Grenzen  : 

Fasern. 

Die  stärksten  haben  über  0,02,  die  feinsten  weniger  als  0,002  Mm.  im 
Durchmesser;  der  Durchmesser  des  Axencylinders  der  stärkeren  Fasern  be- 
trägt 0,006  bis  0,007  Mm.,  die  feinsten  Axencylinder  erscheinen  auf  Querschnit- 
ten bei  SOOmaliger  Ver- 
sal grösserung  noch  punktför- 
m  mig.  Durchgängig  nimmt 
S  das  Kaliber  der  verticalen 
*  »  Fasern  von  aussen  nach 
•       '  /    "j.  »l      .  "  *  *    ma      innen    ab ;     die    stärksten 

*  p  i  \,  *  '    *  m        Fasern    sind   m    den   peri- 
«      4/4        *fr     ■*    ^  (■                                   W       pherischen    Regionen     der 

j  •  ,  j  P        Vorderstränge      enthalten; 

•  *\  |lffi,|       ausschliesslich    feinste    Fa- 

/      }t    f  \        .*      *K«Hteitfii    ^^"""^  ^^'^  ^'^^^  ^'^  ^^^^" 

•  t     »  'lÄfflSi  stens     0,012     Mm.    finden 

I  *          •      /  ^  *  *  J®#ilTCTHi  ^^^^   •^^   ^^^  zarten  Strän- 

^•**  ">        .»V*?  ''^'''B^SHI  gen  (G  oll).     In  allen  übri- 

•  •*  f   %  i    >  '        ^  riH»Hkwl^°  8'®^  Strängen  stehen  starke 

*  1   '»       '     ^*iS»'liKra^@      und  feine  Fasern  dicht  ne- 
*  •  «      iBlöiV^TOll     ^^^  einander;   da  aber  der 

*  '  .  ..  '    »    PliraUftllMl     Vorderstrang   absolut  stär- 
•            '                            »  •'  •  •/'KtäIÄS™^    kere  Fasern  enthält  als  der 

rlErlE  Hinterstrang,    so    sind  die 

i5'W#W''  Contraste     dort     auffallen- 

'          *          [                '•           '      ÄliÄä  der    als    hier.        Vor    dem 

jQQ  Vorder-  und  Hinterstrang 
1  zeichnet    sich    der    Seiten- 
Spitze  der  Hintersäule  und  angrenzende  weisse  Substanz  sträng  dadurch  aus  (Fig. 2  3), 
im    Querschnitt,    rechts    der  Hinter-,  linlcs  der  Seiten-  dass  die  starken  Fasern  mit 
Strang.      Molybdänpräjiarat. 


Fig.  : 

23. 

f 

'K 

t      1 
t 

ß': 

■[•\ 


Rückenmark. 


61 


Horizontale 
Fasern. 


einiger  Regelmässigkeit  vertheilt,  durch  GrTi2Dpen  feiner  Fasern  von  einan- 
der getrennt  sind;  im  Vorderstiang  finden  sich  streckenweise  nur  starke 
Fasern  und  auch  im  Hinterstrang  sind  häufig  zwei  und  mehr  der  stärkeren 
Fasern  in  unmittelbarer  Berührung. 

Die  horizontalen  Faserzüge  durchsetzen  die  Stränge  der  verticalen  ein- 
zeln oder  in  Bündeln,  in  welchen  ebenfalls  starke  und  feine  Fasern  ge- 
mischt sind.  Sie  nehmen,  wenn  nicht  sämmtlich,  doch  zum  grössten  Theil 
ihren  Ursprung  aus  den  grauen  Säulen  und  lassen  sich  nach  der  Richtung, 
die  sie  einschlagen,  in  zwei  Abtheilungen  ordnen.  Zur  ersten  crehören  die 
Fortsetzungen  der  Fasern ,  welche  oben  (S.  47)  als  Commissurenfasern  be-  Commissu- 
schrieben  wurden,  insbesondere  die  Fasern  der  weissen  Commissur;  denn  ''®"^^^®™- 
wiewohl  die  transversalen  Fasern  beider  Commissuren,  der  weissen  und 
grauen,  indem  sie  in  die  Seitenhälfte  eintreten,  gleichmässig  an  der  Grenze 
der  grauen  und  weissen  Substanz  hinziehen,  so  bedingt  doch  die  histologi- 
sche Verschiedenheit  der  beiderlei  Fasern,  dass  man  die  Fasern  der  grauen 
Commissur  als  einen  Bestandtheil  der  grauen  Hintersäule  auffasst,  während 
die  Fasern  der  weissen  Commissur  eine  Grenzschichte  des  weissen  Vorder- 
straugs  darstellen  (Fig.  24).     Dazu  kommt,  dass   von  den  Fasern   der  weis- 

Fisr.  24. 


Ca 


Querschnitt  des  Rückenmarks  in    der    Halsgegend,    durch    Bronne r'sches    Heckwasser 

aufgehellt;    weisse    Commissur  (Ca)    und    Vordersäule    mit    der    angrenzenden    weissen 

Substanz.       Cc  Can.    centralis. 


62 


Rückenmark. 


Nervenwur- 
zelu. 

a.  motori- 
sche. 


sen  Commissur,  wie  schon  erwähnt,  einzelne  Bündel  sich  abzweigen,  um 
sich  mit  verticalen  Bündeln  des  Vorderstrangs  zu  verflechten.  Zuletzt 
scheinen  diese,  wie  die  unmittelbar  an  den  grauen  Säulen  hinstreichenden 
Fasern,  in  die  grauen  Säulen  einzudringen,  wenn  nicht  einzelne  der  am 
meisten  medianwärts  gelegenen  sich  unmittelbar  an  die  vorderen  Wurzeln 
anschliessen.  Die  rein  transversalen  und  die  spitzwinkelig  gekreuzten  Fa- 
sern der  weissen  Commissur  dienen  in  dieser  Art  zur  Verbindung  der  bei- 
den grauen  Vordersäulen.  Was  die  in  mehr  schräger  Richtung  von  hinten 
nach  vorn  verlaufenden  Commissurenfasern  betriflft ,  so  sieht  man  sie ,  wenn 
man  sie  auf  Verschnitten  vom  medialen  Rande  der  Einen  Vordersäule  rück- 
wärts verfolgt,  in  den  medialen  Rand  der  grauen  Säule  der  anderen  Seite 
mehr  oder  minder  weit  nach  hinten  eintreten. 

Die  zweite  Abtheilung  der  horizontalen  Fasern  kann  man  einfach  als 
Nervenwurzeln  ^)  bezeichnen.  Die  motorischen  Wurzeln  treten  aus  der  vor- 
deren Fläche  der  Vordersäule  aus  in  Bündeln,  die  in  den  verschiedenen 
Horizontalebenen,  je  nach  der  Stärke  der  Nerven,  welche  sie  zusammen- 
zusetzen bestimmt  sind,  an  Zahl  zwischen  3  und  8  variiren  und  demgemäss 
durch  breitere  oder  schmalere  Zwischenräume  getrennt  sind.  Jedes  Bündel 
ist  in  transversaler  Richtung  abgeplattet,  indem  die  Höhe  derselben  einer 
längeren  Reihe  von  Fasern  entspricht,  während  die  Zahl  der  in  Einem  Bün- 
del neben  einander  liegenden  Fasern  immer  nur  eine  geringe  ist  (Fig.  25). 

Fig-.  25. 


Frontalschnitt  des   Vordersti-aiia;«,  durch  Fleckwasser  auf2;ehellt. 


')  Centrale  Nervenbahnen  Stilling. 


Rückenmark. 


63 


Häufig  entspricM  die  Breite  eines  Bündels  nur  Einer  oder  zwei  Nerven- 
fasern; die  Höhe  der  Bündel  beträgt  in  der  Regel  zwischen  0,2  und  0,6  Mm. 
Das  Uebergewicht  der  starken  Fasern  ist  in  diesen  Wurzeln  noch  auffallen- 
der als  in  den  verticalen  Faserzügen  der  Vorderstränge. 

Wie  die  sensibeln  Wurzeln,  aus  der  spongiösen  Substanz  der  Hinter-  b.  sensible. 
Säulen  hervorgehend,  in  feinen  Bündeln  die  gelatinöse  Eindenschichte  die- 
ser Säulen  durchsetzen,  wurde  bereits  beschrieben.  Beim  Atistritt  aus  der 
gelatinösen  Substanz  nehmen  sie  dieselbe  abgeplattete  Gestalt  an,  wie  die 
Bündel  der  vorderen  Nervenwurzeln,  unterscheiden  sich  von  diesen  aber, 
ausser  durch  das  geringere  Kaliber  der  Fasern,  durch  den  geschlängelten 
Verlauf  und  die  zahlreichen  Anastomosen,  welche  sie  innerhalb  der  weissen 
Hinterstränge  einander  zusenden.  Die  Geflechte,  die  auf  diese  Weise  ent- 
stehen und  die  verticalen  Fasern  des  Hinterstrangs  in  ihre  Maschen  auf- 
nehmen, liegen  an  den  Anschwellungen  des  Rückenmarks  hinter  der  Hin- 
tersäule (Fig.  26)  am  Dorsalmark  medianwärts  von  derselben  ^).  Und  wäh- 
rend    die    vorderen     Wurzelbündel    vereinzelt    das    Rückenmark    verlassen 

Fig.  20. 


Querschnitt  der  medialen  Platte  der  gelatinösen  Substanz    der    Hintersäule  (g)  und    des 
Hinterstrangs    des    Cervicalmarks   durch    eine    Nervenwurzel   (**).      Dur.h    Fleckwasser 

aufo-ehellt. 


1)  Die  vordersten  dieser  medianwärts    von    den    grauen    Säulen    gelegenen    Bündel    sind 
die  Strahlenbündel  oder  Strahlenfasern   Frommann's   (Anatomie  des  Rückenmarks    S.   71). 


64  Rückenmark. 

treten  die  hinteren  noch  innerhalb  desselben,  wenn  auch  erst  dicht  unter 
der  Oberfläche  (Fig.  27),  nach  mannigfachen,  mitunter  weitläufigen  Windun- 
gen, die  meisten  absteigend,  einige  auch  schräg  aufsteigend,  zu  einer  Wur- 
zel zusammen. 

Fig.  27. 


Querscluiitt    der    Hintersäule    und    des    Hinterstrangs    des    Dorsalmarks    durch  eine 
Nerven  Wurzel.     Kalipräparat.  *Gefässhaut. 


ßückenmark. 


C5 


Ich  entlehne  der  Abhandlung  Goll's   die  folgenden  Angaben    (in  Millimetern) 
über  die  Grössen  Verhältnisse  der  Nervenfasern  der  weissen  Substanz : 


Fasern. 

A  X  e  n  c  V 

Inder 

Mittel. 

Minimum. 

Maximum. 

Vorderstrang 

0,014 

0,008 

0,025 

0,0031 

bis 

0,0074 

Seitenstrang 

0,010 

0,006 

0,016 

0,0029 

» 

0,0040 

Hinterstrang     im     hinteren 

äusseren   Winkel     .... 

0,014 

0,012 

0,016 

0,0029 

!) 

0,0038 

Hinterstrang     im     vorderen 

äusseren  Winkel 

0,013 

0,011 

0,022 

0,0030 

)7 

0,0058 

Zarter  Strang 

0,009 

0,007 

0,012 

0,0025 

» 

0,0033 

Vordere  Wurzeln 

nächst  der  Vordersäule  .    . 

0,016 

0,015 

0,017 

0,0030 

V 

0,0039 

„       dem  Austritt   .    .    . 

0,018 

0,010 

0,020 

0,0029 

n 

0,0048 

Hintere  Wurzeln 

•f 

nacht   der   Subst.   gelat.    . 

0,013 

0,010 

0,014 

0,0039 

n 

0,0050 

„       dem   Austritt  .    .    . 

0,016 

0,011 

0,021 

0,0030 

n 

0,0042 

Die  weit  überwiegende  Mehrzahl  sowohl  der  verticalen  als  der  hori-  Umbeugen- 
zontalen  Fasern  hält  in  der  weissen  Substanz,  so  weit  man  sie  verfolgen 
kann,  ihre  ursprüngliche  Richtung  ein  und  wenn  ein  Zusammenhang  der 
Einen  und  anderen  im  Rückenmark  stattfindet,  so  könnte  dieser  nur  durch 
die  graue  Substanz,  vielleicht  durch  die  Nervenzellen  derselben  ver- 
mittelt sein.  Einzelne  Fasern  biegen  indess  innerhalb  der  weissen  Stränge 
aus  dem  horizontalen  in  den  verticalen  Verlauf  um  (Fig.  28  i^7).     Bei  manchen 

Fig.  23. 


Frontalschnitt  des  Dorsalmiirks  durch  die    weisse    Commissur.     Durch  Fleckwasser  auf- 
gehellt.    (7a  Comm.  alba.    7''a  Funic.  ant.     Cga   Columna  grisea  ant.  ^i^Z  Funic.  lateralis. 
Henle,  Anatomie.     Bd.  III.  Abthlg.  2.  5 


66  Rückenmark. 

sckrägen  Fasern  der  vorderen  Commissur  scheint  eine  solche  Aenderung 
der  Eichtiing  allmälig  einzutreten  und  ist  deshalb  schwer  zu  constatiren. 
Unzweifelhaft  aufwärts  iinibeugende  Axencylinder  zeigt  jeder  Frontalschnitt 
des  Seitenstrangs  an  Präparaten,  deren  Nervenmark  durch  die  passenden 
Mittel  (Terpentin,  Nelkenöl,  Brönner'sches  Fleckwasser)  durchsichtig  ge- 
macht worden.  Doch  ist  die  Concavität  dieser  Bogen  stets  gegen  die  Axe 
des  Rückenmarks  gerichtet,  d.  h.  es  sind  mit  den  Nervenwurzeln  aus  den 
grauen  Säulen  austretende  Fasern,  welche  sich  aufwärts  wenden,  bevor  sie 
die  Peripherie  des  Rückenmarks  erreicht  haben.  Dass  verticale  Fasern 
peripherisch  umbiegen  oder  mit  anderen  Worten,  von  der  Peripherie 
einstrahlende  Fasern  sich  unmittelbar  in  den  weissen  Strängen  den  verti- 
calen  zugesellen,  davon  habe  ich  kein  überzeugendes  Beispiel  gesehen. 

Die  Entdeckung  der  Identität  der  Nervenfasern  mit  den  Fasern  der  Aveissen 
Substanz  der  Centralorgane  hatte  zuerst  die  Yorstellung  zur  Folge,  dass  die  in 
das  Eückenmark  eingetretenen  Nervenwurzeln  nacli  einem  kürzeren  oder  längeren 
queren  Verlauf  noch  innerhalb  der  weissen  Stränge  aufwärts  umbögen  und  zum 
Gehirn  emporstiegen  (Valentin,  Verlauf  und  Enden  der  Nerven,  S.  104).  Nach- 
dem aber  Stilling  (St.  und  Wallach,  Unters,  über  die  Textur  des  Eücken- 
marks,  Lpz.  1842,  S.  27),  dann  Kölliker  (Mikroskop.  Anat.  II,  410)  an  Quer- 
schnitten des  Rückenmarks  die  Nervenwurzeln  durch  die  weissen  Stränge  zur 
grauen  Substanz  und  in  dieselbe  verfolgt  hatten,  blieb  den  späteren  Beobachtern 
nur  die  Frage  zu  entscheiden ,  ob  nicht  einzelne  Nervenwurzelfasern  eine  Aus- 
nahme machten  und  sich  den  verticalen  Fasern  der  weissen  Substanz  beigesellten. 
Eine  solche  Ausnahme  wurde  zunächst  für  einen  Theil  der  hinteren  Wurzeln  in 
Anspruch  genommen,  wozu  das  Bedürfniss  der  Phj-siologie  den  Anstoss  gab  und 
der  steile  Verlauf  der  Fasern  die  Handhabe  bot.  Eemak  (Müll.  Arch.  1841, 
S.  515)  bestätigte  Valentin's  Beobachtungen  in  so  weit,  als  er  einen  Theil  der 
Primitivfasern  der  hinteren  Nervenwurzeln  unmittelbar  und  meist  in  aufsteigen- 
der Eichtung  den  Längsfasern  der  „hinteren  seitlichen"  Stränge  sich  zumischen 
sah.  Nach  E.  Wagner  (Neurolog.  Unters.  S.  165)  zweigt  sich  von  den  Wurzeln 
der  sensibeln  Nerven  je  ein  Bündel  ab  ,  Avelches ,  ohne  sich  mit  Nervenzellen  zu 
combiniren ,  zum  Gehirn  aufsteigen  und  den  bev.'ussten  Empfindungen  dienen  soll. 
Schröder  v.  d.  Kolk  (over  het  fijnere  zamenstel  en  de  werking  van  het  rugge- 
merg.  Amst.  1854)  unterscheidet  in  den  hinteren  Wurzeln  zweierlei  Fasern,  sen- 
sible und  Eeflexfasern  (excitomotoiische  nach  Marshall  Hall  und  Grainger). 
Die  sensibeln  begeben  sich  sogleich  nach  dem  Eintritt  ins  Eückenmark  als  ver- 
ticale Fasern  der  Hinterstränge  aufwärts,  die  Eeflexfasern  sind  die  zwischen  den 
verticalen  Fasern  zur  Hintersäule  vordringenden.  Ohne  sich  über  die  phj'siologi- 
sche  Bedeutung  der  Fasern  auszusprechen,  theilt  auch  Goll  (a.  a.  O.  S.  136.  155) 
die  centrale  Partie  der  hinteren  Wurzel  in  zwei  Hälften.  Die  obere  und  innere 
Hälfte  gehe  auf-  oder  abwärts  in  die  Längsrichtung  über;  von  der  unteren  und 
äusseren  Hälfte  gehe  ein  Theil  gerade  in  den  hinteren  Eand,  ein  anderer  auf 
Umwegen  in  den  Seitenrand  der  grauen  Hintersäule.  Nach  Frommann  (a.a.O. 
S.  65)  bilden  die  direct  in  den  weissen  Strängen  aufsteigenden  Fasern  die  Mehr- 
heit. Schon  früher  hatte  Clarke  (Philos.  transact.  1853,  p.  350)  neben  den  schräg 
aufsteigenden  die  schräg  absteigenden  Fortsetzungen  der  hinteren  Wiirzelfasern  in 
die  Hinterstränge  beschrieben,  jedoch  hinzugefügt,  dass  von  den  aufwärts  umbie- 
genden Fasern  jedenfalls  nur  ein  kleiner  Theil  direct  zum  Gehirn  aufsteige.  Stil- 
ling spricht  sich  über  diesen  Punkt  noch  entschiedener  aus;  er  bestreitet,  dass 
irgend  eine  Nervenwurzelfaser  anders  als  in  der  grauen  Substanz  des  Rückenmarks 
ende.  In  anderer  Beziehung  aber  steht  Stilling  den  älteren  Auffassungen  näher, 
denn  er  giebt  zu  (Neue  Unters.  S.  143.  161.  173),  dass  nicht  nur  in  den  hinteren, 
sondern  auch  in  den  seitlichen  und  Vordersträngen  Fasern  gefunden  werden ,  die 
von  der  Peripherie  her  sich  nach  oben  oder  unten  wenden  und  dass  diese  Fasern 
Strecken  weit  mit  den  verticalen  verlaufen  und  an  der  Bilduna;  der  verticalen  Fa- 


Rückenmark.  67 

serzüge  Theil  nehmen,  bis  sie  in  einer  liölieren  oder  tieferen  Ebene  wieder  gegen 
die  grauen  Säulen  umkehren.  Allerdings  kommen  dergleichen  Umbiegungen  an 
Längsschnitten  häufig  zu  Gesicht,  aber  sie  schienen  mir  stets  künstlich  veranlasst 
durch  den  Zug  des  Messers,  dem  die  zufällig  durchschnittenen  Pasern  anhaften 
und  eine  Strecke  weit  folgen.  Wo  ich  solche  Fasern  sah,  lagen  sie  oben  auf  der 
Schnittfläche,  niemals  im  Inneren  der  Lamellen.  Ich  stimme  also  mit  Schilling 
(a.  a.  0.  S.  50),  Bidder  (a.  a.  0.  S.  88)  und  Lenhossek  (a.  a.  0.  S.  15)  in  der 
Annahme  überein ,  dass  alle  Pasern  der  Nervenwurzeln  die  grauen  Säulen  errei- 
chen. Die  Ansicht,  dass  von  den  grauen  Säulen  aus  horizontale  Fasern  in  die  Sei- 
tenstränge eintreten  und  in  diesen  aufwärts  umbiegen,  theile  ich  mit  Stilling, 
Kölliker,  Schröder  v.  d.  Kolk  (a.  a.  O.  p.  31)  und  Clarke  gegen  Eemak, 
welcher  keine  anderen  horizontalen  Fasern  anerkennt,  als  die  der  ISTervenwurzeln. 
Ebenso  wie  Stilling  (S.  166)  muss  ich  mich  gegen  das  von  Lenhossek  aufge- 
stellte System  der  radialen  Pasern  erklären,  welche  aus  dem  Seitentheil  der  grauen 
Säulen  hervorgehen ,  in  auswärts  aufsteigender  Eichtung  die  weisse  Substanz  durch- 
ziehen und  als  Nerven  der  Gefässhaut  austreten  sollten.  Dieser  Beschreibuno- 
scheinen  die  Biudegewebssepta  der  Seitenstränge  zu  Grunde  gelegen  zu  haben. 

Eingestreut  zwisclien  den  wesentlichen  Elementen,  den  iSTervenfasern, 
enthält  die  weisse  Substanz  des  Rückenmarks  eine  grosse  xinzahl  der  kuo-e- 
ligen  Elemente ,  die  ich  mit  dem  Namen  Körner  bezeichnet  habe,  theils  ein- 
zeln, theils  in  kürzeren  und  längeren,  den  Fasern  parallelen  Reihen,  ferner 
grössere,  multipolare  Ganglienzellen,  nicht  selten  in  den  tiefsten,  zunächst 
an  die  grauen  Säulen  angrenzenden,  aber  auch  vereinzelt  in  den  äusseren 
Schichten,  endlich  die  Bestandtheile  der  von  aussen  eindringenden,  grauen 
oder  gelatinösen  Rinden  schichte. 

Die  Mächtigkeit  dieser  Rindenschichte,  die  die  weissen  Stränge  beklei-  Einden- 
det,  sowie  die  Bestandtheile  derselben  sind  veränderlich.  Mitunter  reicht  sie  ^'^  ^'^^*^' 
gerade  hin ,  um  die  Lücken  zwischen  der  oberflächlichsten  Nervenfaserlage 
auszugleichen  und  eine  ebene  Oberfläche  herzustellen;  meistens  überzieht 
sie  die  weisse  Substanz  in  einer  Stärke  von  0,025  bis  0,05  Mm.  und  in  ein- 
zelnen Fällen  bildet  sie,  mehr  als  0,1  Mm.  mächtig,  die  Kante  eines  von 
zwei  unter  spitzen  Winkeln  zusammenstossenden  Furchen  begrenzten  Stran- 
ges (Fig.  29  a.  f.  S.).  Die  graue  Rinden  schichte  beschränkt  sich  aber  nicht 
auf  die  äussere  Oberfläche  des  Rückenmarks ;  sie  zieht  sich  mit  den  binde- 
gewebigen Scheidewänden  der  beiden  Rückenmarkshälften  in  die  Median- 
furchen hinein,  grenzt  in  geringerer  Mächtigkeit  die  Nervenfaserbündel  gegen 
die  Biudegewebssepta  ab,  welche  von  der  Gefässhaut  aus  in  die. weisse  Sub- 
stanz eindringen  und  bildet  für  sich  allein  Fortsätze  dieser  Sej^ta,  um  die 
durch  sie  geschiedenen  Abtheilungen  der  Stränge  noch  weiter  abzuth eilen. 

Alles  dies  zeigt  sich  am  deutlichsten  an  Querschnitten  eines  Rücken- 
marks, welches  man  vor  der  Erhärtung  kurze  Zeit  der  Einwirkung  des 
kochenden  Wassers  ausgesetzt  hat,  wodurch  das  Bindegewebe  gallertartig- 
durchsichtig,  die  Rindenschichte  dunkler  und  fester  wird.  Daraus  ergiebt 
sich  zugleich  ein  Aufschluss  über  das  Gewebe  der  Rindenschichte.  Grund- 
lage desselben  ist  die  feinkörnige,  sogenannte  gelatinöse,  vom  Bindegewebe 
durch  ihr  Verhalten  gegen  kochendes  Wasser  unterschiedene  Substanz,  die 
auch  den  Centralcanal  umgiebt  und  die  grauen  Hintersäiilen  deckt,  mit  den 
nämlichen  unregelmässig  eingestreuten  Körnern ;  doch  wird  diese  Substanz 
in  ihren  oberflächlichen  Lagen  iind  zuweilen  in  ihrer  ganzen  Dicke  durch- 
zogen und  selbst  verdrängt  von  feinen,  dicht  verfilzten  Bindegewebsfäden, 
%  5* 


68 


Rückenmark. 


welche  mit  dem  lockigen  Bindegewebe  der  Gefässhaut   und   ihrer  Fortsätze 
zusammenhängen.     So  weit  die  Rindensubstanz  diese  bindegewebige  Invasion 

Fiff.  29. 


4    3 


T50 
l 


Aus    einem    mit    Kalilösung    behandelten    und  in  Wasser  ausgewaschenen  Querschnitt 
des  Rückenmarks.       1    Vorderes  Septum    der    Gefässhaut.       2   Aeussere    längsfaserige, 
3  innere  verfilzte  Schichte  der  Gefässhaut.    4  Gelatinöse  Rindenschichte. 


Eindege- 
webs-Septa. 


erleidet,  erhält  sie  mehr  die  Bedeutung  einer  Hülle  des  Rückenmarks  als  einer 
nervösen  Schichte,  so  weit  auch  wandeln  sich  die  Körner  derselben  in  strah- 
lige, multipolare  Bindegewebszellen  um.  Oft  und  zwar  häufiger  bei  den 
grossen  Säugethieren,  als  bei  den  kleineren  und  dem  Menschen,  erstreckt  sich 
die  Bindegewebsmetamorphose  der  Körner,  wenn  man  es  so  nennen  darf, 
zwischen  die  einzelnen  Nervenfasern  imd  werden  diese,  statt  durch  eine 
formlose  Grundsubstanz,  durch  feine  Bindegewebsnetze  mit  meist  quer  ge- 
streckten Maschen  von  einander  geschieden. 

Die  bindegewebigen  Septa,  welche  die  weisse  Substanz  in  Bündel  oder 
auf  dem  Qtierschnitt  in  Felder  abtheilen ,  haben  im  Allgemeinen  einen  ra- 
diären Verlauf  zwischen  der  äusseren  Oberfläche  des  Rückenmarks  und  der 
Oberfläche  der  grauen  Säulen.  Enden  einzelne,  von  der  Peripherie  ausgehende, 
bevor  sie  die  graue  Substanz  erreicht  haben  und  umgekehrt,  so  beruht  dies 
darauf,  dass  die  Gefässe  und  Nerven ,  welche  in  denselben  enthalten  sind, 
noch  innerhalb  der  weissen  Substanz  sich  verästeln  resp.  umbiegen.  Jedes 
"dieser  Septa  durchzieht  nur  einen  relativ  geringen  Bruchtheil  der  Länge 
des  Rückenmarks.  Die  stärkeren  Septa  (von  0,02  Mm.)  senden  feinere 
(von  0,004  bis  0,007  Mm.)  aus,  durch  welche  sie  unter  einander  zusammen- 
hängen und  den  Querschnitt  der  weissen  Substanz  in  länglich  trajiezoide 
oder  rhombische   Felder   scheiden,   von   denen   die   grösseren   beispielsweise 


Rückenmark.  69 

am  Ceryicaltheil   0,09,   die   kleinsten   0,02    Quadratmillimeter   FLächeninkalt 
haben  (Goll). 

Der  Bau  der  oberen  Hälfte  des  Filum  terminale  bat  nocb  einige  Aebn-  Fiium  ter- 
licbkeit  mit  dem  des  eigentlichen  Rückenmarks.  Der  Centralcanal,  der  ™^^^^'^- 
sich,  wie  oben  erwähnt,  am  unteren  Ende  des  Conus  medullaris  in  die  hin- 
tere Fissur  öffnet,  erscheint  im  Filum  terminale  aufs  Neue  geschlossen,  um- 
geben von  gelatinöser  Substanz ,  von  longitudinalen  Nervenfasern  und  ver- 
einzelten kleinen  Zellen,  welche  Stilling  für  Nervenzellen  erklärt.  Etwa 
in  der  Mitte  des  Filum  terminale  endet  der  Canal  blind  und  von  da  an 
scheint  die  Gefässhaut  nur  noch  den  Blutgefässen  und  den  etwa  die  Blut- 
gefässe begleitenden  Nervenfasern  zur  Hülle  zu  dienen. 

Der  Streit,  ob  das  Filum  terminale  ein  Nerve  oder  ein  Fortsatz  der  Hüllen 
des  Rückenmarks  sei ,  den  die  älteren  Anatomen  durch  theoretische  Erörterungen 
zu  entscheiden  suchten  (vgl.  Burdach,  Bau  und  Leben  des  Gehirns,  I,  266),  ist 
auch  auf  dem  Wege  der  Vergleichung  der  mikroskopischen  Elemente  noch  nicht 
zu  schlichten  gewesen.  Zellen,  wie  Fasern,  werden  von  der  Einen  Seite  für  binde- 
gewebige, von  der  anderen  für  nervöse  angesprochen.  Am  entschiedensten  ver- 
tritt Bidder  (a.  a.  0.  S.  71)  die  erste,  Stilling  (a.  a.  0.  S.  1106)  die  zweite 
Ansicht.  Dass  im  oberen  Theil  des  Filum  terminale  neben  feinen  Fasern  von 
zweifelhafter  Natur  deutlich  dunkelrandige  Nervenfasei-n  vorkommen,  bestätigen 
Kölliker,  Jucubo witsch  (Mittheilungen  über  die  feinere  Structur  des  Gehirns 
und  Rückenmarks  S.  8),  Luschka  (der  Hirnanhang  und  die  Steissdrüse  des  Men- 
schen. Berlin  1860.  S.  81).  v.  B  och  mann  (ein  Beitrag  zur  Histologie  des  Rücken- 
marks. Dorpat  1860)  hält  die  Substanz  des  Endfadens  für  eine  Fortsetzung  der 
grauen  Masse  des  Rückenmarks ,  bestehend  aus  Bindegewebe  iind  dessen  Kernen, 
aus  kleinen  Nervenzellen  und  aus  fast  nur  longitudinal  verlaufenden  sehr  feinen 
Nervenfasern.  Beim  Ochsen  und  Pferde  öffnet  sich  der  Centralcanal  des  Rücken- 
marks nicht  in  die  hintere,  sondern  in  die  vordere  Com.missur.  Das  Filum  ter- 
minale enthält ,  soweit  es  sich  verfolgen  lässt ,  einen  centralen  Canal  und  ächte 
Nervenfasern  und  Zellen  (Stilling). 

An  die  gesonderte  Beschreibung  der  grauen  und  weissen  Substanz  des  Fasorver- 
Rückenmarks  sollte  sich  nunmehr  eine  Schilderung  des  Zusammenhangs  '^^ ' 
ihrer  Elemente  und  des  Verlaufs  der  Fasern  schliessen.  Aber  wer  jener 
Beschreibung  gefolgt  ist,  weiss  auch,  dass  wir  es  in  diesem  Punkte  nicht 
weiter  als  zu  Vermuthungen  bringen  können.  Das  Resultat  eines  einfachen 
physiologischen  Experiments  und  einer  geläufigen  ärztlichen  Erfahrung, 
die  absolute  Lähmung  der  Empfindung  und  willkürlichen  Bewegung  (Para- 
plegie),  welche  nach  Quertheilung  des  Rückenmarks  die  Körpertheile  trifft, 
die  ihre  Nerven  aus  dem  unteren  Rückenmarksstumpf  empfangen ,  drängt 
zu  der  Annahme,  dass  die  Nervenwurzeln  nach  dem  Eintritt  in  das  Rücken- 
mark aufwärts  umbiegen  und  zum  Gehirn  aufsteigen.  Indem  die  Physiolo- 
gie sodann  in  den  vorderen  Strängen  ausschliesslich  motorische,  in  den  hin- 
teren sensible  Reaction  zu  erkennen  glaubte  ^),  erwartete  sie  von  der  Ana- 
tomie den  Nachweis,  dass  die  Fasern  der  Nervenwurzeln  in  den  Strängen 
aufsteigen,  in  die  sie  eingetreten  sind.  Dieser  Forderung  entsprachen  die 
Befunde  der  ersten  mikroskopischen  Untersuchungen.      Sollte   sie  auch  jetzt 


^)  van  Deen,  traites  et  decouvertes  sur  la  physiologie  de  la  moelle  epiniere.  Leyde 
1841.  Longet,  anatomie  et  physiologie  du  Systeme  nerveux  de  l'homme  et  des  animaux 
vertebres.     Paris   1842.  I,  273. 


70  Rückenmark. 

noch  maassgebend  sein,  nachdem  constatirt  ist,  dass,  wenn  nicht  alle,  so 
doch  die  grosse  Mehrzahl  der  Nervenwurzeln  alsbald  nach  ihrem  Eintritt 
ins  Rückenmark  sich  direct  zur  graiien  Substanz  begeben,  so  fiele  der  Ana- 
tomie die  Aufgabe  zu,  die  Fasern  durch  die  grauen  Säulen  bis  zur  Rück- 
kehr in  die  weissen  Stränge  und  zur  endlichen  Umbeugung  in  die  aufstei- 
gende Richtung  zu  verfolgen.  Es  ist  leicht  zu  zeigen ,  dass  sie  im  gegen- 
wärtigen Augenblick  ausser  Stand  ist,  diese  Aufgabe  zu  erfüllen.  Denn  so 
weit  man  über  das  Verhalten  der  Nervenwurzelfasern  in  der  grauen  Sub- 
stanz unterrichtet  ist ,  sieht  man  sie  in  Nervenzellen  eintreten ;  da  aber 
jede  Nervenzelle  neben  dem  Einen  unverästelten  Nervenfortsatz  nur  ver- 
ästelte (Protoplasma-)  Fortsätze  besitzt,  deren  Schicksal  unbekannt  ist,  so 
ist  von  vornherein  darauf  zu  verzichten,  dem  Gang  einer  Nervenfaser  über 
die  erste  Zelle,  die  sie  aufnimmt,  hinaus  nachzuspüren.  Die  einzige  ana- 
tomische Thatsache  also,  aus  welcher  gefolgert  werden  könnte,  dass  die 
Längsfasern  des  Rückenmarks  unmittelbare  oder  mittelbare  (durch  Nerven- 
zellen unterbrochene)  Fortsetzungen  der  Wurzelfasern  seien,  ist  die  Exi- 
stenz der  aus  der  grauen  Substanz  hervorgehenden  und  aufwärts  umbie- 
genden Fasern.  Aber  nur  in  den  Seitensträngen  gelang  es  mir,  solche  Fa- 
sern nachzuweisen;  zu  ihnen  gesellt  sich  vielleicht  noch  ein  kleiner  Theil 
der  Fasern,  welche  aus  der  grauen  Vordersäule  der  Einen  Seite  durch  die 
weisse  Commissur  in  den  Vorderstrang  der  anderen  Seite  übertreten  (S.  62). 
Wenn  die  grauen  Säulen  für  jede  Faser,  die  sie  aus  den  Wurzeln  empfan- 
gen oder  auch  nur  für  je  zwei  oder  drei  derselben  je  Eine  verticale  Faser  an 
die  weissen  Stränge  zurückgäben,  so  müsste  man  erwarten,  Umbeugungen, 
wie  wir  sie  in  den  Seitensträngen  wahrnehmen,  viel  häufiger  zu  finden. 
Vom  anatomischen  Standpunkte  ist  es  aber  auch  unnöthig  anzunehmen, 
dass  die  einmal  bis  zur  grauen  Substanz  vorgedrungenen  Fasern  wieder 
zur  weissen  zurückkehren,  da  in  der  grauen  Substanz  selbst,  besonders  in 
den  Hintersäulen,  verticale  Faserzüge  in  ansehnlicher  Zahl  vorkommen. 
Es  lässt  sich  nicht  einsehen,  warum  diese  Fasern  weniger  als  die  Fasern 
der  weissen  Stränge  geeignet  sein  sollten,  die  Leitung  zum  Gehirn  zu 
übernehmen.  Freilich  ist  es  ebenso  schwer,  zu  begreifen,  was  die  ver- 
ticalen  Fasern  der  weissen  Stränge  bedeuten,  wenn  sie  nicht  Fortsetzungen 
der  Nervenwurzeln  sind. 

Ich  bericMe  hier  in  Kürze  über  die  Versuche ,  welche  ,  seit  der  Zusammen- 
hang der  peripherischen  Nerven  mit  der  grauen  Substanz  anerkannt  ist,  un- 
ternommen wurden,  um  von  anatomischer  Seite  den  weiteren  Verlauf  der  Wurzel- 
fasern und  die  Bedeutung  der  verticalen  Fasern  der  weissen  Stränge  festzustellen. 
Ich  abstrahire  dabei  von  der  bereits  oben  (S.  66)  besprochenen  Controverse  über 
die  hinteren  Wurzeln,  ob  nämlich  ein  Theil  derselben  direct  zum  Gehirn  aufsteige ; 
der  dadurch  gewonnene  Aufschluss  käme  doch  nur  den  Hintersträngen  zu  Gute. 
Abgesehen  von  dieser  Besonderheit  bleiben  immer  noch  drei  principiell  verschiedene 
Meinungen  einander  gegenüberstehen,  die  Eine,  welche  jeden  Zusammenhang  der 
Nervenfasern  mit  Nervenzellen  läugnet ,  die  andere,  Avelche  alle  Wurzelfasern  der 
Spinalnerven  in  Nervenzellen  des  Eückenmarks  enden  lässt,  und  eine  dritte,  welche 
neben  den  in  Nervenzellen  endenden  Fasern  auch  solche  annimmt,  die  die  graue 
Substanz  durchsetzen.  Die  Darstellungen  der  ersten  Kategorie  haben  nur  geschicht- 
liches Interesse.  An  der  Spitze  derjenigen  ,  welche  den  Nervenzellen  ihre  vermit- 
telnde Stellung  zwischen  den  in  die  grauen  Säulen  eingetretenen  Nervenwurzeln 
und  dem  Gehirn    anwiesen,   steht   E.  Wagner   (Neurolog.  Unters.  S.  165).     Nach 


Itückeumark.  7 1 

seiner  Angabe  gehen  von  den  Zellen  der  Hintersäuleu ,  in  welche  die  sensibeln 
Fasern  sich  einsenken ,  Fasern  aus ,  welche  theils  zum  Gehirn  aufsteio-en ,  theils 
hinter  dem  Centralcanal  in  Nervenzellen  der  anderen  Seite  übertreten;  ein  be- 
trächtlicher Tlieil  der  Fasei-n  der  sensibeln  Wurzeln  soll  die  grossen  Nervenzellen 
der  Vordersäulen  erreichen,  von  welchen  die  motorischen  Wurzeln  ihren  Ursprung 
nehmen.  Schröder  v.  d.  Kolk  fasst  die  Eesultate  seiner  anatomischen  Unter- 
suchungen in  folgenden  Sätzen  zusammen :  die  Nervenzellen  hängen  durch  mehr 
oder  minder  verästelte  Fortsätze  unter  sich  zusammen  und  bilden  mehr  oder  min- 
der von  einander  geschiedene  Gruppen.  Die  vorderen  weissen  Stränge  bestehen 
aus  verticalen,  vom  Gehirn  stammenden  Fasern;  von  diesen  gehen  die  der  grauen 
Vordersäule  nächsten  direct  in  Nervenzellen  über ,  die  weiter  nach  aussen  gelege- 
nen gelangen  zwischen  den  Bündeln  der  tieferen  Fasern  zur  grauen  Vordersäule 
und  ziehen  an  deren  Peripherie  hin.  Sie  treten  in  oberflächliche  Nervenzellen  ein, 
die  mit  tieferen  und  so  zuletzt  mit  Gruppen  zusammenhängen,  welche  die  Axe 
und  den  vorderen  Theil  der  grauen  Säule  einnehmen  und  den  transversalen  motori- 
schen Nervenwurzelfasern  den  Ursprung  geben.  Schröder  v.  d.  Kolk 's  Einthei- 
lung  der  hinteren  Wurzelfasern  in  sensible  und  Eeflexfasern  Avurde  schon  oben 
erAvähnt.  Die  sensibeln  sollten  aufwärts  gehen,  von  den  Eeflexfasern  ein  Theil 
diirch  die  gelatinöse  Substanz  in  die  Nervenzellen  der  spongiösen  Substanz  der 
Hintersäule  eindringen;  ein  Theil  scheine  in  die  Eandfasern  überzugehen,  von 
welchen  die  Hintersäule  gürtelförmig  umgeben  ist.  Diese  Eandfasern  krümmen 
sich  an  der  Basis  der  Hintersäule  von  beiden  Seiten  gegen  deren  Axe,  um  zu  den 
Zellen  der  spongiösen  Substanz  zu  gelangen.  Die  Hintersäule  besteht  wesentlich 
aus  feinen  verticalen  Fasern;  da  sie  in  der  Cervical-  und  LumbaranschweUung  5  bis 
6  Mal  dicker  ist  als  im  Dorsaltheil,  so  muss  der  grössere  Theil  der  verticalen  Fa- 
sern in  den  Anschwellungen  enden ,  in  welchen  die  meisten  Eeflexwirkungen  com- 
binirt  werden ;  ausserdem  scheinen  sie  mehrere  übereinanderliegende  Zellengrup- 
pen mit  einander  in  Verbindung  zu  setzen.  Die  Fasern  der  grauen  Commissur 
gehen  zum  Theil  in  die  nächsten,  zum  Theil  in  die  tieferen  Zellen  der  Hintersäule 
über;  einzelne  gesellen  sich  zu  den  Eandfasern  der  Hintersäule.  Die  Fasern  der 
weissen  Commissur  wenden  sich  nach  vorn  und  enden  theilweise  als  Aiisstrahlun- 
gen  zwischen  den  verticalen  Fasern  des  Vorderstrangs ,  theils  gehen  sie  in  die 
Eandfasern  desselben  über.  Demnach  hängt  weder  die  hintere  noch  die  vordere 
Commissur  unmittelbar  mit  Nervenwurzeln  zusammen,  die  vordere  vielleicht  mit- 
telbar durch  die  Verbindungsfasern  zwischen  den  Grujapen  der  Nervenzellen. 

In  einer  Anmerkung  zur  deutschen  Uebersetzung  seines  Werkes  (Bau  und 
Functionen  der  MeduUa  spinalis  und  oblongata.  Braunschw.  1859.  S.  55)  giebt 
Schröder  v.  d.  Kolk  zu,  dass  ihm,  nach  den  Versuchen  von  Brown-Sequard, 
die  Deutung  des  Verlaufs  der  hinteren  Wurzeln  zweifelhaft  geworden,  dass  viel- 
leicht die  Eeflexfasern  gerade  aufsteigen,  die  sensibeln  zur  grauen  Säule  vordrin- 
gen. Bei  dieser  Annahme  würden  die  sensibeln  Nerven  in  die  Nervenzellen  der 
Hintersäulen  eintreten  und  von  hier  aus  würden  sich  Pasern  durch  die  graue 
Commissur  in  die  Hinterstränge  der  entgegengesetzten  Seite  begeben,  um  hier  um- 
zubiegen und  als  Träger  der  Gefühlseindrücke  aufwärts  zu  verlaufen. 

Schilling  sah  Nervenwurzelfasern  in  Zellen  eintreten  und  Einmal  eine  aus 
einer  Zelle  entspringende  Faser  in  einem  longitudinalen  Bündel  aufwärts  gehen. 
Auch  von  den  Fasern  der  weissen  Commissur  glaubt  er,  dass  sie  aus  Zellenfort- 
sätzen hervorgehen ;  sie  dienen  zur  Verbizidung  der  Vordersäulen  und  setzen  sich 
weder  in  longitudinale    noch  in  Wurzelfasern  fort. 

Mit  Schröder  v.  d.  Kolk  stimmt  Bidder  darin  überein,  dass  er  die  gegen- 
seitigen Verbindungen  der  Nervenzellen  für  eine  gesicherte  Thatsache  hält,  und 
obgleich  es  ihm  nur  bei  Fischen  gelang,  die  vorderen  Nervenwurzelfasern  bis  zu 
den  Nervenzellen  zu  verfolgen,  so  ist  ihm  dies  Verhältniss  aus  Gründen  der  Ana- 
logie auch  bei  höheren  Thieren  nicht  zweifelhaft.  Den  Zellen  der  Vordersäulen 
schreibt  er,  ausser  diesem  Nervenfortsatz  und  den  Fortsätzen,  welche  zur  Verbin- 
dung mit  Nervenzellen  derselben  Säule  dienen,  eine  dritte  Art  von  Fortsätzen  zu, 
welche  gegen  die  Commissur  gerichtet  sind  und  in  verticale  Fasern  des  Vorderstrangs 
überzugehen  scheinen,  und  eine  vierte   Art,   einen  nach    hinten   gerichteten   Fort- 


72  «  Rückenmark. 

satz,  der  tief  in  die  Hintersäule  verfolgt  werden  konnte  und  vielleicht  die  Zellen 
der  Vordersäule  mit  hinteren  Wurzelfasern  verbindet.  Die  Längsfasern  des  Eücken- 
inarks,  und  zwar  sowohl  die  der  Vorder-  als  der  Hinter  stränge,  erklärt  Bidder 
für  ein  intermediäres  System  zwischen  den  Zellen  der  Vordersäulen  und  dem  Ge- 
hirn. Die  Längsbündel  in  den  grauen  Hintersäiilen  betrachtet  er  allerdings  als 
Fortsetzungen  hinterer  Wurzelfasern,  die  aber  nicht  zum  Gehirn  vordringen,  son- 
dern nach  kurzer  Strecke  sich  vorwärts  zu  den  Nei'venzellen  der  Vordersäule  be- 
geben.    Die  Nervenzellen  der  Hintersäule   erkannte    Bidder   nicht   als    solche  an. 

Eine  ausführliche  Schilderung  giebt  Clarke  (Philos.  transact.  1853,  p.  347. 
Beale's  Archives  of  medecine.  Nr.  3,  p.  200)  von  dem  Verhalten  der  Nerven- 
wurzeln im  Rückenmark  der  Katze:  danach  lösen  die  voi'deren  Wurzeln  sich  in 
den  orauen  Vordersäulen  in  feinere  Bündel  und  selbst  in  vereinzelte  Fasern  auf, 
die  einander  durchkreuzen,  in  die  Seiten  -  und  Vorderstränge  ausstrahlen  und  in 
den  letzteren  mit  den  Fasern  der  entgegengesetzten  Seite  sich  verflechten.  Einige 
biegen  auf-  oder  abwärts  um,  nur  wenige  erreichen  die  Zellen,  indess  andere 
zwischen  denselben  in  die  graue  Commissur  übergehen.  Die  Bündel  der  hinteren 
Wurzeln  sind  von  dreierlei  Art,  ausgezeichnet  theils  durch  den  Verlauf,  theils 
durch  die  Stärke  der  Fasern.  Die  Einen,  die  unterhalb  der  Cervicalanschwellung 
nicht  mehr  deutlich  unterschieden  werden ,  ziehen  compact  horizontal  durch  die 
verticalen  Fasern  des  Hinterstrangs  bis  tief  in  die  graue  Substanz ,  biegen  dann 
unter  rechtem  Winkel  abwärts  um  und  senden  in  kurzen  Abständen  Fasern  vor- 
wärts in  die  grauen  Vordersäulen.  In  ihrem  verticalen  Verlauf  nehmen  sie  Fa- 
sern von  oben  und  unten  her  auf,  mit  welchen  sie  einen  continuirlichen  Streifen 
bilden.  Die  Fasern,  die  von  diesem  Streifen  abgehen,  scheinen  theilweise  in  der 
grauen  Substanz  Schlingen  zu  bilden ,  theilweise  erstrecken  sie  sich  in  die  Seiten- 
und  Vorderstränge  und  indem  sie  hier  auf-  oder  abwärts  umbiegen,  kehren  sie 
entweder  in  die  graue  Substanz  zurück  oder  veiiieren  sich  in  der  weissen.  Die 
Bündel  der  zweiten  Art  gehen  quer  und  mit  einander  verflochten  bis  fast  zur  me- 
dianen Furche;  sie  setzen  sich  in  die  Commissuren  fort  oder  hängen  mit  den  Zel- 
len der  Columnae  vesiculares  zusammen,  oder  kehren  zu  den  Seiten  -  und  Hintei'- 
strängen  zurück,  oder  endlich  sie  bilden  Geflechte  zwischen  den  ZeUea  der  grauen 
Vordersäulen.  Die  Bündel  der  dritten  Art  begeben  sich  ebenfalls  in  querer  Rich- 
tung in  die  weissen  Stränge ;  einige  Fasern  derselben  halten  sich  dicht  unter  der 
Oberfläche  und  treten  mit  nächst  höheren  oder  tieferen  Wurzeln  wieder  aus ;  die 
übrigen  gehen  meist  schräg  aufwärts ,  nur  wenige  abwärts ;  es  sind  die  Fasern, 
von  welchen  es  unentschieden,  blieb ,  ob  sie  die  graue  Substanz  ei-reichen  oder  in 
der  weissen  zum  Gehirn  gehen.  Auch  im  letzteren  Fall  wäre,  wie  Clarke  meint, 
ihre  Zahl  zu  gering,  um  als  Leiter  der  sensibeln  Eindrücke  zu  gelten.  Eher 
möchten  sie ,  da  die  hinteren  Stränge  schliesslich  in  das  Kleinhirn  übergehen ,  das 
als  Regulator  der  Bewegungen  betrachtet  wird,  zur  Controle  und  Coordination 
complexer  Muskelbewegungen  bestimmt  sein. 

Das  Resultat,  welches  Stilling  am  Schlüsse  seines  umfassenden  Werkes 
(S.  1120)  aus  seinen  Beobachtungen  zieht,  gebe  ich  mit  seinen  eigenen  Worten 
wieder : 

Jede  Seitenhälfte  des  Rückenmarks  wird  der  Hauptsache  nach  gebildet  a)  von 
zwei,  mit  seiner  Längsaxe  mehr  oder  minder  parallel  liegenden  Säulen  kleiner 
und  grosser  Nervenzellen ;  b)  aus  Nervenfasern ,  die  in  verschiedenen  Richtungen 
verlaufen  und  einen  verschiedenen  ürsprungsort  haben  und  zwar  l)  vom  Gehirn, 
im  Rückenmark  endend;  2)  von  Spinalganglien,  entweder  im  Rückenmark  endend 
oder  nur  durch  dasselbe  hindurch  -  und  als  Theile  vorderer  Nervenwurzeln  aus- 
tretend; 3)  von  Nex'venzellen,  Fasern,  welche  entweder  als  Theile  vorderer  Neiwen- 
wurzeln  austreten  oder  als  Commissurenfasern  im  Rückenmark  bleiben. 

Die  Nervenzellen  zerfallen  für  jedes  Gebiet  des  Rückenmarks,  aas  welchem 
eine  Spinalwurzel  entsj)ringt,  in  Kategorien,  die  sich  durch  Richtung  und  Verlauf 
der  von  ihnen  ausgehenden  Fasern  unterscheiden.     Diese  Kategorien  sind 

a)  für  die  vordere  Nervenzellensäule  folgende : 

1.  Die  Fasern  gehen  in  horizontaler  oder  fast  horizontaler  Richtung  in  die 
vorderen  Nerveuwurzeln  über.     Die  Zellen  bilden  also    gleichsam  die    spinalen  Ur- 


Rückenmark.  73 

Sprungsstellen  füi-  die  vorderen  Nervenwurzeln,  analog  den  Nervenzellen  der  Spinal- 
ganglien, die  als  Ursprungs  statten  der  hinteren  Wurzeln  betrachtet  werden 
müssen. 

2.  Die  Ausläufer  ziehen  schräg  abwärts,  in  kürzerer  oder  längerer  Strecke, 
durch  die  grauen  und  weissen  Vorderstränge ,  iim  in  eine  vordere  "Wurzel  des 
nächsten  oder  eines  entfernteren  Spinalnerven  überzugehen. 

3.  Die  Ausläufer  ziehen  schräg  aufwärts,  ebenfalls  zu  einer  nähei-en  oder 
ferneren  Nervenwurzel. 

4.  Sie  gehen  in  unregelmässigem  Lauf  durch  die  vordere  oder  hintere  Com- 
missur  und  setzen  sich  mit  Nervenzellen  und  dadurch  mit  Fasern  der  nämlichen 
Horizontalebene  oder  verschiedener  höher  oder  tiefer  gelegenen  Ebenen  derselben 
oder  der  entgegengesetzten  Seitenhälfte  des  Rückenmarks  in  Verbindung. 

5.  Die  Fasern  treten  in  verschiedenen  Eichtungen  in  die  weissen  Vorder- 
oder Seitenstränge  ein,  nehmen,  hier  angelangt,  die  der  Längsaxe  des  Eücken- 
marks  parallele  Richtung  an  und  laufen  continuirlich  aufwärts  bis  zum  Gehirn. 
Sie  bilden  die  Hauptmasse  der  Längsfasern  der  weissen  Vorderstränge  und  des  vor- 
deren Theils  der  Aveissen  Seitenstränge ,  das  intermediäre  Fasersystem  zwischen 
vorderen  Wurzeln  und  Gehirn.  Zugleich  aber,  während  sie  von  ihren  Zellen  aus 
zuerst  schräg  aufsteigen,  stellen  sie  die  schrägen  Fasern  der  Vorder-  xmä.  Seiten- 
stränge dar. 

6.  Horizontale  oder  der  horizontalen  E,ichtung  mehr  oder  weniger  genäherte 
Fasern  verlaufen  gerade  nach  hinten,  treten  durch  die  grauen  Hinterhörner  und 
die  weissen  Hinterstränge  quer  oder  schräg  hindurch,  und  kommen  hier  theils 
direct ,  theils  durch  Vermittelung  von  Nervenzellen  mit  Fasern  hinterer  Wurzeln 
in  Verbindung. 

7.  Die  Fasern  verlaufen  gerade  oder  geschlängelt  in  den  grauen  Vorderhör- 
nern abwärts  und  setzen  die  Nervenzellen  mit  denen  der  näheren  oder  ferneren, 
tiefer  gelegenen  Gebiete  in  Verbindung.  Sie  bilden,  mit  den  folgenden,  den  we- 
sentlichen Theil  der  den  grauen  Vorderhörneru  eigenthümlichen  Nervenfasern. 

8.  Die  von  dieser  Kategorie  ausgesandten  Fasern  laufen  gerade  oder  geschlän- 
gelt in  den  vorderen  Hörnern  aufwärts  und  setzen  sich  mit  Nervenzellen  höherer 
Eückenmarksgebiete  in  Verbindung. 

b.  Die  hintere  Nervenzellensäule.  Die  Nervenzellen  dieser  Säule  zer- 
fallen nach  dem  Lauf  der  von  ihnen   ausgehenden  Fasern  in  folgende  Kategorien : 

1.  Die  Fasern  verlaufen  horizontal  gerade  nach  hinten,  treten  durch  die  grauen 
Hinterhörner  in  die  Aveissen  Hinterstränge  und  durch  diese  und  die  hinteren  Schich- 
ten der  Seitenstränge  als  Primitivfasern  einer  hinteren  Wurzel  in  eine  entspre- 
chende Spinalgangiienzelle. 

2.  Die  Fasern  durchlaufen  in  verschiedenen  Eichtungen  die  grauen  Hinter- 
hörner, treten  dann,  wie  die  der  vorhergehenden  Kategorie,  in  weisse  Hinter- 
stränge ein  und  verlaufen  in  kürzeren  oder  längeren  Strecken  aufwärts  zu  den 
Wurzeln  höherer  Nerven. 

3.  Die  Fasern  verhalten  sich  ebenso  zu  weiter  abwärts  austretenden  Wurzeln. 

4.  Die  Fasern,  nachdem  sie  in  verschiedenen  Eichtungen  die  grauen  Hinter- 
stränge durchsetzt,  biegen  in  den  weissen  Hintersträngen  oder  dena  hinteren  Theil 
der  Seitenstränge  aufwärts  um  und  erstrecken  sich  continuirlich  zum  Gehirn. 
Sie  bilden  die  Hauptmasse  der  longitudinalen  Fasern  der  hinteren  Rückenmarks- 
hälfte. 

5.  Die  Fasern  dienen  zur  Verbindung  der  Nervenzellen  des  nämlichen,  des 
höheren  und  tieferen  Gebiets  der  hinteren  Säule ,  sowie  der  gleichen  Gebiete  der 
vorderen  Säule  der  entsprechenden  oder  entgegengesetzten  Eückenmarkshälfte. 
Diese  Fasern  bilden  den  Haupttheil  der  den  grauen  Hinterhörnern  eigenthümlichen 
Nervenprimitivfasern,  soAvie  einen  Theil  der  Commissurenfasern. 

Alle  diese  Nervenzellenkategorien  der  vorderen  und  hinteren  Säulen  sind  aber 
nicht  so  zu  betrachten,  als  Aväre  jede  Nervenzelle  der  einen  Kategorie  nur  aus- 
schliesslich zur  Abgabe  der  speciellen  Fasern  bestimmt;  vielmehr  kann  jede  Ner- 
venzelle mehreren  in  verschiedenen  Eichtungen  verlaufenden  Fasern  den  Ursprung 
geben  oder  mehrere,  von  verschiedenen  Seiten  kommende  in  sich  aufnehmen.    Die 


74  Rückenmark. 

Ausläufer  der  kleinsten  Nervenzellen  der  gelatinösen  Substanz,  die  nicht  als  voll- 
ständige Nervenprimitivfasern  angesprochen  vi^erden  können,  kommen  bei  dieser 
Aufzählung  nicht  in  Betracht. 

Die  Nervenprimitivfasern  des  Rückenmarks  unterscheidet  Stilling  je  nach 
ihrer  Ausbreitung  in  Localfasern,  die  nur  je  Einem  Nervengebiete  angehören; 
Provinzialfasern,  welche  in  die  Gebiete  der  2  bis  5  nächst  höheren  oder  nie- 
deren Nerven  sich  erstrecken  und  Universal-  oder  Cerebralfasern,  welche 
von  dem  betreffenden  Gebiet  continuirlich  bis  zum  Gehirn  aufsteigen. 

Dean  (Microscopic  anatomy  of  the  lumbar  enlargement  of  the  spinal  cord. 
Cambridge  1861)  unterscheidet  in  den  Nervenwurzeln  dreierlei  Nervenfasern : 
])  Vordere  und  hintere  Wurzelfasern,  welche  in  Nervenzellen  der  vorderen  und 
hinteren  grauen  Säulen  enden  (oder  beginnen) ;  2)  vordere  und  hintere  Wurzel- 
fasern, die  einander  in  Zellen  innerhalb  des  centralen  Theüs  der  grauen  Substanz 
begegnen;  3)  vordere  und  hintere,  direct  in  einander  übergehende  Wurzelfasern. 
Durch  schleifenförmige  Fasern,  welche  von  Zellen  ausgehen,  in  denen  die  Fasern 
der  vorderen  Wurzeln  enden ,  hängen  die  Fasern  jeder  Wurzel  mit  denen  höher 
und  tiefer  entspringender  Wurzeln  zusammen,  dergestalt,  dass  die  aus  jenen  Zellen 
hervorgehenden  Fasern  die  graue  Substanz  verlassen ,  in  den  vorderen  weissen 
Strängen  auf-  oder  abwärts  verlaufen  und  schliesslich  mit  einem  Bündel  einer  an- 
deren Wurzel  wieder  zur  grauen  Substanz  zurückkehren.  Demnach  reichen  auch 
nicht  alle ,  von  Nervenzellen  aufwärts  verlaufende  Fasern  bis  zum  Gehirn,  sondern 
viele  derselben  treten  nach  kürzeren  oder  längeren  Strecken  aufs  Neue  in  die 
graue  Substanz  ein,  vielleicht  iim  sich  abermals  mit  Zellen  zu  verbinden  und  aber- 
mals aus  denselben  als  longitudinale  Fasern  hervorzugehen.  Die  Fortsätze  sowohl 
vorderer  als  hinterer  Nervenzellen  verfolgte  Dean  mitunter  in  drei  oder  vier  ver- 
schiedene Wurzeln;  ebenso  sah  er  die  Aeste  eines  Zellenfortsatzes  in  verschie- 
dene Bündel  übergehen  und  erklärt  so ,  wie  sensitive  Eindrücke  von  verschiedenen 
Stellen  der  Oberfläche  zu  Einer  Zelle  geleitet  werden  und  motorische  Impulse  zu 
verschiedenen  Punkten  von  Einer  Zelle  ausgehen  können.  Von  den  Fasern  der 
durch  die  Substantia  gelatinosa  in  die  Hintersäule  eingedrungenen  Bündel  beugen 
viele  sich  abAvärts ,  seltener  aufwärts,  und  bilden  so  eine  Reihe  von  Längsbündeln, 
die  longitudinalen  Säulen  der  Hinterhörn  er  Dean 's,  die  mit  den  Zellenfortsätzen 
der  Columna  vesicularis  post.  zusammenhängen.  Die  weissen  Hinterstränge  findet 
Dean  fast  ausschliesslich  aus  Fasern  der  hinteren  Wurzeln  zusammengesetzt, 
welche  durch  dieselben  hindurch  zur  grauen  Substanz  sich  begeben ;  doch  schei- 
nen sie  auch  einige  Fasern  aus  Zellen,  die  am  Bande  der  hinteren  Hörner  liegen 
und  einige  mehr  oder  weniger  longitudinale  Fasern  aus  Bündeln  zu  erhalten, 
welche  durch  die  graue  Substanz  von  Einer  Wurzel  zu  einer  anderen ,  höheren 
oder  tieferen,  schleifenförmig  verlaufen. 

In  den  wenigen  Fällen,  wo  Bochmann  die  weitere  Verfolgung  der  pinsel- 
förmig ausstrahlenden  motorischen  Wurzeln  gelang,  zogen  sie  zwischen  den  Zellen 
hindurch  und  theilten  sich  dann  in  feinere  Bündel,  von  welchen  einige  die  Rich- 
tung gegen  die  vordere  Commissur,  andere  die  gegen  die  Hintersäule  einschlugen, 
in  deren  Längsfasern  sie  überzugehen  schienen ,  wieder  andere  an  der  vorderen 
und  lateralen  Grenze  dieser  Säule  verliefen,  um,  wie  es  schien,  in  die  Seitenstränge 
auszustrahlen. 

Ohne  uns  einen  Einblick  in  die  von  ihm  beniitzten  Methoden  zu  gönnen,  giebt 
L  u  y  s  als  Resultat  seiner  Untersuchung  des  Rückenmarks  folgende  Uebersicht : 
Die  Fasern  der  Nervenwurzeln  steigen  zum  Theil  direct  zum  Gehirn  auf  (fibres 
ganglio -v^rtebrales  der  hinteren  Wurzel,  welche  die  Seitenstränge  bilden),  zum 
Theil  treten  sie  zur  Axe  des  Rückenmarks ,  die  hinteren  (fibres  ganglio-spinales) 
insbesondere  zur  gelatinösen  Substanz ,  welche  in  allen  Theilen  der  Centralorgane 
zur  Aufnahme  der  centripetalen  Fasern  bestimmt  ist.  Von  den  Zellengruppen  der ' 
gelatinösen  Substanz,  welche  in  sagittaler  Richtung  geschieden,  in  verticaler  und 
transversaler  durch  Plexus  verbunden  sind,  strahlen  zur  Vermittelung  der  Reflex- 
bewegungen Fortsetzungen  in  die  Zellen  der  Vordersäulen  aus.  Andere ,  aus  der 
gelatinösen  Substanz  entspringende  und  aufwärts  verlaufende  Fasern  setzen  die 
Hinterstränge  zusammen.     Mit  den  hinteren  Wurzeln  gelangen  auch   die  sympathi- 


Rückenmark.  75 

sehen  Pasern  zum  E,ückenmai-k ;  sie  treten  in  die  centrale  gelatinöse  Substanz  ein, 
welche  durch  Eückenmark  und  G-ehirn  bis  zum  Septum  lucidum  ein  zusammen- 
hängendes Ganze  ausmacht.  Die  Fasern  der  Vorderstränge  sind,  wie  die  der  vor- 
deren Wurzeln,  Ausläufer  der  grossen  Nervenzellen  der  Vordersäulen. 

Nach  der  von  Kölliker  in  der  neuesten  Auflage  seines  Handbuchs  gegebenen 
Darstellung  wenden  sich  die  Pasern  der  motorischen  Wurzeln  in  den  grauen  Vor- 
dersäulen ,  pinselförmig  sich  ausbreitend,  vorzugsweise  nach  drei  Richtungen :  die 
medialen  Bündel  gehen  zu  der  inneren  Grruppe  der  grossen  multipolaren  Nerven- 
zellen und  zum  Theil  durch  dieselbe  und  durch  die  weisse  Commissur  in  den  Vor- 
derstrang der  anderen  Seite,  in  welchem  sie  als  verticale  Fasern  aufwärts  verlau- 
fen. Ein  zweiter  Theil  der  motorischen  Wurzeln  hängt  mit  der  vorderen  Hälfte 
der  Seitenstränge  ihrer  Seite  zusammen,  während  ein  dritter  Theil  gegen  die  Hin- 
tersäulen zieht  und  entweder  mit  den  lateralen  Nervenzellen  der  Vordersäulen 
sich  verbindet  oder  in  dem  dichten  Flechtwerk  der  letzteren  sich  verliert.  Von 
den  hinteren  Wurzelfasern  verfolgte  Kölliker  die  miedialen  durch  die  weissen 
Stränge  und  die  Substantia  gelatinosa  zu  den  Vordersäulen,  von  wo  sie  theils  in 
die  weisse  Conunissur,  theils  in  die  laterale  Nervenzelleugruppe  und  weiter  in  die 
vordere  Eegion  der  Seitenstränge  übergingen.  Die  lateralen  hinteren  Wurzelfasern 
wenden  sich  nach  dem  Durchtritt  durch  die  gelatinöse  Substanz  des  Hinterhorns 
in  der  spongiösen  Substanz  desselben  nach  zwei  Seiten.  Die  Einen  ziehen  als  lon- 
gitudinale  Bündel  der  Hintersäulen  auf-  oder  abwärts,  schliessen  sich  theilweise 
an  die  Hinterstränge  an,  theihveise  biegen  sie  wieder  um  in  die  horizontale  Pach- 
tung, um  die  Vordersäulen  und  die  Commissuren  zu  erreichen.  Die  anderen  strah- 
len gerade  vorwärts  in  die  Hintersäulen  aus  und  gehen  in  dem  GeAvirr  der  Fasern 
der  spongiösen  Substanz  unter,  doch  nicht  so  vollständig,  dass  nicht  einzelne  in 
die  graue  Vordersäule  und  bis  zur  Vereinigung  mit  den  von  vorderen  Wurzeln 
gegen  die  Hintersäulen  gerichteten  Pasern  zu  verfolgen  wären,  ohne  dass  jedoch 
ein  unmittelbarer  Zusammenhang  einzelner  Pasern  beider  Wurzeln  mit  der  nöthi- 
gen  Bestimmtheit  sich  beobachten  liesse.  Am  Dorsalmark  geht  die  mediale  Fa- 
sermasse der  hinteren  Wurzeln  in  die  Columnae  vesiculares  ein  und  löst  sich  in- 
nerhalb derselben  in  feinste  Bündel  und  einzelne  Fasern  auf;  andererseits  tritt 
aus  diesen  Säulen  nach  vorn  ein  Paserzug  aus ,  der  sich  lateralwärts  wendet,  pin- 
selförmig zerfährt  und  mit  dem  mittleren  Theil  der  Seitenstränge  sich  verliert. 
Beiderlei  Fasern  scheinen  durch  die  Zellen  ^  der  Columnae  vesiculares  zusammen- 
zuhängen. Die  Hypothese  über  den  Zusammenhang  der  Pasern  innerhalb  des 
Eückenmarks  und  mit  dem  Gehirn,  welche  Kölliker  auf  diese  anatomischen  An- 
gaben gründet,    findet   man  in  dessen  Handbuch  S.  280. 

Frommann  bestätigt  die  von  Kölliker  angegebenen  drei  Hauptrichtungen 
der  vorderen  Wurzelfasern,  konnte  auch  in  der  Hintersäule  Commissurenfasern 
bis  zum  Uebertritt  in  ein  Bündel  der  hinteren  Wurzeln  verfolgen,  war  aber  aus- 
ser Stande,  den  Eintritt  von  Fasern  der  hinteren  Wurzeln  in  die  Vordersäule  oder 
in  die  Seitenstränge  nachzuweisen.  Dagegen  schienen  ihm  an  der  medialen  Seite 
der  Hintersäule  Pasern,  die  von  ihm  sogenannten  Strahlenbündel,  aus  der  Hinter- 
säule auszutreten  und  in  die  Längsrichtung  umzubiegen. 

Einen  Uebergang  motorischer  Bahnen  in  Hinterstränge  vermochte  auch  Dei- 
ters (a.  a.  0.  S.  133)  nicht  zu  constatiren,  ebenso  wenig  wie  irgend  eine  andere 
der  bisher  als  anatomische  Grundlage  für  Reflexbewegungen  angenommenen  Zellen- 
verbindungen. Für  den  Zusammenhang  der  Wurzel-  und  verticalen  Pasern  stellt 
er  mit  Rücksicht  auf  die  Deutung,  die  er  den  beiderlei  Arten  von  Nervenzellen- 
fortsätzen giebt,  drei  Möglichkeiten  auf:  entweder  alle  Axencylinderfortsäte  treten 
in  die  Wurzelfasern  und  das  Pasersystem  der  Protoplasmafortsätze  verbindet  oder 
verbreitert  sich  zu  Axencylindern  der  verticalen  Pasern;  oder  die  Axencylinder- 
fortsätze  gehen  von  verschiedenen  Nervenzellen  nach  zwei  Seiten  und  die  Proto- 
plasmafortsätze vermitteln  die  Verbindung  dieser  Nervenzellen;  oder  es  giebt  Ner- 
venzellen, welche  ihren  Axencylinderfortsatz  in  die  Wurzeln,  ihre  Protoplasmafortsätze 
in  die  Stränge  schicken  und  umgekehrt.  Deiters  hält  den  ersten  Fall  für  den 
wahrscheinlichsten ;  er  beruft  sich  auf  die  directe  Beobachtung  und  darauf ,  dass 
man  nach    den    Aveissen,    besonders  den    Seitensträngen    Pasermassen    ziehen   sehe, 


76  Rückenmark. 

welche  an  Ausdelmiiug  dem  Axencylinderfortsatz   nicht  entsprechen    und    dem  Sy- 
stem der  Protoplasniafortsätze  angehören  dürften. 

Ger  lach  ist  in  Betreff  der  vorderen  Wurzelfasern  der  gleichen  Ansicht,  dass 
sie  nämlich  direct  in  die  Axencylinderfortsätze  der  Nervenzellen  der  Vordersäule 
einmünden ;  für  die  hinteren  Nervenwurzeln  dagegen  glaubt  er  den  Zusammen- 
hang mit  den  Protoplasmafortsätzen  der  Nervenzellen  der  Hintersäule  durch  Ver- 
mittelung  eines  feinen  Pasernetzes  nachgewiesen  zu  haben.  Aus  demselben  Netz 
gehen,  G-erlach  zufolge,  auch  Nervenfasern  der  weissen  Stränge  hervor;  in  die 
zwischen  den  Vorder-  und  Hintersäulen  gelegene  Region  desselben  tritt  ein  Theil 
der  transversalen  Fasern  der  grauen  Commissur  ein,  während  ein  anderer  Theil 
derselben  sich  an  die  Hinterstränge  anlegt.  Die  weisse  Commissur  betrachtet 
Grerlach  als  Kreuzung  der  Vorderstränge,  sie  sei,  da  die  Kreuzung  längs  des 
ganzen  Rückenmarks  vor  sich  gehe ,  nur  schmal,  im  Verhältniss  zu  der  auf  eine 
kurze  Strecke  zusammengedrängten  Kreuzung  der  Seitenstränge  in  den  Pyra- 
miden. 

i*hysioiog.  Wenden  wir  uns  in  dem  besagten  Dilemma  an  die  Physiologie,  so  zeigt 

siiciumcr.  sicli ,  dass  allerdings  die  Sätze ,  welche  jene  anatomische  Hypothese  ins  Le- 
ben riefen,  einen  Theil  ihrer  Geltung  verloren  haben.  Ich  habe  erwähnt, 
dass  die  Fähigkeit  der  verticalen  Fasern  der  Rückenmarksstränge ,  auf  Rei- 
zung Bewegung  oder  Empfindung  hervorzurufen ,  zweifelhaft  geworden  ist. 
Damit  hört  die  Physiologie  auf,  diese  Fasern  als  unmittelbare  Fortsetzun- 
gen der  peripherischen  Nervenfasern  zu  betrachten.  Bliebe  die  Annahme, 
dass  sie  als  mittelbare  Fortsetzungen  der  peripherischen  Fasern,  ohne  de- 
ren specifische  Kräfte ,  die  Leitung  zwischen  den  Nervenzellen,  in  welchen 
die  peripherischen  Fasern  enden,  und  dem  Gehirn  vermittelten.  Dann  dürfte 
zwar  die  Reizung  der  verticalen  Rückenmarksfasern  erfolglos  bleiben,  die 
Durchschneidung  derselben  aber  müsste  die  Wechselwirkung  zwischen 
den  perijaherischen  Theilen  und  dem  Gehirn  vernichten,  wenn  auch  jede 
einzelne  Faser  eine  Strecke  weit,  so  weit  nämlich  als  sie  und  die  ihr  ent- 
sprechende Leitungsfaser  innerhalb ^.der  grauen  Säule  verläuft,  vor  den  die 
weisse  Substanz  treffenden  Verletzungen  geborgen  wären.  Die  Versuche 
Brown-Sequard's^)  und  Schiffs^)  sind  dieser  Voraussetzung  nicht 
günstig.  Die  Durchschneidung  der  Vorderstränge  hob  die  Beweglichkeit 
der  hinteren  Extremitäten  nicht  auf.  Die  Durchschneidung  der  hinteren 
Stränge,  weit  entfernt,  die  Sensibilität  der  von  dem  unteren  Abschnitt  ver- 
sorgten Körpertheile  zu  beseitigen,  zog  vielmehr  eine  erhöhte  Empfindlich- 
keit derselben  nach  sich.  Ueber  den  Erfolg  der  Durchschneidung  des 
Rückenmarks  mit  Ausschluss  der  hinteren  Stränge  kamen  beide  Experimen- 
tatoren zu  widersprechenden  Resultaten.  Nach  Brown-Sequard  sind  die 
hinteren  Stränge  allein,  wenn  das  Rückenmark  mit  Schonung  derselben 
durchschnitten  worden,  nicht  im  Stande,  die  Erregungen  der  unterhalb  der 
Durchschnittsstelle  eintretenden  Tastnerven  zum  Bewusstsein  zu  bringen. 
Schiff  zieht  aus  seinen  Beobachtungen  den  Schluss,  dass  ein  Leitungsver- 
mögen für  die  Eindrücke  des  sogenannten  Gemeingefühls,  d.  h.  für  den 
Schmerz ,  welcher  stärkeren  Einwirkungen  folgt ,  allerdings  nur  der  grauen 
Substanz  zukomme ,  die  weisse  dagegen  die  Leitungsapparate  für  die  eigent- 
lichen Tastempfindungen  enthalte.     So  seien  die  Thiere,  deren  Rückenmark 


^)  Gaz.  medicale    1855.    Nr.  36.  37.    1856.  Nr.   16.   17.     2)  Lehrbuch  der  Physiologie. 
J,  237   ff. 


Rückenmark.  77 

bis  auf  die  weissen  Hinterstränge  durchsclinitten,  nnr  für  schmerzliafte  Ein- 
•  drücke,  niclit  für  Berührungen  (und  Kitzeln)  unempfindlicli.  Aus  Brown- 
Sequard's  Experimenten  würde  sicli  ergeben,  dass  die  Fortsetzungen 
der  hinteren  Wurzelfasern  sämmtlich  in  den  grauen  Säulen  zum  Gehirn 
aufsteigen;  Schiff  schliesst  aus  seinen  Erfahrungen,  dass  ein  Theil  dersel- 
ben ,  der  die  Fortpflanzung  der  adäquaten  Reize  vermittelt ,  in  die  hinteren 
weissen  Stränge  einlenke,  und  lässt  es  dahin  gestellt,  ob  sie  direct  oder  nach 
einem  Umweg  durch  die  grauen  "Säulen  dahin  gelangen.  Dass  ein  Theil 
der  Fasern,  bevor  er  die  Richtung  nach  oben,  sei  es  in  die  weisse  oder 
graue  Substanz,  einschlägt,  erst  eine  Strecke  weit  abwärts  verlaufe,  darin 
stimmen  die  Versuche  beider  Forscher  unter  sich  wie  mit  dem  Resultat  der 
anatomischen  Untersuchung  überein:  nach  der  Durchschneidung  der  hinte- 
ren Stränge  zeigte  sich  die  Schnittfläche  des  unteren,  nicht  die  des  oberen 
Stumpfes  empfindlich. 

Was  die  erhöhte  Reizbarkeit  der  unterhalb  des  Schnittes  eintretenden 
Nerven  betrifit.,  so  dürfen  wir,  da  sie  keine  Beziehung  zu  den  Bahnen  der 
Nerven  hat,  die  Erklärung  derselben  der  Physiologie  anheimgeben.  Die 
Darstellung  aber,  welche  Schiff  von  der  Leitung  im  Rückenmark  giebt, 
schliesst  mit  der  physiologischen  zugleich  eine  anatomische  Hypothese  ein, 
dass  nämlich  Tast  -  und  Schmerzgefühl  specifisch  verschieden ,  und  dass  in 
den  sensibeln  Nerven  zwei  Arten  Fasern  für  diese  beiden  Arten  Sensationen 
enthalten  seien.  Danilewsky^)  bestätigt  die  ausschliessliche  Leitung  der 
tactilen  Erregungen  durch  die  Hinterstränge.  Paschutin's  Versuche  -), 
welche  zu  zeigen  bestimmt  sind,  dass  man  durch  Schnitte  in  verschiedenen 
Höhen  des  Rückenmarks  die  Leitung  der  Reflexe  bald  für  tactile,  bald  für 
chemische  Reizung  der  Haut  unterbrechen  könne,  beziehen  sich  nur  auf  den 
Frosch  und  geben  über  die  Leitungsbahnen  der  Reizung  keine  Auskunft. 
Brown-Sequard '^)  vermöchte  bei  Wiederholung  der  Experimente  nicht, 
den  von  Schiff  hervorgehobenen  Unterschied  zwischen  Tast-  und  Schmerz- 
empfindlichkeit zu  constatiren.  Auch  Sanders  *)  und  Vulpian  ^)  treten 
der  Auffassung  Schiffs  entgegen.  Sanders  fand,  dass  die  operirten 
Thiere ,  je  nach  dem  allgemeinen  Körperzustande,  zuerst  nur  auf  schwache, 
später  nur  auf  starke  (an  dem  gelähmten  Körpertheil  angebrachte)  Ein- 
drücke reagirten,  und  schliesst  danach,  dass  die  Reaction  auf  Momenten  be- 
ruhen müsse,  die  von  dem  normalen  Leitungsvermögen  der  Hinterstränge 
ganz  unabhängig  sind.  Im  Uebrigen  stimmen  auch  Sanders'  Beobachtun- 
gen zu  der  Annahme,  dass  die  den  Wurzeln  entsprechenden  Fasern  zum 
Theil  durch  die  weisse,  zum  Theil  durch  die  graue  Substanz  aufwärts  ver- 
laxifen.  In  den  weissen  Hintersträngen  sind  sie  erst  eine  Strecke  weit  ober- 
halb der  Eintrittsstelle  der  Wurzelfasern  in  das  Rückenmark  enthalten. 
Ich  citire  folgenden  entscheidenden  Versuch '') :  Einem  Kaninchen  wurde 
in  der  Höhe  des  vierten  Brustwirbels  das  Mark  vollständig  mit  alleiniger 
Schonung  der  Hinterstränge  durchschnitten;  darauf  wurden  in  der  Höhe 
des  zwölften   Brustwirbels  die   Hinterstränge  oder   auch  die   ganze    hintere 


')  Meissner's  Jahresbericht  1866.  S.  407.  2)  Zeitschr.  für  ration.  Med.  3.  R.  XXVIII, 
125.  3)  Meissner's  Jahresbericht  1859.  S.  512.  ^)  Ebendas.  1865.  S.  435.  ^)  Eben- 
das.  1866.    S.  406.     6)  Ebendas.   1865.   S    436. 


78  Rückenmark. 

Rückenmarkshälfte  durclischiiitten.  In  diesem  Zustande  hatte  die  Reizung 
aller  hinter  dem  letzteren  Schnitt  gelegenen  Körpertheile ,  die  Aftergegend, 
ausgenommen,  Reactionen  zur  Folge.  War  der  Hinterstrang  im  neunten 
Brustwirbel  durchschnitten  ,  so  war  der  linke  Fuss  für  schwache  Eindrücke 
unempfindlich  imd  es  bedurfte  stärkerer  Reize,  um  Reactionen  hervorzu- 
rufen. Nach  Durchschneidung  im  siebenten  Brustwirbel  zeigte  sich  diese 
Art  der  Unempfindlichkeit  in.  den  unteren  Zweidrittel  des  Beins,  nach 
Durchschneidung  zwischen  dem  vierten  und  fünften  Brustwirbel  zeigte  sie 
sich  im  ganzen  Bein  und  sie  erstreckte  sich  bis  an  die  untersten  Rippen, 
wenn  der  Hiuterstrang  des  unteren  Halsmarks  durchschnitten  war.  Dass 
aber  die  Wurzelfasern  auch  innerhalb  der  grauen  Säulen  sich  fortsetzen, 
wird  dadurch  bezeugt,  dass  Durchschneidung  der  weissen  Stränge,  wenn 
nur  die  graue  Substanz  unversehrt  bleibt ,  keinen  der  unterhalb  des  Schnit- 
tes gelegenen  Theile  seines  Empfindungsvermögens  beraubt.  Sanders  hält 
es  für  wahrscheinlich,  dass  die  Leitung  der  Norm  gemäss  auf  die  Längs- 
fasern  der  Hinterstränge  angewiesen  sei,  in  welchen  sie  isolirt  bleibe,  und 
dass  nur  unter  ungewöhnlichen  Verhältnissen  eine  Nebenleitung  durch  die 
graiie  Substanz  sich  herstelle,  die  sich  nicht  auf  bestimmte  Bahnen  beschränke. 
Der  Axencylinderfortsatz  der  Nervenzelle  stellt  nach  Sanders  das  Ende  der 
peripherischen,  für  mechanische,  chemische  und  andere  Reize  empfänglichen 
Faser  dar ;  die  verästelten  Fortsätze  sollen  sowohl  den  directen  Zusammenhang 
mit  dem  Sensorium  durctf  die  weissen  Hinterstränge  als  auch  die  mannich- 
faltigen  indirecten  Leitungen  durch  die  graue  Substanz  vermitteln.  Diese 
Hypothese  harmonirt  mit  den  anatomischen  Thatsachen,  soweit  sie  sich  auf 
den  Lauf  der  Nervenwurzeln  beziehen ;  sie  steht  aber  einstweilen  mit  den- 
selben in  Widerspruch ,  insofern  sie  den  Uebergang  eines  der  verästelten 
Fortsätze  in  eine  markhaltige,  verticale  Rückenmarksfaser  postulirt. 

Schiff  und  Sanders  sind  der  Meinung,  dass  die  durch  die  Hinter- 
stränge aufsteigenden  Fortsetzungen  der  hinteren  Wurzeln  die  Tastempfin- 
dungen anregen,  mit  welchen  die  Anschauung  der  Räumlichkeit  verbunden 
sei  und  dass  die  Nebenleitungen  durch  die  graue  Substanz  bei  massiger 
Reizung  nicht  intensiv  genug  seien,  um  die  Localisirung  des  Eindrucks  zu 
stören.  Heftigere  Reize  oder  Hemmnisse  der  directen  Leitung  nähmen 
dagegen  die  Nebenleitungen  in  Anspruch  und  erzeugten  durch  Fortpflan- 
zung von  Zelle  zu  Zelle  die  sympathischen  Erregungen,  Irradiation,  Reflex- 
bewegung u.  s.  f.  Die  Fortpflanzung  könne  gleichmässig  nach  allen  Rich- 
tungen erfolgen.  Ich  gedachte  oben  (S.  16)  des  Volkmann'schen  Exjaeri- 
ments,  welches  beweist,  dass  bei  Fröschen,  so  lange  beide  Rückenmarks- 
hälften irgendwo  durch  graue  Substanz  zusammenhängen,  die  Erregung 
der  sensiljeln  Nerven  Einer  Seite  Reflexbewegungen  in  der  anderen  hervor- 
ruft. Hieran  schliessen  sich  die  Beobachtungen  von  Schiff  und  Sanders, 
wonach  bei  Fröschen  und  Säugethieren  eine  kleine  Brücke  grauer  Substanz 
aus  den  Hinter-  oder  auch  aus  den  Vordersäulen  genügt,  um  sensible  Ein- 
drücke von  allen  dahinter  gelegenen  Punkten  der  Körperoberfläche  zum 
Bewiisstsein  zu  bringen  ;  nur  geschieht  dies  um  so  langsamer  und  wird  das 
Gefühl  um  so  stumpfer ,  je  geringer  der  Rest  grauer  Substanz.  Auch  Be- 
wegungsimpiilse  werden  nach  Schiff  zu  den  hinteren  Extremitäten  fort- 
gepflanzt,  wenn   das   Rückenmark   bis  auf  eine   beliebige   Schichte   grauer 


Rückenmark,  79 

Substanz  quer  durchschnitten  ist.  Damit  ist  die  Möglichkeit  aufgehoben, 
der  anatomischen  Untersuchung  der  Wege ,  auf  welchen  die  Erregung  sich 
mittheilt,  durch  das  physiologische  Experiment  zu  Hülfe  zu  kommen  ^). 
Dass  die  Mittheilung  in  bestimmten  Bahnen  erfolgt,  dafür  sprechen  die  von 
Pfluger  2)  zusammengestellten  Beobachtungen,  wonach  tetanische  Eeflex- 
krämpfe ,  wenn  sie  halbseitig  sind ,  immer  an  der  Seite  der  Verletzung, 
wenn  beidseitig,  zuerst  und  stärker  an  der  verletzten  Seite  auftreten; 
dafür  spricht  ferner  die  Erfahrung  Schiffs  ^),  dass  eine  sehr  schmale  peri- 
pherische Schichte  der  grauen  Substanz  jederseits  Elemente  führt,  welche 
ausschliesslich  mit  den  sensibeln  Nerven  der  anderen  Seite  in  leitender  Ver- 
bindung zu  stehen  scheinen.  Danach  müssten  die  äussersten  Nervenzellen 
jeder  Seitenhälfte  mit  den  Nerven  der  entgegengesetzten  Seite  indirect,  mit 
den  Nerven  ihrer  Seite  gar  nicht  zusammenhängen.  Schiff  erklärt  dies 
so,  dass  die  Nervenzellen  mit  ihren  Ausläufern  in  jedem  Querschnitt  der 
grauen  Substanz  zwei  Netze  von  gleichem  Umfang,  eines  für  jede  Körper- 
hälfte, darstellen,  die  so  über  einander  verschoben  wären,  dass  jedes  das  an- 
dere an  Einer  Seite  etwas  überragte. 

Die  gekreuzte  Wirkung  der  Kopfverletzungen  fand  schon  längst  in  der 
Kreuzung  der  Pyramidenfasern  der  Medulla  oblongata  ihre  Erklärung. 
Nachdem  aber  die  Untersuchung  des  Rückenmarks  innerhalb  der  Commis- 
suren  Kreuzungen  der  Fasern  beider  Rückenmarkshälften,  namentlich  in 
der  vorderen  Commissur  eine  Kreuzung  der  aus  der  medialen  Fläche  der 
Vordersäulen  austretenden  Fasern  kennen  gelehrt  hatte,  lag  die  Vermuthung 
nahe ,  dass  der  Uebergang  der  Fasern  von  Einer  Seitenhälfte  der  Central- 
organe  zur  anderen  schon  im  Rückenmark  ihren  Anfang  nehme  und  Bro  wn- 
Sequard's  Versiiche  begünstigten  diese  Vermuthung,  da  denselben  zufolge 
die  Hyperästhesie,  welche  auf  Durchschneidung  der  Hinterstränge  eintritt, 
sich  nach  Durchschneidung  Eines  Hinterstrangs  an  der  Extremität  der  un- 
verletzten Seite  bemerklich  machte.  Durch  Schiff,  v.  Bezold*),  v.  Kem- 
pen 5),  Setschenow  f')  und  Sanders  wurden  Brown-Sequard's  Angaben 
widerlegt;  sie  fanden  bei  Wirbelthieren  aller  Classen,  wie  früher  Volkmann 
beim  Frosch,  dass  die  Durchschneidung  einer  Rückenmarkshälfte  ihre  Wir- 
kungen an  der  verletzten  Seite  äussert  und  dass  Spaltung  des  Rückenmarks 
in  der  Medianebene  die  Leitung  in  keiner  der  beiden  Seitenhälften  beein- 
trächtigt. Die  Bedeutung  der  Faserkreuzung  im  Rückenmark  bleibt  somit 
ein  ungelöstes  Räthsel.  Dass  die  einander  kreuzenden  Fasern  aus  "Nerven- 
zellen stammen ,  wird  um  so  unwahrscheinlicher ,  je  begründeter  die  An- 
nahme, dass  der  Axencylinderfortsatz  der  Nervenzellen  eine  Nervenwurzel- 
faser  repräsentirt. 

Die  Erfahrung,  dass  bei  ausgebreiteten  (tetanischen)  Krämpfen  die 
Muskeln  bald  der  Streck-,  bald  der  Beugeseite  vorzugsweise  ergriffen  sind, 


1)  Audi  fällt  damit  die  von  Jacubo  witsch  und  0  w  sj  a  nni  ko  w  versuchte  Schei- 
dung der  Nervenzellen  nach  ihrer  Function  in  motorische  und  sensible  ( J  acubo  wit  sc  h 
und  Owsj  annikow,  Medicin.  Ztg.  Russlands  1855.  Nr.  48.  Jacubo  witsch,  Mitthei- 
lungen über  die  feinere  Structur  des  Gehirns  und  Rückenmarks.  Breslau  1856.  Ows- 
jannikow,  Archiv  für  pathol.  Anat.  und  Physiol.  XV,  150).  ^)  Die  sensorischen  Functio- 
nen des  Rückenmarks.  Berlin  1853.  S.  68.  ^)  A.  a.  0.  S.  261.  ^)  Meissner's  Jahres- 
bericht 1858.  S.   516.     5)  Ebendas.   1859.  S.   510.      ^)  Ebendas.   1865.    S.  437. 


80  Rückenmark. 

legte  die  Frage  nahe,  ob  nicht  in  irgend  einem  Theil  der  Centralorgane 
und  vielleicht  schon  im  Rückenmark  die  Nerven  einer  jeden  dieser  Muskel- 
gruppen sich  zusammenfänden.  Valentin  i)  schloss  aus  Versuchen  an  Frö- 
schen und  Kaninchen,  dass  die  Nervenfasern  der  Streckmuskeln  in  die  hin- 
teren Stränge  übergehen,  die  Nerven  der  Beugemuskeln  in  den  vorderen 
Strängen  bleiben.  Engelhardt^)  glaubte  die  Gegensätze  der  Beugung  und 
Streckung  aus  einem  Antagonismus  der  oberen  und  unteren  Rückenmarks- 
hälfte erklären  zu  können.  Reizung  des  Rückenmarks  des  Frosches  hatte 
vom  Gehirn  abwärts  bis  zum  vierten  Wirbel  Beugebewegungen,  von  da 
an  Streckbewegungen  der  Hinterbeine  zur  Folge.  Wie  Schiff  den  Versuch 
auslegt,  so  sind  die  Bewegungen  der  Hinterextremitäten,  die  die  Reizung 
des  oberen  Theils  des  Rückenmarks  begleiten,  reflectirte,  auf  Abwehr  des 
Reizes  gerichtete;  motorische  Nerven  der  Hinterextremitäten  enthalte  das 
Rückenmark  erst  vom  vierten  Wirbel  an  abwärts  und  deren  Reizung  werde 
in  jedem  Falle  durch  starke  Streckbewegungen  beantwortet. 

Auf  dem  Wege  des  physiologischen  Experiments,  durch  Temperatur- 
messungen bei  Thieren,  deren  Rückenmark  halbseitig  durchschnitten  wor- 
den, suchten  Schiff  und  v.  Bezold  sich  über  den  Verlauf  der  Gefässner- 
ven  im  Rückenmark  zu  orientiren.  Schiffs  Versuche  ergaben,  dass  die 
Gefässnerven  des  Fusses  und  Unterschenkels  im  Rückenmark  auf  der  Seite 
verbleiben ,  auf  welcher  ihre  peripherische  Verbreitung  stattfindet,  die  Ge- 
fässnerven des  Oberschenkels  und  Rumpfes  dagegen  in  die  andere  Seiten- 
hälfte gelangen.  V.  Bezold  konnte  den  ersten  dieser  Sätze  bestätigen,  aber 
seine  Erfahrungen  erlaubten  nicht,  auf  eine  Kreuzung  der  Gefässnerven 
des  Oberschenkels  u.  s.  f.  zu  schliessen.  So  weit  nicht  reichlichere  Muskel- 
massen unter  der  Haut  lagen,  zeigten  auch  diese  Tb  eile  die  Temperatur- 
erhöhung, die  auf  Lähmung  der  Gefässe  deutet,  an  der  Seite  des  Schnittes. 
Die  gegen  die  gesunde  Seite  verminderte  Temperatur  der  fleischigen  Re- 
gionen des  Oberschenkels  und  Rumpfes  der  dem  Schnitt  entsprechenden 
Seite  erklärt  v.  Bezold  aus  der  Lähmung  der  willkürlichen  Muskeln  die- 
ser Seite.  Was  die  Lage  der  vasomotorischen  Fasern  hn  Rückenmark  be- 
trifft, so  schienen  sie  in  der  Nähe  der  Axe  und  also  durch  die  graue  Sub- 
stanz zu  verlaufen,  v.  Bezold  sprach  die  Meinung  aus,  dass  die  Gefäss- 
nerven im  Rückenmark  enden;  Ludwig  und  Thiry^)  sahen  auf  elektri- 
sche Reizung  der  Schnittfläche  des  in  der  Gegend  des  Atlas  vom  Gehirn 
getrennten  Rückenmarks  alle  Aeste  der  Aorta  sich  zusammenziehen  und  be- 
trachten dies  als  einen  Beweis  gegen  die  Endigung  der  Gefässnerven  im 
Rückenmark ,  da  die  eigentlich  centralen  Theile  derselben ,  nach  Analogie 
der  motorischen  Nerven,  für  künstliche  Reizmittel  unempfänglich  sein  müss- 
ten.  So  ist  es  auch  B  u  d  g  e  gelungen  *)  ,  beim  Kaninchen  vom  Grus  cerebri 
aus  Contraction  sämratlicher  Arterien  zu  erwirken. 
Nerven-  Einer  Anzahl  anderer,  centraler,  gewisse  Nervengruppen  zu  geordneter 

Thätigkeit  verbindender  Apparate  hat  man  ihren   Sitz  im   Rückenmark   an- 
gewiesen.   Clarke^)  hält  den  Tractiis  intermedio-lateralis  des  Dorsalmarks 


ceiitra. 


■")  De  functionibus  nerv,  cerebraliuni  et  nervi  syrapathici.  Bern  et  Sangalli  1839, 
p.  134.  2)  Müll.  Archiv  1841.  S.  206.  ^)  Meissner's  Jahresbericht  1864.  S.  479. 
^)  Ebondas.  S.  483.      ^)  Pliilos.   transact.   1859.      P.  I,  p.  451. 


Rückenmark.  81 

für  den  Sammelplatz  der  Dorsalnerven,  welche  die  Intercostal-  xmd  andere 
respiratorische  Muskeln  des  Rumpfes  versorgen.  Den  Cervicaltheil  dieses 
Tractus  durchziehen  die  Wurzeln  des  N.  accessorius  auf  ihrem  Weg  zur 
grauen  Vordersäule  und  da  derselbe  an  seinem  oberen  Ende  mit  Wurzeln 
der  Nn.  vagus  und  trigeminus  in  Verbindung  stehen  soll,  die  aus  dem  ver- 
längerten Mark  abwärts  ziehen,  so  betrachtet  ihn  Clarke  als  das  Organ, 
in  welchem  Eindrücke,  die  die  Nn.  vagus  und  trigeminus  und  die  sensibeln 
Aeste  der  Dorsalnerven  treffen,  auf  die  Gesammtheit  der  Athemmuskeln 
übertragen  werden. 

Mit  dem  Namen  des  Centrum  cilio-spindle  belegte  Budge  i)  eine  Stelle 
des  Rückenmarks  zwischen  dem  Abgange  des  sechsten  Cervical-  und  des 
dritten  Dorsalnerven ,  von  welcher  bei  Kaninchen ,  nebst  den  Gefässnerven 
der  Ohrgegend,  die  Nerven  ausgehen  sollten,  mit  deren  Erregung  die  Pu- 
pille sich  erweitert.  Indess  verfolgte  schon  Schiff  beide  Arten  von  Ner- 
ven im  Rückenmark  aufwärts  über  die  von  Budge  bestimmte  Grenze  und 
Salkowski^)  machte  es  wahrscheinlich,  dass  sie  über  das  Halsmark  hin- 
aus bis  in  das  verlängerte  Mark  reichen. 

Ein  Centralorgan  der  Nerven  der  Blase,  der  Vasa  deferentia  und  des 
unteren  Endes  des  Rectum,  Centrum  gem'fo-spinale,  ist  nach  Budge  ^)  bei 
Kaninchen  in  einer  umschriebenen  Stelle  des  Lumbarmarks  (im  vierten 
Bauchwirbel)  enthalten.  Nur  von  dieser  Stelle  aus  brachten  auf  das  Rücken- 
mark angewandte  Reize  Bewegungen  der  besagten  Organe  zu  Stande.  Ein 
Centrum  ano-spinale,  von  welchem  der  Tonus  und  die  Reflexbewegungen  des 
Sphincter  ani  abhängen  und  welches  die  den  Willen  leitenden  Nerven  durch- 
setzen, findet  Masius^)  bei  Kaninchen  in  dem  Theil  des  Rückenmarks, 
welcher  der  Synchondrose  des  sechsten  und  siebenten  Bauchwirbels  gegen- 
überliegt, bei  Hunden  gegenüber  dem  unteren  Drittel  des  fünften  Bauch- 
wirbels. Aus  dem  soeben  bei  den  Gefässnerven  angeführten  Grunde  ist 
damit  nur  die  Lage  der  Wurzeln  der  Bewegungsnerven  des  Sphincter  im 
Rückenmark  aufgedeckt ;  die  Bahnen,  längs  welchen  der  Impuls  im  Rücken- 
mark zu  den  Wurzeln  geleitet  wird,  sind  durch  Reizung  nicht  zu  ermitteln. 
Auf  die  Verhandlungen  über  die  psychischen  Functionen  des  Rücken- 
marks gehe  ich  hier  nicht  ein.  Wenn  Hautreize  nach  der  Decapitation 
Reactionen  hervorrufen ,  Avelche  für  eine  Wahl  der  Mittel  und  somit  für  ein 
wenngleich  dunkles  Bewusstsein  zeugen  ^) ,  so  kommen  hierbei  doch  nur  die 
kaltblütigen  Wirbelthiere  in  Betracht,  die  schon  durch  ihre  lange  Lebens- 
dauer im  enthirnten  Zustande  bekunden ,  dass  bei  ihnen  das  Rückenmark 
in  einem  anderen  Verhältniss  zum  Gehirn  steht,  als  bei  den  höheren  Wirbel- 
thieren  und  dem  Menschen.  Ereignen  sich  bei  diesen  nach  der  Enthaup- 
tung noch  einigermaassen  geordnete  Bewegungen,  so  lassen  sich  diesel- 
ben aus  Einrichtungen  im  Rückenmark  herleiten,  die  vielleicht  auch  bei 
unversehrten  Geschöpfen  als  Mittelglied  zwischen  dem    Gehirntheil,   in  wel- 


^)  Ueber  die  Bewegung  der  Iris.  Braunschw.  1855.  S.  103.  ^)  Meissner's  Jahres- 
bericht 1867.  S.  524.  SJElDendas.  1858.  S.  534.  585.  *)  Bulletin,'?  de  l'acad.  royale  de  Bel- 
gique  1867.  XXIV,  312.  1868.  XXV,  284.  491.  5)  Vgl.  Pf  lüger ,  a.a.O.  Schiff,  a.a.O. 
S.  208.  Auerbach,  Meissner's  Jahresbericht  1856.  S.  596.  Dagegen  Goltz,  ebendas. 
1860.  S.  510.     Mayer,  ebendas.   1861.  S.  401. 

Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthlg.  2.  g 


Fasern. 


82  Rückenmark. 

chem   der  Entschluss   zur  Bewegung   entstellt,   und    den  einzelnen,   dieselbe 
vollziehenden  Nerven  wirksam  sind,   um    zu   veranlassen,    dass   alle  Nerven 
Eines  Muskels  oder  einer  Anzahl  beständig  associirter  Muskeln  gleichzeitig 
erregt  werden. 
Zahl  der  Dies  führt  auf  eine  Frage ,    diirch  deren  Beantwortung  man   eine   Zeit 

lang  den  Faserverlauf  im  Rückenmark  aufklären  zu  können  hoffte,  die 
Frage,  ob  jeder  Wurzelfaser  eine  verticale,  zum  Gehirn  aufsteigende  Rücken- 
marksfaser entspreche  oder  ob  die  Zahl  der  vom  Rückenmark  in  das  ver- 
längerte Mark  eintretenden  Fasern  grösser  oder  kleiner  sei  als  die  der 
Nervenwurzelfasern.  Durch  ein  Ueberwiegen  der  Faserzahl  in  der  Nähe 
des  verlängerten  Marks  sollte  die  Existenz  eines  Systems  eigenthümlicher 
Rückenmarksfasern  erwiesen  werden ;  ein  Mehr  auf  Seiten  der  Wurzelfasern 
würde  .es  wahrscheinlich  machen,  dass  Eine  Rückenmarksfaser  mehrere 
Wurzelfasern  im  Gehirn  repräsentiren  kann.  Die  sicherern  Methoden  der 
Vergleichung  geben  den  Ausschlag  für  die  letztere  Alternative.  Schon 
die  Form  des  Rückenmarks  widerspricht  der  Annahme,  dass  für  jede  Faser, 
die  sich  in  dasselbe  einsenkt,  eine  verticale  Faser  zum  Gehirn  emporsteige. 
Wäre  diese  Annahme  richtig,  so  dürften  die  Dimensionen  des  Rückenmarks 
und  namentlich  der  weissen  Substanz  sich  nicht  oberhalb  der  Anschwellun- 
gen, die  der  Hinzutritt  der  Extremitätennerven  veranlasst,  wieder  vermin- 
dern, wie  dies  doch  nach  den  Wägungen  und  Messungen  Volkmann's^) 
und  nach  den  genauen  planimetrischen  Bestimmungen  Stilling's^)  der  Fall 
ist.  Schon  beim  Pferde  schien  Volkmann  die  Masse  des  oberen  Endes 
des  Rückenmarks  nicht  stark  genug,  um  alle  Fasern  der  zweiundvierzig 
Nervenpaare  zu  enthalten.  Ein  noch  schlagenderes  Missverhältniss  bot  die 
Vergleichung  des  Querschnitts  des  Cervicalmarks  einer  grossen  Schlange 
mit  der  Summe  der  Querschnitte  der  (221)  Spinalnervenpaare.  Darnach 
übertraf  die  Durchschnittsfläche  der  sämmtlichen  Nerven  die  des  Cervical- 
marks mindestens  um  das  Elffache.  Kölliker^)  fand  beim  Menschen  die 
Gesammtheit  der  Diirchschnittsflächen  der  Sj)inalnerven  etwa  viermal  grös- 
ser als  die  Durchschnittsfläche  der  weissen  Substanz  des  Cervicalmarks, 
glaubt  aber,  dass  dieser  Unterschied  mehr  als  ausgeglichen  werde  durch 
die  Verjüngung,  die  die  Nervenfasern  während  ihres  Verlaufs  im  Rücken- 
mark erfahren.  Ob  hierbei  das  Verhältniss  des  Kalibers  der  peripherischen 
zu  den:  Rückenmarksfasern  richtig  erwogen  sei,  oder  nicht,  möchte  schwer 
zu  entscheiden  sein.  Indess  hat  Stillin g  einen  Weg  eingeschlagen,  der 
diese  Entscheidung  überflüssig  macht:  statt  und  mit  der  Messung  der  Durch- 
schnittsflächen wandte  er  die  Zählung  der  in  denselben  enthaltenen  Nerven- 
faserquerschnitte an.  Bei  einer  26jährigen  Frau  führten  die  vorderen 
Nervenwurzeln  auf  14,087  D'"  303265,  die  hinteren  auf  21,853  D'"  504473, 
sämmtliche  Nervenwurzeln  beider  Seiten  807  738  Primitivfasern.  Das 
Rückenmark  enthielt  im  zweiten  Halsnervengebiete  auf  1,72  O'"  der  weis- 
sen Vorderstränge  55  811,  auf  9,64  D'"  der  Hinter-  und  Seitenstränge 
345883,  in  Summa  also  401  694  Primitivfasern,  von  welchen  noch  die  Fa- 
sern der  aus  dem  Gehirn  austi'etenden  Nerven,  des  N.  accessorius  und,  nach 


^)  R.  Wagner's   Handwörterbuch    II,  482.     2)  Neue    Unters.    S.  587.    1096.      ^)  Mi- 
kroskop.  Anat.   J,  428. 


Rückenmark.  83 

Stillin g's  Ansicht,  der  stärkeren  Wurzel  des  N.  [trigeminus  in  Abzug 
kämen.  Es  blieben  danach  den  807738  Fasern  der  Nervenwurzeln  gegen- 
über etwa  365  814  aus  dem  Rückenmai"k  zum  Gehirn  aufsteigende  Fasern 
übrig  und  es  müssten  fast  zwei  Drittel  der  Nervenwurzelfasern  im  Rücken- 
mark ihr  Ende  erreichen  oder  vielmehr  aus  dem  Rückenmark  entsprijigen. 
Aber  auch  diese  Rechnung  verliert  an  Beweiskraft,  wenn  man  die  verticalen 
Fasern  in  Betracht  zieht,  die  in  den  grauen  Säulen  dem  Gehirn  zugeführt 
werden. 

Ich  hatte  wiederholt  Gelegenheit,  darauf  hinzuAveisen,  dass  die  Dienste,  welche  RückeE- 
die  vergleichende  Anatomie  der   menschlichen   in  anderen  Gebieten  leistet ,   indem  ^^^  f^^ 
sie  durch  die  einfachere  Structur  der  Orgaue    niederer  Geschöpfe    die    complicirte  thiere. 
der  höheren  erläutert,  für  die  Erforschung  des  Centralorgans  nur  mit  Vorsicht  zu 
acceptiren  sind.     Selbst  die  dem  Menschen  nächsten  Thiere  stehen ,    was  die  Man- 
nigfaltigkeit der  Verwendung   der   Muskeln  und   die   dazu  in   Beziehung    stehende 
Schärfe  des  Tastsinns  betrifft,    weit  hinter  dem  Menschen    zurück    und    die    Hülf- 
losigkeit  des  neugebornen  Menschen  im  Vergleich  zu  den  verAvandten  Thieren  hat 
ohne  Zweifel  ihren  Grund  in  der  ihm    gewährten    Freiheit,    sich    die    verschieden- 
artigsten Bewegungsweisen  anzueignen  luid  die  Muskeln  nach  Willkür  zu  combini- 
ren  uud  zu  isoliren. 

Demungeachtet  möchte  ich  nicht  unterlassen,  aus  der  Anatomie  des  Rücken- 
marks der  niederen  Thiere  einige  Punkte  hervorzuheben ,  welche  wenigstens  als 
vorläufige  Fingerzeige  zur  Ausfüllung  der  Lücken  unserer  Kenntniss  des  mensch- 
lichen Rückenmarks  dienen  mögen. 

Bei  Fischen  gehen  nach  Owsjannikow  (Disquis.  microscop.  de  meduUae 
spin.  textura.  Dorp.  1854)  von  den  Nervenzellen,  die  übrigens  nur  in  der  vorde- 
ren Hälfte  der  grauen  Substanz  vorkommen  sollen,  im  Querschnitt  je  drei  Fort- 
sätze aus ,  einer  in  die  vorderen ,  der  andere  in  die  hinteren  Spinalwurzeln ,  der 
dritte  durch  die  vordere  Conanissur  zu  der  anderen  Rückenmarkshälfte.  Auf 
Längsschnitten  erscheint  ein  vierter  Fortsatz,  der  gerade  aufwärts  verläuft,  sich 
aber  dabei  allmälig  weiter  vom  Ceutralcanal  entfernt  und  die  weisse  Substanz  bil- 
den hilft,  welche,  je  näher  dem  Hirn,  um  so  umfangreicher  wird.  Ob  die  Ner- 
venzellen noch  mehr  als  diese  vier  Ausläufer  besitzen  und  ob  sie  in  derselben 
Rückenmarkshälfte  nait  einander  in  Verbindung  stehen,  blieb  zweifelhaft.  Mauth- 
ner  (Unters,  über  den  Bau  des  Rückenmarks  der  Fische.  Wien  1859)  schreibt 
den  Nervenzellen  der  Fische  4  bis  7  Fortsätze  zu :  die  Einen  legen  sich,  in  mark- 
haltige  Fasern  übergehend ,  an  die  vorderen  Wurzeln  an ;  die  rück  -  und  seitwärts 
ausstrahlenden  gehen  in  ein  Fasernetz  über,  aus  welchem  sich  die  hinteren  Wur- 
zeln sammeln;  die  seitwärts  verlaufenden  Fortsätze  erreichen  die  Oberfläche  des 
Rückenmarks.  Stieda  (Ztschr.  für  wissensch.  Zool.  XVIII,  16)  fand  an  den  Ner- 
venzellen der  centralen ,  dem  Ceutralcanal  zunächst  gelegenen  Gruppe  wenigstens 
drei ,  häufiger  vier  bis  fünf  Fortsätze ,  und  vermuthet ,  dass  zwei  derselben  zu 
Längsfasern  werden  und  je  einer  in  die  vordere  und  hintere  Wurzel  übergehen. 
Die  Zellen  der  lateralen  Gruppe  der  Vordersäulen  besitzen  wenigstens  vier  Fort- 
sätze, von  denen  einer  zur  Nervenwurzel,  einer  zur  vorderen  Commissur  tritt  und 
je  zwei  in  schräger  Richtung  an  die  Längsfasermasse  sich  anschliessen.  In  die 
vordere  und  hintere  Wiu'zel  sah  Stieda  Längsfasern  der  weissen  Substanz,  in  die 
vorderen  Wurzeln  auch  Fasern  von  der  weissen  Commissur  übergehen. 

Beim  Frosch  wird  der  Zusammenhang  der  Wm-zelfasern  mit  den  Längs- 
fasern des  Rückenmarks  von  Budge  (Müll.  Arch.  1844.  S.  160)  behauptet,  von 
V.  Deen  (v.  d.  Hoeven  en  de  Vriese  Tijdschrift,  XI,  118)  und  Stieda  (Ztschr. 
für  wissensch.  Zool.  XX,  274)  bestritten.  Engel  (Ztschr.  Wiener  Aerzte  1847. 
S.  14.  69.  306)  und  Blattmann  (Mikroskop,  anatom.  Darstellung  des  Nerven- 
systems bei  den  Batrachiern.  Zürich  1850)  lassen  die  Nervenwurzeln  plötzlich 
und  geschlossen,  ohne  Verflechtung  mit  den  longitudinalen  Fasern  in  den  weissen 
Strängen  enden.  Kupffer's  Untersuchungen  am  Rückenmark  des  Frosches  (De 
mednllae    spinalis  textura    in    ranis.     Dorp.  1854)    stimmen    im   Wesentlichen    mit 

6* 


84  Rückenmark. 

0  wsjannikow's  Beschreibiiug  des  Rückenmarks  der  risclae  überein.  Von  den 
grossen  Nervenzellen  der  Vorderhörner  sah  er  drei  bis  vier  Fortsätze  ausgehen, 
von  welchen  einer  gegen  die  motorische  Wurzel,  einer  medianwärts,  einer  gegen 
das  untere  Ende  des  Rückeninarks  gericTitet  sein  soll.  Traugott  (Beitr.  zur  fei- 
neren Anatomie  des  Rückenmarks  von  Rana  temporaria.  Dorp.  1861)  beobachtete 
den  Uebergang  von  Fasern  der  vorderen  Commissur  in  longitudinale  Fasern  des 
Vorderstrangs;  bezüglich  des  Schicksals  der  Zellenfortsätze  ist  er  Aveniger  sicher, 
als  seine  Vorgänger.  Reissner  (der  Bau  des  centralen  Nervensystems  der  unge- 
schwänzten Batrachier.  Dorpat  1864.  S.  22)  zieht  aus  seinen  Beobachtungen  den 
Schluss ,  dass  die  hinteren  Wurzeln,  nach  dem  Eintritt  in  das  Rückenmark,  zu 
einem  kleineren  Theil  gerade  in  die  graue  Substanz  dringen  und  zinn  grösseren 
Theil  eine  kürzere  oder  längere  Strecke  longitudinal  und  zwar  auf-  oder  abwärts 
verlaufen  und  dann  erst  nach  und  nach  die  graue  Substanz  erreichen.  Nachdem 
sie  in  die  hintere  graue  Säule  eingetreten,  durchsetzen  die  inneren  Fasern  dieselbe 
ziemlich  gestreckt,  gelangen  durch  die  weisse  Commissur  in  die  andere  Rücken- 
markshälfte und  endlich  in  den  vorderen  weissen  Strang,  um  in  diesem  longitudi- 
nal und  zwar  zum  Gehirn  zu  verlaufen.  Der  Weg  der  mehr  nach  aussen  gelege- 
nen Fasern  liess  sich  nicht  mit  gleicher  Sicherheit  verfolgen;  Reissner  hält  es 
für  möglich,  dass  einzelne  Fasern  die  Seitenstränge  erreichen  und  in  diesen  gegen 
das  Gehirn  vordringen.  Nach  Stieda  senden  die  im  vordersten  Theil  der  Vorder- 
säulen gelegenen  Zellen  ihre  Portsätze  zum  Theil  direct  in  die  Bündel  der  vorderen 
Wurzel,   zum  Theil  medianwärts  in  die  weisse  Commissur. 

An  den  grossen  Nervenzellen  in  den  Vordersäulen  des  Rückenmarks  der  Viper 
nahm  Grimm  (Archiv  für  Anat.  1864.  S.  502)  nie  mehr  als  5,  in  der  Regel  niir 
2  bis  3  Fortsätze  wahr;  einige  derselben  lassen  sich  medianwärts  in  die  weisse 
Commissur,  andere  in  Faserbündel  der  vorderen  Wurzeln  verfolgen,  noch  andere 
schlagen  die  Richtung  nach  hinten  ein,  indem  sie  theils  zwischen  einem  Faserzug 
verschwinden ,  der  in  der  Ebene  des  Querschnitts  die  graue  Substanz  umkreist, 
theils  gerade  verlaufen,  theils  medianwärts  gegen  die  hintere  Commissur  abwei- 
chen. Die  Fasei-n  der  vorderen  Wurzeln  treten,  in  einzelne  Bündel  getheilt,  me- 
dianwärts vom  äussersten  Ende  der  Vordersäule  entweder  zu  den  die  Säule  um- 
kreisenden Fasern  oder  zur  weissen  Coinmissur,  die  eine  Kreuzung  markhaltiger 
Fasern  deutlich  ei-kennen  lässt.  Die  hintere  Wurzel  theilt  sich  schon  an  der 
Peripherie  der  Hinterstränge  in  drei  Portionen.  Die  Eine,  längs  dem  hinteren 
Rande  der  weissen  Masse  hinziehend,  entsendet  Bündel,  welche  wahrscheinlich 
in  die  Längsrichtung  übergehen;  die  zweite  erreicht  die  Spitze  der  Hintersäule 
und  geht  fast  ohne  eine  Faser  zu  entsenden,  in  Form  eines  Bandes  schräg  vor- 
wärts zur  Mittellinie,  wo  sie  durch  Vereinigung  mit  einem  analogen  Bündel  der 
anderen  Seite  eine  hintere  (weisse)  Commissur  bildet;  die  dritte  schickt  einen 
Theil  ihrer  Fasern  mit  der  zweiten  zur  hinteren  Commissur,  die  übrigen  längs 
dem  äusseren  Rande  der  Hintersäule  zur  spongiösen  Substanz ;  hier  zerfällt  sie  in 
kleinere  Abtheilungen,  Avelche  zwischen  die  Längsfasern  eindringen  und  dieselben 
in  Bündel  scheiden. 

Am  Rückenmark  der  Schildkröte  fiel  Mauthner  (Wiener  Sitzungsberichte 
1861.  Jan.  S.  52),  die  im  Vergleich  zu  den  Nervenzellen  der  Cervical-  und  Lum- 
baranschwellung geringe  Grösse  der  Nervenzellen  des  Dorsaltheils  auf,  was  nach 
seiner  Ansicht  zusammenhängt  mit  der  durch  die  Eigenthümlichkeit  des  Rumpf- 
skeletts reducirten  Thätigkeit  der  Muskeln  des  Rumpfes. 

An  dem  Rückenmark  der  Vögel  will  Stieda  (Ztschr.  für  wissenschaftl.  Zool. 
XIX,  1)  einen  Theil  der  Bündel  der  vorderen  Wurzel  die  Längsfasern  der  Vorder- 
stränge schräg  durchsetzen  und  in  Längsfasern  umbiegen  gesehen  haben.  Von 
den  Bündeln  der  hinteren  Wurzeln  ziehen  sich  nach  seiner  Angabe  einige 
quer  zur  Medianlinie  und  biegen  direct  nach  oben  und  unten  um ;  andere  steigen 
am  lateralen  Rande  der  Hintersäulen  oder  durch  die    letzteren  senkrecht   abwärts. 


Gehirn.  85 


2.     Gehirn.     C  e  r  e  b  r  u  m  ^). 

Auch  das  Gehirn  füllt  die  Schädelhöhle   nicht  vollkommen  aus   und  ist  2.  Gehirn, 
von    einem    wasserhaltigen    Bindegewebe    umgeben,     welches   hauptsächlich 
dazu  dient ,   die   Unebenheiten  des  Organs  auszugleichen ,   jedoch  nicht  ver- 
hindert,  dass   namentlich   an   der  Schädelbasis   die   Knochen  Abdrücke  der 
Windungen  der  Gehirnoberfläche  empfangen. 

So  wenig  sich  bezweifeln  lässt,  dass  Form  und  Dimensionen  des  Ge- 
hirns und  seiner  knöchernen  Kapsel  einander  gegenseitig  bedingen ,  so 
schwer  ist  es  zu  bestimmen,  welcher  von  beiden  Theilen  im  gegebenen 
Falle  der  tonangebende  sei ,  ob  eine  typische  oder  zufällige  Beschränkung 
der  Richtungen  des  Schädelwachsthums  dem  Gehirn  seine  Gestalt  aufzwinge 
oder  ob  umgekehrt  das  Wachsthum  der  Knochen  sich  dem  Inhalte  accommo- 
dire.  Daher  mag  die  Bemerkung  genügen,  dass  das  Gehirn,  entsprechend 
den  Varietäten  des  Schädels ,  im  Ganzen  bald  mehr  der  Kiigelgestalt ,  bald 
mehr  dem  Ellipsoid  sich  nähert.  Sein  sagittaler  Durchmesser  wird  zu  160 
bis  170  Mm.,  sein  grösster  transversaler  Durchmesser  zu  140  Mm.,  der 
höchste  verticale  Durchmesser  zu  125  Mm.  angegeben.  Das  mittlere  Ge- 
wicht des  Gehirns  beträgt  in  Grammen 

bei  Männern     bei  Frauen 

nach  Tiedemann  2)       ....  1380  1275 

„      Krause 1570  1350 

„      Peacocks) 1421,5  1247,8 

„      Huschke*) 1424  1272 

„     Bischoffs) 1363,5  1244,5 

Als  Maximum  fand  Huschke  1500  bis  1600,  als  Minimum  880  Grm. 
R.  Wagner  ^) ,  welcher  nach  fremden  und  eigenen  Beobachtungen  die  Ge- 
wichte von  964  Gehirnen  ohne  Rücksicht  auf  Geschlecht,  Alter  und  Todes- 
art zusammenstellte,  erhielt  ein  Maximum  von  1911,  ein  Minimum  von 
680  Grm.  In  der  nach  dem  Gewicht  geordneten  Reihe  nahmen  die  Gehirne 
geistig  hervorragender  Persönlichkeiten  nicht  durchgängig  hohe  Stellen  ein. 
Indessen,  wie  Wagner  selbst  bemerkt  und  wie  der  Mangel  an  Ueberein- 
stimmung  der  Mittelzahlen  zeigt ,  fehlt  viel ,  dass  diese  Wägungen  ohne 
Weiteres  vergleichbar  wären.  Abgesehen  von  der  grösseren  oder  geringeren 
Sorgfalt,  welche  auf  die  Entfernung  der  Hüllen,  Blutgefässe  u.  s.  f.  ver- 
wandt wird ,  bedingt  der  Gehalt  des  Gehirns  an  Blut  und  imbibirter  Cere- 
brospinalflüssigkeit  Verschiedenheiten,  die  sich  kaum  ermessen  lassen. 

Vom  Gesammtgewicht  des  Körpers  macht  das  Gewicht  des  Gehirns 
beim  Erwachsenen  nach  Tiedemann^)  und  Huschke  über  2  Proc.  aus. 
Das  Volumen  des  Gehirns   bestimmte   Krause   zu  65Y2  bis  7IV4  Cubikzoll, 


^)  Hirn.  Encephaloii.  ^)  Das  Gehirn  des  Negers  mit  dem  des  Europäers  verglichen. 
Heidelb.  1837.  S.  8.  ^)  Lond.  med.  Journ.  1851.  Febr.  p.  105.  *)  Schädel,  Hirn  und 
Seele  des  Menschen  und  der  Thiere.  Jena  1854.  S.  57.  ^)  Münchener  Sitzungsberichte 
1864.  I,  1.  ^)  Vorstudien  zu  einer  wissensch.  Morphologie  und  Physiologie  des  menschl. 
Gehirns.  Gott.  1860.  '^)  A.  a.  0.  S.  18.  Das  Verhältniss  schwankt  bei  dem  Manne  von 
1    :  23,32  bis   1   :  46,78,  bei  dem  Weibe  von  1   :  28,45  bis  1    :  44,89. 


86  Gehirn. 

das  specifisclie   Gewicht   zu    1,0387  (1,030  bis  1,0478   Bischoff).     In   der 
Consistenz  gleicht  es  dem  Rückenmarke. 

Die  anatomische  Schilderung  des  Gehirns  ist  eine  Aufgabe  eigenthüm- 
licher  Art.  Zwar  sind  die  Elemente  desselben  die  nämlichen,  wie  die  des 
Rückenmarks,  weisse  Substanz,  welche  aus  Nervenfaserzügen  besteht,  und 
graue,  welche  Fasern  und  Zellen  gemischt  enthält  und  sich  zur  weissen 
Substanz  theils  als  Rinde ,  theils  als  Kern  oder  Axe  rerhält.  Aber  wenn 
die  Verfolgung  der  Fasern  für  das  Rückenmark  noch  nicht  zu  allgemein  an- 
erkannten Resultaten  führte ,  so  ist  sie  für  den  grössten  Theil  des  Gehirns 
noch  kaum  versucht  worden.  Um  so  eifriger  war  man  bemüht,  die  mit 
freiem  Auge  wahrnehmbaren  Besonderheiten  der  Form  und  Farbe  hervor- 
zuheben und  zu  benennen  und  Ordnung  in  die  scheinbar  zufälligen  Bildun- 
gen der  Oberfläche  zu  bringen.  So  existirt  kein  äusseres  Organ,  von  wel- 
chem wir  so  viel  Unverstandenes,  teleologisch  und  genetisch  Unverwerth- 
bares  auszusagen  haben,  keines,  in  welchem  so  viel  von  dem  enthalten  ist, 
was  nach  Joh.  Müll  er' s  Ausdruck  nichts  beweist,  als  seine  eigene  Exi- 
stenz. Man  studirt  dies  Detail  in  der  Hoffnung,  einer  rationellen  Anatomie 
des  Gehirns  vorzuarbeiten,  und  in  der  That  beruht  diese  Hoffnung  auf  der 
Orientirung,  die  es  möglich  macht,  immer  schärfer  das  Local  einer  krank- 
haften Veränderung  oder  den  Angriffspunkt  eines  physiologischen  Experi- 
ments zu  bezeichnen.  Zum  Zweck  dieser  Orientirung  beschreiben  wir  das 
Gehirn;  sie  wird  aber  unmöglich  oder  doch  sehr  schwierig,  wenn  wir  dar- 
auf verzichten  sollen,  die  Theile  in  ihrem  Zusammenhange  darzustellen.  Im 
praktischen  Interesse,  d.  h.  im  Interesse  der  Auffassung  halte  ich  es  für 
erlaubt,  da,  wo  wir  den  wirklichen  Zusammenhang  nicht  kennen  und  nicht 
sobald  erwarten  dürfen,  ihn  kennen  zu  lernen,  einen  Zusammenhang  zu 
fingiren.  Es  geschieht  dies  nicht  in  der  Meinung,  Hypothesen  über  den 
muthmaasslichen  Faserverlauf  aufzustellen ;  vielmehr  soll  die  Sonderung, 
Verbindung  und  Gliederung  der  Theile  so  verstanden  werden,  wie  man  sie 
bei  der  Beschreibung  architektonischer  Werke  versteht,  indem  man  bei  dem 
äusserlich  Einfachen  nicht  fragt,  ob  es  aus  mehreren  Stücken  zusammen- 
gesetzt sei  und  das  Relief  als  etwas  Selbständiges  betrachtet,  auch  wenn  es 
mit  der  Unterlage  aus  Einem  Guss  entstanden  ist.  Das  Material  und  die 
Construction ,  d.  h.  in  unserem  Falle  die  Faserzüge,  die  Zellengruppen  und 
die  Art  ihrer  Zusammenfügung  können  erst  nachträglich  in  Betracht 
kommen. 
Einthei-  Der  erste  Schritt,   um  in  dem  verwickelten  Bau   des   Gehirns  heimisch 

^^^^'  zu  werden,  ist  eine  zweckmässige  Eintheilung  desselben.     Nach  den  augen- 

fälligsten   Charakteren    der    äusseren    Configuration    pflegt    man    zu    unter- 
scheiden : 

1)  Das  verlängerte  Mark,  JKeclulla Oblongata'^),  die  auf  dem  hinteren 
Theile  des  Clivus  gelegene,  unmittelbare  Fortsetzung  des  Rückenmarks,  die 
sich  auch  in  ihrer  äusseren  Form  nur  wenig  von  der  Form  des  Rücken- 
marks entfernt;  2)  das  Kleinhirn,  Cerebelhcm^),  ein  das  verlängerte  Mark 
deckender    und     nach    beiden    Seiten    überragender,     die    unteren     Gruben 


1)   Bulbus  rachidicus.  Markknopf.     Oberer  Markknopf.    Caudex  enceplmli  comm.      Bur- 
dach,    ^)  Kleines  Gehirn.     Hirnlein. 


Greliirn. 


87 


der  Hinterhauptsschuppe  erfüllender  Körper,    ausgezeichnet   durch   dichtge- 
drängte, wesentlich  transversal  verlaufende  Furchen ,   welche  die  Oberfläche 

Fig.  30. 
Cb 


Gehirn,  Profil.     P  Brücke.     *  Hintere  Horizontalspalte  (Fossa  Sylvii  aut.). 

in  schmale  Läppchen  abtheilen;  3)  das  Grosshirn,  Cerehrum  s.  s.  i),  die 
Hauptmasse  des  Organs,  die  die  vordere,  mittlere  und  den  oberhalb  des  Sulcus 
transversus  befindlichen  Theil  der  hinteren  Schädelgrube  einnimmt  und 
von  dem  Kleinhirn  durch  eine  horizontale,  fibröse  Scheidewand,  Tentorium, 
getrennt  ist.  Das  Grosshirn  besteht  aus  den  von  charakteristischen  mäan- 
drischen Furchen  durchzogenen,  durch'  eine  3,5  bis  4,7  Cm.  tiefe,  mediane 
Spalte  2)  gesonderten  Hemisphären ,  zwischen  deren  einander  zugewandten 
Flächen  von  obenher  ein  medianes  Septum,  die  Falx ,  eindringt,  und  aus 
den  mannigfaltigen  Gebilden,  welche  diese  Hemisphären  verbinden  und  in 
der  Tiefe  der  Medianfurche  und  an  der  unteren  Oberfläche  des  Gehirns 
zu  Tage  liegen. 

Diese  Eintheilung  ist  aber  unzulänglich ,  weil  sie  die  Stellung  einer 
Anzahl  unpaarer,  den  Uebergang  vom  verlängerten  Mark  und  dem  Klein- 
hirn zum  Grosshirn  vermittelnder  Theile,  wie  der  Brücke,  der  Vierhügel 
u.  A. ,  unbestimmt  lässt,  die  dann  auch  bald  zu  dem  Einen,  bald  zu  dem 
anderen  bezogen ,  bald  zu  einer  besonderen  Abtheilung  erhoben  wurden  ^). 


■')  Grosses  Gehirn.  ^)  Flssura  s.  Sclssura  s.  Inclsura  longikidliialis.  Iiicisura  palllL 
Burd.  ^)  Schon  Meckel  beklagt  die  Vieldeutigkeit  des  Begriffs  des  verlängerten  Marks, 
worunter  einzelne  seiner  Vorgänger  die  ganze  Hirnbasis,  andere  nur  Theile  derselben  ver- 
standen hatten.  Er  selbst  vereinigt  unter  dieser  Bezeichnung  das  verlängerte  Mark  im 
heutigen,  durch  Haller  festgestellten  Sinn  und  die  Brücke.  Ihm  schliesst  d'Alton  sich 
an  (Berliner  encyclopäd.  Wörterbuch  Art.  Encephalon).  Andere  Autoren,  welche  wie  Gor- 
don, Arnold,  Valentin,  die  erwähnte  Dreitheilung  beibehalten,  zählen  die  Brücke  zu 
den  Bestandtheilen  des  Kleinhirns,  die  Vierhügel  zum  Grosshirn.  Bnrdach  t'asst  verlän- 
gertes Mark,  Kleinhirn  und  Brücke  unter  dem  Namen  Amhüus  cerehelli  zusammen.  Am 
mannigfaltigsten  ist  die  Bestimmung  des  mittleren  Hirntheils  {Isthmus  Ridley,  Protube- 
7-antia  Bichat,  Mesocephalon  Chaussier,  Verbindungstheil  Web  er- Hildebrandt )  aus- 
gefallen, der  das  Verbindungsglied  zwischen  Gross-  und  Kleinhirn  darstellen  sollte.  Er  um- 
fasst,  abgesehen  vom  verlängerten  Mark ,  welches  die  Einen  hinzuziehen,  die  Anderen  tren- 
nen und  welchem  allein  Eidley  und  Cr  uv  eil  hier  seine  Stelle  bei  dem  Rückenmarke  an- 
weisen, nach  Krause  Brücke  und  Vierhügel,  nach  Chaussier  noch  dazu  das  vordere  Mark- 


Gehirn. 


Ventrikel. 


Der  Mediansclmitt  des  Gehirns  zeigt  eine  Reihe  unter  einander  com- 
municirender  yon  aussen  zugänglicher  Hohlräume  (Kammern  oder  Yentrikel). 
Unsere  Darstellung  hält  sich  an  die  Wände,  die  die  Hohlräume  begrenzen, 
vorerst  unbekümmert  um  die  auf  diesen  Wänden  errichteten  Gebilde.  Form 
und  Weite  der  Hohlräxime  sind  in  den  verschiedenen  Theilen  des  Gehirns 
verschieden.  Der  unter  dem  Kleinhirn  befindliche  Ventrikel  gleicht,  wie 
die  Frontalschnitte  lehren,  stellenweise   fast  einer   Querspalte  (Fig.  31),   die 

Wände  desselben  sind  demnach  als 


Fig.  31. 


Frontalschnitt  des    Gehirns  durch  den  hinte- 
ren Rand  der  Brücke.      Vq  Ventriculus  quar- 
tus.       VII  N.  facialis. 


Boden  und  Decke  zu  bezeichnen, 
welche  seitlich  in  einem  spitzen  oder 
abgerundeten  oder  abgestumpften 
Winkel  zusammenkommen. 

Aber  auch  wo  der  Ventrikel  ge- 
räumiger ist  und  Seitenwände  auf- 
weist, ja  selbst  da,  wo  er,  wie  im 
hinteren  Theile  des  Grosshirns,  theil- 
weise  als  verticale  Spalte  erscheint, 
lässt  sich  die  Eintheilung  der  Wände 
in  Boden  und  Decke  durchführen, 
unter  der  Annahme,  dass  die  Decke 


segel,  nach  Weber -Hildebrandt  neben  Brücke  und  Vierhügeln  die  Grosshirnschenkel 
und  das  Tuber  cinereum,  nach  Eidley,  welchem  Bichat  und  Cruveilhier  folgen, 
Brücke,  Vierhügel,  vorderes  Marksegel,  Gi'osshirnschenkel  und  Brückenschenkel.  Man  muss 
gestehen,  dass  die  Zahl  möglicher  und  gleichermaassen  berechtigter  Combinationen  hiermit 
nicht  erschöpft  ist.  Um  zu  Anhaltsi^unkten  zu  gelangen,  die  eine  derartige  Willkür  aus- 
schliessen,  gründete  Reichert  (der  Bau  des  menschl.  Gehirns.  Lpzg.  1859)  eine  Einthei- 
lung des  Gehirns  auf  dessen  Entwickelungsgeschichte.  Den  drei  Hirnblasen  des  Embryo 
entsprechen,  von  vorn  nach  hinten  gezählt,  die  Wände  des  dritten  Ventrikels,  des  Aquae- 
ducts  und  des  vierten  Ventrikels;  aus  der  ersten  Hirnblase  sprossen  die  paarigen  Blasen 
hervor,  welche  rückwärts  wachsend  die  unpaaren  decken  und  sich  zu  den  Hemisphären 
des  Grosshirns  ausbilden.  Von  der  vollständigen  Durchführung  seines  Princips  hat  Rei- 
chert selbst,  zum  Besten  der  morphologischen  Auffassung,  Abstand  genommen,  indem  er 
das  Grosshirn,  das  genetisch  nur  einen  Anhang  der  den  dritten  Ventrikel  einschliesseiiden 
Gebilde  darstellt,  den  übrigen,  unter  dem  Namen  „Hirnstamm"  zusammengefassten  Abthei- 
lungen als  selbständige  Abtheilung  gegenüberstellt  (11,  15).  Die  Grenze  zwischen  Gross- 
hirn und  Hirnstamm  ist  künstlich,  denn  sie  durchschneidet  das  Foramen  Monroi  so ,  dass  die 
Wurzeln  und  ein  Theil  der  Säulchen  des  Fornix  ,  sowie  ein  Theil  des  Septum  lucidum  bei 
dem  Grundstock  verbleiben.  Auch  ist,  wie  Reichert  zugiebt,  eine  scharfe  Scheidung  der 
den  Gehirnbläschen  entsprechenden  Abtheilungen  des  fertigen  Gehirns  nicht  ausführbar  : 
wie  die  Hohlräume  gehen  die  Wandungen  der  einzelnen  Bläschen  völlig  continuirlich  und 
allmälich  in  einander  über.  Es  kommt  noch  eine  Schwierigkeit  hinzu.  Die  Wände 
des  embryonalen  Rohrs,  aus  welchem  das  Centralorgan  hervorgeht,  wandeln  sich  nicht  all- 
seitig in  Nervensubstanz  um.  Den  oberen  Verschluss  des  dritten  Ventrikels  liefert  das  Ge- 
fässblatt,  welches  im  fertigen  Gehirn  als  ein  Fortsatz  der  äusseren  Gefässhaut  erscheint. 
In  Reichert's  Beschreibung  steht  dies  Gefässblattj  sowie  der  Plexus  choroideus  des  Sei- 
tenventrikels in  einer  Linie  mit  den  nervösen  Apparaten  des  Gehirns.  Die  Blutgefässe  aber 
verhalten  sich  zum  Gehirn  nicht  anders,  wie  zu  jedem  anderen  Organ ;  so  genau  Parenchym 
und  Gefässe  in  ihrer  Entwickelung  zusammenhängen,  da  sie  aus  der  Sonderung  Eines  Bla- 
stems hervorgehen ,  so  hat  doch  die  systematische  Anatomie  für  sich  und  für  die  Zwecke 
der  Physiologie  guten  Grund,  die  Structur  der  Organe,  wie  den  Verlauf  der  Gefässe,  jedes 
im  Zusammenhange  zu  betrachten. 


Gehirn.  89 

gewölbt  oder  der  Boden  vertieft  sei.  Die  Configuration  der  Wände  ist  fast 
überall  von  der  Art,  dass  man  darüber,  ob  das  Eine  oder  das  andere  anzu- 
nehmen sei,  nicht  in  Zweifel  gerätb.  Wo  aber  die  Grenze  zwischen  Boden 
und  Decke  verwischt  oder  zwischen  beiden  eine  Seitenwand  eingeschaltet 
ist,  die  man  nicht  bestimmt  dem  einen  oder  der  anderen  zutheilen  kann, 
da  lässt  sich  dies  so  verstehen,  dass  die  Fasei-n,  welche  das  Material  der 
Decke  bilden,  aus  dem  Boden  selbst  hervor-  und  einander  entgegengewach- 
sen seien  und  dass  sie  mehr  oder  minder  rasch  in  die  neue  Richtung  um- 
biegen. Dieser  Auffassung  gemäss  muss  der  Boden  des  Gehirns  zugleich  Boden  der- 
als  die  Grundlage  desselben  betrachtet  werden  und  die  Beschreibung  von  ihm 
ausgehen.  Wir  verfolgen  ihn  vom  Rückenmark  an  auf-  und  vorwärts  und 
sehen  ihn  beginnen  (Fig.  32.  35.)  mit  dem  verlängerten  Mark,  Medulla 
ohlonguta,  als  platt  cylindrischen,  durch  mediane  und  seitliche  Furchen, 
ähnlich  wie  das  Rückenmark  unvollkommen  in  lougitudinale  Stränge  abge- 
theilten  Körper.  Diese  Stränge  entziehen  sich  an  der  unteren  Fläche,  der 
sogenannten  Basis  des  Gehirns,  dem  Blick  unter  einem  breiten  Wulste 
transversaler  Fasern,  der  Brücke,  J^ons^),  die  den  Boden  des  Gehirns  von 
untenher  umwölben,  wie  die  Decke  ihn  überwölbt,  mit  dem  Unterschiede, 
dass  jene  sich  dicht  an  denselben  anlegen,  ja  sich  mit  den  longitudinalen 
Fasern  zu  durchflechten  scheinen.  Wie  dem  sei,  so  tritt  eine  Fortsetzung 
des  verlängerten  Marks  vor  der  Brücke  in  zwei  symmetrischen  Nerven- 
massen wieder  aus,  welche  anfänglich  nur  durch  eine  mediane  Furche  2), 
dann  aber  durch  eine  Spalte  geschieden  sind,  die  von  grauer  Substanz  aus- 
gefüllt wird.  Die  weissen  Faserzüge  werden  an  ihrer  medialen  und  oberen 
Fläche  sogleich  wieder  verhüllt  durch  zwei  auf  einander  folgende,  keulen- 
förmige Massen  grauer  Substanz,  welche  dieselben  in  schräger  Richtung  so 
umschlingen ,  dass  das  dicke  Ende  der  Keulen  medianwärts ,  das  verjüngte 
Ende  seit-  und  rückwärts  gerichtet  ist.  Dies  sind  die  sogenannten  Gross- 
hirnganglien, das  hintere  der  Thalamus  opticus,  Sehhügel,  das  vordere 
C.  striatum,  Streifenhügel.  An  der  unteren  Fläche  des  Gehix-ns  erscheinen 
die  weissen  Faserzüge  frei  als  abwärts  vorragende  halbcylindrische  Stränge 
von  22  Mm.  Durchmesser,  die  sogenannten  Grosshirnschenkel,  Crura 
cerebri^)  (Fig.  32  TB). 

Ein  flacher  Eindruck  der  medialen  Fläche,  aus  welchem  der  N.  oculo- 
motorius  (Fig.  32  III)  hervortritt  und  welchem  auf  dem  Querschnitt  ein 
Streifen  dunkel  pigmentirter  grauer  Substanz,  Substantia  tligra'^)  (Fig.  33), 
entspricht,  scheidet  jeden  Grosshirnschenkel  in  zwei  Abtheilungen,  die  beim 
Austritt  aus  der  Brücke  über  einandei"  liegen ,  weiterhin  aber  sich  so  an 
einander  verschieden,  dass  die  untere  Abtheilung  schräg  lateral- vorwärts, 
die  obere  fast  gerade  verläuft  und  die  untere  Abtheilung  an  die  laterale 
Seite  der  oberen  zu  liegen  kommt.    Die  untere  Abtheilung,  ßasis  ^),  ist  rein 


^)  Pons  Varolii.  Nodus  encephali.  Protuheranlla  s.  Kmineiitla  aiinularls.  Varolsbrücke. 
Hirnkiioten.  ^)  Sulcus  longüudinalis  substantiae  2'>erforata6  mediae.  Die  tiefste  Einsenlcung 
dieser  Furche  am  vorderen  Rande  der  Brücke  ist  da,s  Foramen  coecurn  anterius  aut.  ^)  Pe- 
dunculus  s.  caudex  cerebrl.  Grosshirnstiel.  Hirnstamm.  Ich  gebrauche  diesen  Namen  in 
der  von  Arnold  adoptirten  Bedeutung,  während  die  älteren  Autoreu,  auch  Burdach,  ihn 
nur  auf  die  untere  Abtheilung  der  Grosshirnschenkel  beziehen.  *)  Stratum  nlgruin 
Burdach.      ^)  Fuss. 


90 


Gehirn. 


weiss  lind  der  Länge  nach  gefurcht,  einem  mächtigen  Nervenstrang  ähnlich, 
die  obere  Abtheilung ,    Tegmentum  ^)  ,  hat  einen  Ueberzug  von  grauer   Sub- 

Fig.  32. 


Col 


Cea 


Basis  des  Gehirns.  Die  Hypophyse  abgetrennt.  P  Pons.  Täo  Thalamus  opt.  Lpp  Lamina 
perforata  posterior.  /?» Insula.  Tc  Tuber  cinereum.  Tfi  o  Tuber  olfactorium.  Zc<  Lamina  cine- 
rea terminalis.  Ccl'^  Corpus  callosum,  Knie.  Pcc  Pedunculi  corp.  caltesi.  Cha  Commissura 
baseos  alba.  Spa  Substantia  perforata  ant.  Cca  Corp.  candicans.  Gf  Gyrus  fornicatus. 
jT  Tegmentum,  B  Basis  des  Hirnschenkels.  iSr  Substantia  reticularis.  Mo  Medulla  oblongata. 
Die  römischen  Ziffern  bezeichnen  die  Hirnnerven.  /  N.  olfactorius,  linkerseits  am  Ursprung 
abgeschnitten.  /'  Bulbus  desselben.  //  Tractus  opticus.  *  Hintere  Horizontalspalte.  **Die 
Stelle,  an  welcher  der  abwärts  umgeschlagene  Theil  der  Decke  mit  dem  Boden  verwachsen 
ist ,  durch  Zurückschlagen  der  Spitze  dieses  Umschlags  frei  gelegt. 

stanz  und  eine  platte  und  ebene  Oberfläche.    Die  Basis  verschwindet  jeder- 
seits  unter  dem  Tractus  opticus  {II'),   einem  platten  Nervenstrang,   der,  an 

1)  Haube. 


Gehirn. 


91 


seinem  hinteren    Rande   mit  dem    Gi'osshirnsclienkel   verschmolzen,    schräg 
medianwärts  über  dessen  untere  Fläche  zieht,  in  der  Mittellinie  dem  gleich- 

Fig.  33. 


Coa 


Com 


\   /Ccl* 


Medianschnitt  des  Grosshirns,  rechte  Hälfte,  um  die  sagittale  Axe  mit  der  Schnittfläche 
aufwärts  gedreht;  der  Grosshirnschenkel  am.  Eintritt  in  den  Thalamus  (Tko)  frontal 
durchschnitten,  der  Tractus  opt.  (//)  zurückgeschlagen.  1  N.  olfactorius.  Ccl^  Knie 
des  Corp.  callos.  Sl  Sept.  lucidum.  Coa,  Com  Commissura  ant.  und  media.  Cn  Co- 
narium.  Lq  Lamina  corp.  quadrig.  Ccl^  Splenium  des  Corp.  callos.  Sn  Substantia 
nigra.     B  Basis.      Cca'  der  in  das  C.   candicans  übergehende  Nervenstrang. 


namigen  Nervenstrang  der  anderen  Seite  in  dem  sogenannten  Chiasma  opfi- 
cum  begegnet,  aus  welchem  die  Nn.  optici  (11)  divergirend  hervorgehen.  Ueber- 
dem  bedecken  den  grösseren ,  seitlichen  und  vorderen  Theil  der  Basis  des 
Grosshirnschenkels  von  unten  her  die  Randwülste  des  Lappens  der  Hemi- 
sphäre, den  eine  von  vornher  fast  horizontal  eindringende  Spalte  (Fig.  32  *) 
von  der  übrigen  Masse  der  Hemisphäre  scheidet.  Den  Raum,  den  die  ausein- 
anderweichenden Basen  frei  lassen ,  nehmen  die  Tegmente  ein.  Diese  lie- 
gen fast  unmittelbar  neben  einander ;  die  graue  Substanz ,  die  sie  verbindet, 
hat  deshalb  überall  nur  eine  geringe  Breite  ;  auch  ihre  Mächtigkeit  ist  ge- 
ring, jedoch  nicht  in  allen  Theilen  gleich;  in  ihrer  Gesammtheit  mögen 
diese  medianen  Lamellen  grauer  Substanz,  mit  dem  Namen  der  grauen 
Bodencommissur  bezeichnet  werden  ^). 

Das  Massenverhältniss  von  Basis  und  Tegmentmn  ändert  sich  im  Laufe  der 
Entwickelung.  Während  die  Höhe  beider  Abtheilungen  des  Hirnschenkels  beim 
Erwachsenen  fast  gleich  ist,  beträgt  im  Gehirn  eines  siebenmonatlichen  Fötus 
die  Höhe  der  Basis  nur  die  Hälfte  der  Höhe  des    Tegmentum.     Auch  ist    im  Ver- 


^)  Das  Trigonum  intercrurale  Arnold  (Substantia  cinerea  intermedia  H.  Meyer)  um- 
fasst  die  gesammte  graue  Substanz  ,  welche  zwischen  den  Basen  der  Hirnschenkel  und  dem 
Chiasma  opticum  den  Boden  des  Grosshirns  bildet,  also  neben  der  medianen  dünnen  Boden- 
commissur auch   die  paarigen  mächtigen  Tegmente. 


92 


Gehirn. 


gleich  zu  allen  Säugethieren  beim  Menschen  die  Basis  relativ  am  stärksten.  Mey- 
nert,  welcher  diese  Vergleichung  anstellt  (Wiener  Sitzungsberichte  Bd.  LX,  Oct.), 
schliesst  aus  dem  Uebergewicht  der  Basis,  welches  mit  dem  Uebergewicht  der 
Grosshirnhemisphären  beim  erwachsenen  Menschen  zusammentrifft,  dass  in  der 
Basis  vorzugsweise  die  dem  Vorstellungsleben  dienenden  Nervenfasern,  im  Teg- 
mentum  die  excitomotorischen  enthalten  seien. 

Die  Abtheilungen  der  grauen  Bodencominissur  ergeben  sich  durcli 
Gebilde,  welcbe  den  Verlauf  der  Tegmente  unterbrechen  und  über 
deren  freie  untere  Fläche  hervorragen.  Dies  sind  zuerst ,  in  geringer 
Entfernung  (10  Millimeter)  vom  vorderen  Rande  der  Brücke,  ein  Paar 
in  dem  Winkel ,  den  die  Basen  der  Grossschenkel  begrenzen,  unmittelbar 
neben  einander  gelegene,  halbkugelige,  weisse  Hervorragungen,  die  (Jorpora 

Fig.  34. 


Cel 


Vti-l.  Fla;.  32. 


Gehirn.  93 

Candieantia  ^) ;  weiter  vorn  legen  sich  die  Tractns  optici  und  das  Chiasma 
über  Tegmente  und  Bodencommissiir  und  verwachsen  mit  ihnen  in  dersel- 
ben Weise ,  wie  mit  den  Basen  der  Grosshirnschenkel.  Zuletzt  verbergen 
sich  die  Tegmente  unter  einem  Querwiilst ,  welcher  vor  dem  Tractus  opticus 
an  der  von  den  Randwülsten  bedeckten  unteren  Fläche  der  Hemisphäre 
aus  einer  vielfach  von  Gefässöffnungen  durchbrochenen  weissen  Substanz, 
Siib'itantia  perforata  (int.  Vicq.  d'Azyr-),  hervorgeht,  allmälig  ver- 
schmälert sich  dem  entsprechenden  Wulst  der  anderen  Seite  nähert  und 
mit  ihm ,  nur  durch  eine  enge  mediane  Furche  ^)  von  ihm  getrennt,  vor- 
wärts umbiegt,  iim  sich  zuletzt  mit  dem  die  vordere  Spitze  des  Ventrikels 
verschliessenden  Hirntheil,  dem  Balken,  Corpus  Callosmn,  zu  vereinigen. 
Dieses  Zusammenhangs  wegen  ist  der  Wulst  unter  dem  Namen  des  JPedun- 
culus  Corporis  Callosi  Vicq  d'Azyr*)  beschrieben. 

Ich  sah  einmal  ein  glänzend  weisses  Nervenfaserhündel  von  0,6  Mm.  Durch- 
messer ah  der  hinteren  Grenze  der  Substantia  perforata  ant.  in  transversaler 
Eichtung  verlaufen,  lateralwärts  vom  Peduncuhis  corporis  callosi  vorwärts  iimhie- 
gen  und  unmittelbar  neben  den  Eandwülsten  des  Vorderlappens  zum  Anfang  des 
Balkens  ziehen ,    auf  Avelchem  es  pinselförmig  ausstrahlte. 

Die  graue  Platte ,  welche  zwischen  der  Brücke  imd  den  Corpora  can- 
dieantia die  Tegmente  verbindet,  ähnelt  der  Substantia  perforata  ant.  durch 
ihren  Reichthum  an  Gefässöffnungen  und  wird  Lamina perforata  post.  ^)  ge- 
nannt. Sie  ist  mächtiger  als  irgend  eine  andere  Partie  der  Bodencommis- 
sur  (4  bis  5  Mm.)  imd  auch  darin  eigenthümlich,  dass  sie  näher  der  oberen 
als  der  unteren  Fläche  der  Tegmente  liegt  und  so  einen  Theil  der  media- 
len Fläche  der  letzteren  von  der  Höhle  des  Gehirns  ausschliesst.  Das  dünne 
und  zerreissliche,  zwischen  den  Corpora  candieantia  und  dem  Chiasma  gele- 
gene Stück  der  Bodencommissur  geht  so  unmerklich  in  die  untere  Fläche 
der  Tegmente  über,  dass  sie  nicht  äusserlich,  sondern  nur  an  frontalen 
Durchschnitten  des  Gehirns  von  denselben  unterschieden  werden  kann.  An 
der  äusseren  Oberfläche  des  Bodens  des  Gehirns  stellen  diese  Theile  der 
Tegmente  mit  der  entsprechenden  Bodencommissur  eine  glatte  und  ebene, 
abwärts  gewölbte  Fläche,  das  Tuher  Crnereum  ^),  dar.  Vom  vorderen  Rande 
desselben  hängt  an  einem  cylindrischen  schräg  vor-  abwärts  gerichteten  Stiel 
ein  drüsenartiges,  in  der  nach  ihm  benannten  Grube  des  Wespenbeins  ein- 
gebettetes Organ ,  die  Hypophyse  ''),  herab.  Der  Stiel ,  Peduncuhis  hypo- 
physeos^),  ist  hohl,  kann  sich  von  der  Insertion  in  die  Hypophyse  an  auf- 
wärts erweitern  und  entspricht  dann  dem  tiefsten  Grunde  des  Hirnventri- 
kels, dem  Trichter,  Infundihulum. 


^)  Corpp.  mamillarla.  Emlnentlae  mamillares  s.  papilläres  s.  candicantes.  Bulhi  for- 
nicis  Santorini.  Markkügelchen.  Knöpfchen  Reil.  '"')  Lamina  crihrosa  Reil.  S.  perfo- 
rata s.  crihrosa  lateralis.  Partes  laterales  substantiae  perforatae  anterioris.  Quadrilatere 
pe.rfore  Foville.  ^)  Sulcus  medius  substantiae  perforatae  anticae  mediae.  ^)Suhstantia  per- 
forata s.  cribrosa  antlca  s.  media  s.  antica  media.  Peduncuhts  septi  lucidi  Arnold.  ^)  Sub- 
stantia perforata  media  Vicq  d'Azyr.  Subst.  perfor.  post.  aut.  Pons  Tarini.  Spatium 
interpedunculare  Cruv.  Auch  dieser  Name  ist  wegen  des  verschiedenen  Sinnes,  in  wel- 
chem die  Grosshirnschenke]  verstanden  werden,  zweideutig  und  umfasst  bei  vielen  noch  die 
einander  zugewandten  Flächen  der  Tegmente.  ^)  Substantia  perforata  media  post.  Valen- 
tin.     Basis  infundibuli.      ^)    Gland.  pituitaria.     Hirnanhang.      ^)  Infundibulum   aut. 


94 


Gehirn. 


Das  CMasma  liegt  mit  den  Flächen  dem  Stiel' der  Hypophyse  parallel, 
die  freie  Fläche  rück-ahwärts ,  die  der  Höhlung  des  Gehirns  zugewandte 
vor  -  und  aufwäi'ts  gerichtet  (vgl.  Fig.  35),  mit  der  medianen  Platte  des 
Tuber  cinereum  so  fest  verwachsen ,  dass  es  sie  zu  ersetzen  scheint.  Von 
dem  vorderen  Rande  desselben  steigt  der  vorderste  dünnste  Theil  der  grauen 
Boden commissur,  die  JLamma  Cinerea  termindlis  Burdach^),  auf-  und  an- 
fangs rückwärts,  ehe  sie  sich  im  Bogen  vorwärts  wendet,  um  sich,  an  Mäch- 
tigkeit etwas  zunehmend,  mit  dem  oberen  Rande  an  die  später  zu  beschrei- 
bende vordere  Commissur  {Coa)  anzusetzen.  Im  Grunde  der  Furche,  welche 
zwischen  den  beiden  Pedunculi  corp.  callosi  von  der  vorderen  Commissur 
bis  zum  Anfang  des  Balkens  verläuft,  hängt  die  weisse  Substanz  der  unte- 
ren Randwülste  der  rechten  xind  linken  Hirnhälfte  durch  eine  Commissur 
zusammen,  die  ich  als  weisse  Boden  commissur,  Commissur  a  baseos 
aJba^),  aufführen  werde  (Fig.  34.  35). 

Fig.  35. 
Cop 


MedianscLnitt  des  Gehirns.  Ftj)  Fissura  transv.  post.  ]^q  Ventriculus  quartus.  Mo  Medulla 
oblong.  P  Brücke.  Cca  C.  candicans.  TTegmentum.  //Hypophyse.  //'Chiasma  der  Nn. 
opt.  // N.  opticus.  Lct  Lainina  cinerea  termin.  Coa  Commissura  ant.  Cba  Commissura 
baseos  alba.  Ccl^  Schnabel,  Ccl^  Knie,  Ccl^  Körper,  Ccl^  Splenium  des  Corp.  callos. 
/"iW  Foramen  Monroi.  ä/ Sept.  lucid.  Com  Commiss.  media.  SJ/ Sulcns  Monroi.  Co^j  Commiss. 
post.  Cn  Conarium.  Lq  Lamina  corp.  quadrig.  A  Aquaeduct.  Tta  Fissur.i  transv.  ant. 
l'jna  Velum  med.  ant.     Cbl  Cerebelluni. 


■*)   Pa7-s  descendenis  suhstanüae  perforaUia    antlcae    mediae    Val.    Plancher    anterieur  du 
^irne  ventricuh  Cruv.      ^)  Commissur  der   Stiele  des  Septum   peliucidum  Reichert. 


Gehirn. 


95 


Die  Decke  des  Gehirns  besteht  aus  zwei  Abtheihingen ,  die  in  der  Ge-  Decke, 
gend  des  vorderen  Eandes  der  Brücke  znsammenstossen.  Die  hintere  Ab- 
theihing  überwölbt  einen  medianen,  nach  hinten  und  vorn  offenen  Canal, 
von  dessen  beiden  Mündungen  die  hintere  als  Eingang,  die  vordere  als 
Ausgang  zu  bezeichnen  sein  wird  (Fig.  35).  Das  Verhältniss  der  vorderen 
Abtheilung  der  Decke  zum  Boden  lässt  sich  mit  dem  Verhältniss  des  Ober- 
leders eines  Pantoffels  zur  Sohle  vergleichen :  indem  die  Decke  sich  vorn  und 
an  den  Seiten  mit  dem  Boden  vereinigt,  entsteht  ein  blindsackförmiger 
Raum,  der  nur  von  hinten  her  und  zwar  auf  zwei  Wegen,  oberhalb  und  un- 
terhalb der  hinteren  Abtheilung  der  Decke,  zugänglich  ist  (Fig.  36).  Dadurch, 
dass  die  hintere  Abtheilung  der  Decke  sich  von  dem  Eingang  an  erst  er- 
hebt und  dann  wieder  herabsenkt ,  womit  gleichmässig  ihre  seitlichen 
Verbindungen  mit  dem  Boden  auseinanderweichen  und  zusammenrücken, 
zerfällt  der   canalförmige   Hohlraum   unterhalb   dieses   Theils   der  Decke  in 

Fig.  36. 


Ein  Theil  des  Medianschnitts,  wie  in  Fig.  35,  ohne  das  Septum  lucid.      Ccl^  SchnaLel, 

Ccl'^  Knie,      Ccl^  Splenium    des    Balkens.      Cs    Corpus    striat.      Tho       Thalamus  opt. 

Coa  Conimiss  ant. .    Cf  Columna  fornicis. 

einen  hinteren,  weiteren  Raum,  den  sogenannten  vierten  Ventrikel,  Ven- 
triculus  quartus'^),  und  einen  vorderen,  engeren  Gang,  den  Aquaeductus^). 
Den  blindsackförmigen  Hohlraum  zerlegt  eine  mediane  Scheidewand,  Septum 
lacidum  3),  die  in  dem  vorderen  Theil  desselben  vom  Boden  zur  Decke  auf- 
steigt ,  in  drei  Kammern ,  eine  hintere  unpaare  und  zwei  vordere  paarige. 
Von  der  unpaaren  Kammer,  dem  VentricuJiis  tertius(Fig.  37)  *),  der  nach  vorn 
durch  den  hinteren  Rand  der  medianen  Scheidewand  begrenzt  ist,  steht  der 
Weg  nach  rechts  und  links  in  die  paarigen  oder  seitlichen  Kammern,  die 
Seitenventrikel,  Ventriculi  laterales^),  offen;  diese  communiciren  mit 
einander  nur  durch  Vermittelung  des  dritten  Ventrikels. 

Den  Eingang  in  den  vierten  Ventrikel    nennt    man   hintere    (quere) 


1)  Ventriculus  Araniü.  Sinus  rhomhoideus.  Calamus  scriptorius.  Rautengrube.  ^)  Aquae- 
ductus Sylvü  aut.  ^)  Septum  pellucldum  s.  medium  s.  medulläre,  trianguläre.  *)  Ventricu- 
lus m,edlus  s.  intermedius.     ^)    Ventrleuli  anteriores  s.  magni  s.   tricornes.      Sinus  anteriores. 


96 


Gehirn. 


Hirnspalte,   Fissura''^)  cerebri  transversa  posterior^  der  Zugang  zn  dem 
dritten    Ventrikel   zwischen    der  hinteren  Abtheilung   der  Decke    und   dem 


Fig.  37. 


Ccl5 


Frontalschnitt  des  Grosshirns  durch  den    Tract.    opt.     Vordere    Schnitthälfte.     Sl  Sept. 

lucid.      Ccl^  Körper  des  C.  callosum.   Fx  Fornix.    F/  Yentric.  lateralis.    Cs  Corp.  striat. 

77/0  Thalamus  opt.    Vt   V^entr.   tertius.      s  Lob.  sup.      l  Lob.  inf.       Coa  Commiss.  ant. 

In  Insula.    Co  Chiasma   opt. 

hinteren  Rande  der  vorderen  Abtheilung  heisst  vordere  Hirnspalte, 
Fissur a  cerebri  transversa  Unterior  (Fig.  35)  -). 

Die  Decke  der  hinteren  canal-  oder  tunnelförmigen  Abtheilung  des 
Gehirns,  deren  Boden  das  verlängerte  Mark  mit  seiner  Fortsetzung  durch 
die  Brücke  repräsentirt ,  zerfällt  in  vier ,  schon  durch  ihre  Mächtigkeit  un- 
terschiedene Theile ,  Kleinhirn ,  CerebeVum^  vorderes  Marksegel,  l^e- 
Imn  tiledulare  anticum,  Vierhügelplatte,  Lamina  corporum  quadrige- 
r)i'inorum,  und  hintere  Commissur,  Commissura  2^osterior. 

Die  vordere  Sjjitze  und  die  Decke  des  blindsackförmigen  Ventrikels, 
die  ich  dem  Oberleder  des  Pantoffels  verglich,  wird  gebildet  durch  ein  mäch- 
tiges Lager  weisser,  transversaler  Commissurenfasern,  den  Balken,  Corpus 
Callosum ,  dessen  mittlerer  Theil  im  Grunde  der  medianen  Hirnspalte  sicht- 
bar ist ,  dessen  Seitentheile  sich  unter  den  aufgelagerten  Randwülsten  ver- 
bergen. Da  die  Decke  sammt  den  Randwülsten  in  dem  Thierreiche  in  dem 
Maasse  weiter  nach  hinten  reicht,  als  die  Intelligenz  zunimmt,  und  auch 
beim  Embryo  sich  in  der  Richtung  von  vorn  nach  hinten  entwickelt,  so  ist 
es  mehr  als  Fiction,  wenn  wir  sagen,  dass  sie  in  ihrem  Bestreben,  sich  zu  ver- 
längern ,  in  der  Mitte  des  Gehirns  vom  Kleinhirn  aufgehalten  werde ,  an 
beiden   Seiten   dagegen    ungehemmt   den   Grosshirnschenkel    oder  vielmehr 


')   Setsaura.      ^)   Nimn  tranxrer.'n  cei-ehti  Burdach. 


Gehirn. 


97 


den  ihn  einhüllenden  Thalamus  umwächst.  Mit  ihrer  eigentlichen  Endi- 
gung erreicht  sie  an  der  unteren  Fläche  des  Grosshii^ns ,  fast  bis  zum  Aus- 
gangspunkte zurückkehrend,    die  Gegend  des  Chiasma  und   verschmilzt  zur 

Fig.  38. 

Ccl* 


Gehirn  von  hinten;  die  Fissura  transv.  ant!  dadurch  weit  geöffnet,  dass  das  Grosshirn 
mit  der  vorderen  Spitze  um  die  transversale  Axe  abwärts  gebogen  ist.  Cö^  Cerebellum. 
\'m  a  Velum  med.  ant.  Ccb  Grus  cerebri.  Bcp,  Bca  Erachium  conjunct.  post.  und 
ant.  Tho  Thalam.  opt.  C'n  Conarium.  Cd*  Splenium  corp.  callosi.  Fta  Fissura 
trausv.    ant.       Lq  Lamina  corp.  quadrig.      Gh  Gyrus  hippocampi.      Gh'    dessen  Haken. 

/  V   N.   trochlearis. 


Seite  desselben,  vor  dem  Tractus  opticus,  mit  der  Substantia  perforata  la- 
teralis (Fig.  34**).  An  der  äusseren  Seite  der  Hemisphären  kennzeichnet 
sich  dieser  Verlauf  durch  eine  zwischen  die  Randwülste  tief  eindringende, 
von  vorn  imd  iinten  nach  hinten  und  oben  schräg  aufsteigende  Spalte,  die 
hintere  seitliche  Hirnspalte  (Fig.  30.  34*)^);  an  der  medialen 
Fläche  der  Hemisphären  sieht  man  die  vordere  quere  Hirnspalte  jederseits 
ab-  und  vorwärts  in  eine  Spalte  iimbiegen,  welche  zwischen  dem  abwärts 
umgeschlagenen  Theil  der  Decke  und  dem  Grosshirnschenkel  in  den  Seiten- 
ventrikel führt    (Fig.  38)^).      Während  der  Umschlag    an   seinem  medialen 


■')   I  ossa  s.  Fissura   Sylvil.      F.   inferior  s.  transversa  s.   anterior.      F.  anterior  inferior. 
^)    Ouvertüre  en  fera  cheval  Gratiolet,  anatomie  comparee  du  sytt.  nerveux.  Paris   1857. 
He  nie,  Anatomie.     Bd.  III.  Abthlg.  2.  7 


98  Gehirn. 

Rande  genau  der  Wölbung  des  Thalamus  folgt,  hat  er  im  Inneren  der 
Hemisphäre  die  Form  einer  spitzwinkeligen  Knickung,  wodurch  er  sich 
vom  Thalamus  entfernt  und  der  Seitenventrikel  in  eine  hintere  Spitze,  das 
sogenannte   hintere    Hörn  ^),   ausgezogen  wird.     Auch  diese  Art  der  Um- 

Fig.  39. 


Tho 


^     CoCca    B     Sn 


Rechte  Hemisphäre,  von  innen.  Der  Grosshirnsehenkel  beim  Eintritt  in  den  Thalamus 
durchschnitten,  die  Randwülste  bis  an  die  laterale  Wand  des  Seitenventrikels  abgetragen. 
Cs  C.  striatum.  Tho  Thalamus  opt.  Tto  Taenia  thalami  opt.  Cp,  C'i  Hinteres,  unteres 
Hörn  des  Seitenveutrikels.  Pv  Pulvinar.  Si  Stria  terminalis.  T  Tegmentum.  Sn  Sub- 
stantia  nigra,  ß  Basis.  Cca  Corp.  candicans.  Co  CKiasma  opt.  "j"  Trennungsfläche  des  Gyrus 
i'ornic.  von  der  Substantia  perfor.  media. 

biegung  der  Decke  veri-äth  sich  äusserlich  durch  die  ziemlich  scharfe  Kante, 
mit  welcher  an  der  hinteren  Sjaitze  der  Hemis]Dhäre  die  obere  Fläche  in 
die  lintere  übergeht.  Der  Theil  des  .Ventrikels,  welcher  durch  die  den 
Hirnschenkel  umgebende  Spalte  zugänglich  ist,  wird  unteres  Hörn  (Un- 
terhorn)2)  genannt. 


Verlänger- 
tes Mark. 
Furchen. 


Ich  wende  mich  nun  zu  einer  einlässlicheren  Beschreibung  der  hinteren 
Abtheilung  des  Gehirns  und  zunächst  ihres  Bodens,  des  verlängerten  Marks. 

Das  verlängerte  Mark  (Fig.  40  bis  42)  th eilen  die  medianen  Spalten, 
welche  sich  vom  Rückenmark  auf  dasselbe  fortsetzen,  zimächst  in  zwei  sym- 
metrische Hälften.  In  der  vorderen  Spalte,  Fissiira  7n>edkina  ant.^),  macht 
in  der  Regel  die  Pyramidenkreuzung,  Decussatio  j^yramidum,  an  der  Grenze 


)   C'av'Ue    ancyroide. 
^)   Fissura  lorujüud.  ant. 


Cornu    occipüale   Gratiolet.     ^)    Cornu  sphenoidale   Grat i ölet. 


Gehirn.  99 

des  verlängerten  Marks  gegen  das  Rückenmark  eine  Unterbrechung  von 
6  bis  7  Mm.  Länge  und  von  verschiedener  Form.  Zuweilen  liegt  die  Kreu- 
zung ganz  oberflächlich  und  man  sieht  ohne  weitere  Präparation  die  Bün- 
del, drei  bis  vier  von  jeder  Seite,  unter  spitzem  Winkel  aufsteigend  sich 
verschränken.  Meistens  setzt  sich  die  Fissur  verflacht  über  die  Kreuzungs- 
stelle fort  und  es  ist  nöthig,  die  beiden  Seitenhälften  etwas  aus  einander 
zu  ziehen ,  um  den  veränderten  Lauf  der  Fasern  wahrzunehmen.  Aber 
es  giebt  auch  Centralorgane ,  deren  Pyramidenkreuzung  im  Grunde  einer 
Medianfissur  von  kaum  veränderter  Tiefe  liegt,  an  welchen  also  die  Re- 
gion der  Kreuzung  äusserlich  gar  nicht  oder  nur  an  einer  leichten  Ausbie- 
gung der  Spalte  kenntlich  ist.  Auch  zwischen  der  Kreuzung  und  der 
Brücke  ist  die  Tiefe  der  Medianfissur  veränderlich  und  oft  findet  man  sie 
in  kürzerer  oder  längerer  Strecke  durch  eine  Art  weisser  Commissur  un- 
terbrochen. Vor  dem  hinteren  Rande  der  Brücke  erweitert  sie  sich  durch 
die  beginnende  Divergenz  der  beiden  Seitenhälften  zu  einem  dreieckigen 
Grübchen  ^). 

Die  hintere  Spalte,  Fissiira  mediana  post.,  zeichnet  sich  vor  der  gleich- 
namigen Fissur  des  Rückenmarks,  an  die  sie  sich  anschliesst,  durch  be- 
trächtlichere Tiefe  und  Weite  aus,  indem  sie  der  Pyramidenkreuzung  ge- 
genüber einen  starken  Fortsatz  der  Gefässhaut  aufnimmt.  Weiter  aufwärts 
verflacht  sie  sich  wieder  dadurch,  dass  der  Centralcanal ,  indem  er  aus 
dem  Rückenmark  in  das  verlängerte  Mark  übergeht,  sich  allmälig  der 
hinteren  Oberfläche  nähert,  und  schliesslich  in  die  hintere  Medianfurche 
öffnet.  Von  der  Stelle  an ,  wo  dies  geschieht ,  weichen  die  weissen 
Stränge,  welche  bis  dahin  die  hintere  Medianfissur  begrenzten,  aus  einan- 
der und  lassen _eine  graue  Substanz  zu  Tage  kommen,  die  in  ihrer  Be- 
ziehung zum  Canal  zwar  der  vorderen  grauen  Commissur  des  Rückenmarks 
entspricht,  aber  durch  eine  seichte  mediane  Fixrche  )  ebenfalls  in  zwei 
symmetrische  Stränge,  die  runden  Stränge,  FunicuU  teTetes'-^),  abgetheilt 
ist.  Der  Uebergang  des  geschlossenen  Theils  des  verlängerten  Marks  *) 
in  den  offenen  ^)  liegt  etwas  oberhalb  des  oberen  Endes  der  Pj^ramiden- 
kreuzung.  Den  offenen  Theil  insbesondere  betrachtet  man  als  Boden  des 
vierten  Ventrikels,  obgleich  wegen  der  gewölbten  Gestalt  der  Decke  der 
Eingang  dieses  Ventrikels  nicht  genau  zu  bestimmen  ist.  Auf  die  flache 
Vertiefung  zwischen  den  divergirenden  Hintersträngen  bezieht  sich  ur- 
sprünglich der  Name  Sinus  rhomboideus,  Rautengrube,  welcher  später 
synonym  mit  dem  vierten  Ventrikel  gebraucht  wurde ;  auf  die  hintere 
Spitze  des  Sinus  rhomboideus  passt  die  Bezeichnung  Calamus  scripiorius. 

Von  den  den  Seitenhälften  des  Rückenmarks  eigenen  Furchen  setzt 
sich  nur  Eine,,  der  Sulcus  intermedius  post.,  ohne  Unterbrechung  auf  das 
verlängerte  Mark  fort.  Die  beiden  Seitenfurchen,  welche  am  grössten  Theile 
des  Rückenmarks  nur  durch  die  Reihen  von  Löchern ,  welche  die  ausgeris- 
senen Nervenwurzeln  zurücklassen ,   repräsentirt  werden ,   reichen   auch  nur 


^)  Foramen  coecum  postlcmn  Vicq  d'Azyr.  ")  Sulcus  s.  fissura  longttudinalis  s.  me- 
dia fossae  rliomhoidalis.  ^)  Corpora  s.  eminentiae  teretes.  Pyrainides  posteriores.  ■*)  Uu- 
tere  Portion  des  verlängerten  Marks  Arnold.  Collet  du  bulbe  Cruv.  ^)  Obere  Portion 
Amol  d. 

7* 


100 


Gehirn. 


so    weit ,     als 
der    hinteren 


die     Nervenwiirzeln. 
AVurzel     des     ersten 

F]V.  40. 


Verlängertes  Mark,  h'.ntere  (obere)  Fläche.  Das  Klein- 
hirn am  Eintritt  der  Schenkel  desselben  abgeschnit- 
ten, vorderes  Marksegel  median  gespalten.  Cop 
Commiss.  post.  Pco  Feduuc.  conarii.  Tho  Thala- 
mus opt.  Bcp  Brach,  conjuuct.  post.  J  v  Frenulum 
veli  med.  ant.  Ccq  Crus  cereb.  ad  corp.  quadrig. 
Ccp  Crus  cereb.  ad  pont.  Fr  Funic.  restiformis. 
Sin  Stric-e  medull.  Vml  Velum  med.  inf.  Po  Pon- 
ticulus.  1- tr  F"unic.  teres.  Ob  Übex.  Cl  Cla\  a. 
Fg  Funic.    gracilis. 


Die  hintere  Seitenfiirche  endet  mit 
Cervicalnerven.  An  die  vorderen  Cer- 
vicalnervenwurzeln  (Fig.  41 
Nc^)  reihen  sich  naitunter 
die  Wurzeln  des  letzten  Cere- 
hralnerven  (X7/)  unmittelbar 
an.  Ueher  die  Lücke  ,  die 
in  anderen  Fällen  zwischen 
beiden  besteht,  lässt  sich  die 
Fortsetzung  der  vorderen 
Seitenfurche  um  so  weniger 
verfolgen ,  da  an  dieser  Stelle 
mehr  oder  minder  ansehn- 
liche Faserzüge,  Fihrae  Clr- 
Cfformes,  die  Oberfläche  der 
longitudiualen  Stränge  kreu- 
zen (Fig.  42).  Aber  auch 
aus  dem  verlängerten  Mark 
entspringen  die  Nerven  wur- 
zeln in  zwei  Längsreihen 
und  wie  beim  Rückenmark 
kann  man  in  erster  Linie 
diese  Reihen  verwenden,  um 
das  verlängerte  Mark  in  drei 
Stränge  abzutheilen.  Es  soll 
damit  ebenso  wenig  wie  beim 
Rückenmark,  eine  histologi- 
sche oder  eine  physiologische 
Scheidung  der  Stränge  be- 
hauptet, auch  über  das  Ver- 
hältniss  der  gleichnamigen 
Stränge  des  Rücken-  und  ver- 
längerten Marks  zu  einander 
nichts  präjudicirt  werden. 

Doch  verdient  Erwähnung, 
dass  die  zwischen    dem  Vor- 


der- ixnd  Seitenstrang  des 
verlängerten  Marks  austretenden  ]N^ervenfasern,  gleich  den  vorderen  Rücken- 
markswurzeln,  ausschliesslich  motorische  Eigenschaften  haben,  während  in 
der  hinteren  Nervenwurzelreihe  des  verlängerten  Marks  allerdings  motori- 
sche und  sensible  Fasern  gemischt  vorkommen. 

Die  vorderen  Nervenwurzeln  des  verlängerten  Marks,  die  Wurzeln  des 
N.  hypoglossus,  an  Feinheit  denen  des  Rückenmarks  ähnlich,  kommen  aus  einer 
Fuiche  ^)  hervor,  welche,  wie  erwähnt,  in  der  Fortsetzung  oder  doch  in  fast 
gleicher  Flucht  mit  der  vorderen  Seitenfurche  des  Rückenmarks  zuweilen 
leicht  lateralwärts  convex  verlauf;.     Die  hintere  Seitenfurche  des  verlänger- 


')   Sulcus   'internus  oUvae. 


Geliirn. 


101 


ten  Marks  wird  bezeichnet  diircli  die  Austrittsstellen  der  Wurzeln  der  Nn. 
accessorius  (XJ),  vagus  {X)  und  glossopharyngeus  (/X)  (Fig.  41).  Die  Wur- 
zeln des  N.  accessorius  entspringen  als  feine,  vereinzelte  Fäden  in  weiten 
Abständen  scbon  im  Cervicaltheil  des  Rückenmarks  zwisclien  den  vorderen 
und  hinteren  Wurzeln,  näher  den  letzteren,  am  nächsten  der  hintei^en 
Wurzel  des  ersten  Cervicalnerven,  mit  welcher  die  entsprechende  Accesso- 
riuswurzel  sich  häufig  auf  die  Eine  oder  andere  Weise  verbindet.       Von  da 


Fiff.  41. 


Fi2-.  42. 


Verlängertes  Mark  ,  vordere  (untere)  Fläche.  Verlängertes  Mark,  vordere  (untere)  Fläche. 
Die  vordere  Medianfurehe  auseinandergczo-  Die  Wurzeln  der  vier  letzten  Hirnnerven 
gen,  um  die  Pyramidenkreuzung  (D)  zu  zei-  an  der  Austrittsstelle  abgerissen.  Starke 
gen.  P  Brücke.  F  Flocke.  Fma  Vordere  Fibrae  arciformes  (Fha).  Fr  Funic.  restif. 
Medianfurche.    Fi'  Funicuius  restif.     0  Olive.  0  Olive. 

Fo  Funic.   oliv.    Nc'  Vordere,  Nc"  hintere 
Wurzel  des  ersten  Cervicalnerven.     TT  bis  A7/ 
Sechster    bis    zwölfter  Hirnnerve. 


an  folgen  die  Ursprünge  des  N.  accessorius  einer  Linie,  welche  schräg  seit- 
wärts und  um  die   Seitenfläche    des  verlängerten   Marks   herum    an    dessen 
Vorderfläche  aufwärts  zieht.      An  sie  schliessen  sich  in  der  Nähe   des   hi*te- 
ren  Randes  der  Brücke  die  starken  und  dichtgedrängten    Wurzelbündel  der     . 
Nn.   glossopharyngeus    und  vagus. 

Der  Vorderstrang  des  verlängerten  Marks,  Pyramidenstrang,  Funi-  stränge. 
culus  2)yram'iclal^s'^),  ist  im  Quer-  und  Längsschnitt  flach  gewölbt,  5  bis 
6  Mm.  breit,  vor  dem  Eintritt  in  die  Brücke  etwas  verschmälert,  wodurch 
die  beiden  Furchen,  die  ihn  einfassen,  an  Tiefe  und  Breite  zunehmen.  Von 
der  Kreuzungsstelle  aus  zieht,  wenn  sie  oberflächlich  liegt,  öfters  eine 
feine,  lineare  Furche  (Fig.  42*)  auf  Einer  Seite  oder  auf  beiden  schräg 
über  die    Oberfläche  des    Pyramidenstrangs    zur  vorderen   Seitenfurche;  sie 


■')  Pyramide.      Corpus  s.   eimnentia  pyrninidaUs.      P>/rainis  nnterior. 


102  Geliirn. 

gewähi't  den  Anscheiu ,  als  ob  der  Yorderstrang  des  Rückenmarks  zur  Seite 
wiche  ,  um  den  Pyramidenstrang  hervortreten  zu  lassen  ^). 

Der  Seiten  -  oder  Olivenstrang ,  Funiculus  Olharis  2),  trägt  seinen  Na- 
men von  einer  glatten,  gestreckt  elliptischen  oder  keulenförmigen,  mit  dem 
spitzen  Ende  abv^ärts  gerichteten  Hervorragung  seines  oberen,  medialen 
Theils,  die  sich  wie  der  Abschnitt  einer  aus  dem  Strange  hervorschauenden 
Olive  oder  Mandel  ausnimmt.  Die  Olive,  Oliva  %  hat  14  Mm.  im  vertica- 
len,  7  Mm.  im  transversalen  Durchmesser;  ihre  Erhebung  über  das  Niveau 
des  Strangs  ist  an  der  oberen  Spitze  stärker  als  an  der  unteren,  und  am 
medialen  Rande  stärker  als  am  lateralen.  Ihre  untere  Spitze  liegt  imge- 
fähr  in  gleicher  Höhe  mit  der  hinteren  Spitze  des  Bodens  des  vierten  Ven- 
trikels ;  ihre  obere  Spitze  ist  durch  eine  tiefe ,  2  bis  3  Mm.  breite  Furche  *) 
vom  hinteren  Rande  der  Brücke  geschieden.  Der  mediale  Rand  der  Olive 
fällt  mit  der  vorderen  Seitenfurche  zusammen ,  die  dadurch  auffallender 
wird;  einzelne  Wurzelfäden  des  N.  hypoglossiis  treten  aiis  dem  der  Furche 
zugewandten  Abhang  der  Olive  hervor.  Die  zwischen  dem  medialen  Rande 
der  Olive  und  den  Ursprüngen  der  Nn.  vagus  und  glossapharyngeus  gele- 
gene Region  des  Olivenstrangs  ist  flach  oder  von  Einer  Seite  zur  anderen 
leicht  concav. 

Die  Olive  zeigt  sich  zuweilen  durch  einen  queren  oder  lougitudinalen  Ein- 
druck getheilt.  Oefters  ist  die  untere  Spitze  durch  starke  Fibrae  arciformes  ver- 
deckt. Ehenso  kann  die  Grenze  gegen  den  Pyramidenstraug  durch  longitudinale 
Faserbündel,  die  sich  an  dem  Rande  der  Olive  heraufziehen,  verwischt  werden, 
sowie  auch  längs  dem  lateralen  Eande  der  Olive  schmale  Paserzüge  sich  erstrecken. 
Die  den  Rand  der  Olive  säumenden  Längsfaserbündel  haben  Burdach  Anlass  ge- 
geben ,  ■  die  Olive  einer ,  aus  der  gespaltenen  Hülse  hervorschaiienden  Frucht  zu 
vergleichen  und  die  Bündel  selbst  mit  dem  Namen  Hülsenstränge,  Funiculi  sili- 
qiiae,  zu  belegen  •'').  Sie  kommen  nur  ausnahmsweise  vor,  doch  lässt  sich  mitunter 
eine  Furche  zwischen  den  Bündeln  des  Pja-amidenstranges  zur  Herstellung  eines 
medialen  Hülsenstrangs  benutzen  und  die  Stelle  eines  lateralen  Hülsenstrangs  hat 
ohne  Zweifel  öfters  der  flache  Theil  des  Olivenstrangs  übernommen,  von  welchem 
ein  Streifen  zunächst  der  Olive  durch  eine  Reihe  feiner  Gefässöffnungen  abge- 
grenzt wird. 

Der  Hinterstrang  des  verlängerten  Marks,  die  Fortsetzung  des  hinte- 
ren Rückenmarksstranges,  der  den  zarten  und  Keilstrang  in  sich  begreift, 
hat  den  Namen  des  strickförmigen  Strangs,  Funiculus  restiformis^), 
erhalten.  Indem  sein  medialer  Rand,  von  der  oberen  Mündung  des  Central- 
can*s  des  Rückenmarks  an,  den  medialen  Rand  des  symmetrischen  Strangs 
verlässt  und  sein  lateraler  Rand,  die  hintere  Seitenfurche,  in  noch  höherem 
Maasse  seitwärts  abweicht,  nimmt  er,  sich  allmälig  verbreiternd,  die  hintere 


■*)  So  ist  sie  auch,  trotz  ihrer  Unbeständigkeit,  gedeutet  worden  und  auf  Grund  dieser 
Deutung  bezeichnet  Rolando  als  Vorderstvänge  des  verlängerten  und  als  Fortsetzungen  der 
Vorderstränge  des  Kückenmarks  die  Olivenstränge,  welche  schliesslich  am  Boden  des  vierten 
Ventrikels  erscheinen  sollen  (Rech.  anat.  sur  la  moelle  allongee  p.  18).  ^)  Funiculus  ovalis. 
Crus  meduUae  ohlongatae  ad  corpp.  quadrigemina  Langenbeck.  ^)  Corpus  oKvae  s.  C. 
semiovale.  *)  Sulcus  coecus  Krause.  ^)  Der  eigentliche  Olivenstrang  heisst  bei  Bur- 
dach Funiculus  nuclei  olivae.  ^)  Corpus  s.  Processus  restiformis  Eidley.  Strangformi- 
ger  Körper.  Pyramis  lateralis.  Crus  cerebelli  ad  medullam  ohlongatam.  Crus  cerebelli 
descendens.  Pedunculus  cerebelli.    Pedunculus  cerebelli  inf.  Markknopfschenkel.  Kleinhirnstiel. 


GehiriJ.  103 

Fläche  und  in  der  Nähe  der  Brücke  auch  die  seitliche  und  einen  Theil  der 
Vorderfläche  des  verlängerten  Marks  ein.  Die  Furche,  die  den  hinteren 
Rückenmarksstrang  in  den  zarten  und  Keilstrang  trennt,  schreitet,  wie  er- 
wähnt, an  dem  verlängerten  Mark  bis  zur  Eröffnung  desselben  in  anver- 
änderter Richtung  weiter;  der  zarte  Strang  behält  daher  dieselbe  Breite 
und  auch  den  Natnen  bei  ^) ;  der  Keilstrang  -)  nimmt  dagegen  an  Breite 
beträchtlich  zu  und  wird  durch  eine  seichte  Furche,  die  etwas  oberhalb 
der  hinteren  Wurzel  des  ersten  Cervicalnerven  auftritt,  der  Länge  nach  in 
zwei  Stränge  getheilt,  welche  ich  als  medialen^)  und  lateralen  Keil- 
strang unterscheiden  will''). 

Der  laterale  Keilstrang  enthält  die  verdickte,  cylindrisclie  Fortsetzung  der 
grauen  Hintersäule  des  Eückenmarks  und  zeichnet  sich,  wenn  diese  Säule  sich  der 
Oberfläche  nähert  und  nur  von  einer  dünnen  Lage  Aveisser  Substanz  bedeckt  ist, 
durch  Glätte  und  dunklere  Färbung  aus.  Diese  übrigens  nicht  häufige  Bildung 
hatte  Eolando  vor  sich,  als  er  den  der  Olive  zunächst  gelegenen  Strang  des 
Funiculus  restiformis  mit  dera  Namen  Tuberculuin  cinereuin  belegte.  Nach 
Clarke's  Bezeichnung  zerfällt  der  hintere  Strang  des  verlängerten  Marks  in  vier 
Abtheiluugen,  indem  zur  Seite  des  Tuber culum  ein ereum  Eolando,  das  er  auch  als 
hintere  graue  Säule  aufführt,  noch  ein  Funiculus  lateralis  s.  antero-latercdis  folgt. 

Von  den  aufgezählten  Strängen  des  verlängerten  Marks  werden  der 
untere  und  seitliche  durch  die  Brücke  verdeckt ;  die  medialen  Fasern  des 
zarten  Strangs  scheinen  zu  den  Seiten  der  oberen  Oefifnung  des  Central- 
canals  mit  keulenförmigen  Anschwellungen ,  Clavae  ^) ,  zu  enden,  zwischen 
denen  sich  ein  nicht  ganz  beständiges  zartes,  dreiseitiges  Markblättchen  mit 
vorderem  concavem  Rande,  Obex  *^),  ausspannt  (Fig.  40).  Der  laterale  Theil 
des  zarten  Stranges  und  der  Keilstrang  steigen  aber,  indem  sie  sich  mit  leich- 
ter Biegung  seitwärts  wenden,  zugleich  sanft  geneigt  über  das  Niveau  der 
runden  Stränge  leicht  empor,  um  dann  mit  einer  raschen  Krümmung  '^)  sich  - 
in  das  Kleinhirn  einzusenken.  Bevor  wir  sie  dahin  weiter  verfolgen,  haben 
wir  noch  eines  Anhangs  des  verlängerten  Marks  zu  gedenken,  der  'sich  in 
wechselnder  Form  und  Stärke  in  die  dasselbe  bedeckende  Gefässhaut  hin- 
einzieht. Schon  der  obere  Rand  des  Obex  ist  darin  verschieden,  dass  er 
sich  bald  scharf  gegen  die  Gefässhaut  absetzt,  bald  unmerklich  in  sie  ver- 
liert. Ebenso  verhält  sich  eine  paarige  Lamelle ,  Taenia  plexus  cJioroidei  Taonia  pie- 
ventricuU  qiiarti^),  welche  sich  vom  Seitenrande  des  vierten  Ventrikels  und 
der  äusseren  Fläche  des  strickförmigen  Strangs  erhebt.  In  ihrer  vollendet- 
sten Ausbildung  besteht  sie  aus  zwei,  einander  theilweise  deckenden  Theilen. 
Der  Eine,  für  den  ich  den  Namen  JPonticuhis  (im  engeren  Sinne)  adoptire,  Ponticuius. 
ist  eine  vierseitige  Platte,   welche  im    Anschluss  an   den   Obex  oder   in    ge- 


^)  Rolando  und  Clarke  beschreiben  ihn  als  hintere  Pyramide.  ^)  Hintere  Schenkel 
des  Kleinhirns  Reil  (dessen  Archiv  IX,  491).  ^)  Corpus  restlforme  Clarke.  *)  Sie 
entsprechen  dem  Keil-  und  Seitenstrange  Burdach's.  Die  Neuerung  i.t  nothwendig,  weil 
eine  unbefangene  Betrachtung  in  dem  Olivenstrang  die  eigentliche  Fortsetzung  des  Seiten- 
strangs des  Rückenmarks  erkennen  muss,  wie  ihn  denn  auch  Reil  als  seitlichen  Strang 
aufführt,  und  weil  Burdach's  Bezeichnung  auf  der  unerwiesenen  Annahme  beruht,  dass 
die  Fasern  des  Seiteustrangs  des  Rückenmarks  sich  hinter  die  Nervenwurzeln  begeben ,  um 
im  verlängerten  Mark  zum  Gehirn  aufzusteigen.  ^)  Fyramis  post.  Renßement  mamelonne 
Cruv.  ^)  Obex  sinus  rliomboidalis.  Riegel.  ')  Cerinx  pedunculormn.  ^)  Taenia  sinus 
rhoiiiholdnUs.      Ligula,.      Ponticuius.      Ala  pontls  Reichert. 


104 


Gehirn. 


ringer  Eutfernung  vor  demselben  in  dem  Einen  Falle    aus  der  Furche  zwi- 
schen   dem    runden    und    Keilstrang    hervorzudringen    scheint ,    in   anderen 

Fig.  43. 


Frontalschnitt  durch  den  vierten  Ventrikel   ain  hinteren  Rande  des  Ponticulus.     Vorderer 
Abschnitt.    Po  Ponticulus.    F  Flocke.      Vmp ,  Velum  med.  post.    X  N.   vagus. 


Velum  me- 
duU.  iuf. 


durch  Fasern  gebildet  oder  doch  verstärkt  Avird ,  die  als  ein  platter  Strang 
über  den  Wurzeln  der  Nn.  giossopharyngeus  und  vagus  aus  der  Seitenfurche 
des  verlängerten  Marks  austreten,  an  dem  strickförmigen  Strang,  fest  mit 
demselben  verwachsen,  aufsteigen  und  an  seiner  inneren  Grenze  und  zwar 
zuerst  mit  dem  stärkeren  hinteren  Rande  sich  ablösen  (Fig.  43).  Der  Ponticulus 
kann  eine  Mächtigkeit  von  0,5  Mm.  und  in  der  Richtung  der  Axe  des  ver- 
längerten Marks  eine  Länge  von  5  Mm.  erreichen.  Sein  transversaler 
Durchmesser  ist  im  günstigsten  Fall  ungefähr  gleich  der  Breite  des  runden 
Strangs.  Eingehüllt  in  die  Gefässhaut,  die  den  Boden  des  vierten  Ventri- 
kels deckt,  bilden  nämlich  die  Ponticuli  beider  Seiten,  in  der  Mittellinie 
zusammenstossend  und  verschmelzend,  eine  Brücke  über  der  die  runden 
Stränge  scheidenden  Medianfurche.  In  der  Regel  aber  verlieren  sie  sich, 
noch  ehe  sie  die  Mittellinie  erreichen,  im  Gewebe  der  Gefässhaut. 

Die  zweite  Abtheilung  der  Taenia  des  Plexus  choroideus,  ich  will  sie 
unteres  Marksegel,  Vehini  lllediülare  i9{/.,  nennen i) ,  hebt  sich  vom  ver- 
längerten Mark  ab  längs  einer  Linie,  welche  am  vorderen  Rand  der  Wur- 
zel des  Ponticulus  beginnt,  den  hinteren  Rand  der  Wurzel  des  N.  acusticus 
entlang  und  dann  über  denselben  hinweg  seitwärts  geht  und  am  Flocken- 
stiel endet.  Es  ist  zuweilen  nur  ein  schmaler  Saum ,  in  anderen,  selteneren 
Fällen  eine  dreieckige  Platte,  deren  stumpfer  Winkel  nach  hinten  gerichtet 
ist,  deren  medialer,  concaver  Rand  den  hinteren  Rand  des  Ponticulus  kreuzt, 
deren  lateraler  Rand,  ebenfalls  einfach  concav  oder  ausgezackt  und  mit 
zwei  bis  drei  kurzen  Spitzen  versehen,  zwischen  dem  verlängerten  Mark  und 
der  Flocke  ausgespannt  ist.     Ist  dieser  Rand  scharf  abgesetzt  (Fig.  44),  so  passt 

1)  Füllhorn  oder  Blumenkörhchen   Bochdalek   (Pr,TC;-cr  Vierteljahrsschr.   1849.  II,   119). 


Gehirn. 


105 


Bochdalek's   Vergleichiuig   des  hinteren   Marksegels   mit  einem  Fühhorn 
um  so  mehr ,    weil   üher  ihm ,    wie    aus    einer   Höhle ,    eine  Fortsetzung  des 

Fiff.  44. 


■/  / 


A'^erlängertes  Mark  und  Brücke  mit  dem  Kleinhirn,  in  der  Rückenlage.  P  Brücke.  /"Flocke. 
r  bis  JY  Fünfter  bis  zehnter  Hirnnerve.    VIl'    Portio  intermedia  n.  facialis. 

Plexus    choroideus   des   vierten   Ventrikels   (Fig.  43.  44**)   hervortritt,    die 
sich  über  die    Flocke    legt.      Oefter  geht  das  hintere  Marksegel   unmerklich 
in   die   Gefässhaut   über    und    macht    dann    mehr    den    Eindruck    einer    col- 
labirten  Blase.     Einige  Mal  sah  ich  es  schmal,  bandförmig,  einem  abgeplat-     ~ 
teten  Nerven  ähnlich  um  den  strickförmigen  Strang  sich  herumwinden. 

Ueber  die  untere  Fläche  des  hinteren  Marksegels  verlaufen  die  Wur- 
zeln der  Nn.  glossopharyngeus  und  vagus  nach  aussen  und  müssen,  um  das- 
selbe sichtbar  zu  machen ,  medianwärts  zurückgeschlagen  werden.  Oefters 
findet  man  sie  ein  Stück  weit  mit  der  Markplatte  verwachsen. 

Dass  das  hintere  Marksegel  mit  dem  Ponticulus  zu  Einer  Lamelle  ver- 
schmelzen kann,  die  dann  immer  dünn  und  zerreisslich  ist,  und  allmälig  in 
die  Gefässhaut  sich  verliert,  habe  ich  bereits  erwähnt. 

Die   in   das   Kleinhirn    eintretenden   Stränge    des    verlängerten    Marks  Kieininm. 

Markkern. 

verlieren  sich  in  eine  compacte  weisse  Masse,  die  man  den  Markkern,  JVm- 
deus  medidJaris  i)  des  Kleinhirns^  nennt.  Sie  erscheint  auf  einem  horizon- 
talen, d.  h.  einem  das  Organ  parallel  der  Oberfläche  in  zwei  Hälften  thei- 
lenden  Durchschnitt  bisquit-  oder  besser  brillenförmig ,  die  schmale  Mitte 
über  dem  verlängerten  Mark,  die  breiteren  sjnnmetrischen  Seitentheile  in 
die  das  verlängerte  Mark  überragenden  sogenannten  Hemisphären  des  Klein- 
hirns sich  erstreckend  (Fig.  45  a.  f.  S.).  Aber  auch  in  sagittalen  und  fron- 
talen Durchschnitten   zeigen   die  Seitentheile   des  Markkerns  ein   bedeuten- 


1)  Markkörper. 


106 


Gehirn. 


nen     sich    jederseits    drei    strangförmige    Massen    weisser    Nervensubstanz, 
die   man  unter  dem  Namen  der  Schenkel  des  Kleinhirns,    Crura  cere- 

Fig-.  45. 


Horizontalschuitt    durch    das    Kleinhirn    und    den    Boden    des   vierten   Ventrikels.     Lc  Locus 

coeruleus.      Fva  Fovea  ant.   am    Boden    des   vierten  Ventriivels.      To    Tonsille.      N  Nodulus. 

a,  pj  i  Oberer,   hinterer,  unterer  Lappen  des  Kleinhirns.      Cd  Corpus  dentat.   desselben. 


helli,  zusammenzufassen  pflegt  (Fig.  46).  Der  Schenkel  des  Kleinhirns  zum 
verlängerten  Mark,  Crus  cerebelli  ad  medullam  oblongutam,  oder  Klein- 
hirnstiel,  Pedunculu  scerebelU  (Fr),  ist  identisch  mit  dem  Theil  des  verlänger- 
ten Marks,  der  als  ein  zum  Kleinhirn  aufsteigender  Strang  soeben  erwähnt 
wurde.  Medianwärts  neben  ihm  entspringt  aus  dem  Markkern  der  He- 
misphären der  Vierhügelschenkel,  Crus  Cerebelli  ad  corpora  quadrige- 
mina  ^),  und  wendet  sich ,  der  Richtung  des  Kleinhirnstiels  entgegen ,  vor- 
und  abwärts  tmd  allmälig  gegen  die  Medianebene  zurück.  Durch  ihn  wird 
ein  der  Masse  des  Kleinhirnstiels  einigermaassen  entsprechendes  Aequi- 
valent  an  Fasern  dem  verlängerten  Mark  wieder  zugeführt  und  nachdem 
der  vierte  Ventrikel  durch  die  Divergenz  und  Erhebung  der  Kleinhirn- 
stiele an  Breite  und  Höhe  ziigenommen  hatte,  wird  er  in  beiden  Dimen- 
sionen durch  die  Convergenz  und  Senkung  der  Vierhügelschenkel  wieder 
reducirt.  Der  dritte  Schenkel  des  Kleinhirns,  Brückenschenkel,  Vrus 
Cerebelli  ad  ponteni  ^) ,  entsteht  seitwärts  neben  dem  Kleinhirnstiele  und 
tritt  ab-  und  vorwärts  aus ,  um  sich  an  der  unteren  Fläche  des  verlän- 
gerten Marks  in  die  Brücke  fortzusetzen. 


^)  Crus  adscendens.  l'roc.  cerebelli  ad  festes.  Brachium  conjunctivum  s.  copulativum. 
Bindearm  Burdach.  Commissura  cerebelli  cum  cerebro  Arnold.  Pedunculus  super.  Cvny. 
^)  Brachium  pontis.  Brückenarm  Burda  eh.  Vereinigungsschenkel  Meckel.  Pedunc.  med. 
C  r  u  V. 


Gehirn. 


10' 


An  einen  Frontalschnitt  des  Gehirns,  unmittelbar  hinter  der  Brücke, 
der    den    vierten    Ventrikel   an    seiner    geräumigsten    Stelle    trifft,    hat    der 

Markkern  der  Hemisphäre 
des  Kleinhirns  eine  ungefähr 
dreiseitige  Form  (Fig.  47). 
Eine  obere  und  untere  Seite 
convergiren  lateralwärts  in 
einem  abgerundeten  Winkel; 
die  mediale  Seite  ist  durch 
einen  tief  einspringenden 
spitzen  oder  an  der  Spitze 
abgestutzten  Winkel  (*),  in 
welchem  der  Böden  und  die 
Decke  des  vierten  Ventrikels 

zusammenstossen,  einge- 
schnitten. Unterhalb  dieses 
Winkels  setzt  sich  der  Mark- 
kern ohne  deutliche  Grenze 
in  den  Boden  des  Ventrikels 
fort.  Die  Decke  des  Ventrikels 
scheiden  zwei  symmetrische 
sagittale  Furchen  in  eine  mitt- 
lere und  zwei  seitliche  Wöl- 
bungen; die  seitlichen  ent- 
sprechen den  Ursprüngen  der 
Vierhügelschenkel,  die  mitt- 
lere entspricht  der  unteren 
Fläche  einer  verhältnissmäs- 
sig  dünnen  (3  Mm. mächtigen) 
Commissur,  die  die  (bis  20  Mm. 
hohen)  Markkerne  beider  He- 
misphären verbindet. 

Ein  weiter  hinten,  hinter 
der  Eintrittsstelle  der  Klein- 
hirnstiele geführter  Frontal- 
schnitt des  Kleinhirns  zeigt 
die  Markkerne  der  Hemisphä- 
ren der  rundlichen  Form  sich  nähernd ,  die  Commissur  zwischen  denselben 
an  der  unteren  Fläche  ebenso  wie  an  der  oberen  mit  Randwülsten  ver- 
sehen (Fig.  48  a.  f.  S.).  An  allen  diesen  Durchschnitten  erscheint  in  dem 
medialen  Theil  des  Markkerns  jederseits  das  wellenförmige,  einen  gegen  die 
Medianebene  offenen  Kreis  beschreibende  graue  Band,  Corpus  dentatum  ce- 
rebelli,  dessen  genauere  Schilderung  vorbehalten  bleiben  muss. 

Frontalabschnitte  durch  den  vorderen  Theil  des  Markkerns  lassen  an 
dem  äusseren  Contur  mehr  und  mehr  die  Scheidung  in  Vierhügel  -  und 
Brückenschenkel  erkennen.  Die  zwischen  den  Vierhügelschenkeln  ausge- 
spannte Commissur  ist  allmälig  dünner  geworden  und  ohne  Unterbrechung 
in  das  vordere  Marksegel  übergegangen  (Fig.  49). 


Verlängertes  Mark,  hintere  (obere)  Fläche.  Das  Klein- 
hirn am  Eintritt  der  Schenkel  desselben  abgeschnitten, 
vorderes  Marksegel  median  gespalten.  C'o2}  Commiss. 
post.  Pco  Pedunc.  conarii.  Tho  Thalamus  opt.  Bcp 
Brach,  conjunct.  post.  Fv  Frenulum  veli  med.  ant. 
Fr  Funic.  restiformis.  Sm  Striae  meduU.  Vini  Unteres 
Marksegel.  Po  Ponticulus.  /'7r  Funic.  teres.  0&  Obex. 
Cl  Clava.     Fg  Funic.   gracilis. 


108 


Gehirn. 


Vergleicht  man,  von  dem  Medianschnitte    ausgehend,    eine  Anzahl   suc- 
cessiver  Sagittalabschnitte   des  Kleinhirns,  so  ergiebt  sich,    dass  der  Mark- 

Figr.  47. 


Frantalsclinitt  des  vierten   Ventrikels   8  Mm.   hinter  der  Brücke.    Hinterer  Abschnitt.     iV  No- 

dulus.      /'Flocke,  s,  7),  i  Oberer,  hinterer,  unterer  L'ippen  des  Kleinhirns.    *  Seitenwand   des 

vierten  Ventrikels.    ** Plexus  choroid. 


kern  zur    Seite  des  dünnen  mittleren  Verbindungstheils  sich  rasch  verdickt, 
weiter  noch  bis  über  die  Mitte  der   Hemisphäre  hinaus  allmälig  im  vertica- 

Fig'.  48. 


■'■^'^iLä 


Frontabschnitt   des   verlängerten    Marks    und    Kleinhirns    hinter    dem    Eintritt    der  Kleinhirn- 
stiele.    Hinterer  Abschnitt.      To  Tonsille.      ,?,  j),  i  Oberer,  hinterer,  unterer  Lappen. 


len  und   sagittalen  Durchmesser   zu  und  dann  wieder  abnimmt,    wobei  sich 
sein  hinterer  Rand  stets  schärfer  zeigt,  als  der  vordere. 

Im  Cxanzen  l^etrachtet,  wölbt   sich    der  Markkern    des   Kleinliirns    über 
dem  verlängerten  Mark  als  ein  platter,  vorwärts  abhängiger  Bogen,  dessen 


Geliirn. 


109 


Mächtigkeit  in  der  Mitte  am  geringsten  ist  und  gegen  die  seitliclien  Enden, 
mit  denen  er  auf  dem  verlängerten  Marke  ruht,  beträchtlich  wächst  (Fig.  50). 


Fiff.  49. 


Vma 


%^JL(b 


Krontalsihuitt  des  vierten  Ventrikels,  durch  den  vorderen 
Rand  des  Kleinhirns,  entsprechend  der  in  Fig.  35  auf  das 
vordere  Marlisegel  gezogenen  Linie.  Vma  Velum  med.  ant. 
Ccq^  Crus  cereb.  ad  c.  quadrig.  &n  C ubi^ Lantoj-igra .  Ccp 
Crus  cereb.   ad  pont.  ac  ♦'•«■^vo 


Zum  Kern  desKleinhiriis 
wird  dieser  Bogen  da- 
durch, dass  sich  von  sei- 
nen Flächen  und  seinem 
hinteren  freien  Rande,  Eaudwüiste. 
sowie  von  den  Anfän- 
gen der  Schenke],  durch 
die  er  mit  den  Vier- 
hügeln und  der  Brücke 
zusammenhängt ,  Lei- 
sten ^)  erheben,  die  sich 
vielfach  theilen  und  an 
ihren  freien  Rändern 
und    Flächen   mit   einer 

ziisammenhängenden 
Lage    grauer    Substanz 
bedecken.      Die    primä- 


ren Leisten  stehen  durch- 


^  *"«^«/«^ä,ngig  senkrecht  oder 
nur  wenig  geneigt  zur 
Oberfläche  des  Markkerns;  diese  Stellung  behalten  auch  manche  der  secun- 
dären  Leisten  bei,    wenn  die  Theilung  dicht  über  dem  Ursprung  und  unter 


c^i-c^-rf  ^t*««£et^ 


Fi£ 


.0. 


Markkern  des  Kleinhirns  nach  Ablösung  der  Raudwülste,  von  hinten.     Das   verlän- 
gerte Mark  dicht  vor  dem  Eintritt  in  die    Brücke  (P)   quer  durchschnitten.      Viixa 
Velum  med.  ant.      Ccq  Crus  cereb.  ad  c.  quadrig.      F  Flocke. 

spitzem  "Winkel  erfolgt.  Weichen  die  secundären  Leisten  unter  einem  dem 
Rechten  sich  nähernden  Winkel  auseinander,  so  nimmt  die  Eine  oder  an- 
dere eine  der  Oberfläche  des  Markkerns  mehr  parallele  Lage  an.  Mit  der 
Theilung  mindert  sich  in  der  Regel  die  Mächtigkeit  der  Leisten;   die  stärk- 


■^)  Laininae  medulläres. 


110 


Gehirn. 


sten   unter   den   primären  haben   eine  Mächtigkeit   von   2   bis   3  Mm.     Die 
feinsten  oder  Endleisten,  die  den  grauen  Ueberzug  tragen,  stehen  in  regel- 


Ficf.  51. 


Medianschnitt  des  Kleinhirns,     s,  2h  ^  Oberer,  hinterer,  unterer  Lappen.      Vs,    Vp 

Oberer,    hinterer     Wurm.      Py    Pyramide.      1/    Uvula.      N  Nodulus.      Lg  Lingula. 

V'ina  Vorderes  Marksegel.     Lq  Vierhügelplatte. 


massigen  Abständen  von  1,5  Mm.  alternirend  oder  einander  gegenüber, 
senkrecht  auf  primären  oder  secundären,  einzelne  auch  unmittelbar  zwischen 
den  Ursprüngen  der  primitiven  Leisten  auf  der  Oberfläche  des  Markkerns. 
Ihre  Mächtigkeit  beträgt  0,02  bis  0,15  Mm.;  mit  dem  Ueberzug  von  grauer 
Substanz  bilden  sie  die  Randwülste  ^)  des  Kleinhirns ,  deren  Mächtigkeit 
gleich  ist  dem  Abstände  der  Endleisten  von  einander  (Fig.  51). 

Der  blätterige  Baii  des  Kleinhirns  verräth  sich  an  der  Oberfläche  durch 
Furchen  oder  Spalten  von  verschiedener  Tiefe.  Die  seichtesten  entsjjrechen 
der  Höhe  der  Randwülste  (2  Mm.) ,  die  tiefsten  reichen  zwischen  den  zu  je 
zwei  benachbarten  primären  Leisten  gehörigen  Randwülsten  bis  zur  Ober- 
fläche des  Markkerns. 

Einigermaassen  ist  die  Tiefe  der  Furchen  schon  an  der  Oberfläche  des 
Kleinhirns  daran  kenntlich ,  dass  die  Stärke  der  Fortsätze  der  Gefässhaut, 
die  sich  zwischen  die  Furchen  einsenken ,  zur  Tiefe  der  letzteren  in  Ver- 
hältniss  steht,  die  tieferen  Furchen  also  auch  an  der  Oberfläche  weiter  klaf- 
fen. Die  grosse  Mehrzahl  der  Leisten  des  Kleinhirns  verläuft  von  Einer 
Seite  zur  anderen  transversal  oder  in  vorwärts  concaven  Bogen,  die  primä- 
ren mehr  liegend  oder  aufgerichtet,  jenachdem  sie  von  dem  Rande  und 
den  Abhängen  oder  von  der  Höhe  des  Markkerns  ausgehen,  die  Endleisten, 
welche  auf  den  Flächen  liegender  primärer  Leisten  aufsitzen  ,  in  verticalen, 
die  Endleisten  der  Seitenflächen  aufgerichteter  primärer  Leisten  in  horizon- 
talen Ebenen. 

Demgemäss  haben  auch  die  Furchen  an  der  Oberfläche  des  Kleinhirns 
eine  vorwiegend  transversale  Richtung.  So  weit  sie  wirklich  transversal 
verlaufen,  treffen  sagittale  Durchschnitte  des  Kleinhirns  sämmtliche  Leisten 
senkrecht  gegen  ihre  Oberfläche  und  zeigen  ihren   Zusammeuhang  in  Form 


^)   Fulia,  VAiMcw  -flyri. 


Gehirn. 


111 


einer  baumförmigen   Verästelung^).      Je   mehr  man   sich   den  Seitenrändern 
der  Hemisphären  nähert,  an  welchen   Leisten   und  Furchen   vorwärts   um- 

Fi>.  52. 


^1  P 


Frontalschnitt  des  Gehirns  hinter  der  Vierhügelphitte,  hinterer  Abschnitt.  Die  Raud- 
wülste  des  oberen  Wurms  aufgehoben;  die  linke  Hemisphäre  parallel  der  Faserung  der 
Brücke  schräg  lateralrückwärts  vertical  durchschnitten,  s,  p,  i  Oberer,  hinterer,  unte- 
rer Lappen,  s'  Lobus  centralis.  Vq  Vierter  Ventrikel.  Vma  Velum  meduU.  ant. 
Ccq  Crus  cereb.  ad  c.   quadrig.     Ccp  Grus  cereb.  ad  pontem.   F  Flocke.    F'   Nebenflocke. 

beugen,  iim  so  mehr  müssen  verticale  Durchschnitte,  wenn  sie  ein  vollstän- 
diges Bild  der  Verzweigung  der  Leisten  gewähren  sollen,  sich  der  frontalen 
Richtung  nähern  (Fig.  52).  Doch  kommen  an  der  unteren  Fläche  des  Mark- 
kerns der  Hemisphären,  zunächst  der  Commissur,  auch  einfach  sagittale 
Leisten   und  cylindrische  Fortsätze  mit  longitudinalen  Endleisten  vor. 

Die  tieferen  Furchen  theilen  das  Kleinhirn  in  Lappen,  deren  Beschrei-  Oberfläche. 
bung  von  der  äusseren  Oberfläche  anhebenmuss.  Man  vergleicht  das  Klein- 
hirn einem  plattgedrückten  Ellipsoid  mit  transversal  gestellter  grösserer 
Axe,  dessen  stumpfer  Rand  eine  obere  und  untere  gewölbte  Fläche  scheidet. 
Die  grössere  Axe  misst  im  Mittel  11  Cm.,  das  Verhältniss  der  kleineren 
zur  grösseren  ist  wechselnd,  ebenso  die  Lage  der  längeren  Axe ,  die  zuwei- 
len auf  die  Mitte,  meistens  aber  vor  die  Mitte  der  kürzeren  fällt.  An  der 
breitesten  Stelle  erfolgt  häufig  der  Uebergang  des  vorderen,  flacheren  Theils 
des  Randes  in  den  hinteren,  gewölbteren  in  Form  eines  abgerundeten  Win- 
kels 2).  Der  vordere  Rand  '')  ist  über  dem  hinteren  Vierhügelpaar  halbmond- 
förmig ausgeschnitten ;  der  hintere  Rand  hat  einen  tiefen  medianen  Einschnitt  *), 


^)  Arbor  vitae  s.  medullaris.  Lebensbaum.  ^)  Aeussere  Ecke  Burdach.  ^')  Inci- 
sura  seviilunarls  s.  marginalis  anterior.  Innerer  Vorderrand  Burda  eh.  Den  Vorderrand 
zu  beiden  Seiten  des  Ausschnitts  nennt  Burdach  den  äusseren  Vorderrand  und  die  Ecken, 
die  der  ausgeschnittene  Theil  des  Vorderrandes  mit  dem  äusseren  Vorderrand  jederseits 
bildet,  vordere  Ecken.  *)  Incisura  marsupialis  s.  marsupüformis.  Inclsura  marginalis 
post.  Die  Ecke,  die  den  Eingang  in  die  hintere  Incisur  begrenzt,  nennt  Burdach  hintere 
Ecke,  den   Rand  zwischen   äusserer  und  hinterer  Ecke  Hinterrand. 


112 


Gehirn. 


welchen   heide   Seitenhälften   mit   convexen  Rändern  hegrenzen,    so  dass  sie, 
wie  am  Eingang,    so  auch  im  Gminde   des   Einschnitts    auseinander  weichen 

Fig'.  53. 


Kleinhirn.     Obere  Fläche.     *■,  p  Oberer,    hinterer  Laiipen.      Oq  Vierhügel. 


und  hier  mit  dem  transversalen  hinteren  Rande  des .  mittleren  Theils  des 
Kleinhirns  eine  dreieckige  Lücke  einschliessen  (Fig.  53). 

Der  mediane  Theil  des  Kleinhirns  ist  sonach  beträchtlich  (um  etwa  Va) 
kürzer,  als  die  Seitentheile  und  es  wiederholt  sich  im  Aeusseren  des  Organs 
das  Verhältniss,  in  welchem  Hemisphären  und  Commissur  des  Markkerns 
zu  einander  stehen.  Der  der  Commissur  entsprechende  Theil  der  Oberfläche 
wird  Wurm,   Vermis'^),  genannt. 

Die  obere  Fläche  des  Kleinhirns  ist  eben ,  wie  das  Tentorium ,  welches 
sich  zwischen  sie  und  die  untere  Fläche  des  Grosshirns  schiebt.  Die  untere 
Fläche  wird  durch  die  höchste  transversale  Wölbung  in  einen  hinteren 
und  einen  vorderen  Abhang  geschieden.  Der  hintere  rückwärts  schauende 
und  in  den  Gruben  der  Hinterhauptsschuppe  gelegene  Theil  der  unteren  Fläche 
wird  in  zwei  symmetrische  Hälften  getheilt  durch  den  erwähnten ,  vom  hin- 
teren Rande  vordringenden  Einschnitt,  in  dessen  erweitertem  Grunde  der 
Wurm  sichtbar  wird. 

Der  aufsteigende  vordere  Theil  der  unteren  Fläche  besitzt  eine  tiefe, 
mediane,  nach  vorn  sich  verbreiternde  Aushöhlung  zur  Aufnahme  des  ver- 
längerten Marks  und  der  Kleinhirnschenkel.  Durch  die  aus  dem  Kleinhirn 
vor-   raid    seitwärts   au^^tretenden   Gebilde    (vorderes    Marksegel ,   Vierhügel- 


^)  Totakommissur. 


Gehirn. 


113 


und  Brückenschenkel)  wird  sie  abermals  der  Quere  nach  getheilt  in  zwei  in  Einer 
Fliiclit  gelegene  Zonen  (Fig.  54).    Die  vordere  Zone  setzt  sich  nm  den  Vor- 


Fis:.  54. 


Ccq 


Vorderer  Theil  der  unteren  Fläche  des  Kleinhirns,  wekhes  mittelst  eines  Schnitts  durch  das 
vordere  Marksegel  {Vma),  die  Vierhiigelscheiikel  (Ccq)  und  Brückenschenkel  (Ccp)  isolirt 
ist.  s ,  p,  i  Oberer,  hinterer,  unterer  Lappen.  /V  Nodulus.  Vmp  Hinteres  Marksegel. 
F  Flocke.  F  f  Schnittfläche  des  Stiels  der  Flocke  nach  Abtrennung  derselben.  F'  Neben- 
flocke.     To  Tonsille. 

Fig.  55. 


Kleinhirn,  hinterer  Rand  und  hinterer  Theil  der  unteren  Fläche,     p,  i   Hinterer,    unte- 
rer Lappen.       Vs ,    Vp  Oberer,    unterer    Wurm.      Py  Pyramide.      To  Tonsille.     Fj    Im- 

pressio  jugulavis,  . 


Henle,  Anatomie.     Bd.  III.  Abthlg.  2. 


8 


114  Gehirn. 

derrand  des  KleinMrns  in  Wurm  und  Hemisphären  der  oberen  Fläche  fort; 
sie  ruht  mit  ihrem  mittleren  Theil  auf  dem  vorderen  Marksegel  und  dem 
hinteren  Vierhügelpaar  und  erstreckt  sich  seitlich  über  die  Vierhügelschen- 
kel zu  den  Brückenschenkeln.  Die  Aushöhlung  der  hinteren  Zone  ist  iden- 
tisch mit  dem  aufsteigenden  Theil  der  Decke  des  vierten  Ventrikels.  Ihren 
Seitenrand  bildet  ein  stumpfer  Kamm ,  dessen  Höhe  variirt  nach  der  Tiefe 
eines  an  seiner  lateralen  Seite  befindlichen  sagittalen  Eindrucks,  der  dem 
Tuberculum  jugulare  des  HinterhaujDtbeins-  (Knochenl.  S.  107)  entsprechen- 
den Impressio  jugularis  (Fig.  55.  58).  Eine  die  Aushöhlung  der  Länge 
nach  durchziehende  mediane  Spalte  ^)  wird  erzeugt  durch  die  über  dem 
Mittelstück  oder  Wurm  der  unteren  Fläche  zusammenschlagenden  Hemis- 
phärentheile  (Fig.  56).  Sie  öffnet  sich  nach  vorn  und  lässt  den  vordersten 
Lappen   des  unteren  Wurms  (Noduhis)  durchblicken. 


Fig.  56. 


\v 


Unterer    Theil  des  Frontalschnitts    der  hinteren  Partie    des  Kleinhirns    durch  Uvula  (U) 
und  Tonsillen  (T'o).      Die  Aushöhlung  unterhalb  der  Tonsillen  ist  zur  Aufnahme  des  ver- 
längerten  Marks  bestimmt. 

Durch   Auseinanderziehen    der    Hemisphären   macht  man   den   unteren 
Wurm  in  seiner  ganzen  Länge  sichtbar, 
iiappen.  Zwischen  den  seichten  Furchen,   welche   die  Randwülste  von  einander 

trennen,,  und  den  tiefsten,  welche  sich  bis  auf  den  Markkeru  erstrecken, 
kommen  andere  von  wechselnder  Tiefe  vor,  deren  Grrund  von  Theilungs- 
winkeln  der  Leisten  gebildet  wird ,  mehr  oder  minder  nah  der  Wurzel  der 
primären  Leisten.  Dergleichen  intermediäre  Furchen  schliessen  eine  grös- 
sere oder  geringere  Zahl  von  Randwülsten  ein;  sie  bringen  einige  Unsicher- 
heit in  die  Sonderung  und  Bestimmung  der  Lajjpen.  Mir  scheint  eine  Ein- 
theilung  der  Hemisphären  in  fünf  Lappen  die  naturgemässeste.  Heber  die 
Selbständigkeit  der  Tonsille  undFlocke  kann  kein  Zweifel  entstehen.  Den 
Rest,  der  Hemisphäre  zerlege  ich  in  einen  oberen,  hinteren  und  unte- 
ren Lappen,  welche  durch  ihr  Verhältniss  zum  Wurm  charakterisirt  werden. 


^)  Fissura  s.   Scissura   longüudinalis.      Vallecula.      Vallis. 


Gehirn.  1 1 5 

Den  zwischen  den  oberen  Lappen  gelegenen  Theil  des  Wurms  bezeichnen 
wir  als  oberen,  den  zwischen  den  hinteren  Lapjoen  gelegenen  als  hinteren 
Wurm.  Der  untere  Wurm  bildet  eine  mehr  selbständige  Reihe  transver- 
saler Läppchen,  welche  durch  zwei  tiefere  Furchen  in  drei  Theile,  von  hin- 
ten angezählt  Pyratnis ,  Uvula  und  JSfochilus,  gespalten  werden.  Die  Py- 
ramide verbindet  die  hinteren  Lappen.  Uvula  und  Nodulus  hängen  nur 
mittelbar  mit  der  Tonsille  und  Flocke  zusammen. 

Der  obere  Lappen  (s)  nimmt  die  obere  Fläche  des  Kleinhirns  bis  i.  Oberer 
zum  Grund  des  hinteren  Einschnitts  und  die  vordere  Zone  des  vorderen 
Abhangs  der  unteren  Fläche  ein.  Eine  Furche  von  mittlerer  Tiefe,  wel- 
che von  dem  hinteren  Ende  des  oberen  Wurms ,  dem  vorderen  Aus- 
schnitt parallel,  über  die  obere  Fläche  der  Hemisphäre  zum  Brücken- 
schenkel zieht  ^) ,  scheidet  den  oberen  von  dem  hinteren  Lappen.  Dem 
vorderen  Ausschnitt  und  dieser  Furche  concentrisch  verlaufen  auch  die 
Eandwülste  von  Einem  Brückenschenkel  zum  anderen  und  wenn  auch 
nicht  alle  die  ganze  Breite  des  Organs  durchsetzen  und  einzelne  hier  und 
da  zugeschärft  zwischen  den  benachbarten  enden  oder  in  die  Tiefe 
tauchen,  so  werden  solche  Unregelmässigkeiten  im  Ganzen  so  weit  ausge- 
glichen ,  dass  sich  der  Lappen  nach  den  Seiten  nur  wenig  verjüngt. 
So  unterscheidet  sich  der  Wurm  von  den  Hemisphären  nur  durch  verän- 
derte Krümmung  der  Eandwülste  und  Furchen  (Fig.  53).  Die  an  der  un- 
teren Fläche  des  Lappens  versteckten  kürzeren  Eandwülste ,  welche  jeder- 
seits  in  der  Furche  zwischen  Brücken-  und  Vierhügelschenkel  enden  '^),  sind 
in  der  Mitte  des  vorderen  Eandes  mit  einem  zun genförmigen  Vorsprung  ver- 
sehen (Fig.  52.  55.  59  s').  Die  Eandwülste  der  oberen  Fläche  dagegen  sind 
in  der  Mitte  steiler  rückwärts  gebogen  in  einer  Breite  von  10  bis  12  Mm., 
die  also  der  Breite  des  oberen  Wurms  ^)  entspricht.  Zur  scheinbaren  Ab- 
grenzung des  Wurms  gegen  diesen  Theil  der  Hemisphäre  ^)  dient  öfters  eine  ~ 
schmale  sagittale  Einne,  in  welcher  ein  Hauptast  der  A.  cerebelli  ant.  rück- 
wärts verläuft ,  längs  welcher  auch  am  häufigsten  die  Furchen  in  Unordnung 
gerathen,  indem  Randwülste  an  den  in  das  Kleinhirn  sich  einsenkenden  Ar- 
terienzweigen enden.  Beständig  theilt  eine  durchgehende  Spalte,  welche 
bis  auf  den  Markkern  reicht,  die  Vorderlappen  sammt  dem  Wurm  in  zwei 
ungefähr  gleiche  Hälften  (Fig.  51). 

In  einer  ganz  anderen  Beziehung  als  die  oberen ,  stehen  der  hintere 
und  untere  LajDpen  zu  den  ihre  Verbindung  vermittelnden  Wurmthei- 
len.  Sie  sind  nicht  nur  durch  tiefere  Einschnürungen  gegen  den  Wurm 
abgesetzt,  sondern  zeichnen  sich  vor  demselben  auch  durch  die  bei  weitem 
beträchtlichere  Zahl  ihrer  Eandwülste  aus ,  indem  die  Leisten  nicht  nur  in 
der  Eichtung  vom  Markkern  gegen  die  Oberfläche,  sondern  auch  vom  Wurm 
gegen  die  Seitenwände  sich  durch  Theilung  vervielfältigen.  Der'  hintere  2.  Hinterer 
Lappen  (j))  ^)  begrenzt  mit  seinem  medialen  Eande  den  hinteren  Einschnitt  des     ^^^p™- 


■')  Sulcus  s.  Fossa  superior.  ^)  Lohns  centralis  cum  aus  aut.  ^)  Montlculus  cerebelli 
Reil.  Berg,  an  welchem  noch  Culmen  und  Declive  unterschieden  wird.  *)  Lob.  sup.  ant. 
s.  quadrangularis  aut.  ^)  Ich  vereinige  unter  diesem  Namen  den  oberen  und  unteren  halb- 
mondförmigen L«ppen  {Loh.  semilunaris  sup.  Loh.  semilunaris  inf.  s.  sup.  post.  und  s.  inf. 
post.)   und  den  zarten  Lappen   (Loh.  gracilis  s.  inferior  niedius). 

8* 


116 


Gehirn. 


Kleinhirns  und  nimmt  die  hintere  Region  der  oberen  Fläche  und  den  grös- 
seren, lateralen  Theil  der  unteren  Fläche  der  Hemisphäre  ein,  während  der 
zxi  den  hinteren  Lappen  gehörige  hintere  Wurm  den  oberen  kaum  überragt 
und  aus  einer  geringen  Zahl  quer  verlaufender  Eandwülste  besteht,  die  im 
Grunde  des  Einschnitts  und  an  der  unteren  Fläche  des  hinteren  Wurms 
sichtbar  werden,  wenn  man  die  Hemisphären  auseinanderzieht  und  die  Quer- 
spalte zwischen  dem  hinteren  und  unteren  Wurm  öffnet  (Fig.  57.  58). 

Die  drei  grösseren  Lappen  des  Kleinhirns,  der  obere,  hintere  und  untere, 
inseriren  sich  am  Brückenschenkel  in  einer  gebrochenen  Linie  (Fig.  54),  welche 
einen  medianwärts  offenen,  spitzen  Winkel  bildet.  Der  seitliche  Rand  des  obe- 
ren Lappens  nimmt  den  oberen  Schenkel  dieses  Winkels  ein ;  in  dem  Scheitel 
desselben  drängen  sich  die  oberen  und  ein  Theil  der  hinteren  unteren  Rand- 
wülste des  hinteren  Lappens  zusammen ,  während  die  folgenden  und  die 
sich  anschliessenden  Randwülste  des  unteren  Lappens  successiv  in  dem  un- 
teren Schenkel  des  Winkels  enden.  Dies  Zusammendrängen  der  Enden  der 
Randwülste  auf  einen  engen  Raum   ist  nur  dadurch   möglich,  dass,   wie   am 

Fig-.  57. 


Py         To 


Kleinhirn,    vom    hinteren    Rande,    die    Hemisphären    auseinandergezogen,     um    den    hinteren 
Wurm  (Vp)  zu  zeigen;  linlss  eine  der  tieferen  Spalten  geöffnet.     Vs  Oberer  Wurm.   To  Ton- 
sille.     Fy   Pyramide,      s,  p  Oberer,   hinterer  Lappen. 


Uebergaug  in  den  Wurm,  ihre  Zahl  durch  Vereinigung  mehrerer  in  je  Eine 
Lamelle  vermindert  wird,  ohne  dass  indess  die  Blätter  sich  an  beiden  En- 
den in  gleicher  Ordnung  zusammenfügen,  da  einzelne  Unterabtheilungen 
der  Lappen  unterwegs  zugespitzt  untergehen  und  überall  im  Grunde  der 
Spalten  Randwülste  von  Einer  Unterabtheilung ,  ja  von  Einem  Lappen  auf 
den  anderen  sich  hinüberschlagen  (Fig.  57*). 

Von   dem    Scheitel   des   Winkels,   in    welchem  die   Randwülste  an  dem 


Gehirn. 


117 


Brückenschenkel  ziisammenstossen,  setzt  sich  eine  tiefe  Spalte  ^)  längs  dem 
Rande  des  Kleinhirns  oder  in  der  Nähe  des  Randes  anf  die  untere  Fläche 
fort,  den  Hinterlappen  in  eine  obere  und  untere  Abtheilung  scheidend. 
Oefters ,  jedoch  nicht  constant,  erstreckt  sie  sich  über  den  hinteren  Wurm 
und  trennt  von  demselben  eine  dünne  Lamelle  (Fig.  57  Vp')  ab,  welche  die 
oberen  Abtheilungen  verbindet  2). 

Andere,  etwas  seichtere  Spalten  der  unteren  Fläche  machen  selbst  die 
Scheidung  des  hinteren  und  unteren  Lappens  unsicher;  doch  dient  als  An- 
haltspunkt die  Flocke,  deren  laterale  Spitze  dem  lateralen  Rande  des  unte- 
ren Lappens  zu  entsprechen  pflegt.  Der  Zug  der  Randwülste  des  hinteren 
Lappens  geht  im  Allgemeinen  dem  hinteren  Rande  und  den  Spalten  parallel, 
doch  laufen  sie  über  die  freie  Fläche  einzelner  secimdärer  Lappen  auch  in 
schrägen  und  einander  entgegengesetzten  Richtungen. 

Der  untere  Lappen  (7)  3)  ist  keilförmig,  mit  dem  breiten  Ende  vorwärts  3.  Unterer 
gegen  den  Brückenschenkel,   mit  dem  spitzen  Ende    gegen    den    Wurm   ge-     ^pp®"^- 

Fiff.  58. 


Kleinhirn ,    vom    hinteren    Rande ,    noch    etwas    mehr  um  die  transversale  Axe  aufwärts  ge- 
dreht,  als  in  der  vorigen  Figur,     j^  Hinterer  Lappen,     pf  Schnittfläche  desselben,    nachdem 
er  bis  auf  das  Niveau  des  hinteren  Wurms   (Vp)  abgetragen  ist,    um    den   unteren    Lappen 
(l)   aufzublättern.      Ij  Impressio  jugulaiis.      F^  Pyramide.      U  Uvula.       To  Tonsille. 

richtet,   an   welchem    seine   Randwülste   theilweise   vor   denen   der   hinteren 
Lappen  von  beiden  Seiten    in  einander  übergehen,  theilweise  mit  der  Pyra- 


^)  Sulcus  niagnus  Vicq  d'Azyr.  Sulc.  magn.  Jiorizontalis  Reil.  Fossa  peduncu- 
laris.  ^)  Dies  ist  die  als  Theil  des  oberen  Wurms  beschriebene  Commissur  der  oberen  halb- 
mondförmigen Lappen  (Commissura  tenuis.  Foltum  cacummis ,  Wipfelblatt  Burdach.  Lo- 
mina  cacuminis  s.  Lamina  transv.  sup.  Arnold).  Der  Rest  des  hinteren  Wurms,  der  als 
Commissur  der  unteren  halbmondförmigen  Lappen  zum  unteren  Wurm  gerechnet  wird,  ist 
identisch  mit  dem  Tuber  valvulae,  Klappwulst  Burdach  (^Laminae  transv.  infF.  Arnold). 
^)   Lohns  inf.   anterior  s.   cuneiformls  s.   biventer. 


118 


Gehirn. 


mide  durch  Vermittelnng  eines  dünnen,  am  hinteren  Rande  tief  eingeschnit- 
tenen Markblattes  zusammenhängen  (Fig.  59).  Der  Verlauf  der  Furchen 
ist  sagittal,  am  hinteren  Ende  medianwärts  umbiegend ;  Eine  derselben,  un- 
gefähr in  der  Mitte  des  Lappens,  vertieft  sich  zu  einer  bis  auf  den  Mark- 
kern dringenden  Spalte.  Die  mediale  Fläche  des  Lappens  ist  ausgehöhlt  zur 
Aufnahme  der  Tonsille. 
4.  TonsiUe.  Die  Tonsille,    TonsiUa''-),  ist  ein  im  Wesentlichen  eiförmiger  Körper, 

dessen  Oberfläche  sich  aber  den  angrenzenden  Theilen  accommodirt.  Indem  beide 
Tonsillen  den  Raum  zwischen  den  hinteren  Lappen,  dem  unteren  Wurm  und 
dem  verlängerten  Mark  ausfüllen ,  wenden  sie  der  Concavität  des  ersteren 
eine  gewölbte  laterale  Fläche  zu;  ihre  mediale  Fläche  trägt  im  unteren 
Theil  zur  Bildung  der  Aushöhlung  bei,  die  zur  Aufnahme  des  verlängerten 
Marks  bestimmt  ist;  den  Rand  dieser  Aushöhhing  bildet,  nicht  selten  auf 
beiden  Seiten  verschieden,  bald  der  untere  Lappen,  bald  die  den  unteren 
Lappen  überragende  Tonsille.  Weiter  hinauf,  wo  beide  Tonsillen  in  der  Mit- 
tellinie aneinander  stossen,  ist  ihre  mediale  Fläche  fast  plan;  noch  höher, 
wo  sie  die  Uvula  zwischen  sich  fassen,  divergiren  die  medialen  Flächen  auf- 
wärts mehr  oder  weniger,  je  nachdem  die  Seitenflächen  der  Uvula  in  einer 
spitzeren  oder  schärferen  Kante  sich  vereinigen  (Fig.  48.  56).  Die  Markleiste, 
durch  welche  die  Tonsille  an  dem  Markkern  gleichsam  aufgehängt  ist,  steht 
quer  mit  vorwärts  gebogenem  lateralen  Rand  an   der   Wurzel   des   hinteren 

F]>.  59. 


Kleinhirn  wie  in  Fig.  54 ;  links  ist  der  untere  Lappen  und  ein  Theil  des  hinteren ,  rechts 
die  Tonsille  entfernt.  s,  p,  i  Oberer,  hinterer,  unterer  Lappen.  Ccp  Durchschnittener 
Brückenschenkel.  l'ma,  Vnij)  Velum  med.  ant.  und  post.  N  Nodulus.  [/  Uvula.  Py  Py- 
ramide. To  Tonsille.  Tof  Rissfläche,  nach  Entfernung  derselben.  /'Flocke.  /'  Neben- 
flocke. 


Lappens ;   die  Endleisten  und  die   entsprechenden  Furchen  ziehen  meist  der 
Länge  nach  in  horizontaler,  jedoch  auch,  namentlich  an  der  vorderen  und  hin- 


^)   TonsiUa  cerebrl  Malacarne.      Lohns  inferior  int.    Lobt/.s  medullae  oblonr/ntae. 


Gehirn. 


119 


teren  Spitze,  in  verticaler  Richtung ;  tiefere,  frontale  oder  sagittale  SjDalten 
theilen  die  Tonsille  mehr  oder  minder  vollständig  und  auch  darin  finden  sich 
Verschiedenheiten  in  den  beiden  Seitenhälften  Eines  Gehirns. 

Aus  einem  cylindrischen  oder  in  transversalem  Durchmesser  comprimir- 
ten  Fortsatz  des  Markkerns  ')  vor  der  vorderen  Spitze  der  Pyramide  ent- 
wickelt sich  die  Flocke,  Flocculus-),  und  schlägt  sich,  an  beiden  Seiten  5.  Fiocki 
mit  einer  Reihe  schräger  Randwülste  wie  mit  Blättern  besetzt,  um  den 
hinteren  Rand  des  Brückenschenkels  an  dessen  untere  Fläche ,  die  vordere 
Insertion  des  unteren  Lappens  deckend  (Fig.  50.  54.  59). 

Zur  Flocke  rechnet  man,  als  sogenannte  Nebenflocken,  i^/oca«7«  secwn- 
darii ,  ein  oder  ein  paar  tuberkel-  oder  blattförmige,  einfache  oder  getheilte 
Läppchen ,  welche  zur  Seite  der  Flocke  unmittelbar  aaf  dem  Brückenschen- 
kel aufsitzen  (Fig.  52.   54.  59). 

Die  Grundlage  des  unteren  Wurms  bilden  drei,  von  der  Mitte  des  Unterer 
Markkerns  abwärts  ragende  quere  Lamellen,  von  denen  die  mittlere  sich  "'"^" 
regelmässig   noch    am    Ursprung    ein-    oder    zweimal   spitzwinklig   theilt. 

Fiff.  60. 


Medianschnitt  des  Kleinhirns,      s,  1),  i  Oberer,    hinterer,   unterer  Lappen.     Vs,    Vj} 

Oberer,    hinterer    Wurm.      Fy   Pyramide.    -  f"  Uvula.      iV  Nodulus.      Lg   Lingula. 

Vma   Velum  med.   ant.      Lq  Lamina  quadrig. 


Näher  dem  freien  Rande  zerfällt  auch  die  hintere  Lamelle  häufig  in 
zwei  bis  drei  secundäre.  Von  den  Flächen  dieser  primären  und  secundären 
Lamellen  gehen  horizontale ,  von  ihren  freien  Rändern  verticale  Endlamel- 
len aus ;  die  letzteren  bilden  die  ziemlich  regelmässig  quergefurchte  Ober- 
fläche des  unteren  Wurms  (Fig.  59). 

Unter  den  Furchen  dieser  Oberfläche  zeichnen  sich  die  beiden  tieferen 
aus ,  welche  den  Wurm  in  drei,  den  primären  Lamellen  entsprechende  Lap- 
pen theilen.  Sie  convergiren  aufwärts  wegen  der  keilförmigen ,  mit  dem 
breiteren  Ende  abwärts  schauenden  Gestalt  des  mittleren  Lappens ;  aus  dem- 
selben Grunde  gerathen  der  vordere  und  hintere  Lappen  in  eine  geneigte 
Lage,  mit  der  unteren  Spitze  jener  vorwärts ,  dieser  rückwärts  (Fig.  60). 

Der  hintere  Lappen,  die  Pyramide ,  JP(/ramis,  nimmt  von  der  Wurzel  bis 


^)   Pedunculus  ßoccuU.      ^)  Floccus.      Lobus  neroi  pneumogastricl  Vicq  d'Azyr. 


120 


Gehirn. 


Pyramide. 


2.  Uvula. 


zum  freien  Rande  wenig  oder  gar  nicht  an  Mächtigkeit  zu ;  ihre  obere,  dem 
hinteren  Wurm  zugewandte  und  ihre  untere,  gegen  den  mittleren  Lappen 
des  unteren  "Wurms  gerichtete  Fläche  sind  mit  transversalen  Randwülsten 
versehen.  An  der  Bildung  der  Oberfläche  des  Wurms  betheiligt  sie  sich  mit 
vier  bis  fünf  breiteren  Randwülsten ,  welche  jederseits  von  einer  dünnen, 
den  Zusammenhang  mit  den  Seitentheilen  vermittelnden  Lamelle  ausgehen, 
und  in  flachen  Bogen  oder  mit  stumpfer  Spitze  rückwärts  vorspringen,  wo- 
durch der  Lappen  die  stumpfwinklig  dreiseitige  Form  erhält,  die  ihm  den 
Namen  Pyramide  ^)  eingetragen  hat. 

Zuweilen  erstrecken  sich  unter  einem  fast   rechten   Winkel  umbiegend, 
die  vorderen  Randwülste  der  Pyramide  neben  der  Uvula  vorwärts,  zur  hin- 
teren   Spitze   der   Tonsille   (Fig.  61).      Der   sagittal   gefurchte   Theil  dieser 
■rp-      ßj  Randwülste        erscheint 

alsdann  als  ein  schma- 
les ,  im  transversalen 
Durchmesser  comprimir- 
tes  Läppchen  am  media- 
len Rande  des  unteren 
Lappensund  mag  als  Ne- 
benpyramide bezeich- 
net werden  (Fig.  61  Py'). 
Die  Uvula  -)  ist  ein 
schmaler  Wall,  durch  die 
zu  ihren  Seiten  gelege- 
nen Tonsillen  zusam- 
mengedrückt, mit  ab- 
wärts convergirenden, 
in  einer  mehr  oder  min- 
der   scharfen     Kante  ^) 

zusammenstossenden 
Seitenflächen.  Die  Zahl 
ihrer  freien  Randwülste 
beträgt  acht  bis  zehn. 
Sie  bildet  die  mediale 
Wand  einer  lateralwärts  von  der  Hemisphäre  begrenzten  tiefen  Aushöhlung, 
des  Nestes'*),  in  welcher,  von  dem  Markkern  des  Kleinhirns  durch  das  hin- 
tere Marksegel  geschieden,  die  Tonsille  ruht  (Fig.  62.  63). 

Am  hinteren  Rande  dieser  Aushöhlung  geht  vor  der  Pyramide  ein 
Markblatt  mit  rückwärts  gerichtetem  scharfen  geraden  Rande,  der  Seiten- 
flügel der  Uvula,  Alauvulae^),  vom  hintersten  Läppchen  derselben  zur  hin- 
teren Spitze  der  Tonsille,  an  der  oberen  Fläche  glatt,  an  der  unteren  mit 
zwei  bis  drei  niederen,  sagittalen  Randwülsten  bedeckt ,  die  sich  unmittel- 
bar an  die  hintere  Spitze  der  Tonsille  anschliessen   (Fig.  62*). 

Der  vorderste  Lappen  des  unteren  Wurms,  Wodulus  ^),  ist  an  der  vor- 


Kleinhirn, vom  hinteren  Rande,  die  Hemisphären  auseinan- 
dergezogen,   um   den  hinteren  Wurm  (Vp) ,    die    Pyramide 
(Py)  und  Nebeupyramide  (Pj/')  zu  zeigen.      To   Tonsille. 


^)  Wurmpyramide,  Lohns  inf.  anterior.  ^)  Uvula  vermts.  Lohns  iniertonsillaris.  Zapfen. 
^)  Facies  angularis  uvulae.  *)  Nidus  Burdach.  Taubennest  Vicq  d'Azyr.  Schwalben- 
nest Reil.      5)    Commissura  transversa  snlcata   Langenbeck.     '')  Knötchen. 


Gehirn. 


121 


deren  aufwärts  gerichteten  Fläche,  die  an  die  untere  Fläche  des  vorderen 
Marksegels  s'tösst,  glatt  (Fig.  60)  und  trägt  nur  an  der  unteren  Fläche  Rand- 
wülste, von  denen  sechs  bis  sieben  die  Furche  zwischen  Uvula  und  Nodu- 
lus  begrenzen,  zwei  bis  drei  an  der  Oberfläche  des  Wurms  freiliegeu.  Sie 
sind  breiter  als  die  Randwülste  der  Uvula  und  überragen  sie  nach  den 
Seiten  (Fig.  59.  62). 

Auch  vom  Nodulus  geht  nach  jeder  Seite  ein  Markblatt  aus,  das  hin- 
Y\cr,  62  tere       Marksegel, 

^  Veliim  medulare  po- 

sticum  ^),  welches  viel 
dünner  ist  als  der 
Seitenflügel  der  Uvu- 
la, ihn  aber  an  Aus- 
dehnung übertrifft 
(Fig.  54.  59.  62.  63). 
Es  trennt  sich  von 
der  unteren  Fläche 
des  Markkerns  an  der 
Seite  des  Nodulus, 
verläuft  zuerst  dicht 
unter  dem  vorderen 
Marksegel  vorwärts, 
wendet  sich  dann  ab- 
wärts und  endet  wie 
ein  Vorhang  vor  der 
vorderen  Spitze  der 
Tonsille  herabhän- 
gend, mit  einem  que- 
ren, unregelmässig  ausgebogenen  Rande.  In  den  vordersten  Randwulst  des 
Nodulus  geht  der  mediale   Rand  des  hinteren  Markseo^els  wie  mit   zwei  di- 


Obere  Fläche  des  verlängerten  Marks  und  untere  Fläche  des 
Kleinhirns,  durch  Auseinanderziehen  beider  sichtbar  gemacht. 
Tof  Trennungsfläche  der  Tonsille.  Py  F3'ramis.  Vmi  un- 
teres Marksegel.  F  Flocke.  F'  Nebenflocke.  Cl  Clava.  VIII 
N.  Acust.     *  Seitenflügel  der  Uvula. 


Velum  med. 

post. 


Fijr.  63. 


Frontalschnitt  des  Kleinhirns  und  verlängerten   Marks    durch    Uvula  {U)    und    Tonsille  (To). 
Vorderer  Abschnitt.      Po  Ponticulus. 


)    Valvula  s.    Velum   Tarini.      Valvula  semllunarls.      Hintere  oder  kleine  Hirnklappe. 


122 


Gehirn. 


Velum  med. 

ant. 


Lingula. 


vergirenden  Blättern  über;  sein  lateraler  Rand  setzt  sicli  in  den  Stiel  der 
Flocke  fort  (Fig.  59.  62).  In  der  Nähe  desselben  erscheinen  zuweilen  an 
der  unteren  Fläche  des  unteren  Marksegels  einige  seichte  Einschnitte  zwi- 
schen niederen  seitwärts  absteigenden  Randwülsten  (Fig.  62).  Seltener, 
als  dies  bei  dem  Obex  und  dem  hinteren  Marksegel  der  Fall  ist,  verliert 
sich  der  freie  Rand  des  unteren  Marksegels  ohne  deutliche  Begrenzung  in 
die  Gefässhaut. 

Das  vordere  Marksegel,  Velum  ITledulare  flnt.  i),  die  zweite  Abthei- 
lung der  Decke  des  tunnelförmigen  Hirnventrikels,  ist  eine  vierseitige  mit  dem 
vorderen  Rand  abwärts  geneigte  von  einer  Seite  zur  anderen  etwas  einge- 
bogene Markplatte  von  0,2  bis  0,4  Mm.  Mächtigkeit,  von  10  Mm.  sagitta- 
lem  und  5  bis  7  Mm.  transversalem  Durchmesser.  Rückwärts  hängt  sie 
mit  dem  Kleinhirn  zusammen,  in  dessen  Markkern  sie  sich  ohne  andere  Be- 
grenzung als  durch  die  Randwülste  des  oberen  und  unteren  Wurms  fort- 
setzt (Fig.  60)  2).  Vorwärts  grenzt  sie  an  die  Vierhügelplatte  und  zu  beiden 
Seiten  an  die  Vierhügelschenkel,  von  welchen  sie  wie  ein  Bild  von  seinem  Rah- 
men eingefasst  ist  und  durch  deren  Convergenz  sie  sich  nach  vorn  etwas  ver- 
jüngt (Fig.  66).  Dem  vierten  Ventrikel  wendet  das  vordere  Marksegel  eine  ebene 
Fläche  zu  ;  seine  obere,  unter  dem  oberen  Wurm  versteckte  Fläche  zeigt  in 
ihrem  grösseren  hinteren  Theile  eine  Bildung,  welche  an  die  Structur  des  Klein- 
hirns erinnert :  von  derselben  erheben  sich  nämlich  unter  rechtem  Winkel  zwei 

bis  sieben,  in  der  Regel  fünf 
niedere  transversale  Leisten, 
wie  die  Randwülste  des  Klein- 
hirns mit  einer  Schichte 
grauer  Substanz  bekleidet. 
In  ihrer  Gesammtheit  machen 
diese  Randwülste  den  Ein- 
druck, als  ob  sie  einem  plat- 
ten, quergefurchten,  vorn  ab- 
gerundeten zungenförmigen 
Läppchen  des  Wurms  des 
Kleinhirns  angehörten,  wel- 
ches mit  der  oberen  Fläche 
des  vorderen  Marksegels  ver- 
wachsen wäre  (Fig.64).  Sie  ha- 
ben dah.  den  Namen  Lingula, 
Zun  gelchen,  erhalten.  Auch 
löst  sich  zuweilen  (unter  hun- 
dert Fällen  4  bis  5  Mal  S til- 
lin g^),  die  vordere  Spitze 
in  grösserer  oder  geringerer 


Vraa 

Frontaltchnitt  des  vierten  Ventrikels  durch  das  vor- 
dere Marksegel.  Hinterer  Abschnitt.  Der  obere  Wurm 
und  Lappen  von  vorn  her  abgetragen,  um  die  Lingula 
zu  zeigen.  Flg  Frenulum  lingulae.  Ccp,  Ccq  Crura 
cereb.   ad  poiitem  und  ad  corp.   quadrig. 


^)  V.  m.  super'ius.  Valvula  cerebrl  s.  cerebelU.  Valvula  cerebrl  s.  cerebelll  magna. 
Valv.  Vieussenü.  Velum  interpositum.  Hirnklappe.  '^)  Der  Winkel,  in  welchem  der  untere 
Wurm  mit  dem  Marksegel  zusammenstösst ,  entspricht  dem  Giebel,  fastlgium,  des  vierten 
Ventrikels  und  wird  von  Keil  Zelt  genannt.  ^)  Unters,  über  den  Bau  des  Züngelchens  und 
seiner  Hemisphärentheile.     Cassel   1864. 


Gehirn. 


123 


Fig.  65. 


Ausdehnung  wirklich  von  ihrer  Unterlage  ab;  sie  erhält  alsdann  Rand- 
wülste auch  an  ihrer  unteren  Fläche  und  es  kann  eine  Art  Verdoppelung 
der  Lingula  eintreten ,  dadurch ,  dass  unter  den  abgehobenen  Randwülsten 
eine  zweite  Reihe  festsitzender  sich  findet. 

Wie  Hemisphärentheile  ziim  Wurm,  so  verhalten  sich  zur  Lingula  die 
Frenula  derselben,  Zungenbändchen  Stilling,  dünne  dreiseitige  Lamel- 
len, deren  Basis  sich,  continuirlich  oder  durch  einen  seichten  Einschnitt  am 
Vorderrande  abgegrenzt,  aus  den  Seitenrändern  der  Lingula  entwickelt, 
deren  Spitze  auf  der  oberen  Fläche  des  hinteren  Drittels  des  Brückenschen- 
kels befestigt  ist  (Fig.  64). 

Die  Spitze  der  Lingula  sali  Stilling  zuAveilen  durcli  einen  medianen  Ein- 
schnitt getheilt;  an  der  oberen  Fläche  derselben  begegnete  ihm  öfters  ein  media- 
ner "Wulst,  eine  Art  Raphe,  an  welchem  die  EandAvülste  beider  Seitenhälften,  nicht 
immer  in  Zahl  und  Stellung  genau  correspondirend,  aufeinandertreffen. 

Von  der  Mitte  des  vorderen  Randes  des  vorderen  Marksegels  steigt 
zur  Vierhügelplatte  ein  flacher,  2  bis  4  Mm.  breiter,  zuweilen  median  ge- 
furchter Markstreifen  auf,  das  Frenulum  Veli  med.  antici  (Fig.  40.  66). 

Aus  der  Ecke,  in  welcher  das  vordere  Marksegel  mit  der  Vierhügel- 
platte und  den  Vierhügelschenkeln  zusammen stösst ,  doch  hauptsäch- 
lich   von   dem   medialen   Rande    der    letzteren,     entspringt    jederseits    mit 

zwei  bis  drei  alsbald  zusammenfliessen- 
den  Wurzeln  der  N.  trochlearis  (Fig.  38, 
40,  65,  JF),  der  dann  in  genau  transver- 
saler Richtung  lateralwärts  tind  weiter  um 
den  Grosshirnschenkel  abwärts    verläuft. 


Die  dritte  Abtheilung  der  Decke  des 
tunnelförmigen  Hirn  Ventrikels,  die  Vi  e  r  - 
hügelplatte,  Lamina  qiiadrigemina'^),  Lamma 

.  -11    luadrig. 

hat  ihren  Namen  von  vier  symmetrisch  und 
paarweise  geordneten  grauen,  aber  mit 
einem  4-5  Mm.  mächtigen  weissen  Ueber- 
zug  versehenen  Wölbungen,  welche  aus 
der  oberen  Fläche  der  Platte  hervorra- 
gen ,  während  die  untere  Fläche  der- 
selben nur  mit  einem  schmalen  media- 
nen Streifen  als  obere  Wand  des  Aquae- 
ductus freiliegt,  seitlich  aber  mit  den 
Vierhügelschenkeln,    welche   sich  unter-  v 

dessen  der  Mittellinie  genähert  und  mit 
dem  Boden  des  Ventrikels  vereinigt  ha- 
ben, verwachsen  ist  (Fig.  65).  Sie  macht 
den  Eindruck  eines  quer  über  die  Vier- 
hügelschenkel  gelegten   Sattels,   welcher 


Vma 


Ccqt 


Frontalschnitt  des  Gehirns  durch  das 
hintere  Vierhügelpaar ,  hinterer  Ab- 
schnitt. Vorderes  Marksegel  {Vma) 
median  gespalten  und  nach  beiden  Sei- 
ten zurückgelegt,  um  den  Aquäduct 
von  oben  zu  öffnen.  Cop  Crus  cereb. 
ad  pont.  Ccq  Crus  cereb.  ad  corp. 
quadrig.  mit  der  Vierhügelplatte,  wel- 
che auf  der  anderen  Seite  bis  auf  das 
Niveau  des  Vierhügelschenkels  (Ccqf) 
abgetragen  ist. 


^)  Emlnentia  quadrlgemina  s.  hlgemina.  Tuhercules  quadrij'umeaux  Cruv.  Lobes  op- 
tiques  Gratiol et.  Notes  und  TeÄ^es  der  älteren  Anatomen,  welche  beiden  Namen  übrigens  ohne 
Uebereinstimmung    bald  dem  vorderen  bald  dem  hinleren  Vierhügelpaar  ertheilt  werden. 


124 


Gehirn. 


Fis-.  66. 


lateralwärts  durch  die  Furche  zwischen  Brücken  -  nnd  Vierhügelschenkel 
begrenzt  wird  und  dessen  hinterer  Rand ,  nur  wenig  über  die  Oberfläche 
der  Vierhügelschenkel  erhaben,  von  beiden  Seiten  schräg  vor  -  und  median- 
wärts  zieht  und  sich  zur  Seite  des  Frenulum  des  vorderen  Marksegels  ver- 
liert. Das  dreieckige  plane  Feld ,  welches  der  laterale  und  hintere  Rand 
jederseits  mit  dem  hinteren  Hügel  umschliessen ,  ist  die  Schleife,  Lemniscus 
ReilO  (Fig.  66.  67). 

Die  Mächtigkeit  der  Platte,  über   der    Mitte  des  Aquaeducts   gemessen, 

beträgt  4  bis  5  Mm., 
ihr  sagittaler  Durch- 
messer in  der  Median- 
linie 14  Mm.  Die 
Hügelpaare  jeder  Sei- 
tenhälfte liegen,  nur 
durch  eine  lineare 
Furche  geschieden, 
unmittelbar  an  ein- 
ander ;  die  mediane 
Furdie  zwischen  den 
Hügeln  der  rechten 
und  linken  Seite  ist 
breiter  und  flacher ; 
doch  ist  zuweilen  die 
Mitte  derselben  zwi- 
schen den  beiden  vor- 
deren Hügeln  durch 
einen  seichten  Ein- 
schnitt bezeichnet  ^). 
Der  vordere  Hügel  ^) 
ist  niedriger  als  der 
hintere ,  aber  grös- 
ser, mit  elliptischer 
Grundfläche,  der  län- 
gere Durchmesser 
(7  Mm.)  schräg,  mit 
dem  lateralen  Ende  vorwärts  gestellt,  die  lateral- vorwärts  gerichtete  Spitze 
unter  der  rückwärts  vorragenden  Wölbung  (Pulvinar)  des  Thalamus  ver- 
steckt; von  dieser  Spitze  zweigt  sich  ein  schmaler  Markstreif,  der  vor- 
dere Bindearm,  JBrachmm  Conjunctivum  ant.,  ab,  der  rück-  und  abwärts 
am  hinteren  Rande  des  Thalamus  hinstreicht,  um  schliesslich  mit  demselben 
zu  verschmelzen. 

Das  hintere  Vierhügelpaar  gleicht  einem  Kugelabschnitt,  dessen  Sehne 
etwa  5  Mm.  misst  und  setzt  sich,  wie  der  Kopf  einer  Stecknadel  in  den 
Stiel,  seitlich  in  einen  halbcylindrischen,  geraden,  nur  wenig  aus  der  trans- 
versalen Richtung  vorwärts  abweichenden  Wulst,  den  hinteren  Bindearm 


Region  der  Vierhügel  von  oben,  das  Kleinhirn   an  dessen  Mark- 
kern abgeschnitten.      Ccp  Crus  cereb.  ad  pontem.      Ccq  Crus 
cereb.   ad  c.   quadrig.       Lg    Lingula.       Vnia    Velum    med.   ant. 
Ccb    Crus    cerebri.      Pv  Pulvinar.      Tho    Thalamus    opt. 
Cn  Conarium.     IV    N.   trochl. 


^)   Laqucus.   Faisceau  triangulaire  lateral  Cruv.    Ruhan    de    Reil    Gratiolet.      ^)  Das 
Dreieck  zwischen  den  beiden  vorderen  Hügeln  ist  ^  ar  gm  3.t\  n'' &  Trigonum  dicrum.    ^)  Colliculus. 


Gehirn. 


125 


ßracliium    Covjund.  post.,  fort.     Derselbe   verschwindet  unter  dem  media- 
len Theil  des  hinteren  Randes  eines  hinter  dem  vorderen  Biudearm  gelege- 
jPj^    ßy  nen  haferkornförmigen  Wul- 

stes ,    des    Corp.    genkulai. 
^^  /     Tp     Ccq  medude. 

Der  Unterschied  der  Grösse 
des  hinteren  und  vorderen  Vier- 
hügelpaares ist  bei  manchen 
Säugethieren  auffallender ,  als 
beim  Menschen,  und  zAvar  sind 
bei  Herbivoren  die  vorderen, 
bei  Carnivoren  die  hinteren  Hü- 
gel die  grösseren. 

Die  Farbe  der  Vierhügel 

ist    gleichmässig     ein     etwas 

in    das    Graue   schimmerndes 

Brücke.  Grosshirnscheiikel  und  Vierliügelplatte,    last     Weiss;  das  Corpus  geniculat. 

med.    hat    eine    mehr    graue 
Oberfläche. 

üeber  das  hintere  Vier- 
hügelpaar  erstreckt  sich  der 
vordere  Rand  des  Kleinhirns ; 
die  Furche  zwischen  den  vorderen  Hügeln  und  einen  Saum  ihrer  medialen 
Ränder  deckt  zunächst  das  sogleich  zu  beschreibende  Conarium  und  mittel- 
bar der  hintere  Rand  des  die  Grosshirnhemisphären  verbindenden  Balkens 
(Fig.  38). 

Die  Fläche,  welche  die  Vierhügelplatte  dem  Aquaeductus  zuwendet,  ist  Aquae- 
in  verschiedenen  Theilen  dieses  Canals  verschieden,  anfangs  eben  und  durch 
ein  queres  Markblättchen,  Lamhta  meduUaris  transversa  Arnold,  ausge- 
zeichnet, welches  gegen  den  Ursprung  des  N.  trocJilearis  hinzieht,  dann  (Fig.  68  &) 
mit  einer  medianen  Firste  ^)  versehen ,  weiter  vorn  (Fig.  68  c)  unter  dem  vorde- 
ren Vierhügelpaar  tief  ausgehöhlt,  in  der  Nähe  der  Ausmündung  wieder  eben. 

Fig-.  68. 


Profil,  die  frontale  Durchschnittsfläche  der  Grobshirn- 
schenkel  etwas  links  gewandt.  A  Durchschnitt  des 
Aquäducts.  Cq  Corp.  quadrig.  Tp  Taenia  pontis. 
Ccq  Crus  cereb.  ad  c.  quadrig.  Sb  Suicus  basil. 
r  Wurzel  des  N.   triffeminus. 


Successive  Frontalschnitte  des  Aquaeducts. 


1)   Carina    s.    Conus    s.    Corjms   coniforme   s.  Acns    Bergmann  (Neue  Unters,  über  die 
innere  Orp-anisation   des  Gehirns.      Hannover   1838.) 


126 


Grehirn. 


Commiös. 

pOEt. 


Darnacli  ändert  sich  die  Form  des  frontalen  DurchEclinitts  des  Canals :  am 
Ein-  und  Ausgang  ist  er  T förmig  oder  dreiseitig  mit  concaven  Seitenrän- 
dern und  abwärts  gewandter  Spitze,  die  einer  engen  aber  tiefen  Spalte  zwi- 
schen den  runden  Strängen  entspricht;  unter  dem  gekielten  T  heil  der  Decke 
ist  er  herzförmig,  unter  dem  gefurchten  gleicht  er  einer  Längsspalte  mit 
oberem  abgerundeten,  unterem  spitzen  "Winkel.  Der  gleichmässig  wellen- 
förmige Contur,  den  die  Wände  des  Canals  bei  schwacher  Vergrösserung 
zeigen,  deutet  auf  eine  feine  Längsfurchung. 

Die  Längsstreifen  sind  es,  welche  Bergmann  (a.  a.  0.  S.  40)  als  ein  eigenes 
Chordensystem  mit  dem  Namen  Psalterium  s.  Organon  pneuniat.  {Pectunculus 
Arnold)  bezeichnet.  Zu  den  Seiten  der  medianen  Firste  an  der  Decke  des  Ca- 
nals soll  statt  derselben  eine  Querstreifving  auftreten ,  die  derselbe  Autor  als  Si- 
strum  besclireibt  und  Arnold  sammt  der  Carina  lieber  mit  dem  'Nninen  Plumula 
belegen  möchte.  Bergmann  in  die  Aveiteren  Einzelheiten  seiner  Darstellung  zu 
folgen,  halte  ich  zur  Zeit  für  überflüssig.  Eine  vollständige  Eeilie  von  Quer- 
schnitten des  Aquaeducts  findet  man  bei  Gerlach,  Mikroskop.  Studien,  Erlan- 
gen 1858.  In  einem  Falle  sah  ich  die  oberen  Eänder  der  SjDalte  zwischen  den 
runden  Strängen  durch  eine  kiirze,  dünne  Commissur  von  weisser  Substanz  mit 
einander  verbunden  (Fig.  68  a). 

Wie  sich  die  Vierhügelplatte  mit  ihrem  hinteren  Rande  an  das  vordere 
Marksegel  anschliesst,  so  setzt  sie  sich  auch  von  ihrem  vorderen  Rande 
aus  in  eine  dünne  Marklamelle  fort,  welche  auf-  und  rückwärts  zu  einer 
engen ,  nach  hinten  offenen  Rinne   umgeroUt ,   als  vierte  und  letzte  Abthei- 

Fig.  69. 


Siiwittalschnitt  des  Grosshirn.«;  rechts  neben  der  Medianebene.  Die  hintere  Hälfte  der 
Vierhügelplatte  durch  einen  horizontalen  (mit  Rücksicht  auf  die  Axe  des  verlängerten 
Marks  queren)  Schnitt  abgetrennt,  um  den  Nucleus  tegmenti  (Ntg)  im  Längs-  und 
Querschnitt  zu  zeigen.  Ccl^  Knie  des  C.  call.  Coa,  Com,  Cop  Commiss  ant., 
media  und  post.  Ls  Lamina  septi  lucidi.  Fx  Fornix.  Tho  Thalamus  opt.  Cq  Corp. 
quadrig.      Sn    Substantia    nigra.      Cca    Corp.    cand.      Co    Chiasma  opt.       Lei  Lamina 

cinerea  termin. 


Gehirn. 


127 


limg;  der  Ueberwölbung  des  tunnelförmigen  Ventrikels,  den  Ansgang  des 
Aquaedncts  deckt.  Sie  wird  hintere  Commissiir,  Commissura  jyost.'^)^ 
genannt  nnd  verhält  sich  als  solche,  indem  sie  vor  der  Vierhügelplatte  quer 
zwischen  beiden  Thalami  ausgespannt  ist  (Fig.  35.  69.  70).  Von  der  Vier- 
hügelj)latte  wird  sie  durch  einen  tiefen,  transversalen  Einschnitt  geschieden ; 
ihr'b  convexe    Fläche  ist  glatt,    ausnahmsweise   mit   einer   medianen    Furche 


Fig-.  70. 


Grosshirnganglien,  von  oben.  Das  Corpus  callosum  vom 
Knie  [Ccl'^)  an  und  die  Hemisphären  im  Niveau  des  C. 
callos.  abgetragen.  Cs  C.  striat.  Tsl  Ventric.  septi  lu- 
cidi.  Cf  Crura  fornicis.  St  Stria  terminalis.  Ts  Tub. 
sup.  thalami  opt.  Com,  Cop  Commiss.  media  und  post. 
Tio  Taenia  thalami  opt.  Tho  Thal.  opt.  Pv  Pulvinar. 
Pen  Pedunc.  conarii. 


zwischen  zwei  niederen 
Kämmen^)  versehen ;  die 
concave  innere  Fläche 
der  Rinne  ist  durch 
einige  Querfurchen  \yie 
gefaltet.  Mit  der  hinte- 
ren Commissur  hängt 
ein  räthselhafter  Körper, 
das  Conariam  ^),  zusam- 
men, der  wie  ein  Pfropf 
die  grosse  quere  Hirn- 
spalte, wenngleich  un- 
vollkommen, verschliesst 
(Fig.  38) ,  eingewickelt 
in  die  Gefässhaut,  die 
durch  diese  Spalte  sich 
in  den  Plexus  choroid. 
des  dritten  Ventrikels 
fortsetzt.  Er  ist  platt- 
gedrückt eiförmig ,  zu- 
weilen mit  einer  breiten 
medianen  Firste  verse- 
hen, 8  Mm.  im  sagitta- 
len,  6  Mm.  im  transver- 
salen Durchmesser  lang, 
von  tief  grau-röthlicher 
Farbe  und  glatter  oder 
höckeriger  Oberfläche 
und  ruht,  wie  erwähnt, 
in  dem  das  vordei-e  Vier- 
hügelpaar trennenden 
Thale  (Fig.  66.70).  Sein 
Zusammenhang  mit  der 
hinteren  Commissur  wird 
vermittelt  durch  ein 
Paar  über  diese  Com- 
missur von  beiden  Sei- 
ten her  einander  entge- 


Conarium. 


Comviissura  post.  ventricull  tertä.  Commiss.  parva  posterior.  Trigonum  molle  s. 
pensile  Bergmann.  Reichert  bezeichnet  den  umgeschlagenen  oberen  Theil 
der  Commissur  als  unteres  Markblatt  des  Conarium.  ^)  Trahecula  und  Amussis  Berg- 
mann (?).      2)    Glandula  pinealis.      Plnus.  Zirbeldrüse. 


128  Gehirn. 

genziehende  Markstränge,  welche  an  der  Grenze  des  Vorder-  und  Seiten- 
randes in  das  Conarium  eintreten  und  den  Namen  der  Stiele  desselben,  J*e- 
dunculi  Col'iar??,  führen  (Fig.  70).  Sie  sind  in  verticaler  Richtung  abgeplattet, 
dreiseitig,  entspringen  unmittelbar  über  der  hinteren  Commissur  mit  breiter, 
dieselbe  nach  vorn  und  hinten  überragender  Basis  aus  dem  vorderen  Rand 
der  Vierhügelplatte  und  dem  angrenzenden  Theil  des  Thalamus;  ihr  hiilte- 
rer  Rand  verläuft  genau  transversal,  der  vordere  schräg  rückAvärts.  Die 
vorderen  Ränder  der  beiden  Stiele  des  Conarium  gehen  in  den  vorderen 
Rand  dieses  Organs  über  und  begrenzen  mit  demselben  einen  vorwärts  of- 
fenen abgestutzten  stumpfen  "Winkel,  innerhalb  dessen  die  obere  Fläche  der 
hinteren  Commissur  frei  zu  Tage  liegt.  Indem  sodann  die  hinteren  Ränder 
der  Conariumstiele  mit  dem  oberen  Rand  der  hinteren  Commissur  verwach- 
sen, erzeugen  sie  mit  dieser  eine  nach  vorn  geöffnete  Rinne,  die  sich  am 
Conarium  selbst  zu  einer  mehr  oder  minder  deutlich  begrenzten  Bucht  ^) 
vertieft.  An  der  Bildung  des  Stiels  des  Conarium  betheiligt  sich  ferner  noch 
eine  dünne  Marklamelle,  l'aenia  thalami  Optici  (Fig.  70)  2),  welche  von  der  vor- 
deren Spitze  des  Thalamus  an,  anfangs  als  ein  kaum  merklicher  Saum,  dessen 
obere  und  mediale  Fläche  scheidet,  nach  hinten  allmälig  schärfer  hervortritt, 
auf  die  obere  Fläche  des  Pedunculus  conarii  übergehend  eine  verticale  Lage 
annimmt  und  sich  so  auf  die  vordere  Spitze  des  Conarium  erstreckt,  vielleicht 
auch  in  der  Mittellinie  mit  der  entsprechenden  Lamelle  der  anderen  Seite 
zusammenfliesst.  Es  giebt  Fälle ,  wo  diese  Lamelle  sich  ebenso  in  den 
Plexus  choroideus  erstreckt  und  verliert,  wie  dies  bei  der  Taenia  des 
Plexus  choroid.  des  vierten  Ventrikels  der  Fall  ist. 

Bevor  ich  die  Fortsetzung  des  verlängerten  Marks  weiter  nach  vorn 
in  den  blinden  Hirnventrikel  verfolge,  habe  ich  einen  Blick  auf  den  Hirn- 
theil  zu  werfen ,  der  das  verlängerte  Mark  von  unten  her  umwölbt  (S.  89). 
Brücke.  Dies  ist  die  Brücke,  J*o??s^),  ein  von  einer  Seite  zur  anderen  und  von  vorn 
nach  hinten  convexer,  stark  vorragender  Wulst  von  etwa  30  Mm.  sagitta- 
lem  Durchmesser,  der  sich  nach  beiden  Seiten  verjüngt  ohne  bestimmte 
Grenze  in  die  Brückenschenkel  fortsetzt  oder  vielmehr  aus  denselben  her- 
vorgeht. Zu  willkürlicher  Grenzbestimmung  mögen  die  um  den  hinteren 
Rand  der  Brücke  sich  windenden  Wurzeln  der  Nn.  facialis  und  acusticus 
oder  die  in  der  Nähe  des  vorderen  Randes  austretenden  Wurzeln  des  N. 
trigeminiis  benutzt  werden.  Durch  Einbiegungen  des  hinteren  und  vorde- 
ren Randes,  von  denen  die  vordere  auffallender  ist  und  sich  zwischen  bei- 
den Hirnschenkeln  in  die  Tiefe  senkt  ^),  wird  die  Brücke  unvollkommen  in 
zwei  symmetrische  Hälften  getheilt.  Zwischen  beiden  Einbiegungen  ver- 
läuft an  der  unteren  Fläche  eine  mediane  Furche,  Sulcus  basilaris  (Fig.  44.  67), 
welche  zur  Aufnahme  der  gleichnamigen  Arterie  bestimmt  ist.  Doch  fehlt  die 
Furche  nicht,  wenn  die  Arterie  ausnahmsweise  zur  Seite  gerückt  ist,  und  so 
scheint  sie  mehr  das  Ergebniss  der  in  den  beiden  Seitenhälften  enthaltenen 


••)  Diverliculurn  sup.ventric.  tertii  Gratiolet.  Ventriculus  conarii  Hyrtl.  ^)  Stria  me- 
dullaris  thalami  opt.  Stria  pinealis.  Den  auf  das  Conarium  übergehenden  Theil  nennt 
Reichert  Oberes  Markblatt  des  Conarium.  ^)  Pons  Varolü.  Protuberaniia  annularis. 
Nodus  cerebri.  Commissura  cerebelli  Gall.  *)  Der  den  Grosshirnschenkel  eng  umfas- 
sende vordere  innere  Rand  jeder  Brückenhälfte  ist  Cruveilhier's  Collier  des  pedoncules 
cerebraux. 


Gehirn. 


129 


Stränge  des  verlängerten  Marks  zu  sein.  Den  Yerlanf  der  oberflächlichen 
Fasern  bezeichnen  Gefässfurchen ,  welche  die  Marksubstanz  in  Bündel  ab- 
theilen und  in  dem  mittleren  Theil  der  Brücke  eine  transversale,  zu  bei- 
den Seiten  eine  vom  hinteren  Rande  bogenförmig  gegen  die  Mitte  aus- 
strahlende Richtung  haben.  Flache  sagittale  Markstreifen  gehen  zuweilen 
auch  näher  der  Mittellinie ,  unter  oder  neben  der  Wurzel  des  N.  abducens 
vom.  hinteren  Rande  der  Brücke  aus  und  verlieren  sich  noch  innerhalb  ihres 
hinteren  Drittels.  Zwischen  der  Basilarfurche  und  dem  Ursprung  des  N. 
abducens  erhebt  sich  der  dem  hinteren  Rande  nächste  Theil  der  Brücke  in 
Form   eines  platten  kreisrunden  Höckers  ^). 

Der   vordere   Rand   der   Brücke  trägt   einen  Anhang,    welcher  in  ver- 
Tfi-      y,  schiedenen    Graden  der  Aus- 

bildung vorkommt ,  zuwei- 
len auch  gänzlich  vermisst 
wird.  Es  ist  ein  glatter, 
schmaler,  fein  längs  gefurch- 
ter oder  aus  einigen  feinen 
weissen  Streifen  gebildeter 
Saum,  der,  wo  er  am  vollstän- 
digsten entwickelt  ist,  neben 
dem  Brückenschenkel  aus  dem 
Markkern  des  Kleinhirns  her- 
vortritt, am  vorderen  Rande 
des  Brückenschenkels  und 
dann  der  Brücke  den  ganzen 
Brücke,  Grosshinischenkel  und  Vierhügelplatte ,  fast  Grosshirnschenkel  umkreist 
Profil,   die  frontale  Durchschnittsfläche  der  Grosshirn-  ,         ■.  t   i      t-ii-   i 

,         ,     ^        ,.  ,  ,,       .  T>      1     1,  •;..    j        und  an  dessen  medialer  1^  lache 

schenke!    etwas  links  gewandt.     A  Durchschnitt    des 

Aquäducts.       Cq    Corp.     quadrig.       L     Lemniscus.     zugespitzt  oder  mit  divergi- 

Ccq   Grus   cereb.    ad  c.  quadrig.      Sb   Sulcus  basil..    renden  Fasern    sich   verliert. 

V  Wurzel   des  N.  trigeminus.  Die      grösste      Breite,       über 

3  Mm.,  besitzt  dieser  Saum, 
den  ich  Taenia  pontis  nennen  werde  -),  in  der  Furche  zwischen  dem  Brücken- 
tind  Vierhügelschenkel ,  in  die  er  mit  einem  stumpfen  Winkel  vorspringt. 


Ein  älinliclier  schmaler  und  platter  Markstreifen,  Tractus pedunciilaristrans- 
versus  Grudden,  tritt  weiter  vorn,  zur  Seite  des  vorderen  Vierliügelpaars  aus, 
wendet  sich  über  das  mediale  C.  geniculatum  abwärts,  um  den  Grossbirnschenkel 
zu  umgreifen  und  verliert  sich  früher  oder  später  zwischen  den  Bündeln  dessel- 
ben oder  gesellt  sich  zur  Taenia  pontis,  so  dass  er  wie  eine  "Wurzel  derselben  er- 
scheint. Er  ist  constant  im  Gehirn  verschiedener  Thiere;  beim  Menschen  kommt 
er  nur  ausnahmsweise  vor  (Griiddeu,  Archiv  für  Psychiatrie  II,  364). 

Wenn  die  Fasern  des  verlängerten  Marks  zwischen   Brücke  und  hinte-  Grosshirn- 
rer  Commissur  hervortreten,  um  als  Grosshirnschenkel  die  Seitenhälften  des 
Bodens  des  blindsackförmigen   Hirnventrikels  zu  bilden ,   sind   sie ,   wie  er- 


^)   CoUiculus  pontis  aut.     Vorbrückchen  Reichert.     ^)  Accessorii  de'   moiori  communi 
Malacarne  (Neuro-encefalotomia  p.   171).     Abgebildet  bei  Eolando,  rech,  anatom.  sur  la 
moelle  allongee.     Fl.  I.  Fig.   1.  2.   z.      Filamenta  pontis  lateralia  Arnold. 
Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthlg.  2.  Q 


130 


Gehirn. 


Corona 
radiata. 


wähnt  (S.  89),  mittelst  einer,  durcli  dunkel  pigmentirte  Zellen  ausgezeich- 
neten grauen  Substanz,  der  Suhstantia  nigra,  der  Quere  nach  in  Basis 
und  Tegmentum  geschieden.  Die  muldenförmige  Basis  ist  in  ihrer  Haupt- 
masse Fortsetzung  des  Pyramidenstrangs;  das  Tegmentum,  von  cylindri- 
scher  Gestalt,  enthält  die  übrigen  Stränge  des  verlängerten  Marks,  mit  dem 
Unterschied,  dass  an  die  Stelle  der  zum  Markkern  des  Kleinhirns  aufge- 
stiegenen strickförmigen  Stränge  die  aus  demselben  Markkern  herabgestie- 
genen Vierhügelschenkel  getreten  sind,  denen  sich  an  der  Oberfläche  noch 
die  vorderen  und  hinteren  Bindearme  und,  wenn  man  ihren  Ursprung  in 
das  Conarium  verlegt ,  die  Stiele  dieses  Organs ,  mit  Ausnahme  der  Taenia 
derselben,  beigesellen.  Die  Taenia  geht  auf  die  Oberfläche  des  Thalamus 
über,  der  den  Grosshirnschenkel  dicht  vor  der  vorderen  Mündung  des  Aquä- 
ducts  einhüllt  (Fig.  70),  und  vielleicht  sind  auch  die  Bindearme  dazu  be- 
stimmt, die  Verbindung  der  Vierhügel  mit  der  Substanz  dieser  Hülle  der 
Grosshirnschenkel  zu  vermitteln. 

Der  weitere  Verlauf  der  in  den  Grosshirnschenkeln  enthaltenen  Faser- 
massen lässt  sich  vergleichen  dem  Auseinanderfallen  der  im  Stiel  eines 
Strausses  enthaltenen  Blumenstengel.  "Wir  unterscheiden  zunächst,  ohne 
übrigens  weder  die  Continuität  der  einzelnen  Fasern  behaupten,  noch  die 
Einschaltung  neuer  Fasern  bestreiten  zu  wollen,  zwei  Hauptrichtungen  der- 
selben: die  Einen,  die  Fasern  des  Stabkranzes,  der  Corona  radiataUeil^) 
(Fig.  72),   wenden  sich  an  ihrer  Seite  hauptsächlich  nach  aussen,   aber  zu- 

Fig.  72. 


Rechte  Hemisphäre  von  der  inneren  Fläche ;    die  aus  dem  oberen    Rande  des    Thalamus 
austretenden  Fasern  der  Corona  radiata  durch  Wegnahme  des  C.  striatum  bis  zur  Fase- 
rung des  C.  callos.  und  jenseits  derselben  weiter  zu    den  Randvvülsten    verfolgt.       Coa 
Commiss.   ant.      Tto  Taenia  thal.   opt.      Tho  Thal.   opt. 


gleich  divergirend  vor  - ,    rück  -    und  aufwärts ,   belegen  sich  an   ihren   peri- 
pherischen Enden  mit  einer   continuirlichen   Schichte   grauer  Substanz    und 


)  Radiatio  medullär is  cerehri  Arnold.     Radlatlo  centj^alls.     Markstrahlung. 


Gehirn. 


131 


stellen  so  die  Randwülste  des  Grosshirns  dar.  Die  anderen  kehren,  nach- 
dem sie  die  ersteren  eine  Strecke  aufwärts  begleitet  haben,  in  horizontalen 
Ebenen  zur  Mittellinie  um  und  verschränken  sich  oder  verschmelzen  mit  den 
gleichnamigen  Fasern  der  anderen  Hirnhälfte  (Fig.  73).  Die  letzteren  wer- 
den so  zur  Vorderwaud  und  Decke  eines  Raumes,  den  sie  zuvor  in   Verbin-  corpus 


callosum. 


Fig.  73. 


Frontalschnitt  des  Gehirns  vor  der  Austrittsstelle  des  Trigeminus.  Hinterer  Abschnitt. 
Ccl^  Corp.  call.  Fx  Fornix.  VI  Ventric.  lateralis.  VI"  Unteres  Hörn  desselben. 
Cs  Corp.  striat.  Tho  Thalamus.  Vt  Ventriculus  tertius.  In  Insel.  SAl  Sulcus 
Monroi.  Cgi  Corpus  genicul.  laterale.  Hp  Hippocampus.  B  Basis.  Ccp  Crus  cere- 
belli  ad  pont.     Ntg  Nucleus  tegmenti.     Sn  Substantia   nigra.      T  Tegmentum. 


dung  mit  den  ersteren  seitlich  begrenzt  haben.  Der  vollständige  Abschluss 
dieses  Raumes  wird  erzielt  durch  die  Vereinigung  des  aus  Querfasern  gebildeten 
Theils  der  Vorderwand  mit  dem  ihm  entgegen  aufsteigenden  vorderen  Ende 
der  Bodencommissur ,  der  Lamina  cinerea  terminalis  (Fig.  74).  Wie  zur 
Befestigung  dieser  Verbindiing  aufgelegte  Leisten  gehen  die  Pedunculi  cor- 
poris callosi  (Fig.  34.  84)  nebeneinander  von  der  Lamina  terminalis  auf  den 
querfaserigen  Theil  der  Vorderwand  und  Decke  über  und  an  der  Ober- 
fläche der  letzteren  rückwärts.  Das  querfaserige  Gebilde,  welchem  die 
Bedeutung    einer    weissen    Commissur    ziikommt,    ist    der    mehrerwähnte 


132 


Gehirn. 


Cci 


Balken,   Corpus  Callosum  (Fig.  73.  74.  75)'),  und  zwar  lieisst  der  schräg 
vorwärts    aufsteigende  Theil  desselben,   der    an   der  Lamina   terminalis   mit 

Fiff.   74. 


Vma 


Medianschnitt  des  Gehirns.  Ftp  Fissuxa  transv.  post.  Vq  Ventriculus  quartus.  Mo  MeduUa 
oblong.  /"Brücke.  Cca  C.  candicans.  TTegnientum.  i?  Hypophyse.  //' Chiasma  der  Nn. 
opt.  // N.  opticus.  Lct  Lamina  cinerea  termin.  Coa  Commissura  ant.  Cba  Commissura 
baseos  alba.  /'i/Foraraen  Monroi.  ^S^  Sept.  lucid.  ComCommiss.  media.  jS'il/ Sulcus  Monroi. 
Cop  Commiss.  post.  Cn  Conarium.  Lq  Lamina  corp.  quadrig.  A  Aquaeduct.  Tta  Fis- 
sura  transv.  ant.       Vma  Velum  med.   ant.       Cbl  Cerebellum. 


einem  scharfen  Rand  beginnt  und  aufwärts  an  Mächtigkeit  zunimmt, 
Schnabel  des  Balkens,  Rostrum  (Ccl^),  die  Umbeugungsstelle  selbst  heisst 
Knie,  Genu(Ccl^),  der  horizontale  Theil  Körper  (Ccl^)^),  dessen  hin- 
terer, etwas  verdickter  oder  abwärts  umgerollter  Rand,  welcher  die  grosse 
quere  Hirnspalte  von  oben  her  begrenzt,  Wulst,  SpJenrmn  (Ccl*)^).  Die 
Fortsetzungen  der  Pedunculi  corporis  callosi  auf  den  Balken,  zwei  dicht 
neben  der  Mittellinie  verlaufende,  öfters  geflechtartig  verbundene  platte, 
schmale  Stränge  werden  unter  dem  Namen  der  medialen  Längsstrei- 
fen, Striae  longitudinales  mediales^)  aufgeführt  (Fig.  75). 


■*)  Commissura  cerebri  magna  s.  maxima.  Trabs  cerebri.  Hirnschwiele.  ^)  Medium 
corporis  callosi.  ^)  Aufgesetzter  Wulst.  *)  Striae  longit.  internae  s.  liberae.  Tractus 
longitudinales.  Unter  Raphe  {Raphe  ext.  s.  sutura  ext.  Chorda  longitudin.  Langen  back) 
versteht  man  die  Gesammtheit  dieser  Streifen. 


Gehirn, 


133 


Die  Fasern ,  welche  die  Seitenwand  oder,  wie  ich  es  aufzufassen  vorzog, 
den  erhöhten  Theil  des  Bodens  des  blinddarmförmigen  Ventrikels  zu  beiden 

Seiten    der    Bodencom- 


Fig.  75. 


Slm 


Ccl 


Grosshivn ,    von    oben.     Die  Hemisphären    auf   das    Niveau 
des  Balkens  abgetragen.      Lt  Lig.  tectum. 


missur  bilden  helfen, 
sind  nur  an  ihrer  unte- 
ren Fläche  frei  und  ord- 
nen sich ,  wie  ebenfalls 
schon  früher  angegeben 
wurde,  dergestalt,  dass 
die  Basen  der  Gross- 
hirnschenkel divergi- 
rend  vor  -  und  seit- 
wärts ,  die  Tegmente 
einander  parallel  gerade 
vorwärts  ziehen.  Die 
letzteren  werden,  ehe  sie 
sich  trennen,  eine  Stre- 
cke weit  durch  ein 
schmales ,  aufwärts  zu- 
geschärftes Septum 
grauer  Substanz  geschie- 
den ,  welches  einerseits 
mit  der  Bodencommis- 
sur,  andererseits  mit  der 
Substantia  nigra  der 
Hirn  Schenkel  zusam- 
menhängt (Fig.  73).  Ge-- 
gen  die  Höhle  des  Gross- 
hirns werden  die  Basen 
ganz,  die  Tegmente  zum 
grossen  Theil  verdeckt 
durch  die  in  Form  keu- 


lenförmiger Wülste  in  den  Ventrikel  vorspiingenden  Grosshirnganglien,  den 
Thalamus  {opticus)'^)  Sehhügel,  und  den  Streifenhügel,  C,  Stria- 
tum^).  Diese  sind  mit  dem  dicken  Ende  vorwärts  gerichtet  und  so  in  ein- 
ander gefügt,  dass  die  mediale  Concavität  des  vorderen  Wulstes  das  dicke 
vordere  Ende  des  hinteren  Wulstes  aufnimmt  (Fig.  78).  Der  Streifenhügel 
hat  eine  rein  graue  Farbe,  der  Thalamus  ist  an  seiner  oberen  Fläche  mit 
einer  Schichte  weisser  Substanz  belegt  und  nähert  sich  daher  in  seiner 
Farbe  dem  Nervenmark  noch  mehr,  als  die  Vierhügel. 

Denkt   man  sich   den  Thalamus   vom    Grosshirnschenkel   abgelöst  oder  Thalamus, 
schält  man  wirklich  die  über   den   Grosshirnschenkel  vorragende  Masse    ab, 
in  welcher  freilich  Markfasern  des  Tegmentum   und   Elemente   grauer  Sub- 
stanz unzertrennlich  gemischt  sind ,  so  erhält  man  ein,  wie  gesagt ,   keulen- 
förmiges  Gebilde,    welches    so   um  den   Grosshirnschenkel   geschlungen   ist. 


^)   Thalamus  s.   colliculus  n.   optici, 
cerebrale  anterius. 


Couche   opiique.     ^)  Eminentia    striata.       Ganglion 


134 


Gehirn. 


dass  es  mit  dem  dicken  vorderen  Ende  über  der  Bodencommissur  an  der 
medialen  Fläche  des  Tegmentum  beginnt,  mit  seiner  Längsaxe  diagonal 
seit-rückwärts  zieht,    an  der  hinteren  Fläche  der  Basis  des   Grosshirnscheu- 


Fig.  76. 


Ccl 


Coa 


Tto 


Stück  der  rechten  Grosshirnhemisphäre  mittelst  eines  Medianschnitts  und  eines  Frontal- 
schnitts durch  den  vorderen  Vierhügel  abgetrennt,  von  der  medialen  Fläche,  mit  der 
vorderen  Spitze  geneigt  und  um  die  verticale  Axe  rechts  gedreht.  Der  Thalamus  opti- 
cus mit  dem  gleichnamigen  Ti'actus  und  Nerven  ist  vom  Grosshirnschenkel  abgetrennt 
und  zurückgeschoben ,  'f  f  bezeichnen  die  einander  entsprechenden  Trennungsflächen. 
Coa  Commiss.  ant.  Querschnitt.  Cel  C.  callos.  desgl.  Cs  Corpus  striat.  Cop  Com- 
miss.  post.  Querschnitt.  St  Stria  terminalis.  T  Tegment.  Cgi,  Cgm  Corp.  genic.  la- 
terale und  mediale.  B  Basis.  ///  N.  ocuiomotor.  Cca  Corp.  candicans.  Cf  Columna 
fornicis.  Tto  Taenia  thalami  opt.  Cgi  Corp.  genic.  laterale.  *  bezeichnet  die  Stelle,  wo 
der  Tract.  opt.  vom  medialen  C.  geiiicul.  abgelöst  ist. 

kels  sich  rasch  verjüngt  und  dann  an  der  unteren  Fläche  derselben  etwa 
8  Mm.  vor  dem  vorderen  Band  der  Brücke  in  den  platten  Tractus  opticus 
übergeht  (Fig.  76),  Der  Tractus  opt.  verläuft  an  der  unteren  Fläche  des  Gross- 
hirnschenkels medianwärts,  dem  Wulst  dei-  oberen  Fläche  gerade  gegenüber 
und  fast  genau  parallel;  das  Chiasma,  in  welchem  die  Tractus  optici  beider 
Seiten  zusammenstossen,  liegt  der  Stirne  um  Weniges  näher,  als  die  vor- 
dere Spitze  des  Thalamus. 

Das  mediale  kolbige  Ende  des  Thalamus  ist  gegen  das  an  seiner  me- 
dialen Fläche  mit  einer  grauen  Schichte ')  bekleidete  Tegmentum  durch 
eine  wenig  auffallende  Furche,  Sulcus  JKonroi  Beichert,  abgesetzt,  welche 
an  der  Seitenwand  des  Ventrikels  in  sagittaler  Eichtung  verläuft  (Fig.  73.  74). 
Sie  beginnt  vor  der  Mündung  des  Aquäducts  3  bis  4  Mm.  über  dem  Boden 
des  Ventrikels  und  geht  vorn  im  Bogen  über  in  den  lateralen  Rand  des 
Thalamus,  der  an  den  medialen  Rand  des  Streifenhügels  oder  vielmehr  an 
eine  zwischen  Thalamiis  und  Streifenhügel  eingeschobene  schmale  Mark- 
leiste ,     die    Stria    terminalis ,     stösst ,     deren    nähere    Beschreibung    folgt. 


'■)  Masse  grise  du  3.  ventricule  Cruv. 


Gehirn. 


135 


Die  vordere  Spitze  des  Thalamus  ist  demnach  abgerundet  und  gewölbt, 
16  Mm.  breit;  an  derselben  beginnt  die  Taenia  des  Thalamus,  die,  indem 
sie,  allmälig  schärfer  vorspringend  bis  auf  die  Stiele  des  Conarium  zieht 
(S.  128),  die  Oberfläche  des  Thalamus  in  eine  horizontale  und  verticale  Re- 
gion scheidet.  Die  verticalen  Flächen  beider  Thalami  bilden  über  den  ein- 
ander zugewandten  Flächen  der  beiden  Tegmente,  mit  denen  sie  in  Einer 
Flucht  liegen,  die  Seitenwände  eines  engen,  spaltförmigen  Thals,  des  drit- 
ten Ventrikels,  Ventric.  tertius  (Fig.  73),  dessen  Boden  sich  entsprechend 
der  Wölbung  an  der  äusseren  Fläche  der  Hirnbasis  erst  von  der  Mündung  des 
Aquäducts  bis  zum  Stiel  der  Hypophyse  massig  steil  absenkt,  dann  steiler  wie- 
der erhebt  (Fig.  74).  Diesem  Thal  gegenüber  stellt  die  horizontale  oder  obere 
Fläche  des  Thalamus  eine  von  vorn  nach  hinten,  wie  von  einer  Seite  zur  an- 
deren gewölbte  Hochebene  dar.  lieber  dieselbe  verläuft  der  Längsaxe  des 
Wulstes  parallel  eine  flache  Furche,  der  Abdruck  des  auf  dem  Thalamus  ruhen- 

Fig.  77. 


Ccb 


Stück  der  rechten  Hemisphäre,  auf  die  vordere  Spitze  gestellt,  untere  Fläche.  Ccb 
Grosshirnschenkel.  Bcp,  Bca  Brach,  conjunct.  post.  und  ant.  L  Lemniscus.  Ccq 
Crus  cerebelli  ad  c.  quadrig.  Cq"^,  Cq^  Hinterer,  vorderer  Vierhügel.  Pv  Pulvinar. 
Cgm,  Cgi  C.  geniculat.  mediale  und  laterale.  St  Stria  terminalis.  Spa  Subst.  per- 
for.  ant.     Il'  Tract.  opticus.      Co  Chiasma  opt.     f  Trennungsfläche  der  vorderen  Spitze^ 

des  unteren  Lappens. 


den  Plexus  choroideus  (Fig.  78).    Lateralwärts  von  derselben  macht  sich  in  der 
Nähe  des  vorderen  Randes  ein  platter  elliptischer,  mit  dem  längeren  Durchmes- 


136 


Gehirn. 


Corpp.  geni- 
culata. 


Corpus 
striatum. 


Stria  termi- 
nalis. 


ser  parallel  der  Längsaxe  des  Wulstes  gestellter  Höcker,  Tubere  Sup.  i),bemerk- 
lich  (Fig.  78);  der  hintere  Theil  des  Wulstes  überragt  rait  einem  platten  abge- 
rundeten Vorsprung  des  medialen  Randes,  Pulvinar  2) ,  den  Seitenrand  der 
Yierbügel.  Verfolgt  man  sodann ,  indem  man  die  Randwülste  der  Hemi- 
sphären zur  Seite  schiebt,  das  Pulvinar  auf  die  hintere  und  untere  Fläche 
des  Grosshirnschenkels,  so  sieht  man  dasselbe  sich  zuspitzen,  dann  zu  einem 
spindelförmigen  Höckerchen  von  8  Mm.  Länge ,  dem  Corpus  geniculatum 
laterale  ^),  anschwellen,  dessen  entgegengesetzte  Spitze  in  einem  platten 
Markstreifen  sich  fortsetzt.  Dieser  Markstreifen  ist  die  Eine  Wurzel  des 
Tract.  opticus;  mit  ihr  vereinigt  sich  alsbald  unter  einem  spitzen  Winkel 
die  andere,  die  aus  dem  Corpus  geniculatum  'Iflediale'^)  stammt,  einem 
nach  Grösse  und  Form  dem.  lateralen  C.  genicul.  ähnlichen,  in  der  Rich- 
tung des  Faserverlaufs  des  Tract.  opticus  verlängerten,  zwischen  Pulvinar, 
Bindearmen  und  Grosshirnschenkel  eingeschalteten  grauen  Knötchen ,  wel- 
ches ebensowohl  als  Anhang  des  Thalamus  wie  als  Verbindungsglied  zwi- 
schen Vierhügel  und  N.  opticus  angesehen  werden  kann  (Fig.  76.  77). 

Der  Streifenhügel  liegt  mit  seinem  vor-  und  medianwärts  abgerunde- 
ten und  gleichmässig  gewölbten  Körper  vor  dem  Thalamus  (Fig.  78),  etwas  wei- 
ter als  dieser  von  der  Medianebene  entfernt.  Sein  lateraler  gerader  Rand, 
der  mit  der  Decke  des  Ventrikels  in  einem  spitzen  Winkel  zusammenstösst, 
und  sein  längs  dem  Thalamus  verlatifender  und  demselben  entsprechender 
concaver  Rand  schliessen  eine  schwach  gewölbte  und  gegen  den  Thalamus 
abhängige  obere  Fläche  ein ,  welche  sich  von  vorn  nach  hinten  allmälig 
verjüngt  und  zuletzt,  dem  Pulvinar  gegenüber,  zugespitzt  verliert  ■'). 

Ich  komme  auf  die  Stria  terminalis^)  zurück,  den  nach  beiden  Seiten 
durch  eine  lineare  Furche  abgesetzten  Streifen  weisser  Siibstanz,  welcher 
zwischen  Thalamus  und  Streifenhügel  eingeschoben  ist ,  als  ob  er  eine  zwi- 
schen diesen  beiden  Ganglien  verlaufende  Rinne  überbrückte  (Fig.  76.  77.  78). 
Er  ist  2  bis  4  Mm.  breit,  zuweilen  hier  vind  da  eingeschnürt,  platt  oder 
gewölbt,  glatt  oder  längsfaltig,  weiss  oder  röthlich  ins  Bräunliche ,  Alles 
Unterschiede,  welche  von  dem  grösseren  oder  geringeren  Blutgehalt  einer 
Vene  abhängen,  die  unter  dem  Streifen  hinzieht  und  ihn  in  der  Nähe  seines 
vorderen  Endes  durchbricht,  um  sich  mit  den  Venen  des  Plexus  choroideus 
zu  verbinden.  Vorn  reicht  die  Stria  terminalis  bis  zum  Boden  des  Ven- 
trikels und  hier  hängt  sie  durch  ein  feines  häutiges  Fältchen  mit  dem 
Markstrang  (Schenkel  des  Fornix)  zusammen,  der  den  hinteren  Rand  der 
Scheidewand  der  Ventrikel  bildet  (Fig.  84  *).  Mit  ihrem  hinteren  Ende 
erstreckt  sich  die  Stria  terminalis  längs  dem  Rande  des  Thalamus  bis  zur 
Gegend  des  lateralen  Corpus  geniculat.  (Fig.   77). 

Die  Thalami  beider  Seiten   verbindet  mit   einander  eine   frei   im    drit- 


^)  Tubere.  superius  anterlus.  ^)  Tubercidum  posterius,  Polster.  ^)  Tuherc.  post. 
■Inf.  s.  lat.  äusserer  geknickter  oder  knieförmiger  Körper.  Opticuskern  des  Thalamus  J. 
Wagner  (üeber  den  Ursprung  der  Sehnervenfasern.  Dorp.  1862).  *)  Tubere.  post.  me- 
dium. 5)  Cauda  corporis  siriati.  ^)  Taenia  striata  s.  semicircularis.  Centrum  geminum 
semicirculare  ,  Hornstreif,  Grenzstreif.  Den  Namen  Stria  terminalis  s.  Cornea  {Lamina  Cor- 
nea) beschränken  manche  Autoren  auf  den  medialen,  von  der  Vene  unterminirten  Rand  des 
Streifens. 


Gehirn. 


137 


ten 
sich 


Ventrikel 
vor  den 


ausgespannte,   quere  Commissur,   Comm4ssura  Titedia '^),    die  Commissura 

•  •  ITT    •    T  1      -j.  J    media. 

übrigen  Commissiiren   des  Gehirns  durch  ihre  Weichheit  und 


Fig.  78. 


Grosshirnganglien,  von  oben.  Das  Corpus  callosum  vom 
Knie  [Ccl^)  an  und  die  Hemisphären  im  Niveau  des  C. 
callos.  abgetragen.  Cs  C.  striat.  Vsl  Ventric.  septi  lu- 
cidi.  C'f  Crura  ibrnicis.  Com,  Cop  Commiss.  media  und 
post.  Tto  Taenia  thalami  opt.  Tho  Thal.  opt. 
Pen  Pedunc.   conarii. 


Vicq    d'Azyr,     Wenzel  und    Meckel    (Anat.    III,  511) 


graue  Farbe  auszeichnet. 
Sie  liegt  ungefähr  in  der 
Mitte  der  Länge  der  ver- 
ticalen  Wand  des  Thala- 
mus (Fig.  78),  dicht  über 
der  Furche,  welche  ich 
als  Grenze  des  Thalamus 
gegen  das  Tegmentum 
bezeichnete,  hat  die  Ge- 
stalt eines  stumpfwink- 
lig dreiseitigen,  mit  dem 
stumpfen  Winkel  ab- 
wärts gerichteten  Pris- 
ma, 7  Mm.  im  sagitta- 
len,  4  bis  5  Mm.  im  ver- 
ticalen  Durchmesser. 
Ihre  Länge ,  entspre- 
chend der  Breite  des 
Ventrikels ,  ist  gering, 
öfters  so  gering,  dass 
sie  die  beiden  Thalami 
unmittelbar  aneinander 
zu  heften  scheint.  Im 
frischen  Zustande  zer- 
reisst  sie,  wenn  die  Tha- 
lami sich  etwas  ausein- 
ander begeben  und  dann 
kann  jede  Spur  dersel- 
ben verloren  gehen. 

Die  Angaben  über  an- 
geborenen Mangel  der  mitt- 
leren Commissur  (nach 
Wenzel  unter  66  Fällen 
10  Mal)  sind  deshalb  mit 
Misstrauen  aufzunehmen ; 
Meckel  constatirte  den- 
selben nur  3  Mal.  Verdop- 
pelung, so  dass  zwei  mitt- 
lere Conimissuren  über  ein- 
ander lagen,  beobachteten 


Der    Raum,     den     die     grossen    Hirnganglien    nebst    der    Bodencom-  Ventrikel. 
missur  und  dem   Balken  umschliessen ,   hat    im    frontalen    Durchschnitt  die 
Form  eines  T  oder    T   mit  je   nach    den    Regionen    wechselndem    Verhält- 


Comm.  molUs. 


138 


GeMrn. 


niss  des  verticalen  Sclienkels  zu  den  horizontalen.     Der  verticale   Schenkel 
ist   der    längere   im   Bereich    der   Thalami ,     wo    er   aber    auf    eine   kurze 

Fig.  79. 


Frontalschnitt  des  Gehirns  hinter  den  Corpp.  candicantia  (Cca).  Hintere  Fläche  des 
vorderen  Abschnitts.  Ccl^  C.  callos.  Fx  Fornix.  Ts  Tuberc.  sup.  des  Thalamus. 
VI  Ventric.  lateralis.  VI"  Unteres  Hörn  desselben,  Cs  C.  striatum.  Com  Commiss. 
media.  Rdf  Radix  descend.  des  Forni.x.  Nl  Nucleus  lentiformis.  Cls  Claustrum. 
Vt  Ventric.  tertius.  In  Insel.  Hp  Hippocampus.  Cgi  C.  geniculat.  laterale. 
Co  Chiasma  öpt.  Ph  Pedunculus  hypophys.  Tc  Tuber  einer.  "  Markplättchen,  welches 
die  Spitze  des  Hippocampus  anheftet. 


Strecke  durch  die  mittlere  Commissur  unterbrochen  wird  (Fig.  79).  Die 
grösste  Länge  erreicht  er  in  der  Gegend  des  Infundibulum ,  doch  ver- 
läuft die  Axe  dieser  Verlängerung  des  dritten  Ventrikels  schräg  mit  dem 
unteren  Ende  vorwärts  geneigt,  so  dass  der  tiefste  Punkt  derselben  in  ver- 
ticaler  Richtung  vor  die  vordere  Spitze  der  Thalami  fällt.  Zwischen  den 
Streifenhügeln  wird  der  verticale  Schenkel  der  Höhle  kürzer  und  breiter, 
so  dass  sie  im  Ganzen  mehr  einem  Dreieck  mit  abwärts  gerichtetem,  abge- 
rundetem stumpfen  "Winkel  gleicht  (Fig.  80).  Hier  aber  beginnt  die  Thei- 
lung  der  Höhle  durch  die  mediane  Scheidewand ,  welche ,  anfänglich  dünn, 
nach  vorn  allmälig  an  Breite  zunimmt,  zuletzt  mit  Boden  und  Decke  in 
untrennbarem  Zusammenhang  steht  und  im  Frontal-  und  Horizontalschnitt 
als  eine  compacte  Markmasse  erscheint,  zu  deren  beiden  Seiten  der  Ventri- 
kel in  Form  einer  schrägen,  mit  dem  unteren  Ende  medianwärts  gestellten 
Spalte  blind  endet  (Fig.  81). 


Gehirn. 


139 


Die  eben  erwähnte  Markmasse  gehört  dem  Balken  an,  und  zwar  dem  Knie, 
dessen  Fasern  die   vordere   Spitze  oder   das    sogenannte   vordere   Hörn   des 


V     ^ 


Frontalschnitt  des  Gehirns  durch  das  Chiasma  opt.   (Co).     Hintere  Fläche  des  vorderen 

Abschnitts.      C cl^  C.  callos.      Sl  Sept.  lucidum.      Cs    C.    striat.      VV    Vorderes    Hörn 

des  Ventric.  lateralis.        Cf   Columna  fornicis.       Isil    Nucleus  lentif.        Cls    Claustruni. 

Coa  Commissura  ant.      Spa  Subst.  perfor.  anat.    // N.  opt.     Vt  Ventric.  tertius. 

Fiff.  81. 


Ccl-^ 


Frontalschnitt  des  Grosshirns  durch  die  vorderen  Spitzen  der  Seitenventrikel.      C cl"^  Knie 
des  C.  call.      VV  Ventric.  lateralis. 


140 


Gehirn. 


Ventrikels  umgreifend,  in  rückwärts  convexen  Bogen  durch  die  MittelKnie 
verlaufen.  So  drängen  sie  sich  zwischen  die  Streifenhügel  ein,  und  stellen 
den  vordersten  Theil  der  Scheidewand  dar,  die  den  von  den  Streifenhügeln 
begrenzten  Raum  des  blindsackförmigen  Ventrikels  in  zwei  symmetrische 
Seitenhälften  trennt.  Die  an  den  Balken  sich  anschliessende  Platte,  die  ins- 
Sept.  lucid.  besondere  den  Namen  Scheidewand,  Septum  lucidwn,  iührt,]iat  eine  dreisei- 
tige Form  (Fig.  74) ;  sie  ist  wie  in  einen  Rahmen ,  in  die  Concavität  des 
Balkenknies  eingespannt,  indem  sie  mit  dem  unteren  Rande  von  dem  Boden 
des  Ventrikels  auf  die  obere  Fläche  des  Schnabels  des  Balkens  übergeht, 
mit  dem  oberen  Rande  an  die  untere  Fläche  des  Körpers  des  letzteren 
stösst  und  mit  dem  hinteren  freien,  concaven  Rande  die  vorderen  kolbigen 
Enden  und  weiterhin  den  Abhang  der  oberen  Flächen  der  Thalami  berührt. 
Wären  die  Krümmungen  dieses  Randes  der  Scheidewand  und  der  Thalami 
genau  concentrisch ,  so  wäre  damit  der  dritte  Ventrikel  von  dem  Seiten- 
ventrikel, d.  h.  von  dem  Raum,  dessen  Boden  die  oberen  Flächen  der  Tha- 
lami und  die  Streifenhügel  bilden ,  völlig  abgeschlossen.  Nun  aber  ent- 
spricht die  Concavität  des  unteren  Theils  des  freien  Randes  der  Scheide- 
wand einem  kleineren  Radius,  als  die  ihr  gegenüberliegende  Convexität  der 
Thalami  und  so  bleibt  zwischen   Scheidewand   und   Thalami  jederseits    eine 

/halbmondförmige  Spalte,  Foramen  JKonroi  (Fig.  74),  durch  welche  der 
dritte  Ventrikel  mit  den  Seitenventrikeln  communicirt  und  die  Plexus 
choroidei  des  Einen  und  der  anderen  zusammenhängen. 

Die  Scheidewand  ist  ein  complicirtes  Gebilde,  welches  nur  mit  Rück- 
sicht auf  die  Stellung,  die  sie  einnimmt,  unpaarig  genannt  werden  kann. 
In  der  That  ist  sie  aus  zwei  symmetrischen  Platten  zusammengesetzt,  wel- 
che einen  mehr  oder  minder  geräumigen,  bald  gleichmässig  spaltförmigen, 
bald  nach  vorn  und  oben  sich  erweiternden  Hohlraum,  den  Ventricuhis  Septi 
lucidi '),  zwischen  sich  fassen  (Fig.  78. 80. 84).  Doch  sind  beide  Platten  an  ihrem 
hinteren  und  unteren  Rande  eine  Strecke  weit  und  ausnahmsweise  sogar  bis 
in  die  Nähe  ihrer  oberen  Anheftung  zu  einer  einzigen  verschmolzen.  Jede 
Platte  besteht  aus  zwei  Theilen,  aus  einem  cylindrischen  nervenähnlichen,  im 
erhärteten  Zustande  längsfaserigen  Strang  von  2,5  Mm.  Durchmesser ,  der 
den  Rand  bildet,  und  aus  der  eigentlichen  Lamina  septi  lucidi,  welche  dünner 
ist  als  jener  Strang  und  nach  aussen  von  demselben  überragt  wird.  Der 
cylindrische  Strang,  die  Säule  des  Fornix,  Cölumna  fornicis^),  tritt  ge- 
rade über  dem  Infundibulum ,  etwas  hinter  der  vorderen  Spitze  des  Thala- 
mus aus  dem  Tegmentum  hervor,  und  beschreibt,  indem  sie  im  Bogen 
erst  vor  und  dann  rückwärts  aufsteigt  (Fig.  82),  fast  einen  Halbkreis,  des- 
sen Durchmesser  vertical  oder  richtiger  in  einer  frontalen  Ebene  mit  dem 
oberen  Ende  leicht  medianwärts  geneigt  steht,  da  die  Säulen  beider  Seiten 
sich  aufwärts  einander  nähern  und  ungefähr  in  der  Mitte  ihrer  Höhe  zusam- 
menstossen  (Fig.  80).  Die  Spalte  zwischen  den  unteren  convergirenden  Thei- 
len der  Säulen  verschliesst  ein  vor  denselben  vorüberziehender  Querwulst,  die 
erwähnte  vorder  eCommissur,  Commissura  Cl'nt.{Fig.83);  es  ist  ein  cylin- 
drischer  Strang  weisser  Fasern  von  etwa  4  Mm.  Durchmesser,  der,  wie  Frontal- 


Columna 
fornicis. 


C'ominiss, 
ant. 


■')    Camera   s.   sinus    septi  lucidi  s.  pellucidi.     Ventriculus  quintus.     Incisura    sejyii  Bur 
dach.      ^)    Columella.      Grus  fornicis  ant. 


Gehirn. 


141 


schnitte  lehren,  in  einer  fast  genau  frontalen  Ebene   nur  an  beiden   Enden 
rückwärts  abweichend  und  aufwärts  schwach  convex  durch  beide  Hemisphä- 


Crl2 


Fiff.  82. 


Cf  Tho 


Cell 


Ccl* 


Medianschnitt  des  Gehirns,  die  Lamina  septi  lucidi  entfernt.      Ccl^  Schnabel, 
Ccl^  Knie,    Ccl^  Splenium  des  Balkens.      Cs  C.  striat.      Tho  Thalarrius. 


Fig.   83. 


CclS         Fx 


Frontalschnitt  des  Grosshirns  durch  den  Tract.   opt.      Vordere  Schnitthälfte.      Ccl^  Kör- 
per des  C.  callosum.  Fx  Fornix.    VI  Ventric.  lateralis.      Cs  Corp.  striat.    Tho  Thalamus 
opt.       Vt   Ventr.  tertius.      s  Lob.  sup.      i  Lob.  inf.      [n  Insula.       Co  Chiasma   opt. 


ren  sich  erstreckt  (Fig.  80)  und   sich  leicht  aus  der  Substanz    derselben  aus- 
schälen lässt. 


142 


Gehirn. 


IJaininae 
septi   lucidi. 


Von  der  ganzen  Länge  der  weissen  Bodencommissur,  von  den  Streifen- 
hügeln zn  beiden  Seiten  der  vorderen  Commissitr  und  vom  convexen  Rande 
der  Säulen  des  Fornix  erhebt  sich  der  mediane  Wall  grauer  Substanz ,  der 
sich  aufwärts  in  die  beiden  eigentlichen  Laminae  Septi  lucidi  spaltet 
(Fig.  84.)  Diese  haben  eine  von  vorn  nach  hinten  abnehmende  Höhe,  bis 
sie  in  dem  Winkel,  den  die  Säulen  des  Fornix  durch  ihre  Vereinigung  mit 


Fig.  84. 


Cc]3 


Frontalschnitt  des  Grosshirns  durch  das  Tuber  olfact.  Hintere  Fläche  des  vorderen  Abschnitts. 
Ccl^   C.  callos.       Vsl   Ventric.    septi   lucidi.       VI'  Vorderes  Hörn  des  Ventric.  latera- 
lis.     Cs  C-  striat.      Cba   Comniiss.   baseos    alba.     Nl    Nucleus   lentiformis.      Cls  Clau^ 
strum.      Pcc   Pedunc.  corp.   callosi.      /  N.  olfact.      *  s.  S.   136. 


dem  Balken  bilden ,  in  eine  feine  Spitze  auslaufen ;  ihre  Mächtigkeit  ist 
individuell  verschieden,  zwischen  0,5  imd  2,5  Mm.;  sie  bestehen  aus  weis- 
ser Substanz  mit  einem  dünnen  grauen  Beleg  an  beiden  Flächen. 

Die  Säulen  des  Fornix  mit  der  vorderen  Commissur  machen  oberhalb 
der  Lamina  terminalis  cinerea  die  vordere  Wand  des  dritten  Ventrikels 
aus ;  durch  sie  und  die  auf  ihnen  ruhende  ungetheilte  Partie  der  Scheide- 
wand wird  der  Ventrikel  vollkommen  abgeschlossen  i). 


')  Ueber  diesen  Punkt,  ob  zwischen  den  Säulen  des  Fornix  eine  Communication  des 
dritten  Ventrikels  mit  dem  Ventrikel  der  Scheidewand  stattfinde  oder  nicht ,  sind  die 
Anatomen  getheilter  Meinung.     Nach  Tarin    besteht  sie  in  einzelnen  Fällen,    nach  Tiede- 


Gehirn. 


143 


Bevor  ich  die  Säulen  des  Fornix  weiter  auf  ihrem  Wege  nach  hinten  Wurzeln 
an  der  unteren  Fläche  des  Balkens  verfolge,  habe  ich  ihres  Ursprungs  aus 
dem  Boden  des  "Grosshirns  zu  gedenken ,  der  sich  auf  Durchschnitten  ohne 
Mühe  ermitteln  lässt.  Von  der  Stelle  aus,  die  man  am  unversehrten  Ge- 
hirn als  ihren  Ursprung  ansehen  muss,  setzen  sie  sich  in  Form  eines  com- 
pacten weissen  Faserzugs  durch  die  graue  Substanz  des  Tegmentum  ab- 
und  rückwärts  bis  zu  den  Corpp.  candicantia  ihrer  Seite  fort.  Das  C. 
candicans  selbst  aber  erweist  sich  als  eine  enge  Schleife,  gebildet  durch 
die  Umdrehung,  die  der  Faserzug  an  der  unteren  freien  Fläche  des  Gehirns 
macht  (Fig.  85),  um  alsbald  und  zwar  an  der  medialen  Seite  des  absteigen- 


Fiff.  85. 


C  1,-14 


Raf 


Oca 


Hinterer  Theil  der  rechten  Hemisphäre,  von  innen.  Die  Ausstrahlung  der  Fasern  des 
Splenium  {Cd*)  in  den  hinteren  Lappen  und  die  Faserung  des  unteren  Lappens  an 
Bruchflächen  (des  erhärteten  Präparats)  dargestellt.  Fcp  Forceps.  Fli  Fase,  longitud. 
inf.  jTäo  Thalamus.  Tap  T-d^etum.  J5  Basis.  Cca  Corpus  candic.  //'  Tract.  opt. 
im   Querschnitt.     Raf,  Ä  c// Radix^adscendens  und  descendens  des  Forni.v. 


mann  (Anat.  und  Bildungsgeschichte  des  Gehirns  S.  169)  ist  sie  regelmässig  beim  Embryo 
vorhanden;  beim  Erwachsenen  erklären  sich  Wenzel,  Foville  u.  A.  für  die  Beständig- 
keit derselben.  Ich  habe  die  beiden  Ventrikel  stets  durch  eine  Substanzlage  von  etwa  5  Mm. 
Mächtigkeit  von  einander  geschieden  gesehen. 


144 


Gehirn. 


Körper  d. 
Fornix. 


den  Strangs  durch  Tegmentum  und  Thalamus  wieder  in  einem  flachen  Bo- 
gen emporzusteigen,  bis  er  sich  unter  dem  Tuberculum  anterius  des  Tha- 
lamus pinselförmig  ausstrahlend  verliert  (Fig.  79).  Dies  Tuberculum 
ist  demnach  die  eigentliche  Ursprungsstätte  der  Säulen  des  Fornix  und  des- 
halb wird  der  Strang,  der  von  demselben  aus  abwärts  zum  C.  geniculatum 
zieht,  absteigende  Wurzel,  Radix  descendens  fornicis ,  der  andere 
Schenkel  des  C.  geniculatum  aufsteigende  Wurzel,  Hadix  Cldscendens 
fornicis,  genannt. 

Ich  sagte ,  dass  die  Saiden  des  Fornix  ungefähr  in  der  Mitte  ihrer 
Höhe  zusammenstossen ,  sie  verschmelzen  an  dieser  Stelle  in  der  Regel  zu 
einem  Strang,  der  an  Stärke  den  beiden  Säulen  gleicht,  sonst  aber  durch 
nichts  oder  höchstens  durch  eine  seichte  Längsfurche  die  Zusammensetzung 
aus  zwei  symmetrischen  Hälften  verräth  (Fig.  78).  Wenn  sodann  dieser 
Strang,  der  Körper  des  Fornix,  sich  rückwärts  wendet  und  den  Balken  erreicht, 
nimmt  er  die  Form  eines  dreiseitigen  Prisma  an,  das  mit  seiner  oberen  Fläche 
an  die  untere  Fläche  des  Balkens  sich  anlegt,  während  seine  beiden  Seiten- 
flächen zu  einer  medianen  unteren  Kante  convergiren  (Fig.  79.  83)  und  nun 
deutet  auch  wieder  eine  Spalte,  welche  der  Länge  nach  über  die  Kante  ver- 
läuft und  von  ihr  aus  tief  eindringt,  die  Theilung  des  Fornix  in  zwei  paa- 
rige Hälften  an,  die  sich  weiter  nach  hinten  wirklich  auseinander  begeben. 

Nur  eine  kurze  Strecke  ist  die  obere  Fläche  des  Körpers  des  Fornix 
in    ihrer   ganzen    Breite   mit   der   unteren   Fläche   des  Balkens  verwachsen. 


Fig.  86. 


Crf 


Ccl2 


Linke  Hemisphäre,  von  innen,  uro  die  sagittale  Axe  aufwärts  gedreht.  Thalamu.s  aus- 
geschnitten. CcV^,  Ccl'^  Knie  und  Wulst  des  C.  callos.  Coa  Commiss.  ant.  Ls  La- 
mina  septi  luddi.  Cf  Columna  fornicis.  Gh  Gyrus  hipjiocampi.  Gh'  dessen  Haken, 
die  untere  Fläche  durch  die  Substantia  reticularis  ausgezeichnet.  Fd  Fascia  dentata. 
Fi  Fimbria.      f  N.   oltactorius. 


Gehirn. 


145 


Dann  löst  der  laterale  Rand  des  ersteren  sich  ab  und  während  der  Fornix- 
körper von  vorn  nach  hinten  beständig  an  Höhe  und  an  Breite  zunimmt 
und  jede  seiner  Hälften  sich  in  ein  plattes,  nach  beiden  Seiten  zugeschärf- 
tes Band  verwandelt,  schreitet  die  Trennung  desselben  vom  Balken  median- 
wärts  fort,  so  dass  die  Verbindung  des  Fornix  und  Balkens  zuletzt  auf  einen 
schmalen  medianen  Streifen  beschränkt  wird  (Fig.  86). 

Der  Körper  des  Fornix  bildet  die   Decke    des   dritten  Ventrikels,  ruht  Crura  ic 
auf  den    Thalami   und    ragt   mit   seiner   unteren    Kante,    soweit    eine  solche  '^^^^ 
vorhanden ,    zwischen    dieselben    hinab.     Vor  dem  Conarium  zerfällt  er ,    in- 
dem seine  beiden  Seitenhälften  unter  spitzem   Winkel   auseinander  weichen, 
in   die   sogenannten  Schenkel,    Crura  fornicis  (Fig.  87  i),    welche,    immer 
noch  mit   den   medialen  Rändern   an   der  unteren   Fläche   des  Balkens   be- 


Fiff.  87. 


Ccl3 


Frontalschnitt  des  Grosshirns,   hintere  Schnittfläche.      Thalamus  rechterseits  zum  Theil, 

linkerseits  vollständig  entfernt.      Ccl^,   Ccl'^  Körper,  Splenium  des  C.  callos.      Fi  Fim- 

bria.      Fd  Fascia  dentata.      Gf  Gyrus  fornicatus. 


festigt,  die  obere  Fläche  des  Thalamus  zix  bedecken  fortfahren  und  weiter- 
hin mit  der  Ausstrahlung  des  Balkens  der  Windung  des  Thalamus  um  den 
Grosshirnschenkel  folgen.  Das  dreiseitige  Feld  der  unteren  Fläche  des  Psaiterium. 
Balkenkörpers,  welches  von  den  divergirenden  Schenkeln  des  Fornix  und 
dem  Splenium  umfasst  wird  und  durch  eine  deutliche  transversale  Faserung 
ausgezeichnet  ist,  führt  den  Namen  JPsalterhiin  (Fig.  .86.  87  2). 


■')   Crura  j^osteriora  fornicis.      '^)   Lyra.    Davidsharfe.      02Jercule  Gratiolet. 
Henle,  Anatomie.     Bd.  III.  Abthlg.  2.  iq 


146 


Gehirn. 


Forceps. 
Tapetum. 


Hinteres 
Hörn. 


Nicht  selten  fassen  die  beiden  Seitenhälften  des  Körpers  des  Pornix  ein  dün- 
nes Markblatt  zwischen  sich;  es  ist  im  Grunde  der  Spalte  verborgen,  kann  aber 
auch  über  dieselbe  hervorragen,  und  von  der  Stelle  an,  wo  die  Schenkel  des  Tor- 
nix  auseinander  weichen,  frei  an  der  unteren  Mittellinie  des  Psalterium  bis  zum 
hinteren  Rande  des  Balkens  sich  erstrecken. 

Ich  habe  oben  geschildert,  wie  die  Decke  des  blindsackförmigen  Hirn- 
ventrikels  zwar  in  der  Mittellinie  mit  einem  Querwulste  vor  dem  Kleinhirn 
abschliesst,  zu  beiden  Seiten  des  letzteren  aber  sich  nach  hinten  fortsetzt, 
um  nach  kurzem  Y erlauf  wieder  umzukehren  und  an  der  unteren  Fläche 
des  Thalamus  zu  enden. 

So  weit  der  Streifenhügel  und  Thalamus  den  Boden  des  Seitenventri- 
kels bilden,  vereinigt  sich  die  Decke,  der  Balken,  unter  spitzem  Winkel 
mit  dem  Seitenrande  dieser  Wülste  und  geht  die  weisse  Fasermasse  des 
Balkens  jenseits  des  Vereinigungswinkels  in  den  weissen  Kern  der  Hemi- 
sphären über,  in  welchem  die  durch  die  Grosshirnganglien  durchgetretenen 
Fasern  der  Grrosshirnschenkel  sich  sammeln.  Hinter  dem  Thalamus  und 
dem  zugespitzten,  der  Wölbung  des  Thalamus  folgenden  Ende  des  Streifen- 
hügels sieht  man  die  Fasern  des  Balkens  continuirlich  von  der  Decke  an 
die  Seitenwand  und  endlich  in  den  Boden  des  Ventrikels  übergehen;  sie 
breiten  sich  hierbei  divergirend  vor-  und  rückwärts  aus,  die  Fasern  des 
Splenium  vorzugsweise  rückwärts ,  unter  den  Eandwülsten ,  die  sich  über 
den  hinteren  Band  des  Balkens  nach  unten  schlagen  und  zum  Theil  in  diese 
Randwülste  selbst,  die  Fasern  des  dem  Splenium  nächsten  Theils  des  Bal- 
kens rückwärts ,  abwärts  und  den  Thalamus  umkreisend  vorwärts.  Die  aus 
dem  Splenium  in  die  hinteren  Spitzen  der  Hemisphären  rückwärts  umbie- 
genden Faserzüge  wer- 
den nach  Reil  Zange, 
Forceps  i),  die  aus  dem 
Körper  des  Balkens  aus- 
strahlenden werden  Ta- 
pete, Tapetum ,  ge- 
nannt (Fig.  85). 

Man  wird  die  Confi- 
guration  des  Horns  des 
Seitenventrikels,  welches 
von  dem  nach  hinten 
verlängerten  und  nach 
vorn  zurückkehrenden 
Theil  der  Decke  um- 
schlossen und  in  dem 
hinteren  Lappen  des 
Grosshirns  enthalten  ist 
(Fig.  88),  am  besten  ver- 
stehen, wenn  man  an 
demselben   drei    Wände 


Cav 


Frontalschnitt  des  hinteren  Lappens  der  rechten  Hemisphäre, 
hintere  Schnittfläche  mit  dem  Bück  in  das  hintere  Hörn 
des  Seitenventrikels.  Der  dunklere  Streifen  über  demselben 
entspricht  einer  Lage  querdurchschnittener  Fasern.  Bh  Bulb. 
cornu  post.      Cav  Calcar  avis. 


')  Forceps  corporis  callosi.  Zangent'örniige  Arme.  Forcipe.s  Burdach.  Forceps  major 
Arnold.  '  Unter  Forceps  minor  versteht  Arnold  die  Ausstrahlung  der  Fasern  des  Balken- 
knies in   die  Hemisphären. 


Gehirn.  147 

unterscheidet,  die  in  der  That  durch  scharfe  Ecken  gegen  einander  abgesetzt 
sind.      Die  äussere  Wand,  welche  in  einer ,    der   Oberfläche   der   Hemisphäre 

Fig.  89. 
Fla 


Untere  Fläche  des  Grosshirns;  die  Grosshirnschenkel  (Cc&)  vor  der  Brücke  durchschnitten. 
Das  hintere  und  untere  Hern  des  Seitenvcntrikels  durch  Abtragen  des  unteren  Lappens 
von  unten  her  geöffnet.  Fla  Fissura  lateral,  ant.  In  Insel.  Hp  Hippocampus.  Bh  Bul- 
bus cornu  post.  Foh  Fissura  occip.  horiz.  Ccl^  Splenium.  Cca  Corp.  candic.  Ca' Ha- 
ken des  Gyrus  hippoc.      Tc  Tub'er  ein.  II  N.  opfc.  /  N.  oltact. 


concentrischen  Krümmung  die  obere  und  laterale  Begrenzung  der  Höhle 
bildet,  ist  identisch  mit  dem  Tapetum :  sie  beginnt,  wie  erwähnt,  am  hin- 
teren Rande  des  Thalamus  mit  einer  der  ganzen  Höhe  desselben  entspre- 
chenden concaven  Basis  und  verjüngt  sich  allmälig  in  der  Richtung  von 
vorn  nach  hinten ,  so  dass  sie  schliesslich  in  eine  feine  Spitze  ausläuft.  Die 
Grundlage  der  unteren  Wand  des  hinteren   Horns,  gewissermaassen   derBo- 

10* 


148 


Gehirn. 


Fase,  longit. 
inf. 


Calcar  avis. 


Bulbus 
coriiu  post. 


den  desselben,  ist  ein  dünnes  Markbündel,    Fasciculus   longitudinalis  inf. 

Burdacb^)   (Fig.  85),    welches   sich  von   der    hinteren    Spitze    der  Hemi- 
Fity.  90.  Sphäre    bis    in     die    vordere 

Spitze  des  Umschlags  er- 
streckt und  als  der  rückläu- 
fige Theil  der  Deckenfasern 
betrachtet  werden  kann,  wo- 
mit jedoch  nicht  behauptet 
werden  soll,  dass  die  Fasern 
der  Decke  ununterbrochen 
in  die  Fasern  jenes  Bündels 
umbiegen.  Dem  Ventrikel 
wendet  die  untere  Wand 
eine  ebene  Fläche  zu,  die 
sich  mit  der  äusseren  und 
medialen  Wand  unter  spitzem 
Winkel  vereinigt ,  häufig 
drängt  eine  zwischen  den 
Randwülsten  tief  eindrin- 
gende Furche  den  medialen 
Theil  des  Bodens  in  Form 
eines  convexen  Längswulstes, 
der  Vogelklaue,  Calcar 
avis'^),  nach  innen  (Fig.  88). 
Die  mediale  Wand  des  hinte- 
ren Horns  wird  von  der  Zange 
gebildet ;  auch  sie  spi'ingt  als 
ein  einfacher  oder  der  Länge 
nach  gefalteter  Längswulst, 
üiühus  cornu  posterioris ,  in 
die  Höhle  vor  (Fig.  88.  89.  90), 
wird    aber    von     vorn    nach 

hinten  allmälig  niedriger,   so   dass,    da  in  der  gleichen  Richtung   auch   der 

Boden   sich  verschmälert,   in  der  hinteren   Spitze  der  Hemisphäre    nur    eine 

halbmondförmige  abwärts  convexe  Spalte  übrig  bleibt. 


Das  vorige  Präparat,  nach  Ausschneidung  des  Gyrus 
hippocampi  (6' (/)  mit  dem  Hippocampus.  Die  Gross- 
hirnschenkel vom  Splenium  {Cd')  vorwärts  ahgezo- 
gen.  Cgm,  Cgi  C.  geniculat.  med.  und  laterale. 
Cs'  Hinteres  Ende  des  C.  striat.  Tap  Tapetum. 
Bh  Bulb.  coruu  post.  fd  p'ascia  dentata.  Fi  Fim- 
bria.      Ps  Psalterium. 


Nach  Engel  (Wiener  med.  Wochensclu-ift  1865.  Nr.  30  ff.)  ist  in  der  Eegel 
(unter  hundert  Fällen  66  Mal)  das  linke  hintere  Hörn  länger,  als  das  rechte.  Die 
durchschnittliche  Länge  beider  ist  am  grössten  zwischen  dem  21.  und  dem  30. 
Lebensjahr,  nimmt  von  da  an  ab  und  im  höheren  Alter  wieder  zu  ,  ohne  die  ur- 
sprüngliche Länge  ganz  zu  erreichen. 


Hippocam- 
pus. 


Am  Splenium  endet  die  mediale  Wand  des  hinteren  Horns;  der  Ven- 
trikel öffnet  sich  medianwärts,  um  den  Grosshirnschenkel  einzulassen.  Die 
untere  Wand  aber  setzt  sich  vorwärts  fort  als  Boden  des  unteren  Horns, 
dessen   Decke  die  untere  Fläche   des    Thalamus    darstellt;    sie    wird   breiter. 


^)  Fase,  longitudinalis  Arnold.     ^)   Calcar  s.  conguis.     Pas    Jdppocampi   minor.     Emi- 
nentia  digitata    s.  unciformis.     Hahnensporn  Reil.     Frgot  de  Morand  G ratio  1  et. 


Gehirn.  14'J 

3urcli  vorwärts  ausstrahlende  Fasern  des  Balkens  (Fasciciilus  arcuatiis 
Reil  1)  verstärkt  und  verdickt  sich  am  medialen  Rande  durch  Randwülste, 
welche  sich  von  der  Oberfläche  des  Balkens  über  den  hinteren  Rand  dessel- 
ben abwärts  schlagen  und  unter  dem  Namen  Hipjgocamims  beschrieben  wer- 
den (Fig.  89.  90).  Ich  komme  auf  denselben  sogleich  im  Zusammenhang 
mit  den  übrigen  Randwülsten  des  Grosshirns  zurück  und  bemerke  nur 
noch,  dass  die  divergirenden  Schenkel  des  Fornix  von  der  unteren  Fläche 
des  Balkens  im  Bogen  auf  die  Hippocampi  über-  und  mit  ihnen  vorwärts 
gehen,  so  dass  auch  sie  in  der  Spitze  des  unteren  Horns  ihr  Ende  erreichen. 


Die  Randwülste  des  Grosshirns  sind  platte  Leisten,  welche  aus  der  weis-  Randwülste, 
sen  Umhüllungsmasse  des  Ventrikels,  die  man  dem  Markkern  des  Kleinhirns 
vergleichen  kann,  senki-echt  zur  Oberfläche  aufsteigen,  bekleidet  und  abge- 
rundet durch  einen  continuirlichen  Ueberzug  von  grauer  Substanz.  Dario, 
sowie  in  der  Neigung,  sich  gegen  die  Oberfläche  zu  theilen,  ähneln  die 
Randwülste  des  Grosshirns  denen  des  Kleinhirns.  Sie  unterscheiden  sich 
aber  von  den  letzteren  durch  ihre  bedeutendere  Mächtigkeit  und  durch  ihre 
Richtung.  Sie  gehen  nur  von  der  äusseren,  nicht  von  der  dem  Ventrikel 
zugewandten  Oberfläche  des  Markkerns  aus,  man  müsste  denn  Thalamus 
und  Streifenhügel  als  einwärts  gekehrte  Randwülste  betrachten  wollen ; 
ferner  verlaufen  die  Endleisten  nur  ausnahmsweise  einigermaassen  parallel 
und  ganz  allgemein  unregelmässig  schlau genförmig  in  bald  steileren,  bald 
flacheren  Windungen.  Eine  weitere  Differenz  zwischen  den  Randwülsten 
des  Gross-  und  Kleinhirns  besteht  darin,  dass  sich  die  ersteren  zwar  in 
jeder  Seitenhälfte  einigermaassen  symmetrisch  verhalten,  aber  nicht  über  die 
Mittellinie  erstrecken;  vielmehr  theilt  die  beiden  Hemisphären  die  tiefe, 
bis  auf  die  Commissur  des  Markkerns  eindringende  Spalte,  die  Medianfis- 
sur, in  deren  Grund  der  Balken  freiliegt  und  durch  Zurückschlagen  der 
überhängenden  Randwülste,  die  ihn  bedecken,  in  einer  Breite  von  1  Cm. 
sichtbar  gemacht  werden  kann. 

Der  Markkern  des  Grosshirns  hat  eine  zu  complicirte  Gestalt  und  zu  Markkorn. 
unebene  Oberfläche ,  als  dass  es  möglich  wäre ,  ihn  durch  Abtragen  der 
Randwülste  oder  vielmehr  der  den  Randwülsten  zu  Grunde  liegenden  Lei- 
sten darzustellen.  Während  der  Seitenventrikel  an  seiner  oberen  Fläche 
von  einer  2  bis  3  Cm.  mächtigen  Schichte  compacter  weisser  Substanz  be- 
deckt ist ,  trennt  an  anderen  Stellen  z.  B.  an  der  unteren  Wand  des  unteren 
und  hinteren  Horns  eine  weisse  Schichte  von  kaum  1  Mm.  Mächtigkeit  die 
graue  Hirnrinde  von  dem  Lumen  des  Ventrikels  und  bildet,  durch  eine  tief 
zwischen  den  Randwülsten  sich  einsenkende  Fiirche  in  die  Höhle  vorge- 
drängt, einen  Wulst  an  der  inneren  Wand  derselben  (Hippocampus,  Vogel- 
klaue). So  sind  wir,  um  die  Form  des  Markkerns  zu  ermitteln,  auf  Durch- 
schnitte des  Gehirns  angewiesen.  Die  grösste  Ausdehnung  im  sagittalen 
und  transversalen  Durchmesser  besitzt  derselbe  unmittelbar  über  den  Ven- 
trikeln; trägt  man  die  Hemisphären  bis   auf  das  Niveau  des   Balkens   diirch 

')  Arcus  Arnold. 


150 


Gehirn. 


Centrum 
semiovale. 


Lig.  tect. 


einen  Horizontalschnitt  ab ,  so  erscheint  der  Balken  als  Verbindungsbrücke, 
zwischen  zwei  weissen  elliptischen  Feldern,  die  ihn  nach  vorn  und  hinten 
überragen  und  ringsum,  so  weit  sie  nicht  durch  den  Balken  zusammen- 
hängen, Zacken  aussenden,  welche  von  einem  grauen  Streifen  eingefasst  und 
durch  mehr  oder  minder  tiefe  Einschnitte  getrennt  werden  (Fig.  91).    Gegen 

Fig.  91. 


Slm 


Col 


_Lt 


Grosshirn,     von  oben.     Die    Hemisphären  auf  das    Niveau  des  Balkens  abgetragen. 
Slm  Striae  lougit.  medial.      Cd   C.  callos. 

die  in  transversale  Bündel  abgetheilte  Oberfläche  des  Balkens  sticht  die  künst- 
liche Schnittfläche  des  Markkerns ,  die  man  als  Geiitrum  semiovale  ^)  be- 
zeichnet ,  durch  ihre  vollkommene  Glätte  und  Gleichförmigkeit  ab ;  die 
Grenze  zwischen  beiden  deutet  ausserdem  jederseits  ein  sagittales  Faser- 
bündel an,  das  Ligament,  tectum'^)  Beil,  ein  Theil  der  Faserung  des  unter- 
sten, den  Balken  entlang  ziehenden  Randwulstes  der  Hemisphären,  der  sich 
beim  Abziehen  dieses  Bandwulstes  abzulösen  und  auf  dem  Balken  zu  haften 
pflegt.  Weiter  oben,  etwa  1  Cm.  oberhalb  des  Centrum  semiovale,  zeigt 
ein  Hörizontalschnitt  der  Hemisphäre  (Fig.  92)  den  Markkern  auf  zwei 
kleinere,  durch  einen  schmalen  Isthmus  verbundene  Felder  reducirt,  ein 
vorderes  und  ein  hinteres ,  welche  von  den  Querschnitten  der  Randwülste 
umgeben  sind.      Zur  Seite  der  Ventrikel  wird   der   Markkern ,    wie    er  nach 


^)    C.    s.    Vieussenii    aut.       C.    .s.    meclullnre.       Corpus    medulläre    kemisphaerae.      Teg- 
mentutn  ventricuU  lateralis.      ^)  Lig.  obtectum.     Stria  externa.     Stria  lateralis  longitudinalis. 


Gehirn. 


151 


innen  von  grauer  Substanz  bedeckt  ist,  so  auch  durch  graue  Einlagerungen 
abgetheilt ,    die  dem  C.  dentatum  des  Kleinhirns   entsprechen    und   an   einer 


Fig.  92. 


Horizontalsclmitt  des  Grosshirns,  1  Cm.  ober- 
halb des  Balkens. 


Fig.  93. 


Insel  der  linken  Hemisphäre.       Cs  C.  striat. 
Tho  Thalamus  X  Trennungsfläche  des  ring- 
förmigen  Lappens. 


späteren  Stelle  ausführlicher  be- 
schrieben werden.  In  der  vorderen 
und  hinteren  Spitze  des  Gehirns 
stellt  der  Markkern  wieder  eine 
zusammenhängende,  der  äusseren 
Form  der  Hemisphäre  entsprechende 
Masse  dar. 

Die  Randwülste  des  Grosshirns  Insel. 
liegen  in  jeder  Hemisphäre  in  zwei 
Schichten.  Die  Randwülste  der  tie- 
fen Schichte  ^)  nehmen  die  laterale 
Fläche  der  mächtigen  Wand  ein, 
die  den  blindsackförmigen  Ventri- 
kel seitlich  begrenzt  und  an  ihrer 
medialen  Fläche  den  Thalamus  und 
Streifenhügel  trägt.  Sie  verlaufen 
5  bis  6  an  der  Zahl,  durch  seichte 
Furchen  geschieden,  fas.t  perpendi- 
culär,  aufwärts  an  Breite  zuneh- 
mend, der  Eine  oder  Andere  auch 
gegen  das  obere  Ende  getheilt  und 
deshalb  fächerförmig  divergirend. 
In  ihrer  Gesammtheit  führen  sie 
den  Namen  Insel,  Insula,  ReiP) 
(Fig.  93). 

Die  Randwülste  der  tiefen  Schichte  Riugförmi- 
oder  der  Insel  werden  vollständig 
verdeckt  durch  die  Randwülste  der 
oberflächlichen  Schichte,  die  ein  Lap- 
pen trägt,  welcher  einen  mehr  als 
vollständigen  Kreis  um  die  Insel  be- 
schreibt, vor  derselben  an  der  un- 
teren Fläche  der  Hemisphäre  be- 
ginnt und  wieder  an  der  unteren 
Fläche  vor  dem  vorderen  Rande  der 
Insel  mit  einer  abgerundeten  Spitze 
endet.  Dem  ringförmigen  Lappen 
gehören  alle  Windungen  der  äusse- 
ren Oberfläche  der  Hemisphären  an, 
ausserdem  aber  auch  Windungen, 
welche  medianwärts  gegen  die  Insel 
gerichtet  sind,  und  erst  sichtbar 
werden,    wenn    man    die    von    allen 


ger  Lappeu. 


^)  Gyri  breves  s.  unciformes  s.  opertl.  Der  untere  Eand  des  Lappens  ,  von  welchem 
die  Furchen  ausgehen,  wird  als  langer  Inselwulst  beschrieben.  ^)  Lobus  caudicis  s.  inter- 
medius  s.  opertus.    Bedeckter  oder  Stammlappen.    Lobus  centralis  Gratiolet. 


152 


Gehirn. 


Seiten  über  der  Insel  zusammensclilagenden  Eänder  des  Lappens  auseinan- 
der zieht  und  nach  aussen  umschlägt  (Fig.  94)  oder  die  Hemisphäre  nach 
Entfernung  der  Insel,   von   der  inneren  Seite  betrachtet  (Fig.  95).     In  na- 


Fla- 


Linke  Hemisphäre,   Profil,  mit  aufgehobenen  Randwiilsten  des  ringförmigen  Laj^pens,  um 
die  Insel  (/«)  zu  zeigen,     a,  s,  p,  i  Vorderer,  oberer,  hinterer,  unterer  Lappen.     /  N. 
oltact.      Gca,    Gcp    Gyrus  centr.    ant.    und    post.      Sc    Sulc.  centr.     Fop  Fissura 
"        occip.    perpend. 

türlicher  Lage  sind  diese  Ränder  einander  so  sehr  genähert,  dass  der  von 
der  Concavität  des  Ringes  umschlossene  Raum  auf  eine  schmale,  sagittale, 
leicht  abwärts  gebogene  Spalte  reducirt  ist,  eine  Spalte,  die  sich  auf  den 
ersten  Blick  vor  den  seichteren  Furchen  zwischen  den  Randwülsten  des 
Lappens  kaum  auszeichnet  (Fig.  79.  83).  Die  Spalte  endet  vorn  und  hin- 
ten mit  der  Umbeugung  dort  des  vorderen  vorwärts  aufsteigenden,  hier 
des  hintern  vorwärts  absteigenden  Theils  des  ringförmigen  Wulstes  in 
den  mittleren  geraden ;  sie  stösst  vorn  und  hinten  auf  einen ,  vor  der 
Spitze  der  Furche  vorüberziehenden  Randwulst,  der  die  Spalte  gegen  die, 
zwischen  den  übrigen  Randwülsten  verlaufenden  Furchen  regelmässig  ab- 
schliesst.  Von  oben  wird  sie  durch  den  geraden ,  von  unten  durch  den  auf- 
und  absteigenden  Theil  des  ringförmigen  Lappens,  in  einer  längeren  Strecke 
durch  den  absteigenden  Theil  begrenzt.  Deshalb  liegt  die  Einmündung 
der  verticalen,  etwas  schräg  vorwärts  absteigenden  Spalte,  die  den  Anfang 
des  ringförmigen  Lappens  von  der  den  Anfang  äusserlich  deckenden  hinte- 
ren Spitze  scheidet,  in  die  sagittale  Spalte  dem  vorderen  Ende  der  letzteren 
beträchtlich  näher  als  dem  hinteren. 

Die  verticale  Spalte,   mit  der  von  ihrer  Einmündung    aus   nach    hinten 
sich  erstreckenden  Partie  der  sagittalen  ist  es ,   die   man   als  seitliche  Hirn- 


Gehirn. 


153 


spalte  1)  beschreibt.     Ich  füge  die  Bezeichnung  „hintere",   Fissura  lateralis  Fissura  lat. 
post.,  hinzu  zur  Unterscheidung  von  der  vorderen  Seitenspalte  -),   If^iss.  la- 
teralis  fltü.,  die  dem  von  der  verticalen  Spalte  aus  vorwärts  verlaufenden 

Fig.  95. 


Fob 


Mediale  Fläche  des  rechten  ringförmigen  Lappens.      Gf  Gyrus  fornic.     Prc  Praeeuneus. 
Fop,  Foh  Fissura  occip.  perpend.  und  horizout.     C  Cuneus.     C cl^  Splenium.     Gh  Gy- 
rus hippocampi.     Gh'  Haken  desselben.    Fd  Fascia  dentata.    Fi  Fimbria. 

Theil  der  sagittalen  entspricht  (Fig.  94.  96).  Die  hintere  Seitenspalte  setzt 
sich  an  der  unteren  Fläche  der  Hemisphäre  in  die  Furche  fort,  welche  zwi- 
schen der  Spitze  des  rückläufigen  Theils  der  Decke  und  den  Boden  des 
Grosshirns ,  namentlich  die  Substantia  perforata  ant.,  eindringt  und  von 
hinten  her  durch  die  Verwachsung  jener  Spitze  mit  dem  Boden  begrenzt  wird 
(Fig.  34).  Hinter  dieser  Verwachsungsstelle  öffnet  sie  sich  an  der  medialen 
Fläche  der  Hemisphäre  in  das  untere  Hoi-n  des  Seitenventrikels.  Die  vordere 
Seitenspalte  geht  von  dem  Tuber  blfactorium  aus,  einem  grauen  etwas  hö- 
ckerigen Querwulst  vor  der  Substantia  perforata  ant.,  der  den  Wurzeln  des 
N.  olfactorius  zum  Ursprünge  dient,  seitwärts  mit  der  Insel  zusammen- 
hängt und  an  seinem  medialen  Ende  vorwärts  zugespitzt  in  die  Furche 
eindringt,   die   den   N.   olfactorius    beherbergt^).     Der  Randwulst,   der   die 


•'■)  Fossa  SylvU.  ^)  Fissura  anterior  Burdach.  ^)  Insbesondere  wird  das  durch  diese 
Zuspitzung  entstehende  Dreieck  als  Tuber  oder  Trigonuvi  olfactorium  beschrieben  und  in 
der  Mehrzahl  der  Handbücher  mit  den  Synonymen  Caruncula  mamillaris  s.  Car.  nervi  ol- 
faciorü  begleitet.  Doch  bedeutet  diese  Carunkel  bei  den  älteren  Schriftstellern  den  N.  ol- 
factorius selbst  und  bei  Arnold  (Tabb.  anat.  fasc.  I,  Taf.  IV,  Fig.  1.  6)  die  vordere 
Spitze  des  Vorderlappens. 


154 


Gehirn. 


Fl£ 


vordere  Seitenspalte  von  vorn  her  begrenzt,  hat  einen   geschlängelten   Ver- 
lauf; er  setzt  sich  gegen  das  Tuber  olfactorium   mit   einer  einfach  abgerun- 


Linke  Grosshirnheinisphäre ,  Profil,     a,  s,  p,  i  Vorderer,  oberer,  hinterer,    unterer  Lap- 
pen.    Fla,  Flp  Fissura  lateralis  ant.  und  post.       Sc    Sulcus  centralis.       F'op   Fissura 
occip.  perpendic.    Gca,    Gcp  Gyrus  centr.  ant.  und  post.      Gt  Gyrus  transitivus.    Prc 
Praecuneus.     Ltb  Lobulus  tuberis. 

deten ,  zuweilen  durch  einen  Eindruck  getheilten  Spitze  ab  ^) ,  und  biegt 
von  dieser  aus  unter  spitzem  Winkel  in  den  geraden  ßandwulst  um,  der 
die  laterale  Wand  der  zur  Aufnahme  des  N.  olfactorius  bestimmten  Furche 
bildet  (Fig.  34.  89). 

Man  sieht ,  dass  die  vordere  Spitze  der  Hemisphäre ,  ebenso  wie  die 
hintere ,  einer  Umbeugung  der  auf  die  Decke  aufgetragenen  Randwülste 
entspricht,  die  dort  im  Bogen,  hier  in  einer  Knickung  erfolgt,  woraus  die 
abgestumpfte  Form  der  vorderen,  die  mehr  schneidende  Form  der  hinteren 
Spitze  der  Hemisphäre  sich  erklärt.  Von  der  vorderen  und  hinteren  Spitze 
der  Hemisphäre  muss  man  das  vordere  und  hintere  Ende  des  ringförmigen 
Ijappens,  welche  beide  an  der  unteren  Fläche  der  Hemisphäre  zusammen- 
kommen, wohl  unterscheiden. 

Der  ringförmige  Lappen  hat  eine  mediale  plane  und  eine  äussere  gewölbte 
Fläche ,  die  sich  am  äusserlich  sichtbaren  unteren  stumpfen  Rande  median- 
wärts  umschlägt,  so  dass  der  wirkliche  untere  Rand  derselben,  der  con- 
cave  Rand  des  Rings,  die  Insel  umsäumt  und  der  tiefen   Furche  entspricht. 


■*)    Gyrus  arcunius    Valentin? 


Gehirn. 


155 


in  welcher  die  Randwülste  der  Insel  mit  den  Randwülsten  der  medianwärts 
umgeschlagenen  Fläche  des  ringförmigen  Lappens  zusammenstossen  ^). 

Die  winkeligen  Biegungen  des  scheinbaren  unteren  Randes  des  ring- 
förmigen Lappens  gestatten  eine  Eintheilung  desselben  in  drei  Regionen 
oder  secundäre  Lappen ,  die  allerdings  nur  so  weit  natürlich  ist ,  als  die 
erwähnten  seitlichen  Spalten  reichen  und  durch  eine  in  Gredanken  über  die 
äussere  Fläche  und  den  oberen  Rand  auf  die  mediale  Fläche  geführte  Ver- 
längerung derselben  zu  vervollständigen  sein  würde.  Doch  trifft  die  auf 
diese  Weise  verlängerte  hintere  Seitenfurche  schon  auf  der  äusseren  Fläche 
der  Hemisphäre  in  der  Nähe  des  oberen  Randes  und  in  etwa  5  Cm.  Ent- 
fernung von  der  hinteren  Spitze  auf  eine  durch  ihre  Tiefe  ausgezeichnete 
Furche,  Fissura  Occipitalis  perpendicularis  (Fig.  94  bis  97  '■^) ,  die  den  oberen 

Fig-.  97. 


Fiss.  oscip. 
perpend. 


Fi      Gh 


Coa 


Tap  Cgi 


Gh  CcL 


Hinterer  Theil  der  linken  Hemisjihäre,  mediale  Fläche.  Septum  lucidum  entfernt,  Gross- 
hirnschenkel (Ccb)  dicht  am  Thalamus  abgeschnitten.  Coa  Commiss.  ant.  Cs  C. 
striat.  Ts  Tuberc.  sup.  des  Thalamus.  Cd  C.  cajlos.  G/ Gyrus  fornic.  Cq  C.  qua- 
drig.  Tho  Thalamus.  Prc  Praecuneus.  f'op,  Fo/i  Fissura  occip.  perpend.  und  ho- 
rizont.  C  Cuneus.  Fd  Fascia  dentata.  Fi  Fimbria.  Gh  Gyrushippocampi.  Gh'  Ha- 
ken desselben.  Taj}  Tapetum.  Cgi  C.  genic.  lat.  Sn  Substantia  nigra.  Cca  C. 
candic.      //  N.   opt.     I  N.   olfactorius. 


^)  Die  Spalte  zwischen  der  Insel  und  dem  überhängenden  ringförmigen  Lappen  ist 
Burdach's  Obei-spalte,  Fissura  superior.  ^)  Fissura  post.  Fiss.  occipitalis  post.  R.Wag- 
ner. Fissura  parielo-occlpitalis  -int.  Turner.  Fissura  occip'talis  perpendicularis  interna 
Bisch  off.  Sinus  parieto-occipitaUs  s.  operlus  minor  Barkow.  Wegen  der  Literatur  ver- 
weise ich  auf  Ecker,   die  Hirnwindungen  des  Menschen.      Braunschw.   1869. 


156 


Gehirn. 


Eiiitlieilung 
des  ringför- 
migen Lap- 
pens. 


Eand  überschreitet,  auf  der  medialen  Fläche  schräg  oder  im  Bogen,  zuerst 
fast  gerade  abwärts  und  gegenüber  dem  Wulst  des  Balkens  vorwärts  läuft, 
um  neben  dem  Thalamus  aixf  dem  Randwulste  zu  enden,  der  die  in  das 
untere  Hörn  führende  Spalte  begrenzt.  Die  Brücke  von  Randwülsten,  welche 
das  Ende  der  hinteren  Seitenfurche  und  den  Anfang  der  Occipitalfurche 
von  einander  scheidet,  hat  in  der  Regel  eine  Breite  von  6  Cm.,  variirt  aber, 
je  nachdem  die  Occipitalfurche  mehr  oder  minder  weit  auf  die  äussere  Fläche 
übergreift. 

Die  drei,  durch  besagte  Einschnitte  gesonderten  Lappen  lassen  sich 
einfach  als  vorderer,  oberer  und  hinterer  bezeichnen.  Der  vordere 
Lappen  1)  bildet  die  vordere  Spitze  der  Hemisphäre  (Fig.  94  a).  Der  die 
Insel  überragende  Theil  des  oberen  Lappens,  s^),  hat  insbesondere  den  Na- 
men Operculum,  Klappdeckel,  erhalten^).  An  dem  lang  gestreckt  ellip- 
tischen, anit  der  längeren  Axe  vor-  und  abwärts  gerichteten  hinteren  Lap- 
pen*) mag  man  eine  hintere  und  vordere  Spitze  untex'scheiden ;  die  hintere 
ist  identisch  mit  der  hinteren  Spitze  der  Hemisphäre  und  soll  als  hinte- 
rer Lappen,  p  ^) ,  im  engeren  Sinne  aufgeführt  werden ;  die  vordere  Sj)itze, 
welche  ich  bisher  als  Ende  des  umgeschlagenen  oder  rückläufigen  Theils 
der  Decke  beschrieb,  fühi't,  so  weit  sie  die  hintere  Seitenspalte  von  unten 
her  begrenzt,  den  Namen  des  unteren  Lappens,  i*').  Von  dem  hinteren 
Lappen  trennt  an  der  inneren  Fläche  eine  horizontale  Furche,  Fissura 
Occip.  horizontalis''),  welche  sich  mit  dem  unteren  Ende  der  verticalen  Occi- 
pitalfurche unter  spitzem  Winkel  vereinigt,  einen  keilförmigen  Lappen 
ab,  den  Zwickel,  Cuneus  Burdach  ^)  (Fig.  95.97).  Die  Furche  erstreckt 
sich  bis  zum  hinteren  Rande  der  Hemisphäre;  sie  ist,  wiewohl  der  Occipi- 
talfurche an  Tiefe  gleich,  doch  an  ihrem  Eingang  kaum  breiter,  als  die 
seichten  Furchen,  die  die  benachbarten  Randwülste  trennen.  Am  Eingang 
ist  sie  gerade  oder  geschlängelt;  der  Grrund  derselben  ist  regelmässig  ge- 
rade und  treibt  die  nach  dieser  Seite  nur  3  Mm.  mächtige  mediale  Wand 
des  hinteren  Horns  des  Seitenventrikels  (vgl.  Fig.  98)  vor  sich  her  in  Form 
des  Wulstes,  welcher  oben  (S.  147)  als  Vogelklaue  beschrieben  wurde. 
Zu<Te  der  I*^^   habe    erwähnt,    dass    die    Trennung    der   Lappen    zum    Theil   eine 

Kandwuiste.  jj^üjjgtliche  ist;   aber  nicht  nur   an  den   Regionen   der   Gehirnoberfläche,    an 
welchen  sie  ununterbrochen  in  einander  übergehen,  sondern  auch  im  Grunde 


^)  Lohns  frontalis.  Stii'nlappen.  ^)  Lohus  parietaUs.  Scheitellappen.  Lohns  tempora- 
lis  Chaussier.  Die  älteren  Handbücher  ziehen  zum  Theil  den  oberen  Lappen  mit  zum 
vorderen.  Nach  Gratiolet  macht  die  Centralspalte  (s.  unten)  die  Grenze  zwischen  dem 
hinteren  und  vorderen  Lappen  aus,  von  denen  der  letztere  in  den  Scheitel-  und  Stirnlappen, 
der  Stirnlappen  wieder  durch  den  Sulcus  olfactorius  in  den  Lohnlus  frontalis  und  orhitalls 
zerfällt.  Nach  Bischoff  reicht  der  Vorderlappen  bis  zur  vorderen  Centralwindung  und  ge- 
hört diese  zum  oberen  oder  Scheitellappen.  •■*)  Operculum  loht  superioris.  Dach  der  Gefäss- 
grube  Meckel.  ^)  Lohns  tenioriosphenopetrosus  Barkow.  ^)  Ljohus  occijAtalis.  Hinter- 
hauptslappen. Zwischenscheitelhirn  Huschke.  ^)  Lohns  temporalis.  Schläfelappen.  Lo- 
hns sphenoidalis  Arnold.  Lohus  temporo-sphenoidaUs  Gratiolet.  '^)  Fissura  hippocampi 
Gratiolet.  Fissura  occipilalis  posi.  s .  horlzontalis  R.  Wagner.  Fissura  calcarina  Tur- 
ner. ^)  Lohulus  interparietalis  sup.  Huschke.  Die  Spitze  des  Zwickels  ist  Huschke's 
Lohulns  lliifjualis,  Zungenwulst.  Pli  superieur  de  passage  Gratiolet.  Erste  Occipiitalwin- 
dung  R.  Wagner.  Lohulns  occipitalis  Turner.  Lohns  falciformis  post.  s.  minor  Barkow 
(Barkow 's  Lohus  falcif  ant.  s.  maj.  ist  der  vor  der  Occi))italfurche  gelegene  Theil  der 
Hemisphäre). 


Gehirn. 


157 


der  Furclien ,    diircli   die   sie    sich   von    einander   scheiden ,    setzen   sich   die 
Randwülste  von  Einem  Lappen  auf  den  anderen  fort.     Eine  Benennung  der 

Fig.  98. 


Hinterer  Lappen  des  Grosshirns    von  innen.      Die    horizontale    Occipitalfurche    geöffnet, 

die  dünne  Wand  der   Hemisphäre    der    Länge    nach    durchschnitten    und    auseinanderge- 

zogen.      VI'"  das  geöifnete  hintere  Hörn  des  Seitenventrikels  *  Plex.  choroid. 


Randwülste  nach  den  Lappen,  die  sie  einnehmen,  mag  daher  zu  Ortsbe- 
stimmungen dienen,  sagt  aber  über  ihren  Verlauf  und  Zusammenhang  nichts 
aus.  Bei  näherer  Betrachtung  fällt  ebenso  sehr  die  Asymmetrie  der  Win- 
dungen selbst  an  den  beiden  Hemisphären  Eines  Gehirns,  wie  die  Bestän- 
digkeit gewisser  Züge  ins  Auge.  Im  Allgemeinen  sind  die  Randwülste  der 
vorderen  und  hinteren  Spitze  der  Hemisphären  schmaler  als  die  übrigen. 
Ihre  Breite  beträgt  dort  5  bis  8,  hier  8  bis  12  Mm.  In  den  Windungen 
der  planen  und  des  grössten  Theils  der  gewölbten  Fläche  der  Hemisphären 
herrscht  die  horizontale  Richtixng  vor;  eine  mehr  verticale Richtung  haben, 
wie  erwähnt,  die  Windungen  der  Insel  und  ferner  die  mittleren  Windun- 
gen der  lateralen  Fläche  des  oberen  Lappens.  Die  Tiefe  der  Furchen  steht 
in  einem  gewissen  Verhältniss  zur  Breite  der  Wülste;  doch  kommen  überall, 
neben  eigentlichen  zusammenhängenden  Furchen  von  10  bis  25  Mm.  Tiefe, 
und  abgesehen  von  einfachen,  die  Windungen  kreuzenden  Arterienspuren, 
isolirte ,  oberflächlichere ,  kürzere  und  längere  Einschnitte  oder  Eindrücke 
von  geradem  oder  gekrümmtem  Verlauf,  auch  dreiseitige  Grübchen  vor,  die 
sich  wie  in  Bildung  begrifPene  Furchen  ausnehmen.  Und  in  der  That  ver- 
mitteln sie  den  Uebergang  von  windungsarmen  zu  windungsreichen  Gehirnen. 
Die  Furchen  nehmen  Fortsätze  der  Gefässhaut  auf  und  beherbergen, 
der  Oberfläche  zunächst,  meist  einen  stärkeren  Venenzweig.  Man  mag  nun 
annehmen,    dass    die    Gefässverästelungen    den    Verlauf  der     Furchen   be- 


158  Gehirn. 

stimmen  oder  class  sie  den  durcli  irgend  welche  andere  Momente  bestimm- 
ten Furchen  folgen ,  immer  hat  die  Ftirchenbildung  den  Zweck  und  Erfolg, 
die  Oberfläche  der  Hemisphären  zu  Gunsten  der  Blutzufuhr  und  der  Aus- 
breitung der  Rindenschichte  zu  vergrössern.  Demnach  deutet  eine  be- 
stimmte Richtung  der  Furchen  und  Windungen  auf  die  Richtung,  nach 
welcher  die  oberflächlichen  Schichten  sich  auszudehnen  streben  und  durch 
den  Widerstand,  sei  es  der  weissen  Substanz  oder  des  Schädels,  sich  auszu- 
dehnen verhindert  werden.  Horizontale  Windungen  müssen  entstehen 
durch  Hemmung  des  Wachsthums  in  verticaler  Richtung,  verticale  Windun- 
gen durch  Hemmung  in  sagittaler  Richtung.  Je  grösserem  Widerstände 
die  Tendenz  zur  Ausdehnung  begegnet,  einen  um  so  steiler  geschlängelten 
Verlauf  werden  die  Windungen  annehmen.  Ferner  aber  lehrt  ebenso  die 
Entwickelungsgeschichte^),  wie  die  Vergleichung  der  am  erwachsenen  Ge- 
hirn nebeneinander  befindlichen  Entwickelungsstufen  der  Randwülste,  dass 
die  Anfänge  der  Furchen  gesonderte ,  kurze  und  seichte  Einbiegungen  der 
Oberfläche  sind;  indem  sie  sich  vertiefen  und  zugleich  einander  entgegen- 
wachsen, kann  es  nicht  anders  sein,  als  dass  sie  in  mannichfaltiger  Weise, 
unter  verschiedenen  Winkeln  auf  einander  treffen.  So  lässt  sich  die  im 
Ganzen  gesetzmässige  und  doch  im  Einzelnen  zufällige  Gestalt  der  Rand- 
wülste verstehen. 

Die  Hauptrichtung  der  Randwülste  des  ringförmigen  Lappens  ist  eine 
der  Cirkeltour,  die  dieser  Lappen  beschreibt,  concentrische.  So  erscheint 
sie  an  dem  Randwulste,  der  die  Seiten  spalten  begrenzt,  allerdings  mit  den 
durch  die  Knickung  des  Randes  bedingten  Modificationen,  ferner  an  der  me- 
dialen Fläche  des  vorderen  und  oberen  und  an  der  medialen  und  äusseren 
Fläche  des  unteren  Lappens.  An  der  medialen  Fläche  des  vorderen  Lappens 
beträgt  die  Zahl  der  concentrischen  Wülste  3  bis  5,  und  diese  Stelle  (Fig.  99)  ist 
wegen  des  einfachen  Verlaufs  der  Furchen  besonders  geeignet,  um  denProcess, 
durch  den  die  Randwulste  sich  vermehren,  zu  verfolgen.  Beim  Uebergang 
auf  die  mediale  Fläche  des  oberen  Lappens  fliessen  die  Randwülste  des  vorde- 
ren, so  viele  ihrer  sein  mögen,  früher  oder  später  in  zwei  zusammen,  von  denen 
der  untere  (Gyrus  fornicatus),  sich  genau  an  den  Balken  anschliesst,  indess  der 
obere  2)  durch  Furcheu ,  welche  senkrecht  oder  schräg  von  der  die  beiden  Lap- 
pen trennenden  Furche'"*)  aufsteigen,  in  steilen  Schlängelungen  zu  verlaufen 
scheint  (Fig.  95.  97). 

An  dem  unteren  Lappen  des  Grosshirns  lassen  sich  in  der  Regel  zwi- 
schen der  hinteren    Seitenfurche   und    dem    medialen   Eingang    des   unteren 


^)  Vgl.  Bischoff,  die  Grosshirnwindungen  des  Menschen.  München  1868.  ^)  Pro- 
cessus striarum  long  Hudina  Uuiii  Rolando  (Memoria  della  accadenaia  delle  scienze  di  Toriuo. 
XXXV,  203).  Burdach  fasst  die  Randvvülste  der  medialen  Fläche  des  voi-deren  und  obe 
ren  Lappens  unter  dem  Namen  der  peripherischen  Randwülste  des  Balkens  oder  der  Zwinge 
zusammen  und  zählt  deren  drei,  einen  centralen  {Gyrus  fornicatus),  mittleren  und  peripheri- 
schen. Barkow  unterscheidet  einen  Tractus  supracallosus  sup.  und  Inf.  Turner  be- 
trachtet den  oberen  Randwulst  der  medialen  Fläche  des  oberen  Lappens  als  Fortsetzung  des 
Wul-stes,  der  an  der  medialen  Seite  des  Sulcus  olfactorius  verläuit  und  bezeichnet  ihn  in 
seiner  ganzen  Länge  als  Gyrus  marglnalis.  Bei  Bisch  off  heisst  die  Windung,  ebenfalls 
vom  Ursprung  am  Tuber  olfactorium  an,  Innenfläche  des  ersten  Stirnwindung.--zuges.  ^)  Grand 
slllon  du  lohe  fronto-parietal  Gratiolet.  Siilncs  supracallosus  sup.  Burdach.  Fissura 
calloso-marijinalis  Huxley.     Primärlurche  des  Zwingenwulstes  Reichert. 


Gehirn. 


159 


Horns  vier  den  Rändern  parallele  Furchen  erkennen,  die  den  Lappen  in 
fünf  Rand  Wülste  abtheilen,  drei  der  lateralen,  zwei  der  medialen  Fläche. 
Sie  sind  am  einfachsten  als   äussere   und    innere   Randwülste   des  Unterlap- 

Fig.  99. 


I 


Verschiedene  Formen  von  Windungen  der  medfalen  Fläche  des  vorderen  Lappens. 
Cd  Corp.  callos.      Sl  Sept.  lucidum. 


pens  zu  bezeichnen ,   die   äussere   als  oberer ,   mittlerer  und   unterer  ^) ;   der 
obere  Randwulst  der  inneren  Fläche   bildet  die  Fortsetzunff   des  Randwul- 


■*)  Gyri  fasclcull  arcuati  Reil.  Gyrus  angulformis  post.  inf.  mit  dessen  Supplement 
Valentin.  Obere,  mittlere  und  untere  Schläfewindung  Huschke.  Pli  marginal  inferleur, 
pli  temporal  moyen  et  inferieur  Gratiolet.  R.  Wagner  adoptirt  Husch ke's  Nomencla- 
tur;    in  einer  späteren  Uebersicht    (Ztschr.    für  rat.  Med.   3.  R.   XX,   182)    fügt  er  die  me- 


160  Gehirn. 

stes ,  der  den  Balken  bedeckt ,  des  Gyrus  fornicatus,  wird  aber  unter  dem 
besonderen  Namen  des  Gynis  Mppocampi  beschrieben.  Minder  augenfällig 
spricht  sich  der  concentrische  Verlauf  in  den  Windungen  der  unteren, 
auf  der  Decke  der  Orbita  und  auf  der  Siebplatte  ruhenden  Fläche  des 
vorderen  Lappens  aus.  Zwar  ist  die  tiefe  Furche,  Siilcas  olfadorius^), 
in  welcher  der  N.  olfactorius  liegt ,  zwischen  zwei ,  dem  medialen  Rande 
des  Lappens  parallelen  Randwülsten  eingeschlossen,  von  denen  der  dem 
Rande  nächste  2)  niit  dem  untersten  Randwulst  der  medialen  Fläche  iden- 
tisch ist,  und  an  den  Randwulst,  der  den  Sulcus  olfactorius  latera- 
lerseits  begrenzt,  reihen  sich  zuweilen  einige  einfache,  von  dem  Tuber 
olfactorium  aus  divergirende  Windungen '').  Meistens  sind  diese  aber  durch 
eine  ansehnlichere  Querfurche  *)  getheilt ,  so  dass  es  den  Anschein  gewinnt, 
als  ob  die  Windungen  von  der  Mitte  des  Lappens  radienförmig  vor  -  und 
rückwärts  ausstrahlten^)  und  öfters  kommt,  bei  windungsreichen  Gehirnen, 
am  vorderen  Rande  desselben  noch  eine  Querspalte  hinzu.  Eine  entschiedene 
Unterbrechung  erfährt  aber  ungefähr  in  der  Mitte  der  äusseren  Fläche  der  He- 
misphäre, zuweilen  in  der  Einen  Hemisphäre  etwas  weiter  vorn ,  als  in  der  an- 
deren, der  concentrische  Zug  der  Randwülste  durch  zwei  einander  parallele,  in 
weitläufigen  Zickzackbiegungen  von  oben  nach  unten  mit  geringer  Neigung 
vorwärts  verlaufende,  breite  Randwülste  ,  die  durch  ihre  Beständigkeit  auffal- 
len. Sie  haben  denNamen  Centralwülste  ,  Gyrus  Centralis ant.nnd  Gr. c.p. 
Huschke^),    erhalten;    die  Furche,   die  sie  trennt,  heisst  Centralspalte, 


dialen  Randwülste  des  Unterlappens  als  vierte  und  fünfte  Temporalwindung  (die  fünfte  syno- 
nym dem  Gyrus  fornicatus)  hinzu.  Auch  Turner  und  Bischoff  zählen  die  Temporalwin- 
duno-en  (Temporo-Sphenoidalwindungen  T.)  von  der  hinteren  Seitenspalte,  an  über  den  un- 
teren Rand  des  Unterlappens  nach  innen ,  vereinigen  aber  die  untere  laterale  und  die  un- 
tere mediale  Windung  zu  einer  unteren  oder  dritten,  wonach  der  Gyrus  fornicatus  zur  vier- 
ten wird.  Die  Furche  zwischen  der  ersten  und  zweiten  lateralen  Windung  ist  Gratiolet's 
Scissure  parallele  {Sulcus  temporalis  niedlus  Pansch.  S.  antero-temporalis  Huxley);  die 
Furche  zwischen  den  beiden  medialen  Windungen  ist  Haxley's  Fissura  collateralis.  Bei 
Bischoff  heissen  die  drei  Furchen,  die  die  vier  Randwülste  trennen,  temporalis  sup.  s.  pa- 
rallela,  temporalis  media  s.  parallela  secunda  und  temporalis  inf.  s.  collateralis.  Huschke 
belegt  eine  Windung  zwischen  der  unteren  Schläfenwindung  und  dem  Gyrus  fornicatus  mit 
dem  Namen  Lohulus  fusiformis ,  Spindelwulst.  ^)  Sulcus  rectus  Valentin.  Sulcus  lobi 
olfactorii  Gratiolet.  ^)  Gyrus  rectus  Valentin.  Tractus  ethmoidalis  Barkow.  ^)  Plis 
orbiiaires  Gratiolet.  Erste  bis  dritte  Orbitalwindung  E.  Wagner.  Bisch  off  begreift 
unter  Orbitalwindungen  des  Stirnlappens  die  queren  Randwülste  dieser  Gegend  und  zieht 
die  beiden  den  Sulcus  olfactorius  einfassenden  ,  sowie  den  die  vordere  Seitenfurche  begrenzen- 
den Randwulst  zu  den  Frontalwindungen,  in  die  sie  in  der  That  aufwärts  übergehen.  *)  Sul- 
cus cruciatus  Rolando.  Sulcus  triradiatus  Turner.  Sulcus  transversus  Weisbach 
(Wiener  med.  Jahrb.  XIX,  88).  ^)  Gyri-cruciati  Valentin.  Weisbaeh  zählt  drei,  durch 
zwei  Furchen  geschiedene  sagittale  Windungen,  welche  von  der  Querfurche  ausgehen,  aber 
häufig  mit  einander  verbunden  oder  unterbrochen  sind.  ^)  Erster  und  zweiter  Pli  ascen- 
dant  Gratiolet.  Circonvolution  tr{insverse  parietale  anter.  und  circonv.  transv.  medio-pa- 
rieiale  Foville.  Tractus  parktalis  ant.  und  inedius  Barkow.  Pansch  zieht  die  vor- 
dere Centralwindung  zu  den  Frontalwindungen  und  Turner  nennt  sie  aufsteigende  Frontal-, 
die  hintere  Centralwindung  aufsteigende  Parietalwindung.  Von  den  Furchen,  die  die  Cen- 
tralwülste nach  vorn  und  hinten  begrenzen,  betrachtet  Turner  die  vordere  als  aufstei- 
genden Schenkel  der  Seitenfurche;  die  hintere  nennt  er  Interparietalfurche.  Barkow 
führt  die  vordere  als  Sulcus  parietofrontalis,  die  hintere  als  Sulcus  parietalis  medtus  auf. 
Sein  Sulcus  pariet.  post.,  der  zuweilen  in  einen  S.  p.  p.  sup.  und  inf.  zerfällt,  häufig  fehlt 
und  sich  gewöhnlich  auf  die  obere  Hälfte  der    Hemisphäre  beschränkt,   begrenzt  einen ,    dem 


Gehirn. 


161 


Sulcus  Centralis  (Fig.  100^).  Meistens  schliessen  die  Centralwülste  die  Central- 
spalte  vollständig  ein  ■  sie  vereinigen  sich  mit  ihren  oberen  Enden  noch  auf  der 
äusseren  oder  am  oberen  Rande  der  medialen  Fläche,   mit  ihren  unteren  En- 


Linke  Grosshirnheniisphäre ,  Profil,     n,  s,- p,  i  Vorderer,  oberer,  hinterer,    unterer  Lap- 
pen.    Fla,  Flp  Fissura  lateralis  ant.  und  post.       Sc    Sulcus  centralis.       Fop   Fissura 
occip.  perpendic.    Gca,    G cp  Gyrus  centr.  ant.  und  post.      Gt  Gyrus  transitivus.    Prc 
Praecuneus.     Lth  Lobulus  tuberis. 


den  dicht  über  der  Seitenspalte,  öfters  in  einiger  Entfernung  über  derselben 
oder  auch  erst  an  der  inneren  Fläche  des  Operculum ,  dessen  Randwülste 
stets  die  nämliche,  aufwärts  divergirende  Anordnung  haben,  wie  die  der 
Insel.  Zuweilen  wendet  sich  aber  der  Eine  oder  andere  Centralwulst  am 
oberen  oder  unteren  Ende  oder  schon  in  der  Mitte  von  der  Centralspalte 
ab,  um  in  horizontaler  Richtung  weiter  zu  gehen,  und  es  kann  geschehen, 
dass  sie  dadurch,  sowie  an  windungsreichen  Gehirnen  durch  secundäre  Ein- 
schnitte oder  Kräuselung,  einer  flüchtigen  Beobachtung  entgehen.  Beim 
Fötus  sind  die  Furchen,    welche  die  Centralwülste  begrenzen,  früher  ange- 


hinteren Parietalwulst  parallelen  Lappen,  Traet.  parietalis  post.  In  der  Verleihung  von 
Namen,  nicht  nur  an  die  einzelnen  Windungen ,  sondern  auch  an  die  dieselben  trennenden 
Furchen  und  verbindenden  Brücken,  ist  Niemand  weiter  gegangen,  als  Barkow.  Ich  vermag 
nicht,  ihm  in  diese  Details  zu  folgen  und  verweise  auf  seine  comparative  Morphologie. 
Bd.  III.  Breslau  1867.  S.  33  u.  ff.  i)  Kolando'sche  Spalte  Leuret.  Scissura  perpendi- 
cularis  Gratiolet.  Fissura  transversa  ant.  Pansch.  Sulcus  parietalis  ant.  Barkow. 
Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abtlilg.  2.  \\ 


162  Gehirn. 

deutet ,  als  alle  übrigen  und  dies  macht  es  erklärlicli ,  wie  die  concentri- 
schen  Wülste  sich  an  denselben  brechen.  Der  Uebergang  in  die  letzteren 
erfolgt  rascher  gegen  die  vordere  Spitze  der  Hemisphäre,  als  gegen  die 
hintere.  Die  Windimgen  vor  dem  vorderen  Centralwnlst  lassen  sich  auf 
drei,  dem  oberen  Rande  parallele,  mehr  oder  minder  geschlängelte  Züge, 
Frontalwindungen,  Gyri  frontales  ^),  zurückführen,  von  denen  der  oberste 
die  äussere  Fläche  des  medialen  concentrischen  Randwxilstes  darstellt,  und 
nur  am  unteren  Rande  des  vorderen  Lappens  schliessen  sich  zwei  oder  drei  kurze, 
verticale  Randwülste,  Qyrus  *raws«i««;t<s,  Ueb er gangswin düng  Hxischke, 
an  den  Centralwulst  an  (Fig.  100).  Nach  hinten  vom  hinteren  Centralwnlst 
aber  macht  sich  die  durch  Centralwülste  veranlasste  Störung  vorzugsweise 
in  der  oberen  Hälfte  der  Hemisphäre  bemerklich  und  hier  sind  einfache 
und  complicirtere  Formen  zu  unterscheiden.  Die  einfachen  sind  diejenigen, 
wo  die  hintere  Seitenfurche  dicht  hinter  dem  hinteren  Centralwülste  endet. 
Dann  geht  aus  dem  unteren  Ende  des  hinteren  Centralwulstes  der  Wulst 
hervor,  der  die  hintere  Seitenfurche  abschliesst  und  abwärts  in  den  oberen 
Randwulst  des  Unterlappens  umbiegt,  und  an  den  verticalen  Theil  dieses 
Wulstes  reihen  sich  nach  hinten  noch  einige  verticale  Züge  selbständig  oder 
als  steile  Schlängelungen  einer  einzigen  Windung  an.  Sie  bilden  mit  dem 
die  hintere  Seitenfurche  abschliessenden  Randwulste  ein  viereckiges  Läpp- 
chen, aus  dessen  unterem  Rande  der  mittlere  Randwulst  der  äusseren  Fläche 
des  Unterlappens  hervorgeht.  Den  Raum,  der  oberhalb  dieses  Läppchens 
zwischen  der  oberen  Hälfte  des  hinteren  Centralwulstes  und  der  verticalen 
Occipitalfurche  übrig  bleibt,  nehmen  unregelmässige  Windungen  ein,  weiche 
in  ihrer  Gesammtheit  ein  dreieckiges,  mit  der  Spitze  vor-  und  abwärts  ge- 
kehrtes Läppchen  zusammensetzen.  Man  kann  mit  Pluschke  das  letz- 
tere I*i''aeCimeus ,  Vorzwickel  2),  das  vierseitige  Läppchen ,  nach  seiner 
Lage,  Lohulus  tuberis,  Scheitelhöckerläppchen-^),  nennen.  Reicht  die 
hintere  Seitenfurche  weit  über  den  hinteren  Centralwulst  hinaus,  so  verlän- 
gert sich,  wie  in  Huschke's  Abbildungen,  derLobulus  tuberis  in  den  Win- 
kel, den  der  Centralwulst  mit  der  Seitenfurche  bildet ;  es  ist  vorn  von  verti- 
calen, dem  Centralwulst  mehr  oder  minder  parallelen  Wülsten  durchzogen 
und  sein  Yerhältniss  zur  Seitenfurche  verwischt  sich.  Je  nachdem  die  Zahl 
der  Randwülste  des  Lobulus  tuberis  grösser  oder  geringer  ist,  überlassen 
sie  ein  kleineres  oder  grösseres  Gebiet  den  horizontalen  Windungen,  die 
sich  um  die  Spitze  des  hinteren  Lappens  auf  dessen  innere  und  untere 
Fläche  begeben.  Doch  verlieren  auch  diese  häufig  durch  secundäre  Fur- 
chen ihr  charakteristisches  Gepräge  und  auf  der  unteren  Fläche  des  hinte- 
ren Lappens  herrschen  ebenso  oft  quere,  als  longitudinale  Züge  vor*). 


1)  Urwindungen  Huschke.  Gratiolet  und  Huschke  zählen  von  unten  nach  oben, 
R.  Wagner  und  Bise  hoff  von  oben  nach  unten.  Durch  Theilung  der  obersten  Frontal- 
windung entsteht  zuweilen  eine  vierte.  Die  untere  Frontalwindung  heisst  bei  Gratiolet 
auch  die  superciläre.  ^)  Lobulus  parietalls  sup.  Huschke.  Lobule  du  2.  pli  ascendant 
Gratiolet.  Gyrus  angularis  nwdf  Lohulus  suptramai'gmalis  Turner.  Unter  dem.Lob.su- 
pramarg.  im  Besonderen  versteht  Turner  die  zwischen  dem  hinteren  Centralwulst  und  der 
hinteren  Seitenspalte  gelegenen  Windungen.  ^)  Lobule  du  pH  marginal  superieur  und  Lo- 
bule quadrilatere  (die  entsprechende  mediale  Fläche  Gratiolet).  Lobulus  posiero-parietalis 
und  quadrilateralis  Turner.      *)  Die  Unbeständigkeit  der  Windungen  dieses  Theils  der  He- 


Gehirn. 


163 


Ich  habe  wiederholilt  erwähnt ,  dass  die  typische  Eichtung  der  Raudwülste 
in  dem  Maasse  an  Deutlichkeit  verliert,  als  die  Kräuselung  derselben  und  die 
Zahl  der  secundären  Turchen  zunimmt.  Aus  diesem  Grunde  hat  man,  um  die 
Norm  zu  ermitteln,  sich  an  niedere  Eutwickelungsstufen,  an  das  Grehirn  des  Em- 
bvjo  und  der  dem  Menschen  zunächst  stehenden  Säugethiere  gewandt.  (Vergi. 
Huschke,  Schädel,  Hirn  xmd  Seele.  Jena  1854.  Gratiolet,  mem.  sur  les  plix 
cerebraux  de  l'homme  et  des  primates.  Pai-is  1854.  R.  Wagner,  Vorstudien 
zu  einer  wissenschaftlichen  Morphologie  und  Physiologie  des  menschlichen  Gehirns 
als  Seelenorgan.  Göttingen  1862.  Pansch,  de  sulcis  et  gyris  in  cerebris  simia- 
rum  et  hominum.  Kiliae  1866.  Bischoff,  a.  a.  0.)  Beim  erwachsenen  Men- 
schen kommen  in  dieser    Beziehung    weitgreifende    individuelle    Verschiedenheiten 

Fifir.  101    A. 


vor,  zu  deren  Illustrirung  die  Copien  der  Profilansicht  des  Gehirns  eines  29jährigen 
Deutschen  (Huschke)  (Fig.  101  J)  und  des  Gauss 'sehen  Gehirns  (R.Wagner)  (B) 
dienen  sollen.     Der  von  den  niederen  zu  den  höheren  Thieren  und  zum  Menschen 


misphären  spiegelt  sich  in  dem  Mangel  an   üebereinstimmung    in    der    Eintheilung    und    Be- 
nennung derselben.      Valentin  beschreibt  die  hintere  Centralwindung  mit  der  zunächst  da- 

11* 


164  Gehirn. 

allmälig  wachsende  Reiclithum  an  Windungen  macht  eine  Beziehung  zwischen 
Windungsreichthixm  und  InteUigenz  wahrscheinlich.  Oh  aber  innerhalb  der 
menschlichen  Gattung  die  Schärfe  des  Verstandes  oder  die  Intensität  und  Man- 
nigfaltigkeit besonderer  Naturanlagen  proportional  sei  der  Zahl  oder,  was  das- 
selbe ist,  dem  Flächeninhalt  der  Bandwülste,  darüber  zu  entscheiden,  reicht 
das  Beobachtungsmaterial  noch  nicht  aus.  Es  finden  sich  einerseits  in  ana- 
tomischen Sammlungen  anonyme  Gehirne  von  grossem  Windungsreichthum,  die 
man  nicht  sämmtlich  von  verkommenen  Genies  herzuleiten  befugt  ist,  und 
ebenso  voreilig  wäre  es ,  wollte  man  zur  Zeit  die  Rechtmässigkeit  der  Stel- 
lung, die  ein  Gelehrter  im  Leben  einnahm,  nach  dem  Resultat  der  Section 
seines  Gehirns  beurtheilen.  Wahrscheinlich  wird  es  sich  mit  dem  Flächen- 
inhalte verhalten,  wie  mit  dem  Gewichte,  dass  nämlich  die  extremen  Grössen 
Schlüsse  auf  die  Function  gestatten ,  die  massigeren  Schwankungen  aber  wegen 
der  Anzahl  zusammenwirkender  und  einander  compensirender  Factoren  unbe- 
rechenbar werden. 

Mit  allem  dem  ist  aber  nur  eine  Beziehung   der  Zahl  der  Windungen  zur  In- 
tensität der  Geistesthätigkeit  im   Allgemeinen    zugestanden.     Es   giebt  eine   wohl- 


hinter  gelegenen  als  Gyrus  angulformls  medius  (die  vordere  Centralwindung  heisst  bei  ihm 
Gyrus  divisus).  Huschke,  der  in  den  Randwülsten  des  Hinter-  und  Unterlappens  die  hin- 
teren Hälften  der  durch  die  Centralwindungen  zersprengten  Urwindungen  erkennt,  deutet 
die  unregelmässigen  Windungen  des  hinteren  Theils  des  oberen  und  des  hinteren  Lappens 
als  Anfänge  der  drei  Schläfenwindungen,  Anfänge,  die  wegen  ihrer  zahlreichen  Schlänge- 
lungen nicht  sowohl  Inseln ,  als  Läppchen  bilden.  Läppchen  dieser  Art  sind  der  Prae- 
cuneus  und  der  Lobulus  tuberis.  Die  zunächst  nach  hinten  von  dem  letzteren  gele- 
genen Windungen  vereinigt  Huschke  zum  Lohulus  parietalis  ext.  (jwst.)  ,  die  obere  Fläche 
des  hinteren  Lappens  bezeichnet  er  als  Lobulus  interparietalis  externus,  die  äussere  und 
untere  Fläche  desselben  als  Lohulus  interparietalis  inferior.  Aus  den  Lobuli  parietalis  und 
interparietalis  ext.  leitet  er  die  mittlere  Schläfenwind nng  ab.  Gratiolet  zerfällt  den 
Hinterlappen  in  drei  (den  2.  bis  4.)  plis  de  passage  und  drei  Occipital Windungen;  jene  neh- 
men ,  von  oben  nach  unten  gezählt,  die  äussere  Fläche  zunächst  dem  Unterlappen  ,  diese 
ebenso  die  hintere  Spitze  des  Hinterlappens  ein.  Einen  aus  der  Furche  zwischen  der  ersten 
und  zweiten  Schläfenwindung  rückwärts  emporsteigenden,  übrigens  unbeständigen  Randwulst 
bezeichnet  Gratiolet  als  pli  courbe.  R.  Wagner's  erste  und  dritte  Scheitellappenwin- 
dung, Gyrus  parietalis  sup.  und  inf.,  sind  identisch  mit  dem  Praecuneus  und  Lobulus  tube- 
ris Husch  ke's;  seine  mittlere  Scheitellappenwindung  umfasst  Eandwülste ,  die  sich  zwi- 
schen den  hinteren  auseinanderweichenden  Windungen  dieser  Läppchen  einschieben  und 
Gr atiolet's  ^^t  courbe  entsprechen  sollen.  Von  den  vier  Hintei-haupts Windungen  Wag- 
ner's ist  die  erste  der  Cuneus,  die  zweite  begreift  Gratiolet's  zweiten  bis  vierten  pH  de 
passage,  die  dritte  desselben  Autors  drei  Occipitalwindungen,  die  vierte  scheint  identisch 
mit  Husch  ke's  Lobulus  fusiformis ;  als  eine  Gruppe  von  zwei  bis  drei  Windungen,  auf 
die  auch  der  Name  Unterzwickel ,  Subcuneus ,  passe,  liegt  sie  vor  der  dritten  Occipital- 
windung  an  der  Unterfläche  des  hinteren  Lappens  und  geht  nach  vorn  unmittelbar  in  das 
Ende  des  Gyrus  fornicatus  über.  Pansch  bildet  aus  der  oberen  Hälfte  des  hinteren  Cen- 
tralwulstes  und  dem  Vorzwickel  nebst  einem  Theil  von  Wagner's  zweiter  und  auch  dritter 
Parietalwindung  einen  Gyrus  parietalis  sup.,  aus  der  unteren  Hälfte  des  hinteren  Central- 
wulstes  und  dem  Reste  der  Parietalwindungen  einen  Gyrus  parietalis  inf.  ;  bezüglich  der 
Occipitalwindungen  erklärt  er  sich  mit  Wagner  und  Gratiolet  einverstanden,  obgleich, 
wie  aus  dem  Vorhergehenden  erhellt,  die  Occipitalwindungen  dieser  beiden  Autoren  ganz 
verschiedene  Bedeutung  haben.  Bischoff  zählt  fünf  Scheitelbogenwindungen  und  zwei  Oc- 
cipitalwindungen auf.  Die  beiden  letzteren ,  eine  laterale  und  mediale,  beschränken  sich 
auf  die  untere  Fläche  des  Hinterlappens  und  gehen,  jene  in  die  untere  Temporalwindung, 
diese  in  den  Gyrus  hippocampi  über.  Von  den  Scheitelbogenwindungen  entspricht  die  erste 
oder  vordere  dem  über  der  Seitenfurche,  die  zweite  oder  mittlere  dem  hinter  derselben  ge- 
legenen Theil  des  Lobulus  tuberis;  die  dritte  oder  hintere  erklärt  Bischoff  für  identisch 
mit  Gratiolet's  drittem  und  viertem  pH  de  passage;  die  vierte  oder  innere  obere  gehört 
dem  oberen  Rande  des  Vorzwickels  an  und  die  fünfte  oder  innere  untere  ist  die  durch  die 
verticale  und  horizontale  Occipitalfurche  eingeschlossene  Spitze  des  Zwickels. 


Gehirn.  165 

begründete  Tliatsaclie,  welche  einem  specifischen  G-eistesvermögen  einen  bestimmt 
localisirten  Sitz  in  EandAvülsten  anzuweisen  scheint,  das  Zusammentreffen  der 
Sprachstörung  mit  Degeneration  der  Eandwülste  der  linksseitigen  Insel  tmd  der  an 
ihren  vorderen  Rand  grenzenden  Windungen  des  oberen  Lappens.  Aber  der  Er- 
folg der  Degeneration  müsste  derselbe  sein ,  wenn  den  fraglichen  Randwülsten 
nur  ein  Einfluss  auf  die  Ernährung  der  darunter  befindlichen  weissen  oder 
grauen  Massen  zukäme,  und  nach  dem,  was  ich  in  der  Einleitung  über  die  Be- 
deutung der  grauen  Substanz  und  oben  (S.  157)  über  den  Zweck  der  Furchen 
bemerkte,  ist  es  nicht  einmal  gewiss ,  ob  die  Yermehrung  der  Fortsätze  der 
Gefässhaut'  nicht  erst  die  Folge  der  durch  die  Thätigkeit  des  Organs  gestei- 
gerten Bhitzufuhr  ist. 

Unter  den  erwähnten  Randwülsten  zeiclinet  sich  derjenige,  der  mit  dem  Gyrus  forni- 
Thalamiis  die  in  das  Unterhorn  führende  Spalte  begrenzt,  durch  eine  eigen-  hfppocampT.* 
thümliche  und  complicirte  Bildung,  sowie  durch  eine  stellenweise  von  den 
übrigen  Randwülsten  abweichende  Farbe  aus.  Er  ist  die  unmittelbare 
Fortsetzung  einer  Windung ,  die  an  der  medialen  Fläche  des  Vorderlappens 
unter  dem  Schnabel  des  Balkens  entsteht,  den  Balken  längs  dessen  Knie 
und  Körper  bis  zum  Wulst  begleitet  und  um  den  Rand  des  letzteren  nach 
unten  umbiegt.  Die  ganze  fast  ringförmige  Windung  wird  Gyrus  fornica- 
tus  Arnold  1),  ,  der  untere  Theil  derselben  wird  Gijrus  Mppocampi^)  ge- 
nannt. Er  erstreckt  sich  über  den  Tractus  opticus  hinaus  und  endet  mit 
einer  hakenförmigen  Umbiegimg,  Uncus°),  dergestalt,  dass  die  Convexität 
derselben  den  Anfang  der  Seitenspalte  von  hinten  her  begrenzt,  der  auf- 
wärts umgeschlagene  Schenkel  des  Hakens  sich  dicht  auf  den  unteren  Schen- 
kel anlegt,  den  er  median wärts  überragt.  Der  mediale  Rand  des  oberen 
Schenkels  des  Hakens  ist  frei,  ebenso  die  hintere  Spitze  desselben,  welche 
abgerundet  und  abgeplattet  dem  lateralen  Corpus  geniculatum  ungefähr 
gegenüber  liegt  (Fig.  102  a.  f.  S.)  und  auf  die  später  zu  beschreibende  - 
Weise  das  Ende  des  Fornix  aufnimmt.  Dem  Tractus  ojiticus  entlang  ist 
der  obere  Schenkel  des  Hakens  an  die  untere  Fläche  der  Hemisphäre  ange- 
wachsen; die  Verbindung  erfolgt  zunächst  seiner  Spitze  durch  ein  dünnes, 
niedriges  Markblatt  (Fig.  72.  79*);  weiter  vorwärts  und  seitwärts  fliesst  die 
Substanz,  die  den  Haken  an  die  untere  Fläche  der  Hemisphäre  befestigt, 
zusammen  mit  derjenigen,  durch  welche  die  Spitze  des  unteren  Lappens 
hinter  der  Substantia  perforata  antica  angeheftet  und  das  Unterhorn  des 
Seitenventrikels  vorwärts  abgeschlossen  wird  (Fig.  34).  Was  die  Farbe  des 
Gyrus  fornicatus  betrifft,  so  geht  von  der  Stelle  an,  wo  er  sich  um  das' 
Splenium  des  Balkens  herumschlägt,  bis  zum  Haken  das  Grau  der  unteren 
Fläche  gegen  den  medialen  Rand  allmälig  in  Weiss  über  und  einen  ganz 
eigenthümlichen  Wechsel  von  grauer  und  weisser  Substanz ,  kleine  weisse 
Kreise  von   schmalen   netzförmigen   grauen   Streifen   geschieden ,    zeigt   die 


■'■)  Fornix  periplierlcus  Arnold.  C'vrcumvoluüo  cristata  Rolando.  Circonvoluüon  de 
Vourlet  Foville.  Grande  circonvolution  du  corps  calleux  Cruv.  Gyrus  supracallosus  inf. 
Barkow.  Bogenwulst.  Den  oberen  Theil  des  Gyrus  fornicatus  beschrieb  Burdach  als 
Gyrus  cinguU,  Zwingenwulst ,  Cingulum  s.  Cingula.  ^)  Gyrus  hippocampi  s.  Suhiculum 
cornu  Ammonis  Burdach.  Gyrus  suhstanüae  albae  reticularis  Valentin.  Gyrus  unclna- 
tus  Huxley.  Pli  temporal  superieur  int.  Gratiolet.  Gyrus  occipitoternporalis  medialis 
Pansch.      3)  Hakenganglion  Burda  eh. 


Fohr 


166      •  Gehirn. 

untere  Fläche  des  unteren  Schenkels  des  Hakens.     Dies   ist   die   Substantia 
reticularis  alba  Arnold  (Fig.  34.  86.  102). 

Fig.  102. 


Coa 


CcTj 


Hinterer  Theil  der  linken  Hemisphäre,  mediale  Fläche.  Seplum  lucidum  entfernt,  Gross- 
hirnschenkel (Ccb)  dicht  am  Thalamus  abgeschnitten.  Coa  Commiss.  ant.  Cs  C. 
striat.  Ts  Tuberc.  sup.  des  Thalamus.  Cd  C.  callos.  Gf  Gyrus  fornic.  Cq  C.  qua- 
drig.  Tho  Thalamus.  Prc  Praecuneus.  /'op,  FoJi  Fissura  occip.  perpend.  und  ho- 
rizont.  C  Cuneus.  Fd  Fascia  dentata.  Fi  Fimbria.  Gh  Gj-rushippocampi.  Gh'  Ha- 
ken desselben.  Tap  Tapetum.  Cgi  C.  genic.  lat.  Sn  Substantia  nigra.  Cca  C. 
candic.      II  N.   opt.     I  N.   olfactorius. 


Nur  im  vorderen  Theil  seines  Verlaufs  pflegt  sich  der  Gyrus  fornicatus 
selbständig  zu  erhalten.  Ueher  dem  hinteren  Theil  des  Balkens  geht  er 
Verbindungen  mit  dem  Praecuneus  ein,  bald  durch  einen  Wulst,  der  aus 
dem  oberen  Rande  des  Gyrus  fornicatus  entspringt  und  nach  einigen  Krüm- 
mungen wieder  zurückkehrt ,  bald  in  der  Weise ,  dass  er  an  Höhe  zunimmt 
und  von  verticalen  Furchen  durchzogen  oder  selbst  zu  einem  Läppchen  mit 
eng  wellenförmigen  Windungen  ausgedehnt  wird ,  welches  zwischen  den 
Randwülsten  des  Praecuneus  aufwärts  ragt. 

Dem  Splenium  des  Balkens  gegenüber  nimmt  der  Gyrus  fornicatus 
die  Spitze  des  Cuneus  auf  (Fig.  102),  oberflächlich  oder  in  der  Tiefe;  im 
letzteren  Fall  schlagen  die  Wülste  des  Praecuneus  und  der  unteren  Fläche 
des  Cuneus  über  der  Spitze  des  letzteren  zusammen.  Unterhalb  des  Sple- 
nium gehen  in  den  unteren  Rand  des  Gyrus  fornicatus,  meistens  in  eine 
Spitze  vereinigt ,  zwei  bis  drei  geschlängelte  Randwülste  der  unteren  Fläche 


Gehirn. 


167 


Fiö".  103. 


Cd 


des  Hinterlappens  über.  Von  da  an  bleibt  der  Gyrus  fornicatiis  entweder 
durch  eine  bis  zur  Spitze  des  Unterlappens  reichende  Furche  von  den  be- 
nachbarten Eandwülsten  geschieden  oder  er  verbindet  sich  mit  ihnen  durch 
quere  Brücken  oder  er  theilt  sich  selbst  gegen  die  Spitze  des  Unterlappens. 
Der  Haken  ist  an  seinem  convexen  Rande  meist  nur  durch  seichte  Furchen 
gegen  die  Randwülste  der  Spitze  des  unteren  Lappen  abgesetzt. 

So  veränderlich  die  Beziehungen  des  Gyrus  fornicatus  zu  den  an  sei- 
ner lateralen  Seite  gelegenen  Randwülsten  sind ,  so  constant  ist  sein  Ver- 
halten am  freien,  medialen  Rande.     Es  ist  aber  eine   Täuschung,   wenn   die 

stumpfe  Kante  des 
Gyrus  fornicatus 
und  insbesondere 
des  Gyrus  hippo- 
campi,  die  mit 
dem  Thalamus  den 
spaltförmigen  Ein- 
gang in  das  Un- 
terhorn  begrenzt, 
als  Rand  der  ge- 
nannten Windung 
erscheint.  Der 
eigentliche,  schar- 
fe, nur  von  weis- 
ser Substanz  ge- 
bildete Rand  der- 
selben liegt  im 
Boden  des  Unter- 
horns ;  er  wird 
sichtbar  ,  wenn 
man  das  Unter- 
horn  von  oben  oder 
von  aussen  öffnet 
(Fig.  103);  einen 
richtigen  Einblick 
in  die  Structur  der 
"Windung  gewährt 
aber  nur  der  Fron- 
talschnitt dersel- 
ben(Fig.l04a.f.S.). 
Er  zeigt,  dass  vom 
Gyrus  hippocampi 
in  seiner  ganzen 
Länge  eine  Platte 
sich  erhebt ,  die  sich  mit  gegen  das  Lumen  des  Ventrikels,  also  lateralwärts 
gerichteter  Convexität  umrollt,  einen  fast  vollständigen  Hohlcylinder  bildend, 
dessen  oberer  Rand  wieder  unter  spitzem  Winkel  lateralwärts  umkehrt 
und  zugeschärft  frei  endet.  So  weit  sie  die  Wand  des  Hohlcylinders  dar- 
stellt, besteht  die  gerollte  Platte  aus  drei  Schichten,   zwei   weissen,   welche 


Cav 


Seitenventrikel  mit  dem  unteren  und  hinteren  Hörn,  durch  Abtra- 
gung des  Balkens  geöffnet.  Ccl'^  Knie  des  Balkens.  81  Sept. 
lucid.  Cs  Corp.  striat.  Tho  Thalamus.  St  Stria  terminalis. 
Crf  Crus  fornicis.  Hp  Hippocampus.  Fi  Fim,bria.  Tap  Ta- 
petum.      Cav  Calcar  avis. 


168 


Gehirn. 


Hippocam- 
pus. 


Tascia  deii- 
tata. 


Fig.  104. 


eine  graue    einschliessen.     Die    graue   (Fig.  104  *i)   hängt  mit   der  grauen 
Einde  der  Randwülste  zusammen.      Die  weisse  Schichte,  welche  die  concave 

Fläche  der  grauen  beklei- 
det 2),  ist  Fortsetzung  der 
äusseren  weissen  Schichte 
des  Gyrus  hippocampi;  die 
über  die  convexe  Fläche  der 
grauen  Schichte  axisgebrei- 
tete  weisse  ^)  gehört  dem  Ta- 
petum  an,  welches  durch  die 
eingerollte  graue  Schichte  in 
einen  Längswulst  erhoben 
ist.  Als  eine  Hervorragung 
am  Boden  des  Unterhorns 
wurde  dieser  Längswulst  un- 
ter dem  Namen  des  Hip- 
pocampus  *)  beschrieben  ;  der 
lateralwärts  umkehrende  freie 
ßand  der  eingerollten  Platte, 
der  den  medialen  Rand  des 
Frontalschnitt  des  Gyrus  hippocampi  (Gh).  Hintere  Hippocampus  säumt,  wird 
Schnittfläche.  Vi'"  Hinteres  Hörn  des  Seitenven-  FimbYio,  (JSippoCClI'npi  ^}  ge- 
*^''  nannt.    Sie  ist  ein  rein  weis- 

ses Markblatt,  gebildet  aus 
der  Vereinigung  der  beiden  weissen  Schichten  der  gerollten  Platte,  nach- 
dem ihre  graue  Schichte  an  dem  Umbeugungswinkel  in  die  Fimbria,  d.  h. 
am  angehefteten  Rande  der  letzteren,  ihr  Ende  erreicht  hat.  Die  Fimbria 
nimmt  von  der  vorderen  Spitze  des  Hippocampus  nach  hinten  an  Breite  zu ; 
sie  ruht  in  ihrer  ganzen  Länge  auf  der  oberen  Fläche  des  Hippocampus 
und  nur  am  hinteren  Ende  trennt  sie  sich  von  ihm ,  um  an  die  untere  Fläche 
des  Balkens  zu  treten  und  continuirlich  in  den  Schenkel  des  Fornix  über- 
zugehen, so  dass  also  die  Fimbria  das  hintere  Ende  des  Fornix  darstellt 
(Fig.  86.  87). 

Die  Höhlung  der  gerollten  Platte  erfüllt  ein  grauer  cylindrischer  Strang 
von  eigenthümlicher  Beschaffenheit.  Er  entspringt  platt  auf  der  oberen 
Fläche  des  Balkenwulstes,  bedeckt  vom  überhängenden  Rande  des  Gyrus 
fornicatus  (Fig.  87.  102)  und  läuft  alsdann  an  der  oberen  Fläche  dieses 
Gyrus  herab  bis  in  den  Winkel,  den  der  obere  und  untere  Schenkel  des 
Hakens  mit  einander  bilden  (Fig.  102).  Von  oben  her  bedeckt  ihn  der 
Rand  der  gerollten  Platte,  der  sich  zur  Fimbria  u:aschlägt,  oder,  was 
dasselbe  ist,  der  mediale  Rand  des  Schenkels  des  Fornix,  der  sich  in  den 
angewachsenen  Rand  der  Fimbria  fortsetzt.  So  weit  der  graue  Strang 
zwischen  Gyrus  fornicatus   und   Fimbria  frei  liegt   oder  durch   Entfernung 


^)  Graue  gerollte  Schichte  Bardach.  ^)  Verbindungs-  und  Kernblatt  Burdach. 
^)  Oberes  und  unteres  Muldenblatt  (Alvetis)  Burdach.  *)  Pes  hijypocampi.  Pes  kippoc. 
major.  Cornu  Ammonis.  Kolben  Reil.  Widderhorn.  Ammonshorn.  Seepf'erdefuss.  ^)  Tae,- 
nia.     Saum. 


Gehirn. 


169 


dieser  beiden  Theile  von  einander  frei  gelegt  werden  kann ,  zeichnet  er 
sich  durch  einen  gallertartigen  Glanz  und  durch  Einschnürungen  der  Rän- 
der aus  ,  die,  je  nachdem  sie  einander  gegenüberstehen  oder  mit  einander 
alterniren,  dem  grauen  Streifen  bald  ein  perlschnurförmiges ,  bald  ein 
eng  zickzackförmig  gewundenes  Ansehen  gewähren.  Daher  der  Name 
Fascia  dentata,   gezahnte  Leiste  i),  den  man  diesem  Gebilde  ertheilt  hat. 

Ich  sagte,  dass  die  graue  Schichte  der  gerollten  Platte  vor  der  Um- 
beugung  der  letzteren  in  die  Fimbria  sich  verliere.  Sie  setzt  sich  zuvor, 
indem  sie  stellenweise  die  weisse  Schichte  der  concaven  Fläche  der  geroll- 
ten Platte  durchbricht,  mit  der  grauen  Masse  der  Fascia  dentata  in  Ver- 
bindung.    Diese  Communication  zeigt  Fig.  104. 

Gegen  das  vordere  Ende  nimmt  der  Hippocampus  an  Breite  und  Höhe 
zu  und  erhält  durch  drei  bis  vier  seichte,  der  Axe  des  Wulstes  parallele  Ein- 

Fig.  105. 


ünterhorn  der  linken  Hemisphäre,  durch  einen  Horizontalschnitt  weit  geöffnet.     Crf  Crus 
fornicis.       Cd  C.  callos.      Gh    Gyrus    hippocampi.      Bb    Bulbus  cornu  posterioris. 


drücke  einige  Aehnlichkeit  mit  einer  in  stumpfe  Zehen  getheilten  Klaue 
(Fig.  105).  Die  Klaue  füllt  das  blinde  Ende  des  Unterhorns  aus,  stösst  mit 
ihrem   abgerundeten,    vorderen    Rand    unmittelbar    an   die    vordere    Wand 


)  Fascia  denticulata,      Fasciola  dentata.     F.   d.   hijjpocampL 


170 


Gehirn. 


des  Horns  und  ist  mit  der  Decke  desselben  zuweilen  durch  dünne  kurze 
Markfäden  verbunden,  die  vielleicht  pathologischen  Ursprungs  sind.  Die 
Windung,  die,  von  aussen  gesehen,  als  oberer  Schenkel  des  Hakens  er- 
scheint, ist  nichts  anderes,  als  der  mediale  Rand  der  Klaue,  welcher  von 
dem  Ventrikel  dadurch  ausgeschlossen  wird,  dass  die  Fimbria  sich  über  die 
Klaue  fortsetzt  in  die    dünne,  verticale  Platte,  die   die   Spitze  des  unteren 

Lappens  an  die  untere  Fläche  des  vor- 
deren  anheftet   (Fig.   106). 

So  beruht  also  auch  der  Anschein, 
als  ob  der  Gyrus  hippocampi  mit  einer 
rückwärts  umgeschlagenen  Spitze  ende, 
auf  einer  Täuschung;  in  Wahrheit  ist 
der  Haken  der  Rand  einer  Schlinge, 
deren  unteren  absteigenden  Schenkel 
der  Gryrus  hippocampi,  deren  oberen 
aufsteigenden  Schenkel  derHippocam- 
pus  selbst  bildet.  Beide  Schenkel 
hängen  nicht  nur  durch  die  End- 
schlinge, sondern  auch  längs  dem  la- 
teralen Rande  zusammen,  während 
ihre  medialen  Ränder  klaffen ,  um  die 
Fascia  dentata  aufzunehmen.  Sie 
decken  einander  nicht  vollständig,  vielmehr  weicht  der  obere  Schenkel,  der 
an  der  Umbeugungstelle  medianwärts  vorspringt,  im  weiteren  bogenförmi- 

Fig.  107. 
Nl 


eis 


Frontalschnitt  der  vorderen  Spitze  des  Hip- 
pocampus,  vordere  Schnittfläche.      Gh!  Ha- 
kenförmige   Umbiegung  des  Gyrus  hippo- 
campi.    Fi  Fimbria. 


Frontalschnitt  der  Grosshirnliemisphäre  durch  die  vordere  Spitze  des   Unterhorns    (Vi") 

des    Seitenventrikels,    vordere    Schnittfläche.      Cca    C.  candicans.      Tc  Tuber  cinereum. 

77'    Tract.    opticus.      G  h'    Haken    des    Gyrus    hippocampi.      Hp  Hippocamp.     Nl  Nucl. 

lentif.     In  Insula.      Cls  Claustrum. 


Gehirn. 


171 


gen  Verlaufe  lateralwärts  zurück.  Diese  Wülste  und  Eindrücke,  die  der 
oberen  Fläche  des  oberen  Schenkels  an  der  Umbeugungsstelle  das  klauen- 
förmige  Ansehen  geben,  finden  sich  auch  an  der  unteren,  der  Concavität 
des  Hakens  zugekehrten  Fläche  dieses  Schenkels.  Wülste  und  Eindrücke 
beider  Flächen  entsprechen  einander  einigermaassen  in  der  Art,  däss  der 
Frontalschnitt  das  Bild  einer  dicken,  wellenförmig  gekräuselten  Platte  dar- 
bietet (Fig.  107).  Die  graue  Masse  im  Inneren  derselben  scheint  eine 
Ausbreituijg  der  Fascia  dentata  zu  sein. 

Der  Theil  des  Bodens  des  Unterhorns,  der  zur   Seite  des   Hippocampus  Emin.coUat. 


Fig.  108. 


Frontalschnitt  des  Hippocampus  wie  Fig.  104. 

Fi  Fimbria.      Fd    Fascia  dentata.      Gh  Gy- 

rus  bippoc. 


von  vorn  nach  hinten  allmälig  an 
Breite  zunimmt,  ist  in  der  Regel 
eben,  zuweilen  aber  in  einen  con- 
vexen  dem  Hippocampus  parallelen 
Wulst  erhoben.  Dieser  Wulst,  Emi- 
nentia  Collateralis'^),  ist,  wie  die 
Vogelklaue,  Wirkung  einer  unge- 
wöhnlich tiefen  die  Wand  des  Ven- 
trikels vor  sich  her  treibenden  Fur- 
che ,  die  den  Gyrus  hippocampi  von 
dem  nächsten  Bandwulste  trennt 
(Fig.  108). 

An  die  Schilderung  der  äusseren  Austritt  d. 
Gestalt  des  Gehirns  schliesse  ich  zu- 
nächst   eine    systematische    Aufzäh- 
lung der  Hirnnerven  und  ihrer  Austrittsstellen. 

Schon  im  Vorhergehenden  mussten  einzelne  Nerven  erwähnt  werden, 
die  entweder,  wie  z.B.  der  N.  opticus,  unmittelbare  Fortsetzungen  von 
Hirntheilen  sind,  oder,  wie  die  Nerven  des  verlängerten  Marks,  zur  Grenz- 
bezeichnung der  Stränge  benutzt  werden.  Für  die  Darstellung  der  Structur 
des  Gehirns,   die   nun  folgen  soll,   ist    aber   die   Kenntniss   der  sämmtlichen  ' 

Nervenursprünge  unentbehrlich,  weil  die  feinere  Anatomie  des  Gehirns,  wie 
des  Rückenmarks ,  zu  einem  grossen  Theile  in  Verfolgung  der  Nervenwur- 
zeln in  das  Innere  des  Organs  beruht. 

Das  erste  Paar  der  Hirnnerven,  N.  olfactorius,  Riechnerve^),  ist  ein  i.  oifact. 
strangförmiger,  dreiseitig  pi"ismatischer ,  grauer  Fortsatz  des  Tuber  olfacto- 
rium  (S.  153),  auf  welchen  von  drei  Seiten  her  schmale ,  weisse  Streifen 
übergehen.  Einer  oder  zwei  Streifen,  die  laterale  Wurzel  ^)  verlaufen  vom 
vorderen  Rande  der  Insel  aus  anfänglich  fast  transversal  über  das  Tuber 
olfactorium  und  biegen  in  den  Seitenrand  und  die  untere  Fläche  des  Ner- 
ven um  (Fig.  109).  Ein  ähnlicher,  aber  kürzerer  Streif,  die  mediale  Wur- 
zel*) ,  entspringt  am  medialen  Rande  des  Tuber  olfactorium  und  verläuft 
am  entsprechenden  Rande  des  Nerven ;  auch  in  ihr  vereinigen   sich   zuwei- 


1)  E.  c.  Mechelü.     Seitliche   Erhabenheit.      ^)   Tractus  olfactorius.     Lohe  olfactlf  Gr  a.- 
tiolet.     Den  Namen  Riechnei-ven  wollen  Einige  den   Zweigen  vorbehalten    wissen,    die    aus 


dem  Bulbus  olfactorius  entspringen. 
Wurzel. 


^)  Aeussere  oder  lange  Wurzel.     *)  Innere  oder  kurze 


172 


Gehirn. 


2.  Opticus. 


len  mehrere,  vom  vorderen  Rande  der  Substantia  perfor.  ant.  über  das  Tu- 
ber olfactormm  ziehende  feinere  Streifen.     Als  dritte  oder  obere  Wurzel^) 
Fiff    109  kann  der  Streif  bezeich- 

j  net  werden,  der  die  obere 

dem  Sulcixs  olfactorins 
zugewandte  Kante  des 
Nerven  bildet  und  aus 
einer  Spitze  des  Tuber 
olfactorium  entspringt, 
die  sich  alsbald  zwischen 
den  beiden  benachbar- 
ten Randwülsten  ver- 
liert und  erst  durch  Zu- 
rückschlagen des  N.  ol- 
factorius  sichtbar  wird  ^). 
Von  dem  zweiten 
Nervenpaar ,  JSf.  opticus, 
wurde  Ursprung  und 
Verlauf  bereits  beschrie- 
ben. Hier  ist  nur  noch 
hinzuzufügen ,  dass  der 
Tractus  opticus ,  wäh- 
rend er  um  die  Gross- 
hirnschenkel und  vor 
dem  Tuber  cinereum  zum 
Chiasma    verläuft ,    mit 

den   genannten  Theilen 
untere  Fläche  des  vorderen  Hirnlappens :  die  vordere  Spitze  ,  •   , 

7     TT-  ^    ,  ,.      ,     ,     r^-.-  \    fr^  \    ..,..,      verwachsen  ist. 


/ 


3.  Ooulomot. 


des  Hinterlappens  entfernt,  das  Chiasma  opt.  (Co)  rückwärts 
umgeschlagen.     /  N.  olfactorius.      /'  Bulbus  desselben. 


Das  dritte  Paar, 
N.  oculomotorius ,  ge- 
meinschaftlicher Augenmuskelnerve  ^),  tritt  in  geringer  Entfer- 
nung vor  der  Brücke  an  der  Grenze  zwischen  Basis  und  Haube  aus 
dem  Grosshirnschenkel  mit  einer  Reihe  von  neun  bis  zwölf  platten 
Bündeln  hervor;  jedoch  entspricht  diese  Reihe  nicht  genau  der  Furche, 
welche  Basis  und  Haube  trennt,  sondern  schneidet  dieselbe  unter  spitzem 
Winkel,  so  dass  die  hinteren  Bündel  auf  das  Tegmentum,  die  vorderen 
auf  die  Basis  übergreifen.  Ein  vorderes  Bündel  ist  zuweilen  durch  einen 
grösseren  Zwischenraum  von  den  übrigen  geschieden  *).  Bald  nach  dem 
Ursprung  treten  sämmtliche  Bündel  zu  einem  cylindrischen  Strang  von 
3, .5  Mm.  Durchmesser  zusammen. 


^)  Von  einer  mittleren  Wurzel  des  N.  olfactorius  ist  in  doppelter  Bedeutung  die  Rede; 
man  versteht  darunter  die  graue  Substanz  zwischen  den  beiden ,  längs  den  Rändern  ver- 
laufenden weissen  Streifen  (Valentin),  sowie  auch  die  weissen  Streifen  in  der  Mitte  des 
Tuber  olfactorium,  die  sich  weiterhin  mit  der  lateralen  Wurzel  verbinden  (Me ekel).  ^)  Pro- 
pago  cinerea  int.  Val.  Pyramide  grise  Cruv.  Trlgonum  olfactorium  Rüdin ger.  ^)  N. 
oculoiiiuscularis  communis.  *)  Dies  mag  Anlass  gegeben  haben,  neben  dem  inneren  Haupt- 
stamni  einen  äusseren  Stamm  zu  unterscheiden. 


Gehirn, 


173 


Das  vierte  Paar,  N.  trocMearis,  oberer  Augenmuskelnerve'),  ent-  i.  Trochiea- 
springt  mit  zwei  oder  mehreren,  sogleich  zu  einem  Stämmchen  von  etwa  1  Mm.  "**' 

Fig.  110  2). 


Gehirn  mit  dem  angrenzenden  Theil  des  Rückenmai'ks,  von  der  unteren  resp.  vorderen 

Fläche.     Nervenursprünge.     Rechterseits  sind  die    vorderen  Wurzeln  kurz  abgeschnitten 

und  medianwärts  umgeschlagen.      VIl'    Portio  intermedia.      wc  /  N.   cervic.  primus. 


^)  N.  pathetlcus.  N.  oculomuscvlaris  sup.  Rollmuskelnerve,  Rollnerve.  Oberer  schie- 
fer Augenmuskelnerve.  ^)  Mit  geringen  Aenderungen  nach  Rüdinger,  Anat.  d.  mensrhl. 
Gehirnnerven.     München   1868.     Taf.   I. 


lUlS. 


174  Gehirn. 

Durchmesser  zusammenfliessenden  Fäden  vom  Seiteurande  des  vorderen 
Marksegels  dicht  hinter  der  Vierhügelplatte  (Fig.  46.  66),  verläuft  zuerst 
seitwärts,  dann  abwärts  um  den  Vierhügelschenkel  und  kommt  an  der  Basis 
des  Gehirns  in  dem  Winkel,  den  der  laterale  Rand  des  Grosshirnschenkels  mit 
dem  vorderen  Rande  der  Brücke  bildet,  zum  Vorschein,  um  sich  dann  an 
der  unteren  Fläche  des  Grosshirnschenkels  vorwärts  zu  begeben. 
Trigemi-  Das  fünfte  Paar,   N.  trigeminus,    dreigetheilter  Nerve  ^),   ist  der 

einzige,  nach  Art  der  Rückenmarksnerven  gemischte  Hirnnerve,  dessen  sen- 
sible und  motorische  Fasern  in  zwei  Wurzeln  gesondert  sind,  von  denen 
die  stärkere,  sensible,  zu  einem  Ganglion  anschwillt.  Beide  Wurzeln  kom- 
men in  der  Regel  neben  oder  vielmehr  vor  einander,  nur  diirch  einen 
schmalen  Streifen  transversaler  Fasern  '^)  getrennt,  in  einer  von  der  sagitta- 
len  wenig  seitwärts  abweichenden  Richtung  aus  dem  Brückenschenkel,  da 
wo  er  eben  zur  Brücke  sich  auszubreiten  beginnt,  von  dem  hinteren  Rande 
desselben  etwa  doppelt  so  weit  entfernt,  als  von  dem  vorderen.  Selten  ge- 
langen beide  Wurzeln  durch  dieselbe  Spalte  nach  aussen.  Die  Spalte,  aus 
welcher  die  stärkere  (sensible)  Wurzel  ^)  hervortritt,  zeigt  abgerundete 
Ränder  und  eine  bindegewebige  Auskleidung,  so  dass  sich  der  Nervenstamm 
eine  kurze  Strecke  weit  in  die  Tiefe  verfolgen  lässt.  Der  innerhalb  der 
Spalte  gelegene  Theil  hat  eine  cylindrische  Gestalt  und  einen  Durchmesser 
von  3,5  Mm.;  an  der  Austrittsstelle  nimmt  die  Wurzel  im  transversalen 
Durchmesser  beträchtlich,  bis  auf  5,5  Mm.,  zu  und  zeigt  sich  aus  einer 
grossen  Zahl*)  geflechtartig  verbundener  Bündel  zusammengesetzt.  Die 
dünnere,  motorische  Wurzel^)  entsteht,  2  Mm.  stark,  aus  einigen  feinen 
Fäden,  die,  wie  erwähnt,  in  der  Regel  vor  der  stärkeren  Wurzel  die  Quer- 
fasern der  Brücke  durchsetzen,  zuweilen  aber  auch  die  stärkere  Wurzel 
zwischen  sich  fassen. 

e.Abducens.  Das  Sechste   Paar,  N.  abducens,   äusserer  Augenmuskelnerve  ^), 

kommt  platt  mit  einer  Anzahl  sehr  zarter  und  zerreisslicher  Bündel  am  latera- 
len Rande  des  Pyramidenstrangs  aus  der  Querfurche  zwischen  dem  verlänger- 
ten Mark  und  der  Brücke  hervor  und  wandelt  sich  in  einen  cylindrischen 
Stamm  von  2  Mm.  Durchmesser  um ,  der  an  der  unteren  Fläche  der  Brücke 
fast  gerade  vorwärts  geht.  Am  medialen  Rande  isoliren  sich  zuweilen 
einige  Bündel ,  um  sich  erst  weiter  vorn  an  die  Hauptmasse  des  Nerven  an- 
zulegen. Auch  kommen  die  medialen  Bündel,  statt  aus  der  Furche  hinter 
der  Brücke,  zwischen  den  transversalen  Bündeln  des  hinteren  Brückenran- 
des zu  Tage. 

7.  Facialis.  D^s  siebente  Paar,  N.  facialis,  Gesichtsnerve '^),  entspringt  in  gera- 

der Linie  hinter  dem  fünften,  also  ebenfalls  an  der  Grenze  des  Brückenschen- 
kels und  der  Brücke ,  von  dem  hinteren  Rande  der  letzteren ,   vor  dem  Sei- 


^)  N.  qulntus.  N.  trlfacialis.  ^)  Lingula  Wnshergii.  ^)  Radix  s.  Portio  major 
s.  post.  Radix  gangliosa.  *)  50  nach  Krause,  80  bis  100  nach  Valentin.  Neubauer 
fand  in  fünf  Leichen  49,  53,  54,  58  und  65  Hauptbündel  und  die  feineren  mit  gerechnet 
68,  77,  79,  85,  90.  ^)  Radix  s.  Portio  minor  s.  anterior.  N.  crotaphitico-huccinatorius. 
^)  N.  oculomuscularis  externus.  ')  N.  commtcnicans  faciei.  Antlitznerve.  Portio  dura. 
(Dieser  Name  bezieht  sich  auf  die  ältere,  durch  Sömmerring  verdrängte  Zählung  der 
Hirnnerven  nach  Willis,  welcher  zufolge  das  siebente  und  achte  Paar  zu  Einem  Nerveu- 
paar,  dem  siebenten,  zusammengezogen  waren.) 


Gehirn. 


175 


tenrande  des  Olivenstranges.     Der  Nerve  ist  anfänglicli  dünn  und  platt  und 
erhält  seine  cylindrische  Form    (von  2,25  Mm.  Durchmesser)    erst,   wenn  er 

Fig.  111. 


xr^ 


aus  der  Grube ,  deren  vordere  Begrenzung  die  Brücke ,  deren  hintere  die 
Olive  bildet ,  hervorgetreten  und  an  die  untere  Fläche  der  Brücke  gelangt 
ist.  An  dem  hinteren ,  gewölbten  Rande  der  Brücke  und  zuweilen  noch 
eine  Strecke  weit  an  deren  unterer  Fläche  ist  der  N.  facialis  mit  der  Fa- 
serung der  Brücke  verwachsen ;  in  anderen  Fällen  liegt  er  frei  in  einer  fla- 
chen Rinne   dieses  Hirntheils.      Seine  Richtiing  hält  zwischen  der  sagittalen 


176 


Gehirn. 


8.  Aciist. 


9.  Glosso- 
pharyng. 


10.  Vagus. 


11.     Acces- 
sorixis. 


und  transversalen  die  Mitte.  Zur  Seite  des  N.  facialis  entspringt  ein  feiner 
Nerve,  der  sich  aber  auch  vom  Stamm  des  N.  facialis  oder  des  N.  acusticus 
oder  mit  zwei  Wurzeln,  die  sich  weiterhin  vereinigen,  von  den  beiden  ge- 
nannten Nerven  abzweigen  kann.  Dies  ist  der  N.  intermedius  (Fig.  44.111. 
VII  )  ^),  wie  er  nicht  nur  seinem  centralen,  sondern  auch  seinem  peripheri- 
schen Verhalten  gemäss  genannt  werden  muss ,  da  seine  Fasern  sich  auf 
das  siebente   und  achte  Paar  vertheilen. 

Das  achte  Paar,  N. acusticus,  Hörnerve-),  liegt  von  seinem  Ursprünge 
an  an  der  lateralen  Seite  des  N.  facialis,  den  er  in  der  Regel,  sammt  dem 
N.  intermedius,  in  eine  Rinne  seines  Randes  aufnimmt.  Mit  der  Hauptmasse 
seiner  Fasern  ^)  entspringt  er  hinter  der  Brücke  neben  dem  N.  facialis  aus 
dem  strickförmigen  Strang  zur  Seite  der  Furche ,  welche  diesen  Strang  vom 
Olivenstrang'e  trennt  und  durch  den  Austritt  des  folgenden  Paars  bezeich- 
net wird.  Mit  der  unteren  Fläche  jener  Fasermasse  verschmelzen  platte 
Bündel  *),  die  den  Boden  des  vierten  Ventrikels  als  quere  weisse  Streifen, 
Striae  medulläres  albae,  durchziehen  und  sich  um  die  Seitenfläche  des  strick- 
förmigen Strangs  nach  unten  krümmen ,  mit  diesem  Strang ,  wie  auch  mei- 
stens mit  dem  Stiel  der  Flocke  untrennbar  verwachsen.  Gleich  dem  N.  fa- 
cialis verläuft  der  N.  acusticus  vor-  und  seitwärts  in  einer  Rinne  des  Brücken- 
schenkels, in  welcher  seine  obere  Fläche  mehr  oder  weniger  weit  mit  der 
Oberfläche  des  Brückenschenkels  zusammenhängt. 

Das  neunte  Paar,  N.  glossopliaryngeus ,  Zungenschlundkopf- 
nerve  ^),  setzt  sich  aus  fünf  bis  sechs  Fäden  zusammen,  welche  nach  Art  der 
Wurzeln  der  Rückenmarksnerven  in  einer  Längsreihe  entspringen  und  im 
transversalen  Verlauf  in  der  Regel  zuerst  in  zwei  Stämmchen ,  dann  in  Einen 
Stamm  von  1,5  Mm.  Durchmesser  sich  vereinigen.  Die  Wurzeln  treten  aus 
der  Seitenfläche  des  verlängerten  Marks  hervor,  die  oberste  hinter  und  zwi- 
schen den  Ursprüngen  der  Nn.  facialis  und  acusticus. 

Das  zehnte  Paar,  N.  tagus,  der  her  um  schweifen  de  Nerve  ^),  schliesst 
sich  mit  seinen  Ursprüngen  unmittelbar  an  das  vorhergehende  an,  so  dass 
die  Wurzeln  des  Einen  und  anderen  nur  von  den  Stämmen  aus  rückwärts 
gesondert  werden  können.  Die  Zahl  der  Wurzelfäden  des  N.  vagus  beträgt 
aber  zehn  bis  fünfzehn,  der  Durchmesser  des  Stammes,  der  erst  am  Ein- 
gang des  For.  jugulare  aus  ihrer  Vereinigung  hervorgeht,  3  Mm. 

Das  elfte  Paar,  A^.  accessorius,  Beinerve'),  entsteht  vom  verlänger- 
ten Mark  in  der  Flucht  und  im  Anschluss  an  den  N.  vagus  mit  vier  bis  fünf 
Bündeln,   reicht   aber  mit  seinen  Ursprüngen  tief  am  Rückenmark   bis  zum 


^)  Portio  interna  Wrisberg.  Portio  intermedia  Wrisbergü  aut.  Filamenta  nervea 
Wrishergi  Arnold.  Seit  Sömmerring  den  nach  Willis'scher  Zählung  siebenten 
Nerven  in  zwei  zerlegte,  zieht  man  allgemein  den  N.  intermedius  zum  N.  facialis  und  be- 
trachtet und  bezeichnet  ihn  als  eine  accessorische  oder  kleine  Wurzel  desselben.  So  wenig  wie 
durch  den  Ursprung  des  Nerven,  wird  dies  durch  die  Verbreitung  desselben  gerechtfertigt. 
Denn  wenn  auch  die  meisten  seiner  P"'asern  nach  wiederholten  Anastomosen  zwischen  den 
Nn.  facialis  und  acusticus  zuletzt  dem  N.  facialis  verbleiben ,  so  schliessen  sich  doch  auch 
häufig  einige  dauernd  dem  Vorliofszweig  des  N.  acusticus  an.  (Vgl.  E.  Bisch  off,  Anasto- 
mosen der  Kopfnerven.  München  1865,  S.  9.)  ^)  N.  audttorius.  Portio  mollis  (des  sie- 
benten Paars).  ^)  Der  vorderen  oder  seitlichen  Wurzel.  *)  Hintere  Wurzel.  ^)  Nach 
Willis'  Zählung  mit  den  beiden  folgenden  Paaren  zum  achten  vereinigt.  ^)  N.  pneurno- 
(jastricu!;,   Lungenmagennerve.      "^j  N.  accessorius    Wiliisii. 


Gehirn.  177 

seclisten  oder  siebenten  Halswirbel  liinab ,  so  dass  an  dieser  Stelle  ein  fei- 
ner, der  Axe  des  Rückenmarks  anfangs  fast  parallel  aufsteigender,  dann  all- 
mälig  seitwärts  abweicbender  Faden  entstellt,  der  von  Strecke  zu  Strecke 
durch  sechs  bis  sieben  quer  an  denselben  herantretende  Wurzeln  bis  zu 
einem  Durchmesser  von  1,5  Mm.  verstärkt  wird.  In  dem  Maasse,  wie  der 
aufsteigende  Stamm  sich  vom  Rückenmark  entfernt,  werden  die  queren 
Wurzeln  länger;  die  längsten  sind  die  aus  dem  verlängerten  Mark  stam- 
menden. In  derselben  Richtung  nähern  sich  die  Wurzeln,  die  schon  am 
Beginn  des  Nerven  hinter  dem  Lig.  denticulatum  entsj)ringen,  den  Ursprün- 
gen der  hinteren  Wurzeln  der  Rückenmarksnerven  und  am  ersten  Cervical- 
nerven  fallen  die  Austrittsstellen  der  hinteren  und  die  Accessoriuswurzel 
derart  zusammen ,  dass  ein  Bündel  sich  auf  beide  Wurzeln  vertheilen  iind 
selbst  die  hintere  Wurzel  durch  eine  Wurzel  des  N.  accessorius  verdrängt 
werden  kann. 

Das  zwölfte  Paar,  N.  hypogJossus,  Zungenfleischnerve  ^),  kommt,  2.  Hypo- 
in  der  Flucht  der  vorderen  Rückenmarksnervenwiu'zeln  aus  der  Fortsetzung 
der  vorderen  Seitenfurche  des  Rückenmarks  mit    10  bis  15  Fäden,  die  sich 
weiterhin  zu  zwei  oder  drei  Strängen  und  erst  im  Can.  hypoglossi   zu   dem 
einfachen,  über  2  Mm,  starken  Nervenstamm  vereinigen. 


Ich  habe  es  möglichst  vermieden,  die  Beschreibung,  deren  Zweck  Orien-  stmcturdes 
tirung  in  den  verwickelten  äusseren  Formen  des  Gehirns  war,  durch  Anga- 
ben über  die  Farbe  und  Structur  des  Organs  zu  unterbrechen.  Diese  sind 
nunmehr  nachzuholen  und  insbesondere  ist,  wieder  vom  Rückenmark  aus, 
die  Vertheilung  der  grauen  und  weissen  Substanz  zu  verfolgen  und  zu  be- 
richten, was  man  von  dem  Verlauf  der  Fasern  weiss  oder  vermuthet. 

Wie  das  verlängerte  Mark  ohne  scharfe   Grenze  aus  dem  Rückenmark  Veriänger- 

.  tes  Mark 

hervorgeht ,  so  bleibt  in  dem  vinteren  Theil  des  ersteren  auch  das  Yerhält- 
niss  der  beiderlei  Substanzen  zu  einander  unverändert.  Die  graue  umgiebt 
den  Centralcanal  und  nimmt  die  Axe  ein;  sie  wird  ringsum  von  weisser 
Substanz  eingeschlossen,  deren  Oberfläche  endlich,  wie  am  Rückenmark, 
eine  nur  mikroskopisch  wahrnehmbare  Lage  grauer  (gelatinöser)  Substanz 
bedeckt.  Dem  freien  Auge  erscheint  die  Oberfläche  weiss  und  durch  die 
zahlreichen  longitudinalen  Spalten ,  in  welche  Fortsätze  der  Gefässhaut  ein- 
dringen, längsfaserig.  Doch  wird  die  Längsfaserung  öfters  in  grösserer 
oder  geringerer  Ausdehnung  verhüllt  von  ringförmigen  Fasern  der  bereits 
erwähnten  Gürtelschichte,  Fihrae  arciformes.  Diese  Fasern  fehlen  niemals,  Fibrae  am- 
sind  aber  in  Stärke  und  äusserem  Ansehen  sehr  veränderlich  und  oft  an  °^'^^^- 
beiden  Hälften  Eines  verlängerten  Marks  verschieden.  Die  mächtigsten 
Bündel  finden  sich  in  der  Gegend  der  unteren  Spitze  der  Olive ,  über  die 
sie  in  mehr  oder  minder  steilen ,  abwärts  convexen  Bogen  verlaufen  (Fi- 
gur 112  a.  f.  S.),  zuweilen  so  stark  gekrümmt,  dass  das  vordere  und  hintere 
Ende  des  Bogens  sich  an  die  longitudinalen  Fasern  des  verlängerten  Marks 
anfügen  und  das  vordere  Ende  mit  den  Pyramiden  unter  dem  hinteren 
Rande  der  Brücke  verschwindet.     Höher  oben  haben   die  Fibrae   arciformes 


1)  Das  neunte  Paar  nach  Willis'scher  Zählung,  welche  den  ersten  Halsnerven  noch 
zu  den  Hirnnerven  zog. 

Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthl.  2.  12 


178 


Gehirn. 


Fm.  112. 


eine  mehr  der  horizontalen  sich  nähernde  Richtung;  sie  treten  aus  der  vor- 
deren Medianfurche  hervor,  verstärken  sich  durch  Fasern,  die  zwischen 
dem  Olivenstrange  und  dem  strickförmigen  Körper  zur  Oberfläche  gelangen 

und  verlieren  sich,  hinter  den  Oliven 
schräg  ansteigend,  zwischen  dem  inneren 
und  äusseren  Keilstrange  oder  setzen  sich 
in  die  hintere  Medianfurche  fort.  Zu- 
weilen gehen  sie  an  der  Vorderfläche 
des  verlängerten  Marks  von  Einer  Seite 
zur  anderen  über  und  überbrücken  stel- 
lenweise die  vordere  Medianfurche.  In 
einzelnen  Fällen  sind  sie  so  mächtig  und 
so  deutlich  in  Bündel  abgetheilt,  dass 
die  Oberfläche  der  Pyramide  wie  in  Quer- 
falten gelegt  scheint;  meistens  bilden  sie 
eine  glatte  Schichte  und  nicht  selten 
sind  sie  nui*  an  mikroskopischen  Durch- 
schnitten erkennbar  i).  Die  Fibrae  arci- 
formes  lassen  sich,  ihrer  Lage  nach,  als 
Vorläufer  der  Brücke  betrachten;  ihnen 
selbst  gehen  breite,  platte  Faserzüge 
Verlängertef.  Mark,  vordere  (untere)  yon  nicht  mehr  als  0,1  Mm.  Mächtigkeit 
Fläche.  Die  Wurzeln  der  vier  letzten  ^^raus,  die  am  obersten  Theil  des  Rücken- 
Hirnnerven  an  der  Austrittsstelle  abse-  ,  ,  ,  nr    t       r       t         -i 

„^    ,    „.,  .j.  fj.i    \      marks  aus  der  vorderen  Medianfurcne  oder 

rissen.    Starke  Fibrae  arcilormes  (/' oa). 

P  Pons.     Fr  Funic.  restif.     0  Olive,     einer  Seitenfurche  hervortreten  und  hori- 


Fpy  Fun.  pyram.  vgl.   S.   101. 


zontal  zur  hinterenMedianfurche  verlaufen. 


Nach.  Arnold  bilden  die  Fibrae  arciformis  zuweilen  unmittelbar  unter  der 
Brücke  ein  die  Pyramiden  umfassendes  Querwülstchen ,  das  er  mit  dem  Namen 
Ponticuhis ,  Vorbrückclien,  belegt. 

Einigemal  sali  ich.  die  aus  den  strickförmigen  Körpern  austretenden  Fasern 
sich  zu  einem  stärkeren  Strange  sammeln,  der  am  vorderen  Kande  der  Olive  auf- 
wärts bog,  sich  an  die  Pyramide  anlegte  und  mit   dieser    sich    unter    die   Brücke 


In  der  oberen  Hälfte  des  verlängerten  Marks  erleiden  Form  und  Farbe 
der  Oberfläche  dadurch  eine  wesentliche  Veränderung,  dass  zwischen  den 
zur  Seite  weichenden  weissen  Hintersträngen  graue  Masse  freigelegt  wird. 
Auf  der  grauen,  durch  eine  mediane  Furche  getheilten  Fläche,  die  den  Bo- 


^)  Der  Santorini'sche  Name  Processus  arciformis  {Fasciculus  arciformis  olivae)  be- 
zieht sich  nur  auf  die  stärkeren,  die  untere  Spitze  der  Olive  umfassenden  Fasern.  Den 
Theil  der  Giirtelschichte,  der  die  der  vorderen  Medianfurche  zugewandten  Flächen  der  Py- 
ramiden bekleidet,  beschrieb  Burdach  (II,  38)  als  Stratum  horizontale.  Arnold  (Bemerk, 
über  d.  Bau  des  Hirns  etc.  S.  21)  unterscheidet  Fibrae  arciformes  transversae  und  horizon- 
tales {Stratum  medianum  horizontale  Krause)  und  versteht  unter  letzteren  die  in  der 
Medianebene  von  vorn  nach  hinten  ziehenden  Fasern ,  die  die  vorderen  und  hinteren  Enden 
der  Fibrae  arciformes  (transversae)  zu  Ringen  um  je  Eine  Hälfte  des  verlängerten  Marks, 
zu  dem  von  ihm  so  genannten  Stratum  zonale,  ergänzen.  In  seinem  Handbuche  führt  er 
die  Fibrae  arciformes  als  einen  Theil  des  Stratum  transversum  auf.  Stilling  giebt  den 
Fibrae  arciformes  den  Beinamen  der  äusseren ,  zum  Unterschiede  von  den  im  Inneren  des 
verlängerten  Marks  verlaufenden  ringförmigen  Fasern  {Fibrae  arciformes  iniernae). 


Geliirn. 


179 


den  des  vierten  Ventrikels  darstellt ,  zwischen  den  divergirenden  strickför- 
migen  Strängen  erst  an  Breite  zunimmt  und  dann  zwischen  den  convergi- 
renden  VierhügelscLienkeln  sich  wieder  verschmälert,  lassen  sich  Zeichnun- 
gen lind  Unebenheiten  unterscheiden ,  deren  Beziehung  zu  den  Nerven- 
ursprüngen sie  beachtungswerth  macht.  An  dem  frischen  Organ  heben 
sich  gegen  den  grauen  Grund  die  erwähnten  weissen  Markstreifen ,  Striae  Striae  me- 
medullares^)^  in  veränderlicher,  nicht  einmal  in  beiden  Seitenhälften  Eines  '^'^^^*'^^®- 
Gehirns  gleicher  Stärke  und  Zahl  (zwischen  1  und  12)  ab.  Sie  verlaufen 
meistens  quer  und  seitwärts  convergirend  und  theilweise  unter  spitzen 
Winkeln  zusammenfliessend  von  der  Medianfurche  gegen  den  Seitenrand  des 
Sinus  rhomboideus  (Fig.  1 1 3),  doch  kommen  vor  und  hinter  den  queren  Fa- 
sern auch  schräge,  stei- 
Fig. 


113. 


Boden  des  vierten  Ventrikels.  Kleinhirn  und  Velura  med. 
ant.  {Vma)  durch  einen  Medianschnitt  gespalten  und  zur 
Seite  gezogen.  Cp  Corp.  quadrig.  Lc  Loc.  coeruleus. 
Fv a  Fovea  ant.  Tnc  Taeniola  cinerea.  Ac  Ala  cinerea. 
F  Flocke.  Po  Ponticulus,  seitwärts  umgelegt.  Cl  Clava. 
Oh   Obex.      Fe  Funic.  cuneif.      Fg  Fun.  gracilis. 


boideus  flacher ,  als  vor  und  hinter  ihnen : 
Aquaeduct  nimmt  sie  an  Tiefe  zu. 


1er  lateral  vorwärts  ge- 
richtete, die  transversa- 
len kreuzende  oder  mit 
ihnen  zusammenstos- 
sende  Fasern  ^)  vor. 
Die  queren  Fasern  liegen 
noch  diesseits  des  gröss- 
ten  Querdurchmessers 
der  Eautengrube ,  zwi- 
schen dem  vorderen 
Rande  des  Ponticulus 
und  dem  hinteren  Rande 
des  Stiels  der  Flocke, 
oft  mit  dem  Einen  oder 
anderen  in  unmittelba- 
rer Berührung  und  dann 
schwer  von  ihnen  zii 
unterscheiden. 

Die  eigentlichen  Striae 
medulläres  setzen  sich 
in  den  N.  acusticus 
fort,  den  strickförmigen 
Körper  umgreifend,  oder 
verlieren  sich  schon  frü- 
her in  dem  letzteren. 
Meistens  ist  im  Bereich 
derselben  die  Median- 
furche des  Sinus  rhom- 
namentlich  nach  vorn  gegen  den 


In  einem  von  O.  Fischer  beschriebenen  Fall    (de   rariore  encephalitidis  casu. 
Diss.  inaug.    Berol.    1834)    vereiaigten    sich    die    ungewöhnlich    zahlreichen    Striae 


^)  S.  m.  alhae.  Taeniae  s.  Striae  medulläres  s.  acusticae.  Taeniae  foveae  rhomboida- 
Us  Burdach.  Radlces  nervorum  auditoriorum  Langenbeck.  ^)  Conductor  sonorus 
Bergmann.      Unbeständige  Trigeminus-Wurzel   Stilling. 

12* 


180  Gehirn. 

medulläres,  indem  sie  sich  vom  Boden  der  Eautengrnbe  ablösten,  zn  einem  Ner- 
venstrang, der  über  die  Wurzel  des  N.  acusticus  hinweg  zum,  Brückenschenkel 
verlief  und,  in  zvt^ei  Aeste  getheilt,  in  denselben  eindrang.  Ich  sah  ebenfalls  eine 
Stria  meduUaris  zv^^ischen  Facialis  und  Acusticus  vorwärts  umbiegen  und  in  die 
Brücke  eintreten.  Nach  Clarke  (Phil,  transact.  1868,  p.  287)  wäre  es  sogar  Ee- 
gel,  dass  ein  stärkeres  Bündel,  von  den  oberen  Wurzeln  des  N.  vagus  und  den 
Wurzeln  des  N.  giossopharyngeus  durchbohrt,  sich  in  die  Faserung  der  Brücke 
fortsetzt.  Stilling  (Bau  des  Hirnknotens  S.  180)  sah  einige  Bündel  in  den  N. 
giossopharyngeus  übergehen.  AiTch  hinsichthch  des  Ursprungs  variiren  die  Striae 
medulläres,  indem  sie  mitunter,  statt  aus  der  Medianfurche,  aus  einem  neben  der- 
selben gelegenen  weissen  Knötchen  hervorgehen  (Fischer),  in  anderen  FäUeu 
sich  von  der  Einen  Seite  unmittelbar  auf  die  andere  fortzusetzen  scheinen.  Gänz- 
licher  Mangel  derselben  gehört  jedenfalls  zu  den  Seltenheiten.  Stilling  hat  sie 
einige  Mal,    Fischer  niemals  vermisst. 

Taeniola  Unter  oder  zwischen  den  Striae  medulläres  erhebt  sich  am  Seitenrande 

des  Sinns  rhomboideus  die  Taeniola  Cinerea  Wenzel i),  ein  grauer  Wulst, 
der  sich  auf  den  strickförmigen  Körper,  unmittelbar  vor  dessen  Eintritt 
ins  Kleinhirn,  und  weiter  auf  die  Wurzeides  N.  acusticus  fortsetzt  (Fig.  113). 
Er  entspringt  niedrig  und  einfach,  selten  mit  zwei  Schenkeln,  und  nimmt  la- 
teralwärts  an  Höhe  zu;  sein  seitliches  Ende  fällt  rasch  ab  oder  verliert  sich 
allmälig  in  der  weissen  Substanz  der  Nervenwurzel. 

Die  Striae  medulläres  scheiden  den  Boden  des  vierten  Ventrikels  in 
eine  untere  (hintere)  und  obere  (vordere)  Abtheilung.  Die  schräge  Lage 
des  verlängerten  Marks  rechtfertigt  beide  Bezeichnungen.  Da  aber  die 
Fortsetzxing  desselben  allmälig  wirklich  in  die  horizontale  Lage  übergeht 
und  veränderte  Bezeichnungen  nöthig  werden,  so  scheint  es  mir  am  natür- 
lichsten, diese  Aenderung  mit  der  Beschreibung  des  vierten  Ventrikels  ein- 
treten zu  lassen.  Die  bisherige  Vorderfläche  wird  zur  unteren  und  das 
Uebereinander  zu  einem  Voreinander.  In  der  hinteren  Abtheilung  zeichnet 
sich  durch  dunklere  Färbung  und  geringe  Wölbung  ein  meist  scharf  abge- 
grenztes Dreieck  aus ,  dessen  Basis  dem  medialen ,  convexen  Rande  der 
Clava  entspricht,  dessen  Seitenränder,  lineare,  von  beiden  Seiten  gleich- 
massig  convergirende  Furchen,   in  einem  spitzen  Winkel   zusammenstossen, 

Aia  cinerea,  der  die  Striae  medulläres  erreichen  kann.  Es  ist  die  -Ala  Cinerea^),  nach 
Stilling's  Bezeichnung  der  Kern,  der  den  Fasern  des  N.  vagus  zum  Ur- 
sprünge dient  (Fig.  1 1 3).  Die  Gefässhaut,  die  den  Obex  einhüllt,  sendet  zmvei- 
len  längs  dem  vorderen  Rande  der  Clava  einen  Fortsatz  ins  Innere  des  verlän- 
gerten Marks ,  nach  dessen  Entfernung  eine  tiefe  Rinne  zurückbleibt,  welche 
Clava  und  Ala  cinerea  scheidet;  in  anderen  Fällen  schiebt  sich  zwischen 
beide  ein  schmales  rhombisches  Leistchen  ein,  welches  aus  der  Median- 
furche hervorläuft  und  dem  vorderen  Rande  der  Clava  folgt,  der  Accesso- 
riuskern  Stilling's  (Äc' ^).     Durch  die   Ala  cinerea  werden  in  dem  hinte- 


^)  Fasdola  cinerea  Meckel.  Die  Brüder  Wenzel  (J.  und  C.  Wenzel,  de  penitiori 
structura  cerebri.  Tubing.  1812.  p.  183)  fanden  unter  50  Gehirnen  39  mit  deutlicher  und 
grosser,  und  nur  11  mit  wenig  markirter  Taeniola  cinerea.  Gänzlich  fehlte  sie  unter 
97  Fällen  nur  zwei  Mal.  Arnold  bezieht  den  Namen  Fasdolae  cmereae  auf  die  schmalen 
Streifen  grauer  Substanz,  welche  die  Zwischenräume  der  Striae  medulläres  ausfüllen.  )  Cu- 
neus  cinereus.  Eminentia  cinerea  cuneiformis.  Fovea  post.  sinus  rhomhoidahs  nennt  Ar- 
nold die  Grube,  die  von  der  Ala  cinerea  ausgefüllt  wird.  ^)I>\q  graugelbhche  kolbenförmige 
Substanz  Bergmann. 


Gehirn.  181 

i-en  Theil  des  Sinus  rhomboideus  zwei  gleichfalls  dreiseitige,  aber  mit  der 
Spitze  rückwärts  gericbtete,  vor  der  Ala  cinerea  zusammenfliessende  Felder 
abgegrenzt ,  ein  mediales,  welches  mit  dem  gleichnamigen  der  anderen  Seite 
in  der  Medianfurche  des  Sinus  rhomboideus  zusammenstösst ,  Ala  alba  me- 
dialis  m.  i),  und  ein  laterales,  Ala  alba  lateralis  -),  welches  lateralwärts  durch 
den  Ursprung  des  Ponticulus  begrenzt  wird. 

In  der  vorderen  Abtheilung  des  Sinus  rhomboideus  und  zwar  in  dem 
^rechten  Winkel,  den  die  Striae  medulläres  mit  der  Medianfurche  einfassen, 
liegt  jederseits  ein  zuweilen  sehr  unscheinbares  Höckerchen  von  etwas  hellerer 
Farbe  (Fig.  113*),  welches  einem  Knie  der  unter  der  Oberfläche  verlaufenden 
Wurzelfasern  des  N.  facialis  entspricht.  Weiter  vorn,  wo  der  Sinus  rhom- 
boideus sich  wieder  zu  verschmälern  beginnt ,  findet  sich  an  dessen  latera- 
lem Rande  regelmässig  eine  flache  Grube,  FoVea  (Inferior,  einer  eingezoge-  Fovea  ant. 
nen  Narbe  ähnlich  und  häufig  durch  bräunliche  Färbung  ausgezeichnet,  die 
aber  ihre  Ursache  nur  in  einer  unter  der  Oberfläche  verlaufenden,  grösseren 
Vene  hat  ^).  Eine  von  braun  pigmentirten  Nervenzellen  gefärbte ,  durch 
den  dünnen  Marküberzug  bläulich  schimmernde  Stelle,  Locus  Coeruleus,  von  Locus  ooe- 
etwa  1  Mm.  Umfang  hat  ihren  Sitz  am  Seitenrande  der  vorderen  Spitze 
der  Rautengrube  oder,  mit  anderen  Worten,  am  hinteren  Eingang  des  Aquä- 
ducts ;  ein  schmaler  Streifen  der  dunkelfarbigen  Substanz  erstreckt  sich  von 
da  mehr  oder  weniger  weit  rück-  seitwärts  zur  Fovea  anterior. 

Die  Tiefe  der  Färbung  und  die  Ausdehnung  des  Locus  coeruleus  nimmt 
mit  dem  Alter  zu.     Bei  Thieren  fehlt  er  (Wenzel*). 

Von  der  Fovea  ant.  geht  eine  Furche  rück-  medianwärts  in   der  Rich- 
tung, dass  ihre  Verlängerung  auf  die  Spitze  der  Ala  cinerea  treffen  würde. 
Sie    theilt     das     vordere    Feld   der    Rautengrube     in    eine    mediale,    läng-  Eminentia 
lieh  vierseitige  und  eine  dreiseitige  Wölbung;  die  mediale,  Emimentia  teres 
Stilling,  zerfällt  durch  eine  Querfurche  abermals  in  zwei  Abtheilungen  ^),  von 


^)  Scala  rhythmica  Bergmann.  Der  von  Stilling  sogenannte  Hypoglossus -  Kern. 
^)  Stilling's  Glossopharyngeus  -  Kern.  Hinterer  Kern  des  N.  acusticus  Clarke  (Phil, 
transact.  1868,  p.  287).  ^)  Dieser  Grube  gehören  Bergmann's  Cliordae  verticillatae  und 
der  Fläche  vor  derselben  die  Chordae  voluhiles  s.  serpeniinae  an,  Fältclien  und  Zeichnun- 
gen ,  über  deren  Bedeutungslosigkeit  man  einig  ist.  *)  Als  synonym  mit  Locus  coeruleus 
wird  die  Subslantia  ferruginea  Arnold  angeführt.  Dies  beruht  auf  einer  Verwechselung, 
welche  die  Brüder  Wenzel  veranlassten,  indem  sie  zwar  im  Text  (p.  168)  Lage  und  Form 
des  Locus  coeruleus  richtig  schilderten,  in  der  Abbildung  aber  (Taf.  X,  Fig.  4)  die  Fovea 
anterior  als  hinteres  Ende  des  Locus  coeruleus  bezeichneten.  Arnold,  der  den  eigentlichen 
Locus  coeruleus  übersehen  zu  haben  scheint  und  ihn  ganz  in  die  Fovea  anterior  verlegte, 
war  demnach  im  Recht,  wenn  er  den  Namen  Substantia  ferruginea  an  die  Stelle  setzte.  Bei  R eil 
(Archiv  IX,  511),  Burdach  (a.  a.  0.  II,  79)  und  Bergmann  finden  sich  genaue  Anga- 
ben über  die  Lage  des  Locus  coeruleus:  Bergmann  wusste  auch  schon,  dass  die  Farbe 
desselben  von  einer  Menge  feiner  körnerartiger  Punkte  herrühre,  während  die  Wenzel 
zwar  auch  das  Bild,  das  eine  schwache  Vergrösserung  gewährt,  genau  beschrieben,  aber 
die  braunen  Punkte  für  Gefässdurchschnitte  erklärten.  Die  neueren  Handbücher  folgen 
sämmtlich  Arnold,  indem  sie  der  Fovea  anterior  eine  bräunliche  oder  bläuliche  Färbung 
zuschreiben,  und  nur  Luschka  (Anat.  Bd.  III,  Abthl.  2,  p.  172)  geht  noch  einen  Schritt 
weiter  daduixh,  dass  er  die  Fovea  anterior  für  den  Sitz  der  grossen,  seit  R.  Wagner  viel- 
beschriebenen pigmentirten  Nervenzellen  des  Locus  coeruleus  hält.  ^)  Colliculus  rotundus 
ant.  und  post.  ♦ 


182 


Gehirn. 


denen  die  hintere  i)    einem    platten ,    runden    Höcker    gleicht   und    mitunter 
durch  helle  Färbung  sich  auszeichnet. 
Untere  An  einem  Querschnitt  von  der  Grenze  des   Rücken  -   und   verlängerten 

Verl.  Marks.  Marks  (Fig.  114)  fällt  zunächst  die  (im  sagittalen  Durchmesser)  wachsende 
Mächtigkeit  der  weissen  Commissur  auf,  aus  der,  durch  Verstärkung  und 
bündelweise  Anordnung  der  von  Einer  Seitenhälfte  zur  anderen  übertreten- 
den Fasern ,  die  mit  freiem  Auge  sichtbare  Kreuzung  der  Pyramiden  her- 
vorgeht. Zugleich  nimmt  auch  die  graue  Commissur  im  sagittalen  Durch- 
messer zu  und  der  Horizontalschnitt  des  Centralcanals ,   den  sie  umschliesst, 

Fijr.  114. 


Horizont;\l-(Quer-)schnitt  an  der  Grenze  des  verlängerten  und  Kückenmtuks.  Kaliprä- 
parat, bei  durchfallendem  Licht.  Fg^  Fe,  Fa  Funiculus  gracilis ,  cuneatus  und  ante- 
rior. Cga,  Cgp  Columna  grisea  ant.  und  post.  Pr  Proc.  reticularis.  Cc  Can. 
centralis,  g  c  Suijstantia  gelatiuosa  centralis,  g  Gelatinöser  üeberzug  der  Hintersäule. 
/  Vordere  Wurzel  des    ersten  Cervicalnerven.     *  Gefässdurchschnitt. 


erhält  die  Form  einer  mit  dem  längeren   Durchmesser  in   der  Medianebene 
gelegenen  Ellipse. 

Die  Zunahme  des  sagittalen  Durchmessers  der  weissen  Commissur  hat 
ihren  Grund  nicht  allein  in  der  Vermehrung  der  Kreuzungsfasern,  sondern 
auch  darin,  dass  der  Kreuzungswinkel  allmälig  minder  spitz  wird,  indem 
die  Fasern  aus  der  transversalen  in  eine  mehr  diagonale  Richtung  über- 
gehen.    Damit  hängt  zusammen,    dass  sie  sich  an  beiden  Seiten  je   weiter 


^)  Nucleus    nervi  facialis  Arnold   (Icon.  nerv.  cap.  Tai.  I,   Fig. 
chei'e  Erhabenheit  ist  Arnold's   Corpus  teres. 


Die    vordere  Üa- 


Gehirn. 


183 


aufwärts,  um  so  näher  der  Yorderfläche  des  Organs  einsenken.  Wenn  sie 
an  Querschnitten  des  Dorsalmarks  wie  eine  quere  Brücke  zwischen  den 
Vordersäulen  ausgespannt  sind,  so  dringen  sie  im  oberen  Theil  des  Cervical- 
marks  schon  mit  einigen  Bündeln  zwischen  die  verticalen  Fasern  der  Vor- 
derstränge ein  und  in  der  Gegend  des  ersten  Cervicalnerven  haben  sie  sich 
der  sagittalen  Richtung  so  weit  genähert,  dass  sie  aus  dem  Grunde  der 
Fissur  zwischen  den  Vordersträngen  hervortreten  und  sich  an  die  mediale 
Fläche  der  letzteren  anfügen. 

In  der  grauen  Commissur  erhält  sich  die  Lage  und  Dimension  der  cen- 

Fig.  115. 


^\^^^^W\vN 


80 
1 


^ 


Ein  Theil  des  in  Fig.   114  dargestellten  Querschnittes,  stärker  vergrössert.     *  Vgl.  Fig.  114. 


tralen  gelatinösen  Substanz  bis  in  den  Anfang  des  verlängerten  Marks  fast 
unverändert.  Die  wachsende  Mächtigkeit  der  hinter  dem  Centralcanal  ge- 
legenen Schichte  scheint  Folge  einer  Verminderung  des  sagittalen  Durch- 
messers der  Hinterstränge  zu  sein,  die  sich  gegen  die  graue  Substanz  ab- 
runden und  gleichsam  aus  derselben  zurückweichen. 

Was  im  Uebrigen  den  an  das  verlängerte  Mark  angrenzenden  Theil 
des  Rückenmarks  auszeichnet,  ist  die  Einengung  der  grauen  Substanz  durch 
Längsbündel,    die  den  Processus   reticulares   des   Rückenmarks   entsprechen. 


184  Gehirn. 

aber  sie  au  Zahl  und  Mäclitigkeit  übertreffen,  ferner  die  Masse  starker  Bündel 
diinkelrandiger  Nervenfasern,  welche  in  der  Ebene  des  Querschnitts  die 
graue  Substanz  durchziehen.  Sie  kommen  aus  den  Seiten-  und  Hinter- 
strängen ,  aus  diesen  durch  die  Hintersäiilen ,  wie  es  scheint ,  als  Fort- 
setzung der  hinteren  Wurzeln,  aus  den  Seitensträngen  zwischen  den  viel- 
fach zerklüfteten  Längsbündeln,  zum  Theil  ebenfalls  aus  Nervenwurzeln  und 
zwar  aus  den  Wurzeln  des  N.  accessorius. 

In  der  grauen  Substanz  bilden  sie  Geflechte,   in  welchen  die  diagonale 
Richtung   vorherrscht    (Fig.  115).       Sie    sind    es,    welche    in    der  eben   be- 
schriebenen Weise  die  vordere  Commissur  erzeugen  und   die  Vorderstränge 
der  entgegengesetzten  Seite  verstärken. 
Pyramiden-  An  Querschnitten    durch    den   Anfang   der    Pyramidenkreuzung  bedarf 

^""°'  es  schon  nicht  mehr  des  MikroskojDS ,  um  wahrzunehmen,  dass  die  mächti- 
gen ,  die  Mittellinie  überschreitenden  und  an  die  Vorderstränge  sich  anle- 
genden Bündel  aus  den  Seiten-  und  Hintersträngen  der  anderen  Rücken- 
markshälfte stammen.  Schon  mit  unbewaffnetem  Auge  oder  mit  der  Lupe 
sieht  man,  wenn  die  Schnitte  durch  Kalilösung  aufgehellt  oder  nach  der 
Clarke' sehen  Methode  gefärbt  und  mittelst  Canadabalsam  durchsichtig 
gemacht  worden,  breite  Züge  weisser  Substanz  aus  der  Gegend  der  Hinter- 
säulen der  Einen  Seite  schräg  vor  dem  Centralcanal  vorüber  zu  den  Vor- 
dersträngen der  anderen  Seite  sich  begeben,  so  dass  die  Continuität  der 
grauen  Substanz  unterbrochen  und  die  eine  oder  andere  Vordersäule  isolirt 
wird.  Meistens  sind  diese  Züge  unsymmetrisch;  die  vordere  Längsspalte 
weicht  nach  rechts  oder  links  ab  oder  erscheint  auch  ungleich  gabiig  ge- 
theilt '),  und  wie  in  der  Vorderansicht  der  Pyramidenkreuzung  rechts  und 
links  aufsteigende  Bündel  alterniren,  so  herrschen  auch  auf  dem  Querschnitt 
bald  die  Einen,  bald  die  anderen  vor.  Dabei  werden  die  Fasern  der  ur- 
sprünglichen Vorderstränge  in  gleichfalls  unsymmetrischer  Weise  zur  Seite 
gedrängt  und  zwischen  dem  medialen  Rande  der  Vordersäule  und  den 
Kreuzungsfasern  gleichsam  eingeklemmt  (Fig.  1 1 6).  Die  abgerundete  Spitze, 
mit  der  sie  in  den  von  diesen  beiden  Gebilden  umschlossenen  Winkel  hin- 
einragen ,  hat  weder  zur  Vorderfläche ,  noch  zur  Medianebene  des  verlän- 
gerten Marks  in  beiden  Hälften  desselben  die  gleiche  Stellung.  Auch  dies 
ist  mit  blossem  Auge  zu  erkennen ,  da  die  genannten  Spitzen  durch  ihre 
auf  dunklem  Grunde  weisse,  auf  hellem  dunkle  Farbe,  allerdings  nur  bei 
einer  bestimmten  Beleuchtung,  sich  auszeichnen.  Es  ist  bemerkenswerth, 
dass  dieser  Farbenunterschied  verschwindet,  wenn  man  das  Präparat  in 
derselben  Ebene  um  180  Grad  dreht  und  es  deutet  dieses,  dem  Damast 
ähnliche  Verhalten  darauf,  dass  die  Fasern  der  genannten  Stränge,  wenn 
sie  sich  auch  im  Querschnitt  getroffen  darbieten,  doch  eine  geringe  Nei- 
gung nach  der  Einen  oder  anderen  Seite  haben  müssen. 

Bei  mikroskopischer  Betrachtung  zeigt  es  sich,  dass  die  scheinbar  com- 
pacte Masse  paralleler  Fasern,  die  sich  mit  dem  Vorderstrang  verbindet, 
in  der  Mittellinie  von  platten  Bündeln  in   entgegengesetzter  Richtung  auf- 


^)  Die  zwischen  den  divergirenden  Spalten  eingeschlossene,  vorwärts  zugespitzte  und 
nach  der  Einen  oder  anderen  Seite  hinübergebogene  Partie  der  Kreuzungsfasern  ist  Stil- 
ling's  zitzenförmiger  Fortsatz,  Proc.  niam'dlaris. 


Gehirn. 


185 


steigender   Fasern   durchzogen   ist  und  dass  sie   sich  in  jeder   Seitenhälfte 
aus  einer  Anzahl  stärkerer  und  feinerer  Bündel  von   verschiedenem  Verlauf 

Fig.  116. 


Querschnitt    des    verlängerten    Marks    durch    die    Pyramidenkreuzung    [y  Fig.   120). 

Fpy    Pyramidenstrang.      Cga     Vordersäule.       Fa'    Vorderstrangsrest.      Ng   Kern 

des  zarten  Strangs,     g  Gelatinöse  Rinde  der  Hintersäule.     XI  N.  accessorius. 

zusammensetzt,  welche  aus  den  Seitensträngen  und  dem  Seitentheil  der 
Hinterstränge  hervordringen  und  sich  durch  die  Zwischenräume  der  cylin- 
drischen  verticalen  Bündel  der  Processus  reticulares  hindurchschlängeln. 
Es  sind  vorzugsweise  starke  Fasern,  welche  sich  auf  diesem  Wege  den  Vor- 
dersträngen zugesellen.  Feinere  treten  bündelweise  aus  den  zarten  Strän- 
gen und  den  inneren  Keilsträngen  hervor  und  verflechten  sich  alsbald  nach 
dem  Austritt  in  dem  an  die  genannten  Stränge  angrenzenden  Theil  der 
grauen  Substanz.  Diese  erleidet  eine  Aenclerung  ihrer  Form  erstens  durch 
die  Kreuzungsfasern,  wodurch,  wie  erwähnt,  die  Vordersäulen  abgetrennt 
werden  iind  der  Rest  die  Gestalt  eines  Dreiecks  mit  vorwärts  gerichteter 
Spitze  erhält ;  zweitens  durch  die  fortgesetzte  Ausdehnung  der  Processus 
reticulares,  welche  den  medialen  Theil  der  Hintersäule  auf  einen  schmalen 
transversalen  Streifen,  den  Hals  der  Hintersäule,  Cervix  cornu  posterioris 
Clarke,  reduciren;  drittens  durch  Vorrücken  des  im  Querschnitt  kreisför- 
migen, von  der  gelatinösen  Substanz  überzogenen  peripherischen  Theils 
oder  des  sogenannten  Kopfs  der  Hintersäule,  welches  Folge  der  Verminde- 
rung des  Volumens  der  Seitenstränge  ist.  Im  Uebrigen  behalten  graue 
und  weisse  Massen  das  charakteristische  Ansehen,  durch  welches  sie  sich  im 
Rückenmark  unterscheiden ,  die  Vorderstränge  ihr  Uebergewicht  an  starken 


186 


Gehirn. 


Fasern,  die  Seitenstränge  die  Mischung  starker  und  feiner  Fasern,  die 
grauen  Vordersäulen  ihre  grossen ,  die  Hintersäiilen  ihre  kleinen  Nerven- 
zellen. Nur  an  den  zarten  und  inneren  Keilsträngen  fällt,  wenn  man  sie 
mit  den  entsprechenden  Strängen  des  Rückenmarks  vergleicht,  der  Mangel 
stärkerer  Fasern  auf  xind  im  Inneren  der  zarten  Stränge  bildet  sich,  unab- 
Nucieusfun.  hängig  vou  der  centralen  grauen  Masse,  ein  Kern  grauer  Substanz,  JVtt- 
cleus  f  unic.gr acüis  (Fig.  116. 117),  mit  spärlichen  sternförmigen  Nervenzellen, 
die  an  Grösse  den  Nervenzellen  der  grauen  Vordersäulen  kaum  nachstehen. 
Diese  Nervenzellen  senden,  nach  Kölliker,  Fasern  aus,  welche  mit  den 
vorwärts  umbiegenden  verticalen  Fasern  der  zarten  Stränge  verlaufen,  sich 
aber  durch  ihr  stärkeres  Kaliber  auszeichnen. 

Wie  man  weiter  aufwärts  geht    und  sich  den   unteren  Wurzeln   des  N. 

hypoglossus  nähert,  vermehrt  sich  durch  Zuzug  neuer  Kreuzungsfasern  das 

Volumen  der  Pyramidenstränge,    während   zugleich   die  neuen  Fasern   zwi- 

Voider-         schen  die  verticalen  Fasern  der  ursprünglichen  Vorderstränge  sich  einschie- 

srangsrese.  ^^^  ^^^^|   ^^.^   Unsymmetrischen   ßeste  i)   der  letzteren   (Fig.  116.  117  Fa') 

weiter  seit  -  rückwärts    gedrängt  werden   und   sich  auf  Kosten  ihres  trans- 

Fig.  117. 


Querschnitt  des  verlängerten  Marks  in  der  Gegend  der  unteren  Hypoglossuswurzeln. 
2  Fig.  120.  Fpy  Pyramidenstrang.  Fa'  Vorderstrangsrest.  N g  Kern  des  zarten, 
Nc    Kern  des    Keilstrangs.      g  Gelatinöse    Rinde    der    Hintersäule.      XII  Hypoglossus- 

Wurzel. 


^)  Fortsetzungen     der    weissen    Vorderstränge    St i Hing.     Non  decussating   portions    of 
the  anterior  pyramids  Clarke. 


Gehirn. 


187 


versalen  Durchmessers  verlängern.  Auf  Querschnitten  gleichen  sie  zungen- 
förmigen  Fortsätzen  der  Pyramidenstränge  (Fig.  117);  eine  massige  Ver- 
grösserung  zeigt  sie  von  transversalen  Fasern  in  ziemlich  gleichen  Abstän- 
den durchsetzt  und  gleichsam  in  Stücke  zerlegt;  sie  convergiren  mit  ihren 
Spitzen  und  erreichen  endlich  mit  denselben ,  der  Eine  nach  dem  anderen, 
die  centrale  gelatinöse  Substanz.  In  den  Pyramidensträngen  gestaltet  sich, 
je  stärker  sie  werden,  um  so  verworrener  der  Lauf  der  Fasern.  Horizontale 
oder  sanft  geneigt  aufsteigende,  unter  spitzem  Winkel  gekreuzte ,  wechseln 
mit  verticalen  Bündeln,  welche  zum  Theil  Fortsetzungen  der  Vorderstränge 
des  Rückenmarks,  zum  grösseren  Theil  aber  aus  der  Umbeugung  tiefer  ein- 
getretener Kreuzungsbündel  hervorgegangen  sind  und  demgemäss  eine  relativ 
grössere  Menge  feiner  Fasern  enthalten.  An  den  Seitensträngen  macht 
von  unten  nach  oben  die  Zerklüftung  Fortschritte  und  mindert  sich  die 
Zahl  der  verticalen  Bündel.  Indem  diese  im  vorderen  medialen  Theil  des 
Seitenstrangs  aus  einander  weichen,  lassen  sie  ein  unregelmässig  und  unbe- 
stimmt begrenztes,  in  Farbe  und  Structur  der  Vordersäule  ähnliches  Feld 
frei,  welches  sich  wie  ein  von  durchziehenden  Längsbündeln  abgespalteter 
Theil  der  Vordersäule  verhält  (Fig.  117).  Dies  ist  der  Kern  des  Seiten-  Kern  des 
Strangs  KölL^).  Die  Hinterstränge  behalten,  ja  vermehren  ihr  Vloumen,  Strangs. 
aber  in  i'eder  Abtheilung  derselben  entwickelt  sich  eine  graue  Säule,  welche  HiJ^^r- 

"  ~  .  Strange. 

mit  der  centralen  grauen  Substanz  in  Verbindung  steht  und   grössere  und 

kleinere     Nervenzellen    ent- 


Fiar.  118: 


hält  ^).  Um  diese  secundären 
grauen  Säuleu  bildet  die 
weisse  Substanz  eine  Rinde, 
deren  Mächtigkeit  allmälig 
abnimmt,  und  ebenso  allmä- 
lig tritt  in  dieser  Rinde  die 
Zahl  der  verticalen  Fasern 
zurück  gegen  die  horizonta- 
len oder  schrägen,  vorwärts 
ausstrahlenden.  Die  Reihen 
solcher,  von  zwei  Seiten  con- 
vergirender  Fasern,  die  wie 
Blattrippen   den   Querschnitt 


Querschnitt    des    Keilstrangs,     Detail    zu     Fig.    117. 
Verticale   und  sagittale  Nervenbündel,  mit  Fleckwas- 
ser aufgehellt. 


^)  Nucleus  antero-lateraUs  Dean. 
^)  Die  graue  Substanz ,  von  wel- 
cher die  grauen  Säulen  des  zarten 
Strangs  und  inneren  Keilstrangs 
ausgehen,  nennt  Arnold  Corpora 
cinerea  s.  Nuclei  chierei.  Die  Säu- 
len der  Hinterstränge  sind  Rei- 
chert's hintere  Nebenhörner; 
Stilling  erwähnt  sie  zuerst  als 
Kerne  des  zarten  und  Keilstrangs. 
Die  Säule  des  zarten  Strangs  heisst 
bei  Clarke  po st -pyramidal  nu- 
cleus,  die  Säule  des  inneren  Keil- 
strangs restlform  nucleus. 


188 


Gehirn. 


Region  der 
Hypoglos- 
sus  wurzeln. 


radiär  durchziehen  (Fig.  118),  näbern  sich  einander  immer  mehr  und  fassen 
immer  schmalere  Reihen  von  Faserquerschnitten  zwischen  sich,  je  höheren  Re- 
gionen das  Präparat  entnommen  ist.  An  der  Austrittsstelle  aus  den  Hintersträn- 
gen werden  sie  gekreuzt  von  transversalen  Bündeln,  welche  commissuren- 
artig  vor  der  hinteren  Medianfissur  vorüberziehen  und  sich  seitwärts  wie- 
der in  die  Hinterstränge  zu  verlieren  scheinen,  nach  Clarke  (1858  p.  241) 
aber  in  die  Wurzeln  des  N.  accessorius  übergehen  (Fig.  116). 

Ich  komme  zur  Region  der  Hypoglossuswurzeln.  Die  Pyramiden ,  an- 
fangs 1,5  Mm.  im  sagittalen,  1  Mm.  im  transversalen  Durchmesser,  haben 
eine  dreiseitig  prismatische  Form  erhalten  und  einen  Durchmesser  von 
3,  5  bis  4  Mm.  erreicht.  Sie  haben  die  grosse  Mehrzahl  der  Fasern,  der 
Hinter  -  und  Seitenstränge  der  entgegengesetzten  Seite  in  sich  aufgenam- 
men ,  um  sie  dem  Gehirn  zuzuführen.  Dies  aus  der  Vergleichung  succes- 
siver  Querschnitte  gezogene  Resultat  wird  durch  Längsdurchschnitte  be- 
stätigt.    Die  beste  Uebersicht  gewähren  in  dieser  Beziehung  verticaleDurch- 

Fig.  119. 


Ij/  i 

'  I 


'■'m-r-  -Vi,,- 


Cga 


Vertiealer  Schrägschnitt  des  verlängerten    Marks  nach  dem  Laufe    der   Kreuzungsfasern 
der  Pyramiden.     Fa,    Fp  Vorder-  und  Hinterstrang,      Cga,     Cgp  Graue  Vorder-  und 

Hintersäule. 


schnitte,  welche  in  diagonaler  Richtung,  dem  Laufe  der  Kreuzungsfasern 
der  Pyramide  entsprechend  geführt,  die  Medianebene  unter  spitzem  Winkel 
kreuzen ,  obgleich  auch  an  solchen  Schnitten  -die  Continuität  der  Faserbün- 
del dadurch  unterbrochen  ist,  dass  sie  der  Subst.  gelatin.  centr.  ausweichen 
(Fig.  119).  Man  sieht  die  fein  längsstreifige  Substanz  der  Hinterstränge 
von  schräg  aufsteigenden  Bündeln  durchzogen ,  welche ,  während  die  Mäch- 
tigkeit der  Hinterstränge  allmälig  abnimmt,  aus  dem  vorderen  Rande  der- 
selben hervor-  und  gerade  oder  sanft  gebogen  in  das  dichte  Nervengeflecht 
eintreten,  das  sich  an  die  Vorderstränge  anfügt. 

An  einem  der  Medianebene  parallelen  Längsschnitt  durch  eine  Seiten- 
hälfte des  verlängerten  Marks,  welcher  längs  der  medialen  Grenze  der  Proc. 
reticulares  verläuft  und  den  Kopf  der  Hintersäule  vom  Halse  derselben  abtrennt 
(Fig.  120),  zeigt  der  untere  Theil  der  Schnittfläche,  abgesehen  von  den 
feinen,  die  gelatinöse  Substanz  der  Hintersäule  durchsetzenden  Faserbündel- 
chen ,  fast  nur  longitudinale  Fasern.  Weiter  hinauf  neigen  sich  die  Fasern 
der  Hinterstränge  vorwärts,  während  zugleich  die   Proc.   reticulares   stumpf 


Fpy       Np  No 


Gehirn, 
Fig.  120. 


189 


i 


Sagittalschnitt  des  verlängerten  Marks  durch  eine  Seitenhälfte  desselben  längs  der  media- 
len Grenze  der  Processus  reticulares.     Kalipräparat,     g  Gelatinöse  Substanz.      Pi-  Proc. 
reticulares.     Fpy  Pyrainidenstrang.     iV^i  Pyramidenkern.     No    Untere   Spitze    des    Oli- 
venkerns. 


190 


Gehirn. 


Eaplie. 


kegelförmig  enden  und  diesem  Ende  zunächst  zahlreiche  Querschnitte  grö- 
berer und  feinerer  Nervenbündel  der  nach  der  gegenüberliegenden  Seite 
umbiegenden  Fasern  der  Seitenstränge  enthalten,  lieber  der  kegelförmigen 
Spitze  der  Proc.  reticulares  beginiien  zwischen  den  allmälig  verjüngten 
Hinter-  und  den  allmälig  sich  verdickenden  Vordersträngen  Züge  sagittaler 
Faserbündel  in  regelmässigen  Abständen  die  longitudinalen  Bündel  zu  durch- 
kreuzen ;  nur  zunächst  den  Hintersträngen  alterniren  sie  mit  einer  einfachen 
Längsreihe  von  Querschnitten  transversal  verlaufender  Bündel. 

Clark e  (1869,  p.  272)  zieht  aus  der  Vergleicluing  von  Längs-  und  Quer- 
sclmitten  den  Scliluss,  dass  sich  den  Kreuzungsfasern ,  welclie  aus  einem  Seiten- 
strang durch  die  graue  Vordersäule  zur  gegenübergelegeuen  Pyramide  ziehen, 
Fasern  beimischen,  die  aus  eben  dieser  Vordersäule  ihren  Ursprung  nehmen;  an- 
dere Tasern  soUen  aus  der  Vordersäule  entspringen,  um  seitwärts  und  in  den  Sei- 
tensträngen abwärts  zu  verlaufen. 

In  der  Gegend  des  Ursprungs  der  untersten  Wurzel  des  N.  hypoglos- 
sus  ist  die  Pyramidenkreuzung  vollendet  und  damit  die  seitliche  Symmetrie 
des  verlängerten  Marks  fast  vollständig  wieder  hergestellt.  Eine  Ausnahme 
macht  nur  die  Pyramide ,  deren  verticale  Fasern  noch  weiterhin  unregel- 
mässig zerklüftet,  von  horizontalen  Fasern  ungieichmässig  durchzogen  und 
an  der  Oberfläche  umsäumt  werden.  Die  zungenförmigen  Vorderstrangs- 
reste erstrecken  sich  als  Fortsätze  der  Pyramiden  in  der  Flucht  der  media- 


Fi>.  121. 


Fig'.  122. 


Mittlerer  Theil  des  Frontalsclinitts  des  ver- 
längerten Marks  durch  die  Vorderstränge. 
Zwischen  den  verticalen  Fasern  dieser  Stränge 
zeigen  sich  die  transversalen  und  die  quer 
durchschnittenen  sagittalen  Fasern ,  so  wie 
die  Querschnitte  der  sagittalen  Blutgefässe 
der  Raphe. 


Horizontalschnitt    des    vorderen    Theils    der 
Raphe,  Brönner-Präparat.     J^p?/ Pyramiden- 
Strang.      Fb  a  Fibrae  arciformes. 


Gehirn. 


191 


len  FLächen  der  letzteren  einander  parallel  nacli  hinten,  durch  einen  schma- 
len Streifen  heller  Zwischensubstanz,  Haphe  Stilling  i)  (Fig.  124),  getrennt 
und  durch  transversale  Faserzüge  abgetheilt.  Die  Raphe,  die  von  dem 
Grunde  der  vorderen  Längsspalte  bis  zur  centralen  gelatinösen  Substanz 
reicht,  ist  eine  weisse  Commissur  eigenthümlicher  Art,  aus  dunkelrandigen 
Nervenfasern  von  wesentlich  horizontaler  Richtung  zusammengesetzt  und 
von  sagittalen  Blutgefässstämmchen  durchzogen.  Die  letzteren  treten  von 
der  vorderen  Medianfissur  ein,  in  regelmässigen  Abständen  über  einander 
und  paarweise  oder  alternirend  zii  den  Seiten  der  Medianebene.  Ihre  An- 
ordnung erhellt  am  deutlichsten  aus  Frontalschnitten  des  verlängerten  Marks 
(Fig.  121).  Sagittalschnitte  treffen  zuweilen  die  Eine  oder  andere  Reihe,  Hori- 
zontalschnitte öffnen  Einen  oder  ein  paar  dieser  Gefässcanäle  (Fig.  124);  am 
häufigsten  fallen  sie  zwischen  dieselben.  Was  den  Verlauf  der  Fasern  der 
Raphe  betrifft,  so  sind  zwei  Plauptrichtungen  zu  unterscheiden;  die  Grund- 
lage bilden  sagittale  Fasern,  welche  sich  durch  die  ganze  Tiefe  der  Raphe 
erstrecken  und  aus  der  vorderen  Spalte   oder  zwischen   den   Bündeln   einer 

Pyramide  an  die  äussere 
Fläche  des  verlängerten 
Marks  gelangen,  um  das- 
selbe in  der  Form  der  Fi- 
brae  arciformes  zu  um- 
gürten. Dabei  lagern  sich 
in  Folge  einer  sehr  steilen 
Kreuzung  Fasern  vom 
rechten  Rande  der  Raphe 
an  die  linke  Pyramide  und 
umgekehrt  (Fig.  122).  '  Zu 
diesen  sagittalen  Fasern 
kommen  von  beiden  Seiten 
her  andere,  welche  bündel- 
weise in  transversaler  Rich- 
tung aus  allen  Zwischen- 
räumen der  longitudinalen 
Bündel  der  Vorderstrangs- 
reste hervortreten  und,  so- 
bald sie  die  Raphe  erreicht, 
pinselförmig  auseinander- 
fahren, reichlicher  gegen 
die  Vorderfläche  des  ver- 
längerten Marks,  als  ge- 
gen die  hintere  (Fig.  123). 
Nur  eine  Minderzahl  kann 
man  als  einfache  Commis- 
surenfasern  direct  durch 
die  sasfittalen  Fasern  hin- 


Horizontalschnitt  des  hintei'en  Theils  der  Raphe,  Brönner- 
präparat.      Cc  Centralcanal. 


^)    Septum    med.    oblongcttae. 
S.  mediamim. 


192  Gehirn. 

* 

diircla,  gerade  oder  schräg  von  Einer  Seite  zur  anderen  verfolgen,  die  mei- 
sten verlieren  sich  zwischen  den  sagittalen  Fasern,  sie  verlassen  die  Schnitt- 
ebene und  müssen  wohl,  da  man  nirgends  Querschnitte  von  Fasern  sieht, 
sanft  an-  oder  absteigend  in  höhere  oder  tiefere  Ebenen  übergehen  und 
wenig  höher  oder  tiefer  wieder  zu  transversalen  Fasern  der  entgegenge- 
setzten Seite  der  Vorderstrangsreste  werden.  Eine  TJnibeugung  transver- 
saler Fasern  in  sagittale  findet,  wenn  überhaupt,  nur  am  hinteren  Anfang 
der  Raphe  Statt;  die  hier  eintretenden  transversalen  Fasern  wenden  sich 
ausschliesslich  vorwärts  und  verlieren  sich  unter  den  sagittalen;  doch  lässt 
sich  keine  Gewissheit  erlangen,  ob  sie  nicht  nach  etwas  längerem  Verlauf 
in  der  Raphe  zuletzt  ebenfalls  seitwärts  ab-  und  in  die  Vorderstrangsreste 
einlenken.  In  den  Vorderstrangsresten  selbst  erzeugt  die  Durchflechtung 
der  transversalen  und  verticalen  Fasern  ein  sehr  regelmässiges  und  zier- 
liches Gitterwerk,  in  welchem  aber  die  verticalen  Fasern,  die  man  auf 
Querschnitten  im  Durchschnitt,  auf  sagittalen  Schnitten  im  Längsschnitt  zu 
sehen  bekommt ,  über  die  transversalen  Fasern ,  bei  denen  das  Umgekehrte 
der  Fall  ist,  das  Uebergewicht  haben.  Die  Schichten  der  verticalen  Bündel 
haben  eine  Mächtigkeit  von  etwa  0,08  Mm.,  die  transversalen  Schichten 
haben  ein  Viertel  bis  zur  Hälfte  dieser  Stärke.  Die  Mehrzahl  der  Fasern 
der  Raphe  gehört  zu  den  feinen ;  vereinzelt  kommen  aber  auch  Fasern  vom 
stärksten  Kaliber  vor,  die  Raphe  in  schräger  Richtung  von  Einer  Seite  zur 
anderen  durchsetzend. 

Die  auffallendste  Umwandlung  erleidet  die  graue  Masse  der  vorderen 
Hälfte  des  verlängerten  Marks.  An  derjenigen  Stelle  des  Querschnitts, 
welche  bis  dahin  die  spongiöse,  an  grossen  multipolaren  Zellen  reiche  Sub- 
stanz der  Vordersäule  eingenommen  hatte,  in  dem  Winkel  zwischen  dem 
hinteren  Rande  der  Pyramide  und  dem  äusseren  Rande  des  Vorderstrangs- 
restes, tritt  jetzt  ein  heller,  scharfbegrenzter  Streifen  auf,  der  Pyramiden- 
Nucieus  py-  kern,  JVudeus  Jiyramidalis^),  welcher  zuerst  nur  dem  hinteren  Rande  der 
rami  .  Pyramide  entlang  geht,  weiter  oben  aber  sich  längs  dem  Vorderstrangsrest 

nach  hinten  verlängert  und  dadurch  die  Form  eines  Winkelmaasses  erhält 
(Fig.  124).  Der  dem  hinteren  Rande  der  Pyramide  nächste  Theil  des  Kerns 
liegt,  der  Form  der  Pyramide  entsprechend,  schräg,  mit  dem  medialen  Ende 
rückwärts  geneigt;  das  laterale  Ende  ist  abgerundet,  kolbig  angeschwollen, 
die  Mitte  etwas  eingeschnürt ,  von  Durchschnitten  feiner  Längsfaserbündel 
erfüllt  und  daher  minder  durchsichtig.  In  dem  winkelmaassförmigen  Quer- 
schnitt nehmen  diese  Faserdurchschnitte  den  Winkel  ein.  Im  sagittalen 
Durchschnitt  des  verlängerten  Marks  (Fig.  120)  erscheint  der  Pyramiden- 
kern als  verticaler,  abwärts  zugespitzter  Streifen  von  derselben  Breite,  wie 
im  Querschnitt  (0,5  Mm.);  aus  der  Combination  beider  Schnitte  ergiebt 
sich ,  dass  er  die  Form  einer  winklig  gebogenen  Scheibe  hat.  In  seiner 
Durchsichtigkeit  gleicht  er  der  gelatinösen  Substanz  und  der  an  den  Vor- 
derstrangsrest grenzende  Theil  desselben  wird,  wie  die  gelatinöse  Substanz 
der  Hintersäulen,  in  bestimmten  Zwischenräumen  von  feinen  Nervenbündeln 
durchzogen,   welche    Fortsetzungen   der    transversalen   Bündel  der   Vorder- 


^)  Grosser    Pyramidenkern    Stilling.     Hinterer    Pyramidenkern    Köll.     Innere    Neben- 
olive Lenhossek. 


Gehirn. 


193 


Strangsreste  sind  und  seitwärts  in   die   bogenförmigen  Bündel   der  sogleich 
zu  erwähnenden  reticulären  Substanz  übergehen.      Aber  in  den  hellen  Räu- 

Fig.   ]24. 


Fcl 


Querschnitt  des  verlängerten  Marks  durch  die  untere  Spitze  des  Olivenkerns.  Kaliprä- 
parat. Fpy  Pyramidenstrang.  R  Raphe.  Fa'  Vorderstrangsrest.  Nh  Hypoglossus- 
kern.  Cc  Can.  centralis.  Fg  Funic.  gracilis.  Fem,  Fcl  medialer  und  lateraler  Keil- 
strang. No  Olivenkern.  Np  Pyramideiikern.  Fha  Fibrae  arciformes.  Na  Kern  der 
Gürtelschichte.  *  Querschnitt.  **  Längsschnitte  von  Blutgefässen.  ***  Querschnitt 
eines  nervenähnlichen  Strangs.      X  1 1'   Hypoglossuswurzel. 

men  zwischen  den  Faserbündeln  enthält  die  Platte  sternförmige  Nervenzellen 
von  mittlerer  Grösse  (0,024  Mm.),  die  in  der  gelatinösen  Substanz  tieferer 
Localitäten  nicht  vorkommen.  Ein  sagittaler  Durchschnitt  des  an  den 
Vorderstrangsrest  stossenden  Theils  des  Pyramidenkerns  zeigt  die  stern- 
förmigen Nervenzellen  und  dazwischen  die  unregelmässig  zerstreuten  klei- 
nen, kreisförmigen  Querschnitte  der  transversalen  Nervenbündel. 

Eine  andere  Anhäufung  multipolarer  Nervenizellen  in  heller,  feinkörni-  Nuciei  arci 

•1T1J.J.J        formes. 

ger  Substanz  findet  sich  an  der  Vorderfläche  der  Pyramide  dicht  unter  der 
Gefässhaut,  umfasst  und  zuweilen  durchsetzt  von  den  aus  der  Raphe  nach 
aussen  umbiegenden  horizontalen  Fasern  der  Gürtelschichte  (Fig.  124).     Sie 

Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthlg.  2.  13 


194  Gehirn. 

hat  die  Form  einer  nach  der  Oberfläche  der  Pyramide  gebogenen  rundlichen, 
.  gegen  die  Ränder  zugeschärften  Platte.  Zuweilen  folgt  dieser  Platte  ^)  wei- 
ter nach  aussen  und  schon  im  Bereich  des  Olivenstrangs  eine  zweite,  klei- 
nere. Noch  kleinere,  elliptische  oder  dreiseitige  Herde  derselben  Substanz 
liegen  unregelmässig  zerstreut  am  Seitenrande  der  Raphe,  zwischen  ihr 
und  den  Vorderstrangsresten.  Ich  begreife  alle  diese  Massen  grauer  Sub- 
stanz, die  offenbar  in  Beziehung  zu  den  Fibrae  arciformes  stehen,  unter 
dem  gemeinsamen  Namen  der  Nudei  (irciformes,  Kerne  der  Gürtel- 
schichte. 

Einmal  im  Gehirn  eines  Kindes  fand  icli  einen  Nuclens  areif,  von  imgewöhn- 
licher  Grösse  am  vorderen  Eande  der  Pyramide.  Er  war  im  Querschnitt  dreisei- 
tig, mit  rückwärts  gericliteter  S^jitze,  die  von  dem  queren  Tlieil  des  Pyramiden- 
kerns nur  durcli  eine  schmale  Brücke  geschieden  wurde.  Einzelne  schmale  Bündel 
der  Eibrae  areif,  durchsetzten  ihn. 

In  der  hinteren  Hälfte  des  verlängerten  Marks  erhalten  sich  die  drei 
Stränge  mit  ihren  grauen  Kernen  ziemlich  unverändert.  Die  mächtigste 
Schichte  weisser  Substanz  besitzt  der  mediale  Keilstrang ;  sie  gleicht  im 
Querschnitt  einem  Halbmond  mit  vorwärts  gerichteten  Spitzen  und  diese 
Spitzen  zeichnen  sich  auf  dunklem  Grunde  durch  intensive  Weisse,  bei 
durchfallendem  Licht  durch  Dunkelheit  aus.  Die  zarten  Stränge  haben  sich 
fortwährend  im  sagittalen  Durchmesser  verkürzt;  die  helle,  centrale  graue 
Substanz  ist  der  hinteren  Oberfläche  des  verlängerten  Marks  näher  gerückt 
und  die  hintere  Medianfurche  ist  seichter  geworden.  Wo  die  Oberfläche 
der  hinteren  Stränge  von  Fibrae  arciformes  umgeben  ist,  schlagen  diese 
sich  um  den  zarten  Strang  in  die  hintere  Medianfurche  und  strahlen  von 
da  in  den  Keilstrang  aus  (Fig.  124).  In  dem  äusseren  Keilstrang  ist  der 
Kopf  der  grauen  Hintersäule  noch  zu  erkennen,  aber  er  ist  von  der  übrigen 
Eeticuiäre  grauen  Substanz  isolirt  und  stösst  nach  innen  an  die  reticuläre  Sub- 
Substanz.  gtauz,  ein  Flechtwerk  verticaler  und  horizontaler  feiner  Nervenbündel,  in 
welches  sich  die  Proc.  reticulares,  die  Seitenstränge  und  schliesslich  die 
ganze  vor  der  centralen  grauen  Substanz  beflndliche  Nervenmasse,  die  Py- 
ramiden ausgenommen,  auflöst,  mit  welcher  endlich  auch,  oberhalb  des  Py- 
ramidenkerns, die  Vorderstrangsreste  ohne  wahrnehmbare  Grenze  zusammen- 
fliessen.  In  dieses  Nervennetz  sind  grosse,  sternförmige  Zellen  eingestreut, 
deren  Ausläufer  sich  weithin  ungetheilt  erstrecken  und  den  Bündeln  nach 
verschiedenen  Richtungen  beigesellen  (Fig.  125) ;  die  Zellen  sind  besonders  zahl- 
reich am  vorderen  Rande  der  centralen  grauen  Substanz,  gleichsam  als  Vorpo- 
sten des  sogleich  zu  erwähnenden  Hypoglossuskerns.  Nach  Deiters  (S.  227) 
ist  der  Axencylinderfortsatz  dieser  Zellen  fast  durchweg  abwärts,  die  Proto- 
plasmafortsätze sind  horizontal  gestellt.  Eine  oder  zwei  Gruppen  mehr 
rundlicher  Nei'venzellen  nehmen  in  der  Nähe  des  Seitenrandes  den  Raum 
zwischen  dem  Pyramidenkern  und  dem  Kopf  der  Hintersäule  ein  2). 


1)  Dem  vorderen  Pyramidenkern  Kö  11.  Stilling  fasst  diesen  mit  einigen  anderen,  welche 
uiiregelmässig  zerstreut  in  der  Pyramide  liegen  sollen ,  unter  dem  Namen  der  kleinen  Py- 
i-amidenkerne  zusammen.  Ich  konnte  mich  nicht  überzeugen,  dass  die  hellen  Flecke,  welche 
man  hier  und  da  an  Querschnitten  der  Pyramiden  gewahrt,  etwas  anderes  seien,  als  Ge- 
fässlücken,  in  welche  sich  Fortsätze  der  Gefässhaut  erstrecken.  ^)  Clarke  bildet  dieselben 
in  seiner   ersten  Abhandlung    (Fig.  23,^  und  </')    ohne    besondere    Benennung    ab;    in  der 


Gehirn. 


195 


An  der  hinteren  Grenze  der  reticulären  Substanz,  vor  dem  Kopf  der  Hin- 
tersäule sali  ich  einigemal  zwischen  den  mehr  zerstreuten  Dvirchschnitten  der 
Läugsbündel  die  Durchschnitte  von  Einem  oder  zwei,  vollkommen  cylindi'ischen 
und  scharf  umschriebenen  nervenähnlichen  Strängen  von  0,25  bis  0,5  Mm.  Durch- 
messer, Avelche  aus  starken  und  feinen  Pasern  zusammengesetzt  waren.  Sie  kamen 
nur  einseitig  vor  (Fig.   124***). 

Die  horizontalen  Fasern   der  reticulären  Substanz  ^)    verlaufen   bogen- 
förmig, der  Vorder-  und  Seitenfläclie  des  verlängerten   Marks  concentrisch ; 

Fia-.  125. 


Detail  zu   Fig.   124.     Horizontalschnitt   des    Vorderstrangsrestes  {Fa!)    und  der    angren- 
zenden reticulären  Substanz.      Brönnerpräparat. 

es  sind  Fortsetzungen  der  transversalen  Fasern,  deren  U.ebertritt  aus  den 
Vorderstrangsresten  in  die  Eapbe  und  umgekehrt  oben  (S,  187)  geschildert 
wurde,  Fortsetzungen,  die  sich  nach  aussen  von  den  Vorderstrangsresten 
bis  zum  Kopf  der  Hintersäule  begeben  und  durch  die  Raphe  hindurch  die 
Hintersäulen  beider  Seiten  mit  einander  verbinden.  Ein  Anschein  radiärer 
Faserung  wird  stellenweise  durch  die  Zwischenräume  der  mit  den  horizon- 
talen alternirenden  verticalen  Faserzüge  hervorgebracht,  wenn  in  radiärer 
Richtung  je  die  Durchschnitte  der  verticalen  Bündel  und  die  Lücken  zwi- 
schen denselben  auf  einander  treffen  (Fig.  125).     Wirklich  radiäre,  die  con- 


zweiten  wird  eine  -vordere  Zellengruppe  als  Nucleus  antero -lateralis ,  eine  hintere  als 
untere  Spitze  des  Trigeminuskerns  bezeichnet.  Sie  scheinen  identisch  mit  dem  grauen 
Kern  der  Seitenstränge  Deiters  (S.  229).  ^)  Fibrae  transversales  internae.  Bogenförmige 
Commissurenf'asern  Reichert. 

13* 


196  Gehirn. 

centrischen  Bündel  schneidende  Nervenbündel  kommen  nur  in  Verbindung 
mit  der  Gürtelschichte  und  als  Fortsetzungen  der  Nervenwurzeln  vor.  Die 
letzteren  gehören  den  Nn.  hypoglossus  und  accessorius  an,  durchziehen  in 
der  Ebene  des  Horizontalschnitts ,  die  bogenförmigen  Fasern  kreuzend ,  in 
ziemlich  gestrecktem  Yerlauf  die  ganze  reticuläre  Substanz  bis  zu  der  den 
Centralcanal  umgebenden  grauen  Masse,  mit  deren  Nervenzellen  sie  zusam- 
menhängen ,  und  zeichnen  sich  durch  die  Stärke  ihrer  Fasern  aus. 
Hypoglos-  Der    N.  hypoglossus    erreicht    das   verlängerte   Mark   vor    der   Furche, 

welche  die  Pyramide  von  dem  Olivenstrang  scheidet.  Seine  Bündel  gehen 
zum  Theil  an  der  Vorderfläche  der  Pyramide  in  transversaler  Richtung 
weiter  und  verlieren  sich  früher  oder  später ,  einzelne  erst  in  der  Nähe  der 
vorderen  Medianfissur,  in  die  Fasern  der  Gürtel  schichte  (Fig.  127).  Sie 
lassen  sich  an  durchsichtig  gemachten  oberflächlichen  Flächenschnitten  der 

Fig.  126. 


suskern. 


30 


Vorderfläche  des  verlängerten  Marks  mit  den  oberflächlichen  Wurzeln  des  N.  hypoglos- 
sus.    Dünner  Flächenschnitt,  mit  Nelkenöl  aufgehellt. 


Pyramiden  leicht  verfolgen  (Fig.  126).  Die  in  das  Innere  des  verlängerten 
Marks  sich  fortsetzenden  Bündel  verlaufen  theils  durch  die  Pyramidenkerne 
(Fig.  127),  theils  hinter  denselben  (Fig.  124)  und  weiter  oben  zwischen 
Hypoglos-  ihnen  und  den  Olivenkernen  zur  centralen  grauen  Substanz  und  insbeson- 
dere zu  einer  im  Querschnitt  kreisförmigen  Gruppe  (von  1  Mm.  Durchm.) 
grosser  multipolarer  Nervenzellen,  welche  vor  der  vorderen  Spitze  des  Central- 
canals  liegt  (Fig.  124.  127.  128).  An  Kalipräparaten  zeichnet  sich  die  Sub- 
stanz, in  welche  diese  Zellen  eingebettet  sind,  durch  feinkörnige  Beschaffenheit 
vor  der  durchsichtigeren  Umgebung  aus ;  an  Querschnitten ,  die  durch 
Brönner'sche  Flüssigkeit  aufgehellt  worden,  sieht  man  sie  von  den  Axen- 
cylindern  der  Hypoglossusfasern  durchzogen,  welche  gerade  und  gebogen 
aus  den  Wurzeln  ausstrahlen ,  nach  allen  Richtungen  sich  zerstreuen  und 
wirr  über  einander  weglaufen.  Glückt  es  auch  nur  in  seltenen  Fällen,  eine 
dieser  Hypoglossusfasern  zu  einem  Ausläufer  der  multipolaren  Zellen  zu 
verfolgen,  so  hat  man  doch  keinen  Grund,  an  dem  Zusammenhang  dersel- 
ben zu  zweifeln  und  der  Zellengruppe  den  Namen  eines  Hypoglos  sus- 
kern s,  JS'iideus  hypoglossi,  zu  versagen. 


Gehirn. 


197 


Clarke  untersclieidet  neben  den  longitudinalen  Zellenfortsätzen,  die  in  Hy- 
poglossusfasern  übergehen,  quere,  welche  tlieils  rückwärts  zum  Kern  des  Acces- 
sorius ,  tlieils  zur  Raphe  verlaufen  und  sich  in  Fasern  derselben  fortsetzen ,  tlieils 
endlich  in  dem  Netzwerk  der  seitlichen  Stränge  sich  verlieren  (Phil,  transact.  1857). 

Die  Wurzeln   des  N.  accessorius,   welche   im    Bereich   der    Pyramiden-  Accessorius- 
kreuzung,  wie  erwähnt,    sich   den    zur  Kreuzung   bestimmten   Bündeln    der  ■^"'^■^®^^- 
Seitenstränge  beigesellen ,  ziehen,  nachdem  die  Symmetrie  hergestellt,  dicht 

Fig.  127. 


XU 


Querschnitt    des    verlängerten    Marks    durch    die    Wurzeln    des    N.  hypoglossus  {XII). 
Fba  Fibrae  arciformes.     Nh   Hypoglossuskern.     Np  Pyramidenkern. 


198 


Gehirn. 


vor  dem  Kopf  der  Hintersäule  durch  die  reticuläre  Substanz  vor-  und  me- 
dianwärts,  um  hinter  den  Hypoglossuswurzeln  in  der  centralen  grauen 
Substanz  zu  enden.  Die  graue  Substanz  ist  an  dieser  Stelle,  dem  sogenann- 
Accessorius-  ten  Accessoriuskern,  durchsichtiger,  als  an  der  Stelle  des  Hypoglossus- 

Fig.  128. 


kern. 


iijil 


Querschnitt  des  verlängerten  Marks.     Hypoglossus-Kern.     R  Raphe.    *  Sagittale  Arterie 
derselben.     XII'  Wurzelfäden  des  N.  hypoglossus.     Brönnerpräparat. 

kerns  und  enthält  kleinere  Zellen  mit  feineren  Ausläufern,  welche  bald  eine 
scharf  begrenzte,  rundliche  Gruppe  bilden ,  bald  diffus  zur  Seite  des  Cen- 
tralcanals  liegen.  Ein  kleiner  Theil  der  Accessoriusfasern  bleibt  an  der 
Oberfläche  des  Organs  und  biegt  rückwärts  in  die  Gürtelschichte  um.  Von 
den  in  das  verlängerte  Mark  eingetretenen  Bündeln   sah  ich   einzelne   sich 


Gehirn.  199 

alsbald  rückwärts  wenden  und  die  gelatinöse  Substanz,  die  den  Kopf  der 
Hintersäule  überzieht,  durchsetzen.  Vielleicht  gehören  sie  einem  anastomo- 
tischen  Zweig  zwischen  Accessorius-  vind  hinteren  Cervicalnervenwurzeln  an. 

Clarke  (Phil,  transact.  1857.  Fig.  11  und  19)  und  Kölliker  (Fig.  197)  bilden 
Wurzeln  des  IST.  accessorius  ab ,  welche  nach  transversalem  Verlauf  die  Spitze  der 
Proc.  reticulares  umkreisen,  lam  dann  wieder  seit-  und  etwas  vorwärts  zu  den 
Zellen  der  Vordersäule  zu  ziehen.  Mir  ist  es  immer,  wo  ich  derartigen  steilen 
Umbeugungen  zu  begegnen  glaubte ,  schliesslich  gelungen,  eine  Täuschung  aufzu- 
decken, welche  dadurch  entstanden  war,  dass  bei  einer  Kreuzung  von  Nervenbün- 
deln die  beiden,  nach  Einer  Seite  gerichteten  Schenkel  des  Kreuzes  als  Schenkel 
eines  Bogens  aufgefasst  wurden. 

In  der  Gegend,  wo  der  Centralcanal  sich  öffnet,  tritt  im  Inneren  des  oiivenkem. 
Olivenstrangs  der  Olivenkern,  JV-udeus  Olwaris^),iiui.  Es  ist  eine  faltige, 
0,33  Mm.  mächtige,  sehr  gefässreiche  Platte  gelatinöser  Substanz  von  der- 
selben durchsichtigen  Beschaffenheit,  mit  denselben  eckigen  und  rundlichen 
Zellen  und  ebenso  in  Abständen  von  feinen  Faserbündeln  durchzogen,  wie 
der  Pyramidenkern.  Die  Höhe  des  Olivenkerns  entspricht  ziemlich  genau 
der  Höhe  der  an  der  äusseren  Fläche  des  Olivenstrangs  sichtbaren  Wölbung, 
doch  ragt  er  mit  der  unteren  Spitze  zuweilen  etwas  weiter  abwärts,  während 
seine  obere  Spitze  ungefähr  mit  dem  hinteren  Rande  der  Brücke  zusammen- 
fällt. Querschnitte  der  oberen  und  unteren  Spitze  (Fig.  124)  zeigen  die  Platte 
ringförmig  geschlossen,  im  Uebrigen  (Fig.  129)  stellt  sie  einen  gegen  die  Median- 
ebene offenen,  mehr  oder  minder  weit  geöffneten  Bogen  dar.  Daraus  folgt,  dass 
sie ,  abgesehen  von  ihren  wellenförmigen  Biegungen ,  die  Gestalt  einer  an 
dem  Einen  Rande  durch  einen  Längsschnitt  geöffneten  Mandelschale 
hat.  Durch  die  Lücke  des  medialen  Randes,  die  an  den  Hilus  einer  Drüse 
erinnert ,  dringen  dichte  Nervenfasermassen  ^)  in  den  von  der  Platte  um- 
schlossenen Hohlraum,  durchziehen  sie  vereinzelt  oder  bündelweise  und  ^ 
setzen  dann,  sich  an  der  Ausseuseite  derselben  wieder  zusammenschliessend, 
ihren  Weg  fort.  Die  Fasern ,  die  den  Olivenkern  ausfüllen  ^) ,  sind  nur  zu- 
sammengedrängte und  etwas  abgelenkte  Bogenfasern  der  Substantia  reticu- 
laris. Sie  lassen  sich  von  der  Raphe  aus,  zum  Theil  durch  den  Pyramiden- 
kern, zum  Hilus  der  Olive  verfolgen,  können  demnach  auch  in  gewissem 
Sinne  als  Commissxrrenfasern  der  Oliven  gelten,  scheinen  sich  aber  in  der 
Platte  des  Olivenkerns  weder  zu  vermehren,  noch  zu  vermindern  und  treten 
so  durch  dieselbe  hindurch ,  dass  sie  aus  den  inneren  Nischen  nach  allen 
Seiten  ausstrahlen  und  sich  in  den  äusseren  wieder  zu  compacten  Massen  sam- 
meln (Fig.  130).  Ob  sie  dabei  mit  den  Fortsätzen  der  in  der  Platte  enthaltenen 
Zellen  Yerbindungen  eingehen,  ist  schwer  zu  ermitteln,  da  diese  Fortsätze  sich 
mit  Sicherheit  nur  bis  an  den  Rand  des  hellen  Hofs,  in  welchem  die  Zellen 
liegen,  verfolgen  lassen^).  Jenseits  des  Olivenkerns  biegen  die  horizonta- 
len  Nervenfasern    rückwärts    um    und    gesellen    sich   zum  Theil  den  Fibrae 


^)  Corpus  dentatum  s.  ßmhriatum  s.  ciliare  s.  rlwmhoicUwn  olivae.  Nucleus  dentatus 
olivae.  ^)  Pedunculus  olivae  Lenhossek.  ^)  Olivenkernstrang.  i^MwicM^MS  s.  Nucleus  olivae. 
*)  Für  den  Zusammenhang  erklären  sich  Kölliker,  Schroeder  v.  d.  Kolk  (a.  a.  0. 
p.  132),  Clarke  (a.  a.  0.  p.  243),  Dean  (The  gray  subslance  of  the  medulla  oblon- 
gata  and  trapezium.  Smithsonian  contributions.  1863,  p.  34.  37)  undDeiters  (a.a.O. 
S.  266.  269).     Nach  Deiters  ist  einer  der  Fortsätze  ein  Axencylinderfortsatz. 


200 


Gehirn. 


arciformes,  die  die  äussere  Oberfläche  des  Olivenkerns  umsäumen,  zum  Tlieil 
den  Bogenfasern  der  reticulären  Substanz  bei.  Als  solcbe  weichen  sie  bald 
wieder  aus  einander,  um  verticalen  Faserbündeln  Raum  zu  geben  (Fig.  130). 
Zwischen  den  in  den   Plilus   des   Olivenkerns   eintretenden   horizontalen  Fa- 

Fie-.  129. 


Querschnitt  des  verlängerten  Marks  durch    die  Mitte  des  Olivenkerns.     Fpy    Funiculus 

pyramidalis.     Fr    Funic.  restiformis.     Np  Nucleus  pyramid.     Noa  Nucleus  olivaris  ac- 

cessor.    Nh  Nucl.  hypoglossi.     Nv  Nucleus  vagi.     Ngl  Nucl.  glossopharyngei-     Po  Pon- 

ticulus.     R  Raphe.     IX  N.  glosso})har.     Z// N.  hypoglossus.     f  Vgl.  S.   207. 

Sern  kommen  nur  spärliche  und  schmale  Reihen  verticaler  Fasern  vor;  stär- 
kere verticale  Faserzüge  fassen  ihn  an  der  äusseren  Oberfläche  ein.  Zu 
dieser  Masse  weisser  Substanz,  die  den  Olivenkern  rings  umschliesst,  kom- 
men längs  seinem  medialen  Rande  noch  die  Wurzeln  des  Hypoglossus 
(Fig.  130  XII'). 

Das  Verhältniss  der  Hypoglossus  -  Wurzeln  zum  Olivenkern  ist  nicht 
überall  dasselbe.  In  der  Regel  ziehen  die  Bündel  des  Hypoglossus  zwischen 
Pyramiden-  und  Olivenkern   hindurch;    ein   Verticalschnitt ,   senkrecht   auf 


Gehirn. 


201 


den  Hilus  des  Olivenkerns,  zeigt  zwischen  den  Längsschnitten  der  Pyrami- 
denfasern und  den  abwechselnden  Längs-  und  Querschnitten  der  den  Oli- 
venkern umgebenden  Faserzüge  die  lange  Reihe  querdurchschnittener  Hy- 
poglossusbündel,  die  sich  durch  ihr  stärkeres  Kaliber  auszeichnen  (Fig.  131). 

Fig.  130. 


iIl'Al'WV'^  I«') 


ZU' 


//> 


Querschnitt  des  verlängerten   Marks  durch  die  mediale    Spitze  des  Olivenkerns,  mit  den 

an  derselben  voi-überstreichenden  Fasern  der  Hypoglossuswurzel  (Z7i  ).    Brönnerpräparat. 

Die  Zellen  des  Olivenkerns  sind  nur  im  oberen  Theil  der  Figur  angedeutet. 


Aber  wie  nach  der  Seite  des  Pyramidenkerns  (Fig.  127),  weichen  diese  Bündel 
auch  zuweilen  nach  der  Seite  des  Olivenkerns  aus  und  durchschneiden  denselben 
(Fig.  12  9)  und  ferner  begegnet  man  auf  einzelnen  Querschnitten  Wurzeln  desHy- 
poglossus,  die  sich  um  den  vorderen  Rand  des  Olivenkerns  in  dessen  Hilus 
begeben  (Fig.  132),  wofür  im   höheren  Theil  des  Olivenkerns  andere  Züge 


202 


Gehirn. 


(Fig.  132.  133*)    aus  dem   Hilus   hervorgehen   und   mit   den   -'egelmässigen 
Wurzelbündeln  des  Hypoglossus  zum  Kern  desselben  verlaufen  i). 

Fiff.  131. 


Vorderer  Theil  eines  Sagittalschnitts  des  verlängerten  Marks  in  der  Richtung  der  Linie 

y,  Fig.  129,  durch  den  Pyramiden  -  und  Oliveustrang,  mit  den  Querschnitten  der  Hypo- 

glossuswurzeln.     Brönnerpräparat.      I^py  Pyramidenstrang.     No  Olivenkern. 

Olivenkern.  Nahe  hinter  dem  Olivenkern  und  getrennt  von   demselben  durch   eine 

Schichte  reticulärer  Substanz  liegt  eine  Platte  von  gleicher  Structur,  nicht  viel 
geringerer  Mächtigkeit,  aber  minder  complicirter  Form,  der  Olivenneben- 
ker  n,  Nudeus  oUvaris  «ccessom«s  Still  ing  (Fig.  129)2).  Sie  ist  frontal  gestellt, 
eben  oder  leicht  vorwärts  oder  auch  Sförmig  gekrümmt ;  mit  dem  medialen  Rande 
reicht  sie  in  der  Regel  bis  zu  den  Hypoglossuswurzeln,  ist  aber  auch  mitunter  wei- 
ter medianwärts  gerückt  und  wird  dann  von  den  Hypoglossuswurzeln  durchzo- 
gen; ihr  lateraler  Rand  liegt  ungefähr  in  gerader  Linie  hinter  der  Furche, 
die  den  Pyramiden  -  und  Olivenstrang  trennt ;  selten  erstreckt  er  sich  bis  in 
die  Nähe  der  Oberfläche.  Ihre  Höhe  ist  geringer,  als  die  des  Olivenkerns, 
so  dass  sie  auf  successiven  Querschnitten  des  verlängerten  Marks  später  er- 
scheint und  viel  früher  verschwindet.  Dabei  zerfällt  sie  mitunter  in  zwei 
oder   drei,   zum   Theil  rundliche   Kerne,   was   auf  Unebenheiten   oder   Vor- 


^)  Dean  (a.  a.  0.  p.  35)  bezv^eifelt  die  Existenz  solcher  in  den  Hilus  des  Oliven- 
kerns eintretenden  und  aus  demselben  austretenden  Bündel  und  erklärt  dieselben  für  wellen- 
förmig verlaufende  "Wurzelbündel  des  Hypoglossus  ,  deren  gegen  den  Hilus  gerichtete  schlingen- 
förmige  Biegung  durch  den  Schnitt  abgetrennt  sei.     2)  Aeussere  Nebenolive  Lenhossek. 


Gehirn. 


203 


Sprünge  der  betreffenden  Ränder  schliessen   lässt.     Gleicli  dem   Olivenkern 
unterbricht  sie  die  verticalen  Faserzüge  der  reticulären  Substanz,  wird  aber 


Fig.  132. 


Horizontalschnitt  des  verlängerten  Marks  durch    eine 
Hypoglossuswurzel.     XII  N.  hypoglossus.     Fj)y  Py- 
ramidenstrang.     Np  Pyramidenkern. 


Fig.  133. 


von  den  horizontalen  Fasern 
durchzogen,  die,  soweit  sie  in 
dem  Kern  enthalten  sind,  in 
der  Regel  eine  geringe  Ab- 
lenkung ihres  bogenförmigen 
Verlaufs  erleiden  und  sich 
mehr  der  sagittalen  Richtung 
nähern  (Fig.  133). 

Neben  dem  Oliven  -  und 
Olivennebenkern  erhält  sich 
noch  eine  Strecke  weit,  zu- 
weilen in  zwei  seitliche  Hälf- 
ten getheilt,  die  sagittale 
Platte  des  Pyramidenkerns 
(Fig.  129.  132  Np)\  die  fron- 
tale endet  meistens  schon  der 
unteren  Spitze  des  Oliven- 
kerns gegenüber. 

Die  Yeränderungen ,  die 
zugleich  mit  dem  Auftreten 
der  Olivenkerne    der   Faser- 

Noa 


Horizontalschnitt    des    verlängerten    Marks.     Hintere   Spitze    des  Olivenkerns  {No)    und 

Olivennebenkern  (^Noa).      *  Aus    dem    Hilus    der     Olive    hervortretende    Fasern,     vgl. 

Fig.  132.     Kalipräparat,  auf  dunklem  Grunde. 


204 


Geliirn. 


Eröffnung 
des  Central- 
canals. 


verlauf  und  die  Lage  der  grauen  Kerne  in  der  hinteren  Abttiei- 
lung  des  verlängerten  Marks  erfährt,  stehen  in  Zusammenhang  mit  der 
Eröffnung  des  Centralcanals  und  dem  Auseinanderweichen  der  Hinter- 
stränge. 

Der  Centralcanal  öffnet  sich  zwischen  den  vorderen  Enden  beider  Ciavae 
oder  dicht  vor  denselben  auf  dem  Boden  des  vierten  Ventrikels.  Im  ersten 
Falle  erfolgt  seine  Eröffnung  dadurch,  dass  die  Brücke ,  die  ihn  vom  Grunde 
der  hinteren  Medianfissur  scheidet,  sich  allmälig  verdünnt  und  endlich 
schwindet.  Doch  geht  dieser  Process  nicht  überall  auf  gleiche  Weise  vor 
sich.  Man  kann  sagen,  dass  in  dem  Einen  Falle  die  hintere  Medianfurche 
dem  Centralcanal,  im  anderen  der  Centralcanal  der  hinteren  Medianfurche 
entgegenkommt.  Das  Eine  Mal  hat  der  sagittale  Durchmesser  des  Central- 
canals nur  wenig  zugenommen,  bevor  er  in  die  mehr  und  mehr  vertiefte 
Medianfurche  durchbricht  (Fig.  134)  und  es  giebt  Fälle,  wo  der  Central- 
canal bis  fast  unmittel- 
=■      '    ■  bar  vor   der  Eröffnung 

obliterirt  ist,  ja  wo  der 
Grund  der  Medianfissur 
auf  den  obliterirten  Ca- 
nal  trifft.  Andere  Male 
bleibt  die  Medianfurche 
seicht,  wird  sogar  auf- 
wärts seichter ,  indess 
der  Centralcanal  sich 
gegen  die  hintere  Ober- 
fläche verlängert  (Fig. 
124).  Die  dünne  Schei- 
dewand, die  zuletzt 
durchbrochen  werden 
muss,  um  die  Furche 
mit  dem  Canal  zu  ver- 
einigen, besteht  aus  Ner- 
venfasern, welche,  einan- 
der spitzwinklig  durch- 
kreuzend ,  die  beiden 
Seitenhälften  des  ver- 
längerten Marks  verbin- 
den. Anders  verhält 
sich  die  Decke  des  Endes 
des  Centralcanals,  wenn 
er  vor  den  Ciavae  in  der  Medianfurche  des  Bodens  des  vierten  Ven- 
trikels ausmündet.  Ein  Querschnitt  durch  den  Boden  des  vierten  Ven- 
trikels vor  den  Ciavae  zeigt  alsdann  noch  den  Durchschnitt  des  Central- 
canals zwischen  den  beiden  Hypoglossuskernen  (Fig.  135);  es  ist  die  graue, 
die  beiden  Accessoriuskerne  verbindende  Substanz,  welche  der  Centralcanal 
durchbricht,  und  diese  breitet  sich  von  der  Furche  her  als  dünne  Rinden- 
schichte nach  beiden  Seiten  über  die  am  Boden  des  Ventrikels  befindlichen 
Gebilde  aus.     Was  man  als  Obex  beschreibt,  der  zwischen  den  Ciavae  sicht- 


Querschnitt  des  verlängerten  Marks  an  der  Stelle  ,  wo  der 
Centralcanal  sich  in  die  hintere  Medianfurche  öffnet.  R  Ra- 
phe.  Fr  Strickförmiger  Strang.  Nh  Hypoglossuskern. 
-     Nna    Accessoriuskern.     f  Längsbündel.    Vgl.  S.  207. 


Gehirn. 


205 


Fiff.  135. 


Nna 


Querschnitt  durch  den  Boden    des   vierten  Ventrikels 
mit  geschlossenem  Centralcanal  (Cc).    Nh,  Nna  Yij- 
poglossus-  und  Accessoriuskern.     R  Raphe.    "j"  Längs- 
bündel vgl.  S.   207. 

Fiof.  136. 


Oberer  Theil  des    Querschnitts  des    verlängerten  Marks 
durch  den  Hypoglossuskern  (Nh).     Ä  Raphe.      XII'  Hy- 
poglossus  Wurzel. 


Rand  der  hinteren 
Wand  des  Centralcanals,  hat 
demnach  ebenfalls  verschie- 
dene Structur,  besteht  aus 
weisser  oder  grauer  Sub- 
stanz. Zudem  legt  sich  zu- 
weilen über  den  eben  geöff- 
neten Canal  eine  schmale 
Brücke  der  Gefässhaut,  ähn- 
lich der  Taenia  plexus  choroi- 
dei,  in  welche  Nervenfasern 
einstrahlen. 

Die  tiefe  und  enge  Bucht, 
welche  durch  die  Vereinigung 
der  hinteren  Medianfissur 
mit  dem  Centralcanal  ent- 
standen ist  (Fig.  134),  ver- 
flacht und  erweitert  sich  mehr 
oder  minder  rasch ;  die  graue 
Masse  des  Accessoriuskerns, 
die  den  Hypoglossuskern  bis 
dahin  bedeckte,  weicht  nach 
der  Seite  aus  (vgl.  Fig.  134 
und  135)  und  erscheint  als 
Basis  der  Ala  cinerea  am 
Boden  des  vierten  Ventrikels, 
während  der  Hypoglossus- 
kern sich  dicht  unter  der 
Oberfläche  neben  der  Median- 
furche gerade  vorwärts  er- 
streckt. Er  hat  an  der  hin- 
teren Spitze  des  Sinus  rhom- 
boideus  eine  cylindriscbe,  im 
Querschnitt  rundliche ,  je- 
doch nicht  scharf  begrenzte 
Gestalt  und  einen  Durchmes- 
ser von  1,5  Mm.  Von  da  an 
verjüngt  er  sich  allmälig, 
plattet  sich  an  der  unteren 
Fläche  ab  und  endet  mit  ab- 
gerundetem Bande  in  der 
Gegend  der  vorderen  Spitze 
der  Ala  cinerea,  der  Austritts- 
stelle der  obersten  Hypoglos- 
suswurzeln  ungefähr  gegen- 
über. Ein  im  Querschnitte 
kreisförmiges  Häufchen  klei- 
nerer     multipolarer     Zellen 


206 


Gehirn. 


(Fig.  136  Nh')  findet  sicli  zuweilen  an  der  oberen  oder  unteren  Fläche  des 
Hypoglossuskerns.  Oft  ist  derselbe,  namentlicb  am  oberen  Rande,  dunkel 
gesäumt  in  Folge  einer  dichteren  Anhäufung  der  den  Kern  der  Länge  nach 
durchziehenden  feinen  Fasern.  Am  vorderen  Ende  wird  er  beständig  von 
den  Fasern  der  Raphe  dergestalt  umfasst,  dass  die  die  Median  ebene  kreu- 
zenden Faserzüge  derselben  hinter  ihm,  die  der  Medianebene  parallelen  vor 
ihm  vorüberziehen  (Fig.  137).  An  manchen  Stellen  scheinen  die  Hypoglos- 
suskerne  beider  Seiten  durch  quere,  die  Raphe  durchsetzende  Fasern  mit 
einander  verbunden. 

In  dem  Maasse,  wie  der  Hypoglossuskern  sich  verjüngt,  nähern  die 
zu  beiden  Seiten  der  Raphe  gelegenen,  noch  immer  durch  ihre  Dunkelheit 
bei  auffallendem  Lichte  ausgezeichneten  hinteren,  jetzt  oberen  Spitzen  der 
Vorderstrangsreste  sich  der  Oberfläche  und  unmittelbar  vor  dem  Ende  der 
Hypöglossuskerne  sind  sie  nur  von  einer  dünnen  Schichte  gelatinöser  Sub- 
stanz bedeckt ,  welche  stellenweise  von  transversalen  Fasern ,  den  Ausstrah- 
lungen der  Rajphe,  durchzogen  wird. 

^'§'-  ^^^-  Kölliker,Clarke(pliil. 

transact.  1858,  p.  253), 
Dean  (p.  15)  und  Ger- 
lach  (Ztschr.  für  rat.  Med. 
3.E.  XXXIV,  1)  beschrei- 
ben eine  mehr  oder  min- 
der yollständige  Kreuzung 
der  Hypogiossuswurzelu 
beider  Seiten,  welche  die 
Fasern  zum  Theil  nach 
ihrem  Durchtritt  durch 
den  Kern  des  Hypoglos- 
sus,  zum  Theil  aber  auch 
schon  vor  ihrem  Eintritt 
in  denselben  ausführen 
sollen.  Ob  Fasern  der 
"Wurzeln  ohne  Berührung 
n>it  Nervenzellen  den  Kern 
durchsetzen,  um  an  dessen 
medialem  Eande  wieder 
hervorzudringen,  ist  we- 
gen ihres  ausserordenthch 
verwirrten  Verlaufs  kaum 
zu  entscheiden.  In  Be- 
treff der  Fasern  aber,  wel- 
Oberes  Ende  der  Rai^lie.  Verhältniss  der  Fasern  derselben  che  unterhalb  des  Kerns, 
zum   Hypoglossuskern  (A'A).      Bi'önnerpräparat.  gegß^i  cliß    Mittellinie    ab- 

lenken sollen,  um  in  der 
ßaphe  denen  der  anderen  Seite  zu  begegnen,  glaube  ich  mich  zu  einem  Wider- 
spruch gegen  die  genannten  Angaben  berechtigt.  Die  klaren,  allerdings  leider  nur 
flüchtigen  Bilder,  welche  man  durch  Aufhellen  der  Querschnitte  mit  Brönnerschem 
Fleckwasser  erhält,  zeigen  bei-  hinreichender  Vergrösserung,  wie  sich  am  medialen 
Rande  des  Hypoglossuskerns  die  starken  geschlängelten  Axencylinder  der  Nerven- 
wurzeln mit  den  feineren,  gestreckten  Axencylindern  der  transversalen  Fasern 
kreuzen ,  die  von  den  Seitentheilen  des  verlängerten  Marks  durch  den  Accessorius- 
oder  Vaguskern  um  den  hinteren  Band  des  Hypoglossuskerns  und  selbst  durch 
den  letzteren  in  die  Raphe  einstrahlen.  Dass  sich  dabei,  wie  in  Gerlach' s  Ab- 
bildung, Bündel  der  Hypoglossusfasern  den  transversalen  Raphefaseru  beigesellten. 


X-A 


Gehirn.  207 

habe  ich  uie  bemerkt ,  höchstens  bogen  die  mecTialsten  Axencylinder  des  Hypo- 
glossus  in  einer  Eichtung  ab,  dass  sie  gegen  den  Kern  der  entgegengesetzten  Seite 
aufzusteigen  scheinen.  Clarke  (Phil,  transact.  1869,  p.  279)  besclireibt  als  trans- 
versale oder  bogenförmige  Fasern  Fortsätze ,  welche  die  Zellen  des  Hypoglossus- 
kerns  in  den  Accessoriuskern  und  umgekehrt  die  Zellen  des  Accessoriuskerns  in 
den  Vaguskern  senden. 

An  der  lateralen  Seite  des  Hypoglossnskerns  liegt  die  Ala  cinerea,  eine  Vaguskern. 
Fortsetzung  des  Accessoriuskerns ,  welche  ebenso,  wie  der  Hypoglossuskern, 
durck  die  Divergenz  der  Hinterstränge  blossgelegt  wird.  Von  den  beiden 
Abtheilungen ,  in  welche  die  Ala  cinerea  zuweilen  zerfällt  (S.  180),  ist  die 
hintere  (Fig.  1 1 3  ^4  c')  ein  oberflächlicher  Wulst  von  röthlich  grauem,  gal- 
lertartigem Ansehen,  auf  Querschnitten  durch  seinen  Grefässreichthum  aus- 
gezeichnet. An  ihrer  unteren  Fläche  nimmt  die  Ala  cinerea,  wie  sie  selbst 
aus  dem  Accessoriuskern  ohne  Abgrenzung  hervorgeht,  die  Wurzeln  des 
N.  vagus  auf,  die  in  Einer  Flucht  mit  den  Wurzeln  des  N.  accessorius  in 
das  verlängerte  Mark  eindringen,  und  erhält  dadurch  die  Bedeutung  eines 
Vaguskerns  (Fig.  129  Nv). 

Die  Beziehung  der  Wurzeln  zu  dem  Kern  ist  beim  N.  accessorius  und 
vagus  nicht  so  augenfällig ,  als  beim  Hypoglossus ,  weil  einerseits  die  Ner- 
venfasern und  Bündel  feiner  sind  und  selten  grössere  Strecken  weit  in  Einer 
Ebene  verlaufen,  andererseits  auch  die  Nervenzellen  kleiner,  spärlicher  und 
mit  feineren  Ausläufern  versehen  sind.  Abgesehen  von  dieser  unwesent- 
lichen Verschiedenheit  ist  das  Verhältniss  der  Wurzeln  zum  Kern  und  des- 
sen Zellen  beim  Vagus  dasselbe,  wie  beim  Hypoglossus;  der  Kern  des  Va- 
gus ist  ebenso  von  einem  Gewirr  von  Nervenfasern  durchzogen,  die  sich 
vereinzelt  in  die  den  Kern  deckende  gelatinöse  Substanz  erstrecken.  Häufig 
sind  die  Zellen  des  Vaguskerns  von  braunem  Pigment  erfüllt. 

Im  hinteren  Theil  des  Sinus  rhomboideus  hat  der  Vaguskern  eine  eini- 
germaassen  vierseitige  Gestalt.  Die  mediale  Fläche  grenzt  an  den  Hypo- 
glossuskern, die  laterale  an  die  reticuläre  Substanz  des  Hinterstrangs;  die 
obere  Fläche  ist  convex,  die  untere  tief  ausgehöhlt  durch  ein  starkes,  cylin- 
. drisches  Bündel  longitudinaler  Fasern  (Fig.  129.  134.  135.  138f)^),  welches 
minder  merklich  schon  in  den  Accessoriuskern  vorspringt  und  sich  an  der 
oberen  Grenze  des  Vaguskerns  wieder  verliert.  Dean  betrachtet  es  als  eine 
Fortsetzung  der  Processus  reticulares  des  Rückenmarks.  Im  Vaguskern  ist 
es  deshalb  so  auffallend  und  an  aufgehellten  Präparaten  schon  mit  freiem 
Auge  sichtbar,  weil  es  ringsum  von  grauer  Substanz  umgeben  ist.  Um 
die  Vorderfläche  desselben  sieht  man  fast  auf  jedem  Querschnitt  ein  Bündel 
der  bogenförmigen  Fasern  sich  herumschlagen,  welche  aus  den  Hintersträn- 
gen zur  Raphe  ziehen  (Fig.  138);  solche  Bündel  durchsetzen  auch  noch 
weiter  oben,  d.  h.  näher  der  Oberfläche  des  Sinus  rhomboid.  den  Vagus- 
kern selbst. 

Sie  haben  gleich  den,  den  Hypoglossuskern  durchsetzenden  bogenförmigen  Fa- 
sern zu  der  irrigen  Annahme  einer  Kreuzung  der  beiderseitigen  Wurzeln  des  N. 
vagus  in  der  Eaphe  Anlass  gegeben  (Clark-e^  phil.  transact.   1858,  p.  253). 


^)  Runde  Bündelforniation  Stillin 2. 


208 


Gehirn. 


Nach    vorn    verjüngt    sicli  der 
aus   der   Form    der    Ala 


Untere- 
Seiteu- 
sti'änge. 


Oberer  Acu- 
sticuskern. 


FiV.  138. 


Oberer  Theil  des  Querschnilts  des  verlängerten 
Marks  durch  die  Spitze  der  Ala  cinerea.  J?  Raphe. 
jVÄ  Hypoglossuskern.  jVt' Vaguskern.  A'«.s  Obe- 
rer Acusticuskern.  IX'  Vaguswurzel.  XII'  Hy- 
poglossuswurzel.     "f  Längsbündel. 


Vaguskern,  jedoch  nicht  so  rasch ,  wie 
cinerea  zu  schliessen  geneigt  sein  würde. 
Vielmehr  bezeichnet  die  Spitze  der 
Ala  cinerea  nur  die  Stelle,  wo  er 
sich  in  die  Tiefe  senkt,  um  sich 
dann  ebenso  unm.erklich,  wie  er  aus 
dem  Accessoriuskern  hervorgegan- 
gen ist,  in  den  Glossopharyngeus- 
kern  fortzusetzen,  während  über 
ihm  die  allerdings  nur  relativ 
weissen  Massen  der  Alae  albae 
von  beiden  Seiten  zusammentreten 
(Fig.  138). 

In  den  unteren  und  seitlichen 
Strängen  des  verlängerten  Marks 
sind  mit  der  Eröffnung  des  Cen- 
tralcanals  ebenfalls  Veränderungen 
eingetreten  (vgl.  Fig.  12  9).  Der  Pyra- 
midenstrang hat  sich  verschmälert, 
aber  die  aus  den  Vorderstrangsresten 
hervorgegangenen  schmalen ,  im 
Querschnitt  zungenformigen  Fort- 
sätze desselben  sind  länger  geworden  und  reichen  längs  der  Raphe  fast  bis 
an  die  Oberfläche  des  Sinus  rhomboideus.  Sie  sind  durch  die  Wurzelbündel 
des  Hypoglossus  abgegrenzt  gegen  die  reticuläre  Substanz,  welche  ziemlich 
gleichförmig  den  Raum  zwischen  dem  Olivenkern  einerseits  und  dem  Hypo- 
glossus -  und  Vaguskern  andererseits  erfüllt.  In  den  strickförmigen  Kör- 
pern verwischen  sich  äusserlich  wie  im  Inneren  die  Grenzen  der  Unterab- 
theilungen und  auf  dem  Querschnitt  zeigen  sich  bei  auffallendem  Lichte 
dunklere  und  hellere  Durchschnitte  longitudinaler  Bündel,  zwischen  denen 
die  horizontalen  Bogenfasern  hervordringen.  Als  Rest  der  grauen  und  na- 
mentlich der  gelatinösen  Substanz  des  Kopfes  der  Hintersäule  lassen  sich 
zwei  helle  Massen  deuten,  die  Eine  an  der  Eintrittsstelle  der  Vaguswur- 
zeln, die  andere  in  der  Umgebung  des  longitudinalen  Strangs,  der  in  die 
hintere  Fläche  des  Vaguskerns  vorspringt.  Uebrigens  sind  zahlreiche 
grössere  und  kleinere  Nervenzellen  durch  alle  Theile  des  strickförmigen 
Körpers  zerstreut. 

Die  Gürtelschichte  hat  an  Mächtigkeit  verloren,  verstärkt  sich  aber 
wieder  in  der  Gegend  des  Ponticulus,  in  dessen  feine  transversale  Faserung 
sie  sich  fortsetzt  (Fig.  129). 

Das  dreieckige,  im  Vergleich  zur  Ala  cinerea  weisse  Feld,  welches  an 
der  lateralen  Seite  der  letzteren  liegt,  mit  der  Spitze  nach  hinten  gerichtet, 
nach  vorn  allmälig  an  Breite  zunehmend,  erweist  sich  auf  Durchschnitten 
als  die  obere  Fläche  einer  Masse  von  der  Mächtigkeit  und  dem  Ansehen 
des  Hypoglossuskerns,  die  ebenfalls  mit  sternförmigen  Nervenzellen  reich- 
lich durchsäet  ist ,  von  welchen  aber  nur  eine  geringe  Zahl  den  Dimensio- 
nen   der  sternförmigen    Zellen    des    Hyj)Oglossuskerns   nahe  kommt.     Nach 


Gehirn.  209 

ihren  Beziehungen  zii  den  Wurzelfasern  des  N.  acusticus  darf  sie  als  Kern 
dieses  Nerven  bezeichnet  werden  ^).  Durch  die  gelatinöse  Decke  derselben 
ziehen  transversale  Faserbündel  und  weiter  vorn  ragen  über  die  Oberfläche 
die  Striae  medulläres  hervor,  die  schon  das  unbewaffnete  Auge  als  Wurzeln 
des  N.  acusticus  erkennt  (Fig.  139). 

Doch  ist  dieser  Weg  um  den  Pedunculus  cerebelli  nicht  der  einzige,  axif 
welchem  Wurzelfasern  des  N.  acusticus  zu  jenem  Kern  gelangen,  und  jener 
Kern  nicht  das  einzige  centrale  Ziel  der  Acusticusfasern.  Der  N.  acusticus  ist 
bei  seinem  Axistritt  aus  dem  Centralorgan  mehr  oder  minder  deutlich  in  zwei 
Stränge  von  ungefähr  gleicher  Stärke  geschieden,  einen  hinteren  zugleich 
medialen,  und  einen  vorderen,  lateralen,  die  sich  im  weiteren  Verlauf  unter 
spitzem  Winkel  dergestalt  vereinigen,  dass  der  hintere  Strang  sich  dem  la- 
teralen Rande  des  Stammes  nähert.  Der  hinterere  Strang  (Fig.  139  VIII') 
setzt  sich  aus    den  Striae  medulläres   und   aus  Bündeln    zusammen,  welche 

Fig.  139. 

Nas 

\ 


Oberer  Theil  eines  Querschnitts  des    verlängerten  Marks  durch  die  hintere    Wurzel  des 

N.  acust.  {VIIJ').     Nal   Unterer  Acusticuskern.     Nh  Vordere  Spitze  des  Hypoglossus- 

kerns.     Pc  Pedunc.  cerebelli.     *  Gano-lion  des  Acusticus. 


von  dem  Kern  am  Boden  des  vierten  Ventrikels,  den  ich  oberen  Acusticus- 
kern ,  JSTucleus  Clcust.  Sup.,  nennen  werde ,  das  verlängerte  Mark  ab  -  und 
lateralwärts    durchziehen ,    zwischen  der    compacten  Masse   des   Pedunculus 


1)  CJarke  (Phil,  transact.   1869,  p.   120)  nennt  sie  den  inneren  Kern    des    Acusticus; 

mit  dem  Namen  eines  äusseren  Acusticuskerns  belegt  er    den    unmittelbar   lateralwärts    an- 
stossenden  Theil  des  strickförmigen  Strangs. 

Heule,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthl.  2.  14 


210 


Gehirn. 


Unterer 

Acusticus- 

kern. 


Lateraler 

Acustious- 

kern. 


cerebelli,  aus  welcher  sie  Fasern  aufnehmen,  und  der  reticulären  Substanz  ^). 
Am  unteren  Rande  des  verlängerten  Marks  medianwärts  neben  der  dasselbe 
umkreisenden  Wurzel  und  weiter  vorn  in  dem  Vereinigungswinkel  zwischen 
dieser  Wurzel  und  der  das  verlängerte  Mark  durchsetzenden  Wurzel,  findet 
sich  ein  zweiter,  mehr  gelatinöser,  zellenreicher  Kern,  der  untere  Acusti- 
cuskern,  JVucl.Clcust.  inf.  (Fig.  139),  in  gleicher  Höhe  mit  einer  gangliösen 
Anschwellung  des  Nervenstanimes  (*),  die  von  einer  Einlagerung  spindel- 
förmiger Nervenzellen  herrührt. 

Der  vordere  der  beiden,  den  Stamm  des  N.  acust.  zusammensetzenden 
Stränge  lässt  sich  auf  Querschnitten  zuweilen  mit  freiem  Auge  eine  Strecke 
weit  in  das  Crus  cerebelli  ad  pontem  gerade  aufsteigend  verfolgen;  als- 
dann scheinen  sich  die  Fasern  so  nach  zwei  Seiten  clivergirend  zu  verthei- 
len,  dass  die  Einen  den  Boden  des  vierten  Ventrikels  in  der  Gegend  der 
Fovea  anter.  erreichen,  die  anderen  dem  Markkern  des  Kleinhirns  zustre- 
ben. Die  mit  Brönner'scher  Flüssigkeit  aufgehellten  Schnitte  zeigen  schon 
in  der  Mitte  der  Höhe  ein  solches  Gewirr  von  Fasern,  dass  an  eine  Sonde- 
rung der  einzelnen  Bündel  nicht  zu  denken  und  deshalb  auch  nicht  zu  ent- 
scheiden ist,  ob  im  weiteren  Verlauf  die  Acusticusfasern  sich  gegen  den 
Wurm  oder  die  peripherischen  Theile  des  Kleinhirns  wenden. 

Ein  Theil  derselben  biegt  schon  frü- 
her, bald  nach  dem  Eintritt  in  das  Crus 
cerebelli  ad  pontem,  in  einen  grauen 
Kern,  den  lateralen  Kern,  Nucleiisdcust. 
lateralis,  ab ,  der  scharf  abgegrenzt ,  auf 
dem  Querschnitt  elliptisch,  5  Mm.  hoch 
und  IY2  Mm.  breit,  an  der  lateralen 
Seite  der  Nerven wurzel  liegt  (Fig.  140), 
dicht  erfüllt  von  kleinen ,  rundlichen, 
sternförmigen  Zellen  (von  0,18  Mm. 
Durchm.). 


Fig.  140. 


Nal 


Ym 


Querschnitt  des  verlängerten  Marks  durch 

die  vordere  Wurzel  des  N.  acust.  (  VIII~). 

Fo  Olivenstrang.     Fpy  Pyramidenstrang. 

P  Brücke. 


Den   Striae  medulläres  ungefähr  ge- 
genüber liegt  an  der  unteren  Fläche  des 
Centralorgans  derhintereRand  der  Brücke. 
Mit  diesem  beginnt  ein  neuer  Abschnitt 
Brücken-       des  verlängerten  Marks.      In  den   ausserhalb   der  Brücke  gelegenen-  Theil 
le?iän^gerten  desselben  sahen  wir  die  vier  letzten  Hirnnerven   eintreten  und  verfolgten 
Marks.  -^j^^  Wurzclu  bis  in  die  graue  Substanz  am  Boden   des   vierten  Ventrikels. 

Dass  sie  sich  von  hier  aus,  direct  oder  durch  Vermittelung  der  Nervenzellen, 
weiter  vorwärts  zu  den  Hirnschenkeln  erstrecken,  ist  ebenso  wahrschein- 
lich, aber  ebensowenig  anatomisch  nachweisbar,  wie  bei  den  Wurzeln  der 
Rückenmarksnerven.  Unter  einer  dünnen  gelatinösen  Decke  findet  sich  am 
Boden  des  vierten  Ventrikels  vor  dem  Hypoglossus-  und  Vaguskern  eine 
etwa  0,5  Mm.  mächtige,  fein  längsstreifige  und  der  Länge  nach  spaltbare 
Schichte.  Aber  nichts  berechtigt  zu  der  Annahme,  dass  die  kaum  isolirbaren 
Fasern  dieser  Schichte  mit  Nervenzellenfortsätzen  oder  gar  mit  den  Fasern 


^)  Unteres  Fascikel  der  inneren    oder  vorderen  Abtheilung    der   centralen   Bahn    des  N. 
acusticus  Stilling  (S.   29). 


Gehirn. 


211 


der  Nervenwurzeln  zusammenliängen.  Und  die  Zahl  der  vereinzelt  in 
dieser  Schichte  vorkommenden  deutlichen  Nervenfasern  steht  in  einem  zu 
grellen  Missverhcältniss  zur  Zahl  der  Wurzelfaseru  jener  Nerven,  als  dass 
man  die  Einen  als  Fortsetzungen  der  anderen  auffassen  dürfte.  Eher  könn- 
ten diese  Fortsetzungen  in  den  longitudinalen  Bündeln  der  Substantia  reti- 
cularis enthalten  sein,  wären  aber  hier  von  den  Fasern,  die  diese  Substanz 
aus  tieferen  Regionen  mitbringt,  nicht  zu  unterscheiden. 

Der  mit  der  Brücke  verbundene  Theil  des  verlängerten  Marks  enthält 
an  Fasern :  1)  die  Fortsetzungen  der  bis  dahin  aufgestiegenen  longitudina- 
len Bündel,  zunächst  der  Pyramiden  und  der  reticulären  Substanz,  mit  Hin- 
zutritt der  die  vier  letzten  Hirnnerven  irgendwie  repräsentirenden  Fasern; 
2)  bogenförmige  Bündel,  deren  Verstärkung  den  wulstförmigen  Vorsprung 
der  Brücke  bedingt.  Dazu  kommen  3)  die  Wurzelfasern  der  am  hinteren 
Rand  und  ^us  der  Mitte  der  Brücke  entspringenden  Nerven ,  des  Facialis, 
Abducens  iind  Trigeminus. 

Das  Verhältniss  der  longitudinalen  oder  sagittalen  Fasern  zu  den  que- 

Fm.  141. 


vin 


-R 


Ccq, 


Vma 


py    i'pi 


Successiv-e  Querschnitte  des  verlängerten  Marks  mit  der  Brücke  von  einem  in  Miiller'- 
scher  Flüssigkeit  aufbewahrten  Gehirn  ;  die  Querschnitte  der  Nervenfasern  durch  dunkle 
Farbe  ausgezeichnet.  A  Querschnitt  dicht  hinter  der  Brücke  durch  die  Wurzel  des 
N.  acust.  B  Durch  den  hinteren  Rand  der  Brücke.  C  Hinter  der  grössten  Breite  des 
Sinus  rhomboid.  D  Vor  derselben.  7?  Durch  die  Wurzel  des  N.  trigeminus.  Fijy  Py- 
ramidenstrang. No  Vordere  Spitze  des  Olivenkerns.  R  Eaphe.  Po  Pedunc.  cerebelli. 
/>(,  Fps  Unterer  und  oberer  Brückenfaserstrang.  Crq  Crus  cereb.  ad  corp.  quadr. 
Vma  Vel.  med.  ant.  F  N.  trigeminus.  TV// N.  acust.  T/'  Wurzel  des  N.  abdu- 
cens.     VII'  Wurzel  des  N.  facialis. 


ren  oder  bogenförmigen,  in  frontalen  Ebenen  verlaufenden  ändert  sich  vom 
hinteren  gegen  den  vorderen  Rand  der  Brücke  in   der   Art,    dass   die  com- 

14* 


212 


Gehirn. 


Fig.  142. 


pact  eintretenden  Massen  der  sagittalen  durch  bogenförmige  Faserzüge 
mehr  und  mehr  zerklüftet  werden  (Fig.  141).  Der  Querschnitt  des  verlän- 
gerten Marks  unmittelbar  hinter  der  Brücke  zeigt  zwei  solche  longitudi- 
nale  Fasermassen.  Die  Eine,  der  Pyramidenstrang  (Fpy),  ist  auf  dem 
Querschnitt  halbkreisförmig ,  mit  geradem  oberen ,  convexem  unteren  Rand ; 
bezüglich  seiner  Zusammensetzung  aus  starken  und  feinen  Fasern  und  der 
Durchflechtung  seiner  Bündel  ist  der  Beschreibung,  die  ich  früher  gegeben 
habe,  nichts  weiter  hinzuzufügen,  als  dass  die  in  der  Ebene  des  Quer- 
schnitts verlaufenden  Fasern  meistens  eine  verticale  Richtung  haben  und  in 
starken  Bündeln  an  der  medialen  Seite  des  Pyramidenstrangs  (Fig.  146  *), 
in  schwächeren  aus  dem  oberen  Rande  desselben  aufwärts  ausstrahlen ;  sie 
lassen  sich  zum  Theil  durch  die  reticuläre  Substanz  bis  in  die  graue  Schichte 
am  Boden  des  vierten  Ventrikels  verfolgen. 

Die  andere  longitudinale  Fasermasse,  die  dem  strickförmigen  Körper 
oder  dem  Pedunculus  cerebelli  entspricht,  bildet  die  seitliche  Ausladung 
des  Querschnitts  dicht  unter  dem  Boden  des  Ventrikels,  vom  unteren  Rande 
des  verlängerten  Marks  durch  eine  dünne  Schichte  reticulärer  und  grauer 
Substanz  getrennt,  an  ihrer  oberen  und  Seitenfläche  von  der  oberflächlichen 
Wurzel  des  N.  acusticus  umgeben.  Sie  ist  im  Querschnitt  plump  sichelför- 
mig, mit  medianwärts  gerich- 
teter Concavität,  nach  unten 
gewandter  Spitze.  Der  Durch- 
schnitt der  tiefen  Acusticus- 
wurzel  theilt  sie  in  zwei  un- 
gleiche Hälften,  von  denen 
die  laterale  grösser  und  com- 
pacter ist.  Der  mediale  Theil 
besteht  aus  Bündeln  feiner 
Fasern,  deren  Zwischenräume 
von  feinen ,  in  der  Ebene  des 
Durchschnitts  verlaufenden 
Fasern  durchzogen  werden ; 
der  laterale  Theil,  der  eigent- 
liche J^edunculus  Cerebelli 
(Fig.  141),  enthält  abwech- 
selnd sagittale  und  schräg 
seitwärts  verlaufende  Fasern 
von  verschiedenem  xmd  zum 
Theil  starkem  Kaliber,  beide 
in  einander  spitzwinklig 
kreuzenden  Bündeln  (Fig. 
142),  die  den  Durchschnitten 
ein  sehr  eigenthümliches  An- 
sehen verleihen,  das  sich  in 
der  Zeichnung  nicht  wieder- 
geben lässt.  Indem  nämlich 
der  Schnitt,  so  fein  er  sein 
immer   eine    gewisse   Mächtigkeit  besitzt  und  von   den   quer  getroffe- 


Frontalschnitt  des   Pedunculus  cerebelli. 
präparat. 


Erönner- 


mag, 


Gehirn.  213 

nen  Fasern  kurze  cylindrisclae  Stücke  enthält,  die  bei  der  spitzwinklig  ge- 
kreuzten Kicktung  der  Fasern  nach  der  Einen  oder  anderen  Seite  aufstei- 
gen, so  hat  die  Verschiebung  des  Focus  ein  scheinbares  Hin-  und  Her- 
schwanken der  Faserdurchschnitte  zur  Folge,  als  ob  sie  sämmtlich  in  Bewe- 
gung  geriethen,  um  sich  an  einander  vorbei  zu  schieben. 

Den   Raum    zwischen  den  beiden   genannten   Strängen    füllt  reticuläre 
Substanz ;  diese  ist  immer  noch  längs  der  Raphe  dichter,  als  in  den  anderen  •' 

Regionen,  und  oberhalb  des  Pyramidenstrangs  durch  die  Spitze  des  Oliven- 
kerns unterbrochen  (Fig.  141  Ä) ,  der,  nachdem  der  Vorsprung  der  Olive 
an  der  äusseren  Fläche  des  verlängerten  Marks  verschwunden,  sich  in  die 
Tiefe  zurückgezogen  hat  und  häufig  noch  auf  einer  Seite  oder  auf  beiden 
in  den  Brückentheil  vorragt. 

Ausserdem  und  abgesehen  von  den  durch  die  Substantia  reticularis  b.  Graue 
zerstreuten  Nervenzellen  zeigt  der  Querschnitt  an  grauer  Substanz :  den  ^  ^  ^°^' 
oberen  Kern  des  Acusticus  und  die  hintere  Spitze  des  Kerns  des  Facialis 
am  oberen  Rand,  den  unteren  Kern  des  Acusticus  am  unteren  Rand,  ferner 
eine  veränderliche  Schichte  gelatinöser  Substanz  mit  sternförmigen  Zellen 
mittlerer  Grösse,  welche  den  Raum  zwischen  den  Fasern  der  Gürtelschichte 
und  der  meist  unebenen  unteren  Fläche  der  Pyramidenstränge  ausfüllt, 
endlich  über  dem  medialen  Theil  des  strickförmigen  Strangs  eine  Spur  der 
gelatinösen  Masse,  die  die  Wurzeln  des  N.  glossopharyngeus  durchsetzten. 

Dass  die  eigenen  Fasern  der  Brücke  quer  von  Einem  Brückenschenkel  Bmckenfa- 
zum  anderen  verlaufen,  lehrt  schon  die  oberflächlichste  Betrachtung  dersel- 
ben. Häufig  breiten  sie  sich  ganz  gleichmässig  divergirend  über  das  ver- 
längerte Mark  aus ;  zuweilen  scheidet  sie  die  Wurzel  des  N.  trigeminus  in 
zwei  Abtheilungen  ^),  von  welchen  die  vordere  mit  rückwärts  convexem 
oder  die  hintere  mit  vorwärts  convexem  Rande  den  Rand  der  anderen  deckt. 
Hierzu  kommt  eine  mehr  oder  weniger  über  das  Niveau  der  queren  Fasern 
hervorragende  Faserlage ,  welche  sich  um  den  hinteren  Rand  des  Brücken- 
schenkels herumschlägt,  an  der  medialen  Seite  des  N.  trigeminus  me- 
dianwärts  ausstrahlt  und  zwischen  der  hinteren  und  vorderen  Abtheilung 
sich  in  die  Tiefe  senkt  (Fig.  111)  ^).  An  Querschnitten  durch  den  hinteren 
jp-  ,    ,  .9  Rand  der  Brücke  erscheinen  die  eigenen 

Fasern  derselben  als  einfache,  die  Pyra- 
midenstränge von  unten  her  umhüllende 
Schleife,  anfangs  in  der  Mittellinie  und 
seitlich  unterbrochen  wegen  der  Einbie- 
gungen, die  der  hintere  Rand  der  Brücke 
unter  der  Medianfissur  und  den  Oliven- 
strängen erleidet  (Fig.  141  B).  Die 
schroffe  Scheidung  dieser  queren  und 
der  longitudinalen  Fasern  des  Pyrami- 
denstrangs   giebt  sich   schon  dem  freien 

„  ..  ,       ,    ,    ,          ,..        ,      ,,    ,  Auge,  besonders  deutlich  an  Präparaten, 

Bruckentheils  des  verlängerten  Marks,  von  ^.      .       ^^   -,-,     ,     -,         -m        •    i     -^        i  ■■   j_  ± 

dessen  rechter  Hälfte  ein  Stück  durch  einen  die  m  MüUer'scher  Flüssigkeit  gehartet 

Sagittalschnitt    abgetrennt    ist ,    von    der    

Kante  gesehen.     Aus    Müller'scher    Flüs-  .    -,  .  -r, 

.  ",    .,        „  -r,     -u         T7  ^T    j.  •  )  Bande  superieure   und    B.   infeneure  Ko- 

sigkeit.      R  Kaphe.      V  N.  trigem.  on  r,    , 

lande.     '^)  Bande  moyenne  Rolando. 


Hinterer  Theil  eines    Frontalschnitts    des 


214 


Gehirn. 


Fpy 


rß;)/m 


1  rt 


k^^^^rf^-^* 


'S  l:? 
o  ^ 


M  ^ 


Fpi 


worden,   durch   den  Farben- 
unterschied  zu  erkennen  :  die 
im     Querschnitt     getroffenen 
Fasermassen  sind  dunkel  im 
Vergleich     zu      den     hellen 
Längsschnitten  der  Fasei-bün- 
del,  und  wenn  man  ein  durch 
einen  frontalen  und  einen  sa- 
gittalen     Schnitt    getrenntes 
Segment  der  Brücke  von  der 
Kante    betrachtet,     so   sieht 
man  die  hellen   Streifen  der 
EinenFläche  sich  um  dieEcke 
in  dunkle   der  anderen  fort- 
setzen (Fig.  143).    Geringere 
Farbenunterschiede  kommen 
aber  streifenweise    innerhalb 
der  Schichte  der  Brückenfa- 
sern vor.  Sie  rühren  zum  Theil 
davon  her,  dass  einzelne  Bün- 
del   des    Pyramidenstranges 
sich   sogleich    beim   Eintritt 
in  die  Brücke  von  der  Haupt- 
masse ablösen  und  zwischen 
die    Brückenfasern    eindrän- 
gen,   anderentheils    sind    sie 
in     einer    Eigenthümlichkeit 
der  Brüekenfasern  begründet, 
welche  diese  vor    den  longi- 
tudinalen  Faserbündeln   und 
vor  den  transversalen  Bündeln 
der  reticulären  Substanz  aus- 
zeichnet.    Die    eigenen    Fa- 
sern  der   Brücke    sind  näm- 
lich   beträchtlich   feiner,    als 
alle  übrigen ,   die  Brücke  zu- 
sammensetzenden   Nervenfa- 
sern, und,  wie  man  an  Quer- 
schnitten dieserFaseru  oder an 
Sagittalschnitten  der  Brücke 
sieht,  in  cylindrische  Bündel 
von  sehr  verschiedener  Stärke 
geordnet,  welche  durch  Zwi- 
schenräume  von    verschiede- 
ner    Grösse     getrennt    sind 
(Fig.  144).   An  der  Oberfläche 
der  Brücke  liegen  starke  Bün- 
del eng  aneinander  gedrängt ; 


Grehirn. 


215 


weiter  nach  innen  weichen  die  Bündel  auseinander,  so  dass  die  Zwischen- 
siibstanz  stellenweise  das  Uebergewicht  erhält.  Diese  besteht  aus  grauer, 
d.  h.  feinkörniger ,  gefässreicher ,  an  Kalipräparaten  durchsichtiger  Masse ; 
sie  ist  hier  und  da  von  feinen  Fasern  durchzogen,  deren  Richtung  die 
Richtung  der  Faserbündel  rechtwinklig  kreuzt,  und  enthält  überall  zahlreiche 
sternförmige  Nervenzellen  mittlerer  Grösse,  mitunter  nach  dem  Lauf  der 
interstitiellen  Fasern  in  die  Länge  gezogen  und  so  dicht  gehäuft,  dass  sie 
an  das  Bild  rhombischer  Epithelplättchen  erinnern  (Fig.  145).  Zwischen 
den  untersten  Lagen   der  Brückenfasern  treten  in   einzelnen  Bündeln,  nur 

Fig.  145. 


Aus  einem  Sagittalschnitt  des  Briickentheils  des  verlängerten  Marks  in  der  Nähe  des 
hinteren  Bandes.  ,  Brönnerpräparat.  Oben  reticuläre  Substanz ,  unten  Querschnitt  der 
Brückenfaserbündel  mit  den  zwischen  denselben  gelegenen  sternförmigen  Zellen.  Die 
schräg  vor-   und  aufwärts  ziehenden  stärkeren  Axencylinder   gehören  den  Abducenswur- 

zeln  an. 


216  Gehirn. 

mikroskopiscli  wahrnehmbar,  von  vorn  nach  hinten  und  dann  aufwärts  um- 
biegend die  Wurzelbündel  des  N.  ahducens  hindurch;  weiter  seitwärts 
werden  die  Brückenfasern  aiiseinandergedrängt  durch  die  medianaufwärts 
steigenden  Wurzeln  der  Nn.  facialis  und  acusticus,  von  denen  jener  an 
der  medialen  Seite  des  strickförmigen  Strangs  verläuft,  dieser  in  densel- 
ben eindringt  (Fig.  141  C).  Obschon  auch  diese  Wurzeln  von  Querfasern 
der  Brücke  durchsetzt  werden,  so  bilden  sie  doch  für  das  freie  Auge  eine 
ungetrennte  Masse,  die  durch  ihre  weisse  Farbe  gegen  die  Umgebung 
absticht. 

Weiter  im  Inneren  der  Brücke  werden  die  Pyramidenstränge  von  durch- 
ziehenden Brückenfaserbündeln  mit  den  ihnen  eigenen  Nerveuzellen  zer- 
klüftet und  zugleich  drängt  sich  ein  ansehnlicher,  im  Querschnitt,  d.  h.  im 
Sagittalschnitt  der  Brücke  elliptischer  Strang  von  Brückenfasern  zwischen 
den  Pyramidenstrang  und  die  reticuläre  Substanz  ein.  In  diesem,  dem 
oberen  Brückenfaserstrang  (i^ps Fig.  141  C,  i)Fig.  144)  i)  wächst  die  graue 
Zwischensubstanz  zu  mächtigeren  Dimensionen  an ,  als  in  dem  unteren :  sie 
kann  in  Schichten  von  0,5  Mm.  mit  Querfaserschichten  von  gleicher  Stärke 
alterniren  und  im  Frontalschnitt  der  Brücke  einen  ähnlichen  Wechsel  heller 
und  dunkler  Streifen  zeigen,  wie  der  Pyramidenstrang  durch  Einlage- 
rung der  Brückenfasern.  Doch  bedarf  man  des  Mikroskops  nicht,  um  zu 
erfahren,  ob  die  Streifung  durch  Abwechselung  von  Längs-  und  Querschnit- 
ten der  Nervenfasern  oder  weisser  und  grauer  Substanz  erzeugt  werde. 
Den  dunkeln  Flecken  und  Streifen  entsprechend,  welche  von  Faserquerschnit- 
ten herrühren,  zeigt  ein  rechtwinklig  zu  dem  ersten  geführter  Durchschnitt 
weisse  Flecken  und  Streifen;  die  graue  Substanz  ist  in  jedem  Durchschnitt 
dunkel  (vgl.  den  Durchschnitt  des  oberen  Brückenstrangs  Fig.  143).  Ue- 
brigens  sind  die  Anhäufungen  der  grauen  Substanz  im  oberen  Brücken- 
strang stellenweise  von  sagittalen  und  verticalen  Bündeln  stärkerer  Nerven- 
fasern (Nervenwurzeln)  durchzogen.  Die  graue  Substanz  füllt  auch  jeder- 
seits  den  etwa  2  Mm.  breiten  Raum  zwischen  Pyramidenstrang  und  Raphe, 
soweit  derselbe  nicht  durch  abirrende  Pyramidenbündel  und  durch  die  um 
den  oberen  und  unteren  Rand  der  Pyramiden  sich  herumschlagenden  trans- 
versalen Fasern  eingenommen  wird. 

Die  Raphe  selbst  hat  im  unteren  Theil  den  Charakter  der  Brücken- 
fasern ,  quere ,  gekreuzte  und  besonders  in  der  Nähe  des  unteren  Randes 
verticale  feine  Fasern  mit  eingestreuten  Nervenzellen. 

Die  Grenze  des  oberen  Brückenstrangs  gegen  die  reticuläre  Substanz 
markirt  sich  auf  Querschnitten  deutlich  genug  durch  die  plötzlich  zuneh- 
mende Stärke  der  Querfasern  und  durch  die  in  den  Maschen  zwischen  den 
Querfasern  auftretenden  Querschnitte  sagittaler  Nervenfaserbündel  (Fig.  144. 
145),  sie  wird  nur  dadurch  einigermaassen  verwischt,  dass  die  für  die 
Brückensubstanz  charakteristischen  sternförmigen  Zellen  sich  noch  eine 
kurze  Strecke  weit,  sowohl  auf-  als  abwärts  in  benachbarte  Schichten  ver- 
breiten. 

In  der  Gegend  des  Austritts  des  Trigeminus  ist  der  Pyramidenstrang 
in   mehrere    Schichten     zerlegt  und    in    die    Breite    gezogelFi.      Im    Frontal- 


')   StriUvrii  ßbramm,  transversaliwn  in'of.   Arnolil. 


Gehirn. 


217 


schnitt  scheint  er  an  Masse  zugenommen  zu  haben  (Fig.  141  E)]  doch 
ist  dies  eben  nur  Schein;  ein  wesentlicher  Antheil  an  den  dunklen  Streifen 
des  Frontalschnitts  kommt  der  grauen  Substanz  der  Brücke  zu,  welche  sich 
zwischen  die  Querfaserbündel  der  Brücke  und  die  sagittalen  Pyramiden- 
bündel einschiebt  und  von  den  letzteren  mit  freiem  Auge  nicht  unter- 
scheidbar ist.  Ein  Blick  auf  den  Sagittalschnitt  zeigt  das  wahre  Verhältniss. 
In  der  Nähe  des  vorderen  Randes  der  Brücke  ist  auf  dem  Querschnitt 
der  Unterschied  zwischen  den  drei  Abtheilungen  derselben,  den  beiden 
Brückensträngen  und  dem  Pyramidenstrang  fast  vollständig  verwischt. 
Dunkle  und  helle  Schichten  wechseln  in  der  ganzen  Höhe  bis  zur  reticulä- 
ren  Substanz  ziemlich  gleichmässig  mit  einander  ab  und  die  Bündel  der 
Pyramide  sind  über  diesen  ganzen  Raum  vertheilt ;  doch  ist  eine  aufmerk- 
same Betrachtung  erforderlich,  um  die  Durchschnitte  derselben  in  den  reich- 
lichen Massen  grauer  Substanz,  in  welchen  sie  eingebettet  sind,  herauszu- 
finden. 

Die  Schichte  reticu- 
lärer  Substanz,  welche 
durch  den  oberen  Brü- 
ckenstrang vom  Pyra- 
midenstrang gleichsam 
abgehoben  wird,  behält 
bis  gegen  die  Mitte  der 
Brücke  die  gleiche  Mäch- 
tigkeit und  die  gleiche 
Structur.  In  der  Nähe 
des  Brückenstrangs  zeigt 
sie  zuweilen  unregel- 
mässige hellere  Stellen, 
an  welchen,  wie  in  dem 
Pyramidenkern,  die  lon- 
gitudinalen  Fasern  feh- 
len. Sie  wird  ferner  un- 
terbrochen durch  dieNer- 
venwurzeln  und  durch  nucI.  oliv 
eine  Anhäufung  von  ®"^' 
Nervenzellen,  von  wel- 
chen die  Wurzel  des  N. 
facialis  gleich  nach  ih- 
rem Eintritt  in  die  re- 
ticuläre  Substanz  um- 
geben ist.  Die  Zellen 
sind  grösser  als  die  des 
Brückenstrangs,  gelb 
pigmentirt ,  mit  Fort- 
sätzen versehen ,  mei- 
stens in  sagittaler  Rich- 
tung verlängert  und  in 
dieser  Richtung  0,060™"^ 


Kos 


Frontalschnitt  des  Briickentlieils  des  verlängerten  Marks  vor 
dem  hinteren  Rand  der  Brücke.  Fpy  Pyramidenstrang.  Fps, 
Fpi  Oberer,  unterer  Brückenfaserstrang.  Nas  Nucl.  acust. 
sup.  Nos  Nucl.  oliv.  sup.  Nf  Nucleus  facial.  Vi'  Wurzeln 
des  N.  abducens.  Vll',  VIl"  Wurzeln  des  N.  facialis. 
VIII'  Wurzeln  des  N.  acust.     *  Vgl.    p.  211. 


218  Gehirn. 

lang  (Fig.  147).     Sie  liegen   dicht   gedrängt   in   kugeligen  oder   eiförmigen 
Gruppen,  die  hei  schwacher  Vergrösserung  scharf  umschriehen  scheinen,  die 
-p.      ..„  grösste  Gruppe  (von  2  Mm.  Durch- 

messer),  die  ohere  Olive  Clarke, 
K-  Wucleus  oUvaris  Sup.  (Fig.  146)  i), 

\\  an  der  medialen  Seite   der  Wurzel 

des  N.  facialis,  kleinere  und  unhe- 
ständige  Gruppen  (Nos')  zwischen 
den  Wurzeln  der  Nn.  facialis  und 
acust. 

In  der  vorderen  Hälfte  der  Brücke 
vörliert  die  reticuläre  Suhstanz  ihr 
zierlich  regelmässiges  Ansehen.  Die 
longitudinalen  Bündel  fliessen  stel- 
lenweise, namentlich  an  der  unteren 
und  zuweilen  auch  an  der  oberen 
Grenze  zu  stärkeren  Strängen  zu- 
sammen; sie  zeigen,  wo  sie  isolirt 
bleiben,  nicht  die  reihenweise  An- 
\v  °\v  V  ^^.■>  -,ii  Ordnung  und  die  in    der  Ebene  des 

^  >'°  200  °   . 

1  Querschnitts     verlaufenden    Fasern 

schlängeln  sich  in  Form  eines  Netzes 

Zellen  des  oberen  Olivenkerns.  ^^^^^j^   ^|.^    Interstitien    der   longitu- 

dinalen. 
"Wurzeln  d.  Die  Decke  der  reticulären  Substanz  enthält  in  einer  gelatinösen  feinkör- 

Fadai.'  ^^^  nigen  Grundlage,  auf  welcher  ein  Epithelium  von  cylindrischen ,  0,015  Mm. 
hohen  Zellen  ruht,  verschiedene  Faserzüge  und  Zellengruppen,  deren  Ver- 
hältniss  zu  den  Nervenwurzeln  es  nöthig  macht,  die  Beschreibung  des  Ver- 
laufs der  letzteren  hier  einzuschalten.  Ich  habe  erwähnt,  dass  durch  den 
hinteren  Theil  der  Brücke  die  Wurzeln  der  Nn.  facialis  und  abducens  auf- 
steigen. Auf  successiven  Querschnitten  erscheint  der  N.  abducens  früher 
als  der  Facialis  und  erhält  sich  fast  ebenso  weit  oder  selbst  etwas  weiter; 
die  Wurzeln  des  Facialis  treten  zuerst  neben  denen  des  Acusticus  auf  und 
reichen  vorwärts  bis  in  die  Gegend  der  Fovea  ant.  Die  Wurzeln  des  Ab- 
ducens zeigen  sich ,  wenn  auch  nicht  ununterbrochen,  auf  Frontalschnitten 
in  der  ganzen  Höhe  der  reticulären  Substanz;  sie  steigen  also,  was  der  Sa- 
gittalschnitt  (Fig.  148)  bestätigt,  in  fast  verticaler  Richtung  auf.  Den 
Wurzeln  des  Facialis  begegnet  man  um  so  näher  dem  oberen  Rande  der 
Durchschnitte,  je  mehr  dieselben  sich  vom  hinteren  Rande  der  Brücke 
entfernen.  Demnach  haben  die  Facialiswurzeln  neben  dem  schräg  median- 
wärts  einen  schräg  vorwärts  gerichteten  Verlauf.  Eine  weitere  Verschieden- 
heit zwischen  beiden  besteht  darin ,   dass  der  Abducens  auf  jedem   Frontal- 


^)  Trigeminuskern  Stilling.  Den  von  Stilling  gewählten  Namen  haben  Clarke 
und  die  neueren  Autoren  mit  Recht  aufgegeben ,  da  eine  Beziehung  dieses  Kerns  zur  Wur- 
zel des  N.  trigeminus  nicht  nachweisbar  ist.  Freilich  ist  Cl  arke's  Bezeichnung  nicht  besser 
gerechtfertigt.  Beim  Menschen  wenigstens  besteht  zwischen  dem  Bau  dieses  Kerns  und 
der  Olive  nicht  die  geringste  Aehnlichkeit. 


.Gehirn. 


219 


schnitt,    soweit   seine    Wurzeln   reichen,   mit  je  drei  bis   vier    gesonderten 
schmalen  Bündeln  (von  0,15  bis  0,25  Mm.)  vertreten  ist,  die  Fasern  desFa- 


Sagittalsclmitt  einer  Seitenhälfte  des  verlängerten  Marks  in  der  Gegend  seines  Eintritts 
in  die  Brücke.     Nh  Nuoleus  hypoglossi.    No  Nucl.  olivaris.     Sm,  Sm  Striae  medullä- 
res ip  Querschnitt.     P  Brücke.     Fpy  Funic.  pyramid.    8r  Subst.  reticularis.     Vi'  Ab- 
ducenswurzeln.      VIl'  Facialiswurzel ,  ina  Querschnitt. 


Cialis  dagegen  vereinigt  bleiben  oder  doch  nur  auf  kurze  Strecken  durch 
schmale  Züge  sagittaler  Fasern  geschieden  werden  (Fig.  146).  Auch  in  dem 
unteren  Brückenstrang  steigen  die  Abducenswurzeln  gerade  auf,  die  Facialis- 
wurzeln  haben  eine  mehr  sagittale  Richtung  und  sind  auf  dem  Querschnitt 
meist  quer  durchschnitten  zwischen  den  transversalen  Brückenfasern  sichtbar. 
Innerhalb  der  Pyramide  verlieren  sich  die  Abducenswurzeln  in  den  Zwi- 
schenräumen der  sagittalen  Bündel,  um  sich  am  oberen  Rande  der  Pyra- 
mide wieder  zu  sammeln. 

Den  Boden  des  vierten  Ventrikels  erreichen  die  Wurzeln  des  Abdu- 
cens  längs  dem  medialen ,  die  Wurzeln  des  Facialis  längs  dem  lateralen 
Rande  des  Fasciculus  teres,  die  Abducenswurzeln,  indem  sie  sich  lateral- 
wärts  neigen  und  pinselförmig  zerfasern,  die  Facialiswurzeln,  indem  sie  als 
compacte  Stränge  unter  der  Oberfläche  medianwärts  ziehen,  so  dass  der  Sa- 
gittalschnitt  des  Fasciculus  teres  sie  im  Querschnitte  zeigt  (Fig.  148). 

Ich  komme  auf  die  Decke  der  reticulären  Substanz   zurück,  die  in  der  Nudeus 

.  facialis. 

Gegend  der   Striae  medulläres   und  vor   denselben   0,25  Mm.  mächtig   und 


220 


Gehirn.  • 


feinkörnig  oder  fein  längsstreifig  ist.  In  ihr  treten  zugleich  mit  der  Ein- 
strahlung der  Ahducenswurzeln  sternförmige  Nervenzellen  auf,  anfangs  zer- 
streut, bald  an  Zahl  und  Grösse  zunehmend;  sie  bilden  den  Facialiskern, 
Wucleus  facialis  (Fig.  146.  149)  i),  ein  1,5  Mm.  mächtiges  Zellenlager,  wel- 
ches zuerst  die  ganze  Breite  des  Fase,  teres  einnimmt,  weiterhin  auf  die  late- 

Fig.  149. 


Vll' 


I  ''i'i/ 


.35 
1 


VI' 


Krontalschnitt  des  Bodens  des  vierten  Ventrikels,  wie  in  Fig.  141  (7.     R  Raphe.     iV/ Nu- 
cleus  facialis.      Vi'    Abducenswurzeln.      VIl\    Vll"  Wurzeln  des  N.   facialis. 


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yw 


Frontalschnitt  desselben  Hirntheils,  einige  Millimeter  weiter  vorn. 

rale  Hälfte  desselben  und  zuletzt  auf  eine  dünne  oberflächliche  Schichte  be- 
schränkt wird  (Fig.  150).     An  seiner   medialen   Seite   entsteht   und   wächst 


^)  Abducens-  und  Facialiskern    Stilling.      Hauptkern    des    Facialis    Clarke. 


Gehirn. 


221 


zu  einem  Durclimesser  von  2  Mm.  ein  cylindrisches  Bündel  sagittaler  Fa- 
sern (Fig.  149.  150  F77")0?  deren  auffallende  Stärke  —  sie  haben  durch- 
sclinittlicli  0,015,  ihre  Axencylinder  0,004  Mm.  im  Durchmesser  —  es  nicht 
zweifelhaft  lässt,  dass  sie  die  Fortsetzungen  der  Nervenwurzeln  seien.  In 
der  That  kann  man  an  dünnen,  horizontalen  Schnitten  von  der  Oberfläche 
des  Bodens  des  vierten  Ventrikels  die  transversalen  Wurzelfasern  des  Facialis 
sich  im  Bogen  vorwärts  wenden  sehen  (Fig.  151).  Zu  dem  Ende  durchsetzt 
ein  Theil  der  in  den  Facialiskern  eintretenden  Fasern  diesen  Kern,  wäh- 
rend andere  in  seinen  Zellen  enden  mögen;  andere  Wurzelbündel  des  Fa- 
Fio-.  151.  Cialis  begeben    sich   über    und 

unter  dem  Kern  an  dessen  me- 
diale Seite  und  namentlich  die 
vordersten  gehen  an  der  un- 
teren Fläche  des  Kerns  aus 
der  transversalen  Richtung  di- 
rect  in  die  sagittale  über.  Ob 
dieser  sagittale  Strang  auch 
Fasern  des  Abducens  führt,  ist, 
nachdem  sie  sich  im  Kern  mit 
denen  des  Facialis  vermischt 
haben,  nicht  mehr  zu  entschei- 
den. Von  den  am  Facialis- 
kern vorübergehenden  Nerven- 
bündeln setzen  sich  einzelne 
durch  die  Raphe  in  die  andere 
Seitenhälfte  des  verlängerten 
Marks  fort;  auch  von  diesen 
vermochte  ich  nicht  zu  ermit- 
teln, ob  sich  ihnen  Fasern  des 
Abducens  beigesellen. 

Vor  dem  vorderen  Ende  des 
Facialiskern  verschwindet  auch 
das  sagittale  Nervenbündel, 
zuweilen  auf  Einer  Seite  früher, 
als  auf  der  anderen ;  es  verschwindet,  indem  es  durch  Querfasern  zerklüftet 
wird,  wie  die  reticuläre  Substanz,  und  sich  allmälig  mit  derselben  amalga- 
mirt.  Die  gelatinöse  Schichte,  die  über  dem  Facialiskern  nicht  mehr  als 
0,1  Mm.  stark  ist,  gewinnt  wieder  an  Mächtigkeit,  enthält  aber  keine  Zel- 
len, sondern  nur  zahlreiche  Gefässe  und,  wie  im  hinteren  Theil  des  verlän- 
gerten Mai4?:s,  transversale,  aus  der  Raphe  umbeugende  Nervenfasern. 

Nur  wenig  weiter  nach  vorn,  als  der  Kern  des  Facialis,  aber  mehr  zur  Nucieus  tri- 
Seite  gerückt ,   in  dem  Winkel ,  in   welchem   Boden  und  Decke  des  vierten  ^®"""'- 
Ventrikels   zusammenstossen,   liegt  der  Kern  des   Trigeminus,  JVudeus  tri- 
gemini  (Fig.  152  a.  f.  S.)-).     Er  besteht  aus  grossen,   zerstreuten,  gelb   pig- 
mentirten    Zellen ,   an   welche  sich  nach  vorn  die  dunklen  Nervenzellen   des 


Horizontalschnitt    des    Bodens    des    vierten   Ventrikels 
durch  den  Facialiskern. 


-')  Constante  Trigeminuswurzel  Stilling.      ^)  Oberer  Trigeminuskern   Stilling. 


222 


Gehirn. 


Locus  coeruleus  anscUiessen ;  nach  hinten  reicht  er,  ohne  deutliche  Grenze, 
bis  in  die  Nähe  des  Facialiskerns,  nach  unten  verlieren  sich  die  Zellen  zwi 


Fig.  152. 


H'j 


V 


Frontalschnitt  des  Bodens  des  vierten  Ventrikels  durch  den 
Kern  des  Trigeminus.      V'  Fasern  der  sensibeln  Wurzel. 


sehen  den  Wurzelbün- 
deln  des  Trigeminus. 
Der  grösste  Theil  des 
Kerns  liegt  an  der  me- 
dialen Seite  der  Wurzel- 
bündel; einzelne  Zellen- 
gruppen kommen  etwas 
tiefer  an  der  lateralen 
Seite  der  Wurzel  vor 
(Fig.  1 52 m')  und  bilden 
zuweilen  einen  gesonder- 
ten scharf  abgegrenzten 
Kern.  Der  Verlauf  der 
Wurzelbündel  des  Tri- 
geminus ist,  dem  Facialis 
entgegengesetzt,  rück- 
wärts und  zugleich  me- 
dian -  und  aufwärts  ge- 
richtet. Die  motorische 
Wurzel  zieht,  in  meh- 
rere schmale  Bündel  ge- 
schieden, anfangs  dicht 
unter  der  Oberfläche  hin 
und  nicht  selten  hält 
sich  das  eine  oder  an- 
dere Bündel  auf  der 
Oberfläche  des  Brücken- 


Brückentheil  des  verlängerten  Marks,  Aus- 
trittsstelle der  Wurzeln  des  Trigeminus. 
F'  Sensible  Wurzel.  T'^  Motorische  Wur- 
zel. Ccq  Crus  cerebelli  ad  c.  quadr.  Lc 
Locus  coerul.     L  Lemniscus. 


Verlauf  der  Wurzeln  des  N.  trigeminus  durch 
den  Brückentheil  des  verlängerten  Marks,  durch 
einen  schrägen  Schnitt  entblösst.  Ccq  Crus 
cereb.  ad  c.  quadr.  L  Lemniscus.  Cq  C. 
quadrig.  Cc  h  Crus  cerebri.  Vll  N.  fac. 
V lll  N.  accust. 


Schenkels  bis  zu  dem  Winkel,  den  dieser  mit  dem  Vierhügelschenkel  bildet 
(Fig.  1.53).     Die  sensible  Wurzel  stellt  eine  compacte  Masse  dar.     Beiderlei 


Gehirn.  223 

Wurzeln   entblösst  man   durch  einen   schrägen    Schnitt,    der  von   der   Aus- 
trittsstelle derselben  auf-  und  medianwärts  zu  führen    ist  (Fig.    154);  man 

Fiß-.  155. 


^^^ßir 


-Mf 


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T' 


Sagittalschnitt  des  verlängerten  Marks  durch  den  Trio-eminuskern  und  die  in  denselben 
einstrahlenden  Wurzeln.      Carminpräparat.      V^  Sensible   Wurzel.       T^  Motor.  Wurzel. 

sieht  alsdann  auf  der  etwas  gewölbten  Schnittfläche  die  sensible  Wurzel  in 
gerader  Linie,  die  Bündel  der  motorischen  in  sanften  Bogen  auf-  und  rück- 
wärts ziehen  und  dabei  die  motorischen    Wurzeln  sich  allmälig  der   sensib- 


224 


Gehirn. 


len  Bähern,  bis  sie  an  der  Grenze  des  oberen  ßrückenstrangs  und  der  reti- 
culären  Substanz  sieb  vereinigen.  Wenn  die  Scbnittfläcbe  bei  Betracbtiing 
mit  freiem  Auge  den  Anscbein  gewährt,  als  ob  die  Wurzeln  nach  dieser 
ihrer  Vereinigung  sich  rückwärts  wendeten  ^),  so  erweist  die  mikroskopische 
Untersuchung  feiner  Durchschnitte  dies  als  eine  Täuschung  (Fig.  155).  Die 
sagittalen  Fasern  der  reticulären  Substanz  durchsetzen  die  Trigeminuswur- 
zeln  so ,  dass  das  Bild  einer  äusserst  dichten,  unter  spitzem  Winkel  ge- 
kreuzten Schraffirung  entsteht;  die  Fasern  des  Trigeminus  aber  richten  sich 
aufwärts  und  biegen  zuletzt  sogar  vorwärts  um  und  dabei  verflechten  sich 
motorische  und  sensible  Bündel,  die  doch  immer  noch  durch  die  bedeu- 
tende Verschiedenheit  des  Kalibers  ihrer  Fasern,  die  überwiegende  Stärke 
der  motorischen,  unterscheidbar  bleiben.  In  dem  Trigeminuskern  kommen, 
neben  vereinzelten  Bündeln,  dieselben  isolirten  und  nach  allen  Richtungen 
durch  einander  gewirrten  Fasern  vor,  wie  in  den  früher  beschriebenen 
Nervenkernen. 

Frontalschnitte  des  verlängerten  Marks  durch  die  Gegend  des  Trige- 
minuskerns  gestatten,  den  letzten,  gerade  aufsteigenden  Theil  der  Wurzeln 
des  Trigeminus  zwischen  den  Zellen  bis  dicht  unter  die  Oberfläche  zu  ver- 
folgen; sie  lehren  zugleich,  dass  von  der  centralen  Bahn  des  Trigeminus 
wie  von  der  des  Facialis ,  einzelne  Bündel  unter  der  Oberfläche  in  trans- 
versaler Richtung  zur  Raphe  verlaufen,  um  auf  die  entgegengesetzte  Seite 
überzugehen,  andere  in  der  Seitenwand  des  vierten  Ventrikels  über  den 
Kern  hinaus  aiifwärts  steigen  (Fig.  152),  um  in  den  Vierhügelschenkel  ein- 
zustrahlen. 


Corp.  den- 
tat.  cereb. 


Die  strickförmigen  Stränge  verlieren  sich  im  Kleinhirn,  die  transver- 
salen Brückenstränge  treten  aus  dem  Markkern  desselben  hervor  und  da 
auch  das  verlängerte  Mark  auf  seinem  Wege  zu  den  Vierhügeln  durch  Fa- 
sern verstärkt  wird,  welche  aus  dem  Kleinhirn  stammen,  so  ist  hier  der 
geeignete  Ort,  um  den  aufgezählten  Faserzügen  in  die  weisse  Substanz 
des  Kleinhirns  nachzugehen  und  ihr  Verhältniss  zu  einander  und  zur  grauen 
Substanz  zu  untersuchen. 

Dass  die  letztere  am  Kleinhirn  als  continuirlicher  Ueberzug  über  die 
Randwülste  ausgebreitet  ist,  musste  schon  bei  der  Beschreibung  der  äiisse- 
ren  Form  des  Ceutralorgaus  erwähnt  werden.  Ein  Kern  von  grauer  Sub- 
stanz, Corpus  clentatiim  cereheUi  ^) ,  ist  in  der  weissen  eingeschlossen  zu  je- 
der Seite  des  schmalen  die  Markkerne  beider  Hemisphären  verbindenden 
Mittelstücks.  Es  ist  eine  ähnlich  dem  Olivenkern  vielfach  eingebuchtete, 
einen  gestreckt  eiförmigen  Raum  umschliessende ,  mit  dem  längeren  Durch- 
messer medianwärts  gerichtete,  0,5  bis  0,75  Mm.  mächtige  Platte,  deren 
Durchschnitte  einem  zackigen  Bande  gleichen.  Wie  der  Olivenkern  ist  sie 
nach  einer  Seite  und  zwar  an  der  medialen  Spitze  nach  vorn  und  unten 
offen  (Fig.  156)  und  durch   diese   Oeffnung   setzen  sich   aus  dem   Inneren-^) 


^)  Mit  Stilling  lassen  fast  alle  Neueren,  wenn  auch  bezüglich  der  speciellen  Bahnen 
weder  mit  ihm  noch  unter  sich  übereinstimmend,  die  sensible  Wurzel  des  Trigeminus  eine 
absteigende  Richtung  (gegen  den  Kopf  der  Hintersäule  des  Rückenmarks)  einschlagen.  ^)  Nu- 
cleus  fimhriaius  s.  lenüculatus.  Corpus  denticulatum  s.  ßnibrlatum  s.  lenticulatum  s.  ciliare 
cerehcUi.      Ganglion  s.  Nucleus  cerehelll.     Liusenkern.     ^)  Medulla  centralis  s.  cillarls. 


Gehirn. 


225 


des  Kerns  starke  parallele  Nervenfasern  in  die  Yierliügelsclienkel  fort.    Seit- 
wärts  ragt   das   C.  dentatum   nicht   über   die   Mitte   des   Markkerns  hinaus. 
Fio-.  156.  T>en  medialen  Theil  des  letz- 

teren füllt  es  fast  vollständig 
ans  und  ist  namentlich  an 
der  Aushöhlung ,  in  welcher 
die  Tonsille  liegt,  nur  durch 
eine  sehr  dünne  Marklage 
von  der  Oberfläche  geschie- 
den (Fig.  56).  Weiter  seit- 
wärts, wie  das  Volumen  des 
Markkerns  zunimmt ,  wird 
das  C.  dentatum  relativ  klei- 
ner, bleibt  aber  immer  in  der 
Nähe  des  itnteren  Randes  des 
Markkerns  (Fig.  157). 

Aehnlich   der   Platte   der 
Oliven  -  und  Pyramidenkerne 
und  dem  üeberzug  der  Hin- 
tersäule    des-    Rückenmarks 
zeichnet     sich     die     Platte, 
die    das     C.    dentatum    des 
Kleinhirns   bildet ,    an   Kali- 
präparaten    durch    ihre    Durchsichtigkeit    aus.       Bezüglich    ihrer    feineren 
Structur     aber     stimmt     sie     mit    keiner     dieser     Arten     gelatinöser     Sub- 
stanz überein.     Die  sternförmigen  Zellen,   die  sie,   an   den   meisten   Schnit- 


Horizontalschiiitt    des    Kleinhirns    durch    den    Vierhiige'- 

schenkel   (Ccq).     Lc    Loc.  coeruleus.      Ccp   Crus  cereb. 

ad  pont.     Fva  Fovea  ant. 


Fiff.   157. 


Sagittalschnitt  der  linken    Hemisphäre  des  Kleinhirns.      1    Furche  zwischen   dem  oberen 
und  hinteren,    2  dem  hinteren  und  unteren  Lappen.       F  Flocke. 


Henle,  Anatomie.    Bd.  III.    Abthlg.  2. 


15 


226 


Gehirn. 


ten  in  dreifacher  Reihe  enthält,  sind  beträchtlich  grösser,  als  die  der  Oliven- 
und  Pyramidenkerne  (0,018  bis  0,036  Mm.),  mit  gelben  Pigmentflecken  und 
mit  deutlichen  Ausläufern  versehen,  die  sich  aufweite  Strecken  verfolgen 
lassen.  Während  ferner  die  feinen  Nervenfasern,  die  die  gelatinöse  Sub- 
stanz der  Hintersäulen,  den  Pyramiden-,  Oliven-  und  Olivennebenkern  durch- 
setzen, in  parallele  Bündel  abgetheilt  und  durch  Zwischenräume  geschieden 
sind,  füllen  die  Nervenfasern  des  C.  dentatum  den  Raum,  den  die  Zellen 
übrig  lassen,  gleichmässig  aus  (Fig.  158).     Sie  halten  dabei  keine  bestimmte 

Fio-.  158. 


Frontalschnitt  des    C.    dentatum    cerebelli.      Die   querdurchschnitienen    starken    Nerven- 
iasern  an  der  rechten  Seite  gehören  dem  Vierhügelschenkel  an. 


Fiff.  159. 


Grauer  Keru 
des  Dachs 
des  4.  Ventr. 


Richtung  ein ,  wenn 
auch  im  Allgemeinen 
die  Richtung  von  der 
äusseren  Oberfläche 
der  Platte  zur  inne- 
ren und  auf  Frontal- 
schnitten an  der  äus- 
seren und  inneren 
Oberfläche  die  der 
Oberfläche  parallele 
Richtung  die  vorherr- 
schende ist  ^). 

Zellen  von  dersel- 
ben Gestalt  wie  die 
des  C.  dentatiim,  lie- 
gen in  der  dünnen 
Markplatte ,  welche 
die    Markkerne    bei- 


Medianschnitt  des  Kleinhirns  an  der  üebergangsstelle  des  Mark- 
kerns in  das  Velum  medulläre  ant.  {Vma). 


1)  Die  das  Corpus  den- 
tatum äusserlich  umge- 
benden Faserzüge  werden 
als  Cajjsula  cerebelli  be- 
schrieben. 


Gehirn.  227 

der  Kleinliirnliemispliären  verbindet,  im  Medianscliuitt  den  Stamm  des  so- 
genannten Arbor  vitae  darstellt  und  nach  vorn  in  das  vordere  Marksegel 
sieb  fortsetzt  (Fig.  159*).  Sie  bilden  einen  gelblichen,  schwach  durchschei- 
^nenden  Streifen,  den  grauen  Kern  des  Dachs  des  vierten  Ventrikels 
Shilling  ^),  der  als  eine  graue  Commissur  der  Corpp.  dentata  beider  Seiten 
betrachtet  werden  kann. 

Die  graue  Substanz,  welche  die  terminalen  Markblätter  des  Kleinhirns  Randwüiste 
überzieht,  ist  an  der  freien  Oberfläche  der  Randwülste  mächtiger,  als  an  hirns.  ''"^' 
den  einander  zugekehrten  Flächen  derselben,  dort  1,5,  hier  0,75  Mm.  stark. 
Sie  besteht  aus  zwei  Schichten,  deren  Mächtigkeit  an  den  dünneren  Stellen 
ungefähr  die  gleiche  ist;  die  Mächtigkeit  der  äusseren  Schichte  zeigt  nur 
geringe  Schwankungen  und  so  kommt  auf  Rechnung  der  inneren  Schichte 
die  Zunahme,  welche  die  Rinde  an  der  freien  Oberfläche  der  Randwülste 
darbietet.  Die  Verschiedenheit  der  beiden  Schichten  verräth  sich  einigermaas- 
sen  schon  dem  freien  Auge  durch  die  Farbe  derselben:  man  hat  die  äussere 
Schichte  die  rein  graue,  die  innere  die  gelbe  (Meckel)  oder  rostbraune 
(Kölliker)  genannt.  An  der  Grenze  beider  ist  mitunter  schon  an  Schnitt- 
flächen des  frischen  Hirns,  deutlicher  an  feinen,  mittelst  Kalilösuug  aufge- 
hellten Durchschnitten  ein  weisser  oder  gelblichweisser  Streifen  von  kaum 
0,05  Mm.  Mächtigkeit  bemerkbar.  Der  Farbenunterschied  der  äusseren 
und  inneren  Schichte  ist  bedingt  zum  Theil  durch  den  grösseren  Gefäss- 
reichthum  der  letzteren,  zum  Theil  durch  Verschiedenheiten  der  Textur: 
die  äussere  Schichte  ist  eine  allerdings  etwas  modificirte  gelatinöse 
oder  feinkörnige  Substanz ;  den  wesentlichen  Bestandtheil  der  inneren 
Schichte  bilden  die  Elemente,  die  mit  dem  Namen  „Körner"  bezeichnet 
werden.  Der  Streif,  der  beide  Schichten  trennt,  verdankt  seine  weisse 
Farbe  markhaltigen  Nervenfasern ,  er  bezeichnet  aber  zugleich  die  Stelle, 
wo  in  einfacher  Schichte  die  der  Kleinhirnrinde  eigenthümlichen  verzweig- 
ten Zellen  2)  liegen. 

Die  innere  Schichte,  die  nach  ihrem  vorherrschenden  Bestandtheil  den  a.  Kömer- 
Namen  Körnerschichte  führt,  grenzt  zunächst  an  die  feinen  Nervenfasern 
der  terminalen  Marklamelle,  welche  parallel,  leicht  wellenförmig,  Geflechte 
mit  engen  spindelförmigen  Maschen  bildend,  zur  freien  Oberfläche  des  Rand- 
wulstes aufsteigen,  arrden  Seiten  successiv  in  die  Körnerschichte  umbiegen 
und  am  oberen  Rande  pinselförmig  ausstrahlen.  Häufig  verläuft  ein 
capillares  Blutgefäss  ungetheilt  eine  lange  Strecke  an  der  Grenze  der 
Marklamelle  und  der  Körnerschichte.  Die  Körner  haben  einen  Durch- 
meser  von  0,005  bis  0,006  Mm.;  grössere  Dimensionen  bis  zu  0,012  Mm. 
erreichen  sie  in  der  Nähe  und  Umgebung  der  grossen  Nervenzel- 
len ;  hier  liegen  sie  auch  mehr  zerstreut ,  während  sie  sich  im  übrigen 
Bereich  der  Körnerschichte  in  dichten  Gruppen  aneinander  drängen  und 
nur  an  sehr  feinen  Schnitten  Lücken,  kaum  grösser  als  der  Durchmesser 
eines  Koi'ns,  erkennen  lassen,  die  von  feinkörniger  Substanz  erfüllt  sind. 
So  verdecken  die  Körner  vollständig  einen  Plexus  feinster  markhaltiger 
Nervenfasern,  den  man  durch  Behandlung  der  Durchschnitte  mit  Kalilösung 
sichtbar  machen  kann ,   einen  Plexus ,   der  die   Fasern   der  Marklamelle  in 


^)  Substantia  ferruginea  sttp.  Kölliker.     ^)  Purkinj e'sche  Zellen. 

15  = 


22a 


Gehirn. 

Fig.  160  A. 


Durchschnitte  eines  Randwulstes  des  Kleinhirns,  A  senkrecht  zur  Oberfläche,  B  parallel 
derselben.     Kalipräparat. 


c.^'  Gehirn.  229 

Verbindung  setzt  mit  den  Fasern  des  die  Körnerschichte  nach  aussen  be- 
grenzenden Streifens.  In  diesem  erhält  man  die  Nervenfasern  im  Quer- 
schnitt oder  parallel  ihrem  Verlauf,  je  nachdem  man  den  Randwulst  senk- 
recht auf  die  Oberfläche  (Fig.  160  A)  oder  derselben  parallel  (Fig.  160  B) 
durchschneidet;  sie  haben  also  eine  die  Fasern  der  Marklamelle  rechtwink- 
lig kreuzende  Richtung. 

Die  Frage,  ob  das  NervengeflecM  der  Körnerscliicht  durch  einfachen  Aus- 
tausch oder  durch  Theiking  der  Fasern  zu  Stande  komme,  ist  ausserordenthch 
schwer  zu  entscheiden,  und  daraus  erldärt  sich  der  Widerstreit  der  Meinungen  von 
Gerlach  (Mikroskop.  Studien  S.  9),  Oegg  (über  die  Anordnung  und  Vertheilung 
der  Gefässe  der  Windungen  des  kleinen  Gehirns,  Aschafifenburg  1857),  Hess  (de 
cerebeUi  gyrorum  textura,  Dorpat  1858),  Eutkowsky  (über  die  graue  .  Substanz 
der  Hemisphären  des  kleinen  Gehirns.  Ebendas.  1861)  und  Hadlich  (Archiv  für 
mikroskop.  Anat.  VI,  201),  welche  Theilungen  annehmen,  und  Kölliker  und 
Stieda  (Archiv  für  Anat.  1864,  S.  410),  die  sie  verwerfen. 

Die  meisten  Beobachter  scln-eiben  den  Körnern  Fortsätze  zu  und  zwar  in  der 
Eegel  zwei  einander  gegenüber,  durch  welche  die  Körner  unter  sich  und  mit  Ner- 
venfasern in  Verbindung  stehen  sollen.  An  den  isohrten  Körnern  sind  nach 
Ger  lach  die  Fortsätze  in  der  Eegel  sehr  kurz  und  unmessbar  fein,  selten  errei-  ■ 
chen  sie  die  drei-  bis  vierfache  Länge  der  Körner,  doch  bezweifelt  er  nicht,  dass 
es  die  Axencjdinder  der  Nervenfasern  seien,  deren  Verlaiif  durch  die  Körner  ein- 
oder  mehrmal  unterbrochen  werde.  Nach  Gerlach's  schematischer  Figur  hän- 
gen die  Körner  auch  seitlich  durch  Fortsätze  zusammen;  nach  Hess,  der  im 
Uebrigen  Ger  lach  zustimmt,  dienen  die  feinen  Fortsätze  nur  dazu,  die  von  in- 
nen nach  aussen  über  einander  geordneten,  nicht  aber  die  neben  einander  gelege- 
nen Zellen  mit  einander  zu  verbinden.  Eutkowsky  erklärt  sich  mit  Gerlach 
einverstanden,  obgleich  an  den  gefärbten  Präparaten  der  Zusammenhang  der  Fa- 
sern und  Körner  nicht  nachweisbar  war.  F.  E.  Schulze  (über  den  feineren  Bau 
der  Einde  des  kleinen  Gelnrns,  Eostock  1863)  bestätigt  an  den  kleineren  Körnern, 
die  er,  wie  Ger  lach,  für  Zellen  hält,  die  feinen  fadenartigen,  oft  einander  diame- 
tral gegenüber  gestellten  Fortsätze  und  glaubt  deshalb  an  den  Zusammenhang  der 
Körner  mit  feinen  Nervenfasern,  wenn  es  ihm  auch  nicht  gelang,  diesen  Zusam- 
menhang mit  einer  dickeren  Nervenfaser  direct  nachzuweisen.  An  den  grösseren 
Körnern  sah  er  keine  Fortsätze,  sondern  nur  unregelmässige  Fetzen  der  feinkör- 
nigen Substanz,  in  die  sie  eingebettet  sind;  er  nimmt  demnach  an,  dass  sie  zu 
dieser  Masse  in  dem  Verhältuiss  von  Kernen  stehen.  Auch  Waldeyer  (Ztschr. 
für  rat.  Med.  3te  E.  XX,  193)  erklärt  die  Elemente  der  Körnerschichte  für  Zellen 
(er  nennt  sie  Kornzellen)  mit  dünner  membranloser  Protoplasmaschichte,  aus  wel- 
cher Fortsätze  hervorgehen  sollen,  die  einerseits  mit  den  Fortsätzen  der  grossen 
Zellen,  andererseits  mit  Axencylindern  des  Markblatts  zusammenhängen,  dergestalt, 
dass  die  Ausläufer  von  je  fünf  bis  sechs  Körnern  zu  je  einem  Axenc^dinder  zu- 
sammentreten und  verschmelzen.  Stilling  (Unters,  über  d.  Bau  d.  kleinen  Ge- 
hirns S.  28)  schreibt  den  Körnern  Einen  bis  fünf  Fortsätze  zu  und  sah  häufig  drei 
Körner  durch  einen  dickeren  Fortsatz  verbunden.  Obersteiner  (Beitr.  zur 
Kenntniss  vom  feineren  Bau  der  Kleinhirnrinde.  Wien  1869)  unterscheidet  läng- 
liche und  runde  Körner  und  behauptet  von  den  letzteren,  dass  sie  von  einem  run- 
den oder  auch  eckig  ausgezogenen  Saum  iimgeben  seien,  von  welchem  Fortsätze 
ausgehen,  die  mit  den  Endästen  der  grossen ,  verzweigten  Zellen  in  Verbindung 
ständen.  Kölliker  hat  durch  alle  Auflagen  seines  Handbiichs  daran  festgehal- 
ten, dass  die  Körner  zwar  hier  tind  da  mit  kurzen  Fortsätzen  versehen,  doch 
ohne  Beziehung  zu  den  Nervenfasern  seien,  und  Merkel' s  und  meine  Unter- 
suchungen (Ztschr.  für  rat.  Med.,  3.  E.  XXXIV,  49)  führen  zu  demselben  Eesultate. 
Vermuthlich  wurden  die  den  Körnern  zufäUig  anhaftenden  Fasern  des  Nerven- 
geflechts der  Körnerschichte  mit  Zellenfortsätzen  verwechselt. 

Die   Zellen   der  Kleinhirnrinde   sind   von  den   grösseren  Körnern  der 


230  Gehirn. 

b.  Zellen-      Körnerscliichte   umgeben ,  an   der  äiisseren   Grenze   dieser  Schiclite  in  ein- 
facher Lage  und  in  wechselnden  Abständen  ausgebreitet,   so  dass  ihre  Ent- 
fernung  von   einander   den   Durchmesser   der  Zellen   stellenweise  nicht  er- 
reicht, stellenweise  um  das  Drei-  bis  Vierfache  übertrifft  (Fig.  161).     Allge- 
■pj„    IQ2  mein   stehen   sie    dichter   auf    der 

^  Höhe  der  Randwülste  als  im  Grunde 

der  Furchen  zwischen  denselben; 
selten  findet  sich  eine  Zelle  näher 
der  Oberfläche ,  ganz  in  die  mole- 
culäre  Substanz  eingebettet.  Ihre 
typische  Gestalt  ist  als  eine  flaschen- 
oder  keulenförmige  zu  bezeichnen ; 
ihr  längerer  Durchmesser  ist  meist 
senkrecht  gegen  die  Oberfläche, 
ihr  stumpfes  Ende  nach  innen  ge- 
richtet; doch  kommen  überall,  am 
häufigsten  in  den  concaven  Thei- 
len  der  Randwülste,  schräg  ge- 
stellte ,  ja  liegende  Zellen  vor 
Flächeuschnitt  der  Kleinliirnrinde  durch  die  (Fig.  163  A);  auch  wird  die  regel- 
Zellenschichte.  massige  Form  vielfach  dadurch  al- 

terirt,  dass  das  stumpfe  Ende  ab- 
geplattet, das  spitze  nach  der  einen  oder  anderen  Seite  geneigt  ist.  Der 
Querdurchmesser  der  regelmässigeren  Zellen  beträgt  im  Mittel  0,03  Mm., 
der  kugelige  im  weitesten  Theil  der  Zelle  gelegene  Kern  hat  0,015  Mm., 
das  Kernkörperchen  0,004  Mm.  im  Durchmesser.  Die  Zellen  (Fig.  162) 
senden  nach  zwei  entgegengesetzten  Seiten  Fortsätze  aus,  den  Einen  in  die 
Körner-,  den  anderen  in  die  feinkörnige  Schichte.  Die  Fortsätze  halten 
die  Richtung  der  Längsaxe  der  Zellen  ein;  an  den  aufrechten  Zellen  stehen 
sie  senkrecht  zur  Oberfläche,  an  den  geneigten  und  liegenden  haben  sie 
vom  Ursprung  an  einen  der  Oberfläche  mehr  oder  minder  parallelen  Ver- 
lauf. Der  gegen  die  Körnerschichte  gerichtete,  also  innere  Fortsatz  ent- 
steht unmittelbar  fein  aus  der  Basis  der  Zelle  und  wird  deshalb  an  dünnen 
Durchschnitten  nur  ausnahmsweise  getroffen ;  er  ist  unverästelt  ^)  und  wird 
zum  Axencylinder  einer  feinen  Nervenfaser  (Deiters.  Koschennikoff  2). 
Der  äussere,  der  feinkörnigen  Schichte  zugewandte  Fortsatz  geht  aus  der 
Zelle  hervor  durch  allmälige  Verjüngung  derselben  bis  auf  einen  Durch- 
messer von  etwa  0,015  Mm.  Er  ist  wie  die  Substanz  der  Zelle  feinkörnig 
und  an  erhärteten  Präparaten  wahrscheinlich  durch  Schrumpfung  streifig, 
er  zeichnet  sich  aus  durch  zahlreiche  und  ziemlich  regelmässige  Veräste- 
lungen, die  nur  an  senkrecht  gegen  den  Verlauf  der  Randwülste  geführten 
Schnitten  sichtbar  sind  und  demnach  die  Randwülste  nur  der  Quere,  nicht  der 
Länge  nach  durchziehen  (Fig.  1 63  A  B).  Die  erste  Theilung  ist  fast  constant  eine 
dichotomische;  die  Aeste  schliessen  an  den  Stellen,  wo  die  Zellen  gedrängt  ste- 


^)  Hadlich  allein  (Archiv  für  pathol.  Anat.  und  Physiol.  XLVI,  218)  behauptet  ihn 
mehrmals  dichotomisch  und  selbst  mehrfach  verästelt  gesehen  zu  haben.  ^)  Archiv  für 
mikroskop.  Anat.  V,  332. 


Gehirn. 


231 


hen,  einen  spitzen  Winkel  ein;  wo  die  Zellen  zerstreuter  liegen,  namentlicli  im 
'        Grunde  der  Furchen,  weichen  die  Aeste  sogleich  nach  zwei  entgegengesetzten, 

Fig.  162. 


*** 


Durchschnitt  der  Kleinhirnrinde,  senkrecht  zur  Oberfläche.     Carminpräparat.     *  Lymph- 
raum unter  der  Gefässhaut  mit  den  denselben  durchziehenden  Fasern.     **  Bindegewebs- 
zelle.    ***  Blutgefäss  in  einem  perivasculären  Kaum. 

der  Oberfläche  parallelen  Richtungen  auseinander  und  biegen  erst  weiterhin 
aiifwärts  um  (Fig.  162),  ebenso  an  den  liegenden  Zellen,  wo  der  Eine  Ast  in  der 
Flucht  des  Fortsatzes,  der  andere  gleichsam  rückkehrend  nach  der  entgegenge- 
setzten Seite  verläuft  (Fig.  163  A).  Doch  kommen  auch  Zellen  vor,  welche  von 
der  Basis  des  aufsteigenden  und  gabiig  getheilten  Fortsatzes  zugleich  zwei  di- 
vergirende,  flächenhaft  verlaufende  Aeste  aussenden,  und  andere,  aus  deren 
oberem  Umfang  statt  des   einfachen   Fortsatzes   unmittelbar  die    Theilungs- 


232 


Geliirn. 


äste  hervor  gehen.     Durcli  wiederliolte  Theihmg  zerfallen   die  Aeste   in 
mer  feinere,  zuletzt  unmessbar  feine  Zweige;   solche  gehen  anch   direct 

Firr.  1G3  A. 


im- 

aus 


Senkrechte    Durchschnitte    eines     Randwulstes    des    Kleinhirns :    A  senkrecht  gegen    den 
Verlauf,   B  parallel  dem  Verlauf  des   Randwulstes.     1  Markleiste.     2  Körner-,  3  Zellen- 
schichte.     4  Gi-anulirte  Schichte.      *  Blutgefässe. 

den  stärkeren   Aesten  hervor;    alle    aber  steigen    schliesslich    senkrecht   zur 
Oberfläche  auf  und  verlieren  sich  in  der  Nähe  derselben. 


Gehirn.  •  233 

Köiliker  hält  es  für  wahrscheinlich,  dass  sie  mit  Nervenfasern  zusammen- 
hängen, die  sich  nach  seiner  Meinung  aus  der  Marklamelle  bis  gegen  das  mittlere 
Drittel  der  feinkörnigen  Schichte  verfolgen  lassen  imd  dabei  den  feinsten  Enden 
der  Zellenfortsätze  immer  ähnlicher  werden  sollen,  und  H  ad  lieh,  sowie  Ober- 
steiner  (allg.  Ztschr.  für  Psychiatrie  1870,  S.  94)  glauben  diesen  Zusammenhang 
wirklich  na.chgewiesen  zu  haben.  Ha  dl  ich  bildet  schiin  genförmige  Umbiegungen 
der  feinsten  Zellenfortsätze  ab,  die  sich  an  senkrechten  Durchschnitten  der  Kleinhirn- 
rinde in  der  Nähe  der  Oberfläche  finden  und  erklärt  für  die  rückläufigen  Schenkel 
dieser  Schlingen  feine,  ungetheilte,  die  feinkörnige  Substanz  in  senkrechter  Rich- 
tung durchziehende  Fasern,  die  er  bis  zur  Körnerschichte  hinabreichen  sah  und 
von  denen  er  vermuthet ,  dass  sie  zu  mehreren  zur  Bildung  des  Axencylinders 
einer  markhaltigen  Nervenfaser  zusammentreten.  Dass  die  feinen  Zellenfortsätze 
dicht  unter  der  Oberfläche  in  ziemlich  engen  Bogen  iimbiegen,  ist  auch  0 ber- 
steine r 's  Meinung.  Ich  kann  sie  nicht  theilen  und  muss  vielmehr,  aus  sogleich 
zu  erwähnenden  Gründen,  die  radialen  Fasern  Hadlich's  für  bindegewebige  halten. 

An  der  feinkörnigen  Schichte  fällt  zunächst  der  Reichthum  an  Feinkörnige 
Gefässen  auf,  deren  Stämmchen  in  ziemlich  regelmässigen  Abständen  recht- 
winklig zur  Oberfläche  eintreten  und  in  dieser  Richtung  einen  grösseren 
Theil  der  Schichte  durchziehen.  Parallel  den  Gefässstämmchen  verlaufen 
in  grosser  Zahl  und  in  ebenfalls  gleichen,  aber  geringeren  Abständen  sehr 
feine,  unverzweigte  Fasern  durch  die  ganze  Dicke  der  granulirten  Schichte. 
Sie  entspringen  aus  der  Gefässhaut,  zum  Theil ,  wie  die  Stützfasern  der  Re- 
tina aus  der  Limitans  hyaloidea,  mit  einer  relativ  breiten,  kegelförmig  zu- 
gespitzten Basis  und  gleichen  den  genannten  bindegewebigen  Elementen 
der  Retina  auch  darin,  dass  sie,  wiewohl  selten,  durch  sternförmige,  glän- 
zende Körperchen  (Fig.  162  **)  unterbrochen  werden.  Von  den  feinen 
Aesten  der  Zellenfortsätze  unterscheiden  sie  sich  durch  ihr  Verhalten  gegen 
Fleckwasser ,  Nelkenöl  und  ähnliche  Reagentien ;  sie  werden  um  so  deut- 
licher, je  mehr  die  Zellen  mit  ihren  Fortsätzen  erblassen.  Mit  ihnen  er- 
halten sich  lind  sind  also  ebenfalls  den  bindegewebigen  Elementen  zuzu- 
zählen Fasern  von  ähnlicher  oder  etwas  geringerer  Feinheit,  die  an  senk- 
rechten Querschnitten  der  Randwülste  das  innere  Drittel  der  feinkörnigen 
Schichte  parallel  ihrer  Grenze,  d.  h.  bogenförmig  in  Abständen  durchziehen, 
die  Zellenfortsätze  und  die  radiären  Stützfasern  rechtwinklig  schneidend. 
Durch  die  Zellenfortsätze,  die  Gefässe  und  die  ihnen  parallelen  Stützfasern 
erhält  die  feinkörnige  Masse  ein  radiär  zerklüftetes,  durch  den  Hinzutritt 
der  bogenförmigen  Fasern  ein  fein  gegittertes  Ansehen  (Fig.  162). 

Die  Körner  der  granulirten  Schichte  sind  regellos  zerstreut  und  nicht 
sehr  zahlreich ;  nur  wenige  kommen  an  Grösse  denen  gleich ,  die  die  ver- 
zweigten Zellen   umgeben;   wenige   haben   einen   hellen   Saum  (Fig.  162). 

Hess  findet  die  Körner  beim  Neugeborenen  etwas  grösser,  als  beim  Erwach- 
senen, und  in  mächtiger  Schichte  an  der  Oberfläche  der  feinkörnigen  Substanz  an- 
gehä-uft.  Bei  Hunden  ist  die  peripherische  Körnerschichte  schon  in  der  fünften 
bis  sechsten  Woche  nach  der  Geburt  verschwunden  und  zwar  nicht  dtirch  Auflö- 
sung der  Körner,  sondern  dadurch ,  dass  die  feinkörnige  Masse  sich  mehrt ,  sich 
zwischen  die  Körner  eindrängt  und  sie  zerstreut.  Ober  steine  r  zerlegt  die  Kör- 
nerscliichte ,  die  beim-  Neugeborenen  die  Oberfläche  der  ßandwülste  bildet,  in  zwei, 
durch  einen  schmalen  hellen  Saum  geschiedene  Schichten,  von  denen  die  äussere 
zur  Bildung  der  äusseren  Hülle  verwandt  werden,  die  innere  allmälig  in  die  mo- 
leculäre  Schichte  voi-rücken  soll.  In  der  Abbildung,  welche  F.  B.  Schulze  von 
der  Rindensubstanz  eines  halbjährigen  Kindes  giebt,  liegen  an  der  Peripherie  die 
Körner  noch  in  continuirlicher,  meist  doppelter  Reihe. 


234 


Gehirn. 


Markleisten.  Dass  der  centrale  Fortsatz  der   grossen   Nervenzellen  zur  Nervenfaser 

wird ,  darf  wohl  als  erwiesen  angenommen  werden.  Auch  scheint  die  Zahl 
der  Zellen,  wenn  man  sie  an  senkrechten  Durchschnitten  der  Randwülste 
mit  der  Zahl  der  in  der  Axe  enthaltenen  Nervenfasern  vergleicht,  hinrei- 
chend, um  die  sämmtlichen  Fasern  der  Markleisten   zu   decken   (Fig.  164), 

Fig.  164. 


Randwulst  des  Kleinhirns,  senkrechter  Durchschnitt,  um  die  Anordnung    der  Nerven- 
zellen zu  zeigen. 

und  es  scheint  überflüssig,  nach  anderen  Ursprungsquellen,  etwa  aus  den 
ästigen  Fortsätzen  der  Zellen,  zu  suchen  oder  an  eine  Vermehrung  der 
Fasern  durch  Theilung  in  dem  Netz  der  Körnerschichte  zu  denken.  Wie 
dem  sei,  so  sammeln  sich  die  Fasern  in  der  Axe  der  Randwülste  zii  den 
bereits  erwähnten  parallelen  Zügen,  die,  sich  allmälig  verstärkend,  die  Mark- 
blätter von  der  Spitze  zur  Basis  durchziehen  und  erst  an  der  Basis  hier 
und  da  auseinanderweichen,  um  cylindrische  oder  platte,  den  Rändern  der 
Markblätter  parallele  Bündel  zwischen  sich  aufzunehmen.  An  der  Basis  an- 
gelangt schliessen  sich  die  Fasern  der  Endlamellen,  im  Bogen  rechtwinklig 
umbeugend,  den  Fasern  der  Lamellen  nächst  höherer  Ordnung  an,  die  durch 
diesen  Anschluss  allmälig  verstärkt  werden  (Fig.  163  A)  und  so  fort  bis  zum 
Ursprung  der  primären  Lamellen  aus  dem  Markkern.  Alle  diese  Lamellen 
bestehen,  gleich  den  terminalen,  wesentlich  aus  leicht  wellenförmigen,  enge 
spitzwinklige  Maschen  einschliessenden,  übrigens  parallelen  Zügen ,  durch- 
flochten von  rechtwinklig  mit  denselben  gekreuzten  Bündeln,  deren  Zahl 
mit  der  Mächtigkeit  der  Lamellen  wächst.  Durchgängig  legen  sich,  wenn 
zwei  Endlamellen  zusammentreten ,  die  Fasern  einfach  aneinander  und  wo 
die  Endlamellen  sich    seitlich   an   eine  Lamelle   höherer  Ordnung  anfügen. 


Gehirn. 


235 


wenden  sich  in  der  Regel  die  Fasern  gegen  die  Basis  der  letzteren.  Doch 
schlägt  mitunter  aiich  ein  Theil  der  Fasern  die  entgegengesetzte  Richtung, 
gegen  die  Spitze  der  Lamelle,  ein '). 

In  dem  dreieckigen  Raum,  der  zwischen  der  Rindenschichte  und  den 
convergirenden  Fasern  bleibt,  findet  sich  häufig  der  Durchschnitt  eines 
Blutgefässes,  von  feinkörniger  Substanz  umgeben. 

Für  die  Randwülste  der  Lingula  hat  das  vordere  Marksegel  die  Be-  Kandwüiste 
deiitung  einer  Marklamelle.  So  weit  dasselbe  von  der  Lingula  bedeckt  ist, 
besteht  die  Marksubstanz  desselben  wesentlich  aus  sagittalen  Faserbündeln, 
den  Fortsetzungen  der  in  den  Randwülsten  der  Lingula  absteigenden  Fa- 
sern (Fig.  165,  3),  die  in  dem  vorderen  Marksegel  meistens  rückwärts,  nur 
zu  einem  sehr  kleinen  Theil  vorwärts  gegen  die  Vierhügel  ziehen. 

Fiff.  165. 


-* 


Frontalschnitt  der  Wände  des  vierten  Ventrikels  durch  das  Velum  med.  ant.  und  die  Lin- 
gula. Ccg'Crus  cereb.  ad  corp.  quadrig.  L  Lemuiscus.  L  c  Locus  coeruleus.  IV'  Troch- 
leariswurzel.  1  Feinkörnige,  2  Körnerschichte  eines  Randwulstes  der  Lingula.  3  Ner- 
venfaserschichte.    4   Gelatinöse  Substanz  an  der  unteren  Fläche  des  Velum  med.  antic. 

Im  Markkern  begegnen  und  verwirren  sich  die  Fasern  aller  Lamellen,  Markkem. 
doch  herrschen  auf  Frontalschnitten   die   in    der   Schnittebene  verlaufenden 
Fasern,  auf  Sagittalschnitten  die  Faserdurchschnitte  vor.     Gegen  den  Brücken- 
schenkel ordnen  sich  die  feinsten  Fasern  in  Bündel,  welche   zwischen   den 


1)  Die  von  zwei  benachbarten  Lamellen  einander  entgegenkommenden  Fasern  können 
den  Anschein  gewähren,  als  ob  sie  bogenförmig  aus  Einer  Lamelle  in  die  andere  übergin- 
gen, ein  Anschein,  der  auch  durch  die  Art  hervorgebracht  wird,  wie  sich  bei  der  Zerfase- 
rung erhärteter  Gehirne  die  Marksubstanz  der  Randwülste  ablöst.  Burdach  hat  diesen 
vermeintlichen,  von  einem  Blatte  zum  anderen  durch  die  zwischen  beiden  befindliche  Furche 
übergehenden  bogenförmigen  dünnen  Markschichten  den  Namen  Belegungsmasse  ertheilt 
(a.a.O.  11,  46).  Den  Ausdruck  „Massa  explementi",  welchen  Arnold  Burdach  zuschreibt, 
finde  ich  bei  Letzterem  nicht. 


236 


Gehirn. 


stärkeren  (Axency] indem  von  0,001  Mm.  Diirclim.)  abwärts  ziehen;  ein  Ho- 
rizontalschnitt  (Fig.  166)  zeigt  jene  im  Querschnitt,  diese  der  Länge 
nach  getroffen;  die  eigenthümlichen  Zellen  der  Brückenstränge  treten  aber 
erst  in  der  Gegend  der  Austrittsstellen  des  N.  trigeminiis  hinzu.  Die  Bün- 
del des  strickförmigen  Stranges  verfolgte  Rutkowsky  mittelst  Zerfaserung 

des  Markkerns  über  den  la- 


Fig.  168. 


Vierhügel- 
schenkel. 


teralen  vorderen  Rand  des 
C.  dentatum  auf  die  obere 
Fläche  des  letzteren.  Von 
den  Fasern  der  Vierhügel- 
schenkel habe  ich  bereits 
angegeben,  dass  sie  ihren 
Ursprung  aus  dem  Inneren 
des  C.  dentatum  nehmen ; 
ich  kehre  zti  ihnen  zurück, 
um  ihr  Verhältniss  zu  den 
die  Brücke  durchsetzenden 
Strängen  des  verlängerten 
Marks  und  den  weiter  nach 
vorn  gelegenen  Hirntheilen 
zu  beschreiben. 


Ich  erinnere,  dass  die  Vier- 
hügelschenkel das  voi'dere 
Marksegel  zwischen  sich  fas- 
sen, welches  eine  Fortsetzung 
Horizontalschnitt  des  Markkerns  des  Kleinhirns,  2  Mm.  des  Markkerns  des  Klein- 
über  dem  Boden  des  vierten  Ventrikels,  seitwärts  ne-  hirns  ist,  dass  sie  sich  me- 
ben  der  Fovea  ant.,  die    Brückenfaserstränge    im  Quer-     dianabwärts         neigen       und 

schliesslich  in  das  ,  Niveau 
der  reticulären  Substanz  ge- 
langen. Wo  sie  anfangen,  die  seitliche  Begrenzung  und  einen  Theil  der 
Decke  des  vierten  Ventrikels  zu  bilden,  sind  sie  aus  einer  Anzahl  platter 
über  einander  geschichteter  Bündel  zusammengesetzt,  deren  transversaler 
Durchmesser  von  oben  nach  unten  abnimmt;  sie  haben  deshalb  eine  im 
Frontalschnitt  palmenförmige  Gestalt,  mit  dem  stumpfen  Ende,  an  welches  der 
Rand  des  vorderen  Marksegels  sich  lehnt,  aufwärts,  mit  dem  spitzen  Ende  ab- 
und  lateralwärts  gerichtet  (Fig.  141  D.  Fig.  165).  Weiter  nach  vorn  wird  auch 
das  obere  Ende  spitz,  der  Frontalschnitt  im  Ganzen  halbmondförmig,  die 
äussere  Fläche  frei,  die  innere  durch  die  an  Mächtigkeit  zunehmende  graue 
Schichte  der  Wandungen  des  vierten  Ventrikels  von  dem  Antheil  an  des- 
sen Begrenzung  ausgeschlossen.  In  der  Nähe  der  Vierhügel  wird  auch  die 
äussere  Fläche  wieder  durch  den  Lemniscus  gedeckt,  dessen  schräg  auf- 
steigende Fasern  aus  der  Furche  zwischen  Vierhügel-  und  Brückenschenkeln 
Lemiiiscus.  hervorzukommen  scheinen  (Fig.  141,  E.  Fig.  167).  Der  Lemniscus  besteht 
aus  feinen  Fasern,  deren  Richtung  schon  aus  der  Betrachtung  der  Oberfläche 
des    Gehirns    erhellt,     untermischt    mit    spärlichen,   farblosen     Zellen,    de- 


Gehirn. 


237 


ren  Form  an  die  Zellen  der  granen  Substanz  der  Brücke  erinnert.  Auch 
hängt  der  Lemniscus  mit  der  Brücke  zusammen :  die  graue  Substanz  der- 
selben zieht  sich  am  Austritt  des  Lemniscus  aus  der  Furche  zwischen 
Brücken-  und  Vierhügelschenkel  eine  Strecke  weit  an  dessen  äusserer  Ober- 
fläche hinaxif  (Fig.  167)    und   die  Lemnisci   beider  Seiten   im    Zusammen- 

Fio-.  167. 


Frontalschnitt  durch  den    Brückentheil  des  verlängerten    Marks   dicht    hinter    der   Vier- 
hügclplatte.      Vma  Velum  med.  ant.     R  Raphe.     Lc  Loc.  coeruleus.      Ccq  Crus  cere- 
belli  ad  c.  quadrig.     P  Brücke.     I V'  Trochleariswurzel. 


hang  stellen  einen  ähnlichen,  nur  in  allen  Dimensionen  beträchtlich  feineren 
Ring  um  den  vorderen  Theil  des  tunnelförmigen  Ventrikels  dar,  wie  ihn 
die  Brücke  um  den  hinteren  Theil  desselben  bildet.  Legt  man  durch  den  vom 
Lemniscus  bedeckten  Theil  der  Vierhügelschenkel  einen  Frontalschnitt,  der  das 
vordere  Marksegel  vor  der  Spitze  der  Lingula  trennt,  so  sieht  man  die  reticuläre 
Substanz  am  oberen  und  unteren  Rande  von  einem  Saum  dichterer,  weisser 
Substanz  eingefasst.  Auf  den  oberen  Saum  komme  ich  sogleich  zurück, 
der  untere  ^) ,  der  die  reticuläre  Substanz  von  der  Brücke  scheidet,  besteht 
aus  stärkeren  Nervenfaserbündeln,  welche  zur  Seite  der  Raphe  sagittal, 
weiter  seitwärts  immer  schräger   seit-  und  vorwärts   und   nachdem   sie  die 


^)  Wernekinck'sche  Commissur.     Commissur  der  Schleifen. 


238 


Gehirn. 


Oberer  Saum 
dei-  reticul. 
Substanz. 


Locus 
coeruleus. 


freie  Oberfläche  erreicht,  längs  derselben  aufwärts  verlaufen.  Dies  sind 
die  Fasern  des  Lemniscus.  Am  oberen  Bande  des  Vierhügelschenkels  an- 
gelangt ,  gehen  die  hintersten  dieser  Fasern  in  das  vordere  Marksegel  über, 
in  dessen  Mitte  sie  den  entsprechenden  Fasern  der  anderen  Körperseite 
begegnen ;  die  vorderen  strahlen  in  die  Vierhügelj)latte  aus ;  um  sie  inner- 
halb derselben  zu  verfolgen,  muss  man  einen  der  Richtung  der  Fasern  pa- 
rallelen Schnitt  vom  hinteren  Rande  des  hinteren  Vierhügelpaars  zur  Mitte  der 
Oberfläche  des  vorderen  führen;  auf  der  Schnittfläche  breiten  sich  zwischen 
der  eigenthümlichen  Masse  der  Vierhügelwölbung  und  der  mächtigen 
Schichte  grauer  Substanz,  die  den  Aquäduct  umgiebt,  die  Bündel  der  Lem- 
niscusfasern  aus,  von  beiden  Seiten  medianwärts  aufsteigend  und  in  der 
Mittellinie  einander  kreuzend. 

Der  obere  weisse  Saum  der  reticulären  Substanz  besteht  von  der  Stelle, 
bis  wohin  wir  sie  bisjetzt  verfolgt  haben,  d.  h.  von  der  Gegend  der  in 
ziemlich  gleicher  frontaler  Höhe  gelegenen  Facialis-  und  Trigeminuskerne  an, 
zuerst  (Fig.  165*)  aus  einer  gleichmässig  ausgebreiteten  Schichte  stärkerer 
und  dichterer  cylindrischer  Bündel  mit  unregelmässigen  Zwischenräumen ; 
sodann  in  der  Gegend,  wo  die  Wände  des  vierten  Ventrikels  zusammen- 
rücken, um  in  den  Aquaeduct  überzugehen,  wieder  aus  regelmässigeren, 
im  transversalen  Durchmesser  comprimirten ,  im  verticalen  verlängerten 
Bündeln,  welche  im  Frontalschnitt  eine  keulenförmige,  mit  dem  dickeren 
Ende  medianwärts  gerichtete  Figur  bilden  (Fig.  167*).  Einige  schmale 
und  hohe  Bündel  stellen  am  oberen  Ende  der  Raphe  eine  Brücke  zwischen 
beiden  Seitentheilen  her  und  schliessen  die  Raphe  von  der  grauen  Schichte 
ab,  die  den  Boden  des  Ventrikels  deckt.  Durch  die  Zv/ischenräume  dieser 
Bündel  sagittaler  Fasern  ziehen  schmale  anastomosirende  Faserbündel  in 
verticaler  Richtung  abwärts.  Den  Ursprung  derselben  kann  man  nur  in 
einer  dichten  Lage  von  Nervenzellen  suchen,,  welche  in  der  eben  erwähnten 
grauen  Schichte  enthalten  sind,  beiderseits  den  gegen  die  Medianfurche 
geneigten  Abhang  einnehmen  und  sich  in  der  Mittellinie  zu  Einem  Strang 
vereinigen  (Fig.  168).  Nach  unten  verlieren  sich  die  verticalen  Fasern  in 
der  Raphe  und  zwischen  den  Bündeln  der  reticulären  Substanz.  Die  graue 
Schichte  selbst  ist  1,5  Mm.  mächtig  und  ihre  Zunahme  trägt  wesentlich  bei, 
den  Ventrikel  zu  verengen.  Auffallender,  als  die  mediane  Zellengruj)pe, 
sind  am  Seitenrande  des  Bodens  des  Ventrikels  die  grossen ,  reichlich  ver- 
ästelten und  zugleich  durch  tief  dunkelbraunes  Pigment  ausgezeichneten 
Zellen  des  Locus  Coeruleus  (Fig.  165.  Fig.  167);  sie  haben  grösstentheils 
Spindelform  mit  sagittal  gestellter  längster  Axe,  und  eine  Länge  von  0,06 
bis  0,1  Mm.  Der  verticale  Durchmesser  der  Zellengruppe  beträgt  an  der 
höchsten  Stelle  fast  1  bis  1,5  Mm.,  ihr  hinteres  Ende  erreicht  den  Trige- 
minuskern,  ihr  vorderes  Ende  erstreckt  sich  bis  unter  das  vordere  Vierhü- 
gelpaar ,  doch  ist  die  Grenze  nach  keiner  Seite  scharf  zu  ziehen ,  indem 
vereinzelte  dunkle  Zellen  nach  allen  Seiten  in  die  Umgebung,  auch  zwischen 
die  Faserzüge  der  reticulären  Substanz  vordringen. 

Von  der  Raphe  dieses  Theils  des  Bodens  des  viei-ten  Ventrikels  be- 
merke ich  nur  noch,  dass  sie  breiter  und  seitlich  minder  scharf  begrenzt 
ist,  als  in  den  vorhergehenden  Regionen,  und  stellenweise  sehr  deutliche 
Kreuzungen  der  transversalen  Fasern  beider  Seitenhälften  zeigt  (Fig.  167). 


Gehirn. 


239 


Die  Structur  des  vorderen  Marksegels ,  so  weit  es  von  der  Lingula  be- 
deckt ist,   habe   icb   bereits   beschrieben.     In  den  vorderen  Theil  desselben 
Fig.  168.  erstrecken  sich  die  sagittalen  Fasern 

nur  in  dünner  Schichte,  dagegen 
durchziehen  ihn,  nebst  den  erwähn- 
ten feinen  Ausstrahlungen  des  Lem- 
niscus,  zahlreiche  transversale  Fa- 
sern in  mächtigen  Bündeln,  die 
auffallend  starken  Wurzelfasern  des 
N.  trochlearis. 

Diese  Wurzelfasern  lassen  sich  Ti-ochiearis 
von  der  Stelle  am  Seitenrande  des  "''^®  "• 
vorderen  Marksegels,  in  die  sie  sich 
einsenken,  nach  drei  verschiedenen 
Richtungen  verfolgen.  Manche  der 
feineren  Wurzeln  gehen  vollständig, 
andere  nur  mit  einem  Theil  ihrer  Fa- 
sern in  transversaler  Richtung  wei- 
ter; sie  verflechten  sich  innerhalb 
des  Marksegels  untereinander  und 
mit  Bündeln  der  von  der  anderen 
Seite  entgegenkommenden  Wurzeln 
des  symmetrischen  Nerven  (Fig.  169) 
und  scheinen  auf  der  ihrem  Ein- 
tritt entgegengesetzten  Seite  das 
Marksegel  wieder  zu  verlassen,  um 
mit  den  Trochleariswurzelfasern 
dieser  Seite  in  eine  der  beiden  an- 
deren Bahnen  umzubiegen.  Diese 
nämlich  haben  eine  sagittale  Rich- 
tung und  wenden  sich  also  in  fast 
rechtem  Winkel  von  der  Eintritts- 
stelle  an,  die   Eine   rück-,    die  andere    vorwärts.      Die  rückläufige  hintere 


Detail    zu    Fisr.   167.     Nervenzellen    der  grauen 

Substanz  und   abwärts  zur  Raphe  ziehende 

Fiisern. 


Fiff.  169. 


Lc 


Frontalschnitt  des  vorderen  Marksegels    durch    die  Wurzeln    des    N.  trochlearis    {IV). 
Ccq  Crus  cereb.  ad  c.   quadrig.      Lc  Locus  coeruleus. 


240 


Gehirn. 


TrocMeariswurzel  ^)  ist  die  stärkere,  ilire  Fasern,  anfangs  in  einem  cylinclri- 
schen  Strang  vereinigt  (Fig.  169),  verscMeben  sich  allmälig  so,  dass  sie 
auf  dem  Querschnitt  eine  schmale  halbmondförmige,  mit  der  Coneavität  me- 
dianwärts  gewandte  Figur  bilden  (Fig.  165  IV').  So  ziehen  sie  an  der  latera- 
len Seite  des  Locus  coeruleus,  einzelne  Fasern  auch  innerhalb  desselben,  bis 
in  die  Gegend  des  Trigeminuskerns.  Ob  sie  ihn  erreichen  und  mit  dessen 
Zellen  Verbindungen  eingehen,  muss  ich  unentschieden  lassen;  den  Ueber- 
gang  einzelner  Fasern  des  Trochlearis  in  die  braunen  Zellen  des  Locus  coe- 
luleus  habe  ich  mit  Bestimmtheit  gesehen  (Fig.  170). 

Fig.  170. 


Zellen   des  Locus  coeruleus,  die  vordere  Spitze  nach  links    gerichtet. 


Die  vordere  Trochleariswurzel  2)  besteht  aus  einer  Anzahl  feiner  Bündel 
von  schräg  abwärts  gerichtetem  und  zugleich  seitwärts  schwach  convexem 
Verlauf,  so  dass  an  Sagittalschnitten,  die  ihr  oberes  und  unteres  Ende  tref- 
fen, der  mittlere  bogenförmige  Theil  ausfällt  (Fig.  171).  Ungefähr  unter- 
halb der  Mitte  des  vorderen  Vierhügelpaares  senken  sich  diese  Bündel  in 
eine  platte  Zellengruppe  ein ,  welche  unmittelbar  über  der  reticulären  Sub- 
stanz liegt  und  gegen  diese  nach  unten  ebenso  scharf  abgesetzt  ist,  wie  nach 
oben  gegen  die  gelatinöse,  den  Aquäduct  umgebende  Substanz.  Diese  Zellen- 
Troehiearis-  gruppe,  der  Nucleus  trochlearis  Stilling  (Fig.  171.  173),  reicht  mit  ihrem 
^'^^'  medialen  Rande  bis  zurRaphe;  sie  hat  im  transversalen  Durchmesser  1,5,  im 

verticalen  IMm.;  ihren  sagittalen  Durchmesser  genau  zu  bestimmen  ist  un- 
thunlich,  weil  sie  sich  vorwärts  ohne  Abgrenzung  in  ein  mächtigeres  Zellen- 
lager fortsetzt,  mit  dem  der  N.  oculomotorius  in  Verbindung  steht.  Die 
Zellen  dieses  Lagers  und  des  Trochleariskerns ,  sowie  die  zahlreich  in  die 
gelatinöse  Wand  des  Aquäducts  eingestreuten  Zellen  haben  den  gleichen 
Durchmesser  von  0,04  bis  höchstens  0,05  Mm.  und  die  gleiche,  in  der  Regel 
hellgelbe  FärbuDg.  Ln  Trochleariskern  zeigen  sie  die  Besonderheit,  dass 
sie  meist  in  Gruppen  von  2  bis  5  zusammenliegen  und  gruppenweise ,  aber 
auch  einzeln  von  schmalen  hellen  Säumen  umgeben  sind;  ihre  Fortsätze 
sind  lang,  Axencylindern  ähnlich;  doch  ist  es  mir  nicht  gelungen,  mehr 
als  Einen  von  einer  Zelle  ausgehen  zu  sehen.     Die  Zellen  und  Zellen grup- 


^)  Untere  Abtheilung  der  centralen  Bahn    des    N.  trochlearis    Stilling.     ^)  Obere  Ab- 
theilung der  centralen  Bahn  des  N.  trochlearis  Stillins. 


Grehirn. 


241 


pen  liegen  in  weiten   Abständen;   die  Zwischenräume  füllt  feinkörnige  Sub- 
stanz und  ein   reiches    Geflecht   der    in    den  Kern  eintretenden   Bündel  des 


Fie:.  171. 


IV' 
Le 


Not 


Tp' 


Ntr 


Sagittalsclinitt  durch   die   Vierhügelplatte    neben    dem    Aquäduct.      No  c    Nucleus    oculo- 
motor.      Le  Loc.  coeruleus.      7'p'   Faserung  der  Taenia  pontis.      JV"  Vordere  Troohlea- 

riswurzel. 

Fiff.  172. 


Zellen  des  Trochleariskerns. 
Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthl.  2. 


16 


242  Gehirn. 

N.  trochlearis  (Fig.  172).  Dürfen  wir  die  oberflächlichen  sagittalen  Faser- 
lagen der  reticulären  Substanz  als  Fortsetzungen  des  N.  trigeminus  betrach- 
ten, so  begegnen  sich  im  Trochleariskern  die  Fasern  jenes  Nerven  und  des 
N. trochlearis ;  ausserdem  gehen  von  diesem  Kern  Faserbündel  ab-  und  vor- 
wärts, die  als  Taenia  pontis  (S.  129)  aus  der  medialen  Fläche  der  Gross- 
hirnschenkel hervortreten  (Fig.  171   Tp'). 

Stilling  und  Stieda  halten  den  Trigeminuskern  für  die  Ursprungsstätte  der 
hinteren  Trochleariswurzel  und  Stieda  bezeichnet  ilm  sogar  ausdrücklich  als 
Trochleariskern.  Die  Kreuzung  der  Wurzelfasern  der  beiden  Nn.trochleares  ist  nach 
Stilling' s  Beschreibung,  welcher  Kölliker  und  Stieda  sich  ansclüiessen ,  eine 
totale,  d.  h.  vordere  und  hintere  Wurzel  Einer  Seite  vereinigen  sich,  um  auf  der 
anderen  Seite  als  Nervenstamni  auszutreten. 

Wieder  anders  gruppiren  sich  die  Elemente,  namentlich  der  reticulären 
Substanz,  da,  wo  die  Fortsetzung  des  verlängerten  Marks  den  vorderen 
Rand  der  Brücke  erreicht  und  unter  der  Yierhügelplatte  hinzieht.  Die 
graue  Deckplatte  des  Bodens  des  Aquäducts  wird  2  Mm.  hoch  und  setzt 
sich  in  ziemlich  gleicher  Mächtigkeit  längs  den  Seitenwänden  in  das  Dach 
desselben,  d.  h.  in  die  unterste  Schichte  der  Yierhügelplatte  fort  (Fig.  173). 
Hier  überall  und  tief  in  die  Raphe  hinein  ist  die  graue  Substanz  dicht  er- 
füllt von  sternförmigen  Zellen ,  in  Grösse  und  Pigmentirung  denjenigen 
ähnlich,  die  den  Trochleariskern  zusammensetzen.  Unter  der  grauen  Deck- 
platte erhält  sich  die  keulenförmige  weisse,  aus  seitlich  comprimirten  Bün- 
deln bestehende  Fasermasse  (Fig.  173*),  die  in  dem  vorhergehenden  Ab- 
schnitt auftrat,  sie  ist  in  Fig.  1 74  im  sagittalen  Durchschnitt  abgebildet.  Dicht 
unter  ihr  aber  entwickelt  sich  zur  Seite  der  breiten  Raphe  (i2),  in  welcher 
transversale,  verticale  und  sagittale  Fasern  eng  verwebt  sind,  ein  scharf 
abgegrenzter  Strang  weisser  Substanz,  im  Frontalschuitt  elliptisch,  mit  dem 
längsten  Durchmesser  vertical  gestellt ,  der  fast  die  ganze  Höhe  des  Restes 
der  reticulären  Substanz  einnimmt.  Successive  Durchschnitte  lehren ,  dass 
diese  Stränge  den  allmälig  unter  das  Niveau  des  Bodens  des  Ventrikels  ge- 
sunkenen und  gegen  die  Medianebene  vorgerückten  Vierhügelschenkeln  ent- 
sprechen. Was  aber;  die  weissen  Stränge  des  Bodens  des  Aquäducts  von 
den  Vierhügelscheikeln  unterscheidet,  ist  die  feinere  Zerklüftung  der  er- 
steren  durch  Faserbündel,  welche  hauptsächlich  transversal,  stellenweise  auch 
vertical,  oder  auf  dem  Querschnitt  radienförmig  verlaufen  (Fig.  173)  und,  wie 
man  an  Sagittalschnitten  erkennt,  geflechtartig  zusammenhängen.  Von  der 
medialen  Seite  der  Stränge  setzen  sich  die  transversalen  Fasern  gegen  die 
Mittellinie  fort  und  kreuzen  sich  mit  den  entsprechenden  Fasern  der  ande- 
ren Seite ;  die  Begrenzung  der  weissen  Stränge  nach  aussen  bewirken 
Faserzüge,  welche  dieselben  in  frontalen  Ebenen  bogenförmig  umgeben. 
Kerne  des  Im   weiteren  Verlauf  nach  vorn   gehen   die  besagten  weissen  Stränge, 

Tegmentum.  ^^_^  wenig  lateralwärts  abweichend  und  dabei  allmälig  an  Umfang  zunehmend, 
in  die  rothen  Kerne  des  Tegmentum  Burdach  i),  JShicJei  tegmenti, 
über,  die  sich  an  einem  Frontalschnitte   des   Grosshirns  durch  die  Thalami 


^)  Haubenschiclit  oder  Haubenstrang  Reichert.  Doch  bezeichnet  Reichert  mit  die- 
sem Namen  schon  die  gleichmässig  reticuläre  Substanz  der  weiter  hinten  gelegenen  Regio- 
nen des  verlängerten  Marks. 


Grehirn. 


243 


im  unteren  Tlieil  der  Seitenwände  des  dritten  Ventrikels  (unter  dem  Sulcus 
Monroi)  zeigen  (Fig.  73,  vgl.  Fig.  69). 

Fiir.  173. 


/  V 


mM~ 


Ntr 


^ 

^ 
m 


Frontalschnitt  des  Gehirns  durch  das  vordere  VierhügeIpMar.      A  Aquäduct.      Nir  Nucl. 

trochlearis.     R  Raphe. 


Bei  der  Zunahme  des  Volumens  der  Kerne  des  Tegmentum  wächst  der 
transversale  Durchmesser  rascher  als  der  verticale  und  so  wird  der  Strang 
cylindrisch,  geht  der  elliptische  Querschnitt  in  den  kreisförmigen  über. 
Die  Umwandlung  der  weissen  Farbe  in  die  röthliche  oder  gelbliche  hat 
ihren  Grund  in  der  Einlagerung  feinkörniger  Substanz  mit  leicht  pigmen- 
tirten  verzweigten  Nervenzellen,  welche  vereinzelt  schon  im  Bereich  des 
Aqxiäducts  in  den  Strängen  enthalten  sind,  am  vorderen  Rande  der  Vier- 
hügel aber,  und  zwar  vom  lateralen  Rande  gegen  den  medialen  vordrin- 
gend, massenhaft  erscheinen.  Die  charakteristischen  Nervenfaserbündel 
werden  dadurch  successiv  zerklüftet  und  auseinandergedrängt,  von  der  Ge- 

16* 


244  Gehirn. 

gend  der  Corpora  candicantia  an  verlassen  sie  die  sagittale  Richtung  und 
wenden  sich  seit  -  und  aufwärts  in  den  Thalamus ;  einzelne  Fasern  mögen 
in  den  eigenen  Zellen  des  rothen  Kerns  ihr  Ende  finden. 

Fortsetzung  In  Folge   der   Divergenz   der   Kerne   des  Tegmentum   wird   die  Raphe 

ap  e.  g^}]^jjjj^]jg  |)i-eiter.  Die  weisse  Substanz  derselben,  die  aus  Fasern  besteht, 
welche  in  Frontalebenen  den  Kern  des  Tegmentum  wie  eine  Hülse  umge- 
ben, wird  schon  diesseits  des  vorderen  Randes  der  Brücke  durch  einen  me- 
dianen Streifen  grauer  Substanz  getheilt,  der  sich  aufwärts  zuschärft 
(Fig.  73).  Er  erweist  sich  auf  Frontalschnitten  als  verticaler  Schenkel 
einer  umgekehrt  T  (x)förmigen  Masse,  deren  horizontaler  Schenkel,  leicht 
aufwärts  concav,  sich  zwischen  die  reticuläre  Substanz  und  die  Brücke 
einschiebt  und  seitwärts  mit  der  Substantia  nigra  der  Grosshirnschenkel  in 
Verbindung  tritt.  Die  mittlere  Partie  dieser  grauen  Substanz  ist  auffal- 
lend porös  wegen  der  zahlreichen  Durchschnitte  von  Gefässen ,  die  durch 
die  Lamina  perforata  post.  eintreten  (Fig.  173).  Uebrigens  besteht  sie  aus 
feinkörniger  Masse  und  sehr  zahlreichen  kleinen,  vielstrahligen,  gelben  Zel- 
len, denen  sich  hier  und  da,  namentlich  in  der  Nähe  der  Substantia  nigra, 
einzelne  der  grossen ,  dunkelpigmentirten  Zellen  dieser  Substanz  bei- 
mischen. Vereinzelt  kommen  Zellen  der  letztgenannten  Art  auch  in 
den  Faserzügen  vor,  die  den  Kern  des  Tegmentum  an  der  lateralen  Seite 
einfassen. 

Basis.  Während    so  das  Tegmentum   aus  Fasern   der   Vierhügelschenkel  und 

der  reticulären  Substanz  sich  entwickelt  und  den  grauen  üeberzug  erhält, 
der  die  untere  Fläche  desselben  beim  Austritt  aus  der  Brücke  bedeckt,  ver- 
einigen sich  andere  Fasern  der  reticulären  Substanz  mit  den  Fortsetzungen 
der  Pyramiden  zur  Basis  der  Grosshirnschenkel.  Ein  Sagittalschnitt  zur 
Seite  der  Mittellinie  (Fig.  174)  zeigt,  wie  die  durch  die  transversalen 
Brückenstränge  zerklüfteten  P3'^ramiden  sich  vor  der  Brücke  wieder  zu 
einem  compacten  Strange  sammeln  und  wie  zugleich  sagittale  Fasern  der 
reticulären  Substanz  längs  dem  unteren  Rande  des  Kerns  des  Tegmentum 
in  schräg  vorwärts  absteigendem  Lauf  vom  Boden  des  vierten  Ventrikels 
an  die  untere  Fläche  der  Grosshirnschenkel  gelangen.  Beiderlei  Fasern, 
die  der  Pyramiden  und  der  reticulären  Stränge,  verflechten  sich  in  der  Ba- 
sis der  Grosshirnschenkel.  Die  Bündel  der  letzteren  verlaufen  zwar  im 
Wesentlichen  sagittal,  jedoch  abwechselnd  unter  sj)itzen  Winkeln  nach  der 
Einen  und  anderen  Seite  geneigt. 

Subst  nigra.  ^^^  schwarze  Kern   der  Grosshirnschenkel  erstreckt   sich   in    sagittaler 

Richtung  von  der  Gegend  des  vorderen  Randes  der  Brücke  bis  über  den 
hinteren  Rand  der  Corpora  candicantia;  er  nimmt  die  ganze  Breite  der 
Hirnschenkel  ein  und  hat  in  der  Mitte  dieser  Breite,  von  welcher  aus  er 
sich  nach  beiden  Seiten  verjüngt,  eine  Höhe  von  2  bis  3  Mm.  Die  Grund- 
lage desselben  ist  feinkörnige  Substanz,  die  in  der  Nähe  der  Ränder  von 
feinen  sagittalen  Bündeln  durchzogen  wird.  Die  dunkel  pigmentirten  Zel- 
len sind  von  sehr  verschiedener  Form ,  mit  feinen  Fortsätzen  versehen, 
etwas  kleiner  als  die  Zellen  des  Locus  coeruleus ,  die  rundlichen  0,036  Mm. 
im  Durchmesser  mit  Kernen   von   0,015  Mm.  Durchm.,   von  den   spindelför- 


Gehirn. 


245 


migen  die  grössten  0,075  Mm.  lang  und  0,015  Mm.  breit.     Sie  liegen  Mer 
vereinzelt,  dort  zu  3  und  4  dicht  zusammen  und  meistens  so  gruppirt,  dass 

Fig.  174  1). 


NU 


IV      Lc 


Sagittalschnitt  des  Brückentheils  des  verlängerten  Marks  neben  der  Mittellinie.     No  Nu- 

cleus  olivae.      Fpy  Funic.   pyramid.      Ccq  Crus  cerebelli  ad  c.   quadrig.      Lc    Loc.   coe- 

ruleus.     Lq  Lamina  quadrig.     Ntg  Nucleus  tegmenti.      Sn  Substantia   nigra. 

IV'  Trochlearis  - ,    VI'  Abducenswurzeln. 


sie   auf  dem   mit  freiem   Auge  betrachteten    Durchschnitt    zwei    oder  drei 
unregelmässige  Streifen  erzeugen. 

Durch  die  Substantia  nigra  der  Grosshirnschenkel  und  zwischen  den 
Zellen  derselben ,  anscheinend  ohne  sich  mit  ihnen  zu  verbinden ,  steigen 
die  Wurzelbündel  des  N.  oculomotorius  empor,  die  sich  vermöge  der  auf-  , 
fallenden  Stärke  ihrer  Fasern  und  Axencylinder  leicht  durch  die  Faserung 
des  Tegmentum  bis  zu  ihrer  Ursprungsstätte,  dem  Oculomotorius- 
kern,  Wucleus  Oculomotorii  Stilling,   verfolgen  lassen. 

Dieser  Kern,  reich  an  multipolaren  Zellen  der  grössten  Art,  schliesst  Ocuiomoto- 
sich  unmittelbar  an  den  Trochleariskern  an  (Fig.  171),  liegt  also  nahe  der  "'^^^e™- 
Raphe  zwischen  den  obersten  sagittalen  Fasern  der  reticulären  Substanz 
und  der  grauen  Masse  des  Bodens  des  Aquädiicts,  von  der  letzteren  durch 
einige  zarte  Bündel  transversaler  aus  der  Raphe  aufsteigender  Fasern  scharf 
abgegrenzt  (Fig.  175  a.  f.  S.).  Seine  Form  ist  im  Frontalschnitt  dreiseitig 
mit  der  Spitze  nach  unten  gerichtet,  seine  grösste  Höhe  beträgt  3,5  bis 
4  Mm.  Mit  ihren  vorderen  Enden  nähern  sich  die  Kerne  beider  Seiten 
einander  und  zuletzt  machen  sie ,  die  Raphe  überwuchernd ,  eine  einzige 
keilförmige  Masse  aus. 

Um  den  unteren  Rand  des  Kerns  zu  erreichen  und  sich  in   demselben 


1)  Nach  Stilling,    über    den    Bau    des    Hirnknotens  und  der  Varolsbrücke.     Taf.  XII, 
Fig.  7. 


246 


Gehirn. 


Fiff.  175. 


zu  zersti^euen ,   durchziehen  die  Wurzelfasern   des  N.  oculomotorius  die  me- 
diale Ecke  der  Basis  der  Grosshirnschenkel,  dann  die  Substantia  nigra  und 

zuletzt  den  Kern  des  Tegmentum 
in  rückwärts  aufsteigender  Rich- 
tung und  zugleich  in  seitwärts 
convexen  und  je  weiter  seitwärts, 
um  so  stärker  gekrümmten  Bo- 
gen. Die  Zahl  der  in  Einem 
Frontalschnitt  einer  Seitenhälfte 
neben  einander  verlaufenden 
Bündel  nimmt  von  hinten  nach 
vorn  zu  und  beträgt  in  den  vor- 
deren Schnitten  8  bis  14. 


Vierhügel. 


^^L    ^°P 


iSIoc 


Die  Wölbungen  der  Vierhügel 
sind  bedingt  durch  Anschwel- 
lungen ,  theils  der  grauen ,  mit 
grossen  gelben  Nervenzellen  (s. 
oben)  durchsäeten  Decke  des 
Aquäducts,  theils  einer  weissen 
Masse,  welche  diese  graue  über- 
lagert und  in  der  medialen  und 
transversalen  Furche  1,5,  an  den 
erhabensten  Stellen  über  4  Mm. 
mächtig  ist.  Sie  besteht  aus  fei- 
nen Fasern,  die  fast  durchgän- 
gig in  dünne,  cylindrische  Bün- 
del abgetheilt  und  durch  schmale 
Zwischenräume  geschieden  sind; 
nur  gegen  den  unteren  Rand  der 
weissen  Substanz  kommen  einige 
Reihen  stärkerer  Bündel  vor  und 
bewirken,  dass  an  den  durch 
Kalilösung  aufgehellten  Durch- 
schnitten ein  minder  durchsich- 
tiger, bei  auffallendem  Licht  weis- 
ser, bei  durchfallendem  dunkler 
Streif  die  Grenze  der  weissen 
und  grauen  Substanz  bezeichnet 
(Fig.  171).  Senkrecht  von  der 
Oberfläche  aus  eintretende  Gefässe  durchziehen  die  weisse  Rinde  der  Vierhügel 
in  radiärer  Richtung  imd  scheiden  sie  in  gröbere  Stränge  (Fig.  171.  173). 
Bezüglich  der  Anordnung  und  Richtung  dieser  Fasern,  wie  auch  der 
zwischen  denselben  befindlichen  Zellen  sind  die  hinteren  und  vorderen  Vier- 
hügel einigermaassen  verschieden.  Die  Faserbündel  der  hinteren  Vierhügel 
zeigen  sich  auf  frontalen  wie  auf  sagittalen  Durchschnitten  der  Vierhügel- 
platte im  Querschnitt;  um  senkrechte  Durchschnitte  der  hinteren  Vierhügel 


Frontalschnitt  des  Gehh-ns  durch  die  hintere  Cc^ri- 
missur  (Cop)  und  die  Austrittsstelle  des  N.  oculo- 
motorius (///).    JAquäduct.    iVo  c.  Nucl.  oculomot. 


Gehirn.  247 

zu  gewinnen,  in  welchen  die  Fasern  der  Länge  nacli  verlaufen,  muss  der 
Schnitt  parallel  der  Axe  der  hinteren  Brachia  conjunctiva  geführt  werden. 
Aiich  an  solchen  Schnitten  beginnt  eine  regelmässigere  Anordnung  der  Fa- 
sern erst  in  dem  seitlichen  Abhang  des  Hügels,  während  sie  in  dem  medialen 
Abhang  dicht  und  regellos  durch  einander  gewirrt  sind.  Sie  ordnen  sich 
alsdann  zu  parallelen,  der  Richtung  der  Brachia  conjunctiva  entsprechenden 
Zügen,  werden  aber  im  Bereich  der  Vierhügel  und  auch  noch  im  hinteren 
Theil  des  Brachium  conjunctivum  gekreuzt  und  durchsetzt  von  Fasern, 
welche  aus  der  reticulären  Substanz  und  aus  dem  Lemniscus  aufsteigen  und, 
wie  ich  bereits  bei  Beschreibung  des  letzteren  angab,  in  der  Mittellinie 
einander  begegnen. 

Im  vorderen  Vierhügelpaar  verläuft  der  Oberfläche  zunächst  eine  dünne 
(0,045  Mm.  mächtige)  Lage  feiner  Fasern  in  transversaler  Richtung,  an 
Frontalschnitten  dem  Contur  der  Oberfläche  parallel  und  rechtwinklig  ge- 
kreuzt von  den  sagittalen  Bindegewebsbündeln  der  Gefässhaut;  es  folgt  zu- 
nächst darunter  eine  Schichte,  in  welcher  einzelne  Fasern  und  Faserbündel- 
chen ohne  Ordnung  und  spärlich  eine  feinkörnige,  zellenhaltige  Masse  durch- 
setzen; weiter  nach  unten  herrschen  Avieder,  immer  dichter  zusammenrückend, 
transversale  Bündel  vor,  zwischen  denen  spärlichere,  ebenso  feine  Bündel 
in  verticaler  Richtung  zur  Oberfläche  des  Hügels  aufsteigen.  Gegen  den  vor- 
deren Abhang  des  Hügels  werden  Fasern  und  Bündel  stärker,  um  allmälig  in 
die  mächtigen  queren  Bündel  der  hinteren  Commissur  überzugehen,  deren 
Fasern  denen  der  reticulären  Substanz  des  verlängerten  Marks  an  Stärke 
nicht  nachstehen. 

Was  die  Zellen  betrifi't,  so  sind  sie  im  hinteren  Vierhügelpaar  reichlich, 
aber  klein,  kaum  über  0,018  Mm.  im  Durchmesser,  im  vorderen  Vierhügel- 
paar spärlicher  und  gi-össer,  einzelne  sogar  von  der  grössten  Art.  Die 
Zellen  des  vorderen  Vierhügelpaars  sind  körnig,  gelb  pigmentirt,  deutlich 
verästelt;  die  des  hinteren  gleichen  den  später  zu  beschreibenden  Zellen 
der  tieferen  Schichten  der  Grosshirnrinde:  neben  Gruppen  von  Körnern 
kommen  Zellenkerne  mit  deutlichem  Kernkörperchen  vor,  von  einem  schma- 
len, wasserhellen  Saum  umgeben.  Wie  sich  allmälig  die  Nervenfasern  zu 
parallelen   Bündeln   ordnen ,  nehmen   diese  Zellen   nebst  den  Körnern ,   von 

Fig.   176. 


^r 


250 

~r 

Horizontalschnitt  des  hinteren  linken  Vierhügels  am   Uebergang  in  das 
Brachium  conjunctivum. 


248 


Gehirn, 


Brachia 
conjtinct. 


feinkörniger  Masse  umgeben,  die  Zwisclienräume  der  Bündel  ein,  und  wenn 
die  Zellen  zwisclien  den  unregelmässig  verfilzten  Fasern  eine  kugelige  Ge- 
stalt haben,  so  erbalten  sie  in  den  Zwischenräumen  der  Bündel  eine  ellipti- 
sche mit  dem  längsten  Durchmesser  parallel  dem  Faserverlauf,  bis  in  dem 
Brachium  conjunctivum  die  Zellen  völlig  schwinden  und  die  Körner  allein 
übrig  bleiben  (Fig.  176). 

Die  Fasern,  die  in  die  Brachia  conjunctiva  aus  den  Vierhügeln  über- 
gehen ,  scheinen  in  den  letzteren  zu  entspringen ,  wie  schon  daraus  zu  ent- 
nehmen ist,  dass  sie  mitunter  erst  in  der  Mitte  des  hinteren  Vierhügel- 
paares beginnen,  während  der  hintere  Abhang  desselben  ganz  frei  von  Fa- 
sern ist.  Wohin  sie  aus  den  Brachia  conjunctiva  gelangen ,  ist  nicht  so 
leicht  zu  ermitteln.  Die  Fasern  des  vorderen  Brach,  conjunct.  strahlen 
zum  grösseren  Theil  im  Thalamus  seit -aufwärts  aus,  zum  kleineren  Theil 
gehen  sie  an  der  Oberfläche  des  C.  geniculatum  mediale  weiter  und  bilden 
eine  dünne  weisse  Rindenschichte  desselben.  Die  Fasern  des  hinteren 
Brach,  conjunctivum  treffen  auf  das  mediale  C.  geniculatum,  treten  aber 
nicht  in  dasselbe  ein,  sondern  gesellen  sich  unter  ihm  der  Basis  des  Gross- 
hirnschenkels bei.  Schon  durch  das  stärkere  Kaliber  unterscheiden  sie  sich 
von  den  Wurzelfasern  des  IST.  opticus,  welche  an  der  anderen  Seite  aus  dem 
C.  geniculat.  mediale  hervorgehen. 

J.  Wagner  (Ueber  den  Ursprung  der  Sehnervenfasei-n,  Dorj).  1862,  S.  10) 
sah  au  einem  Gehirne  einen  auf  der  einen  Seite  starken,  auf  der  anderen  schwa- 
clien  Streifen  vom  hinteren  Brachium  conjunctivum  direct  zu  dem  Tlieil  des 
Tractus  opt.  verlaufen,  der  aus  dem  C.  geniculat.  mediale  entspringt. 


C.  genicul. 
mediale. 


Folgt  man  dem  Laufe  des  Tract.  opticus  vom  Chiasma  an  rückwärts,  so 
sieht  man  ihn  zuerst  am  hinteren  Rande ,  dann  an  der  ganzen  oberen  Fläche 
mit  der  unteren  Fläche  des  Gehirns  verschmelzen  und  weiterhin  sich  mehr  oder 
minder  scharf  in  zwei  platte  Stränge  sondern,  welche  in  die  beiden  Corpora  ge- 
niculata  eintreten  (vgl.  Fig.  77).  Bis  zu  diesen  besteht  der  Ti'actus  opticus, 
abgesehen  von  Körnern  und  einer  feinkörnigen  Rinde  von  0,03  Mm.  Mäch- 
tigkeit, aus  denselben  dunkelrandigen  feinen  Fasern ,  welche  im  N.  opticus 
enthalten  sind.  Zu  den  Corp.  geniculata  stehen  die  beiden  Abtheilungen 
des  Tractus  opt.  in  demselben  Verhältniss,  wie  in  den  bisher  betrachteten 
Theilen  des  Gehirns  die  Nervenwurzeln  zu  ihren  Kernen.  Doch  haben  die 
beiden  Kerne  des  N.  opticus  verschiedene  Structur.  Der  mediale,  das  O.  ge- 
niculatum ^mediale,  ist  nur  schwach  gefärbt  und  aufwärts  nur  undeutlich 
gegen  die  Substanz  des  Thalamus  abgegrenzt.  Es  enthält  über  der  er- 
wähnten faserigen  Rindenschichte  nur  feinkörnige  Substanz  und  innei'halb 
derselben  die  aus  dem  vorderen  Brachium  conjunctivum  in  den  Thalamus 
ausstrahlenden  Faserbündel  und  eine  rudimentäre  Art  von  Zellen,  deren 
ich  soeben  bei  den  Vierhügeln  gedachte  und  auf  welche  ich  bei  Beschrei- 
bung der  Grosshirnganglien  zurückkomme :  Körner  im  Uebergang  zu  klei- 
neren und  grösseren  mit  Kernkörperchen  versehenen  Kernen,  eingeschlos- 
sen in  mehr  oder  minder  scharf  begrenzte  wasserhelle  Lücken  und  inner- 
.  halb  dieser  Lücken  von  Häufchen  theils  farbloser,  theils  gelblicher  Moleküle 
umgeben.  Die  hellen  Lücken  sind  in  jedem  Durchschnitte  kreisrund,  im 
unversehrten  Zustande  also  kuglig;  ihr  Durchmesser  übertrifft  nicht  leicht 


Gehirn. 


249 


0,012  Mm.  In  der  Nähe  der  Oberfläche  sind  sie  meist  vereinzelt  und  spär- 
lich, weiter  nach  innen  hier  und  da  in  Gruppen  vereinigt.  Nach  innen 
wandeln  sich  auch  die  von  Molekülen  umgebenen  Kerne  allmälig  in  deut- 
licher conturirte,  entschiedener  gelbe,  theilweise  ästige  Zellen  um. 


m 


Fiff.  177. 


■Jy^^z' 


M 


Zellen  des  Q.  seuiculatum   laterale. 


Das  O.  geniculaüim  laterale  ist  c.  genicui. 
nicht  nur  durch  seine  tief  gelblich  ^  ' 
graue  Färbung,  sondern  auch  durch 
einen  auffallend  weissen  Markstrei- 
fen, der  seinen  inneren  Rand  einfasst, 
gegen  den  Thalamus  abgesetzt  (Fig. 
73.  79).  Es  ist  4  bis  5  Mm.  mäch- 
tig und  dicht  erfüllt  von  gelben, 
ästigen,  meist  spindelförmigen  und 
von  unregelmässigen  hellen  Säumen 
umgebenen  Zellen  i)  (Fig.  177),  zwi- 
schen welchen  die  Fasern  abwärts 
ziehen,  die  sich  am  unteren  freien  . 
Rand  zum  lateralen  Strang  der  Op- 
ticuswurzel  sammeln.  An  einem 
Horizontalschnitte  durch  das  C.  ge- 
nic.  laterale  (Fig.  178)  ist  ersicht- 
lich ,  dass  die  Fasern  in  4  bis  6 
frontalen ,  stellenweise  anastomosi- 
renden  vorwärts  convexen  Platten 
von  etwa  0,1  Mm.  Mächtigkeit  an- 
geordnet   sind,    welche   mit    etwas 


Fig.  178. 


15 

—  Cgm 

Horizontalschnitt  des  C.   creniculat.  laterale. 


^)  J.  Wagner  bestimmt  die  Länge  der    .spindelförmigen  Zellen  zu  0,01    bis  0,022,    ihre 
breite  zu  0,006  bis    0,014  Mm.  und  behauptet,    nie  mehr  als  zwei,  meist  nur  Einen    Fort- 


250 


Gehirn. 


Thalamus- 
Wurzel  des 
Tr.  opt. 


etärkeren  Schichten  der  zellenhaltigen  Substanz  alterniren.  Auch  in  dem 
Zwischenraum  der  beiden  Corpora  geniculata  zeigen  sich  auf  verticalen 
Durchschnitten  Faserbündel  im  Quer-  und  Schrägschnitte,  welche  sich  der 
Einen  oder  anderen  Wurzel  des  N.  opticus  zuzuwenden  scheinen.  Eine 
entschieden  ohne  Vermittelung  der  Corp.  geniculata  direct  aus  dem  Thala- 
mus in  den  Tractus  opticus  übergehende  Wurzel  wird  auf  einer  sagittalen 
Schnittfläche  des  Thalamus  durch  das  C.  geniculatum  laterale  sichtbar;  sie 
steigt  zwischen  diesem  Körper  und  der  Faserung  des  Grosshirnschenkels, 
die  der  genannte  Frontalschnitt  ziemlich  genau  der  Quere  nach  schneidet, 
aus  dem  Tractus  opticus  fast  senkrecht  empor  in  der  Richtung  gegen  die 
Grenze  des  Thalamus  und  Streifenhügels,  geht  aber  schon  in  der  halben 
Höhe  des  Thalamus  durch  fächerförmige  Zerfaserung  zwischen  den  horizon- 
talen Faserzügen  unter  (Fig.  179*). 


Fiff.  179. 


Ich  berühre  hier  sogleich  die 
Frage,  ob  der  Tractus  opticus  zu 
den  Fasern,  die  er  aus  den  Corp. 
geniculata  und  mittelbar  oder  un- 
mittelbar aus  dem  vorderen  Vier- 
hügel und  dem  Thalamus  mitbringt, 
während  seines  Verlaufs  an  der  Ba- 
sis des  Grosshirns  Zuwachs  erhalte. 
An  Verticalschnitten  durch  den 
Ti-actus  und  den  angrenzenden  Theil 
der  Hirnbasis,  welche  den  ersteren 
senkrecht  gegen  dessen  Faserver- 
lauf treffen,  sieht  schon  das  unbe- 
waffnete Auge  den  Querschnitt  des 
Tractus  durch  eine  lineare  Spalte 
vom  Grosshirnschenkel  geschieden, 
während  die  Grenze  des  Tractus 
gegen  die  Substantia  perforata  ant. 
verwischt  ist.  Bei  massiger  Vergrösserung  wird  indess  auch  diese  Grenze 
deutlich:  die  querdurchschnittenen  Opticusfasern  stechen  scharf  gegen  die 
Längsfaserzüge  der  Substantia  perforata  ant.  ab  und  zwischen  beide  schiebt 
sich  ein  schmaler  gelber  Streifen  ein,  bestehend  aus  einer  einfachen  oder 
mehrfachen  Reihe  pigmentirter  spindelförmiger  Nervenzellen,  wie  sie  auch 
sonst  zerstreut  in  der  Substantia  j)erforata  ant.  vorkommen.  Von  dieser 
Zellenreihe  senden  einzelne  ihre  Ausläufer  in  den  Tractus  und  andere  lie- 
gen ,  wie  vorgeschobene  Posten ,  isolirt  zwischen  den  Fasern  desselben 
(J.  Wagner).  In  einem  ähnlichen  Verhältniss  zum  Tractus  steht  eine 
Reihe  kleinerer  gelber  Zellen  an  der  Grenze  des  Tuber  cinereum  gegen  das 
Chiasma.  Von  der  Lamina  cinerea  terminalis  und  dem  Pedunculus  corpo- 
ris callosi  geht  eine  0,75  Mm.  mächtige  Lage  feiner  sagittaler  Fasern  auf 
die  Vorderfläche  des  Chiasma  über,   umhüllt  den   mittleren  Theil   desselben 


Sagittalschnitt  des  Thalamus  durch  das    C.  ge- 

niculat.  laterale  (CgrZ).      Cgin  C.  genic.  mediale 

Sn  Substantia    nigra.      Geh    Crus  cerebri. 

ll'  Tract.   opticus. 


Satz  an  denselben  wahrgenommen  zu  haben.  Von  der  äussersten  Zellenschichte  sah  er  die 
Fortsätze  direct  in  den  Tractus  opt.  übergehen,  jedoch  in  verhältnissmässig  nur  geringer 
Zahl. 


Gehirn.  251 


und  setzt  sicli  an  beiden  Seiten  in  peripherischer  Richtung  auf  die  Seh- 
nerven fort.  Sie  machen  eine  Schichte  des  Chiasma  aus,  auf  welche  ich  bei 
der  Beschreibung  der  periphei-ischen  Nerven  zurückkommen  werde. 


Uebergehend  zu  den  eigentlichen  Hemisphären  des  Grosshirns  habe  Grosshirn- 
ich zuerst  nachzutragen,  was  in  Betreff  der  Vertheilung  der  weissen  und  ren. 
grauen  Substanz  aus  der  makroskopischen  Betrachtung  der  Durchschnitte 
sich  ergiebt.  Sie  lehren  innerhalb  der  weissen  Masse,  die  ich  oben  als 
Markkern  des  Grosshirns  beschrieb,  gesonderte  Kerne  grauer  Substanz  ken- 
nen, weiche  die  weisse  Masse  gleichsam  auseinander  drängen  und  in  Stränge 
zerlegen.  Die  Kerne  nehmen  insbesondere  den  Theil  der  Ventrikelwand 
ein,  welcher  nach  aussen  durch  die  Randwülste  der  Insel,  nach  innen  durch 
den  Thalamus  und  die  Streifenhügel  begrenzt  wird. 

Zunächst  an  die  weisse  Faserung,  die,  aus  den  Grosshirnschenkeln  aus-  Linsenkern. 
strahlend,  an  der  Aussenseite  des  Thalamus  und  Streifenhügels  hinzieht, 
lehnt  sich  ein  grauer  Kern,  der  im  Frontal-,  Horizontal-  und  Sagittal- 
schnitt  biconvex  oder,  indem  sich  der  Eine  der  bogenförmigen  Conturen  in 
eine  gebrochene  Linie  verwandelt,  dreiseitig  erscheint.  Dies  ist  der  Lin Sen- 
kern, Wucleus  ^ew^?/brm?s  Bur dach  ^)  (Fig.  180.  181.182).  Sein  längster 
sagittaler  Durchmesser  entspricht  ungefähr  dem  sagittalen  Durchmesser  der 
Insel;  er  wird  also  vorn  vom  Streifenhügel,  hinten  vom  Thalamus  überragt. 
Seine  grösste  Breite  liegt  in  gleicher  Höhe  mit  der  mittleren  Commissur 
und  gegenüber  dem  vorderen  Rande  des  Thalamus.  Gegen  diesen  und  ge- 
gen die  längs  diesem  Rande  aufsteigende  Stria  terminalis  ist  der  Scheitel 
der  stumpfwinklig  gebrochenen  Linie  gerichtet,  welche  auf  dem  Horizontal- 
schnitt die  mediale  Grenze  des  Kerns  bezeichnet,  während  die  laterale  ein- 
fach schwach  convex  verläuft  und  beide  vorn  und  hinten  in  einem  spitzen 
Winkel  zusammenstossen.  Das  wechselnde  Verhältniss  der  Höhe  zur  Breite 
des  Linsenkerns  erläutern  frontale  Durchschnitte.  Auch  an  diesen  er- 
scheint er  dreiseitig  mit  Einem  Winkel  medianwärts  gerichtet,  die  dem- 
selben gegenüberliegende  Seite  des  Dreiecks  vertical,  convex  oder  wellen- 
förmig. Aber  im  hinteren  Theile  des  Gehirns,  bis  in  die  Gegend  der 
Corp.  candicantia  (Fig.  79),  ist  das  Dreieck  stumpfwinklig,  höher  als  breit, 
der  mediale  Winkel  stumpf  abgerundet;  weiter  vorn  (Fig.  182)  verlängert 
er  sich  im  transversalen  Durchmesser  auf  Kosten  des  verticalen,  der  mediale 
Winkel  wird  spitz,  spitzer  als  die  beiden  nahezu  gleichen  äusseren  Winkel. 
In  der  Nähe  der  vorderen  Spitze  des  Voi-derhorns  stumpft  sich  der  mediale 


^)  In  den  älteren  Beschreibungen  wird  der  Linsenkern  als  Bestandtheil  des  Streifen- 
hügels betrachtet  und  streng  genommen  eignet  sich  allerdings  der  Name  Streifenhügel  für 
den  in  das  Vorderhorn  des  Seitenventrikels  vorragenden  grauen  Körper  nur  dann ,  wenn 
man  sich  ihn  durchzogen  denkt  von  den  weissen  Markstreifen ,  die  zwischen  dorn 
Streifenhügel  (im  neueren  Burdach'schen  Sinne)  und  dem  Linsenkern  eingeschaltet  sind. 
Vieussens,  Eeil  und  A.  theilten  den  Streifenhügel  in  eine  äussere  und  innere  Portion, 
die  äussere  (C.  striatum  externum  Rolando)  ist  identisch  mit  dem  Linsenkern,  die  innere 
Portion  bezeichnet  Arnold  als  Nucleus  caudaius  des  Streifenhügels. 


252 


Gehirn. 


Winkel  wieder  ab  und  gegen  den  zugescliärften  vorderen  Rand  gleicht  der 
Diirclisclinitt  des  Kerns  in  der  That  dem  Diirchsclinitt  einer  mit  der  Axe 
transversal  gestellten  Linse. 

Zwei,  dem  lateralen  Rande  concentrisclie  und  in  ziemlich  gleichen  Ab- 
ständen zwischen  diesem  Rande   und  der  gegenüberliegenden  Spitze  verlau- 

Fig.  180. 


Cgm       Tho 
SpaD'      Ceb" 


Sagittalschnitt    der    rechten    Hemisphäre    durch    die    laterale  Spitze  des  C.  geniculalum 

mediale  {Cgm).     Laterale   Schnittfläche.     Nl  Nucleus  lentif.      Cs   C.  striat.      Crf  Crus 

fornicis.      Tho  Thalamus.      C ch  Crus    cerebri.     Si^a   Substantia    perforata   ant. 

Coa'  Commiss.  ant.     //'  Tractus  oüt. 


Fig.   181. 


Sagittalschnitt    derselben    Hemisphäre,    näher    dem    Seitenrande.       VI"    Laterale    Wand 
des  unteren  Horns  des  Seitenventrikels. 


Gehirn. 


253 


fende   hellere   Linien   scheiden   den   mächtigeren   Theil   des  Linsenkerns  in 
drei    Zonen  ^) ,    die    sich  auch   durch    wenngleich   geringe   Unterschiede   der 

Fig.  182. 


Sra 


Am 


Frontalsfhnitt  des  Grosshirns  durch  das  Tuber  cinereum  (Tc)  dicht  vor  dem  Stiel  der 
Hypophyse.  Vorderer  Abschnitt.  Ccl^  C.  callos.  Vsl  Ventinc.  septi  lucidi.  Ls  La- 
mina  septi  lucidi.  Cs  C.  striat.  B'  Ausstrahlung  der  Basis  des  Grosshirnschenkels. 
St  Stria  terminalis.  Nl  Nucleus  lentif.  Cls  Claustrum.  In  Insel.  Cf  Grus  fornicis. 
Cp  Kapsel.  Coa  Conimiss.  ant.  Coa'  Durchschnitt  derselben  in  der  Hemisphäre. 
Ain  ^m3rgdala.     Sra  Substantia  retic.  alba.     II'  Tractus  opticus. 

Farbe  xind  Structur  gegen  einander  absetzen.  Die  äusserste  Zone  2)  ist 
dunkler  als  die  beiden  anderen  ^) ,  die  innerste  durch  einen  Stich  ins 
Röthliche  den  Kernen  des  Tegmentum  ähnlich  und  während  die  beiden  in- 
neren Zonen  eine  ziemlich  gleichmässige  Färbung  haben,  ist  die  äussere  in 
radiärer  Richtung  von  feinen  hellen  Streifen  durchzogen  (Fig.  182). 

Ein  zweiter  grauer  Kern,    ülauSlruni  Burdach*),  liegt  an  der  äusse-  ciaustrum. 
ren  Seite  des  Linsenkerns;  er  zeigt  sich  an  frontalen  (Fig.  182)  und  horizon- 


^)  ArtlcuK.  2)  Putamen  Burdach.  ^)  Die  beiden  inneren  Zonen  fasst  Burdach 
unter  dem  Namen  eines  Globus  pallkhcs  zusammen,  der  durch  ein  Markblatt  getheilt  sei. 
^)  Vormauer.     Nucleus   laeniaeformls  Arnold.      Strato  cmericcio  Rolando. 


254 


Gehirn. 


talen  Schnitten  (Fig.  l84.  185)  ungefähr  in  der  Mitte  der  weissen  Schichte, 
welche  die  graue  Rinde  der  Insel  von  dem  Linsenkern  trennt,  als  ein 
nach  dem  äusseren  Contur  des  letzteren  gekrümmter  schmaler  Streif,  stellt 
also  eine  dünne,  nach  der  Aussenfläche  des  Linsenkerns  gewölbte  Platte  dar. 
Von  der  convexen  Fläche  dieser  Platte  erheben  sich  hier  und  da  niedrige, 
gegen  die  Randwülste  der  Insel  vorspringende  Leisten,  die  auf  dem  Durch- 
schnitt sich  wie  kurze  Zacken  ausnehmen  (Fig.  182).  Am  oberen  Rand 
schärft  das  Claustrum  sich  zu  und  biegt  sich  mehr  oder  weniger  von  dem 
Linsenkern  ab  nach  aussen ;  an  seinem  unteren  Ende  dagegen  wird  es  mäch- 
tiger und  mit  dem  mittleren  Theil  seines  unteren  Randes  nähert  es  sich  dem 
Linsenkern,  um  schliesslich  theilweise  mit  demselben  zu  verschmelzen,  theil- 
weise  in  das   Tuber  olfactorium  überzugehen  (Fig.  187). 

Fig.  183. 


Horizontalscluiitt  des  Grosshirns,  dicht  über  der  unteren  Fläche,  untere  Schnittfläche. 
Lq  Lamina  quadrigeni.  A  Aquäduct.  Ntg  Nuclens  tegmenti.  Rdf^  Raf  Ab-  und 
aufsteigende  Wurzel  des  Fornix.  Co  Chiasma  opt.,  durch  den  Boden  des  dritten  Ven- 
trikels schimmernd.  Cs  C.  striat.  Nl  Nucl.  lentif.  Si^a  Subst.  perf.  ant.  Jn  Insel. 
Coa'  Commiss.  ant.  Sn  Substantia  nigra.  B'  Fasern  der  Hirnschenkelbasis  im  Quer- 
schnitt.    //'  Tract.  opticus.      Cgi  C.  genicul.  lat. 


Aber   auch    der    Streifenhügel   fiiesst    am    Boden    des   Gehirns  mit  dem 
Linsenkern  und  beide   fliessen  mit   der   grauen   Substantia   perforata    antica 


Gehirn. 


255 


zusammen ,  so  dass  mau  alle  diese  Gebilde  als  Bestandtlieile  einer  grauen 
Masse  betrachten  muss,  welche  an  der  unteren  Fläche  des  Gehirns  einfach 
zu  Tage  liegt,  weiter  oben  aber  von  durchziehenden  Faserbündeln  abgetheilt 
wird.  Ein  Horizontalschnitt  möglichst  dicht  über  der  unteren  Fläche  des 
Grosshirns  (Fig.  183)  zeigt  vor  dem  Tract.  opticus  eine  grosse  rundliche 
Anhäufung  grauer  Substanz,  welche  seitwärts  in  die  Substantia  perfor.  ant. 
sich  verlängert  und  vom  vorderen  Rande  aus  durch  eine  tiefe  Einbiegung 
(*)  in  zwei  Lappen  getheilt  ist.  An  einem  nur  wenig  höh  er  geführten  Hori- 
zontalschnitt (Fig.  184)  ist,   von  jener  Einbiegung   aus,   die   Bildung   einer 

Fiff.    184. 


Horizontalschnitt  des  Grosshirns,  etwas  höher,    als  der    der   vorigen    Figur ,    die    gleiche 
Schnittfläche,  die  gleiche  Bezeichnung.      Cp  Kapsel.      C'ls  Claustrum. 


256 


Gehirn. 


weissen  Zwischenwand  fortgeschritten  bis  zur  Trennung  der  zweilappigen 
Masse  in  zwei  gesonderte  Kerne,  die  sich,  bei  weiter  fortgesetzter  Zerlegung 
des  G-ehirns  in  horizontale  Scheiben,  als  Streifenhügel  und  Linsenkern  be- 
kunden (Fig.  185).     Die  weisse   Fasermasse,   die  sich  zwischen  beide  Kerne 

Fi^,  185. 


Cff) 


Horizontalschnitt,  höher  als  der  vorige,  durch  das  Knie'  des    C.  call.    {Cd")    und    das 
Septum  lucidum  {81).     Tlio    Thalamus.     Cs    C.    striat.       Cls    Claustrum.      iVZ*Nucl. 
lentif.      Cjy   Kapsel.      Cgi  C.  genicul.  lat.       B'    Ausbreitung^der   Basis    des    Grosshirn- 
schenkels.     St  Stria  terminalis. 


Mandelkern, 


einschiebt  und  sie  auseinander  drängt,  nimmt  mit  jedem  höheren  Schnitt  an 
Breite  zu.  Sie  entwickelt  sich  aus  der  Vereinigung  der  von  vorn  her  ein- 
dringenden weissen  Scheidewand  mit  der  Fortsetzung  der  Grosshirnschenkel- 
basis(i?'  Fig.  183  bis  185),  die  allmälig  weiter  vorwärts  gelangt  und  in  jeder 
Richtung  an  Ausdehnung  gewinnt.  Während  aber  so  der  Linsenkern  vom 
Streifenhügel  mehr  und  mehr  abgedrängt  wird,  kommt  weiterhin  wieder 
eine  Verbindung  beider  durch  graue  Substanz  zu  Stande,  die  sich  zwischen 
die  Fasern  der  Fortsetzung  der  Hirnschenkelbasis  eindrängt  und  diese  in 
platte  Bündel  scheidet  (Fig.  80.  84). 

An  Frontalschnitten  durch  den  vorderen  Theil  des  Linsenkerns  zeigt 
sich  unterhalb  desselben  ein  isolirter  grauer  Kern,  den  Burdach  Mandelkern, 
A.TFli/gdala^),  nannte  (Fig.  182).     Die  Isolirung  ist  nur  scheinbar;  die  graue 


^)  j\?ideus  Amyydalae. 


Gehirn. 


257 


Am 


Masse  gehört  der  ßindenschichte  des  Unterlappens  an,  die  an  der  Stelle, 
wo  der  Unterlappen  mit  der  Snhstantia  perforata  ant.  verwächst,  eine  be- 
deutende Mächtigkeit  erreicht  (Fig.  186). 

Das  Verhältniss  zwischen  weisser  und  grauer  Substanz,  wodurch  die  weisse 

in  gesonderte  Stränge,  die  graue  in 
°'        '  difFerente  Kerne  zertheilt  wird,  wie- 

derholt sich  bei  genauerer,  nöthigen- 
falls  mikroskopischer  Betrachtung 
in  jedem  dieser  Kerne.  An  Durch- 
schnitten des  Thalamus  sind ,  zumal 
nach  Erhäi'tung  in  Müller' scher 
Flüssigkeit,  die  weissen  Faserbündel, 
die  ihn  durchziehen,  theilweise  schon 
dem  unbewaffneten  Auge  deutlich. 
Macht  man  einen  verticalen  Durch- 
schnitt parallel  der  Faserung  des 
Grosshirnschenkels,  so  sieht  man  die 
Stränge  der  Brachia  conjunctiva, 
der  Tegmente  und  von  den  Basen 
der  Grosshirn  Schenkel  abgezweigte 
Bündel  beim  Eintritt  in  den  Thalamus 
pinselförmig  auseinander  fahren,  um 
sich  an  der  vorderen  Spitze  desselben 
wieder  zu  sammeln  (Fig.  187  a.  f.  S.). 
Eine  relativ  stärkere,  bis  0,73  Mm. 
mächtige  continuirliche  Faserlage, 
die  sogenannte  Gürtelschichte, 
StyatumZonale^geh.tn.nderOherä.äche 
des  Thalamus  zur  Stria  terminalis. 
Die  Bündel,  die  das  Innere  des  Thalamus  durchsetzen,  gehen  allmälig, 
indem  sie  sich  durch  wiederholte  spitzwinklige  Theilung  verfeinern,  in  einer 
scheinbar  gleichförmigen  Masse  unter  und  werden  erst  in  der  Nähe  des  Aus- 
tritts wieder  unterscheidbar,  indem  sie  aufs  Neue  zu  stärkeren  Strängen 
zusammentreten.  In  den  Zwischenräumen  der  makroskopisch  sichtbaren 
Bündel  verlaufen  in  gleicher  Richtung  feinere  Bündel ,  alle  unter  einander 
anastomosirend ;  die  Lücken  aber,  welche  alle  diese  Bündel  zwischen  sich 
fassen,  werden  nicht  nur  von  grauer  Substanz,  sondern  auch,  namentlich  in 
der  unteren  Hälfte  des  Thalamus,  von  transversalen  Nervenfaserbündeln  aus- 
gefüllt, und  stellenweise  enthalten  sie  regellos  wie  in  den  Nervenkernen  des 
verlängerten  Marks  durcheinander  gewirrte  Fasern. 

In  den  medialen  Zonen  des  Linsenkerns  sind  die  durchziehenden  Fa- 
serbündel sämmtlich  zu  fein,  um  mit  freiem  Auge  unterschieden  zu  werden; 
ebenso  in  den  schmalen  grauen  Streifen,  die  am  peripherischen  Rande  des 
Streifenhügels  zwischen  den  divergirenden  weissen  Faserbündeln  einge- 
schaltet sind.  Die  Bündel,  welche  aus  der  medialen  in  die  äussere  Zone 
des  Linsenkerns,  aus  dem  den  Linseukern  und  Streifenhügel  trennenden 
Nervenfaserstrang  in  den  Streifenhügel  einstrahlen,  kann  man  auf  Durch- 
schnitten eine  Strecke  weit  mit  unbewaffnetem  Auge   verfolgen.     Dann  zer- 

Henle,  Anatomie.     Bd.  III.     Abthlg.   2.  17 


Ein  Stück  des  Grosshirns,  mittelst  eines  fron- 
talen Schnitts  durch  die  Commissura  media 
(^Com)  und  eines  sagittaleu  Schnitts  durch  den 
rechten  Hippocampus  {Hji)  abgetrennt,  um  den 
Zusammenhang  der  Amygdala  mit  der  grauen 
Rinde  der  Randwülste  zu  zeisien. 


Textur  des 
Thalamus, 


des  Linsen- 
kerus  und 
Stieifenhü- 


258 


Gehirn. 


fallen  sie  rascli  in  Aeste  von  0,06  bis  0,15  Mm.,  welche  weiter  divergiren, 
seltener  anastomosiren,  als  im  Thalamus  und  durch  viel  beträchtlichere  Mas- 
sen rein  grauer  Substanz  von  einander  geschieden  sind. 

Fi<T.  187. 


Cd 


Tho   *      s, 


Fps 


Fpi 


Verticaler  Durchschnitt  des  Gehirns,  parallel  dem  Faserverlauf  des  rechten  Grosshirn- 
schenkels. *  Medianspalte,  1  linke,  2  rechte  Hemisphäre.  Lq  Lamina  quadrig.  Cre 
Conavium.  Ccl^  C.  callosum.  Tho  Thalamus.  Sz  Stratum  zonale  desselben.  Cs 
C.  striatum.  Cls  Claustrum.  Nl  Nucleus  lentif.  Tbo  Tub.  olfactorium.  Spa  Sub- 
staiitia  perfor.  ant.  Sn  Substantia  nigra.  Ntg  Nucleus  tegmenti.  J'ps,  Fpi  Oberer 
und  unterer  Brückenstrang.      //'  Tract.  opt. 


Noch  in  einem  anderen  wesentlichen  Punkte  unterscheidet  sich  die  Fa- 
serung des  Lifisenkerns  und  Streifenhügels  von  der  des  Thalamus.  Es  ist 
allerdings  wahrscheinlich,  dass  im  Thalamus  Fasern  enden,  da  die  Fort- 
sätze der  in  demselben  enthaltenen  Nervenzellen  in  Fasern  übergehen ;  aber 
überall  im  Inneren  des  Thalamus  wie  an  dessen  Grenzen  hängen  die  Bündel 
unter  sich  und  mit  den  benachbarten  Fasern  geflechtartig  zusammen,  und 
dies  ist  Ursache,  dass  man  den  Thalamus  nach  keiner  Seite  scharf  abge- 
grenzt findet.  Dagegen  ist  die  Abgrenzung  des  Linsenkerns  nach  aussen, 
des  Streifenhügels  am  vorderen  und  medialen  Rand  vollkommen  scharf,  die 
Trennung  dieser  Kerne  von  der  weissen  Hirnsubstanz  an  etwas  macerirten 
Gehirnen  ganz  reinlich.  Nur  selten  und  nur  in  der  Nähe  der  Ränder  über- 
schreitet ein  feines  Faserbündel  die  genannten  Grenzen;  die  grosse  Mehr- 
zahl endet  noch  innerhalb  der  grauen  Substanz,  so  dass  ein  Bezirk  von 
etwa  1  Mm.  längs  dem  freien  Rande  oder  der  Grenze  des  Kerns  frei  von 
Fasern  bleibt  (Fig.  188). 


Gehirn. 


259 


Nacli  der  Menge  und  Stärke  dieser  dem  oberflächlichen  Blick  und  dem 
blossen  Auge  unwahrnehmbaren  Fasern  richtet  sich  die  Intensität  der  grauen 
Farbe  der  Kerne.  Ganz  rein  grau  ist,  ausser  den  eben  genannten  Stellen, 
nur  noch  eine  dünne  Schichte  der  Thalami  zunächst  unter  dem  Stratum  zo- 
nale nebst  der  mittleren  Commissur.      Auch  in  dem  tiefsten   medianen  Theil 

F)V.  188. 


Frontal  schnitt  des  Grossliirns    durch   den    voi'deren    Theil    des    Streifeuhügels    (Cs)    und 
Linsenkerns  {Nl).      B'  Fortsetzung  der  Grosshirnschenkelbasis.      Cc^  Balken.   *  s.   S.  266. 


der  grauen  Bodencommissur  verbindet   beide  Hemisphären    eine    innen  und 
aussen  mit  rein  grauer  Substanz  bekleidete  Fasermasse. 

Die  allgemeine  Grundlage  der  Ganglien  und  Kerne  des  Grosshirns  ist 
die  in  Kalilösung  erblassende,  feinkörnige  Substanz,  die,  wo  sie  frei  yon 
Fasern  und  Zellen  ist,  als  gelatinöse  bezeichnet  wird.  Bezüglich  dieser  Bei- 
mischungen aber  haben  die  verschiedenen  grauen   Massen  ihre  Besonderhei- 

17* 


260 


Gehirn. 


Zellen.  teil.    Was  zuerst  die  Zellen  betrifft ,  so  begegnet  man  den  einfachsten  Formen 

im  Streifenhügel  und  in  der  äusseren  Zone  des  Linsenkerns,  Man  sieht 
Körner  von  gewöhnlichem  Umfang,  welche  von  einem  wasserhellen  Hof 
umgeben  oder ,  was  dasselbe  ist ,  central  in  einer  kugelförmigen ,  im  Durch- 
schnitt kreisförmigen  Lücke  von  0,012  bis  0,015  Mm.  Durchmesser  einge- 
schlossen sind.  Es  giebt  Lücken  derselben  Art,  welche  statt  des  Korns 
einen  runden  oder  elliptischen,  kernkörperhaltigenKern  von  0,01  Mm.  Durch- 
messer enthalten,  andere,  in  welchen  der  Kern  von  einem  Körnchenhau- 
fen mehr   oder    minder    verdeckt   ist.     Dies    sind  die   Bildungen,    deren  ich 

Fig.  189. 


Durchschnitt  aus    dem    C.  striat.      *,*  Nervenbündel,     f  Capillargefäss    und    Körner  in 
einem  perivasculären   Raum. 


oben  bei  Beschreibung  des  medialen  C.  genicul.  gedachte.  In  dem  Streifen- 
hügel und  Linsenkern  kommen  daneben  grössere  Lücken  vor,  welche  meh- 
rere (2  bis  4)  Körner  oder  neben  einigen  Körnern  einen  Kern  enthalten, 
als  sei  jedes  Mal  nur  Einem  von  den  in  einer  Lücke  eingeschlossenen  Körnern 
gestattet,  sich  zur  Zelle  zu  entwickeln  (Fig.  189).  Und  wo  diese  Entwickelung 
am  weitesten  fortgeschritten  ist,  da  haben  sich  die  Moleküle  um  den  Kern 
zu  einer  festeren,  schärfer  abgegrenzten,  rundlichen  oder  eckigen  Hülle  ver- 
dichtet, die  die  Lücke  fast  vollständig  ausfüllt  und  nur  einen  schmalen 
Saum  übrig  lässt,  in  welchem  noch  da  und  dort  ein  Korn  Platz  findet. 

Anfänge  der  Zellenbildung,  wie  man  die  hier  geschilderten  Formen 
wohl  nennen  darf,  kommen  auch  in  den  übrigen  Ganglien  des  Grosshirns 
vor,  neben  ihnen  aber  reife  oder  ächte  [Nervenzellen,  deren  Kern 
von  einem  selbständigen,  körnigen ,  Aeste  aussendenden,  theilweise  far- 
bigen Protoplasma  umgeben  ist.  Klein ,  im  Mittel  0,02  Millimeter  im 
Durchmesser,  aber  dicht  gedrängt  und  gelb  pigmentirt  finden  sie  sich 
in     der   mittleren    Commissur.      Grössere     sternförmige,     gelbe   Zellen    von 


Gehirn.  261 

0,04  Millimeter  mittlerem  Durchmesser  enthält  das  Tuberc.  sup.  des  Tha- 
lamus 1) ,  welches  von  den  Fasern  der  absteigenden  Wurzel  des  Fornix 
umfasst  und  dadurch  scharf  begrenzt  ist,  ferner  das  Pulvinar  und  die  Um- 
gegend der  Taenia  thalami  opt.  ^) ,  und  von  diesen  Herden  aus  ziehen  sich 
die  ästigen  Zellen  oft  weit  in  die  übrige  Substanz  des  Thalamus.  Reich 
an  grossen,  ebenfalls  ästigen  und  gelb  pigmentirten  Zellen  ist  die  Substantia 
pei'forata  antica.  Auch  in  den  beiden  medialen  Zonen  des  Linsenkerns  fin- 
den sich  zwischen  den  mannigfaltig  verflochtenen  Nervenbündeln  zahlreiche 
gelbe,  ästige  Zellen,  in  ihrer  Form  denen  des  Thalamus  ähnlich,  aber  darin 
eigenthümlich ,  dass  sie  in  unverhältnissmässig  grossen,  an  Durchschnitten 
kreisrunden  hellen  Lücken  liegen.  Das  Claustrum  zeigt  die  Eigenthümlich- 
keit,  dass  es  durch  Kalilösung  kaum  durchsichtiger  wird  und  an  feinen 
Durchschnitten  sich  nur  mit  Mühe  von  den  weissen  Massen,  die  es  begren- 
zen, unterscheiden  lässt.  Die  Ursache  liegt  darin,  dass  die  Faserzüge,  die 
es  enthält,  ebenso  parallel  und  fast  ebenso  dicht  gedrängt  liegen,  wie  in  der 
benachbarten  weissen  Substanz.  Seine  in  der  That  wenig  intensive  Fär- 
bung ist  bedingt  theils  durch  die  abweichende  Richtung  der  Faserzüge, 
theils  durch  einen  grösseren  Reichthum  an  Gefässen,  theils  endlich  durch 
eingestreute  Nervenzellen  in  verschiedenen  Entwickelungsstadien ,  von  wel- 
chen die  Mehrzahl  gelb  pigmentirt  ist  und  durch  ihre  Spindelform  und  die 
beiden  in  entgegengesetzter  Richtung  abgehenden  Fortsätze  an  die  Zellen 
der  Columnae  vesiculares  des  Rückenmarks  erinnert. 

Die  Nervenfasern,  welche  die  Grosshirnschenkel  den  Hemisphären  zu-  Nerven- 
führen, lassen  sich  nach  ihrem  Verhalten  zu  den  Ganglien  und  Kernen  des  ^^®^"- 
Grosshirns  in  drei  Abtheilungen  bringen :  sie  durchsetzen  graue  Masse  oder 
enden  in  derselben  oder  verfolgen  ihren  Weg  zwischen  den  grauen  Mas- 
sen zur  Oberfläche  des  Gehirn^.  Zur  ersten  Art  gehören  die  Fasern  des 
Tegmentum  und  der  mit  ihnen  verlaufenden  Brachia  conjunctiva,  von  denen 
jedenfalls  der  bei  weitem  grösste  Theil  den  Thalamus  wieder  verlässt.  Fasern 
der  zweiten  Art  sahen  wir  von  der  Grosshirnschenkelfaserung  sich  abzweigen 
und  in  den  Streifenhügel  und  Linsenkern  eintreten.  Die  weisse  Nerven- 
masse, die  auf  Durchschnitten  jeder  Richtung  den  Linsenkern  vom  Thalamus 
und  Streifenhügel  scheidet^),  besteht  wesentlich  aus  Fasern  der  dritten  Art. 
Sie  ist  eine  Fortsetzung  der  Basis  der  Grosshirnschenkel,  vom  Eintritt  in 
den  Thalamus  an  durch  schichtweise  abwechselnde  Richtung  der  Fasern  auf 
dem  Durchschnitt  streifig.  Weiterhin  zwischen  Streifenhügel  und  Linsen- 
kern wird  die  Abtheilung  in  Blätter  deutlicher  (Fig.  181.  184,185);  sie  erhält 
sich  eine  Strecke  über  den  oberen  Rand  des  Linsenkerns,  die  Blätter  sind 
2  bis  3  Mm.  dick,  in  sagittaler  Richtung  comprimirt,   sie  strahlen  radienför- 


■^)  Nucleus  superior  thalami  Burda  eh.  Ein  .fvontalschnitt  durch  die  absteigende 
Wurzel  des  Fornix  giebt  Burdach  und  Arnold  Anlass,  den  Thalamus  in  drei  Kerne,  einen 
oberen,  inneren  und  äusseren,  zu  theilen.  Der  obere  ist,  wie  bemerkt,  identisch  mit  dem 
Tuberc.  sup.  Der  äussere  und  innere  sind  nur  soweit  unterscheidbar,  als  die  cylindrische 
Wurzel  des  Fornix  den  Thalamus  durchsetzt;  darum  giebt  Burdach  eine  Verschmelzung 
beider  Kerne  zu.  Den  weissen  Strang,  der  sie  trennt,  führt  er  als  Lamina  medullaris  tha- 
lami auf.  ^)  Grauer  Kern  des  Pedunculus  conaril  Reichert.  ^)  Innere  Wand  der  Kapsel 
Reil.     Innere  Kapsel  Burdach. 


262 


Gehirn. 


mig'vor-,  auf-  und  rückwärts  aus  und  enden  durch  Verschmelzung  zur  com- 
pacten weissen  Substanz  des  Markkerns. 

Bevor  ich  aiif  diese  eingehe ,  muss  ich  der  histologischen  Umwandlung 
der  weissen  Stränge  der  Centralorgane  gedenken,  die  zwar  schon  im  Brücken- 
theil  des  verlängerten  Marks  eingeleitet  wird,  aber  erst  mit  der  Ausstrah- 
lung der  Grosshirnschenkel  in  die  Hemisphären  ihre  Vollendung  erreicht. 

Bei  der  Beschreibung  der  Rückenmarksstränge  sowie  des  Markkerns 
des  Kleinkirns  habe  ich  des  wellenförmigen  Verlaufs  der  Faserbündel  ge- 
dacht, welcher  schmale  rhombische  Lücken  erzeugt,  in  denen  hier  und  da 
ein  Korn,  meistens  aber  nur  die  homogene  Substanz  enthalten  ist,  die  auch 
die  Interstitien  der  Primitivfasern  ausfüllt.  In  dem  Maasse,  wie  die  grö- 
beren Fasern  aus  den  Nervensträngen  verschwinden ,  werden  diese  Lücken 
relativ  und  p.bsolut  grösser.  Sie  machen  sich  oft  schon  an  den  strickförmi- 
gen  Strängen  bemerklich;  recht  auffallend  werden  sie  erst  an  den  Vierhü- 
gelschenkeln beim  Austritt  aus  dem  Kleinhirn  und  sie  erhalten  sich  in  deren 
Fortsetzungen,  den  sagittalen  Strängen  des  Tegmentum.  Feine  Querschnitte 
der  Vierhügelschenkel  zeigen  schon  bei  massiger  Vergrösserung  ein  löcheri- 
ges, fast  siebförmiges  Ansehen,  das  auf  den  ersten  Blick  an  den  Querschnitt 
der  Seitenstränge  des  Rückenmarks,  an  die  denselben  eigene  Vertheilung 
starker  und  feiner  Fasern  erinnert  (Fig.  190  A).  Aber  die  hellen  Kreise 
zeigen  sich  auch  an  Präparaten  ohne  vorherige  Aufhellung  des  Nerven- 
marks;  sie  enthalten  keinen  Axencylinder ,  sind  auch  grösser  als  die  Quer- 
schnitte der  stärkeren  Rückenmarksfasern  (bis  0,03  Mm.).  Auf  longitudina- 
len    Durchschnitten    (Fig.  190  B)   haben    dieselben   Räume    eine    elliptische 

Fig.  190  A  u.   B. 
A.  B. 


rc?>^  ^^^"o  -=< 


»'^iSkÄ 


iOÜ 

1 


400 
1 


Faserung  der  Vierhügelschenkel.  A  im   Querschnitt,   B  im  Längsschnitt.      Brönnerpräparat. 

oder  noch  mehr  in  die  Länge  gezogene  Form ;  sie  scheinen  Theile  eines  den 
Nervenstrang  der  Länge  nach  durchziehenden,  vielfach  anastomosirenden 
Röhrennetzes  zu  sein ,   dessen   Wandungen  allein  von  den   Nervenfasern  ge- 


Gehirn. 


263 


bildet  werden.  Es  fehlt  in  diesen  Strängen,  wie  man  durch  passende  Be- 
handlung der  Durchschnitte  erfahren  kann,  nicht  an  Körnern;  aber  diese 
liegen  versteckt  im  Inneren  der  Faserbündel,  nur  ausnahmsweise  an  deren 
Eande  oder  in  den  Lücken. 

Die  Stränge,  in  welche  die  Pyramiden  innerhalb  der  Brücke  sich  fort- 
setzen und  welche  jenseits  der  Brücke  als  Basen  der  Grosshirnschenkel  her- 
vortreten, zeichnen  sich  durch  eine  andere  und  eigenthümliche  Anordnung 
der  Körner  aus.  Auch  diese  Stränge  haben  auf  dem  Querschnitt  ein  mit- 
unter sehr  regelmässig  poröses  Ansehen ;  auch  ihr  Querschnitt  gleicht  dem 
Querschnitt  der  Eückenmarksstränge ,  welche  in  Abständen  starke  Nerven- 
fasern, umgeben  von  feinen,  enthalten,  und  die  Verwechselung  ist  um  so 
eher  möglich,  da  die  Lücken  der  Stränge  des  Gehirns  regelmässig  je  einen 
centralen  dunklen  Körper,  dem  Querschnitt  des  Axencjdinders  ähnlich,  ein- 
schliessen  (Fig.  191).  Aber  dieser  dunkle  Körj)er  ist  kein  Axency linder, 
sondern  ein  Korn  von  derselben  Grösse  und  Gestalt,  wie  die  Körner  der 
perivasculären  Räume.  Bei  einiger  Aufmerksamkeit  führt  schon  die  ver- 
schiedene Lichtbrechung,  zumal  an  Carminpräparaten,  zur  Unterscheidung' 
Y]o-.  191  tler     beiderlei     Gebilde, 

sodann  die  Aenderung 
des  Focus,  bei  welcher 
der  Axencylinder  länger 
sichtbar  bleibt  als  das 
Korn.  Am  entscheidend- 
sten aber  ist  die  Controle 
des  Querschnitts  durch 
den  Längsschnitt,  der 
an  der  Stelle  des  ver- 
meintlichen Axencylin- 
ders  einzelne  Körner 
oder  Reihen  derselben, 
umgeben  von  hellen 
Säumen,  zeigt  (Fig.  192). 
Ganz  allmälig  treten  die- 
se körnerhaltigen  Lücken 
an  die  Stelle  der  stärke- 
ren Nervenfasern.  Die 
Umwandlung  nimmt, 
wie  erwähnt ,  schon  im 
Brückentheil  des  verlän- 
gerten Marks  ihren  Anfang.  Sie  breitet  sich  in  den  sagittalen  Bündeln  der 
reticulären  Substanz  von  unten  nach  oben  aus,  dergestalt,  dass  auf  dem 
Querschnitt  eines  Bündels  kreisförmige  Lücken  mit  centralen  Axencylin- 
dern  und  mit  centralen  Körnern  nebeneinander  zum  Vorschein  kommen 
und  je  weiter  nach  vorn,  um  so  mehr  die  Lücken  der  letzteren  Art  das 
Uebergewicht  erlangen.  Sie  ist  an  den  Pyramidenbündeln  bei  deren  Aus- 
tritt aus  der  Brücke  in  der  Regel  schon  vollendet :  nur  feinste  Fasern  sind 
übrig  geblieben ,  deren  Querschnitt  ein  aus  dunklen  Punkten  zusammenge- 
setztes Gitterwerk  darbietet  mit  regelmässig  kreisrunden  Maschen  von  0,012 


Querschnitt  des  Pyi'amidenstrangs  im  vorderen  Theil  der 
Brücke.  Die  kreisförmigeu  Lücken  enthalten  zum  Theil 
Körner,  zum  Theil  Querschnitte  starker  Nervenfasern,  wel- 
che an  dem  concentrisclien  äusseren  Coutur  kenntlich  sind, 
zum  Theil  collahirte  Gefässe. 


264 


Gehirn. 


im  Centrum    dieser  Maschen 
Fiar.  192. 


Verlauf  der 
Fasern. 


bis  0,015  Mm.  Diirclimesser  und  je  einem  Korn  von  0,006  Mm.  Durchmesser 

Der  Durchmesser  der  Fasern  selbst  schwankt 
in  bestimmten  Grenzen,  und  die  Feinheit  ist 
auch  insofern  relativ  atifzufassen ,  als  ver- 
schiedene Gehirne  bei  gleicher  Behandlung 
durchgängig  verschiedenes  Kaliber  besitzen. 
Meistens  erreicht  die  Mehrzahl  der  feinsten 
Fasern  kaum  0,001  Mm.,  so  dass  ihre  Quer- 
schnitte nur  schwer  von  der  granulirten 
Neuroglia  zu  unterscheiden  sind,  und  der 
Durchmesser  der  stärkeren  unter  ihnen  er- 
hebt sich  nicht  über  0,003  Mm.  Doch  ka- 
men mir  auch  Gehirne  vor,  in  denen  der 
Durchmesser  der  feinsten  Fasern  sich  zwi- 
schen 0,0013  und  0,002  Mm.  hielt  und  stär- 
kere bis  zu  0,007,  einzelne  bis  0,01  Mm. 
Durchmesser   beigemischt  waren. 

Die  eben  berichtete  successive  Verände- 
rung der  Faserstränge  legt  die  Frage  nahe, 
ob  die  zuerst  in  ihnen  enthaltenen  stärke- 
ren Fasern  sich  zu  feinen  verjüngen  oder  ob 
sie  die  Stränge  verlassen  und  den  feinen 
Fasern,  in  deren  Gesellschaft  sie  anfangs 
verlaiifen,  gleichsam  das  Feld  räumen.  Ich 
glaube  nicht,  dass  sich  hierauf  jetzt  schon 
eine  bestimmte  Antwort  geben  lässt.  An 
Gelegenheit  zu  verschwinden  fehlt  es  den 
starken  Fasern  der  reticulären  Substanz 
nicht;  die  in  derselben  zerstreuten  grossen 
sternförmigen  Zellen  scheinen  zahlreich  ge- 
nug, um  die  Verminderung  der  starken  Fa- 
sern imter  der  Voraussetzung  zu  erklären, 
dass  jede  als  Axencylinderfortsatz  einer  Ner- 
venzelle ende.  Aus  den  Pyramidensträngen 
scheinen  durch  die  gegen  die  reticuläre  Substanz  aufsteigenden  Bündel 
(S.  211)  vorzugsweise  starke  Fasern  auszuscheiden;  auch  könnten  die  Ner- 
venzellen der  Brückenschenkel  zur  Aufnahme  stärkerer  Pyramidenfasern  die- 
nen. Auf  der  anderen  Seite  ist  die  Faserzahl  der  Pyramiden  beim  Austritt 
aus  der  Brücke  anscheinend  grösser,  als  ihr  Gehalt  an  feinen  Fasern  vor  der 
Brücke.  Der  Zuwachs  spräche  für  einen  Uebergang  der  starken  Fasern  in 
feine,  wenn  man  nicht  auch  an  die  Möglichkeit  der  Beimischung  neuer  Fa- 
sern aus  den  Zellen  der  Brücke  denken  müsste. 

Was  nun  die  Fasersubstanz  der  Grosshirnhemisphäre  betrifft,  so  glei- 
chen die  Bündel  derselben  im  Allgemeinen  den  eben  beschriebenen,  von 
körnerhaltigen  Lücken  durchzogenen  Bündeln  der  Hirnschenkelbasis.  Doch 
werden  diese  selbst  nach  ihrem  Eintritt  in  die  HemisjDhäre  und  während 
sie  zwischen  Thalamus  und  Streifenhügel  einerseits  und  Linsenkern  anderer- 
seits schi-äg  vor-  und  aufwärts  ziehen,   gekreuzt  von  seitwärts  und  minder 


Länsjsschnitt  des   Grosshirnschenkels. 


Gehirn. 


265 


steil  aufsteigenden  Bündeln  stärkerei"  Fasern,  die  sich  lagen  weise  von  zwei 
Seiten  her  zwischen  jene  einschieben.  Die  Einen  habe  ich  bereits  erwähnt;  sie 
Fig.  193.  gehen  aus  der  lateralen  Fläche  des  Tha- 

lamus hervor  (Fig.  193)  und  lassen  sich 
rückwärts  zum  Tegmentum,  ja  vermöge 
der  Kreiizung  der  transversalen  Fasern 
der  Tegmente  zum  Tegmentum  der  an- 
deren Seite  verfolgen.  Die  anderen  (Fig. 
194*)  schlagen  sich,  ebenfalls,  um  den 
medialen  Rand  der  Basis  an  deren  un- 
tere Fläche,  über  die  sie  sich  fächerför- 
B'  Tho  mig   ausbreiten,   und   dringen  von  unten 

Horizontalsclinitt  durch  den  unteren  Theil  her  zwischen  die  Bündel  der  Basis  ein, 
des  Thalamus  (Tho),  um  die  aus  demsel-  während  zugleich  in  entgegengesetzter 
ben  in  die  Fortsetzung  der  Basis  (£')^us-  Richtung,  um  den  lateralen  Rand  des 
strahlenden    Fasern    zu    zeio;en.      Cf  Co-      „  ,  .  m        , 

1  „     .  .        .        .         •     AT-11     ?      Cirosshirnschenkeis,  dem    iractus  opticus 

lumna  fornicis.     Aus  emem  in  Muller'-  '  J^ 

scher  Flüssigkeit  erhärteten  Gehirn.         entlang,  Fasern   medianvorwärts   laufen, 
Fig.  194.  diö  dem  Thalamus  entstammen  (Fig.  194). 

In  der  ganzen  Ausstrahlung  der 
Hirnschenkel,  die  man  Stabkranz 
nennt,  erhält  sich  derselbe  Bau,  wer- 
den die  gegen  die  Randwülste  aufstei- 
genden Lagen  feiner  Fasern ,  die  an 
den  Bruchflächen  erhärteter  Gehirne 
zum  Vorschein  kommen ,  von  trans- 
versalen Lagen  zum  Theil  stärke- 
rer Fasern  fast  rechtwinklig  ge- 
kreuzt. In  der  Mitte  des  Mark- 
kerns der  Hemisphäre  haben  die 
aufsteigenden  Fasern  das  Ueberge- 
wicht;  die  Schichten  derselben  sind 
0,04  bis  0,12  Mm.  mächtig,  wäh- 
rend die  zwischen  denselben  sich 
hindurchschlängelnden  transversa- 
len Bündel  nur  aus  wenigen  Fasern 
l)estehen  und  nur  selten  eine  Mäch- 
tigkeit von  0,025  Mm.  überschrei- 
ten. Medianwärts  gegen  den  Bal- 
ken treten  allmälig  die  verticalen 
Fasern  zurück  und  im  Balken  selbst 
verschwinden  sie  völlig;  es  bleiben 
nur  transversale  und  zwar  nur  die 
v«|  feineren    Fasern    der    transversalen 

,„    ,      ,      ^       ,  .  T^      ,n  Bündel  übrig ;  zeigen  sich  doch  zwi- 

Untere  Hache  des    Grosshirns.     Der   iract.  op-  °'  vi 

ticus(//')  theilweise  entfernt,  um  die  von  ihm  sehen  denselben   spärliche    sagittaie 

bedeckte     Faserstrahlung     zu    zeigen.      T    Teg-  FaserzÜge,  die    sich    einerseits   VOm 

ment    B  Basis,  S«  Subst.  nigra  des  querdurch-  -p^^^^-^    andererseits  vom  Gyrus  for- 
schnittenen  GWasshirnschenkels.     Cca  C  candic.  '  "^ 

Co  Chiasma  opt.     /  N.  olfact.    II  N.  opt.  nicatus    her   eingedrängt    zu   haben 


266  Gehirn. 

scheinen.  Ob  Fasern  des  Stabkranzes  in  den  Balken  umbiegen,  wie  der 
Frontalschnitt  des  Grossbirns  anzunehmen  erlaubt  und  ich  der  bequemeren 
Auffassung  des  Zusammenhangs  zu  Liebe  angenommen  habe  (S.  131),  lässt 
sich  auf  Grund  der  mikroskopischen  Untersuchung  weder  versichern  noch 
verneinen.  Denn  die  weisse  Substanz,  welche  den  Winkel  begrenzt,  den  der 
Balken  mit  dem  Streifenhügel  bildet  (Fig.  188*),  besteht  aus  dicht  verfilz- 
ten feinen  Fasern  der  verschiedensten  Richtungen,  deren  Herkunft  und  Ver- 
lauf sich  der  Beobachtung  entzieht  ^).  Sie  füllen  den  Raum  zwischen  den 
Fortsetzungen  der  Grosshirnschenkel  und  dem  Balken  aus,  mischen  sich 
mit  den  leicht  abwärts  geneigt  aus  dem  Markkern  hervorgehenden  Quer- 
fasern des  letzteren  und  erstrecken  sich  als  dünner,  zugeschärfter  Ueber- 
zug  auf  die  Oberfläche  des  Streifenhügels. 

Auch  die  cylindrischen  strangförmigen  Gebilde  des  Grosshirns,  die  dem 
blossen  Auge  den  Eindruck  paralleler  Faserung  machen,  sind,  soweit  sie 
durch  die  Hemisphären' ziehen,  aus  rechtwinklig  gekreuzten  Faserbündeln 
zusammengesetzt.  Ihr  Querschnitt  gleicht  dem  Querschnitt  peripherischer 
Nerven,  aber  die  Stelle  des  Bindegewebes,  welches  bei  diesen  die  Nerven- 
bündel scheidet,  nehmen  bei  jenen  die  in  der  Ebene  des  Querschnittes 
verlaufenden  Nervenfaserbündel  ein.  So  wird  der  absteigende  Schenkel  des 
Fornix  auf  seinem  ganzen  Wege  innerhalb  des  Thalamus,  der  aufsteigende 
innerhalb  des  Tegmentum  durch  transversale  Faserzüge  in  Bündel  zerlegt 
und  nur  im  C.  candicans  verlaufen  die  Fasern  concentrisch  schleifenförmig, 
jedoch  auch  nur  an  der  Oberfläche  in  zusammenhängender  Schichte  ;  die  in- 
neren zerstreuen  sich  in  grauer  Substanz  um  so  mehr,  je  näher  dem  Centrum; 
die  graue  Substanz  ist  reich  an  ästigen  Zellen  mittlerer  Grösse  2).  Erst  an 
der  unteren  Fläche  des  Balkens  wird  der  Fornix  zu  einem  Strang  paralle- 
ler, sagittaler  Fasern,  der  sich  durch  die  gleichmässige  Feinheit  seiner  Ele- 
mente und  durch  die  grosse  Zahl  körnerhaltiger  Lücken  auszeichnet.  Die 
Fimbria,  die  ihn  begleitet,  hat  den  nämlichen  Bau. 

Aus  durchgängig  feinen  Fasern  bestehen  auch  die  -zwischen  dem  Bal- 
ken und  dem  Fornix  ausgespannten  Lamellen  des  Septum  lucidum ;  doch  ist 
ihre  Anordnung  ebenso  variabel  wie  die  äussere  Form  dieses  Gebildes. 
Häufig  sind  sie  in  Bündel  gesondert,  die  in  gekreuzter  Richtung  verlaufen, 
die  meisten  rückwärts,  einzelne  dem  Schnabel  des  Balkens  folgend  vorwärts 
aufsteigend.  In  anderen  Fällen  bilden  sie  einen  dichten  Filz ,  in  welchem 
weder  Abtheilungen  noch  vorherrschende  Richtungen  zu  unterscheiden  sind. 
Eine  feinkörnige  Rindenschichte  bekleidet  die  äussere  und  soweit  sie  den 
Ventrikel  des  Septum  lucidum  begrenzt,  die  innere  Oberfläche  der  Lamelle; 
wenn  die  letztere  eine  grössere  Mächtigkeit  erreicht,  scheidet  eine  der 
Oberfläche  parallele  feine  (0,2  Millimeter  mächtige)  Schichte  feinkörniger 
Substanz  die  Nervenfaserschichte  in  zwei  Lagen,  und  diese  intermediäre 
graue  Schichte  enthält  bald  nur  Körner,   bald  kleine,  sternförmige  Zellen. 


0  Wegen  Jer  mit  unzulänglichen  Mitteln  über  diesen  Punkt  geführten  Controverse 
verweise  ich  auf  Arnold's  Bemerliungen  S.  73.  ^)  Dies  ist  der  Kern  des  C.  candicans, 
den  Burdach  (II,  138),  weil,  ihm  die  den  Kern  durchziehenden  Fasern  entgingen,  dem 
Stein  vergleicht,    der    auf  dem   Boden  einer  Schleuder  liegt. 


Gehirn. 


,267 


Immer  hat  eine  relativ  starke  Arterie,  die  die  Lamina  septi  lucidi  der  Länge 
nach  durchzieht,  ihre  Lage  in  der  Nerveufaserschichte. 

Die  vordere  Commissur  enthält,  so  weit  man  sie  aus  der  Masse  der  He- 
misphären ausschälen  kann,  ausschliesslich  feine  Fasern  der  Einen  transver- 
salen Richtung;  nur  der  zwischen  den  Columnen  des  Fornix  freiliegende 
Theil  besitzt  einen  Ueberzug  von  Nervenfasern,  welche  den  Strang  ringför- 
mig umgeben. 

In  der  dünnen  Schichte  weisser  Substanz,  welche  zwischen  Linsenkern 
und  Claustrum  eingeschaltet  ist,  der  Kapsel,  Capsula^  nach  Arnold's  Be- 

Fig.  195. 
Cp 


Coa 


Horizontalschnitt  durch  den  von  der  Insel  begrenzten  Tlieil  der  Grosshirnhemisphäi'e, 
dicht  über  dem  Boden,  aus  einem  in  Weingeist  gehärteten  Gehirn.  Unterer  Abschnitt, 
längs  den  Grenzen  der  grauen  und  weissen  Massen  auseinander  gezogen.  Ntg  Nucleus 
tegmenti.  B'  Fortsetzung  der  Basis.  Nl  Nucl.  lentif.  Cp  Kapsel.  '"'  Lücke,  aus  wel- 
cher das  Claustrum  entfernt  ist.  Coa'  Strang  der  Commiss,  ant.  i?«/ Auisteigende 
Wurzel  des  Fornix.     //'   Tractus,  //  N.    opticus. 

Zeichnung  1),  sind  die  Fasern  strahlenförmig  gegen  die  untere  Fläche  des 
Gehirns  und  gegen  die  Substantia  perforata  antica  gerichtet,  in  die  sie  von 
beiden  Seiten  übergehen  (Fig.  195). 

In  dem  Hinterlappen  verlieren  sich  die  transversalen  Fasern  und  die 
sagittalen  sammeln  sieb  zu  einem  Strang,  dem  Fasciculus  longitudinalis 
(S.  148),  der  an  der  lateralen  Seite  des  Hinterhorns  zwischen  zwei  Lagen 
von  verticaler  oder  der  verticalen  sich  nähernder  Richtung  hinzieht  und 
sich  auf  Frontalschnitten  schon  durch  das  mattere  Weiss  bemerklich  macht 
(Fig.  88). 

Der  rechtwinklig  gekreuzte  Verlauf  der  Fasern  erhält  sich  an  manchen 
Stellen  bis  an  die  Oberfläche  der  Grosshirnhemisphären,  ja  bis  in  die  Rand- 
wülste :  so  ist  z.  B.  der  mächtige  sagittale  Faserzug,  der  die  weisse  Substanz  des 
Gyi'us  fornicatus  bildet,  in  seiner  ganzen  Länge  von  transversalen  in  die  graue 


^)  Aeussere  Wand  der  Kapsel  Reil.     Aeussere  Kapsel  Burdach. 


268  Gehirn. 

Rinde  ausstraUeiiden  Fasern  durchzogen.  Unter  den  breiten  Randwülsten 
des  oberen  Lappens  lösen  sieb  die  Bündel  des  Markkerns  in  ein  Gewirr  von 
vereinzelten  Fasern  aller  Riebtungen  auf.  Meistens  aber  bleiben  an  der 
Oberfläche  des  Gehirns  von  den  im  Markkern  einander  kreuzenden  Bündeln 
nur  Fasern  Einer  Richtung  übrig.  Der  Kamm  weisser  Substanz,  der  das 
Gerüst  der  höheren  Randwülste  bildet,  besteht  aus  parallelen,  senkrecht  zur 
freien  Oberfläche  aufsteigenden  Fasern.  Im  Grunde  der  Furchen  zwischen 
je  zwei  benachbarten  Randwülsten  scheint  wenigstens  ein  Theil  jener  Fasern 
in  auswärts  concaven  Bogen  von  einem  Randwulste  auf  den  anderen  überzu- 
gehen ^),  und  noch  weiter  nach  innen  begegnet  man  einer  mehr  oder  minder 
mächtigen  Lage  ungemischter  Fasern,  deren  Verlauf  dem  Zug  der  Windun- 
gen folgt.  Es  ist  leicht,  diese  Ergebnisse  der  mikroskopischen  Untersuchung 
mit  freiem  Auge  an  Durchschnitten  der  Hemisphären  zu  bestätigen,  wenn 
man  auf  die  feinen  Farbennüancen  achtet ,  die  der  Längs  -  und  Querschnitt 
der  Nervenfasern  bei  gewisser  Beleuchtung  hervorbringt.  Je  nachdem  das 
Licht  einfällt,  begleitet  den  unteren  Contur  der  grauen  Substanz  ein  glän- 
zend weisser  Saum  von  0,75  Mm.  Breite,  der  gegen  das  mattere  Weiss  der 
tieferen  Schichten  hinreichend  absticht. 

Auf  das  Verhalten  der  Fasern  in  dem  grauen  Ueberzug  der  Randwülste 
habe  ich  nun  näher  einzugehen. 


Textur  der  Zur  Erforschung  des  Baues  der  Randwülste  eignen  sich  am  besten  die 

höheren  und  auf  längeren  Strecken  gerade  verlaufenden  Windungen  des 
vorderen  und  oberen  Lappens,  sowie  die  einfachen  Windungen  der  Insel. 
An  einem  feinen,  senkrecht  auf  den  Verlauf  einer  solchen  Windung  gerich- 
teten, mit  Kalilösung  oder  Essigsäure  aufgehellten  Durchschnitt  sieht  man 
von  dem  centralen  Stamm  weisser  Substanz,  der,  wie  erwähnt,  aus  paralle- 
len zur  freien  Oberfläche  des  Randwulstes  gerade  aufsteigenden  Fasern  be- 
steht, feine  Bündel  dicht  gedrängt  und  in  Zwischenräumen,  deren  Breite 
ungefähr  der  Breite  der  Bündel  entspricht,  abgehen  und  in  den  grauen 
Ueberzug  der  Markleiste  eintreten  (Fig.  196).  Der  graue  Ueberzug  hat, 
je  nach  der  Breite  der  Randwülste,  eine  Mächtigkeit  von  2  bis  3  Mm.  Der 
Durchmesser  der  Bündel  beträgt  0,012  bis  höchstens  0,02  Mm.;  dass  sie 
cylindrisch  sind,  davon  überzeugt  man  sich  an  Schnitten,  welche  der  Ober- 
fläche der  Windung  parallel  und  in  der  richtigen  Mitte  zwischen  der  Ober- 
fläche und  der  Markleiste  geführt  sind;  solche  Schnitte  sehen  nach  Behand- 
lung mit  Kalilösung  einem  Pantherfell  ähnlich  gefleckt  aus.  Die  Richtung 
der  Bündel  ist  überall  eine   zur   Oberfläche   senkrechte:   gegen   die  höchste 


^)  Sie  entsprechen  dem  Verlaufe  nach  den  Laniinae  arcuatae  gyrorum  Arnold  {Fi- 
hrae  propriae  Gratiolet,  Associationssysteme  Meynert),  muldenförmigen  von  dem  Ab- 
hang Einer  Windung  auf  die  andere  übergehenden.  Lamellen,  welche  man  erhält,  wenn  man 
an  gehärteten  Gehirnen  die  graue  Rinde  entfernt  und  die  weisse  Substanz  lagenweise  abzu- 
lösen sucht.  Doch  werden  bei  dieser  rohen  Operation  Faserzüge  der  verschiedensten  Rich- 
tungen mitgerissen  und  die  Schichte  der  die  Randwüiste  verbindenden  Fasern  erscheint  viel 
mächtiger,  als  sie  wirklich  ist. 


Gehirn. 


269 


Wölbung  des  Randwiilstes  verlaufen  sie  also  in  der  Flucht  der  Fasern  der 
Markleiste,  gegen  die  Abhänge  mehr  und  mehr  geneigt  und  um  an  die  seit- 
lichen Flächen  des  Eandwulstes  zu  gelangen,  biegen  sie  geradezu  unter 
rechtem  Winkel  um,  so  dass  ein  der  Basis  des  Randwulstes  paralleler  Schnitt 

Fig.  196. 


Senkrechter  Durclischuitt    eines    Randwulstes  des    Vorderlappens,    senkrecht   auf   dessen 
Verlauf.     Kalipräparat.     Am  linken  Rand  ist  die  Gefässhaut  mit  den   von  ihr  ausgehen- 
den Gefässstänimchen  angedeutet. 

die  Fasern  der  Markleiste  im  Querschnitte,  die  von  ihr  ausgehenden  Bündel- 
chen im  Längsschnitte  zeigt  (Fig.  197).  Dass  dabei  die  Markleiste  von  der 
Basis  gegen  die  Spitze  oder  vielmehr  gegen  die  Schneide  allmälig   schmaler 


Fiff.  197. 


Flächenschnitt  eines  Randwulstes. 


werden  muss,  versteht  sich 
von  selbst,  doch  bewirkt 
mitunter  die  Divergenz 
der  Fasern  am  oberen 
Ende  der  Markleiste,  dass 
sie  aufwärts  an  Breite  zu- 
zunehmen scheint.  Wirk- 
lich keulenförmig,  mit  ver- 
dicktem oberen  Ende  er- 
weisen sich  die  Marklei- 
sten der  Randwülste,  die 
im    Begriff    stehen,     sich 


Kalipräparat. 

durch  eine  Furche  zu  theilen. 

Die   in   die   graue   Rinde   einstrahlenden   Faserbündelchen   durchsetzen 
diese  bis  etwa  zur  äusseren   Grenze   des   zweiten   Drittels   ihrer  Breite   u.nd 


270  Gehirn. 

enden  dann  in  einer  der  Peripherie  des  Randwulstes  concentrisclien  Linie 
selbständig,  ohne  Verbindung  unter  einander,  mit  einer  Zuspitzung,  welche 
dadurch  entsteht,  dass  einzelne  Fasern  des  Bündelchens  die  anderen  um  ein 
Geringes  überragen.  So  wenigstens  stellt  sich  das  Bild  an  Kali-  und  Essig- 
säurepräparaten dar,  an  welchen  Bündel  und  bei  hinreichender  Vergrösserung 
auch  einzelne  Fasern  als  Reihen  feiner  starklichtbrechender  Myelinkörnchen 
zu  erkennen  sind.  Damit  ist  die  Vermuthung  nicht  ausgeschlossen ,  dass 
das  Ende  der  Faser  nur  das  Ende  der  Markscheide  bedeute,  über  welche 
hinaus  der  Axencylinder  seinen  Weg  fortsetze.  Indessen  haben  die  Metho- 
den, durch  welche  anderwärts  die  Auffindung  nackter  Axencylinder  gelun- 
gen ist,  kein  anderes  Resultat  ergeben. 

Die  Masse,  welche  die  Zwischenräume  der  Nervenbündel  erfüllt  und 
über  den  Spitzen  derselben  zu  einer  continuirlichen  Schichte  zusammenfliesst, 
dürfte  im  Gegensatz  zu  den  Nervenbündeln  graue  Substanz  im  engeren 
Sinne  genannt  werden,  wie  man  an  der  Rindensubstanz  der  Niere  Mark- 
strahlen und  Rindensubstanz  „im  engeren  Sinne"  unterscheidet.  Sie  be- 
steht aus  der  überall  verbreiteten  feinkörnigen  Substanz  mit  spärlichen  Kör- 
nern und  aus  Zellen,  welche,  so  weit  sie  die  Zwischenräume  der  Fasern 
einnehmen,  in  entsprechenden  Reihen  geordnet  sind.  Die  Zellen  sind  von 
zweierlei  Art,  kugelige  und  verästelte.  Die  kugeligen,  die  ich  nur  der  Kürze 
wegen  so  nenne,  unterscheiden  sich  nicht  von  den  rudimentären  Zellen  des 
Streifenhügels  und  Linsenkerns:  die  Kugelform  kommt  eigentlich  nur  den 
hellen  Lücken  der  feinkörnigen  Substanz  zu,  welche  je  einen  runden  oder  ellip- 
tischen Zellenkern,  umgeben  von  einem  bald  diffusen,  bald  schärfer  begrenz- 
ten Körnerhäufchen  und  daneben  zuweilen  ein  Korn  oder  mehrere  enthalten. 

Die  verästelten  Zellen  haben  grösstentheils  Pyramidenform  und  diese 
Form  ist  für  die  Rindensubstanz  des  Grosshirns  charakteristisch;  sie  liegen 
ebenfalls  in  hellen  Räumen  von  kugeliger,  im  Durchschnitt  kreisförmiger  Ge- 
stalt, füllen  dieselben  aber  ziemlich  vollständig  aus  und  haben  seltener  ein 
Korn  neben  sich.  Sie  sind  gelb  pigmentirt ,  an  der  Basis  im  Mittel 
0,015  Millimeter  breit  und  haben  einen  Kern  von  0,01  Millimeter 
Durchmesser,  der  aber  häufig  unregelmässig,  eckig,  dem  Contur  der  Zelle 
entsprechend  eingebogen  ist.  Mit  seltenen  Ausnahmen  wenden  die  pyra- 
midenförmigen Zellen  der  Oberfläche  des  Randwulstes  die  Spitze,  der  Mark- 
substanz die  Basis  zu  (Fig.  198).  Von  der  Basis  senden  sie  feine  und  durch  Ver- 
ästelung alsbald  noch  mehr  sich  verfeinernde  Fortsätze  aus.  Häufig  bekommt 
man  deren  drei  zu  Gesicht,  je  einen  von  jeder  Ecke  und  einen  von  der 
Mitte  des  hinteren  Randes;  der  letztere^)  verläuft  gerade  nach  innen,  die 
beiden  seitlichen  verlaufen  in  der  Flucht  des  hinteren  Randes  seitwärts, 
biegen  aber,  wenn  sie  nicht  früher  abgeschnitten  enden,  in  einiger  Entfer- 
nung vom  Ursprung  ebenfalls  nach  innen  um.  Oft  genug  sieht  man  den 
Einen  oder  anderen  dieser  Fortsätze  in  einem  der  von  der  Markleiste  aus- 
strahlenden Nervenbündel  sich  verlieren,  um  annehmen  zu  dürfen,  dass  es 
ihre  Bestimmung  sei,  in  Nervenfasern  überzugehen^).     Die  Spitze  der  pyra- 


^)  Mittlerer  Basalfortsatz  Meynert.  ^)  Koschennikoff  (Arch.  für  mikroskop.  Anat. 
V,  374)  sah  den  mittelsten  unverästelten  Fortsatz  einer  pyramidenförmigen  Nervenzelle  des 
Grosshirns  sich  mit  einer  Markscheide  umtreben.  i 


Gehirn. 


271 


Fig.  198. 


,i^- 


<t 


midenförmigen    Nervenzellen    setzt 
sich    in    einen    geraden,    einfachen, 
nur    selten    unter    spitzem    Winkel 
gabiig  getheilten,  der  Peripherie  zu- 
strebenden   Faden  ^)    fort ,    den    ein 
Fortsatz    der  kugelförmigen   Lücke 
einer  Scheide  ähnlich  begleitet.    An 
feinen,  senkrecht  zur  Oberfläche  ge- 
führten Schnitten    aus   Müller' scher 
Flüssigkeit    lässt    sich    der  Fortsatz 
der  Zelle,  allmälig   verfeinert,    eine 
Strecke    weit  in    den    Fortsatz    der 
Lücke    verfolgen;    dann    bleibt    der 
letztere  allein  übrig  in   Form   eines 
hellen,  gleichsam  ausgesparten  Strei- 
fens von  0,002  bis  0,003  Mm.  Durch- 
messer,  welcher  ungetheilt,   gerade 
oder  in  sehr  leichten  AVellenbiegun- 
gen,  zur  Peripherie  zieht   und  nahe 
unter    der    Oberfläche   entweder   in 
der  feinkörnigen  Substanz  sich  ver- 
liert   oder    in    der    sogleich    zu    be- 
schreibenden  netzförmigen  Schichte 
sich  dem  Auge   entzieht   (Fig.  198). 
Flächenschnitte    (Fig.  199)    zeigen, 
an  der   Stelle    dieser  Bündel  heller 
Streifen ,  kreisförmige   Gruppen  fei- 

Fig.  199. 


1-1 


mm 


mmiüii 


Senl^recht  zur  Oberfläche  geführter  Schnitt  eines 
Randwulstes  der  Grosshirnrinde. 


Flächenschnitt  eines  Randwulstes  der 
Grosshirnrinde. 


ner  Lücken.  An  Carminpräparaten, 
sowie  an  solchen ,  die  in  Fleckwas- 
ser die  glänzende  Beschaffenheit  an- 
genommen haben,  werden  die  Lücken 


^)  Spitzenfortsatz  Me3'nert.      Hauptfortsatz  Arndt. 


272  Gehirn. 

undeutlich,    dagegen    lassen    sich    die    Zellenfortsätze    viel   weiter   nach  der 
Peripherie  verfolgen. 

Am  Schlüsse  der  Beschreibung  der  hellen  Räume ,  in  welchen  die  mehr  oder 
minder  entwickelten  Zellen  der  grauen  Substanz  enthalten  sind,  muss  die  Frage 
aufgeworfen  werden,  welcher  Art  der  helle  Inhalt  dieser  Räume  sei,  ob  eine  Flüs- 
sigkeit oder  eine  feste,  vielleicht  gallertai'tige  Substanz.  Die  Form  der  ähnlich 
hellen  Räiune  zwischen  den  Neivenfaserbündeln  der  weissen  Masse  (S.  262)  und 
die  Körnerreihen,  welche  in  denselben  enthalten  sind ,  legen  den  Gedanken  an 
Lymphräume  nahe.  Ich  wüsste  es  damit  nur  nicht  zu  reimen,  dass  die  Körper- 
(?hen  auf  Querschnitten  so  überwiegend  häufig  genau  central  liegen,  da  man  von 
den  in  Lymphräumen  enthaltenen  Lymphkörj)erchen  doch  erwarten  müsste, 
dass  sie  beim  Gerinnen  oder  Ausfliessen  der  Flüssigkeit  sich  an  die 
"Wand  anlegten.  Bezüglich  der  hellen  Lücken ,  in  welchen  die  Pyrami- 
denzellen der  Grosshirnrinde  enthalten  sind  ,  sprach  Ober  steine  r  (über 
einige  Lymphräume  im  Gehirn.  Aus  dem  61.  Bande  der  Wiener  Sitzungsberichte) 
die  Meinung  aus,  dass  sie  Anhänge  des  Lymphgefässsystemes  seien.  Er  beruft 
sich  auf  die  neben  den  Pyramidenzellen  vorkommenden_,  den  LymphköriDerchen 
ähnlichen  Körner  und  auf  das  Resultat  seiner  Injectionen,  bei  welchen  sich  mit 
den  perivasculären  Räumen  zugleich  die  besagten  Lücken  mit  der  farbigen  Masse 
füllten.  Ich  kann  der  Injection  in  diesem  Falle,  da  sie  mittelst  Einstichs  ausge- 
führt wurde,  eine  beweisende  Kraft  nicht  zugestehen,  und  lege  grösseren  "Werth 
auf  die  Vergleichung  der  Diirchschnitte ,  die ,  in  welcher  Richtung  sie  gemacht 
-wurden,  die  Lücken  stets  mit  Ausnahme  des  Fortsatzes,  der  den  peripherischen 
Zellenausläufer  begleitet,  nach  allen  Seiten  geschlossen  zeigten.  In  Gehirnen,  in 
welchen  die  Zersetzung  bereits  begonnen  hat,  findet  man  fast  regelmässig  ausser 
dem  normalen  Inhalte  der  Lücken  mannigfaltig  gestaltete  Myelintropfen  und  könnte 
sich  dadurch  zu  dem  Schlüsse  bewogen  fühlen,  dass  der  Inhalt  der  Lücken,  um 
von  dem  Mj-elin  verdrängt  zu  werden,  flüssig  gewesen  sein  müsse.  Doch  könnte 
dieser  flüssige  Zustand  ebensowohl ,  wie  die  Ausscheidung  des  Myelin ,  erst  nach 
dem  Tode  eingetreten  sein.  Immerhin,  mag  der  Stoff,  der  die  Lücken  erfüllt,  fest 
oder  flüssig  sein ,  so  zeigt  er  sich  darin  eigenthümlich  ,  dass  er  sich  in  allen  Rea- 
gentien  klar  und  durchsichtig  erhält.  Wenn  er  sich  in  Carmin  färbt,  so  geschieht 
es  jedenfalls  mit  so  geringfer  Intensität,  dass  auch  dadurch  eine  Entscheidung  nicht 
zu  gewinnen  ist. 

In  der  Regel  ordnen  sich  die  Zellen  der  Grosshirnrinde  in  drei  Zonen 
dergestalt,  dass  zwei  Zonen  kugeliger  Zellen  eine  Zone  einfassen,  in  wel- 
cher pyramidenförmige  Zellen  die  Stelle  der  kugeligen  einnehmen.  Zu- 
nächst an  die  Nervenfaserschichte  schliessen  sich  also  an  senkrechten  Durch- 
schnitten der  Rindensubstanz  kugelige  Zellen  von  verschiedenen  Dimensio- 
nen, zahlreich  aber  regellos  zerstreut  und  zwischen  denselben  verästelte 
Zellen  von  unregelmässiger,  aber  meist  parallel  der  Oberfläche  in  die  Länge 
gezogener  Gestalt  (Fig.  200);  sodann  folgen  neben  kugeligen  die  pyra- 
midenförmigen Zellen  in  etwas  regelmässigeren  Reihen  übereinander  und 
über  diesen  wieder  grosse  und  kleine  kugelige  Zellen,  und  immer  fallen  die 
pyramidenförmigen  Zellen  noch  in  den  Bereich  der  Nervenfaserbündel,  so 
dass  diese  Bündel  und  die  Bündel,  zu  welchen  die  hellen  Scheiden  der  peri- 
pherischen Fortsätze  der  Pyramidenzellen  zusammentreten ,  eine  Strecke 
weit  alternirend  nebeneinander  verlaufen.  Den  äusseren  Theil  der  grauen 
Schichte  durchziehen  die  hellen  Scheiden  allein,  zuletzt  nicht  mehr  in  Bün- 
del abgetheilt,  sondern  gleichmässig  verbreitet. 

Minder  beständig  als  die  Reihenfolge  ist  die  relative  Mächtigkeit  der 
drei  Nervenzellenzonen  und  namentlich  sind  es  die  pyramidenförmigen  Zel- 


Gehirn. 


273 


Jen,  die  bald  in  Plänklern  ähnlich  aufgelösten  Gliedern  und  nur  zwei   oder 
drei  Zellen  tief  zwischen  den  dichten   Schaaren  der  kugeligen  Zellen  aufwe- 


Fig-.  200. 


Untere,    der    Markleiste    nächste    Zellen- 
schithte  eines  Randwulstes  der  Grosshirn- 
rinde, senkrechter  Durchschnitt.     Brönner- 
präparat. 

He  nie,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthl.  2. 


stellt  sind,  bald  die  kugeligen  Zellen  fast 
vollständig  verdrängen  und  ihnen  nur 
einen  schmalen  Raum  am  inneren  und  äus- 
seren Rande  übrig  lassen.  Im  letzteren  Falle 
liegen  die  grössten  Pyramidenzellen  nahe 
der  inneren  Grenze  und  nimmt  ihre 
Grösse  von  innen  nach  aussen  allmälig 
(bis  zu  einer  Breite  von  0,012  Mm.)  ab. 
Eine  Beziehung  ihrer  Zahl  und  Grösse 
zu  den  Localitäten  der  Gehirnoberfläche 
vermochte  ich,  abgesehen  von  den  als- 
bald zu  erwähnenden  Ausnahmen,  nicht 
zu  constatiren. 

Die  peripherischen  Fortsätze  der  py- 
ramidenförmigen Zellen  verlieren  sich 
in  der  Nähe  der  äusseren  Oberfläche  und 
lassen  einen  schmalen  Streifen  der  grauen 
Rinde  frei,  der  auch  auffallend  arm  an 
Körnern  und  Zellen  ist.  Die  Zellen, 
die  er  enthält,  sind  klein,  sternförmig 
und  erweisen  sich  als  Bindegewebszellen 
durch  die  Verbindung  ihrer  Ausläufer 
mit  einem  sehr  feinen  rundmaschigen 
Netz,  welches  gleichförmig  die  äusserste 
Schichte  der  Rindensubstanz  durchzieht, 
und  durch  ihren  Zusammenhang  mit  den 
in  den  perivasculären  Räumen  ausge- 
spannten Fasern  und  Plättchen  (Fig.  201 
a.  f.  S.).  Die  Maschen  des  Netzes  haben 
einen  Durchm.esser  von  höchstens  0,006 
Millimeter.  Die  Mächtigkeit  der  netz- 
förmigen Schichte  beträgt  0,1 ,  stellen- 
weise 0,135  Mm.;  Einmal,  an  den  Rand- 
wülsten der  Insel,  sah  ich  sie  auf  0,35  Mm. 
anwachsen.  Es  ist  eine  Bindegewebs- 
invasion  von  der  Gefässhaut  aus,  analog 
derjenigen,  der  ich  bei  Beschreibung  des 
Rückenmarks  (S.  68)  gedachte.  Sie  ist 
Ursache  des  weissen  Schimmers,  den  die 
Peripherie  der  Rindenschichte  auf  Durch- 
schnitten zeigt,  wozu  allerdings  noch 
eine  Besonderheit  der  Gefässvertheilung 
kommt,  dass  nämlich  die  in  die  Hirn- 
i'inde  eintretenden  Arterienstämmchen 
eine  kurze  Strecke  durchlaufen,  bevor  sie 
seitliche    Aeste     auszusenden     beginnen 

18 


274 


Gehirn. 


(Fig.  202).     Einzelne  Nervenfasern  von  stärkerem  Kaliber,  als  die  Fasern 
der  Markleiste,  schlängeln  sich  flächenhaft  durch  das   bindegewebige    Netz; 
Fig.  201.  Fig.  202. 


Netzförmige    Schichte    der   Grosshirnrinde. 
*  Bluto-efäss. 


Capilhirgefässnetz    der    Eindenschichte  des 
Grosshirns. 


sie  scheinen  ebenfalls  aus  der  Gefäss- 
haut  herzurühren  und  mit  deren  Ner- 
50  venstämmchen  zusammenzuhängen. 
Abgesehen  von  diesem  dünnen,  weis- 
sen peripherischen  Saum  lässt  sich  die 
Rinde  der  Randwülste  auf  Grrund  der 
mikroskopischen  Untersuchung  zu- 
nächst in  zwei  Schichten  von  etwas  ver- 
schiedener Mächtigkeit  zerlegen,  eine  äussere  rein  graue  und  eine  innere 
stärkere,  von  den  gegen  die  Oberfläche  ausstrahlenden  Nervenbündeln  durch- 
zogene. Wegen  dieser  Beimischung  markhaltiger  Nervenfasern  müsste  die 
innere  Schichte  sich  von  der  äusseren  durch  einen  helleren  Farbenton  un- 
terscheiden. Aber  diese  Schattirung  wird  verdeckt  durch  die  Pigment- 
anhäufungen in  den  pyramidenförmigen ,  häufig  auch  schon  in  den  rudimentä- 
ren Zellen  der  kugelförmigen  Lücken  und  so  sticht  die  innere  Schichte  der 
Rinde  gegen  die  äussere  durch  ihre  gelbliche  Farbe  um  so  entschiedener  ab, 
je  zahlreicher  und  ausschliesslicher  in  jener  die  grossen  pyramidenförmigen 
Zellen  verbreitet  und  je  intensiver  sie  gefärbt  sind.  Eine  andere  Einthei- 
lung  der  Rinde  in  Schichten  ,  die  mit  der  erwähnten  nur  theilweise  zusam- 
menfällt und  auf  das  makroskopische  Bild  des  Durchschnitts  von  geringe- 
rem Einfluss  ist,  gründet  sich  auf  die  Formen  der  zelligen  Elemente.     Dar- 


Gehirn. 


275 


nacli  wären  von  innen  angefangen,  aufzuzählen:  eine  erste  Schiclite  mit 
kugeligen  Kernen  oder  unvollkommenen  Zellen,  eine  zweite  mit  pyrami- 
denförmigen Zellen,  eine  dritte,  der  ersten  ähnliche  und  eine  vierte  zel- 
lenarme, die  wieder  in  zwei  zerfallen  kann,  wenn  das  Netz  der  Bindege- 
webszellen nicht  die  ganze  Dicke  derselben  einnimmt. 

Das  Bild  der  Grosshirnrinde,  das  ich  im  Vorstehenden  entworfen,  ist 
dem  Gipfel  und  seitlichen  Abhänge  der  höheren  geradlinigen  Randwülste 
entnommen.  Auch  in  diesen  kommen  geringere  Abänderungen  hier  und  da 
vor,  zumal  bezüglich  der  charakteristischen  Pyramidenzellen,  von  denen 
einzelne  sich  der  Spindel-  oder  Sternform  nähern  oder  eine  mehr  geneigte 
oder  gebogene  Haltung  haben.  Beständig  wird  die  Regelmässigkeit  der 
Faserzüge  und  Zellen  beim  Uebergang  von  Einer  Windung  auf  die  andere 
alterirt.  Gegen  den  Grund  der  Furche,  welche  zwei  Randwülste  trennt, 
werden  die  aus  der  Markleiste  hervortretenden  Faserzüge  allmälig  kürzer 
und  in  dem  auswärts  concaven  Theil  der  grauen  Rinde ,  auf  welchen  der 
Grund  der  Furche  stösst ,  fehlen  sie  ganz ,  als  ob  es  darauf  ankäme ,  ihre 
Begegnung  von  zwei  Seiten  und  ihre  Kreuzung  zu  verhüten.  Und  mit  den 
Faserbündeln  schwinden  auch  die  regelmässigen  Reihen  der  Pyramidenzellen 
und  es  bleiben  neben  den  kugeligen  nur  unregelmässig  verzweigte  stern- 
förmige übrig.  Dagegen  lösen  sich  von  den  bogenförmigen  Fasern,  die  von 
Einer  Markleiste  auf  die  andere  übergehen,  einzelne  der  äussersten  Bündel 
ab  und  nehmen  in  flacherer  Krümmung  ihren  Weg,  wie  um  ihn  abzukürzen, 
durch  die  untere  Schichte  der  grauen  Substanz  (Fig.  203).  Solche  von  der 
Markleiste  abgesonderte  Bündel  erstrecken  sich  auch  zuweilen  an   dem  seit- 

Fig.  203. 


Senkrechter    Durchschnitt,    senkrecht    auf   den    Faser  verlauf  durch  zwei  Randwülste  des 

Vorderlappens. 

18* 


276 


Gehirn. 


liehen  Abhang  des  Eandwiilstes  mehr  oder  minder  weit  hinauf,  parallel  der 
Oberfläche  und  die  aus  der  Markleiste  senkrecht  zur  Oberfläche  verlaufen- 
den Bündel  rechtwinklig  schneidend. 

Ein  ganz  eigenthümliches  Ansehen ,  welches  sich  meist  schon  an  fri- 
schen Schnittflächen  dem  unbewaffneten  Auge  offenbart,  deutlicher  aber  an 
mit  Kalilösung  behandelten  Durchschnitten  auf  dunklem  Grunde  hervortritt, 
bieten  die  Randwülste  der  medialen  Fläche  des  Hinterlappens  dar  von  der 
Spitze  bis  etwa  zur  Mitte  zwischen  der  Spitze  und  dem  Sj)lenium  des  Bal- 
kens, also  in  dem  Theil  des  Hinterlappens,  der  das 
hintere  Hörn  des  Seitenventrikels  überragt.  Hier 
ist  die  graue  Schichte  überall  durch  einen  der  Ober- 
fläche und  also  auch  der  Grenze  der  Marksubstanz 
parallelen,  weissen  Streifen  getheilt,  der  in  der  Mitte 
ihrer  Höhe  oder  etwas  näher  der  Markleiste  verläuft. 
So  weit  die  meist  verwaschenen  Grenzen  des  Strei- 
fens eine  Messung  gestatten,  stellt  sich  die  Breite 
desselben  auf  0,25  bis  0,5  Mm.  Häufig  wird  er  da- 
durch noch  auffallender,  dass  die  Schichten,  die  er 
trennt,  einen  verschiedenen  Ton  haben.  Bald  ist 
die  innere,  bald  die  äussere  Schichte  die  durchschei- 
nendere und  im  letzteren  Fall  reichen  die  radiären 
.  ISTervenfaserbündel  nur  bis  zu  dem  Streifen  und  ge- 
hen in  der  feinkörnigen  Masse  desselben  unter. 

Die  Ursache  dieser  eigenthümlichen  Zeichnung 
ist  mir  nicht  völlig  klar  geworden.  An  feinen  Durch- 
schnitten ,  welche  senkrecht  zur  Oberfläche  und  Ver- 
laufsrichtung der  Randwülste  geführt  sind,  sieht  man  an  der  Stelle  des 
weissen  Streifens  zuweilen  eine  Andeutung  einer  dem  Faserzug  der  Mark- 
leiste parallelen  Faserung ,  welche  die  zur  Peripherie  ziehenden  Nervenbün- 
delchen käreuzt;  doch  scheint  dieselbe  zu  zart,  um  einen  so  auffallenden  Un- 
terschied der  Färbung  hei'vorzurufen  und  keinenfalls  ist  sie,  wie  die  Fase- 
rung der  Markleiste  und  der  von  derselben  ausgehenden  Bündelchen,  durch 
dunkelrandige  Fasern  bedingt.  An  gefärbten  Präparaten  hat  es  mitunter 
den  Anschein,  alB,/,ob.  der  minder  durchsichtige  Streifen  in  der  Mitte  der 
grauen  Substanz  von  einer  Anhäufung  von  Zellen  oder  Kernen  herrühre. 
Aber  dann  dürfte  er  sich  nicht  an  Durchschnitten,  die  mit  Kalilösung  be- 
handelt worden,  erhalten,  da  Kerne  und  Zellen  in  Kali  schwinden.  So 
bleibt  nur  die  Annahme  übrig,  dass  in  der  feinkörnigen  Substanz  und  einer 
verschiedenen  Dichtigkeit  derselben  der  Grund  der  Streifung  liege.  Im 
Uebrigen  ist  die  Structur  der  grauen  Rinde  des  Hinterlappens  von  der  der 
übrigen  Randwülste  nur  wenig  verschieden.  Die  der  Oberfläche  nächste, 
zellenarme  Schichte  ist  breiter  und  in  den  tieferen  Schichten  sind  die 
Zellen  kleiner,  dichter  gedrängt,  runde  und  pyramidenförmige  mehr  ge- 
mischt. 

Wenn  das,  was  ioh.  über  die  Zahl  und  den  Bau  der  Schichten  der  grauen 
Hirnrinde  zu  sagen  habe,  gegen  die  bisherigen  Angaben  verstösst ,  so  darf  ich 
micli  damit  reclitfertigen,  dass  die  Ueberein  Stimmung  der  letzteren  nur  scheinbar 
und  die  Bedeutung  gleichbenannter  Schichten  bei  verschiedenen  Autoren  eine  ganz 


Senkrechter   Durchschnitt 
der  Randwülste  der  media- 
len Fläche  des  Hinter- 
lappens, 


Gehirn.  277 

verschiedene  ist.  Die  Meisten  zählen,  nach  Baillarger's  Vorgang  (Mem.  de 
l'acad.  de  medeciue,  VIII,  149),  sechs  Scliicliten.  Beziiglicli  des  Charakters  der- 
selben aber  theilen  nur  Bemak,  Kölliker  undStepliani  Baillarger's  Ansicht. 
Dieser  erkennt  in  der  Schichtung  nichts  anderes ,  als  ein  Alterniren  der  gewöhnlichen 
grauen  und  weissen  Substanz  und  erklärt  die  weissen  Schichten  für  parallel  der  Ober- 
fläche verlaufende  Nervenfasern.  Die  Eigenthiimlichkeit  der  Windungen  des  Hin- 
terlappens, obgleich  schon  von  Vicq  d'Azyr  betont,  erkennt  er  nicht  an,  führt 
sie  vielmehr  dadurch,  dass  er  den  mittleren  weissen  Streifen  durch  eine  Scliichte 
grauer  Substanz  in  drei  Schichten  auflöst,  auf  den  allgemeinen  Typus  zurück,  und 
so  weiss  man  nicht,  ob  er  nicht  die  Windungen  der  übrigen  Gehirnoberfläche  vor 
Augen  hat,  wenn  er  sagt,  dass  die  zwei  mittleren  weissen  Schichten  häufig  die 
graue,  die  sie  trennt,  verdrängen  und  zu  einer  einzigen  zusammenfliessen  und  dass 
selbst  die  erste  (innerste)  und  zweite  graue  Schichte  atrophiren  können,  so  dass  die 
vier  inneren  Schichten  nur  eine  einzige  darstellen.  Der  aus  dieser  Vereinigung 
entstandenen  inneren  Schichte  ertheilt  C.  Krause,  der  übrigens  Baillarger  folgt, 
den  Namen  einer  Substantia  flava  s.  subalbida. 

Es  ist  offenbar  die  nämliche  Schichte,  welche  Kölliker  (mikroskop.  Anat.  I, 
474)  als  innere,  gelbrötliliche  bezeichnet,  an  die  sich  nach  aussen  zunächst  eine 
rein  graue  und  zu  äusserst  eine  schmale  weisse  Schichte  anschliesse.  Aber  auch  er 
macht  die  Concession ,  dass  sich  gewöhnhch  an  der  äusseren  Grenze,  hier  und  da 
auch  im  Inneren  der  gelbröthlicheu  Schichte  ein  hellerer,  mehr  oder  minder  weis- 
ser Streifen  finde,  so  dass  die  Zahl  der  Schichten  sich  auf  sechs  erhöht.  Seine 
Abbildungen  zeigen  deren  nur  vier  und  die  Fig.  1  der  vierten  Tafel  lässt  keinen 
Zweifel,  dass  dies  Bild  vierschichtiger  Eindensubstanz  nach  den  complicirteren 
Eandwülsten  des  Hinterlappens  entAvorfen  ist,  welches  hier  auf  die  Vorderlappen 
übertragen  worden.  Als  Grund  der  beständigen,  wie  der  unbeständigen  weissen 
Streifen  betrachtet  Kölliker  die  Anhäufung  markhaltiger  Fasern,  die  sich  in  allen 
Theilen  der  Eindensubstanz  von  den  radiär  verlaufenden  Nervenbündeln  abzweigen 
und  die  graue  Substanz  nach  allen  Eichtungen,  besonders  aber  parallel  der  Ober- 
fläche durchziehen  sollen. 

Stephani  (Beitr.  zur  Histologie  der  Einde  des  grossen  Gehirns,  Doi-p.  1860) 
konnte  beim  Hunde  die  von  Kölliker  für  den  Menschen  angegebenen  sechs 
Schichten,  soAvie  die  Art  ihres  Znstandekommens  bestätigen,  fügt  aber  hinzu,  dass 
an  den  bei  Aveitem  meisten  Schnitten,  mochten  sie  gefärbt  oder  ungefärbt  sein, 
nicht  einmal  drei  Lagen  der  Einde  mit  Sicherheit  untei'schieden  werden  konnten. 
Zu  denen ,  welche  die  weissen ,  die  graue  Schichte  unterbrechenden  Streifen  für 
flächenhaft  ausgebreitete  Nervenfasern  halten,  gehören  noch  Eemak  (Müll.  Arch. 
1841,  S.  506)  und  Luys  (i-ech.  sur  le  syst,  nerveux  p.  162),  doch  zählt  auch  Ee- 
mak ohne  der  Besonderheiten  des  HinterlaiDpens  zu  gedenken,  in  der  Eegel  nur 
vier  Schichten,  eine  oberfläcliliche  Aveisse,  eine  graue,  nochmals  eine  weisse  und  graue 
(gelatinöse),  von  denen  die  äussere  graue  an  manchen,  dem  Balken  benachbarten 
Windungen  durch   eine  weisse  Zwischensubstanz  abermals  getlieilt  sei. 

Mit  Berlin 's  Dissertation  (Beitr.  zur  Structurlehre  der  Grosshirnwindungen. 
Erlangen  1858)  ändert  sich  zwar  nicht  die  Zählung,  aber  die  Auffassung  der 
Schichten.  Weder  der  Verlauf  der  Fasern  noch  die  Anordnung  der  Zollen  schei- 
nen Berlin  genügend,  um  die  di-ei  Mal  zwischen  hell  und  dunkel  wechselnde 
Farbe  zu  erklären,  welche  feine  Dickendurchschnitte  der  grauen  Eindenschichte 
des  Grosshirns  in  Carmin  annehmen.  Aber  auf  Grund  der  Erfahrung,  dass  Zellen 
sich  intensiver  färben,  als  Nervenfasern  und  Intercellularsubstanz,  hält  er  es  für 
wahrscheinlich  und  meint  es  durch  die  mikroskopischen  Untersuchungen  bestätigt 
zu  finden,  dass  die  dunkleren  Schichten  reicher  an  Zellen  seien,    als    die  helleren. 

Wenn  aber  bis  dahin  die  mikroskopische  Untersuchung  sich  die  Aufgabe  ge- 
stellt hatte ,  die  dem  freien  Auge  sichtbare  Schichtung  zu  erklären  ,  so  schritt  sie 
jetzt  zu  einer  selbstständigen  Sonderung  der  Schichten,  nicht  oder  nur  nebenbei  be- 
kümmert um  das  Verhältniss  der  mikroskopisch  differenten  zu  den  mit  freiem 
Auge  unterschiedenen  Schichten.  In  diesem  Sinne  bearbeiteten  die  Grosshirnrinde 
Clarke  (Proceed.  of  the  roy.  soc.  of  London.  1863,  June,  p.  716  und  Maudsley, 
treatise    of  the    physiol.    of    the    mind    2.  edit.   1870),    Arndt  (Arch.    für  mikrosk. 


278  Gehirn. 

Anat.  II,  441.  IV,  407),  Meynert(der  Bau  der  Grosshirurinde.     Neuwied  und  Lpz. 
1868)    und    Cleland    (Quarterly  Journ.  of  microscop.  science  n.  ser.  X,   127). 

Clarke  zählt  in  der  ersten  Abhandlung  sieben,  in  der  zweiten  sechs  Schich- 
ten, die  zwar  an  den  Windungen  der  medialen  Fläche  des  Hinterlappens  schärfer 
gesondert,  mittelst  Kalilösung  aber  auch  an  der  übrigen  Grehirnoberfläche  kennt- 
lich und  je  nach  den  Eegionen  verschieden  seien.  Das  Unterscheidende  findet  er 
bei  der  Einen  in  dem  Grade  der  Durchsichtigkeit,  bei  der  anderen  im  Faservev- 
lauf,  hier  in  der  relativen  Menge ,  dort  in  der  Form  der  Zellen,  und  da  er  mit  der 
Bemerkung  schliesst,  dass  selbst  in  verschiedenen  Theilen  derselben  Windung 
Grösse  und  Anordnung  der  Zellen  variire,  so  glaube  ich  ,  einer  ausführlichen  Mit- 
theilung seiner  Ansichten  überhoben  zu  sein  und  bemerke  nur,  dass  nach  seiner 
Schilderung  die  weissen  oder,  auf  hellem  Grunde,  danklen  Schichten  nicht  gerade 
die  faserreichen  sind. 

Arndt  zählt  in  seiner  ersten  Abhandlung  fünf  und  allenfalls  sechs  Schich- 
ten auf,  die  äusserste  netzförmig  faserig,  die  zweite  feinkörnig  mit  spärlichen 
Kernen,  die  dritte  reich  an  grösseren  Kernen,  die  sich  bei  stärkerer  Vergrösserung 
als  ästige  Zellen  erweisen;  in  der  vierten  zeigen  sich  schon  bei  massiger  Vergrös- 
serung neben  spärlichen  Kernen  kleine  pyramidenförmige»  Zellen,  in  der  fünften 
sind  diese  Zellen  minder  zahlreich,  aber  grösser  und  als  sechste  Schichte  hesse 
sich  der  unterste  Theil  der  fünften  betrachten ,  in  welchem  die  Zellen  wieder  klei- 
ner werden.  Die  beiden  äussersten  Schichten  identificirt  Arndt  mit  Kölliker's 
weisser,  die  beiden  folgenden  mit  dessen  rein  grauer,  die  innersten  mit  dessen 
gelbröthlicher  Schichte ,  an  deren  peripherischer  Grenze  er  auch  den  weissen  Ner- 
venfaserzug constatirt ,  der  bei  stärkerer  Bntwickelung  makroskopisch  sichtbar 
wei'de. 

Meynert  unterscheidet  einen  fünf-  und  einen  achtschichtigen  Typus,  von  de- 
nen der  erste  der  für  das  freie  Auge  zweischichtigen  ,  d.  h.  abgesehen  von  dem 
äusseren  weissen  Saum  gleichförmigen  Binde  des  grössten  Theils  der  Windungen 
entspreche,  während  der  achtschichtige,  für  das  freie  Auge  vierschichtige  Typus 
den  complicirteren  Windiingen  des  Hinterlappens  angehöre.  Von  den  Nervenzellen 
allein,  die  die  Pigmentträger  und  das  Opake  in  der  Bindenorganisation  sind,  lei- 
tet Meynert  die  Unterschiede  der  Färbung  und  Durchsichtigkeit  der  Schichten 
her.  In  der  äussersten  Schichte  (des  fünfschichtigen  Typus)  sind  die  Zellen  spär- 
lich ;  in  der  zweiten  kommen  zahlreiche  und  kleine,  in  der  dritten  mehr  zerstreute, 
grosse  Pyramidenzellen  (Ammonshornformation)  vor;  die  vierte  Schichte  enthält 
wieder  dichter  gedrängte,  aber  unregelmässige  Zellenformen  und  die  fünfte  spindel- 
förmige, grosse,  mit  der  längeren  Axe  parallel  der  Oberfläche  gestellte  Zellen  (Vor- 
mauerformation). In  dem  achtschichtigen  Typus  sind  die  vier  äusseren  Schichten 
des  fünfschichtigen  in  drei  zusammengezogen,  die  achte  entspricht  der  fünften  des 
fünfschichtigen  und  in  der  vierten  bis  siebenten  alternirt  zweimal  je  eine  äussere, 
leere,  nur  von  einzelnen  grossen  Pyramidenzellen  eingenommene  Schichte  mit  je 
einer  Schichte  von  Körnern  und  kleineren  Pyramidenzellen.  Züge  flächenhafter 
Fasern  sind  Meynert  in  der  Binde  der  Windungen  nirgends  begegnet  und  so 
führt  er  den  intermediären  Streifen  des  Hinterlappens  auf  die  beiden  leeren  zellen- 
und  pigmentarmen  Zonen  ziirück,  die  wegen  der  Schmalheit  der  zwischen  ihnen 
gelegenen  Körnerschichte  zu  einer  weissen  Linie  zusammenfliessen  sollen.  Der 
Deutung  und  Beschreibung  dieser  Schichten  hält  Arndt  in  seiner  zweiten  Abhandlung 
entgegen,  dass  die  kleineren  Zellen  oder  Körner  niemals  scharf  geschieden  ,  sondern 
in  grösserer  oder  geringerer  Zahl  durch  alle  Schichten  zerstreut  seien.  Was  Mey- 
nert's  fünfschichtigen  Typus  betrifft,  so  erkennt  Arndt  die  Selbstständigkeit  von 
Meynert' s  viei'ter  und  fünfter  Schichte  an,  die  er  mit  dem  mittleren  und  unte- 
ren Theil  von  Meynert' s  dritter  Schichte  in  seine  fünfte  früher  einbezogen  habe. 
Und  da  er  bei  der  Trennung  der  äusseren  weissen  Schichte  in  zwei ,  eine  faserig.e 
und  eine  rein  protoplasmatische,  beharrt,  so  würden  nach  seiner  neueren  Zählung 
in  den  gewöhnlichen  Bandwülsten  7  bis  8  Schichten  gi-auer  Substanz  zvi  verzeich- 
nen sein. 

Zu  einer  einfachen  Ein theilung  lenkt  Cleland  wieder  ein,  indem  er  an  Kölli- 
ker's Beschreibung  erinnert  und  den  Accent  auf  die  beiden  hellen  Bänder  legt,  welche 


Gehirn.  279 

nach  Kölliker  allerdiugs  nur  ausnahmsweise  den  Dickendurchschnitt  der  grauen 
Rinde  durchziehen;  bezüglich  des  tieferen  dieser  Bänder  giebt  Cleland  zu,  dass 
dessen  Existenz  auf  der  Abtrennung  einer  fiächenhaften  Nervenfaserschichte  von 
der  Markleiste  beruhen  möge.  Das  obere,  oder  wie  Cleland  es  nennt,  primäre 
helle  Band  ist  aber  uacli  seiner  Ansicht  mehr  als  eine  Anhäufung  von  Nerven- 
fasern; im  geraden  Gegensatz  zti  Meynert,  mit  dem  er  übereinziistimmen  meint, 
leitet  er  die  weisse  Farbe  des  primären  hellen  Bandes  von  einer  körnerreichen 
Schichte  ab,  die  sich  an  der  äusseren  Seite  der  Nervenfasern  finden  soll.  Die 
Schichten,  zwischen  die  sich  das  primäre  helle  Band  einschiebt,  findet  er  nicht  so 
verschieden,  um  die  von  Kölliker  eingeführte  Unterscheidung  in  eine  graue  und 
gelblichröthliche  zu  rechtfertigen.  Nach  seiner  Meinung  enthält  die  graue  Sub- 
stanz zunächst  der  Obei-fläche  freie  Kerne,  welche  nach  innen  in  pyramidenför- 
mige, alhnälig  an  Vokimen  zunehmende  Zellen  übergehen. 

Aehnliche  Zellen  von  gleichen  Dimensionen  kommen  mitunter  auch  unter  dem 
primären  hellen  Band  vor;  beständiger  sind  an  dieser  Stelle  Zellen  von  unregel- 
mässiger Gestalt,  deren  Grösse  gegen  die  Markleiste  abnimmt. 

Eine  ähnliche  Eintheilung,  wie  die,  die  mir  für  die  gewöhnlichen  Bandwülste 
des  Menschen  die  naturgemässeste  schien,  adoptirte  bereits  Stieda  (Ztschr.  für 
wissensch.  Zool.  XX,  35)  auf  Grund  mikroskopischer  Untersuchung  für  die  Gross- 
hirnrinde des  Kaninchens  und  der  Maus  :  er  unterscheidet  l)  den  zellenfreien  Bin- 
densaum ;  2)  eine  äussere  Schichte  kleiner  Zellen ;  3)  eine  mittlere  Schichte  gros- 
ser Zellen  und  4)  eine  innere  Schichte  kleiner  Zellen. 

In  der  Vermuthung,  dass  die  Streifung  der  Binde  auf  einer  Schichtung  der 
Grundsubstanz  beruhe,  werde  ich  bestärkt  durch  die  Mannigfaltigkeit,  welche  diese 
Streifung  an  feinen  Durchschnitten  benachbarter  Eandwülste  eines  und  desselben 
Gehirns  darbietet.  So  zeigten  mir  beispielsweise  di'ei  Randwülste  von  der  Oberfläche 
eines  in  Alkohol  erhärteten  Schafsgehirns  in  der  Bichtung  von  aussen  nach  innen 
folgende  Succession  der  Schichten.  Der  erste  Durchschnitt  einen  schmalen  dunklen 
(bei  auffallendem  Liclite  weissen),  dann  einen  breiten  hellen  (bei  auftallendeni  Lichte 
grauen)  Streifen,  dann  wieder  einen  breiten  dunklen,  einen  schmalen  hellen  und 
einen  breiten  dunklen  Streifen.  Im  anderen  Durchschnitt  folgte  auf  einen  äusseren 
breiten  hellen,  nach  innen  allmälig  sich  verdunkelnden  Streifen  ein  schmaler  ganz 
durchsichtiger,  dann  ein  breiter  heller  Streifen;  wieder  ein  schmaler  dunkler,  ein 
breiter  heller,  ein  schmaler  dunkler  und  ein  schmaler  heller  Streifen.  Im  dritten 
Durchschnitt  war  die  grössere  äussere  Hälfte  hell,  von  zwei  dunklen  Streifen  ein- 
gefasst ,  dann  kamen  drei  Streifen  von  gleicher  Breite ,  ein  dunkler  zwischen  zwei 
hellen.  Es  ist  nicht  wahrscheinlich ,  dass  ein  so  unbeständiges  Merkmal  der  Aus- 
druck eines  physiologisch  bedeutenden  histologischen  Verhältnisses  sei. 

Die  Nervenbündel ,  welche  in  die  graue  Rinde  des  Gyriis  fornicatus  Gyrus  fomi- 
ansstraUen ,  sind  directe  Fortsetzungen  der  transversalen  Fasern  des  Mark- 
kerns der  Hemisphäre  und  durchsetzen  die  longitudinale  Faserung  des  Gyrus, 
indem  sie  sich  rechtwinklig  mit  derselben  kreuzen.  An  der  Stelle,  wo  der 
Gyrus  fornicatus  sich  um  das  Splenium  des  Balkens  abwärts  windet  und  den 
Namen  Gyrus  hippocampi  erhält,  bedeckt  sich  die  Oberfläche  desselben  mit 
der  weissen  Substanz,  deren  ich  oben  (S.  165)  gedachte.  Es  ist  eine  0,5  Mm, 
mächtige  Schichte  longitudinaler  Fasern ,  welche  sich  gegen  die  vordere 
Spitze  dieses  Randwulstes  allmälig  verdünnt.  Die  eigenthümliche  Zeichnung 
dieser  Spitze,  die  Substantia  reticularis  alba  (S.  166),  rührt  aber  nicht  von  Subst.  retic. 
der  Vertheilung  dieser  longitudinalen  Fasern  und  auch  nicht  davon  her,  ^  *' 
dass  die  senkrecht  zur  Oberfläche  aufsteigenden  Faserbündel  dieselbe  stellen- 
weise erreichen ,  stellenweise  schon  früher  sich  verlieren.  Ein  mit  Kali  auf- 
gehellter, senkrecht  zur  Oberfläche  geführter  Durchschnitt  der  Substantia 
retic.  alba  zeigt,  dass  das  von  meist  stark  pigmentirten  Nervenzellen  einge- 
nommene Gebiet  der  Rinde  nicht  wie    sonst,   parallel   der   Oberfläche    abge- 


280 


Gehirn. 


Gyrus  hip- 
pocampi. 


grenzt  ist.  Der  äussere  Rand  dieses  Gebietes  ist  vielmehr  bogenförmig  aus- 
geschnitten und  die  Zellen  lassen  zunächst  der  Oberfläche  im  Durchschnitt 
halbkreisförmige,  im  Ganzen  also  kegelförmige  Räume  leer,  deren  kreisrunde 
Basen  den  hellen  Flecken  der  reticulären  Substanz  entsprechen,  indess  die 
netzförmigen  Zwischenräume  ihre  relativ  dunkle  Farbe  dem  Pigmente  der 
Nervenzellen  verdanken. 

Die  Einrollung  des  Randes  des  Gyrus  hippocampi  und  dessen  Verbin- 
dung mit  der  Fortsetzung  des  Grus  fornicis  habe  ich,  so  weit  als  die  Verhält- 
nisse sich  dem  unbewaffneten  Auge  zu  erkennen  geben,  schon  früher  beschrie- 
ben. Die  Windung,  die  sich  lateralwärts  zurückschlägt  und  den  Eingang  in 
das  Unterhorn  begrenzt  (Fig.  205),  besteht  aus  einer  Lage  grauer  (*)  zwischen 
zwei  Lagen  weisser  Substanz.  Die  untere  weisse  Lage  (Fig.  206, 1)  ist  Fort- 
setzung des  Tapetum,  die  obere  (6)  ist  die  am  Gyrus  hippocampi  neu  hinzu- 
getretene äussere  Faserschichte.  Die  graue  Lage  besteht  wesentlich  aus  pyra- 
midenförmigen Zellen,   deren 


Fig.  205. 


Frontalschnitt  des  Gyrus    hippocampi    (GA),    hintere 

Schnittfläche.     Fi   Fimbria.     Fd  Fascia  dentata. 

VI'"  Hinteres  Hörn  des  Seitenventrikels. 


Spitzenfortsätze  wie  überall 
nach  aussen,  d.  h.  gegen  die 
obere  Faserschichte  gerichtet 
sind.  Die  Zellen  (3)  liegen 
in  zahlreichen  Reihen  über- 
einander, am  dichtesten  ge- 
drängt in  der  Nähe  der  un- 
teren weissen  Schichte,  in 
den  folgenden  Reihen  allmä- 
lig  mehr  zerstreut  zwischen 
den  parallelen  hellen  Fasern, 
in  welche  die  Spitzenfort- 
sätze der  tieferen  Zellen  aus- 
laufen. Die  äussere  Hälfte  der 
grauen  Lage  (4)  enthält  keine 
Zellen  mehr,  sondern  nur  die 
hellen  Fasern  ^).  Zwischen 
der  untersten  Zellenreihe  und 
der  inneren  Faserschichte,  die 
in    diesem    Theil    des   Gyrus 


einen  longitudinalen  Verlauf 
hat,  liegt  eine  schmale  Schichte  feinkörniger  Substanz  (2)  2) ;  auf  die  von 
den  Pyramidenzellen  ausgehende  Faserschichte,  zwischen  ihr  und  der  äus- 
seren, ebenfalls  longitudinalfaserigen  weissen  Lage  folgt  abermals  eine  fein- 
körnige Schichte  und  von  ihr  eingeschlossen  auf  einer  kurzen  Strecke ,  näm- 
lich vom  Rande  des  Gyrus  bis  zu  dessen  erster  Umbeugung  ein  Streifen 
netzförmigen  engmaschigen,  sehr  gefässreichen  Gewebes  (5).  Dasselbe 
gleicht  dem  netzförmigen  Bindegewebe,  welches  die  äusserste  Schichte  der 
gewöhnlichen  Randwülste  bildet,  iind  macht  den  Eindruck,   als  ob  die  äus- 


^)  Sie  bilden  das  Stratum  striatum  Kupffer's  (De  cornus  animonis  textura  disquisitio- 
nes  praecipue  in  cuniculis  institutae.  Dorpat  1859).     '^)  Stratum  moleculare  primum  Kupffer. 


Gehirn. 


281 


sere  Faserschiclite,  die  an  den  anderen  Theilen  des  Gyrus  hippocampi  die 
netzförmige  Substanz  verdrängt  hat,  sich  an  dieser  Stelle  über  derselben 
ausgebreitet  habe. 

Bei  der  Umbeugung  des  Gyrus  hippocampi,  welche  ihre  Convexität  dem 


Frontalschnitt  des  Gyrus  hippoc.  (Gh),    wie  in  Fig.  205.      Aus    einem   Kali-    und    Carmin- 
präparat  combinirt.     Fi  Fimbria.     Fd  Fascia  dentata. 


Ventrikel  zuwendet  und  in  ihre  Aushöhlung  die  Fascia  dentata  aufnimmt, 
kehrt  sich  die  relative  Lage  der  weissen  Schichten  um:  Die  ursprünglich 
untere  Schichte  wird  zur  oberen,  die  vom  Splenium  des  Balkens  an  neuhin- 
zugekommene äussere  Schichte  wird  zur  unteren;  die  pyramidenförmigen 
Zellen  senden  also  ihre  Ausläufer  abwärts,  zugleich  aber  nimmt  die  Mächtig- 
keit der  intermediären  grauen  Schichte  ab  und  sie  füllt  sich  so  vollständig 
mit  Zellen ,  dass  nur  je  ein   schmaler  Streif  feinkörniger  Substanz   zunächst 


282 


Gehirn. 


Fascia  den- 
tata. 


Fig.  207. 


den  beiden  weissen  Schicliten  übrig  bleibt  und  die  radiärstreifige  Zone  der 
Spitzenfortsätze  schwindet.  EndHch  wandelt  sich  in  den  weissen  Schichten, 
wie  sie  sich  der  Fimbria  nähern ,  der  Lauf  der  Fasern ,  der  bis  dahin  der 
Krümmung  des  eingerollten  Gyrus  concentrisch  war,  in  einen  der  Faserung 
der  Fimbria  parallelen  sagittalen  um  und  bekleidet  sich  die  nunmehr  obere 
freie  Faserschichte  wieder  mit  einer  feinkörnigen  Rinde  (8),  die  ihre  grösste 
Mächtigkeit,  0,12  Mm.,  in  dem  "Winkel  erreicht,  den  der  angewachsene  Rand 
der  Fimbria  mit  dem  Randwulste  bildet. 

Die  in  der  medianwärts  of- 
fenen Rinne  des  Hippocampus 
enthaltene  Fascia  dentata  ist  ein 
Randwulst  eigenthümlicher  Art, 
der  vom  Gyrus  fornicatus  be- 
deckt auf  der  Oberfläche  des 
Balkens  seinen  Ursprung  nimmt.- 
Er  beginnt  als  ein  plattes  Längs-, 
faserbündel  von  0,25  Mm.  Mäch- 
tigkeit, wird  aber  schon  an  der 
unteren  Fläche  'des  Splenium  zu 
einem  1  Mm.  hohen  Wulst,  der 
von  hinten  nach  vorn  langsam 
ansteigt,  um  sich  am  vorderen 
Rande  rasch  abzusenken  (Fig. 
207.  208).  Die  Volumzunahme 
ist  bedingt  durch  graue  Sub- 
stanz, welche  sich  zwischen  jene 
longitudinalen  Fasern  und  die 
transversalen  Fasern  des  Bal- 
Sagittalschnitt  durch  das  Splenium  des  C.  callosum  kens  eindrängt,  die  ersteren  ab- 
{Ccl)  und  den  Anfang  der  Fascia  dentata  (Fd)  bebt,  ausbreitet  und  endlich 
der  rechten  Hemisphäre.      G/ Gyrus   fornicat.      Gh     durchbricht,  SO  dass  sie  auf  der 

Höhe  des  Wulstes  sich  verlieren. 
Die   graue   Substanz    enthält   in 


Gyrus  hippocampi.      Crf  Grus  fornicis.    Fi  Fimbria. 


Fig.  208. 


Fd 


25 
1 


Detail  zu  Fig.   182,  den  Durchschnitt  des  Anfangs  der  Fascia    dentata  darstellend.     Cannin- 

präparat. 


Gehirn.  283 

feinkörniger  Masse  ein  Lager  von  Zellen ,  die  in  der  Tiefe  längs  der  Ober- 
fläche des  Balkens  zahlreich,  spindelförmig  und  in  der  Richtung  der  Fase- 
rung des  Wulstes  verlängert,  weiter  nach  aussen  mehr  zerstreut,  sternför- 
mig und  überall  mit  fadenförmigen  Fortsätzen  versehen  sind.  Nahe  der 
Oberfläche  und  parallel  derselben  erscheint  am  hinteren  sanfteren  Abhänge 
des  Wulstes  auf  Frontalschnitten  ein  dunkles  Band  (Fig.  208*),  der  Durch- 
schnitt einer  dünnen  Platte ,  in  welcher  dicht  gedrängt  mehrere  Reihen  von 
Zellen  liegen,  deren  Durchmesser,  0,012  Mm.,  den  Durchmesser  der  Kerne  der 
grösseren  Nervenzellen  kaum  erreicht.  Sie  sind  körnig,  kugelig  oder  eckig, 
vom  Kern  fast  vollkommen  ausgefüllt ,  in  sehr  feine  Fäden  nach  verschiede- 
nen Richtungen  verlängert. 

Im  weiteren  Verlaufe  vergrössert  sich  die  Fascia  dentata  und  tritt,  im- 
mer noch  an  der  unteren  Fläche  des  Balkens  anliegend  (vgl.  Fig.  87),  mit 
dem  Gyrus  hippocampi  in  Verbindung.  Die  pyramidenförmigen  Zellen  des 
letzteren  reihen  sich  unmittelbar  an  das  Lager  spindel-  und  sternförmiger 
Zellen  der  Fascia  dentata  an  und  die  weisse  Decke  des  Gyrus  hippocampi 
dringt  aufwärts  gegen  den  Balken  vor ,  ohne  ihn  zu  erreichen.  An  die 
kleinzellige  Platte ,  welche,  öfters  mit  einer  mittleren  Unterbrechung ,  dem 
Rande  der  Fascia  dentata  entlang  lätift,  schliesst  sich  nach  innen  eine  zweite 
an,  die  mit  dem  unteren  Rande  der  ersteren  in  einem  spitzen  Winkel  sich 
vereinigt,  so  dass  beide  auf  dem  Frontalschnitt  der  Fascia  dentata  einen 
schnabelförmigen  nach  oben  offenen  Streifen  bilden.  In  den  von  diesem 
Streifen  umfassten  Raum  setzt  sich  die  an  der  unteren  Fläche  des  Balkens 
gelegene  Zellengruppe  fort,  die  andererseits,  wie  erwähnt,  mit  den  Pyrami- 
denzellen des  Gyrus  hippocampi  zusammenhängt. 

Das  verhältnissmässig  einfache  Bild  dieses  Durchschnitts  liefert  den 
Schlüssel  zu  dem  complicirteren  Bau,  welchen  der  Hippocampus  weiter  unten, 
nach  Vereinigung  der  Fascia  dentata  mit  der  Fimbria  darbietet.  Die  Fascia 
dentata  (Fig.  206  Fd)  hat  sich  besonders  im  transversalen  Durchmesser  vergrös- 
sert und  ist  zwischen  Fimbria  und  Gyrus  hippocampi  tief  eingeschoben,  von 
beiden  durch  enge  Spalten  getrennt,  welche  zahlreiche  Blutgefässe  zum  Ein- 
tritt in  die  Substanz  des  Hippocampus  benutzen.  Zwischen  beiden  Spalten 
liegt  die  Fascia  dentata  mit  einer  glatten  oder  gekerbten  Oberfläche  frei ; 
durch  den  dieser  Oberfläche  gegenüberliegenden  und  den  unteren  Rand  ist 
sie  mit  dem  Gyrus  hippocampi  verwachsen.  Die  weisse  Rindenschichte  des 
letzteren  endet  lateralwärts  umgebogen  mit  einer  stumpfen  Kante  (Fig.  206  *'^), 
über  welche  die  zu  einem  schmalen  Bande  zusammengedrängten  Pyramiden- 
zellen des  Gyrus  hippocampi  sich  abwärts  schlagen ,  um  sich ,  wie  durch  ein 
offenes  Thor,  in  den  weiten  Raum  zu  begeben,  den  die  kleinzellige  Platte 
(*)  einfasst,  und  in  demselben  zu  zerstreuen.  Die  kleinzellige  Platte  hat 
an  Mächtigkeit  zugenommen,  die  Zellen  stehen  an  den  breiteren  Stellen  zu 
10  bis  15,  an  den  schmaleren,  gegen  die  Oeffnung  hin,  immer  noch  zu 
sechs  hintereinander,  die  stärksten  und  deutlichsten  Fortsätze  nach  aussen 
wendend.  Der  Streifen,  als  welcher  der  Durchschnitt  dieser  Platte  auf  dem 
Frontalschnitt  erscheint,  folgt  im  Allgemeinen,  abgesehen  von  der  erwähn- 
ten Oeffnung,  durch  welche  die  Pyramidenzellen  ihren  Einzug  halten,  dem 
äusseren  Contur  der  Fascia  dentata,  zieht  sich  aber  öfters  an  den  Winkeln 
in  längere  Spitzen  aus  und  zeigt  Biegungen  und  selbst  Knickungen,  welche 


284 


Gehirn. 


Hippocam- 
pus. 


an  den  Olivenkern  und  das  C.  dentatum  des  Kleinhirns  erinnern.  An  der 
unteren  Seite  endlich,  an  welcher  die  Fascia  dentata  mit  dem  Gyrus  hipoo- 
campi  verwachsen  scheint,  zeigt  sich,  so  weit  der  letztere  von  dem  eben  er- 
wähnten netzförmigen  Gewebe  unterbrochen  ist,  dasselbe  Gewebe  ^)  zwischen 
der  Faserschichte  des  Gyrus  hippocampi  und  der  kleinzelligen  Platte  (7)  und 
auch  hier  kann  die  bindegewebige  Natur  desselben  nicht  zweifelhaft  sein, 
da  man  häufig  die  Bälkchen  des  Netzes  in  Verbindung  mit  Blutgefässen 
sieht  (Fig.  209). 

Bezüglich  der  grauen  Masse  in  dem  wellenförmig  gebogenen,  die  Klaue 


Fiff.  209. 


Detail  zu  Fig.   206,    die  Schichte   7. 


repräsentirenden  Schenkel 
des  Hippocampus  sprach  ich 
(S.  171)  die  Vermuthung  aus, 
dass  sie  eine  Ausbreitung  der 
Fascia  dentata  sei.  Das  mi- 
kroskopische Bild  des  Fron- 
talschnitts der  Klaue  an  ihrer 
Wurzel  rechtfertigt  diese  Ver- 
muthung. Der  charakteristi- 
sche Körnerstreif  setzt  sich 
aus  der  allmälig  kleiner  ge- 
wordenen Fascia  dentata  in 
die  wellige  Platte  fort,  zu- 
weilen in  sanften,  in  der  Re- 
gel aber  in  steilen  Krüm- 
mungen oder  Zacken,  deren 
aufwärts  und  zugleich  etwas 
seitwärts  gerichtete  Scheitel 
abgerundet  oder  abgeplattet  sind  (Fig.  210).  Die  abwärts  offenen  Winkel 
des  Körnerstreifs  füllt  bis  zum  Rande  eine  Substanz  aiis,  welche  bei  auffal- 
lendem Lichte  weisser ,  bei  durchfallendem  Lichte  dunkler  ist ,  als  der 
obere  Theil  der  wellenförmigen  Platte,  und  von  feinen  Fasern  durchzogen 
wird ,  die  am  unteren  Rande  der  Platte  am  dichtesten  sind  und  in  den 
Winkel,  den  der  Körnerstreif  einschliesst ,  radienförmig  ausstrahlen.  Zwi- 
schen den  Fasern  zerstreut  liegen  spindelförmige,  mit  der  längeren  Axe  dem 
Faserverlauf  parallelen  Zellen. 

In  einiger  Entfernung  oberhalb  des  Körnerstreifs  verläuft  den  Windun- 
gen desselben  genau  folgend  eine  weisse ,  an  dem  aufgehellten  Präparat  bei 
auffallendem  Lichte  dunkle  Linie  (4);  sie  ist  schon  mit  freiem  Auge  wahr- 
nehmbar und  erweist  sich  unter  dem  Mikroskop  als  eine  Reihe  schräg- 
durchschnittener Nervenfaserbündel.  Den  Raum  zwischen  dieser  Nerven- 
bündelreihe und  dem  Körnerstreif  nimmt  graue  Substanz  ein,  in  zwei  gleich 
breite  Schichten,  eine  untere  hellere  (3)  und  eine  obere,  dunklere  (5),  ge- 
theilt ,  die  durch  einen  schmalen  noch  dunkleren  Streifen  von  einander  ge- 
schieden sind  2).     Beide  Schichten  enthalten  in  feinkörniger  Substanz  ästige 


^)  Stratum  reticulare  Kupffer.  Stratum  lacunosum  Meynert.  ^)  In  dieser  Schichte 
bricht  die  Platte  leicht  der  Quere  nach  durch  und  so  entstehen  die  von  Jung  (Müll.  Ar- 
chiv  1838,  S.  446)  beschriebenen  ineinandergreifenden  Zackenlager. 


Gehirn.  285 

Zellen  von  mittlerer  Grösse  und  unregelmässiger  Gestalt,    die   in   der  dunk- 
leren Schiclite  nur  gedrängter  liegen ,   als  in  der  hellen,  und   am    dichtesten 

Vis.  210. 

5 

3 


Frontalschnitt  der  Klaue  des  Hippocampus,  aus  dem  linken  Ventrikel,  hintere  Schnittfläche. 

Kalipräparat. 

an  der  Grenze  der  dunkleren  gegen  die  hellere  Schichte  gehäuft  sind.  Die 
mächtige  Schichte  (2)  zwischen  der  Zickzacklinie  der  schräg  durchschnitte- 
nen Nervenfaserbündel  (4)  und  der  oberflächlichen  Nervenfaserschichte  er- 
weist sich  als  Fortsetzung  der  regelmässigen  Rindenzellenschichte  (Fig.  206, 
2.  3.  4)  durch  die  Pyramidenform  der  mit  der  Spitze  abwärts  gerichteten 
Zellen  und  durch  ihre  von  der  Pigmentirung  dieser  Zellen  herrührende 
gelbe  Farbe.  Oefters  lassen  die  Zellen  den  untersten  Theil  dieser  Schichte 
frei,  der  sich  dann  als  ein  helleres  Band  markirt.  An  der  oberflächlichen 
Nervenfaserschichte  (Fig.  210,  6)  lassen  sich  abermals  zwei  Unterabtheilun- 
gen scheiden,  eine  äusserste  rein  longitudinale,  deren  Bündel  der  Frontal- 
schnitt genau  querdurchschnitten  zeigt,  und  eine  innere,  deren  Fasern  mehr 
schräg  und  zum  Theil  radiär  nach  innen  verlaufen ,  so  dass  sie ,  alterni- 
rend  mit  den  vom  unteren  Rande  der  Platte  aufsteigenden  Fasern  in  die 
aufwärts  offenen  Winkel  des  Körnerbandes  und  der  darüberliegenden  Schich- 
ten vordringen. 

Die  oberflächliche  Nervenfaserschichte  deckt  ein  hellerer  Streifen  netz- 
förmigen Bindegewebes  von  verschiedener,  meist  geringer  Mächtigkeit. 

Weiter  nach  vorn  zieht  sich  der  Körnerstreif  aus  der  Klaue  zurück  und 
schliesst  sich  zu  einer  Ellipse  (Fig.  211*  a.  f.  S.),  die  in  jedem  folgenden 
PVontalschnitt  kleiner  wird  und  sich  bald  vollständig  verliert.  Zugleich 
nähei"t  sich  die  Reihe  schräger  Nervenbündeldurchschnitte  (4)  dem  unteren 
Rande  der  wellenförmigen  Platte  und  wenn  sie  ihn  erreicht  hat,  so  besteht 
diese  Platte  einfach  aus  einer  mächtigen  Schichte  grauer  Substanz  mit  pyra- 
midenförmigen abwärts  zugespitzten  Zellen  zwischen  zwei  Nervenfaserschich- 
ten ,  welche  alternirend  von  oben  nach   unten  her  in   die   graue  Masse   vor- 


286 


Gehirn. 


dringen.  Die  Krümmungen  der  letzteren  werden  dadurch  fast  zickzack- 
förmig  und  beträchtlich  steiler  als  die  Wellenbiegungen  der  Oberfläche  der 
Platte,  denen  sie  übrigens  entsprechen. 

Fig.  211. 


Frontalsclinitt  der  Klaue  des  Hippocampus  näher  der  Spitze  als  Fig.  210. 


Amygdaia.  In   der   Amygdala  wechseln  verticale  weisse  Streifen  von    etwa  0,3  Mm. 

Breite  mit  etwas  breiteren  grauen  Streifen  ab.  Die  weissen  bestehen  aus 
feinen,  reichlich  von  Körnerreihen  durchzogenen  Nervenbündeln;  die  Sub- 
stanz der  grauen  gleicht  der  Substanz  des  Streifenhügels  und  Linsenkerns: 
sie  enthält  rundliche  Lücken  mit  Körnern,  Kernen  und  kleinen  Zellen,  aber 
auch  vereinzelte  sternförmige  Zellen  der  grösseren  Art. 

Tub.  oifact.  An    die    Randwülste  des    Grosshirns   reihen   wir   das  Tuber  olfactorium. 

Es  ist  eine  transversale  vor  der  Substantia  perforata  antica  vorüberziehende 
Windung,  deren  Markleiste  mit  der  weissen  Bodencommissur  (Fig.  35.  84 
Cha)  identisch  ist  und  mit  dem  Schnabel  des  Balkens  zusammenhängt,  de- 
ren Rindensubstanz  mit  dem  Claustrum  in  Verbindung  steht,  übrigens  aber 
Nervenbündel  und  pyramidenförmige  Zellen  in  ähnlicher  Anordnung  zeigt, 
wie  die  übrigen  Randwülste  des  Vorderlappens. 

Was  das  Tuber  olfactorium  auszeichnet,  ist  erstlich  die  Grösse  und  Gedrängt- 
heit der  Pyramidenzellen  und  deren  eigenthümliche  Richtung;  in  dem  hin- 
teren Abhang  der  Windung  neigen  sie  sich  nämlich  mit  ihren  Spitzen  und 
Spitzenfortsätzen  dem  Ursprünge  des  N.  olfactorius  zu  und  nehmen  dem- 
gemäss  mit  dem  längsten  Durchmesser  eine  der  Oberfläche  der  Windung  pa- 
rallele Lage  an.  Eigenthümlich  ist  sodann  dem  Tuber  olfactorium  der 
Uebergang  der  Markleiste  in  Blätter  und  Bündel,  die,  dem  freien  Auge  sicht- 
bar, die  graue  Rinde  durchziehen  (Fig.  212)  und  sich  an  der  Oberfläche 
mit  den  lateralen  und  medialen  Wurzeln  des  N.  olfactorius  (Fig.  109)  zu 
einem  continuirlichen ,  die  graue  Substanz  des  Nerven  scheidenartig  einhül- 
lenden weissen  Ueberzug  sammeln.  Verfolgt  man  die  Wurzeln,  die  von  der 
medialen  und  lateralen  Seite  her  an  der  Oberfläche  des  Tnber  olfactorium 
gegen  den  Nerven  convergiren,  mittelst  successiver  sagittaler  Durchschnitte. 


Gehirn. 

Fig.  212. 


287 


Coa' 


Cba 


Sagittalschn.  der  Hemisphäre  durch  das  Tub.  olfact.  (Tbo).    Ccl^  Schnabel  des  C.  callos. 

Cs  C.  striat.     Coa'  Commiss.  ant.     Spa  Subst.  perfor.  aiit.     Cöa  Commiss.  baseos  alba. 

/'  Tract.  opt.       I  N.  olfact. 


Fig.  213. 


N"'. 


20 
1 


Sagittalschnitt  des  Tuber  olfactorium  durch  die  äussere  Wurzel  des  N.  olfact.     Kalipräparat. 


288  Gelüni. 


zn  ihren  Ursprüngen,  so  siett  man  sie  allmälig  an  Masse  abnehmen.  Ihr 
Durchschnitt  stellt  bald  eine  von  oben  her  plattgedrückte  Ellipse,  bald  ein 
schmales,  mit  der  Spitze  aufwärts  gerichtetes  Dreieck  dar  (Fig.  213  a.  v.  S.). 
Immer  stehen  sie  mit  der  -vreissen  Substanz  in  der  Tiefe  des  Wulstes  durch 
vereinzelte  Nervenbündel  in  Zusammenhang,  als  ob  sie  sich  allmälig  aus 
Bündeln,  die  von  der  Tveissen  Masse  abgezweigt  werden,  zusammensetzten. 


Ich  habe  zuletzt  über  die  Structur  von  zwei  Organen,  Conarium  und 
Hypophyse,  zu  berichten,  die  ihrer  Lage  und  ihres  Zusammenhangs  wegen 
als  Theile  des  Centralnervensystems  aufgefasst  werden  mussten,  denen  aber 
nach  ihi'er  physiologischen  Bedeutung  ohne  Zweifel  eine  andere  Stelle  im 
System  gebührt,  wenn  man  diese  auch  einstweilen  näher  zu  bezeichnen 
nicht  vermag.  Darin  liegt  nur  ein  Grund  mehr,  sie  an  die  Blutgefössdrü- 
sen  anzureihen.  So  wenig  wie  die  Gebilde,  die  unter  diesem  Namen  zusam- 
mengestellt zu  werden  pflegen,  stimmen  Conarium  und  Hj^Dophyse  im  Bau 
unter  sich  oder  mit  einem  der  genannten  Organe  vollkommen  überein ;  doch 
ist  das  Conarium  den  Lymphdrüsen,  die  Hypophyse  den  iSTebennieren  ähn- 
licher, als  irgend  einem  anderen  Organ.  Wie  sie  zur  Verbindung  mit 
dem  Gehirn  kommen,  darüber  können  wir  Aufschluss  nur  in  der  Entwicke- 
lungsgeschichte  suchen  und  hinsichtlich  der  Hypophyse  glauben  wir  ihn  be- 
reits gefanden  zu  haben.  Jedenfalls  ist  die  Verbindung  nur  eine  äusser- 
liche.  Die  nervösen  oder  nervenähnlichen  Stiele,  die  d^n  Zusammenhang 
vermitteln,  haben  keine  Beziehung  zu  den  eigenthümlichen  Elementen  der 
fi-aglichen  Körj^er. 
Conarium.  Was  zunächst  die  Stiele  des  Conarium  (Fig.  70  Pen)  betrifft,  so  bilden 

sie,  von  beiden  Seiten  einander  entgegenkommend,  im  vorderen  Theil  oder 
richtiger  am  vorderen  Rande  des  Conarium  eine  Commissur,  die  sich  von 
der  hinteren  Commissur  des  Grosshirns  nur  durch  ihre  Hufeisenform  unter- 
scheidet. Mit  der  Convexität  des  bogenförmigen  Xervenfaserstrangs  ist  die 
vordere  Spitze  des  Conarium  verwachsen ,  aber  keine  Faser  verlässt  den 
Strang,  um  in  dies  Organ  einzutreten,  und  die  äusserst  spärKchen  Nerven- 
fasern, die  das  Paremchym 
-  desselben  durchziehen,  kom- 
men ihm  nur  mit  den  Blut- 
gefässen zu. 

Das  Paremchym  ist  von 
einer  faserigen  Hülle  um- 
schlossen lind  dui'ch  faserige 
Septa ,  wie  die  Lymphdrüsen, 
mehr  oder  minder  vollstän- 
dig in  kugelige  Follikel  oder 
Acini  von  verschiedener 
Grösse  (zwischen  006  bis  03 
Millimeter  und  mehr  Durch- 
messer) abgetheilt.  Mehr 
Durchschnitt  aus  dem  getrockneten  Conarium  des  Ochsen,  oder  minder  vollständig  nenne 
in   destillirtem  Wasser  Hufgeweicht.  •   i     t      1 1  j.i     m  ■     ^  t 

°  ich  die  Abtheilung,  indem  die 


Fiff.  214. 


Gehirn, 


289 


Scheidewände  tald  ein  einfaches  Gerüste ,  auf  Durchsclinitten  ein  Netzwerk 
darstellen,  wie  dies  bei  Säugetliieren  der  Fall  zu  sein  pflegt  (Fig.  214),  bald 
aber  zusammengesetzt  sind  aus  den  besonderen  faserigen  Umhüllungen  der 
einander  benachbarten  Follikel  und  einer  weicheren  Zwischensubstanz,  in 
welcher  die  Blutgefässstämmchen  verlaufen.  So  beim  Menschen;  die  eigene 
Follikelwand  hat  in  diesem  Fall  eine  ATächtigkeit  von  0,01  bis  0,02  'Mm. 
(Fig.  215). 

Das  Fasergewebe  der   äusseren  Hülle    des   Conarium  ist ,   wie   das   der 

Gefässhaut  der  Hirnoberfläche,  lockiges  Bindegewebe.     In  der  vorderen  Bucht 

Fis.  215.  der  Drüse  trägt  dasselbe  an 

seiner  freien  Fläche  ein, 
vielleicht  flimmerndes,  nie- 
driges Cylinderepithelium ; 
nach  der  Tiefe  geht  es  in 
das  fein  netzförmige  Bin- 
degewebe über,  das  der 
conglobirten  Drüsensub- 
stanz eigen  ist.  Die  Schei- 
dewände der  Follikel  ent- 
halten ebenfalls  achtes  Bin- 
degewebe, jedoch  reichlich 
versetzt  mit  spindelförmi- 
gen Zellen,  deren  längliche 
Kerne  in  dichten  Zügen 
durch  Essigsäui-e  sichtbar 
gemacht  werden.  Die  Sub- 
stanz der  Follikel  bilden 
Zellen  vom  Ansehen  der 
Lymphkörperchen ,  doch 
meist  etwas  grösser  bis  zu 
0,015  !Mm.  Durchmesser 
und  von  minder  regelmäs- 
siger,  mehr  eckiger  Gestalt  mit  kugeligen  Kernen. 

Die  Methode,  mittelst  deren  die  bindegewebige  Grundlage  der  conglo- 
birten Drüsen  sich  so  leicht  und  vollständig  isoliren  lässt,  Behandlung  der 
Durchschnitte  mit  verdünnter  Kalilösung,  die  die  Körperchen  zerstört,  und 
Auswaschen  mit  Wasser,  welches  das  aufgehellte  Bindegewebe  wiederher- 
stellt, —  diese  Methode  giebt,  auf  das  Conarium  angewandt,  keine  so  ent- 
scheidenden Bilder.  Bie  KörjDerchen  der  Follikel  werden  zwar  sehr  blass, 
schwinden  aber  nicht  vollständig  und  die  Bälkchen  bleiben  häufig  trotz  des 
Auswaschens  blass  und  verschwommen.  Sie  bestehen  also  nicht  aus  achtem 
oder  reifem  Bindegewebe,  sondern  gleichen  vielmehr  dem  von  W.  Müller ') 
embryonal  genannten  Fasergewebe  der  Lymphbahnen  in  den  Lymphdrüsen. 
Das  Conarium  speciell  den  Lymphdrüsen  an  die  Seite  zu  stellen ,  dafür 
lässt  sich  noch  eine  andere  Erfahrung  geltend  machen :  die  Verschiedenheit 
der  Durchschnitte,  je  nachdem  man  dieselben  einem  in  Alkohol  oder  Chrom- 


W 


Durchschnitt  des  Conarium  des   Menschen. 


1)  Ztschr.  für  rat.  Med.  3.  E.  XX,  119. 
Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  AbthL  2. 


19 


290  Gehirn. 

säure  oder  durcli  Trocknen  gehärteten  Präparat  entnimmt.  Die  Räume, 
welche  an  Durchschnitten  der  ersten  Art  mit  den  erwähnten  Zellen  erfüllt 
sind,  können  an  Durchschnitten  aus  einem  getrockneten  Stück  der  näm- 
lichen Drüse,  wenn  dieselben  in  Wasser  wieder  aufgeweicht  werden ,  völlig 
leer  erscheinen,  zum  Beweis,  dass  der  zellige  Inhalt  flüssig  xmd  während 
des  Eintrocknens  ausgeflossen  war.  Vorzugsweise  an  dem  Conarium  des 
Ochsen  trat  der  Gegensatz  der  in  Alhohol  gehärteten  und  der  getrockneten 
Substanz  scharf  hervor;  die  getrocknete  machte  schon  beim  Durchschneiden 
den  Eindruck  eines  porösen,  dem  Hollundermark  vergleichbaren  Gewebes. 
Aber  auch  an  menschlichen  Conarien  jeden  Alters  habe  ich  öfters ,  unter 
gleichen  Umständen,  statt  der  folliculären  Drüsensubstanz  ein  Balkennetz 
mit  leeren  Maschen  gefunden.  Häufiger  enthalten  die  Maschen  anstatt  der 
Zellen  oder  in  einem  von  den  Zellen  umgebenen  Hohlraum  die  unter  dem 
Namen  des  Hirnsands,  Acervulus,  bekannten  Concremente  (Fig.  215*).  Es 
sind  maulbeer  förmige ,  concentrisch  geschichtete  Körper,  welche  klein  im  In- 
neren der  Follikel  entstehen  und,  ohne  Zweifel  durch  Apposition  wachsend, 
im  günstigsten  Fall  die  Grösse  des  Follikels  erreichen,  zuweilen  auch  durch 
Schwinden  der  Scheidewände  zu  mehreren  aneinanderstossen  und  ver- 
schmelzen. Sie  bestehen  hauptsächlich  aus  phosphorsaurem  Kalk  mit  einer 
Beimischung  von  kohlensaurem  Kalk  und  von  organischer  Materie,  die  wohl 
nicht  als  gestaltgebend,  sondern  nur  als  infiltrirt  zu  betrachten  ist.  Den 
Kern  der  Concremente  mögen,  wie  in  anderen  Körpern  der  gleichen  Kate- 
gorie, Blut-  oder  Faserstoff"gerinnsel ,  Myelinklümpchen  (die  sogenannten 
Corpuscula  amylacea)  oder  abgestorbene  Zellen  bilden. 

Genaueres  über  die  chemische  Ztisammensetzung  des  Hirnsandes  findet  sich 
bei.  Harless,  Müll.  Arch.  1845.  S.  354.  Arlidge,  medico-chirurg.  review.  1854. 
Oct.  p.  470.  Faivre,  Ann.  des  sc.  naturelles,  4.  ser.  VII,  52.  Haeckel,  Archiv 
für  pathol.  Anat.  und  Physiol.  XVI,  259.  Dass  die  Concremente,  so  gewöhnlich 
sie  sind,  doch  nicht  zu  den  typischen  Bestandtheilen  des  Conarium  gehören,  dar- 
t  über  besteht  keine  Meinungsverschiedenheit  mehr.     Uebrigens  finde  ich  in  den  An- 

gaben über  die  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  doch  einige  Uebertreibung.  Ich  habe 
sie  in  Gehirnen  jüngerer  Personen  oft  vermisst;  oft  lagen  nur  wenige  in  den  dem 
vorderen  Eaude  nächsten  Follikeln  und  immer  sind  sie  im  vorderen  Theile  des 
Organs  am  i-eichlichsten.  Beständiger  als  im  Conarium,  finden  sie  sich  an  dem 
Theil  der  Gefässhaut ,  der  die  vordere  Bucht  des  Conarium  ausfüllt,  und  hier  allein 
begegnet  man  den  unregelmässigen ,  cylindrischen  und  ästigen  Formen  ,  die  mit 
Recht  als  incrustirte  Bindegewebsbündel  und  ^Gefässe  angesprochen  wurden.  Da 
nun  diese ,  wie  die  maulbeerförmigen  Concretiönen ,  auch  in  anderen  Theilen  der 
Plexus  choroidei  sich  bilden,  so  ist  zu  schliessen,  dass  das  Material  derselben  nicht 
dem  Conarium  eigenthümlich,  sondern  in  der  Cerebrospinalflüssigkeit  enthalten  sei 
und  aus  ihr  in  die  Follikel  des  Conarium  übergehe.  Dieser  Umstand  macht  es 
wahrscheinlich,  dass  die  Aehnlichkeit  der  Structur  des  Conarium  mit  der  der  Lymph- 
drüsen eine  mehr  als  äusserliche  ist;  nur  möchte  ich  vermuthen,  dass  das  Organ, 
wenn  es  in  früheren  Stadien  als  Lymphdrüse  fungii-te,  im  Laufe  der  Zeit  allmälig 
verlassen  wird,  indem  der  Strom  der  Lymphe  andere  Bahnen  einschlägt.  So  käme 
es  zur  Entartung  sowohl  der  Körperchen  als  der  Balken:  die  Körperchen  vergrös- 
sern  sich  und  verlieren  ihre  regelmässige  Form  ;  die  Balken  atrophiren  und  dies 
kann  bis  zu  dem  Grade  geschehen,  dass  das  Conarium  in  einen  einfachen,  dick- 
wandigen, von  Hirnsaud  erfüllten  Sack  verwandelt  wird. 

Hypophyse.  Die  HypophysB  ruht  in  der  Hypophysengrube,  von  der  Schädelhöhle  aus- 

geschlossen  durch   ein  Blatt   der   fibrösen    Hirnhaut,   welches,   meist  etwas 


Gehirn.  291- 

eingesunken,  zwischen  dem  Sattelwulst  und  den  Procc.  clinoidei  posteriores 
ausgespannt  und  ungefähr  in  der  Mitte  mit  einer  rundlichen  OefFnung  ver- 
sehen ist,  durch  die  der  Stiel  der  Hypophyse  zu  diesem  Organ  gelangt. 
Der  Stiel  besteht  aus  einer  grauen,  weichen,  zerreisslichen  Masse  und  unter- 
scheidet sich  dadurch  wesentlich  von  den  nervenstrangähnlichen  Stielen  des 
Conarium.  Auch  die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt  ihn  frei  von  ent- 
schieden markhaltigen  Nervenfasern,  und  wenn  solche,  sicher  nur  verein- 
zelt, in  der  Substanz  der  Hypophyse  vorkommen,  so  werden  sie  ihr  nicht 
durch  den  Stiel,  sondern  durch  Zweige  peripherischer  Nerven  (aus  dem 
Plexus  caroticus)  zugeführt.  Die  Dimensionen  der  Hypophyse  sind  durch 
die  Grube,  die  sie  aufnimmt,  bestimmt :  in  der  Kegel  übertrifft  ihr  transver- 
saler Durchmesser  den  sagittalen  und  verticalen  um  das  Doppelte ;  ihre  obere 
Fläche  ist  plan,  selbst  leicht  concav  und  geht  mit  einem  abgerundeten 
Rande  in  die  untere  gewölbte  Fläche  über. 

Eine  bindegewebige  Hülle  umgiebt  die  Hypophyse  und  deren  Stiel,  an 
welchem  sie  sich  als  eine  Fortsetzung  der  Gefässhaut  der  Hirnbasis  erweist. 
Mit  der  fibrösen  Haut,  die  die  Hypophysengrube  deckt,  ist  sie  nur  locker 
verbunden;  an  der  unteren  Fläche  der  Hypophyse  ist  sie  von  der  die  Wand 
der  Grube  auskleidenden  Beinhaut  nicht  zu  trennen.  Das  Parenchym  des 
Organs  ist  in  eine  hintere  und  vordere  Abtheilung  geschieden ,  die  man  als 
Lappen  zu  bezeichnen  pflegt,  obschon  sie  sich  an  der  Oberfläche  entweder 
gar  nicht  oder  nur  durch  die  mehr  höckerige  und  deshalb  überragende  Be- 
schaffenheit des  sogenannten  hinteren  Lappens  abgrenzen.  Auf  Vertical- 
und  Horizontalschnitten  setzen  sich  beiderlei  Substanzen  scharf  gegeneinan- 
der ab ;  doch  verwischt  sich  die  Grenze  häufig  durch  Einschiebung  einer 
Schichte  eines  porösen  Gewebes,  dessen  Lücken  von  zweierlei  Art  sind.  Die 
Einen ,  im  Durchschnitt  kreisrund  oder  elliptisch,  fallen  mehr  in  den  Vor- 
derlappen und  kommen  vereinzelt  auch  mitten  in  der  Substanz  desselben 
vor;  der  Durchmesser  der  grösseren  beträgt  0,2  bis  0,25  Mm.  Ihre  Wand 
ist  von  einem  niederen  Cylinderepithel  bekleidet,  welches  in  einzelnen  Fäl- 
len Cilien  führt  (W.  Müller).  Sie  sind  leer  oder  enthalten  Klumpen  einer 
colloiden  Substanz.  W.  Müller  vermuthet,  dass  sie  aus  Resten  der  ursprüng- 
lichen Hypophysen -Anlage  hervorgehen.  Die  anderen  Lücken  haben  minder 
regelmässige  Formen  und  erreichen  einen  Durchmesser  von  0,5  Mm.  Sie 
gehören  entschiedener  dem  Hinterlappen  an.  Durch  ihren  Inhalt,  feinkör- 
nige, Lj^mphkörperchen  einschliessende  Gerinnsel,  und  durch  das  die  Wände 
auskleidende  platte  Epithel  erweisen  sie  sich  als  Lymphgefässdurchschnitte ; 
doch  sind  auch  sie  zuweilen  von  colloiden  Massen  erfüllt.  Bei  Wiederkäuern 
tritt  an  die  Stelle  des  porösen  Gewebes  eine  frontale,  von  Epithel  ausge- 
kleidete Spalte. 

Der  hintere  Lappen  ist  zuweilen  etwas  höher,  im  sagittalen  Durch- 
messer aber  kaum  halb  so  lang ,  als  der  vordere.  Mit  einer  vorderen ,  et- 
was gewölbten  Fläche  ist  er  in  eine  entsprechend  concave  Fläche  des  vor- 
deren Lappens  aufgenommen,  der  dadurch  eine  im  Horizontalschnitt  nieren- 
förmige   Gestalt  erhält. 

An  dem  Stiel  findet  das  umgekehrte  Verhältniss  Statt:  die  Haupt- 
masse desselben  erhebt  sich  aus  dem  hinteren  Lappen,  doch  zieht  sich  ein 
Fortsatz  des  vorderen  Lappens  an  ihm  herauf,  der  beim  Fötus  regelmässig 

19* 


•292^ 


Gehirn. 


lind  zuweilen  auch  beim  Erwachsenen  die  Basis  des  Gehirns  erreicht  und 
an  dem  Tuber  cinereum  eine  kurze  Strecke  gegen  das  Chiasma  hinzieht 
(W.  Müller). 

Fiff.  216. 


% 


Medianschnitt  der  Hypophyse,     das    untere  Ende  des    Stiels  mit  angrenzenden  Theilen 
des  vorderen  (l)  und  hinteren  Lappens  (2). 

Die  Verschiedenheit  des  Gewebes  beider  Lappen  verräth  sich  schon  der 
oberflächlichen  Betrachtung  durch  Unterschiede  der  Farbe  und  Consistenz; 
der  vordere  Lappen  ist  blassroth,  der  hintere  weiss;  der  vordere  Lappen 
ist  härter  als  der  hintere  und  widersteht  länger  der  Erweichung  durch' 
Fäulniss;  seine  Schnittfläche  hat  ein  homogenes,  die  des  hinteren  Lappens 
ein  mehr  granulirtes  Ansehen.  Viel  auff'allender  sind  die  Gegensätze  der 
Structur,  die  das  Mikroskop  enthüllt.  Der  vordere  Lappen  besteht  aus  durch- 
einandergewundenen Schläuchen,  deren  Durchschnitt  dem  Durchschnitt  der 
Marksubstanz  der  Nebenniere  sehr  ■  ähnlich  ist.  Den  Inhalt  der  Schläuche 
bilden  Kernzellen  mit  feinkörnigem  Protoplasma  von  verschiedener  Grösse 
und  Form,  zum  Theil  platt  und  aufeinandergeschichtet,  so  dass  sie  sich  vom 
Rande  gesehen  wie  Cylinderzellen  ausnehmen ,  zum  Theil  kugelig ,  in  ein- 
oder  mehrfachen  Reihen  und  hier  und  da  selbst  ein  enges  Lumen  begren- 
zend. In  dem  Fortsatz  des  vorderen  Lappens ,  der  einen  Theil  des  Stiels 
der  Hypophyse  bildet ,  liegen  die  Schläuche  der  Länge  nach  nebeneinander, 
mit  stärkeren,  ebenfalls  longitudinalen  Blutgefässen  untermischt.  Was  der 
Annahme  einer  völligen  Identität  des  Gewebes  der  Hypophyse  und  der  Mark- 
substanz der  Nebenniere  entgegensteht,  ist,  dass  1)  die  Zellen  der  Hypophyse 
in  chromsaurer  Kalilösung  die  Farbenäiaderung  nicht  erfahren,  die  für  die 
Zellen  der  Marksubstanz  der  Nebenniere  charakteristisch  ist,   und  2)  in  der 


Gehirn.  293 

Hypophyse  zahlreichere ,  kreisrunde,  von  eigenen  Wänden  begrenzte  Gefäss- 
durchschnitte  gefanden  werden ,  während  in  der  Nebenniere  die  bhithaltigen 
Räume  nur  durch  die  Membranen  der  Schläuche  begrenzt  scheinen. 

Die  Grundlage  des  hinteren  Lappens  iind  des  zu  demselben  gehörigen 
Theils  des  Stiels  sind  Faserbündel,  die  in  dem  Stiel  parallel,  in  dem  Lappen 
in  verschiedenen,  einander  kreuzenden  Richtungen  verlaufen.  Die  Bündel 
sind  nur  undeutlich  gesondert ,  schwach  wellenförmig ,  die  Fasern  sehr  fein, 
starr,  in  Essigsäure  erblassend.  Dies  Reagens  macht,  indem  es  die  Fasern 
aufhellt,  zugleich  zahlreiche  elliptische  Zellenkerne  sichtbar,  welche  mit  dem 
längsten  Durchmesser  den  Fasern  parallel,  theils  zwischen  denselben  liegen, 
theils  die  Fasern  unterbrechen.  Ausserdem  ist  die  ganze  Masse  sowohl  der 
Faserbündel  als  der  Zwischenräume  mit  dichten  feinen  Pünktchen  durch- 
säet, die  den  Molekülen  der  gelatinösen  Substanz  des  Centralorgans  gleichen. 

Die  beschriebenen  Fasern  lassen  sich  unter  keinem  der  Gewebe  des  er- 
wachsenen Körpers  unterbringen;  sie  erinnern  an  die  embryonalen  Stadien 
mancher  Fasergewebe ,  namentlich  der  Nervenfasern,  und  darauf  deutet  auch 
ihre  Entwickelungsgeschichte.  Doch  scheinen  sie  nicht  nur  in  der  Ausbil- 
dung zurückgeblieben,  sondern  einer  rückschreitenden  Metamorphose  ver- 
fallen zu  sein.  Ich  schliesse  dies  aus  der  Anwesenheit  von  Klümpchen  eines 
feinkörnigen,  gelben  Fettes,  welche  regellos  in  der  Masse  zerstreut  liegen. 
Minder  beständig  kommen  Zeichen  der  Degeneration  auch  in  dem  vorderen 
Lappen  und  dem  vorderen  Theil  des  Stiels  vor:  colloide  Umwandlung  des 
Inhalts  einzelner  Drüsenschläuche  und  eine  Wucherung  der  den  Stiel  durch- 
ziehenden Gefässe  in  Form  von  Schlingen  und  Zotten,  die  das  eigentliche 
Gewebe  des  Stiels  verdrängen  (Luschka). 

Die  Entwickelungsgeschichte  der  HyiDOjDhyse ,  welche  soeben  eine  erneute 
sorgfältige  Bearbeitung  durch  W.  Müller  (Jenaische  Ztschr.  für  Med.  und  Natur- 
wissensch.  VI,  354)  erfahren  hat,  lehrt,  dass  die  beiden  differenten  Theile  des  Or- 
gans aus  verschiedenen  Anlagen  hervorgehen.  Der  vordere  Lappen  entspricht, 
wie  schon  E,athke  ermittelt  hatte,  einer  Ausstülpung  des  Schlundes,  dessen  Epi- 
thel die  Zellen  der  gewundenen  Schläuche  erzeugt.  Mit  der  Entwickelung  der 
Schädelbasis  wird  er  von  dem  Sclilunde  abgeschnürt.  Der  hintere  Lappen  mit  der 
Hauptmasse  des  Stiels  tritt  als  ein  Fortsatz  der  Basis  des  Zwischenhirns  auf,  der 
bei  Reptilien  und  Vögeln  als  ein  unzweifelhafter  HirntheU  während  des  ganzen 
Lebens  sich  erhält,  bei  den  Säugetliieren  aber  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  Fö- 
tuslebens sein  specifisches  Gewebe  verliert.  Nach  Müller' s  Ansicht  würde  das- 
selbe durch  Bindesubstanz  ersetzt. 

Der  doppelte  Ursprung  der  Hypophyse  erklärt  die  allerdings  seltene  Anomalie, 
dass  der  vordere  Lappen  allein,  ohne  Zusammenhang  mit  dem  Grehim,  vorkommt 
(Luschka,  der  Hirnanhang  und  die  Steissdrüse.     Berlin  1860.    S.  31). 


Die  Resultate  der  mikroskopischen  Untersuchung  des  Gehirns  werden  Faserver- 
es  rechtfertigen,  dass  ich  die  älteren,  der  Zerlegung  erhärteter  Gehirne  ent- 
nommenen Angaben  über  den  Verlauf  der  Fasern  unbeachtet  gelassen  habe. 
Abgesehen  von  der  äussersten  Peripherie  des  Gross-  und  Kleinhirns  giebt 
es  kaum  eine  Stelle,  in  welcher  nicht  Fasern  einander  einzeln  oder  bündel- 
weise kreuzten ,  und  so  ist  die  Richtung ,  nach  welcher  die  erhärtete  Masse 
bricht,  nur  durch  das  Uebergewicht  der  Einen  oder  anderen  Faserrichtung 
oder  gar  nur  durch  die  Richtung,   nach  welcher  die  trennende    Gewalt  ein- 


294  Gehirn. 

wirkt ,  bedingt.  Schon  hei  dem  ersten  und  einfachsten  Prohlem , ,  der  Er- 
mittehmg  des  Verhältnisses  der  Eückenmarksstränge  zu  den  Strängen  des 
verlängerten  Marks,  hat  die  Unzuverlässigkeit  jener  Untersuchungsmethode 
sich  herausgestellt,  indem  Burdach,  Arnold  und  Alle,  die  auf  gleiche 
Weise  operirten,  die  Pyramiden  allein  von  den  Seitensträngen,  die  seitlichen 
Fasermassen  des  verlängerten  Marks  von  den  vorderen  Rückenmarkssträn- 
gen ableiteten. 

Den  Ausgangspunkt  unserer  Kenntniss  der  Structurverhältnisse  bilden 
beim  Gehirn  wie  beim  Rückenmark  die  Arbeiten  Stilling's.  Aber  auch  von 
den  Resultaten,  die  seitdem  und  mittelst  seiner  Methode  erworben  wurden, 
glaubte  ich  diejenigen  unberücksichtigt  lassen  zu  dürfen ,  welche  offenbar 
durch  physiologische  Vorurtheile  inficirt  sind.  Ich  habe  in  der  Einleitung 
gezeigt,  dass  ich  den  Werth  physiologischer  Thatsachen  für  die  Anatomie 
des  Nervensystems  zu  schätzen  weiss,  und  betrachte  es  als  eine  Aufgabe 
der  Anatomie,  zusammenzustellen,  was  Beobachtung  und  Experiment  über  die 
Beziehung  der  einzelnen  Localitäten  des  Gehirns  zu  den  peripherischen 
Nervenbezirken  ergeben.  Wenn  man  aber  auf  die  erst  noch  zu  erweisen- 
den Sätze,  dass  jede  peripherische  Faser  in  einer  Gehirnzelle  repräsentirt 
werden,  jede  Association  der  Gehirnzellen  ihren  Weg  diirch  eine  centrale 
Faser  nehmen  müsse,  eine  Anatomie  des  Centralorgans  aufbaut,  so  ist  dem 
entgegenzuhalten,  dass  der  verwickelte  Verlauf  der  Hirnelemente  es  gar 
zu  leicht  macht,  jedesmal  das  zu  finden,  was  die  Theorie  postulirt.  Auch 
haben  diejenigen,  welche  die  Ideen  zu  gegenseitiger  Association  auf  Nerven- 
fasern reisen  lassen,  nicht  erwogen,  dass  die  Associationen  für  jedes  Indivi- 
duum und  für  jedes  Lebensstadium  je  nach  den  Erlebnissen  verschieden  sind. 

Der  Fordenmg,  die  peripherischen  Nervenfasern  anatomisch  durch  das 
Rückenmark  zum  Gehirn  zu  verfolgen,  ist  schon  deshalb  zu  genügen  un- 
möglich ,  weil  der  Faden ,  an  den  wir  anknüpfen  müssten ,  schon  innerhalb 
des  Rückenmarks  verloren  gegangen  ist.  Indessen  lässt  sich  unabhängig 
von  der  Frage,  wie  sich  die  Nervenwurzeln  zu  den  Rückenmarkssträngen 
verhalten ,  das  Verhältniss  dieser  Stränge  zu  denen  des  verlängerten  Marks 
untersuchen  und  die  Verfolgung  der  direct  in  das  verlängerte  Mark  eintre- 
tenden Nervenwurzeln  ist  wenigstens  nicht  reicher  an  Schwierigkeiten,  als 
die  Verfolgung  der  Wurzeln  der  Rückenmarksnerven,  ja  sie  bietet  vielleicht 
Anhaltspunkte,  die  dem  Verständniss  des  Verlaufs  der  Rückenmarksnerven- 
wurzeln  zu  Gute  kommen. 

Was  nun  die  Beziehung  der  longitudinalen  Fasern  des  Rückenmarks 
zu  der  Faserung  des  verlängerten  Marks  betrifft,  so  lässt  die  zunehmende 
Mächtigkeit  der  Pyramiden ,  die  allmälige  Verdünnung  der  Hinter  -  und 
Seitenstränge  (vgl.  Fig.  114,  116,  117  und  134),  der  Faserverlauf  in  queren 
und  sagittalen  Durchschnitten,  endlich  die  immer  innigere  Vermischung 
von  stai'ken  und  feinen  Fasern  in  den  Pyramiden  und  deren  Anhängen,  den 
Vorderstrangsresten,  kaum  einem  Zweifel  Raum ,  dass  ein  grosser  Theil  der 
Fasern  der  Hinter-  und  Seitensti-änge  des  Rückenmarks  im  verlängerten 
Mark  sich  nach  den  Vordersträngen  wende  und  mit  denselben  zusammen- 
fliesse.  Sind  in  den  Strängen  des  Rückenmarks  physiologisch  differente 
Fasern  gesondert,  so  hat  die  neue  Gruj)pirung  der  Fasern  im  verlängerten 
Mark  die  Tendenz,  diese  Sonderung  aufzuheben  und  die  Fasern  der  ver- 


Gehirn.  295 

scliiedenen  Kategorien  zu  vermengen.  Ebenso  zweifellos  ist  beim  Ueber- 
gang  aus  den  hinteren  und  Seitensträngen  des  Rückenmarks  in  die  vorde- 
ren Stränge  des  verlängerten  Marks  der  Austausch  der  grossen  Mehrzahl 
der  symmetrischen  Fasern  beider  Körperhälften.  Ausgenommen  von  dieser 
Kreuzung  scheinen  gerade  die  ursprünglich  in  den  Vordersträngen  iind  wei- 
ter oben  in  den  sogenannten  Vorderstrangsresten  enthaltenen  Fasern.  Die 
nicht  gekreuzten  Fasern  der  Vorderstränge  und  die  nicht  vorwärts  umbie- 
genden Fasern  der  Seiten-  und  Hinterstränge  geben  mehr  und  mehr  zer- 
klüftet die  Längsfasern  der  reticulären  Substanz  ab ;  von  diesen  sammeln 
sich  weiterhin  die  oberflächlichen  wieder  zu  der  compacten  Masse  der  Klein- 
hirnstiele. Mit  dem  Eintritt  ins  Kleinhirn  ist  vorläufig  die  Möglichkeit, 
diesen  Fasern  anatomisch  weiter  nachzugehen,  abgeschnitten;  es  ist  un- 
möglich ,  zu  entscheiden ,  ob  die  Vierhügelschenkel  die  aus  dem  Kleinhirn 
zurückkehrenden  Fortsetzungen  der  strickförmigen  Stränge  oder  neue,  im 
Kleinhirn  wurzelnde  Fasern  enthalten.  "Wie  dem  sei,  so  bilden  die  Vier- 
hügelschenkel nebst  Resten  der  reticulären  Substanz  die  Grundlage  des 
Tegmentum,  die  Pyramiden  die  Grundlage  der  Basis  der  Grosshirnschen- 
kel; doch  tauschen  auch  die  beiden  Abtheilungen  des  Grosshirnschenkels 
Fasern  gegen  einander  aus ;  ich  erinnere  an  die  vom  Rande  der  Pyramiden 
in  die  reticuläre  Substanz  aufsteigenden,  sowie  an  die  von  der  Oberfläche 
der  reticulären  Substanz  zur  Basis  sich  herabsenkenden  Bündel  (Fig.  146 
und  Fig.  174). 

Auf  einem  immer  noch  anatomischen  Umwege  suchte  Meynert  (Ztschr.  für 
wissensch.  Zeel.  XVII,  655)  die  physiologische  Bedeutung  einzelner  Theila  des  ver- 
längerten Marks  und  damit  deren  Beziehung  zu  den  Strängen  des  Rückenmarks 
zu  ermitteln.  Seine  Methode  beruht  auf  der  Vergieicliung  des  Volumens  der  ein- 
ander entsprechenden  Hirntheile  von  Thieren ,  welche  in  Bezug  auf  den  Flächen- 
inhalt ihrer  Oberfläche  oder  die  Masse  einzelner  Muskelgruppen  grosse  Unter- 
schiede zeigen.  Die  Chiropteren  stehen  diirch  die  verhältnissmässig  grosse  Aus- 
dehnung ihrer  Hautoberfläche  allen  übrigen  Säugethieren  weit  voran ;  Maulwurf 
und  Affen  wurden  wegen  der  relativen  Stärke  der  vorderen,  das  Känguruh  wegen 
des  Ueber gewichtes  der  hinteren  Extremitäten  zur  Vergleichuug  herangezogen. 
Zu  den  Messungen  verwandte  Meynert  Frontalschnitte  durch  die  Brücke  zwischen 
den  Ursprüngen  der  Nu.  trochlearis  and  trigeminus;  Gegenstand  der  Messungen  war 
das  Breiteuverhältniss  des  Lemniscus  zum  halben  Querdurchmesser  des  Schnitts  und 
das  Verhältniss  der  Durchmesser  der  reticulären  Substanz.  Die  mannigfaltigen  Com- 
binationen  derFactoren,  des  Flächeninhalts  der  Haut  und  der  Masse  der  Muskelgrup- 
pen, beeinträchtigen  die  Sicherheit  des  Ausschlags  derZalilen;  doch  bringt  Meynert 
die  auffallende  relative  Breite  des  Lemniscus  bei  Fledermäusen  in  Zusammenhang  mit 
der  grossen,  für  die  Körperoberfläche  erforderlichen  Summe  von  Hautnerveu  und  er- 
klärt demnach  den  Lemniscus  für  ein  Gebilde  ,  in  welchem  sensible  Nerven  zum  Gehirn 
aufsteigen.  Die  reticuläre  Substanz  bezeichnet  er  als  motorisches  Feld  und  glaubt 
sich  zu  dem  Schluss  bei-echtigt,  dass  dessen  Schmalheit  zu  mächtigen  Beckenglie- 
dern, Breite  desselben  zu  mächtigen  Brustgliedern  stimme.  Die  Muskeln  der 
Beckenglieder  findet  er  durch  eine  der  Baphe  benachbarte,  die  Muskeln  der 
Brustglieder  durch  eine  weiter  seitwärts  gelegene  Parcelle  vertreten.  Bei  den 
Säugethieren  mit  schwachen  Vorderextremitäten  zeigt  die  äussere  Parcelle  des 
motorischen  Feldes  zwischen  den  Wurzeln  der  Nn.  vagus  und  hypoglossus  eine 
dreieckige,  bei  mächtigen  Vorderextremitäten  eine  unregelmässig  viereckige  Gestalt. 

Deiters'  Ausspruch  (S.  200  ff.),  dass  die  Fasern  der  Hinter-  und  Seiten- 
stränge des  Rückenmarks  in  den  Zellen  der  grauen  Säulen  oder  Kerne  dieser 
Stränge  enden  und  die  Kreuzungsfasern  des  verlängerten  Marks  ,  die  Fasern  der 
Kleinhirn  Schenkel  u.  a.,    neu  aus  diesen   Zellen  hervorgelien  sollen ,    beruht    nicht 


296  Gehirn. 

auf  directer  Beobachtung;  es  ist  Anwendung  eines  Gesetzes,  in  welchem  Deiters 
den  durch  das  Labyrinth  des  Gehirnbaues  leitenden  Faden  gefunden  zu  haben 
glaubte,  dass  nämlich  die  Nervenbahnen  überall,  wo  sie  eine  völlig  andere  Rich- 
tung annehmen,  von  Ganglienmassen  unterbrochen  würden  (a.  a.  0.  S.  164).  Das 
allgemeine  Gesetz  hat  bereits  Kölliker  (S.  295)  in  richtiger  Weise  kritisirt,  in- 
dem er  an  die  zahlreichen,  durch  Deiters  selbst  anerkannten  Ausnahmen  von 
demselben  erinnerte.  An  den  besonderen  Fall ,  um  den  es  sich  hier  handelt ,  ist 
er  in  so  weit  zu  gla\iben  geneigt,  als  er  die  im  Kern  des  zarten  Strangs  enthal- 
tenen Zellen  Fasern  an  die  Pyramidenkreuzung  abgeben  sah.  Die  übrigen  Fort- 
sätze dieser  Zellen  könnten  nach  Kölliker's  Meinung  wohl  nur  mit  Längsfasern 
der  zarten  Stränge  zusammenhängen.  Von  den  Zellen  der  Kerne  des  Keilstrangs 
glückte  es  auch  nicht ,  Fortsätze  zur  Pyramidenkreuzung  zu  verfolgen. 

So  unsicher  aber  die  anatomischen  Grundlagen  sind,  auf  welchen  Deiters  die 
Hypothese  construirt,  dass  die  Zellen  des  verlängerten  Marks  in  die  vom  Rücken- 
mark zum  Gehirn  ziehenden  Fasern  nur  eingeschaltet  seien,  um  eine  Veränderung 
der  Richtung  oder  auch  des  Kalibers  der  Fasern  einzuleiten ,  so  gewagt  wäre  es 
zu  behaupten,  dass  wir  in  diesen  Zellen  die  definitiven  Endpunkte  zum  Gehirn 
aufsteigender  oder  vom  Gehirn  absteigender  Fasern  vor  uns  hätten.  Man  darf 
nicht  vergessen,  dass  solche  Sätze  nichts  weiter  sind,  als  in  die  Sprache  der  Ana- 
tomie übersetzte  physiologische  Anschauungen,  indem  man  den  Impulsen  ,  die  das 
verlängerte  Mark  passiren,  Fasern,  den  Impulsen,  die  vom  verlängerten  Mark  aus- 
gehen oder  in  ihm  enden,  Zehen  substituirt. 

Die  Wurzeln  der  unmittelbar  in  das  verlängerte  Mark  eintretenden 
Nerven  verhalten  sicli  zunächst  darin  den  Wurzeln  der  Rückenmarksnerven 
völlig  gleich,  dass  sie,  die  longitudinalen  Faserzüge  der  oberflächlichen  com- 
pacten, wie  der  tieferen  reticulären  Substanz  durchziehend,  in  Zellengrup- 
pen übergehen  und  sich  in  denselben  zerstreuen.  Die  Zellengruppen  oder 
Nervenkerne,  wie  man  sie  nennt,  sind  Fortsetzungen  der  grauen  Säulen 
des  Rückenmarks ;  sie  haben  zum  Theil  die  nämliche  Säulenform,  indem  die 
Kerne  einer  Reihe  von  Nerven,  des  11.  bis  9.,  des  4.  und  3.,  zu  je  einer 
cylindrischen  Masse  zusammenfliessen ;  zum  Theil  sind  sie  nach  einer  oder 
mehreren  Seiten  scharf  umschrieben,  wie  die  Kerne  der  Nn.  hypoglossus  und 
facialis.  Sie  entsprechen  den  grauen  Rückenmarkssäulen  anfänglich  auch 
in  ihrer  Lage  (Fig.  117),  ziehen  sich  aber  allmälig  mehr  gegen  den  Cen- 
tralcanal  zurück  (Fig.  124)  und  kommen,  wenn  dieser  sich  geöffnet  hat,  an 
den  Boden  des  vierten  Ventrikels  zu  liegen  (Fig.  129).  Die  Zellen,  welche 
in  diesen  Nervenkernen  enthalten  sind,  zeigen  Unterschiede  der  Grösse 
und  Form,  welche  eine  ähnliche  Beziehung  zum  physiologischen  Charakter 
der  mit  ihnen  zusammenhängenden  Nerven  zu  haben  scheinen ,  wie  im 
Rückenmark.  Wenigstens  zeichnen  sich  die  Zellen  der  Kerne  entschieden 
motorischer  Nerven  ,  wie  des  Hypoglossus ,  Facialis ,  Abducens ,  Oculomoto- 
rius,  durch  ihre  Grösse  aus,  während  allerdings  in  den  Kernen  gemischter 
Nerven,  des  Vagus  und  Glossopharyngeus ,  die  grossen  Zellen,  die  den  mo- 
torischen Fasern  derselben  entsprechen  müssten,  vermisst  werden,  während 
ferner  der  obere  Acusticuskern  grosse  Zellen  besitzt,  ohne  motorische  Fa- 
sern abzugeben ,  und  im  Kern  des  Trigeminus ,  trotz  des  Eintritts  zahlrei- 
cher sensibler  Fasern,  die  kleineren  Zellen  fehlen.  Aber  wer  wollte  ver- 
sichern ,  dass  alle  in  einem  Kern  sich  verlierenden  Fasern  in  demselben 
wirklich  ihr  Ende  erreichen !  Und  so  muss  es  auch  dahin  gestellt  bleiben, 
ob  specifische  Zellenformen  des  Gehirns,  wie  die  tief  pigmentirten  des  Lo- 
cus  coeruleus   und    der   Substantia   nigra,    die   gruppenweise  gehäuften  des 


Gehirn.  297 

Trochleariskerns  u.  a.    etwas  functioneli  Besonderes  oder  eine  Beziehiing  zu 
besonderen  Neryenwurzeln  haben. 

Die  meisten  der  in  das  verlängerte  Mark  eintretenden  Nerven  lösen 
sich  auf  dem  Wege  zu  ihren  Kernen  in  eine  Anzahl  gesonderter,  schmaler, 
paralleler  oder  netzförmig  anastomosirender  Bündel  auf,  wie  dies  auch  bei 
den  Rückenmarksnerven  der  Fall  ist;  einzelne,  wie  der  Facialis  und  die 
sensible  Wurzel  des  Trigeminus,  machen  eine  Ausnahme  und  durchsetzen 
in  compacten,  dem  unbewaffneten  Auge  sichtbaren  Strängen  die  Schichten 
der  Brücke  und  des  verlängerten  Marks.  Eine  andere,  wichtigere  Eigen- 
thümlichkeit  mancher  Grehirnnerven  besteht  darin,  dass  die  Wurzeln  Eines 
Stammes  sich  nach  verschiedenen  Richtungen  zu  entlegenen  Kernen  ver- 
theilen  oder  theilweise  an  den  Kernen  vorübergehen,  um  sich  in  der  Mittel- 
linie mit  gleichnamigen  Fasern  der  anderen  Seite  zu  kreuzen  oder  zu  höhe- 
ren Gehirntheilen  aufzusteigen.  Dem  N.  acusticus,  der,  wie  längst  bekannt, 
mit  einem  Theil  seiner  Wurzelfasern  die  Oberfläche  des  verlängerten  Marks 
umkreist,  tritt  nach  meinen  Beobachtungen  (S.  196)  der  N.  hypoglossus, 
vielleicht  auch  der  Accessorius  an  die  Seite.  Möglicherweise  liegt  hier  ein 
Verhältniss  klar  zu  Tage,  welches  mehr  versteckt  auch  im  Rückenmark 
stattfindet  und  man  dürfte  den  Verlauf  der  Nervenwurzeln  im  verlängerten 
Mark  als  eine  Stütze  ansehen  für  die  Vermuthung,  dass  im  Rückenmark 
die  Commissuren  durch  abgezweigte  Fasern  der  Nervenwurzeln  gebildet 
werden. 

Eher,  als  an  den  Rückenmarksnerven,  lässt  sich  auch  an  den  Nerven 
des  verlängerten  Marks,  namentlich  am  N.  facialis,  wegen  seiner  oberfläch- 
lichen Lage  der  Beweis  erbringen,  dass  Fasern  der  Wurzeln  an  den  Zellen 
der  grauen  Substanz  vorüber-  und  in  die  longitudinalen  Stränge,  hier  zu- 
nächst der  Substantia  reticularis,  eingehen  (S.  221). 

Bis  hierher,  bei  Betrachtung  der  Längsfaserung  iind  der  Nervenwur- 
zeln ,  erschien  uns  das  verlängerte  Mark  als  eine  nur  in  unwesentlichen 
Punkten  modificirte  Fortsetzung  des  Rückenmarks.  Ich  rechne  zu  den  un- 
wesentlichen Modificationen  auch  die  zahlreichen  in  die  weisse,  namentlich 
in  die  reticuläre  Substanz  eingestreuten  Nervenzellen,  da  dieselben  ja  auch 
in  den  Rückenmarkssträngen  in  der  Nähe  der  grauen  Säulen  vorkommen. 
Nicht  einmal  von  der  veränderten  Proportion  der  grauen  und  weissen  Masse 
in  den  Hintersträngen  ist  es  gewiss,  ob  sie  unter  dem  Gesichtspunkt  einer 
Zunahme  der  grauen  oder  einer  Abnahme  der  weissen  Masse  aufzufassen 
sei.  Im  Folgenden  hebe  ich  nun  die  neuen  Bildungen  hervor ,  welche  im 
verlängerten  Mark  auftreten ,  also  zu  der  Fortsetzung  des  Rückenmarks 
hinzukommen  und  zugleich  den  Uebergang  zu  der  weit  verwickeiteren 
Structur  der  folgenden  Hirntheile  vermitteln. 

Das  Erste  und  Auff"allendste  ist  die  ausserordentliche  Vermehrung  und 
der  eigenthümliche  Verlauf  der  in  der  Ebene  des  Querschnitts  ziehenden 
Fasern,  welche  im  Rückenmark,  abgesehen  von  den  Nervenwurzeln,  nur 
durch  die  Commissuren  repräsentirt  werden.  Unmerklich,  als  ein  nur  mi- 
kroskopisch wahrnehmbarer  Ueberzug  der  weissen  Stränge  beginnend,  ent- 
wickeln sie  sich  in  der  Gegend  der  Oliven  zur  Gürtelschichte ,  dann  zur 
Brücke,  und  aus  derselben  aufsteigend  zum  Lemniscus,  bis  sie  zuletzt,  im 
Markkern  des  Kleinhirns,   im  Balken  und  den  Commissuren  des  Grosshirns 


298  aehirn. 

einen  wesentliclien  Theil  dieser  Organe  ausmaciien.  Im  verlängerten  Mark 
kommen  diese  Fasern  in  zweierlei  Formen  vor:  die  Einen  umschliessen  die 
beiden  Seitenhälften  desselben  mehr  oder  minder  vollständig,  in  doppelkreis- 
nnd  theilweise  in  czsförmigen  Zügen,  indem  sie  von  beiden  Seiten  in  der 
Eaphe  zusammenstossen  und  die  letztere  gerade  oder  spitzwinklig  gekreuzt 
in  der  Richtung  von  der  oberen  zur  unteren  Fläche  durchsetzen  (Fig.  122); 
die  anderen  gehen  als  transversale  und  Bogenfasern  der  reticulären  Sub- 
stanz und  der  Vorderstrangsreste  aus  Einer  Seitenhälfte  des  verlängerten 
Marks  in  die  andere  und  durchziehen  die  Raphe  in  ebenfalls  gekreuzter, 
aber  wesentlich  transversaler  Richtung  (Fig.  123).  Ob  sie  mit  den  longi- 
tudinalen  Fasern  oder  mit  den  Nervenwurzeln  des  verlängerten  Marks  zu- 
sammenhängen oder  nur  zur  Verbindung  der  Nervenzellen  beider  Seiten- 
hälften dienen,  ist  eine  Frage ,  über  die  es  zur  Zeit  nicht  lohnt,  Betrachtun- 
gen anzustellen ,  ebenso  wenig ,  wie  über  die  Herkunft  der  Brückenfasern 
und  der  transversalen  Fasern  des  Kleinhirns. 

Eine  zweite  Gruppe  neuer  Bildungen  des  verlängerten  Marks  sind  die 
gelatinösen  Kerne,  der  Pyramiden  -,  der  Oliven  -  und  Nebenolivenkern  und 
die  Kerne  der  Gürtelschichte,  die  ihr  Vorbild  in  dem  gelatinösen  Ueberzug 
der  Hintersäulen  des  Rückenmarks  haben.  Der  gemeinsame  Charakter  aller 
dieser  Kerne  ist  ein  negativer,  der  Mangel  der  Längsfaserbündel ,  deren 
Ausweichen  die  Durchsichtigkeit  der  gelatinösen  Schichten  bedingt.  Die 
Fasern,  welche  zurückbleiben,  und  die  gelatinöse  Substanz  in  feinen  Bün- 
deln und  in  grösseren  oder  geringeren  Abständen  durchziehen ,  sind  trans- 
f^ersale:  im  Rückenmark  die  hinteren  Nerven wiirzeln,  im  verlängerten  Mark 
die  Gürtel  -  und  Bogenfasern ;  sie  verlaufen  durch  die  gelatinöse  Platte  in 
gerader  Richtung  (gelatinöse  Schichte  der  Hintersäulen,  Pyramidenkern)  oder 
erleiden  eine  vorübergehende  Ablenkung  (Oliven,  Nebenoliven).  Vor  der 
gelatinösen  Substanz  des  Rückenmarks,  welche  ausser  den  Nervenfaserbün- 
deln nur  Körner  enthält,  haben  die  gelatinösen  Kerne  des  verlängerten 
Marks  das  voraus ,  dass  die  Zwischenräume  der  Nervenfasern  mit  sternför- 
migen Zellen  durchsäet  sind,  deren  Ausläufer  man  in  Nervenfasern  verfolgt 
haben  will.  Noch  complicirter  ist  der  Bau  der  gelatinösen  Platte  des  Klein- 
hirns ,  des  C.  dentatiim. 

Am  verlängerten  Mark  war  es  noch  möglich ,  Nervenwurzeln ,  Fort- 
setzungen der  Rückenmarksfasern  und  eigene  Fasern  durch  die  Continuität, 
die  Richtung  des  Verlaufs  und  die  Verschiedenheit  des  Kalibers  von  einan- 
der zu  sondern.  Bei  der  Untersuchung  der  Hemisphären  verlassen  uns  diese 
Mittel.  Das  Kaliber  der  Fasern  ist  ein  ziemlich  gleichmässig  feines,  die 
Continuität  bei  dem  massenhaften  Aiistausch  der  Fasern  nicht  festzuhalten, 
der  Gegensatz  der  Richtung  durch  Uebergänge  verwischt.  Dem  physiolo- 
gischen Experiment,  dem  absichtlichen  und  zufälligen,  die  Frage  nach  der  Be- 
deutung der  Zwischenstationen  überlassend,  eile  ich  zii  den  in  den  peripheri- 
schen Theilen  des  Gehirns  befindlichen  centralen  Enden  der  Fasern.  Denn 
dass  Fasern  hier  enden,  halte  ich  für  ein  verhältnissmässig  sicheres  Resul- 
tat der  mikroskopischen  Beobachtung,  und  wenn  ich  über  das ,  was  die  un- 
befangene Beobachtung  lehrt,  nicht  hinausgehen  will,  so  muss  ich  zweierlei 
Endigungsweisen  annehmen.  Die  Eine,  in  der  feinkörnigen  Substanz  des 
Linsenkerns  und  des   Streifenhügels ,  ist  eine  allmälige  Zuspitzung    der  in 


Gehirn.  299 

feine  und  feinere  Bündel  zertheilten  Faserzüge;  die  andere,  in  der  Rinde 
des  Gross-  und  Kleinhirns,  ist  Uebergang  in  Zellen,  die  nach  der  entgegen- 
gesetzten Seite  Fortsätze  aussenden,  die  sich  in  der  feinkörnigen  Substanz 
verlieren.  Man  könnte  die  Zellen  mit  Zwiebeln  vergleichen,  die  ihre  Wur- 
zeln in  die  äusserste,  feinkörnige  Schichte  der  Hirnrinde  treiben  und  an 
Stelle  des  blüthentragenden  Stengels  Nervenfasern  aussenden.  Und  dabei 
bestände  zwischen  den  Zellen  des  Klein-  und  Grosshirns  der  Unterschied, 
dass  bei  jenen  die  Wurzel  viel  vereweigt,  der  Stengel  in  der  Regel  ein- 
fach ist,  aus  diesen  dagegen  einer  einfachen,  geraden  Wurzel  gegenüber 
eine  Mehrheit  von  Stengeln  entspringt.  So  lange  aber  diese  histologischen 
Thatsachen  nicht  der  Controverse  entrückt  sind,  ist  es  müssig  zu  fragen, 
ob  die  aus  den  Zellen  der  Grosshirnrinde  entspringenden  Nervenfasern ,  wie 
Meynert  ■^)  will,  die  Anfänge  der  peripherischen  und  insbesondere  der 
Sinnesnerven  seien,  ob  sie,  nach  Gratiolet's  Ansicht,  durch  den  Balken  in 
die  Corona  radiata  und  weiter  in  die  Grosshirnschenkel  der  entgegengesetz- 
ten Seite  übergehen ,  oder  ob  sie,  auch  dies  Dritte  und  noch  manches  An- 
dere ist  möglich,  nur  zur  Verbindung  der  beiderseitigen  gleichartigen  Zel- 
len dienen. 

Indem  ich  nun,  nach  dem  in  der  Einleitung   entwickelten  Plan,   die  PhysioLUn-» 
Lücken   der   anatomischen  durch   die  Ergebnisse  der  physiologischen    For-  raserver-° 
schung  auszufüllen  suche,   wird  es  kaum  nöthig   sein,   die   Geringfügigkeit   ^" " 
der  Ausbeute  mit  der  allgemein  zugestandenen  Unsicherheit  der  Erfahrung 
am  kranken  Menschen,  mit  der  beschränkten  Anwendbarkeit  des  Experi- 
ments an  Thieren  nochmals   zu  entschuldigen.     Als  erstes  und  zuverlässig- 
stes Mittel  galt  aiich  hier  wieder  die  unmittelbare  Reizung,   zunächst  um 
im  Allgemeinen  zu  constatiren ,  welchen  Hirntheilen  die  sensibeln ,  welchen 
die  motorischen  Nerven  sich  zuwenden.     Von  den   sensibeln   kommen  hier- 
bei natürlich  nur  die  Tastnerven  in  Betracht,   da  nur  die  Berührung  oder 
Schmerzempfindung  objectiv  wahrnehmbare  Reactionen  bei  Thieren  hervor-  i 

ruft.  Auf  Reizung  empfindlich  zeigen  sich  die  Seitentheile  (der  laterale 
Keilstrang)  des  verlängerten  Marks,  der  untere  Theil  der  Brücke,  die  Basen 
der  Grosshirnschenkel,  sowie  (nicht  unbestritten)  die  tiefsten  Schichten  der 
Thalami;  von  denselben  Regionen  aus  können  auch  Bewegungen,  meist  in 
einer  grösseren  Anzahl  von  Muskeln,  angeregt  werden.  Auf  Verletzung 
der  übrigen  Hirntheile ,  namentlich  der  Grosshirnhemisphären ,  der  Strei- 
fen- und  Vierhügel  und  des  Kleinhirns,  geben  sich  weder  Zeichen  der  Em- 
pfindung, noch  Bewegungen  kund.  Für  die  topographischen  Verhältnisse 
sind  indess  diese  Versuche,  die  positiven  wie  die  negativen,  nur  von  ge- 
ringem Werth.    Die  Empfindlichkeit  besagt  nach  den  S.  11  und  76  erwähn- 


^)  Beiträge  zur  Kenntniss  der  centi-alen  Projection  der  Sinnesoberflächen.  Aus  dem 
60.  Bande  der  Wiener  Sitzungsberichte.  Nach  Meynert  ist  es  die  Rinde  des  Schläfen- 
und  Hinterhauptlappens,  in  welche  die  Fasern  der  Seh-  und  Geruchsnerven  und,  durch 
Vermittelung  der  Hirnschenkelbasis,  auch  die  Tastnerven  der  Körperoberfläche  einstrahlen. 
Die  Fasern  des  Tractus  opticus  glaubte  bereits  Gratiolet  (a.  a.  0.  p.  179)  durch  das 
C.  geniculatum  mediale  in  den  Hinterlappen  verfolgt  zu  haben.  Den  Weg  der  Wurzel- 
fasern des  N.  acust.  zu  den  Randvvülsten  der  Insel  beschreibt  Meynert  in  den  Wien.  med. 
Jahrb.  XH,   152. 


300  Grehirn. 

ten  neueren  Ansichten  von  den  Kräften  der  longitiidinalen  Fasern  des  Rücken- 
marks niclits  weiter,  als  dass  durch  den  fragliclien  Hirntheil  Wurzelfasern 
sensibler  Nerven  verlaufen,  und  erklären  sich  aus  dem  Eintritt  der  Nn.  va- 
gus,  glossopharyngeus ,  trigeminus,  vielleicht  auch  des  N.  oculomotorius. 
Die  Bewegungen  gewähren  keine  Sicherheit,  dass  der  Reiz  motorische  Fa- 
sern getroffen  habe,  da  sie  ebensowohl,  ja  mit  grösserer  Wahrscheinlichkeit 
sich  als  Reflexbewegungen  deuten  lassen.  Die  Theile  endlich,  die  weder 
empfindende  noch  motorische  Fasern  zu  führen  scheinen,  könnten  die  Art 
von  (ästhesodischen  und  kinesodischen)  Leitungsfasern  enthalten,  die  auf 
inadäquate  Reize  nicht  reagiren  und  dennoch  physiologisch  und  anatomisch 
die  Bedeutung  von,  wenn  auch  nur  mittelbaren  Fortsetzungen  der  sensibeln 
lind  motorischen  Nerven  hätten. 

Zweifel  der  letzteren  Art  sind,  wie  beim  Rückenmark,  nicht  auf  dem 
Wege  des  Reizversuchs,  sondern  nur  durch  Unterbrechung  der  Leitung  zu 
lösen.  Die  Durchschneidung  der  seitlichen  Stränge  des  verlängerten  Marks, 
die  sich  auf  Reizung  sensibel  erwiesen,  ergab  Schiff  den  nämlichen  Erfolg, 
wie  die  Durchschneidung  der  hinteren  Stränge  des  Rückenmarks,  die  eigen- 
thümliche  Hyperästhesie  des  Rumpfs  und  der  Extremitäten ;  das  Experiment 
steht  also  im  Einklang  mit  der  anatomischen  Thatsache,  dass  der  durch  den  Kopf 
der  Hintersäule  charakterisirte  Hinterstrang  des  Rückenmarks  sich  in  den  latera- 
len Keilstrang  des  verlängerten  Marks  fortsetzt.  Durchschneidung  der  Stränge, 
welche  Schiff  Seiten-  oder  Hülsenstränge  nennt,  hob  die  Athembewegun- 
gen  des  Rumpfs  auf  der  verletzten  Seite  auf;  da  er  indess  den  Schnitt  zwi- 
schen dem  ersten  und  vierten  Cervicalnerven  führte,  so  gilt  das  Ergebniss 
nicht  sowohl  dem  verlängerten,  als  dem  Rückenmark  und  dient  zur  Bestä- 
tigung der  Bell' sehen  Hypothese,  dass  in  den  Seitensträngen  des  letzteren 
die  Nerven  der  respiratorischen  Muskeln  enthalten  seien.  Die  an  der  Rück- 
seite des  verlängerten  Marks  zwischen  den  lateralen  Keilsträngen  gelegenen 
Gebilde  und  die  eigentlichen  Kleinhirnstiele  erwiesen  sich  weder  gereizt, 
noch  durchschnitten  von  Einfluss  auf  empfindende  oder  bewegende  Körper- 
nerven und  ebenso  resultatlos  blieb  die  Durchschneidung  der  Pyramiden. 

Die  Trennung  der  weiter  vorn,  in  der  Brücke,  den  Grosshirn-  und 
Brückenschenkeln  enthaltenen  Fasermassen  ruft  die  merkwürdigen  Zwangs- 
bewegungen hervor,  die  eine  sehr  verschiedene  Auslegung  erfahren  haben. 
Mag  man  sie  als .  Folgen  von  Reizung  oder  Lähmung  betrachten ,  immer 
zeigen  sie  eine  Vertheilung  der  Nerven  nach  Gruppen  an ,  welche  die  zu 
gewissen  Bewegungen  zusammenwirkenden  Muskeln  einer  Körperhälfte 
oder  beider  umfassen.  Schiff  macht  es  wahrscheinlich,  dass  die  Reit- 
bahnbewegung, die  nach  der  Durchschneidung  eines  Grosshirnschenkels 
eintritt ,  auf  der  Lähmung  von  Muskeln  beruhe ,  die  den  Hals  und  beide 
Vorderfüsse  nach  Einer  Seite  wenden ;  die  Rollbeweguug  um  die  Längsaxe 
des  Thiers,  die  sich  nach  Durchschneidung  eines  Brückenschenkels  ein- 
stellt, betrachtet  er  als  Folge  einseitiger  Lähmung  der  Rotatoren  der  Wir- 
belsäule. Er  untersuchte  auch  den  Einfluss  der  genannten  Theile  auf  die 
Sensibilität  und  beobachtete  nach  deren  einseitiger  Durchschneidung  erhöhte 
Empfindlichkeit  der  ganzen  Körper-,  besonders  der  Kopfhälfte. 

Diese  Versuche  beweisen  zunächst,  dass  in  den  Grosshirnschenkeln  sot 
wohl  die  motorischen  wie  die  sensibeln  Fasern  der  unter  der  Herrschaft  der 


Gehirn.  301 

Seele  stehenden  Körpertlieile  (Geriiclis-  und  Gesiclitssinn  ausgenommen) 
mit  dem  Gehirn  in  Verbindung  gesetzt  werden.  Sie  decken  aber  zugleich 
einen  Unterschied  zwischen  den  Leitungsbahnen  der  motorischen  und  der 
sensibeln  Impulse  auf.  Denn  während  im  Bereich  der  sensibeln  Nerven  die 
Operation  am  Centralorgan  ihre  Wirkung  ausschliesslich  auf  die  gleich- 
namige Körperhälfte  erstreckt,  macht  sich  dieselbe  im  motorischen  Gebiete 
zugleich  und,  je  nach  der  Localität  des  Schnittes,  vorzugsweise,  ja  aus- 
schliesslich auf  der  entgegengesetzten  Körperseite  geltend. 

Schon  früher  habe  ich  der  gekreuzten  Wirkung  der  Kopfverletzungen 
und  ihrer  Erklärung  durch  die  Pyramidenkreuzung  gedacht.  Die  feinere 
Anatomie  der  Centralorgane  hat  es  zweifelhaft  gemacht,  ob  diese  Kreuzung 
die  erste  und  letzte,  ob  sie  vollständig  oder  unvollständig  sei.  Der  Faser- 
äustausch  in  den  Commissuren  des  Rückenmarks  hat  allerdings,  nach  den 
Angaben  der  zuverlässigeren  Experimentatoren  zu  schliessen,  nicht  die  Be- 
deutung eines  Uebergangs  der  Nerven  oder  Leitungsbahnen  von  Einer  Seite 
zur  anderen  (S.  79).  Dagegen  steht  es  fest,  dass  sich  ein  Theil  der  Vor- 
derstränge über  die  Pyramiden  hinaus  ungekreuzt  erhält,  deren  Kreuzung 
weiterhin  nur  auf  eine,  ich  möchte  sagen  verstohlene  Weise  vor  sich  gehen 
könnte,  indem  sie  sich  in  der  reticulären  Substanz  von  Bündel  zu  Bündel 
allmälig  der  Medianebene  näherten.  Ebenso  glaube  ich  auch  bezüglich  der> 
oberhalb  der  Pyramidenkreuzung  sich  einsenkenden  Wurzeln  behaupten  zu 
dürfen,  dass  sie,  wenn  nicht  ganz,  doch  mit  der  Hauptmasse  auf  ihrer  Seite: 
verbleiben  und  die  Mittellinie  nur  mit  einer  Minorität  ihrer  Fasern  über-; 
schreiten.  Davon  dürfte  höchstens  der  N.  trochlearis  eine  Ausnahme  machen. 
A  priori  hat  die  unvollständige  Kreuzung  einen  verständlicheren  Sinn,' 
als  die  vollständige.  Es  ist  nicht  ersichtlich,  welchem  Zwecke  der  üeber- 
gang  des  gesammten  Körpernervenapparats  von  der  Einen  Seite  auf  die 
andere  dienen  sollte,  man  müsste  denn,  im  Widerspruch  mit  den  histologi- 
schen Grundanschauungen,  der  gegenseitigen  Berührung  der  Nervenfasern 
an  der  Kreuzungsstelle  einen  physiologischen  Werth  beimessen.  Dagegen 
lässt  sich  wohl  begreifen,  warum  es  vortheilhaft  sein  könnte,  die  Nerven 
symmetrischer  Theile,  die  zu  gemeinsamer  Action  bestimmt  sind,  in  Einem, 
sei  es  unpaaren  oder  symmetrischen  Gehirnorgan  zu  versammeln,  und  es 
macht  die  Neigung  zu  symmetrischen  Mitbewegungen  eine  solche  Einrich- 
tung sogar  wahrscheinlich. 

Bei  Thieren,  bei  welchen  man  dem  Gang  der  Kreuzung  Schritt  vor 
Schritt  experimentell  folgen  kann,  bleibt  sie  in  der  That  unvollständig. 
Die  gekreuzte  Wirkung  äussert  sich  zuerst,  wenn  der  Schnitt  in  der  Ge- 
gend der  hinteren  Spitze  des  vierten  Ventrikels  vollzogen  wird,  an  den 
Muskeln  der  Wirbelsäule,  sodann,  nach  der  Trennung  des  verlängerten 
Marks  in  der  Nähe  der  Brücke,  an  der  hinteren  Extremität.  Ein  Schnitt 
genau  am  hinteren  Rande  der  Brücke  lähmt  die  Muskeln  der  Wirbelsäule 
an  der  operirten  Seite,  nöthigt  also  anzunehmen,  dass  die  zuerst  gekreuzten 
Nerven  wieder  auf  die  Seite  zurückkehren,  der  sie  ursprünglich  angehörten. 
An  derselben  Stelle  scheinen  auch  einige  Nervenbahnen  für  die  vorderen 
Extremitäten  auf  die  andere  Seite  überzugehen.  Keine  Operation  hob 
aber  die  willkührlichen  Bewegungen  beider  Glieder  Einer  Körperhälfte 
völlig    auf;    es   blieb   bei   einer   Schwächung  und   Beschränkung    derselben 


302  Gehirn. 

(Schiff).  Die  Versuclie  Afanasieff's  ^)  beim  Kanincheii  sprechen  dafür, 
dass  die  motorischen  Nerven  der  Extremitäten  bereits  in  den  Grosshirn- 
schenkeln, die  der  Rücken-  und  Halsmnskehi  erst  in  der  Höhe  des  Tiiber 
cinereum  ihre  Kreuzung  vollendet  haben.  Dass  die  Facialiswurzeln  am  Bo- 
den des  vierten  Ventrikels  noch  keine  Kreuzung  eingehen,  beweist  ein  Ver- 
such Vulpian's  2),  .der[das  verlängerte  Mark  durch  einen  Schnitt  längs  der 
Medianfurche  des  vierten  Ventrikels  in  zwei  Hälften  zerlegte,  ohne  eine  merk- 
liche Lähmung  im  Gebiete  der  Nn.  facialis  zu  veranlassen.  Dass  dagegen 
in  Einem  Oculomotoriuskern  Fasern  beider  Wurzeln  enthalten  seien,  ist 
aus  einem  Versuche  Adamük's^)  zu  sohliessen,  wonach  die  Reizung  des 
Kerns  Einer  Seite  Bewegungen  beider  Augen  hervorruft. 

Beim  Menschen  ist  vollkommene  Lähmung  der  Empfindung  und  Be- 
*  wegung  in  beiden,  der  ei'krankten  Hemisphäre  gegenüberliegenden  Extre- 
mitäten die  Regel  und  für  die  relativ  seltenen  Fälle ,  wo  der  Sectionsbe- 
fund  ein  Hirnleiden  auf  der  Seite  der  Lähmung  nachwies,  ist  der  Verdacht, 
dass  der  eigentliche  Sitz  des  Uebels  unentdeckt  geblieben  sei,  nicht  abzu- 
lenken. Ueber  den  Ort  der  Kreuzung  giebt  die  Pathologie  nur  ungenü- 
gende Aufschlüsse.  Die  Lage  der  Zunge  bei  halbseitigen  Körperlähmungen, 
die  sich  auf  dieselbe  erstrecken,  könnte  darüber  belehren,  ob  die  Nerven 
der  Extremitäten  in  der  Höhe  des  Hypoglossuskerns  ihre  Kreuzung  bereits 
vollführt  haben,  oder  nicht.  Leider  ist  die  Richtung  der  Zungenspitze  bei 
solchen  Lähmungen  nicht  constant  und  nicht  einmal  über  die  nächste  Ur- 
sache der  Schiefheit,  ob  Contractur  der  verkürzten  oder  Lähmung  der  an- 
deren Hälfte,  ist  man  im  Klaren^).  Gubler^)  beschrieb  unter  dem  Namen 
einer  alternirenden  Hemiplegie  Fälle,  in  welchen  bei  ungestörter  Intelli- 
genz Eine  Rumpfhälfte  und  der  N.  facialis  der  entgegengesetzten  Seite  ge- 
lähmt war.  Der  Leichenbefund  ergab  Verletzungen  der  Brücke  auf  der 
dem  gelähmten  Facialis  entsprechenden  Seite.  Da  nun  bei  cerebralen  Läh- 
mungen Facialis  und  Rumpfnerven  der  nämlichen  Seite  ergriffen  zu  sein 
pflegen,  so  schliesst  Gubler,  dass  die  Rumpfnerven  vor  der  Brücke,  die 
Facialiswurzeln  innerhalb  derselben  ihre  Kreuzung  bewerkstelligen. 
Centra.  Besser  als  über  den  Verlauf  der  Nervenfasern  sind  wir  von  physiolo- 

gischer Seite  über  gewisse  Localitäten,  sogenannte  Centra,  unterrichtet,  an 
welchen  eine  Anzahl  Nerven  zu  geordneter  Thätigkeit  zusammengefasst 
wird.  Allgemein  anerkannt  ist  seit  Flourens  die  Existenz  eines  solchen, 
die  Athembewegungen  regulirenden  Centrum  im  verlängerten  Mark;  doch 
ist  dasselbe  nicht,  wie  Flourens  meinte,  auf  eine  kleine  mediane  Stelle 
beschränkt.  Die  mediane  Stelle,  Flovirens'  Lebensknoten,  kann  ausge- 
schnitten, das  verlängerte  Mark  kann  der  Länge  nach  getheilt  werden  und 
die  Athembewegungen  beider  Körperhälften  dauern  fort.  Nach  Schiff  lie- 
gen die  Athmungscentra ,  deren  also  jede  Körperhälfte  eines  besitzt,  um 
Weniges  hinter  der  Austrittsstelle  der  Vagi,  nahe  dem  Seitenrande  der 
grauen  Masse,  die  den  Boden  des  vierten  Ventrikels  bildet.  Sie  reichen 
nicht  so  weit  nach  hinten ,  als  die  Ala  cinerea ,  deren  hinterer  Theil  sich 
ohne  unmittelbare  Gefährdung  des  Lebens  ablösen  Hess. 


^)  Meissner's  Jahresbericht  1870.  S.  261.  ^)  Ebendas.  1862.  S.  459.  ^)  Ebendas. 
1870.  S.  312.  4)  Schröder  v.  d.  Kolk,  a.  a.  0.,  S.  102.  &)  Meissner's  Jahresbericht 
1856,  S.  420. 


Gehiriu  303 

Die  zum  Acte  des  Erbrechens  und  der  Defäcation  zusammenwirkenden 
Bewegungen  finden  nodi  nacli  Entfernung  des  Gross-  und  Kleinhirns  Statt, 
werden  aber  durch Quertbeilung  des  verlängerten  Marks  vernichtet  (Schiff). 
Die  willkürliche  Einwirkung  zur  Verstärkung  oder  zum  Nachlass  des  Sphincter 
ani  wird  durch  Durchschneidung  der  Grosshirnschenkel  aufgehoben  (Afa- 
nasieff^). 

Im  verlängerten  Mark  scheint  auch  das  Organ  enthalten  zu  sein,  in 
welchem  sich  die  Eeizung  sensibler  Nerven  auf  die  Blutgefässe  überträgt, 
insofern,  nach  v.  Bezold's  Versuchen  2),  nach  Durchschneidung  des  Halsmarks 
auf  Reizung  sensibler  Nerven  keine  Zunahme  des  Drucks  im  Gefässsystem 
mehr  erfolgte. 

In  das  Kleinhirn  verlegt  man,  ebenfalls  nach  Flourens'  Vorgange, 
das  Centrum,  welches  die  Ortsbewegungen  regulirt ,  da  nach  Verletzung  und 
theilweiser  Exstirpation  jenes  Organs  das  Gleichgewicht  verloren  geht ,  die 
Bewegungen  schwankend  und  unsicher  werden.  Schiff  findet  die  Flou- 
rens'sche*Deutung  des  Vorgangs  unstatthaft,  weil  die  Thiere,  wenn  sie 
am  Leben  bleiben,  den  normalen  Gebrauch  ihrer  Glieder  bald  wiedererlan- 
gen ,  ein  Centrum  aber  unersetzlich  sei.  Er  führt  die  Erscheinungen  auf 
eine  Nebenwirkung  der  Operation,  auf  den  Druck  zurück,  den  tiefere,  vom 
Brückenschenkel  einstrahlende  Fasern  erleiden,  von  welchen  die  Innerva- 
tion der  Muskeln  der  Wirbelsäule  ausgeht.  Lussana  ^)  meint  die  Un-" 
Sicherheit  des  Ganges  aus  einer  Lähmung  des  Muskelgefühls  oder  Muskel- 
sinnes erklären  zu  können,  der  im  Kleinhirn  seinen  Sitz  habe. 

Ich  übergehe  die  einander  widersprechenden  Beobachtungen,  welche, 
nachdem  Gall  zuerst  die  Frage  angeregt,  über  den  Einfiuss  des  Kleinhirns 
auf  Geschlechtstrieb  und  Geschlechtsfunction  veröffentlicht  wurden,  darf 
aber  doch  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  Valentin,  Budge  und  Spiegel- 
berg übereinstimmend*)  das  Kleinhirn  als  Centralorgan  der  Uterusbewe- 
gungen bei  Thieren  bezeichnen. 

Für  die  Beziehung  der  Vierhügel  zum  N.  opticus  spricht  die  auf  Zer- 
störung der  Vierhügel  folgende  Erblindung,  auf  Zerstörung  des  Bulbus 
erfolgende  Atrophie  der  Vierhügel,  in  beiden  Fällen  der  gegenüberliegen- 
den Seite.  Ob  aber  von  demselben  Herde  aus  die  Bewegungen  der  Iris, 
wie  Flourens,  und  die  Bewegungen  der  Augenmuskeln,  wie  Schiff  für 
wahrscheinlich  hält,  regulirt  und  coordinirt  werden,  muss  dahingestellt 
bleiben.  Schiff  spricht  sich  über  die  Resultate  seiner  Versuche  mit  gros- 
ser Zurückhaltung  aus  und  Knoll^)  beobachtete  keine  Veränderungen  in 
der  reflectorischen  Contraction  der  Iris,  wenn  er  auch  die  hinteren  und 
vorderen  Vierhügel  in  der  verschiedensten  Weise  bis  auf  das  Dach  des 
Aquäducts  verletzt  hatte. 

An  Versuchen,  dem  Thalamus  und  Streifenhügel  eine  „Function"  zu- 
zutheilen,  hat  es  nicht  gefehlt.  Vom  Thalamus  lässt  sich  nur  sagen,  dass 
die  Annahme  einer  Beziehung  zum  N.  opticus ,  die  ihm  seinen  Beinamen 
eingetragen  hat,  experimentell  nicht  bestätigt  ist.  Das  Experiment  ver- 
mag nicht,   die  eigentliche  Masse  des  Thalamus  von   der  ihn  durchziehen- 

1)  Meissner's  Jahresbericht  1870.  S.  299.  2)  Ebendas.  1866.  S.  426.  3)  Ebendas. 
1862.  S.  460.  4)  Ebendas.  1857.  S.  499.  Vgl.  Körner,  ebendas.  1865.  S.  489.  ^)  Ebendas. 
1869.  S.  315. 


304  Gehirn. 

den  Fasernng  der  Grosshirnschenkel  zu  sondern  und  seine  Neigung,  in 
Gemeinschaft  mit  seiner  Hemisptäre  zu  atrophiren  i),  wird  sich  erst  ver- 
werthen  lassen,  wenn  der  Antheil  der  verschiedenen  Bestandtheile  des  Tha- 
lamus an  diesen  Atrophien  bekannt  sein  wird. 

Von  den  Streifenhügeln  sagt  Schiff,  dass  sie  von  den  Hemisphären 
physiologisch  nicht  zu  unterscheiden  seien:  sie  umfassten  nur  die  Wurzeln 
der  Hemisphärenfaserung  und  ihre  Entfernung  sei  daher  identisch  mit  der 
gründlichsten  Vernichtung  der  Thätigkeit  der  Hemisphären.  Die  Verschie- 
denheit des  Erfolgs  der  Exstirpation  der  Streifenhügel  und  der  Hemisphä- 
ren scheint  Schiff  demgemäss  als  eine  nur  quantitative  anzusehen.  Nach 
der  ersten  dieser  beiden  Operationen,  nicht  nach  der  zweiten,  tritt  die  Dis-' 
Position  zu  rastloser  Vorwärtsbewegung  ein,  welche  Magendie  beschrieb,' 
und  Schiff  selbst  und  Mitchell  2)  bestätigten;  eigenthümlich  ist  nach 
Schiff  den  der  Streifenhügel  beraubten  Thieren  das  Verharren  der  Glieder 
in  jeder  ihnen  mitgetheilten  Lage.  Man  kann  die  Catalepsie  als  einen 
höheren  Grad  des  Mangels  an  Selbstbestimmung  deuten  und  man  kann  zu-' 
geben ,  dass  das  in  dieser  Verfassung  einmal  in  Bewegung  gesetzte  Thier  die- 
Bewegung  ebensowenig  selbständig  aufgeben  könne ,  wie  die  Buhe.  Von 
anatomischer  Seite  aber  müssen  wir  jenem  Ausspruche  Schiffs  entgegen- 
treten. Wie  man  das  Verhältniss  der  unter  der  medialen  Fläche  des  Strei- 
fenhügels und  unter  der  lateralen  Fläche  des  Linsenkerns  sich  verlierenden 
Faserbündel  zur  feinkörnigen  Substanz  auffassen  möge ,  so  ist  es  doch  ge- 
wiss, dass  sie  nicht  in  die  Hemisphären  gelangen.  Und  wenn  derselbe  Er- 
folg, wie  durch  Exstirpation  der  Streifenhügel,  durch  Trennung  der  Fasern, 
die  aus  dem  Streifenhügel  in  die  Hemisphären  treten ,  erreicht  wird,  so  be- 
weist dies,  dass  wir  von  der  Exstirpation  der  Streifenhügel  nur  eine  Ne- 
benwirkung kennen. 

Des  Zustandes,  in  welchen  die  Thiere  aller  Classen  durch  Abtragung  der 
Grosshirnhemisphären  versetzt  werden,  habe  ich  schon  früher  (S.  1 1)  gedacht. 
Das  Thatsächliche  schildern  sämmtliche  Beobachter  in  gleicher  Weise;  nur  in 
der  FormiTlirung  desselben  äussern  sie  sich,  je  nach  dem  philosophischen  Stand- 
punkte, verschieden  und  so  wurden  die  Hemisphären  Organ  bald  der  Seele,  bald 
des  Willens,  bald  der  Reflexion  von  den  höheren  Sinnen  auf  Bewegungscentra 
genannt.  Den  Anatomen  interessirt  zunächst,  ob  er  sich  dies  Organ  als 
ein  gleichartiges  vorzustellen  habe,  dessen  Elemente  einander  ersetzen  kön- 
nen, oder  als  ein  Aggregat  von  einzelnen,  den  verschiedenen  Vermögen, 
Kräften,  Anlagen  der  psychologischen  Terminologie  entsprechenden  Orga- 
nen. Der  Flourens' sehe  Versuch  macht,  in  Verbindung  mit  vielfachen 
Beobachtungen  am  Menschen,  die  erste  Annahme  wahrscheinlicher,  denn 
es  werden  ansehnliche  Substanz  Verluste  der  Hemisj)hären  ohne  jeden  Nach- 
theil ertragen  und  es  gehen  mit  der  allmäligen  Exstirpation  der  Hemi- 
sphären nicht  successiv  diese  und  jene  Fähigkeiten  verloren,  sondern,  wenn 
die  Verletzung  weit  genug  vorgeschritten  ist,  mit  Einem  Schlage  alle. 

Auf  der  anderen  Seite  haben  die  letzten  Jahre  Erfahrungen  zu  Tage 
gefördert,  die  sehr  bestimmt  für  die  Existenz  specifischer  Hirnorgane  zeu- 
gen.    Die  zahlreichsten  und  merkwürdigsten  beziehen   sich  auf  eine  Gabe, 


1)  Luys,  a.  a.  0.  p.  506.       ^)  Meissner's  Jahresbericht  1867,  S.   527. 


Gehirn.  305 

die  ausscUiessliclies  Eigenthum  des  Mensclien  ist,  die  Fähigkeit,  sich  durch 
"Wort  und  Schrift  auszudrücken ,  und  weisen  derselben  ihren  Sitz  in  den 
Windungen  der  Insel  und  deren  Umgebung  und,  was  das  Auffallendste  ist, 
in  einer  einzigen  Hemisphäre  und  bei  weitem  am  häufigsten  in  der  linken  an  ^). 
An  der  genannten  Stelle  fanden  sich  Desorganisationen  bei  Individuen,  die  an 
Sprachstörung  (Aphasie)  gelitten  hatten,  und  wo  es  nicht  zur  Section  kam,  deu- 
tete die  Verbindung  der  Sprachstörung  mit  rechtsseitiger  Hemiplegie  auf  die 
linke  Hemisphäre.  Hieran  reiht  sich  die  Versicherung  Meynert's,  dass 
Epilepsie  und  epileptiforme  Krämpfe  stets  mit  Erkrankung  der  Hakenwin- 
dung verbunden  seien,  und  eine  Versuchsreihe  von  Fritsch  und  Hitzig  2), 
welche  an  der  Oberfläche  der  Hemisphären  des  Hundes  bestimmte  und  be- 
schränkte Stellen  bezeichnet,  deren  elektrische  Reizung  Contractionen  be- 
stimmter Muskelgruppen  hervorruft  und  deren  Exstirpation  die  entspre- 
chenden Muskeln  zwar  nicht  lähmt,  aber  doch  motorische  Störungen  eigen- 
thümlicher  Art  zur  Folge  hat.  Wie  die  genannten  Beobachter  den  Zu- 
stand charakterisiren ,  so  bestand  noch  irgend  eine  motorische  Leitung  von 
der  Seele  zum  Muskel,  während  in  der  Leitung  vom  Muskel  zur  Seele  ir- 
gendwo eine  Unterbrechung  vorhanden  war;  sie  vermuthen,  dass  die  Un- 
terbrechung die  Endstation  der  hypothetischen  Bahn  für  den  Muskelsinn 
betroffen  haben  möge. 

Wenn  diese  Wahrnehmungen,  die  zu  einem  Bruch  mit  manchen  Ueber- 
lieferungen  auch  der  allgemeinen  Nervenphysiologie  führen  würden,  sich 
bestätigen  und  mehren ,  so  eröffnen  sie  die  Aussicht  auf  eine  geläuterte, 
ernsthafte  Phrenologie  und  auf  eine  Anatomie  der  Grosshirnwindungen,  die 
sich  zu  der  gegenwärtigen  etwa  so  verhalten  würde,  wie  die  geologische 
Durchforschung  eines  Landstrichs  zur  Katastervermessung. 

Unsere  Kenntniss  von  den  Altersverscliiedenheiten  des  Gehirns  beschränkt 
sich  in  histologischer  Hinsicht  auf  Unterschiede  der  Consistenz,  in  morphologischer 
auf  Unterschiede  des  "Volumens  und  Gewichts.  In  den  ersten  Lebensjahren  ist 
das  Gehirn ,  wie  allgemein  bekannt ,  sehr  weich ,  wahrscheinlich  in  Folge  grösse- 
ren Wassergehaltes;  nicht  ebenso  constatirt  ist  die,  wiewohl  sprüchwörtliche  Ver- 
trocknung  des  Gehirns  im  Greisenalter  (vgl.  Weisbach,  Wiener  med.  Jahrb. 
1868.  S.  46.  73).  Mit  Untersuchung  der  Aenderungen ,  die  das  Gewicht  des 
Gehirns  je  nach  den  Lebensaltern  erfährt,  haben  sich  Tiedemann,  Peacock, 
Huschke  (s.  S.  85)  und  Weisbach  (Archiv  für  Anthropologie  Bd.  L  S.  191. 
215)  beschäftigt.  Sie  stimmen  darin  überein,  dass  das  Gewicht  des  Gehirns 
bis  zum  20.  bis  25.  Jahre  zunimmt  und  in  diesem  Alter  am  grössten  ist.  Es 
betrug  beim  Neugeborenen  etwa  y^,  beim  zweijährigen  Kinde  '^f^^,  beim  15j äh- 
rigen Vi5  des  Körpergewichts  (Tiedemann).  Von  der  Gesammtmasse  des  Ge- 
hirns macht  beim  Neugeborenen  das  Grosshirn  93  bis  94  Proc,  das  Kleinhirn 
mit  Brücke  und  verlängertem  Mark  6  bis  7  Proc.  aus,  während  beim  Erwach- 
senen das  erstere  zum  letzteren  sich  verhält  wie  86  bis  88:  12  bis  14  (Husc'hke). 
Mit  zunehmendem  Alter  wird  das  Grosshirn  bei  Männern  relativ  grösser,  bei 
Frauen  relativ  kleiner  (Weisbach). 

Dass  im  Allgemeinen  das  Gewicht  des  männlichen  Gehirns  grösser  ist,  als  das 
des  weiblichen,  wurde  bereits  angegeben.  Dem  Ausspruch  Gall's,  dass  im  männ- 
lichen Geschlechte  das  Hinterhauptshirn  (Kleinhirn,  Brücke  und  verlängertes  Mark), 
im  weiblichen  das  Grosshirn  dem  Gewichte  nach  bevorzugt  sei ,  schliesst  auch 
Huschke  sich  an.  Zwischen  dem  20.  bis  40.  Lebensjahre  beträgt  das  Hinter- 
hauptshirn beim  Manne  13,17,   beim   Weibe    12,32   Proc.   des    Gesammthirns.     Die 


1)  Meissner's  Jahresbericht.   1867.  S.   528.  1868.   S.  411.     2)  Ebendas.  1870,  S.  264. 
Henle,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthl.  2.  20 


3Ö6  Hüllen  des  Centralorgans. 

ganze  Vierhügelmasse  ist  relativ  zum  grossen  Gehirn  heim  "Weihe  heträchtlicher, 
als  heim  Manne,  doch  ist  das  hintere  Vierhügelpaar  heim  Manne  von  relativ 
grösserer  Oherfläche,  als  heim  Weihe.  Von  den  heiden  Ganghen  des  Grosshirns 
ist  heim  Manne  der  Streifenhügel,  heim  Weihe  der  Thalamus  relativ  grösser.  Auf 
dem  Sagittalschnitt  des  Gehirns  hat  der  Streifenhügel  hei  heiden  Geschlechtern 
den  gleichen  Flächeninhalt,  während  der  Flächeninhalt  des  Linsenkerns  heim 
Manne  fast  doppelt  so  gross  ist,  als  heim  Weihe  (Huschke). 

Zixr  Ermittelung  der  Rasseueigenthümlichkeiten  des  Gehirns  Messen  sich  his- 
her  weniger  die  Gehirne  selbst ,  als  die  Schädel  verwenden.  Nach  dem  Rauminhalt 
der  letzteren  schätzt  J.  B.  Davis  (Philos.  transact.  1868.  P.  II,  p.  505)  das  mitt- 
lere Gewicht  des  Gehiras 

der  europäischen  Eassen  zu 1367  Grm. 

„     asiatischen  „  „ 1304 


afrikanischen 
amerikanischen 
australischen 
oceanischen 


1203 
1308 
1214 
1319 


Bezüglich  der  einzelnen  Theile  hat  sich  keine  heständige  Verschiedenheit  zwischen 
dem  Gehirn  des  Europäers  und  des  Negers  ergehen  (vgl.  Tiedemann  a.  a.  O. 
Marshall,  Philos.  transact.  1865  [VoL  154]  P.  III,  p.  501.  Calori,  Mem.  della 
accademia  di  Bologna.  2.  ser.  V,  177). 

3.    Hüllen  des  Centralorgans. 

3.  Hüllen  d.  Gehirn  lind  Rückenmark  sind  innerhalb   ihrer  knöchernen  Höhle,   der 

Organs."  Wand  der  letzteren  zunächst,  von  einer  derben,  weissen,  fibrösen  Haut  ^) 
Fibrose  umgeben,  die  sich  in  der  Schädel-  und  Rückenmarkshöhle  verschieden  ver- 
hält. In  der  Schädelhöhle  ist  sie  identisch  mit  dem  inneren  Periost  der 
Schädelknochen  '^).  Nur  zufällig  gewinnt  sie  beim  Erwachsenen  das  An- 
sehen einer  eigenen  Hülle  des  Gehirns,  weil  die  zarten  Gefässe  und  Binde- 
gewebsstränge,  die  von  ihrer  äusseren  Fläche  in  die  innere  Fläche  des 
Knochens  eindringen,  beim  Abtragen  der  Schädeldecke  widerstandslos  zer- 
reissen.  Am  kindlichen  Schädel  ist  das  innere  Periost  ebenso  innig  mit 
der  Schädeldecke  verbunden  und  ebenso  schwer  von  derselben  zu  trennen, 
wie  das  äussere ;  deshalb  erfordert  die  Eröffnung  des  Schädels  bei  Kinder- 
leichen eine  andere  Procedur,  als  bei  Erwachsenen  und  muss  die  sogenannte 
fibröse  Hirnhaut  zugleich  mit  dem  Knochen  eingeschnitten  und  weggenom- 
men werden. 

Aber  auch  beim  Erwachsenen  tritt  nur  an  einem  beschränkten  Theil 
des  Schädels  die  Beziehung  der  fibrösen  Haut  zum  Knochen  gegen  die  Be- 
ziehung zum  Gehirn  zurück.  Eigentlich  ist  dies  nur  an  der  mittleren, 
muskelfreien  Region  der  Schädeldecke  der  Fall,  die  ihre  Gefässe  fast  aus- 
schliesslich aus  dem  äusseren  Periost  bezieht  und  am  macerirten  Schädel 
wegen  der  dicht  stehenden  feinen  Gefässöffnungen  durch  ihre  matte  Ober- 
fläche gegen  die  glänzenden  Schläfenflächen  absticht.  An  den  letzteren  sind 
die  Gefässverbindungen  zwischen  der  flbrösen  Hirnhaut  und  dem  Knochen 
schon  reichlicher,  ebenso  an  den  Nähten  des  Schädels;  am  Boden  der  Schä- 
delhöhle aber  schliesst  sich  die  fibröse  Membran  so  fest  an  den  Knochen  an 
und  folgt,  mit  wenigen  Ausnahmen,  so  genau   den  Unebenheiten  desselben. 


)   Lura  viater.      Harte   Hirn-  und  Rückenmark.shaut.      Dtira  meninx-     ^)    Endocrcmium, 


Hüllen  des  Centralorgan&.  äO? 

dass  sie  vor  dem  gewölanliclien  Periost  nichts  voraus  hat,  als  die  glatte  Be- 
schaffenheit der  freien  Oberfläche.  Aber  auch  darin  steht  sie  nicht  einzig 
da;  sie  theilt  diese  Eigenschaft  mit  dem  Periost  der  Orbita;  sie  gleicht  dem 
Periost  der  Orbita  auch  insofern,  als  sie  stellenweise,  wie  dieses  durch  den 
Thränenschlauch ,  so  durch  Grefässe  und  Nerven  vom  Knochen  abgehoben 
wird ,  und  damit  zerfällt  die  theoretische  Fiction ,  nach  welcher  die  harte 
Hirnhaut  die  mit  dem  Periost  verschmolzene  fibröse  Hülle  des  Centralorgans 
darstellen  sollte. 

Beim  Uebergang  aus  der  Schädel-  in  die  "Wirbelhöhle  spaltet  sich  aber 
das  einfache  Periost  der  ersteren  wirklich  in  zwei  und  mehr  Lamellen,  von 
denen  die  äussersten,  durch  Bündel,  die  am  Rande  des  Hinterhauptslochs 
entspringen,  verstärkt,  in  das  Periost  und  die  Bänder  der  Wirbelhöhle 
übergehen  (Bdl.  S.  42),  während  die  innerste  sich  in  das  cylindrische  Bohr  ^) 
fortsetzt,  welches  das  Rückenmark  umschliesst.  Ein  lockeres,  feuchtes  und 
fettreiches  BindegeAvebe  trennt  dieses  Rohr,  die  fibröse  Haut  des  Rücken- 
marks, von  den  mit  den  Wirbeln  fest  verbundenen  Bindegewebsschichten 
und  macht  sie  unabhängig  von  den  Bewegungen  der  Wii'belsäule.  Mit 
ihrer  äusseren  Fläche  hängt  dies  Bindegewebe  und  das  Neurilemm  der  das 
Rohr  durchbohrenden  Nervenwurzeln  zusammen;  ihre  innere  Fläche  ist  glatt, 
wie  die  der  fibrösen  Haut  des  Schädels.  Die  Wand  des  Rohrs  ist  hinten  stär- 
ker, als  vorn ;  die  Weite  desselben  wechselt  mit  der  Zu  -  und  Abnahme  der 
Durchmesser  des  Rückenmarks ;  seine  untere  Spitze  2)  zieht  sich  um  das  Fi- 
lum  terminale  zusammen  und  verliert  sich  mit  demselben  in  dem  Periost 
der  hinteren  Fläche  der  oberen  Steisswirbel. 

Von  der  fibrösen  Auskleidung  des  Schädels  sowohl,  wie  von  der  fibrö- 
sen Hülle  des  Rückenmarks  gehen  Fortsätze  nach  innen,  von  verschiedener 
Form  und  Bedeutung.  Von  den  Fortsätzen  der  Hülle  des  Rückenmarks, 
dem  Lig.  laciniaium,  wird  später  die  Rede  sein.  Die  in  die  Schädelhöhle 
vorspringenden  Fortsätze  ^)  des  Periost  sind  Platten ,  welche  diese  Höhle 
unvollkommen  in  zwei  symmetrische  Hälften  und  der  Quere  nach  in  einen 
oberen  grösseren  und  einen  unteren  kleineren  Raum  abtheilen.  Die  mediane 
Scheidewand,  Falx,  Hirnsichel*),  ragt  in  die  tiefe  Spalte  zwischen  den  Hemi- 
sphären des  Grosshirns  bis  zum  Balken  (Fig.  218)  und  füllt  am  Kleinhirn 
die  seichte  Vertiefung  zwischen  den  über  dem  unteren  Wurm  zusammen- 
stossenden  Hemisphären  aus.  Die  quere  Scheidewand,  Tentorium^) ^  legt 
sich  in  die  Spalte  zwischen  den  hinteren  Lappen  des  Grosshirns  und  der 
Oberfläche  des  Kleinhirns;  sie  bildet  einen  Theil  des  Bodens  der  Höhle,  die 
zur  Aufnahme  des  Grosshirns  bestimmt  ist,  und  zugleich  die  Decke  der 
Höhle ,  in  welcher  das  Kleinhirn  ruht.  Mit  ihrem  freien  Rande  ^)  erreicht 
sie  den  Grund  der  vorderen  queren  Hirnspalte  und  begrenzt  sie  die  Oeff- 
nung^),  durch  welche  die  hintere  Schädelgrube  mit  der  mittleren  commu- 
nicirt. 

Dadurch,  dass  Falx  und  Tentorium  an  der  Protuberantia  occipit.  int. 
einander  begegnen,   wird   die  Falx  in  eine   obere  und  untere   Abtheilung, 


^)  Theca  med.  spin.  ^)  Filum  iermmale  exiernum.  ^)  Processus  cruclatus.  *)  Proc. 
falciformis.  Mediastinum  cerebri  (cerebeUi).  ^)  T.  cerebelU.  SejHum  encephali.  ■  Hirnze-lW 
Gezelt.     ^)     Incisura  ientorli.     '')  Foramen  occlpitale  superius. 

20* 


308 


Hüllen  des  Centralorgans. 


Faix  cere-     Falx  cercbH  (fc)  und  cerebelli   (fch)^),   das   Tentorhim  (t)  in   eine  reclite 
lind  linke  Hälfte  geschieden  (Fig.  217).     Die  Falx  cerebri  hat   die  Gestalt 

Fig.  217. 


'Jff' 


Sagittalschnitt  des  Schädels  links  neben  der  Medianebene.     Von  der   linken    Hälfte    des 
Tentorium  ist  ein  schmaler  Saum  zurückgeblieben,  das  Gehirn  entfernt,     fc  Falx  cere- 
bri.   fcb  Falx  cerebelli.     t  Tentorium.    1  Stiel  der  Hypophyse.    2  V.  cerebri  int.  comm. 
Vgl.    Gefässlehre  Fig.   141.     3  Crista  galli.     4  Sinus  transversus. 

einer  Sichel,  deren  Rücken  an  die  Schädeldecke  angewachsen  ist,  deren 
Schneide  frei  liegt;  sie  verjüngt  sich  von  hinten  nach  vorn,  ruht  mit  dem 
breiteren  hinteren  oder  unteren  Rande,  der  Basis,  auf  dem  Tentorium,  mit 
dem  schmaleren  vorderen,  die  Crista  galli  (3)  einschliessenden  Rande  auf 
der  stumpfen,  medianen  Firste  des  Wespenbeinkörpers  und  füllt  mit  einem 
kegelförmigen,    soliden  Fortsatz  das  Foramen  coecum  aus. 

"Wenn  ich  das  Tentorium  eine  horizontale  Scheidewand  nannte,  so  sollte 
damit  seine  Stellung  nur  im  Allgemeinen  und  im  Gegensatze  zur  Falx  bezeich- 
net werden.  In  der  That  ist  es,  der  Oberfläche  des  Kleinhirns  entsprechend, 
im  Ganzen  aufwärts  gewölbt  und  in  der  Mitte,  je  näher  dem  vorderen 
Rande ,  um  so  mehr  durch  die  Anheftung  der  Falx  cerebri  aufwärts  gezogen 
(Fig.  217.  218).  Yon  der  Fläche  betrachtet,  erscheint  es  halbmondförmig, 
doch  ist  die  Lücke,  die  sein  innerer  Rand  begrenzt,  elliptisch,  im  sagitta- 
len  Durchmesser  länger,  als  im  transversalen  (wie  5  :  4  Cm.).  Sein  äusse- 
rer Rand  befestigt  sich  läügs  dem  Sulcus  transversus  und  der  oberen  Kante 
der  Schläfenpyramide,  wo  er  die  Sinus  transversus  (Fig.  217,  4)  und  petro- 
sus  sup.  (Fig.  218,  2)  einschliesst ,   und  trifft  an  der  Seite  des  Wespenbein- 


)  Proc.  falciformis  major  und  minor. 


Hüllen  des  Centralorgans. 


309 


körpers  mit  dem  inneren  Rande  zusammen.     Dieser  verläuft  von  der  Mitte 
an,  wo  er  zur  Aufnahme  der  V.  cerebri  int.  comm.  geöffnet  ist  (Gefässlehre 


Fig.  218. 


Frontalsclinitt  des  Schädels  mit  dem  Gehirn  durch  den  vor- 
deren Rand  der  Brüclje,  wie  in  Fig.  73.    fc  Falx   cerehelli. 
t  Tentorium.     1   Querschnitt  des  Sinus  sagitt.   sup.,    2   des 
Sinus  petr.  sup.     3  A.  basilaris. 


Fig.  141),  einfach  und 
etwas  wulstig  bis  in  die 
Gegend  der  Spitze  der 
Schläfenpyramide ;  von 
da  an  zerfällt  er  in  zwei, 
unter  spitzem  Winkel 
divergirende ,  niedere 
Falten,  eine  obere  und 
laterale ,  die  dem  Proc. 
clinoid.  ant.,  eine  untere, 
mediale ,  die  dem  Proc. 
clinoid.  post.  zustrebt 
(Fig.  219);  die  seichte 
Vertiefung  zwischen  bei- 
den Falten  ist  die  Decke 
des  Sinus  cavernosus. 

Die  Falx  cerebelli  ist 
niedriger,  aber  (im  trans- 
versalen Durchmesser) 
breiter,  als  die  Falx  ce- 
rebri ;  nur  in  der  Seiten- 
ansicht ist  sie  allenfalls 
einer  kurzen  und  sehr 
schwach  gekrümmten  Si- 


chel vergleichbar,  mit  der  Spitze  abwärts,  mit  der  Basis  aufwärts  gegen 
das  Tentorium  gerichtet  und  an  dasselbe  angewachsen.  Die  Höhe  (der  sagit- 
tale  Durchmesser)  der  Basis  beträgt  kaum  1  Cm.  Der  freie  Rand  ist  in 
der  Mitte  etwa  6  Mm.  breit  und  wird  nach  oben  und  unten  breiter,  dort  in  . 
die  untere  Fläche  des  Tentorium,  hier,  in  der  Gegend  des  Hinterhauptslochs, 
in  die  fibröse  Hülle  des  Rückenmarks  sich  verlierend ;  er  ist  öfters  der  Länge 
nach  gerippt  oder  hohlkehlenartig  vertieft  (Fig.  219);  nicht  selten  überragt 
er  beiderseits  mit  einem  schmalen  Saum  die  Seitenflächen. 

Das  Tentorium  erweist  sich  durch  seine  knöcherne  Beschaffenheit  bei  Tentorium. 
den  Carnivoren  als  eines  jener  Gebilde,  welche,  wie  die  Linea  alba  der  vor- 
deren Batichwand,  das  Lig.  stylohyoideum  u.  a.,  zwar  zum  Plane  des  Ske- 
letts der  Wirbelthiere  gehören,  aber  bei  einer  Anzahl  oder  auch  Mehrzahl 
derselben  im  unverknöcherten  Zustande  verharren.  Zu  einer  analogen  Auf- 
fassung der  Falx  berechtigt  die  typische  theilweise  Verknöcherung  dersel- 
ben, die  als  Crista  galli  und  Crista  frontalis  int.  mit  der  knöchernen  Schä- 
delkapsel verwachsen  ist.  Auch  dies  dient  zur  Widerlegung  derer,  welche 
die  fibröse  Hirnhaut  in  zwei  Schichten  zerlegen  und  die  von  ihr  ausgehen- 
den Scheidewände  als  Duplicaturen  der  inneren,  nicht  periostalen  Schichte 
betrachten. 

Duplicaturen  gleichen  die  Fortsätze  der  fibrösen  Hirnhaut,  weil  sie 
am  angewachsenen  iind  streckenweise  auch  am  freien  Rande  in  zwei  Blätter 
aus  einander  weichen,  um  die  venösen  Sinus  aufzunehmen.     Aber  auf  diese 


310 


Hüllen  des  Centralorgans. 


Nervenver- 
lauf durch 
die  fibr. 
Haut. 


Strecken  beschränkt  sich  auch  der  Anschein  der  lamellösen  Structur  und 
andererseits  liegen  zahlreiche  Sinus  an  Stellen  der  Schädelbasis,  über 
welche  die  fibröse  Haut  einfach  glatt  hinweggeht. 

Neben  den  venösen  Sinus,   auf  deren  Beschreibung  in  der  Gefässlehre 

Fig.  219. 


Schädelbasis  von  innen  mit  den  an  der  Austrittsstelle  aus  dem  Gehirn  abgeschnittenen 
Nerven  I  bis  XII.  V*  Ggl.  semilunare  des  N.  trigeminus,  dessen  motorische  Wurzel 
unter  der  kürzer  abgeschnittenen  sensibeln  hervorsieht.  F^,  V^,  V^  Erster  bis  dritter 
Ast  des  Trigeminus.  Auf  der  rechten  Seite  ist  die  fibröse  Hirnhaut  entfernt  und  sind 
die  Nerven  unter  derselben  bis  zu  den  Oeffnungen  verfolgt,  durch  welche  sie  den  Schä- 
del verlassen,  die  Nerven  ///,  IV,  V^  und  VI  über  die  convexe  Krümmung  der  Carotis. 
1  Proc.  clinoid.  ant.  2  Proc.  clinoid.  post.  3  Querschnitt  der  Carotis  int.  H  Stiel 
der  Hypophyse,  deren  Lage  durch  eine  Vertiefung  der  fibrösen  Haut  angedeutet  ist. 
i  Vordere  Spitze  des  (abgeschnittenen)  Tentorium.     fcb  Falx  cerebelli. 


Hüllen  des  Centralorgaiis.  811 

ich  verweise,  liegen  zwischen  der  fibrösen  Hirnhaut  und  dem  Schädel 
oder  eigentlich  in  der  Substanz  der  ersteren  die  Arterien  und  Venen,  welche 
ihr  und  dem  Knochen  Aeste  zusenden  (Vasa  meningea) ,  und  die  Stämme 
einzelner  Nerven.  Vier  Hirnnerven,  der  dritte  und  sechste,  haben  die  Eigen- 
thümlichkeit,  dass  sie  den  letzten  Theil  ihres  Weges  durch  die  Schädel- 
höhle innerhalb  der  fibrösen  Haut  zurücklegen.  Die  Nn.  oculomotorius  und 
trochlearis  senken  sich  nahe  hinter  einander,  der  letztere  zugleich  etwas 
seitwärts  von  dem  ersteren,  in  die  fibröse  Hirnhaut  ein,  dicht  unterhalb 
der  oberen  der  beiden  eben  erwähnten  Falten ,  mit  welchen  sich  das  Ten- 
torium  an  das  Wespenbein  befestigt  (Fig.  219).  Der  N.  trigeminus  durch- 
bohrt unter  der  unteren  Anheftungsfalte  des  Tentorium  die  fibröse  Haut  und 
der  N.  abducens  tritt  schon  in  der  hinteren  Schädelgrube  unter  dieselbe, 
hinter  der  Spitze  der  Schläfenpyramide  und  näher  der  Mittellinie,  als  die 
übrigen  Nerven.  Oculomotorius,  Trochlearis  und  Abducens  ziehen  neben  ein- 
ander, über  der  Carotis  und  theils  durch  den  Sinus  caveniosus,  theils  über 
demselben  zum  medialen  Winkel  der  Fissura  orbitalis  sup.  Der  N.  trige- 
minus gelangt  in  der  nach  ihm  benannten  Impression  an  der  Spitze  der 
Schläfenpyramide  zur  mittleren  Schädelgrube  und  die  fibröse  Haut  verbirgt 
nicht  nur  seinen  Stamm,  sondern  auch  das  Ganglion  der  sensibeln  Wurzel 
(Fig.  219,  V*)  und  die  drei  Aeste,  die  aus  demselben  hervorgehen,  bis  zu 
ihrem  Eintritt  in  die  Fissura  orbit.  sup.,  resp.  den  Can.  rotund.  und  das 
For.  ovale  (V^V^V^). 

Zu  den  zwischen  der  fibrösen  Hirnhaut  und  dem  Schädel  eingeschalte- 
ten Organen  gehört  auch  die  Hypophyse.  Ueber  dieselbe  und  die  Sinus 
intercavernosi ,  die  sie  umgeben,  ist  zwischen  den  vorderen  Spitzen  des 
Tentorium  die  fibröse  Haut  als  eine  leicht  vertiefte  Decke  ^)  ausgespannt, 
die  den  Stiel  der  Hypophyse  durchtreten  lässt,  aber  genau  mit  demselben 
verbunden  ist  (Fig.  219  H). 

Bezüglich  der  Textur  zeichnet  sich  die  fibröse  Haut  des  Gehirns  und  Textur  der 
Rückenmarks  durch  nichts  vor  den  übrigen  Gebilden  dieser  Kategorie  aus; 
sie  besteht  aus  dicht  verwebten  Bindegewebsbündeln  und  feinen  elastischen 
Fasernetzen.  An  den  Stellen,  wo  die  Bekleidung  des  Schädels  in  die  Fort- 
sätze ,  Falx  und  Tentorium ,  umbiegt ,  wird  die  Membran  mächtiger  und 
der  verflochtene  Bau  dem  unbewaffneten  Auge  sichtbar;  dagegen  verdün- 
nen sich  die  Fortsätze,  namentlich  die  Falx  cerebri,  in  der  Nähe  des  freien 
Randes  häufig  bis  zu  stellenweiser  Durchlöcherung  und  Umwandlung  in 
ein  netzförmiges  Gewebe  (Fig.  217). 

Gegen  das  Hinterhauptsloch  ordnen  sich  die  Bündel  mehr  pai'allel 
und  longitudinal  und  so  erhalten  sie  sich  in  der  fibrösen  Hülle  des  Rücken- 
marks, 

Die  fibröse  Hirnhaut  ist  an  ihrer  inneren  Oberfläche,  die  fibröse  Haut 
des  Rückenmarks  an  beiden  Oberflächen  mit  einem  einfachen,  sehr  platten 
Pflasterepithelium  versehen,  dessen  Kerne  durch  Essigsäure,  dessen  Zellen- 
grenzen durch  salpetersaure  Silberlösung  zur  Anschauung  gebracht  werden. 

Da  Gehirn  und  Rückenmark  sich  in  einer  luftdicht  geschlossenen  Kapsel 
mit  festen  Wänden  befinden,  die,  wenn  einmal  der  Schluss  der  Fontanellen 


^)   Diaphragma  sellae  turciae  s.  hypophyseos.      Operculum  sellae  turcicae  Hyrtl. 


312 


Hüllen  des  Centralorgans. 


Araohnoi- 
dea  u.  siib- 
arachnoi- 
deales  Ge- 
webe. 


beendet  ist,  weder  einer  Ausdehnung  nocli  eines  Einsinkens  fähig  sind,  so 
muss  der  Raum  zwischen  den  "Wänden  und  dem  Centralorgan  von  einer 
Substanz  eingenommen  sein,  die  in  alle  Lücken  des  Organs  vordringt  und 
sich  allen  Unebenheiten  seiner  Oberfläche  anschmiegt.  Mit  anderen  Wor- 
ten :  die  Unebenheiten  der  Oberfläche  insonderheit  des  Gehirns  müssen  durch 
eine  Substanz  ausgeglichen  werden,  welche  die  verhältnissmässig  glatte  in- 
nere Oberfläche  des  Schädels  ebenso  wiederholt,  wie  ein  Gypsabguss  sie 
wiederholen  würde.  Da  ferner  erfahrungsmässig  die  Blutfülle  des  Central- 
organs im  Ganzen,  wie  der  einzelnen  Regionen  Schwankungen  unterworfen 
ist,  so  muss  die  Substanz,  die  die  Lücken  ausfüllt  und  die  Unebenheiten 
ausgleicht,  in  entsprechend  kurzen  Zeiträumen  vermehrt,  vermindert,  von 
Einer  Stelle  zur  anderen  verschoben  werden  können.  So  rasche  Volumen- 
änderungen, eine  solche  Theilbarkeit  und  Verschiebbarkeit,  wie  sie  hierzu 
erfordert  werden,  kommen  nur  Flüssigkeiten  zu.  Die  physikalische  Seite 
der  Vorgänge  wäre  verständlich,  wenn  man  sich  die  Schädel-  und  Rücken- 
markshöhle mit  Serum  gefüllt  und  Gehirn  und  Rückenmark  in  diesem  Se- 
rum schwimmend  dächte.  Factisch  verhält  sich  die  das  Gehirn  und  Rücken- 
mark umgebende  Substanz  zu  Serum ,  wie  Anasarca  zu  Hydrops  ascites. 
Ich  glaube  ihren  Charakter  am  treffendsten  mit  dem  Namen  eines  physio- 
logisch wassersüchtigen  Bindegewebes  von  allerdings  ungewöhnlich  lockerer 
Beschafi"enheit  zu  bezeichnen.  Die  areoläre  Beschaffenheit  des  Gewebes  er- 
laubt der  Flüssigkeit  eine  fast  so  rasche  Ortsveränderung,  als  wenn  sie  frei 
das  Centralorgan  umspülte,  und  die  Bewegung  des  letzteren  in  seiner  was- 
serhaltigen Umhüllung  scheint  in  der  That  einem  Schwimmen  vergleichbar. 
Ich  schliesse  dies  aus  der  Wirkung  der  Schaukel-  und  Kreisbewegungen 
des  Körpers  und  habe  schon  an  einer  anderen  Stelle  ^)  die  Symptome  des 
Schwindels ,  der  Seekrankheit  u.  a.  von  den  Zerrungen  hergeleitet ,  die  die 
Nervenwurzeln  durch  das  in  seiner  Höhle  hin-  und  herwogende  Gehirn 
erfahren.  Die  individuell  so  sehr  verschiedene  Neigung  zu  jenen  Afi'ectio- 
nen  könnte  in  dem  individuell  verschiedenen  Verhältniss  des  Gehirnvolu- 
mens zum  Schädelraum  begründet  sein. 

Die  Quantität  der  in  dem  subarachnoidalen  Gewebe  enthaltenen  Flüs- 
sigkeit schätzt  Magendie  beim  erwachsenen  Menschen  auf  62  Grm. 

Das  wassersüchtige  Bindegewebe  grenzt  sich  nach  aussen  durch  eine 
zusammenhängende,  zarte  aber  doch,  besonders  am  Rückenmark,  resistente 
Haut  ab.  Axif  diese  mag  der  Name  AracJinoidea  übertragen  werden.  Sie 
berührt  in  der  Regel  unmittelbar  die  innere  Fläche  der  fibrösen  Haut,  wenn 
auch  nicht  bestritten  werden  kann,  dass  da  und  dort  einmal,  durch  eine 
Lücke  der  Arachnoidea,  ein  Theil  der  subarachnoidealen  Flüssigkeit  in  den 
Raum  zwischen  Arachnoidea  und  fibröser  Haut  gerathen  mag.  Bei  der 
Eröffnung  der  fibrösen  Hülle  des  Hirns  und  Rückenmarks  ist  die  Verletzung 
der  Arachnoidea  kaum  zu  vermeiden  ;  die  subarachnoideale  Flüssigkeit  entleert 
sich,  das  Bindegewebe  fällt  zusammen  und  wo  die  Arachnoidea  nicht  folgen 
kann,  spannt  sie  sich  brückenartig  über  die  Furchen,  so  zwischen  den 
Grosshirnwindungen,  über  die  hintere  quere  Hirnspalte,   die  hintere  Seiten- 


^)  Rationelle  Pathologie.  Bd.  II,  Abtlil.   2.  S.   104. 


Hüllen  des  Centralorgans.  313 

spalte,   die   Vertiefungen   der   Basis    des    Grosshirns.     Diirch   Lufteinblasen 
lässt  sie  sich  von  ihrer  Unterlage  auf  grössere  Strecken  wieder  abheben. 

Die  Gedrängtheit  der  Bindegewebsbälkchen  und  die  Ausdehnung  der 
areolären  Räume  des  subarachnoidalen  Gewebes  steht  im  umgekehrten  Ver- 
hältniss  zur  Tiefe  der  Thäler,  über  welche  die  Arachnoidea  sich  hinspannt,  ■ 
und  so  können  stellenweise,  z.  B.  an  der  hinteren  Qüerspalte  und  zwischen 
Brücke  und  Hypophyse,  die  Verbindungen  der  Arachnoidea  mit  den  dar- 
unter gelegenen  Gebilden  völlig  fehlen  ^).  Andererseits  verdichtet  sich  das 
areoläre  Gewebe  hier  und  da  zu  einer  festen  undurchbrochenen  Scheide- 
wand ,  welche  den  subarachnoidealen  Eaum  in  gesonderte  Kammern  abtheilt. 
Eine  solche  Scheidewand  zieht  sich  öfters  in  frontaler  Stellung  von  den 
Corp.  candicatia  zur  Arachnoidea  herab. 

Gleichwie  nach  aussen,  so  verdichtet  sich  das  bydropische,  das  Central-  Gefässbaut. 
Organ  einhüllende  Bindegewebe  auch  nach  innen,  an  der  Grenze  gegen  die 
Nervensubstanz  zu  einer  Membran,  die  sich  von  der  äusseren  dadurch  un- 
terscheidet, dass  sie  die  dichten  Verzweigungen  der  Arterien  und  Venen 
enthält,  von  welchen  die  feinen  in  die  Nervensubstanz  eindringenden  Ge- 
fässe  ausgehen.  Diese  Schichte  der  bindegewebigen  Umhüllung  ist  die  Ge- 
fässhaiit^).  Sie  sendet  von  der  unteren  Fläche  die  Scheidewände  aus,  die 
in  Gestalt  stärkerer  oder  feinerer  Blätter  die  Spalten  des  Rückenmarks,  die 
Furchen  zwischen  den  Randwülsten  des  Klein  -  und  Grosshirns  ausfüllen 
und  beim  Abstreifen  der  Gefässhaut  aus  den  Furchen  herausgezogen  wer- 
den. Ihr  gehören  auch  die  selbständigen,  gefässreichen  Blätter  an,  welche 
in  die  Hirnventrikel  vordringen ,  frei  über  den  Boden  ausgespannt  und  mit 
den  Nervengebilden ,  die  als  Decke  fungiren ,  nur  locker  verbunden.  Es 
sind  die  Telae  clioroideae ,  die  ohne  Zweifel  eine  Rolle  bei  der  Erzeugung 
des  subarachnoidealen  Serum  spielen.  Das  eigentliche  Absonderungsorgan 
desselben  sind  krause,  zottenförmige  Fortsätze,  Plexus  choroidei,  deren  Bau 
an  die  Ciliarfortsätze  des  Auges  erinnert  (Fig.  220  a.  f.  S.).  Sie  sind  von 
wechselnder  Form,  am  häufigsten  umgekehrt  kegelförmige,  gestielte  Läpp- 
chen von  1  bis  2  Mm.  Höhe.  Jedes  dieser  Läppchen  zerfällt  in  eine  An- 
zahl feinere  von  gleicher  Form  und  etwfL  0,25  Mm.  Höhe  und  diese  primä- 
ren Läppchen  zeigen  unter  dem  Mikroskop  eine  mit  dichtgedrängten  Aus- 
buchtungen von  0,075  bis  0,180  Mm.  Durchmesser  besetzte,  traubenförmige 
Oberfläche.  Die  Ausbuchtungen  enthalten  Schlingen  feiner,  verhältniss- 
mässig  dickwandiger  Gefässe  von  0,015  Mm.  mittlerem  Durchmesser,  die 
durch  die  Stiele  in  die  Tiäppchen  eintreten  und  sich  innerhalb  derselben 
verästeln. 

Die  Plättchen  und  Bälkchen,  welche  den  Raum  zwischen  Arachnoidea 
und  Gefässhaut  durchziehen ,  inseriren  sich  zum  Theil  an  diese  Membranen, 
zum  Theil  an  die  Gefäss  -  und  Nervenstämme,  die  durch  den  genannten 
Raum  verlaufen.  Durch  zahlreiche  und  stärkere  Bindegewebsfäden  sind 
namentlich  die  an  der  Schädelbasis  gelegenen  Arterienstämme  einerseits 
mit  der  Arachnoidea,  andererseits  mit  der  Gefässhaut  verbunden. 

Zu  den  derberen  Lamellen  des  hydropischen  Bindegewebes  gehört  auch 


^)   Confluents  du  liquide  cephalo-rachidien  Magendie.     Sinus  suharachnoideales  Bruns 
(Handb.   d.   Chirurgie  I,   589).     ^)   Pia  mater.      Tunica  propria. 


314  Hüllen  des  Centralorgans. 

das   Lig.   denticulatum  i) ,    welches   das    Rückenmark    an    die    Arachnoidea 
und  mit  der  Arachnoidea  an  die  fibröse  Haut  befestigt.     Ich  habe   dasselbe 

Fig.  220. 


Zotten  der  Plexus  chovoidei. 

bereits  an  einer  früheren  Stelle  beschrieben  und  abgebildet  (S.  40.  Vgl, 
Fig.  3  und  6)  und  hier  nur  hinzuzufügen ,  dass  die  Zahl  der  Zacken  des 
Ligaments  nicht  genau  der  Zahl  der  Nervenwurzeln  entspricht.  Sie  beträgt 
20  bis  23;  die  oberste  befindet  sich  im  Hinterhauptsloch,  die  unterste  zwi- 
schen dem  letzten  Brust  -  und  dem  ersten  Bauchwirbel ;  die  oberen  wenden 
die  Spitze  gerade  seitwärts,  die  unteren  zugleich  abwärts.  Am  Conus  me- 
dullaris  ist  das  Ligament  auf  einen  schmalen  Saum  der  Seitenfläche  des 
Rückenmarks  reducirt. 


Der  Sinn ,  in  welchem  ich  den  Nameii  Arachnoidea  gebrauclie ,  involvirt  den  • 
Bruch  mit  einer  Tradition,  die,  auf  das  Bicliat'sche  Dogma  von  den  serösen 
Häuten  gegründet,  sich  bis  in  die  neuesten  Lehrbücher  erhalten  hat.  Als  den 
präcisesten  Ausdruck  der  Vorstellungen,  welche  B  i  c  h  a  t  von  der  serösen  Membran 
der  Schädel  -  und  Wirbelhöhle ,  der  sogenannten  Arachnoidea ,  geschaffen ,  citire 
ich  die  Worte  C.  Krause's:  „Die  Arachnoidea,  Spinuwebenhaut  oder  mittlere 
Hirnhaut  ist  eine  sehr  zarte,  durchsichtige,  seröse  Haut,  deren  äusserer  Sack  mit 
der  inneren  Fläche  der  Dura  mater  innigst  verwachsen  ist,  deren  eingestülpter  Theil 
dagegen  die  Hirn  -  und  Eückenmarksgefässe  und  die  Nervonwurzeln  einwickelt 
und  sodann  das  ganze  Centrum  encephalospinale  ziemlich  locker  überzieht,  auch 
mit  den  Telae  choroideae  in  die  Höhle  eindringt,  die  Plexus  choroidei  mit  einer 
sehr  dünnen  Hülle  bekleidet,  höchst  Avahrscheinlich  auch  Theil  au  der  Zusammen- 
setzung des  Ependyma  nimmt  und  das  oberflächliche  Blatt  desselben  bildet,  wel- 
ches indess  von  dem  tiefern  ,  der  Pia  mater  angehörigen ,  nicht  zu  trennen  ist." 
Man  hatte  sich  demnach  das  parietale ,  mit  der  Dura  mater  verschmolzene  Blatt 
einer  solchen  Serosa  und   das  viscerale ,    die   Pia   mater    theils    bedeckende,    tlieils 

^)  Lig.  serratum. 


Hüllen  des  Centralorgans.  315 

mit  ihr  verwachsene  Blatt  unter  dem  Bilde  zweier  in  einander  steckender  Eöhren 
vorzustellen,  beide  verbunden  durch  hohle  Cylinder,  in  deren  Höhlen  die  Gefäss- 
und  Nervenstämme  enthalten  wären.  Und  nicht  allein  die  Grefäss-  und  Nerven- 
stämme ,  auch  die  fibrösen  zwischen  fibröser  und  Gefässhaut  hinziehenden  Gebilde, 
Lig.  denticulatum  imd  ähnliche,  beanspruchen,  dem  Schulbegriff  gemäss,  ihre 
serösen  Ueberzüge. 

Mir  wurde  der  ausserordentlich  complicirte  Verlauf  der  serösen  Blätter,  den 
diese  Theorie  voraussetzt,  schon  A^or  Jahren  bedenklich,  als  ich  die  Bemerkung 
gemacht  hatte,  dass  häufig,  namentlich  bei  jüngeren  Thieren,  Brücken  der  Arach- 
noidea  innerhalb  des  Arachnoidealsacks  zwischen  den  letzten  Hirn-  und  den  ober- 
sten Eückenmarksnerven  sich  ausspannen  (AUg.  Anat.  S.  367).  Auch  Valentin 
(Hirn-  und  Nervenlehre  S.  159)  verhehlt  die  Schwierigkeiten  und  Dunkelheiten 
nicht ,  auf  welche  man  bei  einer  eingehenderen  Durchführung  der  herrschenden 
Ansicht  stösst.  Sie  wären  vielleicht  heute  nicht  mehr  unüberwindlich,  wo  man 
dem  Begriff  der  serösen  Haut  einfach  den  des  „Endothels"  substituiren  könnte,  der 
aus  platten  Zellen  zusammengefügten  Häutchen ,  denen  kein  Bälkchen  zur  Beklei- 
dung zu  fein,  keine  Lücke  zur  Auskleidung  zu  eng  ist.  Indessen  hat  sich  von 
einer  anderen  Seite  die  Unanwendbarkeit  der  Bichat'schen  Lehre  auf  die  Mem- 
branen der  Schädel-  und  Wirbelhöhle  ergeben. 

Da  der  seröse  Sack ,  auf  dessen  anatomischen  Nachweis  von  vornherein  ver- 
zichtet wurde,  nur  eine  Hypothese  war  zur  Erklärung  des  die  Centralorgane  um- 
spülenden Wassers ,  so  verstand  es  sich  von  selbst ,  dass  das  Wasser  den  Inhalt 
des  Sackes  bilden  rnusste,  dessen  Wände  man  als  die  Quelle  des  Wassers  ansah. 
So  sagt  z.  B.  C.  Krause  von  der  Araclmoidea:  „in  der  Höhle  zwischen  ihrem 
äusseren  ixnd  ihrem  eingestülpten  Sacke  enthält  sie  eine  geringe  Menge  von  Se- 
rum, Serum  s.Fluülum  cerehro-spinale,  Spinalflüssigkeit  genannt."  Der  Glaube  an 
den  serösen  Sack  hinderte  die  Anatomen,  zu  bemerken,  dass  bei  der  Eröffnung 
der  Wirbelhöhle  das  sogenannte  viscerale  Blatt  der  Arachnoidea  in  der  Eegel  in 
unmittelbarer  Berührung  mit  dem  parietalen  gefunden  wird,  er  hinderte  die  Aerzte, 
sich  zu  überzeugen,  dass  das  gerinnbare  Exsudat  der  Arachnitis  nicht  zwischen 
den  beiden  Lamellen  des  serösen  Sacks,  sondern  unterhalb  der  visceralen  Lamelle 
liegt.  Jenen  Glauben  vermochte  selbst  der  von  Magendie  (Rech,  physiolog.  et 
Clin,  sur  le  liquide  cephalo-rachidien.  Paris  1842)  gelieferte  und  von  Vielen  be- 
stätigte Nachweis,  dass  das  Wasser  durch  das  viscerale  Blatt  der  Arachnoidea  zu- 
i'ückgehalten  wird ,  nicht  zu  zerstören.  Er  hat  nur  zur  Unterscheidung  eines 
Arachnoideal  -  und  Subarachnoidealraums ,  eines  Liquor  arachnoidealis  und  suh- 
araclmoidealis  geführt.  Ecker  (Physiolog.  Unters,  über  die  Bewegungen  des  Ge- 
hirns und  Rückenmarks.  Stuttg.  1843.  S.  84)  versichert,  dass  im  lebenden  Thier 
im  Arachnoidealraum  keine  Flüssigkeit  enthalten  sei,  und  dass,  „gegen  alle  Ana- 
logie mit  dem ,  was  in  anderen  serösen  Häuten  beobachtet  wird , "  die  Flüssigkeit 
sich  nicht  im  Sack  der  Arachnoidea,  sondern  zwischen  dem  Visceralblatt  dessel- 
ben und  der  Gefässhaut  befinde.  Dieser  Widerspruch  mit  der  Analogie  muss  aber 
dazu  führen,  den  sogenannten  Arachnoidealsack  von  den  serösen  Häuten  auszu- 
schliessen  und  die  unnatürliche  Verbindung  der  reellen  Membran,  die  die  binde- 
gewebige HüUe  des  Centralorgans  nach  aussen  abschliesst,  mit  der  imaginären 
Membran,  die  die  Innenfläche  der  fibrösen  Haut  bekleiden  soll,  aufzulösen. 

Durch  Injection  der  Subarachnoideal räume  von  Kaninchen  und  Hunden  mit 
farbigen  Massen  unter  constantem  Druck  wies  Schwalbe  (Archiv  für  mikroskop. 
Anat.  VI,  44)  einen  Zusammenhang  jener  Räume  mit  Lymphgefässen  nach,  der 
von  Key  und  Retzius  (nordiskt  medicinskt  arkif  1870.  Hft.  1.  Nr.  6,  Hft.  2, 
Nr.  13)  bestätigt  wurde.  Die  Subarachnoidealräume  deshalb  mit  Lymphräumen 
zusammenzustellen ,  halte  ich  dennoch  für  missbräuchlich,  da  der  fast  rein  wäs- 
serige Inhalt  derselben  (nach  Lassaigne  beträgt  der  Wassergehalt  der  Subarach- 
noidealflüssigkeit  98,6  Proc.)  keine  Aehnlichkeit  mit  Lymphe  hat.  Auch  steht 
nach  Schwalbe  der  Subarachnoidealraum  in  keiner  Verbindung  mit  den  unmit- 
telbar an  der  Oberfläche  des  Gehirns  unter  der  Gefässhaut  befindlichen  Räumen 
(s.  unten),  die  sich  durch  ihren  Gehalt  an  Lymphkörperchen  tmd  durch  Aufnahme 
der  perivasculären  Räume  des  Gehirns  als  wirkliche  Lymphräume  erweisen. 


cerebelli. 


316  Hüllen  des  Centralorgans, 

Von  den  Fortsätzen  der  Gefässhaut  des  Eückenmarks  war  schon  an 
einer  früheren  Stelle  (S.  39)  die  Rede;  nur  Einer  derselben,  das  Septum, 
welches  die  vordere  Medianfissur  ausfüllt,  ist  mächtig  genug,  um  mit  den 
gewöhnlichen  anatomischen  Hülfsmitteln  demonstrirt  zu  werden.  Das  Mi- 
kroskop weist  ein  ähnliches  feineres  Septum  auch  in  der  hinteren  Median- 
fissur und  noch  feinere  Bindegewebsschichten  zwischen  den  Nervenbündeln 
der  Rückenmarksstränge  nach,  hat  aber  noch  nicht  darüber  entschieden,  ob 
diese  von  der  Gefässhaut  einstrahlenden  Fasern  mit  Elementen  der  Aus- 
kleidung des  Centralcanals,  Fortsätzen  seiner  Epithelzellen  oder  Fasern  der 
centralen  gelatinösen  Substanz,  in  Verbindung  treten. 

Am  verlängerten  Mark,  in  der  Gegend  der  Pyramidenkreuzung,  wird 
das  hintere  Septum  stärker ,  das  vordere  dünner.  Die  Veränderungen, 
welche  beide,  sowie  die  seitlichen  Septa  weiterhin  am  verlängerten  Mark 
erfahren,  ergeben  sich  aus  der  verändei-ten  Lage  und  Tiefe  der  Fissuren 
von  selbst. 
Teia  Chor.  Durch  die  Eröffnung  des  Centralcanals  kommen  die  äussere  Umhüllung 

des  verlängerten  Marks  und  die  Auskleidung  des  Centralcanals  mit  einan- 
der in  Berührung,  grenzen  sich  aber  alsbald  so  gegeneinander  ab ,  dass  die 
an  ihrem  Flimmerepithel  kenntliche  Fortsetzung  der  Auskleidung  des  Cen- 
tralcanals, das  sogenannte  Ependyma,  den  Boden  des  vierten  Ventrikels 
überzieht,  während  die  Gefässhaut  an  der  hinteren  Spitze  des  Sinus  rhom- 
boideus  mit  einer  scharfen  Querfalte  abschliesst  und  von  beiden  Seitenrän- 
dern desselben  sich  erhebt,  um  sich  als  Decke  frei  über  ihm  auszuspannen 
(Fig.  221).  Die  hintere  Querfalte  hüllt  den  Obex  ein  (S.  103);  in  die  Decke, 
die  Tela  cJioroidea  cerebelli^),  dringt  von  beiden  Seiten  mehr  oder  minder 
weit  der  Ponticulus  vor  (S.  104).  Oefters  schliesst  sich  unmittelbar  an  die 
Obexfalte  noch  eine  schmale  Brücke  der  Gefässhaut,  in  welche  ebenfalls 
einige  Nervenfasern  einstrahlen  (S.  205).  Zwischen  dem  Obex  oder  dieser 
Brücke,  wenn  sie  vorhanden  ist,  und  dem  hinteren  Rande  der  Tela  choroidea, 
welche  an  die  Gefässhaut  des  unteren  Wurms  mehr  oder  minder  strafF  an- 
geheftet ist,  bleibt  eine  querspaltförmige  Lücke,  der  eigentliche  Eingang 
des  vierten  Ventrikels^),  durch  welchen  dem  subarachnoidealen  Serum  der 
Zutritt  zum  vierten  Ventrikel  offen  steht  (Fig.  221).  An  manchen  Gehir- 
nen wird  diese  Lücke  etwas  verengt  durch  einen  niederen  gefässreichen 
Saum,  der  sich  längs  dem  hinteren  Rand  der  Ala  cinerea  von  der 
Obexfalte  zur  Tela  choroidea  erstreckt ;  nach  dessen  Entfernung  wird 
das  rhombische  Leistchen  sichtbar,  welches  in  Fig.  113  mit  Äc  bezeichnet 
ist ,  und  es  scheint ,  dass  dies  Leistchen  sein  eigenthümliches  Ansehen 
den  zahlreichen  Blutgefässen  verdankt ,  die  aus  der  Gefässhaut  in  dasselbe 
eindringen. 

Mit  dem  vorderen  Rande  stösst  die  Tela  choroidea  des  Kleinhirns  seit- 
lich an  den  hinteren  Rand  des  unteren  Marksegels  (Vmp),  in  der  Mitte  an 


^)  Tela  chor.  Inf.  T.  chor.  ventricuU  quartl  Plexus  choroideus  cerebelli  s.  veniriculi 
quarti  Arnold.  Unter  Tela  choroidea  versteht  Arnold  einen  zwischen  dem  verlängerten 
Mark  und  dem  Kleinhirn  sich  hinziehenden  Theil  der  Gefässhaut,  von  welchem  der  Plexus 
choroideus  ausgehen  soll.  ^)  Orlßce  commun  des  cavites  de  Vencephale  Magen A\e.  Fora- 
men lUagendü  Luschka  (die  Adergeflechte  des  menschl.  Gehirns.  Berlin   1855). 


Hüllen  des  Centralors:ans. 


317 


die  Gefässhaut  des  Nodulus ,  mit  welcher  sie  verschmilzt  oder  in  welche  sie 
sich  umzuschlagen  scheint,  wenn  nicht  schon  vorher  die  völlige  Verschmel- 
zung der  Tela  choroidea  mit  der  Gefässhaut  des  unteren  Wiu'ms  erfolgt  ist. 

Fig.  221. 


Vnip 


Hintere  Hirnspalte,  durch  Herabziehen  des  verlängerten  Marks  und  Aufwärtsschla- 
gen des  Kleinhirns  geöffnet.  Eingang  des  vierten  Ventrikels  und  Tela  choroidea 
desselben.  Linkerseits  ist  ein  Theil  des  hinteren  Lappens  {p)  entfernt,  um  das 
hintere  Marksegel  {Vmj})  von  oben  zu  entblössen.  Py  Pyramide.  To  Tonsille. 
F  Flocke.  Ob  Obex.  Pcm,  Pcl  Plexus  choroid.  medial,  und  lateralis.  VII  N. 
facialis.  VIII  N.  acust.  *  Wurzeln  der  Nn.  glossophar.  und  vagus.  1  Art.  ver- 
tebr.     2  A  cereb.  inf.  post. 


Der  ganze  Complex  der  Tela  clioroidea  des  vierten  Ventrikels  nebst  den  Mark- 
segeln und  Markblätteru,  die  sich  in  dieselbe  verlieren,  ist  Rest  einer  Marklamelle, 
Avelcbe  in  den  ersten  Stadien  der  Entwickelung  des  Gehirns  den  Sinus  rhomboi- 
deus  continnii-licb  deckt  und  aus  welcber  sich  später  die  Markmasse,  A'on  der 
Mittellinie  anfangend,  nach  beiden  Seiten  mehr  oder  minder  weit  zurückzieht. 
Dies  erklärt  die  "Wandelbarkeit  der  hierher  gehörigen  Gebilde,  und  übei-hebt  uns 
der  Mühe,  ihrer  ph3'siologischen  Bedeutung  beim  Erwachsenen  nachzuspüren. 

So  weit  die  Tela  choroidea  den  vierten  Ventrikel  deckt,  trägst  sie  regel- 
mässig an  ihrer  unteren  Fläche  zu  beiden  Seiten  der  Medianlinie,  1  bis  2  Mm. 
von  einander  entfernt,  je  einen  Plexus  Clwroideus  (lltedialis)'^),  d.  h. 
einen  Längsstreifen  gefässreicher  Zotten ,  dessen  Breite  höchstens  2  Mm. 
beträgt ,  zuweilen  aber  viel  geringer  ist.  Häufig  ziehen  sich  die  beiden 
Streifen ,   nach  hinten  convergirend,  an  der  unteren  Fläche   des   Kleinhirns 


^)  ^exus   Cuoroid.    sup.    Pars  svp.    plex.    choroid.    ventriculi  quartl.      Mittlerer  Strang 
des  Ade'rgefleclits  des  Kleinhirns  Luschka. 


318  Hüllen  des  Centralorgaiis. 

eine  Strecke  weit,  bis  an  den  vorderen  und  selbst  den  hinteren  Eand  der 
Pyramide  hin ,  als  ob  die  Tela  cboroidea  sieb  über  den  Eingang  des  vierten 
Ventrikels  hinaus  nach  hinten  in  einen  schmalen  zungenförmigen  an  die 
Gefässhaut  des  unteren  Wurms  angewachsenen  Fortsatz  verlängerte.  Die 
Stelle  der  Gefässhaut  aber,  mit  welcher  dieser  Fortsatz  verwachsen  ist,  folgt 
ausnahmsweise  nicht  unmittelbar  der  Oberfläche  des  Kleinhirns ,  sondern 
spannt  sich  über  den  in  der  Tiefe  gelegenen  Wurmtheil  zwischen  beiden 
Hinterlappen  und  deckt  zugleich  die  Aa.  cerebelli  inferiores  posteriores, 
welche  jederseits  an  der  Aussenseite  der  Tela  choroidea  aufsteigen  und 
dann  nebeneinander  über  dem  erwähnten  zungenförmigen  Fortsatz  an  der 
unteren  Fläche  des  unteren  Wurms  nach  hinten  verlaufen  (Fig.  221). 

Ein  zweiter  Plexus  choroid.  von  keulenförmiger  Gestalt,  JPlexus  CJio- 
roid.  lateralis  ^) ,  entspringt  in  der  Gegend  der  Striae  medulläres  von  der 
äusseren  Fläche  der  Tela  choroidea,  windet  sich  mit  dem  Flockenstiel  um 
den  strickförmigen  Strang  und  kommt  an  der  unteren  Fläche  des  Gehirns, 
seitwärts  neben  dem  N.  acusticus,  zwischen  der  Flocke  und  dem  N.  vagus 
zum  Vorschein  (Fig.  221).  Dieser  Plexus  ist  es,  dessen  Wurzel  das  Velum 
medulläre  inf.  tütenförmig  umschliesst  (Fig.  43.  44**);  oft  setzt  sich  das- 
selbe in  eine  Membran  fort,  die  den  Plexus  in  Form  einer  prall  gefüllten^ 
Blase  umgiebt. 
Tela  Chor.  Die  Tela  choroidea  des  Grosshirns  ^)  fügt  sich  an  der  vorderen  queren 

Hirnspalte  aus  der  Gefässhaut  der  unteren  Fläche  des  Gross-  und  der  obe- 
ren Fläche  des  Kleinhirns  zusammen  (Fig.  223**).  Sie  hat  an  dieser 
Stelle,  die  man  als  ihren  Ursprung  bezeichnen  kann,  eine  nicht  geringe 
Mächtigkeit,  indem  sie  den  Raum  zwischen  dem  Wulst  des  Balkens  und 
den  Vierhügeln  ausfüllt  und  die  V.  cerebri  int.  communis^)  auf  ihrem  Wege 
zum  vorderen  Rande  des  Tentorium  und  weiter  vorn  das  Conarium  (Cn) 
umschliesst.  In  der  Richtung  von  hinten  nach  vorn,  in  welcher  die  beiden 
unter  dem  Balken  nebeneinander  verlaufenden  Vv.  cerebri  intt.,  die  sich  zur 
V.  int.  comm.  vereinigen  (Gefässl.  S.  337),  an  Kaliber  abnehmen,  wird  auch 
die  Tela  choroid.  dünner  und  ebenso  verdünnt  sie  sich  nach  den  Seiten  hin. 
Da  das  die  Venen  zunächst  umgebende  Gewebe  locker  ist  und  sich  gegen 
die  Oberflächen  verdichtet,  so  kann  man  sich  die  Membran  aus  zwei  Blät- 
tern zusammengesetzt  denken,  die  vor-  und  seitwärts  allmälig  mit  einan- 
der verschmelzen ;  das  untere  Blatt  deckt  die  Vierhügel  und  sendet  ihnen 
zahlreiche  feine  Gefässe  zu,  verhält  sich  also  zu  denselben,  wie  die  äussere 
Gefässhaut  zur  Oberfläche  des  Gehirns ;  zwischen  den  beiderseitigen 
Taeniae  thalami  optici,  mit  denen  es  ebenfalls  in  inniger  Verbindung  durch 
Gefässe   steht,  ist   es  frei  über   den   dritten    Ventrikel    ausgespannt.     Das 


cerebri. 


^)  Ala  Vicq  d'Azyr.  Plexus  nervi  vagl.  Plex.  choroid.  inf.  Pars  inf.  plex.  clioroid. 
ventric.  quarti.  Seitlicher  Strang  des  Adergeflechts  des  Kleinhirns  Luschka.  ^)  Tela 
choroidea  superior.  Velum  trianguläre  s.  Velum  plexihus  choroideis  interpositum  Hai  1er. 
Plexus  choroidei  cerebri  Arnold.  Als  Tela  choroidea  beschreibt  derselbe  Autor  das  Blatt 
der  Gefässhaut,  das  sich  im  Grunde  der  vorderen  Hirnspalte  von  den  Hinterlappen  des 
Grosshirns  zur  Oberfläche  des  Kleinhirns  hinüberschlägt.  ^)  Bichat  beschrieb  eine  Aus- 
stülpung der  Arachnoidea,  die  mit  Einem  Blatt  die  Vene  bekleiden,  mit  dem  anderen  den 
Wänden  des  Ventrikels  einen  üeberzug  liefern  sollte.  Der  Raum  zwischen  beiden  Blättern 
wurde  als   Can.  Bichati,  der  Eingang  in  denselben  als  Foramen  Bichati  aufgeführt. 


Hüllen  des  Centralorgans.  319 

obere  Blatt  ist  an  den  Balken ,  an  dessen  unterer  Fläche  es  Hnzielit ,  nur 
leicht  trennbar  durch  spärliche  Gefässe,  die  aus  der  Tela  in  den  Balken 
eintreten,  befestigt.  Seitlich  verliert  sich  die  Tela  choroidea  am  lateralen 
Rande  der  Fiinbria  des  Fornix  in  das  Ependyma  des  Thalamus  und  auch 
nach  vorn  setzt  sie  sich  an  beiden  Flächen  des  Septum  lucidum  in  das 
Ependyma  dieses  Hirntheils  fort ,  während  sie  in  der  Mitte ,  wo  sie  auf  die 
Säulen  des  Fornix  trifft ,  mit  einem  freien  Rande  abschliesst ,  in  welchem 
die  Plexus  choroidei  des  Grosshirns  sich  vereinigen  (Fig.  223). 

Dieser  Plexus  zählen  wir,  wie  beim  Kleinhirn ,  zwei  Paar ,  einen  me- 
dialen und  einen  lateralen.  Der  mediale  ^)  ist  auch  hier  der  schwächere, 
ein  schmaler  Zottenstreif,  der  an  dem  den  dritten  Ventrikel  deckenden 
Theil  der  Tela  choroidea  gerade  von  vorn  nach  hinten  läuft,  dicht  neben 
dem  gleichnamigen  Zottenstreif  der  anderen  Seite.  Ich  habe  (a.  a.  0.)  be- 
reits augegeben,  dass  die  Taenia  thalami  opt.  sich  in  diesen  Plexus  öfters 
ebenso  verliert ,  wie  der  Ponticulus  in  die  Taenia  choroidea  des  Kleinhirns. 

Der  laterale  Plexus  2)  verläuft  am  Seitenrande  der  Tela  choroidea,  und 
gelangt  durch  das  Foramen  Monroi ,  das  er  im  bluterfüllten  Zustande  wahr- 
scheinlich ausfüllt,  in  den  Seitenventrikel.  Im  vorderen  Hörn  desselben 
liegt  er  frei  zwischen  Septum  lucidum  imd  Streifenhügel,  dann  begleitet 
er  die  Fimbria  in  das  Unterhorn.  Er  deckt  sie,  indem  er  sich  mit  dem 
freien,  zottentragenden  Rande  medianwärts  wendet,  so  dass  der  Rand  der 
Fimbria  erst  sichtbar  wird,  wenn  man  den  Plexus  choroideus  nach  aussen 
zurückgeschlagen  hat  (Fig.  223  linke  Seite).  Die  Fimbria  liegt  in  einem 
Falz,  dessen  untere  Wand  von  der  eigentlichen  Tela  choroidea,  dessen 
obere  Wand  von  dem  medianwärts  umgeschlagenen  Rande  der  Tela  cho- 
roidea, der  die  Zotten  trägt,  gebildet  wird.  In  diesen  Theil  des  Plexus 
geht  häufig  die  Vene  über,  welche  unter  der  Stria  terminalis  hervorkommt. 
Im  unteren  Theil  des  Unterhorns  folgt  der  Plexus  choroideus  der  Fimbria 
auf  die  mediale  Seite  des  Hippocampus  und  tritt  hier  mit  der  äusseren 
Gefässhaut  in  Verbindung.  Das  Markplättchen ,  welches  die  Spitze  des 
Hippocampus  an  die  Decke  des  Unterhorns  anheftet  (Fig.  79  *),  steht  weiter 
hinten  eine  kurze  Strecke  in  Beziehung  zur  Spitze  des  Plexus  choroideus 
und  verschmilzt  mit  dessen  bindegewebiger  Grundlage  ^). 

Mit  dem  Namen ,  unter  welchem  ich  die  Arachnoidea ,  die  Gefässhaut  Textur. 
und  die  Bälkchen,  welche  beide  verbindet,  zusammenfasste ,  habe  ich  zu- 
gleich den  wesentlichen  Gewebsbestandtheil  derselben  bezeichnet.  In  der 
äusseren  und  inneren  derberen  Schichte  liegen  die  Bindegewebsbündel  meist 
parallel  nebeneinander  geordnet;  in  den  schmalen  Spalten  zwischen  den- 
selben kommen  nur  sehr  feine  elastische  Fasern,  dagegen  häufig,  nament- 
lich in  älteren  Leichen,  Pigmentzellen  vor ,   die  sich  diirch  ihre  stabförmige 


^)  Plexus  choroideus  tertius.  PI.  cJior.  ventriculi  tertii.  PI.  clior.  glandulae  pinealis 
Vicq  d'Azyr.  Mittlere  Stränge  des  Adergeflechts  des  Grosshirns  Luschka.  ^)  Seit- 
licher Strang  des  Adergeflechts  Luschka.  ^)  Mit  dem  Namen  Glomus  [Glomerulus) 
choroideus  bezeichnen  die  Handbücher,  nach  den  Gebr.  Wenzel,  eine  Verdickung  des  la- 
teralen Plexus  choroid. ,  die  dem  Eingange  des  Hinterhorns  gegenüber  liegt.  Sie  ist  stets 
Folge  einer  der  häufigen  krankhaften  Veränderungen  des  Plexus ,  namentlich  der  Bildung 
von  Cysten ,  die  mit  flüssiger  oder  colloider  oder  käsiger  Materie  gefüllt  sind ,  und  nimmt 
die  gedachte  Stelle  ein,  weil  an  derselben  die  Ausdehnung  am  wenigsten  beschränkt  ist. 


320  Hüllen  des  Centralorgans. 

Gestalt,  ilare  im  VerMltniss  zur  Breite  bedeutende  Länge  mit  abgerundeten 
Enden  auszeichnen.     Die  Bündel,  welche  frei  den  subarachnoidealen  Raum 

Fig^.  222. 


Seitenventrikel,  durcli  Abtragen  des  Balkens  geöffnet.  Der  Plexus  choroid.  lat.  des 
linken  Ventrikels  in  natürlicher  Lage,  der  des  rechten  seitwärts  umgelegt,  um  den 
Rand  der  Fimbria  zu  zeigen.  C ct^  Knie  des  Balkens.  Sl  Septum  lucid.  FMYo- 
ramen  Monroi.  Cs  C.  striat.  Ths  Thalamus.  Fi  Fimbria.  Vl^  Hinteres  Hörn 
des  Seitenventrikels,    links  geöffnet. 

durchsetzen,  sind  von  zweierlei  Art.  Die  Einen ,  es  sind  vorwiegend  die 
feineren,  sind  von  ring-  und  spiralförmigen  elastischen  Fasern  umwickelt 
und  erhalten,  wenn  man  sie  quellen  macht,  durch  die  von  diesen  Fasern 
bewirkten    Einschnürungen    ein    bauchiges    Ansehen.      Die    anderen    haben 


Hüllen  des  Centralorgans.  321 

eine  Scheide,  welche,  wie  die  Behandlung  mit Silberlösnng lehrt,  aus  glatten 
Epithelzellen  besteht,  eine  Scheide,  die   sie    überhaupt  am   Aufquellen  hin- 

Fig.  223. 

i3 

-Vsl 


L_P0l 


Dasselbe  Präparat,  wie  Fig.  222,  nach  Entfernung  des  Fornix  mit  den  Fimbrien 
und  des  hinteren  Theils  der  Hemisphären.  Die  Tela  choroidea  ist  längs  dem  lin- 
ken Plexus  choroid.  lateralis  der  Länge  nach  gespalten  und  nach  rechts  umgeschla- 
gen, um  den  linken  Plexus  choroid.  medial.  (Pcm')  zu  zeigen,  welcher  vorn,  gleich 
dem  rechten,  durch  die  Oberfläche  durchschimmert  (Pcm).  Die  linke  Hemisphäre 
schräg  abgeschnitten  und  das  Unterhorn  geöffnet,  um  den  Plexus  choroid.  lat. 
zur  Klaue  des  Hippocamp.  (Hp')  zu  verfolgen.  Vsl  Ventric.  sept.  lucidi.  Cf 
Querschnitt  der  Columna  fornicis.  Cn  Conarium.  Cq  Vierhügel.  *  Die  quer- 
durchschnittene  V.  int.  comm.  **Gefässhaut  der  unteren  Fläche  des  hinteren 
Lappens  des  Grosshirns. 


dert  und  nur  dadurch,  dass  sie  stellenweise  einreisst,  unregelmässige  her- 
nienartige  Ausbuchtungen  zu  Stande  kommen  lässt  i).     Diese   Zellen  gehen 


^)  Ich  verweise  wegen  dieser  eigenthümlichen  Bindegewebsformation  und    der   dieselben 

betreffenden    Controversen    auf    meinen    anatom.    Jahresbericht    für    1857.  S.   37.     Ich  habe 

dort  Bündel  abgebildet,  die  die  umspinnenden  Fasern  innerhalb  der  Epithelscheiden  zeigen,  und 

kann  deshalb  die  Meinung  nicht  theilen,  welche  Leber  (Archiv  für  Ophthalmologie.  Bd.  XIV, 

He  nie,  Anatomie.    Bd.  III.  Abthl.  2.  21 


322  Hüllen  des  Centralorgans. 

auf  die  Bälkchen  über  von  der  inneren  Fläclie  der  Araclinoidea ,  die  sie 
ebenso  wie  die  äussere  überziehen.  Von  den  Bälkcben  setzen  sie  sieb  auf 
die  freien  Strecken  der  Gefässbaut  fort  und  so  lässt  sieb  bebaupten ,  dass 
ein  Epitbelium,  dem  der  serösen  Häute  äbnlicb,  der  Regel  nacb  ebenso  den 
leeren  Raum  zwischen  fibröser  Haut  und  Aracbnoidea,  wie  die  Serum  er- 
füllten Lücken  des  Subaracbnoidealraums  auskleidet  und  nur  den  feineren 
Bälkcben  feblt,  an  welcben  es  durch  Spiralfasern  ersetzt  wird. 

Die  innerste,  mit  der  Nervensubstanz  in  unmittelbarer  Berührung  ste- 
hende Schichte  der  Gefässbaut  ist  in  verschiedenen  Tbeilen  des  Central- 
organs verschieden  und  verdient  deshalb  eine  besondere  Beschreibung  ^). 
,  Am  Rückenmark  ist  die  innerste  Schichte  mit  der  Nervensubstanz  fest ,  da- 
gegen nur  locker  mit  der  nächst  äusseren  Bindegewebslage  verbunden, 
weshalb  sie  beim  Abziehen  der  Gefässbaut  häufig  am  Rückenmark  hängen 
bleibt.  Sie  hat  eine  Mächtigkeit  von  0,015  Mm.  und  während  die  Fasern 
der  lockeren  Schichte,  von  der  sie  zunächst  bedeckt  wird,  meist  longitudinal 
verlaufen,  sind  die  Fasern  der  innersten  Schichte,  vielfältig  einander  kreu- 
zend, vorwiegend  quer,  doch  auch  schräg  und  selbst  vÄrtical  gerichtet;  die 
am  Rande  des  Präparats  hervorragenden  sind  starr,  weder  wellenförmig, 
noch  geschwungen,  nicht  selten  gabelförmig  getheilt.  Es  ist  ein  Binde- 
gewebe eigener  Art,  welches,  im  Gegensatz  zum  parallelfaserigen,  verfilztes 
genannt  werden  kann;  der  Unterschied  ist  genetisch  darauf  zurückzuführen, 
dass  die  Fäden  des  parallel  faserigen  aus  bipolaren,  die  des  verfilzten  aus 
multipolaren  oder  sternförmigen  Zellen  sich  entwickeln.  Wie  diese  stern- 
förmigen Bindegewebszellen,  allmälig  mehr  vereinzelt  und  darum  leichter 
unterscheidbar,  sich  in  die  feinkörnige  Rindenschichte  des  Rückenmarks 
hineinziehen,  ja  dieselbe  verdrängen,  wurde  bereits  oben  (S.  67)  erwähnt. 

Gegen  die  Oberfläche  des  Kleinhirns  schliesst  die  Gefässbaut  mit  einer 
Art  Basal-  oder  Grenzmembran  ab,  welche  aus  äusserst  feinen,  vielfach  ge- 
kreuzten Fasern  besteht  und  sich  gegen  Essigsäure  allerdings  etwas  resi- 
stenter zeigt,  als  das  verfilzte  Bindegewebe  an  der  Oberfläche  des  Rücken- 
marks. In  die  weiteren  Furchen  senkt  sich  eine  von  lockigem  Bindegewebe 
ausgefüllte  Daj)iicatur  dieser  Membran;  die  Scheidewand  zwischen  den  ein- 
ander zugekehrten  Flächen  der  dicht  an  einander  liegenden  Randwülste 
bildet  aber  die  Grenzmembran  allein,  nur  soweit,  als  Blutgefässe  innerhalb 
derselben  verlaufen ,  in  zwei  Lamellen  gespalten.  Die  Grenzmembran  ruht 
nicht  unmittelbar  auf  dem  Gehirn,  sondern  ist  von  der  Oberfläche  der  fein- 
körnigen Schichte  durch  einen  0,006  bis  0,01  Mm.  hohen  Raum  getrennt, 
der  sich  als  Lymphraum  dadurch  erweist,  dass  er  mit  den  perivasculären 
Räumen  communicirt  und  bald  völlig  leer,  bald  mehr  oder  minder  voll- 
ständig mit  den  Körnern  gefüllt  ist,  die  von  Lymphkörperchen  nicht  unter- 
schieden werden  können.  Die  Grenzmembran  steht  aber  mit  dem  Klein- 
hirn in  Verbindung  durch  stiftförmige  Fortsätze,  welche  an  die  Radialfasern 


Abtb.  2,  S.  171)  in  Betreff  der  gleichen,  die  beiden  Opticusscheiden  verbindenden  Bündel 
ausspricht,  dass  nämlich  die  Epithelscheiden,  indem  sie  sich  durchlöchern,  allmälig  in  um- 
spinnende Fasern  übergehen.  Ebenso  wenig  vermag  ich,  nach  erneuten  Untersuchungen, 
die  von  Schwalbe  (Archiv  für  mikroskop.  Anat.  VI,  51)  behauptete  Beständigkeit  dieser 
Scheiden  zuzugeben.  ^)  Ich  gebe  dieselbe  nach  den  von  F.  Merkel  und  mir  gemein- 
schaftlich unternommenen  Untersuchungen,  Ztschr.  für  rat.  Med.  3.  R.  XXXIV,  49. 


Hüllen  des  Centralorß-ans. 


323 


Fig.  224 1). 


der  Retina  erinnern,  breit  in  regelmässigen,  kurzen  Abständen  von  der 
Grenzmembram  entspringen  und  kegelförmig  zugespitzt,  parallel  zu  ein- 
ander und  senkrecht  zur  Oberfläche  in  die  Rindenschichte  eindrin- 
gen. Wie  sie  sich  weiter  in  dersel- 
ben verhalten,  ist  oben  (S.  233)  angege- 
ben. Ich  füge  nur  hinzu,  dass  die  Grenz- 
membran mit  ihren  stiftförmigen  Fort- 
sätzen auch  die  stärkeren  Gefässe  in  die 
perivasculären  Räume  begleitet;  die  aus 
der  Substanz  des  Kleinhirns  hervorge- 
zogenen Gefässe  sind  öfters  ringsum  wie 
mit  Stacheln  besetzt. 

Das  Grosshirn  steht,  was  die  Structur 
seiner  Gefässhaut  betrifft,  dem  Rücken- 
mark näher,  als  dem  Kleinhirn.  Zwar 
ist  in  den  schmälsten  Spalten  zwischen 
je  zwei  Randwülsten  die  verfilzte  Binde- 
gewebsschichte  ebenfalls  auf  eine  ein- 
fache, der  Grenzmembran  des  Kleinhirns 
ähnliche  Haut  reducirt,  aber  nirgends 
gehen  von  ihr  Fäden  ab,  die  den  stift- 
förmigen Fortsätzen  der  Grenzmembran 
des  Kleinhirns  vergleichbar  wären.  An 
den  freien  Oberflächen  der  Randwülste 
membran  und  der  Rindenschichte  von  ^.^^  ^-^  verfilzten  Fäden  und  multipola- 
Lymphkörperchen  erfüllt.  ^^^   Bindegewebszellen    in   einer    ebenso 

unregelmässigen,  nur  minder  mächtigen  Lage,  wie  an  der  Oberfläche  des 
Rückenmarks  verbreitet;  in  die  feinkörnige  Schichte  vordringend  bilden 
sie  das  feine  Netz,  welches  die  äusserste  Schichte  der  Grosshirnrinde  charak- 
terisirt  (Fig.  201). 

Der  Ueberzug  der  Wände  der  Hirnhöhlen,  das  Ependyma ,  ist  wesent-  Ependyma. 
lieh  Epithelium  und  zwar,  wie  im  Rückenmarkscanal ,  ein  Flimmerepithel, 
dessen  Cilien  aber  in  der  Regel  nur  im  Aquäduct,  seltener  im  Sinus  rhom= 
boideus  sich  bis  in  das  reifere  Alter  erhalten.  Ebenso  sitzen  zwar  gesetzmässig 
die  Epithelzellen,  wie  im  Rückenmark,  unmittelbar  auf  der  Nervensubstanz; 
beim  erwachsenen  Menschen  aber  schiebt  sich  sehr  häufig  zwischen  Epithel 
und  Nervengewebe  eine  Schichte  verfilzter  oder  welliger,  nicht  in  Bündel 
abgetheilter  Bindegewebsfasern  ein,  die  eine  Mächtigkeit  von  0,3  Mm. 
erreichen  kann.  An  dem  Streifenhügel  eines  dem  Anscheine  nach  norma- 
len Gehirns  folgte  auf  ein  Epithel  von  0,015  Höhe  eine  flächenhaft  strei- 
fige Bindegewebsschichte  von  0,04  bis  0,06  Mm.  Mächtigkeit  und  auf  diese, 
innerhalb  der  feinkörnigen  Masse  eine  Schichte  netzförmigen  Bindegewebes, 
deren  Mächtigkeit  0,075  Mm.  betrug. 

Eine  absonderliche  Form  zeigt  das  Epithel  der  Gefässhaut,   so  weit  es  EpHhei^d.^ 
die    Plexus    choroidei   bekleidet.     Es   ist   ein   einschichtiges   Pflasterepithel, 
dessen  nach  der  Fläche  gekrümmte  Zellen  eine  im  Verhältniss  zum  Flächen- 


Dickendurchschnitt  der  zwischen  zwei 
Randwülsten  befindlichen  Grenzmem- 
bran des  Kleinhirns  der  Katze  mit  einem 
Theil  der  Rindenschichte  des  Kleinhirns; 
der    helle    Raum    zwischen    der  Grenz- 


1)  Nach  Henle  und  Merkel,  Ztschr.  für  rat.  Med.   Bd.  XXXIV,  Taf.  IV,  Fig-    10. 


324  Hüllen  des  Centralorgans. 

durchmesser  (0,02  Mm.)  bedeutende  Mächtigkeit  (0,01  Mm.)  besitzen.  Sie 
zeiclinen  sich,  ausserdem  aus  durch  feine,  stachelförmige,  gegen  die  Unter- 
lage gerichtete  Fortsätze,  durch  eine  feinkörnige  Beschaffenheit  der  Zell- 
substanz, endlich,  aber  nur  bei  Erwachsenen,  durch  ein  farbiges,  gelbliches 
oder  röthliches  Körperchen,  welches  sie  neben  dem  Kern  enthalten.  Es 
fehlt  nur  selten,  ebenso  selten  ist  es  doppelt  vorhanden;  es  ist  kugelig  oder 
gelappt,  zuweilen  aus  einer  Anzahl  feiner  Pünktchen  zusammengesetzt,  von 
der  Grösse  der  Blutkörperchen  oder  kleiner.  An  Präparaten  aus  Müller' - 
scher  Flüssigkeit  zeigen  viele  dieser  Körperchen  überhaupt  eine  unverkenn- 
bare Aehnlichkeit  mit  den  durch  das  Reagens  veränderten  Blutkörperchen, 
und  da  sich  auch  freie  Blutkörpejjphen  unter  und  zwischen  den  Epithelzel- 
len finden,  so  halte  ich  es  für  gewiss,  dass  die  in  den  Zellen  eingeschlosse- 
nen Körperchen  aus  dem  Blute  stammen.  Es  sind  metamorphosirte ,  d.  h. 
unlöslich  gewordene  und  in  Rückbildung  begriffene  Blutkörperchen,  die 
durch  einen  abnormen,  aber  nichtsdestoweniger  sehr  gewöhnlichen  Vor- 
gang aus  den  Gefässen  hervor  -  und  in  die  Epithelzellen  eingedrungen  sind. 
Blutgefässe.  Zum  Schluss  noch  einige  Bemerkungen  über  die  Vertheilung  der  Blut- 

gefässe in  den  Häuten  und  der  Substanz  des  Gehirns.  Ein  Uebergang  aus 
Arterien  in  Venen  findet  schon  innerhalb  der  Gefässhaut  Statt,  so  dass  also 
nicht  alles  Blut,  welches  die  Arterien  der  Gefässhaut  zuführen,  die  Gehirn- 
substanz zu  passiren  hat  (Schroeder  v.  d.  Kolk^).  Dass,  bei  übrigens 
gleicher  Feinheit  des  Kalibers  der  Capillargefässe ,  die  Netze  derselben  in 
der  grauen  Substanz  ungleich  dichter  sind,  als  in  der  weissen,  habe  ich 
wiederholt  erwähnt.  Aber  auch  in  der  grauen  Substanz  kommen  Unter- 
schiede vor :  so  besitzt  z.  B.  die  Zellenschichte  ^r  Randwülste  des  Klein- 
hirns ein  engeres  Capillarnetz ,  als  die  feinkörmgii^  (0  e  g  g  ^).  Zu  den  ge- 
fässreichsten  Substanzen  gehören  die  gelatinösen  Platten ,  welche  den  Oli- 
venkern und  das  C.  dentatum  des  Kleinhirns  bilden.  In  der  grauen  Masse 
des  Streifenhügels  sind  die  feinen  Aestchen  unter  spitzeren  Winkeln  verbun- 
den und  minder  geschlängelt,  als  in  irgend  einem  anderen  Theil  der  grauen 
Substanz ;  auch  sind  sie  zahlreicher  und  es  finden  sich  mehr  stärkere  Stämm- 
chen, als  in  anderen  Theilen  des  Gehirns.  Die  Substantia  nigra  scheint 
etwas  minder  gefässreich,  als  andere  Theile  der  grauen  Substanz.  Alle 
Regionen  des  Gehirns  übertrifft  die  Hypophyse  an  Gedrängtheit  und  Weite 
der  Capillargefässe,  die  sich  in  ähnlicher  Weise  noch  eine  Strecke  weit  in 
das  Infundibulnm  fortsetzen  (Ekker). 

Ob  die  unter  dem  Namen  der  pacchionisclien  Drüsen  oder  Grranulationen 
[Granulations  cerebrales  Bichat.  Arachnoidealzotten  Luschka)  bekannten  Ge- 
bilde  in  die  Eeihe  der  pathologischen  Auswüchse  zu  stellen  oder  normale  Bestand- 
theile  der  Hirnhäute  seien,  ist  noch  unentschieden.  Die  erste  Ansicht,  welche 
lange  Zeit  die  unbedingt  herrschende  war ,  stützt  sich  darauf ,  dass  sie  jugend- 
lichen Körpern  fehlen  (nach  Faivre  findet  man  sie  nicht  vor  dem  zehnten  Le- 
bensjahre) lind  dass  sie  an  Zahl  und  Volumen  mit  dem  Alter  zunehmen.  Eoki- 
tansky  reihte  sie  den  papillären  Wucherungen  des  Bindegewebes  an,  und 
L.  Meyer  (Archiv  für  pathol.  Anat.  und  Physiol.  XIX,  171)  fügte  hinzu,  dass  die 
Arachnoidea  an  den  Stellen ,  wo  sie  den  Granulationen  zur  Basis  dient ,  stets  trüb 


^)  Bei  Ekker,  de  cerebri  et  medullae  spinalis  systemate  vasorum  capillari.  Trajecti 
ad  Rhen.  1853.  ^)  Untersuchungen  über  die  Anordnung  und  Vertheilung  der  Gefässe  in 
den  Windungen  des  kleinen  Gehirns.     AschafFenb.  1857. 


Hüllen  des  Ceiitralorgans.  325 

und  verdickt  sei.  Dagegen  stellt  sie  Luschka  (Müll.  Arcli.  1852.  S.  101.  Ader- 
geflechte S.  66.  Anatomie  Bd.  III.  Abth.  2.  S.  142)  als  normale  Bildungen  mit 
den  zottenförmigen  Anhängen  zusammen,  die  in  verschiedenen  Grössen  auf  allen 
serösen  Häuten  vox'kommen,  und  in  den  netiesten,  gleichzeitig  und  unabhängig 
von  einander  erschienenen  Arbeiten  von  Trolard  (Arch.  g^n.  1870,  p.  258)  und  von 
Axel  Key  undEetzius  (Nordiskt  medicinskt  arkif.  1870.  Nr.  6  und  9,  1871. Nr.  26) 
kehrt  merkwürdigerweise  eine  der  ältesten,  Pacchioni' sehen  Ansicht  verwandte 
zurück.  Der  Name  „Drüsen",  welchen  Pacchioni  (opera.  Eomae  1741) 
den  Körpern  gab,  bedeutete  couglobirte  oder  Lj'mphdrüsen.  Den  genannten  neuesten 
Beobachtern  zufolge  liegen  die  Granulationen  in  Räumen,  die  mit  den  Venen 
commuuiciren  und  Axel  Key  und  Eetzius  nehmen  an,  dass  diese  Eäume  nebst 
den  Granulationen  in  denselben  zur  Lymphresorption  in  Beziehung  stehen,  da  sie 
sich  mit  der  in  die  subarachnoidealen  Eäume  injicirten  Masse  füllen. 

Was  den  Bau  der  Granulationen  betrifft,  so  sind  es  Büschel  kolbenförmiger, 
gestielter  Zotten  von  0,1  bis  0,5  Mm.  Höhe,  die  stärkeren  mit  secundären  Zotten 
von  ähnlicher  Gestalt  besetzt,  aus  einem  gefässarmen  Bindegewebe  gebildet.  Ihre 
Oberfläche  bildet  ein  einfaches  Pflasterepithel;  dieses  ruht  auf  einer  sehr  feinen 
Haut,  einer  Fortsetzung  der  Arachnoidea,  während  die  Bindegewebsbündel,  die  die 
Zotte  zusammensetzen,  Fortsetzungen  des  siibarachnoidealen  Bindegewebes  sind. 
Die  Zotten  sind,  wie  erwähnt,  um  so  kleiner,  je  jünger  die  Individuen ;  die  kleinen 
sind  fast  immer  solid,  grössere  haben  eine  bläschenförmige  Beschaffenheit,  werden 
aber  im  höheren  Alter  ebenfalls  fest  und  derb  (Luschka).  Die  auffallend  grossen 
Granulationen,  welche  Anlass  zu  den  grubenförmigeu  Vertiefungen  der  Scheitel- 
beine geben,  erkennt  auch  Luschka  als  krankhafte,  hypertrophische  Formen  an. 
Die  Stelle  des  Gehirns,  an  Avelcher  die  Gi-aniTlationen  am  häufigsten  vorkommen, 
ist  der  der  Falx  cerebri  entsprechende  Eand  der  Hemisphäre;  nach  Luschka 
wären  sie  sogar  auf  diese  Localität  ausschliesslich  beschränkt.  L.  Meyer  fand 
sie  nicht  selten  4  bis  5  Cm.  von  der  Medianhnie  entfernt  und  über  die  Vorder- 
lappen fast  bis  zur  Basis  zerstreut.  An  der  Basis  des  unteren  Lappens  kamen 
sie  in  allen  Graden  der  Entwickelung  vor,  häufig  auch  an  der  Spitze  und  vor- 
deren Grenze  des  Hinterlappens.  Weit  verbreitet,  aber  schwach  entwickelt  liegen 
sie  in  einer  Linie  auf  der  Mitte  des  oberen  Wurms  und  längs  dem  freien  Eande 
der  Hemisphären  des  Kleinhirns. 

Als  Ausgangsptmkt  der  Granulationen  betrachtet  die  Mehrzahl  der 
Autoren  die  Arachnoidea,  von  deren  äusserer  Fläche  sie  sich  gegen  die  fibröse 
Hirnhaut  erheben,  in  und  durch  dieselbe  dringen  sollen.  Nach  Luschka 
könnte  ihnen  auch  die  innere  Fläche  der  fibrösen  Hirnhaut,  das  sogenannte 
Parietalblatt  der  Arachnoidea,  zum  Ursprünge  dienen. 

Trolard  zufolge  liegen  sie  im  Grunde  venöser  Hohlräume,  deren  obere 
Wand  von  der  fibrösen  Hirnhaut  gebildet  wird  imd,  nachdem  die  Schädel- 
decke abgerissen  worden,  Löcher  zeigt,  denen  die  Anfänge  venöser  Canäle 
an  der  inneren  Fläche  des  Schädels  entsprechen.  Aus  den  Löchern  schauen 
die  Granulationen  hervor;  die  Hohlräume  sind  von  bindegewebigen  Bälk- 
chen  durchzogen.  Sie  communiciren  mit  dem  Sinus  sagitt.  sup.  theils 
direct,  theils  durch  Vermittelung  der  Hirnvenen,  welche  kurz  vor  ihrer 
Einmündung  in  den  Sinus  eine  oder  mehrere  Oeffnungen  zeigen,  durch  die 
sie  mit  den,  die  Granulationen  einschliessenden  venösen  Hohlräumen  in 
offener  Verbindung  stehen.  Aus  den  in  der  Mitte  des  Scheitels  gelegenen 
Hohlräumen  entspringen  die  Hauptstämme  der  Vv.  meningeae.  Ganz  ähn- 
lich lautet  die  Beschreibung  von  Key  und  Retzius.  Zur  Seite  des  Sinus 
sagitt.  sup.  ünden  sie  in  der  fibrösen  Hirnhaut  grosse  venöse  Räume  von 
unregelmässiger  Form,  meist  rechtwinklig,  zum  Sinus,  häufig  unter  einander 
durch  Canäle  von   wechselndem  Kaliber  verbunden,   die  dem  Sinus  parallel 

21* 


32'6  Peripherisches  Nervensystem, 

laufen.  Durch  enge,  meist  rundhche  OeflPnungen  communiciren  sie  mit  dem 
Sinus;  nach  der  anderen  Seite  stehen  sie  in  Verbindung  mit  verhähniss- 
mässig  feinen  Venen  der  fibrösen  Hirnhaut.  Diese  venösen  Käume  enthahen 
bei  Kindern  und  Erwachsenen,  auch  beim  Hund  und  Schaf  zaUreiche  Gra- 
nulationen; in  älteren  Leichen  sind  sie  häufig  von  denselben  vollkommen 
ausgefüllt.  Und  auch  wo  sonst  in  der  Schädelhöhle  Granulationen  vor- 
kommen, dringen  sie  entweder  in  Venen  und  Sinus  oder  in  venöse  Hohl- 
räume ein.  Die  Injectionsmasse  geht  aus  dem  Subarachnoidealraum  leicht 
in  die  Granulationen  über,  treibt  sie  blasenförmig  auf  und  dringt  auch  bei 
sehr  geringem  Druck  aus  der  Oberfläche  hervor. 


B.   Peripherisches   Nervensystem.     Nerven  im  engeren 

Sinne. 

B.  Periphe-  War    BS    die   Aufgabe   des   Vorigen  Abschnitts,    die  Nervenwurzeln   zu 

vensystem.  ihren  Ursprüngen  im  Inneren  des  Centralorgans  zu  verfolgen,  so  schlagen 
wir  in  diesem  Abschnitte  die  entgegengesetzte  Richtung  ein  und  gehen  den 
Stämmen  längs  ihren  Verzweigungen  und  Verbindungen  bis  zu  ihrer  peri- 
pherischen Ausbreitung  nach.  Und  wie  wir  der  Aufgabe  des  ersten  Ab- 
schnitts nur  annäherungsweise  gerecht  zu  werden  vermochten,  so  wird  auch 
der  folgende  noch  manche  Lücke  aufweisen,  wenn  es  darauf  ankömmt,  den 
Lauf  individueller  Fasern  oder  Bündel  im  Auge  zu  behalten.  Die  Schwie- 
Nöivenge-  rigkeit  liegt  in  den  Anastomosen  und  Verflechtungen  der  Nerven,  die  wir 
in  vielen  Fällen  mit  der  allgemeinen  Erwägung  zu  erklären  uns  begnügen 
müssen,  dass  für  die  Anordnung  der  Nervenfasern  in  den  Centralorganen 
andere  Zwecke  massgebend  sind,  als  für  die  peripherische  Anordnung,  dass 
die  Fasern  in  den  Wurzeln  nach  physiologischen,  in  den  Aesten  nach  ana- 
tomischen oder  topographischen  Rücksichten  zusammengefasst  sind.  Das 
Eine  Mal  sind  peripherisch  entlegene  Organe  von  Einer  Stelle  des  Central- 
organs aus  zu  dirigiren;  ein  anderes  Mal  gilt  es,  Einem  Organ  zum  Behuf 
verschiedener  Combinationen  seiner  Thätigkeit  Nerven  aus  verschiedenen 
Quellen  zuzuführen :  in  beiden  Fällen  müssen  die  Combinationen,  in  welchen 
die  Nervenfasern  vor  ihrer  Endigung  auftreten,  andere  sein,  als  die,  in  wel- 
chen sie  das  Centralorgan  verlassen.  Die  neue  Gruppirung  aber  kann  rasch 
und  auf  dem  kürzesten  Wege  oder  allmählig,  durch  wiederholte  Uebergänge 
von  Einem  Stamm  zum  andern  zu  Stande  kommen  ^).    Im  ersten  Falle    liegt 


1)  Es  giebt  Namen  für  die  verschiedenen  Formen  der  Geflechte.  So  führt  Kronen- 
berg (Plexuum  nervorum  structura  &  virtutes.  Berol.  1836)  Plexus  per  anastomosin  und 
per  decussationem  auf:  die  der  ersten  Art  werden  dadurch  gebildet,  dass  die  Stämme  ein- 
ander gegenseitig  Aeste  zuschicken,  die  der  zweiten  Art  entstehen  durch  Aneinander- 
lagerung  zweier  Stämme ,  die  eine  Strecke  weit  in  gemeinsamer  Scheide  eingeschlossen 
liegen  und  dann  wieder  in  verschiedene  Aeste  sich  zerspalten.  Eine  dritte  Art,  Plexus 
compositl,  ist  aus  den  beiden  genannten  gemischt.  Valentin  unterscheidet  von  der  ein- 
fachen Anastomose  {Ansa)  die  einfachste  {Plexus  simpUcissimus)  und  die  wechselseitige 
{Anastomosis  mutua  s.  Plexus  ramiforniis),  je  nachdem  nur  der  eine  der  anastomosir enden 
Nerven  dem  anderen  oder  beide  einander  gegenseitig  Aeste  zusenden.  Er  nennt  Durch- 
kreuzungsanastomose  (Anastomosis  decussata,  Plexus)  den  Fall  gegenseitiger  Anastomose, 
wo  von  dem  Durchkreuzunarsknoten    mehi'ere  Zweite    aiegen    die    beiden    dm-ch    die    Anasto- 


Peripherisches  Nervensystem.  ^  327 

der  Sinn  der  Anastomose,  wie  der  Lauf  der  Fasern  offen  da,  wie  wenn  z.  B. 
die  Fasern  des  N.  accessorius,  die  die  Spannung  der  Stimmbänder  regeln, 
sich  dem  N.  vagus  anschliessen,  um  mit  dessen  Kehlkopfästen  auszutreten 
oder  wenn  Facialis-  und  Trigeminuszweige  sich  vermischen,  um  Einer  Re- 
gion des  Gesichts  motorische  und  sensible  Nerven  zuzuführen.  Im  anderen 
Falle  sind  wir  genöthigt,  auf  eine  genaue  Ermittlung  des  Faserverlaufs 
einstweilen  zu  verzichten  und  glauben  genug  erreicht  zu  haben,  wenn  wir 
den  endlichen  peripherischen  Bereich  der  Wurzeln  eines  Geflechtes  einiger- 
massen  überschauen.  In  der  That  ist  das  Wissenswürdigste,  jedenfalls  das 
physiologisch  Interessanteste  in  der  Anatomie  eines  Nerven  der  Ort  seines 
Ursprungs  und  seiner  Endigung;  auch  scheint  bezüglich  der  centralen  und 
peripherischen  Punkte,  die  jede  Nervenfaser  mit  einander  verbindet,  die 
grösste  Beständigkeit  zu  herrschen,  während  sie  sich  zwischen  beiden  End- 
punkten mit  grösserer  Freiheit  bewegen,  dieser  oder  jener  Bahn  anschliessen 
kann.  Hieraus  erhellt  beiläufig  die  Bedeutung  oder  vielmehr  Bedeutungs- 
losigkeit der  grossen  Mehrzahl  der  Nervenvarietäten.  Dass  ein  Ast  an 
seiner  Abgangsstelle  oder  an  der  Stelle  seiner  Vereinigung  mit  einem 
Stamme  in  Bündel  zerfällt  oder  selbst  einen  kleinen  Plexus  darstellt,  mit 
anderen  Worten :  die  Umwandlung  eines  soliden  Stämmchens  oder  Geflechtes 
in  ein  durchbrochenes,  ist  eine  zu  gewöhnliche  Erscheinung,  als  dass  sie 
in  jedem  einzelnen  Falle  Erwähnung  verdiente;  ebenso  häufig  rücken  die 
Theilungsstellen  der  Nerven  an  den  Stämmen  hinauf  oder  hinab  und  es  ist 
zum  Theil  Sache  der  Präparation,  wie  weit  die  Spaltung  des  Stamms  in 
seine  Aeste  geführt  werden  soll.  Aber  auch  abnorme  Aeste  entstehen  nur 
dadurch,  dass  sich  Bündel  vom  Ursprung  an  in  die  Bahn  eines  Nerven  ver- 
irrt haben,  den  sie  später  wieder  verlassen  müssen  und  abnorme  Ana- 
stomosen kommen  meistens  dadurch  zu  Stande,  dass  sich  von  den  einem 
Nerven  regelmässig  zugehörigen  Fasern  ausnahmsweise  ein  Theil  auf  kür- 
zere oder  längere  Strecken  au  einen  anderen  Nerven  anlegt  i). 

Besonders  reiche  und  zugleich  mannichfaltige  Verflechtungen  gehen 
alsbald  nach  dem  Austritt  aus  dem  Wirbelcanal  die  Nervenstämme  unter- 
einander ein,  deren  Fasern  zur  Verbreitung  in  den  Extremitäten  bestimmt 
sind.  Es  ist  nicht  daran  zu  denken,  dass  man  mit  den  gewöhnlichen  ana- 
tomischen Mitteln  die  Wurzelbündel  durch  einen  Plexus  brachialis,  cruralis 
oder  ischiadicus  hindurch  zu  den  einzelnen  Nerven  der  Extremität  ver- 
folge; es  lässt  sich  ebenso  wenig  von  der  Gu.nst  des  Zufalls  erwarten,  dass 
er  uns  beim  Menschen  eine  genügende  Zahl  von  Verletzungen  oder  Dege- 
nerationen der  Wurzeln  der  genannten  Geflechte  zuführen  werde,  um  dar- 
nach die  Verbreitungsbezirke  einzelner  Wurzeln  zu  bestimmen.  So  sehen 
wir  uns  auf  Schlüsse  aus  der  Analogie,  nach  Versuchen  an  Thieren,  ver- 
wiesen, die  natürlich  nicht  zu  einer  eigentlichen   Topographie   des  Nerven- 


mose verbundenen  Nervenstämme  hingehen.  Das  Geflecht  ist  leer  [Plexus  vacuus)  oder 
gefüllt  [PI.  rejjleius),  je  nachdem  die  Balken  des  Geflechtes  grössere  Lücken  zwischen  sich 
lassen  oder  durch  Bindegewebe,  Nervenzellen,  durchtretende  Nervenfasern  zu  einem  soliden 
Ganzen  verbunden  sind.  Anastomosen  zwischen  divergirenden  Aesten  Eines  Stammes  wer- 
den als   Gänsefussgeflecht  (Pes  s.  PL  anserinus)  bezeichnet. 

■')  Vgl.  Voigt,  Beiträge  zur  Dermato-Neurologie.     Wien.    1864.    S.  9. 


328  •  Peripherisches  Nervensystem. 

Systems,  sondern  nxir  zu  allgemeinen  Regeln  über  die  gegenseitigen  Bezie- 
hungen der  Wurzeln  und  der  austretenden  Aeste,  ich  möchte  sagen  zu 
einer  Theorie  der  Plexus  führen  können.  Solche  Versuche  wurden  in  der 
Weise  angestellt,  dass  man,  am  häufigsten  am  Plexus  brachialis,  die  Wir- 
kung entweder  der  Reizung  oder  der  Durchschneidung  der  einen  und  an- 
deren Wurzel  auf  die  einzelnen  Muskeln  und  Hautstellen  prüfte  oder  dass 
man,  nach  der  Waller' sehen  Methode,  von  einer  durchschnittenen  Wurzel 
aus  die  degenerirten  Fasern  in  die  Aeste  des  Plexus  verfolgte.  Durch  directe 
Reizung  der  motorischen  Nervenwurzeln  und  durch  Versuche,  wie  nach 
Durchschneidung  der  einzelnen  sensiblen  Wurzeln  die  Reflexbewegungen 
sich  verhielten,  erforschte  Peyer^)  die  Verbreitxmgsbezirke  der  Nerven  des 
Plexus  brachialis  bei  Kaninchen.  Die  allgemeinen  Resultate,  die  er  gewann, 
sind  folgende:  1)  Die  meisten  Muskeln  erhalten  -  ihre  Fasern  von  mehr  als 
einer,  einzelne  sogar  von  drei  Wiirzeln.  2)  Eine  und  dieselbe  Wurzel  ver- 
sorgt bei  verschiedenen  Individuen  nicht  immer  genau  dieselben  Muskeln; 
doch  sind  die  Variationen  gering.  3)  Nahe  liegende  Muskeln  erhalten,  mit 
seltenen  Ausnahmen,  ihre  motorischen  Fasern  von  nahe  gelegenen  Wurzeln. 
4)  Weiter  abwärts  auftretende  Wurzeln  versorgen  progressiv  näher  der 
Hand  gelegene  Muskeln.  5)  Durch  eine  und  dieselbe  Wurzel  wird  nicht 
ausschliesslich  ein  Muskelcomplex  von  Beugern,  Streckern  oder  dergleichen 
erregt.  6)  Dieselbe  sensible  Wurzel  versorgt  im  Allgemeinen  diejenigen 
Hautstellen,  unter  welchen  die  von  dem  entsprechenden  Nerven  innervirten 
Muskeln  liegen.  7)  Dieselben  Hautstellen  werden  von  verschiedenen  sen- 
sibeln  Wurzeln  versehen  und  die  Verbreitungsbezirke  der  letzteren  greifen 
mehr  oder  weniger  übereinander.  W.  Krause 2),  welcher  die  Fettentartung 
der  Nervenfasern  benutzte,  um  bei  Kaninchen  und  Affen  mittelst  Durch- 
schneidung einzelner  Wurzeln  des  Plexus  brachialis  deren  peripherische  Ver- 
breitungsbezirke zu  ermitteln,  gelangte  zu  folgenden  Schlüssen:  1)  Die 
grösseren  Muskeln  werden  von  Nervenfasern  versorgt,  die  aus  mehreren 
Wurzeln  herstammen;  sie  zerfallen  dadurch  in  verschiedene  Muskelnerven- 
provinzen,  die  mit  verschiedenen  Segmenten  des  Rückenmarks  in  Verbin- 
dung stehen.  2)  Weiter  nach  der  Hand  hin  gelegene,  sowohl  sensible  als 
motorische  Provinzen  der  oberen  Extremität  erhalten  ihre  Nervenfasern  aus 
Wurzeln,  die  näher  dem  unteren  Ende  des  Rückenmarks  entspringen :  die 
absolut  längsten  Nervenfasern  kommen  aus  dem  achten  Cervicalnerven  \ind 
versorgen  die  Haut  des  ersten  bis  dritten  nebst  der  Radialseite  des  vierten 
Fingers;  dann  folgen  die  im  ei-sten  Dorsalnerven  axistretenden  Fasern,  von 
denen  die  Haut  der  ülnarseite  des  vierten  und  des  ganzen  fünften  Fingers 
innervirt  wird.  3)  Die  Muskeln  erhalten  ihre  Nerven  aus  derselben  Wurzel, 
welche  die  über  ihnen  selbst  und  ihren  Sehnen  gelegenen  Hautstellen  ver- 
sorgt. In  Muskeln,  welche  mehrere  Sehnen  aussenden,  werden  die  zu  jeder 
einzelnen  Sehne  gehörenden  Muskelfasern  von  besonderen  Nervenstämmen 
versehen,  die  aus  verschiedenen  Wurzeln  ihren  Ursprung  nehmen  können. 
In  einem  wesentlichen  Punkte,  darin ,   dass    die  Muskeln  ihre  Nerven 


^)  Zeitschrift   für  rationelle    Medicin.     N.  F.  IV,    52.      ^)    Beiträge    zur    Neurologie    der 
oberen  Extremität.     Leipzig  und  Heidelberg.    1865. 


Peripliei'isches  Nervensystem.  329 

aus  derselben  Wurzel  beziehen,  wie  die  die  Muskeln  bedeckende  Haul, 
stimmen  beide  Beobachtungsweisen  unter  sich  und  mit  ähnlichen  Beobachtungen, 
welche  C.  Meyer  i)  nach  der  Wall  er 'sehen  Methode  an  der  hinteren  Extre- 
mität von  Fröschen  anstellte,  überein  und  sie  berichtigen  ein  früher  2)  von 
Schröder  V.  d. Kolk  aufgestelltes  Gesetz,  wonach  die  sensibeln  Aeste  eines 
Nerven,  welcher  motorische  Aeste  giebt,  stets  zu  jenem  Theile  des  Gliedes 
verlaufen  sollten,  welcher  durch  die  Muskeln,  die  die  motorischen  Aeste 
empfangen,  bewegt  wird.  Auch  dass  Ein  Muskel  aus  mehreren  Wurzeln 
Nerven  erhält,  wird  von  Peyer  und  W.  Krause  gleichmässig  bezeugt  und 
Peyer's  Behauptixng,  dass  es  sich  mit  der  Haut  ähnlich  verhalte  und  Fasern 
aus  verschiedenen  Wurzeln  in  einander  greifen,  wird  durch  Versuche  Ko- 
sche  wnikoff's  ^)  und  die  eben  erwähntenVersuche  Meyer 's  an  Fröschen  be- 
stätigt; doch  giebt  es  an  der  Haut  der  Unterextremitäten  der  Frösche  auch 
Stellen,  die  ausschliesslich  von  einer  Wurzel  versorgt  werden  (Koschew- 
nikoff).  Das  physiologische  Experiment  weist  in  dieser  Beziehung  für  die 
einzelnen  Körperregionen  Verschiedenheiten  nach,  die  den  anatomischen 
Verschiedenheiten  entsprechen.  Am  sorgfältigsten  hat  Tür ck*)  bei  Hunden 
die  Verbreitungsbezirke  der  Hautnerven  abgegrenzt.  Er  unterscheidet  aus- 
schliessende  und  gemeinschaftliche  Bezirke;  jene  werden  dadurch  erkannt, 
dass  nach  Trennung  des  entsprechenden  Nerven  constant  derselbe  Bezirk 
vollkommen  anästhetisch  wird;  die  gemeinschaftlichen  Bezirke  geben  sich 
dadurch  zu  erkennen,  dass  nach  Trennung  des  einen  Bezirk  versehenden 
Nerven  gar  keine  oder  nur  eine  unvollkommene ,  meist  beschränkte  oder 
vorübergehende  Anästhesie  zu  beobachten  ist.  Am  Hals  und  Rumpf  sind 
die  Bezirke  ausschliessend  und  stellen  bandähnliche  Streifen  dar,  welche 
von  den  Wirbeldornen  bis  zur  vorderen  Mittellinie  in  einer  auf  der  Längen- 
-axe  des  Körpers  beinahe  senkrechten  Richtung  verlaufen.  Die  Extremi- 
tätennerven, namentlich  der  7te  und  8te  Cervical-  und  der  6te  und  7te 
Lumbarnerve  haben  gar  keine  ausschliessenden,  sondern  nur  gemeinschaft- 
liche Bezirke  und  an  der  Hohlhand  und  Fusssohle  kommt  je  ein  Bezirk  vor, 
der  von  drei  gemischten  Nervenpaaren  gemeinschaftlich  versehen  wird. 
In  den  gemeinschaftlichen  Bezirken  sind  aber  die  Elemente  der  gemein- 
schaftlichen Paare  nicht  gleichmässig  über  den  ganzen  Bezirk,  sondern 
überwiegend  nur  in  je  einer  beiläufigen  Hälfte  desselben  verbreitet  und  an 
einzelnen  Stellen  dieser  Hälfte  wieder  überwiegender.  Die  Hautnerven- 
bezirke  der  Extremitäten  bilden  im  Allgemeinen  Gürtel,  haben  die  Gestalt 
von  Schienen  einer  Rüstung  und  treten  zwischen  dem  Spalt  eines  höheren 
und  tieferen  Bezirks  unter  spitzen  Winkeln  aus. 

Ich  muss  noch  besonders  einer  Form  von  Anastomosen  gedenken, 
schlingenförmiger  Bündel,  welche,  aus  Einem  Nerven  austretend,  in  einem 
anderen  zum  Centralorgan  zurückzukehren  scheinen.  Man  konnte  sie,  wenn 
nicht  verstehen,  doch  sich  gefallen  lassen  zu  einer  Zeit,  wo  man  schlingen- 
förmige  Umbiegungen  der  Nervenfasern   auch   an  dem  Orte  ihrer  peripheri- 


1)  Ztschr.  für  rat.  Med.  3.  R.  XXXVI,  164.  2)  Froriep's  Notizen.  3.  R.  IV,  129 
(1847).  ?')  Archiv  für  Anat.  1868.  S.  326.  *)  Wiener  Sitzungsberichte.  1856.  Juli. 
Ludwig's  Physiol.  2.  Aufl.  I,  160.  Ueber  die  Hautsensibilitätsbezirke  der  einzelnen  Rücken- 
marksnervenpaare.      Wien.     1869. 

21*=*= 


330  Peripherisches  Nervensystem. 

sehen  Endigung  zu  sehen  glaubte.  Jetzt  sind  die  „endlosen  Nerven",  wie 
Hyrtl  jene  Art  von  Anastomosen  nennt,  anatomisch,  wie  physiologisch  para- 
dox; es  sind  Räthsel,  von  welchen  man  einen  Theil  durch  den  Nachweis 
aufzulösen  hofft,  dass  die  in  den  beiden  verbundenen  Nerven  zurücklaufenden 
Fasern  aus  dem  einen  oder  anderen  an  einer  höheren  Stelle  wieder  austreten. 
Ein  anderer  Theil  bleibt  ungelöst,  so  namentlich  die  am  hinteren  Rande 
des  Chiasma  der  Sehnerven  aus  Einer  Hemisphäre  in  die  andere  übergehenden 
Fasern  und  die  noch  paradoxeren  anfangslosen  Nervenfasern,  die  am  vor- 
deren Rande  des  Chiasma  von  Retina  zu  Retina  ziehen. 

Der  Erste,  der  sein  Äugenmerk   auf  die  endlosen  Nerven  richtete,  war  Volk- 
mann    (Müll.  Arch.    1840.    S.   510);    er    wies    auf   dergleichen  Schlingen  hin   beim 
Kalbe  zwischen  dem  N.  trochlearis   und   dem   ersten  Aste    des    N.  trigeminus,   bei 
vielen  Säugethieren    zwischen    dem    N.  accessorius   und    dem   zweiten   und  dritten 
Cervicalnerven,    zwischen   dem  E.  descendens    des  Hypoglossus   und   verschiedenen 
Cervicaluerven ,    endlich   zwischen    dem   zweiten    und    dritten    Cervicalnerven    der 
Katze,    rast  gleichzeitig  behauptete  F.  Arnold  (Lehrbuch  der  Physiol.  Zürich  1841. 
II,  913),  in  der  bekannten  Schlinge  des  E.  descendens  hypoglossi  mit  dem  zweiten 
und  dritten  Cervicaluerven  vom  Centralorgan  ausgehende  und  in   dasselbe  zurück- 
kehrende Bogenfasern  constant  wahrgenommen  zu  haben;  sie   sollten   die   Mitbewe- 
gungen veranlassen,    also  dazu  dienen,   die   eine  Stelle  des  Centralorgans   zur  Mit- 
wirkung bei  der  Thätigkeit  der  anderen  gleichsam  aufzufordern.     Die  anatomische 
Beschreibung  lässt  in  allen  den  genannten  Fällen  Zweifel  übrig,    die   auch  alsbald 
von  Valentin  (Eepertorium  VI,  98)  ausgesprochen  wurden  und  in  Betreff  mancher 
dieser  Schlingen  ist,  wie  sich  im  Folgenden  zeigen  wird,-  die  oben  angedeutete  Er- 
klärung bereits  gefunden.     Man    muss   sich  hüten,    von  der  Form  des  Winkels,   in 
welchem  Nerven    zusammenstossen,    auf   den  Lauf   der  Fasern   zu   schliessen    und 
muss  darauf  gefasst  sein,  dass,  wo  ein  Zweig  sich   schräg  an   den  Stamm   anlegt, 
die    Fasern     ebensowohl     nach    der  Seite    des    spitzen,    als    des   stumpfen   Winkels 
weiter    gehen.     Aber   auch   bei   mikroskopischer   Untersuchung   des    Faserverlaufs 
konnte  E.  Bischoff  (Mikroskop.  Analyse  der  Anastomosen  der  Kopfnerven.    Mün- 
chen 1865.    S.  13.  31)  die  Möglichkeit  nicht  abweisen,  dass  in  den  Schlingen  zwi- 
schen den  Nu.  lacrymalis  und  orbitalis,  zwischen  Accessorius   und   Cervicalnerven 
Fasern  zum  Centrum  zurückkehren.    Die  endlosen  Schlingen,  welche  Hyrtl  (Wiener 
Sitzungsberichte.    1866.    Bd.  LI.)  aufzählt,  sind:    die  nicht  ganz   constante  Anasto- 
mose zwischen  den  Nn.  hypoglossi  beider  Seiten   über   dem  Zungenbein,    die  Ana- 
stomose des  N.  hj'poglossus  mit   den  oberen  Cervicalnerven    und  mit   dem  N.  lin- 
gualis  (die  letztere  hat  indess  von  Luschka  eine  andere  Deutung  erfahren),  ferner 
Schlingen  der  Aeste  des  N.  facialis  unter   sich,    mit  Cervicalnerven    und   den  Nn. 
infraorbitalis  und  mentalis,  der  Nn.  supra-  und  infratrochlearis,  der  Nn.  lacrymalis 
und  orbitalis.     Einmal  kam  eine  bogenförmige  Schlinge  zwischen    dem  N.  phreni- 
cus  und  dem    Stamme  des  fünften  Cervicalnerven  vor,  öfters  zeigten  sich  die  Nn. 
thoracici   antt.    durch    eine    zurücklaufende  Anastomose   verbunden.     Eine    solche 
fand  Hyrtl  zwischen  den  beiden,  die  A.  axillaris  umfassenden  Wurzeln  des  N.  me- 
diauus  in  allen  den  Fällen,  wo  die  beiden  Wurzeln   dicht  vor   der  Arterie  zusam- 
mentreten ;  sie  fehlte,  wenn  die  Wurzeln  sich  weit  unter  der  Arterie  unter  spitzem 
Winkel  verbanden.    In  mannichfaltiger  Weise  hängen  am  Oberarme  die  Nn.  medianus 
und  cutaneus  lateralis,  in  der  Hand  Medianus  und  Ulnaris  durch  schlingenförmige 
Anastomosen  zusammen.     Der  von  Schmidt  beschriebene  N.  ad  obturatorium  ac- 
cessorius geht  mit  dem  eigentlichen  N.  obturatorius  und  mit  dem  N.  lumbo-ingui- 
nalis    derartige  Verbindungen    ein.     Einmal   wurde    zwischen   zwei   Nn.    scrotales, 
einmal  zwischen  Nn.  communicans  tibialis  und  cutaneus  pedis  dorsalis,  einmal  zwi- 
schen  den    beiden  Er.  communicantes  der  Unterschenkelnerven  eine  bogenförmige 
Anastomose  beobachtet. 

Eine  den  äusseren  Bogenfasern  des  Chiasma  analoge  Schlinge  der  Spinalnerven 
beschreibt  Volkmaun  (Müll.  Arch.  1838.  S.291)  mit  folgenden  Worten:  „Bei  dem 
Maulwiirfe  treten  die  Nn.  thoracici  als  einfache  Stämme  aus  den  Spinalganglien, 
zerfallen  aber  unmittelbar  nach  dem  Austi-itt    in   den    vorderen   und  hinteren  Ast. 


Peripherisches  Nervensystem.  331 

In  dem  offenen  Winkel  der  Theihmgsstelle  fand  ich  schleifenförmige  Fasern  in 
der  Art  angebracht,  dass  die  Beugung  in  den  Winkel  zu  liegen  kam,  während  die 
fortlaufenden  Enden  einerseits  im  vorderen  Aste,  andererseits  im  hinteren  Aste  nach 
der  Peripherie  gerichtet  waren."  Gedachte  Fasern  waren  also  ausser  Zusammen- 
hang mit  den  Centralorganen  und  müssten  nach  Volkmann 's  Meinung  vom  Sym- 
pathicus  abgeleitet  werden.  Nach  Arnold  (a.  a.  0.  S.  903)  kommen  auch  beim 
Menschen  zwischen  den  hinteren  und  vorderen  Aesten  der  Spinalnerven,  wo  sich 
der  gemeinschaftliche  Stamm  derselben  gabelförmig  spaltet,  nach  aussen  offene 
Bogenfasern  vor.  Eemak  (Müll.  Arch.  1841.  S.  520)  bemerkte  an  den  hinteren 
Wurzeln  der  unteren  Cervical-  und  verschiedener  Dorsalnerven  des  Ochsen  feine 
Verbindungsfäden,  deren  Primitivfasern  in  den  äussersten  Wurzelsträngchen  so- 
wohl des  oberen  als  des  unteren  Nerven  in  peripherischer  Eichtung  verliefen,  so 
dass  der  Verbindungsfaden  eine  bogenförmige  Schlinge  darstellte,  deren  Schenkel 
in  den  Nervenstämmen  lagen.  Endlich  habe  ich  eine  Angabe  Luschka' s  (der  N. 
phrenicus  des  Menschen.  Tüb.  1853.  S.  15)  zu  erwähnen,  eine  centralwärts  con- 
vexe  Schlinge  eines  Bündels  betreffend,  welches  aus  dem  Stamme  des  N.  phrenicus 
in  einen  Schulterhautzweig  des  vierten  Cervicalnerven  umbog. 

Wenn  die  Zweige  eines  Nerven  sich  durch  fortgesetzte  Spaltung  bis 
auf  ein  gewisses  Mass  verfeinert  haben  und  nur  noch  aus  wenigen  Primitiv- 
fasern bestehen,  tauschen  sie  diese  gegen  einander  aus  und  bilden  auf  diese 
Weise  Geflechte,  welche  mit  dem  Namen  Endplexus  bezeichnet  werden.  Es 
versteht  sich,  dass  in  denselben  aiTch  die  Fasern  benacbbarter  Aeste  mit 
einander  vermischt  werden.  Wegen  ihrer  allgemeinen  Verbreitung,  ihrer 
gleichmässigen  Structur  und  ihrer  meist  mikroskopischen  Feinheit  wird  die 
Beschreibung  dieser  Endplexus  in  die  Histologie  verwiesen.  Doch  werden 
auch  die  stärkeren  Endäste  benachbarter  Hautnerven  so  regelmässig  durch 
Geflechte  von  ähnlicher  Bedeutung  verbunden,  dass  ich  mich  einer  speciellen 
Angabe  derselben  überheben  zu  dürfen  glaube.  Ich  bemerke  nur  noch, 
dass  ich,  um  Wiederholungen  zu  vermeiden,  die  Anastomosen,  Schlingen  und 
die  aus  denselben  hervorgehenden  Aeste  in  der  Regel  da  beschreiben  werde, 
wo  sie  zum  zweiten  oder  letzten  Mal  zur  Sprache  kommen.  Nur  die  Gan- 
glien, von  deren  Aesten  noch  nicht  mit  vollkommener  Sicherheit  anzugeben 
ist,  welche  als  peripherische,  welche  als  Wurzeln  zu  betrachten  seien,  werde 
ich  mit  allen  ihren  Verzweigungen  bei  dem  Nerven  abhandeln,  mit  dem 
sie  im  nächsten  Zusammenhange  stehen. 


Das  Eintheilungsprincip,  nach  welchem  man  die  Nerven  ordnet,  ist  ein  Emtheiiung 
rein  anatomisches:    man  unterscheidet  je  nach  dem    Ursprung  vom  Gehirn  i.^Nach^dem 
oder   Rückenmark   Hirn-   und    Rückenmarks-  oder    Spinalnerven    und  zählt  u>'spi'"»g- 
von  oben  nach  unten,  die  Hirnnerven  von  1  — 12  ^),   die  Spinalnerven   nach 
den  Wirbeln,  unter  welchen  sie  austreten,  mit  der  Ausnahme,  dass  der  zwi- 
schen Hinterhauptsbein  und  Atlas  hervortretende  Stamm  als  erster  Cervical- 
nerve  gerechnet   und  dadurch   die  Zahl  der  Cervicalnerven   auf  8   gebracht 
wird.  2) 


1)  Der  älteren  Zählung  nach  Willis,  die  in  Frankreich  und  England  noch  heute  im 
Gebrauch  ist,  habe  ich  oben  (S.  171  ff.)  gedacht.  2)  Consequenter  zog  Willis  den  ersten 
CerAäcalnerven  unserer  Zählung  (iV.  occipitalis  s.  suboccipitalis  W  i  n  s  1  o  w)  zu  den  Hirn- 
nerven als  zehntes  Paar  und  wahrte  dadurch  die  Uebereinstimmung  in  der  Benennung  der  Cer- 
vical- und  der  übrigen  Spinalnerven. 


332  Peripherisches  Nervensystem. 

Den  Hirn-  und  Rückenmarksnerven  stehen  als  dritte  Gruppe  die  sym- 
pathischen oder  Eingeweidenerven  zur  Seite  oder  auch  gegenüber,  wenn 
man  nämlich  den  physiologischen  Gegensatz  betont,  in  welchem  die  Nerven 
der  dem  Willen  imterworfenen  und  scharf  empfindenden  äusseren  Körper- 
theile  zu  den  Nerven  der  unwillkürlich  beweglichen  und  mit  stumpfer  Em- 
pfindung begabten  Eingeweide  sich  befinden.  Die  Bedeutung  dieses  Gegen- 
satzes und  den  Grad  der  Unabhängigkeit  der  sympathischen  Nerven  von 
den  cerebrospinalen,  unter  welchem  Namen  man  Hirn-  und  Rückenmarks- 
nerven zusammenfasst,  werde  ich  an  einer  späteren  Stelle  zu  erörtern  haben. 
Zur  Scheidung  genügt  schon  die  anatomische  Difi'erenz,  dass  die  Gehirn- 
und  Rückenmarksnerven  direct  aus  dem  Centralorgan,  die  Eingeweide- 
nerven zunächst  aus  dem  Grenzstrang  (S.  8)  entspringen,  welchem  Gehirn- 
und  Rücken  marksnerven  Fasern  in  Form  der  sogenannten  Wurzeln  zu- 
führen. So  weit  der  Grenzstrang  mit  den  Spinalnerven  zusammenhängt, 
besteht  über  die  Deutung  der  Aeste,  ob  als  Wurzeln  oder  als  peripherische, 
'  kein  Zweifel.  Minder  klar  spricht  sich  in  den  Verbindungen  des  Grenz- 
stranges mit  den  Hirnnerven  die  Richtimg  des  Faserverlaufes  aus  und  des- 
halb verzichten  wir  auch  darauf,  an  den  Kopfnerven  die  Antheile  des  cere- 
brospinalen und  sympathischen  Systems  so  genau  zu  trennen,  wie  dies  am 
Rumpfe  möglich  ist. 

Es  ist  noch  ein  Punkt,  in  welchem  die  Spinalnerven  regelmässig  nach 
einem  gemeinsamen  Plan,  die  Hirnnerven  verschieden  angelegt  sind.  Aus 
einer  gangliösen  sensibeln  und  einer  glatten  motorischen  Wurzel,  wie  die 
Spinalnerven,  besteht  unter  den  Hirnnerven  nur  der  fünfte.  Drei  Hirn- 
nerven, der  Ite,  2te  und  8te,  entziehen  sich,  als  Organe  specifischer  Sinne 
(sensiiale  Nerven)  der  Vergleichung.  Von  den  übrigen  Hirnnerven  sind  fünf, 
der  4te,  6te,  7te,  Ute  und  12te  rein  motorisch.  Drei  gemischte  Hirnnerven, 
der  3te,  der  einen  noch  nicht  ganz  sicher  gestellten  geringen  Antheil  an 
sensibeln  Fasern  besitzt,  der  9te,  in  welchem  neben  Geschmacksfasern  ein- 
fach sensible  und  motorische  enthalten  zu  sein  scheinen,  und  der  lOte 
lassen  doch  in  den  Wurzeln  eine  Sonderung  der  Fasern  verschiedener  Qua- 
lität nicht  erkennen. 
2.  Nach  der  Indessen  sind  die  Begriffe  sensibel  und  motorisch  eigentlich  zu  eng,  um 

Leituna.^^^^  die  Mannichfaltigkeit  der  Nervenfasern  auszudrücken;  richtiger  wäre  eine 
Eintheilung  in  centripetale  und  centrifugale.  Unter  den  centripetalen 
Nerven  sind  nicht  nur  die  specifischen  Sinnesnerven  und  unter  den  eigent- 
lich sensibeln  möglicherweise  wieder  verschiedene  Arten,  wie  Wärme-, 
Druck-empfindende  zu  unterscheiden  i):  eine  besondere  Gattung  derselben 
würden  auch,  wenn  sie  sich  bestätigen  lassen,  die  sogenannten  ex  cito-moto- 


^)  Den  Druck-  und  Temperatursinn  verschiedenen  Nerven  zu  vindiciren,  dazu  haben 
Krankheitsfälle  Anlass  gegeben,  in  welchen  die  Eine  Art  von  Empfindungen  ohne  die  an- 
dere gestört  war  (Landry,  arch.  gen.  T.  XXIX.  XXX.  Nothnagel,  Archivföir  klin.  Med. 
11,284.  Manouvriez,  Meissner's  Jahresbericht  1870.  S.  317).  Es  ereignete  sich  dies  aber 
nicht  nur  bei  centralen  Erkrankungen,  sondern  auch  nach  Verletzungen  der  Nervenstänime, 
bei  welchen  doch  eine  Schädigung  einzelner  Categorien  von  Nervenfasern  kaum  wahr- 
scheinlich ist.  Auch  möge  man  vergleichen,  was  ich  in  meinem  Handbuch  der  ration. 
Pathol.  (Bd.  II.  Abth.  1.  S.  540)  über  die  Identität  der  Wärme-  und  Druckempfindung 
gesagt  habe. 


Peripheriscties  Nervensystem.  333 

rischen  Fasern  bilden,  Fasern,  welche,  ohne  das  Sensorium  zu  erreichen, 
schon  im  Rückenmark,  vielleicht  schon  in  peripherischen  Ganglien  ihre  Er-  ' 

regung  auf  motorische  Fasern  zu  übertragen  und  Reflexbewegungen  zu 
vermitteln  hätten,  deren  äusserlich  anregende  Ursache  nicht  zum  Bewusst- 
sein  gelangt.  Wie  es  um  den  anatomischen  Nachweis  excitomotorischer 
Nerven  im  Rückenmark  steht,  habe  ich  oben  (S.  66)  angeführt;  was  über 
dieselben  die  Untersuchung  der  Structur  der  Ganglien  ergeben  hat,  wurde 
in  der  Einleitung  (S.  24)  besprochen.  Zur  physiologischen  Lösung  der 
Frage  kann  man  nicht  Reflexbewegungen  verwenden,  welche  der,  wenngleich 
unbewussten  Reizung  von  Theilen  folgen,  von  deren  Zuständen  die  Seele 
für  gewöhnlich  Kunde  zu  erhalten  pflegt.  Ereignen  sich  solche  unbewusst 
provocirte  unwillkührliche  Bewegungen  am  unversehrten  Körper,  so  hat  es 
vielleicht  nur  an  der  Aufmerksamkeit  gefehlt,  um  den  sinnlichen  Eindruck 
wahrzunehmen ;  kommen  sie  an  enthaupteten  Thieren  vor,  so  könnten  sie 
Folge  einer  im  Rückenmark  bestehenden  Nebenleitung  von  den  zum  Ge- 
hii-n  aufsteigenden  sensibeln  Fasern  zu  motorischen  sein.  Neben  den  sen- 
sibeln Fasern  können  die  excitomotorischen  entbehrt  werden,  aber  sie  statt 
der  sensibeln  anzunehmen  hat  man  für  die  Organe  ein  Recht,  deren  die 
Reflexbewegung  auslösende  Reizung  in  der  Regel  nicht  empfunden  wird; 
solche  Organe  sind  die  Eingeweide  und  so  werde  ich  bei  der  Beschreibung 
des  Eingeweidenervensystems  diese  Frage  wieder  aufnehmen. 

Ich  gedenke  hier,  zwischen  den  centripetalen  und  centrifugalen,  einer  Hemmungs- 
Gattung  von  Nerven,  die  man  nach  ihrer  Leitungsrichtung,  wie  man  die- 
selbe anfänglich  beurtheilte,  mit  den  motorischen  Nerven  zusammenstellte, 
während  ihre  Wirkung,  im  diametralen  Gegensatz  zu  den  motorischen  Ner- 
ven, sich  in  Herabstimmung  und  Lähmung  der  Muskelthätigkeit  äussern 
sollte,  ich  meine  die  Hemmungsnerven.  Die  Annahme  derselben  grün- 
dete sich  hauptsächlich  auf  die  in  der  Bahn  des  N.  vagus  verlaufenden 
Herznerven,  deren  Reizung  die  Frequenz  des  Herzschlages  mässigt  und 
schliesslich  das  Herz  in  Diastole  stille  stehen  macht.  Da  die  Reizung 
der  vom  Sympathicus  stammenden  Nerven  des  Herzeus  den  entgegen- 
gesetzten, mit  den  Wirkungen  der  gewöhnlichen  motorischen  Nerven 
übereinstimmenden  Erfolg  hat,  so  Hessen  sich  für  dies  Organ  die  Bahnen 
der  erregenden  und  hemmenden  Nerven  auch  anatomisch  scheiden.  Nach 
dem  Vorbilde  des  Herzens  schrieb  Pflüg  er  i)  dem  Darm  ein  Hemmungsnerven- 
system zu  auf  Grund  der  Lähmung  der  peristaltischen  Bewegungen,  die  der 
Reizung  des  N.  splanchnicus  folgt.  Auf  zweierlei  Weise  hat  man  versucht, 
die  paradoxe  Erscheinung  mit  den  allgemein  gültigen  Gesetzen  der  Nerven- 
erregung in  Einklang  zu  bringen.  Man  nahm  die  Lähmxing,  die  der  Rei- 
zung eines  Nerven  folgt,  für  das  Resultat  der  Erschöpfung  dieses  Nerven 
durch  das  Uebermaass  des  Reizes  und  berief  sich  dabei  auf  die  Thatsache, 
dass  sich  das  Herz  vom  Vagus  aus  erregen,  die  Frequenz  des  Pulses  be- 
schleunigen lässt,  wenn  es  gelingt,  die  Stärke  des  (elektrischen)  Reizes  auf 
das  nöthige,  geringe  Maass  zu  reduciren  (Schifft).    Mole  sc  hott  ^).   Eine 


^)  Meissner's  Jahresbericlit  1856.  S,  474.  -)  Archiv  für  physiol.  Heilk.  1849. 
S.  166.  Meissner's  Jahresbericht  1856.  S.  478.  1858.  S.  451.  Moleschott's 
Unters.  VI,  201.        3j  Meissner's  Jahresbericht    1860.    S.   517.    1861.    S.  417. 


334  Peripherisches  Nervensystem. 

andere  Erklärung  bot  sich  dar  durch  die  Entdeckung  des  N.  depressor 
(s.  Vagus),  nach  dessen  Durchschneidung  die  Reizung  des  centralen  Stumpfs 
den  Tonus  gewisser  Blutgefässhezirke  herabsetzt,  und  durch  eine  Beobach- 
tung Rosen  thal' s  ■^),  welcher  zufolge  dem  N.  laryngeus  sup.  die  Rolle  eines 
Hemmimgsnerven  der  Athembewegungen  zufällt.  In  diesen  beiden  Fällen 
tritt  ein  Centralorgan,  das  verlängerte  Mark,  zwischen  den  gereizten  und 
den  seine  Thätigkeit  einstellenden  Nerven.  Der  gereizte  Nerve  ist  ein  cen- 
tripetaler  und  thut  seine  gewohnte  Schuldigkeit,  indem  er  den  Eindruck 
auf  das  Centrum  der  Gefäss-  oder  Athemnerven  fortpflanzt;  die  Hemmung 
aber  ist  Aufhebung  des  motorischen  Impulses,  der  sonst  von  diesem  Centrum 
ausziigehen  pflegt;  sie  entspricht  der  Ruhe  des  motorischen  Nerven,  und 
nicht  einem  activen  Zustande  desselben,  der  den  Muskel  anwiese,  zu  er- 
schlaffen. Da  nun  die  Nervenfasern,  die  der  Vagus  dem  Herzen  zuführt, 
in  den  Granglien  dieses  Organs  zu  enden  scheinen,  so  dürfte  man  mit  Bid- 
d  e  r  2),  der  dieses  anatomische  Factum  ermittelte,  auch  die  Hemmungsnerven 
des  Herzens  als  centripetale,  d.  h,  zu  den  im  Herzen  gelegenen  Centren' 
der  Herzbewegung  leitende,  betrachten  und  die  Hemmung,  die  von  diesen 
Ganglien  ausgeht,  nach  dem  nämlichen  Princip  deuten,  wie  die  vom  ver- 
längerten Mark  ausgehenden  Hemmungen.  Nach  der  Schiff-Mole  s  chott'- 
schen  Theorie  ist  die  Hemmung  eine  Nachwirkung  der  Reizung  gewöhn- 
licher motorischer  Nerven,  nach  der  Bid  der 'sehen  Theorie  gehört  sie  in 
das  Gebiet  der  Nervensympathie  und  speciell  des  Antagonismus;  nach  bei- 
den sind  wir  der  Mühe  überhoben,  für  Einen  Muskel  zweierlei  Nerven  von 
entgegengesetzter  Energie  aufzusuchen. 

Wenden  wir  uns  zu  den  centn'fugalen  Nerven,  mit  deren  Erregung  die 
Thätigkeit  der  Organe,  in  welchen  sie  sich  verbreiten,  in  geradem  Verhält- 
niss  steigt  und  fällt,  so  ist  es  fraglich,  ob  die  Aeusserungen  dieser  Thätig- 
keit durchgängig  als  Bewegungen  oder  gar  als  Muskelcontractionen  zu  deuten 
seien.  Man  kennt  Einwirkungen  der  Nerven  auf  Ernährung  und  Secretion,  von 
denen  ich  nachweisen  zu  können  glaubte  ^),  dass  sie  durch  den  wechselnden 
Tonus  der  Gefässe  zu  Stande  kämen.  Der  Lehre  vom  Tonus  der  Gefässe  und 
von  der  Regulirung  desselben  durch  das  Nervensystem,  die  ich  auf  die  histo- 
logische Untersuchung  der  Gefässwände  und  auf  Beobachtungen  am  gesunden 
und  kranken  Menschen  gründete,  haben  seitdem  physiologische  Versuche,  vor 
Allem  die  Versuche  Bernard's  über  das  Verhalten  der  Gefässe  des  Kanin- 
chenohrs auf  Reizung  und  Durchschneidung  des  Sympathicus  am  Halse,  zu 
allgemeiner  Anerkennung  verholfen.  Die  mittlere  Haut  der  Gefässe  hat 
unbestritten  ihre  Stelle  unter  den  organischen  Muskeln,  die  Gefässnerven 
haben  ihre  Stelle  unter  den  motorischen  Nerven  eingenommen.  Blässe  und 
Collapsus  einerseits,  die  Erscheinungen  der  Congestion  andererseits  sind 
als  Folgen  der  Reizung  und  Ijähmung  der  Gefässnerven  erkannt.  Ob  aber 
die  Erweiterung  der  Gefässe  einen  genügenden  Erklärungsgrund  abgebe 
für  die  Anregung  der  Secretion,  die  durch  Nervenreizung  erzielt  wird,  und 
für  die  Ernährungsstörungen,  Entzündung  und  deren  Ausgänge,  die  sich 
an  die  Congestion  anschliessen,  ist  sehr  fraglich  geworden.     Was  zuerst  die 


1)  Meissner's    Jahresl.ericht    1860.     S.   549.    1861.     S.  435.       2)  Archiv   für  Ana- 
tomie    1871.     S.  447.       3)  Pathol.  Unters.    Berlin.    1840.    S.   104. 


Peripherisches  Nervensystem.  335 

Secretion  betrifft,  so  beruht  der  Einwand  gegen  die  Abhängigkeit  der  Drü- 
senthätigkeit  von  der  Zufuhr  des  Blutes  hauptsächlich  auf  Ludwig's  be- 
rühmtem Speichelversuch  i).  Er  widerlegte  meine  Ansicht  durch  den  Nach- 
weis, dass  die  Reizung  der  Speicheldrüsennerven  die  Menge  und  den  Druck 
des  Secrets  erhöht,  ohne  dass  gleichzeitig  eine  Aenderung  des  Drucks  in 
den  Blutgefässen  stattfände,  wie  es  doch  der  Fall  sein  müsste,  wenn  ver- 
mehrte Exsudation  aus  den  Gefässen  den  Anlass  zu  vermehrter  Filtration 
durch  die  Drüsenwände  gäbe.  Zwar  ist  durch  die  Modificationen,  welche  Ber- 
nard (1864),  Bidder(1866)  und  Schiff  (1868)  in  den  Versuch  einführten, 
die  negative  Seite  der  Angaben  Ludwig's  widerlegt  und  eine  Steigerung 
des  Blutdrucks  in  der  gereizten  Drüse  constatirt;  doch  ergiebt  sich  daraus 
zunächst  nur,  dass  die  Gefässe  einen  An t heil  an  dem  Erfolg  der  Reizung 
haben:  ihnen  allein  diesen  Erfolg  zuzuschreiben,  verbietet  sich  so  lange,  als 
zugegeben  werden  muss,  dass,  wie  Ludwig  behauptet,  der  Secretionsdruck 
den  Blutdruck  übersteigen  und  dass  der  anregende  Einfluss  der  Nerven- 
reizung sich  noch  nach  Unterbindung  der  zuführenden  Gefässe  geltend 
machen  könne.  Auf  die  Existenz  specifischer  Secretionsnerven  deutet  ferner, 
dass  die  Qualität  des  Secrets  wechselt,  je  nachdem  von  den  verschiedenen, 
in  die  Submaxillardrüse  eindringenden  Aesten  (Sympathicus  oder  Chorda 
tympani)  der  eine  oder  andere  der  Reizung  unterworfen  wird.  Wirkten 
beiderlei  Nerven  durch  Vermittelung  der  Blutgefässe,  so  ist  nicht  abzusehen, 
wie  sie  andere,  als  quantitative  Schwankungen  der  Secretion  zu  Stande 
bringen  sollten. 

Die  Ernährungsstörungen,  die  sich  aus  der  Congestion  entwickeln, 
schienen  unter  Berücksichtigung  der  mikroskopisch  nachweisbaren  Verän- 
derungen des  Blutes  leicht  verständlich.  Die  relative  Vermehrung  der 
Blutkörperchen  deutet  auf  Verlust  an  Plasma  durch  Exsudation,  die  sich  ja 
auch  anderweitig  als  Ausgangspunkt  der  Entzündung  kund  giebt;  die  Form- 
veränderung und  Verklebung  der  Körperchen  berechtigte  zu  der  Annahme, 
dass  der  austretende  Theil  des  Plasma  relativ  reicher  an  Wasser,  der  zurück- 
bleibende concentrirter  ist,  als  das  normale  Plasma.  Aus  den  wachsenden 
Hindernissen  der  Circulation,  aus  der  Stockung  des  Blutes  in  den  Gefässen 
und  des  Exsudats  ausserhalb  derselben  ergaben  sich  die  Störungen  des 
Stoffwechsels  von  selbst  '^)  und  es  ändert  nichts,  ob  die  sogenannten  entzünd- 
lichen Neubildungen,  namentlich  die  Eiterkörperchen,  in  dem  Exsudate  er- 
zeugt oder  mit  demselben,  nach  der  Cohnheim'schen  Entzündungslehre, 
aus  den  Gefässen  ausgeschieden  sind. 

Aber  diesen  Erklärungen  steht  entgegen,  dass,  nach  Meissner's  Ur- 
theil  ^),  die  Ernährungsstörung  der  Conjunctiva,  die  nach  Durchschneidiing  des 
Trigeminus  eintritt,  sich  direct,  ohne  ein  nachweisbares  Vorstadium  der  Hy- 
perämie entwickelt;  ferner  dass  die  Congestion  im  Ohr  des  Kaninchens,  die 
der  Durchschneidung  des  Sympathicus  am  Halse  folgt,  nach  noch  so  langer 


1)  Die  erste  Abhandlung  Ludwig's  erschien  1851  in  der  Zeitschr.  für  ration.  Med. 
(N.  F.  I,  255).  Wegen  der  an  dieselbe  sich  anschliessenden  Verhandlungen  verweise  ich 
auf  Meissner's  Berichte,  die  sich  Jahr  für  Jahr  mit  diesem  Gegenstande  zu  beschäftigen 
haben.  ^)  Vgl.  meine  rationelle  Pathologie.  Bd.  II.  Abth.  1.  S.  431  ff.  ^)  Ztschr. 
für  rat.   Med.  3.  R.  XXIX,   104.  ^ 


336  Peripherisches  Nervensystem. 

Zeit  niciit  in  Entzündung  übergeht,  ja  dass  Entzündungsreize  am  Ohr  und 
Auge  auf  der  Seite,  deren  Gefässnerven  gelähmt  sind,  minder  intensive  Er- 
scheinungen hervorrufen,  als  auf  der  gesunden  Seite.  ^)  Und  so  läge  es 
nahe,  auf  die  trophischen  Nerven  zurückzugreifen,  und  ihnen  den  Antheil 
abnormer  Ernährung  zur  Last  zu  legen,  der  in  gewissen  Fällen  die  Con- 
gestion  begleitet. 

Dem  Anatomen  wird  man  den  Wunsch  verzeihen,  dass  es  gelingen 
möge,  die  Wirkungen,  die  man  Drüsen-  und  trophischen  Nerven  zuschreibt, 
auf  Gefässnerven  zurückzuführen;  physiologischerseits  ist  kein  Grund,  sich 
der  Annahme  secretorischer  Nerven  zu  entziehen,  da  die  Anregung  der  Se- 
cretion  durch  Nerven  nicht  räthselhafter  ist,  als  die  Anregung  der  Muskel- 
contraction.  Gegen  die  trophischen  Nerven  ist  aber  auch  vom  physiologi- 
schen Standpunkte  einzuwenden,  dass  die  Leistungen,  zu  welchen  man  sie 
heranzieht,  zu  mannichfaltiger  Art  sind,  um  damit  einen  klaren,  bestimmten 
BegrifP  zu  verbinden.  Eine  so  fügsame  Hypothese  dürfte,  wie  die  Hypothese 
von  der  spontanen  Zeugung,  nur  dann  angerufen  werden,  wenn  jede  Mög- 
lichkeit, sie  entbehrlich  zu  machen,  erschöpft  ist.  Dies  wird  man  von  den 
oben  erwähnten  Fällen  nicht  behaupten  dürfen.  Es  ist  nicht  undenkbar, 
dass  das  Exsudat  nach  einer  Operation,  die  einen  ganzen  Gefässbezirk  gleich- 
massig  lähmt,  einen  anderen  Charakter  annehme,  als  nach  einer  Reizung, 
deren  Effect  sich  auf  einzelne  Zweige  beschränkt.  Wie  die  Lymphgefässe 
sich  nach  der  Trennung  der  sympathischen  Nerven  verhalten,  liegt  noch 
völlig  im  Dunkeln,  und  doch  hängt  es  von  ihnen  ab,  wie  lange  die  Resorp- 
tion mit  der  Exsudation  Schritt  zu  halten  vermöge,  und  ist  somit  durch  sie 
der  Eintritt  und  Ausgang  des  entzündlichen  Processes  i  itbedingt.  Wie 
dem  sei,  so  gehören  die  Gefässnerven  nebst  den  secretorische  und  allenfalls 
den  trophischen,  ihrer  Hauptmasse  nach,  dem  sympathischen  System  an, 
verbreiten  sich  aber  mit  den  cerebrospinalen  Nerven  auch  zu  den  Gefässen 
und  Drüsen  der  äusseren  Körpertheile  und  so  möge  hier  im  Allgemeinen 
bemerkt  werden,  dass  überall  zarte,  nur  durch  eine  sorgfältige  Präparation 
darstellbare  Aestchen  von  den  Nervenstämmen  auf  die  Gefässe  übergehen 
und  sich  in  den  Häuten  derselben  verlieren.  An  den  Extremitäten  sieht 
man  Fäden  von  kaum  0,2  Mm.  Durchmesser,  aus  markhaltigen  Faser. i  zu- 
sammengesetzt, auf  lange  Strecken  die  Arterien  begleiten. 

Es  sindhier  die  Beobachtungen  Wrisberg 's  (Commentat.  I,  368)  zu  erwähnen, 
welcher  von  den  Nn.  trigeminns  i;nd  facialis  Aeste  zu  den  Arterien  der  Stirn  und 
des  Gesichts  und  selbst  Aestchen  des  N.  vidianus  mit  ernährenden  Zweigen  der 
A.  vidiana  in  das  Wespenbein  eintreten  sah;  ferner  von  Eibes  (Meck  Arch.  1819. 
S.  442),  welcher  Nerven  längs  der  Carotis  bis  in  die  Substanz  des  Gehirns,  Aeste 
vom  Plexus  brachialis  bis  zum  untersten  Theil  der  A.  brachialis  und  ihrer  Zweige, 
Aeste  vom  Lumbartheil  des  Gangliengeflechts  längs  der  A.  cruralis  bis  zm-  A.  Po- 
plitea verfolgte.  Schlemm  (Berl.  Encyclop.  Wörterbuch.  Art.  Gefässnerven)  sah 
aus  dem  8ten  und  gten  Ggl.  thoracicum  der  linken  Seite  Aeste  zur  Aorta  descen- 
dens  gehen.  Zweige  der  Cerebrospinalnerven  zu  den  Arterien  der  Extremitäten 
stellte  Görin g  dar  (de  nervis  vasa  praecipue  extremitatum  adeuntibus.     Jenae  1834). 

Von  Venen  ist  es  bis  jetzt  nur  die  V.  cava  inf.,  deren  Nerven  durch  E.  H. 
Weber  und  Wutzer  nachgewiesen  sind  (Weber-Hildebr.  III,  91). 


^)    Snellen,    Meissner's    Jahresbericht.     1857.    S.    373.       Sinitzin,     Med.    Ceutral- 
jlatt.     1871.    Xr.    11. 


Peripherisches  Nervensystem.  337 

Was  den  Verlauf  der  Nervenstämme  und  Aeste  betrifft,  so  habe  ich  Verlauf. 
schon  in  der  Gefässlehre  S.  70  erwähnt,  dass  sie  in  der  Regel  die  Blut- 
gefässe begleiten,  so  vrie,  dass  diese  Regel  zahlreiche  Ausnahmen  erleidet. 
Am  Kopfe  laufen  die  Yerzvreigungen  der  A.  ophthalmica  und  maxillaris  int., 
am  Rumpfe  die  Intercostalarterien,  am  Becken  die  Aeste  der  A.  hypoga- 
strica  fast  durchgängig  in  Gesellschaft  entsprechender  Nerven;  die  meisten 
Knochencanäle  'dienen  zugleich  Nerven  und  Gefässen  zum  Durchtritt;  in  die 
Muskeln  senken  sich  die  Gefäss-  und  Nervenäste  häufig  an  derselben  Stelle 
ein.  "Während  aber  am  Unterarm  und  Unterschenkel  Gefäss-  und  Nerven- 
stämme des  medialen  Randes  zu  einem  Bündel  vereinigt  sind,  gehen  die 
Gefässe  und  Nerven  des  lateralen  Randes  ihre  '  eigenen  'Wege,  wobei  es  be- 
sonders auffällig  erscheint,  dass  der  Nerve  den  Schlitz  des  Lig.  interosseum 
verschmäht  und  es  vorzieht,  sich  zwischen  den  Muskelbündeln,  dort  des  M. 
supinator,  hier  des  peroneus  longus  durchzudrängen.  Wenn  man  aus  der 
Art,  wie  das  Mark  aus  durchschnittenen  Nerven  hervorgepresst  wird,  auf 
den  Druck  schliessen  darf,  den  die  elastische  Hülle  dauernd  ausübt,  so 
möchte  man  vermuthen,  dass  ein  gewisses  Maass  von  Compression  die  Func- 
tion der  Nerven  begünstigt. 

Ich  habe  es  unterlassen,  bei  der  Beschreibung  der  Nerven  überall  so  Kaliber, 
bestimmte  Angaben  über  das  Kaliber  zu  machen,  wie  dies  bei  der  Beschrei- 
bung der  Gefässe  geschehen  ist,  weil  die  Messungen  an  den  Nerven  nicht 
einmal  den  Grad  der  Genauigkeit  erreichen  können,  wie  an  den  Gefässen. 
Dem  widerstrebt  schon  die  Form  der  Nerven,  die  nur  selten  genau  cylin- 
drisch,  häufig  platt,  ja  bandartig  ist,  sodann  der  individuelle  Wechsel  in  der  • 
Stärke  schon  der  Wurzeln,  sodann  der  Aeste  eines  Stammes,  die  sich  nicht  immer 
in  gleichem  Verhältniss  in  die  der  Peripherie  zuzuführenden  Fasern  theilen. 
Es  kömmt  hinzu,  dass  das  fetthaltige  Bindegewebe,  welches  die  Nerven  um- 
giebt  und  die  Bündel  von  einander  sondert,  bei  verschiedenen  Individuen 
in  verschiedener  Mächtigkeit  auftritt  und  dass  die  Stärke  namentlich  der 
feineren  Nerven  wesentlich  von  der  Sorgfalt  abhängt,  mit  welcher  der  Prä- 
parant  die  bindegewebige  Umhüllung  entfernt.  Uebrigens  ist  das  Kaliber 
der  Nerven,  wenn  auch  in  chirurgischer  Beziehung  von  geringerer  Wichtig- 
keit, als  das  der  Arterien,  doch  physiologisch  nicht  ohne  Interesse.  Es  be- 
greift sich  leicht,  warum  empfindliche  Theile,  wie  die  Finger  und  Zehen, 
mit  relativ  dicken  Tastnerven  versehen  sind;  aber  auch  bei  den  Muskelnerven 
treffen  wir  auf  Unterschiede  der  Stärke,  welche  auf  Unterschiede  des  Be- 
darfs an  Nervenfasern  hinweisen,  für  die  uns  die  Erklärung  fehlt.  Schon 
die  oberflächliche  A^^ergleichung  der  Nerven  der  Augenmuskeln  mit  den 
Nerven  irgend  eines  der  grösseren  Muskeln  der  Extremitäten  lässt  erkennen, 
wie  sehr  die  ersteren  bevorziigt  sind.  Eine  genaue  Zählung  der  Fasern  zu- 
sammengehöriger Muskeln  und  Nerven,  welcheMerkelund  Tergast  im  hie- 
sigen Institute  unternahmen,  ergab,  bei  Thieren  verschiedener  Classen,  ein 
Verhältniss  der  Nervenfasern  zu  den  Muskelprimitivbündeln  für  die  Augen- 
muskeln wie  l:2bis6,  für  die  Extremitätenmuskeln  wie  1:30  bis  80.  Da  auf 
jedes  Muskelbündel  schliesslich  wenigstens  Eine  Nervenfaser  kommen  muss, 
so  bedeutet  diese  Differenz  so  viel  wie  spärliche  Theilung  der  Nervenfasern 
in  den  Augen-,  reichliche  Theilung  in  den  Körpermuskeln.  Merkel  und 
Tergast  vermuthen,  dass  es  die  Feinheit  der  Muskelwirkung  sei,  zu  der  die 

Heule,  Anatomie.    Bd.  III.    Abthlg.  2.  22 


338  Peripherisclies  Nervensystem. 

Zahl  der  Primitivnervenfasern   in   geradem,    die   Theilungen     derselben   in 
umgekehrtem  Verhältnisse  stehen. 


ixangiien.  Die  Ganglien,  die   an  den    peripherischen    Nerven   vorkommen,  lassen 

sich  nach  ihrer  Stellung  in  drei  Gruppen  theilen.     Man  unterscheidet: 

1)  Die  den  hinteren  Wurzeln  aller  Eückenmarksnerven  eigenen  soge- 
nannten Spinalganglien  ^). 

2)  Die  Ganglien  des  Grenzstranges  2),  die  die  Er.  communicantes  der 
Spinalnerven  aufnehmen  und,  ausser  am  Halse,  wo  eine  Anzahl  derselben 
zu  je  einem  grössere^  Ganglion  verbunden  ist,  der  Zahl  der  Spinalnerven 
entsprechen. 

3)  Die  eigentlichen  oder  peripherischen  Ganglien  des  Sympathicus  ^), 
an  den  von  dem  Grenzstrange  ausstrahlenden  Aesten  und  Geflechten. 

Von  den  Ganglien  der  Hirnnerven  lässt  sich  nur  das  Eine,  in  welches 
die  stärkere  Wurzel  des  N.  trigeminus  anschwillt,  mit  Sicherheit  in  dieses 
System  einreihen,  und  zwar  gehört  dasselbe  entschieden  der  ersten  Gruppe 
an.  Die  Ganglien  an  den  Wurzeln  der  Nn.  glossopharyngeus  und  vagus 
stehen  den  Spinalganglien  nahe,  wenn  es  gestattet  ist,  das  Ganglion  mit  dem 
Gehalt  an  sensibeln  Fasern,  den  diese  Wurzeln  führen,  in  Verbindung  zu 
bringen.  Es  bestände  dann  zwischen  den  beiden  genannten  Hirn-  und  den 
Rückenmarksnerven  der  Unterschied,  dass  in  jenen,  vom  Austritt  an,  die 
motorische  Wurzel  mit  der  sensibeln,  gangliösen  gemischt  wäre.  In  der 
That  umfasst  das  Ganglion  nicht  immer  sämmtliche  Wurzelbündel.  Der 
geringen  und  vielleicht  darum  zweifelhaften  Sensibilität  des  N.  oculomoto- 
rius  entsprächen  die  spärlichen  Nervenzellen  desselben  (s.  unten),  die  keine 
Auftreibung  zu  Stande  bringen.  Die  übrigen  Hirnnervenganglien  sind  ver- 
schiedener Deutung  fähig,  wie  die  specielle  Betrachtung  derselben  ergeben 
wird.  Nur  im  Allgemeinen  lässt  sich  eine  Beziehung  der  grossen  Mehrzahl 
derselben  zum  sympathischen  System  dadurch  herstellen,  dass  man  mit  mehr 
oder  weniger  Evidenz  ihren  Zusammenhang  mit  dem  Grenzstrange,  nament- 
lich mit  dem  Ggl.  cervicale  supr.  nachzuweisen  vermag.  Dieser  Charakter 
fehlt  den  gangliösen  Anschwelltingen  des  N.  olfactorius  (Bulbus  olfactorius) 
und  des  N.  acusticus  (Habenula  ganglionaris  und  Intumescentia  gangliofor- 
mis,  s.  Eingewdl.  S.  772).  Von  den  Ganglien  der  sensibeln  unterscheiden 
sich  diese  Ganglien  der  sensualen  Wurzeln  durch  ihre  Textur.  Der  Bulbus 
olfactorius,  wie  er  sich  durch  die  vergleichend  anatomische  Betrachtung  als 
ein  Theil  des  Grosshirns  darstellt,  gleicht  auch  in  seinem  Bau  am  meisten 
der  Grosshirnrinde.  Die  Ganglien  des  N.  acusticus  enthalten  bipolare  Ner- 
venzellen, während  den  neueren  Untersuchungen  zufolge  die  Nervenzellen 
der  Spinalganglien  der  höheren  Wirbelthiere  zu  den  unipolaren  gehören 
(S.  22).  Den  eigentlich  sympathischen  Ganglien,  sowohl  des  Grenzstrangs, 
als  der  peripherischen  Aeste  schreibt  man  multipolare  Nervenzellen  zu  (S.  24). 


^)  Gang  Ha  interverttbralia.  Ganglia  simplicla  Scarpa.  Formatio  gangliosa  prima 
Valentin.  '^)  Grenzganglien.  Formatio  gangliosa  secunda  Valentin.  ^)  Geflecht- 
oder Centralknoten.  Formatio  gangliosa  tertia.  Scarpa  vereinigt  die  Grenzstrang-  und 
die  peripherisc^hen  Ganglien  des  Sympathicus  unter  dem  Namen    Ganglia,  composita. 


Periplierisclies  Nervensystem.  339 

Wenn  diese  Unterschiede  durchgreifend  sind  und  wenn  man  aus  den- 
selben Schlüsse  auf  die  Bedeutung  der  Ganglien  ableiten  wollte,  so  müsste 
man  in  die  Spinalganglien  den  Ursprung  centrifugaler,  unwillkürlich  moto- 
rischer Nerven  verlegen.  Denn  sensible,  wie  willkührlich  motorische  müss- 
ten  sich  bis  zum  Gehirn  erstrecken,  Reflex  vermittelnde,  excitomotorische 
Nerven  dürften  nicht  vereinzelt  in  Nervenzellen  enden.  Dabei  bleibt  aber 
der  Einfluss  der  Zellen  der  Spinalganglien  auf  die  sämmtlichen  Fasern  der 
Wurzel  unerklärt,  es  bleibt  unerklärt,  wie  diese  Zellen,  wenn  die  Wurzel 
zwischen  Rückenmark  und  Ganglion  durchschnitten  worden,  die  Degene- 
ration der  von  der  durchschnittenen  Wurzel  ausgehenden  sensibeln  Fasern 
hintanhalten  können  (vgl.  S.   22,  Note  4). 

Neben  der  Form  der  Nervenzellen  und  der  Zahl  ihrer  Fortsätze  wurden  die 
Grössenverhältnisse  herangezogen,  um  ZeUen  der  Spinal-  und  sympathischen  Gan- 
gKen  oder,  was  für  gleichwerthig  galt,  der  cerebropjoinalen  und  sympathischen 
Nervenfasern  zu  unterscheiden.  Die  Frage,  ob  eine  solche  Unterscheidung  möglich 
sei,  musste  auftauchen,  so  wie  der  Zusammenhang  der  Nervenzellen  mit  den  Ner- 
venfasern festgestellt  Avar,  und  Eo  bin,  Wagner  und  Bidder,  die  diesen  Zusammen- 
hang gleichzeitig  (im  Jahre  1847)  entdeckten,  Avaren  auch  die  Ersten,  iijn  jene 
Frage  zu  bejahen.  Den  Gegensätzen  des  Kalibers  entsprechend,  nach  welchen  man 
damals  die  Nervenfasern  in  animalische  (grobe)  und  sympathische  (feine)  sortirte 
(s.  oben  S.  2),  bezeichnete  Robin  (l'Institut.  Nr.  687.  699)  zwei  Arten  Ganglien- 
zellen, grosse  und  kleine;  Wagner  tritt  ihm  nach  einigem  SchAvanken  bei  (Hand- 
wörterb.  Bd.  III,  Abth.  1,  S.  452)  und  auch  Bidder  (Zur  Lehre  von  dem  Verhält- 
niss  der  Ganglienkörper  zu  den  Nervenfasern.  S.  33)  sondert  die  Ganglien- 
zellen des  Hechtes  in  zwei  Gruppen,  von  welchen  die  Einen  einen  Durchmesser  von 
0,094  Mm.  erreichen,  während  der  Durchmesser  der  anderen  sich  nicht  über  0,041  Mm. 
erhebt,  jene  hauptsächlich  den  cerebrospinalen,  diese  den  sympathischen  Ganglien 
angehören,  jene  nur  in  breiten,  diese  in  schmalen  Fasern  eingebettet  sind.  Zur 
weiteren  Charakteristik  beider  scheint  ihm  noch  dienen  zu  können,  dass  der  in 
den  Ganglienzellen  zuweilen  vorhandene  Pigmentfleck  entweder  ausschliesslich  den 
grossen  Zellen  zukommt  oder  nur  in  diesen  recht  deutlich  hervortritt.  Während 
Schröder  v.  d.  Kolk  (Anteekeuingen  van  het  verhandelde  in  de  sectie  voor  na- 
,  tuur-en  geneeskunde  van  het  provinciaal  utrechtsch  Genootschap.  26.  Jun.  1848) 
diese  Angaben  für  die  höheren  Thiere  bestätigte,  wurden  sie  von  Valentin  (Lehrb. 
der  Physiol.  Bd.  II,  Abth.  2,  S.  608)  und  Kölliker  (Mikroskop.  Anat.  Bd.  II, 
Abth.  1,  S.  524)  widerlegt  und  von  Stannius  (Gott.  Nachr.  1848,  Nr.  8)  besonders 
dagegen  geltend  gemacht,  dass  der  Durchmesser  der  ein-  und  austretenden  Paser 
bipolarer  Zellen  sehr  verschieden  sein  könne. 

Die  peripherischen  Nerven  sind,  geringe  Abweichungen  abgerechnet,  Symmetrie. 
symmetrisch,  so  weit  sie  sich  in  symmetrischen  Organen  verbreiten,  und 
überschreiten  in  den  vom  Cerebrospinal System  versorgten  Körpertheilen  in 
der  Regel  nicht  die  Medianebene.  An  den  unpaarigen  Eingeweiden  ver- 
einigen und  kreuzen  sich  die  Nerven  beider  Körperseiten,  auch  die  cerebro- 
spinalen, in  Geflechten;  ganz  ausnahmsweise  kommen  Kreuzungen  und  Ver- 
flechtungen in  der  Mittellinie  an  den  Nerven  äusserer  Körpertheile  vor:  an 
den  Stämmen  zwischen  den  Sehnerven,  an  den  feinen  Endästen  zwischen 
den  Nn.  nasopalatini,  hypogiossi,  dorsales  penis  und  clitoridis  ^). 


■*)  Vgl.  Wyman,  American  Journ.  of  med.  sciences   1864,     p.  343. 

22* 


340 


N.  olfactorius. 


A.  Gehirn- 
nerven. 
I.  Olfact. 


A.     Gehirnnerven  1). 
I.     N.   olfactorius. 

Der  Ursprung  dieses  Nerven  aus  der  unteren  Fläche  des  Vorderlappens 
wurde  S.  171  und  286  beschrieben,  Ort  und  Art  seiner  Endausbreitung  sind 
ans  der  Eingeweidelehre  bekannt. 

Der  Strang,  der  sich  von  dem  Tuber  olfactorium  löst,  um  im  Sulcus 
olfactorius  (S.  160)  vorwärts  zu  gehen,  weicht  in  Form  und  Structur  von 
allen  übrigenjNervenstämmen  ab.  Die  Abweichung  der  Form  ist  minder 
wesentlich  und  durch  die  Lage  des  Nerven  bedingt.  Nach  der  Gestalt  der 
Furche  des  Grosshirns,  die  er  auszufüllen  bestimmt  ist,  zeigt  er  sich  drei- 
seitig prismatisch  mit  einer  oberen,  dem  Grunde  der  Furche  entsprechenden, 
mehr  oder  minder  scharfen  Kante  und  einer  unteren,  im  Niveau  der  Ober- 
fläche der  Randwülste  gelegenen  planen  oder  schwach  rinnenartig  vertieften 
Fläche.  Die  Seitenflächen  sind  plan  oder  ebenfalls  leicht  concav,  die  seit- 
lichen Kanten  meist  abgerundet.  Andere  Varietäten  der  Form  beruhen 
darauf,  dass  der  Kandwulst  in  die  obere  Kante  des  Nerven  bald  sanft  ge- 
neigt, bald  steil  abfallend  übergeht,  dass  der  verticale  Durchmesser  weit 
hinaus  den  transversalen  übertriff"t  oder  ihm  bald  gleichkommt.  Der  Quer- 
schnitt entspricht  demnach  in  dem  hinteren  Theil  des  Nerven  einem  spitz- 
Fig.  225.  Fig.  226. 


Frontalschnitt  des  N.  olfactorius  am 
Ursprung. 

Gegen    das   vordere  Ende    des    N. 


Frontalschn.    zwischen     Ursprung    und 
Bulbus  olfactorius. 

winkelig  gleichseitigen,  weiter  vorn 
früher  oder  später  einem  gleichsei- 
tigen Dreieck,  von  1,5  bis  2  Mm. 
Seitenlänge;  der  verticale  Durch- 
messer kann  am  Ursprung  über  4 
Mm.  betragen  (Fig.  225  u.  226). 
Sind  die  Flächen  merklich  ausge- 
höhlt, so  nähert  der  Querschnitt 
sich  der  Kleeblattform, 
olfactorius   verliert   sich    die    obere 


Kante;   der  Nerv    wird  platt  und    schwillt  zuletzt  auf  dem  vorderen  Theil 


^)  Kopfnerven. 


N.  olfactoriiis.  '  341 

derLamina  cribrosa  desSiebbeins  zu  einem  langgestreckt  elliptiscben,  in  verti- 
caler  Kichtung  abgeplatteten  Körper,  dem  Bulbus  olfadorius,'Rie  cbko  Ib  e  n  i), 
an,  der  den  Stamm  des  Nerven  nach  allen  Seiten  überragt.  Er  ist  8  bis  9  Mm. 
lang  und  etwa  halb  so  breit,  an  der  vorderen  Spitze  abgerundet,  an  der 
oberen  Fläche  plan  oder  concav,  an  der  unteren  gewölbt.  Aus  der  unteren 
Fläche  und  aus  der  Spitze  entspringen,  vor-  und  rückwärts  divergirend, 
12  bis  15  feine  Zweige,  Füa  olfadoria^)  (Fig.  227,  228**),  welche  von 
Scheiden  der  fibrösen  Haut  umschlossen,  durch  die  Löcher  der  Lamina 
cribrosa  in  die  Nasenhöhle  hinabsteigen  und  sich  hier  sogleich  in  zwei 
Reihen,  für  die  Seiten  und  Scheiflewand  der  Nase,  ordnen.  Zwischen  dem 
Periost  und  der  Schleimhaut,  in  seichten  Rinnen  des  ersteren,  setzen  sie 
ihren  Weg  abwärts  fort  und  zerfallen  büschelförmig  in  ihre  Endzweige, 
die  aber  erst  im  unteren  Drittel  der  Regio  olfactoria  (s.  Geruchsorgan) 
gegen  die  Oberfläche  der  Schleimhaut  vorzudringen  beginnen  (Seeberg). 
Was   bezüglich   der  Structur   den   N.  olfactorius  vor   anderen  Nerven- 

Fiff.  227. 


i-h 


12 
1 


Sagittalschnitt  des  N.  olfactorius  am  Uebergang  in  den  Bulbus. 

stammen  auszeichnet,  ist  der  Gehalt  an  grauer  Substanz.  Er  zeugt  für  die 
Analogie  des  N.  olfactorius  des  Menschen  und  Affen  mit  dem  Lobus  olfac- 
torius der  niederen  Wirbelthiere  und  dürfte  uns  bestimmen,  das  betreffende 
Organ  aus  der  Reihe  der  Nerven  zu  streichen  und  (mit  Gratio  le  t)  als  einen 
Bestandtheil  des  Centralorgans  aufzuführen,  hätte  man  nicht  auch  der  Ver- 
wandtschaft zwischen  den  Stämmen  des  N.  olfactorius  und  des  N.  opticus 
Rechnung  zu  tragen,  die  sich  aus  der  Aehnlichkeit  des  Baues  des  Bulbus 
olfactorius  mit  der  nervösen  Schichte  der  Retina  ergiebt. 

Graue  und  weisse  Substanz  sind  an  dem  N,  olfactorius  in  der  Art  ver- 
theilt,  dass  die  weisse,  welche  aus  der  Vereinigung  der  lateralen  und  me- 
dialen Wurzeln  entsteht,  regelmässig  eine  zusammenhängende,  0,25  bis  0,5  Mm. 
mächtige  Schichte   an  der  unteren  Fläche   des  Nerven  bildet,  während  die 


■')  Bulbus  cinereus.         ^)  Processus  bulbi  olfactorii. 


342 


IN.  olfactorius. 


graue  Substanz  die  obere  Hälfte  desselben  einnimmt  und  als  eine  sehr 
dünne  ßinde  die  untere  und  Seitenfläche  der  weissen  bedeckt.  Das  Innere 
der  grauen  Substanz  durchziehen  wesentlich  longitudinale,  doch  auch  unter 
spitzem  Winkel  gekreuzte  Faserbündel  von  verschiedener  Stärke  (Fig.  227), 
Fortsetzungen  der  oberen  Wurzel,  bald  ziemlich  gleichmässig  vertheilt,  bald 
mehr  im  Zusammenhang  mit  der  unteren  weissen  Schichte.  Weiter  vorn 
greift  diese  in  einer  aufwärts  sich  verdünnenden  Lage  immer  weiter  auf  die 
Seitenflächen  des  Nerven  über,  und  früher  oder  später  schliesst  sich  der 
weisse  Ueberzug  zum  vollständigen  Rohr,  das  aber  immer  am  unteren  Um- 
fange mächtiger  bleibt,  als  am  oberen. 

Die  graue  Substanz  des  N.  olfactorius  enthält  anfangs  in  Lücken  fein- 
körniger Masse  neben  Körnern  noch  Kerne  und  kleine  Zellen  der  früher 
beschriebenen,  unvollkommen  entwickelten  Art ;  weiterhin  kommen  nur  noch 
ganz  vereinzelt  spindelförmige  Zellen  vor ;  die  Körner  häufen  sich  beson- 
ders in  der  Axe  des  Nerven  und  sind  mitunter  so  dicht  gedrängt,  wie  in 
der  Körnerschichte  des  Kleinhirns. 

Beim  Uebergang  in  den  Bxilbus  dehnt  sich  der  Nerv  zunächst  in 
die  Breite  aus,  so  dass  an  Frontalschnitten  des  ersteren  die  Querschnitte 
der  dunkelrandigen  Nervenfaserbündel  in  einer  in  die  Quere  gezogenen 
Ellipse  angeordnet  sind;  in  der  Schichte  feinkörniger  Substanz,  die  sie  umgeben, 
sind  die  Körner  spärlicher,  als  sie  es  in  der  Axe  des  Nerven  waren  (Fig.  228). 

Fig.  228. 


Frontalschnitt  des  Seitenrandes  des  Bulb.  olfactorius.     Die  Mächtigkeit  sämmtlicher 
Schichten  etwas  reducirt. 


N.  olfactorius.  343 

Ein  Längssclmitt  durch  den  Nervus  und  Bulbus  olfactorius  belehrt  vms  aber, 
dass  von  den  an  der  unteren  Fläche  des  Nerven  gelegenen  Fasern  nur  ein 
Theil  in  gerader  Eichtung  vorwärts  geht:  die  untersten  folgen  der  Wöl- 
bung der  unteren  Fläche  des  Bulbus  und  in  dem  "Winkel  zwischen  beiden 
divergirenden  Faserschichten  liegt  der  hintere  Rand  einer  eigenthümlichen, 
rasch  an  Mächtigkeit  zunehmenden,  Substanzlage,  welche  hauptsächlich  die 
Volumenzunahme  des  Bulbus  veranlasst  (Fig.  227).  Es  ist  abermals  fein- 
körnige Masse  mit  zahlreichen  und  verhältnissmässig  grossen,  0,01  Mm. 
messenden  Körnern,  die  sich  alsbald  in  mehrere  Schichten  theilt. 

An  einem  Frontalschnitt  des  Bulbus  (Fig.  22  8)  lassen  sich  in  der  Reihenfolge 
von  oben  nach  imten  folgende  Schichten  unterscheiden:  1)  eine  Lage  quer 
durchschnittener  Bündel  sehr  feiner  dunkelrandiger  Nervenfasern;  2)  eine  Lage 
granulirter  Substanz  mit  spärlichen  Körnern;  8)  eine  zweite  Lage  dunkel- 
randiger  Nervenfaserquexschnitte,  deren  Mächtigkeit  meist  geringer  ist,  als 
die  der  oberen  Nervenfaserschichte  und  von  hinten  nach  vorn  allmälig  ab- 
nimmt. Biese  drei  Lagen  entsprechen  der  bereits  erwähnten  Fortsetzung 
des  N.  olfactorius.  4)  Eine  granulirte  Lage,  reich  an  grösseren  Körnern, 
welche  einzeln  oder  in  kleinen  Häufchen,  am  häufigsten  in  langen,  der  Ober- 
fläche parallelen  Reihen  vielfach  übereinander  liegen.  Da  der  Sagittal- 
schnitt  des  Bulbus  dasselbe  Bild  giebt,  so  ist  anzunehmen,  dass  es  flächen- 
haft  ausgebreitete  Gruppen  der  Körner  sind,  welche  die  feinkörnige  Sub- 
stanz durchsetzen.  5)  Eine  hellere,  besonders  durchscheinende  und  gefäss- 
reiche  Lage  granulirter  Substanz,  in  welcher  neben  vereinzelten  Körnern 
ebenfalls  vereinzelte  stern-  und  spindelförmige,  in  Fortsätze  ausgezogene 
Nervenzellen  der  kleinsten  Art  vorkommen.  Diese  Lage  scheint  besonders 
weich  zu  sein,  da  sie  oft  grössere  und  kleinere  Lücken  darbietet,  oft  auch 
in  der  ganzen  Breite  des  Bulbus  sich  von  den  nächsten  Schichten  trennt  i). 
6)  Eine  gleich  der  vierten  körnerhaltige  Lage,  in  welcher  aber  die  Körner 
minder  regelmässig  angeordnet  und  reichlich  untermischt  sind  mit  kleinen, 
denen  der  fünften  Schichte  ähnlichen  Nervenzellen.  Die  letztgenannten 
drei  Schichten  (4  bis  6)  gehen  aus  der  Körnerlage  hervor,  die  sich  am  hin- 
teren Rande  des  Bulbus  olfactorius  in  die  an  der  hinteren  Fläche  des  Ner- 
ven verlaufenden  Faserlagen  einschiebt. 

Die  siebente  und  unterste  Schichte  des  Bulb.  olfact.  ist  wieder  eine 
Nervenfaserschichte,  aus  welcher  die  Fasern  der  in  die  Forr.  cribrosa  ein- 
tretenden Zweige  unmittelbar  hervorgehen.  Sie  unterscheiden  sich  von  den 
im  oberen  Theil  des  Bulbus  enthaltenen  Fasern  durch  den  Mangel  des 
Marks  und  durch  die  länglichen  Kerne,  mit  welchen  sie  bedeckt  sind,  mit 
Einem  Worte  durch  die   den  gelatinösen   (organischen)  Fasern  eigenthüm- 


1)  Seebei-g  (Disquisitiones  microscopicae  de  textura  membranae  pituitariae  nasi.  Dor- 
pat  1854,  p.  54)  und  Erichsen  (De  textura  nervi  olfactorii  ejusque  ramorum.  Ebendas. 
1857,  S.  25)  beschrieben  jener  eine  doppelte,  dieser  eine  einfache  Querspalte  des  Bulbus 
und  hielten  sie  für  eine  normale,  der  Höhle  des  Lobus  olfactorius  der  Thiere  analoge  Bil- 
dung. Dass  sie  es  nicht  ist,  lehrt  die  Untersuchung  möglichst  frischer  und  sorgfältig  ge- 
härteter Präparate.  Auch  beweist  der  Habitus  solcher  Spalten,  die  Unebenheit  der  Be- 
grenzung, die  aus  den  Eändern  hervorragenden  oder  die  Spalte  durchziehenden  Capillar- 
gefässe,  dass  der  Kiss  künstlich  und  zufällig  ist. 


344  N.  olfactorius. 

liehen  Charaktere  (S.  8).  Sie  unterscheiden  sich  von  jenen  dunkelrandigen 
Fasern  ferner  durch  den  Verlauf.  Denn  während  jene  gerade  und  fast  pa- 
rallel nebeneinander  hinziehen,  sind  diese  häufig  gebogen  und  bündelweise 
in  mannichfaltigen  Richtungen  durcheinander  geflochten,  so  dass  Durch- 
schnitte des  Bulbus  in  jeder  Richtung  Längs-  und  Querschnitte  der  Faser- 
bündel nebeneinander  zeigen.  Die  in  der  Ebene  des  Schnitts  verlaufenden 
Bündel  umkreisen  mit  ihren  Krümmungen  einestheils  die  quer  durchschnit- 
tenen Bündel  (f),  anderentheils  kugelige  Klümpchen  von  etwa  0,1  Mm. 
Durchmesser  der  feinkörnigen,  mit  Körnern  durchsäeten  Substanz  (ff)  ^). 
Die  Mehrzahl  der  gelatinösen  Nervenbündel  zieht  aus  der  nächst  höheren 
(Körner-  und  Zellen-)  Schichte  vorwärts  absteigend  gegen  die  untere  Fläche 
des  Bulbus  und  läuft  eine  Strecke  weit  dieser  entlang,  bevor  sie  sich  zu 
den  austretenden  Zweigen  neu  ordnen.  Die  untersten  gelatinösen  Fasern 
liegen  in  der  Flucht  der  unteren,  aus  dem  Nerven  in  den  Bulbus  über- 
gehenden dunkelrandigen  Fasern,  doch  ist  es  mir  nicht  gelungen,  die  Einen 
in  die  anderen  sich  fortsetzen  zu  sehen.  Von  den  aus  der  unteren  Körner- 
schichte absteigenden  Fasern  ist  zu  vermuthen,  dass  sie  aus  den  kleinen 
multipolaren  Nervenzellen  dieser  Schichte  entspringen,  welche  nach  der 
anderen  Seite  mit  den  dunkelrandigen  Fasern  der  dritten  Schichte  des  Bul- 
bus in  Verbindung  stehen  mögen,  und  so  sind  auch  vielleicht  zwischen  den 
dunkelrandigen  und  gelatinösen  Fasern  an  der  unteren  Fläche  des  Bulbus 
Nervenzellen  eingeschaltet. 

In  der  Nähe  der  Spitze  des  Bulbus  gehen  die  beiden  Körnerschichten, 
die  dritte  und  sechste,  in  einem  der  Spitze  concentrischen  Bogen  in  ein- 
ander über.  Die  obere  dunkelrandige  Nervenfaserschichte  (die  zweite  hat 
sich  bereits  früher  zerstreut)  biegt  vor  diesem  Bogen  abwärts  um  und  ver- 
liert sich  in  einem  reichen,  zierlichen  Geflechte  gelatinöser  Fasern,  welches 
die  Spitze  des  Bulbus  einnimmt. 

Meynert  zählt  am  Querschnitt  des  Bulhus  olfactorius  acht  Schichten,  die  ich 
nur  theilweise  mit  den  von  mir  wahrgenommenen  zu  identificiren  im  Stande  bin. 
Seine  erste,  von  unten  gerechnet,  die  TJrsprungsschichte  der  Riechnerven,  entspricht 
meiner  gelatinösen  Nervenfaserschichte;  eine  zweite,  vierte  und  sechste  Schichte 
unterscheidet  er  als  äussere,  mittlere  und  innere  Körnerformation,  bestehend  aus 
uuregelmässigeu,  kleinen,  multipolaren  Zellen;  der  dritten  und  fünften,  Clark e's 
äusserer  und  innerer  gelatinösen  Schichte,  schreibt  er  grössere,  wahrscheinlich 
pyramidale  Eindenzellen  zu.  Mit  Rücksicht  auf  seine  Abbildung  (Taf.  IV,  Pig.  10) 
müsste  ich  seine  zweite  bis  vierte  Schichte  mit  meiner  unteren  Körnerschichte 
(6),  seine  fünfte  Schichte  mit  meiner  durchscheinenden  Schichte  (5)  zusammen- 
stellen. Er  glaubt,  die  Päden  der  Olfactorius-Knäuel  bis  zur  mittleren  Köruerfor- 
mation  verfolgt  zu  haben.  Meynert's  siebente  Schichte  besteht  aus  dem  Marke 
des  Riechlappens ;  dem  Texte  zufolge  hätte  ich  sie  also  auf  meine  erste  bis  dritte 
Schichte  zu  beziehen;  die  Abbildung  derselben  eiinnert  an  meine  vierte,  die  obere 
Körnerschichte  mit  den  reihenweise  geordneten  Körnern.  Von  der  achten  Schichte 
giebt  Meynert  an,  dass  sie  vorwaltend  spindelförmige  Nervenkörper  enthalte  und 
sich  nicht  in  allen  Schnitten  finde. 


••)  Meynert  (Der  Bau  der  Grosshii-nrinde.  S.  47)  hat  die  Durchschnitte  dieser 
Klümpchen  und  die  ki-eisförmigen  Querschnitte  der  Nervenfaserbündel  nicht  unterschieden 
und  ist  dadurch  zu  der  Annahme  von  Ursprungsganglien  der  Olfactorinsfasern  gelangt, 
welche  sich  i\U  Aufknäuelungen  der  letzteren  darstellen  sollten. 


N.  opticus.  345 

IL     N.  opticus. 

Naclidem   der  Ursprung  und  Verlauf  des    Tractus   opt.  und  die  Lage  ii.  Opticus. 
und  Form  des   CMasma   mit  der  Anatomie  des  Grosshirns,   der  N.   opticus 
und  dessen  Ausbreitung  mit  der  Anatomie  des  Auges   abgehandelt   worden, 
bleibt  noch  die  Textur  des  Chiasma,   d.  b.   der  Verlauf  der  Nervenfasern  in 
demselben  zu  erörtern. 

Die  äusserste  Schiebte  bildet  die  ebenfalls  schon  erwähnte  Commissura 
ansata  (S.  250)  (Fig.  229, 1),  Fasern,  welche  von  der  Lamina  terminalis  ci- 
nerea herabsteigen  und  oberflächlich  über  die  vordere  und  untere  Fläche 
des  Chiasma  verlaufen,  um  zuletzt  sich  rückwärts  zu  wenden  und  am  Tuber 
cinereum  zu  verlieren.  Es  folgt  sodann  eine  Faserlage  (2),  welche  den  vier 
ausgerundeten  Winkeln  des  Chiasma,  den  beiden  seitlichen  und  dem  vor- 
deren und  hinteren  entlang  von  dem  Tractus  auf  den  Nerven  und  von  dem 
Nerven  der  Einen  auf  den  der  anderen  Seite  übergeht.     Ihre  Mächtigkeit 

Fig.  229. 


1 


15 
1 


Flächenschnitt  durch  den  vorderen  Rand  des  Chiasma. 

ist  am  bedeutendsten  am  vorderen  und  hinteren  Eande,  schwächer  an  dem 
Seitenrande  des  Chiasma.  An"  dem  letzteren  beträgt  sie  etwa  0,06  Mm.; 
die  oberflächliche  Faserschichte  ^)   erstreckt  sich   auf  die  obere  und  untere 


)  Fasciculus  dexler  und    sinister  Hannover. 


346  N.  opticus. 

Fläche  des  Nerven,  jedocla  nicht  bis  zur  Mittellinie  und  ihre  Fasern  drehen 
sich,  indem  sie  vorwärts  ziehen,  zugleich  in  einer  steilen  Spirale  von  der 
oberen  Fläche  des  Nerven  um  den  medialen  Eand  desselben  auf  dessen  un- 
tere Fläche.     Am  hinteren  Rande  des  Chiasma,  der  den  Boden  des  dritten 

Fig.  230  a.    . 


Faserkreuzung  im  Chiasma.     Brönnerpräparat. 
Fig.  230b.  Fig.  231. 


Verticaldurctschnitt  des  Chiasma  und 

N.  opticus,  nach  der  durch  Fig.  230  b 

geführten  Linie.     Co  Chiasma  opt.     Tc 

Tuber  ein.    II'  Tract.  opt. 


Detail  zu  Fig.  230. 
Faserkreuzung    im  Chiasma.     Brönnerpräparat. 


Ventrikels  bilden  hilft  und  in  die  Höhle  desselben  mehr  oder  minder  zuge- 
schärft vorspringt  (Fig.  35),  schliessen  sich  unmittelbar  an  die  hintersten 
der  bogenförmigen  Fasern,  die  den  hinteren  Winkel  des  Chiasma  ausrunden  i), 


^)  Fihrae  arcuaiae  cerebrales  Arnold.     Commissura  arcuata  post.  Hannover. 


I 


N.  opticus.  347 

Fasern  einer  wahren  queren  Hirncommissur  an,  die  den  unteren  Tlieil 
der  Segmente  beider  Seiten  mit  einander  verbinden  und  äusserlicb  von  der 
grauen  Masse  des  Tuber  cinereum  bedeckt  werden.  Die  vorwärts  concaven 
Faserzüge,  die  im  vorderen  Winkel  des  Cbiasma  von  Einem  N.  opticus  auf 
den  anderen  umbiegen  ^),  machen  in  der  Medianlinie  eine  von  oben  nach 
unten  allmälig  an  Mächtigkeit  (von  0,3  bis  1,5  Mm.)  zunehmende  Schichte 
aus,  dringen  aber  an  dem  Nerven  alsbald  von  der  medialen  Fläche  in  das 
Innere  desselben  (Hannover,  Sahmen^),  Der  Kern  und  wesentliche  Theil 
des  Chiasma,  den  die  bisher  aufgezählten  Fasern  von  allen  Seiten  umhüllen, 
besteht  aus  platten,  gekreuzten  Faserzügen  (Fig.  229,  3)  ^),  mittelst  deren  die 
linke  "Wurzel  sich  in  den  rechten  Nervenstamm  und  umgekehrt  fortsetzt.  Ein 
diesen  Kreuzungsfasern  paralleler,  verticaler  Durchschnitt  des  Chiasma 
(Fig.  230,  231)  zeigt  vor  und  hinter  dem  Chiasma  nur  longitudinale 
Fasern,  im  Chiasma  selbst  aber  alternirende  Lagen  von  Längs-  und  Quer- 
schnitten, deren  Mächtigkeit  sich  zwischen  0,01  und  0,03  Mm.  hält.  Einige 
Millimeter  vor  dem  Chiasma  macht  sich  der  Faserverlauf  auch  äusserlich 
durch  die  Abtheilung  des  Nerven  in  Bündel  bemerkbar. 

Zu  einer  Zeit,  wo  man  niclit  erwarten  konnte,  dass  sich  der  Verlauf  der  ein- 
zehien  Nervenfibrillen  jemals  anatomiscli  constatiren  lassen  werde,  hatte  Joh. 
Müller,  um  zu  erklären,  wie  das  Einfachselien  mittelst  der  identischen  Stellen  beider 
Augen  zu  Stande  komme,  die  Hypothese  aufgestellt,  es  theüe  sich  im  Chiasma 
jede  Wurzelfaser  der  Tractus  optici  gabhg  und  ende  mit  ihren  Theilungsästen  in 
den  einander  entsprechenden  Punkten  der  beiden  Netzhäute  (Zur  vergleichenden 
Physiol.  d.  Gesichtssinns.  Lpz.  1826,  S.  94).  Später  haben  Treviranus  (Beitr.  zur 
Aufklärung  der  Erscheinungen  und  Gesetze  des  organ.  Lebens.  Bremen  1835,  II, 
61),  Volkmann  (Neue Beitr.  zur  Physiologie  des  Gesichtssinns.  Lpz.  1836,  II,  10) 
und  J.  Müller  selbst  (Archiv  1837,  S.  XV)  anerkannt,  dass  dieser  Voraussetzung 
die  Thatsachen  nicht  entsprechen.  Die  Fasern  durchsetzen  das  Chiasma  unge- 
theilt  und  die  Verschmelzung  der  beiderseitigen  Eindrücke  zu  einem  einzigen,  wenn 
sie  organisch  begründet  und  nicht  durch  Gewöhnung  erworben  ist,  könnte  nur 
durch  eine  Einrichtung  im  Centralorgan  vermittelt  sein.  Eine  solche  Einrichtung, 
wenigstens  eine  Vereinigung  der  Nerven  der  correspondirenden,  d.  h.  jeder  rechten 
und  linken  Hälften  beider  Augen  im  Centralorgan  wird  durch  die  Symptome  von 
Hemiplegie  wahrscheinlich  gemacht ,  welche  gewöhnlich  die  Hemiopie  begleiten 
(v.  Graefe,  Archiv  für  Ophthalmol.  Bd.  II,  Abth.  2,  S.  286).  Bei  Lähmung  nicht 
identischer,  also  symmetrischer  Netzhaatstellen  wäre  nach  v.  Graefe  ein  Leiden 
an  der  Basis  des  Gehirns  zu  vermuthen,  und  E.  Müller*)  theilt  einen  Fall  mit, 
wo  die  Section  als  Ursache  einer  Erblindung  der  medialen  Hälften  beider  Netz- 
häute eine  das  Chiasma  drückende  Geschwulst  nachwies. 

Indess  fügt  sich  auch  dieser  Vorstellung  der  wirkliche  Faserverlauf  im  Chiasma 
nicht  ganz.  Denn  die  Zahl  der  äusseren,  direct  aus  dem  Tractus  in  den  Nerven 
Einer  Seite  übergehenden  Fasern  scheint  im  Vergleich  zu  den  kreuzenden  zu  ge- 
ring, um  eine  Hälfte  der  Eetina  zu  versorgen.  Die  Bedeutung  der  vorderen  bogen- 
förmigen Fasern  bleibt  ganz  räthselhaft;  man  kann  sie  vorläufig  nur  als  Commis- 
surenfasei-n  der  Nervenzellen  der  beiden  Netzhäute  betrachten. 

Dass  an  der  Zusammensetzung  Eines  N.  opticus  die  Tractus  beider  Seiten  sich 
betheiligen,  wird  auch  durch  die  Folgen  der  Atrophie  Eines  Bulbus  und  des  zu- 
gehörigen Nerven  erwiesen.     "Wenn  die  Degeneration  sich   über  das  Chiasma   hin- 


^)  Fibrae  arcuatae  orbitales  Arnold.  Commissura  arcuata  ant.  Hannover.  ^)  Dis- 
quisitiones  microscopicae  de  chiasmatis  optici  textura.  Dorpat  1854,  p.  15.  ^)  Commis- 
sura cruciata  Hannover.  *)  Meissner's  Jahresbericht  1861,  S.  458. 


348  N.   oculomotorius. 

aus  zum  Gehirn  fortpflanzt,  was  nicht  immer  der  Fall  ist,  so  ergreift  sie  die 
Wurzel  hald  der  nämlichen,  bald  der  anderen  Seite,  am  häufigsten  jedoch  in  ver- 
schiedenem Grade  beide  Wurzeln  (vgl.  Weber-Hildebrandt,  III,  473.  Longet,a.  a. 
O.  II,  67.  Biesiadecki,  Ueber  das  Chiasma  nervorum  opticorum  des  Menschen  tmd 
der  Thiere.  Im  42.  Bande  der  Wiener  Sitzungsberichte,  S.  86).  Alle  Beziehun- 
gen des  Chiasma  zur  Physiologie  des  Auges  werden  aber  in  Trage  gestellt  durch 
eine  allerdings  seltene,  aber  doch  hinreichend  bezeugte  Varietät,  den  gesonderten 
ungekreuzten  Verlauf  eines  jeden  N.  opticus  zu  seinem  Bulbus.  Sie  wurde  zuerst 
beschrieben  von  Vesal  (De  humani  corp.  fabrica.  Lib.  IV,  cap.  4);  Valverdus 
(Anat.  c.  h.  a  M.  Columbo  latine  reddita.  Lib.  VII,  cap.  3)  spricht  von  einer 
Theilung  beider  Nerven,  die  ihm  einige  Male  begegnet  sei:  „in  nonnuUis  divisio- 
nem  inter  utrumque  nervum  observavi."  Lösel  (Scrutinium  renum.  Eegiomonti 
1642,  p.  59)  führt  unter  anderen,  an  einem  Erhängten  beobachteten  Anomalien 
auf:  „Nn.  optici,  quos  natura  ante  insertionem  constituto  chiasmate  plerumque  de- 
cussat,  vel  rectius  sociat,  nuUibi  erant  uniti,  sed  prorsus  disjuncti."  Pabricius  ab 
Aquapendente  (De  oculo,  Visus  organo.  P.  III,  cap.  11.  Opera,  Lips.  1867,  p.  239) 
sagt  von  den  Sehnerven:  „cum  aliquando  separati,  non  vincti  reperti  sint,"  wobei 
es  zweifelhaft  bleibt,  ob  er  sich  auf  eigene  Beobachtungen  bezieht.  Endlich  findet 
sich  bei  Caldani  (Opusc.  anatomica.  Patavii  1803,  p.  40)  die  folgende  handschrift- 
liche Notiz  aus  einem  Exemplar  der  Commentarii  des  Bereu g'arius  Carpensis:  De 
anno  1520  Paduae  fecimus'anatomiam,  quam  legit  D. Nicola  usdeJanua,  ubi  vidi- 
mus  omnes,  qui  ibi  aderant,  et  praecipue  doctores  sacratissimi  CoUegii  Patavini, 
inter  quos  egoLudovicusPasinus,  vidimus,  inquam,  nervös  opticos  notabiliter  se- 
paratos,  ut  dexter  tendebat  ad  oculum  dextrum,  sinister  vero  ad  sinistrum,  unde 
quod  vidimus  testamur,  nee  veritas  habet  angulos." 

Vesal  hatte  das  Individuum,  welches  die  merkwürdige  Anomalie  darbot,  per- 
sönlich gekannt  und  sich  versichert,  dass  eine  Störung  des  Sehvermögens,  nament- 
lich Doppeltsehen,  im  Leben  nicht  bestanden  hatte. 


III.    N.   oculomotorius. 

III.  Oculo-  Bewegungsnerv  der  animalisclien  Muskeln  der  Augenhöhle  mit  Aus- 

nahme der  Mm.  rectus  ext.  und  obliquus  sup.,  Bewegungsnerv  (durch  Ver- 
mittlung des  Ggl.  ciliare)  des  M.  sphincter  iridis  und  wahrscheinlich  auch 
der  glatten  Muskelfasern,  welche  die  Accommodation  des  Auges  für  die  Nähe 
bewirken,  des  M.  ciliaris.  v.  Traut  vettert)  sah  aufEeizung  des  N.  oculo- 
motorius in  der  Schädelhöhle  das  Reflexbild  von  der  Vorderfläche  der  Linse 
sich  in  derselben  Weise  verändern,  wie  bei  der  Accommodation;  doch  gelang 
,  der  Versuch  nur  bei  Tauben  und  Hühnern,  nicht  bei  Säugethieren,  und  dass 
der  Mensch  sich  ähnlich  verhalten  werde,  wie  die  Vögel,  ist  nur  eine  Ver- 
muthung  des  Experimentators. 

Dass  der  N.  oculomotorius  vom  Ursprünge  an  sensible  Fasern  führt, 
wird,  nach  Versuchen  an  Thieren,  von  Valentin  2)  und  Adamük^)  be- 
hauptet, von  L  0  n  g  e  t  *)  und  Arnold^)  bestritten. 

Im  Stamme  des  Oculomotorius  sind  etwa  15,000  Nervenfasern  ent- 
halten (Rosenthal);  die  grosse  Mehrzahl  derselben  gehört  zu  den  starken 
(0,02  bis  0,025  Mm.  Durchm.),  feinere  Fasern  (von  0,0025  bis  0,0075  Mm. 
Durchm.)  kommen  in  Gruppen  an  der  Peripherie  des  Nerven,   selten  im  In- 


^)  Archiv  für  Ophthalmologie  Bd.  XII,  Abth.  1,  S.  95.  ^)  De  functionibus  nervo- 
rum cerebralium  et  nervi  sympathici.  Bern  1839,  p.  17.  ^)  Neerlandsch  Archief  voor 
Genees  -  en  Natuurkunde.  V,  424.  ^)  Anat.  et  physiologie  du  Systeme  nerveux.  Paris 
1842,  II,  381.     5)  Anatomie  S.  915. 


N.  oculomotorius.  349 

neren  und  ebenso  selten  einzeln  vor.  Sehr  vereinzelt  wurden  Nervenzellen, 
kugelige  und  ästige,  von  etwa  0,03  Mm.  Durchmesser,  zwischen  den  Fasern 
gefunden  ^). 

Der  N.  oculomotorius  nimmt  seinen  Ursprung  aus  dem  Oculomotorius- 
kern  (Fig.  115);  den  Ursprung  der  die  Pupille  versorgenden  Nerven  kann 
man  durch  Reizversuche  noch  weiter  rückwärts  ins  Gehirn  verfolgen  (Ada- 
mük).  Der  Stamm  tritt  an  der  medialen  Fläche  der  Grosshirnschenkel  aus 
(Fig.  111),  verläuft  zwischen  den  Aa.  cerebelli  sup.  und  cerebri  post,  (Ge- 
fässl.  Fig.  71)  lateral -vorwärts  zum  Seitenrande  des  Proc,  clinoid.  post.,  dann 
unter  der  fibrösen  Hirnhaut  (Fig.  219)  "zur  Fissura  orbit.  .sup.  und  durch 
diese  zur  Orbita. 

In  der  Fissura  orbit.  sup.  nimmt  der  Oculomotorius  die  mediale  Ecke 
zunächst  über  der  V.  ophthalmica  sup.  ein;  der  N.  trochlearis  befindet  sich 
lateralwärts  neben  ihm,  der  erste  Ast  des  N.  trigeminus,  welcher  platt  und 
mit  sagittal  gestellten  Flächen  an  der  lateralen  Fläche  der  Carotis  zur  Fis- 
sura orbit.  sup.  zieht,  berührt  mit  dem  oberen  Rande  den  lateralen  Rand 
des  N.  trochlearis  und  der  N.  abducens  liegt  unter  den  beiden  genannten 
Nerven,  in  einer  von  der  sagittalen  noch  etwas  mehr  seitwärts  abweichen- 
den Richtung.  Beim  Eintritt  in  die  Orbita  erhält  der  N.  oculomotorius 
seine  Lage  unter  dem  Trochlearis  und  dem  ersten  Aste  des  Trigeminus; 
der  erstere  wendet  sich  in  sehr  flachem  Bogen,  der  andere  gerade  über  ihn 
medianwärts,  indess  der  Oculomotorius  seinen  Lauf  in  der  ursprünglichen 
Richtung  fortsetzt. 

Die  Anastomosen,  die  dem  N.  oculomotorius  während  seines  Verlaufs  längs 
dem  Sinus  cavernosus  zugeschrieben  werden,  sind  folgende : 

«)  Mit  dem  ersten  Aste  des  N.  trigeminus,  von  dem  er  einen  oder  ein  Paar 
feine  Zweige  erhalten  soll, 

ß)  mit  dem  N.  abducens, 

y)  mit  dem  Plexus  car oticus. 

In  der  Orbita  zerfällt  der  N.  oculomotorius  in  zwei  Aeste,  deren  Tren- 
nung sich  schon  ausserhalb  derselben  vorbereitet,  einen  oberen,  dünneren, 
und  einen  unteren  stärkeren  Ast  (Fig.  232).  Der  obere  Ast  versorgt  die 
Mm.  levator  palpebrae  und  rect.  oculi  sup.,  der  untere  theilt  sich  in  drei 
Zweige  für  die  Mm.  rect.  oculi  medialis,  rect.  oculi  inf.  und  obliquus  oculi 
inf.  und  sendet  von  dem  letztgenannten  Zweige,  sogleich  nach  dessen  Ur- 
sprung, die  einfache  oder  in  mehrere  Fäden  getheilte  kurze  Wurzel  des 
Ggl.  ciliare  ab.  Der  obere  Ast  tritt  in  der  Regel  vom  medialen  Rande  her 
zwischen  die  beiden  Muskeln,  an  die  er  sich  verbreitet  und  schickt  den- 
selben alternirend  eine  Anzahl  feiner  Fäden  zu;  zuweilen  erreicht  er  den 
M.  levator  palpebrae  durch  eine  Spalte  des  M.  rectus  oculi^  sup. 

Die   drei   Zweige  des  unteren  Astes   gehen  meistens    unmittelbar   aus 


^)  Rosenthal  (De numero  atque  mensura  microscopica  fibrillarum  elementarium.  Wra- 
tisl.  1845)  hatte  dem  N.  oculomotorius  nur  starke  Fasern  zugeschrieben;  dies  berichtigten 
Bidder  und  Volkmann  (Die  Selbständigkeit  des  sympath.  Nervensystems.  Lpz.  1842,  S.  23) 
und  Reis  sner  (Archiv  für  Anat.  1861,  S.  721).  Die  Nervenzellen  im  Stamme  des  N.  ocu- 
lomotorius wurden  von  Rosenthal  entdeckt,  von  Bidder  und  Volk  m  ann  geleugnet,von  R  e  iss- 
ner bestätigt.  Rüdinger  (Die  Anat.  der  menschl.  Gehirnnerven,  S.  12)  vermuthet,  dass  sie 
den  dem   Oculomotorius  beigemischten  sympathischen  Fasei'n  angehören. 


350 


N.  oculomotorius. 


demselben  hervor;  seltener  entspringen  die  Nerven  der  Mm.  rect.  und  obliq. 
inff.  aus  einem  gemeinschaftliclien  Stämmchen;  ebenso  selten  bildet  die 
kurze  Wurzel  des  Ggl,  ciliare  einen  besonderen  Zweig.  Die  Nerven  der 
beiden  geraden  Muskeln  senken  sich  dicht  vor  dem  Ursprung  dieser  Mus- 
keln in  die  der  Axe  der  Augenhöhle  zugewandte  Fläche  derselben  mit  rasch 

Fig.  232. 


Linke  Orbita,  von  der  lateralen  Seite  geöffnet.     Verzweigung  der  Nn.  oculomotorius  und 

abducens.     M.  rectus  lateralis  [Rl)  am  Bulbus  abgeschnitten  und  abwärts  gezogen.      Ol 

M.  obliq.  inf.     Rm,  Rs,  Ri,    M.    rect.    oculi    medialis,  sup.  und    inf.      Lp  M.  Levator 

palpebr.      Gcb  kurze  Wurzel  des  Ggl.  ciliare. 


divergirenden  Aesten  ein;  der  Nerv  des  schrägen  Muskels,  der  am  meisten 
seitwärts  gelegene  der  drei  Zweige,  zieht  am  Boden  der  Orbita  vorwärts 
und  trifft  auf  den  hinteren  Rand  seines  Muskels  ungefähr  in  der  Mitte  der 
Länge  desselben  tmter  fast  rechtem  Winkel.  Während  seines  Verlaufs  am 
lateralen  Rande  des  M.  rectus  oc.  inf.  giebt  er  regelmässig  diesem'  Muskel 
einige  median-vorwärts  verlaufende  Aestchen. 

Var.  Der  Stamm  des  N.  oculomotorius  wird  von  der  A.  profunda  cerebri 
durchbohrt.    Sommer  ring. 

Unter  der  fibrösen  Hirnhaut  sah  Cruveilhier  zwei  Fäden  aus  dem  Oculomo- 
torius hervorgehen,  die  sich  vereinigten  und  zwei  feinen  Nerven  den  Ursprung 
gaben,  dem  Einen  zum  ersten  Ast  des  Trigeminus,  dem  anderen,  der  mit  dem  drit- 
ten (?)  Aste  des  Trigeminus  den  Schädel  verliess,  um  sich  am  Ursprünge  des  N. 
vidianus  mit  dem  Ggl.  nasale  zu  vereinigen.  Einen  Verbindungszweig  zwischen 
dem  oberen  Aste  des  N.  ocixlomotorius  und  dem  N.  nasociliaris  des  ersten  Astes 
des  Trigeminus  stellen  dar  S  ö  m  m  e  r  r  i n g  (Abbildungen  des  menschl.  Auges.  Taf.  III, 
Fig.  6n).  der  ihn  für  normal  hält,  imd  Svitzer  (a.  a.  O.  Taf.  II,  Fig.  5.  6). 


N.  troclilearis.  351 

Ein  überzähliger  Zweig  zum  M.  rect.  lat.  kommt  vom  oberen  Aste  des  Ocu- 
lomotorius  (Fäsebeck,  Müll.  Arch.  1842,  S.  474)  oder  vom  unteren  (Cruv.).  In 
einem  von  Generali  berichteten  Falle  (Omodei  annali  CIV,  67)  ersetzte  ein  Zweig 
des  unteren  Astes  des  Oculomotorius  den  fehlenden  Abducens  einseitig. 

Der  Zweig  zum  M.  obliq.  inf.  geht  ganz  durch  den  unteren  Theil  des  G-gl. 
ciliare  (Arnold,  Der  Kopftheil des  vegetativen  Nei'vensystems.  Heidelb.  u.  Leipzig 
1831,  S.  93).  An  einem  Präparat  unserer  Sammlung  durchbohrt  er  den  M.  rectus 
oculi  inf.  Der  Zweig  zum.  M.  rect.  inf.  wird  aus  zwei  "Wurzeln,  von  den  Zweigen 
des  Eect.  int.  und  Obliq.  inf.  zusammengesetzt  (Cruveilhier). 

Wegen  der  die  Wurzel  des  Ggl.  ciliare  betreffenden  Anomalien  verweise  ich 
auf  die  Beschreibung  dieses  Ganglion. 


IV.    N.  trochlearis. 

Bewegungsnerv   des  M.  obliquus  oculi  sup.,   enthält  vorwiegend  starke  iv.  Troch- 
Fasern  (bis  0,024  Mm.  Durchmesser) ;  feine  Fasern  (von  0,003  bis  0,004  Mm. 
Durchmesser  an)  treten  vereinzelt  oder  zu  zweien,  und  nur  an  vier  bis  fünf 
Stellen  in  Gruppen  von  sechs  bis  zehn  Fasern  auf  (Reissner). 

Entspringt  mit  einer  vorderen  Wurzel  aus  dem  Trochleariskern,  mit 
einer  hinteren  wahrscheinlich  aus  dem  Trigeminuskern  seiner  und  der  ent- 
gegengesetzten Seite  (S.  239);  gelangt,  den  Grosshirnschenkel  umkreisend, 
an  die  untere  Fläche  des  Gehirns  (S.  173),  dann  durch  eine  Spalte  der  vor- 
deren Spitze  des  Ten torium  unter  die  fibröse  Hirnhaut  (S.  311),  endlich  über 
dem  Sinus  cavernosus  zur  Fissura  orbit.  sup.  (Fig.  219).  Während  seines 
intraperiostalen  Verlaufs  liegt  der  N.  trochlearis  erst  unter,  dann  seitwärts 
neben  und  zuletzt  über  dem  N,  oculomotorius;  in  der  Orbita  verläuft  er 
unmittelbar  unter  dem  Periost  zum  M.  obliquus  oculi  sup.,  in  dessen  obere 
Fläche,  nicht  weit  vom  Ursprung  des  Muskels,  er  sich  einsenkt. 

Die  Verbindungen,    die    der  IST.    trochlearis    vor    oder   bei    dem  Eintritt  in  die    ■ 
Orbita  mit  dem  ersten  Aste  des  Trigeminus  eingehen  soll,  kommen  bei  der  Beschrei- 
bung  dieses   Nerven,    die  Verbindungen   mit   dem   Plexus  carot.  bei   der  Beschrei- 
bung des  Sympathicus  zur  Sprache. 

Bidder  will  gesehen  haben,  wie  ein  feines  Bündel  grauröthlicher  Nervenmasse 
sich  auf  dem  N.  trochlearis  gegen  den  M.  obliq.  oculi  sup.  fortsetzte. 

Var.  Der  Nerv  tritt  in  zwei  oder  mehr  Bündel  getheilt  aus  dem  Gehirn 
hervor . 

Ein  Aestchen  vom  N.  trochlearis  zum  R.  infratrochlearis  des  ersten  Astes  des 
Trigeminus  erwähnt  Murray  (Sciagraphica  nervorum  capitis  descriptio.  Upsalae 
1793,  p.  12),  zum  E,.  supratrochlearis  Arnold  (Icon.  nerv.  cap.  Tab.  III)  und  Jäger 
(Die  Varietäten  der  Oculomotoriusgruppe  etc.  Inaug. -Diss.  Giessen  1864,  S.  11), 
zum  N.  nasociliaris  Curie  (Moniteur  des  höpitaux  1858,  p.  670). 


V.    K  trigeminus. 

Der  N.  trigeminus   zeichnet  sich  vor   den   übrigen   Hirnnerven  durch  v.  Trigem. 
den  gesonderten   Ursprung  zweier  functionell  verschiedener   Wurzeln   aus. 
Wegen  der  Austrittsstelle  dieser  Wurzeln  am  Brückenschenkel  verweise  ich 
auf  S.  174,  wegen  des  Verhältnisses  zu  ihrem  Kern  auf  S.  ^21.     Von   dem     . 
unter  der  fibrösen  Hirnhaut  verlaufenden  Theile   des  Nerven  war  ebenfalls 


352  N.  trigeminus. 

bereits  die  Eede  (S.  310).  Bedeckt  von  derselben  tritt  die  breitere  Wurzel 
in  das  Ggl.  semilunare  i)  ein,  einen  platten,  halbmondförmig  gekrümmten 
Streifen  gangliöser  Substanz,  dessen  convexer  Rand  sieb  von  der  Gegend 
der  vorderen  Mündung  des  Can.  caroticus  bis  unter  die  hintere  Spitze  des 
Proc.  clinoid.  ant.  erstreckt.  Die  Wurzel  nimmt  gegen  das  Ganglion  an 
Breite  zu,  indem  die  anfangs  parallelen  Faserbündel  divergiren  und  sich 
zugleich  durch  zahlreiche  Anastomosen  zu  einem  engmaschigen  Plexus  ^) 
verbinden.  Das  Ganglion  selbst  erhebt  sich  kaum  über  das  Niveau  dieses 
Plexus  und  ragt  an  den  Seiten  mit  seinen  abgerundeten  Rändern  nur 
wenig  über  denselben  hinaus.  Es  misst  von  Einem  Seitenrande  zum  an- 
deren 14bis22Mm.  und  vom  concaven  zum  convexen  Rande  4  Mm.  Seine 
obere  Fläche  ist  fest  mit  der  fibrösen  Hirnhaut  verwachsen,  die  untere  da- 
gegen nur  locker  an  die  dünne,  glatte  Membran  angeheftet,  welche  die  Ca- 
rotis bedeckt  und  den'  Sinus  cavernosus  abgrenzt. 

Häufig  finden  sich  auf  der  olDeren  und  unteren  Fläche  des  Plexus  vor  dem 
Ganglion  seminulare  kleine  Ganglien,  welche  feine  Fäden  in  strahUger  Eichtung 
vor-  und  rückwärts  zu  den  Bündeln  der  Nervenwurzeln  und  in  das  Ggl.  semilunare 
aussenden  (Niemeyer,  De  origine  paris  quinti.  Halae  1812,  p.  75.  Nuhn,  Unters, 
imd  Beobachtungen  a.  d.  Gebiete  der  Anatomie  etc.  Heft  1,  S.  14.  Taf.  VII, 
Fig.  Ibis 5.  Luschka,  Die  Nerven  der  harten  Hirnhaut.  Tübingen  1850.  Taf.  II. 
Bochdalek,  Prager  Vierteljahr sschr.  1850.  Bd.  III,  lit.  Anz.  S.  6). 

Aus  dem  convexen  Rande  des  Ggl.  semilunare  gehen  die  drei  Haupt- 
äste hervor,  der  erste,  N.  opMhalmictis,  und  dritte,  JV.  inframaxillaris,  fast 
recktwinklig  divergirend,  jener  "gerade  vorwärts  zur  Fissura  orbitalis  sup., 
dieser  ab-  und  seitwärts  zum  Foramen  ovale.  Der  zweite  Ast,  N.  supra- 
maxillaris,  der  durch  den  Can.  rotundus  den  Schädel  verlässt,  liegt  dem 
ersten  näher,  als  dem  dritten.  Mit  dem  dritten  Ast  verbindet  sich  die 
dünnere  Wurzel,  jedoch  erst  im  Foramen  ovale  oder  dicht  oberhalb  des- 
selben. 

Durch  die  breite,  sensible  Wurzel  vermittelt  der  N.  trigeminus  die 
Tastempfindungen  an  der  grösseren  vorderen  Hälfte  des  Kopfes,  am  Ge- 
sicht, der  Stirn-  und  Schläfengegend,  in  der  Augen-  und  Nasenhöhle  und 
in  der  Mundhöhle  bis  an  den  Isthmus.  Die  Frage  nach  dem  Antheil  des 
Trigeminus  an  der  Geschmacksempfindung  wird  bei  dem  Zungenast  des- 
selben erörtert  werden.  Wegen  der  ihm  zugeschriebenen  secretorischen 
Nerven  der  Parotis  verweise  ich  auf  den  Plexus  tympanicus.  Seine  dün- 
nere Wurzel  enthält  die  motorischen  Nerven  der  Kaumuskeln  (Mm.  mas- 
seter,  temporalis,  pterygoidei),  des  M.  mylohyoideus  und  des  vorderen  Bauchs 
des  M.  biventer  mandibulae.  Der  Einfluss  des  N.  trigeminus  auf  die  Be- 
wegungen des  Gaumensegels  und  des  Paukenfells  ist  zweifelhaft.  Ob  die 
Fasern,  welche  den  M.  dilatator  pupillae  in  Bewegung  setzen,  in  dem 
Stamme  des  Trigeminus  ursprünglich  enthalten  seien,  oder  erst  im  Ganglion 
semilunare  zu  ihm  stossen,  ist  ebenfalls  unentschieden :  Balogh^)  behauptet, 
durch  Reizung  des  Stumpfes  des  Trigeminus  vor  dem  Ganglion    an  Kanin- 


')   Ggl.    Gasseri.    Ggl.  intervertebrale  capitis  ant.  Arnold.   Plexus  ganglioformis  Vieüs- 
sens.      Jntumescentia  jjlana    n.    trigemini.  ^)    Plexus    triangularis.  ^)    Meissne    's 

Jahresljericht  IBßl.      S.   454. 


N.  oplithalmicus.  353 

chenköpfen  Pupillenerweiterung  erzielt  zu  haben;  Oehl-"^)  leitet  die  die  Pu- 
pille erweiternden  Fasern  vom  Ganglion  ab.  Die  Fasern,  vermöge  deren 
der  N.  trigeminus  auf  die  Ernährung  des  Augapfels  und  der  Schleimhaut 
der  Mundhöhle  einwirkt,  kommen  erst  im  Ggl.  semilunare  hinzu:  Nutri- 
tionsstörungen  der  genannten  Theile  treten  auf,  wenn  der  Stamm  des  Tri- 
geminus im  Ganglion  oder  einzelne  seiner  Aeste  unterhalb  des  letzteren 
durchschnitten  worden;  sie  bleiben  aus  oder  sind  kaum  merklich  nach  einer 
Trennung  des  Nerven  zwischen  dem  Ursprung  und  dem  Ganglion  2). 

Beim  Kaninchen  liegen  die  vasomotorischen  (oder  trophisclien)  Nerven  am  me- 
dialen Eande  des  Nervenstammes  zusammen.  Dies  ergiebt  sich  aus  zwei  einander 
correspondirenden  Versuchen  Meissner 's  (dessen  Bericht  1867,  S.  419),  von  denen 
der  Eine,  bei  beabsichtigter  Trigeminus-Durchschneidung,  den  betreffenden  Rand 
zufällig  unversehrt  liess,  während  der  andere,  ebenso  zufällig,  jenen  Band  allein 
verletzte.  Im  ersten  Fall  blieb  die  Entzündung  aus,  obgleich  die  Empfindlichkeit 
des  Auges  vernichtet  war;  im  zweiten  folgte  der  Ojjeration  die  Entzündung  des 
Auges  bei  unversehrter  Empfindhchkeit  desselben. 


A.    Des  N.  trigeminus  erster  Ast. 
N.    oplithalmicus  3)  (F^). 

Er  ist  der  dünnste  unter  den  Aesten  des  N.  trigeminus,  platt,  3  Mm.  a.  Ophthai- 
breit.  Auf  der  Strecke,  die  er  unter  der  fibrösen  Hirnhaut  durchläuft, 
giebt  er  neben  einigen  zweifelhaften  feinen  Fäden  zu  den  Nn.  oculomo- 
torius,  trochlearis  und  abducens  und  neben  Anastomosen  mit  dem  Plexus 
caroticus  den  ebenfalls  feinen  JV.  recurrens  ab,  der  sich  zwischen  den  Blät- 
tern des  Tentorium  verbreitet.  Beim  Eintritt  in  die  Orbita  oder  kurz  vor 
demselben  zerfällt  er  in  drei  Zweige,  welche  spitzwinklig  divergirend,  der 
Eine,  N.  supraorbital  is,  gerade  vorwärts,  der  zweite,  N.  nasociUaris,  an  der 
medialen,  und  der  dritte,  N.  lacrymalis,  an  der  lateralen  Wand  der  Orbita 
vorwärts  gehen,  um  sie  theils  durch  die  vordere  Apertur,  theils  durch 
Löcher  der  Seitenwände  wieder  zu  verlassen  und  Stirn,  Augenlider,  Nase 
und  Schläfengegend  mit  sensibeln  Fasern  zu  versehen.  Entweder  geht  zu- 
erst der  Lacrymalis,  der  feinste  der  drei  Aeste,  von  dem  Stamme  des  Oph- 
thalmicus  ab,  und  dieser  theilt  sich  alsdann  in  den  Supraorbitalis,  den  stär- 
keren, und  den  Nasociliaris,  den  schwächeren  Ast,  oder  es  löst  sich  zuerst 
der  N.  nasociliaris  und  dann  der  N.  lacrymalis  vom  Stamme,  der  sich  in  den 
N.  supraorbitalis  fortsetzt.  Immer  nimmt  der  N.  nasociliaris  seinen  Ur- 
sprung von  der  unteren  Fläche  des  Stammes  und  gelangt  unter  den  an  der 
Decke  der  Augenhöhle  gelegenen  Muskeln,  dem  Levator  palpebrae  und 
Rect.  oculi  sup.,  an  die  mediale  Seite  des  Bulbus.  Er  sendet  theils  unmit- 
telbar, theils  durch  Vermittlung  des  Ggl.  ciliare  dem  Bulbus  Nervenfasern 
gemischter  Art  zu. 


micus. 


^)  Meissner's  Jahresbericht  1862,  S.  507.     ^y  Magendie,  Journ.  de    physiol.    expe- 
riment.  IV,  303.     Longet,  a.  a.  0.  II,   162.     ^)  N.  orbitalis.    Augenhölilenast.  Augennerv. 


Henlp,  Anatomie.    Bd.  IIT.    Abthlff    2. 


354 


N.  recurrens  ophtli. 


1.    N.  recurrens  (ophthalmici)  Arnold  ro'^). 

1.  Eecurr.  Der   N.  recurrens  wird  nach    Arnold   durch  einen   oder  einige   feine 

Zweige  gebildet,  die  sich  rückwärts  wenden  und  denen  sich  noch  ein  Fäd- 
chen  aus  dem  Plexus  caroticus  zugesellt.  Er  läuft  in  der  Regel  eine  kür- 
zere oder  längere  Strecke  in  der  Scheide  des  N.  trochlearis,   ohne  mit   ihm 

Fig.  233  2). 


Schädelbasis  mit  dem  Teiitorium  (l);    Sinus    transv.    (2)  und   petros.    sup.   (3)    geöffnet. 

4  Quei'schnitt  des  verlängerten  Marks.     5  A.  meningea  media,     rs  N.  recurrens  supra- 

maxillaris.     ri  N.  recurrens  inframax. 


ZU  anastomosiren  und  spaltet  sich,  nach  der  Trennung  von  ihm,  in  mehrere 
sehr  feine  Fäden,  die  im  Tentorium  zu  den  Sinus  tentorii,  petrosus  sup. 
und  transversus  verlaufen  imd  in  deren  Wandung  endigen. 

Var.     Der  Ursprung  des  N.  recurrens  liegt  unter  dem  Stamme   des    N.  trocli- 


■*)  N.  tentorii   Arnold.       R.  sinualis,    Blutleiternerve  Luschka   (Die    Nerven    in    der 
harten  Hirnhaut.     Tübingen   1850,  S.   18.  ^)  Nach    Arnold,  Icon.  nerv.  cap.  Tab.  III. 


N.  supraorbitalis.  355 

learis  und  schlingt  sich  um  denselben,  um  sodann  auf  ihm  rückwärts  zu  vei'laufen 
(Arnold.     Luschka). 

In  Betreff  der  erwähnten,  zweifelhaften  Anastomosen  des  ersten  Astes  des 
Trigeminus  sind  folgende  Angaben  zu  registriren. 

a)  Mit  dem  N.  oculomotorius.  Longet  (a.a.O.)  sagt,  die  Anastomose  beweise 
durch  ihre  Beständigkeit,  wie  nöthig  den  motorischen  Nerven,  zur  Erhaltung  der 
Regehnässigkeit  der  Contraction,  sensible  Pasern  seien.  Beck  (über  die  Verbin- 
dungen des  Sehnerven  mit  dem  Augen-  und  Nasenknoten.  Heidelb.  1847,  S.  23) 
und  Sappey  (Anat.  II,  215)  bestätigen  sie:  nach  Sappe 5^  geht  der  Verbindungs- 
ast vom  oberen  und  medialen  Bande  des  Trigeminus  ab  und  spaltet  sich  gegen 
den  Oculomotorius  in  zwei  Zweige.  Die  Anastomose  wird  bestritten  von  Arnold 
und  von  E.  Bisch  off  (Mikroskop.  Analj'se  der  Anastomosen  der  Kopfnerven. 
München  1865,  S.   12). 

ß)  Mit  dem  N.  trochlearis.  Bevor  der  ganze  Verlauf  des  N.  recurrens  bekannt 
war,  niusste  die  Verbindung  desselben  mit  dem  N.  trochlearis  den  Eindruck  einer 
Anastomose  zwischen  Trigeminus  und  Trochlearis  machen.  Auf  ein  solches  Miss- 
verständniss  ist  wohl  die  Abbildung  Sömmerring's  (Abb.  d.  menschl.  Auges, 
Taf.  III,  Eig.  5a)  und  die  Angabe  Meckel's,  der  diese  Anastomose  eine  gewöhn- 
liche nennt,  zurückzuführen.  Cruveilhier  bekämpft  die  Meinung,  dass  der  N. 
lacrymalis  vom  N.  trochlearis  stamme,  die  ich  übrigens  in  keinem  der  angesehe- 
neren Handbücher  jener  Zeit  vertreten  finde;  er  giebt  aber  zu,  dass  der  N.  lacry- 
malis sich  zuweilen  im  Grunde  der  Orbita  aus  Einem  Zweige  vom  N.  ophthal- 
micus  und  Einem  vom  N.  trochlearis  zusammensetze.  Nach  Curie  hängt  der 
N.  trochlearis  beständig  mit  dem  N.  ophthalmicus  an  der  Stelle  zusammen,  wo 
der  N.  lacrymalis  abgeht,  und  sendet  der  Thränendrüse  ein  Aestchen  zu.  Sappey 
zufolge  ist  auch  diese  Anastomose  nur  scheinbar,  ein  zum  Lacrymalis  zurückkeh- 
rendes Bündel  des  E.  ophthalmicus,  welches  eine  Strecke  im  Anschluss  an  den 
Trochlearis  durchlaufen  hat.  Luschka  (a.  a.  0.)  behauptet,  dass  bei  jeder  Ver- 
bindung zwischen  Trochlearis  und  Ophthalmicus  ein  solches  blosses  Anlegen  und 
"Wiederabgehen  nachzuweisen  sei.  In  einem  Falle,  wo  ein  kurzes  Aestchen  des 
N.  ophthalmicus  wirklich  in  die  Substanz  des  N.  trochlearis  eintrat,  gab  dieser 
einen  Ast  in  das  Eor.  ethmoid.  post.,  der,  wie  Luschka  annimmt,  die  dem  Troch- 
learis beigemischten  sensibeln  Easern  enthielt. 

y)  Mit  dem  N.  abducens.     S.  diesen. 

<y)  Mit  dem  Plexus  caroticus. 

2.    N.  supraorbitalis  so^). 

Verläuft  unter  dem  Periost  der  Decke  der  Orbita  und  auf  dem  M.  le-  2.  Supraorb. 
vator  palpebrae  gerade  vorwärts  zur  Incisura  supraorbitalis  und   giebt  auf 
diesem  Wege  zwei  Aeste  unter  spitzem  Winkel  medianwärts  ab   (Fig.  234). 

Der  erste 

a.     N.    supratrocblearis   St  ^), 

ist  der  feinste  (0,4  Mm.);  er  entspringt  meist  scbon  im  binteren  Drittel  der  a.  Supia- 

troclil. 

Orbita,  kreuzt  unter  einem  sebr  spitzen  Winkel  den  M.  obliquus  oculi  sup., 
indem  er  über  dessen  obere  Fläcbe  binziebt  und  vereinigt  sieb  an  der  me- 
dialen Seite  der  Trocblea  unmittelbar  oder  durch  eine  bogenförmige  Ana- 
stomose mit  dem  N.  infratrocblearis  (S.  363). 

Der  zweite  mediale  Ast  des  N.  supraorbitalis, 

b.    N.  frontalis   /*, 

stärker  als    der  N.  supratrocblearis,    aber  dünner,    als   der   zurückbleibende  b.  Front. 
Tbeil   des  Stammes,  gebt  in  der  vorderen  Hälfte  der  Orbita    vom  Stamme 

^)  N.  frontalis.     Stirnnei've.  ^)  Oberrolliierve.     A^.  frontonasalis  Cruv. 

23* 


356 


N.  supraorbitalis. 


ab,  verlässt  die  Orbita  mit  der  A.  frontalis  durch  die  gleicbnamige  Incisur 
und  wendet  sieb  zwischen  den  am  Stirnbein  entspringenden  Zacken  des 
M.  orbicularis  oculi  median-aufwärts,  spitzwinklig  in  Aeste  getheilt,  die 
zwischen  Fasern  des  M.  frontalis  zur  Haut  vordringen  und  bis  zur  Median- 
linie reichen.  Er  giebt  öfters  einen  quer  lateralwärts  ziehenden  Zweig 
zum  Tarsaltheil  des  oberen  Augenlides. 

Fig.  234. 


N.  ophthalmicus.  Vorderer  Theil  der  rechten  Hälfte  der  Schädelbasis.  Das  Dach  der  Or- 
bita und  ein  Theil  des  Stii-nbeins  entfernt.  Rs  Vorderer  Theil  des  M.  rectus  oculi  sup. 
Os  Vorderer  Theil  des  M.  obliq.  oc.  sup.  1  Lamina  cribrosa,  2  Crista  galli,  3  Trochlea, 
4  Thränendrüse.  r  N.  recurrens,  so  N.  supraorbitalis.  st  N.  supratrochl.  f  N.  frontalis. 
nc  N.  nasociliaris.  Gel  lange  Wurzel  des  Ggl.  ciliare,  cl  Nn.  ciliares  longi.  e  N.  eth- 
moid.    it  N.  infratrochl.    ^a  N.  lacrymalis.    fo  Anastomose  desselben  mit  dem  N.  orbitalis. 

Der  Rest  des  Stammes, 

c.    N.    siTpraorbitalis  s.  s. 

c.  Supraorb.  Schlägt   sich  in   der  Incisura   supraorbitalis   um   den   Supraorbitalrand   auf- 
wärts oder  gelangt  durch  den  Can.  supraorbitalis  zur  Stirngegend ;  er  sendet 


N.  supraorbitalis.  357 

beständig  in  der  Gegend  der  Augenbraue  einen  Zweig,  N.  palpehralis  m.  i), 
in  transversaler  Richtung  lateralwärts  zur  Haut  des  Augenlides  und  zerfällt 
durch  fortgesetzte  gabelförmige  Theilungen,  die  zuweilen  schon  vor  dem 
Austritt  beginnen,  in  immer  zahlreichere  und  feinere  Aeste,  welche  sich  bis 
auf  einige,  dem  Periost  bestimmte  Fädchen  successiv  durch  den  M.  fron- 
talis in  die  Haut  der  Stirn-  und  Scheitelgegend  begeben. 

Meine  Aufzählung  der  Aeste  des  N.  suiDraorbitalis  stmimt  mit  der  von  C. 
Krause  überein  bis  auf  die  nur  formale  Differenz,  dass  Krause  den  Endast,  R. 
supraorbitalis,  mit  den  Nn.  frontalis  und  supratroclilearis  als  Theilungsäste  Eines 
Stammes,  des  Frontalis,  beschreibt.  Die  meisten  Autoren  erwähnen  nur  zwei 
Aeste,  einen  Supraorbitalis  und  Supratrochlearis  (Hyrtl)  oder Prontalis  ext.  und  int. 
(Cruveilhier)  oder  Frontalis  major  und  minor  (Weber-Hildebr.).  J.F.Meckel 
(De  quintoparenerv.  cerebri.  Ludwig,  Script. neurolog.  min. I,  169), Bock undCru- 
V  eilhi  er  führen  einenNerven  vom  Verlauf  unseres  Supratrochlearis  als  Varietät  an, 
der  jedoch  nach  Bock  den  M.  obliq.  oculi  sup.  an  dessen  unterer  Fläche  kreu- 
zen soll.  Valentin  lässt  den  Supratrochleai'is  sich  in  zwei  Aeste  theilen,  von 
denen  der  laterale  mit  unserem  Frontalis  übereinkommt.  In  der  That  vertheilen 
sich  die  Fasern  des  Supraorbitahs  häufig  auf  zwei  Aeste  dergestalt ,  dass  ein 
Nerve  vom  Verlaufe  des  Frontalis  zugleich  den  Supratrochlearis  repräsentirt  oder 
die  Fasern  des  Frontalis  theils  in  den  Endast  des  Supraoi'bitalis,  theils  in  den 
Supi-atrochlearis  aufgenommen  werden.  Ob  die  Verästeluugsweise ,  die  ich  als 
Norm  aufstelle,  die  häufigste  sei,  möchte  ich  nach  der  massigen  Anzahl  von  Prä- 
paraten, die  mir  vorgelegen,  nicht  entscheiden;  für  die  regelmässige  scheint  sie 
mir  deswegen  angesehen  werden  zu  dürfen,  weil  so  der  Verbreitungsbezirk  der 
Nerven  am  meisten  dem  der  gleichnamigen  Arterien  entspricht. 

a)  Durch  eine  constante  Oeffnung  in  der  Incisura  supraorbitalis  tritt  ein 
Zweig  des  N.  supraorbitalis  in  das  Stirnbein.  Nach  Cruveilhier  gelangt  er  in 
einen  Knochencanal,  der  in  der  Gegend  des  Stirnhöckers  ausmündet,  giebt  während 
seines  Verlaufes  durch  den  Canal  feine  unter  dem  Periost  sich  verbreitende  Fäden 
ab  und  endet  nach  dem  Austritt  als  Hatitnerve.  Kobelt  (Arnold's  Anat.  I, 
245)  betrachtet  ihn  als  reinen,  zur  Verbreitung  in  der  Schuppe  des  Stirnbeins  be- 
stimmten Knochennerven;  zuweilen  sah  er  die  Reiser  desselben  an  der  inneren 
Fläche  der  Schuppe  eiae  Strecke  weit  blossliegen  und  dann  wieder  in  die  Kno- 
chensubstanz zurückkehren. 

ß)  Wrisberg  (Not.  125  ad  Haller  prim.  lin.  physiol.  Gott.  1780)  beschreibt 
einen  in  den  Sinus  frontalis  eintretenden  Ast,  der  aus  einem  Ganglion  komme, 
zu  welchem  je  sin  Ast  der  Nn.  supraorbitalis  und  supratroclilearis  sich  vereinigen 
sollen.  Bock  (a.  a.  O.  Taf.  II,  51)  bildet  einen  Zweig  des  Supratrochlearis  ab, 
von  dem  er  sagt,  dass  er  nicht  selten  vorkomme  und  durch  die  Stirnhöhle  zur 
Stirne  verlaufe. 

Var.  Nach  Meckel  (a.  a.  0.)  geht  der  Ast  des  N.  supraorbitalis,  den  er 
supratrochlearis  nennt,  zuweilen  zwischen  den  Aufliängebändern  der  Trochlea  hin- 
durch. Ich  sah  den  N.  supratrochlearis  Einmal  am  lateralen  Rande  des  supra- 
orbitalis entspringen  und  in  eüiem  weiten  Bogen  erst  seitwärts,  dann  unter  dem 
Stamm  medianwärts  ziehen.  Turner  (Journ.  of  anat.  2.  Ser.,  Nr.  IX,  p.  160) 
sah  aus  dem  N.  supraorbitalis  einen  N.  infratrochlearis  entspringen,  der  sich  unter 
der  Trochlea  mit  dem  normalen  N.  infratrochlearis  aus  dem  Nasociliaris  ver- 
zweigte. Von  den  Anastomosen  der  Nn.  supratrochlearis  und  trochlearis  war  bei 
dem  letzteren  (S.  351)  die  Rede. 


1)  Die  übliche  Scheidung  der  Aeste  in  frontales  s.  ascendentes  und  palpehrales  s.  des- 
cendentes  ist  nicht  naturgemäss,  da  dieser  Nerve  nur  Einen  und  zwar  transversalen  Palpe- 
bralzweig  abgiebt. 


358 


N.  nasociliaris. 


3.    N.  nasociliaris  nC^). 

3.  Nasocii.  Giebt  zuerst,  meist  noch  ausserhalb    der  Orbita,   die  lange  "Wurzel  des 

Ggl.  ciliare  ab,  ein  feines  Aestcben,  welches  an  der  lateralen  Seite  des  N, 
opticus  gerade  vorwärts  läuft;  dann,  während  er  über  dem  N.  opticus  hin- 
wegschreitet, einen  oder  ein  Paar  Nn.  ciliares  long%  die  auf  dem  genannten 
Nerven  zum  Bulbus  gelangen.  Unter  dem  medialen  Eande  des  M.  rectus 
oculi  sup.  spaltet  sich  der  N.  nasociliaris  rechtwinklig  in  zwei  nahezu  gleich 
starke  Aeste,  die  Nn.  ethmoidalis  und  infratrocMearis,  von  denen  der  erstere 
medianwärts  gegen  das  For.  ethmoid.  ant.,  der  andere  vorwärts  geht,  um 
sich  an  der  medialen  Seite  der  Trochlea  mit  dem  N.  supratrochlearis  zu 
vereinigen. 

ß)  Luschka  (Müll.  Arch.  1857,  S.  321)  beschreibt  ausserdem  einen  J?.  Sj9/^en0- 
ethmoidalis  nervi  nasociliaris,  ein  meist  niir  0,1  Mm.  dickes,  kaum  30  Primitiv- 
fasern enthaltendes  Pädchen,  welches  über  dem  Ursprünge  des  M.  rectus  oculi 
medialis  oder  durch  diesen  Muskel  oder  den  M.  obliquus  sup.  das  For.  ethmoid. 
post.  erreicht  und  durchsetzt,  und  sich  in  der  Schleimhaut  der  Wespenbeinhöhle 
und  der  hinteren  Siebbeinzellen  verästelt.  Es  entspringt  zuweilen  aus  dem  An- 
fange des  N.  ethmoid. 

Var.  Aus  dem  Stamm  des  N.  nasociliaris  gehen  Zweige  zu  den  Mm.  recti 
oculi  int.  und  sup.  und  dringen  in  diese  Muskeln  entweder  unmittelbar  oder  ver- 
bunden mit  den  Aesten  des  N.  oculomotorius  (C.  Krause).  Aeste  des  N.  nasoci- 
liaris zum  M.  levator  palpebrae  erwähnt  Fäsebeck  (Müll.  Archiv  1839,  S.  71). 
Der  N.  nasociliaris  bildete  sogleich  nach  seiner  Trennung  vom  Stamme  ein  Gan- 
glion, welches  einen  zurücklaufenden  Ast  abgab,  der  wieder  durch  einen  anasto- 
mosirenden  Ast  mit  den  Nn.  oculomotorius  und  abducens  verbunden  war  (Svitzer, 
Variat.  der  Verzweigung  der  Augennerven.     Kopenh.  1845,  Fig.  8). 


a.    Ead.  l. 
CtkI.  ciliar. 


a.    Die   lange  Wiirzel^)   des   Ganglion   ciliare^) 
und  das   Ganglion. 

Das  Ganglion  ciliare  (Fig.  235)  ist  ein  platter,  vierseitiger  Körper  von  etwa 
2  Mm.  Seitenlänge,  an  der  lateralen  Seite  des  N.  opticus  und  hinter  der 
Mitte  seiner  Länge  (vom  Eintritt  in  die  Orbita  gerechnet)  so. auf  die  Kante 
gestellt,  dass  die  Eine  Fläche  dem  Opticus  zugekehrt,  jedoch  durch  eine 
dünne  Fettlage  von  ihm  getrennt  ist.  An  dem  hinteren  oberen  Winkel 
nimmt  das  Ganglion  die  lange  Wurzel  auf;  in  den  hinteren  unteren  Winkel 
senkt  sich  von  der  medialen  Seite  her  die  kurze  Wurzel  ein,  durch  die  das 
Ganglion  dicht  an  den  Zweig  des  N.  oculomotorius  angeheftet  wird,  der 
dem  M.  obliquus  oculi  inf.  zustrebt;  zwischen  der  langen  und  kurzen  Wur- 
zel oder  mit  der  ersteren  vereint  tritt  die  sympathische  Wurzel  an  den 
hinteren  Rand  des  Ganglion.  Den  Wurzeln  gegenüber  am  vorderen  Rande, 
häufig  ebenfalls  von  den  beiden  Ecken  und  in  zwei  Büschel  getheilt,  gehen 
die  Ciliar  nerven,  Nn.  ciliaris  hreves,  ab,  6  bis  10  an  der  Zahl,  durch  spitz- 
winklige Theilung  sich  vor  dem  Eintritt  in  den  Bulbus  auf  12  bis  18  ver- 


^)  N.  naso-ocularis  s.  oculo-nusalis 
dix  longa  sup,  ^)    Ggl.  ophthalmicum. 

knoten. 


Nasenast.     Nasenaugennerve.      ^)    Ra- 
Ggl.  lenticulare.     Linsen-  oder  Blendungsnerven- 


G,al.  ciliare. 


359 


vielfältigend.     Auf  dem  Wege  zum  Bulbus  begeben  sie  sich  so  auseinander, 
dass  die  oberen  Nerven  zugleich  die  laterale,  die  unteren  die  mediale   Seite 


Fig.  235. 


des  N.  opticus  umfassen. 
Von  den  letzteren  ver- 
einigt sich  beständig 
Einer  mit  einem  der  Nn. 
ciliares  longi  (Fig.235); 
Einer  trennt  sich  von 
den  übrigen,  um  am  vor- 
deren Theil  des  Bulbus 
die  Sclera  zu  durchboh- 
ren; die  übrigen  drin- 
gen im  Umkreise  und 
in  der  Nähe  der  Ein- 
trittsstelle des  N.  opti- 
cus in  schräger  Rich- 
tung durch  die  Sclera 
und  laufen  in  seichten 
Binnen  derselben  abge- 
plattet, 0,2  bis  0,5  Mm. 
breit,  der  Eine  oder  an- 
dere nochmals  gabel- 
förmig getheilt  zum  Ci- 
liarmuskel.  Sie  senden 
unterwegs  der  Choroidea  feine  rücklaufende  Fädchen,  beginnen  vor  dem 
Eintritt  in  den  Muskel  sich  zu  verästeln,  und  bilden  in  demselben  ein  Ge- 
flecht, aus  welchem  der  Muskel  selbst,  die  Iris  und  die  Cornea  ihre  Aeste 
beziehen  (vgl.  Eingeweidelehre,  S.  590,  619  u.  628). 


Ganglion  ciliare.  Linker  Bulbus,  von  der  lateralen  Seite, 
mit  den  Muskeln ;  ein  Stück  des  N.  opticus  ausgeschnitten, 
der  vordere  Theil  der  äusseren  Augenhaut  entfernt.  Rs 
M.  rect.  oculi  sup.  Rm,  Ri  M.  rect.  oculi  med.  u.  inf.  Rl 
M.  rect.  oculi  lat.  zurückgeschlagen.  1  C.  ciliare.  2  Orbic. 
eil.  3  Choroidea.  4  Sclera.  IFIs  Stumpf  des  abgeschnit- 
tenen oberen  Astes  des  N.  oculomotorius.  Ifli  unterer 
Ast  desselben  Nerven,  die  Zweige  zum  N.  oculi  inf.  und 
med.  kurz  abgeschnitten,  la  N.  lacrym.  so  N.  supraor- 
bitalis.     MC  N.  nasocil.     gcs  Kad.  sympathica  Ganglii    eil. 


ß)  Nach  Giraldes  (etudes  anatomiques  sur  roeil.  These  inaug.  Paris  1836) 
und  Beck  (a.  a.  O.,  S.  19)  entstehen  aus  dem  Plexus  der  Ciliarnerven  feine  Fäd- 
chen, welche  die  Sclera  am  vorderen  Eande  durchbohren  und  sich  in  der  Con- 
junctiva  verästeln. 

ß)  Long  et  sah  feine  Fäden  aus  dem  Ggl.  ciliare  entspringen,  die  sich  mit 
der  A.  centralis  retinae  zum  N.  opticus  begaben.  Chaussier  und  Eibes  (Meck. 
Arch.  IV,  619)  erwähnen  einen  Zweig  vom  Ggl.  ciliai-e  zur  A.  centralis  retinae; 
Kusel  soll,  wie  Hirzel  berichtet  (Tiedemann  und  Treviranus,  Ztschr.  für 
Physich  I,  227),  einen  solchen  Zweig  bis  in  den  N.  opticus  verfolgt  und  Tiede- 
mann (ebendas.  S.  225)  und  Langenbeck  (Icon.  fasc.  III,  Tab.  XVIII,  Fig.  2) 
wollen  seine  Ausbreitung  auf  der  äusseren  Fläche  der  Retina  gesehen  haben. 
Hyrtl  (Oesterr.  med.  Jahrb.  XXVIII,  8)  und  Beck  (a.a.O.  S.  13),  welche  die  an 
den  N.  opticus  herantretenden  Fäden  der  mikroskopischen  Prüfung  unterwarfen, 
behaupten  in  denselben  nur  Bindegewebsbündel  oder  Gefässe  erkannt  zu  haben. 
Auch  ich  habe  solche  Fädchen,  welche  von  Ciliarnerven  zum  N.  opticus  traten, 
mikroskopisch  untersucht  und  mich  überzeugt,  dass  sie  in  einer  allerdings  unver- 
hältnissmässig  mächtigen  Scheide  dunkelrandige,  zum  Theil  starke  Fasern  einschliessen. 
So  enthielt  z.  B.  ein  Fädchen  von  0,21  Mm.  Durchmesser  in  seiner  Axe  ein  0,06 
Mm.  starkes  Nervenfaserbündel.  Die  Nervenfasern  durchdringen  aber  die  Scheide 
des  Opticus  nicht,  sondern  bilden,  wie  bereits  Sappey  (Journal  de  l'anat.  1868, 
p.  47)  angiebt,  Plexus  auf  der  äiTsseren  Fläche  derselben. 

Var.  Das  Ggl.  ciliare  ist  zuweilen  von  geringem  Umfange,  vielleicht  durch 
Vertheilung  der  Nervenzellen  längs  den  ein-  oder  austretenden  Nerven.     Die    An- 


360  Ggl.  ciliare. 

gaben,  denen  zufolge  es  vollständig  gefehlt  haben  soll,  verdienen,  weil  die  mikro- 
skopische Prüfung  unterblieb,  kein  volles  Vertrauen.  Günz  (Hippocratis  de  humo- 
ribus  purgandis  liber  etc.  Lips.  1745,  p.  223,  Not.  94)  bemerkt  nur  beiläufig  bei 
Erwähnung  des  Ganglion,  dass  es  „interdum  deest".  Svitzer  (a.  a.  0.,  Kg.  4) 
beobachtete  Einen  Fall  und  Hallett  (aus  d.  Med.  times  in  Gazette  med.  1848. 
Nr.  21  u.  21  bis)  zwei  Fälle,  in  welchen  die  durch  den  Abgang  der  Ciliarnerven 
bezeichnete  Vereinigimgsstelle  der  beiden  Wurzeln  ohne  jede  Anschwellung  und 
ohne  veränderte  Färbung  war.  Auch  Hyrtl  will  öfters,  namentlich  bei  hellen 
Augen,  statt  des  Ganglion  ein  lockeres  Geflecht  gefunden  haben.  Derselbe  sah 
das  Ganglion  zuweilen  von  einer  der  grösseren  Ciliararterien  durchbohrt  und 
Schlemm  (Observ.  neurol.  Berol.  1834,  p.  15)  gedenkt  eines  Falles,  wo  ein  Ciliar- 
nerve  mit  zwei  so  kurzen,  eine  Ciliararterie  umfassenden  Fäden  aus  dem  Ganglion 
entsprang,  dass  dieses  selbst  von  der  Arterie  durchbohrt  schien.  Die  kurze 
Wurzel  soll  gefehlt  haben  in  einem  von  Svitzer  (Fig.  20)  abgebildeten  Präparat, 
welches  zwei  lange  Wurzeln  aus  dem  N.  nasociliaris  und  einen  von  dem  Ganglion 
rückwärts  gerichteten  Faden  zeigt,  welchen  Svitzer  in  die  Scheide  des  N.  op- 
ticus verfolgte.  Zuweilen  verlängert  sich  die  kurze  Wurzel,  oder  entspringt  aus 
dem  unteren  Ast  des  N.  oculomotorius  vor  dessen  Theilung  (Svitzer,  Fig.  13. 14) 
oder  sie  wird  von  eineni  oder  mehreren  längeren  Zweigen  aus  dem  unteren  Aste 
des  N.  oculomotorius  begleitet  (Cruveilhier.  Valentin,  Müll.  Arch.  1840, 
S.  291,  Svitzer,  Fig.  12,   13). 

Die  lange  Wurzel  fehlt  in  einem  von  Hirzel  (a.  a.  0.  S.  217)  beschriebenen 
Fall;  sie  war  sehr  kurz  in  dem  eben  erwähnten  Valentin 'sehen  Präparat,  wo 
ihre  Stelle  von  einer  ungewöhnlich  starken  sympathischen  Wurzel  eingenommen 
wurde.  Der  Ursprung  der  langen  Wurzel  versetzt  sich  zurück  auf  den  N.  oph- 
th_almicus  (Win slow,  Expos,  anat.  III,  149,  Svitzer,  Fig.  13  bis  17)  oder  auf 
das  Ggl.  semilunare  (Hirzel,  a.  a.  0.).  Svitzer  (Fig.  3)  sah  sie  vom  Stamme 
des  N.  supraorbitalis,  Pye-Smith,  'Howse  und  Davies-Colley  (Guy'-s  Hosp. 
rep.  3^  series  XVI,  160)  sahen  sie  vom  Lacrymalis  ausgehen.  Eine  phj'siologisch 
interessante  Varietät  wurde  zuerst  von  Morgagni  (Epist.  anat.  Venet.  1740, 
p.  237),  dann  von  J.  F.  Meckel  (Ludwig,  script.  neurol.  I,  174)  als  grosse  Sel- 
tenheit beschrieben  und  von  Svitzer  zwei  Mal  (a.  a.  0.  Fig.  ll  und  14)  wieder 
gefunden :  eine  lange  Wurzel  des  Ggl.  ciliare  entsprang  mit  der  kurzen  vom 
N.  oculomotorius,  in  einem  der  Svitzer'schen  FäUe  vom  oberen  Aste  dieses 
Nerven,  und  die  gewöhnliche  lange  Wurzel  aus  dem  N.  nasociliaris  fehlte.  Da 
die  motorischen  Fasern  des  Einen  Nerven  die  sensibeln  des  anderen  nicht  zu 
vertreten  vermögen,  so  kann  man  nur  annehmen,  dass  entweder  der  Oculomo- 
torius während  des  Verlaufs  neben  dem  N.  oj)hthalmicus  Fasern  von  demselben 
aufgenommen  habe,  um  sie  in  der  Orbita  wieder  abzugeben,  oder  dass  die  beiden 
Wurzeln  aus  dem  Oculomotorius  motorisch  waren  und  eine  andere  Quelle  sen- 
sibler Fasern  des  Ganghon  übersehen  wurde  oder  der  Bulbus  seine  sensibeln 
Aeste  aus  einer  anderen  Quelle,  als  dem  Ganglion,  bezog. 

Einzig  steht  die  von  Otto  (Seltene  Beob.  I,  108)  notirte  Thatsache  da  vom 
Ursprünge  des  N.  nasociliaris  und  mithin  auch  der  langen  Wurzel  des  Ggl.  ciliare 
und  der  Nn.  ciliares  brev.  vom  N.  abducens.  Ursprung  einer  langen  Wurzel  allein 
vom  N.  abducens  bei  Mangel  der  langen  Wurzel  aus  dem  N.  nasociliaris  beobach- 
tete Betzius  (aus  Ars-berättelse  oni  Svenska  Läkare - Sällsskapets  - Arbeten  in 
Schmidt 's  Jahrb.  XXVII,  9). 

Ueberzählige  Wurzeln  kommen  hinzu :  1)  Aus  dem  oberen  Ast  des  N.  oculo- 
motorius (Schlemm,  Observ.  neurolog.  p.  15.  Hyrtl,  Med.  Jahrb.  des  österr. 
Staats  XXVIII,  10  [4  Mal].  Lanz  bei  Valentin  a.  a.  0.  S.  309.  Svitzer,  a. 
a.  0.  Fig.  10);  in  dem  Schlemm'schen  und  Lanz' sehen  Falle  legte  sich  die  ac- 
cessorische  Wurzel  an  die  normale  lange  Wurzel  vor  deren  Eintritt  in  das  Gang- 
lion an.  2)  Aus  dem  N.  lacrymalis  (Hyrtl,  a.  a.  O.  S.  10).  3)  Aus  dem  Ggl- 
nasale.  Ein  von  Tiedemann  entdeckter  und  in  Arnold's  Dissertation  (De 
parte  cephalica  n.  sympath.  Heidelb.  1826,  Fig.  IV,  19)  abgebildeter  Faden  ver- 
lief von  der  inneren  Fläche  des  Ggl.  sphenopalatinum  durch  die  Fissura  orbit.  inf. 
in  die  Augenhöhle  und  über  den  unteren  Ast  des  N.  oculomotorius,  mit  der  von 
diesem   abgegebenen    kurzen   Wurzel    genau   verbunden,   zum    Ggl.    ciliare.      Nach 


Nn.  ciliares  longi.  361 

Hyrtl  (a.  a.  O.  S.  7)  kommt  dieser,  die  beiden  Ganglien  verbindende  Faden  nur 
bei  Leichen  mit  starken  Fascien  und  derbem  Knochenbau  vor  und  erweist  sich 
bei  mikroskopischer  Untersuchung  als  ein  fibröses  Bälkchen,  Portsetzung  der  Fas- 
cie,  die  den  Inhalt  der  Fossa  sphenomaxillaris  in  isolirende  Scheiden  einhüllt. 
Valentin  dagegen  (a.  a.  0.  S.  313)  vermisste  den  fraglichen  Faden  zwar  in 
vielen  Fällen,  vermochte  aber  in  anderen  die  nervöse  Natur  desselben  mikrosko- 
pisch zu  constatiren.  4)  Aus  dem  N.  abdiicens  (Petit,  Mem.  de  l'acad.  d.  scien- 
ces  1726,  p.  69.  Longet  a.  a.  0.  II,  111.  Hyrtl  a.  a.  0.  S.  9.  Adamük,  Neer- 
landsch  Archief  voor  genees-en  natuurk.  V,  424).  Der  letztere  fand  die  Varietät 
unter  42  Fällen  drei  Mal;  sie  erklärt,  warum  die  Pupille  zuweilen  auf  Heizung 
des  N.  abducens  sich  verengt. 

Ein  accessorisches  Ggl.  cihare  {Ggl.  ophthalm.  secundarium  sup.  Sv.)  an  der 
medialen  Fläche  des  K  opticus  beschreiben  Fäsebeck  (Müll.  Arch.  1839,  S.  71) 
und  Svitzer  (a.  a.  0.  Fig.  9);  Svitzer  führt  ferner  (Fig.  6,  7)  ein  Ggl.  ophthalm. 
secund.  inferhis  auf,  welches  in  zwei  Fällen  den  Vereinigungswinkel  anastomo- 
sirender  Aeste  unterer  Ciliarnerven  eingenommen  haben  soll.  Adamük  (a.  a.  O.) 
kam  zweimal  ein  accessorisches  Gangl.  ciliare  vor. 

Oefters  geben  noch  vor  ihrer  Vereinigung  zum  Ganglion  sowohl  die  kurze, 
als  die  lange  Wurzel  Ciliarnerven  ab.  Von  der  kurzen  Wurzel  sahen  sie  Schlemm 
(a.  a.  0.  S.  15),  Fäsebeck  (Die  Nerven  des  Kopfs,  S.  3)  und  Svitzer  (a.  a.  0. 
Fig.  19),  von  der  langen  Meyer  (Beschreibung  d.  m.  Körpers.  VII,  112)  und 
Weber-Hildebrandt  (S.  449).  Einen  Faden  von  der  langen  Wurzel  zum  N. 
lacrymalis  beschreibt  Schlemm  (S.  14),  Fäden  zu  den  in  die  Mm.  rect.  oc.  sup. 
und  levator  palpebrae  sich  einsenkenden  Zweigen  des  N.  oculomotorius  Fäsebeck 
(Müll.  Arch.  1839,  S.  71)  und  Svitzer  (Fig.  16).  Aus  dem  Ggl.  ciliare  verfolgte 
Beraud  (Gaz.  Med.  1858,  Nr.  36)  Ein,  W.  Krause  (Ztschr.  für  rat.  Med.,  3.  E., 
XXIII,  53)  zahlreiche  Fädchen  in  Begleitung  der  A.  lacrymalis  zur  Thränendrüse. 
Nach  Arnold  treten  aus  dem  Ganglion  ciliare  zuweilen  feine  Zweige  zu  den 
Mm.  rect.  und  obliq.  inff.,  die  aber  nicht  in  der  Substanz  des  Ganglion,  sondern 
aus  der  kurzen  Wurzel  entspringen  und  im  Bande  des  Ganglion  verlaufen,  ohne 
Fäden  von  ihm  zu  empfangen. 

Als  Radix  recurrens  s.  longa  inf.gangln  ciliaris  bezeichnet  Hyrtl  (a.  a.  0. 
S.  11)  einen  Nerven,  von  dem  es  zweifelhaft  ist,  ob  er  als  Wurzel  oder  als  peri- 
pherischer Ast  des  Ganglion  zu  betrachten  sei.  Vielleicht  führt  er  Fasern  beider 
Kategorien.  Hyrtl  lässt  ihn  aus  dem  N.  nasociharis  vor  dem  Ganglion  entsprin- 
gen und  nach  aus-  und  rückwärts  zum  vorderen  Winkel  des  letzteren  verlaufen. 
Sechszehn  Mal  sah  er  ihn  als  selbständigen  Ast  von  der  Stärke  der  langen  Wurzel ; 
in  anderen  FäUen  wäre  er,  nach  Hyrtl's  Meinung  in  der  Anastomose  enthalten, 
die  einer  der  kurzen  Cüiarnerven  mit  dem  langen  bildet:  ein  Theil  der  Fasern 
dieser  Anastomose  stamme  vom  N.  nasociliaris,  laufe  im  langen  Ciliarnerven  vor- 
wärts und  in  dem  anastomotischen  Ast  des  kurzen  Ciliarnerven  zurück  zum 
Ganglion. 

b.    Nn.  ciliares  longi    Cl^). 

Sind  in  ihrem  Verlauf  von  den  aus  dem  Ganglion   entspringenden  Ci-  b.  cm.iongi. 
liarnerven  nicht  zu  unterscheiden  (Fig.  234.  235). 

c.    N.  ethmoidalis   e'^). 

Nachdem   dieser  Nerve  über   dem   oberen  Rande    des    M.  rectus  oculi  c.  Bthmoid. 
medial,  mit  der  gleichnamigen   Arterie   das   For.   ethmoidale    erreicht   und 
durchsetzt  hat,  wendet  er  sich  vorwärts  und  zieht  unter   der   fibrösen  Hirn- 


1)    Nn.    cill.    longi    interni    Krause.  ^)    N.    nasalis    Winslow.     N.    nasalis    ant 

Krause.     N.  nasalis  int.  Cruv.     Riechbeinnerve. 


362 


N.  etlimoidalis. 


haut  auf  der  Siebplatte  des  Siebbeins  zu  der  am  vordereuEande  derselben  be- 
findlicben  spaltförmigen  Oeffnung  (Kuochenlehi-e,  Fig.  113  *),  die  aus  derScbä- 

Fio-.  236. 


Linke  Kopfhälfte,  von  innen,  mit  dem  oberen  Ende  medianwärts  geneigt,  nm  zugleich  mit 
der  Seitenwand  der  Käse, .  die  Augenhöhle,  deren  Decke  weggenommen  ist,  und  die  Lämina 
cribrosa  des  Siebbeins  zu  sehen.  *  Hinterer  Eand  der  Basis  der  Crista  galli.  it  N.  infra- 
trochlearis.  Der  Knorpel  des  Xasenflügels  ist  unter  der  Apertura  pvriformis  durchschnitten 
und  die  untere  Schnittfläche  medianwärts  herabsebogen. 


deLhöble  in  die  Xasenhölilefülu't(Fig.  236).  In  der  ISTasenliölile  angelangt,  theilt 
er  sieb  in  einen  medialen  und  einen  lateralen  Zweig  ^),  jenen  für  die  Scbeide- 
wand,  diesen  für  die  Seitenwand  der  Kasenböhle.  Der  mediale  Ast  2)  Ver- 
läuft unter  der  ScKleimbaut  vor-  und  im  Bogen  rückwärts:  seine  Zweige 
lassen  sich  bis  zur  Mitte  der  Höhe  der  Scheidewand  verfolgen.  Der  late- 
rale Ast  •^)  läuft,  Zweige  rückwärts  an  die  Muscheln  abgebend,  im  Sulcus 
ethmoidalis  des  Xasenbeins  (Knochenl.  Fig.  173)  herab,  dringt  durch  das 
Bindegewebe,   welches  den  Eäiorpel   des    Xasenrückens    an    den    Eand  der 


•'•)  C.  Krause  vereinigt    sie  unter  dem  Namen    der  Nn.  nasales    antl.  interni.       ^)  N. 
anterior    septi    CruT.     R.    septi    Arnold.  ^)    N.   parieiis    externi    Cruv.      R.    concTia- 

rum  Val. 


N.  inlratrochlearis.  363 

Apertura  pyriforinis  befestigt,  aus  der  Nasenhöhle  hervor  ^)  und  theilt  sich 
in  zwei  bis  drei  Aeste,  die  die  Cutis  der  Nasenspitze  und  des  Nasenflügels 
versorgen. 

c()  Meckel  (p.  177)  sah  den  Nerven  auf  dem  "Wege  ans  der  Schädel-  in  die 
Stirnhöhle  feine  Aestchen  zur  Schleimhaut  der  letzteren  abgeben.  Auch  Langen- 
beck  (Xervenl.  S.  66)  schreibt  dem  N.  ethmoidalis  Aeste  zur  Schleimhaut  der 
Stirnhöhle  und  der  Torderen  SiebbeinzeUen  zu  und  bildet  ein  Aestchen  zur  Stirn- 
höhle ab  (Fase.  LH,  Fig.  2,  Kr.  3).  Valentin  (Xervenl.  S.  345)  tonnte  dies  Aest- 
chen nur  Einmal  wieder  finden,  öfter  die  feinen  Fäden  zu  den  Siebbeinzellen. 
Scarpa  (Annot.  acad.  II,  65)  bestreitet  deren  Existenz. 

Var.  Nach  Meckel  beschränken  sich  die  Yerzweigungen  des  N.  ethmoidalis 
häufig  auf  die  Scheidewand  der  Nase.  Hildebrandt  (Weber-H.  S.  447)  sah 
bisweilen  schon  aus  dem  For.  ethmoidale  Aestchen  zur  Nasenhöhle  und  einen 
zarten  Zweig  auf-  und  vorwärts  zujn  Bücken  der  äusseren  Nase  verlaufen.  Bock 
(S.  18)  beschreibt  einen  überzähligen  Ethmoidalnerven,  der  durch  das  For.  ethmoid. 
post.  in  die  Schädelhöhle  tritt,  anfangs  denselben  Verlauf  hat,  wie  der  regelmässige 
N.  ethmoid.,  aber  in  der  Schleimhaut  der  Nasenhöhle  endigt.  Bankart,  Pye- 
Smith  und  Phillips  (Guy's  hosp.  rep.  XIV,  436)  sahen  den  eigentlichen  N. 
ethmoidalis  durch  ein  For.  ethmoid.  post.  in  die  Schädelhöhle  gelangen. 

d.    N.  infratrochlearis     it^). 

Läuft  parallel  dem  N.  supratrochlearis,  aber  unter  dem  M.  obUq.  oc.  d.  infra- 
sup.,  zur  lateralen  Seite  der  Trochlea  und  theilt  sich  vor  der  letzteren  in 
zwei  Aeste.  Der  obere  Ast  bildet  mit  dem  N.  supratrochlearis  die  (S.  355) 
erwähnte  Schlinge,  aus  welcher  feine  Fäden  hervorgehen,  die  sich  zwischen 
den  Zacken  des  M.  orbicularis  oculi  theils  medianwärts  zur  Haut  des  me- 
dialen Augenwinkels,  der  Nasenwtu'zel,  auch  wohl  des  untersten  Theils  der 
Stirne,  theils  lateralwärts  zum  Tarsaltheil  des  oberen  Augenlides'^)  begeben. 
Der  untere  Ast  versieht  den  Thränensack  und  die  Schleimhaut  des  medialen 
Augenwinkels;  er  erreicht  mit  seinen  Endzweigen  ebenfalls  die  äussere 
Haut  dieser  Gegend  und  anastomosirt  mit  Zweigen  der  Nn.  facialis  und  in- 
fraorbitalis. 

Der  Thränensackzweig  dieses  Nerven  hat  nach  Bock's  Beschreibung  (a.a.O. 
S.  16)  einen  sonderbaren  Verlauf.  Er  geht  über  dem  Thränenbeinursprung  des 
M.  orbicularis  oculi  entweder  durch  ein  besonderes  Loch  des  Thränenbeins  oder 
dui'ch  die  Naht  zwischen  Thränen-  und  Stirnbein,  beugt  sich  hinter  dem  oberen 
Eande  des  Thränenbeins  vorwärts  und  kommt,  gegen  die  Nasenhöhle  von  der 
Schleimhaut  der  Siebbeinzellen  gedeckt,  in  dem  "SVinkel,  in  welchem  Thränen-, 
Stirn-  und  Oberkieferbein  zusannnenstossen ,  wieder  zmn  Vorschein  durch  ein 
Spältchen  oder  Loch,  das  dem  Einen  oder  anderen  der  genannten  Knochen  mehr 
oder  weniger  zugehört,  geht  dann  an  der  vorderen  Seite  des  Thi-änensacks  herab 
und  verliert  sich  ganz  in  demselben. 

«)  Auch  aus  der  Schlinge  der  Nn.  supra-  und  infratrochlearis  sollen  Zweige 
in  die  Stirnhöhle  dringen  ("SVrisberg,  bei  Haller  prim.  hn.  physiol.  Scarpa, 
Anat.  annot.  11,  66.  Blumenbach  (De  sinibus  frontaübus,  Götting.  1779,  p.  11) 
hat  Einmal  einen  solchen  Zweig  gesehen;  an  den  übrigen  Schädeln  vemiisste 
er  ihn. 

Var.  Der  untere  Ast  des  N.  infi'atrochlearis  geht  eine  Verbindung  mit  einem 
Zweig  des  oberen    Astes    des   N.   oculomotorius   ein   (selten.      C.    Krause).      Cru- 


^)    R.    nasalis  arU.    s.    exiernus    aut.  ^)    N.    nasalis    ext.    Cruv.     ünterrollnerve. 

^)  Er.  tarsd  C.  Krause. 


364 


N.  lacrymalis. 


veilhier  sah  aus  der  Schlinge  der  Nn.  supra-  und  infratrochlearis  ein  Aestchen 
durch  die  Decke  der  Orbita  in  die  Schädelhöhle  dringen,  unter  der  fibrösen  Hirn- 
haut 3  Cm.  vorwärts  gehen  und  durch  ein  Canälchen  des  Stirnbeins  oberhalb  der 
Stirnhöhle  zur  Haut  auf  die  äussere  Fläche  des  Schädels  zurückkehren. 

4.    N.  lacrymalis   la'^). 


i.  Lacrym.  Vom  Ursprung  an  in   einem  besonderen  Canal  der  festen,  die  Fissura 

orbitalis  sup.  ausfüllenden  Bindegewebsmasse,   dann  an  der  lateralen  Wand 

Fig.  237. 


N.  ophthalmicus.  Vorderer  Theil  der  rechten  Hafte  der  Schädelbasis.  Das  Dach  der  Or- 
bita und  ein  Theil  des  Stirnbeins  entfernt.  R  s  Vorderer  Theil  des  M.  rectus  oculi  sup. 
Os  Vorderer  Theil  des  M.  obliq.  oc.  sup.  1  Lamina  cribrosa,  2  Crista  galli,  3  Trochlea, 
4  Thränendrüse.  r  N.  recurrens,  so  N.  supraorbitalis.  si  N.  supratroch.  /  N.  frontalis, 
w  c  N.  nasociliaris.  Gel  lange  Wurzel  des  Ggl.  ciliare,  cl  Nn.  ciliares  longi.  e  N.  eth- 
moid.    ii  Nn.  infratrochl.    Za  N.  lacrymalis.    fo  Anastomose  desselben  mit  dem  N.  orbitalis. 


■')  N.  lacrymopalpehralis  Cruv.     Thränenast.     Thränendrüsenast. 


N.  lacrymalis.  365 

der  Orbita  über  dem  M.  rectus  oc.  lateralis  verläuft  der  N.  lacrymalis  gera- 
den Wegs  zur  oberen  Tbränendrüse  und  theilt  sich  kurz  vor  derselben  in 
zwei  Aeste  von  fast  gleicher  Stärke,  einen  oberen  und  einen  unteren.  Der 
untere  Ast  (Fig.  237  f  o)  i)wendet  sieb  ab-  und  zugleich  seitwärts  und  vereinigt  sich 
in  einem  vorwärts  convexen  Bogen  mit  dem  K.  temporalis  des  N.  orbitalis.  Er 
geht  entweder  ganz  in  dieser  Schlinge  auf  oder  setzt  sich  theilweise  in 
Zweige  fort,  welche  in  die  Thränendrüse  eintreten.  Der  obere  Ast  2)  zer- 
fällt in  eine  Anzahl  Zweige,  welche  theils  durch  die  Thränendrüse,  theils 
lateral-  oder  medianwärts  neben  derselben  aus  der  Orbita  hervortreten  und 
im  oberen  Augenlid^)  und  dem  der  Orbita  nächsten  Theil  der  Haut  der 
Schläfengegend  4)  sich  verbreiten. 

Die  auf  anatomischem  Wege  kaum  lösbare  Frage,  ob  die  Thränendrüse 
selbst  Zweige  aus  dem  N.  lacrymalis  erhalte^),  ist  durch  die  Versuche  von 
Herzenstein  ^)  und  Wolf  erz '^)  für  das  Kaninchen,  den  Hund  und  das 
Schaf  entschieden.  Der  Reizung  des  N.  lacrymalis  in  der  Orbita  folgt  ver- 
mehrte Thränenabsonderung.  Durchschneidung  desselben  hebt  die  Reflexe 
von  den  sensibeln  Nerven  auf  die  Thränendrüse  auf  und  führt  weiterhin  zu 
einem  paralytischen  Thränenfluss.  Es  sind  also  secretorische  Fasern,  die 
der  Nerve  der  Thränendrüse  zuführt. 

Var.  Der  N.  lacrymalis  fehlt  und  wird  durch  den  E.  temporalis  des  N.  or- 
bitalis ersetzt  (Turner,  Journ.  of  anat.  2d  Ser.  Nr.  IX,  p.  160).  Häufig  entstellt 
der  N.  lacrj^malis  mit  zwei  Wurzeln;  sie  kommen  beide  aus  dem  Stamme  des  N. 
ophthalmicus,  oder  zu  der  aus  dem  Stamme  entspringenden  gesellt  sich  eine  zweite 
aus  dem  N.  supraorbitalis  (Meckel)  oder  aus  dem  N.  oi'bitalis  (Ders.  Hyrtl  a. 
a.  O.  S.  14)  oder  die  Eine  Wurzel  nimmt  aus  dem  N.  supraorbitalis,  die  andere 
aus  dem  N.  nasociliaris  ihren  Ursprung.  Eine  Verbindung  mit  dem  N.  trochlearis 
findet  in  der  Weise  Statt,  dass  ein  vom  Ophthalmicus  oder  Lacrymalis  ausser  der  . 
Orbita  dem  Trochlearis  zugesandtes  Fädchen  in  der  Orbita  wieder  zum  Lacry- 
malis zurückkehrt  (Cruveilhier).  Den  Ursprung  des  N.  lacrymalis  aus  dem 
N.  orbitalis  allein  beobachtete  Hyrtl  (a.  a.  O.).  Oft  beginnt  die  Spaltung  des 
Lacrymalis  in  seine  beiden  Aeste  schon  im  Hintergrunde  der  Augenhöhle.  Einen 
in  mehrere  und  untereinander  anastomosirende  Zweige  zerfallenen  Lacrymalis 
bildet  Sommer  ring  ab  (Abbild,  d.  menschl.  Auges,  Taf.  III,  Fig.  5). 

Er  nimmt  einen  Faden  von  der  langen  Wurzel  des  Ggl.  ciliare  auf  oder  giebt 
einen  Faden  diesem  Ganglion  (S.  360). 

Er  giebt  einen  N.  ciliaris  long,  ab,  der  die  Art.  ciliaris  longa  lateralis  begleitet 
(C.  Krause)  oder  (vom  unteren  Ast)  einen  Zweig,  der  sich  mit  einem  Ciliarnerven 
verbindet  (Bock,  S.  19,  Hyrtl  a.  a.  O.  zwei  Mal).  Einen  Zweig  des  N.  lacry- 
malis, der  in  der  Nähe  des  Hornhautfalzes  die  Sclera  durchbohrt,  büdet  Svitzer 
ab  (a.  a.  0.  Fig.  4). 

B.    Des  N.  trigeminus   zweiter  Ast. 
N.  supramaxillaris   V^^). 

Der   R.  supramaxillaris   giebt,   gleich  dem   N.    ophthalmicus,  vor  dem  b.  Supra- 
Eintritt in  den  Can.  rotundus  einen  N.  recurrens  an  die  fibröse  Hirnhaut; 


^)  R.  externus  aut.     R.  posterior  Bock.     R.    temporo-malaris    Long  et.  ^)    R.  in- 

ternus   aut.     R.    anterior   Bock.      N.    lacrymo-palpehralis    Long  et.  ^)  R.  palpehralis 

Cruv.  *)  R.  temporalis  adscendens  Cruv.  ^)  Cruveilhier,  C.  Krause,  Valentin, 
Luschka  und  Eüdinger  bejahen,  Arnold  verneint  sie  und  Hyrtl  lässt  sie  offen. 
^)  Archiv  für  Anat.   1867,  S.  651.  ^)  Experimentelle  Unters,  über   die  Innervationswege 

der  Thränendrüse.     Dorpat  1871,  S.  34.  ^)  N.  maxillaris  sup.    Oberkiefernerve. 


366  N.  supramaxillaris. 

bald  nacli  dem  Austritt  aus  dem  Canal  sctwillt  er  durcli  Lockerung  der 
den  Stamm  zusammensetzenden  Bündel  etwas  an ,  und  ungefähr  in  der 
Mitte  der  Fossa  spttenomaxillaris   theilt  er  sich  in  zwei  Stränge,  einen  stär- 

Fig.  238. 


N.  supramaxillaris  (F*^).  Profil  des  Gesichtsschäclels;  der  Jochbogen  abgesägt,  um  die  Fossa 
sphenomaxillaris  frei  zu  legen.  Die  Nerven  sind,  so  weit  sie  in  Knochencanälen  verlaufen, 
mit  einfachen  Conturen,  die  an  der  lateralen  Wand  der  Nasenhöhle,  an  der  Nasenscheide- 
wand und  am  Gaumen  verlaufenden  sind  mit  punktirten  Linien  angegeben,  sp  N.  spheno- 
palatinus.  Gn  Ggl.  nasale,  v  N.  vidianus.  p  Nn.  palatini.  asp  N.  alveol.  sup.  post.  ni 
Nn.  nasal,  inff.  np  N.  nasopalatinus.  Is  Nn.  labial  supp.  asa  N.  alv.  sup.  ant.  nsc  Nn. 
nasales  subcutanei.  pbi  Nn.  palpebr.  infF.  asm  N.  alv.  sup.  medius.  om  N.  orbitalis  ma- 
laris.  ZaN.  lacrymal.    ot  N.  orbit.  tempor.    io  N.infraorbitalis.  o  N.  orbitalis.  «s  N.  nasalis  sup. 

keren,  cylindrischen,  N.  infraorhitalis,  der  in  der  Flucht  des  Stammes  zur 
Orbita  zieht  i),  und  einen  schwächeren,  platten,  welcher,  häufig  in  zwei  oder 
drei  Fäden  zerfallen,  unter  rechtem  Winkel  vom  N.  infraorhitalis  abgeht 
und  nach  kurzem  Verlauf  in  das  Ggl.  nasale  eintritt,  dessen  kurze,  sensible 


^)  Man  hat  diesem  Theil  des  Nerven,  der  besonders  deutlich  die  den  Nervenstämmen 
eigenthümliche  Verflechtung  der  Bündel  zeigt,  den  Namen  eines  'Plexus  sijhenopahUrims, 
Gaumenkeilbeingeflecht,  ertheilt. 


N.  recurrens.      N.  infraorbitalis.  367   ' 

Wurzel  er  darstellt,  während  die  lange,  motorische,  aus  dem  N.  facialis 
stammt(Fig.  238).  Aus  demGgl.  nasale  gehen  Aeste  nach  drei  Richtungen  hervor, 
der  N.  vidianus  rückwärts  in  den  gleichnamigen  Canal,  die  Nn.  nasales  me- 
dianwärts  durch  das  For.  sphenopalatinum  in  die  Nasenhöhle,  die  Nn.  pala- 
tini  abwärts  durch  den  Can.  pterygopalatinus  zum  Gaumen. 

Der  N.  infraorbitalis  gelangt  durch  die  Fissura  orbitalis  inf.  in  die  Or- 
bita und  verläuft  am  Boden  derselben  mit  der  gleichnamigen  Arterie  und 
Vene  zuerst  im  Sulcus,  dann  im  Canalis  infraorbitalis.  Von  seinem  latera- 
len Rande  löst  sich  noch  diesseits  der  Fissura  orbit.  inf.  unter  spitzem 
Winkel  der  N.  orhüalis,  der  sich  neben  dem  Infraorbitalis  in  die  Orbita  be- 
giebt.  Nach  unten  gehen  vom  Infraorbitalis  die  Nn.  alveolares  supp.  ab, 
der  erste,  N.  a.  s.  posterior,  dem  N.  orl>italis  gegenüber  noch  in  der 
Fossa  sphenomaxillaris,  ein  zweiter  und  dritter,  Nn.  alveolares  supp.  medius 
und  anterior,  innerhalb  des  C.  infraorbitalis.  Der  Rest  des  Nervenstammes, 
N.  infraorhitaliS'  s.  s.  tritt  aus  dem  For.  infraorbitale  hervor,  um  sich  in  der 
Haut  des  Gesichts  zu  verbreiten. 

ß)  Valentin  (Nervenl.  S.  360)  erwähnt  ein  sehr  feines  Nervenfädchengeflecht, 
welches  in  der  Fossa  sphenomaxill.  mit  zwei  bis  drei  fadigen  Wurzeln  aus  der 
medialen  Seite  des  N.  supramaxillaris  entpringe,  nacli  oben  gegen  den  untersten 
und  hintersten  Theil  der  Fissura  orbit.  inf.  hinaufsteige  und  sich  hier  am  Periost 
und  dem  darüber  liegenden  Fette  verliere. 

ß)  lieber  Anastomosen  mit  dem  Plex.  carot.  s.  Sympath. 

1.     N.  recurrens  (supramaxillaris)   Arnold  rs^). 

Entspringt    mit  Einer   oder  mehreren  sehr  feinen   Wurzeln    aus    dem  i.  ßecurr. 
zweiten  oder   aus  dem  Winkel  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Aste  des 
Trigeminus,  verläuft  gerade  oder  in  sanftem  Bogen  zum  Stamme  oder  zum 
vorderen  Aste  der  A.  meningea  media  und  vereinigt  sich  mit  Zweigen  des 
N.  recurrens  inframaxillaris  zur  Begleitung  der  Arterienäste  (Fig.  239  a.  f.  S.). 

Var.  Felilte  (unter  zwanzig  Fällen  fünf  Mal)  und  wurde  durch  vermehrte 
Stärke  des  N.  recurrens  inframaxillaris  ersetzt. 


2.     N.   infraorbitalis. 

t   CoUaterale  Aeste. 
a.     N.  orbitalis    O  2). 

Spaltet  sich  alsbald  nach  dem  Ursprung  in  zwei  Aeste,  welche  über-  2.  infraorb. 
einander  unter  dem  Periost,  zuweilen  in  Furchen  und  stellenweise  selbst  in  a.  Orbital. 
Canälchen  der  lateralen  Wand  der  Orbita  hinziehen.  Beide  Aeste  sind  der 
Haut  des  lateralen  Augenwinkels  und  des  nächst  angrenzenden  Theils  der 
Wange  und  Schläfe  bestimmt  und  erreichen  ihr  Ziel,  der  Eine  durch  den 
Can.  zygomatico-temporalis,  der  andere  durch  den  Can.  zygomatico-facialis 
des  Jochbeins.     Aber  der  obere  Ast,  E.  temporalis  (ot)'^),  giebt  einen  Theil 


1)  Icon  nerv.  cap.    ed.   2.    Taf.    III,    25.     Wiener   med.    Jahrb.    1861,    S.  26.  ^)  N. 

suhcutaneus  malae.     N.    orhitarius    Cruv.     N.    te.mporo-malaris  Quain.      Jochwangennerve. 
Waneenhautnerve. 


368 


N.  infraorbitalis. 


seiner  Fasern  innerhalb  der  Orbita  ab,  um  mit  dem  unteren  Ast  des  N.  la- 
crymalis  die  bei  diesem  Nerven  (S.  365)  erwähnte,  an  die  innere  Fläche  der 

Fig.  239. 


Schädelbasis     mit   dem    Tentorium    (l);     Sinus    transv.     (2)    und    petros.  sup.     (3)    geöffnet. 
4  Querschnitt  des  verlängerten  Marks.    5  A.  meningea  media,    ro  N.  r£currens  ophthalmici. 

r  i  N.  recurrens  inframax. 


oberen  Thränendrüse  geheftete  Schlinge  zu  bilden  (Fig.  240).  Sie  sendet,  wie  der 
obere  Zweig  des  N.  lacrymalis,  feine,  aus  Fasern  beider  Wurzeln  der  Schlinge 
gemischte  Zweige  durch  die  Thränendrüse  am  lateralen  Rande  der  Orbita 
hervor  in  die  Haiit  des  oberen  Augenlides;  auch  werden  der  Schlinge  aus 
dem  N.  orbitalis,  wie  die  Reizung  des  Stammes  lehrt  ^),  secretorische  Drü- 
sennerven zugeführt,  die  in  der  Thränendrüse  ihr  Ende  erreichen.  Der 
Rest  des  R.  temporalis  gelangt  in  einem  oder  zwei  Fädchen  durch  die  ent- 
sprechenden Canäle  des  Jochbeins  in  die  Schläfengrube  und  an  der  äusseren 
Fläche  der  Wangenplatte  dieses  Knochens,  wo  der  Weg  der  Nerven  öfters 
durch  Furchen  bezeichnet  ist,  aufwärts  bis  in  die  Gegend  der  Naht  zwischen 


^)  Herzenstein  a.  a.  0.     Wolferz  a.   a.   0. 


N.  orbitalis. 


369 


Stirn-  und  Jochbein.  Hier  durchbotiren  die  Nerven  den  vorderen  Anbef- 
tungsrand  der  Fascia  temporalis,  um  über  demselben  in  der  Haut  zu  endi- 
gen. Sie  lassen  sieb  zuweilen  über  die  Fascia  temporalis  binweg  bis  in 
die  Gegend  des  oberen  Randes  des  M.  temporalis  verfolgen. 

Fig.  240. 


Sagittalschnitt  des  Kopfs  durch  die  rechte  Orbita ,  rechte  Schnitthälfte ;  die  Orbita  entleert, 
die  Augenlider  seitwärts  umgelegt.  Stirn-  und  Kieferhöhle,  so  wie  die  Fossa  sphenomaxill. 
von  der  medialen  Seite  geöffnet.  ?a  N.  lacrymalis.  sp  N.  sphenopalatinus.  v  N.  vidianus. 
Gn  Ggl.  nasale,  p  Nn.  palatini.  asp,  asm,  usa,  Nn.  alveol.  post.,  medius  und  ant.,  in 
der  lateralen  Wand  der  Kieferhöhle  verlaufend,  io  N.  infraorbitalis,  am  Austritt  aus  dem 
Can.  infraorbit.  durchschnitten. 


Der  untere  Ast  des  N.  orbitalis,  M.  molaris  (oni)  Fig.  240  ^),  begiebt  sieb, 
einfacb  oder  getbeilt,  durch  den  gleichnamigen  Canal  zur  Haut  der  Wange. 

Die  Varietäten  dieses  Nerven  sind  sehr  zahlreich  und  daraus  verständlich, 
dass  Ein  Ast  desselben  durch  den  anderen,  der  obere  Ast  durch  den  N.  lacrymalis, 
der  untere  durcli  den  N.  infraorbitalis  vertreten  werden  kann.  So  ist  die  Stärke 
beider  Aeste  veränderlich:  so  feblt  in  seltenen  Fällen  der  E.  temporalis,  sehr  häufig 


'^)  R.  facialis. 
Henle,  Anatomie.     Bd.  III.     Abtlüg.  2, 


24 


370  •  Nn.  alveolares  supp. 

der  das  Joclibeiu  durchsetzende  Zweig  desselben  (Meckel  fand  ihn  in  30  Leichen 
nur  sechs  Mal)  und  auch  der  E.  malaris  wird  zuweilen  (unter  30  Fällen  Ein  Mal 
Meckel)  vermisst.  Der  zur  Anastomose  mit  dem  N.  lacrymalis  bestimmte  Zweig 
trennt  sich  öfters  schon  im  Hintergrunde  der  Orbita  vom  N.  temporaüs  oder  von 
dem  Stamm. 

Ebenso  veränderlich,  wie  der  Zusammenhang  der  Canälchen  des  Jochbeins,  ist 
die  Verästelung  der  in  ihnen  enthaltenen  Nerven.  Der  IST.  temporalis  tritt  unge- 
theilt  in  den  entsprechenden  Canal  und  sendet  aus  demselben  den  Zweig  zur  Ana- 
stomose mit  dem  N.  lacrymalis  in  die  Orbita  zurück  (Eigene  Beobachtung).  Der 
Stamm  theilt  sich  in  einen  mit  dem  Lacrjonalis  anastomosirenden  und  einen  in 
das  Jochbein  eintretenden  Ast,  welcher  letztere  innerhalb  des  Jochbeins  in  einen 
B.  temporalis  und  malaris  zerfällt  (nach  Cruveilhier  die  Eegel).  Uebrigens 
erlaubt  das  Verhalten  der  Canälchen  des  Jochbeins  keinen  Schluss  auf  den  Ver- 
lauf der  Nerven,  denn  unter  den  Canälchen  dienen  manche  nur  Arterienästchen 
zum  Durchgang,  und  andererseits  tritt  der  E.  temporalis  nicht  selten,  statt  durch 
das  Jochbein,  durch  die  laterale  Ecke  der  Eissura  orbit.  inf.  aus  der  Orbita 
hervor. 

üeberzählige  Zweige  kommen  vom  N.  orbitalis  zu  einem  Ciliarnerven  (Hyrtl 
a.  a.  O.),  vom  N.  malaris  in  der  Orbita  zum  unteren  Augenlid'  (Eigene  Beob.). 

b.     Nn,    alveolares^)    superiores. 

b.  Aiveoi.  Es  sind  gewöhnlich  drei,  ein  hinterer,  mittlerer  und  vorderer;  der  mitt- 

lere kann  fehlen,  der  vordere  und  hintere  können  vom  Ursprung  an  in  zwei 
und  mehr  parallele  Fäden  zerfallen  (Fig.  238.  240). 

Der  N.  Cllv.  Sup.  post.  geht  von  dem  N.  infraorbitalis  noch  vor  dessen 
Eintritt  in  die  Orbita  unter  fast  rechtem  Winkel  abwärts  ab  und  theilt  sich, 
wenn  nicht  vom  Ursprung  an,  doch  bald  unterhalb  desselben  in  zwei  Aeste, 
die  die  A.  alveol.  sup.  zwischen  sich  fassen.  Beide  Aeste  geben  feine  Fäd- 
chen  dem  Periost  des  Oberkieferbeins  und  in  der  Regel  treten  beide  durch 
die  Forr.  alveolaria  postt.  in  die  laterale  "Wand  der  Kieferhöhle,  nachdem 
sie  vorher  Aeste  abgesandt  haben,  die  an  der  Aussenseite  des  Alveolarfort- 
satzes  vorwärts  gehen  und  im  Zahnfleisch  der  hinteren  Backzähne  und  der  an- 
grenzenden Wangenschleimhaut  enden.  Doch  übernimmt  der  hintere  Ast^) 
vorzugsweise" die  äussere  Fläche  des  Oberkiefers,  während  der  vordere^) 
mit  dem  grösseren  Theil  seiner  Fasern  in  den  Knochen  dringt. 

Der  N.  dlveolaris  sup.  filed.^)  trennt  sich  innerhalb  des  Can.  infra- 
orbitalis früher  oder  später  vom  N.  infraorbitalis,  um  in  einem  eigenen  Ca- 
nälchen der  lateralen  Wand  des  Oberkiefers  ab-  und  etwas  vorwärts  zu  ver- 
laufen. 

Der  N.  dlveolaris  Sup.  eint  ^),  der  stärkste  dieser  Aeste,  läuft  in  dem 
vom  Can.  infraorbitalis  kurz  vor  dessen  vorderer  Mündung  sich  abzweigen- 
den, häufig  gegen  die  Kieferhöhle  theilweise  offenen  Canal  an  der  oberen, 
dann  an  der  vorderen  Wand  dieser  Höhle  gegen  den  Alveolarrand.  Er  ist 
von  Anfang  an  in  mehrere  Aeste  geschieden,  die  zuweilen  in  besonderen 
Fächern  des  Canals  liegen,  oder  spaltet  sich  im  weiteren  Verlauf  dergestalt, 
dass  ein  Theil  der  Fasern  in  Einem  oder  mehreren   Aesten  sich  rückwärts 


^)  Nn.  dentales.  An.  ulveolo-dentales  Cruv.  Zahnnerven.  Zalmhöhleniierven.  ^)  R. 
buccalis  aut.  R.  maxillaris  ext.  Rüdinger.  N.  alveolaris  suj).  post.  maj.  ^)  R.  den- 
talis.     N.  alv.   sup.  post.  minor.  *)  N.   alv.   sup.  ant.   minor.        ^)  N.  alv.   sup.   ant.  maj. 

N.   nnsodentalis. 


Nu.  alveolares  supp.  371 

wendet  und  mit  dem  hinteren  N.  alveol.  sup.  eine  Schlinge^)  bildet,  in 
welche  auch  der  mittlere  Ast  sich  einfügt,  ein  anderer  Theil  unter  dem  For- 
infraorbitale  vorüber  vor-  und  medianwärts  gegen  den  unteren  Theil  des 
Seitenrandes  der  Apertura  pyriformis  zieht  und  von  da  aus  Zweige  abwärts 
gegen  die  Wurzeln  der  Vorderzähne  und  medianwärts  gegen  die  Nasenhöhle 
schickt.  Der  in  die  Nasenhöhle  eintretende  Zweigt)  versorgt  die  Schleim- 
haut des  Bodens  und  der  Seitenwand  der  Nasenhöhle  in  der  Umgebung  der 
Mündung  des  Ductus  lacrymalis  und  anastomosirt  mit  dem  N.  nasopalatiiius. 
Aus  der  Schlinge  der.  oberen  Alveolarnerven  entstehen  feine  Zweige, 
die  unter  sich  und  mit  den  Zahnästen  des  vordersten  jener  Nerven  ein  zu- 
sammenhängendes Geflecht ")  bilden,  aus  welchem  Fädchen  hervorgehen,  die 
in  Begleitung  feiner  Blutgefässzweige  alternirend  durch  die  Löcher  in  der 
Spitze  der  Zähnwurzeln  zur  Pulpa'*)  und  durch  feine  Canälchen  der  spon- 
•giösen  Substanz  des  Alveolarfortsatzes  zum  Zahnfleisch  ^)  herablaufen. 

«)  Nach  Bochdalek  (Oesterr.  med.  Jahrb.  XIX,  223)  schwillt  der  N.  alveol. 
sup.  ant.  an  der  Stelle,  wo  er  sich  in  die  rücklaufenden  und  die  absteigenden 
Aeste  theilt,  2  Cm.  über  der  Wurzel  des  Eckzahns,  zu  einem  platten  Ganglion, 
Ggl.  supramaxillare  [Ggl.  Bochdalekn  aut.),  an,  welches  die  Grösse  eines  Hanf- 
-korns  bis  (selten)  einer  Linse  erreicht.  Es  ist  von  der  stark  gewundenen  Arterie, 
mit  der  es  in  einer  eigenen  Aushöhlung  des  Knochens  eingeschlossen  ist,  ohne 
Zerreissung  des  einen  oder  der  anderen  nicht  trennbar,  zuweilen  aber  in  eine  Art 
von  gangliöseni  Plexus  umgewandelt  oder  in  mehrere  kleinere  Knötchen  zerfallen. 
Valentin  (S.  383)  fand  bisweilen  an  der  Stelle,  wo  die  hinteren  Zahnnerven  mit 
ihren  Zweigen  in  die  Schlinge  eintreten,  ein  zweites,  ebenfalls  plattes  Ganglion 
{Ggl:  supramaxillare  post.). 

Ob  die  platten  Anschwellungen  der  Nerven  an  den  besagten  Stellen  wirklich 
Gauglienmasse  enthalten,  ist  streitig.  Valentin  (Eepertorium  II,  58.  Nerven- 
lehre, S.  386),  Fäsebeck  (Müll.  Arch.  1839,  S.  73)  und  Hörn  (Gangl.  cap.  glan- 
dulas  ornantium  expositio.  Wirceb.  1840,  p.  lO)  behaupten,  Nervenzellen  in  den- 
selben gefunden  zu  haben;  Schumacher  (Ueber  die  Nerven  d.  Kiefer.  Bern  u. 
St.  Gallen  1839,  S.  11)  enthält  sich,  indem  er  die  Schwierigkeiten  der  Unter- 
suchung entwickelt,  einer  bestimmten  Entscheidung.  Arnold  erklärt  sich  gegen 
die  Anwesenheit  von  Nervenzellen  und  ich  halte  mich  für  berechtigt,  mit  grös- 
serer Bestimmtheit,  als  dies  von  Joh.  Müller  in  einer  Note  zu  Fäsebeck's  Ab- 
handlung auf  Grund  unserer  gemeinschaftlichen  Untersuchungen  geschehen, 
gegen  das  Bochdalek 'sehe  Ganglion  aufzutreten.  Ich  habe  nämlich  an  in  Salz- 
säure erweichten  Oberkiefern  die  Nn.  dentales  mittelst  successiver  feiner  Horizon- 
talschnitte  Schichte  für  Schichte  mikroskopisch  vei'folgt  und  glaube  nicht,  dass 
mir  bei  dieser  Methode  ein  Ganglion,  wenn  es  vorhanden  wäre,  hätte  entgehen 
können.  Die  Nerven  bestanden  bis  in  die  feineren  Verzweigungen  aus  starken, 
dunkelrandigen  Fasern. 

ß)  Sappey  zählt  die  Schleimhaut  der  Kiefei'höhle  zu  den  Gebilden,  die  von 
den  oberen  Alveolarnerven  versorgt  werden.  Bock  hebt  ausdrücklich  hervor, 
dass  die  Schleimhaut  der  Kieferhöhle  keine  Zweige  von  den  Alveolarnerven  em- 
pfange. 

Var.  Der  N.  alveol.  sup.  post.  geht  vom  N.  infi-aorbitalis  zuweUen  erst  nach 
dessen  Eintritt  in  den  Canal  ab  (Cruv.). 

Der  Zweig  des  N.  alveol.  sup.  post.,  welcher  an  der  Aussenseite  des  Ober- 
kiefers verbleibt,  kann  eine  bedeutende  Stärke  erreichen  und  den  N.  buccinatorius 
vom  dritten  Aste  des  Trigeminus  vertreten  (Turner,  Journ.  of  anat.  I,  83  und 
Proceed.  of  the  roy.  soc.  of  London  1868.    June.     Auch  mir  Einmal  begegnet). 


^)  Ansa    supramaxillaris.  ^)  R.   nasalis.  ^)    Plexus    dentalis    sup.      Plexus    gang- 

liosus  supramaxillaris  Val.  *)  Nervuü  dentales  supp.  ^)  Nervuli  gingivales  supp. 

24*       ■ 


372  N.  infraorbitalis,  Endäste. 

Ein  Zweig  des  N.  alveol.  siip.  ant.  tritt  durch  eine  eigene  Oeffuung  des  Ober- 
kieferbeins unter  dem  For.  infraorbitale  ins  Gesicht  und  verzweigt  sich  mit  den 
unteren  Aesten  des  N.  infraorbitalis.    (Bock,  a.  a.  0.,  S.  33.   Eigene  Beobachtung.) 

ff    E'ndäste.' 

tt  Endäste.  Wenn  der  Stamm  des  N.  infraorbitalis  mit  den  gleiclinamigen  Gefässen 

aus  der  vorderen  Mündung  des  Can.  infraorbitalis  auf  die  Gesichtsfläclie 
des  Oberkieferbeins  gelangt,  befindet  er  sieb,  in  Fett  eingebüUt,  zwischen 
der  Infraorbitalzacke  des  M.  quadrat.  labii  sup.  und  dem  Ursprung  des  M. 
caninus  und  tbeilt  sieb  in  der  Regel  zunächst  in  einen  oberen  und  einen 
unteren  Ast.  Der  obere  Ast  gebt,  in  mehrere  Zweige  getheilt,  aufwärts, 
>  um  sich  im  unteren  Augenlid  und  dem  oberen  Theil  des  Nasenrückens  zu 
vertheilen.  Der  untere  Ast  zerfällt  durch  wiederholte  Bifurcation  in  Zweige, 
welche  sich  strahlenförmig  über  Nasenrücken,  Nasenflügel  und  Oberlippe 
bis  in  die  Gegend  des  Mundwinkels  ausbreiten,  gitterförmig  gekreuzt  und 
vielfach  anastomosirend  mit  den  von  der  Ohrgegend  her  spitzwinklig  diver- 
girenden  Zweigen  des  N.  facialis  ^). 

Nach  den  Regionen  des  Gesichts,  in  deren  Haut  sie  endigen,  werden 
die  Aeste  des  N.  infraorbitalis  (Fig.  238)  bezeichnet  als: 

a.    Nn.   palpebrales   inferiores  pht^). 

Gewöhnlich  ein  medialer  und  ein  lateraler,  von  denen  der  erste,  schwä- 
chere, zwischen  der  Angular-  und  Infraorbitalzacke  des  M.  quadrat.  labii 
sup.  zum  medialen  Augenwinkel  emporsteigt,  der  andere,  öfters  getheilt, 
die  letztgenannte  Zacke  nahe  an  ihrem  Ursprung  durchbohrt  und  sich  im 
unteren  Augenlid  ausbreitet. 

b.    Nn.   nasales   subcutanei   tlSC^). 

Zwei  oder  drei  Aeste,  die,  zwischen  Bündeln  der  Angularzacke  des  M. 
quadrat.  labii  sup.  und  des  M.  nasalis  hervortretend,  in  die  Haut  der  Seiten- 
fläche der  Nase,  des  Nasenflügels  und  Naslochs  ausstrahlen. 

c.    Nn.   labiales   superiores   Is^). 

Drei  oder  vier,  an  der  inneren  Fläche  der  Lippe  zwischen  der  Muskel- 
schichte und  der  Schleimhaut  herablaufende  Nerven,  die  der  Schleimhaut 
und,  durch  die  Muskelschichte,  der  Cutis  Aeste  senden. 

Var.  Ein  Zweig  des  N.  infraorbitalis  läuft  am  Boden  der  Orbita,  unter  dem 
Fett  derselben,  vorwärts  und  schlägt  sich  über  den  Margo  infraorbitalis  herab 
zur  OberUppe  (Haller  bei  Meckel,  a.  a.  O.  S.  202).  Der  Infraorbitalcanal  ent- 
hält nur  die  Lippenzweige,  indess  die  dem  unteren  Augenlid  und  der  Nase  be- 
stimmten Zweige  sich  früher,  als  der  N.  alveolaris  sup.  ant.,  vom  Stamme  des  In- 


^)  Die    abwärts    ausstrahlenden    Zweige    des  N.  infraorbitalis  ■  bilden    mit    den    Facialis- 
zweigen  den  sogenannten  Plexus  infraorbitalis  {Pes  anserinus  minor).  ^)  Rr.  ascendentes. 

^)  J\'n.  nasales  laterales   s.   superficiales  nasi.      Nn.   laterales  narium.     Rr.    interni.         *)  Rr. 
des  cendenies . 


N.  sphenopalatin.     Ggl.  nasale.  373 

fraorbitaiis  lösen  und  durch  einen  eigenen,  an  der  medialen  Seite  des  Can.  infra- 
orbitalis  gelegenen  Canal  austreten.  Theilung  des  Eoramen  infraorbitale  und  so- 
mit auch  des  Nervenstammes  vor  dem  Austritt  ist  etvi^as  Gewöhnliches.  Vgl. 
auch  die  von  Langer  beschriebene  Varietät  des  Can.  infraoi'bitalis.  (Knochenl. 
S.  181.)  -' 

3.     N.    sphenopalatinus  s^)'^). 
Ggl.   nasale   Gn^). 

Der  einfache  oder  in  mehrere  Fäden  zerfallene  N.  sphenopalatinus,  der  sich  s.  Spheno- 
unter  rechtem  "Winkel  vom N.  infraorbitalis  trennt  (Fig.  238.  240.241),  schwillt  GgL  nasale. 
nach  kurzem  Verlauf  in  ein  plattes,  dreiseitiges  Ganglion  von  etwa  5  Mm.  Flä- 
chendurchmesser an,  welches,  umgeben  von  den  Endverzweigungen  der  A.  ma- 
xillaris  int.,  im  Fett  der  Fossa  sphenomaxillaris  eingebettet  ist.  Das  Gang- 
lion sendet,  wie  erwähnt,  nach  drei  Seiten  Nerven  aus,  in  den  Can.  vidianus, 
in  den  Can.  pterygopalatinus  und  durch  das  Foramen  sphenopalatinum  in 
die  Nasenhöhle.  Nach  den  beiden  letztgenannten  Sichtungen  verlaufen 
nur  peripherische  Aeste ;  der  in  den  Can.  vidianus  eintretende  Nerve,  N.  vi- 
dianus, dagegen  vermittelt  eine  Verbindung  des  Ggl.  nasale  mit  anderen 
Nerven  oder  Ganglien  und  lässt  uns  über  die  Richtung  seiner  Fasern  in 
Ungewissheit.  Er  zerfällt  beim  Austritt  aus  dem  Canal  in  zwei  Aeste, 
einen  oberen,  N.  petrosus  superficialis  maj.,  der  sich  an  den  N.  facialis  an- 
fügt, und  einen  unteren,  N.  petrosus  pro/,  maj.,  der  sich  zu  dem  die  Carotis 
umgebenden  sympathischen  Geflecht  gesellt.  Der  letztere  enthält  gelatinöse 
Fasern;  ob  er  als  sympathische  Wurzel  des  Ganglion  oder  als  eine  vom 
Trigeminus  ausgehende  "Wurzel  des  sympathischen  Nervensystems  aufzu- 
fassen sei,  behalte  ich  mir  später  zu  erörtern  vor.  Von  dem  zwischen  dem 
Facialis  und  dem  Ggl.  nasale  ausgespannten  Nerven  ist  durch  Thatsachen 
der  Physiologie  und  Pathologie*  festgestellt,  dass  er  Facialis-,  d.  h.  moto- 
rische Fasern  zu  dem  Ganglion  leitet  und  also  dessen  motorische  "Wurzel 
repräsentirt.  Da  er  aber  möglicher  Weise  zugleich  sensible  Fasern  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  führt  und  da  der  N.  vidianus,  von  dem  er  sich  ab- 
zweigt, in  einer  vom  Ganglion  centrifugalen  Richtung  in  seine  Aeste  zer- 
fällt, so  mag  es  gestattet  sein,  dem  N.  petrosus  superfic.  maj.  sammt  dem 
N.  vidianus  seine  Stelle  unter  den  Aesten  des  Ggl.  nasale  anzuweisen,  mit 
dem  Vorbehalt,  die  genauere  Beschreibung  bei  dem  N.  facialis  folgen  zu 
lassen. 

a.    N.   vidianus  V'^). 

Vom  hinteren  Rande  des  Ggl.  nasale  rückwärts  durch  die  Fossa   sphe-  a.  vidian. 
nomaxillaris  zum  Canalis  vidianus.     In   dem    Canal   theilt   sich   der   Nerve 
früher  oder  später  oder  er   zerfällt  in   ein  die  A.  vidiana  umgebendes  Ge- 
flecht *),  welches  sich  am  Ausgange  des  Canals  in  die  ebengenannten  beiden 


■'■)  N.  pterygopalatinus  s.  nasopalatinus.  Flügelgaumennerv.  Gaunnenkeilbeinast.  -)  Ggl. 
sphenopalatinum  s.  Meckelii.  Ggl.  rhinicum  Arnold.  Gaumenkeilbeinknoten.  Nasen- 
knoten. 3)  N.  quinti  recurrens.  N.  anastomoticus.  N.  pterygoideus.  N.  recurrens  int. 
Val.     Zurücklaufender  Flügelnerve.         *)  Plexus  vidianus  aut. 


374 


N.  viclianus. 


Zweige,  den  cerebrospinalen  N.  petrosus  sup.  maj.   und   den    sympathisclien 
N.  petr.  prof.  maj.  scheidet  (Fig.  238.  240.  241). 

In  der  Fossa  sphenomaxillaris  und  selbst  noch  im  vorderen  Theil  des 
Can.  vidianurs  entstehen  aus  dem  medialen  Rande  des  N.  vidianus  Aeste, 
die  sich,  jene   durch  das  For.  sphenopalatinum,   diese  durch  besondere   Ca- 

Fig.  24ri). 


Seitenwand  der  Nase,  Fossa  sphenomaxillaris,  Canales  pterygopal.  und  vidianus  von  der 
medialen  Seite  geöffnet.  Die  Schleimhaut  der  Muscheln,  des  Gaumens  und  des  Pharynx 
theilweise  abgezogen.  Der  vs^eiche  Gaumen,  median  gespalten,  ist  rückwärts  umgelegt. 
Ss  M.  sphenopalatinus.  Ss',  um  den  Hamulus  pteryg.  gewundene  Sehne  desselben.  Pis 
M.  petrostaphylinus.  1  Ost.  pharyng.  der  Tuba.  2  Tonsille.  3  Arcus  glossopalatinus. 
4  Are.  pharyngopalat.  I  N.  olfact.  und  dessen  Verbreitung  auf  der  oberen  Muschel,  e  N. 
ethmoidalis.  ns  Nn.  nasales  supp.  Gn  Ggl.  nasale,  pa  N.  palatin.  ant.  pp  N.  palatin. 
post.     pal  N.  palat.  lateralis,     np  Nn.  nasopalatini.     ni  Nn.  nasales  inff. 


nälchen  der  medialen  Wurzel  des  Gaumenflügels  in  den   oberen  Nasengang 
begeben.     Es  sind  dieselben,  die  in  anderen  Fällen  theilweise  oder  sämmt- 


')  Mit  einigen  Veränderungen  nach  Scarpa,   Anat.   Annot.  Tab.  II,  Fig.   2. 


Nn.  nasales  supp.  375 

lieh  direct  aus  dem  Ggl.  nasale  stammen  und  so  darf  man  sie  als  Nn.  na- 
sales superiores  betrachten,  welche  gelegentlich  eine  Strecke  ihres  Verlaufs 
in  der  Scheide  des  N.  vidianus  zurücklegen. 

«)  Die  Verbindungen  des  N.  vidianus  mit  dem  Ggl.  oticum  werden  bei  diesem 
zur  Sprache  kommen. 

ß)  Wegen  eines  Verbindungszweiges  zAvischen  Nn.  vidianus  und  abducens  ver- 
weise ich  auf  den  letzteren. 

y)  Nach  Scarpa  (Anat.  aunot.  II,  71)  dringen  zwei  feine  Pädchen  aus  dem 
N.  vidianUs  in  die  Wespenbeinliöhle  ein,  um  sich  auf  der  Schleimhaut  derselben 
zu  verästeln  (Fig.  241). 

(f)  Wrisberg  (Commentat.  Gott.  1800,  p.  374),  Bock  (Anat.  Unters.,  S.  35) 
und  Kobelt  (bei  Arnold)  erwähnen  Knochennerven  des  Vidianus.  Valentin 
beschreibt  sie  als  Batnuli  sphenoidales,  drei  grössere  und  vier  bis  fünf  feinere, 
welche  aus  dem  Can.  vidianus  vom  medialen  Rande  des  Geflechts  nach  innen  und 
unten  verlaufen  und  in  die  Knochenzellen  des  "Wespenbeinkörpers  eindringen 
sollen. 

b.    Nn.   nasales    superiores   tlS'^). 

Vier  bis  fünf  stärkere  oder  eine  grössere  Anzahl  feiner  Fäden,  welche  b.  Nas.  siipp. 
von  der  medialen  Fläche  des  Ggl.  nasale  und  von  dem  Anfang  des  N.  vi- 
dianus (s.  oben)  durch  Lücken  der  sehnigen  Membran,  die  im  Foramen 
sphenopalatinum  ausgespannt  ist,  oder  durch  besondere  Knochencanälchen 
aus  dem  Can.  vidianus  sich  zur  Nasenhöhle  begeben.  Sie  verästeln  sich 
zum  Theil  auf  der  Decke  und  Seitenwand,  zum  Theil  auf  der  Scheidewand 
der  Nase.  Es  verlaufen  Zweige  in  Rinnen  oder  Canälchen  der  unteren 
Fläche  des  Wespenbeinkörpers  und   des  Gaumen-  und  Pflugscharbeins  (Can. 


•*)  Nn.  sphenopalatini.  Wegen  des  veränderlichen  Ursprungs  dieser  Nerven  befindet 
sich  die  Synonymik  in  einiger  Verwirfnng.  J.  F.  Meckel  kennt  nur  aus  dem  N.  vidianus 
entspringende  Nasenäste  und  beschreibt  als  Nn.  nasales  supp.  antt.  die  innerhalb  der  Fossa 
sphenomaxillaris,  als  Nasales  supp.  postt.  die  innerhalb  des  Vidi' sehen  Canals  entsprin- 
genden. Bock  unterscheidet  direct  aus  dem  Ganglion  und  aus  dem  N.  vidianus  in  der 
Fossa  sphenomaxillaris  entspringende  Aeste;  er  überträgt  auf  jene  den  Namen  iVrasfflZes  supp. 
antt.  und  betrachtet  Meckel 's  Nasales  supp.  postt.  als  Endzweige  eines  N.  pkaryngeus, 
unter  welchem  Namen  er  den  Stamm  begreift,  in  welchem  die  durch  das  For.  sphenopala- 
tinum zur  Nasen-  und  Rachenschleimhaufc  verlaufenden  Nerven  sich  vom  Vidianus  lösen. 
Valentin  beschreibt  Meckel's  Nasales  supp.  antt.  als  supp.  antt.  tenuiores  und  des- 
selben Autors  Nasales  supp.  postt.  als  Rr.  pharyncjei  und  führt  neben  denselben  nochmals 
Nasales  supp.  antt.  (drei  Hauptstämme)  und  N.  supp.  postt.  (zwei  bis  drei  Fäden)  auf,  die, 
die  Einen  aus  dem  vorderen,  die  anderen  aus  dem  hinteren  Theil  des  Ggl.  nasale  kommen 
sollen.  Weber -Hildebrandt  schliesst  sich  an  Bock  an,  nur  dass  er  den  R.  pharyn- 
geus  sammt  den  Nn.  nasales  superiores  (supp.  antt.  Bock)  aus  dem  Ggl.  nasale  entstehen 
lässt.  Von  da  an  werden  die  Nasenzweige  aus  dem  N.  vidianus  nur  noch  als  Varietäten 
erwähnt  und  die  Nn.  na,sales  supp.  postt.  und  antt.  der  älteren  Autoren  als  supp.  postt. 
zusammengefasst,  supp.  im  Gegensatz  zu  den  aus  den  Nn.  palatini  in  die  Nase  eintretenden 
Aesten,  postt.  im  Gegensatz  zu  den  Zweigen,  die  der  N.  ethmoidalis  an  die  Nasenschleim- 
haut abgiebt.  Neben  ihnen  erwähnt  Cruveilhier  noch  besonders  den  N.  pharyngeus 
Bock  als  i?.«asopAar-«/wgreMs,  C.Krause  die  Nn.  nasales  supp.  postt.  Meckel's  als  Rr.  pTia- 
ri/ngei  Gglii  sphenopalatini.  Krause  und  Arnold  trennen  die  Rr.  nasales  in  Scheide- 
wandnerven, Nn.  septi  narium,  und  Seitennerven,  Nn.  nasales  posst.  supp.  Krause,  Nn.  la- 
terales Arnold,  Nn.  sphenopalatini  externi  Cruv.,  und  Arnold  lässt  die  letzteren  sichin 
Schlundzweige  {Rr.  pharyngei  s.  nasales  supp.  postt)  und  Nasenzweige  {Rr.  nasales  supp. 
antt)  theilen. 


376 


N.  nasopalatinus. 


vomerobasilares  Knl.  S.  205)  rückwärts  zur  Gegend  der  Tubenmündung, 
vor-  und  aufwärts  zur  Sclaleimhaut  der  oberen  Muschel,  des  oberen  Nasen- 
gangs und  der  Siebbeinzellen,  gerade  vorwärts  zur  Scbleimbaut  der  mitt- 
leren Muschel.     Unter  den  Scheidewandästen  ist  Einer, 

N.   nasopalatinus    Tip'^), 

Nasopaiat.     der  sich  durch  den  Can,  incisivus  bis  zum  Gaumen  erstreckt.   Er  entspringt 
aus  dem  N.  sphenopalatinus  oder  aus  dem  Ggl.  nasale  oder  aus  dem  Stamm 

Fig.  242. 


N.  nasopalatinus  der  rechten  Seite,  nach  Entfernung  des  knöchernen    und  knorpligen  Theils 

der  Nasenscheidewand    auf    der    inneren  Fläche    der  Schleimhaut   präparirt.     np*  der  beim 

Eintritt  in  den  Can.  incisivus  abgeschnittene  linke  N.  nasopalatin. 


der  Nn.  palatini  dicht  unter  dem  Ganglion,  verläuft,  nachdem  er  das  Fora- 
men sphenopalatinum  durchsetzt,  an  der  unteren  Fläche  des  Wespenbein- 
körpers    erst   median-,   dann  an  der  Scheidewand,   in    einer   seichten  Rinne 


^)  N.    nasopalatinus    Scarpae  aut.      N.    septi  narium.     N.    sphen< 
Nasengaumennerve.     Nasenscheidewandnerve. 


ini.    C  r  u  V. 


Nn.  palatini.  377 

des  Pflugscharbeins,  vor-  und  abwärts,  stets  in  Begleitung  der  gleiclinaniigen 
Arterie  zwischen  dem  Knochen  und  der  Schleimhaut,  die  er  mit  feinen 
Aesten  versieht  (Wrisberg^),  Arnold).  Vor  dem  Eintritt  in  den  Can. 
incisivus  geht  er  eine  Anastomose  mit  einem  Aste  des  N.  alveolaris  sup.  ant. 
ein  und  in  dem  Canal  verbindet  er  sich  mit  dem  or.tsprechenden  Nerven 
der  anderen  Körperhälfte  zu  einem  feinen  Geflecht,  aus  welchem  die  Aeste 
zum  vorderen  Theil  der  Gaumenschleimhaut  hervorgehen  (Fig.  242). 

Cloquet  erklärte  das  Geflecht  der  beiderseitigen  Nn.  nasopalatini  für  ein 
Ganglion,  Ggl.  nasopalatinum  (Ggl.  incisivum  seu  Cloqueti  aut.),  Valentin 
nennt  das  GeflecM  gangliös  und  C.  Krause  giebt  an,  bald  eiu  Geflecht,  bald  ein 
Ganglion,  zuweilen  aber  aucb  zwei,  durch  eine  quere  Anastomose  zusammenhän- 
gende Ganglien,  eins  an  jedem  N.  nasopalatinus,  gefunden  zu  haben.  Scarpa 
und  Bock  kennen  dies  Ganglion  nicht,  Arnold,  Longet  (a.  a.  O.  II,  127),  Cru- 
veilhier  und  Sappey  erklären  sich  ausdrücklich  gegen  Cloquet's  Angaben. 
Auch  ich  habe  im  Can.  incisivus  nur  anastomosirende  Nervenfaserbündel  gefunden. 

c.    Nn.   palatini  p^). 

Mit   dem  grössten  Theil   ihrer   Fasern    das    Ganglion    ununterbrochen  o.  Paiat. 
durchsetzend,   ziehen   sie   senkrecht   zum    Can.  pterygopalatinus  herab,    als 
ein  Stamm  ^),  der  sich  bald  in  drei,  der  Theilung  des  Can.  pterygopalatinus 
entsprechende  Aeste  theilt  (Fig.  238.  241). 

Der  Hauptast,  N.  palatinus  Unt.  ^),  füllt  den  Hauptcanal  aus  und  geht 
durch  die  untere  Oeffnung  desselben,  das  For.  pterygopalatinum,  zum  Gau- 
men. Aus  dem  Canal  schickt  er  durch  Löcher  der  verticalen  Platte  des 
Gaumenbeins  Nerven  zur  Seitenwand  der  Nase,  in  der  Regel  zwei,  Nn.  fla- 
säles  postt.  inferiores  ^),  von  denen  der  obere  zwischen  den  hinteren  Spitzen 
der  mittleren  und  unteren  Muschel,  der  untere  gegenüber  der  hinteren 
Spitze  der  unteren  Muschel  unter  die  Schleimhaut  der  Nasenhöhle  gelangt. 
Der  obere  spaltet  sich  in  einen  auf-  und  einen  absteigenden  Ast,  jenen  zur 
mittleren,  dieser  zur  unteren  Muschel,  der  untere  läuft  auf  der  convexen 
Fläche  der  unteren  Muschel  gerade  vorwärts ;  ihre  Zweige  gehören  der 
Schleimhaut  der  Muscheln  und  Nasengänge.  Unter  dem  For.  pterygopala- 
tinum spaltet  sich  der  N.  palatinus  ant.  in  zwei  Zweige,  die  in  Furchen  des 
knöchernen  Gaumens  vorwärts  gehen  und  sich  in  der  Schleimhaut  verästeln, 
der  Eine  längs  den  Backzähnen,  der  andere  gegen  die  mediane  Gaumennaht 
und  die  Schneidezähne,  Oefters  trennen  sich  feine  Gaumenzweige  schon 
früher  vom  Nervenstamme  und  durchziehen  den  Proc.  pyramidalis  des  Gau- 
menbeins in  besonderen  Canälchen. 

«)  Cruveilhier  beschreibt  einen  Ast  des  N.  palatinus  ant.,  der  durch  die  Wand 
der  Kieferhöhle  zu  den  Backzähnen  verlaufen  soll,  und  einen  anderen,  ß)  N.  stapJiy- 
linus,  der  vom  Ausgang  des  Can.  pterygopalatinus  Aeste  aufwärts  zur  Nasen- 
schleimhaut sende. 

Der   grössere    der    beiden   Nebenäste  ^),   N.  palatinus  post.''),  verlässt 


■'■)  Commentat.  p.  375.  ^)  Nn.  pterygopalatini.  Nn.  palatini  descendentes.  Gaumen- 
nerven. ^)  N.  palatinus  communis  Wrisberg.  *)  N.  palatinus  major  Meckel. 
^)  Nn.  nasales  laterales  inff.  Arnold.  Nn.  tat.  medius  u.  inf.  Krause.  ^)  Nn.  palatini 
minores.  ^)  N.  palatinus  post.  minor  Meckel.  N.  palatinus  minor  s.  int.  Bock.  N. 
palatinus  medius  C  r  u  v. 


378  N.  inframaxillaris. 

seinen  Knochencanal  vor  dem  Hamiilns  pterygoideus  und  über  der  sehnigen 
Ausbreitung  des  M.  spbenostaphylinus  und  zerfällt  medianwärts  in  Zweige, 
die  sieb  in  den  Mm.  petrostapbylinus  und  palatostaphylinus  verlieren.  Es 
sind  obne  Zweifel  Fasern  des  N.  facialis,  und  insbesondere  des  N.  petrosus 
superficialis  major,  die  durcb  diesen  Gaumennerven  den  Muskeln  zugeführt 
werden. 

Der  kleinere  Nebenast,  N.  palatinus  lateralis  ^),  tritt  durcb  das  laterale 
For.  palatinum  post.  aus  und  verzweigt  sich  in  der  Gegend  der  Tonsille 
und  im  unteren  Theil  des  Gaumensegels. 

Ob  in  der  Bahn  der  Nn.  palatini  secretorische  Fasern  zu  den  Drüsen 
des  harten  und  weichen  Gaumens  verlaufen,  ist,  wiewohl  wahrscheinlich, 
doch  noch  nicht  experimentell  entschieden. 

ß)  Longet  (a.  a.  0.  II,  125)  sah  einen  ziemlich  starken  Faden  vom  oberen 
lind  medialen  Bande  des  Ggl.  nasale  sich  ablösen  und  in  die  Wespenbeinliöhle  ein- 
dringen. 

ß)  Eine  Anzahl  feiner  Nervenfädchen  wendet  sich,  vom  Ggl.  nasale  aus,  der 
Pissura  orbitalis  inf.  und  durch  dieselbe  der  Orbita  zu.  Der  AVurzel  des  Ggl.  ci- 
liare aus  dem  Ggl.  nasale  Avtirde  schon  oben  (S.  360)  gedacht.  Aeste  aus  dem  Ggl. 
nasale  zum  N.  opticus  hat  Hirzel  entdeckt  (Tiedemanu  und  Treviranus, 
Ztschr.  I,  228)  und  Arnold  abgebildet  (Kopfthl.  d.  vegetat.  Nervensystems.  Taf. 
II,  17);  Arnold  (S.  81)  konnte  sie  nur  zur  Scheide  des  Opticus  verfolgen,  Hirzel 
will  sie  Einmal  in  die  Substanz  desselben  eintreten  gesehen  haben.  In  seinem 
anatomischen  Handbuche  -  (II,  898)  führt  Arnold  diese  Nerven  als  „Orbitalfila- 
mente"  des  Ggl.  nasale  auf,  die  sich,  ausser  zum  Opticus,  auch  zum  Periost  der 
Orbita  lind  vielleicht  ins  "Wespenbein  begeben.  Beck  (Ueber  die  Verbindungen 
des  Sehnerven  mit  dem  Augen-  und  Nasenkuoten.  S.  13)  konnte  nur  die  Nerven 
zur  Wand  der  Orbita,  nicht  die  zum  N.  opticus  constatiren.  Nach  Luschka 
(Ztschr.  für  wissensch.  Zool.  VIII,  125.  Miill.  Arch.  1857,  S.  313)  steigen  die  Or- 
bitalfilamente ,  die  er  Nn.  spheno-ethmoidales  nennt,  an  der  medialen  Wand  der 
Orbita  auf  und  ziehen,  ein  Fädchen  durch  das  For.  ethmoid.  post.,  ein  zweites 
durch  die  verticale  Sutura  spheno-ethmoidalis,  ein  drittes  durch  eine  feine  Oeff- 
nung  in  der  Nähe  des  hinteren  Eandes  der  Lamina  papyracea,  zu  den  hinteren 
Siebbeinzellen  und  der  Wespenbeinhöhle. 

y)  H.  Müller  (Ztschr.  für  wissensch.  Zool.  IX,  541)  leitet  vom  Ggl.  nasale 
die  Nerven  ab,  die  den,  den  lateralen  Theil  der  Fissura  orbitalis  inf.  verschlies- 
senden  M.  orbitalis  (Eingewdl.  S.  696)  versorgen.  Nervenfäden  vom  Ggl.  nasale 
zum  M.  orbitalis  konnte  Prevost  (Arch.  de  physiol.  I,  p.  7.  207)  bei  Thieren  be- 
stätigen, doch  glaubt  er,  dass  sie  nur  an  den  Gefässen,  nicht-  in  den  glatten  Mus- 
keln der  Orbita  sich  verbreiten,  da  die  Contractionen  der  letzteren  durch  Reizung 
des  Sympathicus  am  Halse  auch  noch  nach  Exstirpation  des  Ggl.  nasale  hervor- 
gerufen werden  konnten. 

cT)  Wegen  des  Astes  vom  Ggl.  nasale  zum  N.  abducens  s.  diesen. 

C.     Des  N.  trigeminiis  dritter  Ast. 
N.  inframaxillaris  ^). 

c.infraraax.  Zxim  N.  inframaxillaris  vereinigen  sich  ein  Theil  der  sensibeln  und  die 

motorische  Wurzel  des  Trigeminus  in  einem   complicirten  Geflecht  •^),  wel- 


^)  N.  palatinus  minimus  s.  externus.  ^)  N.    niaxillaris    inf.     N.    crotaphiüco-buccina- 

torius.  ^)  Plexus  gangliofor-mis  Girardi  (Santo i'ini  tab.  septemdecim ,  p.    19).     Plexus 

Santorini  aut. 


N.  inframaxillaris. 


379 


ches  nocli  innerhalb  der  Scliädelhölile  beginnt  und  sieb  ausserhalb  derselben 
5  bis  6  Mm.  weit  fortsetzt  bis  zu  der  Stelle,  von  der  fast  mit  Einem  Male 
die   sämmtlichen   Aeste   des    Nerven   nach   verschiedenen    Richtungen    aus- 

Fig.  243.  -  -    - 


Verästelung  des  N.  inframaxillaris,  von  aussen.  Die  Fossa  infratemporalis  durch  Entfer- 
nung des  Jochbogens  und  des  Proc.  coronoid.  des  Unterkiefers  frei  gelegt.  Die  im  Unter- 
kiefer verlaufenden  Nerven  sind  hell,  die  an  der  medialen  Fläche  desselben  verlaufenden 
punktirt  angegeben,  tpr'^  tpr^  Nn.  tempor.  proff.  r«  N.  recurrens  inframaxill.  Go  Ggl. 
oticum.  mae  'S.  meat.  aud.  ext.  ma  N.  massetericus.  cf  N.  communicans  facialis,  ai 
N.  auriculo-tempor.  pe,  pi  Nn.  pteryg.  ext.  u.  int.  ai  N.  alveol.  inf.  l  N.  lingualis-. 
cht  Chorda  tympani.  7/ih  N.  mylohyoid.  b  N.  buccinat.  md'N.  mandibularis.  Gl  Ggl. 
linguale,     s  N.  submaxillaris.     m  N.  mentalis, 


J80 


N.  inframaxillaris. 


strahlen.  Der  Erfolg  der  Verflechtung  ist  der,  dass  die  beiden  bis  dahin 
getrennten  Wurzeln  ihre  Bündel  theilweise  mischen  und  dass  die  motorische 
Wurzel,  die  vom  Ursprung  an  an  der  unteren,  d.  h.  medialen  Fläche  der 
sensibeln  liegt,  um  den  vorderen  Rand  der  letzteren  an  deren  laterale  Seite 
gelangt. 

Von   der   sensibeln  Wurzel   allein   entspringt   im  Foramen   ovale   oder 
sogleich  unterhalb  desselben  (zuweilen  noch  in  der  Schädelhöhle)  ein  feiner, 

in  die  Schädelhöhle  zu- 
rückkehrender Faden, 
N.  recurrens  inframa- 
xillaris. Mit  der  me- 
dialen Fläche  des  Stam- 
mes oberhalb  seiner 
Theilung  ist  durch  kurze 
Fäden  das  Ganglion  oti- 
cum  verbunden.  Die 
Aeste,  ,in  welche  der 
Stamm  sodann  zerfällt, 
scheiden  sich  in  moto- 
rische und  in  rein  oder 
wesentlich  sensible.  Zu 
den  ersten  gehören  die 
Nerven  der  Kaumuskeln 
und  des  M.  sphenosta- 
phylinus ,  Temporales 
profiindi ,  massetericus, 
pterygoideus  ext.  u.  int. 
Sie  wenden  sich  an  der 
unteren  Fläche  des  Tem- 
poralflügels des  Wespen- 
beins sämmtlich  seit- 
wärts ,  mit  Ausnahme 
des  N.  pterygoid.  int., 
der  vom  vorderen  Rande 
des  Stammes  vor-  und 
abwärts  an  die  mediale 
Fläche  seines  Muskels 
geht.  Feine  Fäden,  die 
der  Eine  oder  andere 
dieser  Nerven  an  das 
Periost  oder  an  das  Kie- 


Ansicht  der  linken  Fossa  int'ratemporalis  von  der  Rück- 
seite. Das  For.  ovale  von  hinten  geöffnet;  die  sensible 
und  motorische  Wurzel  des  N.  inframaxillaris  (V^  u.  V^') 
auseinander  gelegt.  1  Das  geöffnete  Kiefergelenk.  Pe,  Pi 
Mm.  pterygoid.  ext.  u.  int.  8s  M.  sphenostaphylinus. 
Ci  A.  carotis  int.  mi  A.  masill.  int.  mm  A.  meningea 
media,  tpr  N.  tempor.  prof.  j)e  N.  pteryg.  ext.  h  N. 
buccinat.  l  N.  lingualis.  pi  N.  pteryg.  int.  mh  N.  my- 
lohyoid.     ai  N.   alveol.  inf.     at  N.  auriculo-tempor. 


fergelenk  sendet,  sind 
wohl  auf  Beimischungen  aus  der  sensibeln  Wurzel  zurückzuführen.  Von 
den  sensibeln  Aesten,  die  die  motorischen  an  Stärke  übertreffen,  begiebt 
sich  der  Eine,  N.  auriculo-temporalis,  an  der  medialen  Seite  des  Gelenkfort- 
satzes des  Unterkiefers  rückwärts,  um,  diesen  Knochen  umkreisend,  vor  dem 
Ohre  aufzusteigen;  zwei,  die  Nn.  lingualis  und  alveolaris  inf.,  ziehen  zwi- 
schen M.  pterygoid.  und  Unterkiefer  ab-  und  etwas  vorwärts,  der  Eine  zum 


N.  recurrens  inframaxillaris,  381 

Can.  mandibiilaris,  der  andere  zum  Boden  der  Mundhöhle ;  das  zuweilen 
verknöchernde  Lig.  pterygopetrosum  (Knochenl.  S.  124)  trennt  sie  derge- 
stalt, dass  der  N.  lingualis  an  der  medialen,  der  N.  alveolaris  an  der  late- 
ralen Fläche  des  Ligaments  herabläuft  (Fig.  246).  Ein  vierter  sensibler  Ast,  N. 
huccinatorius,  geht  zwischen  den  beiden  Köpfen  oder  durch  den  oberen  Kopf 
des  M.  pterygoid.  ext.  erst  seitwärts  und  dann  auf  der  äusseren  Fläche  des 
M.  buccinator  vorwärts  zur  Wange  und  Lippe.  Dadurch,  dass  er  anfäng- 
lich mit  den  motorischen  Nerven  verläuft,  auch  wohl  einen  oder  mehrere 
derselben  in  seine  Scheide  einschliesst,  oder  mit  einer  Anzahl  der  lateral- 
wärts  verlaufenden  motorischen  Nerven  zu  einem  Ast  ^)  zusammentritt,  er- 
weckt er  den  Anschein,  als  ob  er  aus  der  motorischen  Wurzel  entspringe. 
Man  muss  das  Neurilemm  sorgfältig  entfernen,  um  sich  zu  überzeugen, 
dass  der  N.  buccinatorius  ein  Zweig  der  sensibeln  Wurzel  ist,  der  sich  an 
die  motorischen  Aeste  nur  von  unten  her  anlehnt,  während  an  seiner  me- 
dialen Seite  der  N.  pterygoid.  int.  herabgeht  (Fig.  244). 

Unter  den  „rein  oder  wesentlich"  sensibeln  Zweigen  des  N.  inframaxillaris 
habe  ich  Einen  aufgezählt,  den  Alveolaris  inf.,  der  durch  Abgabe  eines 
Muskelnerven,  des  B.  mylohyoideus,  sich  als  ein  gemischter  erweist.  Es  ist 
nicht  zweifelhaft,  dass  die  motorischen  Fasern  dieses  Zweiges  aus  der  kur- 
zen Wurzel  stammen,  obgleich  sie  sich  nicht  mit  Sicherheit  von  der  Aus- 
trittsstelle bis  zu  dem  Geflecht  der  Wurzeln  und  durch  dasselbe  verfolgen 
lassen  2). 

In  einem  von  Turner  (Journ.  of  anat.  2^  ser.  Nr.  IX,  p.  101)  beschriebenen 
Präparat  waren  die  Nn.  lingualis  und  alveolaris  inf.  bis  zum  Eintritt  des  letzteren 
in  das   For.   mandibulare  in  Einen  Stamm  vereinigt. 


1.    N.  recurrens  inframaxillaris  ri^).    ' 

Tritt  am  hinteren  Rande  der  A.  meningea  media  einfach  oder  mit  mehreren,  i.  Eec.  m- 
diese  Arterie  umgebenden  Fäden,  die  sich  weiterhin  vereinigen,  durch  das 
Foramen  spinosum  in  die  Schädelhöhle  und  zerfällt,  wie  die  Arterie,  früher 
oder  später  in  einen  hinteren  und  einen  vorderen  Ast.  Jener  sendet  Zweige 
in  den  die  Paukenhöhle  deckenden  Theil  der  Schläfenpyramide  und  durch 
die  Sutura  petrosquamosa  in  die  Schleimhaut  der  Zellen  des  Warzenfort- 
satzes; dieser  vereinigt  sich   mit  dem  N.  recurrens  des  Supramaxillaris  zur 


1)  Dem  R.  superior  s.  crotaphitico-buccinatorius  Meckel,  Bock  u.  A.  Longet  (a. 
a.  0.  II,  131),  welcher  jede  Verbindung  der  beiden  Wurzeln  des  N.  inframaxillaris  läugnet, 
nennt  die  sensible  sammt  den  von  ihr  ausgehenden  Aesten  den  sensiblen,  die  motorische 
den  motorischen  N.  alv.  inf.     Zum  N.  buccinatorius    sollen   beide    beitragen.  2)  Longet 

(a.  a.  0.  II,  135)  behauptet,  diese  Operation  mit  Erfolg  ausgeführt  zu  haben.  Calori 
dagegen  (Animadversiones  de  portione  minore  paris  quinti  aus  Mem.  dell'  accademia  di  Bo- 
logna I,  74)  konnte  den  N.  mylohyoideus  zwar  bis  zum  Auriculo-temporalis  vom  Stamme 
des  Alveolaris  inf.  ablösen,  sah  ihn  aber  dann  in  zahlreiche  Fäden  sich  auflösen ,  die  sich 
mit  den  Wurzelfäden  des  Alveolaris  selbst  und  der  übrigen  sensibeln  Zweige  verflochten. 
^)  N.  recurrens  tertii  rami  quinti  paris  Arnold  (Wiener  med.  Jahrb.  XVII,  31).  N.  spi- 
nosus  Luschka. 


382  ■       '  Ggl.  oticum. 

Begleitung  des  Torderen  Astes  der  A.  meningea  media  (Fig.  245).  Von  ihm 
dringen  feine  Aestcheu  in  die  Knochenbrücke  zwischen  dem  For.  ovale  und 
spinosum  und  in  die  Substanz  des  Temporalflügels  (Luschka)^). 

Fig.  245. 


Schädelbasis    mit    dem    Tentorium     (l);     Sinus    trausv.    (2)    und    petros.    sup.    (3)    geöffnet. 

4  Querschnitt  des  verlängerten  Marks.     5    A.  meningea  media,     ro    N.  _  recurrens    ophthal- 

mici.     rs  N.   recurrens  supramaxillaris. 


2.    Die  kurzen    Wurzeln  des  Ganglion  oticum  2) 
und  das  Ganglion  Oo, 

2.  Ggi.  otic.  An  der   medialen  Fläche    des  N.  inframaxillaris  liegt  unter   dem   For. 

ovale  das  Ganglion  oticum,  dicht  an  den  Nervenstamm  durch  ein  Paar  aus  dem- 
selben hervortretende  Fädchen  angeheftet,  platt,  elliptisch,  mit  dem  längsten 
Durchmesser  (von  4  bis  5  Mm.)  sagittal  gerichtet  (Fig.  246).  Es  bedeckt 
den  Ursprung  des  N.  pterygoid.  int.  und  wird  häufig  von  demselhen  durch- 
setzt; von    seinem   vorderen   und   hinteren  Rande   gehen  Aeste   aus,   denen 


1)  Müll.   Arch.    1853,   S.   445.  ^)    Ggl.  auriculare.      G.  Arnoldi. 


Gffl.  oticum. 


383 


man,  so  weit  sie  mit  anderen  Nerven  in  Verbindung  treten,  die  Bedeutung 
von  Wurzeln  des  Ganglion  zuschreiben  kann  und  zuge schrieben  hat.  Doch 
lassen  diese  Aiiffassungen,  da  sie  sich  nur  auf  Gründe  der  Analogie  stützen, 
der  Willkühr  allzuviel  Spielraum. 

So  sclireibt  der  Entdecker  des  Ganglion  oticum,  Arnold,  demselben  nach 
dem  Vorbilde  des  Ggl.  ciliare  dreierlei  Wurzeln,  motorische,  sensible  und  sympa- 
thische zu :  für  die  motorische  Wurzel  erklärt  er  einen  Tlieil  der  kurzen  Wurzeln, 
den  er  zur  motorischen  Wurzel  des  Stammes  des  Inframaxillaris  zurückverfolgt 
zu  haben  versichert;  als  sensible  Wurzel  deutet  er  die  Anastomose  mit  dem  N. 
glossopharyngeus,  als  sympathisclie  einige  Pädcben,  die  das  Ggl.  oticum  mit  dem 
Nervengeflecht  der  A.  meningea  media  verbinden  sollen,  nachEauber  aber  (Ueber 
den  sympath.  Grenzstrang  des  menschl.  Kopfes.  München  1872,  S.  13)  nur  als 
Gefässnerven  der  zum  Ggl.  oticiim  verlaufenden  Zweige  der  genannten  Arterien 
fmigiren.  Longet  (a.  a.  O.  II,  144)  betrachtet  als  sensible  Wurzel  die  Fädchen, 
die  nach  Arnold' s  Darstellung  in  peripherischer  Richtung  vom  Ganghon  zum 
N.  auriculo-temporahs  ziehen;  die  motorische  Wurzel  glaubt  er  in  einem  Fädchen 
zu  sehen,  das  vom  N.  faciahs  an  die  Anastomose  des  Ggl.  oticum  mit  dem  N. 
glossopharyngeus  tritt.  Nach  Hyrtl  ist  die  kurze  Wux'zel  die  sensible  und  Avird 
die  motorische  vom  IST.  pterygoid.  int.  während  seines  Durchgangs  durch  das  Gaug- 
hon  abgegeben.  Eüdinger  reiht  das  Ggl.  oticum  den  Ganglien  des  Grenzstrangs 
des  Sympathicus  an  und  begnügt  sich  mit  dem  Nachweis,  dass  die  kurzen  Wur- 
zeln ihm  sowohl  motorische  als  sensible  Fasern  zuführen. 

Fig.  246. 


1     mm 


Linke  Kopfhälfte,  das  Ggl.  oticum  von  der  medialen  Seii.e  Llossgelegl;  die  Spitze  der  Schlä- 
fenpyramide ist  entfernt,  die  A.  carotis  int.  aber  aus  ihrem  Canal  gelöst  und  an  einem 
Faden  (l)  in  die  Höhe  gezogen.  2  Mediale  Platte  des  Gaumenfliigels.  3  Lig.  pterygope- 
trosum.  Pi  M.  pterygoid.  int.  Ss  M.  sphenostaphylinus.  Pts  M.  petrostaphylinus,  un- 
teres Ende.  Sp  M.  stylopharyngeus.  mm  A.  meningea  media,  at  N.  auriculo-temporalis. 
cht  Chorda  tympani.      l  N.  lingualis.      ai  N.   alveol.  Inf.     pi  N.   pterygoid.  int. 

Unter  den  Nerven,  die  als  Aeste  oder  W^urzeln  des  Ggl.  oticum  be- 
schrieben werden,  sind  die  ansehnlichsten  von  der  hinteren  Spitze  desselben 
rückwärts   gerichtet.      Abgesehen    von    den    erwähnten     Verbindungen    des 


384  Ggl.  oticum. 

Ggl.  oticum  mit  dem  Gefässnervengefleclit  der  A.  meningea  media,  derent- 
wegen auf  das  sympathisclie  Nervensystem  zu  verweisen  ist,  sind  es  die 
folgenden : 

a)  Der  N.  tensoris  iympani^),  ein  entschieden  peripherischer  Ast,  wen- 
det sich  sanft  ansteigend  rückwärts  zur  oberen  Abtheilung  des  Can.  mus- 
culotubarius  und  senkt  sich  in  den  M.  tensor  tympani.  Seine  Abstammung 
von  der  motorischen  Wurzel  des  N.  inframaxillaris  bezeugen  (für  den  Hund) 
die  Versuche  von  Ludwig  und  Politzer 2);  ob  die  Fasern  sämmtlich  oder 
theilweise  den  Umweg  durch  den  N.  pterygoid.  int.  machen,  ob  im  Ganglion 
neue  Fasern  hinzutreten,  ist  zweifelhaft. 

Arnold  hatte  zuerst  (Kopftlieil  des  vegetativen  Nervensystems.  S.  116) 
den  N.  tensoris  tympani  lediglich,  aus  dem  Ggl.  oticum  abgeleitet  und  Longe t 
(a.  a.  0.  II,  144)  und  Beck  (Anat.  Unters,  über  einzelne  Theile  des  siebenten 
und  neunten  Hirnnervenpaars.  S.  38)  stimmten  ihm  bei.  Dagegen  erklärten 
Schlemm  (Froriep's  Notizen,  Bd.  XXX,  Nr.  22)  und  J.  Müller  (Meckel's  Ar- 
chiv 1832,  S.  67)  den  fraglichen  Nerven  für  einen  Ast  des  N.  pterygoideus  int., 
der  die  Substanz  des  Ganglion  oder  das  gefässreiche  Bindegewebe,  wofür  Schlemm 
es  erklärte,  nur  durchsetze.  In  seinen  späteren  Arbeiten  versöhnte  Arnold  beide 
Ansichten  durch  den  Ausspruch,  dass  ein  gelatinöser  Zweig  aus  dem  Ganglion  und 
ein  weisser  aus  dem  N.  pterygoid.  int.  neben  einander  beständen,  und  dieser  Mei- 
nung schhesst  Luschka  (Archiv  für  physiol.  Heilk.  1850,  S.  80)  sich  an:  beim 
Schaf  und  Kalb  fand  er  beide  Nerven  sehr  deutlich  ausgesprochen,  beim  Menschen 
war  der  Ast  aus  dem  N.  pterygoid.  int.  oft  sehr  unbedeutend  entwickelt,  so  dass 
er  wohl,  wie  Luschka  meint,  durch  Zerreissung  der  Beobachtung  entgehen 
könnte.  Eauber  (a.  a.  0.  S.  14)  leitet  den  N.  tensoris  tympani  vom  N.  ptery- 
goid. int.  ab,  will  aber  nicht  läugnen,  dass  zu  dem  ersteren  feine,  aus  dem  Gang- 
lion entsprungene  Faserzüge  gelangen. 

In  einem  von  Luschka  beobachteten  Falle  kam  ein  Nervenzweig  direct  aus 
dem  Stamme  des  Supramaxillaris  da,  wo  er  vom  Ggl.  otictim  bedeckt  ist,  durch- 
bohrte die  knöcherne  Wand  des  Can.  musculotubarius  und  verbreitete  sich  im  M. 
tensor  tympani. 

b)  N.  petrosus  superficialis  minor.  So  wird  der  feine  Nerve  genannt, 
welcher  medianwärts  und  etwas  oberhalb  des  vorigen  in  fast  gleicher  Rich- 
tung zur  Fissura  sphenopetrosa  zieht,  durch  das  Bindegewebe  derselben  in 
die  Schädelhöhle  und  durch  die  obere  Oeffnung  des  Can.  tympanicus  (Kno- 
chenl.  Fig.  140)  in  die  Paukenhöhle  gelangt,  um  sich  in  zwei  Aeste  zu 
spalten,  von  denen  der  Eine  mit  dem  Knie  des  N.  facialis  in  Verbindung 
tritt,  der  andere  sich  am  Plexus  tympanicus  betheiligt.  Ich  werde  auf  jenen 
beim  N.  facialis,  auf  beide  ausführlicher  beim  N.  glossopharyngeus  zurück- 
kommen. 

c)  B.  communicans  c.  nervo  atiriculo-temporali,  einer  oder  mehrere, 
rück-abwärts  verlaufende,  sehr  feine  Zweige,  die  sich  der  vorderen  oder 
hinteren  Wurzel  des  genannten  Nerven  oder  beiden  zugesellen. 

d)  Aus  der  vorderen  Spitze  des  Ggl.  oticum  entspringt  Nervulus  ad 
musculum  sphenostaphylinum  ^)  und  geht  schräg  vor-lateral-abwärts  zum 
hinteren  Rande  des  genannten  Muskels.  Auch  dieser  Nerve  lässt  sich  zu- 
weilen innerhalb  des  Ganglion  zu  dem  N.  pterygoideus  int.  zurückverfolgen. 
Er  kann  sich  verdoppeln  (Hein*). 


^)  N.  musculi  mallei  interni  Krause.  ^)  Meissner's  Jahresbericht  1860,    S.  583. 

^)   N.  ad  musculum  tensorem  veli  palatini  Arnold.         *)  Müll.  Arch.  1844,  S.  331. 


N.  massetericus.  385 

e)  Eine  in  der  Form  variable,  jedoch,  wie  es  scheint,  beständige  Ver- 
bindung geht  das  Ggl.  oticum  mit  der  Chorda  tympani  ein.  Ich  komme 
bei  Beschreibung  des  N.  facialis  auf  dieselbe  zurück. 

Zweifelhaft  oder  unbeständig  sind  die  folgenden  Verbindiingsäste  des  Ggl. 
oticum : 

ß)  Nervulus  sphenoidalis  ext.  Krause,  zum  Grgl.  semilunare,  ein  Ast,  der 
in  einem  eigenen  Canälchen  {Can.  lateralis  Fäsebeck.  Can.  sphenoidalis  ext. 
Krause)  das  Wespenbein  vom  vorderen  Eande  des  For.  ovale  zum  liiuteren 
Eande  des  Can.  rotundus  schräg  durchsetzen  soll  (Fäsebeck,  Nerven  des  Kopfs. 
S.  13.  Rauber,  a.  a.  0.  S.  10).  Eauber  bezweifelt  die  Beständigkeit  dieses 
Nerven  nicht,  konnte  sich  aber  von  der  Verbindung  desselben  mit  dem  Ggl.  semi- 
lunare nicht  überzeugen,  sondern  vermuthet,  dass  er  zu  den  Nn.  recurrentes  des 
N.  trigeminus  gelange  und  denselben  sjmipathische  Fasern  zuführe. 

ß)  Nervulus  sphenoidalis  int.  Krause  (i?.  recurrens  ext.  s.  sphenoidalis 
Valentin)  zum  Ausgang  des  Can.  vidianus,  um  sich  an  den  N.  petrosus  prof. 
major  anzulegen  und  durch  dessen  Vermittlung  mit  dem  Ggl.  nasale  zu  verbinden. 
Bidder  (Neurol.  Beob.  S.  54)  beobachtete  ihn  zwei  Mal;  das  Binemal  drang  er 
durch  die  Masse  des  Wespenbeinkörpers  in  den  Can.  vidianus.  Valentin  be- 
schreibt ihn  als  einen  vom  Ggl.  sphenopalatinum  zur  sensibeln  Wurzel  des  N.  in- 
framaxillaris  verlaufenden  Zweig  und  lässt  ihn  zwei  bis  drei  Fäden  zur  Schleim- 
haut des  Sinus  sphenoidalis  abgeben.  Eauber  vermisste  nicht  selten  den  ent- 
sprechenden Knochencanal,  sah  aber  in  Einem  Falle,  dass  eine  einfache  untere 
Mündung  aufwärts  in  zwei  Canäle  auslief,  von  denen  der  Eine  dem  Canal  des 
äusseren,  der  andere  dem  des  inneren  N.  sphenoid.  entsprach;  in  anderen  Fällen 
lag  der  N.  sphenoid.  int.  etAvas  weiter  rückAvärts  und  gelangte  durch  die  fibröse 
Masse  des  For.  lacerum  zum  N.  vidianus.  Kurz  vor  demselben  pflegt  er  sich  zu 
theilen.  Ein  Faserzug  tritt  nach  vorn  und  verläuft  im  N.  vidianus  zum  Ggl.  na- 
sale. Der  stärkere  hintere  Ast  verläuft  rückwärts  im  N.  petrosus  superfic.  maj. 
gegen  das  Ggl.  geniculat.  Einige  Mal  zweigte  sich  ein  Ast  von  jenem  Faserzuo- 
ab,  der  in  den  N.  petros.  prof.  maj.  rückwärts  verlief.  An  der  Stelle,  wo  der  N. 
sphenoid.  int.  den  N.  vidianus  erreicht,  war  unter  sechs  Fällen  drei  Mal  eine 
kleine  Anhäufung  von  Nervenzellen  vorhanden.  An  einem  Präparat  befand  sich 
das  entsprechende  Ganglion  am  N.  petros.  superfic.  maj. 

Eauber  führt  noch  mehrere,  aus  dem  unteren  vorderen  Theile  des  Ganglion 
entspringende  Fäden  auf,  welche  zum  Theil  peripherisch  in  den  N.  buccinatorius 
übergehen,  zum  Theil  scliAver  zu  entAvirrende,  Nervenzellen  enthaltende  Geflechte 
bilden,  aus  welchen  vielleicht  feine  Fädchen  peripherisch  in  den  N.  pterygoid.  int. 
und  in  den  Nerven  des  M.  sphenostaphylinus  gelangen.  Vom  vorderen  Umfange 
des  Ggl.  sah  er  feine  Zweige  gegen  die  Basis  des  Gaumenflügels  und  die  Fossa 
pterygoidea  verlaufen,  die  in  den  Knochen  einzudringen  schienen;  vom  oberen  Um- 
fange Hessen  sich  feine,  aufAvärts  steigende  Fädchen  durch  den  Ursprung  des  M. 
sphenostaphylinus  verfolgen,  deren  Ziel  die  Tuba  sein  könnte.  Neben  oder  mit 
dem  N.  petrosus  superf.  minor  entsprang  regelmässig  ein  feiner  Faden,  der  gegen 
das  For.  spinosum  zog  und  mit  dem  N.  recurrens   inframaxillaris   sich   vereinigte. 

3.    N.   massetericusi). 

Geht  zwischen  der  Decke  der  Fossa  infratemporalis   und   dem  M.  pte-  3.  Masseter! 
rygoid.  ext.  zuerst  seitwärts,  dann  an  der  Aussenfläche  des  genannten  Mus- 
kels abwärts,  zuletzt  am  hinteren  Rande  des  M.  temporalis  wieder  seitwärts 
durch   die  Incisur   des  Unterkiefers   auf  dessen    äussere  Fläche.      Er   läuft 


^)  Kiefermuskelnerve.     Innerer  Kiefermuskelnerve.     Kaumuskel  nerve. 
Henle,  Anatomie.     Ed.  III.     Abthlg.  2.  05 


o86  Nu.  temporales  proff.     N.  pterygoid.  ext. 

zwischen  der  oberflächlichen  und  tiefen  Schichte  des  M.  masseter  herab  und 
versendet  seine  Endzweige  in  beide.  Aus  dem  ersten  lateralwärts  gerich- 
teten Abschnitt  kommen  feine  Fäden  zum  Kiefergelenk  und  zuweilen  ein 
Ast  zum  M.  temporalis  (Meckel).  Oefters  giebt  er  den  folgenden 
Nerven  ab. 

4.  N.  temporalis  prof.  post.  tpr'^  ^). 

4.  Tempnr.  Selbständig   oder  als    ein   Ast  des  vorigen   oder    gemeinschaftlich   mit 

dem  folgenden,  zuweilen  auch  vom  N.  buccinatorius  entspringend,  wendet 
sich  dieser  Nerve,  der  stärkere  der  beiden  Muskeläste  des  Temporalis,  an 
der  Decke  der  Fossa  infratemporalis,  nicht  selten  in  einer  Furche,  die  die 
Naht  der  Schuppe  und  des  Temporalflügels  schneidet,  nach  oben,  um  in  der 
hinteren  Hälfte  des  M.' temporalis  sich  auszubreiten.  Auch  der  N.  tempor. 
prof.  post.  sendet  1  bis  2  feine  Fädchen  in  die  Kapsel  des  Kiefergelenkes, 
die  am  Tub.  articulai'e  den  Ansatz  derselben  erreichen  (Rüdinger)  ^). 

ß)  Murray  (De  sensib.  oss.  morb.  Ups.  1780)  bescbreibt  Zweige  des  N.  temp. 
prof.  ext.  zur  Substanz  des  Temporalflügels  des  Wespenbeins,  deren  Existenz  von 
Arnold  und  Valentin  bestritten,  von  Rüdinger  (G-elenkuerven  a.  a.  0.)  bestä- 
tigt wird. 

Var.  Einer  der  Muskelzweige  verläuft  eine  Strecke  weit  durch  ein  Knochen- 
canälchen  (Bock  a.  a.  0.  S.  43).  Longet  (a.  a.  O.  II,  133)  iind  Cruveilhier 
sind  die  Einzigen,  welche  von  Zweigen  dieses  Nerven  berichten,  die  über  dem  Joch- 
bogen die  Fascia  temporalis  durchbohren  und  mit  den  Nn.  aiiriculo-temporalis  und 
facialis  anastomosiren. 

5.  N.  temporalis   prof.    ant.  *pri3). 

5.  Temp.  Von   gleichem  Verlauf  wie   der   vorige  steigt  er  vor  demselben  in  der 
pio  .  an  .       Schläfengrube  empor  und  endet  im  vorderen  Theil  des  M.  temporalis. 

Oefters  hängen  beide  Nn.  temporales  proff.  diirch  eine  schlingenförmige  Ana- 
stomose zusammen. 

6.    N.    pterygoideus    ext.  pe^). 

ti.    Pteryg.  Aus  dem  Stamm  des  Inframaxillaris  oder,   der  häufigere  Fall,  aus  dem 

N.  buccinatorius  oder  temporalis  prof.  post.  direct  seitwärts  zu  seinem 
Muskel. 

7.     N.   huccin'atoritis  b^). 

7.  Buociiiat.  Vom  Ursprung  an  stärker  oder  schwächer  je  nach  der  Zahl  der  Muskel- 

äste, die    er   mit  sich  führt,   kömmt   der  Buccinatorius   auch  nach  Abgabe 


^)  N.  t.  frof.  externus.  ^)  Die  Gelenknerven  des  menschlichen  Körpers.  Erlangen  1857 
S.  8.  ^)  iV.  temp.  prof.  internus.  *)  Aeusserer  Flügelmuskel  nerve  oder  Flügelnerve.  ■'')  A'. 
buccolabiah's  s.  bucc'inatorio-lahialis.     Baokennei-ve. 


N.  buccinatorins.     N.  pterygoid.  int.  387 

dieser  Aeste  als  ein  immer  noch  ansehnlicher  Nerve  an  der  Aussenseite  des 
M.  pterygoid.  ext.  ziim  Vorschein.  Er  zieht  dann  an  der  lateralen  Fläche 
dieses  Muskels  medianwärts  neben  dem  M.  temporalis  und  zuweilen  zwi- 
schen den  vordersten  Bündeln  des  letzteren  herab  und  giebt  ihm  einige 
unbeständige  Zweige.  Umhüllt  von  dem  Fett  der  Fossa  infratemporalis 
langt  er  schliesslich  auf  dem  M.  buccinatorius  an,  an  dessen  Fascie  er  sammt 
seinen  Verzweigungen  durch  straffes  Bindegewebe  befestigt  ist.  Von  der 
Gegend  des  Lig.  pterygomandibulare  an  sendet  er  Aeste  ^)  abwärts  gegen 
den  Unterkieferursprung  des  M.  buccinatorius,  welche  theils  durch  diesen 
Muskel,  theils  am  unteren  Rande  desselben  die  Wangenschleimhaut  erreichen. 
Unter  der  Mündung  des  Duct.  parotideus  beginnt  die  spitzwinklige  Thei- 
lung  des  Stamms  in  3  bis  4,  gegen  den  Mundwinkel  und  die  Lippen  diver- 
girende  Aeste  '^),  die  unter  sich  und  mit  Zweigen  des  N.  facialis  schlingeu- 
förmige  Anastomosen  bilden  und  in  der  Haut  und  Schleimhaut  der  Lippen 
enden. 

Dass  der  N.  buccinatorius  bei  seiner  Ankunft  auf  dem  gleichnamigen 
Muskel  nur  sensible  Fasern  führt,  ist  auf  physiologischem  Wege  ermittelt. 
Reizung  des  Nerven  vor  dem  Masseter  lässt  die  Muskeln  unberührt"); 
Durchschneidung  des  N.  facialis  bewirkt  vollkommene  Lähmung  der  Mus- 
keln, in  deren  Bereich  der  N.  buccinatorius  sich  zu  verzweigen  scheint. 

Auch  die  Varietäten  des  N.  buccinatorius  bezeugen  dessen  sensible  Eigen- 
schaft. Die  Fälle,  wo  er  durch  einen  Zweig  des  N.  infraorbitalis  vertreten  wird, 
habe  ich  oben  (S.  371)  erwähnt.  Turner  (Natui-al  history  review  1864,  p.  612) 
sah  ihn  im  Can.  mandibularis  vom  N.  alveolaris  inf.  entspringen  und  durch  eine 
feine  Oeffnung  im  hinteren  Theil  des  Alveolarrandes  austreten.  Gaillet  (Bulletin 
de  la  soc.  anatomique  1853,  p.  109)  beobachtete  eine  Anomalie  des  N.  buccina- 
torius, welcher  ohne  Communication  mit  der  motorischen  Wurzel  aus  dem  Ggl. 
semilunare  entsprang  und  durch  eine  besondere  Oeffnung  des  Schädels  zwischen 
Can.  rotund.  und  For.  ovale  austrat. 


8.    N.   pterygoideiis   int.  pi. 

Geht,   wie    erwähnt,    vom   vorderen   Rande  des   N.    inframaxillaris   ab,  s.   Pteryg. 
ganz  oder  mit  einem  Theil  seiner  Fasern  durch  das  Ggl.  oticum  und  senkt 
sich  einfach  oder,  zuweilen  bis  zum  Ursprung,    in   zwei   Aeste  getheilt,  in 
die  mediale  Fläche   des  gleichnamigen   Muskels.     Ein  Fädchen   zweigt  sich 
zum  M.  sphenostaphylinus  ab. 

Die  Abhängigkeit  dieses  Muskels  vom  N.  inframaxillaris  (vermittelst 
des  hier  genannten  und  des  aus  dem  Gangl.  oticum  entspringenden  Nerven) 
bezeugen  die  Versuche  Hein's*),  der  auf  Reizung  der  motorischen  Wurzel 
des  N.  trigeminus  in  der  Schädelhöhle  den  Bauch  des  M.  sphenostaphylinus 
sich  wellenförmig  zusammenziehen  sah.  . 


int. 


1)    Rr.'buccinaior!o-phari/7igei    Val.  ^)     Rr.    hucco-Inhiales    Cruv.  ^)    Longet, 

a.  a.  0.  II,   157.  *)  Müll.  Aroli.   1844,  S.  323. 

25* 


388  '  N.  lingualis. 


9.    N.  lingualis  l^). 

9.  Lingual.  Der   vordere,   mediale   und   schwäcliere    der   beiden,   an   der   medialen 

Seite  der  A.  maxill.  int.  zwischen  dem  M.  pterygoid.  int.  und  dem  Unter- 
kiefer herabl-aufenden  Nerven,  verstärkt  sich  noch  oberhalb  des  genannten 
Muskels  oder  hinter  dem  oberen  Rande  desselben  durch  einen  Ast  vom  N. 
alveolaris  inf.  und  einen  vom  N.  facialis.  Der  erste  (Fig.  244)  läuft  mit  den 
beiden  Nerven,  die  er  verbindet,  fast  parallel  und  wird  oft  erst  nach  Ent- 
fernung des  Neurilemms  sichtbar;  der  andere,  Chorda  tympani,  ein  Zweig 
des  N.  facialis,  tritt  durch  die  Fissura  petro-tympanica  aus  der  Paukenhöhle 
hervor,  in  die  er  vom  Ende  des  Can,  facialis  aus  gelangt  ist,  zieht  an  der 
medialen  Seite  des  Lig.  accessorium  mediale  des  Kiefergelenks  schräg  vor- 
und  abwärts  und  legt  sich  unter  spitzem  Winkel  an  den  hinteren  Rand 
des  N.  lingualis  an.  Vom  vorderen  Rande  des  M.  pterygoideus  int.  an 
zieht  dieser  Nerve  am  Boden  der  Mundhöhle  vorwärts;  er  ruht  zuerst  auf 
der  Submaxillardrüse,  dann  auf  dem  M.  mylohyoideus;  so  weit  er  auf  der 
Submaxillardrüse  liegt,  befindet  er  sich  dicht  unter  der  Schleimhaut  der 
Mundhöhle ;  weiter  vorn  senkt  er  sich  in  die  Tiefe  und  verläuft  an  der 
Seite  der  Zunge  zwischen  dem  M.  hyoglossus  und  der  Sublingualdrüse. 
,  Am  hinteren  Rande  der  letzteren  kreuzt  er  sich  spitzwinklig  mit  dem  Duct. 
submaxillaris,  der  über  ihm  hinweg  an  seine  mediale  Seite  tritt  und,  wenn 
man  die  Zunge  und  die  Sublingualdrüse  von  einander  zieht,  der  Drüse  folgt, 
indess  der  Nerve  straff  an  die  Musculatur  der  Zunge  angeheftet  ist  (Fig.  247). 
Auf  ihr  zerfällt  er  in  4  bis  5  Aeste,  die  sich  rasch  durch  fortgesetzte  spitz- 
winklige Theilung  vervielfältigen  und  verfeinern  und  zwischen  den  Mm. 
genioglossus  und  hyoglossus,  grösstentheils  durch  die  Bündel  des  M.  lin- 
gualis in  die  Zunge  eindringen.  Es  ist  nicht  so  schwer,  seine  Fäden  zur 
Schleimhaut  der  Spitze,  der  Ränder  und  des  Rückens  der  Zunge  und  sogar 
bis  in  die  Papillen  zu  verfolgen  2)  und  die  Resultate  der  Nervendurchschnei- 
dung bestätigen,  dass  der  Lingualis  ausser  aller  Beziehung  zu  den  Muskeln 
der  Zunge  steht  und  mit  seiner  Ausbreitung  der  Oberfläche  derselben  an- 
gehört. Sie  lassen  auch  kaum  einen  Zweifel,  dass  er  allein  es  ist,  der  das 
Tastgefühl  der  Zunge  vermittelt^)  und  nur  über  seine  Beziehung  zum  Ge- 
schmackssinn sind  die  Acten  noch  nicht  völlig  geschlossen.  Zuerst  drehte 
sich  die  Controverse  darum,  ob  die  Regionen  der  Zunge,  die  der  Lingualis 
versorgt,  der  Geschmacksempfindung  überhaupt  fähig  seien.  Ueber  den 
Fortbestand  des  Geschmacks  bei  Thieren,  denen  der  N.  glossopharyngeus 
durchschnitten  worden  war,  Hess  sich  streiten,  weil  sich  die  Thiere  in  ihren 
Reactionen  gegen  Geschmackseindrücke  sehr  ungleichmässig  verhalten.  In- 
dessen ergeben  Beobachtungen,  die  am  gesunden  Menschen    mit  aller   Vor- 


^)  N.  gustatorius.     Geschmacks-  oder  -Zunge nnerve.  ^)  lir.  linguales  papilläres  Va- 

1  entin.  '^j  Long  et  (a.  a.  0.  II,  173)  glaubt  noch  nach  Durchschneidung  beider  Lin- 
guales bei  Thieren  geringe  Schmerzensäusserungen  wahrgenommen  zu  haben,  wenn  er  die 
Zunge  mit  einem  weissglühenden  Draht  durchbohrte  oder  heftig  zerrte  und  vermuthet,  dass 
dieser  Rest  Sensibilität  (?)  von  Fasern  herzuleiten  sei,  die  dem  N.  hypoglossus  durch  Ana- 
stomosen mit  den  Cervicalnerven  zugeführt  werden. 


N.  lingualis.  389 

sieht  unternommen  wurden,  dass  die  Zunge  Geschmack  besitzt  an  Stellen, 
die  der  N.  glossopharyngeus  nicht  erreicht,  und  dass  namentlich  an  der 
Spitze  und  den  Rändern  derselben,  denen  der  Lingualis  allein  sensible  Fa- 
sern zuführt,  schmeckende  Substanzen  erkannt,  elektrische  Reizungen  durch 
eigenthümliche  Geschmacksempfindungen  beantwortet  werden  i).  Hierzu 
kommen  die  pathologischen  Fälle,  welche  beweisen,  dass  bezüglich  der  Er- 
regbarkeit durch  Geschmäcke  die  Basis  der  Zunge  einerseits  und  deren 
Spitze  und  Ränder  andererseits  sich  unabhängig  von  einander  verhalten 
und  dass  diese  Erregbarkeit  hier  verloren  gehen  kann,  während  sie  sich 
dort  erhält.  Entscheidend  sind  Beobachtungen  von  Busch  2)  und  von  In- 
zani  und  Lussana^),  die  nach  Durchschneidung  des  Lingualis  beim  Men- 
schen zugleich  mit  dem  Tastgefühl  der  ganzen  entsprechenden  Zungenhälfte 
das  Geschmacksvermögen  auf  dem  vorderen  Theil  derselben  vernichtet 
fanden. 

Steht  es  demnach  fest,  dass  der  N.  lingualis  den  Rändern  und  der 
Spitze  der  Zunge  Geschmacksnervenfasern  zuführt,  so  bleibt  weiter  zu  er- 
mitteln, ob  dieselben  ursprünglich  in  ihm  enthalten  seien  oder  unterwegs 
zu  ihm  stossen;  mit  anderen  Worten,  da  es  sich  hier  um  centripetale  Fa- 
sern handelt :  ob  die  Geschmacksnerven  ihren  Weg  zum  Gehirn  in  der 
Bahn  des  Lingualis  fortsetzen  oder  in  eine  andere  Bahn  einbiegen. 

Die  mit  der  halbseitigen  Lähmung  des  N.  facialis  verbundenen  Altera- 
tionen des  Geschmacks  auf  der  der  gelähmten  Seite  entsprechenden  Zungen- 
hälfte gaben  Anlass,  zu  vermuthen,  dass  die  Geschmacksnerven  der  vorderen 
Zungenhälfte  in  den  Facialis  übertreten  und  lenkten  die  Aufmerksamkeit 
auf  die  Chorda  tympani  als  den  Nerven,  der  den  üebergang  von  Fasern 
aus  dem  Stamm  des  Lingualis  in  den  des  Facialis  vermitteln  müsste.  Was 
Experiment  und  Beobachtung  über  den  Antheil  der  Chorda  tympani  an  der 
Geschmacksfunction  und  über  den  weiteren  centripetalen  Yerlauf  ihrer  Fa- 
sern gelehrt  haben,  werde  ich  bei  Beschreibung  des  N.  facialis  berichten 
und  dort  auch  die  streitige  Frage  erörtern,  ob  die  Chorda  alle  Geschmacks- 
fasern des  N.  lingualis  oder  nur  einen  Theil  derselben  übernimmt.  Hier 
ist  nur  zu  constatiren,  dass,  was  von  manchen  Seiten  in  Zweifel  gezogen 
wurde,  ein  Theil  der  Fasern  der  Chorda  im  Lingualis  verbleibt,  während 
ein  anderer  Theil  die  Wurzeln  des  Ggl.  linguale  bilden  hilft  (s.  dieses). 

Es  war  namentlich  Longet,  der  die  Behauptung  aufstellte,  dass  die  Chorda 
sich  an  den  Lingualis  nur  anlege,  um  ihn  alsbald,  nach  Abgabe  oder  Aufnahme 
einiger  feinen  Verbindungsfädchen  wieder  zu  verlassen  und  sich  dem  Ggl.  linguale 
zuzuwenden.  Sappey,  Calori  (Mem.  deUa  accad.  di  Bologna  IV,  462)  und  E.  Bi- 
se ho  ff  (a.  a.  O.  S,  18)  bezeichnen  die  Anastomose  der  Chorda  mit  dem  Lingualis 
richtig  als  ein  enges  Geflecht,  durch  welches  die  Fasern  des  Einen  und  anderen 
Nerven  zu  verfolgen  ein  vergebliches  Bemühen  sein  würde.  Vulpian  (Arch.  de 
physiol.  II,  209)  behauptet,  dass  die  Fasern  der  Chorda  sämmtlich  in  das  Ganglion 
linguale  übergehen,  weil  er,  nachdem  er  den  Stamm  des  Facialis  im  Schläfenbein 
zerstört,  in  den  Verzweigungen  des  Linguaüs  jenseits  des  Abgangs  der  Wurzeln 
des  Ganglion  keine  einzige  degenerirte  Faser  entdecken  konnte.     Er  vergisst,   dass 


1)  Schirmer  in  Meissner's  Jahresbericht  1856,  S.  592.  Stich  und  Klaatsch 
und  Drielsma,  ebendas.  1858,  S.  639  ff.  Neumann,  ebendas.  1864,  S.  552.  Camerer, 
ebendas.   1850,  S.  315.  ^)  Chirurg.  Beobacht.     BerHn  1854,  S.  277.  ^)  Meissner's 

Jahresbericht  1864,  S.   555.     Arch.  de  physiol.   1872,  p.   152. 


390  Nn.  mandibulares.     N.  subungualis. 

er  in  der  Chorda  selbst  nur  die  „Mehrzahl"  der  Fasern  degenerirt  gefunden  hatte. 
Ohne  Zweifel  waren  es  die  der  Degeneration  entgangenen,  die  im  Lingualis  verblieben. 
Eemat  (Müll.  Ar  eh.  1852,  S.  58)  fand  an  den  zartesten  Aestchen  des  Lingualis 
im  Inneren  der  Zunge  feine  Ganglien.  Die  mit  diesen  Ganglien  in  Verbindung 
stehenden  Fasern  sollen  von  denjenigen,  die  sich  in  der  Schleimhaut  verbreiten, 
dadurch  abweichen,  dass  sie  von  sehr  festen  Scheiden  locker  timgeben  werden  und 
überwiegend  gelatinöse  Fasern  enthalten,  die  sich  niemals  zu  Papillen  verfolgen 
lassen.  Für  die  Deutung  dieser  Ganglien  schien  es  wichtig,  dass  sie  sich  immer 
in  der  Nähe  von  Schleimdrüsen  oder  deren  Ausführungsgängen  finden  und  dass 
ihre  Zahl  der  Zahl  der  Drüsen  entspricht;  in  der  Zungenspitze  des  Schafs  ver- 
misste  Remak  mit  den  Schleimdrüsen  auch  die  GangUen.  Schiff  (Archiv  für 
physiol.  Heilk.  1853,  S.  377)  konnte  sich  von  einer  Beziehung  der  Ganghen  zu  den 
Zungendrüsen  nicht  überzeugen.  Er  fand  ihre  Zahl  auch  an  der  Zungenspitze 
.  sehr  gross.  Szabadföldy  (Archiv  für  pathol.  Anat.  und  Physiol.  XXXVIII,  177) 
beschreibt  zwei  Geflechte  der  LinguaUszweige  iiuter  der  Schleimhaut  der  Zunge, 
ein  tieferes,  dessen  Zweige  theils  direct  zu  den  Papillen  aufsteigen,  theils  in  Gang- 
lien übergehen,  aus  welchen  Nervenästchen  hervorgehen,  die  mit  jenen  direct  auf- 
steigenden an  der  Basis  der  Papillen  das  obei'flächliche  Netz  erzeugen. 

«)  Nach  Blandin  (Nouveaux  elemens  d'anat.  descriptive,  Paris  1838,  II,  616) 
enden  Fasern  des  N.  lingualis  in  der  von  ihm  entdeckten  Drüse  der  Zungenspitze 
(Eingewdl.  S.  141).  Es  ist  wahr,  dass  eine  aulfallend  grosse  Zahl  feiner  Zweige 
die  Drüse  durchsetzt;  ob  sie  Fasern  an  die  Substanz  der  Drüse  abgeben,  bleibt 
noch  zu  ermitteln. 

/?)  Meckel  (a.  a.  O.  p.  213),  Fitznau  (De  tertio  ramo  paris  quinti.  Lips.  1811, 
p.  21)  und  Valentin  beschreiben  einen  unbeständigen  Ast  vom  Lingualis  zum 
M.  pterygoid.  int.  Meckel  fand  ihn  nur  zwei  Mal;  Valentin  sah  ihn  aus  meh- 
reren feinen  Fäden  bestehen  und  höher  oder  tiefer  entspringen. 

Die  collateralen  Aaste  des  N.  lingualis  sind  folgende : 

a.    Nn.   mandibulares    m.  ifld'. 

a.Mandibui.  Ich  begreife  unter  diesem  Namen  2  bis  4  feine  Zweige  i),  welche    zum 

Theil  schon  aus  dem  vom  M.  pterygoid  int.  bedeckten  Abschnitt  des  N.  lin- 
gualis entspringen,  vor-  und  aufwärts  zum  Alveolarrand  des  Unterkiefers 
verlaufen  und  der  Reihe  nach  zwischen  dem  vorderen  Rand  des  genannten 
Muskels  und  dem  hinteren  Rande  der  Sublingualdrüse  nach  beiden  Seiten 
von  dem  Winkel  aus  sich  verbreiten,  in  welchem  das  Zahnfleisch  mit  der 
Schleimhaut  des  Bodens  der  Mundhöhle  zusammenstösst. 

b.     N.    subungualis   S. 


h.   Subling. 


Geht  am  hinteren  Rande  der  Gland.  sublingualis  unter  spitzem  Winkel 
vom  Stamme  des  N.  lingualis  seitwärts  ab  an  die  laterale  Fläche  der  Drüse, 
die  er  in  Verbindung  mit  dem  Stamm  gabelförmig  umfasst.  Sendet  einen 
Zweig  in  die  Drüse  und  eine  Anzahl  Zweige  zur  Schleimhaut,  die,  wie  die 
Nn.  mandibulares,  im  Zahnfleisch  und  in  der  Schleimhaut  des  Bodens  der 
Mundhöhle  enden. 


^)  Rr.  isihmi  faucium  Ai-nold.  Rr.  glanduläres  s.  tonsillaris  und  Rr.  maxillares  in- 
feriores Valentin.  Die  Angabe  von  Arnold  und  Valentin,  dass  sich  Aeste  des  Lin- 
gualis zur  Tonsille  begeben,  vermochte  ich  nicht  zu  bestätigen,  ebenso  wenig  Arnold's 
Angabe,  dass  sie  den  Arcus  glossopalatinus  erreichen.  Ich  vermuthe  eine  Verwechslung 
mit  der  Schleimhautfalte,  die  das  Lig.  pterygo-mandibulare  deckt. 


Ggl.  linguale. 


391 


c.     Die    Wurzeln   des   Granglion   linguale   und 
das   Ganglion  i). 


Am  vorderen  Rande  des  M.  pterygoid.  int.  wird  der   bis  dahin  cyliu-  c.    Ggi.  uu- 
drische  Stamm   des  Lingualis   platt  und  nach   Entfernung   des  Neurilemms  ^'^''^^' 

Fig.  247. 


6m 


Unterkiefer  und  Zunge,  von  oben ;  die  Schleimhaut  zwischen  dem  Zahnfleisch  und  dem  Sei- 
tenrande  der  Zunge  durchschnitten  und  die  Zunge  mit  ihren  Muskeln  medianwärts  umge- 
legt. 1  Epiglottis.  2  Proc.  condyloid.  des  Unterkiefers.  3  Spitze  des  grossen  Zungenbein- 
horns.  4  Submaxillardrüse.  5  Deren  Ausführungsgang.  6  Sublingualdrüse.  Mh  M.  my- 
lohyoid.  Gg  M.  genioglossus.  Hg  M.  hyoglossus.  l  A.  lingualis.  Gl  Gangl.  linguale. 
cht  Chorda  tympani.  l  N.  lingualis.  'md  N.  mandibularis.  s  N.  subungualis.  *  Anasto- 
mose der  Nn.   lingualis  und  hypoglossus. 

erweist  er  sich  als  ein  lockeres  Geflecht,  in  welchem  die  ursprünglichen 
Bündel  des  Nerven  unter  sich  und  mit  den  durch  die  Chorda  tympani  zu- 
geführten vielfach  anastomosiren.  Aus  diesem  Geflecht  gehen  nach  unten 
mehrere,  gleichfalls  anastomosirende  feine  Fäden  hervor,  parallel  oder  ab- 
wärts convergirend  und  im  letzteren  Fall  ein  plattes  Dreieck  bildend  mit 
abwärts  gerichteter  Spitze,   an  der  das  Ggl,  linguale  hängt.     Das   Ganglion 


1)    Ggl.    maxillare    Meckel.      Ggl.    Mechelü    minus.     Ggl.  sublinguale  s.  submaxillare. 
Unterkieferknoten.     Ziingen-  oder  Kieferknoten. 


392  Ggi.  linguale. 

ist  meist  spindelförmig  mit  verticalem  längeren  Durchmesser,  etwa  3  Mm. 
iiocli;  aus  seiner  unteren  Spitze  entspringt  ein  Bündel  feiner  Nerven  i),  die 
sicli  in  die  Submaxi Uardrüse  und  in  den  die  Submaxillar-  und  Sublingual- 
drüse  verbindenden  platten  Lappen  (Eingewdl.  S.  136),  wenn  derselbe  vor- 
banden ist,  einsenken.  Das  Ganglion  selbst,  seine  Wurzeln  und  peripberi- 
scben  Aeste  sind  durcb  ziemlich  derbes  Bindegewebe  an  den  Ausführungs- 
gang der  Submaxillardrüse  befestigt. 

Indem  ich  die  Fäden,  die  das  Ganglion  und  den  N.  lingualis  mit  ein- 
ander verbinden,  als  Wurzeln  des  ersteren  bezeichne,  habe  ich  nur  das  ana- 
tomische Verhalten  vor  Augen;  es  ist  wahrscheinlich,  dass  sie  Fasern  von 
verschiedener  physiologischer  Bedeutung,  es  ist  möglich,  dass  sie  Fasern 
von  verschiedenem  Verlauf,  ab-  und  aufsteigende  enthalten.  Sicher  führen 
sie  dem  Ganglion  centrifugale  Nervenfasern  zu,  die  aus  der  Chorda  tympani 
und  weiterhin  aus  dem  Facialis  stammen.  Schon  die  anatomische  Präpa- 
ration gab  dafür  Anhaltspunkte;  die  nach  Durchschneidung  des  N.  facialis 
entarteten  Fasern  der  Chorda  tympani  lassen  sich  in  die  Wurzeln  des 
Ganglion  verfolgen  (Vulpi an);  das  physiologische  Experiment  lehrt  die  Ab- 
hängigkeit der  Secretion  der  Submaxillardrüse  vom  Facialis  (s.  unten).  Von 
den  nicht  auf  die  Chorda  tympani  zurückzuführenden,  zwischen  dem  N.  und 
dem  Ggl.  linguale  verlaufenden  Fasern  betrachtet  Arnold  die  Mehrzahl  als 
sensible  Wurzel  eines  nach  dem  Schema  des  Ggl.  ciliare  gebauten  Ganglion, 
zu  der  sich  als  motorische  Wurzel  die  Chorda  tympani,  als  sympathische 
ein  vom  Nervengeflecht  der  A,  maxillaris  ext.  abgezweigtes  Fädchen  gesel- 
len würde.  Der  häufig  vorwärts  aufsteigende  Verlauf  der  vorderen  Wurzel- 
fäden spricht  dafür,  dass  das  Ganglion  seinerseits  Nervenfasern  aussendet, 
die  sich  mit  dem  Lingualis  peripherisch  verästeln,  und  es  giebt  Fälle,  die  es 
unzweifelhaft  machen,  wo  nämlich  diese  Fäden  die  abgeplattete  Form  und 
das  gelatinöse  Ansehen  sympathischer  Fasern  haben  und  sich  durch  den 
Stamm  des  N.  lingualis  in  den  N.  subungualis  und  dessen  Drüsenzweige 
verfolgen  lassen.     Doch  ist  dies  nicht  die  Regel. 

Valentin  meint,  dass  es  grossentheils  schlingenförmige,  aus  den  hinteren 
Wurzelfäden  des  Ganglion  ohne  Berührung  desselben  in  die  vorderen  übergehende 
Bündel  des  Lingualis  seien,  die  den  Anschein  peripherisch  mit  dem  Lingualis 
verlaufender  gangliöser  Zweige  gewährten.  Bidder  (Arch.  für  Anat.  1866,  S.  351, 
1867,  S.  4)  beschreibt  vom  Hunde  die  fraglichen  Zweige,  nimmt  aber  an,  dass 
sie  von  der  peripherischen  Seite  des  Lingualis,  von  der  Zunge  her,  zum  Ganglion 
und  zur  Drüse  verlaufen  und  bezeichnet  sie  demgemäss  als  peripherische  Wurzel 
des  Ggl.  linguale.  Seinen  Beobachtungen  zufolge  ändern  die  starken  Fasern,  die 
in  der  Chorda  tympani  und  in  den  von  ihr  abzuleitenden  Wurzeln  des  Ganglion 
enthalten  sind,  im  Ganglion  ihren  Charakter ;  indem  sie  sich  vervielfältigen,  wer- 
den sie  zugleich  feiner  und  ärmer  an  Mark.  Da  nun  die  vom  Ganglion  gegen 
die  Zungenspitze  gerichteten  Bündel  (neben  zahlreichen  Nervenzellen)  vorwiegend 
starke  Fasern  führen,  so  hält  Bidder  es  nicht  für  statthaft,  ihren  Ursprung  in 
das  Ganglion  zu  verlegen ;  nach  seiner  Meinung  leiten  sie  Beize  von  der  Schleim- 
haut zum  Ganglion,  die,  ohne  Mitwirkung  des  cerebrospinalen  Centrums,  Speichel- 
fluss  erzeugen  sollen.  Der  Versuch ,  von  der  Schleimhaut  der  Zungenspitze  aus, 
nach  Durchschneidung  des  Lingualis,  die  Speichelsecretion  anzuregen,  gab  nur 
negative  Resultate,  doch  nahmen  die  Fasern  dieser  sogenannten  peripherischen 
Wurzel  des  Ggl.  linguale  auch  keinen  Antheil  an  der  Degeneration,  der  die  Aeste 
des  Lingualis  nach  Durchschneidung  des  Stammes  verfallen. 

■')  Rr.   glanduläres. 


N.  comm.  c.  liypoglosso.     N.  alveolar,  iiif. 


393 


Eiueu  der  aus  dem  Ggl.  linguale  austretenden  Nerven  sahen  Meokel  und 
Arnold  sich  mit  einem  Zweige  des  N.  liypoglossus  verbinden  und  mit  diesem 
zum  M.  genioglossus  sich  begehen.  Böse  (Heber  das  Ggl.  maxillare  des  Menschen, 
Giessen  1859,  S.  11)  beobachtete  manchmal  2  Täden,  welche  sich  an  Aestchen  des 
Hypogiossus  einfach  anlegen  und  mit  demselben  nach  vorn  verlaufen.  Sie  schie- 
nen ihm  die  Anastomose  der  Endzweige  des  N.  lingualis  mit  dem  Hypogiossus 
zu  ersetzen,  da  diese  fehlte,  wenn  jene  Fädchen  vorhanden  waren.  Nach  Blan- 
diu  (a.  a.  0.  II,  616)  gehen  die  Nerven  der  Sublingvialdrüse  von  einem  Ganglion, 
Qgl.  submaxülare,  aus,  welches  an  der  lateralen  Fläche  dieser  Drüse  liegen  soll; 
seine  hintere  Spitze,  sagt  B landin,  empfange  einen  Zweig,  der  sich  oft  schon 
hoch  oben  vom  Stamme  des  Lingualis  ablöse ;  seine  vordere  Spitze  communicire 
durch  ein  kurzes  Fädchen,  welches  aus  der  Chorda  tympani  zu  stammen  scheine, 
mit  dem  N.  lingualis  und  durch  ein  noch  feineres  Fädchen  mit  dem  die  A.  sub- 
ungualis umspinnenden  sj'mpathischen  Geflecht.  Hörn  (Gangl.  capit.  gland. 
ornant.  Taf.  I.)  und  Böse  bilden  ein  solches  Ganglion  am  N.  subungualis  ab,  da 
wo  er  in  seine  Endzweige  zerfällt,  und  der  letztere  fügt  hinzu,  dass  der  Nerve 
auch  in  den  Fällen,  wo  die  AnschweUung  nicht  wahrnehmbar  sei,  kleine  Häuf- 
chen von  Nervenzellen  enthalte.  Eother  (Divisio  nervoram  in  substantia  linguae. 
Wratisl.  1862)  bestätigt  das  Blandin'sche  Ganglion,  an  dessen  Stelle  er  öfters 
einen  Plexus  feiner  Nervenfäden  fand.  Calori  (Mem.  della  accad.  di  Bologna 
T.  IV.  Taf.  XX.  Fig.  8)  bildet  einen  Plexus  siiblinguaUs  mit  einer  Anzalil  zer- 
streuter Ganglien  ab.  Longet  (a.  a.  0.  II,  142)  nennt  das  Ganglion  unbeständig, 
Arnold  giebt  den  Plexus,  aber  nicht  das  Ganglion  zu,  Sappey  konnte  keins  von 
beiden  finden. 

d.     N.  communicans  c.  n.  hypoglosso. 

Ein  von  den  hintersten  Endästen   des   N.  lingualis    rückwärts  zu  End-  d.  Comm.c. 
ästen  des  N.  hypogiossus  verlaufender  feiner  Zweig,   auf  welchen  ich  beim  ''^^"Si- 
N.  hypogiossus  zurückkomme. 

10,     N.   alveolaris   inf.    Cli'^). 

Der  N.  alveolaris  inf.  ist  der  Nerve  der  Zähne  und  des  Zahnfleischs  des  lo.  Aiv.  inf. 
Unterkiefers.     In  Begleitung   der  gleichnamigen  Arterie  und  Vene  tritt  er, 

Fig.  248. 


Unterkiefer  eines    etwa  Sjährigen  Kindes    mit  von    aussen  blossgelegten  Zähnen    und  Zahn- 
wurzeln,    (rt  i)  N.  alveol.  inf.   aus  dem  Kanal  hervorgezogen,     m  e  der  am  Austritt  aus  dem 
For.  mentale  abgeschnittene  N.  mentalis. 


1)  N.    maxüluris    inf.     N.   alveolaris   maxillae   inferioris.     N.  mandibularis .     Zahnhöh- 
lennerve.    Unterkiefernerve. 


394  N.  mylohyoideus. 

nacli  innen  gedeckt  vom  Lig.  accessorium  mediale,  durcli  das  For.  mandi- 
bulare in  den  Can.  mandibularis  ein  und  durchläuft  ihn  in  seiner  ganzen 
Länge ,  die  Arterie  anfangs  an  seiner  hinteren ,  dann  an  seiner  medialen 
Seite.  Am  Eingang  in  den  Canal  sendet  er  den  N.  mylohyoideus,  unter 
dem  letzten  zweizinkigen  Backzahn  den  N.  mentalis  ab,  der,  um  das  Dop- 
pelte stärker,  als  die  Fortsetzung  des  Stammes,  durch  das  Foramen  mentale 
auf  die  Aussenfläche  des  Unterkiefers  gelangt  ^).  Häufig  trennt  sich  der 
N.  mentalis  schon  innerhalb  des  Canals,  früher  oder  später,  von  dem  eigent- 
lichen Alveolarnerven,  mit  dem  er  jedoch  feine  Bündel  austauscht.  Zuweilen 
ist  der  ganze  Nervenstamm  in  ein,  die  Arterie  umgebendes  Geflecht  ^)  ver- 
wandelt (Fig.  248). 

Aus  dem  Stamm  des  N.  alveolaris  inf.  gehen  auf-  und  vorwärts  theils  ein- 
zeln, theils  mit  gemeinsamen  Stämmchen  die  feinen  Aeste  zu  den  Zahnwur- 
zeln und  dem  Zahnfleisch^)  ab,  die  sich  den  entsprechenden  Nerven  des 
Oberkiefers  ähnlich  verhalten. 

Audi  besclireibt  Valentin  zwei,  wie  es  sclieiue,  gangiiöse  Geflechte  dieser 
Aeste,  ein  Ganglion  inframaxülare  post.  und  cmt.,  unter  dem  dritten  Backzahn 
und  unter  dem  Eckzahn,   deren  Existenz  Arnold  ausdrücklich  in  Abrede  stellt. 

Der  N.  alveolaris  entstellt  zuAveilen  mit  zwei,  die  A.  maxillaris  int.  einschliessen- 
den  Wurzeln  (Meckel  a.  a.  0.).  In  einem  vonBock  (a.  a.  0.  S.  56)  bescliriebe- 
nen  Falle  sonderte  sich  gleich  unter  dem  For.  ovale  vom  Stamm  des  Inframaxilla- 
ris  ein  Zweig  ab,  der  zwischen  den  Bündeln  des  M.  pteryg.  ext.  herabstieg  und 
sich  am  For.  mandibulare  mit  dem  E".  alveolaris  inf.  verband.  Ein  anderer  dün- 
ner Zweig  kam  vom  N.  auriculo-temporalis  hinter  der  A.  meningea  inedia  und 
der  A.  alveolaris  inf.  herab,  verlief  hinter  dem  M.  pterygoid  ext.  und  senkte  sich 
unterhalb  desselben  in  den  N.  alveolaris  inf.  ein.  Der  erste  dieser  Zweige  ist 
vielleicht  identisch  mit  dem,  welchen  Sappolini  (Omodei  annali  1869,  p.  346) 
unter  65  Fällen  29  Mal  fand  und  als  N.  alveolaris  inf.  minor  beschreibt.  Dieser 
Nerve  geht  vom  Ggl.  semilunare  aus  einfach  oder  in  mehrere  Fädchen  getheilt 
am  vorderen  Eande  des  N.  inframaxillaris  herab ,  wird  durch  BindegeAvebe  oder 
Gefässe,  durch  den  M.  pterygoid.  ext.  oder  durch  Bündel  desselben  vom  eigent- 
lichen N.  alveolaris  inf.  {N.  alv.  inf.  maj.  Sappolini)  geschieden,  tritt  am  oberen 
Bande  des  letzteren  in  den  Can.  alveolaris  inf.  ein  und  löst  sich  in  feine  Fäden  zu 
den  Zahnwurzeln  auf.  Einen  Unterkiefer  mit  zwei  Cann.  alveolares,  in  deren  jedem 
ein  Nerve  verlief,  beschreibt  Patruban  (s.  Knochenlehre,  S.  211). 


a.     N.  mylohyoideus  WlJl^). 

a.    Myio-  Geht  in  einer  vom  For.  mandibulare  abwärts  ziehenden  Knocheni'inue, 

^°'  ■  die  sich  zuweilen  streckenweise  zum  Canal   schliesst,   an  die  untere  Fläche 

des  M.  mylohyoideus  und  weiter  median-vorwärts  zwischen  diesem  Muskel 
und  dem  vorderen  Bauch  des  M.  biventer  mandibulae.  Er  sendet  einige 
Aeste  nach  oben  in  den  ersten,  einen  Ast  nach  unten  in  den  zweiten  der 
genannten  Muskeln  und  endet  am  medialen  Rande,  des  letzteren,  dicht  hinter 


■"■)  Wenn    man    die    Abgabe    des    N.   mentalis    als  Spaltung    des    N.   alveolaris    inf.    auf- 
fasst,    so    wird    der    im    Canal    zurückbleibende    Ast    dentalis   {incisiviis    Longet)    genannt. 
)   Plexus  dentalis  inf.  C.Krause.     '^)  Rr.  dentales  et  gingivales.      *)  Zungenbeinkiefernerve. 
Kieferzungenbeinmuskelnerve. 


N.  mylohyoideus.  895 

dem  Kiun,  in  dein  das  Kinn  umgürtenden  Theil  des  M.  triangularis  und  im 
vorderen  Theil  des  M.  subcutaneus  colli  (Fig.  249). 

Fig.  249, 


Linke  Unterkieferhälfte,    von    unten,    die    Gland.  submaxillaris    zurückgeschlagen.      Mh    M. 

mylohyoid.     B  m'^  Vorderer  Bauch  des    M.  biventer  mandibülae.     M  M.  Masseter.     Pi  M. 

pterj'g.  int.  /  N.  lingualis.      G  l  Ganglion  linguale. 


Sappey  behauptet,  dass  constant  einer  der  in  den  M.  mylohj'oideus  eindrin- 
genden Fäden  den  Muskel  nur  durchsetze ,  um  sich  mit  dem  N.  lingualis  zu  ver- 
einigen ;  es  sei  der  erste  der  vom  Stamm  des  Mylohyoideus  abgehenden  Zweige 
und  stehe  in  der  Regel  dem  zurückbleibenden  Theil  des  Stammes  nur  wenig  an 
Stärke  nach.  Zlobikowski  (Journ.  de  l'auat.  1870 — 71,  p.  602),  der  einen  denM. 
mylohyoideus  durchbohrenden  Zweig  {filet  dento-lingual  de  Sapi^ey)  ebenfalls  für 
beständig  erklärt,  sagt  von  ihm,  dass  er  sich  in  2  Aeste  spalte,  von  denen  der 
Eine,  weisser  als  der  N.  lingualis,  sich  an  diesen  anlege,  der  andere  in  das  Ganglion 
linguale  eintrete  und  dessen  motorische  Wurzel  repräsentire.  Die  Beständigkeit 
eines  solchen  Nerven  muss  ich  in  Abrede  stellen.  T urn  er  (Natural  historj^  review. 
1864,  p.  612.  Journal  of  anat.  2.  ser.  No.  VII,  p.  lOl)  erwähnt  die  Communication 
der  Nn.  mylohyoideus  und  lingualis  ebenfalls  nur  als  Varietät ;  er  sah  sie  auch  in 
der  Weise  vor  sich  gehen,  dass  der  N.  mylohyoideus  über  dem  gleichnamigen 
Muskel  verlief  irud  also  nicht  mit  dem  anastomotischeu,  sondern  mit  dem  Muskel- 
zweige zum  Biventer  mandibülae  den  Mylohyoideus  durchsetzte.     Gaillet  (Bullet. 


396  N,  mentalis.     N.  auriculo-temporalis. 

de  la  SOG.  anat.  de  Paris  1856,  p.  109)  sah  einen  ungewölmlicli  stai'ken  N.  mylo- 
hyoideus sich  am  hinteren  Eande  des  Muskels  in  zwei  Aeste  von  ungleichem  Kaliber 
theilen;  der  feinere  repräsentirte  den  normalen  N.  mylohyoideus,  der  ungleich 
stärkere  Ast  ging  in  den  N.  liugualis  über.  Meekel  lässt  den  N.  mylohyoideus 
ein  Aestchen  an  die  Submaxillardrüse  schicken,  welches  Arnold  und  Longet 
vergeblich  gesucht  haben.  In  einem  meiner  Präparate  empfing  die  Submaxillar- 
drüse mehrere  feine  Zweige  aus  dem  N.  mylohyoideus.  Ich  vermuthe  daher,  dass 
Bernard  (Meissner's  Jahresbericht  1858,  S.  377)  richtig  beobachtet  habe,  als  er 
im  Momente  der  Durchschneidung  und  bei  Eeizung  des  N.  mylohyoideus  Vermeh- 
rung der  Speichelsecretion  eintreten  sah  und  dass ,  wenn  der  Erfolg  in  späteren 
Versuchen  ausblieb,  dies  auf  Rechnung  einer  Unbeständigkeit  in  den  Beziehungen 
des  N.  mylohyoideus  zur  Speicheldrüse  zu  bringen  sei. 

b.     N.  mentalis   J^e. 

b.  Mental,  Spaltet    sich   beim   Austritt   aus   dem   For.   mentale    zunächst   in    drei 

Aeste,  zwei  obere  und  einen  unteren.  Von  den  oberen  ^)  geht  der  hintere, 
schwächere  steil,  der  vordere  stärkere  mehr  geneigt  auf-  und  vorwärts  durch 
die  Musculatur  zur  äusseren  und  inneren  Haut  der  Lippe.  Der  untere  Ast  ^), 
der  schwächste,  zieht  ab-  und  vorwärts  zur  Haut  des  Kinns  und  des  Unter- 
kieferrandes (Fig.  243).  Alle  drei  verflechten  sich  mit  Unterkieferzweigen  des 
N.  facialis. 

10.     N.  auriculo-temporalis  dt'^). 

10.  Auri-  Gewöhnlich  mit   zwei,   die    A.  meningea   media  umfassenden  Wurzeln, 

emp.  ggj^^gj^  jj^j^  Einer  oder  einer  grösseren  Anzahl  entspringend,  verläuft  der  N. 
auriculo-temporalis  zuerst  in  horizontaler  Richtung  an  der  medialen  Fläche 
des  M.  pterygoid.  ext.  über  der  A.  maxillaris  int.  rückwärts,  dann  um  den 
Hals  des  Unterkiefers  seitwärts  und  zuletzt  durch  die  obere  Spitze  der  Pa- 
rotis, in  dem  lockeren  subcutanen  Bindegewebe  der  Schläfengegend  vor  dem 
Ohr  mit  der  A.temporalis  aufwärts  (Fig.  250).  Er  giebt  Zweige  an  die  Haut, 
die  die  vordere  Wand  des  äusseren  Gehörgangs  und  den  vorderen  Rand  der  Ohr- 
muschel bedeckt  ^),  und  an  die  Haut  des  vorderen  Theils  der  Schläfe  ^),  oder 
theilt  sich  spitzwinklig  in  zwei  Aeste,  von  denen  der  Eine  am  Ohr  empor- 
steigt, der  andere  abermals  unter  spitzem  Winkel  in  eine  Anzahl  Aeste  für 
die  Schläfengegend  zerfällt. 

Die  Wurzeln  des  N.  auriculo-temporalis  erhalten  feine  Fäden  vom  Ggl. 
oticum  (S.  384),  von  deren  Bedeutung  beim  N.  facialis  gehandelt  werden 
wird. 

Die  coUateralen  Aeste  des  N,  auriculo-temporalis  sind: 

a.     Rr.-  articulares, 

a.  Articui;     einige  feine  Fäden,   die   der  Nerve  im  Vorübergehen  an   die  hintere  Wand 
der  Kapsel  des  Kiefergelenks  vorwärts  sendet. 


^)  Nn.  labiales  inff.  ^)  R.  subcutaneus  menti  Bock.  R.  mentalis  C.  Krause.  ^)  N. 
temporalis  superßcialis  aut.  N.  temporalis  cutaneus  Chaussier.  N.  aiiricularis  s.  auri- 
cularis  ant.  Oberflächlicher  Schläfennerve.  Vorderer  Ohrnerve.  *)  Nn.  auriculares  ante- 
riores.    ^)  N.  temporalis  superficialis  s.  subcutaneus. 


Nn.  meat.  audit.  ext. 


397 


b.     Nn.   meatus   auditorii  externi  7¥l(ie, 

in  der  Eegel  zwei,  ein  unterer  und  ein  oberer,  welche  aus  dem  horizontalen  b.  Nn.  meat. 
Theil  des  Stamms  durch  die  Läppchen   der  Parotis  aufwärts  gehen  und  das 

F]>.   250. 


Rechte  Ohr-  und  Wangengegend,    der  Kopf   um    die  sagittale  Axe    etwas  aufwärts  gedreht, 

die  Parotis  zum  Theil  entfernt.     1    Proc.    styloid.     2    Proc.    mastoid.     3    Duct.    parotideus. 

4  knorpliger  Gehörgang.     Stlh    M    stylohyoid.     Pi   M.    pterygoid.    int.     M  M.    masseter. 

/  N.  lingualis.  ai  N.  alveol.  inf.  par  Er.  parotidei,  c/"  N.   communicans  facial. 

Bindegewebe',  das  den  knorpligen  mit  dem  knöchernen  Gehörgang  verbin- 
det, durchsetzen  (Fig.  250).  Der  untere  steht  im  umgekehrten  Verhältniss  zum 
N.  auricularis  magnus  aus  dem  Plexus  cervicalis  und  wird  häufig  durch  den- 
selben vertreten;  er  verzweigt  sich,  wenn  der  letztere  schwächer  ist,  am 
Ohrläppchen  und,  vom  Gehörgang  aus,  in  der  Ohrmtischel.  Der  obere  er- 
streckt sich  zur  Haut,  die  die  "Wurzel  des  Helix  bedeckt  und  sendet  hinter 
dem  Kopf  des  Hammers  einen  Zweig  ^)  zum  Paukenfell. 


^)  iV.  ti/mpani  Bock. 


398 


N,  comniim.  fac.     Nn.  parotidei. 


«)  Bock  beschreibt  eine  Anastomose  dieses  Nerven   mit  der  Chorda  tympani, 
welche  Arnold  entschieden  verneint. 


c.     N.   commimicans   facialis    cf^). 

Ein  Ast,  der  sicli  alsbald  in  zwei  tlieilt  oder  zwei,  vom  Ursprung  an  ge- 
sonderte Aeste,  setzen  sich,  während  der  Stamm  des  Anriculo-temporalis 
aufwärts  umbiegt,  in  der  anfänglichen,  horizontalen  Richtung  desselben  auf 
die  Aussenfläche  des  Gesichts  fort  und  gesellen  sich,  noch  innerhalb  der 
Parotis,  den  horizontal  verlaufenden  Aesten  des  N.  facialis  bei.  Wenn  der 
Nerve  ursprünglich  einfach  ist,  so  nimmt  er  einen  beträchtlichen  Theil  der 
Fasern  des  Stammes  auf  und  die  Theilung  des  letzteren  gleicht  fast  einer 
Bifurcation  (Fig.  250). 

d.     Nn.  parotidei  par. 

Von  den  eben  genannten  Communicationszweigen  oder  vom  Stamme 
des  Auriculo-temporalis  begeben  sich  feine  Fäden  zur  Drüsensubstanz  der 
Parotis,  deren  Dasein  auch  durch  den  Einfluss  der  Reizung  des  N.  auriculo- 
temporalis  auf  die  Speichelsecretion  erwiesen  ist  (Fig.  250).  In  Betreff  des 
Ursprungs  dieser  secretorischen  Fasern  verweise  ich  auf  die  Beschreibung 
des  Plexus  tympanicus. 

a)  Cruveilhier  und  Sappey  erwähnen  einen  feinen  Ast  des  N.  anriculo- 
temporalis,  der  sich  über  dem  Por.  mandibulare  mit  dem  N".  alveolaris  inf.  ver- 
einigen soll. 

ß)  Nach  Cruveilhier  anastomosirt  der  N.  auriculo-temporalis  mit  einem,  die 
Temporalfascie  durchbohrenden  Ast  des  N.  temporalis  prof. 


VI.     Abduc. 


VI.     N.  abducens. 

Bewegungsnerve  des  M.  rectus  oculi  lateralis.  Die  Durchschneidung 
des  Stamms  in  der  Schädelhöhle  weckt  keine  Empfindung  (Valentin, 
Longet). 

Die  dicken  Fasern,  die  die  Hauptmasse  des  Nervenstammes  bilden, 
sind  zum  Theil  um  Weniges  stärker,  als  die  dicken  Fasern  der  Nn.  oculo- 
motorius  und  trochlearis;  feine  Fasern,  von  0,007  Mm.  Durchmesser  und 
mehr,  kommen  überall  zerstreut,  Fasern  von  0,004  Mm.  Durchmesser  sehr 
selten  vor  und  noch  feinere  fehlen  gänzlich  (Reissner). 

Der  N.  abducens  entspringt  aus  dem  Facialiskern  (S.  218),  tritt  am 
hinteren  Rande  der  Brücke  aus  (S.  174),  durchbohrt  in  der  hinteren  Schädel- 
grube die  fibröse  Hirnhaut  und  gelangt  durch  den  Sinus  cavernosus  zur 
Fisstira  orbit.  sup. 

Die  beständigen  und  verhältnissmässig  ansehnlichen  Zweige,  welche 
innerhalb  des  Sinus  cavernosus  den  N.  abducens  mit  dem  Plexus  caroticus 
in  Verbindung  setzen,  behalte  ich  mir  bei  dem  letzteren  zu  beschreiben  vor. 


^ )   A".  unaftlomoticiis. 


N.  abduceiis. 


399 


Zweifelliafterer  Art  sind  die  Verbindungen  mit  dem  IST.  oculomotorius  vmd  mit 
dem  N.  trigeminus. 

ß)  Eine  Anastomose  mit  dem  N.  oculomotorius  erwähnen  Munniks  (Observ. 
variae,  quas  pro  gradu  doctoris  etc.  proposuit.  Groning.  1805),  Cruveilhier  (li 
m'a  paru  qu'il  existait  une  communication  dans  le  sinus  caverneux  entre  le  nerf 
moteur  commun  et  le  moteur  externe)  und  S  vi tz er  (Bericht  von  einigen  Variatio- 
nen der  Augennerven.  Kopenhagen  1845.  Taf.  II,  Fig.  8.  Taf.  III,  Fig.  10. 
Taf.  V,  Fig.  20).  Fäsebeck  (Die  Nerven  des  menschl.  Kopfes.  Braunschweig 
1840.  S.  2)  versetzt  diese  Verbindung  in  die  Orbita;  Longet  erinnert  sich  nicht, 
sie  jemals  gesehen  zu  haben.  Sie  würde  erklären,  warum  Volkm.ann  (R.  Wag- 
ner's  Handwörterbuch  II,  579)  durch  Reizung  des  IST.  oculomotorius  in  der  Schä- 
delhöhle (an  Hunden,  Katzen  und  Schafen)  Contractionen  des  M.  rectus  lat.  er- 
zielte. Freilich  bewirkte  die  nämliche  Operation  auch  Reactionen  des  M.  obliq^^us 
sup.,  dessen  Nerven  Niemand  mit  dem  Oculomotorius  anastomosiren  sah. 

ß)  Meckel,  Valentin,  Brinton  (Todd's  cyclop.  IV,  621)  und  Longet 
erwähnen  Anastomosen  der  Nn.  abducens  und  ophthahnicus ;  Meckel  spricht  von 
einer  Anastomose  des  N.  abducens  mit  dem  N.  vidianus  oder  dem  G-gl.  nasale. 
Bock  (a.  a.  0.  Taf.  II,  74)  bildet  die  letztere  ab  und  Valentin  (Nvl.  S.  364,  437) 
behauptet  sie  durch  die  anatomische  Untersuclning  constatirt  zu  haben;  Fäse- 
beck aber  (Taf.  II,  48)  verfolgte  den  vom  Ggl.  sphenopalatinun  ausgehenden  Ner- 
ven innei'halb  der  Scheide  des  Abducens  bis  zur  Vereinigung  mit  den  an  den  Ab- 
ducens sich  anlegenden  sympathischen  Aesten. 

In  der  Orbita  wendet  sich  der  N.  abducens  alsbald  dem  M.  rectus  late- 
ralis zu,  in  dessen  mediale  Fläche  er  ungefähr  an  der  Grenze  des  hinteren 
und  mittleren  Drittels  sich  einsenkt  (Fig.  251). 

Fis:.  251. 


Linke  Orbita,    von    der    lateralen  Seite    geöffnet.     Verzweigung    der    Nn.  oculomotorius  und 

abducens.     M.  rectus  lateralis    (Rl)    am    Bulbus    abgeschnitten    und    abwärts    gezogen.      Oi 

M.    obliq.    inf.     Rm,    Rs,    Ri,    M.  rect.  oculi  medialis ,    sup.    und    inf.     Lp    M.  Levator 

palpebr.      G  ob  kurze  Wurzel  des   Ggl.   ciliare. 


400  N.  facialis. 

Var.  Der  N.  abducens  fehlte  und  wurde  durch  einen  Zweig  des  N.  oculomoto- 
rius  vertreten  (s.  diesen). 

Er  durchbohrt  die  fibröse  Hiruhaiit  in  zwei  Bündel  getheilt,  die  sich  noch 
eine  Strecke  weit  getrennt  erhalten.  Er  giebt  den  N.  nasociliaris  ab  oder  sendet 
accessorische  Zweige  zum  Ganghon  ciliare  (S.  360). 

Svitzer  (a.  a.  O.  Fig.  19)  sah  einen  Ast  vom  Abducens  direct  zum  Bulbus 
verlaufen,  blieb  aber  im  Zweifel,  ob  er  die  Sclera  durchbohrte. 


VII.    N.  facialis. 

Der  N.  facialis  führt  ursprünglich  keine  sensibeln  Fasern  und  gewinnt  sen- 
sible Eigenschaft  erst  durch  die  Zweige  des  N.  trigeminus,  vielleicht  auch  des 
N.  vagus,  die  im  Can.  facialis  und  weiterhin  zu  ihm  stossen.  Er  enthält 
aber  von  Anfang  an  neben  eigentlich  motorischen  Fasern  auch  secretorische 
Nerven  der  Speicheldrüsen,  und,  wenn  nicht  von  Anfang  an,  doch  in  einer 
Strecke  seines  Verlaufs,  die  Geschmacksfasern,  die  in  den  Rändern  und  der 
Spitze  der  Zunge  sich  verbreiten.  Seine  motorischen  Fasern  versorgen  die 
Muskeln  der  Schädeldecke  und  des  Gesichts,  mit  Ausnahme  der  Kaumus- 
keln, ferner  den  hinteren  Bauch  des  M.  biventer  mandibulae,  den  M.  stylo- 
hyoideus,  einen  Theil  der  Gaumenmuskeln ,  die  Muskeln  des  äusseren  Ohrs 
und  den  M.  stapedius. 

Die  Fasern  des  N.  facialis  stammen  theils  aus  dem  gleichnamigen  Kern 
am  Boden  des  Sinus  rhomboid.  (S.  220),  theils  aus  weiter  nach  vorn  gelege- 
nen liirntheilen ;  sie  treten  am  hinteren  Rande  des  Brückenschenkels  in  zwei 
Wurzeln  aus,  von  denen  die  schwächere ,  N.  intermedius ,  auch  mit  dem  N. 
acusticus  zusammenhängt  (S.  176).  Nachdem  er  die  Schädelhöhle  verlassen, 
verläuft  der  Stamm  des  Facialis  auf  der  oberen,  rinnenförmigen  Fläche  des 
Acusticus  im  inneren  Gehörgang  und  weiter  in  dem  nach  ihm  benannten 
Canal  zuerst  in  genau  transversaler  Richtung.  Dem  Laufe  des  Canals  fol- 
gend wendet  er  sich,  über  der  Paukenhöhle  angelangt,  unter  rechtem  Win- 
kel rückwärts,  dann  längs  dem  oberen  und  hinteren  Rande  dieser  Höhle  im 
Bogen  abwärts.  Zuletzt,  nach  dem  Austritt  aus  dem  For.  stylomastoideum, 
setzt  er  seinen  Weg  schräg  ab-  und  vorwärts  fort,  bis  er  sich,  in  geringer  Ent- 
fernung vom  hinteren  Rande  des  Unterkiefers  und  etwa  in  der  halben  Höhe 
desselben,  in  seine  beiden  Endäste  spaltet,  von  denen  der  untere  in  der 
Flucht  des  Stamms  am  Unterkiefer  und  Hals ,  der  obere ,  vorwärts  umbeu- 
gend, mit  divergirenden  Aesten   an   der  Seitenfläche   des   Kopfes  ausstrahlt. 

An  dem  Scheitel  des  Winkels,  in  welchem  die  horizontale  Strecke  des 
Stamms  des  Facialis  sich  rückwärts  wendet,  dem  sogenannten  Knie,  G-enu 
nervi  facialis,  besitzt  dieser  Nerve  eine  graue,  Nervenzellen  enthaltende 
Anschwellung,  das  Ggl.  geniculatum  ^). 

Dies  Ganglion  hat  Anlass  gegeben,  den  Facialis  für  einen  gemischten  Nerven  zu 
halten  und  den  Spinalnerven  an  die  Seite  zu  stellen.  Bischoff  (N.  accessorii 
anatomia  et  physiologia.  Heidelberg  18.32.  p.  73)  bezog  zuerst  den  ganghöseu  Theil 
des  Knies  auf  den  N.  intermedius  und  verglich  diesen  Nerven  sanimt  dem  Ganglion 
mit  einer  sensiblen  Spinalnei-venwurzel.  Morganti  (Omodei  annali  Ser.  3.  XVIII, 
449)  und  Brinton  (Todd's  cyclopaedia  IV,  550)   wollen  den    N.  intermedius  zum 


^)    Gyl.  ffcnicn/i,    Gcniciihnn.      InUimescenlia  ganq/ioformis  Arnold.      Knieknoten. 


N.  facialis. 


401 


Ggl.  geniculat.  verfolgt  und  mit  dem  letzteren  unversehrt  von  der  stärkeren  Wurzel 
des  Facialis  abgelöst  haben;  doch  setzt  sich  nach  Morganti  der  aus  dem  Ganglion 
hervorgehende  Nervenstrang  fast  ganz  in  die  Chorda  tympani  foi't.  Die  Deutung, 
die  diese  Autoren  dem  N.  intermedius  und  dem  Ganglion  geben ,  widerlegt  sich 
indess  durch  die  rein  motorische  Natur  des  Facialis,  die,  wenn  man  auch  auf  die 
Prüfung  der  Sensibilität  des  Stamms  in  der  Schädelhöhle  keinen  Werth  legen  will, 
doch  dadurch  bewiesen  wird,  dass  bei  centraler  Lähmung  des  Facialis  das  Tast- 
gefühl in  keinem  Theil  seines  Verbreitungsbezii-ks  verloren  geht. 

So  weit  der  Facialis  durch  das  Schläfenbein  verläuft,  füllt  er  seinen 
Canal  vollständig  aus.  Yom  For.  stylomastoideum  an  ist  er  sammt  seinen 
Verzweigungen  in   der  Parotis  vergraben  und  vom  vorderen  Rande   dieser 

Fig.  252. 


Verästelung  des  N.  facialis.  Die  Nerven,  soweit  sie  in  Knochencanalen  verlaufen,  hell.  Gg 
Ggl.  geniculat.  cjoi  R.  communicans  c.  plexu  tympan.  sta  N.  stapedius.  c  a  N.  communi- 
cans  c.  auric.  vagi.  ap  N.  auric.  post.  sti/  N.  styloid.  c  c  g  Ji.  commun.  c.  nervo  glosso- 
pharyng.  6  w  N.  biventricus.  cf  R.  comm.  facialis  des  N.  auriculo-tempor.  s  <  Ä  N.  stylohyoid. 
s  c  s  N.  subcutan,  colli  sup.  /  N.  lingualis.  G  n  Ggl.  nasale,  v  N.  vidianus.  p  s  mj  N. 
petros.  superf.  maj.  cht  Chorda  tympani.  1  Vorhofsfenster.  2  Schneckenfenster. 
Heule,  Anatomie.   Bd.  III.    Abthlg.  2.  26 


402  Rr.  commim.  c.  nervo  acustico. 

Drüse    an   Hegen    seine   Aeste    theils    im   subcutanen   Bindegewebe ,    theils 
zwischen  der  oberfläcblicben  imd  tiefen  Scbicbte  der  Gesicbtsmuskeln. 

Zwischen  dem  Eintritt  in  den  Porus  acust.  int.  und  der  Auflösung  in 
die  terminalen  Aeste  sendet  der  Facialis  einige  coUaterale  Muskeläste  ab 
und  gebt  eine  Anzahl  Anastomosen  ein,  deren  Bedeutung  noch  Zweifeln 
unterliegt,  ja  bei  einigen  völlig  räthselhaft  ist.  Die  Muskeläste  sind:  der 
N.  stapedn  aus  dem  verticalen  Theil  des  Can.  facialis  und  die  Nn.  auricu- 
laris  post.,  Mventricus  und  styloliyoideus,  die  den  Stamm  beim  Ausgang  aus 
dem  For.  stylomastoideum  verlassen.  An  anastomotischen  Aesten  sind  fol- 
gende zu  verzeichnen:  1)  die  Rr.  communicantes  c.  n.  acustico  im  inneren 
Grehörgang.  2)  Mit  dem  Knie  und  dessen  Ganglion  hängt  der  N.  petrosus 
superficialis  maj.  zusammen,  dessen  anderes  Ende  mit  dem  Ggl.  nasale  in 
Verbindung  tritt.  Das  Experiment,  wie  die  pathologische  Beobachtung 
setzen  es  ausser  Zweifel,  dass  dieser  Nerve  wesentlich  aus  Fasern  motori- 
scher Natur  bestehe,  die  vom  Knie  und  Ggl.  geniculatum  dem  Ggl.  nasale 
zugeführt  werden  und  dadurch  rechtfertigt  sich  die  Aufi"assung  des  N.  pe- 
trosus  superf.  maj.  als  einer  motorischen  Wurzel  des  Ggl.  nasale  (S.  373). 
3)  B.  communicans  cum  plexu  tympanico,  vom  Knie  oder  dessen  nächster 
Umgebung.  4)  Chorda  tympani,  aus  dem  unteren  Ende  des  Can.  facialis 
durch  die  Paukenhöhle  zum  N.  lingualis,  an  beide  Nerven  in  einem  central- 
wärts  offenen  Winkel  sich  anschliessend.  5)  Die  Anastomose  mit  dem  das 
untere  Ende  des  Can.  facialis  quer  durchsetzenden  R.  auricularis  N.  vagi. 
6)  Die  Anastomose  mit  dem  N.  glossopharyngeus,  die  in  der  Regel  mit  den 
Nn.  stylohyoideus  und  biventricus  aus  einem  gemeinschaftlichen  Stämmchen, 
N.  styloideus  m.,  hervorgeht. 

Mit  den  terminalen  Aesten  des  Facialis  gehen  die  Hauptäste  des  Trige- 
minus  überall  Verbindungen  ein,  deren  Zweck  nur  darin  bestehen  kann,  ver- 
einzelte Bündel  des  Einen  Nerven  streckenweise  in  der  Bahn  des  anderen 
zu  geleiten.  Es  ist  möglich,  dass  die  relativ  starken  Stränge  des  N.  auri- 
culo-temporalis ,  die  sich  dem  Facialis  bei  seinem  Ausgang  aus  dem  Can. 
facialis  zugesellen,  weiter  vorn  in  feinere  Bündel  zerlegt,  wieder  an  Trige- 
minuszweige  abgegeben  werden.  Wahrscheinlich  gelangen  aber  auch  durch 
Anschluss  an  Endäste  des  Trigeminus  Fasern  des  Facialis  zu  den  in  der 
Haut  enthaltenen  unwillkürlichen  Muskeln. 


I  couat.  t    CoUaterale  Aeste. 

Aeste. 


1.   Comm.  c. 
acust. 


1.     Rr.   communicantes   c.  nervo    acustico, 
s.  Acusticus. 

2.     N.   petrosus    superficialis   major  psmj'^). 

2.  Petro3.  Verläuft  vom  Knie   des  Facialis    zuerst   parallel  der  Axe  des  Schläfen- 

»up.  maj.       'beins    medianvorwärts  in   einem  Canal   dieses  Knochens,   der  sich  auf  der 

inneren     vorderen    Fläche  desselben   mit    dem  Hiatus  Can.   facialis    öffnet, 


*j   /?.   superficialis  s.  minor  N.  vidiom.     J'ameuu  cranien  du  nerf  vidian  Lotiget. 


N.  petrosus  superf.  maj.  403 

dann  in  gleicher  Riclitung  in  einer  Knoclienrinne  unter  der  fibrö- 
sen Hirnhaut  zum  For.  lacerum.  An  der  lateralen  Seite  der  Lingula 
sphenoidalis  verlässt  er  die  Schädelhöhle,  um  an  der  Schädelbasis  sogleich 
in  die  hintere  OefFnung  des  Can.  vidianus  zu  gelangen.  Vor  dem  Eintritt 
in  denselben  tritt  er  mit  dem  N.  petrosus  profundus  major,  einem  gelatinö- 
sen, vom  Plexus  caroticus  stammenden  Ast,  zum  N.  vidianus  zusammen,  der 
sich  in  das  Ggl.  nasale  einsenkt  und  als  ein  Ast  desselben  beschrieben 
wurde  (S.  373). 

Die  anatomischen  Untersuchungen  über  den  Verlauf  der  Fasern  im  N. 
petrosus  superfic.  maj.  haben  zu  widersprechenden  Resultaten  geführt  ^). 
Die  schräge  Stellung  der  Uvula  aber  bei  einseitigen  Lähmungen  des  Fa- 
cialis, sofern  die  Ursache  der  Lähmung  im  Centralorgan  oder  im  Schläfen- 
bein liegt  2),  spricht  dafür,  dass  die  Gaumenmuskeln  ihre  Nerven  zum  Theil 
vom  N.  facialis  empfangen  und  weiter,  da  dies  nur  auf  dem  Wege  vom 
Knie  des  letztgenannten  Nerven  durch  den  N.  petrosus  superfic,  das  Ggl. 
nasale  und  die  Nn.  palatini  möglich  ist,  dass  der  N.  petrosus  superfic.  maj. 
motorische  Fasern  führt,  die  vom  Ggl.  geniculatum  zum  Ggl.  sphenopala- 
tinum  ziehen.  Der  directe  experimentelle  Beweis  für  diese  Ansicht  ist  aber 
noch  nicht  mit  der  wünschenswerthen  Sicherheit  geführt.  Debrou-"')  sah  auf 
galvanische  Reizung  des  N.  facialis  in  der  Schädelhöhle  unter  fünf  Experimen- 
ten nur  Einmal  deutliche  Contractionen  des  Gaumens;  Valentin*)  blieb 
zweifelhaft,  ob  die  schwachen,  einigermaassen  peristaltischen  Bewegungen 
des  Gaumensegels,  die  er  ein  einziges  Mal  beim  Hunde  der  Reizung  des  N.  pe- 
trosus superfic.  maj.  folgen  sah,  nicht  zufällig  und  spontan  entstanden  waren. 
Nuhn^)  behauptet,  bei  Thieren  und  Einmal,  am  Kopf  eines  Enthaupteten,  beim 
Menschen  den  Einfiuss  des  N.  facialis  auf  die  Bewegungen  des  Gaumens  be- 
stätigt gesehen  und  meint  auch  den  Beweis  geliefert  zu  haben,  dass  Durch- 
schneidung des  N.  petr.  sup.  maj.  die  Leitung  vom  Facialis  zu  den  Gaumen- 
muskeln aufhebt.  Longet  selbst.  Volkmann  ^)  und  Hein '^)  haben  bei 
dem  Versuch,  das  Gaumensegel  vom   N.  facialis  aus  zu  Zusammenziehungen 


^)  Cloquet  (Traite  d'anat.  descript.  II,  p.  116,  202)  und  Hirzel  (a.  a.  0.  I,  230) 
wollten  sich  überzeugt  haben,  dass  der  N.  petr.  sup.  maj.  dem  Stamm  des  Facialis  Fa- 
sern zuführe,  die  ihn  vom  Knie  an  nach  aussen  begleiten  und  als  Chorda  tympani  wieder 
Aderlässen.  Varrentrapp  (Observ.  anat.  de  parte  cephalica  n.  sympath.  Francof.  1831, 
p.  19)  giebt  dies  wenigstens  für  einen  Theil  der  Fasern  des  N.  petr.  sup.  maj.  zu,  wäh- 
rend nach  seiner  Ansicht  ein  anderer  Theil  sich  im  Ggl.  geniculatum  verlieren  soll.  Da- 
gegen behauptet  Bidder  (Neurolog.  Beob.,  S.  44),  den  fraglichen  Nerven  durch  das  Ggl. 
geniculatum  in  das  centrale  Stück  des  N.  facialis  verfolgt  zu  haben;  Valentin  (S.  368), 
Longet  (a.  a.  0.  II,  414),  Calori  (Mem.  delP  accad.  di  Bologna  IV,  454)  und  Kauber 
(a.  a.  0.  S.  22)  sahen  die  Fasern  des N.  petr.  superf.  maj.  sich  an  den  Facialis  theilweise  in 
peripherischer,  theilweise  in  centraler  Richtung  anschliessen ;  Beck  (Anat.  Unters.,  S.  34) 
ist  derselben  Meinung  und  fügt  hinzu,  dass  die  vom  Facialis  zum  Ggl.  nasale  verlaufenden 
Fasern  durch  dieses  Ganglion  in  die  Nn.  palatini  übergehen,  während  die  Fasern  des  Petr. 
sup.  maj.,  die  sich  dem  Facialis  in  peripherischer  Richtung  zugesellen,  bis  unterhalb  des 
For.  stylomastoideum  in  der  Scheide  desselben  verbleiben  sollen.  E.  Bischoff  endlich 
(a.  a.  0.,  S.  15)  ei'klärt  den  N.  petrosus  superf.  maj.  für  einen  Verbindungsnerven  der  beiden 
Ganglien,  nasale  und  geniculatum :  in  beiden  entzogen  sich  die  Nervenfasern  zwischen  den 
Zellen  der  weiteren    Fräparation.  ^)    Longet,    a.   a.   0.  II,    450.  ^)    Bei    Longet, 

a.   a.   O.  *)  De  functionibus  nervoj;um,  p.  33.         '■>)  Ztschr.  für  rat.  Med.   N.   F.  III,   130. 

'')  Müll.  Arch.   1840,  S.  487.  '^)  Eljendas.   1844,  S.  332. 

26* 


404  R.  comm.  c.  plexu  tymiDan.     N.  stapedius. 

zu  veranlassen,  nur  negative  Resultate  erhalten.  Ob  der  N.  petr.  sup.  maj. 
neben  den  motorischen  Fasern,  die  aus  dem  Facialis  stammen,  auch  sensible 
enthält,  die  in  umgekehrter  Richtung,  vom  Trigeminus  zum  Facialis  gehen? 
und  ob  diese  Fasern  zu  denjenigen  gehören,  denen  der  Facialis  die  Sensibi- 
lität verdankt,  die  er  während  des  Yerlaufs  durch  das  Schläfenbein  acquirirt? 
Prevost^)  bestreitet  es,  weil  er  die  Fasern  des  N.  petr.  superf.  maj.  nach 
Exstirpation  des  Ganglion  nasale  sich  unversehrt  erhalten  sah.  Indess  fand 
W.  Krause^)  unter  der  fibrösen  Hirnhaut  neben  dem  N.  petros.  superf. 
major  einige  Pacini'sche  Körperchen  an  Nerven,  die  sich  einzeln  vom 
Ggl.  geniculatum  abzweigten,  und  vermuthet,  dass  es  Fasern  aus  dem  N. 
supramaxillaris  seien,  die  das  Ggl,  nasale  durchsetzen,  im  N.  petros.  superf. 
maj.  zum  Ggl.  geniculatum  und  von  letzterem  aus  zu  ihren  Terminal- 
körperchen  gelangen. 

3.     R.   communicans   cum  plexu  tympanico   Cpt, 

3.  Comm.  c.  Mit   diesem  Namen  bezeichne   ich   ein   Nervenfädchen,    welches    schon 
p  exu  tymp.  ^j^g^  ^g_  334)  ^Is  der  Zweig  des  N.  petrosus  superfic.  min.  erwähnt  wurde, 

der  die  Verbindung  des  Ggl.  oticum  mit  dem  N.  facialis  herstellt.  Vom 
Facialis  aus  betrachtet  erscheint  er  als  ein  am  Ggl.  geniculatum  oder  in  dessen 
Nähe  entspringender  Ast,  der  sich  an  die  wesentliche  Schlinge  des  Plexus 
tympanicus,  die  sich  vom  Ggl.  oticum  zum  Ggl.  petrosum  des  N.  glosso- 
pharyngeus  erstreckt,  anlegt  und  somit  den  Vermuthungen  über  die  Natur 
und  den  Verlauf  seiner  Fasern  ein  weites  Feld  bietet.  Rauher^)  fand  in 
Einem  Falle  die  Eintrittsstelle  des  Verbindungsastes  in  die  Hauptschlinge 
so  von  Nervenzellen  umgeben,  dass  der  Faserverlauf  nicht  zu  ermitteln 
war ;  in  einem  anderen  Falle  nahm  der  Verbindungsast  die  Richtung  gegen 
den  N.  glossopharyngeus,  wie  auch  W.Krause'*)  ihn  darstellt;  in  vier  Fäl- 
len verlief  er  in  der  Richtung  gegen  das  Ggl.  oticum.  Es  darf  demnach 
vermuthet  werden,  dass  durch  ihn  die  für  die  Parotis  bestimmten  secreto- 
rischen  Fasern  des  N.  facialis  zunächst  zum  Ggl.  oticum  und  von  diesem 
zum  N.  auriculo-temporalis  gelangen. 

4.     N.  stapedius  Stu, 

4.  staped.  Ein  feiner  Faden,  welcher  aus  dem  N.  facialis  da,  wo  er  an  der  weiten 

Communicationsöffnung  zwischen  Can.  facialis  und  Eminentia  stapedii  vor- 
übergeht, unmittelbar  in  den  M.  stapedius  eindringt  (Fig.  252). 

5.     Chorda  tympani^)    cJlt, 

5.  Chorda  Mit   Rücksicht    auf  die    Hauptmasse   der   Fasern   beschreibt  man    die 
tymp.            Chorda  tympani   als  einen  Nerven,    der  seinen  Ursprung  aus   dem  Facialis 

nimmt  und  im  R.  lingualis  endet.  Sie  geht  von  dem  Stamm  des  ersteren 
unter  spitzem   Winkel   kurz  vor   dessen  Austritt  aus  dem   Canal  auf-  und 


1)  Arch.  de  physiol.  I,  215.  2)  ztschr.  für  rat.  Med.  3.  R.  XXVIII,  92.  3)  Ueber 
d.  sympath.  Grenzstrang,  S.  12.  ^)  Ztschr.  für  rat.  Med.  3.  R.  XXVIII,  92.  ^)  N.  tym- 
panico-lingualis. 


Chorda  tympani.  405 

vorwärts  ab,   durch  ein  eigenes  Canälchen  in   die  Paukenhöhle,   durchsetzt 
dieselbe  in  einem  aufwärts  convexen  Bogen,   indem   sie  über  der  Sehne  des 
Fiff.  253  ^*  tensor  tympani    zwischen  dem   Stiel 

^  des  Hammers   und   dem  langen  Fortsatz 

des  Amboses  hindurch  läuft  (Fig.  2  5  3),  ge- 
langt durch  die  Fissura  petro-tympanica 
an  die  Schädelbasis  und  legt  sich,  schräg 
vorwärts  absteigend,  wieder  unter  spitzem 
Winkel  an  den  N.  lingualis  an.  Sie 
empfängt  auf  diesem  Wege,  indem  sie  in 
der  Nähe  des  Ggl.  oticum  vorüberstreicht, 
vn  die  bei  dem  letzteren  (S.  385)  erwähnten 

„   ,    ,.  ,     ^,     ,   ^  .        j     1  ^      Aeste  aus  dem  Grgl.  oticum,  N.  communi- 

Verlauf  der  Chorda  tympani  an  der  late-  °  '      ■ 

ralen  Wand  der  Paukenhöhle ;  Paukenfell  C^WS  CUWl  CflOrcla  tympani  Fäseh eck  ^), 
und  Hammer  von  der  inneren  Seite.  Der  die,  nach  den  einander  widerstreitenden 
M.  tensor  tympani  (l)  von  der  medialen  Beschreibungen  ZU  schliessen,  einen  sehr 
Wand  der  Paukenhöhle  abgelöst,  im  Zu-  veränderlichen  Verlauf  haben  müssen, 
sammenhang  mit  dem  Hammer.     2  innere    .  i  i     i  j     -i  -r-,    •    ,  ^ 

Mündung  der  Tuba.  Arnold    leugnet    ihre    Existenz;     nach 

Fäsebeck,  C.  Krause  2),  Guarini^) 
und  Calori*)  ist  es  ein  gerade  absteigender  Faden,  der  sich  an  die  Chorda 
tympani  einfach  anlegt,  nach  Valentin  ein  Faden,  der  mit  Fäden  der 
Chorda  ein  Geflecht  bildet,  an  welchem  auch  Aestchen  der  Nn.  auriculo- 
temporalis  und  alveolaris  inf.  Theil  nehmen.  C  u  s  c  o  und  S  a  p  p  e  y  ^)  sahen 
zuweilen  Einen  oder  zwei  Fäden;  E.  Bischoff^),  Rüdinger'^)  und 
Rauber  ^)  zufolge  sind  es  mehrere,  zuweilen  mit  kleinen  Ganglien  versehene 
Zweige,  die  in  der  Bahn  der  Chorda  tympani  zum  grösseren  Theil  periphe- 
risch, zum  kleineren  central  verlaufen.  Bischoff  schreibt  auch  dem  N. 
lingualis  einen  Antheil  an  dem  Geflecht  zu  (Fig.  254  a.  f.  S.). 

Unsere  Beschreibung  passt  nicht  auf  einen,  allerdings  kleinen  Theil 
der  Fasern  der  Chorda,  die,  wo  sie  mit  dem  Facialis  zusammenstösst,  eine 
peripherische  Richtung  einschlagen ,  deren  centrales  Ende  also  anderwärts, 
als  im  Facialis ,  gesucht  werden  muss  ^).  Und  auch  von  den  im  Facialis 
centralwärts  verlaufenden  Chordafaseru  ist  es  nicht  gewiss,  ob  sie  sämmt- 
lich  den  centralen  Ursprung  des  Facialis  erreichen ;  man  Hess  sie  in  den 
N.  petros.  superf.  major  übergehen   oder  im  Ggl.  geniculatum  enden  ^^)  und 


^)    N.  communicans    cum  plexu   chordae    ti/mpani  Valentin.  ^)    Synops.  nerv.  syst. 

gangliosi  69.  ^)    Omodei  annali    3.    Ser.    VI,    194.  *)    Mem.  della  accad.  di  Bologna. 

T.  IV.  Tav.  XX.  Fig.   7.  &)    A.  a.  0.,    S.  258.  ^)    A.   a.  0.,    S.  18.  ')    Xaf.  VI, 

Fig.   3.  ö)    A.   a.  0.,    S.   13.  9)  Valentin  (S.  447)  und  Longet    (a.  a.  0.  II,    419) 

erwähnen  zuerst  das  im  Facialis  peripherisch  gewandte  Bündelchen  der  Chorda;  Calori 
(a.  a.  0. ,  Taf.  XX ,  Fig.  7)  giebt  eine  Abbildung  desselben  und  beschreibt  es  als  auf- 
steigende Facialiswurzel  der  Chorda  tympani ;  es  ist  ihm  wahrscheinlich ,  dass  an  der  Bil- 
dung derselben  einzelne  Fasern  der  vom  R.  auricularis  N.  vagi  dem  Facialis  zugeführten 
Bündel  sich  betheiligen.  E.  Bisch  off  (a.  a.  0.,  S.  17)  konnte  in  vielen,  wenn  auch 
nicht  in  allen  Fällen  das  vom  peripherischen  Theil  des  Facialis  in  die  Chorda  aufsteigende 
Bündel  bestätigen.  ^^)  Die  zuerst  von  Cloquet  ausgesprochene  Meinung,  dass  die  Chorda 
eine  Fortsetzung  des  N.  petrosus  superfic.  maj.  sei,  habe  ich  soeben  erwähnt.  Morgan ti 
(a.    a.    0.,    p.  458),    Calori    (a.    a.    0.,    p.    458),    Cusco    und    Duchenne  (Arch.  gen. 


406 


Chorda  tympani. 


durfte  die  Vermuthung  wagen,    dass  ein  Theil   derselben  durch  den  Zweig, 
der  den  N.  facialis  mit   dem  Plexus  tympanicus  verbindet ,  in  den  letzteren 


Fig.  254*). 


M 


eintrete  und  sich  dem  Ggl. 
oticum  oder  dem  N.  glosso- 
pharyngeus  zuwende. 

So  sehen  wir  uns  wieder 
an  die  Physiologie  und  zwar 
an  die  Folgen  der  Eeizung 
und  Lähmung  der  Chorda 
verwiesen,  um  über  den  Cha- 
rakter und  Verlauf  ihrer  Fa- 
sern Aufschluss  zu  erhalten. 
Reactionen  irgend  welcher 
willkürlicher  Muskeln  auf 
Reizung  der  Chorda  sind 
nicht  sicher  constatirt.  Gua- 
rini  1)  ist  der  Einzige,  der 
dadurch  Kräuselungen  der 
Zungenoberfläche  in  Folge 
von  Contractionen  des  M. 
lingualis  hervorgerufen  ha- 
ben will.  Die  ausgestreckte 
Zunge  soll  nach  der  gesun- 
den Seite  abweichen  bei 
Menschen,  die  an  einseitiger 
centraler  Lähmung  des  Fa- 
cialis leiden  (Gädechens  2), 
Arnold^),  Arnold  grün- 
det darauf  die  Vermuthung, 
dass  der  N.  facialis  durch 
Vermittlung  der  an  den  N. 
lingualis  sich  anschliessenden  Fasern  der  Chorda  dem  M.  genioglossus  Zweige 
sende,  wozu  der  Weg,  so  viel  bekannt,  sich  nur  in  dem  oben  (S.  393)  er- 
wähnten, zweifelhaften  Aste  des  Ggl.  linguale  zum  N.  hypoglossus  finden 
würde. 

Die  Sensibilität  der  Chorda  hat  Morganti'i)  durch  unmittelbare 
mechanische  Reizung  derselben  in  der  Paukenhöhle  constatirt,  ohne  den 
Gang  der    sensibeln    Fasern    aufzuklären^).      Duchenne    erzeugte   durch 


cht   Chorda  tympani.      Go  Ggl.  oticum.     l  Verbin- 
dungsäste aus  dem  N.  lingualis. 


46  ser.  XXrV,  385)  leiten  sie  vom  Ggl.  geniculatum  ab,  geben  aber  zu,  dass  sie  weiter- 
hin Bündel  vom  nicht  gangliösen  Theil  des  Facialis  av;fnehme. 

*)    Nach    E.    Bischoff.     Taf.    XI,    Fig.    36.  i)    Omodei    Ann.    3e    Ser.    VI,     291. 

^)  Physiologia  et  pathologia  n.  facialis.      Heidelb.   1882.  ^)  Bemerkungen  über  den  Bau 

des  Hirns    und    Rückenmarks.     Zürich  1838,    S.  209.  *)    A.  a.  0.,    S.   518.  ^)    Er 

selbst  geht  von  der  Voraussetzung  aus ,  dass  sie  aus  dem  N.  intermedius  stammen, 
der  mit  dem  Ggl.  geniculatum  einer  hinteren  Spinalnervenwurzel  entspreche;  Long  et 
leitet  die  sensibeln  Fasern  vom  N.  lingualis,  E.  Bischoff  leitet  sie  vom  Ggl.  oticum 
her.  Im  Gegensatz  zu  diesen  Annahmen ,  nach  welchen  die  sensibeln  Fasern  im  Facialis 
peripherisch     verlaufen     würden,     stellt    Calori     die    Hypothese    auf,     dass    die     Chorda 


Chorda  tympani.  407 

elektrische  Reizung  der  Chorda  vom  äusseren  Gehörgaug  aus  ein  Gefühl  von 
Kitzel  und  Ameisenkriechen  in  der  Zungenspitze. 

Den  physiologisch  bedeutsamsten  Bestandttheil  der  Chorda  machen 
zwei  Kategorien  von  Nerven  aus,  die  bezüglich  des  Gegensatzes  in  der  Rich- 
tung der  Leitung  den  motorischen  und  sensibeln  entsprechen,  centrifugale, 
secretorische  Fasern,  die  sich  in  der  Drüsensubstanz,  insbesondere  der  Sub- 
maxillar-  und  Sublingualdrüse  verzweigen,  und  centripetale,  mit  der  Energie 
des  Geschmackssinns  begabte,  deren  Verbreitungsbezirk  der  vordere  Theil 
der  Zunge  ist.  Was  die  ersteren  betrifft,  so  ist  ihr  Weg  klar  dadurch  be- 
zeichnet, dass  die  Reizung  sowohl  des  N.  facialis  in  der  Schädelhöhle  (Eck- 
hard i),  als  der  Chorda  in  der  Paukenhöhle  (Bernard  2),  Schlüter^), 
Heidenhain  *),  die  Thätigkeit  der  Drüsen  erweckt  und  dass  nach  Durch- 
schneidung des  Facialis  die  Reizung  der  Mundhöhlen-Schleimhaut  die  Se- 
cretion  nicht  mehr  anzuregen  vermag  (Loeb^). 

Minder  positiv  sind  die  Ergebnisse  des  physiologischen  Versuchs  be- 
züglich der  Geschmacksfasern.  Auf  pathologische  Erfahrungen,  welche  die 
Abhängigkeit  der  Geschmacksfunction  der  Ränder  und  Spitze  der  Zunge 
von  der  Integrität  der  Chorda  bekundeten  und  Anlass  gaben,  in  diesem 
Nerven  die  Geschmacksfasern  der  genannten  Zungenregion  zu  suchen,  habe 
ich  oben  (S.  389)  verwiesen.  Es  handelt  sich  um  eine  Alteration  des  Ge- 
schmacks, die  die  Facialis-Lähmung  begleitet  und  die,  nachdem  sie  zuerst 
Roux  bei  einem  derartigen  Leiden,  das  ihn  selbst  betroffen,  aufgefallen 
war,  sich  als  eine  sehr  gewöhnliche  Erscheinung  herausstellte  ^) ;  sodann  um 
die  Störvmgen  des  Geschmackssinns,  die  mit  den  Vereiterungen  des  mittleren 
Ohrs,  bei  welchen  die  Chorda  tympani  nur  selten  unberührt  bleiben  mag, 
häufig  verbunden  sind  '').  An  derartige  Beobachtungen  knüpfte  das  Experi- 
ment an :  beim  Menschen  wurde  die  Chorda  durch  Druck  ^)  oder  Elektricität  ^) 
gereizt,  bei  Thieren  wurde  sie  durchschnitten^*');  dort  wurde  Erregung, 
hier  Beeinträchtigung  oder  Vernichtung  des  Geschmacks  in  der  entsprechen- 
den Region  der  Zunge  erzielt.  Aber  schon  über  die  Art  und  den  Grad  der 
Beeinträchtigung,  die  der  Geschmack  bei  gehemmter  Leitung  durch  die 
Chorda  erfährt,  sind  die  Meinungen  getheilt.  Bernard  spricht  nur  von 
einer  verzögerten  Einwirkung  der  schmeckenden  Substanzen,  Biffi  und 
Morganti   fanden   die   Reaction    gegen   Geschmacksreize   minder  intensiv? 


ihre  sensibeln  Eigenschaften  den  aus  dem  peripherischen  Theil  des  Facialis  in  die  Chorda 
eintretenden  Fasern  verdanke  iind  dass  diese  Fasern  ,  die  von  ihm  sogenannte  aufsteigende 
Wurzel  der  Chorda,  ursprünglich  dem  N.  inframaxillaris  angehören  und  durch  die  Anasto- 
mosen des  N.  auriculo-temporalis  mit  den  Gesichtsästen  des  Facialis  aus  der  Bahn  des 
ersteren  in  die  des  letzteren  übergehen. 

1)  Meissner's  Jahresbericht  1862,  S.  419.        '^)  Ebendas.   1857,  S.  381.   1858,  S.  376. 
3)    Ebendas.   1865,    S.   371.  *)    Ebendas.   1868,    S.   328.  5)    Ebendas.   1869,    S.  239. 

ß)  Vgl.  Stich,  Annalen  des  Charite-Krankenhauses.     VIII,    59.  '')  Volt  oli  ni ,  Archiv 

für  path.  Anat.  und  Physich  XVIII,  48.  Klatsch  bei  Romberg,  Nervenkrankh.  2.  Aufl. 
S.  777.  Neumann  und  Lussana  in  Meissner's  Jahresbericht  1864,  S.  554.  ^)  Moos, 
in  Meissner's  Jahresbericht   1867,  S.   615.  ^)  Duchenne,  a.  a.  0.     Baierlacher, 

die  Inductionselektricität  in  physiologisch  -  therapeut.  Beziehung.  Nürnb.  1857,  S.  98. 
10)  Bernard,  arch.  gen.  4e  ser.  II,  332  VI,  480.  Biffi  e  Morganti,  Onaodei 
ann.  3a  ser.  XXIII,  369.  Baragiola,  diss.  de  glossopharyngei  munere.  Tvirin  1847^ 
Inzani   und  Lussana,  Meissner's  Jahresbericht   1864,   S.   555, 


408  Chorda  tympani. 

Stich  1)  fand  sie  zugleich  langsamer  und  stumpfer,  Roux  und  Andere  be- 
zeichneten den  Geschmack  als  unsicher  oder  verkehrt,  metallisch,  säuerlich, 
süsslich,  fade.  Neumann  ist  geneigt,  die  Unempfindlichkeit  für  eine  abso- 
lute zu  halten,  da  die  elektrische  Reizung  der  vorderen  Partie  der  Zunge 
bei  einem  mit  Facialis-Lähmung  behafteten  Individuum  wirkungslos  blieb. 

Schwankend,  wie  über  die  Art  der  Störung,  ist  auch  das  Urtheil  über 
die  nächste  Ursache  derselben.  Die  Beobachter,  die  das  Geschmacksvermögen 
nach  Zerstörung  der  Chorda  nur  träger  oder  schwächer  fanden,  konnten 
diesem  Nerven  auch  nur  einen  mittelbaren  Einfluss  auf  die  Empfindung  zu- 
schreiben. Bernard  ist  der  Meinung,  dass  er  durch  Einwirkung  auf  die 
Blutgefässe  der  Zunge  die  Erhebung  der  Geschmackspapillen  veranlasse; 
Calori^)  ertheilt  ihm  die  Mission,  die  Schleimdrüsen  der  Zunge  anzuregen, 
deren  Secret  die  Berührung  der  schmeckbaren  Substanz  mit  der  Zungen- 
oberfläche begünstige.  Stich,  der  diese  Erklärungsversuche  mit  guten 
Gründen  zurückweist,  wagt  doch  auch  nicht,  der  Chorda  tympani  eine  mehr 
als  untergeordnete  Rolle  bei  der  Geschmacksfun ction  zuzutheilen.  Inzani 
und  Lussana  aber  sprechen,  wie  früher  Baragiola,  die  Chorda  geradezu 
als  Geschmacksnerven  an,  und  Neumann' s  Untersuchungsmethode,  die  die 
Unempfindlichkeit  der  gelähmten  Nerven  gegen  directe  galvanische  Reizung 
darthut,  lässt  keine  andere  Deutung  zu. 

Schliesst  man  sich  dieser  Ansicht  an,  so  muss  man  weiter  fragen,  ob 
es  die  Chorda  allein  ist,  die  dem  vorderen  Theile  der  Zunge  Geschmacks- 
fasern zuführt.  Neumann  beantwortet  auch  diese  Frage  bejahend:  wo  die 
Leitung  durch  die  Chorda  aufgehoben  war,  bestand  im  ganzen  Gebiete  des 
Lingualis  die  gleiche  Unempfindlichkeit  und  auf  der  anderen  Seite  lagen  ihm 
keine  Erfahrungen  vor,  welche  eine  Beeinträchtigung  des  Geschmacks  nach 
Durchschneidung  oder  Erkrankung  des  Lingualis  bei  Erhaltung  der  Chorda- 
fasern erwiesen.  Schifft)  vertritt  die  entgegengesetzte  Meinung.  Seinen 
Versuchen  zufolge  vermag  bei  Thieren  mit  durchschnittenen  Glossopharyngei 
die  Durchschneidung  der  Chorda  in  der  Paukenhöhle  den  Geschmack  in 
individuell  verschiedenem  Maasse  zu  schwächen,  nicht  aber  ihn  ganz  zu 
vernichten,  und  ebenso  trat  eine  Schwächung  des  Geschmacks  im  Bereiche 
des  Lingualis  ein,  wenn  dieser  Nerve  zwischen  dem  Ggl.  oticum  und  der 
Anlagerung  der  Chorda  durchschnitten  worden  war. 

Ich  komme  zuletzt  zu  den,  leider  ebenfalls  einander  widersprechenden 
Beobachtungen  und  Versuchen,  die  man  zu  Schlüssen  über  den  weiteren  cen- 
tralwärts  gerichteten  Verlauf  der  in  der  Chorda  und,  nach  Schiff,  im  Lin- 
gualis enthaltenen  Geschmacksfasern  verwandt  hat.  Den  Austritt  aus  dem 
Gehirn  betreffend,  schwankt  die  Wahl  zwischen  Facialis  und  Trigeminus. 
Bernard,  Lussana*)  imd  Steiner^)  entscheiden  sich  für  den  Facialis. 
Bernard  beruft  sich  auf  einen  Versuch  von  sehr  zweifelhaftem  Werth,  Ver- 
lust des  Geschmacks  nach  Durchschneidung  des  N.  facialis  in  der  Schädel- 
höhle; Lussana  stützt  sich  auf  Mo rganti's  Autorität  und  die  von  ihm  an- 
genommene sensible  Natur  des  N.  intermediiis ;  Steiner  auf  einen  Fall  von, 


1)  Meissner's  Jahresbericht  1857,  S.  588.        2)  a.  a.   0.,  S.  465.        '^)  Meissner' 
■Jahresbericht  1867,  S.  613.  ^j  Ebendas.   1869,  S.   332.  ^)  Ebendas.   1870,  S.   315. 


Chorda  tympani.  409 

wie  er  meint,  entscliieden  centraler  Facialis-Lähmung.  Die  älteren  Autoren 
bezweifelten  schon  deshalb  nicht,  dass  die  Geschmacksfasern  des  Lingualis 
das  Gehirn  mit  dem  Stamm  des  Trigeminus  verlassen,  weil  ihnen  der  Ueber- 
gang  derselben  in  die-  Chorda  unbekannt  war.  Die  Neueren  citiren  für  ihre 
Ansicht  die  Fälle,  wo  Lähmung  eines  kleineren  oder  grösseren  Theils  des 
Trigeminus  mit  Geschmackslähmung  im  Gebiete  des  Lingualis  verbunden 
war  ^).  Stich  resumirt  die  von  ihm  gesammelten  Beobachtungen  dahin, 
dass  bei  centraler  Lähmung  des  Facialis  die  Störung  des  Geschmacks  nie- 
mals vorkomme,  dass  der  Geschmack  bald  intact,  bald  gestört  sei,  wenn  die 
Ursache  der  Lähmung  im  Schläfenbein  liege,  und  dass  er  stets  gestört  sei, 
wenn  das  Hemmniss  der  Leitung,  wie  bei  den  sogenannten  rheumatischen 
Lähmungen,  unter  dem  Foramen  stylomastoideum  sich  befinde  oder  wenn 
der  Facialis,  wie  in  einem  von  ihm  selbst  und  in  einem  von  Lotzbeck^) 
beschriebenen  Fall,  am  Austritt  aus  dem  Canal  durchschnitten  worden. 
Demnach  folgert  Stich,  dass  die  Geschmacksfasern  der  Chorda  sich  vom 
Anschluss  der  Chorda  an  den  Facialis  an  peripherisch  wenden  und  mit  dem 
Stamm  des  letztgenannten  Nerven  den  Can.  facialis  verlassen  müssen  und 
er  vermuthet,  dass  sie  durch  Vermittlung  der  Anastomosen,  die  der  Facialis 
mit  dem  Trigeminus  (Auriculo-temporalis)  eingeht,  in  den  letzteren  gelangen 
und  in  seiner  Bahn  zum  Gehirn  aufsteigen.  Damit  würde  die  Bedeutung 
der  von  dem  Winkel,  den  die  Chorda  mit  dem  Facialis  bildet,  in  den  peri- 
pherischen Theil  des  letzteren  sich  fortsetzenden  Fasern  aufgeklärt. 
Man  hat  dagegen  eingewandt,  dass  die  Geschmacksperception  sich  im  vor- 
deren Theil  der  Zunge  erhalten  kann  bei  Individuen,  welche  an  Lähmung 
der  sensibeln  Wurzel  des  Trigeminus  (Inzani  und  Lussana)  oder  gar  des 
ganzen  Trigeminus  (Althaus  3)  und  Vizioli'*)  leiden.  Aber  es  ist  nicht 
unmöglich,  dass  bei  einer  centralen  Erkrankung  des  Nerven  einzelne  Bün- 
del, denen  man  wegen  ihrer  physiologischen  Besonderheit  einen  gesonderten 
centralen  Ursprung  zutrauen  darf,  sich  erhalten.  In  Schiffs  Versuchen 
hob  die  Trennung  des  Trigeminusstammes  oder  des  zweiten  und  zugleich  des 
dritten  Astes  den  Geschmack  des  vorderen  Theils  der  Zunge  vollständig  auf. 
Stich' s  Hypothese  weist  dem  dritten  Aste  des  Trigeminus  die  Ge- 
schmacksfasern zu;  Schiff  aber  fand  den  Geschmack  unversehrt,  wenn  er 
diesen  Ast  über  dem  Ggl.  oticum  durchschnitten  hatte.  Er  vermuthet  dem- 
nach, dass  der  Theil  der  Geschmacksfasern,  der  im  Stamm  des  Lingualis 
verbleibt,  in  der  Höhe  des  Ggl.  oticum  aus  dem  dritten  Ast  in  das  Ggl. 
semilunare  oder  in  den  zweiten  Ast  übergehe,  in  das  Ggl.  semilunare  durch 
den  zweifelhaften  N.  sphenoidalis  ext.  (S.  385),  in  den  zweiten  Ast  durch 
den  ebenfalls  zweifelhaften  N.  sphenoidalis  int.  (ebendas.)  oder  durch  den 
N.  petrosus  prof.  minor,  der  die  betreffenden  Fasern  in  den  Plexus  tympani- 
cus,  aus  diesem  durch  den  R.  ad  plexum  tympanicum  (S.  404)  in  das  Ggl. 
geniculatum  und   endlich  im  N.  petr.  superf.  maj.  zum  Ggl.  nasale  geleiten 


^)  Vgl.  Komberg's    Nervenkrankh. ,    2.    Aufl.,    S.   301.      Hirschberg    und    Gutt- 
mann,  in  Meissner's  Jahresbericht  1868,  S.   503.  ^)  Deutsche  Klinik  1858,  No.   12. 

1859,    No.  33.     Eine    ganz    ähnliche  Beobachtung  Vizioli's    führt  Lussana  an,     Arch. 
de  physiol.   1872,    p.    155.  ^)   Meissner's  Jahresbericht  1870,    S.  316.  *)    Aus  d. 

Movimento  medico-chirurg.  in  Arch.   de  physiol.   1872,  p.   153. 


410  Chorda  tympani. 

würde.  Zinn  Ggl.  nasale  müssten  nach  Schiff  auch  die  Geschmacksfasern 
der  Chorda  tympani  gelangen,  da  sie  im  Stamme  des  Inframaxillaris  nicht 
zu  finden  sind,  und  es  könnte  dies  auf  dem  verhältnissmässig  einfachen  "Wege 
im  Can.  facialis  aufwärts  durch  das  Ggl.  geniculatum  und  den  N,  petrosus 
superf.  maj.  geschehen.  Zur  Erhärtung  dieser  Folgerungen  durchschnitt 
Schiff  den  N.  supramaxillaris  über  dem  Ggl.  sphenopalatinum ,  dann  die 
Verbindungen  dieses  Ganglion  niit  dem  N.  supramaxillaris,  endlich  die 
Wurzel  des  N.  vidianus;  jede  dieser  Operationen  vernichtete  den  Geschmack 
in  der  vorderen  Zungenhälfte.  Wahrscheinlich,  so  schliesst  Schiff,  ent- 
halten die  Verbindungen  zwischen  Infra-  und  Supramaxillaris  Geschmacks- 
fasern in  veränderlicher  Zahl,  so  dass  bald  die  Eine,  bald  die  andere  jener 
Verbindungen  die  Hauptleitung  bildet  und  demnach  die  Folgen  der  Zer- 
störung der  Chorda  im  Schläfenbein  mehr  oder  minder  aufFällig  hervortreten. 

Eine  Bestätigung  der  Angaben  Schiffs  liefert  Erb  ^)  durch  Ver- 
gleichu.ng  von  zwei  Fällen,  in  welchen  der  N.  facialis,  wahrscheinlich  durch 
Bruch  des  Schläfenbeins,  verletzt  war.  In  dem  Einen  Fall  war  das  Gaumen- 
segel nicht  gelähmt  und  der  Geschmack  beeinträchtigt,  in  dem  anderen  war 
das  Gaumensegel  gelähmt  und  der  Geschmack  unversehrt.  Dort  musste  die 
Verletzung  unterhalb,  hier  oberhalb  des  Abgangs  des  N.  petrosus  superf. 
maj.  Statt  gefunden  haben.  Dort  war  die  Communication  der  Chorda  tym- 
pani mit  dem  Ggl.  geniculatum  und  dem  N.  petr.  superf.  maj.  unterbrochen, 
hier  bestand  sie  fort. 

Indessen  haben  sich  auch  bereits  wichtige  Bedenken  gegen  Schiffs 
Anschauung  erhoben.  Schon  Alcock^)  hatte  das  Ggl.  sphenopalatinum  bei 
Hunden  exstirpirt,  um  den  Einfluss  dieser  Operation  auf  die  Zunge  zu  er- 
mitteln, und  Prevost^)  wiederholte  diese  Operation  in  der  gleichen  Absicht. 
Der  Geschmack  hatte  in  keinem  Falle  gelitten  ^). 

Var.  Fäsebeck  sah  die  Chorda  tympani  isolirt  an  der  hinteren  Seite  des 
N.  lingualis  abwärts  gehen,  zwei  Fäden  an  diesen  abgeben  und  zur  Bildung  des 
Ggl.  linguale  beitragen  (Müll.  Arch.  1837,  S.  XL VII).  Nach  Bock  (Beschr.  d. 
5.  Nervenpaars,  S.  51)  erscheint  die  Chorda  tympani  oft  wie  ein  gegen  die  Pissura 
petro-tympanica  aufsteigender  Ast  des  N.  lingualis,  indem  sie  vor  dieser  Fissur 
einen  Ast  abgiebt,  der  voi'wärts  in  die  Höhe  geht  wad  sich,  nachdem  er  einige 
zarte  Zweige  in  den  M.  sphenostaphylinus  gesandt  hat,  mit  dem  Stamme  des  N. 
inframaxillaris  vereinigt.  An  einem  Präparate  Calori's  (a.  a.  0.  p.  461)  steht  die 
Chorda  tympani  mit  dem  Stamme  des  Facialis  durch  ein  horizontales,  gegen  die 
Chorda  in  zwei  feine  Zweige  getheiltes  Aestchen  in  Verbindung,  Avelches  den  ab- 
steigenden Theil  des  Facialis  ungefähr  in  der  Mitte  seiner  Höhe  verlässt  und  die 
Paukenhöhle  zwischen  Hammer  und  Ambos  erreicht.  In  einem  von  Enibleton 
(Journ.  of  anat.  2d  ser.  No.  IX,  p.  217)  beschriebenen  Falle  legte  sich  die  Chorda 
tympani  nach  dem  Austritt  aus  der  Fissura  petro-tympanica,  statt  an  den  N.  lin- 
gualis, an  den  N.  alveolaris  inf.  au,  verliess  ihn  aber  wieder  einige  Millin:^eter  vor 
dessen  Eintritt  in  den  Can.  alveolaris,  wandte  sich  zur  Submaxillardrüse  und  gab 
Zweige  der  Submaxillar-  und  Sublingualdrüse  und  einen  Communicationsast  zum 
N.  lingualis. 


1)  Meissner 's    Jahresbericht  1870,    S.   316.  2)  proriep's    N.  Notizen.     Bd.  I, 

Xo.   18.  3)    Gaz.    med.    1869.     No.    37,    38.  *)    Vgl.    Lussana,    aruh.    de    physiol. 

1872,  p.   834. 


N.  auricularis  post.     N.  styloideiis.  411 

6.     N.  communicans  c.  ramo  auriculari  N.  vagi  cv,  e.  Comm.  c. 

s.  Vagus. 


r.  aurio.  v. 


7.    N.  auricularis  post.  ap'^). 
Verläuft  vom  For.  stylomastoid.  aus  an  der  lateralen  Fläche  des  hinte-  7.  Amic 


ren  Bauchs  des  M.  biventer  mandibulae  dicht  am  Knochen  rück-  und  seit- 
wärts zum  vorderen  Rand  des  Warzenfortsatzes,  dann  von  diesem  hinter 
dem  Ohr  in  die  Höhe  und  spaltet  sich  in  der  Regel  in  einen  hinteren 
grösseren  Ast,  der  den  M.  occipitalis  versorgt  ^),  und  einen  vorderen  kleine- 
ren zum  M.  auricul.  post.  ^),  der  sich  bis  zum  M.  auric.  sup.  erstrecken  kann 
und  auch  den  hinteren  kleinen  Ohrmuskeln  (Mm.  transversus  und  antitragi- 
cus)  Zweige  zuführt  (Schlemm).  Durch  Anastomosen  mit  dem  K  auricu- 
laris vagi  und  N.  auricularis  magnus  kann  der  N.  auricularis  post.  Haut- 
nerven auszusenden  befähigt  werden. 

Var.     Die   beiden   Aeste   kommen    gesondert   aus   dem   For.   stylomastoideum 
(Sclilemm;  observ.  neurolog.,  p.  16). 

8.    N.  styloideus  sty. 

Mit  diesem  Namen  belege  ich   ein   Nervenstämmchen ,   das  den  N.  fac.  s.  styioid. 
beim  Austritt  aus  dem  For.  stylomastoideum  verlässt,   gerade   abwärts  ver- 
läuft und  in  drei  Aeste  zerfällt,  die  oft  schon  gesondert  vom  Facialis  abgehen. 
Diese  Aeste  sind: 

a.     N.  stylohyoideus  StJl^). 

Begiebt  sich  ab-  und  etwas  vorwärts  in  die  hintere  Fläche  des  gleich-  a.  styio- 
namigen  Muskels,  ungefähr  in  der  Mitte  seiner  Höhe. 

b.     N.  biventricus   hv^). 

Schräg  vorwärts  zur  Vorderfläche  des  hinteren  Bauchs  des  M.  biventer  b.  Biventr. 
mandibulae. 

c.     N.  communicans   cum  n.  glossopharyngeo. 
In  abwärts  convexem  Bogen  gegen  das  For.  iugulare,  um  sich  mit  dem  c  Comm.  c. 

°         o    a  glossopliar. 

Ggl.  petrosum  des  N.  glossopharyngeus  zu  verbinden. 

Ueber  die  Bedeutung  und  die  Varietäten  dieser  Anastomose  vgl.  die  Beschrei- 
bung   des    N.    glossopliaryngeus.     Cruveilhier    (IV,   681)   erwähnt    ein    Aestclieu 


1)    iV.    auric.    post.   prof.  Inf.     Meckel.       ;V.    auric.  post.    s.    prof.     Langenbeck. 

N.  auric.  post.  prof.  Krause.  N.    auriculo-occipitalis  Cruv.          ^)  R.   occipitalis  Arnold. 

R.  Inf.  s.  horizontalis  Cruv.  ^)  R.  musculo-auricularis  Arnold.     R.  sup.  s.  adscendens 

Cruv.          *)  N.  stylien  Cruv.  ^)   N.   dUjastricus.     N.  mastoideus  post.  Cruv. 


412  Terminale  Aeste  des  N.  facialis. 

des  Facialis,  welches  nicht  selten,  einen  Theil  des  Glossopharyngeus  ersetzend, 
sich  direct  zur  Zungenwurzel  und  zum  Graumenbogen  begebe.  Langenbeck  und 
Fäsebeck  lassen  den  N.  biventricus  einen  Ast  an  den  M.  styloglossus  abgeben, 
Sabatier  lässt  ihn  mit  dem  N.  accessorius,  Valentin  mit  Zweigen  des  N.  vagus 
anastomosiren  und  öfters  diesem  Nerven  einen  starken  Ast  zusenden.  C.Krause 
führt  von  beiden  Muskelnerven,  Arnold  vom  gemeinschaftlichen  Stamme  der- 
selben Anastomosen  mit  dem  Plexiis  caroticus.  Krause  (nach  Ha  11  er)  auch  eine 
Anastomose  mit  dem  N.  laryngeus  sup.  an.  Als  Varietät  des  N.  biventricus  be- 
schreibt Sabatier  (Traite  d'anat. ,  Paris  1770,  III,  390)  einen  Ast  desselben,  der 
auf  der  äusseren  Fläche  des  M.  sternocleidomastoideus  bis  zur  Mitte  dieses  Mus- 
kels herablief. 


t  f    Terminale  Aeste. 

1 1  Termin.  Die  beiden  Aeste,  in  welche,  wie  oben  angegeben ,   der  Stamm  des  Fa- 

cialis nacb  Abgabe  des  letzten  CoUateralastes  sieb  tbeilt^),  zerfallen  jeder 
in  eine  Anzahl  von  Zweigen  von  verschiedener  Stärke,  die  zwischen  den 
Läppchen  der  Parotis  und  vor  derselben  einander  Anastomosen  zusenden. 
So  entsteht  ein  plattes,  dreiseitiges  Geflecht,  Plexus  parotideus^),  aus  wel- 
chem am  vorderen  Rande  und  an  der  oberen  und  unteren  Spitze  der  ge- 
nannten Drüse  die  Nerven  hervorgehen,  die  sich,  wiederholt  gabiig  gespal- 
ten, radienförmig  über  die  Seitenfläche  des  Gesichts  und  Halses  ausbreiten. 
Die  feineren  Endäste  verbinden  sich  wieder  durch  Seitenzweige  zu  Geflech- 
ten, die  um  so  complicirter  werden,  da  sich  auch  die  Endzweige  des  Trige- 
mimis  an  denselben  betheiligen. 

Zwar  communiciren  nicht  selten  die  beiden  Hauptendäste  des  Facialis 
durch  eine  verticale  Schlinge,  aus  welcher  Zweige  entspringen  und  in  den 
vorderen  Theil  des  Gesichts  strahlen  die  Zweige  in  einer  continuirlichen 
Reihe  aus;  in  der  Regel  aber  lassen  die  Verzweigungen  des  oberen  und  des 
unteren  Astes  am  Ursprung  eine  Lücke  zwischen  sich,  die  der  unteren 
Hälfte  des  hinteren  Randes  des  Unterkiefers  entspricht  und  weiter  vorn  da- 
durch ausgeglichen  wird,  dass  die  obersten  Zweige  des  unteren  Astes  schräg 
über  den  Masseter  aufsteigen  (Fig.  255). 

Vom  oberen  Aste  ziehen  die  obersten,  feinen  Zweige,  Br.  temporales  ^), 
vor  der  A.  temporalis  superficialis  zum  M.  auricularis  suj).  empor. 

Die  folgenden  3  bis  4  Zweige,  Er.  gygomatici  ^),  überschreiten  in  mehr 
geneigter  Richtung  den  Jochbogen  und  treten  in  den  M.  frontalis  und  den 
lateralen  Rand  des  M.  orbicularis  oculi  ein,  von  welchem  aus  sie  sich  in  die 
Musculatur  des  oberen  und  unteren  Augenlids  verbreiten. 

Es  folgen  (2  bis  4)  stärkere,  horizontale  Zweige,  Mr.  huccales  ^),  welche 
mit  dem  Ductus  parotideus  zum  Nasenflügel  und  zur  Oberlippe  bis  zum 
Mundwinkel  verlaufen,  unter  den  Mm.   zygomat.   und    quadrat.   labii  sup. 


^)    Rr.  temporo-faclalis   und    cervico-faclalis    Cruv.  ^)  Plexus  paroticus.     Plexus  s. 

Pes  anserinus.  Pes  anserinus  major.  Gansefussgeflecht.  ^)  Rr.  faciales  temporales  Yix aus  e. 
Rr.  temporo-frontales  Cruv.  Langenbeck  vereinigt  sie  mit  den  Kr.  zygomatici.  *)  Rr. 
malares  s.  faciales  supp.  Rr. palpehrales.  Rr.  orbitales  Cruv.  ^)  Rr.  faciales  Langen- 
beck. Rr.  bucco-l'ahiales  supp.  Arnold.  Rr.  infraorbitales  Cruv.  Rr.  faciales  medii. 
Rr,  nasales  s,  infraorbitales  S  a  p  p  e  y. 


Terminale  Aeste  des  N.  facialis. 


413 


Fiff.  255. 


Terminale  Aeste  des  N.  facialis  Und  dei'  sensibeln  Koptnerven.  Die  Parotis  ist  bis  auf 
einen  kleinen  Rest  (*)  entfernt,  g  o  N.  süpraofbitalis.  l  a  N.  lacrymalis.  o  t  R.  temporalis 
n.  orbitalis.  /  N.  frontalis,  s  t  K.  sUpratrochl.  i  t  ISf.  infratrochl.  o  ni  R.  malaris  n.  or- 
bitalis.  i  o  N.  infraorbitalis.  e  N.  ethmoid.  m  K.  mentalis,  b  N.  buccinatorius.  sei  N. 
subcutan,   colli    inf.      a  tn    N.   auric.   magn.     ocm   }>(.    occipit.    min.      ocmj   N.    occip.    maj. 

a  t  N.   auriculo-temp. 


414  N.  acusticus. 

und  über  dem  M.  caninus;  sie  versehen  diese  Muskeln,  wie  auch  die  Mm. 
buccinatorius  und  nasalis  mit  motorischen  Fasern. 

Der  untere  Ast  theilt  sich  am  Unterkieferwinkel  zunächst  in  zwei 
Zweige,  einen  N.  subcutaneus  mandibulae  ^)  und  einen  vorzugsweise  für  die 
Regio  submaxillaris  bestimmten  Zweig,  N.  subcutaneus  colli  sup.  Der  R. 
subcutaneus  mandibulae  spaltet  sich  in  einen  längs  dem  unteren  Rande  des 
Unterkiefers  zum  Kinn  verlaufenden  Zweig  2)  und  in  2  bis  3  Zweige,  welche, 
wie  erwähnt,  schräg  über  den  M.  masseter  gegen  Mundwinkel  und  Unter- 
lippe heraufziehen  und  unter  dem  M.  triangularis  enden.  Der  R.  subcuta- 
neus colli  sup.  geht,  in  mehrere  feine  Aeste  getheilt,  auf  dem  M.  sternoclei- 
domastoideus  vorwärts,  verbreitet  sich  im  oberen  Theil  des  M.  subciitaneus 
colli,  von  dem  er  bedeckt  wird  und  durchbohrt  diesen  Muskel  mit  einzelnen 
Fäden ,  die  sich  zur  Haut  begeben.  Ein  Zweig  geht  vor  der  V.  jugularis 
ext.  gerade  abwärts  und  in  einen  aufwärts  verlaufenden  Zweig  des  N.  sub- 
cutaneus colli  vom  dritten  Cervicalnerven  über  (Fig.  255). 

Anastomosen  der  Rr.  zygomatici  mit  den  Nn.  supraorbitalis,  lacrymalis 
und  dem  R.  temporalis  des  N.  orbitalis  finden,  wenn  sie  vorhanden  sind, 
nur  zwischen  den  feinsten  Endverzweigungen  statt.  Deutlicher  sind  die 
Verbindungen  des  R.  malaris  des  N.  orbitalis  mit  einem  der  Nn.  zygomatici. 
Die  Rr.  buccales  gehen  mit  den  Nn.  infraorbitalis,  buccinatorius  und  auriculo- 
temporalis  Anastomosen  ein,  die  schon  bei  Beschreibung  dieser  Nerven  er- 
wähnt wurden;  am  regelmässigsten  ist  die  Anastomose  mit  dem  N.  auriculo- 
temporalis,  der  um  den  hinteren  Rand  des  Unterkiefers  dicht  unter  dem 
Gelenk  zwei  Zweige  in  horizontaler  Richtung  vorwärts  sendet,  die  sich  an 
gleich  gerichtete  Zweige  des  Facialis  geradezu  anschliessen.  Mit  den  End- 
zweigen des  R.  subcutaneus  mandibulae  communiciren  Zweige  des  N. 
mentalis. 


VIII.     N.  acusticus. 


viii.Aeiist.  Der  Nerve  des  Gehörsinns  und,  wie  es  scheint,  gewisser,  auf  das  Gleich- 

gewicht des  Körpers  bezüglicher  Empfindungen  ^). 

Ob  die  verschiedenen  Kerne,   Ursprünge  und  Wurzeln  des  Nerven,  die 
ich   oben   (S.   176,   208)   beschrieb,   zu   der   Ausbreitung   in   verschiedenen 


^)  R.  subcutaneus  maxillae  inferioris.  R.  facialis  inf.  R.  lahio-mentalis  Arnold. 
^)  R.  marginalis  max.  inf  er.  ^)  Die  Versuche,  durch  welche  Flourens  und  neuerlich 
Goltz  (Meissner'«  Jahresbericht  1870,  S.  261)  den  Antheil  der  Bogengänge  an  dem 
Aequilibrirungsvermögen  darzuthun  geglaubt  hatten,  müssen  eine  andere  Deutung  er- 
fahren, nachdem  Schklarewsky  (Gott.  Nachr.  1872,  Nr.  15)  den  bis  dahin  verborgenen 
Fortsatz  des  Kleinhirns  der  Vögel  entdeckt  hat ,  der  bei  den  Operationen  an  den  Bogen- 
gängen unwissentlich  getroffen  wurde.  Doch  bleibt  auch  die  mit  Schonung  jenes  Hirn- 
theils  ausgeführte  Verletzung  der  Bogengänge  nicht  ohne  Einfluss  auf  die  Haltiing  der 
Thiere;  sie  zeigen  eigenthümlich  pendelartige  Bewegungen  des  Kopfes,  bleiben,  nach  dem 
diese  aufgehört,  Stunden  lang  regungslos  liegen  und,  gewaltsam  aufgetrieben,  fallen  sie 
auf  der  Stelle  oder  nach   wenigen   un^danmässigen   Schritten  wieder  um. 


N.  acusticus.  415 

Theilen  des  Gehörapparats  in  besonderer  Beziehung  stehen,  ob  die  Verbin- 
dungen mit  dem  N.  facialis  und  namentlich  mit  dem  N.  intermedius  dem 
N.  acusticus  Fasern  eigenthümlicher  Beschaffenheit  zuführen,  ob  endlich  die 
Theilung  des  N.  acusticus  in  seine  beiden  Aeste,  N.  Cochleae  und  N.  vestibuli 
(Eingwdl.  S.  770),  den  beiderlei  Functionen  des  Labyrinths  entspricht,  dies 
sind  Fragen,  deren  Lösimg  der  Zukunft  anheimgestellt  werden  muss. 

Hier  habe  ich  noch  die  Beschreibung  der  Strecke  des  Nerven  beizu- 
fügen, welche,  zwischen  seinem  Ursprung  und  seiner  Endigung  im  inneren 
Gehörgang  enthalten,  zur  Aufnahme  des  N.  facialis  rinnenförmig  ausgehöhlt 
und  durch  ihre  Anastomosen  mit  diesem  Nerven  merkwürdig  ist. 

Dass  solche  Anastomosen  zwischen  den  Nn.  intermedius  und  acusticus 
sowie  zwischen  dem  eigentlichen  Stamm  des  N.  facialis  und  dem  N.  acusticus 
bestehen,  unterliegt  keinem  Zweifel,  obgleich  es  nur  mit  Hülfe  des  Mikroskops 
möglich  ist,  sie  von  den  feinen  Bindegewebssträngen ,  die  die  Nerven  und 
die  A.  auditiva  int.  unter  sich  und  mit  dem  Periost  des  Gehörgangs  ver- 
binden, zu  unterscheiden.  Ueber  die  Zahl  und  Richtung  der  Communications- 
äste  sind  aber  die  Ansichten  sehr  getheilt. 

Die  Gescliiclite  unserer  Kenntniss  dieser  Verbindungen  beginnt  erst  mit  der 
Entdeckung  des  N.  intermedius,  docli  Averdeu  sie  iu  der  kurzen  Notiz,  in  welcher 
Wrisberg  seinen  Fund  veröffentlicht  (Ha  11  er,  primae  lineae  ]Dhysiol.  ed.  4.  Gott. 
1870.  Not.  101),  nicht  erwähnt.  In  der  ausführlicheren  Mittheilung  seines  Schülers 
Sommerring,  auf  welche  Wrisberg  verweist  (De  basi  encephali.  Ludwig, 
Script,  neurol.  min.  II,  94),  heisst  es  vom  N.  intermedius,  dass  er  ganz  in  den  Facialis 
übergehe,  imd  Scarpa  (Adnot.  anat.  de  auditu  et  olfactu.  Mediolan.  1795,  p.  56)  sagt, 
dass  der  N.  intermedius  anfangs  den  N.  acusticus  begleite,  sich  aber  im  Grunde  des 
Canals  von  ihm  trenne  und  sich  an  den  Facialis  anschliesse.  So  konnte  Herholdt 
gegen  Köllner,  der  die  Leitung  des  Schalls  durch  die  Zähne  aus  einer  Anasto- 
mose der  Zahnnerven  mit  der  Portio  dura  des  siebenten  Paars  erklärte  (Eeil's 
Archiv  II,  20),  mit  Eecht  als  anerkannt«  Wahrheit  geltend  machen,  dass  auch 
nicht  die  kleinste  Nervenverbindung  zwischen  der  Portio  dura  und  moUis  des  , 
siebenten  Paars  bekannt  sei  (ebendas.  III,  177),  und  Köllner  bekennt  sich  als 
Entdecker  dieser  Nervenverbindung,  indem  er  zu  seiner  Vertheidigung  zwei  eigene 
Untersuchungen  anführt,  die  ihm,  allerdings  nicht  beide  an  der  nämlichen  Stelle, 
einen  anastomotischen  Zweig  zwischen  Facialis  und  Acusticus  gezeigt  hätten. 
Nicht  bestimmter  ist  die  Aeusserung  Swan's  (Medico-chirurg.-transact.  IX,  425), 
der  auf  eine,  im  Grunde  des  Meat.  audit.  int.  aufgefundene  Communication  zwischen 
den  beiden  Nerven  die  Vermuthung  gründet,  dass  Schallschwingungen,  die  die 
Oberfläche  des  Gesichts  treffen,  durch  den  Facialis  dem  Gehörnerven  mitgetheilt 
werden  möchten. 

Eine  ausführlichere  Beschreibung  der  fraglichen  Anastomose  hat  Arnold 
zuerst  in  seiner  Dissertation  (De  parte  cephalica  n.  sympathici.  Heidelb.  1826,  p.  3) 
gegeben  und  in  seinen  späteren  Schriften  bestätigt.  Danach  besteht  zAvischen  Fa- 
cialis und  Acusticus  eine  doppelte  Verbindung,  eine  innere  oder  obere  und  eine 
äussere  oder  untere.  Die  innere  gehört  dem  N.  intermedius  zu  und  besteht  in 
einem  oder  mehreren  dünnen  Fäden,  welche  im  Meat.  audit.  int.,  zuweilen  schon 
vor  dem  Eintritt  in  denselben,  vom  Facialis  abgehen  und  sich  mit  dem  E.  vesti- 
buli des  Acusticus  vereinigen.  Die  äussere  Anastomose  besteht  in  einem  einfachen 
oder  zuweilen  doppelten,  meistens  sehr  feinen  Faden  zwischen  dem  Ggi.  genicula- 
tum  des  Facialis  und  dem  E.  vestibularis ,  der  an  der  Verbindungsstelle  eine 
schwache,  grauröthliche  Erhabenlieit  {Intumescentia  ganglioformis  Scarpa) 
zeigt.  Am  Ggl.  geniculatum  soll  sich  der  Faden  in  mehrere  Fädchen  theilen,  die 
mit  dem  N.  petrosus  superf.  maj.,  vielleicht  auch  mit  dem  N.  petr.  superf.  minor  in 
Verbindung  ständen. 


416  N.  acusticus. 

Arnold 's  Angaben  wurden  von  Er e sehet  (Eecli.  anat.  et  physiol.  sur  1' Or- 
gane de  l'ouie.  Paris  1836,  p.  193)  nnd  von  Valentin  (Nvl.  S.  442)  und  jüngst 
von  Räuber  (über  d.  sympath.  Grenzstrang  des  Kopfes,  S.  19)  vollkommen  be- 
stätigt, von  Valentin  mit  der  Modification,  dass  er  Arnold' s  innere  Anastomose 
vom  Acusticus  zum  Ggl.  geniculatum  verlaufen  und  in  den  periplieriscben  Theil 
des  Facialis  sich  fortsetzen  lässt.  Räuber  nennt  die  innere  Anastomose  eine 
scheinbare,  durch  streckenweisen  Verlauf  von  Bündeln  des  Einen  Nerven  in  der 
Bahn  des  anderen  bewirkte;  durch  die  äussere  gelangen  nach  seiner  Meinung 
wirklich  Fasern  vom  Grgl.  geniculatum  zur  Intumescentia  ganglioformis  des  N. 
vestibuli  tmd  vereinzelte  selbst  zum  N.  Cochleae.  Auch  Calori  (Mem.  della  acca- 
demia  delle  scienze  di  Bologna  IV,  443)  erklärt  sich  mit  Arnold  einverstanden 
und  beschreibt  eine  innere  und  eine  äussere,  nur  complicirtere  Anastomose.  In 
seiner  Abbildung  aber  (Taf.  XVIII,  Fig.  3)  kann  ich  nur  das  Geflecht  der  Binde- 
gewebs bälkchen  des  Meat.  audit.  int.  wieder  erkennen.  Die  übrigen  Beobachter 
stehen  zu  Arnold  in  einem  mehr  oder  weniger  entschiedenen  Widerspruch. 
Longet  (a.  a.  O.  II,  410),  Cruveilhier  (p.  664)  und  Sappey  (p.  253.  257) 
adoptiren  Scarpa's  Meinung,  dass  der  N.  intermedius  sich  an  den  Acusticus  an- 
lege, um  ihn  später  wieder  zu  verlassen,  und  Sappey  fügt  hinzu,  dass  er  in  Ar- 
nold's  äusserer  Anastomose  eine  Arterie  erkannt  habe.  Varrentrapp  (Observ. 
anat.  de  parte  cephal.  n.  sympathici.  Francof.  1831,  p.  27)  hat  Arnold' s  innere 
Anastomose  zuweilen,  die  äussere  niemals  auffinden  können.  Fäsebeck  (a.  a.  O. 
Taf.  VI,  1)  und  Hirschfeld  (pl.  XXX.  Fig.  5,  10)  bilden  nur  die  innere  Anasto- 
mose ab.  Nach  Morganti  (Omodei  Ann.  Ser.  3a  XVIII,  454)  erfolgt  die  Anasto- 
mose dergestalt,  dass  ein  Zweig  des  N.  intermedius  sich  mit  einem  Zweig  des 
R.  vestibularis  zu  einem  Faden  vereinigt,  der  in  den  N.  acasticus  übergeht.  Beck 
(Anat.  Unters,  über  einzelne  Theile  des  7.  und  9.  Hirnnervenpaares.  Heidelb.  1847, 
S.  28)  fand  unter  27  darauf  untersuchten  Fällen  keinen,  in  welchem  beide  Anasto- 
mosen nebeneinander  bestanden ;  die  innere  kam  24 ,  die  äussere  nur  3  Mal  vor 
und  nur  in  Einem  dieser  3  Fälle  war  die  ganghöse  Erhabenheit  am  Acusticus 
vorhanden.  Die  Fasern  der  inneren  Anastomose  gingen  16  Mal  vom  Acusticus 
zum  Facialis,  8  Mal  in  umgekehrter  Richtung;  die  Fasern  der  ersten  Art  Hessen 
sich  durch  das  Ggl.  geniculatum  weit  hinab  in  den  Stamm  des  Facialis  verfolgen ; 
sie  blieben  weder  im  Ganglion,  noch  verbanden  sie  sich  mit  einem  seiner  ZAveige. 
B.  Bischoff  (a.  a.  0.,  S.  9)  stimmt  mit  Arnold  darin  überein,  dass  die  Anasto- 
mose eine  doppelte  ist,  eine  während  des  Verlaufs  der  Nerven  im  Meat.  audit.  int. 
und  eine  zweite,  sehr  beständige,  im  Grunde  dieses  Gangs.  Aber  die  Fäden  der 
letzteren  gehen  bald  vom  Acusticus  zum  Facialis,  bald  vom  Faciahs  zum  Acusti- 
cus ,  und  auch  in  beiden  Richtungen  gekreuzt.  Diese  Unregelmässigkeit  veran- 
lasste Bischoff,  anzunehmen,  dass  die  Anastomosen  nur  scheinbar  seien,  d.  h. 
dass  die  Fäden,  welche  hier  eine  Verbindung  in  dem  Einen  Sinn  eingegangen 
haben,  sich  dort  im  anderen  Sinne  wieder  von  einander  trennen  und  dass  sie 
schliesslich  nur  zu  der,  durch  ihren  Ursprung  bedingten  Bestimmung  zurückkehren. 
Valentin  versichert,  in  der  Anschwellung,  die  der  N.  acusticus  an  der  Einpflan- 
zungsstelle der  äusseren  Anastomose  zeigt,  Nervenzellen  wahrgenominen  zu  haben. 
Pappenheim  (Spec.  Gewebelehre  des  Gehörorgans.  Breslau  1840,  S.  62)  sah  den 
Verbindungszweig  des  Facialis  und  Acust. ,  den  er  nicht  näher  bezeichnet,  mit 
einem  Ganglion  besetzt  und  ausserdem  den  N.  Cochleae  oben ,  den  N.  vestibuli 
hinten  und  aussen  von  einer  Nervenzellenschichte  umgeben.  Zahlreiche  bipolare 
Nervenzellen  fand  auch  Stannius  (Gott.  Nachr.  1851,  S.  236)  in  den  beiden 
Zweigen  des  N.  acusticus.  Corti  aber  (Ztschr.  für  Avissenschaftl.  Zool.  III,  128) 
konnte  in  keinem  Theil  des  N.  Cochleae  diesseits  der  Habenula  ganglionaris 
(Eingwdl.,  S.  772)  Nervenzellen  entdecken. 


N.  glossopharyngQus.  417 

IX.     N.  glossopharyngeus. 

Den  Ursprung  des  N.  glossopliaryngeus  aus  dem  gleichnamigen  Kern  phäryngefis. 
habe  ich  S.  208,  den  Austritt  seiner  Wurzeln  aus  der  hinteren  Seitenfurche 
des  verlängerten  Marks  S.  101  und  176  beschrieben.  Die  Wurzelfäden 
vereinigen  sich  zuerst  in  zwei  Stämmchen,  dann  in  Einen  Stamm  durch 
Vermittlung  eines  elliptischen  Ganglion,  Ggl.  petrosum  ^),  welches  am  Aus- 
gang der  vorderen  Abtheilung  des  For.  jugulare  liegt,  vom  vorderen  Winkel 
dieser  Oeffnung  durch  die  V.  petrosa  inf.,  vom  N.  vagus  durch  eine  Lamelle 
der  fibrösen  Hirnhaut  geschieden. 

Zuweilen  ist  vor  dem  Eintritt  in  dies  gemeinschaftliche  Ganglion  die 
hintere  der  beiden  Wurzeln  noch  innerhalb  der  Schädelhöhle,  am  Eingang 
des  For,  jugulare,  mit  einem  besonderen  kleinen  Ganglion  versehen,  welches 
den  Namen  des  oberen  führt  2), 

Der  Entdecker  des  oberen  G-anglion  des  N.  glossopharyngeus,  Ehrenritter 
(Salzb.  med.  cMr.  Ztg.  IV,  319)  und  Arnold  erklären  es  für  unbeständig;  J. 
Müller  (Archiv  1834,  S.  11)  meint,  es  sei  in  den  meisten  Fällen  vorhanden; 
Valentin  und  Rauber  (sympath.  Grenzstraug ,  S.  23)  behaupten,  es  fehle  nie- 
mals; Louget  (a.  a.  O.  II,  212)  und  Cruveilhier  haben  es  stets  vergeblich  ge- 
sucht. Nach  Volkmann's  Ansicht,  der  ich  mich  anschliesse,  ist  es  eine  aus- 
nahmsweise von  dem  Ggl.  petrosum  abgelöste  Nervenzelleugruppe,  deren  Zusammen- 
hang mit  der  Hatiptmasse  des  Ganglion  durch  Reihen  von  Nervenzellen  hergestellt 
wird,  die  sich  zwischen  den  Fasern  des  Nervenstrangs  eingestreut  finden  (Müll. 
Arch.  1840,  S.  488). 

Ebenso  bestritten  wie  das  Ggl.  superius  sind  die  Nervenfäden,  Rr.  communi- 
cantes  supp.  Val.,  welche  noch  innerhalb  der  Schädelhöhle  die  Wiu'zeln  der  Nn. 
glossopharyug.  und  vagus  mit  einander  verbinden  sollen.  Andersch  (Ludwig, 
Script,  neur.  II,  114)  beschreibt  einen  starken,  vom  N.  glossoi)haryng.  gegen  den 
Vagus,  Valentin  einen  vom  Vagus  zum  Glossopharyug.  absteigenden  Commnui- 
cationsast,  neben  dem  zuweilen  noch  ein  zweiter  vorkomme,  selten  mehrere. 

Durch  Aeste,  welche  vom  Ganglion  petrosum  aus-  oder  in  dasselbe  ein- 
gehen, anastomosirt  der  N,  glossophaiyngeus  mit  den  Nn.  trigeminus ,  fa- 
cialis und  vagus  und  mit  dem  carotischen  Geflecht  des  Sympathicus. 
Unterhalb  des  Ganglion  läuft  er  fast  gerade  abwärts ,  vor  der  V.  jugularis 
int.  und  an  der  lateralen  Seite  der  A.  carotis  int,  und  zerfällt  bald  spitz- 
winklig in  die  beiden  Aeste,  von  welchen  der  Stamm  seinen  Namen  trägt, 
die  Rr.  pharyngeus  und  linguales.  Der  R.  pharyngeus  geht  in  der  Rich- 
tung des  Stamms  weiter  und  gesellt  sich  zu  Aesten  der  Nn.  vagus  und  sym- 
pathicus, denen  er  den  Plexus  pharyngeus  bilden  hilft.  Der  R.  lingualis 
wird  durch  den  M,  stylopharyngeus  von  der  Carotis  int,  abgedrängt  und 
wendet  sich,  an  die  laterale  Fläche  dieses  Muskels  angeheftet,  in  einem 
weiten  Bogen  ^)  vorwärts  zur  Zunge ,  in  die  er  unter  dem  hinteren  Rande 
des  M,  hyoglossiis  in  der  halben  Höhe  desselben  und  unter  den  in  der 
Zunge  entspringenden  Faserbündeln  des  M.  cephalopharyngeus  eintritt. 
Die  Collateraläste ,    die  der  R,  lingualis   auf  dem  Wege  zur  Zunge  abgiebt. 


^)    Ggl.  Anderschii  s.  inf.       ^)    Ggl.  ElirenriUeri.      Ggl.  Miilhri  C.  Kraus  ß.      Ggl.  jugu- 
lare. s.  jugulare  sup.  ^)  Arcus  tonsillaris  Kr. 

Henlc,  Anatomie.     BJ.  III.     Abtlilg.   2.  27 


418  N.  glossopharyngeus. 

sind  fast  alle  von  grosser  Feinheit.  Einen  etwas  stärkeren  Ast,  N.  stylo- 
pkaryngeus,  erhält  der  M.  stylopharyngens,  einen  Ast,  der  mit  dem  grössten 
Theil  seiner  Fasern  den  Muskel  nur  durchbohrt,  um  im  Pharynx  zu  enden. 
Oberhalb  dieses  Nerven  gehen  einige  feine  Fäden  aus  dem  convexen  Rande 
des  Stammes  gleichfalls  zum  Pharynx;  es  sind  die  Br.  pharyngei  Ungualis, 
wie  ich  sie  zum  Unterschiede  von  dem  R.  pharyngeus,  der  sich  an  der  Bil- 
dung de5  gleichnamigen  Plexus  betheiligt,  zu  benennen  vorschlage.  Unter 
dem  M.  stylopharyngeus  sendet  der  R.  lingualis  von  seinem  concaven  und  con- 
vexen Rande  zwei  bis  drei  Nn.  tonsillares  ab,  die  sich  zwischen  der  Wurzel 
des  Arcus  glossopalatinus  und  dem  Seitenrande  der  Epiglottis  in  die 
Rachenschleimhaut  einsenken. 

Der  N.  glossopharyngeus  breitet  sich  also  über  die  hintere  Region  der 
Zunge  bis  zum  Kehldeckel  und  über  die  entsprechenden  Regionen  der  Seiten- 
und  Hinterwand  der  Rachenhöhle  aus  und  es  fragt  sich,  welches  der  Cha- 
rakter und  die  Quelle  der  Fasern  sei,  die  er  diesen  Localitäten  zuführt. 
Die  Beantwortung  liegt  zum  Theil  in  der  Competenz  der  Anatomie.  Die 
Endäste  des  R.  lingualis  kann  man  bis  zu  den  wallförmigen  Papillen  der 
Zunge  isoliren,  die  so  sicher  Geschmackspapillen  sind,  dass  über  die  Ge- 
schmacksenergie der  Hauptmasse  des  genannten  Astes  kein  Zweifel  bestehen 
kann.  Von  den  Fasern,  die  an  die  Rachen-  und  Pharynxwand  treten,  er- 
weist sich  die  Mehrzahl  ebenfalls  auf  anatomischem  Wege,  dadurch  nämlich, 
dass  sie  sich  durch  die  Muskelfasern  hindurch  zur  Schleimhaut  verfolgen 
lassen,  als  centripetal;  doch  erhalten  wir  damit  keine  Aufklärung  über  deren 
specifische  Natur.  Es  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  sie  in  ihren  Eigen- 
schaften den  in  die  Zunge  ausstrahlenden  Fasern  verwandt  seien  und  dies 
führt  uns  zurück  zu  den  Untersuchungen  über  die  Ausdehnung  des  Ge- 
schmackssinns, auf  die  ich  schon  bei  Beschreibung  des  N.  lingualis  Bezug 
nahm  (S.  389).  Die  Fähigkeit,  zu  schmecken,  die  dem  physiologischen 
Experiment  zufolge  der  Seitentheil  des  weichen  Gaumens  und  der  Arcus 
glossopalatinus  namentlich  am  tinteren  Ende  besitzen,  lässt  sich  wohl  auf 
Rechnung  von  Glossopharyngeuszweigen  bringen ;  ebenso  steht  die  Anwesen- 
heit der  sogenannten  Geschmackskolben  (Endorgane  der  Geschmacksfasern) 
auf  der  unteren  Fläche  der  Epiglottis  ^)  in  Einklang  mit  der  Verzweigung 
des  N.  glossopharyngeus  in  der  Schleimhaut  dieses  Organs.  Wie  weit  er 
sich  vor  den  wallförmigen  Papillen  auf  den  Zungenrücken  erstrecke  und 
wie  die  Grenze  zwischen  seinem  Gebiete  und  dem  Gebiete  der  Geschmacks- 
fasern des  N.  lingualis  verlaufe,  ist  nicht  genau  festzustellen. 

Es  war  schwer,  sich,  angesichts  der  einfachen  Nerven  der  höheren  Sinne,  zur 
Anerkennung  der  Thatsache  zu  entschliessen ,  dass  der  Zunge  die  specifischen 
Nervenfasern  auf  zwei  verschiedenen  Bahnen  zugeführt  werden  sollten  und  man 
kann  denken,  wie  oft  der  Versuch  unternommen  sein  mag,  die  Zweige  des  Glosso- 
pharyngeus vorwärts  zu  verfolgen,  zumal  nachdem  Andersch  (a.  a.  O.,  p.  120) 
sie  bis  auf  1cm.  Entfernung  von  der  Zungenspitze  präparirt  haben  wollte.  Trotz 
dem  fast  einstimmigen  Widerspruch  der  späteren  Beobachter  würde  man  vielleicht, 
nach  der  Maxime,  dass  Eine  positive  Beobachtung  viele  negative  aufwiege,  den 
Gegenstand  noch  nicht  für  erledigt  halten,,  wäre  nicht  durch  positive  Experimente 


^)  Verson,    Beitr.   zur  Kenntniss  des  Kehlkopfs    und    der   Trachea.     A.    d.    57.    Bde. 
der  wiener  Sitzungsberichte.     W.  Krause,  Gott.  Nachr.   1870,  No.  21. 


N.  glossopharyngeus.  419 

bezeugt,  dass  die  Geschmacksfasern  des  vorderen  Theils  der  Zunge  im  Zuugenast 
des  Trigeminus  enthalten  sind.  Es  bliebe  demnach,  um  die  Einheit  des  G-eschmacks- 
uerven  zu  retten,  nur  die  Annahme  übrig,  dass  auch  der  N.  lingualis  des  Trige- 
minus seine  Geschmacksfasern  in  letzter  Instanz  aus  dem  N.  glossopharyngeus 
beziehe.  Da  sie  zunächst  sämmtlich  oder  theilweise  aus  der  Chorda  tympani 
stammen,  die  Chorda  tympani  aber  auf  mehrfachen  "Wegen  mit  dem  Plexus  tym- 
panicus  zusammenhängt,  so  liegt  der  IJebergang  von  Glossopharyngeus-  in  Lin- 
gualisfasern  nicht  ausser  dem  Reiche  der  Möglichkeit.  W.  Krause  meint,  sie 
könnten  vom  Glossopharyngeus  durch  den  N.  tympanicus  in  die  Paukenhöhle  und 
durch  den  Ast  des  N.  facialis  zum  Plexus  tympanicus  in  den  Facialis  und  sofort 
in  die  Chorda  gelangen.  Nimmt  man  mit  Stich  an,  dass  die  Geschmacksfasern 
der  Chorda  von  dei-en  Anschluss  an  den  Facialis  au  peripherisch  und  weiter  durch 
den  dritten  Ast  des  Trigeminus  nach  innen  verlaufen,  so  stände  ihnen  vom  Ganglion 
oticum  zum  IST.  giossopharj^ngeus  der  Weg  durch  den  N.  petros.  superf.  minor 
offen.  Für  jetzt  widerspricht  dieser  Hypothese  nur  die  Erfahrung  Schiffs,  dass 
Trennung  des  Stamms  des  Trigeminus  oder  des  zweiten  und  dritten  Astes  den 
Geschmack  der  Zungenspitze  aufhebt. 

Uebrigens  entspräche  dem  gesonderten  Ursprung  der  hinteren  und  vorderen 
Geschmacksnei'ven  die  Besonderheit  ihrer  Eeaction,  die  sich  darin  kund  giebt,  dass 
die  nämliche  Substanz  bekanntlich  verschiedene  Empfindungen  hervorruft,  je  nach- 
dem sie  mit  der  Spitze  oder  Basis  der  Zunge  in  Berührung  kommt. 

Die  Regionen  der  Mundhöhle,  welchen  der  N.  glossopharyngeus  Ge- 
schmacksempfindung verleiht,  besitzen  daneben  noch  Tastgefühl;  es  gehen 
Zweige  des  Glossopharyngeus  zu  Theilen  der  Mundhöhlenschleimhaut,  die 
nur  Tast-  und  keine  Geschmacksempfindung  haben  und  so  entsteht  die 
Frage,  ob  dieser  Nerve  neben  schmeckenden  auch  Tast-  (einfach  sensible) 
Fasern  führe.  Valentin  i)  ist  der  Einzige,  der  dieselbe  mittelst  mecha- 
nischer Reizung  der  Wurzeln  zu  beantworten  versuchte.  Diese  rief  bei 
Kaninchen  und  Hunden  keine  oder  nur  geringe  Schmerzensäusserungen  her- 
vor; ob  der  Stamm  des  Nerven  unter  der  Schädelbasis,  nachdem  er  die  Ver- 
bindung mit  dem  N.  vagus  und  dem  Plexus  tympan.  eingegangen,  Sensibi- 
lität besitzt,  ist  streitig.  Panizza^)  und  Broughton  3)  fanden  ihn  un- 
empfindlich; Valentin  beobachtete  nur  geringe  Reaction,  dagegen  nahmen 
Alcock'^),  Reid^),  Guyot  und  Casalis  ^)  und  Longet'^)  bei  Zerrung 
und  Durchschneidung  des  Nerven  lebhafte  Zeichen  des  Schmerzes  wahr. 
Longet  behauptet,  dass  Durchschneidung  der  Glossopharyngei  das  Gefühls- 
vermögen im  hinteren  Drittel  der  Zunge,  in  den  Gaumenbogen  und  einem 
Theil  des  Pharynx  vernichte,  und  Volkmann  ^)  fand  nach  derselben  Ope- 
ration die  Fähigkeit  dieser  Regionen,  Reflexbewegungen  auszulösen,  erloschen, 
die  nach  Durchschneidung  des  Trigeminus  sich  erhalten  hatte. 

Es  könnten,  wenn  auch  nicht  mit  gewöhnlicher  Sensibilität  begabte, 
doch  immerhin  centripetale  Fasern  sein,  die  sich  in  der  Schleimhaut  des 
Pharynx  und  Gaumens  verbreiten  und,  im  gereizten  Zustande,  das  Gefühl 
des  Ekels  wecken  und  reflectorisch  Würgen  und  Erbrechen  erregen  (Rom- 
berg^),     Dass  Reizung  des   Glossopharyngeus   auf  dem  Wege   des  Reflexes 


^)    De   function.    nerv,    cerebr.    p.    39,    40.  ^)    Ricerdie    sperimentali  sopra  i  nervi. 

Pavia.  ^)   Edinb.  med.    and  surg.    Journ.    XLV ,    429.  *)     Froriep's     N.    No- 

tizen I,  No.   18.  ^)  Physiolog.,    anatom.   and    patholog.  researches.     Edinb.   1848,    p.   61. 

ß)  Arch.  gen.  3e  ser.  IV,    158.  '')    A.  a.  0.  II,    223.  ^)    R.  Wagner's    Handwörter- 

buch II,  538.  9)  Müll.  Arch.   1838,  S.   505. 

27* 


420  N.  tympanicus.     Plexus  tympanicus. 

die  Secretion  der  Parotis  in  Gang  bringt,  ist  sicher,  doch  bleibt  es  fraglich, 
ob  die  centripetalen  Fasern,  die  diesen  Reflex  zu  Stande  bringen,  von  den 
schmeckenden  Fasern  verschieden  seien  oder  nicht. 

Job.  Müller')  hatte  von  dem  oberen  Ganglion  Anlass  genommen,  die 
beiden  "Wurzeln  des  N.  glossopharyngeus  denen  der  Spinalnerven  an  die 
Seite  zu  stellen  und  den  Glossopharyngeus  für  einen  gemischten  Nerven  zu 
erklären.  Er  selbst,  wie  früher  Mayo  2),  rief  durch  Reizung  der  Pharynx- 
zweige  Zuckungen  in  den  oberen  Muskeln  des  Schlundes  hervor,  die  aber 
Reid  für  reflectirte  erklärte,  da  sie  nach  Durchschneidung  der  Nerven  mir 
vom  centralen,  nicht  vom  peripherischen  Ende  aus  erregt  würden.  Für  die 
Frage  nach  dem  ursprünglichen  Fasergehalt  des  Glossopharyngeus  könnte 
nur  dies  negative  Resultat  Werth  haben;  die  Contractionen,  welche  auf 
Reizung  des  Stamms  unterhalb  des  Ggl.  petrosum  erfolgen,  lassen  sich  auf 
motorische  Fasern  beziehen,  die  der  Facialis  oder  Vagus  zuführt.  Ob  sie 
dem  Glossopharyngeus  vom  Ursprung  an  eigen  sind,  ist  nur  durch  Prüfung 
seiner  Wurzeln  in  der  Schädelhöhle  zu  entscheiden.  Leider  treffen  wir  auch 
hier  wieder  auf  Streitfragen.  Valentin's  und  Longet's  Versuche  ergeben, 
dass  die  Wurzeln  des  Glossopharyngeus  bei  Hunden  und  Kaninchen  gereizt 
werden  können,  ohne  irgend  eine  Bewegung  auszulösen.  Volkmann -^j  fand 
nach  vielen  vergeblichen  Versuchen  bei  zwei  Kälbern  und  zwei  Katzen,  dass 
die  vordere  Wurzel  und  nur  diese  die  Mm.  stylopharyngeus  und  hyopharyn- 
geus  bewegt,  auf  welche  kein  anderer  Nerve  Einfluss  habe.  Hein  endlich*) 
hält  seinen  Beobachtungen  zufolge  den  N.  glossopharyngeus  für  den  Be- 
wegungsnerven der  Mm.  stylopharyngeus  und  glossostaphylinus,  des  letzteren 
allerdings  ohne  den  Effect  der  Reizung  wirklich  wahrgenommen  zu  haben, 
und  nur,  weil  er  keinen  anderen  Nerven  zu  jenem  Muskel  verfolgen  und 
ihn  von  keinem  anderen  Nerven  aus  in  Bewegung  setzen  konnte.  Die 
Schlingbewegungen  werden,  nach  dem  übereinstimmenden  Zeugniss  von 
Panizza,  Reid  und  Longet,  durch  die  Section  der  Nn.  glossopharyngei 
nicht  beeinträchtigt. 

Zu  den  vom  N.  glossopharyngeus  beherrschten  Gebieten  gehört  die 
Schleimhaut  des  mittleren  Ohrs.  Wenn  der  N.  tympaniciis  ihr  Fasern  zu- 
führt, so  können  dies  kaum  andere,  als  sensible  sein. 


1.  Aeste  d.  1.     CommunicatioTisäste  des  Ggl.  petrosum. 

Ggl.  potr. 

a.     N.  tympanicus  it^  ^).     Plexus  tympanicus'''). 

)    N.  11.  PI.  Der  N.  tympanicus   geht  vom  vorderen  Rande   des   Ggl.  petrosum  vor- 

>'"po!i.        ^^^   aufwärts   zur   unteren  Oeflfnung   des  Can.  tympanicus  (KnL  Fig.  144) 

und  durch  diesen  Canal  in  die  Paukenhöhle,  durchsetzt  die  Paukenhöhle  in 

einer   Furche    oder   einem   oberflächlichen   Canälchen   ihrer   inneren   Wand 


^)  Archiv   1837,  S.  275.       ^)  Anatom,  and  physiolog.  commentaries  II,   11.  ^)  Müll. 

Arch.   1840,  S.  489.        *)  Ebendas.   1844,  S.  335.         ^)  N.  tympanicus  sup.     N.  Jacohsonü. 

N.    major    anastomoseos    Jacobsonü.       N.    Anderschii    Longet.       R.    auricularis  N.    glosso- 
pharyngei.          '')   Plexus   tympan.   maj.   Vfl. 


Plexus  tympaniciis.  421 

(ebendas.  Fig.  147)  und  zieht  aufwärts  dem  N.  petrosus  superfic.  minor  ent- 
gegen, der  vom  Grgl.  oticum  her  durch  die  obere  Oeffnung  des  Can.tympan. 
(ebendas.  Fig.  140)  vor  dem  Hiat.  facialis  in  das  Schläfenbein  und  nahe  der  vor- 
deren Spitze  des  Vorhofsfensters  in  die  Paukenhöhle  herabläuft.  Die  einfache 
Nervenschlinge  zwischen  Ggi.  pefcrosum  und  Ggl.  oticum,  die  als  Ast  des 
ersteren  N.tympanicus,  vom  letzteren  an  N.petros.  siq^erf.min.  genannt  wird, 
bildet  dadurch  die  Grundlage  eines  auf  der  inneren  Wand  der  Paukenhöhle 
gelegenen  Nervengeflechts,  dass  sie  von  verschiedenen  Seiten  her  feine 
anastomotische  Zweige  aufnimmt  und  noch  feinere  terminale  Zweige  nach 
verschiedenen  Seiten  abgiebt  (Fig.  256). 

Die  Zweige  der  ersten  Art  sind  folgende:  1)  ein  B.  Carotico-tympani- 
cus  ^)  oder  zwei,  welche  in  eigenen  Canälchen  (Knl.  S.  164)  die  Wand  durch- 
bohren, die  die  Paukenhöhle  vom  carotischen  Canal  trennt.  Sie  zweigen 
sich  vom  Plexus  carot.  ab  und  schliessen  sich,  rückwärts  aufsteigend,  von 
unten  der  Hauijtschlinge  an.  2)  N.  petrosus  2^'^'^f-  '^^«'^or  Arnold  2),  eben- 
falls ein  Zweig  des  Plexus  carot.,  der  aber  in  horizontaler  Richtung  in  der 
vorderen  Wand  des  carotischen  Canals  ^)  lateralwärts  läuft,  die  Paukenhöhle 
in  der  medialen  oberen  Ecke  derselben  betritt  (Knl.  S.  156)  und  in  dem 
medialen  Rande  der  Hauptschlinge  oder  in  dem  N.  carotico-tympanicus  oder 
in  dem  Vereinigungswinkel  dieses  Nerven  und  der  Hauptschlinge  endet. 
3)  der  B.  Communicans  cum  plexii  tympanico  des  N.  facialis  (S.  404),  ent- 
springend vom  Ggi.  geniculatum  oder  vom  N.  petrosus  superficialis  major 
vor  dessen  Vereinigung  mit  besagtem  Ganglion  und  nach  kurzem  Verlauf 
lateral-abwärts  von  oben  her  unter  spitzem  Winkel  in  die  Hauptschlinge 
übergehend  *). 


^)    N.    carot'ico-tymp.  inf.  ^)    N.    cnroüco-tymponicus    sup.  ^)  Ich    erinnere,    dass 

bei  dieser  Beschreibung ,  wie  bei  der  Beschreibung  der  entsprechenden  Furchen  und  Ca- 
nälchen in  der  Knochenlehre,  die  Pyramide  des  Schläfenbeins  mit  der  Axe  transversal,  also 
mit  der  Spitze  medianwärts    gerichtet    angenommen    ist.  *)  Dieser  Nervenfaden  hat  eine 

eigenthiimliche  Geschichte.  Er  war  früher  bekannt,  als  die  eigentliche  Fortsetzung  des  N. 
tympanicus  in  das  Ggl.  oticum  durch  den  N.  petr.  superfic.  minor.  Die  Jacobson'sche 
Anastomose,  wie  Jacobson  (Meckel's  Archiv  V,  252)  und  Hirzel  (Tiedemann  und 
Treviranus  Ztschr.  I,  219)  sie  beschreiben,  ist  eine  Verbindung  des  N.  t3^mpanicus  mit 
dem  zweiten  Aste  des  Trigeminus  und  dem  Sympathicus,  die  durch  Spaltung  des  N.  tym- 
panicus in  zwei  Aeste  zu  Stande  kommt,  den  Einen  {N.  carotico-tympanicus)  zum  Plexus 
caroticus,  den  anderen  zum  N.  petrosus  superfic.  major.  Nachdem  aber  Arnold  das  Ggl. 
oticum  und  dessen  Verbindung  mit  dem  N.  tympanicus  durch  den  N.  petros.  superf.  minor 
entdeckt  hatte,  wurde  der  Zusammenhang  des  N.  tympanicus  mit  dem  N.  petros.  superf.  maj. 
und  Ggl.  geniculatum  angefochten.  Die  Polemik  eröffnete  Beck  (Anat.  Unters,  über  ein- 
zelne Theile  des  7.  und  9.  Hirnnervenpaars,  S.  39),  indem  er  sich  mit  Hülfe  des  Mikroskops 
überzeugt  zu  haben  versichert,  dass  die  Verbindung  zwischen  dem  N.  petrosus  superf. 
min.  und  dem  Ggl.  geniculatum,  die  übrigens  unter  17  Präparaten  8  Mal  fehlte,  durch 
einen  kleinen  Arterienzweig  vermittelt  werde.  E.  Bischoff  (Mikroskop.  Analyse,  S.  26) 
und  Rüdinger  (Anatomie  d.  Gehirnnerven,  S.  49)  stimmten  ihm  bei.  Als  Vertheidiger 
der  Anastomose  des  Plexus  tympanicus  mit  dem  Ggl.  geniculatum  trat  W.  Krause  auf 
(Ztschr.  für  rat.  Med.  3.  R.  XXVIII,  92)  und  in  einer  späteren  Mittheilung  gab  Bischoff- 
zu  (ebendas.  XXIX,  161),  sie,  wenn  auch  nicht  regelmässig,  in  der  Weise  gesehen  zu 
haben,  dass  von  einem  der  Fäden  des  N.  petrosus  superf.  maj.  ein  mikroskopisches  Fädchen 
sich  ablöste  und  in  einem  besonderen  Knochencanälchen  gegen  das  Ggl.  oticum  verlief  oder 
sich  mit  dem  N.  petros.  superf.  minor  bei  seinem  Eintritt  in  die  Paukenhöhle  verband, 
Rauber's  bestätigende  Beobachtungen  wurden  beriits  oben  (S.  404)  angeführt. 


422 


N.  glossopharyrigeus. 


Die  peripherischen  Aeste,  welche  aus  dem  Plexus  tympan.  hervortreten, 
verzweigen  sich  in  der  Schleimhaut  des  mittleren  Ohrs.  Lateralwärts  gehen 
in  der  Regel  zwei  Fädchen  ah,  die  sich  gegen  das  Vorhofs-  und  Schnecken- 
fenster und  bis  in  die  Zellen  des  Warzenfortsatzes  erstrecken,  zuweilen  aber 

Fig.  256. 


Verzweigung  des  N.  glossopharyngeus.  Die  Pars  tympaiiica  des  Schläfenbeins  und  der  Ast 
des  Unterkiefers  sind  entfernt,  ebenso  der  Temporalflügel  des  Wespenbeins  bis  zum  Rand 
des  For.  ovale,  die  obere  Hälfte  der  Mm.  styloglossus  (Sg)  und  stylopharyngeus  (Sp).  Die 
Cann.  facialis  und  caroticus  sind  geöffnet,  die  Carotis  (l)  vom  Plexus  carot.  umgeben. 
2  Spitze  des  Zungenbeins.  31h  M.  mylohyoid.  Gp  Ggl.  petros.  ph  R.  pharyngeus.  phl 
R.  pharyng.  lingual,  l  R.  lingualis.  stp  N.  stylophar.  to  Nn.  tonsillares.  Go  Ggl.  oticum. 
psmj  N.  petr.  superf.  maj.  psm'i^.  petr.  superf.  min.  t  N.  tubae.  ppm  N.  petr.  prof. 
min.     et   N.- carotico-t3mipan.     ty   N.  tympan.     ccg    N.  commun.  facialis    et  glossopharyng. 

cü  N.  commun.  vagi. 


Plexus  tympanicus.  423 

durcli  Ein  Fädchen  zwischen  beiden  Fenstern  vertreten  werden;  median- 
wärts  verläuft  constant  ein  stärkerer,  öfters  aus  zwei  oder  mehreren  Wur- 
zeln zusammengesetzter  Ast,  ü-  tubae  ^),  der  sich  an  der  inneren  Wand  der 
Tube  bis  zu  deren  Rachenmündung  verfolgen  lässt. 

tt)  Langenbeck   führt  ausserdem    einen  feinen  Ast  zum  M.  tensor  tympaui, 
ß)  Fäsebeck    (Kopfnerven,    S.  18)   einen  Verbindungszweig   zum  Nerven   des 
Tensor  tympani  auf. 

Die  Nerven  des  Plexus  tympanicus  enthalten  Nervenzellen  vereinzelt 
und  in  grösseren  und  kleineren  Gruppen,  die,  wie  es  scheint,  wechselnde 
Stellen  einnehmen. 

Valentin  beschreibt  ein  Gangliolum  tympamcum  s.  Intum.escentia  gangliosa 
n.  tympanicum  ambiens,  eine  zarte  längliche  Ganglienmasse,  die  den  N.  tympani- 
cus vom  Ursprünge  an  bis  zum  Eintritt  in  den  Canal  einhüllen  soll.  Arnold, 
Beck  und  E.  Bischoff  bestreiten  die  Eichtigkeit  dieser  Angabe ;  der  letztere  aber 
erwähnt  ein  mikroskopisches  Ganglion  an  der  Abgangsstelle  des  Zweiges  zum 
Vorhofsfenster.  Pappenheim  (Gewebelehre  des  Gehörorgans,  S.  60)  und  W. 
Krause  (a.  a.  0.)  fanden  die  Nervenzellen  an  verschiedenen  Theilen  des  N.  tym- 
panicus. 

Was  den  Faserverlauf  im  Plexus  tympan.  betrifft,  so  lässt  sich  zu- 
nächst voraussetzen,  dass  die  Anastomose  den  Zweck  habe,  den  aus  dersel- 
ben entspringenden  Nerven  der  Paukenhöhle  Fasern  aus  mehreren  Quellen 
zuzuführen.  So  wird  der  N.  tubae  aus  Fasern  sowohl  des  Tympanicus,  als 
des  Petros.  superf.  minor  und  der  sympathischen  Zweige  zusammengesetzt 
(E.  Bischoff.)  Aber  schon  die  Vergleichung  des  Kalibers  der  Nerven  er- 
giebt,  dass  die  aus  den  verschiedenen  Stämmen  in  die  Paukenhöhle  eintre- 
tenden Fasern  durch  die  innerhalb  der  Paukenhöhle  entstehenden  periphe- 
rischen Aeste  nicht  erschöpft  werden,  dass  also  Fasern  die  Paukenhöhle 
nur  durchsetzen,  um  von  Einem  Stamm  zum  anderen  zu  gelangen  und  viel- 
leicht an  weit  entlegener  Stelle  als  Aeste  des  Einen  oder  anderen  zu  enden. 
Das  Nähere  ist  freilich  bis  jetzt  weder  auf  anatomischem,  noch  auf  physio- 
logischem Wege  genau  zu  ermitteln.  Einen  Theil  der  Fasern  des  N.  tym- 
panicus sah  E.  Bischoff  in  dem  Stamm  des  N.  glossopharyngeus  periphe- 
risch weiter  verlaufen;  andererseits  verfolgte  er  Fasern  des  N.  tympanicus 
zum  Ggl.  oticum ,  in  welchem  sie  zwischen  den  Nervenzellen  sich  verloren. 
Die  vom  Ggl.  geniculatum  stammenden  Fasern  wenden  sich,  der  von  W. 
Krause  gegebenen  Abbildung  zufolge,  dem  Glossopharyngeus-Ende  der 
Hauptschlinge  zu.  Die  Fasern  des  unteren  N.  carotico-tympanicus  sah 
Raub  er  meist  gegen  das  Ggl.  oticum,  einmal  aber  auch  gegen  das  Ggl.  pe- 
trosum  verlaufen.  Mit  Rücksicht  auf  die  Qualität  der  Fasern  könnte  man 
versucht  sein,  auf  dem  Wege  durch  den  Plexus  tjanpanicus  die  sensibeln 
Elemente  des  Glossopharyngeus  vom  Trigeminus,  die  Geschmacksfasern  des 
Trigeminus  vom  Glossopharyngeus  herzuleiten.  Nicht  ganz  so  müssig  ist 
die  Verfolgung  der  secretorischen  Fasern,  die  in  der  Bahn  des  N.  auriculo- 
temporalis  zur  Parotis  ziehen.  Es  stellt  sich  heraus,  dass  diese  Fasern 
gleich  den  Secretionsnerven  der  Submaxillar-  und  Sublingualdrüse,  ursprüng- 


■')  R.  tubae  Eustacliianae. 


424  b.     R.  commun.  facialis  et  glossopharyngei. 

lieh  im  Facialis  enthalten  sind,  da  die  Reizung  der  Wurzeln  dieses  Nerven 
in  der  Schädelhöhle  die  Secretion  der  Parotis  anregt.  Da  aber  der  gleiche 
Erfolg  durch  Reizung  des  Facialis  im  weiteren  Verlaufe  nicht  erzielt  werden 
kann,  so  lässt  sich  nicht  bezweifeln,  dass  die  Parotisfasern  ihre  anfängliche 
Bahn  am  Ggl.  geniculatum  verlassen  und  von  hier  aus  bleibt  ihnen,  um  sich 
in  den  K  auriculo-temporalis  zu  begeben,  kein  anderer  Weg,  als  durch  das 
Grenzgebiet  des  Plexus  tympanicus,  d.  h.  durch  den,  mit  diesem  Plexus 
communicirenden  Ast  des  N.  facialis  in  den  N.  petros.  superficialis  minor, 
dann  zum  Ggl.  oticum  und  in  die  aus  demselben  an  den  N.  auriculo-tempo- 
ralis sich  anschliessenden  Zweige. 

Var.  Der  N.  tympanicus  setzt  sich  aus  zwei  Wurzeln  zusammen,  von  denen 
die  Eine  aus  dem  N.  vagus  oder  aus  dessen  E.  auricularis  stammt  (Cruveilliier). 
Der  N.  tympanicus  ging  in  drei  Fällen  sclion  vor  dem  Eintritt  in  die  Paukenliölile 
die  Verbindung  mit  dem  N.  carotico-tympaniciis  ein  und  gab  einen  Ast  zur  Tube 
ab;  Einmal  sandte  er  einen  Zweig  rückwärts,  der  durch  den  Warzenfortsatz  und 
dessen  Zellen  in  die  Paukenhöhle  drang  und  sich  zwischen  Vorhofs-  und  Schnecken- 
fenster mit  dem  Stamme  wieder  vereinigte  (Beck,  a.  a.  0.,  S.  60).  Variationen 
in  der  Vertheikmg  der  Nerven  an  der  Wand  der  Paukenhöhle  bildet  E.  Bischoff 
ab  (Fig.  53  bis  63). 

b.     R.  communicans  n.  facialis  et    glossopharyngei  CCg^). 

h.    Comm.  Es  ist   der  Ast  des  N.  styloideus  vom  Facialis   (Fig.  257),   den  ich  bei 

sopiw.^^°^"  diesem  Nerven   (S.  411)  erwähnte,   wahrscheinlich   dazu  bestimmt,   dem  N. 

glossopharyngeus  motorische  Fasern  mitzutheilen.     Longet-)  xind  Rüdin- 

ger  leiten   den  N.   stylopharyngeus  von  ihm   ab,    Fäsebeck^)    meint,    er 

trage  zur  Bildung  des  N.  tympanicus  bei. 

Häiifig  erreicht  der  anastomotische  Ast  den  N.  glossopharyngeus  erst  in  eini- 
ger Entfernung  unterhalb  des  Ggl.  petrosum.  Aber  auch  am  Facialis-Ende  bleibt 
er  zuweilen  eine  Strecke  weit  einem  Zweige  des  N.  styloideus  beigesellt,  ehe  er 
sich  von  ihm  ablöst  und  zum  Glossopharyngeus  emporsteigt.  So  beurtheile  ich 
den  zuerst  von  Haller  (Elem.  physiol.  lY,  228)  beschriebenen,  von  Sabatier 
(Traite  d'anat.  III,  389)  als  Eegel  aufgestellten  Fall,  wo  der  E.  biventricus- einen 
Ast  durch  den  Muskelbauch  des  Biventer  mandibulae  oder  an  dessen  Eande  vor- 
über zum  Glossopharyngeus  sendet.  E.  Bisch  off  (Fig.  64,  65)  lässt  diese  abwärts 
convexe  Schlinge  aus  je  einem  E.  digastricus  vom  Facialis  und  einem  vom  Glosso- 
pharyngeus sich  zusammensetzen,  die  in  Einem  der  beiden  Fälle  sich  von  dem 
Gipfel  der  Schlinge  neben  einander  abwärts  wenden,  um  sich  in  dem  Muskel  zu 
verbreiten.  Vielleicht  ist  es  die  dem  Glossopharyngeus  angehörige  Hälfte  dieser 
Schlinge,  welche  Eüdinger  (a.  a.  O.,  Taf.  VI,  Fig.  I,  20)  als  Ast  des  Glossopha- 
ryngeiis  zum  hinteren  Bauch  des  M.  biventer  mandibulae  an  einem  Kopfe  abbildet, 
an  welchem  allerdings  noch  ein  vom  Faciahs  zum  Glossopharyngeus  und  zwar, 
wie  es  scheint,  zu  dessen  E.  lingualis  schräg  absteigender  Verbindungsast  besteht. 
Die  meisten  Handbücher  führen,  auf  Grund  der  erwähnten  Varietät,  die  Anasto- 
mose des  N.  facialis  mit  dem  Glossopharyngeus  als  einen  Ast  des  N.  biventricus 
an.  Umgekehrt  fasst  Hirschfeld  (Neurol.  p.  108)  die  Nu.  stylohyoideus  und  bi- 
ventricus als  Zweige  des  anastomotischen  Astes  des  N.  facialis  zum  N.  glosso- 
pharyngeus auf.  Er  beschreibt  daneben  als  E.  lingualis  des  Facialis  ein  am  late- 
ralen Eande  des  M.  stylopharyngeus  hei-abziehendes  Aestchen,  welches  durch  diesen 


1)   Ansa  IJallerl  S  a  p  p  e  y.  ^)  A.   a.   0.  11,   ö.   421.  3)  A.   a.   0.,  S.   15. 


Flo    257 


425 


Linke  Kopfhälfte  von  hinten,  das  Hinterhaui^t  durch  einen  Frontalschnitt  hinter  dem  Warzen- 
fortsatz  (Prm)  entfernt.  Die  hintere  Pharynxwand  sammt  dem  Kehlkopf  etwas  rückwärts 
gedreht.  *  Winkel  des  Unterkiefers.  Ä  Spitze  des  grossen  Zungenbeinhorns.  s<  A  Lig.  stylohyoid. 
Cp  M.  cephalopharyng.  Hp  M.  hyopharyng.  Lp  M.  laryngopharyng.  Bm'  hinterer  Bauch 
des  M.  biventer  mandibulae.  Ce  A.  carotis  ext.  StlJi  M.  stylohyoid.  S g  M.  styloglossus. 
Sp  M.  stylophar.  Rg  M.  hyoglossus.  Sink  M.  sternohyoid.  Th  M.  thyreohyoid.  ap  N. 
auric.  post.  sti/  N.  styloid.  bv  N.  biventricus.  sih  N.  stylohyoid.  Irs  N.  laryng.  sup. 
Irs',.  Irs"  Er.  ext.  und  int.  desselben,  stp  N.  stylopharyng.  plil  N.  pharyng.  ling. 
ph  R.  pharyng.  glossophar.     pJi'   R.   pharyng.   vagi. 


426  R.  pharyngeus.     R.  lingualis. 

Muskel  dem  N.  glossopharyngeus  Anastomosen  sende,  selbst  aber  zwischen  beiden 
Graumenbogen  zu  der  Musculatur  der  Zunge  herabsteige.  Nach  Sappey  setzt 
sich  dieser  Nerve,  dem  er  den  Namen  B.  musculorum  styloglossi  et  glossostaphy- 
lini  ertheilt ,  aus  einem  Zweige  des  Facialis ,  der  zuweilen  durch  ein  eigenes  Ca- 
nälchen  den  Can.  facialis  verlässt,  und  einem  den  M.  stylopharyngeus  in  seiner 
Mitte  durchbohrenden  Zweig  des  N.  giossopharyngeus  zusammen  und  vertheilt 
sich  in  der  Zunge  an  die  Schleimhaut  und  die  beiden  genannten  Muskeln.  Es 
scheint  demnach,  als  könnten  eine  grössere  oder  geringere  Zahl  gaumenbewegender 
Facialisfasern  sich  früher  oder  später  dem  G-lossopharyngeus  anschliessen.  Das 
Extrem  würde  die  beim  Facialis  (S.  411)  erwähnte  Cruveilhier'sche  Beobachtung 
darstellen,  der  zufolge  der  betreffende  Ast  des  Facialis  selbständig  an  den  Gaimien 
tritt. 

Bankart,  Pye-Smith  und  Phillips  (Gruy's  hospital  i-eports  XIV,  436) 
sahen  einen  Zweig  des  N.  giossopharyngeus  in  dem  M.  mylohyoideus  und  dem 
vorderen  Bauch  des  M.  biventer  mandibulae  sich  verästeln.  Der  N.  mylohyoideus 
vom  Alveolaris  inf.  fehlte. 

c.     ßr.  communicantes  c.  nervo  vago  CV. 

c.  Comm.  c.  Die  Verbindungszweige  des   Ggl.  petrosum   mit  dem  Stamme  und  dem 

vago.  -^   auricularis  des  N.  vagus  werden  bei  diesem  Nerven  beschrieben. 

2.  R.  pharyngeus  pW^). 

2.    R.  pha-  Der  mit  dem  R.  pharyngeus   des  N.  vagus  und  sympathischen  Aesten 

zum  Plexus  pharyngeus  zusammentretende  Zweig.     S.  Vagus. 


ryng 


S.R.lingual.  3.       R.    lillgualls    l. 

t  CoUater.  f     Collaterale  Aeste. 

a.      Nn.   pharyngei  lingualis  phl. 

a.  Pharyug.  Zwei  bis  drei  und  mehr  feine  Aeste,  die  aus  dem  R.  lingualis  oder  aus  dem 

i"s-  folgenden  Nerven,    selten   aiis   dem  Stamm   des   Giossopharyngeus  oberhalb 

seiner  Theilung  entspringen  und  direct  zur  hinteren  Wand  des  Pharynx 
treten;  sie  senken  sich  grösstentheils ,  wenn  nicht  alle,  in  die  Schleimhaut 
ein,  indem  sie  die  Muskelhaut  zwischen  den  Fasern  des  M.  cephalopharyn- 
geus  oder  mit  dem  M.  stylopharyngeus  in  der  Lücke  zwischen  Hyo-  und 
Laryngopharyngeus  durchsetzen  (Fig.  256,  257). 

b.     N.  stylopharyngeus  Stp^). 

\>.  styiopha-  Der  Nerve  des  gleichnamigen  Muskels,  der  aber  ebenfalls  zwischen  den 

■^"'^'  Bündeln  desselben  den  grössten  Theil  seiner  Fasern  zum  Pharynx  sendet. 


■')  72.  pharynfjeus  supremus  s.  communicans  cum  ramo  i^haryngeo  N.  vagi.  Ein  R. 
pharyngohasilaris,  den  C.  Krause  aufführt,  ein  vom  Stamm  des  Giossopharyngeus  sich 
aufwärts  krümmender  Ast,  der,  die  Fascia  buccopharyngea  durchbohrend,  in  die  Mm.  cepha- 
lopharyngeus,  petro-  und  sphenostaphylinus  eindringen  soll,  ist  von  keiner  Seite  bestätigt 
worden.  ^)  R.  circumßexus. 


R.  liueualis. 


427 


c.     Nn.  tonsillares  to  ^). 

Unter  diesem  Namen  begreift  man  die  feinen  Zweige,  die  sich  auf-  und  c.   TousUi. 
abwärts  von  den   eigentlichen  Znngenästen  in  der  Schleimhaut  der  Seiten- 
wand der  Mundhöhle  bis  zur  Wurzel  des  Epiglottis   ausbreiten   (Fig.  256). 
Ein  Fädchen  begleitet  die  A.  lingualis  bis  zur  Zungenspitze  (Cr uveilhier). 

ff    Terminale  Aeste  2). 

Sie  gehören,  wie  erwähnt,  der  Basis  der  Zunge  an  und  erstrecken  sich  1 1  Termi- 
am  Rande  derselben  etwas  weiter  vorwärts,   als  in   der  Mitte,  jedoch  kaum 

Fig.  258. 


Profil  der  Zunge ,  an  welchem  die  sensibeln  Aeste  bis  zur  Oberfläche  verfolgt  sind.  Nach 
einem  Langenb  eck'schen  Präparat.  V  Ram.  lingualis  des  N.  inframaxillaris.  IX  E.  lin- 
gualis des  N.  glossopharyng.  XII  N.  hypoglossus.  1  Spitze  des  grossen  Zungenheinhorns. 
2  Spitze  des  oberen  Horns  der  Gart,  thp-eoidea.   3  Epiglottis.  4  Sublingualdrüse.  s  N.  subungualis. 


bis  zur  Hälfte  ihrer  Länge  (Fig.  258).  Die  medialsten  gehen  hier  und  da  von  bei- 
den Seiten  schleifenförmig  in  einander  über.  An  den  Verzweigungen  im  Inne- 
ren der  Zunge  finden  sich  kleine  Ganglien  (Remak  ^),  besonders  zahlreich  an 
den  Theilungswinkeln  der  Nerven  (Kölliker  *).  Sie  kommen  noch  unmittel- 
bar an  der  Basis  der  wallförmigen  Papillen  vor  (Schwalbe^),  in  welchen, 
wie  an  den  Geschmackskolben  der  Papilla  foliata  des  Seitenrandes  der 
Zunge,  die  Zungenzweige  des  Glossopharyngeus  endigen. 


■'■)  Rr.  tonsillares  und  infratonsillares  Val.       ^)  Rr.  gustatorni  racUcis  linguae.       ^)  Med. 
Vereinsztg.   1840,  No.  2.  *)  Würzburger  Verhandl.  II,   175.        ^)  Archiv  für  mikroskop. 

Anat.  IV,   177. 


428  N.  vagus. 


X.     N.  vagus. 

X  Vagus  Die  aus  dem  Vagiiskern  des  verlängerten  Marks  (S.  207)  entspringen- 

den, im  Anschluss  an  den  N.  glossopharyngeus  ans  der  hinteren  Seitenfurche 
des  genannten  Hirntheils  hervortretenden  Faserbündel  (S.  176)  vereinigen 
sich  im  For.  jugulare  und  gehen  alsbald  in  ein  spindelförmiges  Ganglion, 
Ganglion jugulare^),  über,  welches  gewöhnlich  4  Mm.  im  längsten  Durch- 
messer hat,  sich  aber  oft  auf  Kosten  seines  Umfangs  verlängert.  Vom  vor- 
deren Rande  desselben  kehrt  ein  N.  meningeus  in  die  Schädelhöhle  zurück, 
um  sich  in  der  fibrösen  Hirnhaut  zu  verbreiten;  rückwärts  geht  der  N. 
auricularis  ab,  der  sich  am  Stamme  des  N.  facialis  vorüber,  mit  dem  er 
anastomosirt,  zum  äusseren  Gehörgang  begiebt.  Durch  diesen  Auricularis, 
der  eine  Wurzel  vom  N.  glossopharyngeus  erhält,  und  durch  unmittelbare 
Verbindungszweige  hängt  das  Ggl.  jugulare  des  Vagus  mit  dem  Ggl.  petro- 
sum  zusammen.  Ausserdem  empfängt  es  sympathische  Aeste  vom  Ggl.  cer- 
vicale  supr. 

Kaum  aus  dem  Ggl.  jugulare  hervorgetreten ,  zeigt  der  Stamm  des  N. 
vagus  eine  zweite,  verhältnissmässig  geringere  Anschwellung,  die  aber  eine 
ansehnliche  Strecke  seines  Verlaufs  (etwa  15  Mm.)  einnimmt  (Fig.  259). 
Sie  rührt  von  einer  Lockerung  des  Nerven  durch  Einlagerung  von  fett- 
haltigem Bindegewebe  zwischen  die  verflochtenen  Primitivbündel  her  und 
erhielt  deshalb  mit  Recht  (von  Willis)  den  Namen  eines  JPlexus  gangJio- 
formis  2).  In  denselben  geht  der  N.  accessorius  mit  einem  Theil  seiner 
Fasern  über,  wofür  er  einige  Fädchen  vom  Vagus  erhält;  ebenfalls  mit 
dem  Plexus  ganglioformis  oder  mit  dem  Stamm  des  Nerven  ober-  oder  unter- 
halb des  Plexus  verbinden  sich  Zweige  des  Hypoglossus  und  Sympathicus, 
zuweilen  auch  der  oberen  Cervicalnerven  (Long et '^). 

Abbildungen  der  mannicbfaltigen  Weisen,  in  welcben  die  Bündel  des  E.  int. 
des  N.  accessorius  sich  mit  den  Bündeln  des  Plex.  ganglioformis  vereinigen  und 
verflechten,  findet  man  beiScarpa,  Abbandl.  der  k.  k.  Josephin.  Akademie,  Bd.  I, 
Taf.  X,  und  bei  Solinville,  Auat.  disquisitio  et  descriptio  u.    vagi.    Turici    1838. 

Dicht  unter  dem  For.  jugulare  wird  der  Stamm  des  Vagus  unter  spitzem 
Winkel  gekreuzt  vom  N.  hypoglossus,  der  an  der  hinteren  Fläche  des  Plexus 
ganglioformis  vorübergeht  und  durch  straffes  Bindegewebe  an  denselben  be- 
festigt ist  (Fig.  259).  Indess  der  Hypoglossus  an  die  laterale  Seite  des  Vagus 
gelangt,  läuft  dieser  fast  gerade  abwärts  auf  den  tiefen  Halsmuskeln,  zur  Seite 
des  Pharynx,  vor-  und  medianwärts  von  der  V.  jugularis,  an  der  hinteren 
Wand  der  A.  carotis  int.  Von  der  Gegend  des  Zimgenbeins  an,  wo  die  V. 
jugularis  int.  mit  der  A.  carotis  comm.  in  eine  gemeinschaftliche  Bindegewebs- 
scheide  eingeschlossen  wird,  liegt  der  N.  vagus  an  der  hinteren  Seite  beider 
Gefässstämme  in  der  von  ihnen  begrenzten  Furche  (Mskl.  Fig.  62,  15). 
Am  oberen  Rande  des  Thorax  weicht  er  etwas  zur  Seite,  um  über  der  Wur- 
zel der  A.   subclavia  in  die  Brusthöhle   einzutreten  und  wendet    sich  dann 


^)    Gfjl.    superius    N.    vagi.  ^)    Plaxuts    uodosus.      Gfjl.    trunci    nervi    vagi    Bendz. 

3)  A.   a.   O.   II,  250. 


N.  vagus.  429 

allmälig  wieder,  hinter  Bronchus  und  Pericardium,  der  Mittellinie  zu,  die 
der  linke  Vagus  am  unteren  Ende  des  Oesophagus  fast  erreicht,  der  rechte 
überschritten  hat,  indem  jener  auf  der  vorderen,  dieser  auf  der  hinteren 
Fläche  des  Oesophagus  den  Hiatus  oesophageus  durchsetzt.  In  der  Bauch- 
höhle enden  die  Nerven  beider  Seiten  mit  Zweigen,  die  zum  Theil  von  der 
oberen  Curvatur  aus  sich  über  die  Magenwände  verbreiten,  zum  Theil  durch 
Vermittlung  des  Plexus  coeliacus  und  direct  in  die  sympathischen  Geflechte 
der  Baucheingeweide  übergehen. 

Auf  diesem  langen  Wege  versieht  der  Vagus  einen  Theil  des  Gaumens, 
den  Pharynx,  Oesophagus  und,  wie  erwähnt,  Magen  und  Leber,  ferner  den 
Kehlkopf,  die  Trachea  und  die  Lunge  mit  motorischen,  sensibeln  und  secre- 
torischen  Nerven;  er  sendet  den  Gefässstämmen  am  Halse  feine  Zweige  und 
führt  dem  Plexus  cardiacus,  einem  wesentlich  sympathischen  Geflechte ,  die 
merkwürdigen  Fasern  zu,  die  man  als  Hemmungsnerven  bezeichnet,  weil 
auf  Reizung  derselben  das  Herz  seltener  schlägt  und  schliesslich  in  Diastole 
stille  steht.  "Wie  weit  die  in  den  Plexus  coeliacus  eintretenden  Vagusfasern 
sich  mit  den  Aesten  dieses  Plexus  zu  den  Unterleibt  eingeweiden  erstrecken, 
ist  anatomisch  nicht  zu  ergründen;  doch  existirt,  wie  bei  Beschreibung  der 
sympathischen  Geflechte  auszuführen  sein  wird,  kaum  ein  Organ  im  Bereich 
des  Verdauungs-  und  Urogenitalapparats,  das  nicht  auf  Grund  physiologi- 
scher Experimente  in  Beziehung  zum  Vagus  gebracht  worden  wäre. 

Die  Aeste,  die  der  Vagus  am  Hals  und  im  oberen  Theil  der  Brust  ab- 
giebt,  gleichen  in  der  Art  ihrer  Verzweigung  den  übrigen  Cerebrospinal- 
nerven;  es  sind,  abgesehen  von  den  zarten,  mit  dem  Plexus  caroticus  sich 
verbindenden  Fäden,  1)  ein  N.  pharyngeus  oder  zwei,  die  aus  dem  Plexus 
ganglioformis  entspringen  und  mit  dem  R.  pharyngeus  des  N.  glossopharyn- 
geus  zum  Plexus  pharyngeus  zusammentreten ;  2)  N.  laryngeus  sup.  aus  dem 
Plexus  ganglioformis  oder  dicht  unter  demselben,  wesentlich  sensibler  Nerve 
des  Kehlkopfs;  3)  einige  Nn.  cardiaci,  vom  Stamme  des  Vagus  in  der  Mitte 
des  Halses;  4)  N.  laryngeus  inf.,  aus  der  Brusthöhle  zur  Seite  der  Trachea 
aufwärts  steigend,  der  wesentlich  motorische  Nerve  des  Kehlkopfs  Die 
Lungen-,  Oesophagus-  und  Magenzweige  verästeln  sich  nach  dem  Typus  der 
sympathischen  Nerven;  sie  bilden  Geflechte,  in  welchen  die  Fasern  beider 
Körperhälften  gegen  einander  ausgetauscht  werden;  in  den  Plexus  piilmo- 
nales  geschieht  dies  durch  coUaterale  Aeste;  der  Plexus  oesophageus  ist  ein 
den  Oesophagus  umspinnendes  Geflecht,  in  welchem  die  Stämme  selbst  ^)  netz- 
förmig anastomosiren,  ja  in  welchem  sie  sich  fast  auflösen. 

Wegen  der  ansehnlichen  und  zahlreichen  Anastomosen,  die  der  N.  vagus 
vom  Ggl.  jugulare  an  eingeht,  lag  es  gerade  bei  diesem  Nerven  nahe,  zu 
fragen,  inwiefern  die  Fasern  der  Aeste,  die  er  abgiebt,  aus  seinen  eigenen 
Wurzeln,  oder  aus  einer  anderen  Quelle  stammen.  Mit  Beziehung  auf  den 
Bell'schen  Lehrsatz  wurde  der  Vagus  einer  hinteren,  der  zu  ihm  stossende 
Theil  des  Accessorius  einer  vorderen  Spinalnervenwurzel  verglichen  (Scarpa, 
Arnold)  und  es  traf  sich,  dass  die  ersten,  zur  Prüfung  dieser  Hypothese 
unternommenen  Versuche  sich  ihr  günstig  erwiesen.  Die  Sensibilität  der 
Vasruswurzeln  wurde  niemals  bestritten  und,   was  ihre  motorischen  Kräfte 


■'■)    Chordae  oesophageae.      Chordae  ventrinili. 


N.  vagiis.  431 

betrifft,  so  erhielten  Valentin  ^)  und  Longet^)  negative  Resultate,  wäh- 
rend T.  Bischoff  ^)  ermittelte  und  Longet*)  bestätigte,  dass  wenigstens 
die  in  der  Bahn  des  N.  laryngeus  inf.  verlaufenden  Nerven  der  bei  der 
Stimmbildung  thätigen  Kehlkopfmuskeln  ursprünglich  in  den  Wurzeln  des 
Accessorius  enthalten  sind  und  durch  Trennung  derselben  gelähmt  werden. 
Dagegen  setzte  Yolkmann^)  durch  mechanische  Reizung  der  Wurzelfäden 
des  Vagus  in  der  Schädelhöhle  ihren  Einfluss  auf  eine  Anzahl  Muskeln 
ausser  Zweifel,  namentlich  auf  die  Mm.  petro-  und  palatostaphylinus,  palato-, 
cephalo-  und  laryngopharyngeus.  cricothyreoideus,  cricoarytaenoideus  post. 
und  lateralis  und  auf  die  Musculatur  des  Oesophagus.  Die  Herrschaft  der 
in  den  Vaguswurzeln  enthaltenen  Fasern  über  die  Muskelhaut  des  Magens 
erkannten  Stilling  ^)  und  Bischoff ''),  der  indess  von  seiner  früheren  An- 
sicht zurückgekommen  war.  Und  auch  mit  der  Abhängigkeit  der  Kehlkopf- 
muskeln vom  N.  accessorius  hat  es  eine  eigenthümlicheBewandtniss.  Schon 
Volkmann ^)  machte  die  Bemerkung,  dass  die  Athembewegungen  des  Kehl- 
kopfes nach  Durchschneidung  beider  Nn.  accessorii  fortdauerten.  Bernard  9), 
der  den  Accessorius  vermittelst  Ausreissens  in  der  Art  zerstörte,  dass  die 
Thiere  die  Operation  überlebten,  beobachtete  als  deren  Folge  Stimmlosigkeit 
ohne  Beeinträchtigung  des  Tonus  der  Stimmbänder  und  der  mit  deniAthmen 
verbiindenen  Verengung  und  Erweiterung  der  Glottis.  Diesen  Erfahrungen 
stehen  zwar  diejenigen  von  Schiff  und  von  Heidenhain  i")  gegenüber, 
welche  behaupten,  dass  die  Lähmung  der  Stimmbänder  nach  dem  Ausreissen 
der  Accessorii  ebenso  vollständig  sei,  wie  nach  der  Durchschneidung  der 
Vagusstämme.  Doch  giebt  es  noch  andere  Beweise  für  die  Unabhängigkeit 
der  phonetischen  Bewegungen  des  Kehlkopfes  von  den  respiratorischen. 
Aphonie  bei  übrigens  normalem  Vei^halten  der  Glottis  beobachtete  Donder  s  ^^) 
bei  einem  menschlichen  Individuum  in  Folge  eines  Sturzes;   sie  muss  wohl, 


1)  De  functionibus  nerv.    p.  46.  ^)  A.  a.  0.  II,    265.  3)    ]sj_    accessorii    Willisii 

anat.  et  physiol.    Heidelb.   1832.  *)  A.  a.  0.,  S.  263.  ^)  Müll.  Archiv  1840,  S.  491. 

^)   Häser's    Archiv   IV,    445.  ''')    s.  Volkmann,    K.    Wagner's  Handwörterb.  11,    585. 

8)  A.  a.  0.,  S.  590.  9)  Arch.  gen.   de  medecine  3e  ser.  IV,  395.    V,  51.  i»)  Meiss- 

ner's  Jahresbericht  1865,  S.  492.'  H)  Ztschr.  für  rat.  Med.  IV,  219. 


Zu  Figur  259. 
Verzweigung  des  N.  vagus  am  Neugeborenen.  Am  Halse  sind  die  grossen  Arterienstämme 
und  die  Trachea  freigelegt.  Die  Brusthöhle  geöffnet,  das  Herz  unter  der  Querfurche,  die 
Lungen  an  der  Wurzel  abgeschnitten ;  das  Zweixhfell  bis  auf  den  Oesophagus  gespalten ; 
der  Blindsack  des  Magens  sammt  der  Milz  entfernt.  1  Ohrläppchen.  2  knorpliger  Gehör- 
gang. 3  Warzenfortsatz.  4  V.  jugularis ,  am  Austritt  aus  dem  Schädel  durchschnitten. 
5  M.  scalenus  ant.  der  linken  Seite.  6  A.  carotis  sin.  am  Ursprünge  abgeschnitten.  7  A. 
subclavia  sin.  8  Aorta  descendens.  9  linke  Niere.  10  Magen.  11  Leber.  12  Querschnitt 
des  Herzens  durch  den  oberen  Theil  der  Ventrikel.  13  Lungenwurzel.  14  A.  pulmonalis. 
15  Aorta  adscend.  16  Duct.  arteriös.  17  A.  anon}Tna  brachioceph.  18  A.  subcl.  destra. 
19  A.  carotis  destra.  20  M.  scalenus  ant.  der  rechten  Seite.  21  Kehlkopf.  22  Zungen- 
bein. IX.  E.  pharyng.  glossophar.  ph  R.  pharyng.  vagi.  av  E.  auricul.  vagi.  XI  vorde- 
rer Ast  des  N.  accessor.  Pg  Plex.  ganglioformis.  Irs  N.  laryng.  sup.  c,c  Nn.  cardiaci. 
Iri'  Nn.  laryng.  inf.  sin.  Pjjp  Plexus  pulm.  post.  Po  Plex.  oesoph.  X'  linker,  X  rech- 
ter Vagusstamm,  s^  Z  E.  splanchnicus  sin.  G  c  Ggl.  coeliacum.  Pgp  ,  Pg  aFlex.  gastr. -post. 
und  ant.  Ppa  Plex.  pulmon.  ant.  Iri  N.  laryng.  inf.  dext.  *  Aeste  des  rechten  N. 
vagus  zum  Ggl.  coel.     *  *  Aeste  des  linken  Vagus  zur  Lunge. 


432  N.  meningeus. 

wie  die  nicM  seltene  nervöse  Aphonie  der  Hysterischen,  auf  ein  centrales 
Leiden  des  Accessorius  bezogen  werden;  im  Accessorius  aber  müssen  wir 
den  motorischen  Nerven  der  Muskeln  erkennen,  die  die  Spannung  der 
Stimmbänder  reguliren,  also  vorzugsweise  des  M.  thyreo-arytaenoid.  int. 

Es  haben  demnach  beide  Stämme,  Vagus  und  Accessorius,  an  den  vom 
ersteren  ausgehenden  Aesten  Antheil;  auf  den  besonderen  Antheil  eines 
jeden  an  jedem  dieser  Aeste  werde  ich  bei  der  Beschreibung  der  einzelnen 
zurückkommen. 

Eine  Eigenthümlichkeit  des  N.  vagus,  die  ihn  vor  anderen  Cerebro- 
spinalnerven  auszeichnet,  besteht  in  der  vorherrschenden  Zahl  feiner  Fasern, 
die  er  vom  Ursprünge  (nach  Volkmann  vom  Ggl.  jugulare)  an  führt  und 
die  sich  von  oben  nach  unten  dadurch  relativ  vermehren,  dass  mit  den 
oberen  Zweigen  vorzugsweise  die  stärkeren  Fasern  austreten.  Es  dient  dies 
zum  Beweis,  dass  die  feinen  Fasern  vorzugsweise  der  Innervation  der  un- 
willkürlichen Muskeln  vorstehen  i). 

Var.  Oefters  zeigen  sich  die  Nu.  vagi  beider  Seiten  im  Kaliber  merklicli 
verschiedeu. 

Einmal  (unter  mehr  als  500  Leichen)  zerfiel  der  rechte  Vagus  in  zwei  Stränge, 
die  sich  über  der  A.  anonjnna  wieder  vereinigten.  Ein  in  ähnlicher  Weise  vom 
Stamm  abgespaltenes  Bündel  ist  es  wohl,  welches  An  der  seh  (De  nei'vis  c.  h. 
aliqnibus.  Eegiom.  1797.  I,  24)  als  N-  proprius  decimi  nervi  beschreibt;  es  ver- 
lässt  den  Stamm  unter  dem  For.  jugulare ,  giebt  den  Nn.  accessorius  und  hypo- 
glossus  Zweige  und  kehrt  in  der  Gegend  des  Querfortsatzes  des  dritten  Halswir- 
bels in  den  Stamm  zurück. 

Den  Verlauf  des  Vagusstammes  in  der  Scheide  der  grossen  Halsgefässe  vor 
der  V.  jugulai'is  int.  und  Carotis  comm.  notiren  Quain  (Anat.  of  the^arteries.  pl. 
IV,  Fig.  4),  Dubrueil  (des  anomalies  arterielles.  Paris  1847,  p.  65)  2  Mal,  Cru- 
veilhier  (Traite  d'anat.  4e  ed.  T.  III,  P.  1,  p.  75).  In  allen  vier  Fällen  bestand  die 
Anomalie  allein  auf  der  rechten  Seite. 

Pye-Smith,  Howse  und  Da vies-Colley  (Gruy's  hosp.  rep.  3d  ser.  XVI, 
161)  sahen  aus  dem  Stamme  des  IST.  vagus,  dem  Zungenbein  gegenüber,  die  Aeste 
zu  den  vom  Brustkorb  zum  Zungenbein  aufsteigenden  Muskeln  entspringen,  welche 
gewöhnlich  aus  der  Schlinge  hervorgehen,  die  der  E.  descendens  hj^poglossi  mit 
den  oberen  Cervicalnerven  bildet.  Sie  vermuthen  einen  Uebergang  jener  motori- 
schen Nerven  aus  dem  Stamme  des  Hypoglossus  in  den  des  Vagus ,  wie  sie  ihn 
wirldich  nachzuweisen  vermochten  in  einigen  Fällen,  avo  der  R.  descendens  des 
Hypoglossus  von  dem  Vagus  abgegeben  zu  werden  schien. 

1.  V.  6gi.  1.     Aeste  des  Ggl.  jugulare. 

jugul. 

a.     N.  meningeus  2). 

a.  N.  me-  Läuft  vom  vorderen  Rande  des  Ggl.  in   der  lateralen  Wand  der  fibrö- 

sen Scheide  des  Nerven  rückwärts  und  theilt  sich  in  zwei  Aestchen,  von 
welchen  das  kleinere  zum  Sinus  occipitalis  gelangt,  das  grössere  sich  der 
A.  meningea  post.  beigesellt  und  Zweige  zum  Sinus  transversus  schickt,  die 
sich  in  der  inneren  Haut  desselben  verästeln.  Nach  Rüdinger'*)  setzt  er 
sich  zusammen  aus  Fasern  des  Vagus  und  des  Sympathicus,  die  vom  Ggl. 
cervicale  supr.  aus-  und  am  Ggl.  jugulare  vorübergehen. 

'•)  Bidder  und  Volkmann,  die  Selbständigkeit  des  sympathischen  Nervensystems. 
Lpz.  1842,  S.  62.  2)  R.  recurrens  kr  wo  \A.  R.  meningeus  posl.  Rüdinger.  ^)  lieber 
die  Verbreitung  des  Sympathicus  in  der  animalen  Röhre.     München  1863,  S.   62. 


nin 


R.  auricularis.  433 

h.      R.     auricularis     (IV  ^). 

Wendet  sich  vom  Ggi.  jugulare  aus,  nachdem  er  sich  durch  ein  feines  h.  r.  ami- 
Aestchen  ^)  mit  dem  Ggl.  petrosum  des  Glossopharjnigeus  in  Verbindung 
gesetzt,  schräg  seit-rückwärts  an  die  äussere  Fläche  der  lateralen  "Wand  des 
Bulbus  der  V.  jugularis  int.  und  läuft  längs  derselben  fast  horizontal  in 
einer  Furche  oder  einem  oberflächlichen  Canälchen  der  Fossa  jugularis 
(Knl.  Fig.  144  Sra)  z^^m  Eingang  des  Can.  mastoideus.  Diesen  Canal 
durchziehend,  kreuzt  der  R.  auricularis  den  N.  facialis  kurz  vor  dessen  Aus- 
tritt aus  dem  For.  stylomastoideum  rechtwinklig  und  verbindet  sich  mit 
ihm  durch  ein  auf-  und  ein  absteigendes  Fädchen ;  dann  gelangt  er  in  der 
Fissura  tympanico-mastoidea  ins  Freie,  einfach  oder  bereits  in  die  beiden 
Aeste  gespalten,  von  denen  der  Eine  mit  dem  N.  auricularis  post.  des  Fa- 
cialis (S.  411)  zusammenfliesst,  der  andere  sich  in  der  Haut  des  äusseren 
Gehörgaugs  imd  der  Ohrmuschel  verliert  (Fig.  260). 

So  weit  man  die  peripherische  Endigung  desN.  aui'icularis  kennt,  muss 
man  seinen  Fasern  sensibeln  Charakter  zuschreilien  und  demnach  annehmen, 
dass  sie  im  Vagus  wurzeln.  Somit  ist  es  auch  möglich,  dass  die  Anasto- 
mose zwischen  R.  auricularis  und  Facialis  den  Zweck  habe ,  den  letzteren 
mit  sensibeln  Fasern  zu  versehen,  und  es  wird  diese  Annahme  in  dem 
Maasse  sicherer  werden,  als  es  zweifelhafter  wird,  ob  der  N.  facialis  die 
Sensibilität,  die  er  am  Ausgang  des  Can.  facialis  besitzt,  der  Beimischung 
sensibler  Fasern  durch  den  N.  petrosus  superfic.  maj.  verdanke.  Damit 
vertrüge  es  sich,  dass  in  der  gleichen  Bahn  des  R.  auricularis  der  Facialis 
Fasern  gegen  den  Vagus  sende,  dass  namentlich  die  Anastomose  mit  dem 
N.  glossopharj^ngeus,  wie  Cruveilhier  meint,  aus  Facialis-,  d.  h.  motori- 
schen Fasern  bestehe,  die  sich  in  Glossopharyngeus- Zweigen  zum  Schlund 
und  Gaumen  erstrecken.  Beweise  für  diese  Ansicht  giebt  es  nicht;  ebenso 
wenig  lässt  sie  sich  widerlegen,  und  indem  ich  über  ähnliche  blosse  Mei- 
nungsäusserungen hinweggehe,  habe  ich  nxir  noch  der  allerdings  unsichern, 
daher  einander  widersprechenden  Resultate  der  feineren  anatomischen  Unter- 
suchungen des  Faserverlaufs  zu  gedenken.  Nach  Valentin^)  geht  im 
oberen  Verbindungsast  des  R.  auricularis  mit  dem  Facialis  die  Hauptmasse 
der  Nerven  vom  Facialis  zum  Vagus,  ini  unteren  Verbindungsast  umge- 
kehrt. Beck^)  sah  in  beiden  Verbindungszweigen  nur  centralwärts ,  zur 
Wurzel  des  Facialis  aiifsteigende  Fasern,  erklärt  demnach  den  R.  auricula- 
ris, soweit  er  mit  dem  Facialis  zusammenhängt,  für  eine  Anastomose,  durch 
die  der  Vagus  Facialisfasern  empfängt.  Calori^)  bildet  ein  im  Facialis 
aufsteigendes  und  ein  in  demselben  absteigendes,  über  das  Foramen  stylo- 
mastoidetim  hinaus  isolirbares  Bündel  ab,  ausserdem  quere,  den  Stamm  des 
Facialis  gleichsam  umspinnende  Fäden,  die  den  Eindruck  machten,  als  ob 
sie  sich  in  die  Chorda  tympani  fortsetzten.  Den  Beobachtungen  E.  Bi- 
sch off 's")   zufolge  ist    das  Verhalten  des    R.    auricularis    sehr   wechselnd. 


^)   /?.  auricularis  Arnoldi  Bach.     N.  fossae  jugularis  Cruv.  -)  liad.  minor  r.  au- 

ricularis Val.     ^)  Nervenlehre  S.  447.  *)  Ueber  einzelne  Theile  des   7.  und  9.  Nerven- 

paares,  S.   50.      ^)  Memorie   della   accademia   di  Bologna,  IV,  456,   Tav.   XIX,  Fig.   4.    '')  A. 
a.  0.  S.   19. 

Hcnlc,  Anatoniio.  Bd.  III.  Abtlilg.  2.  28 


434 


R.  aiiricularis. 


Seine  Anastomose  mit  dem  Facialis  kann  völlig  fehlen.      An  der  Ursprungs- 
stelle  aus  dem    Vagus   und  Glossopharyngeus   zeigt    er   meistens   auch   peri- 


Fig'.  260. 


For.  jugulare  von  hinten  geöffnet,  Canaliculus  mastoideus  und  Can.  facialis  aufgebrochen. 
Der  Bulbus  v.  jugularis  entfernt,  V.  jugul.  (1)  und  Carotis  int.  (2)  dicht  unter  der  Schä- 
delbasis abgeschnitten.  3  Spitze  des  Zungenbeinhorns.  4  Mm.  longus  cap.  und  rect.  aap. 
ant.,  unter  der  Insei-tion  abgeschnitten,  av  H.  auric.  vagi.  Gp  Ggl.  petros.  GJ  Ggl. 
jugulare.  XI'  Aeusserer  Ast  des  N.  accessorius ,  zur  Seite  gelegt,  ph'  R.  pharyng.  vagi, 
eine  Strecke  weit  in  der  Bahn  des  N.  accessorius.  ps  'N.  petrostaphylinus.  XII'  Stamm 
des  N.  hypoglossus,  vom  N.  vagus  abgezogen.  X'  Stamm  des  N.  vagus,  abgeschnitten. 
IJp  M.  hyopharyng.  Irs  N.  laryng.  sup.  SpM.  stylopharyng.  Pi  M.  pteryg.  int.  SgM. 
styloglossus.  l  K.  lingualis''glossopharyngei.  ph  R.  pharyngeus  glossopharjnigei.  sm  Lig. 
stylomyloid.       Sp    M.    stylopharyng.        8  s  M.    sphenostaph3'lin.      ap    N.    auric.    post. ,     in 

zwei   Fäden  zerfallen. 


R.  communicans  c.  nervo  glossopharyngeo.  435 

pherisch  in  diese  Nerven  eintretende  Fasern.  Häufig  besteht  er  aus  zwei 
Fäden,  von  denen  der  Eine  die  aus  dem  Facialis  abstammenden  Fasern  zu 
enthalten  scheint.  Er  sendet  dann  öfters  auch  ein  peripherisch  in  den  Fa- 
cialis abgehendes  Fädchen  ab,  kann  aber  auch  ganz  peripherisch  in  den 
Facialis  übergehen. 

Var.  Voigt  (Beitr.  ztir  Dermatoneui'ologie,  S.  12)  und  Bischoff  berichten 
von  vollständigem  Maugel  des  N.  auvicularis.  Er  entsprang  in  Einem  Falle  vom 
Stamm  des  Vagus,  4  Mm.  unterhalb  des  Gangiiou  (Arnold,  Kopftheil  des  veget. 
Nervensyst,,  S.  IIO).  In  einem  anderen  Fall  war  er  schon  im  Anfange  seines  Ver- 
laufs in  vier  Fäden  getheilt,  von  denen  der  Eine  mit  dem  Facialis  verschmolz, 
der  andere  mit  Facialiszweigen  aus  dem  For.  stylomastoid.  hervortrat,  der  dritte 
und  vierte  im  Can.  mastoid.  verliefen.  Zuckerkandl  (Beob.  über  die  Herzbeutel- 
uerven  und  den  Auric.  vagi.  A.  d.  62.  Bd.  der  Wiener  Sitzungsberichte)  beschreibt 
Anomalien  des  E.  auric,  welche  zum  Beweise  des  Uebergangs  eines  Theils  seiner  Fä- 
den in  die  peripherische  Bahn  des  N.  facialis  dienen.  Gleich  nach  Aufnahme  des 
Fadens  vom  Glossopharyngeus  spaltet  er  sich  in  zwei  Aeste,  welche  durch  eigene 
Canäle  in  den  Can.  facialis  einbiegen.  Der  obei-e  Ast  begiebt  sich  nach  einer 
aufsteigenden  Anastomose  mit  dem  N.  facialis  in  den  Can.  mastoideus  und  fuugirt 
als  eigentlicher  Ohrast.  Der  untere  Ast,  der  den  oberen  an  Stärke  übertrifft, 
legt  sich  auf  die  hintere  Fläche  des  N.  facialis,  gesellt  sich  zum  N.  auricularis 
prof.  und  verläuft  mit  ihm  zur  Ohrmuschel.  In  einem  anderen  Fall  theilte  sich 
der  R.  auricularis  vagi  im  Can.  facialis  in  einen  schwächeren  Ast ,  der  sich  in 
den  Can.  mastoideus  begab ,  und  einen  stärkeren,  der  mit  dem  N.  facialis  ver- 
schmolz. Derselbe  Beobachter  sah  Paukenfellnerven  aus  dem  conve.xen  Rande 
einer  Schlinge  entspringen ,  welche  der  R.  auricularis  vagi  mit  dem  N.  auriculo- 
temporalis  am  knorpligen  Gehörgang  bildete. 

c,     R.   communicans   c.  nervo   glossopharyngeo^). 

Ein  unbeständiges  Fädchen ,  welches  durch  Anastomosen  zwischen  den  c.  e.  oom- 
Wiirzeln  beider  Nerven   oder  zwischen  Zweigen  des  Plexus  pharyngeus   er-  c    giosso- 
setzt  zu  werden  scheint.     Es   verbindet    auf  kürzestem   "Wege  die  Ggl.  pe-  ^'  ^^' 
Irosum  und  jugulare  (Fig,  260)  2)  oder  geht  von  der  gangliösen  Anschwellung 
des  Einen  dieser  Nerven  abwärts  in  den  Stamm  des  anderen.    Nach  Cruveil- 
hier  lässt  sich  der  Verbindungsfaden  über  den  Vagus  hinaus  in  den  Acces- 
sorius  centralwärts  verfolgen,  während  seine  Fasern  sich   im   Glossopharyn- 
geus sämmtlich  der  Peripherie   zuwenden.     E.   Bischoff '^)  schien  der  Ver- 
bindungsfaden vom  Glossopharyngeus  zum  Vagus  zu  gehen. 

2.     Verbindungsäste  des  Plexus  ganglioformis. 
Von  ihnen  wird  beim  Accessorius,  Hypoglossus,  Sympathicus   die  Rede  2.  Verbm- 

dungsäste. 

sein. 

3.     Pt.  pharyngeus  ^^/i.     Plexus  pharyngeus. 

Die  Nervenfasern,  mit  welchen  der  Vagus  sich  an  der  Bildung  des  Plex.  3.  k.  u.  pi. 
pharyngeus  betheiligt,    gehen  vom   oberen   Theil   des   Plexus  ganglioformis  ^^  ^^^"8- 


^)  R.   communicans   iiif.   n.   glossopharyngel  et  vagi   Val.      ^)   Bendz,   a.   a.   0.   Taf.  1,10. 
■')  A.   a.   0.   S.   22.  "  ' 

28* 


436  Plexus  pharyngeus. 

Tor- abwärts  ab,  in  Einem  Stämmcben  oder  in  zweien,  einem  stärkeren 
oberen  ^)  und  einem  dünneren  unteren  ^) ;  selten  zerfallen  sie  in  eine  grössere 
Zabl  feinerer  Fäden  ^).  Mit  dem  R.  pharyngeus  des  Glossopharyngeus  und  mit 
sympathischen  Zweigen  bilden  sie  den  Plexus  pharyngeus  (Fig.  260),  der  an 
der  Seitenwand  des  Pharynx  in  der  Höhe  des  M.  hyopharyngeus  liegt,  zu- 
weilen eine  oder  mehrere  gangliöse  Anschwellungen  *)  einschliesst  (C.  Krause) 
und  seine  Aeste  strahlenförmig  gegen  Schlund  und  Gaumen  entsendet. 
Einer  dieser  Aeste  geht  fast  gerade  aufwärts  zum  unteren  Ende  des  M.  pe- 
trostaphylinus  (Fig.  260 ps).  Ein  Ast  des  Plexus  pharyngeus  ist  der  B.  linguaUs 
n.  Vagi  Luschka,  der  sich  mit  dem  N.  hypoglossus  verbindet  (s.  diesen). 

Die  terminalen  Zweige  des  Plexus  pharyngeus  sind  wahrscheinlich  ge- 
mischter Natur  und  es  lässt  sich  annehmen,  dass  der  N.  glossopharyngeus 
vorzugsweise  die  sensibeln  Fasern  liefert ,  obschon ,  wie  oben  erwähnt, 
Volkmann  und  Hein  den  M.  stylopharyngeus,  der  erste  auch  denM.  hyo- 
pharyngeus durch  Reizung  der  Wurzeln  des  N.  glossopharyngeus  in  Con- 
traction  versetzt  zu  haben  behaupten.  Jedenfalls  fiele  den  motorischen  Fa- 
sern der  Vaguswurzel  des  Plexus  pharyngeus  die  Innervation  der  Mm.  ce- 
phalopharyngeus,  palatopharyngeus,petrostaphylinus  und  palatostaphylinus  zu. 
Dass  diese  Fasern  bei  Thieren  an  ihrem  centralen  Ursprung  im  Vagus 
enthalten  sind,  steht  durch  Volkmann's  Versuche  fest  (S.  431).  Doch  zieht 
Bernard  aus  den  Folgen  der  Ansreissung  des  Accessorius  den  Schluss,  dass 
bei  der  Innervation  des  Pharynx  in  ähnlicher  Weise,  wie  bei  der  des  Kehlkopfs, 
Vagus- und  Accessoriusfasern  in  einander  greifen,  DieThiere,  deren  Accesso- 
rius zerstört  ist,  verlieren  nicht  die  Fähigkeit,  zu  schlingen,  doch  wird  das 
Schlingen,  namentlich,  wenn  sie  aufgeregt  sind,  beschwerlich  und  daran  trägt, 
wie  Bernard  meint,  die  mangelhafte  Verschliessung  der  Glottis  die  Schuld,  die 
durch  den  Einüuss  motorischer  Accessoriusfasern  auf  den  M.  laryngopharyn- 
geus  zu  Stand«  kommen  soll.  Burckhard^)  fand  bei  Kaninchen,  denen  erden 
Accessorius  ausgerissen  hatte,  zahlreiche  degenerirte  Fasern  in  einem  zum 
Pharynx  ziehenden  Aste  des  N.  vagus.  Beim  Menschen  stammt  nach  Bendz  ^) 
und  Longet'')  der  bei  weitem  grösste  Theil  der  Fasern  des  R.  pharyngeus 
aus  dem  Accessorius,  nach  Scarpa  treten  zwei,  nach  T.  Bischoff^)  tritt 
Ein  Bündel  des  Accessorius  mit  einem  Bündel  des  Vagus  zur  Bildung  des 
R.  pharyngeus  zusammen;  nach  Cruveilhier  erfolgt  der  Ursprung  dieses 
Zweiges  regellos  bald  allein  aus  dem  Vagus,  bald  allein  aus  dem  Acces- 
sorius, bald  aus  beiden  zugleich.  Den  Ursprung  aus  dem  Accessorius  zeigt 
das  Fig.    260  abgebildete  Präparat  (ph'). 

Spence  (Edinb.  med.  and  surg.  Journ.  LVIII,  397)  leitet  den  N.  pharyngeus 
von  einer  Wurzel  des  N.  vagus  ab,  die  an  dem  Ggl.  jugulare  vorübergehen  soll, 
lind  von  einem  Zweig  des  Accessorius,  der  sich  unterhalb  des  Ganglion  mit  jener 
Wurzel  verbinde.  Volkmaun  (Müll.  Arch.  1844,  S.  337)  lässt  die  Spence'sche 
Wurzel  nur  als  seltene  Ausnahme  gelten,  da  er  sie  an  zehn  Köpfen  vergebens 
suchte.  Bei  der  Katze  sieht  Remak  (Froriep's  N.  Not.  IUI,  51)  den  unteren  Theil 
der  Wurzelfäden  des  Vagus,  die  er  dessen  spinale  Wurzel  nennt,  an  dem  Gang- 
lion vorübergehen,  doch  hat  er  den. weiteren  Verlauf  dieser  Fäden  nicht  verfolgt. 


1)  N.  pharyngeus  sup.  s.  primus  s.   maj.  ^)  N.  pharyngeus  Inf.   s.   secundus  s.  minor. 

^)  Er.  pharyngei  niedii  s.  tenuiores  Val.        ^)  Ggl.  phnri/ngeum    Val.       •'')  Heidenhain's 

Studien  des  physiol.  Instituts  zu  Breslau.  Hft.  4,  S.  250.     «)  A.   a.   0.   S.   18.      '^)  A.  a.  0. 

JI,  24.      ^j  N.   acressoiii  Willisii   anatomia,    p.  30. 


N.  laryngeus  siip.  437 


4.     N.  laryngeus  siip.  Irs. 

Entspringt  vom  Plexus   ganglioformis    unterhalb    des   R.   pharyngeus,  4.  Laiyng 
geht,  steiler  als  dieser,  an  der  inneren,  seltener  an   der  äusseren   Seite    der  ^"^' 
Carotis  int.   herab,   nimmt  Zweige   aus    dem  Plexus  pharyngeus   und   dem 
Ggi.  cervicale  supr.  auf  und  theilt  sich  in   zwei   Aeste,   die   mitunter  schon 
gesondert  aus  dem  Stamm  des  Vagus  hervorgehen. 

a.  B.  externus  (Fig.  261)  Irs'  ■*)  läuft  auf  der  äusseren  Fläche  des  M.laryngo- 
pharyngeus  schräg  vorwärts  herab ,  über  den  absteigenden  Aesten  aus  dem 
Plexus  pharyngeus,  die  er  unter  spitzem  "Winkel  kreuzt.  Er  nimmt  einen 
Yerbindungsfaden  vom  Ggl.  cervicale  supr.  auf  und  sendet  einen  Ast  von  wech- 
selnder Stärke  gerade  abwärts  zum  Plexus  cardiacus(Fig.  261  *)  und  einen  fei- 
nen Zweig  mit  der  A.  thyreoidea  sup.  oder  einem  Aste  derselben  zur  Spitze  der 
Gland.  thyreoidea.  Dann  wendet  er  sich  in  dem  Bindegewebe,  welches  den 
M.  laryngopharyngeus  deckt,  oder  in  der  Furche  zwischen  dessen  beiden 
Ursprüngen  (von  den  Cartt.  thyreoidea  und  cricoidea)  vorwärts  und  sendet 
vom  oberen  Rande  feine  Fädchen  in  den  genannten  Muskel,  vom  unteren 
Rande  einen  Faden  in  den  M.  cricothyreoid.  obliquus.  Am  vorderen  Rande 
des  letzteren  senkt  er  sich  in  die  Tiefe  und  verliert  sich  theils  im  M.  crico- 
thyreoid. rectus,  theils  in  der  den  Kehlkopf  auskleidenden  Membran. 

Ueber  das  Ende  dieses  Nerven  gehen  die  Ansicliten  der  Anatomen  weit  aus- 
einander. Die  meisten  lassen  ihn  ganz  im  M.  cricoth3ri-eoid.  aufgehen;  Meckel 
spricht  von  Fäden,  welche  zwischen  der  Cart.  thyreoidea  und  cricoidea  zur 
Schleimhaut  des  Kehlkopfs  gelangen.  Bach  (Annot.  anat.  de  nervis  hj^poglosso 
et  laryngeis.  Turici  1834,  p.  23)  beschreibt  einen  in  den  Kehlkopf  eindringenden 
Ast,  der  den  M.  crico-ar3'^taenoid.  lateralis  versorge;  Luschka  (der  Kehlkopf  des 
Menschen,  Tübingen  1871,  S.  160)  verfolgte  den  Nerven  durch  diesen  Muskel  oder 
zwischen  ihm  und  dem  M.  thyreo-arytaenoid.  zur  Schleimhaut  des  unteren  Stimm- 
bandes. 

Nach  Meckel,  Reid  (a.  a.  0.  S.  105)  und  C.  Mayer  (N.  Acta  natur.  curios. 
Vol.  XXIII,  P.  2,  p.  721)  erhält  der  M.  thj'reohyoideus  ,  nach  Cloquet  auch  der 
M.  sternohyoideus  Zweige  vom  E.  ext.  des  N.  laryngeus  sup.  Bach  erwähnt 
Aeste  zum  M.  sternohyoid.,  hält  sie  aber  für  unbeständig;  C.  Krause  führt  un- 
beständige Aeste  zu  den  Mm.  sternohyoid.  und  thyreohyoid. ,  Arnold  derglei- 
chen zum  M.  sternothyreoid.  auf.  In  den  letztgenannten  Muskel  und  zwar  zu 
dem  oberen,  mit  dem  Ursprung  des  M.  laryngopharyngeus  von  der  Cartilago  thy- 
reoidea zusammenfliessenden  Ende  desselben  sah  auch  ich  ein  Fädchen  übergehen. 
Eeid  berichtigt  aber  seine  anatomische  Angabe  mittelst  des  physiologischen  Ex- 
periments dahin,  dass  ihm  die  galvanische  Reizung  des  N.  laryng.  sup.  oberhalb 
des  R.  externus  niemals  Zuckungen  in  anderen  Muskeln  als  dem  Cricothyreoid. 
ergeben  habe. 

Einmal  sah  ich  den  R.  ext.  des  laryng.  sup.  einen  Fadeu  zu  dem  unteren 
Ende  des  Plexus  phar3'ng.  senden. 

b.  B.  internus  (Irs"'^)  gelangt  unter  der  Spitze  des  grossen  Zungenbein- 
horns  um  die  Aussenseite  des  Lig.  hyothyreoid.  laterale,  mit  der  A.  laryn- 
gea  sup.,  an  die  Aussenfläche  der  Seitenwand  des  Pharynx  und    theilt   sich 


■^)  R.  superior.      N.  laryngeus   sup.eoit.   C  Krause.   R.  cricothyreoldeus.      -)  R.  laryngeus 
int.  C.  Krause. 


438 


N.  laryngeus  sup. 


in  drei  Aeste  ^) ,  die  sich  sogleich  und  wiederholt  gabelförmig  spalten  und 
divergirend  zwischen  der  Zungenwurzel  und  dem  Anfang  der  Trachea 
ausbreiten.       Der     obere     Ast     versorgt     die    Plicae     ary-epiglotticae ,     die 

Fig.  261. 


Gcs 


Profilansicht  des  Kehlkopfs  und  des  Pharynx.  Der  M.  laryngopharyngeus  (Lp'^, 
L p^)  der  Länge  nach  gespalten.  1  Zungenbein.  2  Lig.  hyothyreoid.  med.  3  Cart. 
thyreoidea,  das  obere  Hörn  abgebrochen.  4  Cart.  cricoidea.  5  Tunica  nervea  des 
Pharynx  und  Oesophagus.  TÄ  Ursprung  des  M.  thyreohyoid.  Ctr,  Cto  Mm.  crico- 
thyreoid.  rect.  und  obliq.  Gcs  Ggl.  cervic.  supr.  S  Grenzstrang  des  Sympath. 
Irs  N.  laryng.  sup.  Irs'  dessen  äusserer,  Irs"  dessen  innerer  Ast.  *N.  cardiacus 
des  N.  laryngeus  sup.,  mit  Aesten  des  Sympath.  zum  Plexus  cardiacus  zusammen- 
tretend,     l  r  i  N.  laryng.   inf.     ;;  h  R.   pharyng.   vagi. 


^)  Cruveilhier  unterscheidet  zwei   Gruppen    von    Aesten,    Rr.  anteriores  s.  epiglottlci 
und  posU.  s.   lurytigtl. 


N.  laryngeus  siip.  439 

Plica  glosso-epiglottica  und  die  nächst  angrenzende  Region  dei*  Zungen- 
wurzel, der  mittlere  die  Seiten  wand  des  Kehlkopfs  innerhalb  der  Cart. 
thyreoidea ,  der  untere  Ast  verzweigt  sich,  fast  gerade  absteigend, 
in  der  Schleimhaut,  die  den  M.  arytaenoid.  gegen  die  Kehlkopfs-  und  Pha- 
rynxhöhle  deckt  und  schickt  Einen  Ast  einem  aufsteigenden  Aste  des  N. 
laryngeus  inf.  entgegen,  der  bei  diesem  Nerven  wieder  zur  Sprache  kommen 
wird.  Daselbst  soll  auch  angegeben  werden,  was  physiologischerseits  über 
die  Vertheilung  beider  Nn.  laryngei  an  die  Musculatur  und  Schleimhaut 
die  Kehlkopfs  ermittelt  ist.  Die  anatomische  Untersuchung  lehrt  allerdings 
schon,  dass  ein  grosser  Theil  der  Fasern  des  N.  laryngeus  sup.  die  Muskeln 
der  Seitenwand  und  des  Kehlkopfs  nur  durchsetzt,  um  in  der  Schleimhaut 
sich  zu  verästeln. 

Var.  Cruveilhier  sah  eleu  N.  laryngeus  sup.  aus  zwei  Wurzeln  sich  zu- 
sammensetzen: zu  der  gewöhnlichen  und  stärkereu  aus  dem  Stamme  des  Vagus 
trat  noch  eine  feinere   aus  dem  N.  glossopharyng. 

Vom  Stamme  des  N.  laryngeus  sup.,  öfters  auch  mit  einer  zweiten  Wurzel  N.  depres- 
vom  Vagus  selbst,  entsijriiigt  beim  Kaninchen  ein  durch  seinen  Verlauf  und  seine  ^"^' 
physiologischen  Eigenschaften  gleich  ausgezeichneter  Nerve,  iV.  depressor  Cyon 
und  Ludwig  (Ber.  der  sächs.  Gesellsch.  der  Wissensch.  1866,  Oct.).  In  unmittel- 
barer Nähe  des  N.  sympathicus  läuft  er  an  der  A.  carotis  comm.  zur  Brusthöhle 
herab,  um  sich  mit  anderen  Vagus  -  und  sj'mpathischeu  Zweigen  zum  Plexus  car- 
diacus  zu  verbinden.  Das  physiologische  Experiment  aber  bezeichnet  ihn  als  einen 
sensibeln  oder  wenigstens  ceutripetalen  Nerven,  indem,  nach  der  Trennung  dessel- 
ben am  Halse,  die  Reizung  des  peripherischen  Stumpfs  erfolglos  bleibt,  die  Rei- 
zung des  centralen  Endes  aber  den  Druck  im  Arterieusystem  und  die  Pulsfrequenz 
herabsetzt.  Die  Abnahme  der  Pulsfrequenz  ist  Folge  eines  Reflexes  vom  N.  de- 
pressor auf  den  N.  vagus;  sie  bleibt  aus,  wenn  vor  der  Reizung  des  centralen 
Fjudes  des  N.  depressor  beide  Nn.  vagi  durchschnitten  worden  waren.  Die  Ab- 
nahme des  Drucks  im  arteriellen  System,  bedingt  durch  Verminderung  des  Tonus 
der  Gefässe,  hauptsächlich  des  Unterleibs,  ist  ein  Beispiel  jenes  Antagonismus 
zwischen  sensibeln  und  Gefässnerven ,  den  ich  zuerst  aus  den  Erscheinungen  der 
Congestion  und  Entzündung  deducirte  und  den  die  experimentireude  Physiologie 
durch  die  unmittelbare  Reizung  sensibler  Aeste  bestätigt  hat. 

Dreschfeld  und  Stelling  machten  die  Beobachtung,  dass  Fasei'u  von  der 
physiologischen  Eigenschaft  des  N.  depressor  auch  im  Stamme  des  Vagus  verlau- 
fen und  erklären  aus  der  wechselnden  Zahl  solcher  Fasern  die  Schwankungen  im 
Kaliber  des  N.  depressor. 

Unter  mehr  als  40  Kauiucheu,  welche  Cj'on  und  Ludwig  untersuchten,  fan- 
den sie  nur  Einmal  eine  Ausnahme  von  dem  oben  beschriebenen  Verlauf;  sie  be- 
stand darin,  dass  der  Nerve  in  der  Mitte  des  Halses  in  den  Stamm  des  Vagus  zu- 
rückkehrte und  sich  an  der  Eildung  eines  kleinen  Geflechtes  betheiligte ,  aus  wel- 
chem er  weiter  unten  gesondert  wieder  hervortrat.  Bei  der  Katze  fand  Bern- 
hardt (Anatom,  und  phj'siolog.  Unters,  über  den  N.  depressor  bei  der  Katze. 
Dorpat  1868)  einen  Nerven,  der  dem  Depressor  des  Kaninchens  in  Ursprung, 
Function  iind  zuweilen  auch  im  Verlaufe  glich,  doch  senkte  er  sich  in  anderen 
Fällen  nach  längerem  oder  kürzerem  Verlauf,  öfters  schon  15  Mm.  unterhalb  sei- 
nes Ursprungs  in  den  Stamm  des  N.  vagus  oder  des  N.  sympathicus  ein.  Unter 
nahezu  30  Katzen  fehlte  dieser  Nerve  nur  ein  einziges  Mal  beiderseits,  bei  y^  der 
untersuchten  Thiere  war  er  auf  Einer  Seite,  bei  den  übrigen  auf  beiden  Seiten 
vorhanden.  Unter  vier  von  Bernhardt  secirten  Hunden  besass  Einer  einen 
Nerven  vom  Verlauf  des  N.  depressor  des  Kaninchens;  derselbe  ging  vom  centra- 
len Ende  des  N.  larjmgeus  sup.  als  ein  äusserst  dünnes  Fädchen  ab  und  trat, 
etwa  4  Cm.  weiter  unten,  in  die  dem  Vagus  und  Sympathicus  gemeinsame  Scheide 
ein.  Aubert  imd  Rover  erwähnen  einen  N.  depressor  vom  Igel.  (Vgl.  Meiss- 
ner's  Jahresberichte  1866,  S.  425.   1867,  S.  563.   1868,  S.  43U.) 


440 


N,  laryngeus  inf. 


6.  ]jarviig. 
inf. 


Fig-.  262. 


Beim  Menschen,  wie  beim  Pferde,  fasst  Bernhardt  einen  Nerven  als  De- 
presfc'or  auf,  der  aus  dem  Plexus  ganglioformis  mit  dem  N.  laryngeus ,  wie  eine 
zweite  Wurzel  dieses  Nerven,  entspringt  und  alsbald  zum  Stamm  des  Vagus  zu- 
rückläuft. Es  ist  eine  Vermutliung,  deren  experimentelle  Prüfung,  wenigstens  für 
das  Pferd,  abzuwarten  sein  dürfte.  Einen  dem  N.  depressor  des  Pferdes  ähnlichen, 
nur  schwächeren  Nerven  fand  Alix  (Journ.  de  Zoologie  I,  279)  beim  Hippopotamus. 

5.     Rr.  cardiaci. 

Dünne,  lange  Fäden,  einer  bis  drei,  zuweilen  melir,  häufig  ungleich  an 
Zahl  auf  beiden  Seiten  desselben  Körpers  und  dann  zahlreicher  auf  der 
rechten  Seite  (Meckel),  um  so  späi'licher  und  feiner,  je  stärker  der  R.  car- 
diacus  des  N.  lai-yngeus  sup.  Sie  gehen  an  der  vorderen  oder  hinteren 
Seite  der  Carotis  comm.  herab,  und  verbinden  sich  theilweise  schon  am  Halse, 
theilweise  am  Eingang  des  Thorax  mit  Zweigen  des  Sympathicus  zum  Plexus 
cardiacus,  s.  diesen. 

(i.     N.  laryngeus  inf.  Iri^). 

Wendet  sich  von  vorn  nach  hinten 
rechts  um  die  A.  siibclavia,  links 
ZLir  Seite  des  Lig.  arteriosum  um 
den  Aortenbogen,  den  Gefässstamm 
jederseits  schlingenförmig  umfas- 
send (Fig.  2-59)  und  steigt  an  der 
Seite  der  Trachea  und  des  Oesopha- 
gus in  der  von  beiden  begrenzten 
Furche  empor.  Bedeckt  vom  M.  la- 
ryngopharyngeus,  unter  dessen  un- 
teren Rand  er  sich  begiebt  oder  den 
er  in  der  Nähe  des  unteren  Randes 
durchbohrt,  zerfällt  er  hinter  der 
Articulatio  crico-thyreoidea  in  die 
Endäste ,  von  denen  Einer  mit 
einem  der  abwärts  laufenden  Zweige 
des  N.  laryngeus  sup.  anastomosirt 
(Fig.  262*),  indess  die  übrigen  sich 
an  sämmtliche  Muskeln  des  Kehl- 
kopfs, mit  Ausnahme  der  Mm.  crico- 
thyreoidei  rectus  und  obliquus,  ver- 
ästeln. Zuweilen  sendet  er  den  Ver- 
Kehlkopf von  der  Kückseite  mit  dem  oberen  bindungsast  zum  N.  laryngeus  sup. 
Ende  des  N.  laryngeus  inf.  und  dem  untei-en  schon  früher  ab ,  bevor  er  den  un- 
AstedesR.int.desN.laryng.sup^(Zr.).  1  Cart.  ^^^.^^^  p^^^^|  ^^^^  ^^  laryngopharyn- 
thyreoidea,  zur  Seite  gebogen.   2  Cart.  ericoidea.  j     o    l         j 

.3  Durch  die  vordere  Wand  des  Pharynx  durch-  geus  erreicht  hat.  Der  den  Kehl- 
schimmernde Cart.  eorniculata.  4  Seitliche  kopfmuskeln  bestimmte  Zweig  theilt 
innere  Kehlkopfmuskeln.     5  Muskeln  zwischen        .   ,  ••    i     j.   •  •       •  i  ■    x 

]      n    ,.         ;        -,      r   1     r  2  M    io ,^      Sich  zunächst  m  zwei,  einen  hinte- 

den  Cartt.   arytaenoid.      Lp^,   Lp''  M.   laryngo-  _' 

pharyng.     Cap  Ursprung ,   Cap'  Insertion  des    ren ,    der   den   M.   crico  -  arytaenoi- 
durchschnittenen  M.crico-arytaen.  post.*Ana-     deus  post.    versorgt    und    sich    zwi- 
schen ihm  und  der   Cart.   ericoidea 


stomose    zwischen    Zweigen    der    Nn.    laryng 
sup.  und  inf. 


•')  N.   recurrens  s.   adscendens. 


zum    M.    arytaenoideus    erstreckt, 


N.  laryngeus  inf.  441 

und  einen  vorderen ,  von  dem  die  an  der  Seitenwand  des  Kehlkopfs  gele- 
genen Muskeln  ihre  Nerven  empfangen.  Rudi ng er  hat  zarte  Fädchen  zu 
den  Kapseln  der  Kehlkopfgelenke  verfolgt. 

Die  Stärke  des  N.  laryngeus  inf.  ist  verschieden  je  nach  der  grösseren 
oder  geringeren  Zahl  von  Aesten ,  die  er  an  die  nächste  Umgebung  abgiebt. 
Zuweilen  steht  sein  Kaliber  hinter  dem  der  Fortsetzung  des  Stammes  kaum 
zurück.  Die  aus  ihm  und  zwar  zunächst  aus  der  Convexität  der  Schlinge 
entspringenden  Aeste  gehen  seitwärts  zum  Ggl.  cervic.  inf.  des  Sympathicus, 
abwärts  zum  Plexus  cardiacus  —  Nn.  cardiaci  inff.  —  und  zu  den  Plexus 
pulmonales ;  aus  dem  aufsteigenden  Theil  des  Nerven  entspringen  feine 
Aeste  zur  Trachea  und  stärkere ,  die  sich  auf  dem  Oesophagus  netzförmig 
verzweigen,  Hr.  tracheales  und  oesophagei  supp.,  endlich  jAeste  zum  M.  la- 
ryngopharyngeus. 

(i)  Nach.  Schlemm  (Müll.  Arcli.  1836,  S.  XXIV)  erhält  auch  die  Gland. 
tliyreoidea  Zweige  vojn  N.  laryng.  inf. 

V  a  r.  In  drei  Fällen,  jedesmal  recliterseits,  beobachtete  Wrisberg  (Ludwig, 
Script,  neurol.  min.  IV,  57)  eine  Verdoppelung  des  N.  laryngeus  inf.  Der  über- 
zählige kleinere  Nerve  entsprang  unter  dem  normalen ,  verlief  mit  ihm  zwi- 
schen Oesophagus  und  Trachea  aufwärts  und  zerfiel  in  mehrere  Fäden,  von  denen 
der  stärkste  sich  wieder  mit  dem  normalen  N.  laryng.  inf.  vereinigte. 

Die  Anomalie  der  grossen  Gefässstämme,  welche  darin  besteht,  dass  die  A. 
subclavia  dextra  am  linken  Ende,  des  Aortenbogens  entspringt  \ind  hinter  dem 
Oesophagus  nach  rechts  hinübergeht  (G-efässlehre  S.  221)  ,  ist  regelmässig  mit 
einem  abnormen  Verlauf  des  N.  laryngeus  inf.  der  rechten  Seite  verbunden.  Es 
steigt  nämlich  dieser  Nerve  alsdann,  statt  die  Subclavia  zu  umschlingen,  direct 
vom  Stamme  des  Vagus  zum  Kehlkopf  empor.  Einige  Beispiele  dieser  Varietät 
und  die  Erklärung  derselben  aus  der  Entwickelungsgeschichte  findet  man  bei 
W.  Krause  und  Telgmaun,  die  Nerveuvarietäten  des  Menschen.  Lpz.  1868, 
S.  18. 

Selten  erhält  der  M.  cricothyreoideus  ein  Fädchen  an  seiner  inneren  Fläche 
aus  dem  N.  laryngeus  inf.  (Reid,  a.  a.  O.  p.  104.  Unter  acht  Fällen  Einmal, 
Bach,  a.  a.  0.  p.  29). 

Die  den  Oesophagus  versorgenden  Aeste  des  N.  laryngeus  inf.  sah  Kollmann 
(Ztschr.  für  wissensch.  Zool.  X,  431)  einmal  beim  Hunde  und  einmal  beim  Kanin- 
chen unter  mehr  als  80  Fällen,  Rüdinge  r  einige  Male  beim  Menschen  mit  Gang- 
lien besetzt.  Verson  (Beitr.  zur  Kenntniss  des  Kehlkopfs  und  der  Trachea. 
Wien  1868,  S.  8)  fand  Nervenzellen  an  den  Aesten  der  Nn.  laryngei  sup.  und  inf. 
unmittelbar  vor  ihrer  VerzAveigung  in  den  Muskeln  und  wirkliche,  längliche  Gang- 
lien in  der  hinteren  Faserhaut  der  Trachea. 

Schon  aus  der  anatomischen  Untersuchung  der  Kehlkopfsnerven  hatte 
sich  ergeben,  dass  die  Schleimhaut  des  Kehlkopfs  ihre  sensiblen  Fasern 
hauptsächlich  aus  dem  inneren  Ast  des  N.  laryngeus  sup.  bezieht,  dass  da- 
gegen der  äussere  Ast  dieses  Nerven  den  Mm.  crico-thyreoidei,  der  N.  laryn- 
geus inf.  den  inneren  Muskeln  des  Kehlkopfs  motorische  Fasern  zuführt. 
Doch  ist  der  Anatom  kaum  in  der  Lage,  sich  zu  versichern,  ob  nicht  von 
den,  die  Muskeln  durchsetzenden  sensibeln  Zweigen  feine  Fäden  in  den 
Muskeln  verbleiben,  und  ob  nicht  von  den  Muskelästen  Fäden  bis  zur 
Schleimhaut  vordringen.  Auch  die  physiologische  Prüfung  der  Aeste  hat 
nicht  immer  die  gleichen  Ergebnisse  geliefert.  So  glaubte  Magendie  ge- 
funden zu  haben,  dass  Reizung  des  N.  laryngeus  sup.  die  Verengung,  des 
N.  laryngeus  inf.  die  Erweiterung  der  Glottis  zur  Folge   habe.     Valentin 


442  N.  laryngeus  inf. 

(De  funct.  nerv.  p.  47)  führt  eigene  und  fremde  Beobacatungen  an,  wonach 
auf  Reizung  des  N.  laryngeus  sup.  nicht  nur  Schmerzensäusserungcn,  son- 
dern auch  Zuckungen  der  inneren  Kehlkopfmuskeln  eingetreten  seien ;  doch 
scheint  hierbei  nicht  die  nöthige  Vorsicht  angewandt  worden  zu  sein,  uai 
Reflexbewegungen  auszuschliessen.  Heutzutage  wird  fast  ohne  Widerspruch 
die  Lösung  der  Frage  anerkannt,  welche  Long  et  gegeben  hat,  und  welche 
auch  mit  dem  anatomischen  Befund  übereinstimmt.  Darnach  ist  der  N.  la- 
ryngeus sup.  ein  gemischter  Nerve ,  der  aber  bei  seiner  Theilung  in  den 
äusseren  und  inneren  Ast  sämmtliche  motorische  Fasern  an  jenen,  die  sen- 
sibeln  an  diesen  abgiebt.  Reizung  des  inneren  Astes  ist  sehr  schmerzhaft, 
erregt  aber  keine  Zuckung;  Reizung  des  äusseren  Astes  schien  kaum 
empfunden  zu  werden.  Die  Durchschneidung  des  N.  laryngeus  sup.  beein- 
trächtigt die  Stimme  mir  dann,  wenn  der  Schnitt  den  Nerven  oberhalb  des 
Abgangs  des  äusseren  Astes  trifft;  Trennung  des -inneren  Astes  allein  am 
oberen  Rande  der  Cart.  thyreoidea  ist  ohne  Einfluss  auf  die  Bewegungen  der 
Stimmbänder;  Trennung  der  in  die  Mm.  cricothyreoidei  eintretenden  Ner- 
ven alterirt  die  Stimme  in  derselben  Weise,  wie  die  Durchschneidung  des 
Stammes  des  N.  laryng.  sup.  Der  Durchschneidung  des  N.  laryngeus  inf.  folgt 
bei  erwachsenen  Thieren  völlige  Stimmlosigkeit ;  bei  jungen  Thieren  genügt, 
wegen  der  Weichheit  der  Knorpel,  die  Wirkung  der  Mm.  cricothyreoidei, 
um  nach  Lähmung  der  übrigen  Muskeln  die  Stimmbänder  noch  so  weit  zu 
dehnen  und  einander  zu  nähern,  dass  bei  heftigem  Anspruch  Töne  erzeugt 
werden,  Uebrigens  hält  Longet  den  N.  laryng.  inf.  für  einen  gemischten 
Nerven,  da  er  am  Oesophagus  nicht  nur  die  Muskel-,  sondern  auch  die 
Schleimhaut  versorge.  Nach  Valentin  veranlasste  Reizung  des  N.  laryng. 
inf.  keinen  oder  nur  geringen  Schmerz. 

Was  den  anastomotischen  Ast  zwischen  den  Nn.  laryng.  sup.  und  inf. 
betrifft,  so  ermittelten  Philipeaux  und  Vulpian  i)  durch  die  Waller'sche 
Methode  (bei  Hunden),  dass  er  seine  Fasern  ausschliesslich  in  der  Richtung 
vom  oberen  zum  unteren  Nerven  führt.  Nachdem  er  sich  an  den  letzteren 
angelegt,  theilt  er  sich  in  zwei  Zweige;  der  feinere  bleibt  in  Verbindung 
mit  dem  N.  laryng.  inf.;  vielleicht  liefert  er  die  sensibeln  Aeste  des  Oeso- 
phagus; der  stärkere  verbreitet  sich  weiter  unten  in  der  Schleimhaut  der 
Trachea.  Zuweilen  kreuzt  sich  der  anastomotische  Ast  des  N.  laryngeus 
sup.  ganz  oberflächlich  unter  spitzem  Winkel  mit  dem  N.  laryngeus  inf., 
um  zur  Schleimhaut  des  Pharynx  gegenüber  der  Platte  der  Cart.  cricoidea 
zu  gelangen  (Luschka  '■^). 

Das  Verhältniss  des  N.  accessorius  zu  den  Kehlkopfmuskeln  habe  ich 
bereits  besprochen  (S.  431).  Waller'^)  constatirte  nach  dem  Ausreissen  der 
Accessoriuswurzeln ,  dass  die  mit  dem  Vagus  verlaufenden  degenerirten 
Fasern  zum  grossen  Theil  in  den  N.  laryngeus  inf.  übergingen;  Burck- 
hard  zufolge'*)  enthielt  nach  jener  Operation  der  N.  laryngeus  inf.  aus- 
schliesslich degenerirte  Fasern,  der  N.  laryugeus  sup.  neben  wohlerhaltenen 
Fasern  eine  Anzahl  degenerirter,   die  mit  dem  äusseren  Ast  austraten.     Die 


1)  Arch.  de  physiol.  1869.  p.  ö66.  ^)  Der  Kehlkopf  des  Menschen.  Tübingen  1871, 
S.  161.  3)  Gaz.  med.  1856,  Nro.  27.  ■*)  Heidenhain's  Studien  des  pliysiol.  Institute 
zu  Breslau,  Hei't  4,  S.  250. 


Plexus  piümon.  ant.  443 

Abhängigkeit  dieses  Astes  vom  N.  accessorius  wurde  auch  dadurch  bewie- 
sen, dass  es  nach  Zerstörung  des  N.  accessorius  nicht  mehr  gelang,  vom 
N.  laryngeus  sup.  aus  Zuckungen  der  Mm.  cricothyreoidei  hervorzurufen.  Nach 
Chauveau  aber ^)  werden  durch  Reizung  der  Accessoriuswurzeln  sämmt- 
liche  Muskeln  des  Kehlkopfes  in  Contraction  versetzt  mit  Ausnahme  der 
Mm.  cricothyreoidei,  die  erst  auf  Reizung  der  mittleren  Wurzeln  des  Vagus 
sich  zusammenziehen. 


7.    Plexus  pulmonalis  ant.  JPpa, 

Zunächst  nach  dem  N.  laryngeiis  inf.  sendet  der  Stamm  des  N.  vagus  7.  pi.  r"im 
einige  feine  Zweige  ^)  ab-,  vor-  und  medianwärts  aus ,  die  sich  theilweise  in 
den  Plexus  cardiacus  einsenken,  theilweise  an  der  Vorderfläche  der  Trachea 
ein  weitläufiges  Greflecht  erzeugen ,  in  welchem  Nerven  beider  Körperseiten 
mit  einander  anastomosiren.  Aus  dem  Geflechte,  PJexiis  pulmon.  ant.  ^), 
gehen  kurze  Fäden  zur  vorderen  und  hinteren  Fläche  der  Trachea,  Br.  tra- 
cheales  inff.,  hervor,  die  sich  an  die  Rr.  tracheales  des  N.  laryngeus  inf.  an- 
schliessen,  und  längere  Aeste ,  Mr.  bronchiales  antt. ,  die  die  Luftröhrenäste 
begleiten  und  an  deren  Vorderfiäche  in  die  Lunge  eindringen. 

Von  den  rechtsseitigen  Wurzelfaden  des  Plexus  pulmonalis  ant.  zweigt 
sich  ein  Aestchen  ab,  welches  sich  im  oberen  Theil  des  Herzbeutels  und  in 
der  V.  cava  sup.  verbreitet  (Luschka  4). 

Wrisberg  (Ad  Hall.  in-,  lin.  Not.  75)  beschreibt  einen  Ast,  der  aus  dem  rech- 
ten Vagus  nach  dem  Abgange  des  N.  laryng.  inf.  entsprang ,  zwischen  der  A.  ano- 
nyma  und  dem  rechten  Bronchus  vorwärts  durchging  und  sicli  in  zwei  Aestchen 
theilte,  deren  einer  ein  N.  cardiacus  wurde,  indess  der  andere  zur  Liinge  liinabgiug 
und  mit  einem  anderen  Aste  des  Vagus  ein  Ggl.  pulmonale  zusammensetzte,  welches 
hinter  der  Einmündung  der  V.  azygos  in  die  V.  cava  lag  und  seine  Fäden  zur 
Lunge  scliickte. 


8.    Plexus  pulmonalis  post.   JPpl^  ^). 

Er  wird  von  3  bis  5  starken,   platten  Aesten  gebildet,    die  in  der  Ge-  s.  pi.»  uim. 
gend  der  Theilungsstelle  der  Tracchea  dicht  übereinander   aus   den  Vagus-  ^°^*' 
stammen  hervorgehen,  und  sich  unter  sich  und  mit  Aesten  des  Plexus  cardia- 
cus und  des  untersten  Cervicalganglion  des  Sympathicus  verflechten  (Fig.  263). 
Feinere,  aber  immer  noch  netzförmig  anastomosirende  Zweige  setzen    sich 
von  der  Trachea  auf  den  Bronchus  und  mit  den  Aesten  des  letzteren  in  die 
Lunge  fort,   die  meisten  auf  ihrer  Seite;    doch  findet  ohne  Zweifel  auch  ein 
Austausch  der  Fasern  beider  Seiten   statt.     Diesen  Austausch  physiologisch' 
zu  beweisen,  könnte  die  einseitige  Durchschneidung  des  Vagus  dienen,  wenn 
Schiffs  Angabe^)    sich  bestätigte,   dass  die  Folge  der  Operation,  die  ent- 


1)    Meissner's     Jahresbericht   1862,    S.  495.  ^)    Rr.    tracheales    inff.  C.   Krause. 

^)  Plexus  trachealis  ant.  inf.  ^)  Der  N.  phrenieus  des  Menschen.  Tübingen  1853.  Tat'.  II, 
Fig.  2.  ^)  PL  p.  major.  PI- bronchialis.  PI.  pulmonalis  C,  Krause,  ^)  Archiv  für  physiol, 
Heilk.  VI,  777. 


444 


Plexus  piümonalis  post. 


zündliche   Infiltration   des   Lungenparenchyms,    sich    an  zerstreuten  Stellen 
heider    Lungen    hemerklich     mache.     Auch    dass,     wie    Andere   gefunden 

haben  ^),    nach    Durch- 
Fig.  263.  schneidung     Eines    Va- 

gus keine  von  beiden 
Lungen  eine  Spur  der 
Alteration  zeigt ,  die 
der  Durchschneidung 
beider  Vagi  in  beiden 
Lungen  zu  folgen  pflegt, 
Hesse  sich  dahin  deuten, 
dass  die  einer  jeden 
Lunge  von  Einem  Va- 
gus zugeführten  Fasern 
genügten,  um  den  To- 
nus der  Gefässe  und 
Bronchien  zu  erhalten. 
Indess  ist  der  Zusam- 
menhang zwischen  der 
Vagusverletzung  und 
dem  Lungenleiden  noch 
nicht  hinreichend  auf- 
geklärt, um  zu  sicheren 
Schlüssen  für  den  Ver- 
lauf der  Nerven]  benutzt 
zu  werden. 

An  den  Verzweigun- 
gen der  Nerven  in  der 
Lunge  kommen  nach 
Remakä),  Schiff  3)  und 
Kölliker  *)  Ganglien 
und  isolirte  Nervenzel- 
len vor. 

Der  Accessorius  scheint 
sich  an  der  Zusammen- 
setzung der  Lungenner- 
ven   nicht    zu   betheili- 
Oesophagus  (1)  und  Trachea  (2)  auseinandergezogen,    die      gen;  sie  enthielten  keine 
Trachea    mit    den    Bronchi    von    der    Rückseite.      Plexus      entarteten     Fasern     bei 
pulmon.    post.      X  Rechter    N.  vagus.      X'  Ein    Ast  des  ,  , 

,.  ,       ir  n        A    i  üi  1  +  ihieren,     denen     der 

hnken  Vagus.      Ppa    Aeste   zum  Plex.  pulmon.  ant.  ' 

Stamm  des  genannten 
Nerven  ausgerissen  wor- 
den war. 

Nach    Zuck  er  kau  dl    (Beobachtungen    über    die    Herzbeutelnerven    imd    den 
Auricularis  vagi,  Wien~1870)  ziehen  vom  Plexus  pulmon.  post.    öfters   Fäden   zum 


1)  Boddaert  in  Meissner's  Jahresbericht    1862,    S.  417. 
Ö..464.     =^)  A.  a.   0.  S.   792.     *)  Mikroskop.  Anat.   II,   320. 


2)  Müll.    Arch.   1844, 


Plexus  oesophag.     Plexus  gastrici.  44 & 

Pericai'dmm,  die    aber  an  Zahl  und  Stärke  den   Pericardialnerven    des   Plex.  oeso- 
phagens  nachstehen. 


9.    Plexus  oesophageus  Po  i). 

Den  oberen  Theil  des  Oesophagus  versorgen  Zweige  des  N.  laryngeus  9.  pi.  oeso- 
inf. ,  den  mittleren,  der  Theilungsstelle  der  Trachea  gegenüber,  Zweige  ans  ^'  ^^' 
den  Plexus  pulmonales ;  weiter  abwärts  wird  der  Oesophagus  von  dem 
bereits  oben  (S.  429)  beschriebenen  Netz  der  unmittelbaren  Vaguszweige 
umgeben,  das  den  Namen  eines  Plexus  oesophageus  führt.  Der  Austausch 
der  Fasern  beider  Stämme  führt  schliesslich  zu  einem  bedeutenden  Ueber- 
gewicht  des  Fasergehaltes  des  rechten  oder  hinteren  Vagus  über  den  linken, 
vorderen. 

Vom  Plexus  oesophageus  und  von  den  unmittelbar  in  den  Oesophagus 
eindringenden  Aesten,  zuweilen  auch  von  den  Stämmen  des  Vagus  selbst, 
namentlich  vom  linken,  gelangen  ansehnliche  Aeste  zur  hinteren  Wand  des 
Pericardium  (Zuckerkandl). 


10.     Plexus  gastrici. 

Nach  dem  Eintritt  in  die  Bauchhöhle  fährt  der  vordere  N.  vagiis  fort,  lo.  pi.  gastr. 
der  Wand  des  Oesophagus  feine  Aeste  zuzusenden.  Von  der  Cardia  an 
liegt  er  unter  dem  serösen  Ueberzug  auf  der  vorderen  Magenwand  in  der 
Nähe  der  kleinen  Curvatur  und  bildet  längs  derselben  ein  mehr  oder  minder 
reiches,  mehr  oder  weniger  weit  auf  der 'vorderen  Magen  wand  herabziehen- 
des Geflecht.  Aus  diesem  Geflecht,  dem  Flexus  gastricus  Unt.  (Fig. 259), 
gehen  in  fast  gleicher  Zahl  Fasern  zum  Magen  und  zur  Leber.  Die  Magen-  _ 
äste  verlaufen  in  der  vorderen  Wand  des  Magens  abwärts ,  die  ersten  fast 
rechtwinklig  ziir  Axe  des  Magens,  die  folgenden  um  so  schräger,  je  näher 
dem  Pylorus  sie  entspringen.  Ein  Ast,  der  in  der  Nähe  des  Pylorus  mit  den 
die  A.  coronaria  dextra  umspinnenden  sympathischen  Aesten  communicirt, 
kehrt  in  Begleitung  des  nächsten  collateralen  Arterienzweiges  zum  Magen 
zurück  (Kollmann).  Die  Leberäste  nehmen  ihren  Weg  im  Lig.  hepatico- 
gastricum  zur  transversalen  Furche  der  Drüse. 

Zuweilen  (unter  15  Fällen  vier  Mal,  Kollmann)  erhält  die  vordere  Fläche 
des  Magens  einen  sympathischen  Zweig  direct  aus  dem  Plexus  coeliacus  ("Walter, 
tabb.  nervorum  thoracis  et  abdominis.  Berol.  1783,  Tab.  III,  489)  oder  aus  dem 
Geflecht,  welches  die  A.  phrenica  sinistra  begleitet.  Was  Valentin  (Nervenl. 
S.  501)  als  Semicirculus  nervosus  ant.  cardiae  beschreibt,  ist  der  durch  Verbin- 
dung dieses  abnormen  Zweiges  mit  dem  Plexus  gastricus  ant.  gebildete  Bogen. 

Auch  der  hintereCVagus  giebt  in  der  Bauchhöhle  noch  ein  paar  Fäden 
dem  Oesophagus.  Dann  theilt  er  sich  in  zwei  Griippen  von  Aesten,  von 
denen  die  Minderzahl  über  der  oberen  Curvatur  des  Magens  ein  engeres 
oder  weiteres  Geflecht,  JPIextis  gastricus  posL,  erzeugt,  dessen  absteigende 


^)   Plexus  oesoi^hcgeus  ant.  und  post.  aut.  Plexus  oesophageus  thoracis   Kollm. 


446  Plexus  gastrici. 

Fäden  die  grössere  linke  Hälfte  der  hinteren  Magenwand  versorgen,  indess 
dem  Pylorustheil  dieser  Wand  sympathische  Zweige  mit  der  A.  coronaria 
sin.  zugeführt  werden.  Die  grössere  Zahl  der  Aeste  des  hinteren  Vagus, 
etwa  V-3  seiner  Masse,  geht  hinter  dem  Magen  abwärts  zum  Plexus  coelia- 
cus und  in  Begleitung  der  Arterien  zu  verschiedenen  Unterleihsorganen, 
Leber ,  Milz ,  Pancreas ,  Dünndarm ,  Nieren  und  Nebennieren.  Die  Aeste 
zur  linken  Niere  und  Nebenniere  sind  beständiger,  als  die  zu  den  entspre- 
chenden Organen  der  rechten  Seite,  und  so  werden  auch  die  pankreatischen 
Zweige  öfters  vermisst.  Da  sie  aber  in  anderen  Fällen  unzweifelhaft  vor- 
handen sind  ^),  so  darf  angenommen  werden,  dass  sie,  wo  sie  zu  fehlen 
scheinen,  in  den  zum  Plexus  coeliacus  tretenden  Aesten  enthalten  seien. 

Ich  habe  oben  (S.  431)  der  Erfahrungen  Stilling's  und  Bischoff's 
gedacht,  welchen  zufolge  die  motorischen  Fasern  des  Magens  ursprünglich 
im  Vagus  enthalten  sind.  Auch  Chauveau  -)  sah  Contractionen  des  Oeso- 
phagus und  Magens  auf  Reizung  der  Vagus-,  nicht  der  Accessoriuswurzeln 
erfolgen.  Nach  Waller  aber  ^)  wäre  die  galvanische  Erregung  des  Vagus 
ohne  Einfluss  auf  den  Magen ,  wenn  vorher  der  Accessorius  zerstört 
worden. 

Pincus*)  machte  die  Bemerkung,  dass  die  Magenverdauung  beträcht- 
lichere Störungen  erleidet,  wenn  die  Nn.  vagi  am  Zwerchfell,  als  wenn  sie 
am  Halse  durchschnitten  werden,  und  begründete  darauf  den  Schluss,  dass 
Nerven,  von  denen  die  Bereitung  des  Magensaftes  abhängt,  dem  Vagus 
unterhalb  des  Halses,  etwa  aus  den  Ganglia  thoracica  zugeführt  würden.  Nach 
Schiff'^)  und  Eckhard*^)  aber  ist  die  Bereitung  des  Magensaftes  über- 
haupt nicht  von  Nerven ,  weder  aus  dem  Vagus ,  noch  aus  dem  Plexus  coe- 
liacus abhängig,  und  nach  Kollm^ann  kommt  der  letzte  Zweig,  den  der 
Grenzstrang  des  Sympathicus  in  den  Vagus  absendet,  vom  Ggl.  cervicale 
inf.  und  tritt  grösstentheils  durch  den  N.  laryng.  inf.  wieder  aus. 

Contractionen  des  Dünn-  und  Dickdarms  auf  Reizung  des  Vagus  con- 
statiren  Stilling^)  und  Remak^). 

lieber  die  den  Leberästen  des  Vagus  zugetheilte  Rolle  ist  von  physio- 
logischer Seite  nichts  ermittelt;  an  der  Milz  äusserte  Reizung  des  periphe- 
rischen Stumpfs  der  durchschnittenen  Vagi  bei  Hunden,  Katzen  und  Kaninchen 
ihren  Einfluss  durch  Contraction  der  musculösen  Bälkchen  (Oehl  ^).  Eine 
Einwirkung  auf  die  Secretion  der  Nieren  lässt  sich  nach  Eckhard's  Vei*- 
suchen  ^'^)  weder  dem  Vagus,  noch  einem  anderen  Nerven  zuschreiben;  da- 
gegen will  Stillin g  die  Harnblase  von  den  Wurzeln  des  Vagus  aus  in 
Contraction  versetzt  haben,  und  OehH^)  glaubt  beim  Hunde  im  Vagus  so- 
wohl direct  zur  Blase  verlaufende  motorische,  als  auch  centripetale,  reflec- 
torischBlasencontraction  auslösende  Fasern  nachgewiesen  zu  haben.  Kilian's 
Behauptung,  dass  Reizung  des  Vagus  bei  Thieren  Contraction  des  Uterus 
anrege,  wurde  durch  Spiegelberg  ^2)  widerlegt. 


1)  Langenbeck,  Tabb.  neurol.  Fase.  III.  Tab.  III,  21.  Kollmann  a.  a.  0.  2)  Meiss- 
iier's  Jahresbericht  1862,  S.  494.  ^)  A.  a.  0.  *)  Meissner's  Jahresbericht  1856, 
S.  352.  5)  Ebendas.  1860,  S.  418.  ")  Ebendas.  1862,  S.  423.  '')  A.  a.  0.  ^)  Müll. 
Archiv  1858,  S.  192.  9)  Meissner's  Jahresbericht  1869,  S.  241.  ^ö)  Ebendas.  S.  243. 
")   Ebendas,   1869,   S.   303.      1^)  Ebendas.    1857,  S.   498. 


N.  accessorius.  447 


XI.     N.  accessorius. 

Den  Ursprung  des  X.  accessorius  aus  dem  uacli  ilim  benannten  Kern  xi.  Aece» 
und  aus  der  Gürtelschiclite  habe  ich  oben  (S.  198)  angegeben;  die  Austritts- 
stellen der  Wurzeln  aus  dem  Rücken-  und  verlängerten  Mark  sind  S.  176 
beschrieben  und  abgebildet.  Dort  habe  ich  auch  flüchtig  die  häufigste  Art 
der  Verbindung  des  Accessorius  mit  dem  obersten  Cervicalnerven  erwähnt. 
Nach  dem  xVustritt  aus  dem  For.  jugulare,  welches  der  N.  accessorius  bald 
in  einer  eigenen,  babl  in  einer  ihm  mit  dem  X.  vagus  gemeinschaftlichen 
Lücke  der  fibrösen  Hirnhaut  passirt,  theilt  er  sich  in  zwei  Aeste,  einen  vor- 
deren inneren,  ziiweileu  in  zwei  Fäden  zerfallenen,  der  sich  in  den  Plexus 
gangliofornns  des  X.  vagus  einsenkt  und  diesem  Xerven  ein  Contingent  au 
motorischen  Fasern  zuführt,  und  einen  hinteren  äusseren  Ast,  der  im  Ver- 
ein mit  Aesten  der  oberen  Cervicalnerven  die  Mm.  stei-nocleidomastoideus 
und  trapezius  versorgt  (Fig.  264).  Der  innere  Ast  wird  vorzugsweise  von 
den  oberen,  aus  dem  verlängerten  Mark  stammenden  Wurzeln,  der  äus- 
sere von  den  Rückenmarkswurzeln  des  Accessorius  gebildet  (Bernard  i). 

Die  wegen  des  anscheinend  rein  motoripclien  Charakters  des  N.  accessorius 
paradoxen  Anastomosen  desselben  mit  hinteren  Wurzeln  der  EückenniarksuerTen 
kommen  in  mancherlei  Variationen  vor.  Sehr  häufig  bestehen  sie  zwischen  dem 
schräg  aufsteigenden  Stamm  des  Accessorius  und  dem  ersten  Cervicalnerven 
(Asch  in  LudAvig,  script.  neur.  Vol.  I,  Taf.  VIII,  Fig.  2).  Doch  ist  in  den  mei- 
sten Fällen,  wo  der  Accessorius  einzelne  oder  sämmtliche  Fäden  der  sensiblen 
"Wurzeln  aufzunehmen  und  gegenüber  die  sensible  Wurzel  ganz  oder  theilweise 
abzugeben  scheint ,  eine  blosse  Uebereinanderlagerung  der  einander  kreuzenden 
Fasern  nachzuweisen  (Bellingeri,  de  medulla  spinali.  Turin.  1823,  p.  81). 
Das  Ganglion,  welches  Hub  er  (De  medulla  spinali.  Götting.  1741,  p.  13)  au  der 
Verbindungsstelle  zu  finden  geglaubt  hat,  ist  nur  die  der  Uebereinanderlagerung- 
der  Fasern  entsprechende  Auschwellimg.  Auch  den  von  J.  Müller  beschriebenen 
Fall  (Archiv  1834,  S.  12),  wo  die  sensible  Wurzel  des  ersten  Cervicalnerven  aus 
dem  N.  accessorius  entsprang,  glaubte  Arnold  (Tiedemann  luid  Treviranus, 
Zeitschr.  XI,  177)  damit  erklären  zu  können,  dass  dieser  Nerve  die  Eückenmarks- 
nervenwurzel ,  die  er  abgab,  au  einer  tieferen  Stelle  aufgenommen  und  eine 
Strecke  weit  in  seiner  Scheide  mitgeführt  habe.  Müller's  genauei-e  Schildei-ung 
seines  Präparats  (Archiv  1837,  S.  279)  widerlegt  diese  Deutung,  da  der  Acces- 
sorius keinerlei  Fasern  von  den  Ursprungsstellen  der  hinteren  "Wurzeln  der  Spinal- 
nerven aufnahm.  Die  hintere  Wm-zel  des  ersten  Halsnerven  hing,  wie  sich  nach 
Entfernung  des  Neurilemms  zeigte,  mit  dem  Accessorius  durch  zwei  Fäden  zu- 
sammen, wovon  der  Eine  von  oben  herab-,  der  andere  von  unten  aufstieg,  so  dass 
beide  convergirend  in  die  hintere  Wiirzel  des  Cervicalnerven  zusammenflössen,  die 
an  gewohnter  Stelle  mit  dem  Ganglion  versehen  war.  Der  von  oben  herabsteigende 
Faden  Hess  sich  bis  zu  einer  der  aus  dem  verlängerten  Mark  hervordringenden 
Wurzeln  des  Accessorius  verfolgen.  Unter  den  manchfaltigen  Verbindungen  des 
Accessorius  mit  der  hinteren  Wurzel  des  ersten  Cervicalnerven,  welche  E.  Bischoff 
(a.  a.  0.  S.  29)  beschreibt  und  abbildet,  ist  besonders  bemerkens-w  erth  Ein  Fall,  in 
welchem  eine  hintere  Wurzel  über  den  Stamm  des  Accessorius  hinwegzugehen 
und  sich  nur  an  ihn  anzulegen  schien,  in  der  That  aber  die  Fäden  der  schein- 
baren hinteren  Wurzel  sich  im  Accessorius  aufwärts  wandten  und  statt  derselben 
der  grösste  Theil  des  von  den  unteren  Wurzelfäden  zusammengesetzten  Stammes 
des  Accessorius  peripherisch  iu  die  hintere  "U^urzel  des  ersten  Cervicalnerven  über- 


■•)  Arch.  gen.  4.   serie.  IV,  411. 


448 


N.  accessorius. 


ging.  An  der  Stelle,  wo  die  hintere  Wurzel  den  Accessorius  zu  kreuzen  schien, 
sass  eine  grau-röthliche  AnscliAvellung,  die  aber  nur  aus  feinköi-uiger  Substanz, 
ohne  Nervenzellen  bestand.  Ebenso  verhielten  sich  die  anderen,  am  Stamme  des 
Accessorius  befindlichen  Knötchen.  Ob  die  von  Hyrtl  (Oesterr.  med.  Jahrb.  XIX, 
452)  an  Wurzeln  des  N.  accessorius  aufgefundenen  Ganglien  in  dieselbe  Kategorie 
gehören,  Avie  E.  Bischo  ff  vermuthet,  bleibt  dahin  gestellt.  Die  Angaben  Ee- 
mak's  (Fi-oriep's  N.  Not.  III,  150),  Lenhossek's  (Unters,  über  den  Bau  des 
centr.  Nervensystems  S.  49)  und  Luschka' s  (Anat.  Bd.  I,  Abthl.  1,  S.  397)  stellen  es 
ausser  Zweifel ,  dass  Ganglien  und  Nervenzellen  am  Stamm  und  den  Wurzeln 
des  Accessorius  in  der  Wirbelhöhle  vorkommen. 

Yiel  seltener ,  als  der  erste ,  setzt  sich  der  zweite  Cervicalnerve  durch  seine 
hintere  Wurzel  mit  dem  Stamm  des  Accessorius  in  Verbindung  (von  Sca-rpa 
zwei  Mal,  von  Meckel,  T.  Bischoff  (a.  a.  0.  Taf.  I,  7),  Fäsebeck  je  einmal 
beobachtet).  C.Mayer  (N.  Acta  Nat.  Cur.  Vol.  XVI,  P.  II,  Taf.  LIl'l,  Fig.  2) 
bildet  Wurzeln  des  zweiten  und  dritten  Cervicalnerven  ab ,  welche  aus  dem 
Stamme    des  Accessoi'ius    entspringen,    abwärts   verlaufen,    und  bevor  sie  mit  den 

Fig.  264. 


Verästelung    des    N.    affeasorlus.      Sem  M.  sternocleidomastoict.     Sem*  zurüclr 
solilngenes  olieres  Ende   desselben.       Tr  M.  trapezius.        Oh    M.   omoliyoideus 
C^  Dritter  Cerviealnerve. 


N.  hypoglossus.  449 

Fäden  der  regelmässigen  hinteren  Wurzeln  in  das  Spinalgangliou  eintreten,  mit 
kleinen,  spindelförmigen  Ganglien  versehen  sind.  Luschka  (Auat.  Bd.  I,  Abthl. 
1,  S.  396)  beschreibt  ähnliche  Fäden  aus  den  drei  oberen  Cervicalnerven.  Ana- 
stomosen mit  tieferen  Cervicalnerven  (bis  zum  fünften  hinab)  erwähnt  allein 
C.  Krause. 

Den  M.  internus  ^)  des  N.  accessorius,  seine  Verbindung  mit  dem  Plexus 
ganglioformis  vagi  und  die  mehr  oder  minder  zuverlässigen  Angaben  über 
seinen  Antheil  an  der  Bildung  der  Aeste  des  Vagus  habe  ich  bei  diesem 
Nerven  abgehandelt.  Der  B.  externus  2)  vrendet  sich  zwischen  der  V.  ju- 
gularis  int.  und  der  A,  occipitalis  schräg  ab-  und  seitwärts  über  den  Quer- 
fortsatz des  Atlas  gegen  die  Grenze  des  oberen  und  mittleren  Drittels  des 
M.  sternocleidomastoideus.  Er  zieht  zwischen  Bündeln  dieses  Muskels  oder 
dicht  an  seiner  inneren  Fläche  vorüber,  indem  er  ihn  mit  motorischen 
Aesten  versieht,  durchsetzt  in  immer  gleich  schräg  absteigender  Richtung 
die  Fossa  supraclavicularis  und  verschwindet  unter  dem  vorderen  Rande 
des  M.  trapezius ,  in  welchem  er  mit  auf-  und  absteigenden  Zweigen  endet 
(Fig.  264). 

Der  äussere  Ast  des  N.  accessorius  geht  mit  mehreren  Cervicalnerven 
Verbindungen  ein,  welche  auf  diese  Art  an  der  Versorgung  der  Mm.  ster- 
nocleidomastoideus und  trapezius  sich  betheiligen,  indess  vielleicht  auch 
sensible  Fasern ,  die  der  Accessorius  von  seinem  Austausch  mit  den  hinteren 
Wurzeln  der  Cervicalnerven  mitbringt,  an  die  Hautäste  der  letzteren  abge- 
geben werden.     Vergl.  Plexus  cervicalis. 


XII.    N.  hypoglossus. 


Ein  rein  motorischer  Nerve,  der  sich  sowohl  durch  seinen  Verlauf,  wie  xii.  Hypo- 
durch  die  übereinstimmenden  Resultate  des  physiologischen  Experiments  ^^°^^' 
als  Bewegungsnerve  der  Zungenmuskeln  mit  Einschluss  der  Mm.  geniohyoi- 
deus  und  thyreohyoideus  erweist.  Von  schlingenförmigen  Anastomosen,  die  ihn 
mit  den  oberen  Cervicalnerven  verbinden,  entspringen  Aeste  zu  den  übrigen, 
das  Zungenbein  herabziehenden  vorderen  Halsmuskeln.  Reizung  der  Wur- 
zeln des  Hypoglossus  wirkt  aber  auf  diese  Muskeln  nur  ausnahmsweise  und 
nur  in  geringem  Maasse  ein  (Volk mann)  ^). 

Wegen  des  Ursprungs  des  Hypoglossus  aus  dem  verlängerten  Mark 
verweise  ich  auf  S.  196,  wegen  seines  Verlaufs  in  der  Schädelhöhle  auf 
S.  177. 

Unter  den  Varietäten  des  N.  hypoglossus  wird  eine  Angabe  C.  Mayer's 
(a.  a.  0.  S.  744)  angeführt,  der  bei  mehreren  Säugethieren  constant  und  ein  ein- 
ziges Mal  beim  Menschen  an  einer  der  Wurzeln  des  Hypoglossus  ein  Ganglion 
wahrgenommen   haben  will.     Was    die  Beobachtung  am   Menschen    betrifft,    so  ist 


1)   R.   anastomoticus.  2)   R.  muscularis.  ^)  Müll.  Arch.   1840.  S.   503. 

Henle,  Anatomie.     Bd.  III.     Abthlg.  2.  OQ 


450  N.  hypoglossus. 

dieselbe  von  sehr  zweifelhaftem  Werth,  deun  das  Ganglion  befand  sich  an  einem 
Faden ,  der  eine  Wurzel  des  Vagus  mit  einer  Wurzel  des  Hypoglossus  verband,  in 
unmittelbarer  Nähe  der  Vaguswurzel  und  es  ist  nicht  einmal  gewiss,  ob  in  die- 
sem Faden  Fasern  vom  Vagus  zum  Hypoglossus  oder  umgekehrt  verliefen.  Ausser 
Meyer  hat  nur  Vulpian  (Journ.  de  la  physiol.  1862,  p.  5)  ein  Exemplar  dieser 
Varietät  gesehen ,  das  er  selbst  für  nicht  ganz  zweifellos  erklärt.  Beim  Hunde 
giebt  nach  Eemak  (Froi'iep's  IST.  Not.  III,  151)  der  N.  accessorius  innerhalb 
der  fibrösen  Hirnhaut  den  Wurzelfäden  des  Hypoglossus  regelmässig  einen  oder 
zwei  mit  Ganglien  versehene  Fäden.  Büdinger  (Gehirnnerven,  S.  62)  bewahrt 
ein  verlängertes  Mark  auf,  an  welchem  der  N.  hypoglossus  aus  der  hinteren 
Fläche,  unmittelbar  hinter  dem  Sinus  rhomboid. ,  mit  mehreren  Bündeln  hervor- 
geht ;  diese  ziehen  zwischen  den  Wurzeln  des  Accessorius  und  Vagus  abwärts  zum 
rechten  Can.  hypoglossi.  Ein  Bündel  des  rechten  Hypoglossus  geht  aus  dem  linken 
Fase,  restiformis  hervor. 

Im  anatomischen  Museum  der  Josephsakademie  in  Wien  sah  Otto  (Pathol. 
Anat.  S.  463)  die  Abbildung  in  Wachs  eines  Präparats,  an  welchem  der  N.  hypo- 
glossus mitten  durch  die  für  ihn  gespaltene   A.  vertebralis  verlief. 

Nach  dem  Austritt  aus  dem  Schädel  ist  der  N.  hypoglossus  dicht  an 
den  Stamm  des  Vagus  angeheftet,  wie  schon  bei  diesem  Nerven  angegeben 
wurde ;  er  umschlingt  den  Vagus  in  einer  halben  Spiraltour,  wodurch  er  um 
dessen  äussere  Fläche  steil  absteigend  vor  denselben  gelangt  (Fig.  264).  Dann 
geht  er  an  der  inneren  Seite  des  M.  stylohyoideus  und  des  hinteren  Bauches 
des  M.  biventer  mandibulae  an  der  Carotis  ext.  vorüber,  oberhalb  des  Ab- 
ganges der  A.  lingualis,  iind  weiter,  durch  den  unteren  Rand  der  Sublingual- 
drüse  gedeckt,  in  einem  abwärts  convexen  Bogen  zum  M.  hyoglossus.  Die 
Steilheit  dieses  Bogens  ist  einigermaassen  durch  die  A.  stylomastoidea  (2) 
bedingt,  die  sich  über  den  Nervenstamm  hinwegschlägt  und  ihn,  je  nachdem 
sie  tiefer,  aus  der  Carotis,  oder  höher  aus  der  A.  occipitalis  entspilngt,  mehr 
oder  minder  weit  hinabzieht.  Den  aufsteigenden  Theil  des  Bogens  deckt 
von  unten  her  die  Submaxillardrüse. 

Der  N.  hypoglossus  verbindet  sich  1.  mit  dem  Ggl.  cervicale  supr. 

2.  Mit  dem  Plexus  ganglioformis  des  Vagus,  durch  einen  oder  mehrere  kür- 
zere oder  längere  Fäden.  Nach  Ben  dz  ^)  erhält  der  Vagus  ein  kurzes  Bündel 
vom  Hypoglossus,  während  von  diesem  zu  jenem  2  bis  3  sehr  feine  Fädchen 
aufsteigen;  Cruveilhier  meint,  dass  die  Anastomose,  die  mitunter  ein 
wahres  Geflecht  darstelle,  nur  dazu  diene ,  dem  Vagus  Fasern  aus  dem  Hypo- 
glossus zuzuführen.  Luschka  ^)  hält  dafür,  dass  Elemente  des  Einen 
Nerven  in  die  Scheide  des  anderen  eintreten,  nur  um  bald  wieder  in  den 
Stamm,  von  welchem  sie  gekommen  sind,  zurückzukehren.  Dies  giebt  auch 
E.  Bischoff  ^)  zu,  doch  erkennt  er  auch  sehr  feine  und  kurze,  vom  Vagus 
zum  Hypoglossus  gerichtete  Verbindungsfäden  an  und  glaubt  zuweilen  einen 
stärkeren  Zweig  aus  dem  Vagus  in  den  Hypoglossus  und  in  den  B.  descen- 
dens  des  letzteren  verfolgt  zu  haben. 

3.  Mit  den  drei  oberen  Cervicalnerven.  Mit  dem  ersten  sind  die  Ver- 
bindungen sehr  veränderlich;  sie  erfolgen  durch  einen  oder  mehrere  Fäden, 
sind  einfach  oder  tauschen  ihre  Fasern  geflechtartig  aus.  Beständiger  is.t 
die  Anastomose ,  zu  welcher  ein  vor  der  Scheide  der  grossen  Gefässstämme  ab- 
steigender Ast  des  Hypoglossus,  der  obengenannte  R.  descendens(c7/i),mit  Aesten 


1)  A.   a.  0.  S.  18.        2)  Anat.  Bd.  I.  AMlil.   1.  S.   383.       3)  a.  a.  0.  S.   33. 


N.  hypoglossus. 


451 


des    zweiten  und    dritten  Cervicaluerven   sich   vereinigt.      Sie  wird   bei  der 
Beschreibung  des  Plexus  cervicalis  zur  Sprache  kommen. 

Fig.  264. 


Verästelung  des  N.  hj-poglossus.  Profilansicht  des  Halses  nach  Entfernung  der 
vorderen  langen  Muskeln.  1  A.  carotis  est.  2  A.  sternocleidoniastoidea.  3  Zun- 
genbein. 4  Cart.  thp-eoidea.  C^,  C^,  C^  anastomotische  Aeste  des  ersten  bis 
dritten  Cervicalnerven  mit  dem  Stamm  des  N.  h3'poglossus  und  dem  N.  descendens 
[dh).  Sg  M.  styloglossus.  Gg  M.  genioglossus.  Gh  M.  geniohyoideus.  Hg  M. 
hj'Oglossus.      Th  M.   thyreohyoid.      l  N.  lingualis  vom  Inframaxill. 


4.  In  den  Anfang  desBogens  des  Hypoglossus  senkt  sich  von  oben  her 
der  jR.  lingualis  vagi  Luschka  i),  ein  Nerve  von  höchstens  0,5  Mm.  Durch- 
messer ,   der  aus  einem  R.  pharyngeus   des  Vagus  hervorgeht ,    einen  Zweig 


1)  Anat.  Bd.  III,  Abtheil.  2,   S.   543. 


29' 


452  N.  hypoglossus. 

des  N.  glossophiaryngeus  atifnimmt,  mit  einem  flaclieii  Bogen  die  mediale  Fläche 
der  A.  occipitalis  umgreift  und  sich  in  zwei  Fädcheu  theilt,  von  welchen 
das  Eine  in  centrifugaler  Richtung  mit  dem  Stamme  des  N.  hypoglossus 
verläuft,  das  andere  in  das  sympathische  Geflecht  der  A.  carotis  ext.  üher- 
geht. 

5.  Von  den  Aesten,  in  welche  der  N.  hypoglossus  auf  der  Aussenfläche 
des  M.  hyoglossus  zerfällt ,  wendet  Einer  sich  auf-  und  vorwärts ,  um  sich 
mit  einem  auf-  und  rückwärts  verlaufenden  Zweige  des  N.  lingualis  in  einer 
Schlinge  zu  vereinigen  (Fig.  247.  258).  Gewöhnlich  gehen  aus  dieser  Schlinge 
gegen  den  Zungenrücken  aufsteigende  Aestchen  hervor,  welche  gemischter 
Natur  sein  mögen.  Doch  schien  in  einem  von  E.  Bisch  off  abgebildeten 
Falle  ^)  ein  Theil  der  llypoglossusfäden  im  N.  lingualis  central  zu  verlatifen 
und  Luschka  2)  hält  das  Umgekehrte  für  die  Regel,  dass  nämlich  Fasern  des 
Lingualis  sich  im  Hypoglossus  centralwärts  wenden,  um  vor  dem  Can.  hypo- 
glossi  die  sogleich  zu  erwähnenden  sensibeln  Zweige  des  Hypoglossus  zu 
liefern. 

Die  oberen  Cervicalnerven,  vielleicht  auch  der  Vagus  führen  dem  Hypo- 
glossus die  sensibeln  Fasern  zu ,  die  die  Reizung  des  Stammes  am  Halse 
schmerzhaft  machen  ^) ;  dass  der  Lingualis  daran  Theil  habe,  ist  nicht  wahr- 
scheinlich, da  der  N.  hyj)oglossus  an  der  Stelle,  wo  er  sich  in  seine  End- 
zweige auflöst,  seine  Empfindlichkeit  wieder  verloren,  die  sensibeln  Zweige 
also  ohne  Zweifel  in  den  R.  descendens  wieder  abgegeben  hat. 

Eine  Anastomose  des  Stamms  des  Hypoglossus  mit  dem  äusseren  Ast  des  Ac- 
cessorius  hat  Lobstein  (Sandifort,  thes.  dissertat.  Eotterd.  1768.  I,  345)  zwei- 
mal gesehen. 

Die  eben  erwähnten  sensibeln  Zweige,  welche,  Luschka  zufolge,  der 
N.  hypoglossus  am  Ausgange  des  gleichnamigen  Canals  abgiebt,  sind  feine  Fä- 
den, die  durch  Aestchen  aus  dem  Ggl.  cervicale  supr.  verstärkt,  theils  in  den 
Wänden  des  Sinus  occipitalis  und  des  venösen  Gefässkranzes  des  Hypoglossus 
sich  verbreiten  *),  theils  durch  feine  Oeffnungen  der  Wand  des  Canals  mit  Blut- 
gefässchen in  die  Diploe  des  Hinterhaiiptbeins  gelangen.  Für  sensibel  hält 
Luschka  auch  ein  paar  etwas  weiter  abwärts  entspringende  Fäden,  die,  wie 
er  in  Uebereinstimmung  mit  Valentin  findet,  in  der  Wand  der  V.jugularis 
int.  sich  verlieren. 

Valentin  beschreibt  ausserdem  Br.  vascidares  supp.  und  antt.  inff.,  die  die 
Carotis  umspinnen  sollen.  Sie  wurden  von  keinem  der  späteren  Beobachter  bestä- 
tigt, von  Arnold  aber  bestritten. 

Zur  Zunge  verläuft  der  N.  hypoglossus  parallel  und  in  ziemlich  glei- 
cher Höhe  mit  der  A.  lingualis,  aber  oberflächlicher,  indem  die  Arterie  au 
der  inneren,  der  Nerve  an  der  äusseren  Seite  des  M.  hyoglossus  vorwärts 
geht.     Noch  ehe   er  diesen  Muskel   erreicht,   sendet   der  Nerve  einen  Ast, 


1)  A.  a.  0.  Fig.  108.  2)  Müll.  Arch.   1856.  S.  62.  3)  Valentin,  funct.  nerv, 

p.  59.     Longet,  a.  a.  0.  II,  483.  *)  N.  meningeus  post.  Rüdinger  (über  die  Verbrei- 

tung des  Sympathicus  in  der  animalen  Röhre.  München  1863,  S.  56).  Rüdinger  ist 
geneigt,  den  aus  dem  Hypoglossus  entspringenden  Antheil  dieses  Nerven  ebenfalls  von  syirl- 
pathischen,  dem  Hypoglossus  vorher  zugesellten  Zweigen  abzuleiten. 


Spinalnerven.  453 

R.  thyreohyoideus,  schräg  vor-  und  abwärts  zur  oberen  Anheftung  des  gleich- 
namigen Muskels  (Fig.  264).  Auf  der  Mitte  des  M.  hyoglossus  entspringt  ein  Ast 
oder  mehrere,  welche  sich  rück-  und  aufwärts  wenden  zum  unteren  Ende  des 
M.  styloglossus.  Dann  löst  sich  der  Stamm  des  Hypoglossus  in  eine  Anzahl 
stärkerer  und  feinerer ,  divergirender  Aeste  ^)  auf,  von  denen  einer  die  er- 
wähnte Schlinge  mit  dem  N.  lingualis  bildet,  einige  sich  im  M.  hyoglossus 
verlieren,  indess  die  übrigen  vorwärts  in  die  Mm.  geniohyoideus  und  genio- 
glossus  ausstrahlen  und  um  den  vorderen  Rand  des  M.  hyoglossus  median- 
wärts  umbiegen,  um  den  M.  lingualis  und  die  compacte  Musculatur  der 
Zunge  zu  versorgen. 

Nacli  Valentin  soll  die  A.  lingualis  und  die  Sublingiialdrüse ,  nach  Krause 
zuweilen  der  M.  mylollyoidetis  Z^veige  vom  N.  hypoglossus  erhalten.  Zu  den 
Ganglien,  die  an  Zweigen  des  N.  lingualis  in  der  Zunge  vorkommen  (S.  390),  soll,  wie 
Schiff  mittelst  der  Nervendurchschneidung  nach  der  Wal  1er 'scheu  Methode  con- 
statirt  haben  will,  auch  der  Hypoglossus  Fasern  senden.  Eine  schhngeuförmige 
Verbindung  der  Nn.  hypoglossi  beider  Seiten  in  der  Zungenspitze  [Alisa  supra- 
hyoidea  Hja-tl)  hat  Bach  (a.  a.  0.  p.  10)  unter  10  Fällen  Einmal  gesehen  imd 
Arnold  bestätigt.  Szabadföldy  (Archiv  f.  pathol.  Anat.  u.  Physiol.  XXXVIII, 
177)  sah  den  Nerven  zuweilen  durch  das  Septum  linguae  Zweige  in  die  entgegen- 
gesetzte Zungenhälfte  abgeben.  Doch  beweisen  die  halbseitigen  Lähmungen 
der  Zunge,  dass  das  Gebiet  jedes'  Nerven  ziemlich  genau  auf  seine  Seite  be- 
schränkt  ist. 


B.     Spinalnerven. 

Es  sind  in  der  Regel  31  Paare,  nämlich,  mit  Einschluss  des  zwischen  ^-  Spinai- 
Hinterhauptsbein  und  Atlas  austretenden  (S.  333),  8  Paar  Nn.  cervicales, 
12  Nn.  dorsales,  5  Nn.  lumbares,  5  Nn.  sacrales  und  Ein  N.  coccygeus  2). 
Sie  werden  benannt  und  gezählt  nach  dem  oberen  der  beiden  Wirbel,  welche 
die  Oeffnung,  durch  die  sie  die  Wirbelhöhle  verlassen,  begrenzen;  davon 
machen  nur  die  Cervicalnerven  eine  Ausnahme,  weil  der  unter  dem  Hinter- 
hauptsbein hervortretende  den  Namen  eines  ersten  Cervicalnerven  führt. 

Mit  der  Zahl  der  Wirbel  (Knochenlehre,  S.  33)  variirt  die  Zahl  der  Spinal- 
nerven und  so  gehört  Vermehrung  der  Sacralnervenpaare  auf  sechs  nicht  zu  den 
Seltenheiten.  Aber  auch  dadurch  kann  die  Zahl  der  Spinalnerven  beiderseits 
oder  einseitig  sich  um  Einen  erhöhen,  dass  statt  Eines  Steissnerven  zwei  vorkom- 
men (Schlemm,  Müll.  Arch.  1834.  S.  91.     Observ.  neurol.  p.  5). 

Ich  habe  oben  (S.  41)  die  beiden  Reihen  von  Fäden  beschrieben,  mit 
welchen  die  Spinalnerven  aus  dem  Rückenmark  entspringen  und  ange- 
geben, dass  die  hinteren  Fäden  stärker  sind,  als  die  vorderen.  Aus  einer 
Anzahl  Fäden  setzt  sich  jederseits,  nicht  immer  vollkommen  symmetrisch, 
je  eine  hintere  und  vordere  Nervenwurzel  zusammen.  Auch  von  den  bei- 
den Wurzeln  Eines  Nerven  ist,  mit  Ausnahme  des  ersten  Cervicalnerven, 
die  hintere  die  stärkere.  So  müssen  in  der  ganzen  Länge  des  Rücken- 
marks, vom  zweiten  Cervicalnerven  an,  die  hinteren  Wurzelfäden  dichter 
stehen,  als  die  vorderen. 


1)  Rr.  linguales.       ^)  Der  sechste  Sacralnerve  der  älteren  Handbücher. 


454  Spinalnerven. 

Die  Stäfke  der  Wurzelfäden  entspricht  im  Allgemeinen  der  Stärke  der 
Nervenstämme,  welche  wieder  proportional  ist  der  Masse  der  von  ihnen 
versorgten  Körpertheile  und  dem  Volumen  der  Regionen  des  Rückenmarks, 
au^  welchen  sie  ihren  Ursprung  nehmen.  Unter  den  Nervenstämmen  wech- 
selt der  Durchmesser  zwischen  0,7  und  10  Mm.  Der  stärkste  ist  der  fünfte 
Lumbarnerve;  von  ihm  an  nimmt  der  Durchmesser  auf-  und  abwärts  ab; 
der  N.  coccygeus  ist  der  feinste,  die  Stärke  der  Dorsalnerven  bleibt  sich 
von  den  nächst  unteren  an  ziemlich  gleich ;  von  den  Cervicalnerven  hat  der 
erste  ungefähr  die  Stärke  eines  mittleren  Dorsalnerven ;  der  Durchmesser 
der  folgenden  wächst  bis  zum  achten,  der  den  Umfang  der  oberen  Lumbal- 
nerven erreicht.  Die  stärksten  Wurzelfäden  finden  sich  an  der  Cervical- 
und  Lumbaranschwellung,  sie  sind  platt,  1  bis  2  Mm.  hoch,  doch  kommen 
dazwischen  auch  feinere,  von  0,5  Mm.  Höhe  vor.  Die  hinteren  Wurzelfäden 
liegen  an  der  Austrittsstelle  aus  dem  Rückenmark  fast  unmittelbar  neben  ein- 
ander ;  der  Zwischenraum  zwischen  zwei  Wurzeln  ist  nicht  grösser,  als  der  Zwi- 
schenraum zwischen  den  zu  Einer  Wurzel  gehörigen  Fäden.  Die  Abstände  zwi- 
schen den  Wurzelfäden  der  oberen  Cervicalnerven  übertreflFen  an  Höhe  den  Durch- 
messer der  Wurzelfäden.  Am  Dorsaltheil  ist  die  Reihe  der  Fäden,  die  zu 
einer  Wurzel  zusammentreten,  von  den  Fäden  der  nächsten  Wurzel  durch 
einen  merklichen  Zwischenraum  geschieden;  am  Lumbartheil  bilden  die 
vorderen  Wurzelfäden  eine  ununterbrochene  Reihe  und  sind  die  hinteren 
so  gedrängt,  dass  sie  einander  theilweise  decken.  Die  Wurzeln  des  letzten 
Sacralnerven  und  des  N.  coccygeus  rücken  wieder  weiter  aus  einander;  die 
hintere  Wurzel  des  N.  coccygeus  entspringt  7  bis  8  Mm.  über  dem  unteren 
Ende  des  Conus  terminalis,  die  vordere  etwas  tiefer.  Die  hintere  Wurzel 
ist  meist  einfach,  die  vordere  in  der  Regel  in  zwei  Fäden  zerlegt  (Still in g)  i). 
Die  hintere  Wurzel  des  ersten  Cervicalnerven  steht  nicht  in  der  Reihe,  son- 
dern näher  der  vorderen. 

Nicht  immer  sind  die  Wurzelfäden  scliarf  von  einander  geschieden.  Es  kom.- 
men,  besonders  an  den  hinteren  Wurzeln,  Anastomosen  zwischen  den  Wurzelfäden 
Eines  Nerven,  und  selbst  zwischen  den  einander  nächsten  Fäden  je  zweier  Wur- 
zeln vor  imd  nicht  selten  tritt  zwischen  zwei  Wurzeln  ein  Eaden  aus,  der  sich 
gabelförmig  spaltet  und  mit  dem  Einen  Ast  an  die  obere,  mit  dem  anderen  an 
die  untere  Wurzel  anlegt.  Von  der  hinteren  Wurzel  des  ersten  Cervicalnerven 
wird  angegeben,  dass  sie  zuweilen  fehle,  was  Arnold  bestreitet,  und  dass  sie  zuwei- 
len vor  den  Wurzelfäden  des  N.  accessorius  liege,  was  Meckel  nicht  vorgekom- 
men ist.  Ihre  Verbindungen  mit  den  Wurzeln  des  Accessorius  wurden  bei  diesem 
Nerven  besprochen.  Andere  Varietäten  derselben  beschreibt  Mayer,  a.  a.  0. 
S.  748. 

Die  Fäden  jeder  Wurzel  sammeln  sich,  gleichmässig  convergirend,  da 
und  dort  auch  anfänglich  durch  eine  weitere  Spalte  in  zwei  Gruppen  ge- 
theilt,  zu  einem  cylindrischen  Strang,  der  die  fibröse  Rückenmarkshaut 
durchbohrt.  Die  Oeff'nungen  für  die  zu  einander  gehörigen  vorderen  und 
hinteren  Wurzeln  sind  nur  durch  einen  schmalen  Streif  der  fibrösen  Haut 
geschieden;  die  Wurzeln  convergiren  daher  auch  gegen  die  Frontalebene 
und  zwar  ziemlich  symmetrisch,  indem  die  vordere  rückwärts,  die  hintere 
vorwärts  zieht  (Fig.  1).     Was  die  Convergenz  der  zu  Einer  (hinteren  oder 


1)  Neue  Unters.  S,   1105. 


Spinalnerven.  455 

Torderen)  Wurzel  gehörigen  Fäden  betrifft,  so  gewinnt  sie  in  den  verschie- 
denen Höhen  des  Rückenmarks  ein  verschiedenes  Ansehen.  Da,  wie  schon 
früher  bemerkt,  die  Abstände  zwischen  den  Oefifnungen,  durch  die  die  Ner- 
ven die  Wirbelhöhle  verlassen,  rascher  und  weiter  auseinanderrücken,  als 
die  Nervenursprünge,  so  hat  jede  Wurzel,  je  tiefer  sie  entspringt,  einen 
um  so  längeren  und  steileren  Weg  durch  die  Wirbelhöhle  zurückzulegen. 
Dem  Ursprung  der  obersten  Cervicalnerven  liegt  die  Austrittsöffnung  ge- 
rade gegenüber  und  so  bildet  die  Gesammtheit  ihrer  Wurzelfäden,  der  obe- 
ren ab-,  der  unteren  aufsteigenden,  ein  gleichseitiges  Dreieck  mit  seitwärts 
gerichteter  Spitze.  Allmälig  nehmen  an  den  folgenden  Wurzeln  auch  die 
obersten  Fäden  eine  absteigende  Richtung  an ;  allmälig  verkleinert  sich 
der  Winkel,  den  die  Nervenursprünge  mit  dem  Rückenmark  bilden,  bis  zu- 
letzt, an  der  Cauda  equina  (S.  38),  der  Anschein  der  Convergenz  der  Fä- 
den völlig  verloren  geht ,  da  sie  sämmtlich  fast  gerade  abwärts ,  der  Axe 
des  Wirbelcanals  parallel  zu  verlaufen  scheinen. 

Jadelot  (Malgaigne,  anat.  Chirurg.  Paris  1838,  11,32)  und  Nulin  (Beobacli- 
tungen  und  Unters,  aus  dem  Gebiete  der  Anatomie.  Heidelb.  1849,  S.  11)  haben 
an  theilweise  geöffneter  Wirbelhölile  die  ürsi^rungsstellen  der  Spinalnerven  mit- 
telst der  denselben  correspondirenden ,  d.  h.  in  gleicher  Höhe  gelegenen  Punkte 
der  Wirbelsäule  bestimmt. 

Die  folgende  Tabelle  giebt  die  Resultate  der  Ntihn' sehen  Untersuchung,  von 
welcher  die  Angaben  Jadelot's  nur  darin  abweichen,  dass  sie  die  Ursprünge  des 
unteren  Cervical-  und  der  Dorsalnerven  etwas  höher,  die  des  letzten  Dorsal-  und 
der  fünf  Lumbalnerven  etwas  tiefer  setzen. 

Der» Ursprung  des     1.    Cervicalnerven   in   gleicher   Höhe,  mit   dem   Eande  des 

Hinterhauptslochs. 

„  „  „       2.  „  in  der  Höhe    des  Atlas  und  ein  wenig 

darüber. 

„  „  „       3.  „  zwischen  Atlas  und  Zahn   des   Episti'O- 

pheus. 

„  „  „       4.  „  in   gleicher    Höhe  mit   dem   Dorn    des 

zweiten  HalsAvirbels. 

„  „  „        5.  „  in    gleicher   Höhe    mit    dem    Dorn    des 

dritten  Halsw.  und  etwas  darunter. 

„  a  „       6.  „  zumTheil  in  der  Höhe  des  Dorns  des  vier- 

ten, grösstentheils   ZAvischen  den  Dor- 
nen des  vierten  und  fünften  Halsw. 

„  „  „       7.  „  gegenüber  dem  Dorn  des  fünften  Halsw. 

„  „  „8.  „  „  „         „         „      sechst.   Halsw. 

„  „  „1-    Dorsalnerven  „  „        „        „     siebenten  Hals- 

wirbels und  darüber. 

„  „  „2.  „  zwischen     den     Dornen    des     siebenten 

Hals-  und  ersten  BrustAvirbels. 

„  „  „       3.  „  zwischen   den    Dornen    des   ersten    und 

zweiten  Brustwirbels. 

„  „  „       4.  „  zwischen  den  Dornen  des  zweiten    und 

dritten  BxaistAvirbels. 

„  „  „       5.  „  zwischen  den   Dornen  des    dritten    und 

vierten  Brustwirbels. 

„  „  „       6.  „  zwischen  den  Dornen   des   vierten   und 

fünften  Brustwirbels. 

„  „  »7.  „  gegenüber  dem  Dorn  des  fünften  Brust- 

wirbels und  darunter. 


456 


Spinalnerven. 


Der  Ursprung  des     8 


Dorsalnerven  gegenüber  dem  Dorn  des  sechsten  Brust- 
wirbels lind  darunter. 
9.  „  gegenüber  dem  Dorn  des  siebenten  Brust- 

wirbels und  darunter. 

10.  „  gegenüber   dem   Doi-n   des   achten  Brust- 

wirbels und  darunter. 

11.  „  zwischen     den    Dornen    des     achten    und 

neunten  Brustwirbels. 

12.  „  gegenüber  dem  Dorn  des  zehnten   Brust- 

wirbels. 

zwischen  den  Dornen  des  zehnten  tmd 
elften  Brustwirbels. 

gegenüber  dem  Dorn  des  elften  Brust- 
wirbels und  darunter. 

zwischen  den  Doi-nen  des  elften  und 
zwölften  Brustwirbels. 

4.  „  gegenüber   der   oberen   Hälfte    des   Doms 

des  zwölften  Brustwirbels. 

5.  „  gegenüber   der   unteren  Hälfte  des  Dorns 

des  zwölften  Brustwirbels. 

1.  Sacralnerven    in  der  Höhe  dicht   unter    dem   Dorn    des 

zwölften  Brustwirbels. 

2.  „  in  der   Höhe    dicht   über   dem   Dorn   des 

ersten  Bauchwirbels. 
3 
4 
5 


1.   Lumbainerv. 


3. 


in  der  Höhe  der  oberen  Hälfte  des  Dorns 
des  ersten  Bauchwirbels. 


An  der  Aussenseite  der  fibrösen  Rückenmarkshaut  führt  die  Conver- 
genz  der  beiden  entsprechenden  Wurzeln  Eines  Nerven  alsbald  zu  ihrer 
Vereinigung,  die  aber  zuerst  nur  eine  genaue  Aneinanderlagerung  ist.  Die 
bintere  Wurzel  scbwillt  zu  einem  spindelförmigen  Ganglion,  dem  Ggl.  spi- 
nale^),  an,  welcbes  in  einer  Furche  seiner  vorderen  Fläcbe  die  vordere 
Wurzel  aufnimmt.  Eine  Ausnahme  macht  nur  zuweilen  der  letzte  Sacral- 
nerve  und  constant  der  N.  coccygeus,  deren  bintere  Wurzel  noch  innerhalb 
der  fibrösen  Rückenmarkshaut  das  Ganglion  trägt  und  sich  mit  der  vorde- 
ren Wurzel  verbindet  (Fig.  265).  Das  Ganglion  des  N.  coccygeus  (*)  2)  ist  0,5 
bis  2  Mm.  lang  und  hat  eine  veränderliche  Lage,  bald  in  der  Nähe  des  Ur- 
sprungs der  Nervenwurzel,  bald  näher  der  Austrittsstelle  derselben  aus  der 
fibrösen  Hülle  des  Rückenmarks. 

Die  ausserhalb  dieser  Hülle  gelegenen  Spinalganglien  nehmen  die  Forr. 
intervertebralia ,  an  den  Drehwirbeln  die  dem  For.  intervertebrale  entspre- 
chende seitliche  Ecke  der  Intervertebralspalte ,  am  Kreuzbein  den  in  der 
medialen  Wand  des  Can.  sacralis  sich  öffnenden  Canal  (Knochenl.  S.  52) 
ein.  Der  Stamm  der  Spinalnerven,  der  unmittelbar  unter  dem  Ganglion 
durch  die  Yerschmelzung  beider  Wurzeln  entsteht,  tritt  zwischen  den  be- 
weglichen Wirbeln  aus  den  genannten  Oeffnungen  hervor,  meist  schon  ge- 
theilt  in  einen  vorderen  und  hinteren  Ast.  Am  Kreuzbein  findet  diese 
Theilung  innerhalb  des  Can.  sacralis,  der  Austritt  der  beiden  Aeste  durch 
die  Forr.    sacralia   antt.  und  postt.   Statt.     Die  zwei    letzten   Spinalnerven 


^)    Ggl.  intervertebrale.       ^)   Ggl.  spinale  inßmum  s.  rhachitico-coccygeum  Schlemm. 


Fig.  265. 


'Ft 


Spinalnerven.  457 

verlassen  die  Wirbelhöhle  durch  die  übri- 
gen von  lockerem  Bindegewebe  erfüllte 
Spalte,  die  der  Seitenrand  des  Lig.  sacro- 
coccygeum  posticum  prof.  mit  den  Körpern 
der  Steisswirbel  einschliesst  (Bdl.  S.  41). 

Als  Vorläufer  der  Ganglia  spinalia  sind  die 
kleinen  Ganglien,  Ganglia  aberrantia,  zu  be- 
trachten, welche  Hyrtl  (Oesterr-  med.  Jahrb. 
XIX,  449)  zuweilen  an  den  hinteren  Wurzeln 
der  oberen  Cervicalnerven  auffand. 

Von  den  Aesten,  die  aus  der  ersten  Thei- 
lung  des  Spinalnervenstammes  hervorgehen, 
enthält  jeder ,  der  vordere  wie  der  hintere, 
sensible  und  motorische  Fasern.  Die  Ver- 
flechtung der  Fasern  beider  Wxirzeln  muss 
also  unmittelbar  nach  ihrer  Vereinigung 
'  vor  sich  gehen ,  wie  dies  auch  die  anatomi- 
sche Untersuchung  bestätigt.  Was  "  aber 
ausser  dem  Bereich  der  anatomischen  Un- 
tersuchung liegt  und  dem  physiologischen 
Experiment  verdankt  wird,  ist  der  Nach- 
weis, dass  Fasern  der  hinteren  Wurzeln 
aus  dem  Vereinigungswinkel  beider  Wur- 
zeln in  die  vorderen  übergehen  und  in  die- 
sen centralwärts  verlaufen.  Sie  sind  die 
Ursache  der  von  Magen  die  entdeckten, 
von  Schiff  1)  und  Bernard-)  gegen  Lon- 
get  vertheidigten  sogenannten  recurriren- 
den  Sensibilität  der  vorderen  Wurzeln.  Nach 
der  Durchschneidxmg  dieser  Wtirzeln  zeigt 
der  centrale  Stumpf  keine  Empfindlichkeit, 
wohl  aber  der  pheripherische ,  und  diese 
Empfindlichkeit  erlischt,  wenn  die  entspre- 
chende hintere  Wurzel  oder  der  Nerven- 
stamm dicht  unterhalb  des  Winkels,  in  wel- 
chem beide  Wurzeln  zusammenstossen,  ge- 
trennt wird.  Mit  der  Sensibilität  der  vor- 
deren Wurzel  geht  dann  zugleich  die  Sen- 
sibilität der  Oberfläche  des  Rückenmarks 
im  Umkreis  des  Ursprungs  jener  Wurzel 
verloren.  In  Fällen,  wo  die  motorischen 
Nerven  in  allen  Verzweigungen  entartet 
waren,  fand  Schiff  einzelne,  feine,  auf  die 
Rückenmarkshäute  übersehende  Fasern  der 


1)  Archiv  für  Heilkunde,  I,   610.     Lehrb.    d.  Phy- 
Ft  Fil.  term.     *  Ggl.  n.  coccygei.       siol.  I,   144.       ^)  Meissner's    Jahresbericht    1857, 

S.  458. 


458  Spinalnerven. 

vorderen  Wurzeln  unversehrt;    diese   konnten  nur  von    den    hinteren  Wur- 
zeln ihren  Ursprung  nehmen. 

Sehr  selten,  sagt  Bernard,  scheint  eine  vordere  Wurzel  sensible  Fasern  noch 
aus  anderen  Quellen,  als  aus  der  entsj)rechenden  hinteren  Wurzel ,  zu  empfangen, 
in  Fällen  nämlich,  wo  die  Durchschneidung  der  letzteren  die  Sensibilität  des  peri- 
pherischen Stumpfes  der  ersteren  nicht  aufhob. 

Von  den  Stämmen  der  Spinalnerven  entspringen  Fäden,  die  sich  an 
sympathische,  den  Häuten  xmd  Gefässen  des  Wirbelcanals  bestimmte  Zweige 
anschliessen  und  mit  diesen  die  später  zu  beschreibenden  Nil.  sinu-verte- 
hrales  bilden.  Die  vorderen  Aeste  der  Spinalnerven  versorgen  die  Wände 
und  Eingeweide  des  vegetativen  Rohrs,  so  weit  sie  nicht  ihre  Nerven  aus 
dem  Gehirn  empfangen,  sodann  die  Extremitäten  mit  Einschluss  der  von  der 
Wirbelsäule  entspringenden  Muskeln  derselben;  das  Gebiet  der  hinteren 
Aeste  beschränkt  sich  auf  die  eigentlichen ,  longitudinalen  Eückenmus- 
keln  und  den  das  animalische  Rohr  bedeckenden  Theil  der  Haut.  Des- 
halb sind  die  vorderen  Aeste  nicht  nur  beträchtlich  stärker,  sondern  auch 
in  ihrer  Stärke,  wie  in  ihrer  Verbreitung  mannichfaltiger,  als  die  hinteren. 
Nur  an  den  beiden  oberen  Cervicalnerven  übertrifft  die  Stärke  des  hinteren 
Astes  die  des  vorderen ;  der  erste  versieht  mit  seinem  hinteren  Aste  die 
Muskeln  der  Drehwirbel;  der  zweite  die  Haut  des  Theils  des  Schädels,  der 
einem  hinteren  Bogen  xmd  Dorn  entspricht. 

Am  einfachsten  und  gleichförmigsten  verhalten  sich  die  Dorsalnerven 
mit  Ausnahme  des  ersten ,  der  beständig  an  der  Versorgung  der  oberen 
Extremität  sich  betheiligt,  und  des  letzten,  der  sich  zuweilen  mit  den  Ner- 
ven der  unteren  Extremität  in  Verbindung  setzt.  Die  hinteren  Aeste  jener 
Nerven  gelangen  durch  die  weite  Lücke  zwischen  Wirbelkörper  und  Lig. 
costo-transversarium  anticum  auf  die  Rückseite  der  Wirbel.  Hier  theilen 
sie  sich  in  je  einen  lateralen  und  einen  medialen  Ast;  jener  wendet  sich 
unter  dem  Lig.  costo-transversarium  posticum  zu  den  lateralwärts ,  dieser 
zu  den  medianwärts  von  den  Wirbeltuberositäten  gelegenen  Rückenmus- 
keln, jener  also  zum  M.  sacrospinalis,  dieser  zu  den  Mm.  transversospinalis 
und  spinalis ;  beide  senden  Zweige  zur  Haut  über  den  genannten  Muskel- 
gruppen. Die  vorderen  Aeste  der  Dorsalnerven  setzen  sich  zunächst  durch 
einen  über  die  Rippe  medianwärts  absteigenden  feinen  Zweig,  E.  communi- 
cans,  mit  dem  Greuzstrang  des  Sympathicus  in  Verbindung,  dann  verbrei- 
ten sie  sich  ,  in  mehrere  Aeste  getheilt,  in  ihrem  Intercostalraum  an  die 
Muskeln  und  mit  Zweigen,  die  die  Muskeln  durchsetzen,  an  die  Cutis. 

In  den  übrigen  Regionen  der  Wirbelsäule  weichen  die  hinteren  Aeste 
nur  wenig  von  dem  für  die  Dorsalnerven  aufgestellten  Schema  ab,  am  mei- 
sten noch  in  der  Cervicalgegend,  wegen  der  complicirteren  Musculatur  und 
hier,  wie  an  den  hinteren  Zweigen  der  unteren  Sacralnerven,  kommen  auch 
häufig  schlingenförmige  Anastomosen  zwischen  den  hinteren  Aesten  benach- 
barter Stämme  vor.  An  den  vorderen  Aesten  sämmtlicher  ober-  und  un- 
terhalb des  Thorax  austretenden  Nerven  sind  diese  Schlingen  i)  constant ; 
es  entstehen  dadurch,  dass  jeder  Nervenstamm  dem  nächst  oberen  und  nächst 
unteren,  zuweilen  auch  einem  ferneren  Nervenstamm  in  Einem  Zweig  oder  in 


■•■)  Ansäe  cervicales,  lumbales  etc. 


Nn.  cervicales  I  bis  IV.  459 

mehreren  einen  ansehnliclien  Theil  seiner  Fasern  zusendet,  die  oben  (S.  326) 
besprochenen  Geflechte,  aus  welchen  die  peripherischen  Nerven  in  veränder- 
ter und  zwar  in  vermehrter  Zahl  und  mit  neuen  Combinationert  der  Fasern 
hervorgehen.  Auch  die  Rr.  communicantes  verlieren  ihre  regelmässige  An- 
ordnung, indem  sie  statt  aus  den  einzelnen  Nerven,  aus  den  dieselben  ver- 
bindenden Schlingen,  am  oberen  Theil  des  Halses  auch  aus  den  Spinalgang- 
lien ihren  Ursprung  nehmen. 

In  Beziehung  zu  den  Geflechten  der  Siainalnerven  und  den  Stämmen, 
die  sie  aussenden,  übernehmen  die  aus  dem  Rückenmark  entspringenden 
Nervenstämme  ihrerseits  wieder  die  Rolle  von  Wurzeln  und  wenngleich  die 
Schlingen,  durch  welche  diese  Wurzeln  zusammenhängen,  vom  N.  hypoglos- 
sus  bis  zum  ersten  Dorsalnerven  und  vom  letzten  Dorsal-  bis  zum  Steiss- 
beinnerven  ^)  eine  fast  ununterbrochene  Reihe  bilden ,  so  ist  es  doch  Ge- 
brauch, die  beiden  grossen,  auf  diese  Weise  zu  Stande  kommenden  Geflechte 
weiter' abzutheilen.      Es   werden  unterschieden: 

1)  Der  Plexus  cervicalis,  als  dessen  Wurzeln  man  die  vier  obersten 
Cervicalnerven  betrachtet,  an  dem  aber  auch  die  Nn.  facialis,  accessorius  und 
hypoglossus  mit  einer  ansehnlichen  Zahl  ihrer  Fasern  Antheil  nehmen. 

2)  Plexus  hracMalis,  zu  welchem  die  vier  unteren  Cervicalnerven  mit 
dem  grössten  Theil  des  ersten  Dorsalnerven  zusammentreten. 

3)  Plexus  cruralis  ;  Wurzeln  desselben  sind  der  erste  bis  dritte  und 
ein  Theil  des  vierten  Lumbarnerven,  zuweilen  auch  ein  Theil  des  letzten 
Dorsalnerven. 

4)  Plexus  sacrälis,  dessen  Wurzeln  der  untere  Ast  des  vierten  Lum- 
balnerven, der  fünfte  Lumbainerve ,  der  erste  bis  dritte  und  ein  Theil  des 
vierten  Sacralnerven  bilden. 

5)  Plexus  coccygeus,  aus  dem  unteren  Theil  des  vierten  und  dem  fünf- 
ten Sacralnerven  nebst  dem  N.  coccygeus. 

L     Nn.  cervicales  I  bis  IV.  Plexus  cervicalis^). 
Der  N.  cervicalis  I  ^)  liegt  beim  Austritt  aus  der  Wirbelhöhle  auf  dem  i.  Cervic. 

.  .  I  bis  IV 

Sinus  atlantis  unter  der  A.  vertebralis,  unmittelbar  bedeckt  vom  M.  obli- 
quus  capitis  siip.  und  dem  festen  Bindegewebe,  welches  die  Lücken  zwischen 
den  tiefen  Nackenmuskeln  ausfüllt.  Noch  auf  dem  Sinus  atlantis  theilt  er 
sich  in  zwei  Aeste  von  ziemlich  gleicher  Stärke ,  die  unter  fast  rechtem 
Winkel  nach  entgegengesetzten  Richtungen  vom  Stamme  abgehen.  Der 
hintere  Ast  (Fig.  266  C^  "^)  verzweigt  sich  in  den  Muskeln,  der  vordere 
geht  zuerst  auf  dem  Sinus  atlantis  unter  der  A.  vertebralis  weiter  zur  Wur- 
zel des  Querfortsatzes  und  dann  an  der  medialen  Seite  dieser  Arterie  zur 
Vorderfläche  des  genannten  Foi'tsatzes,  bedeckt  vom  M.  rectus  capitis  late- 
ralis, an  dessen  medialem  Rande  er  zum  Vorschein  kommt. 

Der  N.  cervicalis  II  verläuft  nach  seinem  Austritt  eine  kurze  Strecke 
vorwärts  an  der  Vorderfläche  des  M.  obliquus  capitis  inf.,  und  theilt  sich  am 


^)  Plexus    luinho-sacralis  Krause.  ^)  Plexus  cerv.  profundus     im  Gegensatz  zu  den 

Anastomosen  der  Hautzweige  der  aus  diesem   Plexus    hervorgehenden   Nerven.  ^)   iV.  in- 

fraoccipitalis  s.  suhoccipitalis.     N.  aschianus. 


460 


Nn.  cervicales  I  bis  IV. 


lateralen  Eande  dieses  Muskels  in  seine  beiden  Aeste.  Der  hintere  Ast,  der 
am  zweiten  Cervicalnerven  ausnahmsweise  der  stärkere  ist  (Fig.  265  C^  +  ), 
schlägt  sich  um  den  Rand  des  M.  obliquus  cap.  inf.  nach  hinten  und  ge- 
langt zwischen  die  kurzen  Muskeln  der  Drehwirbel  und  den  M.  semispinalis 
capitis.     Der  vordere  Ast  liegt,  bedeckt  vom  M.  intertransversarius   post., 

Fig.  266. 


Profilansicht  des  obersten  Theils  der  Nackengegend;  die  Muskeln  theihveise  zurückgelegt 
und  durchschnitten,  um  die  Austrittsstellen  der  Nerven  zu  zeigen.  Si^cp  M.  splenius  cap. 
Lgcp  M.  longiss.  cap.  Sem  M.  sternocleidomast.  Ocs  M.  obliq.  cap.  sup.  Rcl  M.  rect! 
cap.  lateral.  Lop  M.  long.  cap.  Itp  M.  intertransvers.  post.  Sscp  M.  semispin.  cap.' 
Oci  M.  obliq.  cap.  inf.  Rcpmj  M.  rect.  cap.  post.  maj.  Rcpm  M.  rect.  cap.  post.  min. 
V  A  vertebr.     *  Proc.  styloid.     ocmj  N.  occip.  maj. 


Nn.  cervicales  I  bis  IV.  461 

an  der  lateralen  Fläclie  der  A.  vertebralis  und  wird  an  der  Vorderfläche 
der  Wirbelsäule  zur  Seite  der  Ursprünge  des  M.  longus  capitis  sichtbar. 

An  den  folgenden  Nn.  cervicales  findet  die  Theilung  des  Stammes 
noch  innerhalb  des  For.  intervertebrale  Statt.  Der  vordere  Ast  tritt  zwi- 
schen den  Mm.  intertransversarius  ant.  und  post.  hervor,  der  hintere  wen- 
det sich  in  der  Aushöhlung  des  Säulchens,  welches  die  obere  und  untere  Ge- 
lenkfläche trägt,  nach  hinten  (Fig.  265  C'^*). 

Der  hintere  Ast  des  N.  cervic.  I  zeichnet  sich  dadurch  aus,  dass  er  kei- 
nen Hautnerven  abgiebt,  sondern  sich  ganz  in  motorische  Zweige  für  die 
tiefen  Nackenmuskeln,  die  Mm.  recti  cap.  postt.  und  die  Mm.  obliqui  cap., 
auflöst.  Mittelst  eines  den  M.  obliquus  inf.  durchbohrenden  Astes  anasto- 
mosirt  er  zuweilen  mit  dem  hinteren  Aste  des  zweiten  Cervicalnerven  ^). 

Der  hintere  Ast  des  zweiten  Cervicalnerven  theilt  sich,  nachdem  er 
den  Rand  des  M.  obliqmis  cap.  inf.  passirt  hat,  in  drei  Zweige,  einen  auf-, 
einen  absteigenden  und  einen,  der  in  aufwärts  concavem  Bogen,  seinem 
Verlaufe  und  seiner  Stärke  nach ,  die  Fortsetzung  des  Stammes  darstellt 
(Fig.  266).  Der  aufsteigende  Zweig  versorgt  den  M.  longissimus  capitis, 
zuweilen  auch  den  M.  obliquus  cap.  sup.  oder  inf.,  verläuft  zwischen  dem 
M.  semispinalis  cap.  und  dem  M.  splenius  zu  dem  letzteren  und  sendet  an 
dessen  medialem  Rande  einen  nicht  ganz  beständigen  Hautast  zur  Hinter- 
hauptsgegend. Der  absteigende  Zweig  verästelt  sich  in  den  Zacken  des 
M.  semispinalis  capitis  und  anastomosirt  mit  dem  hinteren  Ast  des  dritten 
Cervicalnerven.     Der  Hauptast, 

N.  occipitalis  major    OCmj'^) 

durchbohrt  den  M,  semispinalis  capitis  und  die  Sehne  des  M.  trapezius,  ein- 
fach oder  in  zwei  Aeste  getheilt,  die  sich  nach  dem  Durchtritt  durch  die 
Muskeln  geflechtartig  wieder  vereinigen.  In  der  Gegend  der  oberen  Nacken- 
linie, 3  bis  4  Cm.  von  der  Medianlinie  entfernt,  gelangt  er  unter  die  Haut, 
wird  platt  und  theilt  sich  in  spitzwinklig  divergirende  Zweige,  die  sich  zum 
Theil  in  Begleitung  der  Aeste  der  A.  occipitalis  bis  zum  Scheitel  (selbst 
bis  zur  Sutura  coronalis  Cruv.)  verfolgen  lassen  (Fig.  266.  267). 

Der  hintere  Ast  des  dritten  Cervicalnerven  giebt  neben  Zweigen  zu 
den  tiefen  Nackenmuskeln  und  einem  im  obersten  Theil  des  Nackens  her- 
vordringenden horizontalen  Hautzweig ,  noch  einen  feinen ,  gerade  empor- 
steigenden R.  occipitalis  ab,  der  sich  entweder  in  den  N.  occipit.  maj.  ein- 
senkt oder  selbständig  an  dessen  medialer  Seite  durch  die  Sehne  des  M. 
trapezius  zur  Haut  des  Hinterhaupts  gelangt. 

Der  hintere  Ast  des  vierten  Cervicalnerven  umkreist  den  M.  semispina- 
lis cervicis,  liegt  also  zwischen  den  Mm.  semispinalis  cervicis  und  semispi- 
nalis capitis  und  theilt  sich  in  zwei  Aeste,  einen  lateralen,  der  sich  in  dem 
letztgenannten  Muskel  verzweigt  und  einen  medialen,  der  die  Mm.  semispi- 
nalis cervicis  und  multifidus  versorgt  und  mit  Aesten,   die  die   Ursprungs- 


1)  Derai'tige  Anastomosen,  wie  sie  auch  mit  den  hinteren   Aesten    der   folgenden    Ner- 
ven stattfinden,  geben  Anlass  zur  Aufstellung  eines  Plexus  cervic-  post.  (Cruv.). 
^)  N.  occipitalis  magnus  s.  maximus.     N.  occipitalis  int.  Cruv. 


462  Plexus  cervicalis. 

seline  der  Mm.  trapezius  und  splenii  durchbohren ,  neben  den  Wirbeldoruen 
in  die  Haut  ausstrahlt. 

Plexus     cervicalis. 

piex.  cervic.  Er    entsteht   durch    die  Anastomosen ,   welche   die   vorderen   Aeste  der 

vier  oberen  Cervicalnerven  einander  zusenden.  Zwischen  den  vorderen 
Aesten  des  ersten  und  zweiten  und  des  zweiten  und  dritten  Cervicalnerven 
ist  es  in  der  Regel  ein  einfacher,  dünner  Faden,  welcher  am  vorderen  Rande 
dort  des  M.  rectus  capitis  lateralis,  hier  des  M.  intertransversarius  posticus 
von  den  gerade  vorwärts  verlaufenden  Nerven  xmter  rechtem  Winkel  ab- 
geht und  in  verticaler  Richtung  ab-  oder  aufsteigend  die  benachbarten 
Nerven  verbindet.  Der  dritte,  vierte  und  die  folgenden  vorderen  Cervical- 
nervenäste  haben,  indem  sie  zwischen  den  beiden  Zacken  der  Querfortsätze 
hervortreten,  die  medialen  langen  Halsmiiskeln  und  die  Ursprünge  des  M. 
scalenus  ant.  an  ihrer  medialen,  die  Insertionszacken  des  M.  splenius  colli 
und  die  Ursprünge  der  Mm.  levator  scapulae  und  scalenus  medius  an  ihrer 
lateralen  Seite.  Sie  wenden  sich  auf  den  letztgenannten  Muskeln,  bedeckt 
vom  M.  sternocleidomastoideus ,  sogleich  rück  -  abwärts.  Ein  starker,  öfters 
in  mehrere  parallele ,  geflechtartig  verbundene  Fäden  zerfallener  Nerven- 
strang läuft  schräg  ab-  und  seitwärts  vom  dritten  Cervicalnerven  zum  vier- 
ten. Zwischen  dem  vierten  und  fünften  fehlt  gewöhnlich  der  Verbindungs- 
ast, doch  besteht  meistens  eine  mittelbare  Verbindung  durch  Fäden,  die  der 
fünfte  Cervicalnerve  Aesten  des  vierten,  dem  N.  phrenicus  oder  einem  N. 
supraclavicularis,  zuschickt.  Den  Schleifen  der  Cervicalnerven  darf  noch 
der  oben  (S.  450)  bereits  erwähnte  Verbindungsast  zwischen  dem  ersten 
Cervicalnerven  und  dem  N.  hypoglossus  zugezählt  werden.  Von  den  j)eri- 
pherischen  Aesten  des  Plexus  cervicalis  geht  eine  Anzahl,  zum  Theil  schon 
aus  den  Wurzeln,  nach  kurzem  Verlauf  sogleich  in  die  iie  Austrittsstellen  der 
Nerven  begrenzenden  Muskeln  und  in  den  Grrenzstrang  des  Sympathicus 
über.  Der  erste  Cervicalnerve  sendet  einen  ansehnlichen  Theil  seiner  Fa- 
sern gerade  vorwärts  zum  Ggi.  cervicale  supr.  Zu  demselben  gelangen 
meistens  auch,  unter  den  vorderen  Halsmuskeln  durchtretend,  die  Rr.  commu- 
nicantes  aus  dem  zweiten  und  dritten  Cervicalnerven  oder  aus  deren  Schlei- 
fen. Der  vierte  R.  communicans  entspringt  zuweilen  aus  dem  N.  j)hrenicus 
und  tritt  tiefer  in  den  Halstheil  des  Sympathicus  oder  in  das  Grgl.  cervicale 
medium,  wenn  ein  solches  vorhanden  ist,  ein.  Auf  alle  diese  Verbindun- 
gen komme  ich  bei  der  Beschreibung  des  Sjnnpathicus  ausführlicher  zurück. 
Die  längeren  und  ansehnlicheren  Aeste  des  Plexus  cervicalis  sind  von  zweier- 
lei Art,  nämlich  oberflächliche,  die  sich  ganz  oder  zum  grösseren  Theil  in  der 
Haut  verbreiten,  und  tiefe,  wesentlich  motorische  Aeste.  Die  oberflächlichen 
Aeste  erscheinen  in  zwei  Gruppen ;  die  der  ersten,  welche  hauptsächlich  vom 
dritten  Cervicalnerven  abstammen,  schlagen  sich  um  den  hinteren  Rand  des  M. 
sternocleidomastoideus  herum  und  verlaufen  über  demselben,  durch  das  den  Mus- 
kel bedeckende  Bindegewebe  in  ihrer  Lage  befestigt,'  auf-  und  vorwärts ;  es  sind, 
von  oben  nach  unten  gezählt,  die  Nn.  occipttalis  minor ^  auricularis  magnus  und 
suhcutaneus  colli  inf.  Die  oberflächlichen  Nerven  der  zweiten  Gruppe ,  deren 
Hauptquelle  der  vierte  Cervicalnerve  ist,  kommen  aus  der  Fossa  supraclavi- 
cularis, zwischen  Sternocleidomastoideus  und  Trapezius,  hervor;   sie  breiten 


N.  occipit.  minor.     N.  auricularis  magn.  463 

sich  stralalenförmig  abwärts  und  um  den  Rand  des  letztgenannten  Muskels 
rückwärts  aus  und  werden  unter  dem  Namen  Nn.  supraclaviculares  zusam- 
mengefasst.  Die  tiefen  motorisclien  Aeste  gehören  drei  verschiedenen  Mus- 
keln oder  Muskelgruppen  an:  Aeste  des  zweiten  und  dritten  Cervicalner- 
ven,  die  mit  dem  R.  descendens  hypoglossi  zusammentreten,  enden  in  den 
vom  Brustkorb  zum  Zungenbein  aufsteigenden  Muskeln;  ebenfalls  aus  dem 
zweiten  und  dritten  Cervicalnerven  stammen  Aeste,  die  sich,  mit  dem  N. 
accessorius  anastomosirend,  zu  den  von  diesem  Nervenstamm  versorgten 
Muskeln  begeben;  vorzugsweise  vom  vierten  Cervicalnerven  geht  der  N. 
phrenicus,  der  Bewegungsnerve  des  Zwerchfells  aus. 

a.     Kurze  Muskelnerven. 
Sie  gehen  aus  den  Wurzeln  des  Plexus,   seltener  und  nur   die  tieferen  a.  Kurze 

J\IiiskGln6rv 

aus  Zweigen  des  Plexus  direct  in  die  hinteren  Halsmuskeln,  aus  dem  er- 
sten Cervicalnerven  in  die  Mm.  rectus  capitis  lateralis,  rect.  cap.  ant.  und 
long,  capitis  (Fig.  265),  aus  dem  zweiten  bis  vierten  oder  deren  Ansäe  in 
die  Mm.  long,  capitis ,  atlantis  und  colli,  aus  dem  vierten  medianwärts  in 
die  obere  Zacke  des  M.  scalenus  ant.,  lateralwärts  in  die  Mm.  levator  sca- 
pulae  und  scalenus  medius  (Fig.  268). 

b.     Oberflächliche   Nerven. 
1.     N.   occipitalis   minor  OC7H'^). 
Am  häufigsten  aus  dem  dritten  Cervicalnerven,   nicht  selten   aus  dem  b.  oberfi. 

.  .  .  Nerv. 

zweiten  ^)  oder  aus  einem  starken  Verbindungszweig  zwischen  dem  zweiten  i.  occip. 
und  dritten;  steigt,  früher  oder  später  spitzwinklig  in  zwei  Zweige  gespal-  ™"^' 
teu,  auf  dem  hinteren  Rande  des  M.  sternocleidomastoideus  und  über  des- 
sen Insertionssehne  am  Hinterhaupt  empor  (Fig.  267).  Ungefähr  in  der  Mitte 
zwischen  den  Nn.  occipitalis  major  und  auricularis  magnus,  zu  denen  er  im 
umgekehrten  Verhältniss  der  Stärke  steht,  verzweigt  er  sich  in  der  Haut 
des  Hinterhaupts,  öfters  auch  der  medialen  Fläche  des  Ohrs  (Turner)^). 

Durchbohrt  zuweilen  mit  dem  hinteren  Aste  den  Rand  des  M.  trapezius. 

2.     N.   auricularis   magnus  ClTtl^). 

In  der  Regel  der  stärkste  Ast  des   Plexus  cervicalis,  entspringt  allein  2.  Auric. 
oder  aus  Einem  Stamme  mit  dem  folgenden  von  dem   dritten  oder  von  der 
Schleife  des  dritten  und  vierten,  seltener  des  zweiten  und  dritten  Cervical- 
nerven.     Ungefähr  in   der  Mitte  der  Höhe   des  M.  sternocleidomastoideus 
tritt  er  am  hinteren  Rande  dieses  Muskels  hervor,   anfangs  vom  M.  subcu- 


^)  N.  o.  parvus  s.  externus  s.  anterior.  R.  mastoideus.  Als  E.  masioideus  minor  wird 
ein  Zweig  dieses  Nerven  beschrieben,  der  sich  in  der  den  Warzenfortsatz  deckenden  Haut 
verbreitet.  ^)  Nach  Cruveilhier  und  Sappey  die  Regel.  ^)  Natural  history|revieWi 
1864,  p.   613.     *)  N.  auricularis  cervicalis  s.  posterior. 


464  IST.  auricularis  magnus. 

taneus  colli  bedeckt,  läuft  gerade  aufwärts  zum  äusseren  Ohr  und  theilt  sich 
in  zwei  kaum    divergirende,    mitunter   plexusartig    verbundene   Aeste,   von 

Fig.  267. 


Terminale    Aeste    des    N.  facialis    und    der    sensibeln    Kopfnerven.     Die    Parotis    ist  bis  auf 

einen  kleinen  Rest  (*)  entfernt,     so  N.   supraorbitalis.      la  N.  lacrymalis.     ot  K.  temporalis 

n.  orbitalis.    ./"  N.  frontalis.     s<  N.  supratrochl.     it  N.    infratrochl.     o  m   R.   malaris  n.  or- 

bitalis.     i  o  N.   infraorbitalis.      e  N.   ethmoid.     m  N.  mentalis,      h  N.  buccinatorius. 

a  OT    N.  auric.  magn.       ocm  N.  occipit.  min.       ocinj    N.  occip.  maj. 

at  N.   auriculo-temp. 


N.  subcutaneus  colli  inf.  405 

denen  der  hintere  meist  stärker  ist ,  als  der  vordere.  Der  hintere  Ast  i) 
legt  sich  in  die  Rinne  zwischen  Ohr  und  Schädel  und  vertheilt  seine  Zweige 
in  die  Haut  über  dem  Warzenfortsatz  und  in  den  oberen  Theil  des  äusse- 
ren Ohrs.  Der  vordere  Ast  2)  tritt  in  die  dem  Schädel  zugewandte  Fläche 
des  Ohrläppchens  ein  und  versieht  mit  feinen  Zweigen,  die  zum  Theil  den 
Ohrknorpel  durchbohren,  die  Haut  der  inneren  und  äusseren  Fläche  der 
unteren  Hälfte  des  Ohrs  und  die  Haut  des  äusseren  Gehörgangs. 

Aus  beiden  Aesten,  reichlicher  aus  dem  vorderen,  begeben  sich,  wäh- 
rend sie  am  hinteren  Rande  des  Unterkieferastes  emporsteigen,  feine  Aeste  '), 
zum  Theil  durch  die  Parotis,  vorwärts  zur  Haut  der  Wange;  sie  lassen 
sich  an   manchen  Köpfen  bis  in  die  Gegend  des  Jochbeins  verfolgen. 

Cmveilhier  sali  zwei  dieser  Zweige  in  einem  kleinen  Ganglion  zusammen- 
stossen,  von  welchem  Hautäste  ausgingen,  die  sich  übrigens  auf  die  gewöhnliche 
Weise  verhielten. 

3.     N.  subcutaneus  colli  inferior  SCi'^). 

Der  durch  seine  platte,  bandartige  Gestalt  aiisgezeichnete  Nerve  ent-  s.  Subont, 
springt  gemeinschaftlich  mit  dem  N.  auricularis  magnus  oder  gesondert 
aus  dem  dritten  Cervicalnerven  oder  aus  dessen  Schleife  mit  dem  zweiten 
oder  vierten,  umkreist  unmittelbar  unter  dem  N.  auricularis  m.  den  Rand 
des  M.  sternocleidomastoideus,  kreuzt  die  V.  jugularis  ext.  und  zerfällt  zwi- 
schen den  Mm.  sternocleidomastoideus  und  subcutaneus  colli  zunächst  in 
zwei  Aeste  (Fig.  267).  Gewöhnlich  ist  es  der  obere  Ast  ^),  der,  aufwärts  umbie- 
gend, mit  dem  untersten  Endaste  des  N.  facialis  (N.  subcutaneus  colli  sup.)  eine 
Schlinge  bildet,  aus  welcher  zahlreiche,  geflechtartig  anastomosirende ,  den 
M.  subcutaneus  durchsetzende  Nerven  zur  Haut  der  Unterkinngegend  und 
der  oberen  Hälfte  des  Halses  hervorgehen,  während  der  untere  Ast  ^)  seine 
Zweige  gerade  vor-  und  abwärts  an  die  untere  Hälfte  des  Halses  vertheilt. 
Doch  Icann  auch  der  untere  Ast  die  Anastomose  mit  dem  R.  subcutaneus 
colli  sup.  des  Facialis  eingehen  und  der  obere  sich  isolirt  in  der  Submaxil- 
lar-  und  selbst  in  der  Kinngegend  verästeln.  Cruveilhier  beschreibt 
Zweige  des  oberen  Astes,  welche  zu  beiden  Seiten  die  V.  jugularis  ext.  auf- 
wärts begleiten,  und  einen  Zweig  des  unteren  Astes,  der  in  der  vorderen 
Medianlinie  aufwärts  umbiegt  und  bis  über  das  Zungenbein  verfolgt  wer- 
den kann.  Der  obere  wie  der  untere  Ast  geben  dem  M.  subcutaneus  colli 
feine  Fädchen.  Oefters  geht  ein  Ast  des  dritten  Cervicalnerven  über  den 
M.  trapezius  rück-abwärts  zur  Haut  des  Halses  (Fig.  268**). 

In  einem  von  C lasen  (Upsala  Läkareförenings  Förhandlingar.  VI,  492)  beob- 
achteten Falle  theilte  sich  der  N.  subcutan,  colli  inf.  neben  der  V.  jugularis  ext. 
in  zwei  Zweige,  von  denen  der  Eine  vor  der  Vene,  der  andere  durch  eine  Insel 
verlief,  welche  die  Vene  durch  Theiluug  und  Wiedervereinigung  ihrer  Aeste  bildete. 


1)  R.  auricularis  int.,  getheilt  in  filum  auriculare  und  mastoidewn  Cruv.  R.  auri- 
cularis post.  superficialis  Krause.  R.  post.  Arnold.  R.  niasioideus  Hyrtl.  ^)  R.  auri- 
cularis ext.  Cruv.  R.  auricularis  inf.  Krause.  R.  facialis  Arnold.  R.  auricularis 
Hyrtl.  ^)  Rr.  faciales  s.  parotidei  Cruv.  *)  N.  superficialis  colli  s.  profundus  subcuta- 
neus colli  medius  Meckel.  N.  cermcalis  superficialis  Cruv.  N.  subcutaneus  colli  sup. 
Valentin.     N.  subcutaneus  colli  aut.  ^)  R.  adscendens.       N.    subcutaneus   colli  medius 

Bock.     **)  Ä.  descendens.     N.  sttbcutaneus  colli  inf.  Bock. 

H  e  nl  e  ,  Anatomie.   Bd.  III.    Abthlg.  2.  qq 


466  Nn.  supraclaviculares. 

4.     Nn.  supraclaviculai^es   SC. 

4.  Supra-  Zwei  und  mehr  Stämme,  welche  aus  der  Schleife  des  dritten  und  vierten 

undaiis  dem  vierten  Cervicalnerven  entspringen  (Fig.  268).  Sie  geben  durch 
spitzwinklige  Theilung  neun  bis  zehn  Aesten  den  Ursprung,  die  in  dem 
Fett  der  Fossa  supraclavicularis  über  den  transversalen  Aesten  der  A.  subclavia 
abwärts  verlaufen  und  zwischen  den  Rändern  der  Mm.  sternocleidomastoi- 
deus  und  trapezius  die  oberflächliche  Halsfascie  durchbohren,  um  in  unge- 
fähr gleichen  Abständen  über  das  Schlüsselbein  zur  oberen  Region  der  Brust 
und  über  den  Rand  des  Trapezius  zur  unteren  Region  des  Nackens  zu  ge- 
langen. Die  dem  M.  sternocleidomastoideus  nächsten  ^)  biegen  sich  um  des- 
sen Schlüsselbeinursprung  medianwärts  und  enden  in  der  Haut,  die  den 
Handgriff  des  Brustbeins  deckt.  Die  am  Schlüsselbeinansatz  des  M.  trape- 
zius austretenden  Aeste  ^) ,  von  denen  der  äusserste  zuweilen  den  Rand 
des  Muskels  durchbohrt,  ziehen  über  die  Acromialgegend  rückwärts  bis  ge- 
gen den  medialen  Rand  des  Schulterblatts.  Die  mittleren  Aeste  ^)  laufen 
divergirend  gerade  abwärts  und  lassen  sich  bis  in  den  zweiten  Intercostal- 
raum  verfolgen. 

Von    den   beiden   medialen  Nn.   supraclaviculares   stammen   die   feinen 
Aeste  zum  Sternoclaviculargelenk  (Bock.     Rüdinger)  *). 

Var.  Einer  der  mittleren  Supraclavicularnerven  verläuft  durch  einen  Canal 
des  Schlüsselbeins  (Bock,  Bückenmarksnerven,  S.  39.  G-ruher,  Neue  Anomalien. 
Berlin  1849,  S.  23.  Luschka,  Anat.  Bd.  I,  Ahth.  1,  S.  409.  Glasen,  Upsala 
Läkareförenings  Förhandlingar,  III,  492.  Turner,  Journ.  of  anat.  2.  ser.  No.  IX, 
p.  102).  Cruveilhier,  der  diese  Anomalie  eine  nicht  seltene  nennt,  fand  zuwei- 
len, statt  einer  knöchernen  Wand  des  Canals,  eine  sehnige  Brücke.  Nach  seiner 
Beschreibung  befindet  sich  der  Canal  an  der  Grenze  des  lateralen  und  mittleren 
Drittels  des  Schlüsselbeins ;  die  Nerven  dxirchsetzen  ihn  zu  Einem  Stamm  ver- 
einigt und  zerstreuen  sich  erst  am  Ausgang  desselben,  indem  sie  längs  dem  Kno- 
chen lateral-  uud  medianwärts  ausstrahlen. 

c.     Tiefe   Nerven. 

1.     N.  cervicalis   descendens  ^). 

c.  Tiefe  Setzt  sich  zusammen  aus  dem  R.  descendens  N.  hypoglossi  (S.450)  und 

i!'^Ce'rvic.      Aesten  aus  dem  zweiten  oder  aus   der   Schleife  zwischen   dem   zweiten   und 


desc. 


Zu  Fig.  268. 
Profilansicht  des  Halses.  Der  M.  sternocleidomasteus  [Sem)  theilweise  ausgeschnitten,  die 
Reste  auf-  und  abwärts  zurückgeschlagen.  Bm  hinterer  Bauch  des  M.  biventer  mandibu- 
lae.  Th  M.  thyreohyoid.  StnJi  M.  sternohyoid.  Oh  M.  omohyoid.  Lc  M.  long,  colli. 
Stt  M.  sternothyreoid.  Sca  M.'  Scalen,  ant.  Tr  M.  trapezius.  Ls  M.  levator  scap. 
Scp  M.  scalenus  post.  Scmd  M.  scalen.  med.  Cc  A.  cai-otis.  comm.  dh  R.  descend.  hj^- 
pogl.  phr  N.  phren.  S  N.  sympath.  ocm  N.  occip.  min.  am  N.  auric.  magn.  **Rr. 
communicantes  der  Nn.   cerv.  III  und  IV  mit  dem  Sympath. 


^)  Nn.  supraclaviculares  anU.  Rr.  slernales  Cruv.  Rr.  siqjrasternales  Sappey. 
^)  Nn.  supraclaviculares  postt.  Nr.  supraocromiales  Cruv.  Einer  derselben  ist  der  N. 
superficialis    scapulae    Langenbeck.  ^)  N71.    supraclaviculares    niedü.     Rr.    claviculares 

Cruv.  *)  Die  Gelenknerven,  S.   10.  ^)  R.  descendens  hypoglossi  aut.     N.  descendens 

colli  int.     R.   muscularis  regiotiis  infrahyoideae  Cruv. 


Fiff.  268. 


467 


468  N.  cervicalis  clescendens. 

dritten  Cei'vicalnerven.  Im  letzteren  Fall,  wenn  die  beiden  Cervicalner- 
ven  sich  an  der  Bildung  des  N.  cervicalis  descendens  betheiligen,  sind 
die  Aeste  entweder  gleich  stark  und  die  Schlinge  ist  doppelt,  oder  der 
zweite  liefert  nur  einen  feinen,  quer  über  den  Stamm  des  N.  vagus 
verlaufenden  Faden.  Der  Hauptverbindungsast  vom  dritten  oder ,  wenn 
dieser  fehlt,  vom  zweiten  Cervicalnerven  tritt,  über  der  Scheide  der 
Halsgefässstämme  ab  -  medianwärts  verlaufend ,  mit  dem  E,.  descen- 
dens hypoglossi  in  der  Gegend  der  intermediären  Sehne  des  M.  omo- 
hyoideus  oder  etwas  oberhalb  derselben  in  Form  einer  langgezogenen 
Schlinge^)  oder  unter  spitzem  Winkel  zusammen  (Fig.  268).  Aus  dem  vor- 
deren, vom  N.  hypoglossus  stammenden  Schenkel  der  Schlinge  erhält  der 
obere  Bauch  des  M.  omohyoideus,  öfters  auch  der  M.  sternohyoideus  je 
einen  Ast.  Aus  dem  Gipfel  der  Schlinge  entspringen  Aeste  zu  den  Mm. 
sternohyoideus  und  sternothyreoideus  und  dem  unteren  Bauch  des  M.  omo- 
hyoideus. Indess  machen  Volkmann's  Versuche  am  Hypoglossus  (s.  oben) 
es  wahrscheinlich,  dass  alle  diese  Nerven  aus  den  cervicalen  Schenkeln  der 
Schlinge  stammen,  und  selbst  von  den  aus  dem  Stamme  des  N.  hypoglossus 
abgehenden  Nerven  der  Zungenbeinmuskeln  lässt  sich  vermuthen,  dass  sie 
auf  Fasern  zurückzuführen  seien,  die  der  N.  hypoglossus  durch  die  Ana- 
stomose mit  den  Cervicalnerven  erhält.  Der  R.  descendens  hängt  nämlich 
zuweilen  mit  dem  Hj'^poglossus  durch  zwei ,  unter  stumpfem  Winkel  sich 
vereinigende  W^urzeln  zusammen,  von  denen  die  eine  von  der  centralen,  die 
andere  von  der  peripherischen  Seite  des  Nervenstammes  ausgeht,  und  auch 
wo  die  Abgangsstelle  einfach  zu  sein  scheint,  besteht  nach  Volk  mann  2) 
und  E.  Bischoff '^)  der  R.  descendens  regelmässig  aus  zwei  Faserbündeln ,  de- 
ren eins  in  den  centralen,  das  andere  in  den  peripherischen  Theil  des  Stam- 
mes umbiegt.  In  Einem  Fall  (beim  Pferde)  sah  Volkmann  sogar  die 
gesammte  Masse  des  R.  descendens  sich  im  Hypoglossus  peripherisch  wen-^ 
den.  Fasern  dieser  Art  können  nur  aus  den  Cervicalnerven  in  der  Schlinge 
aufsteigen,  um  in  den  einen  oder  anderen  peripherischen  Zweig  des  Hyjoo- 
glossus  überzugehen. 

Cruveilhier  zählt  unter  den  Cervicalnerven,  die  dem  Hj'poglossus  die  Schlinge 
bilden  helfen,  auch  den  vierten  auf.  Dies  kann  nur  als  seltene  Ausnahme  vor- 
kommen. Er  spricht  von  einem  in  die  Schlinge  eintretenden  Aste  des  N".  phreni- 
cus;  Meckel  erwähnt,  nach  dem  Vorgange  Haller' s  iind  Wrisberg's,  einen 
kleinen  aber  beständigen  Zweig  aus  der  Schlinge  des  Hj-poglossus  zum  N.  phreni- 
cus.  Ich  werde  auf  diesen,  jedenfalls  seltenen  Nerven  bei  der  Beschreibiing  des 
N.  phrenicus  zurückkommen. 

In  den  älteren  Handbüchern  findet  sich  die  Angabe ,  dass  der  E.  descendens 
mitunter,  statt  aus  dem  N.  hj-poglossus,  aus  dem  Plexus  ganglioformis  des  Vagus 
hervorgehe  oder  einen  Faden  aus  dem  Stamme  dieses  Nerven  aufnehme.  Rich- 
tiger bezeichnet  mau  mit  C.  Krause  diese  Varietät  so,  dass  der  E..  descendens 
zuweilen  eine  Strecke  im  Neurilemm  des  Vagus  eingeschlossen  verlaufe,  wodurch 
es  den  Anschein  gewinnt,  als  entspringe  er  von  diesem.  Doch  kommt  es  vor,  dass 
der  E.  descendens  hjqooglossi  völlig  fehlt  und  die  Aeste  zu  den  Zungenbeinmus- 
keln immittelbar  aus  dem  Stamme  des  N.  vagus  entspringen  (Pye- Smith,  Howse 
nnä  Davies-Colley,  Guy's  liosp.  rep.  3.  ser.  XVI,  161),  und  in  einem  von  Tur- 
ner   (Journ.    of  anat.  2.    ser.  Nr.  VIII,  p.   102)    beobachteten    Fall    sandte    der   E. 


■"^J  Ansa  hypoglossi.     ^)  Mühei-'s  Archiv,   1840,  S.   502.     ^)  Kopfnerven,   S.  35. 


N.  plireiiiciis.  4:69 

descendens,  der  aus  dem  N.  vagus  entsprungen  war,  einen  Theil  seiner  Fasern 
wieder  zu  dem  Stamm  dieses  Nerven  zurück. 

Die  Melirzalil  der  Handbücher  seit  Meckel  besclireiben  einen  Zweig  des  N. 
cervicalis  descendens,  der  in  die  Brustliölile  eindringe  und  an  der  Bildung  des 
Plexus  cardiacus  sich  betheilige.  Cruveilhier  und  Long  et  übergehen  ihn  mit 
Stillschweigen  und  Sappe  3'  erklärt  sich  bestimmt  gegen  denselben. 

Ebenso  bestritten  ist  die  Verbindung  der  Schleife  des  Hypoglossus  mit  Fäden 
vom  Sympathicus. 

2.     Aeste  zu  den  Mm.  steriiocleidomastoideus  und  trapezius. 

Bernard  ^)  machte  die  Beobachtung,  dass  bei  Thieren,  denen  er  den  2.  Zu  Mm. 
N.  accessorius  zwischen  Hinterhaupt  und  Atlas  durchschnitten  hatte,  der  |o*;n""ujf^' 
M.  sternocleidomastoideus  nicht  aufhört,  an  den  gewaltsamen  Athembewe-  ^'■'^^^^■ 
gungen  Theil  zu  nehmen,  während  es  dagegen  den  Anschein  hatte,  als  ob 
er  die  Fähigkeit  zu  willkürlicher  Bewegung  verloren  habe.  Die  Quelle 
der  respiratorischen  Nerven  des  Sternocleidomastoideus  sucht  Bernard  im 
Plexus  cervicalis,  der  in  mannichfaltiger  Weise  mit  dem  N.  accessorius  anasto- 
mosirt  (Fig.  268).  Vom  zweiten  und  dritten  Ast  und  von  der  Schlinge  zwischen 
beiden  gehen  Fäden  aus,  die  sich  dem  Stamm  des  N. accessorius  vor  seinem 
Eintritt  in  den  genannten  Muskel  oder  einem  seiner  Aeste  innerhalb  des 
Muskels  beigesellen  oder  auch  selbständig  einen  Theil  des  letzteren  versorgen. 
Die  Verbindung  hat  das  Ansehen  einer  einfachen  Anlagerung  oder  einer 
Schlinge  oder  eines  mehr  oder  minder  complicirten  Geflechtes.  Oft  aber 
nimmt  der  Accessorius  den  Zuwachs  an  Fasern  aus  dem  Plexus  cervicalis 
erst  nach  Abgabe  der  Sternocleidomastoideus-Aeste  auf,  so  dass  dieser  Zu- 
wachs nur  dem  M.  trapezius  zu  Giite  zu  kommen  scheint;  mit  dem  in  diesen 
Muskel  eintretenden  Stamm  des  Accessorius  verbinden  sich  auch  Zweige 
des  vierten  Cervicalnerven  (selbst  des  fünften  nach  Meckel)  nicht  selten 
unmittelbar  vor  seiner  Verästelung. 

Zuweilen  werden  motorische  Aeste  zu  den  beiden,  vom  Accessorius  versorgten 
Muskeln  von  den  sensibeln  Aesten  des  Plexus  cervicalis  abgegeben.  So  sah  ich 
einen  Ast  zum  M.  trapezius  aus  dem  N.  occipitalis  minor  entspringen.  In  einem  von 
Pye-Smith,  Howse  und  Davies-Colley  (a."  a.  0.)  beschriebenen  Falle  erhielt 
der  steruale  Kopf  desM.  sternocleidomastoideus  einen  Zweig  aus  der  Schlinge  des 
Hypoglossus. 

3.     N.  p  h  r  e  n  i  c  u  s  2>  h  r '-). 

Die  Hauptursprungsstätte  des  N.  phrenicus  ist  der  vierte  Cervicalnerve ;  3.  Phreni- 
in  12  Fällen  unter  32  entsprang  er  von  ihm  allein  (Luschka)"^);  immer  """ 
erhält  er  von  ihm  die  stärkste  Wurzel.  Es  kommen  Fasern  hinzu  am  häu- 
figsten vom  dritten  Cervicalnerven,  welche  zuweilen  eine  Strecke  im  R.  cer- 
vicalis descendens  verlaufen  (s.  unten),  dann  vom  fünften,  kurze  quere,  zu- 
weilen doppelte  Anastomosen  zwischen  dem  Stamm  dieses  Nerven  und  dem 
an  demselben  vorüberziehenden  Phrenicus,  oder  längere,  mehr  oder  mindei 
steil  absteigende,  zuweilen  den  M.  scalenus  ant.  durchsetzende  Fäden,  wel- 


cus. 


3r 


^)  Arch.   gen.  de  medecine,  4.  ser.  IV,  404.     ^)  N.  diaphragmatkus  s.  respiratorius  int, 
2)  Der  N.  phrenicus  des  Menschen,  Tübingen   1853. 


470 


pnr 


N.  phrenicus. 
Fig.  269. 


Hals  und  Thorax  eines  Kindes,  von  vorn.  Der  Tliorax  geölfnet  und  die  Lungen  nach  bei- 
den Seiten  zurückgeschlagen,  um  das  auf  dem  Zwerchfell  ruhende  Pericardium,  die  grossen 
Cefässstämme  und  den  Verlauf  der  beiden  Nn.  phrenici  zu  zeigen.  Sca  M.  scalen.  ant. 
Cc  A.  carot.  comm.  S  Art.  subclavia.  S'  V.  subclavia,  cva  A.  cervic.  adsc.  mmi  Vasa 
mammaria  intt.  c  s  V.  cava  sup.  ti'  V.  thyreoid.  inf.  s«  N.  supraclavic.  *Ast  zum  M. 
subclavius.     **  Lungenwurzel. 


N.  phrenicus.  471 

che  sich  oft  erst  in  der  Brusthöhle  spitzwinklig  mit  der  Haiiptwurzel  ver- 
einigen i)  (Fig.  268.  269). 

Der  N.  phrenicus  geht,  verdeckt  vom  sternalen  Kopf  des  M.  sterno- 
cleidomastoideus,  schräg  median-abwärts  über  den  M.  scalenus  ant.  und  un- 
ter dessen  Fascie  an  den  medialen  Rand  dieses  Muskels.  Neben  ihm,  an 
der  lateralen  Seite  der  A.  cervicalis  adsceudens,  überschreitet  er,  etwas  ab- 
geplattet, die  A.  subclavia.  Er  liegt  also  zwischen  der  A.  subclavia  und 
der  gleichnamigen  Vene;  erhält  er  Wurzeln  aus  dem  fünften  oder  tieferen 
Cervicalnerven,  die  erst  in  der  Brusthöhle  zu  ihm  stossen,  so  verlaufen  diese 
in  der  Regel  über  die  V.  subclavia  (Fig.  269). 

Beim  Eintritt  in  die  Brusthöhle,  hinter  dem  oberen  Rande  der  ersten 
Rippe,  befindet  sich  der  N.  phrenicus  an  der  medialen  Seite  der  A.  mam- 
maria  int.  und  wenn  diese  oder,  was  Regel  ist,  die  Y.  mammaria  int.  me- 
dianwärts  von  dem  Nerven  entspringt,  so  kreuzen  sie  ihn  alsbald,  indem  sie, 
die  Vene  vor,  die  Arterie  hinter  ihm  oder  beide  vor  ihm  vorübergehen. 
Sodann  läuft  der  Nerve  über  die  vordere  Fläche  der  Spitze  des  Pleurasacks 
an  dessen  mediale  Seite  und  weiter,  in  geringer  Entfernung  von  dem  Stiel 
der  Lunge,  zwischen  dem  Pericardium  und  der  fest  an  diesem  angewachsenen 
Lamelle  des  Mediastinum,  ab-  und  etwas  rückwärts  zur  oberen  Fläche  des 
Zwerchfells,  auf  welcher  er  in  seine  meist  rechtwinklig  zum  Stamm  aus- 
strahlenden Endäste  zerfällt.  Das  Pericardium  entlang  wird  er  von  der 
A.  pericardiaco-phrenica  (Gefässl.  S.  124)  und  zwei  gleichnamigen  Venen 
begleitet. 

Die  Nn.  phrenici  beider  Seiten  sind  öfters  im  Kaliber,  constant  im  Ver- 
laufe etwas  verschieden.  Der  linke  ei-reicht  das  Zwerchfell  in  einem  vor- 
wärts concaven  Bogen,  indem  er  sich  hinter  dem  Theil  des  Pericardiam, 
der  die  Spitze  des  Herzens  enthält,  herumbiegt;  der  rechte  läuft  neben  der 
Basis  des  Herzens  mehr  gerade  herab.  Der  rechte  triift  auf  den  Sternal- 
theil des  Zwerchfells  nahe  an  dessen  Insertion  in  das  Centrum  tendineiim, 
zur  Seite  des  For.  venae  cavae ;  die  Insertion  des  linken  liegt  ebenfalls  nahe 
an  der  Grenze  des  musculösen  und  tendinösen  Theils,  etwas  weiter  von  der 
Medianlinie  entfernt  und  etwas  näher,  der  vorderen  Brustwand ,  als  die  In- 
sertion des  rechten.  Beide  Nn.  phrenici  lösen  sich  unter  dem.  Pleura-Ueber- 
zug  des  Zwerchfells  in  eine  Anzahl  Aeste  auf,  von  denen  einer,  der  die 
übrigen  an  Stärke  übertrifft,  sich  rückwärts  wendet  und  über  die  obere 
Fläche  des  Muskels  im  Bogen  zum  Vertebraltheil  zieht,  indess  die  anderen, 
feineren,  divergirend  vorwärts  ausstrahlen  und  bald  zwischen  den  Muskel- 
bündeln in  die  Tiefe  dringen. 

Bald  nach  dem  Eintritt  in  die  Brusthöhle  sendet  der  N.  phrenicus, 
meistens  nur  der  der  rechten  Seite,  ein  Aestchen  median-abwärts  zur  Vor- 
derfläche des  Pericardium  2).  Zur  Pleura  gehen  während  seines  ganzen 
Verlaufs  durch  die  Brusthöhle  einzelne  sehr  feine  Fädchen-^),  die  nur  mikro- 
skopisch von  Bindegewebsfäden  zu  unterscheiden  sind  (Luschka).     Durch 


1)  N.  phrenicus  accessorius  Haase  (Ludwig,  Script,  neurol.  min.  III,  114).  )  7?. 
pericardiacus.  Dass  der  rechte  Nerve  häufiger  das  Pericardium  versorgt  als  der  linke, 
darin  stimmen  meine  Erfahrungen  mit  denen  Baur's  (Tractatus  de  nervis  anterioris  super- 
ficiei  trunci  humani,     Tubing.   1818,  p.  18)  überein.     ^)  Rr.  jüeurahs  Luschka. 


472  N.  plirenicus. 

die  Lücke  zwischen  der  Sternal-  und  Costalportion  des  Zwerchfells  treten 
feinste  Fädchen  in  der  Richtung  gegen  den  Nabel  in  das  Peritoneum 
der  vorderen  Bauchwand  ein  (Ders.).  Von  dem  Endaste,  der  sich  dem 
Vertebraltheil  zuwendet,  gelangen  feine  Zweige,  Br.  phrenico-abdominales 
dext.  und  sin.,  rechterseits  durch  das  For.  venae  cavae  ,  linkerseits  durch 
eine  der  Zacken  des  Vertebraltheils  oder  durch  den  Hiatus  oesophageus 
(Bock)  und  die  untere  Fläche  des  Zwerchfells ;  sie  lassen  sich  rechts  in  den 
Peritonealüberzug  und  in  das  Lig.  Suspensorium  der  Leber  verfolgen;  an 
beiden  Seiten  treten  sie  mit  Zweigen  des  Sympathicus  zu  einem  gangliösen 
Geflecht,  Plexus  phrenicus,  zusammen,  wegen  dessen  ich  auf  die  Beschrei- 
bung des  sympathischen  Nervensystems  verweise. 

Die  zuletzt  aufgezählten  Verzweigungen  des  N.  phrenicus  und  die  fei- 
nen Fäden,  die,  nach  Luschka,  aus  dem  musculösen  in  den  sehnigen  Theil 
des  Zwerchfells  übergehen,  beweisen,  dass  der  genannte  Nerve,  wiewohl 
wesentlich  motorisch,  doch  auch  sensible  Fasern  führt.  Die  Fortsetzung 
motorischer  Fasern  desselben  durch  den  Plexus  phren.  in  die  Musculatur 
des  Darms  will  Luschka  i)  bei  Kaninchen  durch  die  Bewegungen  des 
Dünndarms  nachgewiesen  haben,  die  auf  Reizung  des  N.  phrenicus  am  Halse 
folgten. 

Die  von  älteren  Anatomen  erwähnten  Aestcheu  des  N.  phrenicus  zum  Plexus 
cardiacus,  zur  Tliymus  und  zum  Oesopliagus  werden  von  Bock,  Cruveilhier, 
Arnold,  Lusckka  bestritten.  Bock  und  Cruveilhier  stellen  auch  die  von 
Neubauer  (Opp.  anatom.  Francof.  1786,  p.  111.)  und  Wrisberg  (Ludwig, 
Script,  neur-  IV,  54)  behauptete  Communication  des  Phrenicus  mit  dem  Halstheil 
des  Sympathicus  in  Abrede;  Luschka  dagegen  lässt  vom  Ggl.  cervicale  inf., 
seltener  vom  Ggl.  cervicale  medium  zwei  bis  drei  feine  Pädchen  zum  Stamme 
des  Phrenicus  treten.  Zweige  der  Cervicalnerven  (Er.  commimicantes),  die  durch 
Vermittelung  des  N.  phrenicus  dem  Grenzstrang  des  Sympathicus  zugeführt  werden, 
kommen  an  einer  späteren  Stelle  zur  Sprache.  Vom  rechten  E.  phreDico-abdo- 
miualis  läuft  nach  Luschka  (Anat.  Bd.  II,  Abth.  1,  S.  354)  zum  Brusttheil  der 
V.  Cava  inf.  ein  Zweig  zurück,  der  sich  bis  in  die  Musculatur  des  rechten  Atrium 
fortsetzt. 

Der  Zweig,  den  der  fünfte  Cervicalnerve  dem  N.  phren.  zusendet,  löst  sich 
vom  Stamme  des  letztgenannten  Nerven  zuweilen  schon  sogleich  nach  dessen  Aus- 
tritt aus  dem  For.  intervertebrale  ab.  Am  N.  phrenicus  wendet  sich  ein  Theil 
seiner  Pasern  centralwärts  (Spedl,  Archiv  für  Anat.  1872,  S.  307). 

Wurzeln  des  N.  phrenicus  aus  dem  sechsten  oder  noch  tieferen  Cervicalner- 
ven tmd  aus  dem  Plexus  brachialis  können ,  wenn  sie  vorkommen,  doch  nur  als 
seltenere  Varietäten  angesehen  werden ;  ebenso  der  oben  (S.  468)  erwähnte  Ast  aus 
dem  N.  cervicalis  descendens ,  von  welchem  Haller  und  Wrisberg  annahmen, 
dass  er  dem  Phrenicus  Pasern  des  Hypoglossus  zuführe.  Wrisberg  (a.  a.  0.) 
sah  ihn  unter  fünf  Fällen  Einmal  aus  dem  Stamm  des  Hypoglossus  vor  Abgabe 
des  E.  descendens ,  Einmal  von  einem  Verbindungsaste  zwischen  den  Nn.  vagus 
und  hypoglossus,  drei  Mal  von  dem  E.  descendens  abgehen.  Nach  Haller's  Be- 
schreibung (Elem.  physiol.  III,  89)  ist  es  ein  Zweig  des  dem  M.  sternothyreoideus 
bestimmten  Nerven,  der  diesen  Muskel  durchsetzt  iind  vor  dem  oberen  oder  un- 
teren Theil  des  Pericardium  sich  mit  dem  N.  phrenicus  vereinigt.  Hub  er,  Krü- 
ger, Andersch  und  Böhmer  (s.  des  letzteren  Dissertation  de  nono  pare  bei 
Ludwig,  Script,  neurol.  I,  298)  suchten  nach  diesem  ZAveige  vergeblich; 
Longet  (Syst.  nerv.  II,  479)  ist  er  niemals  begegnet,  Sappey  leugnet  ihn  aus- 
drücklich; auch  ich  konnte  den  Muskelzweig  des  Sternothyreoideus  zwar  bis  zu 
dem  untersten  Eande  dieses  Muskels,  aber  nicht  über  denselben  hinaus  verfolgen. 

1}  A.  a.  0.  S.  32. 


Plexus  bracliialis.  473 

Geht  aber  ausnahmsweise,  wie  Bock  und  Luschka  zugeben,  ein  Fädchen  aus 
der  sogenannten  Ansa  h3'poglossi  in  den  N.  phrenicus  über ,  so  ist  dasselbe  doch 
mit  grössei-er  Wahrscheinhclikeit  auf  die  spinale  ,  als  auf  die  Hypoglossuswurzel 
der  Schlinge  zurückzuführen. 

B landin  (Anat.  descr.  II,  658)  ist  der  Einzige,  der  einer  Anastomose  des  N. 
phrenicus  mit  dem  N.  accessorius  gedenkt. 

Ich  habe  berichtet,  dass  die  Vereinigung  der  Wurzeln  des  Phrenicus  öfters 
tief  unten  in  der  Brusthöhle  vor  sich  geht.  Luschka  (a.  a.  O.  S.  14)  sah  ein- 
mal ein  Fädchen  vom  dritten  Cervicalnerven  isolirt  zum  Zwerchfell  verlaufen  und 
sich  vor  dem  Stamme  des  Phrenicus  in  den  Muskel  einsenken. 

Zuweilen  giebt  der  Nerve  einen  Theil  der  empfangenen  Wurzelfäden  an  einen 
tieferen  Cervicalnerven  wieder  ab,  so  dass  er  aus  einer  Art  Plexus  zu  entstehen 
scheint. 

Geringe  Verschiedenheiten  des  Kalibers  beider  Nerven  kommen,  Avie  erwähnt, 
häufig  vor.  In  einem  von  Cruveilhier  notirten  Falle  aber  war  der  linke  Phre- 
nicus zn  einem  sehr  feinen  Fädchen  reducirt  und  der  rechte  von  ungewöhnlicher 
Stärke.  Statt  zwischen  A.  und  V.  subclavia  läuft  der  N.  phrenicus  in  seltenen 
Fällen  vor  der  V.  subclavia  herab  (Cruveilhier.  Qua  in,  Anat.  of  the  arteries 
Taf  XXV,  Fig.  6.  Kost  er,  ontleedkundige  onderzoekingen  en  waarnemingen. 
Verslagen  en  mededeelingen  der  K.  Akad.  v.  Wetensch.  D.  IV.  Turner,  Journ. 
of  anat.  2.  ser.  Nr.  IX,  p.  102).  In  einem  solchen,  von  Wrisberg  beobachteten  Falle 
war'  er  fest  an  die  Vene  angeheftet  und  tief  eingedrückt,  so  dass  die  Vorderwaud 
des  Gefässes  nach  innen  vorsprang.  Long  et  (a.  a.  0.  I,  842)  sah  ihn  die  V.  sub- 
clavia durchbohren ;  er  schien  nur  durch  die  innere  Gefässhaut  vom  Lumen  der 
Vene  geschieden. 

Der  N.  phrenicus  giebt  einen  feinen  Ast  dem  M.  scalenus  ant.  Die  Kr.  phre- 
nico-abdominales  beider  Seiten  senden  an  der  unteren  Fläche  des  Zwerchfells  ein- 
ander Anastomosen  zu  (Luschka). 

IL     Nn.  cervicales  V  bis  VIII.    N.  dorsalis  I. 
Plexus  bracliialis  1). 

Bezüglicli  der  Lage  beim  Austritt  aus  der  Wirbelhöhle ,  uud  des  Ver-  ii.  cervic. 
hältnisses  der  beiden  Aeste,  in  welche  der  Stamm  zunächst  zerfällt,  sowie  Dors!  i. 
der  Verästelung  des  hinteren  Astes,  gleichen  die  vier  unteren  Cervicalnerven 
den  nächst  oberen  (S.  461).  Der  erste  Dorsalnerve  sendet  seinen  hinteren 
Ast,  wie  die  folgenden  Dorsalnerven,  durch  den  Intercostalraum ,  zwischen 
dem  Wirbelkörper  und  dem  Lig.  costotransversarium  ant.  rückwärts;  aus 
dem  vorderen  Ast  entspringen  nach  Abgabe  des  hinteren  sogleich  zwei 
Aeste  von  sehr  ungleicher  Stärke ,  der  dünne  R.  intercostalis,  der  nach  Art 
der  folgenden  Intercostalnerven  in  der  "Wand  des  Thorax  verläuft,  und  die 
verhältnissmässig  mächtige  unterste  Wurzel  des  Plexus  brachialis ,  welche 
sich  über  die  erste  Rippe  schräg  auf-  und  seitwärts  schlägt  (vergl.  Dorsal- 
nerven). 

Die  vorderen  Aeste  der  Cervicalnerven ,  die  in  die  Bildung  des  Plexus  piex.  brach, 
brachialis  eingehen,  ziehen  zwischen  den  Mm.  scaleni  ant.  und  medius  herab, 
der  oberste  am  steilsten,  jeder  folgende  mehr  der  horizontalen  Richtung 
sich  nähernd.  Sie  verbinden  sich  mit  einander  und  mit  dem  ersten  Dorsal- 
nerven theils  vollständig ,  theils  durch  Anastomosen ,  immer  unter  spitzen 
Winkeln  (Fig.  270).    Zuerst,  meist  noch  vom  M.  scalenus  medius  verdeckt,  flies- 

^)  PL  axillaris. 


474 


Plexus  brachialis. 


sen  der  achte  Cervical  -  und  ei'ste  Dorsalnerve  zu  Einem  Stamme   zusammen ; 
sodann,  etwas  weiter  seitwärts,  erfolgt  die  Vereinigung  der  vom  fünften  und 

Fig.  270. 


Plexus  brachialis  von  vorn.  Thorax  und  Wirbelhöhle  von  vorn  geöffnet,  der  Arm  gerade 
ausgestreckt  und  mit  dem  Schulterblatt  vom  Rumpf  abgezogen.  *  A.  axillaris.  **  Rücken- 
mark, ds  N.  dorsalis  scap.  tp  N.  thorac.  post.  sps  N.  suprascapul.  ta  Stumpf  eines 
N.  thorac.  ant.  aa;  N.  axill.  cZ  N.  cutaneus  lat.,  in  den  M.  coracobrachial.  eintretend. 
SS,  SS  Nn.  subscapul.  ra  N.  radialis,  nie  N.  medianus.  u  N.  ulnaris.  cm  N.  cutan. 
med.      cmd  N.   cutan.  medialis. 


sechsten  Cervicalnerven  gelieferten  "Wurzeln  des  Plexus.  Die  mittlere  Wur- 
zel, der  vordere  Ast  des  siebenten  Cervicalnerven,  vermittelt  den  Zusammen- 
hang des  oberen  und  unteren  combinirten  Stammes ,  indem  sie  sich  in  zwei 
Stränge  theilt,  von  denen  der  Eine  sich  mit  dem  oberen  combinirten  Stamm 
verbindet,  der  andere  in  die  Tiefe  geht  und  mit  Bündeln  des  oberen  und  un- 
teren combinirten  Stammes  zusammentritt.  Aus  der  Verflechtung  gehen 
in  den  einfacheren  Fällen,  die  zugleich  die  gewöhnlicheren  sind,  zunächst 
wieder  drei  Stränge  hervor,  die  aber  nicht,  wie  jene  drei,  in  Einer  Ebene 
nebeneinander,  sondern  zum  Theil  hintereinander  liegen.  Es  sind  ein  obe- 
rer, ein  unterer  und  ein  zwischen  beiden  in  einer  tieferen  Schichte  gelege- 
ner hinterer  Strang.  Der  obere  Strang,  in  der  Flucht  des  combinirten 
fünften  und  sechsten  Cervicalnerven ,  giebt  dem  N.  musculo-cutaneus ,  und 
einem  Schenkel  der  Schlinge,  aus  welcher  der  N.  medianus  hervorgeht,  den 
Ursprung;  der  untere  Strang,  wesentlich  Fortsetzung  des  achten  Cervical- 
und  ersten  Dorsalnerven,  entsendet  den  anderen  Schenkel  zur  Schlinge  des 
N.  medianus  und  die  Nn.  ulnaris,  cutaneus  med.  und  medial. ;  der  hintere  Strang, 
zu  welchem  alle  Wurzeln,  die  oberen  mehr  als  die  unteren,  beitragen,  setzt 
sich   in    die   Nn.   axillaris   und    radialis  und  in    einen   oder    mehrere    Nn. 


Plexus  brachialis.  475 

siibscapulares  fort.  Ein  grosser  Theil  der  Formversciliedenheiten  des  Plexus 
brachialis  ist  dadurch  bedingt,  dass  sich  diese  Stränge  bald  früher,  bald 
später  in  ihre  einzelnen  Aeste  auflösen  und  dass  bei  früher  Trennung  ana- 
stomotische  Bündel  frei  zwischen  benachbarten  Nerven  verlaufen ,  die  bei 
später  Trennung  ununterschieden  im  Stamme  über  einander  hinziehen. 

Einzelne  Zweige  der  Cervicalnerven  entspringen  von  den  Wurzeln  des 
Plexus  vor  deren  Verbindung  und  dürften  also  streng  genommen  nicht  un- 
ter den  peripherischen  Aesten  des  letzteren  aufgezählt  wei'den.  Dahin  ge- 
hören, von  den  Rr.  communicantes  abgesehen,  die  Muskelzweige  für  die 
tiefen  Halsmuskeln,  die  Nn.  dorsalis  scapulae  und  thoracicus  post.  Doch  blei- 
ben auch  diese  zuweilen  eine  längere  Strecke  an  ihren  Stamm ,  bis  nach 
dessen  Verflechtung  mit  anderen,  angeschlossen. 

Aus  der  gegebenen  Beschreibung  erhellt,  dass  der  Plexus  im  Ganzen 
sich  zuerst  nach  abwärts  verjüngt ,  ehe  er  in  die ,  nach  verschiedenen  Rich- 
tungen abgehenden  Nerven  zerfällt.  Die  schmälste  Stelle  liegt  hinter  dem 
Schlüsselbein,  der  Incisiira  scapulae  gegenüber;  oberhalb  des  Schlüsselbeins 
ruht  der  Plexu§  in  der  Tiefe  der  Fossa  supraclavicularis  auf  dem  M.  scale- 
nus  medius,  unterhalb  des  Schlüsselbeins,  in  der  Achselgrube,  liegt  er  zwi- 
schen den  Mm.  serratus  ant.  und  subscapularis.  In  der  Fossa  supraclavi- 
cularis wird  er  von  dem  hinteren  Bauch  des  M.  omohyoideus,  in  der  Achsel- 
grube vom  M.  pectoralis  minor  gekreuzt.  Die  A.  transversa  colli  geht 
durch  die  Wurzeln  des  Plexus,  gewöhnlich  zwischen  dem  sechsten  und  sie- 
benten Cervicalnerven  nach  hinten ;  die  Arterie  der  Oberextremität ,  die  auf 
der  ersten  Rippe  vor  dem  ersten  Dorsalnerven  imdin  der  Fossa  supraclavicularis 
am  unteren  Rande  des  Plexus  verläuft,  schlägt  sich  in  der  xichselgrube 
durch  den  Schlitz  zwischen  den  beiden  Schenkeln  des  N.  medianus  an  die 
Rückseite  dieses  Nerven  (Fig.  270).  Die  Durchtrittsstelle  und  die  Vereinigung 
der  beiden  Schenkel  des  N.  medianus  befindet  sich  auf  der  Sehne  des  M.  sub- 
scapularis oder  etwas  tiefer,  dem  Kopf  des  Armbeins  gegenüber  und  be- 
zeichnet zugleich  das  untere  Ende  des  Plexus ;  der  N.  cutaneus  lateralis 
geht  gewöhnlich  in  gleicher  Höhe,  die  Nn.  cutanei  medialis  und  medius  und 
der  N.  ulnaris  gehen  höher  oben  ab ;  der  hintere  Strang  aber  beginnt  schon 
am  oberen  Rande  des  Schulterblatts  sich  in  seine  Aeste  aufzulösen. 

Icli  begnüge  micli  mit  dieser  allgemeinen  Besclireibxmg  der  Nervenverbinduu- 
gen  im  Plexus  bracbialis,  da  die  Manuichfaltigkeit  derselben  zu  gross  ist,  um  die 
Aufstellung  einer  mehr  ins  Einzelne  gehenden  Norm  zu  gestatten.  Einige  auffal- 
lendere Abweichungen  haben  Kaufmann  (Die  Varietäten  des  Plexus  brachialis. 
Griessen  1864)  \ind  Turner  (Journ.  of  anat.  2.  ser.  IX,  lOO)  beschrieben.  An  Einem 
Präparat  Kaufmann' s  tritt  der  hintere  der  aus  der  Verbindung  des  fünften  und 
sechsten  Cervicalnerven  hervorgegangenen  Stränge  mit  dem  medialen  Ast  des  sie- 
benten Cervical-  und  dem  achten  Cervical-  und  ersten  Dorsalnerven  zu  Einem 
Strang  zusammen,  der  den  hinteren  und  inneren  ersetzt  und  die  entsprechenden 
Nerven  aussendet.  An  einem  anderen  Präparat  begiebt  sich  der  siebente  Cervi- 
calnerve  ganz  in  den  hinteren  Strang,  der  in  diesem  Fall  auch  den  intercostalen 
Ast  des  zweiten  Dorsalnerven  aufnimmt  und  sich  in  zwei  Stränge  spaltet,  welche 
mit  den  beiden  vom  fünften  und  sechsten  Cervicalnerven  stammenden  Aesten  sich 
verbinden.  Aus  dem  hinteren  Strang  entsteht  ausser  den  Nn.  axillaris,  radialis, 
cutan.  medius  und  medial,  ein  starkes  Bündel ,  welches  in  den  anderen  Strang  über- 
geht, der  den  N.  cutaneus  lat.,  medianus  iihd  ulnaris  abschickt.  An  Einem  Arm 
umfasste  der  N.  medianus  mit  seiner  Schlinge  statt  der  A.  axillaris  die  A.  prof. 
brachii.     Unter  300  Fällen  Einmal   verlaufen   nach   Luther  Holden    (Manual  of 


476  Plexus  bracliialis. 

tlie  dissection.     London   1861,  p.  207)  die   Nerven    des   Plexus    sämmtlicli    oberhalb 
der  A.  axillaris,  so  dass  diese  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  frei  liegt. 

Zuweilen  geht  die  oberste  oder  eine  der  folgenden  Wurzeln  des  Plexus  bra- 
cliialis vor  dem  M.  scalenus  anticus  her  (Deniarquay,  Bulletin  de  la  soc.  anat. 
1844,  p.  78.     Hellema,    Geneeskundig  Tijdschr.  voor  de  Zeemagt.     1867,  1.    Afl.). 

Die  Aeste  des  Plexus  bracliialis  theile  ich  ein  in  Nerven  der  eigent- 
lichen Extremität  und  Nerven  des  Stammes  und  Schultergürtels  und  werde, 
der  Kürze  wegen,  die  letzteren  kurze,  die  ersten  lange  Nerven  nennen, 
wenn  aiicli  bei  einzelnen  Aesten  beider  Gruppen  der  Unterschied  der  Länge 
unerheblich  ist  ^).  Die  kurzen  Nerven  sind  wesentlich  Muskelnerven ;  nur 
Einer  derselben,  der  N.  axillaris,  giebt  einen  beständigen  Zweig  zur  Haut 
des  Arms.  Von  den  langen  Nerven  gehören  zwei,  die  Nn.  cutanei  medialis 
und  medius,  ausschliesslich  der  Haut  an ;  der  dritte  sogenannte  Hautnerve, 
N.  cutaneus  lateralis,  ist  zwar,  wie  die  übrigen  langen  Nerven,  gemischter 
Natur,  unterscheidet  sich  aber  doch  von  den  letzteren  und  nähert  sich  den 
ächten  Hautnerven  durch  seinen  oberflächlichen  Verlauf  am  Unterarm  und 
dadurch,  dass  er  die  Finger  nicht  erreicht,  in  deren  Innervation  sich  die 
Nn.  medianus,  ulnaris  und  radialis  theilen.  Man  kann  diese  drei  Nerven 
als  tiefe  den  drei  oberflächlichen  oder  Hautnerven  gegenüberstellen. 


a.     Kurze  Nerven  des  Plexus  brachialis. 

a.  Kurze  gie   breiten   sich   zwischen    Schulter  und   Rumpf,   wenn    man  sich  das 

Schulterblatt  vom  Rumpf  möglichst  abgezogen  denkt,  in  einem  Halbkreis 
aus,  der  an  der  medialen  Ecke  des  Schulterblatts  beginnt,  dann  von  der  late- 
ralen Wand  der  Achselgrube  auf  die  hintere  und  weiter  auf  die  mediale 
Wand  derselben  übergeht  und  am  Schlüsselbein  endet  (Fig.  271).    • 

In  dieser  Reihe  folgen  einander: 

1.     N.  dorsalis  scapulae  Bock  ds'^). 

1.  Dois.  Entspringt  von  der  obersten  Wurzel  des   Plexus  cervicalis,   d.  h.  vom 

vorderen  Aste  des  fünften  Cervicalnerven  gleich  nach  dessen  Austritt  aus 
dem  For.  intervertebrale ,  wendet  sich  zwischen  den  Ursprüngen  des  M. 
scalenus  medius,  dem  er  Aeste  giebt,  nach  hinten  und  kommt,  nachdem  er 
den  M.  scalenus  med.  in  fast  horizontaler  Richtung  durchsetzt  hat,  zwischen 
die  tiefen  Nackenmuskeln  und  den  M.  levator  scapulae  zu  liegen.  Dem 
letzteren  sendet  er  etwa  in  der  Mitte  seiner  Höhe  einen  Zweig  und  beugt 
zugleich  am  medialen  Rande  desselben  abwärts  um,  um  sich  in  den  Mm. 
rhomboidei  zu  verästeln.  Ein  unbeständiger  Zweig  tritt  (unter  zehn  Fällen 
vier  Mal,  Rielaender  ■^)  an  die  oberste  Zacke  des  M.  serratus  post.  sup. 


^)  Bei  Cruveilhier  heissen  die  Nerven  der  Schulter  und  des  Thorax  collaterale,  die 
langen  Armnerven  terminale.  C.  Krause  unterscheidet  sie  je  nach  ihrem  Ursprung  aus 
dem  supra-  oder  infraclavicularen  Theil  des  Plexus.  Der  N.  axillaris  wird  bald  der  Einen, 
bald  der  anderen  Gruppe  zugetheilt.  ^)  N.  thoracicus  s.  pectoralis  post.  Krause.  Bran- 
clies  des  muscles  angulaire  et  rhomboide  Cruv.  ^)  Hasse,    anatom.  Studien.     Hft.   1. 

Würzb.  1870,  S.  9. 


Plexus  brachialis.  477 


2.     N.    suprascapularis   SJ^^^), 

der  motorische  Nerve  der  Mm.  sxipra  -  und  infraspinatus ,  entspringt  2.  Supra- 
weiter unten  vom  lateralen  Rande  des  fünften  Cervicalnerven ,  vor  dessen 
Verschmelzung  mit  dem  sechsten ,  seltener  von  dem  vereinigten  Stamme 
beider,  giebt  öfters  gleich  nach  dem  Ursprünge  dem  M.  scalenus  medius 
einen  Zweig,  der  auch  gesondert  aus  dem  Stamme  hervorgeht,  und  begiebt 
sich  geraden  Wegs  über  den  Ursprung  des  M.  omohyoideus,  zur  Incisura 
scapulae  und  durch  dieselbe,  unter  dem  Lig.  scapulae  transv.  sup.,  in  die 
Fossa  supraspinata.  Mit  den  Aesten  der  A.  transversa  scapulae  sendet  er 
Zweige  in  den  M.  supraspinatus  und  endet,  indem  er  an  der  Basis  des 
Schulterkamms  vorüber  unter  dem  Lig.  scapulae  transv.  inf.  in  die  Fossa 
infraspinata  tritt,  in  dem  Muskel  gleichen  Namens. 

Von  beiden  Aesten  des  N.  suprascapularis,  aus  der  Fossa  supra-  und  infraspi- 
nata, kommen  Aeste,  die  nach  Eüdinger  nicht  ganz  beständig  sind,  zur  hinteren 
Wand  der  Schultergelenkkapsel. 


3.     N.  axillaris  CIX'^). 

Entspringt  vom  tiefen  Strang  in  Verbindung  mit  dem  N.  radialis  oder 
mehr  selbständig  aus  der  vordersten  der  den  tiefen  Strang  ziisammen- 
setzenden  Wurzeln,  die  von  dem  combinirten  fünften  und  sechsten  Cei-vical- 
nerven  stammt.  Geht  mit  den  Vasa  circumflexa  humeri  postt.  durch  die 
Lücke  zwischen  den  Mm.  teres  maj.  und  minor  an  der  lateralen  Seite  des 
M.  anconeus  long,  zur  Rückseite  des  Armbeins  und  zerfällt  unter  dem  M. 
deltoideus  in  drei  clivergirende,  meist  schon  früher  gesonderte  Zweige.  Der 
stärkste  geht  eine  Strecke  in  der  Richtung  des  Stammes  weiter  und  ver- 
ästelt sich  dann  in  dem  M.  deltoideus  von  dessen  unterer  Fläche  aus;  ein 
schwächerer  Ast  wendet  sich  am  hinteren  Rande  des  M.  deltoideus  aufwärts 
zum  M.  teres  minor;  ein  anderer,  R.  cutaneus  humeri'^),  dringt  zwischen 
dem  hinteren  Rande  des  M.  deltoideus  und  dem  M.  anconeus  longus  hervor, 
durchbohrt  die  Fascia  und  versorgt  mit  theils  queren,  theils  absteigenden 
Aesten  die  Haut  der  Rückenfläche  des  Oberarms. 

Von  dem  Stamme  des  N.  axillaris  gehen  ein  oder  zwei  Fäden  zur 
vorderen,  zuweilen  auch  zur  hinteren  Wand  der  Schultergelenkkapsel  (Rü- 
din ger).  Ein  constanter  Endzweig  des  N.  axillaris  läuft  am  lateralen 
Rande  des  Sulcus  intertubercularis  aufwärts,  giebt  Fäden  an  den  Knochen, 
die  Sehnenscheide  des  M.  biceps  und  scheint  in  der  Kapsel  des  Schulter- 
gelenks zu  enden  (Raub er,  über  die  Knochennerven  des  Oberarms  und 
Oberschenkels.     München  1870,  S.  14). 


^)  N.   scajmlaris  Bock.     N.  scapul.  sup.  aut.      N.  scapularis  medius  Lussana  ("Mouo- 
gratia  delle   neuralgie  bracchiale.      Milano   1859).  ^)   N.   circumflexus.     N.   circumßexus 

'humeri.     N.   articularis.  ^)  N.   cutaneus  brachii  iiost.     iV.   cutaneus  sup.  Bock. 


478 


Plexus  brachialis. 


Var.  In  einem  von  Turner  (Journ.  of  anat.  2.  ser.  Nro.  IX,  p.  100)  berich- 
teten Falle  kam  vom  N.  axillaris ,  statt  von  einem  N.  subscapularis,  der  Zweig  zum 
M.  teres  major. 

Fig.  271  a.  ' 


Scmd 


Unterer  Seitentheil  des  Halses  und  geöffnete  Achselgrube  von  einem  Kinde.  Das  Schlüs- 
selbein (ff)  ist  in  der  Nähe  des  acromialen  Endes  durchsägt  und  das  letztere  [mit  dem 
Schulterblatt  und  der  Extremität  seitwärts  abgezogen.  M.  Pect.  maj.  durchschnitten,  die 
Ursprünge  der  clavicularen  Portion  {Pmp)  und  der  sternocostalen  {Pmj^}  zurückgeschla- 
gen. Pmj  +  Insertionssehne  dieses  Muskels.  M.  pectoralis  minor  (Pm)  gleichfalls  von 
der  Insertion  abgeschnitten  und  abwärts  umgelegt.  Äa  M.  serrat.  ant.  ScaM.  scalen.ant. 
Scmd  M.   Scalen,   med.      Lx  M.   levator  scap.      Ld  M.   latiss.  dorsi,     TmJ     M.   teres  major, 


Plexus  brachialis. 


479 


4.     Nn.  subscapiilares  SS. 


In  der  Regel  drei  an  der  Zahl,  die  den  Mm.   subscapularis,  teres   maj.  i.Subscapui. 
nnd  latissimus    dorsi   ihre    motorischen    Fasern   zuführen.     Der    obere,    der 


Fiff.  271  b. 


beide  an  der  Insertion  abgeschnitten.  itZ+  Insertionssehne  derselben.  Ss  M.  subscap. 
Tm  M.  teres  minor.  D  M.  deltoid.  Ai  M.  ancon.  int.  AI  M.  ancon.  long.,  am  Ursprung 
abgeschnitten.  *  Dritte  Rippe.  scZ  N.  subclavius.  ip  N.  tborac.  post.  me  Stumpf  des 
N.  median,  ds  N.  dorsalis  scap.  sps  N.  suprascapularis.  ss\  ss'-^,  ss^  Nn.  subscapul. 
ax  N.  axill.  cÄ  N.  cutan.  humeri.  cmd  N.  cutan.  medialis.  ic^  R.  cut.  n.  intercost. 
II.     tp  N.  thoi-ac.  post.     V  Stumpf  des  N.  ulnaris.     ta  Nn.  thorac.  antt. 

eigentliche  N.  subscapularis,   der  sich  bald  in  zwei  Aeste  theilt   und  häufig 
doppelt  aus  dem  Plexus  hervorgeht,  .entspringt   von   dem  Bündel ,   mit  wel- 


480  Nn.  thorac.  post.  und  antt. 

chem  der  fünfte  und  sechste  Cervicalnerve  zur  Bildung  des  hinteren  Strangs 
des  Plexus  beitragen,  öfters  auch  von  diesem  Bündel  nach  dessen  Vereini- 
gung mit  einem  Bündel  vom  siebenten  Cervicalnerven.  Die  beiden  folgenden 
Nn.  subscapulares  nehmen  ihren  Ursprung  vom  hinteren  Strang  vor  seiner 
Theilung  oder  von  einen  der  beiden  Nerven,  in  die  er  sich  theilt,  dem 
Axillaris  oder  Radialis.  Der  Nerve  des  M.  subscapularis  ^)  senkt  sich  nach 
kurzem  Verlauf  in  der  Nähe  des  oberen  Randes  des  Schulterblatts  in  seinen 
Muskel  ein;  der  Nerve  des  M.  teres  maj.  2)  verläuft  schräg  lateralabwärts 
gegen  den  Ursprung  dieses  Muskels,  vor  dem  M.  subscapularis,  dessen  late- 
ralen Rand  er  mit  einigen  kurzen ,  feinen  Zweigen  versieht ;  der  Nerve  des 
M.  latiss.  dorsi  ^)  geht  ungefähr  von  der  Mitte  des  lateralen  Randes  des 
Schulterblatts  auf  den  genannten  Muskel  über  und  zieht,  nach  beiden  Seiten 
Aeste  aussendend,  an  dessen  innerer  Fläche  und  dem  Rande  desselben  pa- 
rallel bis  zur  Lendengegend  herab. 


5.     N.  thoracicus  post.  tp^). 

5.  Thorac.  Setzt  sich  in  der  Regel  aus  drei  feinen  Aesten  zusammen,   die  aus  der 

^°^ '  ersten  und  zweiten,  seltener  aus   der  dritten  Wurzel   des   Plexus  brachialis 

entspringen  und  durch  den  M.  scalenus  medius  lateralwärts  absteigen ,  von 
denen  der  unterste  auch  wohl  vor  diesem  Muskel  vorübergeht.  Sie  ver- 
einigen sich  über  den  Insertionen  der  Mm.  scaleni  ant.  und  medius  zu  einem 
einfachen  Geflecht,  aus  welchem  ein  paar  feine  Zweige  und  ein  stärkerer, 
längerer  Ast  ihren  Ursprung  nehmen,  jene  zur  obersten  Zacke,  dieser  auf 
der  äusseren  Fläche  des  M,  serrat.  ant.  bis  zu  dessen  imterster  Zacke  her- 
absteigend und  vor-  und  rückwärts  Zweige  aussendend. 


6.     Nn.  thoracici  antt.  tCl. 

6.  Thorac.  Zwei  Aeste^),  der  Eine  von  dem  combinirten  fünften  und  sechsten,  der 

*"**■  andere    vom    siebenten    Cervicalnerven,    wozu   häufig    noch  ein  dritter  aus 

dem  vom  achten  Cervical  -  und  ersten  Dorsalnerven  gebildeten  Stamme  oder 
aus  dem  tiefen  Strang  des  Plexus  kommt.  Der  Eine  über,  die  andere  unter 
der  A.  subclavia  verlaufend,  treten  sie  unter  dem  Schlüsselbein  auf  die  Vor- 
derfläche des  Thorax  und  vereinigen  sich,  bedeckt  vom  M.  pectoralis  major, 
in  einem  Geflecht,  aus  welchem  eine  Anzahl  von  Aesten  in  die  untere  Fläche 
der  Mm.  pectoralis  major  und  minor,  einige  auch  durch  den  tieferen  dieser 
beiden  Muskeln  in  den  oberflächlicheren  eindringen. 

Der  oberste  N.  thoracicus  giebt  einen   feinen  Faden  zum  Acromio-Cla- 
viculargelenk  (Bock). 


^)  N.  suhsccqnänris  sup.  Nn.  subscapularis  sup.  und  inf.  Cruv.  2)  N.  subscapularis 
medius.  ^)  N.  subscaptdaris  inf.  s.  longus.  N.  inarginalis  scapulae.  N.  thoraclco-dorsalis 
Krause.  A'.  thoracicus  long.  Baur.  *)  N.  pectoralis  post.  N.  thoracicus  lateralis  s.  me- 
dius s.  longus.  N.  respiratorius  ext.  Bell.  '')  vV».  thorac.  ext.  und  int.  Hyrtl.  iVn.  tho- 
rac.  ant.   und  post.   Cruv.      iVw.   thorac.   antt.  maj.   und  minor  Sappey. 


N.  subclavius.     Nn.  ciitanei  medial,  und  med.  481 

Meckel,  Arnold  und  Valentin  schreiben  den  Nu.  thoracici  feine,  den  M. 
pectoralis  maj.  durchbohrende  Hautäste  zu,  die  sich  namenthch  iu  der  Haut  der 
Mamma  verbreiten  sollen.  Eckhard  (Beitr.  zur  Anat.  und  Physiol.  I,  3)  zählt 
ebenfalls  unter  den  Nerven,  die  der  Haut  der  Mamma  Aeste  geben,  die  Tho- 
racici antt.  auf;  in  der  Abbildung,  die  seine  Abhandlung  begleitet,  fehlen  sie. 

Mehrere  Handbücher  rechneten  zu  den  Muskeln,  die  von  den  Nn.  thorac.  antt. 
Aeste  empfangen,  die  Clavicularportion  des  Deltoideus.  Mit  Recht  beschreibt  dies 
Turner  (Nat.  hist.  review  1864,  p.  614)  als  Varietät,  von  der  ihm  übrigens  nur 
Ein  Fall  begegnete. 

7.     N.   subclavius    SCl. 

Ein  feiner  Ast,   der  aus  dem   fünften  Cervicalnerven,  am  häufigsten  in  7.  Subciav. 
Verbindung   mit   einer   Wurzel   des  N.  phrenicus   entspringt   und   über   den 
M.  scalenus  ant.  vor -median -abwärts  zu  seinem  Muskel  zieht  (Fig.  269*.  271). 

b.     Lange    Nerven. 

ß.    H  a  u  t  n  e  r  V  e  n. 
1.     N.  cutaneus  medialis  Cind'^). 

Theilt  sich  mit  dem  lateralen  Hautast  des   zweiten  Intercostalnerven  ^)  b.  Lange 
in  die  Versorgung  der  Haut  der  Achselgrube  und  der  medialen  Fläche  und  «.Hautnerv. 
des  unteren  Theils  der  Rückenfläche  des  Oberarms  (Fig.  271.  272).  med^af"' 

Der  N.  cutaneus  medial,  entspringt  von  der  hinteren  Seite  des  imteren 
Strangs  des  Plexus  brachialis.  Seine  Stärke  steht  im  umgekehrten  Verhält- 
niss  zur  Stärke  des  genannten  Intercostalnervenzweigs ,  durch  den  er  auch 
völlig  ersetzt  werden  kann.  Sind  beide  Nerven  vorhanden,  so  laufen  sie~ 
entweder  gesondert  neben  einander  am  Oberarm  herab ,  der  Ast  aus  dem 
Plexus  hinter  dem  aus  dem  Intercostalnerven  oder  sie  verbinden  sich 
durch  eine  quere  Anastomose  oder  vereinigen  sich  spitzwinklig  zu  Einem 
Stämmchen, 

Von  den  Achselgrubenzweigen  schlägt  sich  einer  um  die  Sehne  des  M. 
latissimus  dorsi  herum  aufwärts  zur  Scapulargegend.  Einer  der  Oberarm- 
zweige tritt  schon  in  der  Achselgrube,  ein  zweiter  in  der  Mitte  des  Ober- 
arms durch  die  Fascie  hervor;  der  letztere  wendet  sich  rückwärts  und  en- 
det in  der  Gegend  des  Olecranon. 

2.    N.  cutaneus  medius  CWl^). 

Entsteht  aus  dem  unteren  Strang  des  Plexus  oder   aus  dem   N.  ulnaris  2.  Cut.  med. 
oder  mit  zwei  Wurzeln  aus  beiden   und  verläuft   subfascial  bis  zum  unteren 


■'■)  N.  cutaneus  int.  aut.  iV.  cutaneus  int.  minor  Wrisb.  Wri sb er g' scher  Nerve. 
Accessorius  cutanei  int.  Cruv.  Die  älteren  Anatomen,  Meckel  eingeschlossen,  beschreiben 
diesen  Nerven  als  einen  Ast  des  N.  cutaneus  medius  oder  des  N.  ulnaris  (N.  cutaneus  int. 
sup.).  ^)  yV.  intercosto-humeralis  Hyrtl.  ^)  A^.  cutaneus  int.  Meckel.'  iV.  cutaneus  Int. 
major. 

Heule  ,  Anatomie.    Bd.  III.    Abthlg.  2.  31 


482 


N.  cutaneus  medius. 


Fig.  272. 


Pm 


N.  cutaneus  lateralis.  483 

Drittel  des  Oberarms,  wo  er  sich  diircli  denselben  Schlitz,  durcb  den  die 
V.  basilica  zur  V,  brachialis  gelangt  (Muskell.  Fig.  123**),  auf  die  Aussen- 
fläcbe  der  Fascie  begiebt.  Ein  collateraler  Ast  oder  einige  ^)  werden  in  der 
Regel  schon  von  der  Gegend  der  Insertion  des  M.  pectoralis  maj.  an  sub- 
cutan und  verlaufen  an  der  Vorderfläche  des  Oberarms  herab  bis  zur  Ellen- 
bogenbeuge. Der  Stamm  zerfällt  noch  unter  der  Fascie  in  zwei  Hauptäste, 
die  von  der  Austrittsstelle  an  spitzwinklig  divergiren  (Fig.  272).  Der  Eine, 
R.  anterior  2),  begleitet  die  V.  basilica  und  dann  mit  seinen  Verzweigungen  am 
Unterarm  auch  die  V.  mediana  bis  zum  Handgelenk,  versorgt  also  vorzugs- 
weise die  Haut  der  Vorderfläche  des  Unterarms ;  der  andere ,  R.  ulnaris  ■^), 
theilt  sich  in  Zweige,  welche  successiv  um  den  Ulnarrand  des  Unterarms 
auf  dessen  Rückseite  treten;  einer  der  oberen  pflegt  durch  strafi^es  Binde- 
gewebe an  die  untere  Fläche  der  Spitze  des  medialen  Epicondylus  befestigt 
zu  sein.  Die  unteren  erstrecken  sich  bis  zum  Handgelenk  und  legen  sich 
zum  Theil  an  Zweige  des  R.  dorsalis  n.  ulnaris  an. 

Der  Zweig  des  R.  anterior,  der  in  der  Ellenbogenbeuge  das  Verbin- 
dungsgefäss  zwischen  den  Vv.  mediana  und  basilica  (V.  mediano -basilica) 
kreuzt,  liegt  häufiger  unter,  als  über  der  Vene  (Krais)'^). 

Nach  Cruveilhier  giebt  der  N.  cutaneus  med.  einen  Zweig  zur  Kapsel  des 
EUenlDOgengelenks ,  der  sich  hoch  oben  am  Oberarm  vom  Stamme  trennen  und 
unter  der  V.  basilica  gegen  den  medialen  Epicondylus  verlaufen  soll. 

Var.  Der  N.  cutan.  med.  geht  nahe  dem  M.  coracobrachialis  durch  eine 
kleine  Vene  (Deville,  buUetin  de  la  soc.  anat.  1849,  ]).  8). 


3.     N.  cutaneus  lateralis  Cl^). 

Der  erste  Ast  des  oberen  Strangs,  zu  welchem  nebst  dem  fünften  und  3.  Cutau.iat. 
sechsten  Cervicalnerven  Bündel  des  siebenten  beitragen;  häufig  so  weit 
hinab  mit  dem  N.  medianus  verbunden ,  dass  er  als  ein  Ast  desselben  er- 
scheint. Er  trennt  sich  von  dem  Bündel  der  Armnerven ,  um  sich  dem  M. 
coracobrachialis  zu  nähern,  dem  er  zuerst  einen  dünnen  motorischen  Zweig 
ertheilt  (Fig.  272)  und  den  er  dann  (Muskellehre  S.  191)  steil  lateralwärts  ab- 
steigend durchsetzt.  In  gleicher  Richtung  zieht  er  zwischen  den  Mm.  biceps  und 

Zu  Fig.   272. 

Oberarm  und  oberer  Theil  des  Unterarms ,  mediale  Fläche ,  die  Haut  an  der  vorderen 
Fläche  gespahen  und  mit  den  Nerven  medianwärts  zurückgeschlagen.  Pm  Insertion 
des  M.  pect.  min.  D  M.  deltoid.  Pmj  Insertionssehne  des  M.  pect.  maj.  Cb  M. 
coracobrach.  S  M.  biceps.  Bi  M.  brachial,  int.  Ai,  AI  M.  ancon.  int.  und  long. 
Ld  Sehne  des  M.  latiss.  dorsi.  Tmj  M.  teres  maj.  me,  nie  N.  medianus,  aus  wel- 
chem das  am  Oberarm  verlaufende  Stück  ausgeschnitten,  uu  N.  ulnaris,  desgl.  ra  N. 
radial,  cps,  cjJt  R-  cutan.  post.  sup.  und  inf.  desselben,  cm  N.  cutan.  med.  cmd 
N.  cutan.  medial.    *vgl.  S.  496. 


^)  Rr.  cutanei  bracJiü  Arnold.  ^)  R.  cutaneus  palmaris  Wrisberg  (Klint,  Ludwig 
Script,  neurol.  min.  III,  141).  R.  volaris  antihracMi  Arnold.  R.  intern,  ant.  s.  cnhitalls 
Cruv.  ^)  R.  cutaneo-ulnaris  Wrisberg.  R.  ulnaris  antibrachü  Arnold.  R.  dorsalis 
antihracMi  Luschisa.  R.  intern,  ijost.  s.  epitrochlearis  Cruv.  ^)  Chirurg.  Anatomie  der 
Ellenbogenbeuge.  Tübingen  1847.  ^)  N.  cutaneus  ext.  aut.  N.  musculo-cutaneus.  N. 
perforans    Casserii.     R.  niagnus  n.   medianl  Arnold. 

31* 


484  N.  cutaneus  lateralis. 

brachialis  int.  hindurcli,  giebt  auf  diesem  Wege  einen  Ast  abwärts,  der 
sich  von  hinten  her  in  die  beiden  Köpfe  des  M.  biceps  vertheilt  und  einen 
zweiten,  der  sich  am  unteren  Drittel  des  M.  brachialis  int.  in  die  Vorder- 
fläche dieses  Muskels  einsenkt  (Fig.  273).  Zuweilen  folgt  noch  ein  dritter, 
der  weiter  unten  in  den  lateralen  Rand  des  Muskels  dringt.  Von  den  mo- 
torischen Aesten  des  M.  biceps  (Cruv  eil  hier)  und  des  M.  brachialis  int. 
(Rüdinge r)  kommen  Zweige  zur  vorderen  Wand  der  Kapsel  des  Ellen- 
bogengelenks. 

Der  von  Cruv  eil  hier  bescliriebeue  G-elenkzweig  durchbohrt  deu  M.  biceps 
und  tritt  an  der  lateralen  Seite  desselben  aus;  Rü  ding  er 's  G-elenknerve  zweigt 
sich  von  einem  der  Muskeläste  des  Brachialis  int.  ab ,  läuft  auf  der  vorderen 
Fläche  dieses  Muskels  abwärts,  begleitet  eine  Strecke  weit  die  A.  brachialis  auf 
dem  Lig.  intermusculare  mediale  und  gelangt  nach  Abgabe  eines  Zweiges  zur 
Tascie  mit  der  A.  collateralis  uln.  inf.  unter  den  M.  brachialis  int.  und  zur 
Kapsel. 

Am  unteren  Ende  des  Sulcus  bicipitalis  lat.  angelangt,  tritt  der  Rest 
des  Nerven  ^) ,  nachdem  er  einige  feine  Aeste  an  die  Haut  über  dem  Ellen- 
bogen abgegeben  hat,  durch  eine  Oeffnung  derFascie  (MsklehreFig.123*  *  *) 
hervor  und  setzt  seinen  Weg  unter  der  Haut  am  Radialrande  des  Unter- 
arms fort.  Dabei  spaltet  er  sich  spitzwinklig  in  zwei  parallele,  am  Unter- 
arm anastomosirende  Aeste ,  einen  feineren ,  der  in  der  Nähe  des  Handge- 
lenks auf  die  Vorderfläche  des  Unterarms  übergeht,  und  einen  stärkeren, 
welcher  sich  allmälig  mehr  auf  die  Rückseite  des  Unterarms  wendet  und 
mittelst  seiner  Endverzweigungen  Verbindungen  mit  dem  Dorsalast  des  N. 
radialis  eingeht. 

Aus  dem  Stamm  des  N.  cutaneus  lat.  entspringt  in  der  Eegel  der  Diaphysen- 
nerve  des  Armbeins,  ein  Tädchen,  Avelches  die  A.  profunda  brachii  begleitet ,  von 
ihr  auf  die  A.  nutritia  übergeht  und  mit  ihr  in  die  Markhöhle  eindringt  (Kl int, 
a.  a.  0.  S.  125.  Goering,  de  nervis  vasa  praecipue  exti-emitatum  adeuutibus. 
Jenae  1834,  p.  13.  Beck,  über  einige  in  Knochen  verlatifenden  und  an  der  Mark- 
haut derselben  sich  verzweigende  Nerven.  Treib.  1846.  S.  14.  Rauber,  Kno- 
chennerven ,  S.  13).  Zur  vorderen  Wand  der  Kapsel  des  Eadiocarpalgelenks  ver- 
folgte Cruveilhier  einen  der  Endzweige  des  vorderen  Astes  des   N.  cutaneus  lat. 

Häufig  (unter  10  Fällen  Einmal  Grub  er)  geht  der  N.  cut.  lateralis  statt  durch 
den  M.  coracobrachialis ,  hinter  demselben  herab.  Seltener  durchbohrt  er  nach 
dem  M.  coracobrachialis  noch  den  M.  brachialis  int.  Bei  Anwesenheit  eines  drit- 
ten Kopfs  des  M.  biceps  geht  der  Nerve  bald  vor,  bald  hinter  diesem  supernume- 
rären  Kopf  an  den  lateralen  Rand  des  Arms  (Calori,  Mem.  dell'  accad.  di  Bo- 
logna 2.  ser.  VI,  149).  Einmal  gab  der  N.  cutaneus  later.  in  der  Mitte  des  Ober- 
arms einen  feiuen  Zweig  ab,  der  die  A.  brachialis  begleitete  und  sich  im  Binde- 
gewebe der  Ellenbogenbeuge  verlor  (Turner,  Journ.  of  anat.  IX,   100). 

Zu  Fig.  273. 

Ober-  und  Unterarm,  mediale  Fläche,  der  Unterarm  in  Pronation.  Die  Haut  an  der  hin- 
teren Fläche  gespalten  und  vorwärts  umgeschlagen.  D  M.  deltoid.  Cb  M.  coracobrach. 
Pmj  Insertionssehne  des  M.  pector.  maj.  B  M.  biceps,  obere  Hälfte,  seitwärts  umgelegt. 
B'  Insertionssehne  desselben.  Ai,  AI  M.  ancon.  int.  und  long.  Bi  M.  brach,  int  Tmj 
M.  teres  maj.  Ss  M,  subscap.  ra  Stumpf  des  N.  rad. ,  me  des  N.  median.,  u  des  N.  ul- 
naris.     cpi   N.  cutan.  post.  inf.     *  Stumpf  der   A.  brachialis. 


■')  11.   ctUaiieus  s.   superficial 


N.  ciitaneiis  lateralis. 
Fig.  273. 

cl 


485 


486  N.  medianus. 

ß.     Tiefe  Nerven. 

1.    N.  medianus  7}te^). 

1.  Tiefe Nv.  Die  Zusammensetzung  dieses  Nerven  aus  zwei,  die  A.  axillaris   umfas- 

1.  Median,  gg-^^jgjj  'W'urzeln  hiibe  ich  bereits  besclirieben.  Durch  sie  erhält  der  Stamm 
Fasern  aus  sämmtlichen,  an  der  Bildung  des  Plexus  brachialis  betheiligten 
Nerven.  Er  liegt  zuerst  vor  der  A.  brachialis  und  tritt  allmälig  so  weit 
über  dieselbe  hinweg  auf  deren  mediale  Seite,  dass  der  Abstand  zwischen 
beiden  in  der  Ellenbogenbeuge  etwa  4  Mm.  beträgt. 

Dem  Oberarm  giebt  der  N.  medianus  feinen  Zweig,  doch  lösen  sich 
noch  über  der  Ellenbogenbeuge  von  seinem  medialen  Rande  die  ersten  Aeste 
zu  den  Muskeln  der  Beugeseite  des  Unterarms  unter  spitzem  Winkel  ab, 
gewöhnlich  zwei ,  die  unter  dem  M.  pronator  teres  verschwinden  und  in 
mehrere  Fäden  getheilt,  in  den  oberflächlichen  Theil  der  Muskelmasse  ein- 
dringen, die  sich  weiterhin  in  die  Mm.  pronator  teres,  palmaris  long.,  radialis 
int.  und  flexor  dig.  sublimis  sondert.  Von  dem  Stamme  und  von  dem  Mus- 
kelast des  Pronator  teres  begeben  sich  Fäden,  die  das  Ende  der  A.  brachialis 
umspinnen,  zur  vorderen  Wand  der  Kapsel  des  Ellenbogengelenks  (Cru- 
veilhier.  Rüdinge r).  Der  Stamm  gelangt  sodann  in  den  kurzen  mus- 
culösen  Canal,  den  die  oberflächliche  ürsprungsmasse  der  genannten  Mus- 
keln mit  der  tiefen  begrenzt  (Muskell.  S.  200)  und  spaltet  sich  noch 
innerhalb  desselben  in  zwei  Aeste  von  ungleicher  Stärke,  einen  oberfläch- 
lichen und  einen  tiefen.  Der  oberflächliche  Ast,  die  Fortsetziing  des  Stamms, 
sendet  alsbald  einen  Zweig  zu  dem  M.  flexor  dig.  sublimis,  der  sich  zwi- 
schen den  Bündeln  desselben  durchwindet  und  gewöhnlich  sämmtliche  Köpfe 
versorgt.  Der  tiefe  Ast,  N.  interosseus  dnt.  (Fig.  274)  -),  giebt  ebenfalls 
bald  nach  seinem  Ursprünge  Zweige  nach  beiden  Seiten,  zum  M.  flexor  pol- 
licis  long,  und  zum  lateralen  Theil,  namentlich  dem  Zeigefingei-kopf  des  M. 
flexor  digit.  prof.,  die  sich  vor  dem  Eintritt  in  ihren  Muskel  in  feine  Zweige 
spalten,  von  denen  einzelne  ziemlich  weit  auf  der  Oberfläche  des  Muskels 
herablaufen. 

Ein  unlaeständiges  Aestclien  dieses  Nerven  läuft  in  einem  seitAvärts  stark  con- 
vexen  Bogen  aufwärts,  senkt  sich  zwisclien  den  Sehnen  der  Mm.  biceps  und  bra. 
chialis  int.  in  die  Tiefe  und  verbreitet  sich  in  dem  Bandapparat,  der  das  Köpfchen 
des  Eadius  um  giebt  (Rüdinger). 

Zu  Fig.  274. 

Verästelung  des  N.  medianus.  Bi  M.  brachial,  int.  F'  F'  die  durchschnittene  tiefe 
Ursprungsmasse  der  oberflächlichen  Beugemuskeln.  R  R  Radialmuskeln.  B  Tiefe  In- 
sertionssehne  des  M.  biceps.  Fpl  M.  flexor  poU.  long.  Pq  M.  pronator  quadr.,  der 
Länge  nach  durchschnitten.  J'^dp  M.  flexor  dig.  prof.  Fds  M.  flex.  dig.  sublim.  Pt, 
Ri  Mm.  pronator  teres  und  rad.  int.,  abgeschnitten  und  zurückgeschlagen.  Ri'  Inser- 
tionssehne  des  M.  rad.  int.     cp  N.  cutan.  palm.    f  Anastomose  zum  N.  ulnar.     *  Lig. 

inteross. 


^)  Mittelammerve.  ^)  R.    profundus    n.  mediani.     R.  interosseus  int.    s.  volaris.     N. 

pronatoris  qziadratl. 


N.  medianus. 


487 


Fig.  274. 


488  N.  medianus. 

Nachdem  so  sämmtliche  Muskeln  der  Beugeseite  des  Unterarms ,  den 
M.  ulnaris  int.,  einen  Theil  des  Flexor  digit.  prof.  und  den  M.  pronator 
quadrat.  ausgenommen ,  mit  motorischen  Fasern  versehen  sind ,  geht 
der  Stamm  des  N.  medianus  in  Begleitung  der  Arterie  gleichen  Na- 
mens .  zwischen  dem  oberflächlichen  und  tiefen  Fingerbeuger ,  der  N.  in- 
terosseus  ant.  in  Begleitung  der  gleichnamigen  Gefässe  auf  dem  Lig.  interos- 
seum  herab. 

Der  N.  interosseus  ant.  ist  am  unteren  Theil  des  Unterarms  wesentlich 
motorischer  Nerve  des  M.  pronator  quadrat.  Doch  giebt  er  öfters,  bevor 
er  unter  diesem  Muskel  sich  dem  Auge  entzieht,  um  sich  in  ihm  zu  ver- 
theilen,  noch  einige  feine  supplementäre  Fäden  zu  den  beiden  Muskeln,  zwi- 
schen denen  er  verläuft,  und  ferner  überschreitet  er  den  unteren  Rand  des 
M.  pronator  quadr.  mit  feinen  Aestcheu,  die  sich  in  der  vorderen  Wand  der 
Kapsel  des  Radiocarpalgelenks  verlieren. 

Der  Stamm  des  N.  medianus  sendet  ebenfalls  öfters  einen  nachträg- 
lichen Nerven  in  der  Mitte  des  Unterarms  zum  Flexor  dig.  sublimis,  und 
zwar  zu  dessen  Zeigefingerkopf.  Weiter  unten  entsteht  von  seinem  media- 
len Rande  ein  feiner  Hautast,  N.  Cutaneus  pälmaris  ^),  der  über  dem  Hand- 
gelenk, am  medialen  Rande  der  Sehne  des  M.  radialis  int.,  die  Fascie  durch- 
bohrt und  seine  Aeste  in  der  Haut  des  unteren  Endes  des  Unterarms ,  des 
Daumenballens  und  des  nächst  angrenzenden  Theils  der  Volarfläche  der 
Hand  verbreitet  (Fig.  274). 

Mit  den  Sehnen  der  Beugemuskeln  der  Finger,  auf  der  Schleim  scheide, 
welche  sie  umhüllt,  passirt  der  N.  medianus  den  Canal,  den  das  Lig.  carpi 
volare  propr.  überbrückt.  So  weit  er  in  diesem  Canal  liegt,  zeichnet  er 
sich  durch  seine  abgeplattete  Form  aus.  Noch  innerhalb  desselben  scheidet 
er  sich  in  zwei  kaum  divergirende  Aeste,  von  denen  in  der  Regel  der  dem 
Daumen  nächste  der  schwächei-e  ist.  Dieser  versorgt  nämlich  ,  nebst 
den  Muskeln  des  Daumenballens ,  drei  Fingerränder ,  die  beiden  Rän- 
der des  Daumens  und  den  Daumenrand  des  zweiten  Fingers,  während  der 
mediale  Ast  sich  in  vier  Zweige  für  die  einander  zugewandten  Ränder  des 
zweiten,  dritten  und  vierten  Fingers  spaltet  (Fig.  275).  Doch  erfolgt  zuweilen 
die  erste  Theilung  auch  in  der  Weise,  dass  der  laterale  Ast  fünf,  der  mediale 
nur  zwei  Fingerränder  zu  versehen  hat.  Der  Zweig  für  die  Muskeln  des 
Daumenballens,  Abductor  pollicis  br.  und  opponens,  entspringt  noch  inner- 
halb des  Rohrs,  dessen  vordere  Wand  vom  Lig.  carpi  vol.  gebildet  wird, 
und  krümmt  sich  beim  Austritt  aus  dem  Rohr  in  steilem  Bogen  rückwärts  zu 
den  Ursprüngen  der  Muskeln  (Fig.  275).  Der  Rest  des  Astes  theilt  sich  sodann 
zunächst  in  einen  Daumen-  und  einen  Zeigefingerzweig.  Der  Daumen- 
zweig giebt  zuweilen  einen  supplementären  Faden  dem  M.  abductor  poll. 
br.,  der  in  der  Mitte  des  Muskels  eintritt,  und  zerfällt  gabelförmig  in  die 
beiden  Zweige,  die  am  radialen  und  ulnaren  Rande  des  Daumens  hinziehen ; 
vom  ulnaren  Daumen-  wie  vom  radialen  Zeigefingerzweige  empfängt  die 
zwischen  beiden  Fingern  ausgespannte  Hautfalte  zahlreiche  Aeste.  Der 
Zeigefingerzweig  giebt  ausserdem  in  der  Mitte  der  Hand  ein  Fädchen  dem 
ersten  M.  lumbricalis.     Der  mediale  Endast  des  N.  medianus  theilt  sich  in 


^)  N.  cut.  xialm.  longus  aut.     N.  cutaneus  pälmaris  antihrachii  Arnold. 


N.  medianus. 


489 


zwei  Aeste,  Br.  digitales  communes^),  deren  jeder  wieder  in  zwei 
Zweige  für  die  einander  zugewandten  Ränder  des  zweiten  und  dritten, 
des  dritten  und  vierten  Fingers  zerfällt.  Der  erste  dieser  Aeste  schickt  vor 
seiner  Theilung  einen  Faden  zum  zweiten  Lumbricahnuskel ;  der  zweite  ver- 
Fio-    275.  -•" 


Nerven  der  Hohlhand.     Die  Aponeurosis  volaris  entfernt,  das  Lig.  carpi  vol.  propr.  (*")  der 

Länge   nach  geöffnet,     i^,   L^    erster  und    zweiter    M.  lumbricalis.      *  A.  ulnaris.     u  Ober- 

flächl.,  v!  tiefer  Ast  des  N.  ulnaris.     wie'N.  medianus. 

sorgt  zuweilen  den  dritten  Lumbricalmuskel ,  und  nimmt  einen  beständigen 
anastomotisclien  Ast  vom  N.  ulnaris  auf  (s.  diesen).     Nerven  zur  Haut  der 

1)  Rr.  volares  comm. 


490  N.  ulnaris. 

Hohlhand  entspringen  aus  dem  medialen  Endast  des  N.  medianns,  aus  dem 
Theilungswinkel  desselben  in  die  beiden  Rr.  digitales  comm.  und  aus  dem 
Theilungswinkel  der  letzteren,  der  sich  bald  in  der  Mitte  der  Hand,  bald 
den  Fingercarpalgelenken  gegenüber  befindet.  Sie  erreichen  in  geradem 
Verlauf,  mit  einander  anastomosirend  und  Bündelcben  an  die  Fingernerven 
zurücksendend ,  den  vorderen  Rand  der  Volaraponeurose,  von  welchem  aus 
sie  in  die  Haut  der  Fingerballen  ausstrahlen.  Die  Hautfalten  zwischen  den 
Fingern  erhalten  ihre  sensibeln  Zweige  von  den  Randnerven  der  Finger. 

Alle  diese  Nerven  liegen  in  der  Hohlhand  über  den  Sehnen  der  Finger 
und  soweit  die  Synovialscheide  dieser  Sehnen  sich  erstreckt,  unmittelbar 
auf  derselben.  Der  Arcxis  volaris  subl.  zieht  über  den  Nerven  hin,  an  den 
Fingern  aber  treten  die  Arterien  hinter  die  Nerven ;  zuweilen  durchbohrt 
eine  A.  digit.  comm.  den  entsprechenden  Nerven  schon  in  der  Hohlhand. 
Der  weitere  Verlauf  und  die  Verästelung  der  Nerven  an  den  Fingern  wird 
später  beschrieben  werden. 

Vom  radialen  Rande  des  tiefen  Zweigs  des  N.  medianus  entspringt  nach  Ea  üb  er 
(lieber  die  Nerven  der  Knoclienhaut  und  Knochen  des  Vorderarms  und  Unterschenkels. 
München  1868)  ein  Nerve,  der  einen  Ast  in  das  For.  nutritium  des  Eadius  sendet  und 
sich  dann  in  zwei  ungefähr  gleiche  feine  Zweige  spaltet.  Von  diesen  bleibt  der 
Eine  auf  der  Radialseite  des  Lig.  interosseum ,  der  andere  tritt  über  die  Vasa 
interossea  hinweg  an  dessen  Ulnarrand.  Der  radiale  Zweig  scheint  dem  Ligament 
anzugehören;  er  lässt  sich  zwischen  den  Platten  desselben  bis  unter  den  M.  pronator 
quadr.  verfolgen.  Der  ulnare  ZAveig  giebt  den  in  das  For.  nutritium  eintretenden 
Knochennerven  der  Ulna  ab.  Der  Knoclienneiwe  des  Radius  kann  auch  von  einem 
motorischen  Nerven  des  M.  flexor  poU.  long,  entspringen. 

Var.  In  einem  von  W.  Grub  er  beobachteten  Falle  (Archiv  für  Anat.  1867, 
S.  552)  verlief  der  N.  medianiTs  über  den  M.  pronator  teres  und  trat  erst  am  un- 
teren Rande  dieses  Muskels  in  die  Tiefe.  Derselbe  Autor  beschreibt  (Oesterr.  Ztschr. 
für  prakt.  Heilk.  1866,  Nr.  7)  einen  Fall,  in  welchem  der  N.  median,  schon 
hoch  am  Unterarm  den  N.  digit.  comm.  für  den  dritten  und  vierten  Finger  abgab ; 
dieser  Nerve  durchbohrte  den  Mittelfingerbauch  des  M.  flexor  dig.  sublimis  und 
lief  unter  der  Aponeurose  zur  Hohlhand ,  in  Avelcher  er  sich  auf  die  geAvohnte 
Weise  spaltete.  Cruveilhier  sah  den  N.  interosseus  ant.  hinter  dem  M.  pronator 
quadr.  das  Lig.  inteross.  durchbohren ,  eine  kurze  Strecke  an  der  Rückseite  des- 
selben verlaufen  und  dann  an  dessen  Vorderfläche  zurückkehren,  um  sich  im  M. 
pronator   quadr.  zu  verästeln. 


2.     N.   ulnaris  11^). 

2.  Ulnar.  J^nft,  dem   unteren   Strang  und  vorzugsweise  aus  den  unteren  Wurzeln 

des  Plexus  brachialis  entstanden,  geht  der  N.  ulnaris  hinter  dem  medialen 
Lig.  intermusculare,  nicht  selten  zwischen  Bündeln  des  M.  anconeus ,  am 
Oberarm  herab;  am  Ellenbogengelenk  liegt  er  auf  der  Rückseite  des  me- 
dialen Epicondylus  in  der  nach  ihm  benannten  Rinne;  er  gelangt  an  die 
Vorderseite  des  Unterarms,  durch  die  Lücke  zwischen  den  beiden  Ursprün- 
gen des  M.  ulnaris  int.  (Bdl.  Fig.  63)  und  nimmt  im  Schutze  dieses  Mus- 
kels, auf  dem  M.  flexor  dig.  prof.,  seinen  Weg  zum  Handgelenk.  Hier  er- 
scheint er  (Gefässl.  Fig.  78),.  unter  der  Sehne  des  M.  ulnaris  int.,   an  der 


•'•)  N.  cubitalis.  Ellenbogemierve. 


N.  ulnaris. 


491 


Fiff.  276. 


medialen  Seite  der  Vasa 
ulnaria,  die  etwas  ober- 
halb der  Mitte  des  Unter- 
arms zu  ihm  stossen.  In 
der  glatt  ausgekleideten 
Rinne,  welche  von  der  la- 
teralen Fläche  des  Erbsen- 
beins, dem  an  dasselbe  an- 
gehefteten Zipfel  des  Lig. 
carpi  commune  luid  dem 
Lig.  carpi  volare  propr.  be- 
grenzt wird  (Bdl.  S.  97), 
zerfällt  der  Nerve  in  seine 
beiden  Endäste,  den  ober- 
flächlichen und  tiefen. 

Von  coUateralen  Aesten 
entspringen  die  ersten,  ne- 
ben feinen  Fäden  zur  hin- 
teren Wand  der  Ellen- 
bogengelenkkapsel (Cru- 
veilhier,  Eüdinger), 
unter  dem  Epicondyluskopf 
des  M.  ulnaris  int.  Es  sind 
Muskelzweige,  zwei  oder 
drei  feinere,  welche  nach 
einander  in  den  M.  ulnaris 
int,  eintreten,  und  ein 
stärkerer,  der  den  medialen 
Theil  des  M,  flexor  dig, 
profundus  versieht. 

Sodann  zweigt  sich  am 
oberen  Drittel  des  Unter- 
arms vom  lateralen  Rande 
des  Stamms,  noch  eine 
Strecke  weit  mit  ihm  ver- 
bunden,  ein  in  der  Re- 
gel   sehr      feiner    [Nerve, 


Zu  Fig.  276. 

Verästelung  des  N.  ulnaris. 
Vi  M.  ulnaris  int.  zurückge- 
schlagen. Fdp  M.  flexor  dig, 
prof.  Ph  M.  palm.  br.  mit  der 
Haut  des  Kleinfingerballens  zu- 
rückgeschlagen. *  A.  ulnai'is. 
pu  B..  palmaris,  du  R.  dorsalis 
N.  ulnaris.  "f  Communications- 
ast  zum   N.  medianus. 


492  N.  ulnaris. 

B.palmaris  {ulnaris)  (Fig.  276)  ^),  ab,  der  durch  seine  Beziehung  zur  A.  ulnaris 
merkwürdig  ist.  Er  begleitet  die  Arterie,  indem  er  ihr  von  Strecke  zu  Strecke 
Fädeben  zusendet,  bis  zum  Arcus  volaris  sublimis  und  giebt  Hautäste 
ab ,  die  die  Fascie  durchbohren.  Aber  die  Hautäste  sind  unbeständig, 
treten  an  wechselnden  Stellen  hervor  und  können  ganz  fehlen;  danach 
variirt  die  Stärke  des  Nerven.  Die  der  Arterie  zugehörigen  Fasern  dagegen 
werden  niemals  vermisst  und  so  haben  wir,  während  sonst  die  Gefäss- 
nerven  nur  mühsam  darstellbare  Zweige  sensibler  Aeste  sind,  hier  einen 
wesentlich  vasomotorischen  Nerven  vor  uns,  der  sensible  Zweige  aussendet. 
Es  finden  sich  deren  einer  oder  zwei  am  unteren  Ende  des  Unterarms,  die 
sich  gegen  die  Handwurzel  verbreiten,  oder  der  R.  palmaris  spaltet  sich 
erst  am  Handgelenk  in  einen  Hautast  2),  der  sich  in  der  Gegend  des  Kleinfin- 
gerballens verästelt,  und  einen  tiefen  Ast  ^),  der  der  Arterie  in  die  Hohlhand 
folgt  und  mit  einem  Fingerzweige  des  oberflächlichen  Endastes  des  N.  ulnaris 
oder  mit  Gefässnerven,  die  aus  einem  solchen  Aste  hervorgehen,  anastomosirt. 
Der  letzte  und  bedeutendste  Collateralast  des  N.  ulnaris  wird  als  dessen 
H.  dorsälis  bezeichnet  (Fig.  276  du).  Er  verlässt  den  Stamm  zuweilen  schon  in 
gleicher  Höhe  mit  dem  vorigen,  zuweilen  erst  weiter  unten  unter  spitzem  Win- 
kel, schlägt  sich  unter  dem  Ulnarursprung  des  M.  ulnaris  int.,  zwischen  dessen 
Sehne  und  dem  Knochen,  auf  die  Rückenfläche  des  Unterarms,  giebt  Aeste 
durch  die  Unterarmfascie  an  die  Haut  der  Rückseite  des  Handgelenks  und 
tritt  schliesslich  selbst  aus  der  Fascie  hervor.  Ueber  dem  Köpfchen  der 
Ulna  zerfällt  er  in  Zweige,  die  die  mediale  Hälfte  des  Rückens  der  Hand 
und  der  Finger  versorgen ,  in  der  Regel  dergestalt ,  dass  ein  dünnerer  Ast 
längs  dem  Ulnarrande  der  Hand  und  des  fünften  Fingers  sich  erstreckt, 
ein  stärkerer  sich  auf  dem  Rücken  der  Hand  zwei  Mal  gabelförmig  theilt, 
um  die  Rückenäste  für  je  zwei  einander  zugekehrte  Ränder  der  drei  me- 
dialen Finger  zu  bilden  (Fig.  278).  Indem  der  am  Ulnarrande  des  dritten 
Fingers  hinziehende  Nerve  einen  an astomotischen  Zweig  vom  N.  radialis  von 
wechselnder  Stärke  aufnimmt,  erscheint  er  als  Fortsetzung  bald  mehr  des 
N.  ulnaris,  bald  mehr  des  Radialis. 

Von  den  Endästen  des  N.  ulnaris  theilt  sich  der  oberflächliche  (Fig.  277) 
in  drei  Aeste,  Einen,  der  der  Haut  des  Kleinfingerballens  und  dem  M.  pal- 
maris brevis  Aeste  giebt,  zuweilen  auch  dem  vierten  M.  lumbricalis  (Bock) 
und  dem  M.  abductor  digiti  quinti  in  der  Mitte  seiner  Länge  einen  Zweig  zu- 
sendet, einen  zweiten  Ast  für  den  ulnaren  Rand  des  fünften  Fingers,  einen 
dritten  für  die  einander  zugekehrten  Ränder  des  vierten  und  fünften  Fin- 
gers. Zwischen  den  beiden  letzten  Aesten  findet  sich  zuweilen  eine  Anasto- 
mose mitten  in  der  Hand.  Von  ihnen  erhält,  wie  von  den  entsprechenden 
Zweigen  des  N.  medianus,  die  Haut  des  Handtellers  ihre  Nerven.  Von  dem 
Stämmchen,  aus  welchem  die  Nerven  für  den  vierten  und  fünften  Finger 
entspringen,  geht  der  Verbindungsast  aus,  der  sich  dem  nächsten  N.  digi- 
talis  comm.  aus  dem  Medianus  zugesellt  und  vom  vorderen  Rande  dieses 
Verbindungsasts  kommen,  wie  erwähnt,  einige  feine  Hautnerven  und  Ge- 
fässnerven. 


^)  K.  palmaris  longus  ulnaris  Bock.  R.  palmaris  longus  Arnold.  R.  cuianeus  pal- 
maris n.  ulnaris  Küdinger.  ^)  Filum  cutaneum  anostomoi.  Cruv.  ^)  Filum  arteriae 
ulnaris  Cruv. 


N.  ul 


naris. 


493 


Arloing  und  Tripiei'  (Arcliives  de  physiol.  1869,  p.  44)  sind  die  Einzigen, 
welche  die  von  der  Anastomose  der  Nn.  ulnaris  und  medianus  ausgehenden  Ner- 
ven beschreiben.  Nach  ihrer  Angabe,  die  icli  nicht  zu  bestätigen  vermag,  wären 
es  regelmässig  vier  Zweige,  die  sich  an  die  Aa.  digitales  comm.  anlegen  und  sehr 
feine  Fädchen  zur  Haut  der  ringerballen  senden. 

Der  tiefe  Eudast(Fig.  277),  ein,  von  den  Gelenkzweigen  abgesehen,  aus- 
scbliesslicli  motorischer  Nerve,  zerfällt,  oft  schon  am  Unterarm,  in  zwei  Aeste. 
Der  Eine  verzweigt  sich  dicht  vor  dem  Erbsenbein  in  die  drei  Muskeln  des 
Kleinfingerballens;  der  andere  giebt  zuweilen  noch  einen  oberflächlichen 
Muskelast  ab ,  senkt  sich  dann  unter  einer  sehnigen  Brücke  zwischen 
den  Ursprüngen  der  Mm.  abductor  und  flexor  dig.  quint.  in  die  Tiefe 
und  verläuft  unter  den  Sehnen  der  Beugemuskeln  und  über  dem  Arcus  vo- 
laris  prof.  wie  dieser  in  fingerwärts  convexem  Bogen  quer  durch  die  Iland. 
Von  der  Convexität  des  Bogens  entspringen  Fäden  zum  vierten ,  in  der  Re- 
gel auch  zum  dritten  M.  lumbi-icalis  und  zu  sämmtlichen  Mm.  interossei 
der    vier    ulnaren   Finger.      Aus   dem    concaven   Rande   des   Bogens   gehen 

Fig.  277. 


Ädpi 


Verästelung  des  R.  prof.  N.  uln.  Die  Beugesehnen  der  Finger  sind ,  nach  Spaltung 
des  Lig.  carpi  vol.  entfernt,  bis  auf  die  Insertionen  der  Mm.  lumbricales  KI  und  IV 
(L^L*).  Ahq,  Fq  Mm.  abductor  und  flexor  dig.  quinti.  Adp  M.  adductor  pohicis. 
Adp'  Mittelfingerzacke    desselben^    quer    durchschnitten  uud  zurückgeschlagen.      IcP-  M. 

inteross.   dors.  prim. 


494  N.  radialis. 

feine  Fäden  zur  vorderen  "Wand  des  Handgelenks  hervor  (Rudi ng er).  La- 
teralerseits  endet  der  Nerve  in  den  Zacken  des  M.  adductor  pollicis  und, 
die  Mittelhandknockenzacke  durchbohrend,  im  M.  interosseus  ext.  primus. 

Var.  Wenn  ein  M.  epitroclileo-auconeus  Grub  er  (Mskl.  S.  197)  vorhanden 
ist,  so  giebt  der  N.  ulnaris  am  Oberarm  einen  Zweig  zu  diesem  Muskel.  Ban- 
kart, Pye-Smith  imd  Philips  (Guy's  hosp.  rep.  XIV,  436)  sahen  vom  N.  ul- 
naris 5  Cm.  über  dem  Ellenbogen  gel  enk  Zweige  zum  M.  ancoueus  int.  abgehen. 
Drei  Mal  sah  Gruber  (Archiv  für  Anat.  1867,  S.  560)  den  N.  ulnaris  an  der  Vor- 
derfläche des  medialen  Epicondylus  berabgehen  und  durch  eine  Spalte  im  Arm- 
beinkopfe des  M.  ulnaris  int.  oder  durch  die  Lücke  zwischen  seinen  beiden  Ur- 
sprüngen an  die  Vorderfiäche  dieses  Muskels  gelangen.  In  einem  von M'".  Krause 
(Archiv  für  Chirurgie  II,  142)  beobachteten  Falle  ging  der  E.  dorsalis  n.  ulnaris, 
statt  oberhalb  des  Capit.  ulnae,  erst  unterhalb  des  Proc.  styloid.  ulnae ,  zwischen 
diesem  und  dem  Erbsenbein,  auf  den  Haudrücken.  An  einem  von  mir  präparir- 
ten  Arme  gab  der  E.  palmaris  in  der  Hohlhaud  Fasern  an  die  einander  zunächst 
liegenden  Er.  digit.  comm.  der  Nu.  ulnaris  und  medianus  ab.  Die  gewöhnliche 
Anastomose  zwischen  beiden  Nerven  fehlte. 

3.     N.  radialis  va^). 

Eadiai.  Der  stärkste  unter  den  Aesten  des  Plexus  brachialis,  Fortsetzung  des 

tiefen  Strangs  desselben  und,  gleich  dem  N.  medianus,  aus  Bündeln  aller 
fünf  Wurzeln  des  Plexus  zusammengesetzt.  Der  Stamm  geht  vor  den  Seh- 
nen der  Mm.  latissimus  dorsi  und  teres  major  und  vor  dem  M.  anconeus 
long,  schräg  lateral-abwärts  an  die  Rückseite  des  Armbeins,  und  in  der 
spiraligen  Furche  dieses  Knochens,  zwischen  den  Mm.  anconeus  brevis  und 
int.,  an  dessen  lateralen  Rand.  Unter  dem  Sehnenbogen ,  von  welchem 
die  unteren  Fasern  des  M.  anconeus  br.  entspringen  (Muskl  Fig.  85),  ge- 
langt er  in  den  Grund  der  tiefen  Rinne  zwischen  Brachioradialis  und 
Brachialis  int.  Oberhalb  des  Ellenbogengelenks  theilt  er  sich  in  zwei  Aeste 
von  ziemlich  gleicher  Stärke,  einen  oberflächlichen,  wesentlich  sensibeln  Ast, 
der  im  Schutze  des  M.  brachioradialis  seinen  Weg  längs  dem  Unterarm  zur 
Hand  fortsetzt,  und  einen  tiefen  Ast,  der  zwischen  den  Schichten  des  M. 
supinator  (Muskl.  Fig.  107)  zur  Rückseite  zurückkehrt  und  sich  fast  aus- 
schliesslich an  die  Streckmuskeln  des  Unterarms  vertheilt  (Fig.  278). 

Der  erste  collaterale  Zweig  des  N.  radialis,  der  noch  diesseits  des  M. 
anconeus  long,  öfters  in  Verbindung  mit  dem  motorischen  Aste  dieses  Muskels 
abgeht,  ist  ein  Hautnerve,  iV.  CMtowe^<s  ^90si  Stt^^.  (Fig.  272.  278  2),  der  sich  auf 
der  Rückenfläche  des  Oberarms  bis  in  die  Nähe  des  Ellenbogengelenks  verfolgen 

Zu  Fig.  278. 

Verästelung  des  N.  radialis  und  des  R.  dorsalis  n.  ulnaris  [du).  D  M.  deltoid.  Ah, 
Ah  M.  anconeus  brevis,  der  Länge  nach  durchschnitten,  und  nach  beiden  Seiten  zu- 
rückgeschlagen. B  M.  biceps.  ß»-  M.  brachioradialis.  RR  Mm.  radiales  extt.  long, 
und  br.  Apl  M.  abduct.  poll.  long.  Eph,  Epl  M.  extensor  poll.  long,  und  br. 
Eip  M.  extensor  indicis  propr.  Ue  M.  ulnaris  ext.  Edc  M.  extensor  dig.  comm. 
Su  M.  supinator.  Aq  M.''ancon.  quart.  Ai,  AI  Mm.  ancon.  int.  und  long,  cpi  N. 
cutaneus  post.  inf.     ij>  N.  inteross.  post. 


'•)  Si)eichennerve.      Armspindelnerve.       Si)iralnerve   der  engl.   Autoren.       ^)  R.   aitaneua 
int.  Bock.     7?.  euianens  brachii  int.  Arnold. 


N.  radialis. 
Fig-.  278. 


495 


496  N.  radialis. 

lässt.  Es  folgen  die  Aeste  für  die  Muscnlatur  der  Streckseite ,  der  eben 
erwähnte  Ast  für  den  M.  anconeus  long. ,  der  mit  divergirenden  Zweigen 
nicht  weit  vom  Urspriing  des  Muskels  in  dessen  Yorderfläche  eintritt ,  ein 
Ast  für  den  M.  anconeus  int.  i),  der,  indem  er  am  medialen  Rande  des  Mus- 
kels herabläuft,  ihm  zwei  bis  drei  Fäden  zusendet  und  zuletzt  in  dessen 
unterem  Ende  sich  verliert.  In  der  Regel  ist  dieser  Nerve  während  einer 
Strecke  seines  Verlaufs  dicht  an  den  N.  ulnaris  angeheftet,  ohne  doch  in 
dessen  Scheide  eingeschlossen  zu  sein  (Fig.  272  *).  Zuweilen  erreicht  er  mit 
seinen  letzten  Verzweigungen  die  Kapsel  des  Ellenbogengelenks.  Ein  dritter 
Muskelnerve  ist  dem  Rest  des  M.  anconeus  int.,  dem  Anconeus  br.  und 
quartus  bestimmt.  Er  läuft,  nachdem  er  einen  Ast  an  den  M.  anconeus 
br.  abgegeben,  im  Fleisch  des  anconeus  int.  herab,  nähert  sich  dabei  all- 
mählich dem  lateralen  Rande  des  Arms  und  geht  lateralwärts  neben  dem 
Olecranon  continuirlich  in  den  M.  anconeus  quart.  über.  Auch  von  diesem 
Nerven  werden  Zweige  zur  Ellenbogengelenkkapsel  beschrieben. 

Der  Diaphysennerve  des  Armbeins,  der  in  der  Eegel  aus  dem  N.  cutaneus 
lateralis  entspringt,  wird  öfters,  entsprechend  der  veränderlichen  Lage  des  For. 
nutritium,  vom  N.  radialis  oder  von  einem  seiner  Muskelzweige  abgegehen.  Aus- 
serdem entsendet  der  N.  radialis  in  der  Gegend  seines  Eintritts  zwischen  die  Köpfe 
des  M.  triceps  einen  Periostzweig,  der  der  Eichtung  des  Stammes  folgt  (Eauber, 
über  die  Knochennerven,  S.   14). 

Während  seines  Verlaufs  durch  die  spiralige  Furche  des  Armbeins  giebt 
der  N.  radialis  einen  ansehnlichen  Hautnerven  ab ,  den  N.  Cutaneus  post. 
inf.  (Fig.  272.  273.  278  2),  welcher  einfach  oder  getheilt  am  lateralen  Rande  des 
Oberarms  zum  Vorschein  kommt  und  sich  über  die  Rückseite  des  unteren 
Endes  des  Oberarms  und  des  Unterarms  bis  ans  Handgelenk  ausbreitet.  Er 
begleitet  den  Stamm  durch  die  Lücke  unter  dem  Sehnenbogen  des  M.  anco- 
neus ext.  oder  bricht  zwischen  den  Fasern  dieses  Muskels  oder  am  unteren 
Rande  desselben  hervor.  Ein  Zweig  geht  von  der  Axistrittsstelle  in  fast 
querer  Richtung  um  die  Seitenfläche  des  Oberarms. 

Von  dem  Stamme  selbst  geht,  nachdem  er  sich  in  die  Furche  zwischen 
Brachialis  int.  und  Brachioradialis  eingebettet  hat,  noch  vor  seiner  Theiluug 
öfters  ein  kurzer  Ast  medianwärts  zum  ersten  der  genannten  Muskeln  und 
regelmässig  ein  Zweig  abwärts  in  den  zweiten,  der  sich  mit  feinen  Fäden 
bis  in  die  Kapsel  des  Ellenbogengelenks  fortsetzt  (Rüdinger).  Die  dem 
Brachioradialis-Zweige  parallelen  Fäden  zu  den  Mm.  radiales  extt.  longus 
und  brevis  giebt  der  tiefe  Ast  ^)  des  N.  radialis  vor  seinem  Eintritt  in  den 
M.  supinator  ab.  Den  M.  supinator  selbst  versorgt  er  mit  mehreren  Zweigen 
während  seines  Durchtritts.  Sobald  er  auf  der  Rückseite  des  Arms  zwischen 
der  oberflächlichen  und  tiefen  Schichte  der  Streckmuskeln  ins  Freie  gelangt 
ist,  sendet  er  einen  starken  Ast  ulnarwärts,  der  sich  alsbald  in  mehrere 
Fäden  für  die  Mm.  extensor  digit.  comm.  (mit  Einschluss  des  Ext.  dig. 
quinti)  und  ulnaris  ext.  zerspaltet.  Auf  der  tiefen  Streckmuskelschichte 
laufen  zwei  feinere  Zweige  abwärts,   der  Eine  neigt  sich  radialwärts  zu  den 


^)  R.  collateralis  ulnaris  n.  radialis  W.  Krause  (Archiv  für  Anat.  1864,  S.  349). 
^)  A'.  subcutaneus  ext.  ex  radiali  Klint.  A.  cutaneus  ext.  siq}.  Bock.  A'.  cutaneus  ext. 
antibrachii,      N.   superficialis  dorsa.Us  radialis   ctitaneus.      ^)  lt.   muscularis. 


N.  radialis.  497 

Mm.  abductor  poll.  long,  und  extensor  poll.  br. ;  der  andere  gebt ,  nacbdem 
er  den  Mm.  extensor  poll.  long,  und  indicis  propr.  Aeste  abgegeben,  als  N. 
interosseus  post.  zwischen  den  beiden  tiefen  Muskelpaaren  oder  durch  die 
ürsprungsbündel  des  M.  extensor  poll.  long,  auf  dem  Lig  interosseum  zur 
Hand  und  unter  dem  Fach,  in  welchem  die  Sehnen  des  M.  extensor  dig.  comm. 
am  Handgelenk  enthalten  sind,  bis  zu  den  Basen  der  Mittelhandknochen, 
mit  feinen  Fäden  in  die  Kapsel  der  Handgelenke  sich  verlierend. 

Cruveilliier  nennt  den  letzten  Theil  des  Nerven  grau  und  knotig  und 
Hirschfeld  und  Leveillt§  (pl.  L.  Fig.  1,  10)  bilden  ein  längliches  Knötchen  des- 
selben ab,  das  ich  nur  für  eine  Abplattung  halten  kann. 

Nach  Rüdin ger  (Geleuknerven  S.  15)  spaltet  sich  das  Stämmchen  des  N. 
interosseus  post.  auf  der  Kapsel  des  Radiocarpalgelenks  dichotomisch  meist  in 
drei  bis  vier  Fäden,  welche  divergirend  gegen  die  Basen  der  Mittelliandknochen 
verlaufen.  Sie  geben  dann  nochAestchen  den  Bändern  der  Handwurzelknochen, 
insbesondere  der  Kapsel  des  Carpalgelenks,  gelangen  zu  dem  Carpometacarpal- 
gelenk,  meist  so,  dass  gegen  zwei  Handwurzelknochen  ein  Fädcheu  hinzieht  und 
können  bis  in  den  oberen  Theil  der  Intermetacarpalräume  verfolgt  werden.  Wie 
Eaub er  (Vater'sche Körper  der  Bänder-  und  Periostnerven.  Neustadt  1865,  S.  6) 
hinzufügt,  erhält  jeder  dieser  Intermetarcarpalnerven  Verstärkung  durch  einen 
Zweig  des  R.  prof.  n.  ulnaris,  und  theilt  sich  dann  in  zwei  Aeste,  welche  an  die 
beiden,  den  Intermetacarpalraum  begrenzenden  Ränder  der  Mittelhandkuochen 
und  des  Fingercarpalgelenks  treten.  Ihr  Verlauf  variirt  vielfach ;  den  entspre- 
chenden Nerven  des  ersten  lutermetacarpalraums  sah  Raub  er  beständig  in  sie- 
ben Zweige  zerfallen.  Zwei  laufen  rückwärts,  von  denen  der  Eine  sich  an  die 
Arterie  hält,  der  andere  die  radiären  Bänder  der  Handwurzel  versorgt ;  der  dritte 
und  vierte  ziehen  quer  zu  den  Bändern  der  Basen  des  ersten  und  zweiten ,  der 
fünfte  zur  Ulnarseite  und  dem  Periost  des  ersten  Mittelhandknochens ;  der  sechste 
verbindet  sich  mit  dem  dorsalen  radialen  Aste  des  zweiten  Fingers  und  läuft 
auf  dem  M.  inteross.  ext.  primus  nach  vorn  zum  zweiten  Fingercarpalgelenk ;  der 
siebente  anastomosii't  mit  dem  R.  prof.  n.  ulnaris  und  läuft  in  die  Tiefe  zum 
Gelenk. 

Kehren  wir  zum  oberflächlichen  Ast  ^)  zurück  (Fig.  278),  so  sehen  wir  den- 
selben unverästelt  an  der  Vorderfläche  des  Bauchs  des  M.  brachioradialis  herab- 
gehen und  unter  dessen  Sehne  auf  die  Rückseite  des  Unterarms  übertreten, 
von  wo  er,  in  zwei  Aeste  gespalten,  den  Radialrand  der  Hand  erreicht. 
Der  laterale  Ast  2)  hängt  in  der  Regel  durch  eine  kurze  Schlinge  mit  dem 
N.  cutaneus  lat.  zusammen,  sendet  Zweige  an  die  Haut  des  Daumenballens 
und  endet  als  radialer  Rückennerve  des  Daumens.  Der  mediale  Ast  zerfällt 
durch  wiederholt  gabiige  Theilung  in  vier  Zweige,  die,  eigentlich  symme- 
trisch mit  dem  R.  dorsalis  N.  ulnaris,  die  einander  zugewandten  Ränder 
des  Daumens,  zweiten  und  dritten  Fingers  versehen;  doch  wird,  wie  schon 
beim  N.  ulnaris  erwähnt,  die  Symmetrie  häufig  gestört  durch  einen  an  der 
Basis  der  Finger  vom  Mittelfingerzweige  des  Radialis  zu  dem  des  Ulnaris 
oder  umgekehrt  verlaufenden  anastomotischen  Zweig,  der  dem  Einen  oder 
anderen  Nerven  ein  Uebergewicht  verschafft. 

So  reichen  auch  in  der  Haut  des  Handrückens  bald  die  ulnaren,  bald 
die  radialen  Zweige  über  die  Mittellinie  der  Hand  hinaus. 

Gruber  (Neue  Anomahen.  Berlin  1849.  S.  32)  sah  an  der  Theilungsstelle  des 
N.  radialis   in    den   R.  profundus    und   superficialis  den  letzteren  doppelt  abgehen. 

1)  R.  dorsalis  s.  cutaneus.  ^)  R.  volaris  Klint.  R.  anterior  Bock.  R.  marginaUs 
Arnold. 

Heule,  Anatomie.    Bd.  III.    Abthlg.  2.  32 


498  Plexus  brachialis.* 

Der  äussere  beider  Zweige  entspricht  dem  normalen  E.  superficialis,  der  innere 
durclibohrt  den  M.  supinator ,  zieiit  mit  der  Art.  radialis  am  Vordei'arm  hinab 
und  begiebt  sicli  zwischen  der  Sehne  des  M.  brachioradialis  luid  dem  Knochen  auf 
die  Eückseite ,  um  hier  wieder  mit  dem  äusseren  Aste  zusammenzufliessen.  In 
einem  von  Turner  (Journ.  of  anat.  IX,  100)  mitgetheilten  Falle  drang  der  N.  in- 
terosseus  post.  bis  in  die  Hand  und  gab  die  Aeste  zu  den  einander  zugekehrten 
Rändern  des  zweiten  und  dritten  Fingers. 

Variet.  des  Nachdem  ich  bei  den  einzelnen  Nei-ven  des  Plexus  brachialis  die  Varietäten  ihres 

Piex.  brach.  Yerlaufs  und  ihrer  Verästelung  angegeben  habe,  bleiben  noch  die  Anomalien  auf- 
zuzählen, welche  in  ungewöhnlichen  Vei-bindungen  der  Armnerven  und  in  Ueber- 
nahme  von  Aesten  des  Einen  durch  den  anderen  beruhen. 

Unter  den  anomalen  Verbindungen  der  Armnerven  kömmt  bei  weitem  am 
häufigsten  und  in  den  mannichfaltigsten  Variationen  die  zwischen  den  Nn.  cuta- 
neiTs  lateralis  und  medianus  vor,  von  einer  einfachen  Schlinge  zwischen  den  übri- 
crens  in  gewohnter  Weise  verästelten  Stämmen  bis  zur  völligen  Verschmelzung 
derselben.  Der  Verbindungszweig  läuft  zwischen  Biceps  und  Brachial,  int.  oder 
durch  den  M.  brachialis  int.  (Pye-Smith,  HowseundDavies-  Colley ,  Gluy's  hosp. 
rep.  XVI,  160),  häufiger  vom  Medianus  abwärts  zum  Cutaneus  lateralis,  als  umge- 
kehrt. Unter  41  Fällen  fand  ihn  G-egenbaur  (Jenaische  Ztschr.  für  Med.  und 
iSTaturwisseusch.  III,  258)  28  Mal,  darunter  5  Mal  doppelt  und  2  Mal  von  nach- 
träglich vereinigten  Aesten  gebildet.  Einmal  unter  10  bis  15  Fällen  verbindet 
sich  ein  Zweig  des  N.  cutaneus  lateralis  mit  dem  Medianus  nach  des  letzteren  Kreu- 
zung mit  der  A.  brachialis  ;  imter  30  bis  40  Fällen  Einmal  giebt  der  N.  cutaneus 
lateralis  nach  Durchbohrung  des  M.  coracobrachial.  einen  oder  zwei  Aeste  ab,  von 
denen  der  obere  zum  Medianus  geht,  der  untere ,  dem  Medianus  Aeste  schickend 
oder  nicht,  an  der  A.  brachialis  bis  zu  deren  Theilung  herabläuft,  und  hier  in 
einen  aufwärts  zum  Medianus  zurückkehrenden  und  in  einen  abwärts  in  den  M. 
Pronator  teres  ausstrahlenden  Ast  sich  theilt  (Grub  er,  Neue  Anomalien 
a.  a.  0.).  Turner  (a.  a.  0.)  sah  den  N.  cutaneus  lat.  einen  starken  Ast  ab- 
geben, der  sich  in  zAvei  Aeste  theilte,  von  denen  der  Eine  sich  mit  dem  Media- 
nus verband,  der  andere  weiter  unten  zum  Cutaneus  lat.  zurückkehrte.  Einmal 
spaltete  sich  der  N.  cutaneus  lat.  in  zwei  Aeste,  Einen  für  die  Beugemuskeln,  der 
sich  als  Hautnerve  fortsetzte,  einen  anderen,  der  zum  Medianus  ging  und  einen  zum 
Cutan.  lat.  zurückkehrenden  Zweig  abgab.  Der  vom  Medianus  zum  Cutan.  late- 
ralis tretende  Zweig  ist  in  der  Regel  schwächer  als  der  Hautast  des  letzteren;  er 
kann  ihn  aber  auch  an  Stärke  übertreffen.  Unter  Gegenbaur's  41  Fällen  wa- 
ren zwei,  in  welchen  der  Hautast  des  Cutan.  lat.  vor  der  Verbindung  mit  dem 
Medianus  auf  einen  sehr  feinen  Faden  reducirt  war.  In  drei  Fällen  wurde  der 
Hautast  vom  Medianus  allein  gebildet.  In  einem  der  Grub  er 'sehen  Fälle  endet 
der  N.  cutaneus  lateralis  in  der  Ellenbogengegend ,  der  Medianus ,  stärker  als  ge- 
wöhnlich, giebt  einen  Ast  ab,  der  den  N.  cutaneus  lateralis  am  Unterarm  vertritt. 
Hyrtl  (Oesterr.  Ztschr.  für  prakt.  Heilk.  1859.  Nr.  28)  gedenkt  eines  Falls,  wo  der 
N.  cutaneus  lateralis  als  motorischer  Nerv  am  Oberarm  endete  und  der  Medianus 
dessen  sensible  Zweige  übernommen  hatte;  Gegenbaur  sah  den  N.  cutaneus  late- 
ralis, nachdem  er  den  Zweig  zum  M.  coracobrachialis  abgegeben  hatte,  mit  dem 
Medianus  verschmelzen,  aus  welchem  die  übrigen  Aeste  jenes  Nerven  entsprangen. 
Arme,  an  welchen  der  Cutaneus  lateralis  ganz  im  Medianus  aufgegangen  war  und 
der  Medianus  alle,  auch  die  motorischen  Aeste  des  Cutaneus  lateralis  abgab,  be- 
schreiben Cruveilhier,  Damas  (Journ.  de  la  soci^te  de  Montpellier  1862)  und 
Gegenbaur.  In  dem  Cruveilhier' sehen  Präparate  hatte  der  Nerve  des  M.  co- 
racobrachialis einen  rückgängigen  Verlauf;  er  entsprang  vom  N.  medianus  fast 
in  gleicher  Höhe  mit  dem  motorischen  Aste  des  Biceps  und  ging  fast  gerade  auf- 
wärts zu  seinem  Muskel.  Die  seltnere  Anomalie,  dass  der  N.  cutaneus  lateralis 
den  N.  medianus  vertritt,  kam  in  einem  von  Hyrtl  (Oesterr.  Ztschr.  für  prakt. 
Heilk.  1864.  Nr.  20)  beobachteten  Falle  vor  und  ist  an  einem  Präparate  der  hie- 
sigen Sammlung  zu  sehen:  in  Hyrtl's  Fall  ist  der  N.  cutaneus  lat.  drei  Mal  so 
stark,  als  gewöhnlich,  und  theilt  sich  unterhalb  des  M.  coracobrachialis  in  zwei 
Aeste,  einen  lateralen,  den  gewöhnlichen  Ilautast,  und  einen  medialen,  der  in  der 


Fingernerven.  499 

Ellenbogenbeuge  die  A.  bracliialis  kreuzt ,  dem  M.  pronator  tei-es  einen  Ast  sendet 
und  mit  dem  bis  dahin  sehr  zarten  N.  medianus  sich  vereinigt.  Die  Verbindung 
ist  leicht  zu  trennen  und  es  zeigt  sich,  dass  der  N.  interosseus  ant.  dem  N.  cuta- 
neus  lateralis  angehört.  Ebenso  lassen  sich  in  der  Hand  die  Hautnerven  dem 
eigentlichen  Medianus,  die  motorischen  Nerven  des  Daumenballens  und  der  beiden 
ersten  Lumbricalmuskeln  der  Fortsetzung  des  N.  cutaneus  lat.  zuweisen. 

Die  zuerst  von  Martin  (De  nerv.  corp.  hum.  Holm,  et  Lips.  1781,  p.  216) 
bemerkte  Anastomose  der  Nn.  medianus  und  ulnaris  am  oberen  Theil  des  Unter- 
arms kömmt  nach  "W.  Uruber  (Arch.  für  Anat.  1870,  S.  501)  unter  125  Indivi- 
duen beiderseitig  10  Mal,  einseitig  18  Mal  vor;  sie  erfolgte  36  Mal  durch  Einen 
Ast,  2  Mal  durch  zwei  Aeste.  Der  einfache  Ast  war  9  Mal  gegen  den  N.  ulnaris 
in  zwei  secundäre  Aeste  getheilt.  Er  erschien  entweder  als  eine  vom  Medianus 
stammende  Wurzel  des  Ulnai-is  oder  als  eine  rückläufige  Schlinge  oder  theilte  sich 
in  einen  am  N.  iilnaris  auf-  und  einen  absteigenden  Ast.  Von  der  Schlinge  gin- 
gen zuAveilen  Zweige  zum  M.  flexor  dig.  prof.  Unter  15  der  Fälle,  wo  diese  Ver- 
bindung am  Unterarm  bestand,  vermisste  Grub  er  die  Anastomose  beider  Nerven 
in  der  Handfläche  nur  Einmal,  während  sie  6  Mal  fehlte  unter  50  Fällen,  in  wel- 
chen die  Verbindung  der  Nerven  am  Unterarm  verniisst  wurde.  Damit  ist  eine 
Vermuthung  Martin' s  widerlegt,  wonach  die  Eine  Anastomose  die  andere  zu  ver- 
treten bestimmt  sein  sollte.  Ich  habe  eine  andere  Verbindungsweise  der  Nn.  me- 
dianus und  ulnaris  gefunden ,  die  möglicherweise  öfters  vorkommen  könnte  und 
leicht  zu  übersehen  ist :  ein  feines  Aestchen  des  N.  ulnaris  bildet  im  oberen  Drit- 
tel des  Unterarms  mit  dem  einen  aus  dem  M.  flexor  dig.  subl.  ihm  entgegenkom- 
menden Aestchen  des  N.  medianus  einen  Bogen ,  aus  welchem  Gefässnerven  zur 
A.  ulnaris  hervorgehen.  Eine  Verbindung  des  N.  ulnaris  mit  dem  E.  interosseus 
ant.  des  Medianiis  durch  einen  hinter  der  A.  ulnaris  vorüberziehenden  Ast  beob- 
achteten Pye-Smith,  Howse  und  Davies-Colley  (a.  a.  0.). 

Klint  (a.  a.  0.  p.  129)  berichtet  von  zwei  "Wrisberg'schen  Präparaten,  an 
welchen  der  N.  interosseus  ant.  von  zwei  Wurzeln  gebildet  Avurde,  der  gewöhn- 
lichen aus  dem  N.  medianus,  und  einer  aus  dem  N.  radialis,  die  das  Lig.  interosseum 
durchbohrte. 

Eine  Verbindung  des  N.  ulnaris  mit  dem  Cutaneus  medius  beobachteten 
W.  Krause  (Archiv  für  Anat.  1864,  S.  350)  und  Bankart,  Pye-Smith  und 
Philips  (a.  a.  0.).  Der  erste  sah  einen  dünnen  Zweig  des  N.  ulnaris ,  der  schon  hoch 
oben  am  Oberarm  isolirt  in  der  Scheide  des  Nerven  lag,  oberhalb  des  medialen  Epicon- 
dylus  schlingenförmig  mit  einem  Z^veig  des  N.  cutaneus  medius  sich  verbinden. 
Die  letzteren  erzählen  einen  Fall,  in  Avelchem  der  N.  cutaneus  medialis  vom  zwei- 
ten Intercostalnerven  allein  gebildet  war  und  ein  Hautnerve  vom  Radialis  die  me- 
diale Fläche  des  Oberarms  bis  zum  Ellenbogen  versorgte,  indess  der  N.  ulnaris 
einen  Zweig  zur  Haut  über  der  oberen  Hälfte  des  M.  ulnaris  int.  abgab  und  einen 
Zweig  vom  N.  cutaneus  medius  aufnahm. 

Endlich  sind  Beobachtungen  zu  erwähnen,  welche  sich  auf  eine  gegenseitige 
Vertretung  der  E-ückenäste  der  Nn.  radialis  und  ulnaris  beziehen.  So  ein  von 
Kaufmann,  ein  von  Turner  und  ein  von  Giacomini  (Giorn.  dell'  accad.  di 
med.  di  Torino  1872)  erzählter  Fall,  in  welchem  der  Bückenast  des  N.  radialis 
die  sämmtlichen  dorsalen  Fingernerven  lieferte  und  den  fehlenden  B.  dorsalis  des 
N.  ulnaris  ersetzte.  Ferner  ein  Fall  von  Grub  er  (Archiv  für  pathol.  Anat.  und 
Physiol.  LIV,  190),  in  welchem  der  B.  dorsalis  N.  ulnaris  sich  in  der  Haut  des 
vierten  und  fünften  Fingers,  der  B.  superficialis  n.  radialis  sich  in  der  Haut  aller 
Finger  vei-zweigte. 

Fingernerven. 

Jeder  Finger  erhält  vier  Nerven,    die   an   den  Eändern   derselben,  je  Fingerner- 
zwei stärkere  an  der  Volar  -,  zwei  feinere  an  der  Dorsalfläche ,   die   volaren 
hinter  den  Arterien  hinziehen.     Die  volaren    stammen   für   die  drei  media- 
len Fingerränder  vom  N.  ulnaris,  für   die   sieben   lateralen   vom   N.  media- 


500  Fingernerven. 

nus ;  die  dorsalen  gehen  in  der  Regel  zur  Hälfte ,  d.  h.  für  die  fünf  media- 
len Ränder,  vom  N.  ulnaris,  zur  anderen  Hälfte,  für  die  fünf  lateralen  Rän- 
der, vom  N.  radialis  aus.  Darnacli  bezögen  also  nur  die  beiden  Ränder 
des  fünften  und  der  ulnare  Rand  des  vierten  Fingers  die  Nerven  ihrer 
Volar-  und  Dorsalfläche  aus  dem  nämlichen  Stamm.  Indess  besteht  der 
Gegensatz  zwischen  der  Volar-  und  Dorsalfläche  der  übrigen  Fingerränder, 
mit  Ausnahme  des  Daumens ,  nur  für  die  Grundphalange.  Der  Daumen  ist 
der  einzige  Finger,  au  welchem  die  dorsalen  Nerven  sich  bis  unter  den 
Nagel  erstrecken ;  an  den  übrigen  Fingern  enden  sie  an  der  Mittelphalange 
und  wird  die  Endphalange  von  Zweigen  der  volaren  Nerven  auch  an  der 
Rückseite  versorgt.  Mit  Rücksicht  auf  den  nervenreichsten  und  empfind- 
lichsten Theil  der  Finger,  das  Nagelglied,  gehören  also  die  Dorsalflächen 
der  drei  medialen  Fingerränder  dem  N.  ulnaris,  der  fünf  nächsten  dem  N. 
medianus,  der  zwei  radialen  oder  Daumenränder  dem  N.  radialis  an. 

Die  oberflächliche  physiologische  Erfahrung  bestätigt  das  Resultat  der 
anatomischen  Untersuchung.  Die  Compression  des  N.  ulnaris  am  medialen 
Epicondylus,  die  nur  zu  oft  durch  zufälligen  Stoss  erfolgt,  äussert  ihre  Wir- 
kung ,  Ameisenkriechen  und  Taubheit,  ausschliesslich  am  fünften  und  vier- 
ten Finger.  Doch  haben  die  neuerlichen  chirurgischen  Verhandlungen  über 
die  Nervennath  Thatsacheii  zu  Tage  gefördert,  welche  beweisen,  dass  der 
Faserverlauf  nicht  so  einfach  und  unsere  Kenntniss  desselben  noch  nicht 
abgeschlossen  ist.  Die  Beobachtungen  von  Beclard^)  und  Paget  2),  de- 
nen zufolge  nach  Durchschneidung  der  Nn.  ulnaris  oder  medianus  die  Em- 
pfindlichkeit der  gelähmten  Finger  innerhalb  weniger  (8  bis  10)  Tage  mehr 
oder  minder  vollkommen  zurückgekehrt  war,  haben  nichts  Auffallendes, 
wenn  es  richtig  ist,  was  Schifft)  im  Widerspruch  mit  älteren  Experi- 
mentatoren behauptet,  dass  reine  Schnittwunden  der  Nerven  unter  gün- 
stigen Verhältnissen  bei  Thieren  innerhalb  weniger  Tage  verheilen.  Aber 
in  einem  von  Laugier*)  erzählten  Falle  hatte,  nachdem  am  Morgen  die 
Enden  eines  durchschnittenen  Medianus  durch  die  Naht  vereinigt  worden, 
schon  am  Abend  die  Wiederkehr  der  Beweglichkeit  und  Empfindlichkeit  in 
den  Theilen,  in  welchen  dieser  Nerv  sich  verbreitet,  ihren  Anfang  genom- 
men. In  der  Nela ton' sehen  Klinik  schnitt  Houel  wegen  eines  Neuroms 
am  Oberarm  ein  Stück  des  N.  medianus  aus  und  fügte  durch  Naht  die  Ner- 
venstümpfe an  einander;  die  Operirte  war  schon  nach  wenigen  Tagen  wie- 
der im  Besitz  der  Beweglichkeit  und  Empfindlichkeit  der  vom  Medianus 
versorgten  Gebiete^).  In  einem  Falle,  in  welchem  Riebet^)  die  Vereini- 
gung des  am  unteren  Ende  des  Unterarms  durchschnittenen  Medianus  durch 
die  Naht  unternahm ,  hatte  sich  die  Lähmung  der  Sensibilität  gleich  nach 
der  Verwundung  auf  die  beiden  unteren  Phalangen  des  Zeigefingers  be- 
schränkt. 

Von  diesen  Fällen  lässt  allerdings  der  Houel' sehe  kaum  eine  andere 
Erklärung  zu,  als  dass  beim  Menschen,  vielleicht  wegen   der  ruhigen   Lage 


^)  Descot,  sur  les  atfections  lociiles  des  nerfs.  Paris  1825,  p.  39.  ^)  Lectures  oii 
surgical  pathology.  Lond.  1863,  p.  210.  ^)  Physiologie  I,  123.  *)  Comptes  rendus.  1864. 
20.  Juin.  5)  Bulletin  de  la  societe  de  Chirurgie  de  Paris  pendant  Pannee  1864.  Paris  1865, 
]).   301.      f')  Gazette  des  hoi)itaux.    1866.      Octobre. 


Fingernerven. 


501 


des  verwunjdeten  Theils  ,  die  Herstellung  der  Continuität  der  Nerven  un- 
gleicli  rascher  vor  sicli  gehe,  als  bei  Thieren.  Indess  darf  für  unseren 
Zweck  diese  Frage  unerledigt  bleiben,  da  Ricbet's  Beobachtung  allein 
genügt,  um  zu  zeigen,  dass  die  Finger  ihi'e  sensibeln  Fasern  nicht  lediglich 
aus  den  Aesten  empfangen,  welche  sich  geraden  Wegs  zu  ihnen  erstrecken. 
Wir  werden  dadurch  auf  die  Bedeutsamkeit  der  fast  constanten  Anastomose 
zwischen  den  Nn.  medianus  und  ulnaris  in  der  Hohlhand  hingewiesen  und 
dürfen  hoffen,    dass   die    Chirurgen    durch   eine    genauere    Analyse  der  sich 

künftisr  ereignenden  Ner- 


Fig.  279. 


Haut  eines  Fingers  mit  den  Nervenstämmen.  Sie  ist  am 
Seitenrande  des  auf  der  Volarfläche  ruhenden  Fingers  der 
Länge  nach  gespalten ,  die  Haut  der  Kückenfläche  zurück 
geschlagen,  Phalangen  und  Sehnen  nach  Exarticulation  im 
Fingercarpalgelenk  herausgeschält,  v  E.  volaris,  d  K.  dor- 
sal! s  der  Nn.  digitales. 


venverletzungen  uns  in 
den  Stand  setzen  wer- 
den, die  offenbar  in  ein- 
ander greifenden  Gebiete 
der  beiden  Hauptnerven- 
stämme  genauer  abzu- 
grenzen. 

An  den  Fingern  ist,  wie 
erwähnt,  abgesehen  vom 
Daumen,  die  Verzwei- 
gung der  dorsalen  Aeste 
(Fig.  279  d)  kaum  über 
das  erste  Gelenk  hinaus 
zu  verfolgen.  Die  vola- 
ren Aeste  (v)  geben  unter 
spitzem  Winkel  einen 
ersten  stärkeren  Zweig 
zum  Rücken  des  Fingers 
schon  an  der  Grundpha- 
lange  ab,  einen  zweiten 
in  der  Gegend  der  Basis 
der  Endphalange,  der 
sich  unter  dem  Nagel 
wiederholt  gabelförmig 
theilt.   Feinere,  hier  und 

dort  anastomosirende 
Aeste  kommen,  ebenfalls 
spitzwinklig ,  je  3  bis  4 
an  jedem  der  beiden  er- 
sten Glieder,  aus  den 
volaren  Stämmen  und 
wenden  sich  theils  zur 
Vorderfläche,  theils  zum 
Seitenrande  der  Finger. 
Sie  streben  durch  das 
subcutane  Fettlager  zur 
Haut,  senden  aber  auch 
der  Volar  -  und  Dorsal- 
fläche der   Kapseln   der 


502 


Fingernerveii. 


Fingergelenke  Fäden  zu,  durch  welche  mitunter  eine  schlingenförmige  Ver- 
bindung der  beiden  volaren  Randnerven  eines  Fingers  hergestellt  wird  ^). 
Die  dichteste  Verzweigung  der  einander  entgegenkommenden  Aeste  findet 
sich  in  dem  eigentlichen  Tastorgan,  der  Volarfläche  der  Fingerspitzen ;  doch 
kommen  geflechtartige  Verbindungen  derselben  erst  im  Gewebe  der  Cutis 
als  sogenannte  Endplexus  vor.  Wie  weit  durch  dieselben  die  Fasern  der 
Nerven  beider  Ränder  oder  beider  Flächen  eines  Fingers  gegen  einander 
ausgetauscht  werden,  ist  für  den  Menschen  noch  nicht  ermittelt.     Für  Hunde 

und  Kaninchen  ergeben  die   Expe- 


Fig.  280. 


rimente  von  Arloing  und  Tri- 
pier  2),  dass  nach  Trennung  eines 
der  Nerven  der  Zehenränder  der 
peripherische  Stumpf  ebenso  reiz- 
bar ist,  wie  der  centrale,  dass  die 
Durchschneidung  Eines  Randnerven 
die  Sensibilität  der  Zehe  gar  nicht, 
die  Durchschneidung  zweier  Rand- 
nerven sie  kaum  alterirt  und  dass 
erst  nach  Durchschneidung  aller 
vier  Nerven  das  Gefühl  in  der  Zehe 
völlig  verloren  geht. 

Das  Verhältniss  der  Primitiv- 
nervenfasern der  Hand  und  Finger 
zu  den  Tastkörperchen  wurde  in 
der  Eingeweidelehre  beschrieben. 
Ein  grosser  Theil  der  sensibeln 
Fasern  gelangt  aber  nicht  bis  zur 
Haut,  sondern  zweigt  sich  früher 
von  den  Stämmen  und  Aesten  ab 
und  endet  in  den  im  Fett  vergra- 
benen pacinischen  Körperchen. 
Solche  kommen  gelegentlich  an 
Gelenk-  und  an  Knochennerven 
vor  '^) ;  vereinzelt  wurden  sie  an 
Hautnerven     des    Ober-   und  ün- 


^)  Die  Existenz  ähnlicher  Schlin- 
gen,  zwischen  den  Hautästen,  wie  Loder 
(Tabb.  anat.  No.  CLXXX)  sie  abbildet,  muss 
ich  mit  Bock  und  C.  Krause  bestreiten 
und  kann  auch  die  makroskopischen  Ner- 
vengeflechte der  Fingerspitze ,  die  aus 
Hirschfeld's  und  Leveille's  Atlas  in 
mehrere  illustrirte  Handbücher  übergegan- 
gen sind,  nur  für  Phantasiegebilde  halten. 
2)  Archives  de  physiol.  11,307.  '^)  Kau- 
ber,  Vater'sche  Körper  der  Bänder  und 
Periostnerven.  Neustadt  1865.  Unters, 
über  das  Vorkommen  und  die  Bedeutung  der  Vater'schen  Körper.  München  1865.  Ueber 
die  Knochennerven  des  Oberarms  und  Oberschenkels.     Ebendas.   1870. 


Nn.  digit.  volares  mit  pacinischen  Körperchen. 


Plexus  bracliialis.  503 

terarms  und  des  Handi-ückens  aufgefunden ;  am  beständigsten  und  reich- 
lichsten sind  sie  in  der  Volarfläche  der  Hand  und  Finger.  Sie  liegen 
vereinzelt  oder  in  Gruppen,  am  dichtesten  an  der  Abgangsstelle  derFinger- 
nei'ven,  weniger  an  den  Hau.pt stammen ,  als  an  den  feinen  Aestchen,  die 
sich  unmittelbar  in  die  Haut  einsenken  (Fig.  280). 

Vater  (Halleri  disput.  anat.  II,  973),  der  die  Körperclien  zuerst  gesellen,  de- 
nen wir  nach  dein  ersten  gründlichen  Bearbeiter  derselben  den  Namen  der  pacini- 
schen  beilegten,  giebt  eine  Abbildung  der  Nerven  des  Daumens,  an  welcher  die  Zahl 
der  Körperchen,  der  von  ihm  sogenannten  Pajj^'ZZrte  nerveae,  200  fast  erreicht.  Hier 
hat  offenbar  der  Zeichner  ein  Uebriges  getlian.  In  der  hierneben  reproducirten  Abbil- 
dung der  beiden  volaren  Aeste  des  Mittelfingers  aus  der  von  Kölliker  und  mir  verfass- 
ten  Abhandlung  (Ueber  die  Pacini'scheu  Körperchen  an  den  Nerven  des  Menschen 
und  der  Säugethiere.  Zürich  1844)  beträgt  die  Zahl  der  pacinischen  Körperchen  74; 
für  Eine  Hand  haben  wir  sie  auf  150  bis  350  angeschlagen.  Herbst  (Die  pacini- 
schen Körper  und  ihre  Bedeutung.  Göttingen  1848,  S.  9)  zählte  bei  einer  nicht 
gerade  durch  besonderen  Reichthiim  an  pacinischen  Körperchen  ausgezeichneten 
Leiche  im  ganzen  Umfang  der  Hohlhand  223,  am  Daumen  65,  am  Zeigefinger  95 
Körperchen  und  berechnet  demnach  die  gewönliche  Zahl  derselben  in  der  mensch  - 
liehen  Hand  auf  etwa  600.  Am  volaren  Nerven  des  Daumengelenks  fanden  sich 
nach  Raub  er 's  Zählung  15  pacinische  Körperchen,  am  ersten  Gelenk  des  Zeige- 
fingers 20,  am  letzten  22. 


Ich  lasse  eine  Uebersicht  der  Verbreitung    der   Aeste   des   Plexus   bra-  Uebersicht. 
chialis  in  den  Muskeln  und  der  Haut  der  oberen  Extremität  folgen. 

Von  den  Brustmuskeln  erhalten  der  Subclavius  und  Serrat,  anticus  je 
einen  eigenen  Nerven;  die  Mm.  pectoralis  maj.  und  minor  werden  von  den 
Nn.  thoracici  antt.  versorgt.  Mm.  supra-  und  infraspinatus  erhalten  ihre 
Aeste  vom  N.  suprascapularis,  Mm.  teres  minor  und  deltoideus  vom  N.  axil- 
laris, Mm.  subscapularis,  teres  maj.  und  Latissimus  dorsi  von  eigenen  Aesten, 
die  unter  dem  Namen  Subscapulares  zusammengefasst  werden,  von  denen 
indess  der  mittlere,  der  des  Teres  maj,,  einen  Theil  seiner  Fasern  dem 
M.  subscapularis  abgiebt.  Die  Musculatur  der  Beugeseite  des  Oberarms 
versieht  der  N.  cutaneus  lateralis,  die  Musculatur  der  Streckseite  der  N.  ra- 
dialis, zuweilen  mit  einem  dünnen  Zweig  des  N.  ulnaris.  Den  Muskeln  an 
der  Beugeseite  des  Unterarms  führt  der  N.  medianus  Aeste  zu,  den  M.  ulna- 
ris int.  und  den  medialen  Theil  des  M.  flexor  digit.  prof.  ausgenommen ,  die " 
ihre  Nerven  vom  N.  ulnaris  empfangen.  Der  Musculatur  der  Rück  -  und  Ra- 
dialseite des  Unterarms  ist  der  N.  radialis  bestimmt.  In  der  Hand  werden 
die  Muskeln  des  Daumenballens  mit  Ausnahme  des  Adductor  und  die  zwei, 
selten  drei  ersten  Mm.  lumbricales  vom  N.  medianus,  der  M.  palmaris  bre- 
vis,  die  beiden  medialen  Mm.  lumbricales,  die  Muskeln  des  Kleinfingerbal- 
lens, der  M.  adductor  poUicis  und  sämmtliche  Mm.  interossei  vom  N.  ulnaris 
innervirt. 

Was  die  Vertheilung  der  Hautnerven  betrifft,  so  suche  ich  in   den  Fi- 
guren 281  und  282  ein  ungefähres  Bild  derselben  zu  geben. 


504 


Plexus  brachialis. 
Fig.  281   und  282. 


Nil.  dorsales.  505 


IIL    Nn.  dorsales  1)  I  bis  XII. 

Bezüglicli  der  hinteren  Aeste  der  Dorsalnerven  ist  der  allgemeinen  Be-  Nu.  dorsal. 
Schreibung  (S.  458)  wenig  hinzuzufügen.  Die  sieben  bis  acht  obersten  ste- 
hen zu  den  fünf  oder  vier  unteren  in  einem  gewissen  Gegensatze,  indem 
von  den  beiden  Theilungsästen  ^)  jedes  hinteren  Astes  an  den  oberen  Dor- 
salnerven der  laterale,  an  den  unteren  der  mediale  Ast  der  stärkere  ist. 
Oben  sind  es  die  medialen  Aeste,  die,  nachdem  sie  die  medianwärts  von  den 
Querfortsätzen  befindlichen  Muskeln  versorgt,  ansehnliche  Hautäste  durch 
die  Ursprungssehne  des  M.  trapezius  senden,  während  die  lateralen  Aeste  sich 
im  M.  sacrospinalis  erschöpfen  (Fig.  283).  Vom  achten  oder  neunten  Dorsal- 
nerven an  gehen  die  medialen  Aeste  in  den  Muskeln  auf  und  geben  die  latera- 
len, neben  den  Aesten  zu  den  Mm.  longissimus  und  iliocostalis ,  die  Haut- 
äste ab,  die  zwischen  beiden  genannten  Muskeln  schräg  absteigend  die 
Fascia  lumbodorsalis  durchbohren  und  mit  einem  feinen  medialen  und  star- 
ken lateralen  Ast  in  der  Haut  des  Rückens  enden.  Die  letzten  Verzwei- 
gungen der  untersten  lateralen  Aeste  überschreiten  die  Crista  iliaca  und 
können  sich  bis  in  die  Gegend  des  Trochanters   erstrecken    (Cruveilhier). 

In  einem  von  Turner  (Journ.  of  anat.  2.  ser.  Nr.  IX,  p.  100)  beschriebenen 
Falle  gaben  die  hinteren  Aeste  des  zweiten  und  dritten  Dorsalnerven  rechterseits 
dem  M.  rhomboid.  und  dem  unteren  Theil  des  M.  trapezius  Aeste  und  endete  der 
hintere  Ast  des  dritten  Dorsalnerven  im  unteren  Theil  des  M.  rhomboideus  maj. 
Die  Ehomboidei  und  der  Trapezius  erhielten  daneben  ihre  geAvöhnlichen  Aeste, 
jene  aus  dem  Plexus  brachialis,  dieser  ans  dem  N.  accessorius. 

Die  vorderen  Aeste  der  Dorsalnerven,  Hr.  interCostales ^) ,  liefern  die  Rr.  antt. 
motorischen  Nerven  zu  den  tiefen  Brust-  und  den  Bauchmuskeln  mit  Ein-  cost. 
schluss  der  Mm.  serrati  post.  sup.  und  inf.,  und  die  Hautnerven  der  seit- 
lichen und  vorderen  Brust-  und  Bauchgegend.  Die  Stämme  zeichnen  sich 
durch  ihre  platte,  bandförmige  Gestalt  aus.  Der  erste  Intercostalnerv  ist, 
wie  oben  angegeben,  mit  seiner  Hauptmasse  an  der  Bildung  des  Plexus 
brachialis  betheiligt;  nur  ein  dünner  Zweig  desselben  verbleibt  im  ersten 
Intercostalraum  (Fig.  284).  Der  zwölfte  N.  intercostalis  verläuft  am  unteren 
Rande  der  zwölften  Rippe  und  führt  demnach  seinen  Namen  mit  Unrecht  *) ; 
doch  hören  auch  die  nächst  oberen  Nerven  in  ihren  vorderen  Theilen  auf, 
intercostal  zu  sein. 

In  der  ersten  Strecke  seines  Verlaufs  ist  der  N.  intercostalis  gegen  die 
Brusthöhle,  ausser  von  der  Pleura,  nur  von  einer  dünnen  straifen  Bindege- 

Zu  Fig.  281  und  282. 

Hautnervengebiete  der  oberen  Extremität.  Fig.  281  an  der  vorderen,  Fig.  282  an  der  hin- 
teren Fläche,  sc  Nn.  supraclaviculares.  ax  Hautast  des  N.  axillaris,  cps,  cpi  Nn.  cu- 
tanei  postt.  sup.  und  inf.  cmd,  cm,  cl  Nn.  cutanei  medialis,  medius  und  lateralis,  cp  N. 
cutan.  palraaris  (N.  mediani).     pw  N.  palmaris    ulnaris.      me    N.  medianus.     u    N.    ulnaris. 

ra    N.  radialis. 

^)  Nn.  thoracici.     Nn.  costales  s.  intercostales.       ^)  Er.    internus  et    exteriius.       ^)  Rr. 
suhcostales.     *)  Hall  er  beschrieb  ihn  als  ersten  Lumbarnerven. 


506 


Nn.  dorsales. 
Fig.  283. 


Spcp 


Nn.  dorsales. 


507 


webslage ,  einer  Fascia  •  endothoracica ,  bedeckt  und  demnach  nach  Weg- 
nahme der  Pleura  sichtbar.  Hier  giebt  er  und  zwar  alsbald  nach  seiner 
Trennung  vom  dorsalen  Ast  den  medianwärts  gerichteten ,  einfachen  oder 
doppelten  B.  communicans  zum  Grenzstrang  des  Sympathicus  (S),  und  unter 
sehr  spitzem  Winkel  einige  feine  Aeste,  oft  auch  einen  stärkeren  Ast,  welche 
das  hintere  Ende  des  M.  intercostalis  ext.,  den  M.  transversus  thoracis  post. 
und,  von  den  vier  oberen  und  dem  neunten  bis  elften  Intercostalnerven, 
die  Zacken  der  Mm.  serrati  postt.  versorgen.  Stärkere  Aeste  begeben  sich 
mit  dem  Stamm  in  der  Regel  unter  den  M.  transv.  thoracis  post.  und  setzen 
ihren  Weg  zwischen  den  beiden  Mm.  intercostales  fort,  indem  sie  von  Strecke 

Fig.  284. 


Linke  Thoraxhälfte,   oberer  Theil,  von  innen,  um  den  Verlauf  der    Nn.  intercostales    zu  zei- 
gen.     S  Grenzstrang  des  N.  sympath.      Sca,    Scmd  Mm.    Scalen,    ant.    und   med.     Lc  M. 
long,  colli.     j)Z  R.  perforans  lateralis. 

Zu  Fig.  2831). 

Hautäste  der    Rückenmarksnerven.      Spcp    M.    splenius    cap.      Tr  M.    trapezius.      RinJ  M. 

rhomboid.  maj.     D  M.   deltoideus.     Isp.M.  infraspinat.       TmJ  M.    teres    maj.     Ld   M.    la- 

tiss.  dorsi.      Oae  M.  obliq.  abd^  ext.      Gm  M.  gluteus  max.     Icl   M.  iliocost.    lumb.     Lgd 

M.  longiss.  dorsi.     Mf  M.  multifidus.      Sscp  M.  semispin.  cap. 


1)  Nach  Rüdinger,  Riickenmarksnerven  Taf.  IX. 


508  Nn.  dorsales. 

zu  Strecke  feine  Zweige  an  diese  Muskeln  abgeben.  Je  nachdem  der  N. 
intercost.  näher  dem  Rande  der  den  Intercostalratim  von  oben  her  begren- 
zenden Rippe,  also  unter  dem  sehnigen  oberen  Rande  des  M.  intercostalis 
int.,  oder  mehr  in  der  Mitte  der  Höhe  des  Intercostalraums  verläuft,  ist  er 
von  der  Brusthöhle  aus  sichtbar  oder  nicht.  Die  beiden  oberen  Intercostal- 
nerven  legen  einen  Theil  ihres  Wegs  auf  der  inneren  Fläche  der  Rippe  zu- 
rück, unter  welcher  sie  austreten.  Auch  die  folgenden  gehen  zuweilen 
über  den  hinteren  Rand  des  M.  intercost.  int.  hinaus  und  gelangen  erst 
später,  zwischen  den  Bündeln  dieses  Muskels  auf  dessen  äussere  Fläche 
oder  kehren,  nachdem  sie  an  gewohnter  Stelle  zwischen  die  Intercostalmus- 
keln  eingetreten  sind,  im  weiteren  Verlauf  für  eine  Strecke  an  die  innere 
Oberfläche  des  M.  intercost.  int.  zurück.  Häufig  spaltet  sich  der  Stamm 
des  N.  intercostalis  früh  in  zwei  Aeste  von  ungefähr  gleicher  Stärke;  der 
obere  nimmt  den  gewöhnlichen  Verlauf  am  unteren  Rande  der  beiden  Rip- 
pen ,  die  den  Intercostalraum  begrenzen,  unter  der  A.  intercostalis ;  der 
untere  Ast  geht  am  oberen  Rande  der  unteren  Rijjpe  hin  und  vereinigt 
sich  weiter  vorn  wieder  mit  dem  oberen  Aste  vor  oder  nach  Abgabe  des 
R.  perforans  lateralis. 

Für  eine  seltnere  Varietät  muss  icli  die  von  Bock  und  Eü dinge r  abgebilde- 
ten und  in  den  meisten  Handbüchern  erwähnten  Aeste  halten ,  durcli  welche  sich 
Nerven  benachbarter  Intercostalränme  über  die  innere  Fläche  der  Rippe  hinweg 
mit  einander  in  Verbindung  setzen. 

Etwa  auf  halbem  Wege  zwischen  der  Wirbelsäule  und  der  vorderen 
Medianlinie,  früher  in  den  oberen  Intercostalräumen,  giebt  der  N.  interco- 
stalis unter  spitzem  Winkel  einen  Ast,  22. i^e'/oroMS  lateralis  {Fig.  284. 286)^), 
vor  -  und  abwärts  ab,  der  vor  den  Zacken  des  M.  serrat.  ant.  und  weiter  unten 
des  M.  latissimus  dorsi  die  Brust  resp.  Bauchwand  durchbohrt.  Der  Ast  ist 
namentlich  im  oberen  Theil  der  Brust,  stärker,  als  die  Fortsetzung  des 
Stamms.  Er  ist  wesentlich  sensibler  Natur  und  theilt  sich  beim  Austritt 
in  einen  schwächeren  rückläufigen  und  einen  stärkeren  vor-  und  abwärts 
gerichteten  Zweig,  welche  beide  in  der  Haut  sich  verästeln ;  nur  die  Zacken 
des  M.  obliquus  abdominis  ext.  erhalten  jede  einen  Faden  von  den  vorderen 
Zweigen  der  unteren  Rr.  perforantes.  Der  erste  Intercostalnerve  giebt  kei- 
nen oder  nur  einen  sehr  feinen  R.  perforans  lat.  ab,  der  nicht  über  die 
Haut  der  Achselgrube  hinausgeht;  der  R.  perforans  lateralis  des  zweiten 
Intercostalnerven  -)  verbindet  sich  mit  dem  N.  cutaneus  int.  des  Arms  oder 
vertritt  ihn  und  auch  vom  dritten  gelangen  noch  Zweige  zur  Haut  der 
Achselgrube.  Vom  zweiten  oder  dritten  bis  sechsten  R.  perforans  stammen 
die  Aeste  zum  seitlichen  Theil  der  Mamma.  In  die  Substanz  der  Drüse 
dringen  Aeste  von  den  Rami  perfor.  lateral,  des  vierten  bis   sechsten  Inter- 

Zu  Fig.  285. 

Profilansicht  des  Rumpfs  mit  den  Rr.    perforantes    laterales    (pl)   und    anteriores   [pfa)    der 

Intercostalnerven.     ih  Hautäste  des  N.  ilio-hypogastricus.     ii  Hautäste  des  N.  ilio  -  inguina- 

lis.     Pmj,  Pm  Mm.  pector.  maj.  und  min.      Vrn  Vagina  M.  recti    abdom.      Oae    M.  ob- 

liq.  abd.  ext.     Sa  M.  serrat.  ant.     Ld  M.  latiss.  dorsi. 


^)  R.  pectoralls  post.  s.  lateralis  s.  superficialis.     R.  cutaneus  ext.  s.  pectoralis.     ^)  N. 
thoracico-brachialis.     ^)  Nach  Rüdinger,  Rückenmarksnerven.     Taf.  VIII.   • 


Nil.  dorsales. 


509 


Fm.  285  3). 


Vra 


510  Nn.  dorsales. 

costalnerven,  bald  aus  allen,  bald  aus  zweien  oder  nur  einem  einzigen ;  sie 
treten  an  der  planen  Fläche  der  Drüse  in  der  Nähe  des  Randes  ein,  ver- 
ästeln sich  aber  erst  in  der  Nähe  der  Milchgänge  und  folgen  den  Aesten 
derselben.  Die  Drüsenäste  des  sechsten  Intercostalnerven*  machen  insofern 
eine  Ausnahme,  als  sie  von  unten  auf  an  der  convexen  Fläche  der  Mamma 
verlaufen  und  sich  erst  in  der  Nähe  der  "Warze  in  die  Drüse  begeben 
(Eckhard). 

Die  Fortsetzung  des  Stamms  ^)  fährt  fort,  vom  unteren  Rande  des  Rip- 
penknochens und  dann  des  Rippenknorpels  feine  Fäden  in  die  Intercostal- 
muskeln  zu  senden.  Nur  wenig  an  Stärke  abnehmend  erreicht  sie  die  vor- 
dere Grenze  des  Intercostalraums.  Medianwärts  vom  vorderen  Rande  des 
M.  intercostalis  ext.  wird  sie  nach  aussen  von  den  Ligg.  intercostalia  ext., 
gewöhnlich  auch  von  Bündeln  des  M.  intercostalis  int.  gedeckt,  zwischen 
dessen  Schichten  der  Nerve  sich  zurückzieht,  während  er  gegen  die  Brust- 
höhle eine  neue  Bedeckung  durch  den  M.  transversus  thoracis  ant.  erhält. 
Er  versieht  die  Zacken  auch  dieses  Muskels,  so  wie,  von  der  vierten  Ripj)e 
an,  des  M.  rectus  abd.  mit  Zweigen  und  wendet  sich  schliesslich,  nachdem 
er  vor  den  Vasa  mammaria  int.  vorübergezogen,  am  Seitenrande  des  Brust- 
beins nach  aussen.  J)\e  Rr.jyerforantes  ttnlt.,  wie  man  diese  Endigungen  der 
Intercostalnerven  nennt  (Fig.  285),  durchbohren  vom  ersten  Intercostalraum 
an  bis  zum  sechsten  den  Ursprung  des  M.pectoralis  major  mit  einer  Reihe  von 
Fäden,  deren  Zahl  die  Zahl  der  Intercostalnerven  übertrifft,  da  die  meisten  der 
letzteren  sich  vor  dem  Eintritt  in  den  Muskel  oder  innerhalb  desselben  spalten. 
Dann  verästeln  sie  sich  median  -  und  lateralwärts  in  die  das  Brustbein,  den  M. 
pectoralis  maj.  und  die  mediale  Hälfte  der  Mamma  bedeckende  Haut.  Der 
siebente  bis  elfte  Intercostalnerve  folgen  nicht  mehr  der  Krümmung  der 
Rippenknorpel,  sondern  schreiten  hinter  denselben  hinweg  in  der  Richtung, 
die  sie  zwischen  den  knöchernen  Theilen  der  Rippen  einhielten.  So  ziehen 
sie  zwischen  den  inneren  Schichten  der  Musculatur  der  Bauchwand,  den 
Mm.  obliquus  int.  und  transversus  vor  -  und  abwärts,  dringen  vom  latera- 
len Rande  her  in  die  Scheide  des  M.  rectus  abdominis,  geben  sämmtlichen 
Bauchmuskeln  Aeste  und  treten  endlich  zwischen  den  Bündeln  des  Rectus 
zum  vorderen  Blatt  seiner  Scheide  und  durch  dasselbe  zur  Haut. 

Der  zwölfte  Intercostalnerve  hat  einen  noch  steiler  absteigenden  Verlauf 
als  die  übrigen  und  nähert  sich  mit  seinem  vorderen  Ende  der  Schambein- 
synchondrose.  Er  durchbohrt  die  Faserung  des  M.  transversus  abdominis 
in  der  Nähe  seines  Ursprungs ,  um  zwischen  ihm  und  dem  M.  obliquus  int- 
vorwärts  zu  gehen.  Sein  R.  perforans  lat.  steht  im  umgekehrten  Verhältniss 
der  Stärke  zu  dem  nächsten,  aus  dem  Plexus  cruralis  entspringenden  Nerven 
der  Bauchwa,nd  und  kann  mit  seinen  Verästelungen  die  Crista  iliaca  über- 
schreiten. Aus  dem  Anfange  seines  Stammes  entspringt  regelmässig  ein 
Ast,  der  mit  einem  entgegenkommenden  Aste  des  ersten  Lumbarnerven  eine 
Schlinge  bildet.  Nicht  selten  liegt  diese  Schlinge  theilweise  im  M.  quadrat. 
lumborum. 


^)   lt.  pectoralis   ant.   s.   int.      E.  pectoralis  prof.  Arnold.      K.   intercoataUs  s.  musculo- 
cutaneus  Cruv. 


Nn.  lumbales  I  bis  IV.     Plexus  cruralis.  511 

Schlingenförmige  über  das  hintere  Ende  der  Eippen  herablanfende  Verbindun- 
gen kommen  auch  zwischen  Intercostalnerven  unter  sich ,  am  häufigsten  zwischen 
dem  zweiten  bis  vierten  vor  (C.  Krause). 

Baur  (De  nervis  anterioris  superficiei  trunci  humäni.  p.  23)  und  Luschka  (Anat. 
Bd.  I.  Abth.  2,  S.  229)  geben  an,  dass  die  Er.  intercostales ,  die  dem  Laufe  der 
sechs  unteren  Eippen  folgen,  dem  Costaltheil  des  Zwerchfells  feine  Fäden,  Nn. 
phrenici  intercostales  Luschka,  zusenden.  Nach  Luschka  verlaufen  sie  inBe- 
gleitung von  Aesten  der  A.  musculo  -  phrenica  tmd  intercost.  inf.,  bestehen  meist 
nur  aus  wenigen  Primitivfasern,  sind  aber  so  zahlreich,  dass  die  Gesammtheit  der 
durch  sie  dem  Zwerchfell  zugeführten  Pasern  sich  jedenfalls  auf  mehrere  Hun- 
derte beläuft.  Baur  zufolge  sollten  feine  Aeste  der  Intercostalnerven  von  den  vor- ^ 
deren  Enden  derselben  mit  der  A.  pericardiaco  -  phrenica  zum  Stern  altheil  des 
Zwerchfells  herabgehen.  Derselbe  Autor  erwähnt  auch  Fäden  zur  Pleura  und 
dem  vorderen  Mediastinum. 

IV.    Nn.  lumbales  Ibis  IV.     Plexus  cruralis  i). 

Von  den  hinteren  Aesten  dieser  Nerven  ist  nur  zu  erwähnen,  dass  sie  Er.  postt. 
vom  ersten  bis  zum  letzten  allmälig  dünner  werden,  so  dass  der  letzte  die 
Haut  nicht  mehr  erreicht,  sondern  sich  in  Zweigen  für  die  allerdings  mäch- 
tige Lage  der  longitudinalen  Rückenmuskeln  erschöpft.  Die  Hautzweige, 
in  welche  die  lateralen  Rückenäste  der  drei  oberen  Lumbarnerven  enden, 
wenden  sich  abwärts  und  verbreiten  sich,  durch  Anastomosen  verbunden,  in 
der  Gresässgegend  (Fig.  283).     Sie  werden  Nn.  subcutanei  glutei^)  genannt. 

Im  Gegensatz  zu  den  hinteren  Aesten  nehmen  die  vorderen  von  oben  nach  Rr-  autt, 
unten  an  Stärke  zu  (Fig.  286).  Der  erste  geht  fast  ganz  in  dem  obersten  periphe- 
rischen Aste  des  Plexus,  dem  N.iUo-Jlypogasiricus,  und  im  R.  communicans 
auf  und  sendet  nur  dünne  Fäden  einerseits  dem  zwölften  Dorsalnerven,  an- 
dererseits dem  ersten  Lumbalnerven  zu.  Der  Faden,  der  die  beiden  ersten 
Lumbarnerven  verbindet,  läuft  an  der  Seite  der  Wirbelköi-per  gerade  herab 
und  erreicht  den  unteren  der  beiden  Nerven  alsbald  nach  dessen  Austritt 
aus  dem  For.  intervertebrale.  Der  Ast ,  der ,  der  Einmündung  der  oberen 
Schleife  gegenüber,  vom  unteren  Rande  des  zweiten  Lumbarnerven  abgeht, 
um  die  Schleife  mit  dem  dritten  Lumbarnerven  zu  bilden,  hat  einen  etwas 
schrägen,  ab-  und  seitwärts  gerichteten  Verlauf,  ist  stärker  und  abwärts  in 
zwei  Bündel  getheilt,  von  denen  das  mediale,  schwächere,  sich  über  den  dritten 
Lumbarnerven  hinweg  in  die  Schleife  zum  vierten  Lumbarnerven  fortsetzt, 
das  laterale  mit  dem  dritten  Lumbarnerven  verschmilzt.  Der  Stamm  des 
dritten  Lumbarnerven  zerfällt  ebenfalls  in  zwei  Stränge,  die  sich  mit  Strän- 
gen des  vierten  Lumbarnerven ,  der  Eine  zum  N.  cruralis ,  der  andere  zum 
N.  obturatorius  vereinigen.  Der  vierte  Lumbarnerve  giebt,  neben  den  Wur- 
zeln zu  den  beiden  gfenannten  Nerven ,  noch  einen  dritten  Strang  abwärts, 
dem  wir  bei  Beschreibung  des  Plexus  ischiadicus  wieder  begegnen  werden. 

Die  Varietäten ,  die  der  Plexus  darbietet  ^) ,  haben  ihre  Quelle  in  der 
früheren  oder  späteren  Theilung  einzelner  Stränge,  in  dem  wechselnden 
Ursprung    der    untergeordneten   peripherischen  Nerven,   der  sich  von   den 


^)  Plexus  lumhalis.  ^)  Nn.  clunium  postt.  Sapp.  iVji.  cutanei  clunium.  Sapp.  Nn. 
autanei  coxae  postt.  Voigt  (Dermato-Neurologie,  S.  13).  ^)  Schmidt,  de  nervis  lumbalibus 
eorumque  plexu.      Vindobonae   1794.      Tab.  I. 


512 


Plexus  cruralis. 
Fig.  286  1). 


Wurzeln    und    peripherische    Aeste    des    Plexus  cruralis.     Ih  N.  ilio-hypogastr.     ii  N. 

ilio-inguinalis.       ä  e    N.  spermat.   ext.       II  N.  lumbo-iuguinalis.       cl   N.  cutan.    later. 

C7-  N.   cruralis.     oht  IS.  obturatorius.     *  Muskelast.     **  Ast  zur  A.  cruralis. 


^)   Nach   Schmidt  a.   a.   0.   Tiif.   J,   Fig.   2. 


Plexus  cruralis.  513 

"Wurzeln  auf  die  Schleifen  oder  auf  die  Hauptäste  überträgt  und  an  den 
Schleifen  auf-  oder  abwärts  rückt.  Za  den  Hauptästen  tragen,  wie  am  Ple- 
xus brachialis,  sämmtliche  Wurzeln  bei. 

Der  Plexus  cruralis  liegt  zwischen  den  medialen  und  lateralen  Köpfen 
des  M.  psoas  major  (Mskl.  S.  259)  und  so  entspringen  auch  die  peripheri- 
schen Aeste  des  Plexus  innerhalb  dieses  Muskels  und  treten,  insofern  sie 
nicht  in  demselben  enden,  zwischen  dessen  Bündeln  hervor.  In  dem  M. 
psoas  enden  kurze,  in  transversaler  Richtung  abgehende  Zweige  aus  den 
Schleifen  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  und  dem  dritten  und  vierten 
Lumbalnerven.  Ein  ebenfalls  transversaler  kurzer  Ast,  der  mit  dem  N. 
ilio  -  hypogastricus  aus  dem  ersten  Lumbarnerven  entspringt,  durchbohrt 
die  oberste  Zacke  des  M.  psoas,  um  sich  in  den  M.  quadrat.  lumborum  zu 
begeben. 

Die  ansehnlicheren  Aeste  des  Plexus  cruralis  theilen  wir,  wie  die  Aeste 
des  Plexus  brachialis,  in  kurze  und  lange,  je  nachdem  sie  in  der  Gegend  des 
Güi'tels  der  Extremität  ihr  Ende  finden  oder  sich  weiter  hinab  auf  denOber- 
und  Unterschenkel  ausbreiten.  Die  kürzeren  Nerven  sind  zugleich  die  obe- 
ren und  oberflächlicheren;  sie  dringen  durch  die  Fascie  des  M.  psoas  in  der 
oberen  Hälfte  dieses  Muskels  hervor 'und  ziehen,  nur  vom  Peritoneum  bedeckt, 
über  den  beiden  Köpfen  des  M.  iliopsoas  strahlig  divergirend  zur  Hüft- 
und  Leistengegend  herab,  um  in  einer  von  der  Höhe  der  Crista  ilium  bis 
zum  äusseren  Leistenring  sich  erstreckenden  Linie  die  vordere  Wand  des 
Rumpfes  zu  durchsetzen.  Sie  zeichnen  sich  meist  durch  ihre ,  im  Verhält- 
niss  zur  Länge  auffallende  Feinheit  aus  und  sind  theils  gemischter,  theils 
ausschliesslich  sensibler  Natur.  Man  zählt  deren  ziemlich  allgemein  vier  ^), 
wiewohl  zuzugeben  ist,  dass  sowohl  ihre  Zahl,  wie  ihr  Verlauf  vielfach  wech- 
selt und  die  Norm  schwer  festzustellen  ist.  Auch  die  von  mir  gewählte  ist 
nicht  Resultat  der  Statistik  und  will  nicht  sowohl  die  häufigste  als  vielmehr 
die  regelmässigste  Anordnung  wiedergeben,  auf  welche  sich  die  Varietäten 
leicht  zurückführen  lassen.  Die  beiden  obersten  Nerven,  llio  -  hypogastricus 
und  Hio  -  inguinalis,  verlaufen  noch  nach  dem  Typus  der  Litercostalnerven 
zwischen  den  Bauchmuskeln;  der  dritte,  N.  htmlto-ingumalis ,  ist  ein  Haut- 
nerve der  vorderen  Schenkelfläche,  der  vierte,  N.  spermaticus  ext.,  begleitet 
den  Samenstrang  (das  Lig.  uteri  teres).  Die  beid.en  intercostalen  Aeste 
theilen  sich  in  sehr  ungleichen  Verhältnissen  in  die  durch  sie  zu  fördernden 
Fasern  oder  verschmelzen  völlig ;  sehr  häufig  sind  die  Nn.  lumbo  -  inguinalis 
und  spermaticus  ext.  Aeste  Eines  Stamms^);  an  der  Versorgung  eines  Gebiets, 
welches  nach  unserm  Schema  Einem  Stamme  zufallen  würde ,  können  zwei 
sich  gemeinschaftlich  betheiligen ,  so  dass  z.  B.  der  N.  lumbo-inguinalis ,  wie 
der  N.  spermat.  ext.  jeder  in  einen  Hautast  und  einen  Ast  zum  Samenstrang 
zerfallen.  Endlich  kann  jeder  dieser  Nerven  streckenweise  in  der  Bahn  des 
anderen  verlaufen  und  es  kann  durch  schlingen-  oder  geflechtartige  Anasto- 
mosen innerhalb  und  ausserhalb  des  Beckens  die  peripherisch  erforderliche 
Anordnung  wieder  hergestellt  werden. 


^)  H.  Meyer  (Pliysiol.  Anat.  S.  387)  vereinigt  sie  sämmtlich  unter  dem  Namen  eines 
N.  inguinalis.  ^)  Des  N.  inguinalis  int.  (geniio-cruralis)  Bichat.  Ä.  pudendus  ext.  s.  sper- 
maticus ext.  s.  inguinalis  Meckel.     R.  femoro-genitalis  Sappey. 

He n  le,  Anatomie    Bd.  III.   Abthlg.  2.  33 


514  N.  ilio-hj'^pogastricus.     N.  ilio-inguinalis. 

Die    langen   Nerven    aus   dem    Plexus   cruralis   sind:    der   N.    cutaneus 
lateralis,  der  N.  cruralis  und  der  N.  ohturatorius. 


a.     Kurze    Nerven    des   Plexus    cruralis. 

1.    N.  ilio-hypogastricus  Schmidt  iJl^), 

a.  Kurze  N.  die  directe  Fortsetzung  des  ersten  Lumbalnerven,  verläuft,  dem  letzten 
gasti-?''^'^  Intercostalnerven  parallel,  lateral  -  abwärts  über  den  oberen  Rand  des  M- 
quadrat.  lumborum  und  die  innere  Oberfläche  der  Ursprungssebne  des  M. 
transversus  abdominis  (Fig.  287).  Diese  Sehne  nahe  an  ihrem  Uebergang  in 
die  Muskelsubstanz  durchbohrend,  gelangt  der  Nerve  zwischen  die  beiden 
inneren  Schichten  der  Musculatur  der  Bauchwand  und  sendet  einen  starken, 
demR.  perforans  lateralis  der  Intercostalnerven  entsprechenden  Ast  2)  über  den 
Rand  des  Beckens  herab  zur  Haut  der  Hüfte ,  indess  der  Rest  des  Nerven  ^) 
zwischen  den  Muskeln  weiter  läuft  und  nach  oben  und  unten  Muskelzweige 
entsendet.  Ein  R.  perforans  ant.  tritt  in  die  Scheide  des  M.  rectus  abdom.  ein 
und  geht  durch  eine  Lücke  des  vorderen  Blatts  dieser  Scheide  ungefähr  in 
gleicher  Höhe  mit  der  Spitze  des  M.  pyramidalis  und  etwas  seitwärts  von 
demselben  nach  aussen  (Fig.  285). 

Var.  Ein  Theil  seiner  Fasern  wird  vom  letzten  Intercostalnerven  übernom- 
men. Sendet  auf  der  inneren  Fläche  der  Sehne  des  M.  transversus  abd.  einen  fei- 
nen Ast  Steuer  abAvärts,   der  über  dem  Becken  in  den  Muskel  eindi'ingt. 

2.    N.  ilio-inguinalis  Schmidt  H'^). 

2.  iiio-in-  Entspringt  höher  oder  tiefer  von  der  Schleife  zwischen  dem  ersten  und 

zweiten  oder  auch  vom  zweiten  Lumbalnerven,  tritt  am  Seitenrande  des  M. 
psoas  hervor,  verläuft  dem  N.  ilio-hjpogastr,  parallel  und  theilt  sich,  nach- 
dem er  durch  eine  Lücke  der  Sehne  des  M.  transvers.  abd.  zwischen  die  Bauch- 
muskeln gelangt  ist,  seitwärts  neben  der  Spina  iliaca,  in  zwei  Aeste  (Fig.  287). 
Der  Eine,  meist  schwächere,  ein  R.  perforans  lateralis,  durchsetzt  über  der 
Spina  iliaca  ant.  sup.  die  Musculatur  des  M.  obliquus  int.  und  die  Sehne 
des  M.  obliquus  ext.  und  verbreitet  sich  in  der  Haut,  die  den  M.  tensor 
fasciae  und  den  Ursprung  des  M.  sartorius  deckt.  Der  andere,  stärkere  Ast 
wendet  sich  längs  dem  Schenkelbogen  und  dicht  über  demselben  der  Median- 
linie zu,  giebt  den  Muskeln  Aeste  und  endet  als  vorderer  perforirender 
Ast,  indem  er  durch  den  äusseren  Leistenring  oder  durch  den  medialen 
Pfeiler  desselben  zur  Haut  des  Mons  veneris  verläuft  (Fig.  285). 

Var.  Giebt  zuweilen  einen  feineu  Ast  zur  Vorderfläche  des  Samenstraugs 
(des  Lig.  uteri  teres).  Cruveilhier  sah  von  ihm  einen  Zweig  zum  M.  rectus  abd. 
abgehen.  C.  Krause  lässt  ihn  mit  mehreren  Zweigen  {N.  scrotales  [labiales] 
antt.)  in  der  vorderen  Wand  des  Scrotnm  (dem  oberen  Theil  der  Labia  maj.)  enden. 
Voigt  (Dermato  -  Neurologie  S.  14)  erklärt  ansdi'ücklich,  solche  Zweige  niemals  ge- 


guiu. 


■•)    Hü l't  -  Beckennerve.        ^)  It.  externus  Schmidt.      Branche    cutanee  fessiere    Cruv. 
^)   It.   intPrims  Schmidt.      *)  Hiiftleistennerve. 


N.  lumbo-inguinalis.  515 

sehen  zn  haben;  auch  mir  sind  sie  nicht  begegnet.  Ein  Zweig  des  N.  ilio-ingui- 
nalis  lief  unter  dem  Schenkelbogen  etwa  14  Cm.  weit  abwärts,  umschlang  die  V. 
saphena  magna  und  kehrte  im  Bogen  aufwärts  um ,  um  sein  Endverzweio-nugsge- 
biet,  den  Mons  veneris,  zu  erreichen  (Voigt,  a.  a.  0.). 

Einer  häufigen  Varietät,  Vereinigung  des  N.  ilio  -  inguiualis  oder  eines  grösse- 
ren Theils  seiner  Pasern  mit  dem  N.  ilio  -  hypogastricus  zu  Einem  Stamme,  habe 
ich  bereits  gedacht.  Auf  sie  bezieht  sich  Bichat's  Beschreibung  der  lateralen 
kurzen  Aeste  des  Plexus  cruralis ,  welche  die  französischen  Handbücher  mit  ge- 
ringen Modificationen  adoptirt  haben  {Branche  musculo -cutanee  suij.  und  inf, 
Bichat.  Branche  üio-scrotale  Chaussier.  Branche  abdominale  granäe  et 
petite  Cruv.  Br.  ahdomino - scrotule  grande  et  petite  Hirschfeld.  Br.  ahdo- 
mino  -  genitale  sup.  et  inf.  Sappej^). 


3.    N.  lumbo -inguinalis  Schmidt  ^-i^). 

Gellt  aus  dem  zweiten  Lumbarnerven  oder  aus  der  Schleife,  welche  den  3  üumbo- 
zweiten  und  dritten  verbindet ,  hervor ,  durchbohrt  die  Fascie  des  M.  psoas  "'""'"' 
an  dessen  medialem  Rande  in  der  Höhe  des  dritten  oder  vierten  Bauchwir- 
belkörpers und  läuft  auf  dem  genannten  Muskel  zum  inneren  Schenkelring 
herab.  In  zwei  bis  drei  spitzwinklig  divergirende  Aeste  getheilt,  verlässt 
er,  dicht  unter  dem  Schenkelbogen,  die  Bauchhöhle.  Die  Aeste  liegen  über 
dem ,  die  Schenkelgefässe  bedeckenden  Bindegewebe  in  dem  Schenkelcanal ; 
sie  gelangen  unter  die  Haut,  indem  sie  die  vordere  Wand  des  Schenkel- 
canals,  das  die  Gefässe  bedeckende  Blatt  der  oberflächlichen  Schenkelfascie 
dxirchbohren ,  und  ziehen  im  ünterhautbindegewebe  an  der  Grenze  der  vor- 
deren und  medialen  Schenkelfläche  bis  gegen  die  Mitte  des  Oberschenkels 
herab  (Fig.  287). 

Der  N.  lumbo  -  inguinalis  steht  bezüglich  seiner  Stärke  und  Ausbreitung  im  um- 
gekehrten Verhältniss  zu  den  Hautästen  des  N".  cruralis  und  verbindet  sich  mit 
denselben  in  mannichfaltiger  Weise.  Gewöhnlich  werden  einzelne  Hautnerven 
durch  spitzwinklige  Vereinigung  von  feinen  Zweigen  der  Nn.  lumbo  -  inguinalis  und 
cruralis  gebildet.  An  einem  iinserer  Präparate  fliesst  der  N.  lumbo  -  inguinalis 
ungetheilt  mit  einem  vorderen  Hautast  des  N.  cruralis  zusammen.  An  einem  an- 
deren lassen  sich  selbständige  Aeste  desselben  in  der  Haut ,  die  die  Furche  zwi- 
schen Extensoren  und  Adductoren  bedeckt,  bis  in  die  Nähe  des  Kniegelenks  ver- 
folgen. Als  Varietäten  des  N.  lumbo  -  inguinalis  sind  auch  die,  schon  von  älteren 
Anatomen  beschriebenen,  von  Schmidt  und  Langenbeck  (Fase.  III,  Taf.  IV,  6. 
Taf.  VI,  Fig.  1,  w.  X.  y.  z.)  abgebildeten  Nn.  cutanei  ant.,  medius  und  interior  zu 
betrachten,  welche  vom  zweiten  und  dritten  Lumbarnerven  gesondert  entspringen, 
unter  dem  Schenkelbogen  hervorgehen  und  sich  mit  Hautästen  des  N.  cruralis 
vereinigen  oder  solche  vertreten.  Sehr  häufig  sendet  der  N,  lumbo  -  inguiualis 
einen  Ast  medianwärts  zum  Leistenring,  der  den  N.  spermaticus  ext.  begleitet  und 
mit  ihm  anastomosirt.  Seltener  geht  von  seinem  lateralen  Rande  ein  Ast,  der  den 
hinteren  Ast  des  N.  cutaneus  lat.  verti-itt,  zur  Spina  iliaca  ant.  siip.  und  über  dem 
N.  cutaneus  lateralis  zur  Seitenfläche  der  Hüftgegend. 

Der  eine  oder  andere  Zweig  des  N.  lumbo  -  inguinalis  geht  zuweilen,  statt 
durch  den  inneren  Schenkelring,  durch  die  Sehne  des  M.  obliquus  abd.  ext.  ober- 
halb desselben.  An  einem  unserer  Präparate  verbindet  eine  verhältnissmässig 
starke,  quere,  schleifenförmige  Anastomose  auf  dem  unteren  Theil  des  M.  iliacus 
int.  den  IST.  lumbo  -  inguinalis  mit  dem  N.  cutaneus  lateralis. 


■*■)  Lenden -Leistennei've.     N.  inguinaMs    Camper.       R.    ext.    s.  femoraüs    cutaneus    N. 
inguinalis  interni  Cruv.      Ii.  femoralis  Nervi  geniio- cruralis  Sappey. 

33* 


516 


N.  lumbo-inguinalis. 


N.  spermat.  ext.     N.  cutaneus    ateralis.  517 

4.    N.  spermaticus  ext.  86'). 
Mit  einer  oder  zwei  Wurzeln  vom  ersten  oder  von  der  Schleife  zwischen  4.  spennat. 


ext. 


dem  ersten  und  zweiten  und  vom  zweiten  Lumbarnerven  entspringend,  tritt  er 
mit  dem  N.  lumbo  -  inguiualis  oder  neben  ihm  am  medialen  Rande  des  M. 
psoas  hervor  und  vor  den  Schenkelgefässen,  die  er  unter  spitzem  Winkel 
kreuzt,  vorüber  zur  hinteren  Fläche  des  Samenstrangs  (des  Lig.  uteri  teres). 
Er  giebt  einen  feinen  Faden  zur  A.  cruralis,  der  sich  weit  hinab  in  der  Scheide 
des  Gefässes  verfolgen  lässt(Fig.  287  *).  Der  Stamm  passirt,  nachdem  er  den 
Samenstrang  erreicht,  mit  den  übrigen  Elementen  des  letzteren  den  äusseren 
Leistenring,  bildet  mit  den  den  Samenstrang  begleitenden  Aesten  aus  den 
Nn.  ilio  -  inguinalis  und  lumbo -inguinalis,  wenn  solche  vorhanden  sind,  ein 
weitmaschiges  Greflecht,  aus  welchem  Zweige  theils  am  Samenstrang,  insbeson- 
dere am  M.  cremaster  herabziehen,  theils  auf  die  innere  Fläche  desScrotum 
und  die  angrenzende  Haut  der  medialen  Schenkelfläche  und  des  Mons  vene- 
ris  übertreten.  Die  im  Scrotum  sich  verbreitenden  Zweige  scheinen  der  Tu- 
nica  dartos  motorische  Fasern  zuzuführen.  Die  Endäste  gehören  ebenfalls 
dem  Scrotum  an;  einer  derselben  anastomosirt  mit  einem  der  vomPerineiim 
her  eintretenden  Zweige  des  N.  pudendus  (Schmidt). 

Im  weiblichen  Geschlecht  geht  der  Nerve  an  die  den  äusseren  Leistenring 
bedeckende  Haut  und  mit  dem  Lig.  teres  an  die  Haut  der  Labia  majoi'a. 

.Nach  Cruveilhier  giebt  der  N.  spermaticus  ext.  vom  Leisteucanal  aus  einige 
Fädeu  aufwärts  in  die  Mm.  obliquus  abd.  int.  und  transversus.  C.  Krause  lässt 
die  Endzweige  des  N.  spermaticus  ext.  in  den  Plexus  spermaticus  übergehen  oder 
im  Grunde  des  Scrotum  isolirt  zm-  Epididymis  gelangen. 

Dass  der  N.  spermaticus  ext.  sich  oft  in  zwei  Aeste  spaltet ,  von  denen  der 
Eine  dem  Laufe  des  N.  lumbo  -  inguinalis  folgt,  habe  ich  bereits  erAvälmt. 

An  dem  Gefässnerven  der  A.  cruralis  fand  W.  Krause  (Ztschr.  für  rat.  Med. 
3.  B.  XVIII,  152)  in  dem  Abgangswiukel  der  A.  profunda  femoris  beständig  2  bis  3 
pacinische  Körperohen. 


b.    Lange  Nerven. 
1.    N.  cutaneus  femoris  lateralis  cl'^). 

Entspringt  mit  einer  oder  zwei  Wurzeln ,   die   sich   öfters  erst  jenseits  b.  Lange  k. 
des  M.  psoas  vereinigen,  höher  oder  tiefer  aus  der  Schleife  des  zweiten  und  lät. 

Zu  Fig.  287. 

Nerven  des  Plexus  cruralis.  Die  Bauchwand  nach  aussen  umgeschlagen  und  dicht  über 
der  Leistenbeuge  abgeschnitten ;  die  Haut  des  Oberschenkels  nach  beiden  Seiten  zurückge- 
schlagen. Ql  M..  quadr.  lumb.  tp^  Medialer  Kopf  des  M.iliopsoas.  fp*  Eine  abgeschnit- 
tene und  zurückgeschlagene  Ursprungszacke  desselben.  Ip^  Lateraler  Kopf  des  M.  ilio- 
psoas.  1  Vasa  cruralia.  6  Samenstrang,  dicht  über  der  inneren  Oeffnung  des  Can.  inguin. 
abgeschnitten.  8  V.  saphena  m.  4  Incisura  falcif.  ih  N.  ilio-hypogastr.  ii  N.  ilio-ingui- 
nalis.     li  N.  lumbo-inguin.     oht    N.    obturator.       er  N.   cruralis. 


)  A'.  pudendus  ext.  li.  internus  s.  scrotalis  n.  inrjuinalis  interni  Cruv.  E.  genitalis 
n.  genitocruralis  Sappey.  ^)  N.  cutaneus  ext.  aut.  .  iV.  cutaneus  ant,  ext.  N.  inguinalis 
ext.  Cruv.     N.  femorucutaneus    Sappey. 


518  N.  cruralis. 

dritten  Liim barnerven  hinter  den  Ursprüngen  der  oberflächliclien  Aeste  des 
Plexus  cruralis,  kommt  hinter  ihnen  am  lateralen  Rande  des  M.  psoas  zum 
Vorschein  und  läuft  schräg  über  den  M,  iliacus  int. ,  in  der  Regel  auf  der 
Fascie  dieses  Muskels,  zuweilen  aber  auch  unter  derselben  ziir  Spina  iliaca  ant. 
sup.  herab  (Fig.  287).  In  einer  eigenen,  von  den  beiden  Blättern  des  Lig.  in- 
guinale ext.  gebildeten  Scheide  (Mskl.  S.  60)  überschreitet  der  Nervenstamm 
den  Rand  des  Beckens,  liegt  ausserhalb  desselben  zunächst  unter  dem  Blatt 
der  oberflächlichen  Schenkelfascie ,  welches  den  M.  sartorius  bedeckt  und 
durchbohrt  dasselbe  mit  zwei  oder  drei  Aesten.  Der  Eine,  zumeist  seit- 
wärts entspringende  Ast^)  wendet  sich  über  den  M.  tensor  fasciae  latae 
schräg  nach  hinten  und  unten  und  vertheilt  sich  in  der  Haut  der  hinteren 
Schenkelfläche;  die  vorderen  Aeste,  Zweige  eines  früher  oder  später  spitz- 
winklig getheilten  Stammes  -) ,  laufen  neben  einander  bis  zur  Kniegegend 
mehr  gerade  herab ,  senden  aber  ihre  feinen  Verästelungen  ebenfalls  vor- 
zugsweise zur  lateralen  und  Rückseite  des  Oberschenkels  (Fig.  288). 

Var.  Der  N.  cutaneus  ext.  schickt  noch  im  Becken  einen  Ast  zum  N.  lumbo- 
inguinalis  oder  verbindet  sicli  sclileifenförmig  mit  ihm  (s.  oben) ;  er  übernimmt  den 
Gefässnerven  der  A.  cruralis  (Schmidt);  er  gelit  (unter  33  Fällen  zwei  Mal 
Schmidt)  mit  dem  N.  cruralis  unter  dem  Schenkelbogen  hervor  und  wendet  sich 
erst  ausserhalb  des  Beckens  seitwärts.  Oefters  verbindet  sich  ein  medialer  Zweig 
des  N.  cutaneus  lat.  mit  dem  nächsten  Hantast  des  N.  cruralis. 

2.    N.  cruralis  cr^). 

2.  dural.  Nachdem  der  N.  cruralis  sich  auf  die  oben  beschriebene  Weise  aus?den 

vier  oberen  Lumbarnerven,  vorzugsweise  aus  dem  dritten  und  vierten 
zusammengesetzt,  birgt  er  sich  zuerst  in  der  Tiefe  der  Rinne  zwischen  bei- 
den Köpfen  des  M.  iliopsoas.  Dann  legt  er  sich,  wie  diese  Rinne  sich  all- 
mälig  verflacht,  auf  den  medialen  Abhang  der  Oberfläche  des  Muskels.  Ab- 
geplattet ,  1  Cm.  breit,  von  der  Fascia  iliaca  bedeckt  und  durch  dieselbe  von 
dem  eigentlichen  Schenkelring  geschieden ,  zieht  er  über  den  Beckenrand 
an  die  Vorderfläche  des  Oberschenkels  und  zerfällt  unmittelbar  oder  durch 
rasch  wiederholte  Theilung  in  seine  zahlreichen,  sj^itzwinklig  divergirenden 
Endäste  (Fig.  288). 

Während  der  Stamm  des  Nerven  im  Becken  herabsteigt,  sendet  er,  am 
oberen  Rande  des  Darmbeins  beginnend,  unter  fast  rechtem  Winkel  zwei  bis 
vier  dünne  Aeste  seitwärts  ab,  die  sich  nach  kurzem  Verlauf  über  die  Ober- 
fläche des  M.  iliacus  int.  zwischen  die  Fasern  dieses  Muskels  einsenken.  In 
ebenfalls  transversaler  Richtung,  aber  nach  der  entgegengesetzten  Seite,  geht 

Zu  Fig.   288. 

Verästelung  der  Nn.  cutaneus  lat.  (cl)  und  cruralis  (er).  Die  Haut  des  Oberschenkels  an 
der  Vorderfläche  durchschnitten  und  mit  den  Hautnerven  nach  beiden  Seiten  zurückge- 
schlagen. 1  Spina  iliaca  ant.  2  Vasa  cruralia.  3  V.  saphena  m.  Ij)  Lateraler  Kopf 
des  M.  iliopsoas.  Tf  M.  tensor  fiisciae.  Sar  M.  sartorius.  Rf,  Rf  M.  rectus  femoris, 
Ursprung  und  Insertion.  VI,  Vm  Mm.  vasti  later.  und  medialis.  Pe  M.  pectineus.  Afl 
M.  abductor  fem.  long.      Gr  M.  gracilis. 


■'■)   R.  po:H.  s.  fjhUeus  Cruv.    •-)  R.  ant.  s.  femoralis  Cruv.      ^)  N.fenioralis.     N.  cru- 
ralis ant. 


N.  criiralis, 
Fiff.  288. 


519 


520  N.  cruralis.  ' 

unter  dem  Sclienkelbogen  ein  Zweig  des  N.  cruralis  hinter  den  Sclienkel- 
gefässen  vorüber  zum  M.  pectineus.  Nicht  selten  lösen  sich  noch  innerhalb 
des  Beckens,  höher  oder  tiefer,  einzelne  Hautzweige  von  der  Oberfläche  des 
N.  cruralis  ab  und  begleiten  ihn ,  um  sich  nach  dessen  Austritt  entweder 
mit  einem  der  regelmässigen  Hautnerven  zu  verbinden  oder  selbständig 
fortzusetzen  oder  auch  wieder  mit  dem  Stamme  zu  verschmelzen.  Vom  Stamme 
des  N.  cruralis  oder  von  der  lateralen  Portion  nach  seiner  Theilung  tritt 
unterhalb  des  Schenkelrings  ein  querer  Ast,  der  den  vereinigten  Köpfen 
der  Mm.  psoas  und  iliacus  int.  bestimmt  ist,  in  den  medialen  Rand  des 
ersteren  ein. 

Die  secundären  Aeste,  in  welche  der  N.  cruralis  sich  theilt,  wenn  er 
nicht  unmittelbar  iu  seine  terminalen  Aeste  zerfällt,  sind  zunächst  ein  ober- 
flächlicher und  ein  tiefer.  Der  oberflächliche  hat  ein  so  viel  geringeres 
Kaliber,  als  der  tiefe,  dass  man  ihn  richtiger  als  einen  von  der  Vorderfläche 
des  Stammes  entspringenden  Ast  bezeichnen  würde.  Der  oberflächliche  Ast 
liefert  die  Hautnerven  des  Oberschenkels  und  die  motorischen  Fasern  des 
M.  sartorius;  aus  dem  tiefen  Ast  entspringen  die  übrigen  Muskelnerven  und 
der  JV.  saphenus,  Hautnerve  der  medialen  Fläche  des  Unterschenkels.  Beide 
Aeste  spalten  sich  häufig  wieder  in  je  einen  lateralen  und  einen  medialen  Zweig. 
Der  laterale  Zweig  des  oberflächlichen  Astes  versorgt  die  Vorderfläche  des 
Oberschenkels,  der  mediale  Zweig  die  mediale  Schenkelfläche  und  den  M. 
sartorius ;  aus  dem  lateralen  Zweig  des  tiefen  Astes  gehen  die  Nerven  zum 
M.  rectus  und  zur  lateralen  Portion  des  Vastus,  aus  dem  medialen  Zweig 
des  tiefen  Astes  die  Nerven  zur  mittleren  und  medialen  Portion  des  Vastus 
und  der  Hautnerve  des  Unterschenkels  hervor. 

Die  Hautäste  des  Oberschenkels  streng  nach  ihrer  Lage  zu  sondern,  ist 
schon  wegen  der  häufigen  Anastomosen  derselben  unthunlich.  Für  die  Zweige 
des  N.  lumbo-inguinalis  ist  die  Lage  über  der  Fascia  iliaca,  für  die  Zweige  des 
N.  cutaneus  lateralis  der  Verlauf  durch  das  Lig.  inguinale  ext.  charakteristisch. 
Die  übrigen  innerhalb  oder  ausserhalb  des  Beckens  entspringenden  Hautner- 
ven scheiden  wir  in  vordere  und  mediale  (JSfn.  cuhanei  antt.  und  nwäkiles)'^); 
ihre  Zahl  wie  ihr  Verlauf  variiren  an  sich  und  je  nach  der  Ausbreitung 
der  kurzen  Nerven  des  Plexus  lumbalis,  des  N.  cutaneus  lateralis,  des  Haut- 
astes des  N.  obturatorius,  endlich  auch  des  N.  saphenus.  Die  Zahl  der  me- 
dialen Hautäste  steigt  nicht  selten  auf  drei,  von  denen  der  medialste  und  feinste 
(Fig.  288*)-)  zu  obeifst  aus  der  Schenkelfascie  hervortritt,  den  Stamm  der 
Vena  saphena  begleitet  und  stellenweise  umkreist  und  bis  über  die  Mitte 
des   Oberschenkels   verfolgt  werden   kann.     Die  lateralwärts   sich  anschlies- 


^)  Unsere  Handbücher  begnügen  sich,  je  Einen  Nerven  dieser  beiden  Kategorien  auf- 
zuführen, deren  Namen  aus  den  drei,  zuerst  von  Styx  (Descriptio  anat.  n.  cruralis  et  obtu- 
ratorii.  Jenae  1782)  aufgestellten  Nerven,  dem  Cutaneus  medius,  ant.  und  int.,  componirt 
sind.  Bock  (a.  a.  0.  S.  113)  bezeichnet  einen  medialen  und  einen  vorderen  Hautast,  je- 
nen als  inneren  vordereil  oder  oberen  kleinen  Hautnerven  (;V.  saphenus  sup.  s.  min.),  die- 
sen als  N.  cutaneus  medius  ant.  Weber-Hildebrandt  erwähnt  einen  bis  zwei  innere  vor- 
dere und  einen  vorderen  mittleren  Hautnerven,  C.  Krause,  Arnold  und  Hyrtl  be- 
schreiben einen  inneren  {saphenus  sup.  s.  minor)  und  einen  vorderen  {anterior  int.  s.  ant. 
medius),  bei  Valentin  heisst  der  Eine  Hautnervo  cutaneus  ant.  medlios  externus ,  der  an- 
dere ctctaneus  anterior  medius  internus.       ^)  Nerf  de  la  galne  des  valsseaux  femoraux  Cruv. 


N.  criiralis.  521 

senden  Aeste^)  laufen  auf  der  Masse  der  Adductoren  herab  iind  biegen,  mei- 
stens oberhalb,  zuweilen  auch  einer  unterhalb  der  Patella  vorwärts  um,  um 
sich  an  der  Vorderfläche  des  Knies  zu  verbreiten.  Vordere,  auf  den  Streck- 
muskehi  herablaufende  Hautnerven  zählt  mau  meistens  zwei;  der  Eine  oder 
andere  oder  beide  geben  die  Aeste  zum  M.  sartorius  ab,  indem  sie  über  oder 
unter  dem  Muskel  hervor  oder  durch  ihn  hindurch  treten  2). 

Von  den  tiefen  Muskelästen  laufen  die  stärksten,  dem  lateralen  Kopfe 
des  M.  vastus  bestimmten,  in  der  von  diesem  Kopfe  bedeckten  Rinne  herab; 
der  M.  rectus  fem.  nimmt  seinen  Nerven  in  der  oberen  Hälfte  seiner  hinteren 
Fläche  auf;  den  vorderen  und  medialen  Kopf  des  M.  vastus  nebst  dem  M. 
subcruralis  vei"sorgen  zwei  Nerven ,  von  denen  der  Eine  sich  in  der  oberen 
Hälfte  des  Schenkels  in  die  Vorderfläche  der  Muskelmasse  ■  einsenkt ,  der 
andere  vor  der  A.  cruralis  abwärts  läuft  und  dem  Miiskel  von  dessen  media- 
lem Rande  her  Aeste  zusendet. 

Von  mehreren  der  tiefen  Muskeläste  entspringen  oben  Zweige  zum 
Hüftgelenk,  welche  die  A.  circumflexa  fem.  lat.  begleiten '');  von  den  End- 
verzweigungen der  Nerven  der  Vasti  kommen  beiderseits  Fäden  zur  Kapsel 
des  Kniegelenks^)  und  zum  Periost  des  unteren  Endes  des  Schenkelbeins ^) 
und  der  Patella.  Haut-  und  Muskeläste  geben  Zweige  zu  den  Schenkel- 
gefässen  ab. 

Der  N.  SClplienus  ^)  verläuft  mit  den  Vasa  cruralia  in  dem  vom  M.  sarto- 
rius bedeckten,  von  sehnigen  Blättern  umschlossenen  Canal,  in  welchem  sie 
am  Oberschenkel  herabziehen  (Gefässl.  S.  183),  bleibt  aber  diesseits  der 
Sehne  des  M.  adductor  magnus ,  wenn  die  Gefässe  sich  durch  den  Schlitz 
derselben  auf  die  Rückseite  der  Extremität  begeben,  und  setzt,  die  Fascie 
durchbrechend,  seinen  Weg  mit  der  V.  saphena  im  subcutanen  Binde- 
gewebe der  medialen  Fläche  des  Unterschenkels  bis  zum  medialen  Fussrande 
fort,  lieber  dem  Knie  sendet  er,  zwischen  Sai'torius  und  Gracilis,  einen  Ast 
abwärts  zu.r  Wadengegeud  (Fig.  288) ;  am  Knie  selbst  giebt  er  zuweilen, 
innerhalb  oder  ausserhalb  der  Fascie,  einen  Gelenknerven  und  häufig,  über 
oder  durch  den  M.  sartorius,  einen  das  Kniegelenk  in  aufwärts  concavem 
Bogen  umkreisenden  Hautnerven,  der  zuweilen  durch  einen  der  oberflächlichen 
ersetzt  wird.  Am  Unterschenkel  sendet  er  einen  Ast  '^)  oder  mehrere  schräg 
rückabwärts  zur  Wadengegend  und  eine  Reihe  von  feineren  Aesten  vor- 
und  abwärts  zu  der  die  mediale  Fläche  der  Tibia  bedeckenden  Haut.  Vor 
dem  Knöchel  wenden  sich  seine  Endzweige  der  Rückenfläche  des  Fusses  zw 
und  anastomosiren  längs  dem  Mittelfnss  mit  den  medialen  Endzweigen  des 
N.  peroneus  superfic. 

Var.  Eine  seltsame  Auomalie  des  Verlaufs  des  Stammes  des  N.  cruralis  beob- 
aölitete  Dubreuil  (Des  auomalies  arterielles.  Paris  1847,  p.  342):  der  Nerve  lag 
unter  dem  Sclienkelbogen  zwischen  der  A.  und  V.  cruralis;  sein  Verliältniss  zur 
Fascia  iliaca  ist  nicht  aug-eoebeu. 


-')  Cruveilhier  bezeichnet  einen  solchen  als  R.  culaneus  accessorius  nervi  saphenl 
interni.  ^)  Des  letzteren  Umstandes  wegen  werden  sie  von  Cruveilhier  Kr.  perforantes 
{s?/p.  und  inf.)  genannt.  2)  Rüdinger,  Gelenknerven  Tat'.  V.  *)  Ebendas.  Tat.  II,  Fig.  4. 
^)  Untere  Epiphysennerven  R  au  her.  ^)  N.  saphenus  int.  s.  major.  N.  cutaneus  int.  fe- 
moris  major.  Rosennerve.  ')  N.  cutaneus  surae  internus.  i\n.  cutanei  cmris  intl.  und 
posterior  int. 


522  N.  obturatorius. 

Nach  Arnold  entspringt  nicht  selten  der  Zweig  zum  M.  pectinens  vom  me- 
dialen Hautnerven.  In  einem  von  G.  H.  Meyer  (Archiv  für  Anat.  1870,  S.  395) 
beschriebenen  Falle  trat  ein  Nerve,  der  mit  zwei  Wurzeln  aus  dem  dritten  und 
vierten  Lumbarnerven  entsprang  und  unter  der  Fascia  iliaca  verlief,  am  oberen  Aste 
des  Schambeins  aus  dieser  Fascie  hervor,  ging  unter  den  lateralen  Eand  des  M. 
pectineus  und  schloss  sich  dem  vorderen  Aste  des  N.  obturatorius  an.  An  der  an- 
deren Extremität  der  nämlichen  Leiche  zweigte  sich  von  demselben  Nerven  vor 
dem  oberen  Schambeinast  ein  Nerve  ab,  der  sich  alsbald  in  zwei  Zweige  theilte; 
von  diesen  trat  der  Eine  ebenfalls  unter  den  M.  pectineus  imd  versorgte  den  M. 
adductor  br. ,  der  andere  vereinigte  sich  mit  dem  schon  hoch  oben  vom  N.  cruralis 
abgegangenen  Aste  des  M.  xDectineus. 

Von  dem  Einen  oder  anderen  tiefen  Muskelnerven  des  Oberschenkels  gelangt 
zuweilen  ein  perforirender  Ast  zur  Haut. 

Der  N.  saphenus  endete  am  Knie  und  wurde  am  Unterschenkel  durch  einen 
Ast  des  N.  tibialis  ersetzt  (Gl.  H.  Meyer).  Er  geht  mit  den  Vasa  cruralia  durch 
den  Schlitz  der  Sehne  des  M.  adductor  magnus  in  die  Kniekehle,  und  kehrt  gleich 
darauf  durch  diese  Sehne  wieder  nach  vorn.,  in  die  Furche  zwischen  Adductor 
magnus  und  Vastus  medialis  zurück  (Hyrtl). 

3.    N.  obturatorius  oht^). 

3.  Obtuiat.  Bezieht,  wie  der  N.  cruralis,   seine  Fasern  von  allen  vier  Lumbarner- 

ven und  ebenfalls  die  meisten  vom  dritten;  mit  dem  vierten  steht  er  durch 
einen  kurzen  oder  langen  Strang  in  Verbindung,  wonach  er  einfach  oder  mit  zwei 
Wurzeln  zu  entspringen  scheint  (Fig.  286).  Die  Wxirzeln  weichen  von  denen 
des  N.  cruralis  unter  spitzem  Winkel  medianwärts  ab  und  so  durchbohrt  der 
N.  obtviratorius  am  medialen  Rande  des  M.  psoas  dessen  Fascie  und  geht 
vor  dem  Iliosacralgelenk,  dann  längs  dem  oberen  Rande  der  Seitenwand 
des  unteren  Beckens  über  den  Vasa  obturatoria  zur  gleichnamigen  Oeffmmg. 
Den  Can.  obturatorius  durchsetzt  er  ungetheilt  oder  er  zei'fällt  schon 
vor  demselben  in  seine  beiden  Hauptäste,  giebt  auch  zuweilen  schon 
von  dem  Einen  derselben  die  Zweige,  meistens  zwei,  zum  M.  obturator  ext. 
ab ,  von  denen  der  Eine  an  der  Vorderfläche  des  Muskels  feine  Fäden  zur 
Kapsel  des  Hüftgelenks  sendet.  Der  Ast,  von  welchem  diese  Muskelnerven 
stammen,  ist  der  tiefere ;  er  steigt  vor  den  Mm.  adductor  minimus  und  magnus 
gerade  herab  und  verliert  sich  ganz  in  ihnen  (Fig.  289).  Der  oberflächliche  Ast 
ist  schräg  medianabwärts  gerichtet  und  spaltet  sich,  vom  M.  pectineus  be- 
deckt, in  drei  oder  vier  kaum  divergirende  Aeste,  Einen,  der  nicht  selten 
fehlt,  zur  hinteren  Fläche  des  M.  pectineus ,  einen  zweiten  zur  Vorderfläche 
des  M.  adductor  br.,  einen  dritten ,  öfters  getheilten ,  der  über  die  Vorder- 
fläche des  M.  adductor  br.  hinweg  zur  hinteren  Fläche  desM.  adductor  lon- 
gus  geht  und  einen  vierten ,  der  über  die  Vorderfläche  des  letztgenannten 
Muskels  an  die  mediale  Fläche  des  M.  gracilis  tritt.  Von  einem  der  Mus- 
keläste des   Adductor  longus    oder  vom  Muskelaste  des   Gracilis  wird  der 

Zu  Fig.  289. 
Verästelung  des  N.  obturatorius.     Fe  M.  pectineus,  durchschnitten  und  nach  beiden  Seiten 
zurückgeschlagen.     Afl  M.  adduct.  long,  desgl.     Äfb,  Afm    M.  add.    br.    und    magn.      Oe 
M.  obturator  ext.      Gr  M.  gracilis.     Ip    M.  iliopsoas.      Sar    M.    sartorius ,    Ursprung.     Rf 

M.  rectus  femoris. 


1)  iV.  cruralis  int.  Schmidt.     N.  cruralis  post.  Verstopfungs -  oder  Hüftlochnerve. 


N.  obtiiratoriiis. 
Fiff.  289. 


523 


524  N.  lumb.  V.     Nn.  sacr.  I  bis  V. 

Hautnerve  abgegeben,  der  vor  diesem  Muskel  die  Scbenkelfascie  durchbohrt 
und  gegen  das  Knie  herabläuft.  Er  ist,  im  umgekehrten  Verhältniss  zur 
Entwicklung  der  medialen  Hautzweige  des  N.  cruralis,  feiner  oder  stärker, 
zuweilen  mehrfach,  und  anastomosirt  mit  den  genannten  Zweigen. 

Schmidt  (a.  a.  0.  S.  82)  beschreibt  einen  unbestäudigeu  N.  ad  obturatorem 
accessorius,  der  mit  dem  coustanteu  N .  obturatoriiis  vom  dritten  und  vierten  Lum- 
barnerven entspringt  und  anfangs  mit  ihm  verläuft,  dann  aber  auf  die  Vorder- 
fiäche  des  Schambeins  tritt  und  sich  in  zwei  bis  drei  Aeste  spaltet,  deren  einer 
sich  mit  dem  Stamme  des  N.  obturatorius  vereinigt,  indess  die  anderen  in  dem  das 
Hüftgelenk  umgebenden  Fett  und  im  M.  pectineus  enden.  Die  Beziehungen  des 
Nerven  zur  Fascia  iliaca  sind  verschieden :  in  zwei  von  mir  beobachteten  Fällen 
verlief  er  Einmal  über,  einmal  unter  derselben;  Schmidt  sah  ihn  den  M.  psoas 
durchsetzen.  Er  fand  ihn  in  neun  bis  zehn  Leichen  vier  bis  fünf  Mal,  Cruveil- 
liier  (a.  a.  0.  p.  547)  nennt  die  Varietät  eine  sehr  häufige;  auch  er  bezeichnet,  ohne 
Schmidt's  Werk  zu  kennen  ,  den  Nerven  als  Accessorius  nervi  ohturatorii 
oder  Nerven  des  Hüftgelenks.  Pokorny  dagegen  (Hyrtl,  Ueber  endlose  Nerven, 
Wiener  Sitzuugsber.  1866)  kam  dieser  Nerve  unter  40  Fällen  nur  drei  Mal  vor,  dar- 
unter zwei  Fälle,  wo  er  aus  dem  M.  pectineus  weiter  ging  zu  den  Mm.  adductores 
long,  und  brevis  und  mittelst  seines  stärksten  Astes  sich  mit  dem  N.  genito  -  cru- 
ralis (lumbo- iuguinalis?)  in  einer  Schlinge  verband. 

Von  dem  für  den  M.  adductor  magnus  bestimmten  Zweige  des  N.  obturato- 
rius sah  Hyrtl  (Hdbuch  S.  849)  öfters  einen  Faden  abgehen,  der  den  genannten 
Muskel  nach  hinten  durchbohrt,  auf  der  A.  poplitea  in  die  Kniekehle  herabzieht 
und  in  die  hintere  Wand  der  Kapsel  des  Kniegelenks  eindringt. 

Ich  sah  einen  Zweig  des  N.  obturatorius  in  den  von  fibrösen  Wänden  begrenz- 
ten Canal  eintreten ,  der  die  Vasa  cruralia  nebst  dem  N.  saphenus  einschliesst  und 
innerhalb  dieses  Canals  sich  theilen ;  der  Eine  Ast  ging  mit  dem  N.  saphenus  eine 
bogenförmige  Anastomose  ein,  der  andere  gesellte  sich  zu  dem  die  A.  cruralis  um- 
spinnenden Nervengeflecht. 

Nach  Rauber  (üeber  die  Knochenuerven  des  Oberarms  und  Oberschenkels. 
München  1870)  geht  der  Diaphysennerve  des  Schenkelbeins,  der  in  der  Eegel  ein 
Ast  der    Gefässnerven  ist,  zuweilen  von  einem  ZAveige  des  N.  obturatorius  ab. 


V.     N.  lumbalis  V.     Nn.  säcrales  I  bis  V. 

Plexus  sacralis. 

s^  ^^"ib'v  ^^^  feinen  hinteren  Aeste  dieser  Nerven,   welche   über  dem  Kreuzbein 

Plexus  sacr.  uud  durch  die  Forr.  sacralia  postt.  hervortreten ,  setzen  sich  in  der  Regel 
durch  verticale  Anastomosen  mit  einander  in  Verbindung  und  bilden  ein 
weitläufiges  Geflecht  ^) ,  dessen  Aeste  den  M.  gluteus  max.  in  der  Nähe  sei- 
nes Ursprungs  durchsetzen  und  über  demselben  in  die  Haut  des  Gesässes 
ausstrahlen.  Die  hinteren  Aeste  der  drei  oberen  Sacralnerven  senden  dem 
Iliosacralgelenk  Fäden  zu ,  der  dritte  giebt  einige  Fädchen  dem  oberen 
Theil  der  Ligg.  sacrospinosum  und  sacrotuberosum  (Rüclinger)^). 

Die  vorderen  Aeste  der  genannten  Nerven  treten  zum  Plexxis  sacralis  ■^) 
zusammen,  nachdem  der  oberste,  der  fünfte  Lumbarnerve,  einen  absteigen- 


^)  Plexus  sacralis  post.  2)  Gelenknerven,  S.  17.  ^)  Ich  gebrauche  das  Wort  in  einem 
weiteren  Sinne ,  als  unsere  Handbücher  und  begreife  darunter  den  Plexus  ischiadlcus  (sa- 
cralis)   nebst    dem    Plexus  pudendaüs    (pudendo-haemoi'rJioidalis)  aut. 


Plexus  sacralis. 


525 


den  Strang  des  vierten  aufgenommen,    der   letzte   Sacralnerve  einen  Zweig 
abwärts  zur  Verbindung  mit  dem  N.  coccygeus  abgegeben  hat  (Fig.  290). 

An  einem  Präparat,  welches  unsere  Sammlung  aufbewahrt,  fehlte  der  Strang 
vom  vierten  zum  fünften  Lumbarnerven  und  Avaren  denniach  die  Plexus  lumbaris 
und  sacralis  vollständig  von  einander  geschieden. 

Fig.  290. 


Rechte  Beckenhälfte  von  innen  mit  dem  Plexus  sacralis.  1  Schambeinsynchondrose.  2  Harn- 
blase, 3  Rectum',  beide  abwärts  geschlagen.  C»  N.  coccygeus.  P  M.  pyriformis.  Oi  M. 
obturat.  int.,  von    seiner    Fascie    bedeckt.      L   M.    levator    ani.       C  M.    coccygeus.  gs    N. 

gluteus  sup. 


526  Plexus  sacralis. 

Die  Stärke  der  Wurzeln  des  Plexus  sacralis  nimmt  von  oben  nach  unten 
bis  zum  zweiten  Sacralnerven  allmälig,  dann  plötzlich  ab:  während  der  aus 
der  Vereinigung  der  letzten  Lumbarnerven  ^)  hervorgehende ,  allerdings 
platte  Strang  fast  1  Cm.,  der  zweite  Sacralnerve  noch  7  Mm.  breit  ist,  er- 
reicht der  Durchmesser  des  dritten  Sacralnerven  höchstens  4,  mitunter  nur 
2  Mm.  und  beträgt  der  Durchmesser  des  fünften  Sacralnerven  vor  seiner 
Theilung  kaum  1  Mm. 

Der  Plexus  sacralis  ist  einfacher ,  als  einer  der  früher  beschriebenen. 
Indem  die  Wurzeln  gegen  die  untere  Hälfte  des  vorderen  Randes  der  Inci- 
sura  ischiadica  maj.  convergiren,  die  obere  steil  abwärts  gerichtet,  die  fol- 
genden allmälig  dem  horizontalen  Verlauf  sich  nähernd  und  die  untere  sogar 
längs  dem  oberen  Rande  des  M.  coccygeus  ansteigend ,  gewähren  sie  das 
Bild  eines  auf  dem  Bauche  des  M.  pyriformis  gelegenen  durchbrochenen 
Dreiecks,  dessen  Basis  längs  dem  letzten  Bauchwirbel  und  den  Forr.  sacra- 
lia  hinzieht,  dessen  abgestumpfte  Spitze  in  die  Spalte  zwischen  dem  lyiteren 
Rande  des  M.  pyriformis  und  dem  Ursprünge  des  M.  coccygeus  ragt  und  sieh 
geradezu  in  den  Hauptast  des  Plexus,  den  N.  ischiadicus,  fortsetzt.  Der  erste 
Sacralnerve  tritt  um  den  oberen,  der  dritte  um  den  unteren  Rand  des  M. 
pyriformis  auf  dessen  Oberfläche,  der  zweite  Sacralnerve  durchsetzt  den  Ur- 
sprung des  Muskels.  Der  vierte  und  fünfte  Sacralnerve  liegen  beim  Austritt 
aus  den  Forr.  sacralia  auf  der  Sehne  des  M.  coccygeus.  Es  giebt  Fälle,  wo 
die  drei  oberen  Wurzeln  des  Geflechts  erst  im  N.  ischiadicus  zusammen- 
treffen; gewöhnlich  vereinigt  sich  der  combinirte  Lumbarnerve  schon  vor 
dem  Iliosacralgelenk  mit  dem  ersten  Sacralnerven  und  zuweilen  zieht  ein 
verhältnissmässig  feiner  Verbindungsast  quer  oder  schräg  von  einer  dieser 
Wurzeln  zur  anderen.  Vom  dritten  Sacralnerven  an  tritt  der  Charakter 
eines,  immerhin  weitläufigen  Geflechtes  mehr  hervor.  Er  sendet  dem  zwei- 
ten Sacralnerven  noch  innerhalb  des  Beckens  einen  Theil  seiner  Fasern, 
welche  offenbar  in  den  N.  ischiadicus  übergehen,  und  empfängt  dafür  vom 
zweiten  Sacralnerven  innerhalb  oder  ausserhalb  des  Beckens  einen  oder 
zwei  Aeste,  die  einen  wesentlichen  Antheil  an  der  Zusammensetzung  der  in 
der  Perinealgegend  ausstrahlenden  Aeste  der  letzten   Sacralnerven   nehmen. 

Je  geringer  der  Faseraustausch  zwischen  den  eigentlichen  Wurzeln  des 
Plexus  sacralis,  um  so  reichlicher  verflechten  sich  die  Nervenbündel  in  den 
Anfängen  der  aus  dem  Plexus  entspringenden  Stämme,  der  Nn.  iscliiadicus 
und  pudendo-liaemorrlioiäalis.  Sind  diese  Geflechte  eng,  so  gehen  die  Ner- 
venstämme unmittelbar  aus  den  convergirenden  Wurzeln  hervor ;  sind  sie 
weitläufiger,  lassen  sie  Lücken,  welche  von  Fett  ausgefüllt  oder,  wie  dies 
häufig  geschieht,  von  Arterien  durchsetzt  werden,  so  erscheinen  sie  als  inte- 
grirende  Theile,  oder  doch  als  Anhänge  des  Plexus  sacralis,  der  sich  dem- 
nach weiter  abwärts  und  selbst  auf  die  Aussenfläche  des  Beckens  erstreckt. 
Sehr  häufig  entspringen  die  Nerven  der  Perinealgegend  aus  einem  solchen 
secundären,  auf  der  äusseren  Fläche  des  Lig.  spinoso  -  saci-um  ruhenden  Ge- 
flechte. Zuweilen  geht  der  kurze  Stamm  des  N.  ischiadicus  in  ein  Geflecht 
auf,  aus  welchem  unmittelbar  die  beiden  Hauptäste  dieses  Nerven  ent- 
springen. 


')  A'.   bimJxjsncrdUs  Cruv. 


N.  gluteiis  sup.  527 

Die  peripherischen  Aeste  des  Plexus  sacralis  scheiden  wir  in  demselben 
Sinne,  wie  die  der  Plexus  brachialis  und  cruralis,  in  kurze  und  lange.  Die 
kurzen  verbleiben  entweder  im  Becken  oder  verbreiten  sich  an  der  Aussenseite 
desselben,  in  der  Gesäss-  und  Dammgegend  und  den  Genitalien.  Die  langen 
Aeste  versorgen  Miiskeln  und  Haut  der  hinteren  Fläche  des  Oberschenkels, 
die  Muskeln  und  den  grössten  Theil  der  Haut  des  Unterschenkels  und  des 
Fusses. 

Die  Nerven,  die  im  Innern  des  Beckens  endigen,  nehmen  nicht  eigent- 
lich aus  dem  Plexus,  sondeim  aus  den  "Wurzeln  desselben  ihren  Ursprung ;  es 
sind,  abgesehen  von  den  Rr.  communicantes : 

1.  Ein  kurzer  Zweig  aus  der  hinteren  Fläche  des  dritten  Sacralnerven 
(nach  Weber -Hildebr.  mehrere  Zweige  aus  den  drei  obersten  Sacralner- 
ven), unmittelbar  in  die  vordere  Fläche  des  M.  pyriformis  sich  einsenkend. 

2.  Der  motorische  Nerve  der  innersten  Lage  der  Perinealmuskeln,  der 
Mm.  levator  ani,  ischio-coccygeus  und  coccygeus.  Er  geht  vom  vierten  Sa- 
cralnerven aus  und  gerade  vorwärts  über  die  Mitte  des  M.  coccygeus  und 
unter  dessen  Fascie  zum  oberen  Rande  der  beiden  anderen  genannten  Mus- 
keln ;  sendet  Fäden  zum  imtersten  Theil  der  Blase  und  zur  Prostata  (Fig.  290). 

3.  Einige  viscerale  Aeste  aus  dem  zweiten,  dritten  und  vierten  Sacral- 
nerven {Nn.  liaemorrlioidales  medii,  vesicales  inferiores,  vaginales),  welche  mit 
ihren  Zweigen  theils  direct  zu  den  Beckenorganen ,  theils  zu  den  sympathi- 
schen Geflechten  derselben  gehen. 

Ausserhalb  des  Beckens  verbreiten  sich: 

9 

a.    Kurze    Nerven. 
1.    N.  gluteus  sup. 

Entspringt  mit  Einer  Wurzel  vom  vorderen  Rande  des  combinirten,  d.h.  a. 
durch  die  Aufnahme  eines  Astes  vom  vierten  verstärkten  fünften  Lumbar - 
nerven ,  mit  einer  zweiten  Wurzel  von  der  Rückseite  des  ersten  und  zweiten 
Sacralnerven  oder  von  einer  unbeständigen  queren  Anastomose  zwischen  bei- 
den (Fig.  290),  wendet  sich  iim  den  oberen  Rand  der  Incisura  ischiadica  maj. 
nach  aussen  und  zieht  zwischen  den  Mm.  glutei  med.  und  minimus,  welchen 
beiden  er  Aeste  giebt,  gerade  seitwärts  zum  M.  tensor  fasciae,  in  welchem 
er  endet. 

Ertheilt  öfters  vor  dem  Austritt  aus  dem  Becken  dem  M.  pyriformis 
einen  Ast. 

Var.     Verbindet  sich  mittelst  eines  tieferen  Zweigs  mit  dem  N.   ischiad.  oder 
cutan.  post.  oder  mit  beiden  zugleich  (Weber  -  Hildebr.). 

2.     N.  gluteus  inf.  1). 

Entsteht  breit  und  platt  am  unteren  Rande  der  Licisura  ischiadica  von  2.  Giut.  inf. 
der  Rückseite  des  Plexus  mit  mehreren  Wurzeln  aus  dem  ersten  bis  dritten, 


Kurze  N. 
(.rillt,  sup. 


'■)   A'^.   ischiad.  minor-. 


528  N.  gluteus  inf. 

zuweilen  auch  nocli  aus  dem  vierten  Sacralnerven  und  strahlt  mit  aufwärts, 
um  den  Rand  des  M.  pyriformis  umbiegenden,  und  mit  abwärts  gerichteten 

Fig.  291. 


Kurze  Nerven  des  Plexus  iscliiad.  an  der  Aussenseite  des  Beckens.  Mm.  gluteus  max.  {Gvi) 
und  medius  [Gmd)  zurückgeschlagen.  M.  pyriformis  entfernt.  Lig.  sacrotuberos  [st)  durch- 
schnitten und  zurückgeschlagen.  1  Trochanter  maj.  2  Afteröffnung.  3  Scrotum ,  an  der 
rechten  Seite  geöffnet ,  der  Testikel  herausgenommen.  0  i  M.  obturator  int.  Qf  M.  quadr. 
fem.  Tf  tensor  fasciae.  FF  Beugemuskeln  des  Unterschenkels.  Afm  M.  adductor  magn. 
Gr  M.  gracilis.  S  M.  sphincter,  L  M.  levator  ani.  Tp  M.  transv.  perin.  superf.  Ic  M. 
ischiocavern.  Bc  M.  bulbocavernos.  gi  N.  glut.  inf.  gs  'N.  gluteus  sup.  isc  N.  ischiad. 
cj}  N.   cutan.  post.     Sps  Nn.  scrot.  postt.     pe  N.  perineus.     he  N.  haeniorrh.   ext.     dp  N. 

dorsalis  penis. 


Zweigen    in   den   M.   gluteus   maximus    aus.      Er    giebt     dem    M.   obtura- 
tro    int.  einen     Ast,    der    aber     öfters     auch     selbständig    aus    dem    Plexus 


N.  gluteus  inf. 


529 


sacralis  oder  aus  dem  Stamm  des  N.  ischiad.  oder  aus  dem  N.  pudendo- 
haemorrhoidalis  entstellt.  Mit  dem  N.  cutaneus  post.  tauscht  der  N.  gluteus 
inf.  am  Ursprünge  Fasern  aus  in  der  Weise,  dass  jeder  dieser  Nerven  einen 
Ast  abwärts  sendet ,  der  sich  unter  spitzem  Winkel  an  den  anderen  Nerven 
anlegt. 

Aus  dem  N.  gluteus  inf.  entspringen  zwei  bis  drei  Fäden,  welche  schräg 

.         '  Zu  Fig.  291. 


abwärts  zum  unteren  Theil  der  hinteren  Fläche  der  Hüftgelenkkapsel  ziehen 
(Rüdinger). 

3.    N.  pudendo  -  haemorrhoidalis^). 

Selten  ein  einfacher  Sti'ang,  meistens  ein  plattes,  engmaschiges  Nerven- 
geflecht, welches  mit  der  A.  pudenda  comm.  die  Beckenhöhle  über  demLig. 
sacrospinosum  verlässt,  um  vor  dem  Lig.  sacrotuberosum  an  die  innere 
Fläche  der  Beckenwand  zurückzukehren  (Fig.  291). 

In  diesem  Stamme  oder  Geflecht  vereinigen  sich  ein  Theil  des  oberen, 
in  den  N.  ischiadicus  übergehenden  Astes  des  zweiten  Sacralnerven ,  der 
untere  Ast  des   dritten  Sacralnerven  und  der  vierte  Sacralnerve  nach  Auf- 


3.  PuJendo- 
haemorrh. 


^)  iV.  pudendo - liaemorrhoidalis  comm.  ext.  Meckel.  N.  pudendalis  comm.  Langen- 
beck.  N.  pudend.  comm.  Luschka.  Die  übrigen  Handbücherbeschreiben  den  N.  haemorrh. 
ext.  als  einen  besonderen  Ast  bald  des  Plexus  ischiad.,  bald  des  Plexus  pudendus  und  ver- 
stehen unter  dem  A^.  pudendus  s.  spermat.  comm.  einen  Stamm ,  der  sich  in  die  Nn.  dor- 
salls  pems  und  perlneus  theilen  soll. 

He  nie,   Anatomie.    Bd.  III,    Abtli.  II.  3^ 


530 


N.  pudendo  -  haemorrb  oidalis. 


Haemorrh. 
ext. 


Perineus. 


Dors .   pcnis 
(clitor.). 


nähme  eines  Theils  des  fünften.  Aus  dem  Geflecht  gehen  nach  einander, 
von  vorn  nach  hinten  gezählt,  hervor:  die  Nn.  doTsalis  penis  (clitoridis), 
perineus  und  haemorrhoidalis  ext.,  so  zwar,  dass  der  N.  dorsalis  penis  in 
der  Regel  als  ein  Zweig  des  vorderen  Astes  des  dritten  Sacralneryen ,  der 
N.  haemorrhoid.  ext.  als  ein  Ast  des  combinirten  vierten  Sacralnerven  er- 
scheint und  der  N.  perineus  Fasern  aus  sämmtlichen  Wurzeln  des  secundä- 
ren  Plexus  erhält. 

Vom  Perineum  aus  gesehen,  liegt  der  hinterste  dieser  Aeste,  der  N. 
haenwi'rho'id.ext.'^),  am  oberflächlichsten;  er  strahlt  mit  spitzwinklig  diver- 
girenden  Fasern  in  die  Haut  und  Musculatur  der  Aftergegend  aus. 

Der  N.  perineus'^) ,  der  mittlere  der  drei  Nerven  sowohl  in  seiner  Be- 
ziehung zur  Oberfläche,  als  in  der  Richtung  von  rechts  nach  links,  sendet 
einen  Ast  lateralvorwärts  zum  Ursprung  der  Mm.  ischiocavernosus  und 
transv.  perinei  superfic. ^)  und  zerfällt  sodann  in  zwei  Aeste,  deren  zahl- 
reiche Zweige  in  zwei  Schichten  vorwärts  gehen.  Die  oberflächlichen*) 
ziehen  durch  das  subcutane  Bindegewebe  der  Perinealgegend  und  der  hinteren 
Wand  des  Scrotum  (des'  hinteren  Theils  der  Labia  majora)  und  breiten  sich 
mit  ihren  Endästen ,  den  Nn.  Scrotales  (laMcdes)  postt. ,  in  der  Haut  dieser 
Theile  aus.  Die  Nerven  der  tieferen  Schichte''')  verlaufen  durch  den  M. 
transv.  perinei  superfic.  oder  über  demselben  zur  vorderen  Spitze  des 
Sphincter  ani  und  zum  M.  bulbocavernosus;  sie  enden  zum  Theil  in  diesen 
Muskeln,  zum  Theil  durchsetzen  sie  dieselben  und  treten  in  den  Bulbus  des 
C.  cavernosum  uretrae  ein,  wahrscheinlich  um  zur  Schleimhaut  der  Uretra 
(beim  Weibe   auch  der  Vagina)  vorzudringen. 

Nach  Rouget  (Gaz.  med.  1854,  Nr.  9)  ziehen  zwei  geschlängelte  Nerven- 
zweige (Nerfs  uretro-peniens)  dicht  nebeneinander  in  der  durch  die  Eaphe  der 
Mm.  bulbo-caveruosi  gebildeten  Furche,  dann  in  der  Scheide  des  C.  cavernosum 
uretrae  bis  in  die  Nähe  der  Glans,  geben  Aeste  zum  C.  cavernosum  uretrae  und 
enden  in  Anastomosen  mit  den  lateralen  Aesten  der  Nn.  dorsales  penis. 

Der  N.  dorsalis  penis  (ditoridis)  *')  hält  sich  über  dem  vorhergehenden 
an  der  Seitenwand  des  Beckens  auf  der  medialen  Fläche  des  M.  obturator 
int.,  dessen  Fascie  ihn  bis  zum  Eintritt  in  das  Diaphragma  urogenitale  be- 
deckt. Er  durchsetzt  und  verlässt  dasselbe,  immer  in  Begleitung  der  gleich- 
namigen Arterie  (Eingeweidel.  Fig.  388  ff.)  und  tritt  mit  ihr,  und  zwar  über 
ihr,  zur  Seite  des  Lig.  Suspensorium  auf  die  Rückenfläche  des  Penis  (der 
Clitoris).  Hier  theilt  er  sich  alsbald  in  zwei  Aeste,  einen  stärkeren  media- 
len ^),  der  geraden  Wegs,  in  mehrere  Aeste  gespalten,  diirch  das  cavernöse 
Gewebe  der  Glans  zur  Oberfläche  derselben  vordringt,  und  einen  lateralen  ^), 
der  sich  unter  spitzem  Winkel  abzweigt  und  seine  feinen  Aeste  vorwärts 
und  um  die  Seitenfläche  des  Penis  abwärts  in  die  Haut  bis  zum  Präputium 
sendet. 


^)  N.  haemorrh.  inf.  ~)  N.  pudendus  inj.  s.  int.  ^)  Cruveilhier  bezeichnet  diesen 
Nerven  {N.  perineus  ext.)  als  einen  Hautast  des  Scrotum,  der  nnr  zuweilen  den  motorischen 
Ast  des  M.  ischiocavernosus  abgebe.  Sappey  nennt  ihn  femoro  -  j^erinealh  und  leitet  von 
ihm  Zweige,  ausser  zum  Scrotum,  zur  medialen  Fläche  des  Schenkels  her.  *)  Nn.  perinei 
superficiales    Cruv.  '')   N.  prof.   s.   hulho-uretralis   Cruv.      A'.  musculo-uretralis   Sappey. 

")   R.  profundus  nervi  pudendi.     N.  pudendus  superior  s.   ext.      ^)   R.  glandis    Cruv.       ^)  R. 
cu/ oticus  penis  Cruv. 


N.  cutaiieus  post.  531 

Im  vorderen  Tlieil  der  Perinealgegend  giebt  der  N.  dorsalis  penis  einen 
oder  einige  unbeständige  Miiskeläste  zum  M.  bulbocavernosus  ab ;  während 
seines  Verlaufs  durch  das  Diaphragma  urogenitale  verbindet  er  sich  mit 
dem  Plexus  cavernosiis  (s.  Sympathicus)  und  schickt  dem  M.  transv.  perinei 
prof.  feine  Aestchen  (von  etwa  0,1  Mm.  Durchm.),  längs  dem  Rücken  des 
Penis  endlich  durchbohrt  er  mit  einigen  Fädchen  die  fibröse  Hülle  des  C. 
cavernosum.  Es  ist  wahrscheinlich,  dass  diese  Fädchen  zur  Schleimhaut  der 
Uretra  gelangen;  nach  J.  Müller  setzen  sie  sich  mit  den  sympathischen 
Nerven  des  cavernösen  Gewebes  in  Verbindung. 

An  den  Endzweigen  des  N.  dorsalis  penis  (clitoi'idis)  kommen  pacinische 
Körperchen  vor.  Schweigger  -Seidel^)  entdeckte  sie,  allerdings  nicht 
mehr  als  zwei  bis  drei ,  in  den  tiefsten  Schichten  des  Unterhautbindegewebes, 
dicht  hinter  dem  hinteren  Rande  der  Glans  penis  und  in  ebenfalls  sehr  ge- 
ringer Anzahl  im  Praeputium  clitoridis.  Vereinzelt  fanden  sie  sich  aiich 
im  Fettgewebe  der  Labia  majora,  besonders  unter  der  Uebergangsstelle  der 
letzteren  in  die  Nymphen.  Raub  er  2)  zählte  am  Stamm  des  N.  clitoridis  zwölf, 
in  Einer  Hälfte  der  Clitoris  an  den  Theilungswinkeln  der  Nerven  und  an  der 
inneren  Schleimhautfläche  des  Präputium  28,  im  Fettgewebe  der  Labia 
majora  und  des  Mons  veneris  78  pacinische  Körperchen. 

Langenbeck's  Abbildungen  (Neurolog.  T.  X)  zeigen  auf  dem  Rücken  des 
Gliedes  Anastomosen  der  Nn.  dorsales  penis  beider  Seiten,  Avelcbe  Bock  (Weber  -  Hil- 
debr.  III,  513)  bestreitet. 

b.    Lange   Nerven. 

1.    N.  cutaneus  post. ■''). 

Bezieht   eine   Wurzel   von    der  Rückenfläche   des  dritten   Sacralnerven  b.  Lange  n. 

1     Oll  tan 

aus  einem  Zweig ,  der  mit  dem  übrigen  Theil  seiner  Fasern  in  den  N.  ghi-  post. 
teus  inf.  übergeht,  eine  zweite  Wurzel  aus  dem  N.  gluteus  inf.  selbst,  dem 
er  dafür  höher  oder  tiefer  ein  Faserbündel  abgiebt  und  bildet  so  an  seinem 
Ursprünge  ein  Geflecht,  welches  auf  der  hinteren  Fläche  des  N.  ischiadicus 
liegt  und  sich  sogleich  in  mehrere  Aeste  theilt  oder  in  einen  einfachen 
Stamm  fortsetzt,  aus  welchem  alsbald  Aeste  medianwärts  abgehen  (Fig.  291). 

Diese  medialen  Aeste  verzweigen  sich  in  der  Haut  über  dem  Tuber 
ischiad.  und  am  obersten  Theil  der  inneren  Schenkelfläche ;  einer  derselben, 
N.  pudenchis  long.  inf. '^),  reicht  auf  die  laterale  Fläche  des  Scrotum  (der 
Labia  majora)  und  anastomosirt  mit  den  aus  dem  N.  perineus  entpringenden 
Aesten  dieser  Region. 

Den  medialen  Aesten  gegenüber  gehen  aus  dem  N.  cutaneus  post. 
einige  feinere  Zweige  hervor,  die  Nn.  suhcutanei  ghitei  inff.  Bock^),  die  sich 
um  den  unteren  Rand  des  M.  gluteus  max.  aufwärts  biegen  und  in  der  Haut 
des  Gesässes  verlieren. 


^)  Archiv  für  pathol.  Anat.  u.  Physiol.  XXXVII,  219.  ^)  Untersuchungen  über  das 

Vorkommen  und  die  Bedeutung  der  Vater' sehen  Körper.      München  1867.  •'')  N.  cuta- 

neus post.  medlus  Meckel.  N.  cutaneus  post.  mugnus  Weber-H.  N.  cutaneus  post.  cotrim. 
Bock.  iV.  cutaneus  n.  glutei  inf.  Cruv.  *)  R.  scrotalis  Cruv.  ^)  Nn.  cutanei  clunlum 
hiff.      N.   cutaneus   gluteus  inf 


532  N.  iscliiadicus. 

Audi  im  weiteren  Verlauf  an  der  Rückseite  des  Oberschenkels  giebt 
der  N.  cutaneus  post.  nacb  der  medialen  Seite  stärkere  Zweige,  als  nach 
der  lateralen.  Der  Stamm  selbst  geht,  früher  oder  später  spitzwinklig  ge- 
theilt,  in  der  Mitte  der  hinteren  Fläche  des  Oberschenkels  bis  zur  Kniekehle;- 
der  Eine  seiner  Aeste  endet  am  medialen  Umfange  des  Knies,  der  andere 
läuft  in  Begleitung  der  V.  saphena   parva  bis   zur  Mitte    der  Wade   herab. 

Oefters  nimmt  in  der  Mitte  des  Oberschenkels  der  N.  cutaneus  post.  eine 
sclileifenförmige  Anastomose  von  einera  Muskelzweig  des  N.  ischiad.  auf.  Von 
C.  Krause  als  regelmässige  Bildung  beschrieben. 


2.    N.  ischiadicus  ^). 

Der  Nerve,  zu  welchem  die  grosse  Mehrzahl  der  Fasern  sämmtlicher  Wur- 
zeln des  Plexus  sacralis,  die  letzte  ausgenommen,  sich  vereinigen  (Fig.  290), 
verlässt,  12  bis  14  Mm.  breit,  5  Mm.  dick,  unter  dem  M.  pyriformis  das  Becken 
und  zieht  ungefähr  mitten  zwischen  dem  Sitzbeinhöcker  und  dem  grossen 
Trochanter  hinter  der  Sehne  und  dem  äusseren  Kopf  des  M.  obturator  int., 
dann  hinter  dem  M.  quadrat.  femoris  und  der  tiefen  Schichte  der  Adductoren 
gerade  herab  (Fig.  291).  Gewöhnlich  in  der  Mitte  des  Oberschenkels,  da,  wo 
der  lange  Kopf  des  M.  biceps  ihn  kreuzt,  spaltet  er  sich  in  seine  Endäste,  die 
Nn.  pevoneus  und  tihkiUs.  Doch  ist  diese  Spaltung  nur  ein  Divergiren  der 
beiden  Aeste,  die  schon  gesondert  aus  dem  Plexus  hervorgehen,  oft  auch 
von  Anfang  an  geschieden  neben  einander  verlaufen,  oft  durch  lockeres  Bin- 
degewebe leicht  trennbar  verbunden  und  auch,  wo  alle  Bündel  gleichmässig 
fest  zu  Einem  Stamm  vereinigt  sind,  durch  sorgfältige  Präparation  reinlich 
von  einander  gelöst  werden  können.  Der  N.  peroneus,  der  laterale  Ast, 
ist  etwa  halb  so  stark,  als  der  N.  tibialis;  er  bezieht  seine  Fasern  aus  dem 
combinirten  Lumbal-  und  dem  ersten  und  zweiten  Sacralnerven ;  in  den  N. 
tibialis  geht  der  grössere  Theil  der  Fasern  derselben  Nerven  imd  ausser- 
dem ein  Theil  des  dritten  Sacralnerven  über. 

Aus  dem  Anfang  des  Stammes  entspringen  zuweilen  die  Nerven  zu 
den  beiden  Köpfen  des  M.  obturator  int.  und  zum  M.  quadratus  femoris. 
Ferner  giebt  derselbe  von  der  Incisura  ischiadica  aus  oder  noch  oberhalb 
derselben  Fäden  zxim  Hüftgelenk  (Rü  ding  er).  Die  Nerven  zu  den  Mus- 
keln der  hinteren  Fläche  des  Oberschenkels  gehen,  wenn  auch  hoch  oben, 
doch  schon  von  dem  getheilten  Stamme  ab  und  zwar  sämmtlich  von  dem 
in  den  N.  tibialis  sich  fortsetzenden  Theil ,  den  motorischen  Ast  des  kurzen 
Kopfes  des  M.  biceps  allein  ausgenommen,  der  aus  dem  Peronealtheil  kommt, 
über  den  oberen  Rand  des  Muskels  auf  dessen  laterale  Fläche  tritt  und 
längs  derselben  herabzieht. 

Die  Nerven  aus  der  tibialen  Hälfte  des  N.  ischiadicus  sind  (Fig.  292) :  einer 
oder  zwei  für  den  langen  Kopf  des  M.  biceps,  zwei  für  den  M.  semitendinosus, 
von  denen  der  Eine  dicht  unter  der  Ursprungssehne,  der  andere  unter  der 
Inscription  eintritt.  Einer  bis  drei  für  den  M.  semimembranostis  und  Einer 
für  den  M.  adductor  magnus.      Die  Reihenfolge,  in  welcher  diese  Aeste  den 


■*)  iV.  ischiad.   magnus.   Hüftnerve. 


N.  ischiaclicus. 


Fig.  292. 


Garn 


.  533 

Stamm  verlassen,  ist  nicht 
immer  dieselbe;  gewöhnlicli 
sind  die  Nerven  der  Mm.  semi- 
membi-anosus  und  adductor 
Zweige  Eines  Stcämmchens, 
welches  am  weitesten  abwärts 
entspringt ;  der  M.  semimem- 
branosus  erhält  seinen  Ner- 
ven erst  am  unteren  Drittel 
des  Oberschenkels,  in  der 
Mitte  seines  Muskelbauchs. 

Mit  dem  Nerven  des  kur- 
zen Kopfes  des  Biceps  oder 
selbständig  unter  ihm  geht 
aus  dem  Peronealtheil  des 
N.  ischiad.  ein  im  Verhält- 
niss  zu  seiner  Länge  sehr  fei- 
ner Nerve,  N.  artimlaris  genii 
Sup.  ni.,  hervor,  welcher  über 
dem  lateralen  Epicondylus, 
zwischen  dem  Knochen  und 
dem  unteren  Ende  des  M. 
biceps,  vorwärts  umbiegt  und 
sich  in  der  lateralen  Wand 
der  Kapsel,  des  Kniegelenks 
verbreitet. 

Wenn  der  N.  cutaneus 
fem.  post.  am  Knie  sein  Ende 
erreicht,  so  löst  sich  vom  Pe- 
ronealtheil des  N.  ischiadicus 
und  in  ziemlich  gleicher  Höhe 
mit  dem  eben  beschriebenen 

Zu  Fig.   292. 

Verästelung  des  N.  ischiadicus  am 
Oberschenkel  und  an  der  hinteren 
Fläche  des  Unterschenkels.  St  M. 
semitendinosus,  an  der  Insertions- 
se\\ne  (St')  abgeschnitten  und  seit- 
wärts umgelegt.  Bfl,  Bfb,  lan- 
ger und  kurzer  Kopf  des  M.  biceps 
fem.  Pia  M.  plantaris.  Po  M. 
popliteus.  SM.  soleus.  Gal,Gam, 
lateraler  und  medialer  Kopf  des 
M.  gastrocnemius.  Sm  M.  semi- 
membranos.  Afm  M.  adductor 
magn.  Gr  M.  gracilis.  cpm  N. 
cutaneus  cruris  post.  medius.  cpe, 
ctl,  Nn.  communicantes  peron. 
und    tibial. 


534  N.  iscliiadicus. 

Gelenknerven,  zuweilen  aber  auch  erst  von  dem  N.  peroneus  ein  dünner 
Hautnerve,  N.  Cutaneus  cruris  post.  TYledius'^),  der  den  medialen  Theil  der 
hinteren  Fläche  des  Unterschenkels  versieht;  er  zieht  lateral wärts  neben 
dem  N.  tibialis  durch  das  Fett  der  Kniekehle  herab,  wird  auf  dem  latera- 
len Kopfe  des  M.  gastrocnemius  subcutan  und  erstreckt  sich  bis  in  die  Nähe 
des  Knöchels. 

Einen  Knochennerven ,  welcher  am  Anfang  des  iinteren  Drittels  des  Schen- 
kelbeins in  dasselbe  eintritt,  hat  Beck  entdeckt  und  beim  Dromedar  zum  Stamm 
des  N.  iscliiadicus  zurückverfolgt  (lieber  einige  in  Knochen  verlaufende  iind  an 
der  Markhaut  derselben  sich  verzweigende  Nerven.    Freiburg,  1846,  S.  16). 

Von  da  an ,  wo  die  Nn.  peroneus  und  tibialis  aus  einander  weichen, 
erscheint  der  letztere  als  die  gerade  Fortsetzung  des  N.  ischiadicus  und 
läuft  durch  die  Mitte  der  Kniekehle ,  hinter  den  Gefässen ,  gerade  abwärts, 
bis  er  unter  dem  queren  Sehnenbogen  des  M.  soleus  sich  dem  Blicke  ent- 
zieht. Der  N.  peroneus  dagegen  lenkt  seitwärts  ab  gegen  das  Köpfchen  der 
Fibula  und  wendet  sich  in  einem  fibrösen  Canal ,  den  die  vereinigten  Ur- 
sprünge derMm.  peron.  long,  und  soleus  mit  dem  Knochen  begrenzen,  auf  die 
Vorderfläche  des  Unterschenkels.  So  wird  der  Tibialis  zum  Nerven  der 
Rückseite  des  Unterschenkels  und  der  Plantarfläche  des  Fusses,  der  Pero- 
neus zum  Nerven  der  Vorderfläche  des  Unterschenkels  und  des  Fussrückens. 
Der  N.  tibialis  geht  am  Unterschenkel  unter  der  tiefen  Fascie  desselben  mit 
der  A.  tibialis  post.  herab  und  spaltet  sich  erst  in  der  Gegend  des  Knöchels 
in  die  beiden  Endäste ,  die  Nn.  plantares  lat.  und  medialis.  Der  N.  pero- 
neus theilt  sich  schon  beim  Eintritt  in  den  M.  peron.  longus  in  seine  End- 
äste, welche  bis  zu  den  Zehen  herabsteigen.  Zwischen  die  Nerven  des  Fuss- 
rückens imd  der  Fusssohle  schiebt  sich  am  medialen  Rande  des  Fusses  der 
N.  saphenus  ein.  Am  lateralen  Rande  spielt  die  gleiche  Rolle  ein  Nerve, 
der  sich  aus  zwei  Hautästen  zusammensetzt,  welche  der  Eine  vom  N.  tibialis, 
der  andere  vom  N.  peroneus  abgegeben  werden ,  bevor  diese  Stämme  zwi- 
schen die  Muskeln  des  Unterschenkels  eindringen. 

Der  N.  peroneus  2)  giebt  auf  dem  Wege  zum  M.  peron.  long,  zwei  oder 
drei  collaterale  Aeste  ab : 

1.  Vom  vorderen  Rande  den  N.  articularis  genu  inf.  m.'^),  der  an  der 
Seite  des  Kniegelenks,  unter  der  Sehne  des  M.  biceps ,  gerade  vorwärts  geht 
und  in  der  Kapsel  des  Kniegelenks  endet.  Von  ihm  zweigt  sich  nicht  selten 
ein  Aestchen  zum  unteren  Ende  des  M.  biceps  ab ;  einer  seiner  Endäste  wen- 
det  sich   abwärts  zur  Kapsel   des  oberen  Tibiofibulargelenks  (Rü  ding  er). 

2.  Vom  hinteren  Rande  den  bereits  erwähnten  Hautnerven ,  N.  cuta- 
neus cruris  post.  medius,  falls  derselbe  nicht  durch  den  N.  cutaneus  femoris 
post.  vertreten  oder  vom  N.  ischiadicus  abgegeben  wird. 

3.  Ebenfalls    vom    hinteren   Rande  etwas  weiter  unten  den    ebenfalls 


^)  Meckel  führt  zwei  hintere  Hautnerven  aus  dem  N.  ischiadicus  auf,  als  Nn.  cuta- 
nei  postt.  medius  und  inferior.  Krause  erwähnt  den  N.  cutan.  post.  medius  als  Ast  des 
N.  peroneus,  der  aber  auch  zuweilen  vom  N.  tibialis  stamme.  ^)  A'.  ßhularis.  N.  popli- 
teus  ext.  N.  mu.iculo-aitaneux  peron.  ext.  s.  ischiad.  popliteus  ext.  Cruv.  '^)  A.  articularis 
genu   Arnold. 


N.  iscliiadicus.  535 

schon  erwähnten  Hautnerven ,  JSf.  Communicans  peroneus  ^) ,  welcher  in  Ge- 
meinschaft mit  dem  entsprechenden  Ast  des  N.  tibialis,  dem  lateralen  Fuss- 
rande  zustrebt  (Fig.  292).  Kaliber  und  Verlaufsweise  dieses  Nerven  sind  sehr 
veränderlich;  sein  Kaliber  schwankt  im  umgekehrten  Verhältniss  zu  dem  der 
übrigen  Hautnerven,  namentlich  des  N.  communicans  tibialis.  Bald  stellt 
er  nur  eine  mehr  oder  minder  ansehnliche  Wurzel  des  letzteren  dar ,  die 
höher  oder  tiefer  spitzwinklig  in  denselben  übergeht ,  bald  sendet  er  dem 
N.  commun.  tibialis  in  der  Mitte  des  Unterschenkels  oder  weiter  unten  eine 
schleifenförmige  Anastomose  zii,  indess  er  sich  mit  dem  Rest  seiner  Fasern 
in  der  die  Achillessehne  deckenden  Haut  verbreitet;  bald  endlich,  der  sel- 
tenste Fall,  fehlt  die  Communication  mit  dem  N.  tibialis  und  der  N.  com- 
municans peronei  wird  zu  einem  selbständigen  Hautnerven  des  lateralen 
Randes  des  Unterschenkels.  Er  schickt,  nachdem  er  unter  der  Kniekehle 
die  Fascie  durchbohrt,  eine  Reihe  von  Zweigen  schräg  vor-,  die  oberen  auf-, 
die  unteren  abwärts  zur  Vorderfläche  des  Knies  und  Unterschenkels;  zuwei- 
len spaltet  er  sich  in  zwei  parallele  verticale  Aeste,  von  denen  der  vordere  2) 
die  vorwärts  verlaufenden  Zweige  aussendet. 

Von  den  beiden,  ungefähr  gleich  starken  Endästen,  in  die  der  N.  pero- 
neus beim  Eintritt  in  den  M.  peroneus  long,  zerfällt,  ist  der  oberflächlichere, 
N.  peron.  superficialis,  vorzugsweise  Hautnerve,  versorgt  aber  auch  die  Mus- 
keln der  Peronealseite  des  Unterschenkels;  der  tiefe,  N.  peroneus  pro/.,  ist 
der  motorische  Nerve  der  Streckseite  des  Unterschenkels  und  Fusses ,  giebt 
aber  doch  auch  ein  paar  sensible  Aeste  zu  Zehenrändern  (Fig.  293). 

Der  N.  peroneus  superficialis^)  sendet,  nachdem  er  an  der  medialen 
Fläche  des  M.  peron.  long,  angelangt  ist,  alsbald  nach  einander  die  Nerven 
für  die  Mm.  peron.  long,  und  brevis  ab  ,  die  auf  den  einander  zugewandten 
Flächen  beider  Muskeln  eine  Strecke  abwärts  laufen.  Der  Stamm  selbst 
nähert  sich  allmälig  zwischen  den  Mm.  peronei  und  dem  M.  extensor  dig. 
comm.  der  Oberfläche.  In  der  Mitte  ^der  über  dem  unteren  Drittel  des 
Unterschenkels  durchbohrt  er  die  Fascie ,  theilt  sich  in  einen  medialen  und 
einen  lateralen  Ast;  oft  auch  hat  er  sich  noch  innerhalb  der  Fascie  in  zwei 
Aeste  getheilt  und  tritt  mit  dem  medialen^A,ste  früher  aus  derselben  hervor, 
als  mit  dem  lateralen.  Der  mediale  Ast*)  ist  der  stärkere;  er  wendet  sich 
dem  medialen  Rande  des  Fiisses  zu ;  seine  Zweige  ^)  versehen  auf  dem  Wege 
dahin  die  Haut  des  Knöchels  und  Fussrückens  und  fliessen  zuletzt  mit  den 
Endzweigen  des  N.  saphenus  dergestalt  zusammen ,  dass  die  am  medialen 
Rande  des  Rückens  der  grossen  Zehe ,  zuweilen  auch  an  der  Rückseite  der 
nächsten  Zehenränder  hinziehenden  Fäden  als  Fortsetzungen  bald  mehr 
des  Einen,  bald  mehr  des  anderen  dieser  Nerven  erscheinen.  Der  laterale 
Ast  des  N.  peroneus  superfic.^')  versieht  die  Haut  des  lateralen  Theils  des 
Fussrückens   und    theilt   sich  zunächst  in   drei    Aeste ,    deren    jeder    wieder 


^)  N.  comraun.  ßbularls.  N.  cuianeus  cruris  post.  N.  cutaneus  post.  ext.  N.  saphenus 
peroneus.  Cruv.  N.  accessorius  sapheni  ext.  Sappey.  Radix  ext.  N.  sapiheni  ext.  Hir  Seh- 
feld. ^)  R.  cutaneus  peroneus  Cruv.  ^)  N.  cutaneus  ant.  N.  cutaneus  dorsi  pedis  comm. 
N.  cutaneus  peronei.  *)  iV.  dorsi  pedis  cutaneus  ant.  s.  int.  N.  pedalis  ant.  N.  peroneus 
int.  ^)  Criiveilhier  bezeichnet  einen  derselben  als  Malleolaris  ext.  '^)  N.  dorsi  pedis  cuta- 
neus medius.     N.  peroneus  ext. 


536 


N.  ischiadicus. 


Fig.  293. 


gabelig  sich  spaltet,  um 
die  Rr.  dorsales  je  zweier 
einander  zugewandter  Ze- 
henränder ,  vom  lateralen 
Rande  der  zweiten  bis  zum 
medialenRande  der  fünften, 
zu  liefern.  In  der  Regel 
lassen  die  beiden  Endäste 
des  N.  peroneus  superficia- 
lis eine  Lücke ,  die  den 
einander  zugekehrten  Rän- 
dern der  ersten  und  zwei- 
ten Zehe  entspricht  und 
überlassen  die  Versorgung 
dieser  beiden  Ränder  einem 
Endaste  des  N.  peroneus 
prof. ,  jedoch  nicht  ohne 
Anastomosen  mit  demsel- 
ben einzugehen.  Zu  dem 
am  Kleinzehenrande  hin- 
ziehenden Ende  des  N.  com- 
municans  tibialis  stehen 
die  lateralsten  Zweige  des 
N.  peroneus  superfic.  in 
demselben  Verhältniss,  wie 
die  medialsten  zum  Ende 
des  N.  saphenus. 

Der  N.  peroneus  prof.^) 
schickt  aus  dem  Zwischen- 
raum zwischen  den  Mm. 
peroneus  long,  und  ext. 
digit.  comm.  einen  Ast  oder 
zwei     dxirch       die      obere 

Zu  Fig.  293. 

Vorderfläche  des  Unterschenkels 
und  Rückenfläche  des  Fusses. 
Verästelung  des  N.  peroneus, 
pe?'' dessen  oberflächlicher,  per" 
dessen  tiefer  Ast.  Pel  Peb 
M.  peron.  long,  iind  br.  Fh  l 
M.  flexor  hall.  long.  Fdl  M. 
flexor  dig.  long.  Fhh  M.  flexor 
hall.  br.  Fdb  M.  flexor  dig. 
br.  cti  N.  commun.  tibialis. 
s  a  N.  saphenus. 


^)  N.  tibialis  anticus  Lan- 
genbeck.  R.  muscularis  N. 
peronei.  N.  inusculo  -  cutaneiis 
peroneus  ani.  s.  interosseus  Cruv. 


N.  ischiadicus.  537 

Spitze  des  letztgenannten  Muskels  quer  hinüber  zum  M.tibialis  ant.,  durchbohrt 
sodann  den  M.  extensor  dig.  comm.  in  schräger  Richtung  und  giebt  ihm  einen 
Zweig,  der  an  seiner,  dem  M.  extensor  hallucis  zugewandten  P'läche  sich  weit 
hinab  verfolgen  lässt.  Weiter,  zwischen  diesem  Muskel  und  dem  M.  tibialis  ant. 
vor  den  Vasa  tibialia  ant.  herabziehend,  sendet  der  N.  peroneus  prof.  dem  M.  ex- 
tensor hallucis  mehrere  Aeste  zu  und  erreicht,  ohne  durch  Abgabe  aller  dieser 
Muskelzweige  merklich  an  Kaliber  verloren  zu  haben,  mit  den  Gefässen  den 
Rücken  des  Fusses.  Oberhalb  des  Knöchelgelenks  trennt  sich  von  ihm  ein 
feiner  Ast,  der  sich  in  der  vorderen  "Wand  der  Kapsel  dieses  Gelenks  verliert 
(Rü  ding  er).  Auf  dem  Gelenk  spaltet  sich  der  Stamm  in  einen  medialen 
und  einen  lateralen  Ast.  Der  mediale  Ast-*)  geht  in  der  Flucht  des  Stam- 
mes im  ersten  Spatium  interosseum  vorwärts,  giebt  den  Gelenkkapseln  des 
medialen  Fussrandes  und  dem  ersten  M.  interosseus  dors.  Zweige  und  kommt 
in  der  Gegend  der  Zehentarsalgelenke  unter  der  Fascie  hervor ,  um  sich 
gabelförmig  in  die  dorsalen  Nerven  der  einander  zugekehrten  Ränder  der 
ersten  und  zweiten  Zehe  zu  spalten,  wenn ,  wie  dies  Regel  ist,  der  N.  pero- 
neus superficialis  dieselben  unversorgt  lässt;  im  anderen  Falle  geht  er  in 
die  entsprechenden  Aeste  des  N.  peron.  superfic.  über.  Der  laterale  Ast 2) 
wendet  sich  seitwärts  unter  die  kurzen  Muskeln  des  Fussrückens  und  löst 
sich  in  Zweige  auf,  welche  an  diese  Muskeln,  und  von  feinen  Aesten  aus, 
die  in  den  Intermetatarsalräumen  vorwärts  ziehen^),  an  die  Mm.  interossei 
und  die  Gelenke  des  Fussrückens  sich  vertheilen. 

Der  N.  tihialis'^)  sendet  im  oberen  Theil  der  Kniekehle  den  dem  N.  com-  xibiai. 
municans  peronei  entsprechenden  Hautnerven  ab,  sodann  Nerven  zur  Knie- 
gelenkkapsel und  zu  den  Wadenmuskeln  mit  Einschluss  des  M.  plantaris.  Der 
Hautnerve,  N.  Communiccms  tihialis  (Fig.  292)  •^),  trennt  sich  in  der  Regel  schon 
am  unteren  Drittel  des  Oberschenkels  vom  Stamme.  Während  dieser  unter 
dem  Sehnenbogen ,  von  welchem  die  Fasern  des  M.  soleus  zwischen  Tibia 
und  Fibula  entspringen,  in  die  Tiefe  geht,  setzt  der  N.  communicans  seinen 
Weg  an  der  hinteren  Fläche  des  M.  gastrocnemius  abwärts  fort,  längs  dem 
Sehnenstreifen ,  der  dessen  Köpfe  trennt ,  oder  in  einem  fibrösen  Canal ,  der 
die  Stelle  dieses  Sehnenstreifens  einnimmt  und  häufig  einen  Zweig  der  V. 
saphena  parva  mit  einschliesst.  Am  unteren  Drittel  des  Unterschenkels 
nimmt  der  N.  communicans  tibialis  den  N.  communicans  peronei  oder  einen 
Zweig  desselben  auf,  liegt,  nachdem  er  die  Fascie  durchbrochen,  dicht  am 
lateralen  Rande  der  Achillessehne,  wendet  sich  unter  dem  lateralen  Knöchel 
im  Bogen  vorwärts  und  zieht  am  Fussrande  hin  bis  zum  Endgliede  der 
fünften  Zehe.  Von  der  Umbiegungsstelle  gehen  Aeste'')  abwärts  zur  Haut 
der  Ferse,  zum  Knöchelgelenk  und  den  Sprungbeingelenken  (Rü  ding  er), 
von  dem  am  Fussrande  verlaiifenden  Theil  des  Nerven^)  strahlen  Aeste  spitz- 
winklig auf-  und  abwärts  aus ;  von  den  aufwärts  strahlenden  verbinden  sich  die 
vordersten  mit  den  seitlichsten  Aesten  des  N.  peroneus  superf.  (Fig.  293);  sie 


■')  R.  int.  profundus  dorsi  pedis.  ^)  E.  ext.  prof.  dorsl  pedis.  ^)  Nu.  interossei  Ru- 
di ng  er.  *)  N.  tihialis  post.  Langenbeck.  N.  popliteus  s.  popliteus  int.  ^)  N.  commu- 
nicans surae.  N.  cutaneus  long.  post.  tibiae.  N.  cutaneus  longus  cruris  et  pedis.  N.  cu- 
taneus  pedis  ext.  s.  tibialis.  N.  sapJtenus  inf.  N.  suralis.  ^)  Rr.  calcanei  externi  Cvuv, 
^)  N.  cutaneus  dorsi  pedis  ext. 


538 


K  iscliiadicus. 


Fig.  294. 


Garn 


Untprsclienkel  ,  hintere ,  etwas  medianwärts  gedrehte  Fläche ,  und  Sohlenfiäehe  des  Fusses. 
Verästelung  des  N.  tibialis  (ti).  Der  mediale  Kopf  des  M.  gastrocnemius  [Gavi]  durih- 
schnitten,    das    untere    Ende    rückwärts    umgelegt.      Pia    Bauch  des  M.  plantaris.     Po  M. 


N.  ischiadicus.  539 

können  dieselben  am  medialen  Rande  der  fünften  Zehe  und  nocli  weiter 
gegen  die  Mitte  des  Fusses  hin  vertreten. 

Von  den  Aesten  zum  Kniegelenk,  Br.  articulares  genu  i),  verlässt  Einer 
den  Stamm  in  gleicher  Höhe  mit  dem  N.  communicans  ,  einige  andere  ent- 
springen tiefer ,  zuweilen  in  Gemeinschaft  mit  einem  der  Muskelnerven. 
Sie  bilden  mitFädchen  aus  den  Gelenknerven  des  N.  peroneus  ein  Geflecht  2) 
um  die  Vasa  poplitea,  aus  welchem  Zweige  zur  hinteren  Kapselwand,  meist 
in   Begleitung  der  Gefässe,  hervorgehen. 

Die  Nerven  der  Wadenmuskeln  (Fig.  292)  sind:  vom  medialen  Rande  des 
N.  tibialis  ein  Ast  zum  medialen  Kopf  des  M.  gastrocnemius ,  vom  lateralen 
Rande  ein  Ast,  der  sich  weiterhin  in  zwei  theilt,  von  denen  der  Eine  dem 
lateralen  Kopf  des  M.  gastrocnemius  bestimmt  ist ,  der  andere  hinter  dem 
Bauch  des  M.  plantaris  zum  M.  soleus  herabsteigt,  in  den  er  sich  gabiig  ge- 
theilt  einsenkt.  Ein  dritter,  aus  der  Vorderfläche  des  N.  tibialis  hervor- 
gehender dünner  Muskelnerve  begiebt  sich  zur  Vorderfläche  des  M.  plantaris. 

Weiter  abwärts  in  der  Kniekehle  entspringen  nahe  bei  einander  oder  mit 
einem  gemeinschaftlichen  Stämmchen  (Fig.  294)  der  Nerve  des  M.  popliteus 
und  ein  Nerve ,  der  sich  in  Aeste  für  die  Mm.  soleus  und  tibialis  post.  theilt. 
Der  Nerve  des  M.  popliteus  zieht  vor  dem  Bauche  des  M.  plantaris  schräg 
lateralwärts  herab;  er  verbreitet  sich  im  M.  popliteus  von  dessen  unterem 
Rande  aus  iind  sendet  einen  Zweig  über  den  unteren  Rand  des  genannten 
Muskels  hinaus.  Dieser  Zweig,  der  N.lif/amenti  interossei  Fischer'^),  giebt 
einen  Faden  an  die  A.  tibialis  postica  und  einen ,  der  das  Gefäss  durch  den 
Schlitz  des  Lig.  interosseum  begleitet,  an  die  A.  tibialis  ant. ,  auch  ein 
Aestchen  zum  oberen  Tibiofibulargelenk  (Halbertsma).  Er  läuft  sodann 
zwischen  den  Lamellen  des  Lig.  inteross.  und  zuletzt  wieder  auf  dessen 
hinterer  Fläche  zum  unteren  Tibiofibulargelenk  herab ,  indem  er  nach  beiden 
Seiten  Aeste  an  das  Ligament  und  die  Unterschenkelknochen  abgiebt  und 
sich  allmälig  mehr  der  Tibia  nähert. 

Einmal  (unter  14  Tällen)  meint  Halbertsma  ein  kleines  Ganglion  am  unte- 
ren Ende  des  N.  ligam.  interossei  über  dem  unteren  Tibiofibulargelenk  gesehen 
zu  haben. 

Die  Zweige  für  den  M.  soleus  treten  in  die  vordere,  die  für  den  M. 
tibialis  in  die  hintere  Fläche  ihrer  Muskeln  ein. 

Etwa  am  unteren  Ende  des  oberen  Drittels  des  Unterschenkels  gehen 
einige  dünne  Aeste  aus  dem  N.  tibialis  hervor,  von  denen  sich  einer  tibialwärts 
zum  M.  flexor  dig.  long. ,  zwei  bis  drei  peronealwärts  zum  M.  flexor 
hallucis  long,  wenden.  Der  unterste  der  letztgenannten  Nerven  bleibt  auf 
der  Oberfläche  des  Muskels  bis  zum  Knöchelgelenk  sichtbar. 

Zu  Fig.   294. 

popliteus.      S  M.  soleus.      Tjj  M.  tibialis  post.     Fdl  M.  flexor  dig.    longus.      Fhl  M.  flexor 

hall.  long.   TA  Tenclo  Achillis.     Abh    M.    abductor    hallucis,    am    Ursprung   durchschnitten, 

das    Insertionsende    naedianwärts  unagelegt.       Fdb  M.  flexor  dig.  br.       cpp  N.  cutan.  plant. 

propr.     plm,  pll  N.  plantaris  lateralis  und  medial. 


^)  iV.  artic.  posi.  Cruv.  ^)  Plexus  popliteus  Eüdinger.  3^  Nervorum  lumbalium,  sa- 
cralium  et  extremitatum  inferiorum  descriptio.  Lips.  1791,  pag.  34.  N.  interosseus  cruris 
Halbertsma   (Müll.   Arch.    1847,   S.   303). 


540  N.  ischiadicus. 

Am  Knöchelgelenk  giebt  der  N.  tibialis  constant  unter  rechtem  Winkel 
Einen  Faden,  zuweilen  zwei  ab,  welche  zwischen  den  Sehnen  der  Mm.  flexor 
dig.  comm.  long,  und  tibial.  post.  zur  medialen  Wand  der  Gelenkkapsel 
verlaufen  (Rü  ding  er). 

Der  letzte  Ast  des  N.  tibialis  vor  dessen  'Enäth.eilung,  N.Cutaneusjtlan- 
taris  proprius  i),  geht  am  medialen  Knöchel  herab  zur  Haut  der  Ferse  und 
des  hinteren  Theils  der  Fusssohle  (Fig.  294.  295). 

Von  den  Nn.  plantares ,  deren  Stärke  ziemlich  gleich  ist ,  erreicht  der 
mediale  (jjZw)  die  Fusssohle  in  einer  fibrösen,  ihm  und  den  Vasa  tibialia  ge- 
meinsamen Scheide,  die  am  Unterschenkel  hinter,  in  der  Fusssohle  unter  der 
Scheide  der  Sehnen  der  Beugemuskeln  liegt,  und  läuft  am  medialen  Rande 
des  M.  flexor  digit.  brevis  vorwärts.  Nachdem  er  beim  Eintritt  in  die  Fuss- 
sohle den  Mm.  flexor  dig.  comm.  und  abductor  hallucis  je  einen  Zweig  ab- 
gegeben, theilt  er  sich  zunächst  in  zwei  Aeste(Fig  295).  Der  mediale  zieht 
unter  dem  M.  abductor  hall,  hin,  sendet  ein  Aestchen  dem  medialen  Kopf  des  M. 
flexor  hall.  br.  und  endet  als  medialer  Randnerve  der  grossen  Zehe;  der 
laterale  zerfällt  in  drei  oder  vier  Aeste,  drei  Nn.  digitales  comm.  und  einen 
nicht  ganz  beständigen  anastomotischen  Ast  zum  N.  digit.  comm.  aus  dem 
N.  plantaris  lateralis.  Die  Nn.  digitales  comm.  des  N.  plantaris  medialis 
gehen  an  die  einander  zugewandten  Ränder  der  ersten  und  zweiten ,  zweiten 
und  dritten,  dritten  und  vierten  Zehe ;  der  erste  hält  sich  an  den  medialen  Rand 
des  M.  flexor  dig.  br. ,  der  zweite  und  dritte  ziehen,  meist  aus  Einem  Stamme 
entspringend ,  vom  medialen  Rande  dieses  Muskels  aus  an  dessen  unterer 
Fläche  schräg  vorwärts.  Der  erste  R.  digit.  comm.  versieht  den  ersten  M. 
lumbricalis  oder  den  ersten  und  zweiten;  von  allen  drei  Rr.  digit.  kommen 
Hautnerven,  welche  sich  theils  am  medialen  und  vorderen  Rande  der  Plan- 
taraponeurose,  theils  durch  dieselbe  zur  Fusssohle  begeben. 

Der  N.  plantaris  lateralis,  welcher  sich  mit  den  gleichnamigen  Gefässen 
in  der  Aushöhlung  des  Fersenbeins  über  dem  M.  flexor  dig.  br.  lateralvor- 
wärts  wendet ,  ist  der  Hauptmuskelnerve  der  Fusssohle  und  insofern  dem 
volaren  Aste  des  N.  ulnaris  analog.  Der  erste  Muskelzweig  geht  an  der  un- 
teren Fläche  des  Lig.  calcaneo  -  cuboid.  plantare ,  unmittelbar  vor  dessen 
Ursprung,  fast  gerade  lateralwärts  zum  M.  abductor  dig.  quinti;  einer  oder 
zwei  feine  Zweige  verlaiifen  sodann  vom  Stamme  vorwärts,  um  sich  in  die 
imtere  Fläche  des  plantaren  Kopfes  des  M.  flexor  dig.  comm.  long,  einzu- 
senken'^). Danach  spaltet  sich  der  N.  plantaris  lateralis  in  drei,  in  verschiedener 
Weise  combinirte  Aeste .-  es  sind  der  N.  digit.  comm.  quartus  ,  der  laterale 
Randnerve  der  fünften  Zehe  und  ein  den  tiefen  Muskeln  der  Fusssohle  be- 
stimmter Ast.  Es  entspringen  aber  bald  die  beiden  Zehennerven ,  bald 
der  laterale  Zehennerve  mit  dem  tiefen  Muskelnerven  aus  einem  gemein- 
schaftlichen Stämmchen.  Der  N.  digit.  comm.  quartus,  der  Nerve  der  ein- 
ander zugekehrten  Ränder  der  vierten  und  fünften  Zehe,  tritt  um  den  late- 
ralen Rand  des  M.  flexor  dig.  br.  an  dessen  untere  Fläche  und  kreuzt  spitz- 
winklig die  Sehne  der  fünften  Zehe.     Von  ihm  stammen  die   Fäden  zu  den 


^)  N.  culanens  calcis.      N.  ühialis   ext.      N.  calcancus  int.    Cruv.  ^)  Aeste  zum  M. 

riexor    digit.    br.,    welche    von    Bock    und     sämmtlichen    deutschen    Handbüchern    angeführt 
werden,  konnte  ich  nicht  bestätigen. 


N.  iscliiadicus. 


541 


Fiff.  295. 


CjP£ 


Nerven  der  Fusssohle.  Aus  dem  M.  flexor  dig.  br.  {Fdh)  ist  ein  Stück  ausgeschnitten, 
der  Ursprung  rückwärts  gebogen.  Mm.  abductores  hallucis  {Ahh)  und  dig.  quinti  {,Ahq) 
am  Ursprung  durchschnitten  und  zur  Seite  gelegt.  Fdl  Sehne  des  M.  flexor  dig.  long. 
Fhl  Sehne  des  M.  flexor  hall.  long.  Fhh  Medialer  Kopf  des  M.  flexor  hall.  br.  Fdpl 
Plantarer  Kopf  des  M.  flexor  dig.  long.  Fq  M.  flexor  br.  dig.  quinti.  7^^  M.  inteross. 
plant.  3.  L!  M.  lumbricalis  lus.  plm,  pll  Nn.  plantares  medial,  und  lateral.  *  Motori- 
scher Ast  des  M.  flexor    dig.  br.  ,  am  Ursprung    abgeschnitten. 


542  N.  ischiaclicus. 

Mm.  lumbricales,  die  der  N.  plantaris  medial,  unversorgt  lässt ;  ein  Ast  dessel- 
ben geht  mit  einem  Aste  des  dritten  N.  digit.  comm.  die  erwähnte,  an  der  unte- 
ren Fläche  des  M.  flexor  dig.  hr.  befindliche,  schleifen-  oder  geflechtartige  Ana- 
stomose ein,  welche  feinen  Hautästen  den  Ursprung  giebt.  Ausserdem  sendet 
der  vierte  N.  digit.  comm.,  wie  die  übrigen,  eine  Reihe  feiner  Fäden  durch 
die  Plantaraponeurose  und  über  den  vorderen  Rand  derselben  in  die  Haut 
der  Fusssohle  und  insbesondere  des  Ballens. 

Die  zahlreichsten  und  ansehnlichsten  Hautnerven  gehen  vom  lateralen 
Randnerven  der  fünften  Zehe  zum  Fussrande  und  öfters  erscheint  als  ein 
Ast  dieses  Nerven  der  sogleich  zu  erwähnende  laterale  Zweig  des  tiefen 
oder  Muskelastes  des  N.  plantaris  lateralis. 

Dieser  pflegt  sich  nämlich  gabiig  zu  theilen  in.  einen  lateralen  und 
einen  medialen  Zweig.  Der  laterale,  der  sich  auf  den  Randnerven  der 
fünften  Zehe  versetzen  kann,  geht  gerade  vorwärts  zur  Basis  des  fünften 
Mittelfussknochens  und  vertheilt  sich  an  die  Mm.  flexor  br.  und  opponens 
dig.  quinti  und  an  die  Mm.  interossei  des  vierten  Intermetatarsalraumes. 
Der  mediale  Zweig  folgt  dem  vorderen  Rande  des  plantaren  Kopfes  des  M. 
flexor  dig.  long,  vor-  und  medianwärts,  und  zerfällt  über  den  Sehnen  dieses 
Muskels  in  eine  Anzahl  feiner  Aeste  für  die  beiden  Köpfe  des  M.  adductor, 
und  den  lateralen  Kopf  des  M.  flexor  hallucis,  so  wie  für  die  Mm.  interossei 
des  dritten  und  zweiten  Intermetatarsalraums. 

In  ihrem  weiteren  Verlauf  verhalten  sich  die  dorsalen  und  plantaren 
Randnerven  der  Zehen ,  wie  die  entsprechenden  Fingernerven.  Auch  be- 
züglich der  Pacini'schen  Körperchen  darf  ich  auf  die  Beschreibung  der 
Hand  verweisen.  Die  meisten  finden  sich  in  den  dicken  compacten  Binde- 
gewebslagen  am  lateralen  Rande  der  Fusssohle,  am  Ballen  und  in  den  Win- 
keln zwischen  den  Zehen  (Herbst)^). 

Var.  Der  vom  Ursprung  an  iu  seine  beiden  Endäste  getheilte  N.  ischiadicus 
tritt  mit  dem  Einen  Aste  (dem  N.  peroneus)  über  dem  M.  pyriformis  oder  durch 
denselben  hervor.     Sehr  selten  findet  die  Theilung  erst  unter  der  Kniekehle  Statt. 

Statt  des  N.  saphenus  versieht  der  Mnskelast  des  Vastus  medialis  die  Haut 
der  vorderen  Kniegegend  (Pye- Smith,  Howse  und  Davies  -  CoUey,  Gny's 
hosp.  rep.  XVI,  160).  Der  wechselnden  Art  des  Zusammenhangs  der  Nn.  commu- 
nicantes  tib.  und  peron.  habe  ich  oben  gedacht.  Eine  seltenere  Varietät  beschreibt 
Cruveilhier  (IV,  573),  Vei-einigung  beider  Nerven  schon  iu  der  Kniekehle  zu 
einem  einfachen  Stamm.  An  dem  von  Langenbeck  (Nenrol.  Taf.  VI,  Fig.  2) 
abgebildeten  Präparat  (Nr.  1114  unserer  Sammlung)  läuft  der  N.  commuu.  peronei 
gerade  herab  zum  Fussrande;  der  N.  comm.  tibialis  sendet  ihm  in  der  Mitte  der 
Wade  einen  Zweig  und  zerfällt  sodann  in  zwei  Aeste,  Einen,  der  sich  im  Fett 
hinter  dem  Knöchelgelenk  verliert  und  Einen,  der  mit  dem  Stamm  des  N.  tibialis 
vor  dessen  Theiluug  in  die  Nn.  plantares  verschmilzt. 

Nicht  selten  greift,  wie  erwähnt,  der  Endast  der  Nn.  communicantes  vom 
lateralen  Rande  der  fünften  Zehe  weiter  auf  dem  Rücken  des  Fusses  in  das 
Gebiet  des  N.  peroneus  superfic.  über.  In  einem  von  Pye-Smith,  Howse  und 
Davies  -  Colley  (a.  a.  0.)  beobachteten  Falle  erstreckte  er  sich  über  den  ganzen 
Fussrücken  bis  an  den  Ast  des  N.  peroneus  prof.  zur  zweiten  Zehe.  Der  N.  peron. 
superf.  endete  auf  dem  Rücken  des  Fusses. 

An  einem  meiner  Präparate  spaltet  sich  der  laterale  Ast  des  N.  pei-on.  superfic. 
iu  zwei  Zweige,  von  denen  der  Eine  an  die  vierte  Zehe  tritt,  der  andere  sich  mit 

^j  A.   a.   0.   S.   9. 


N.  ischiadicus. 


543 


Fiff.  296. 


Fig.  297, 


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544  N.  ischiadicus. 

dem  medialen  Aste  desselben  Nerven  kreuzt  und  zum  Theil  in  ihn  übergeht.  An 
einem  anderen  Präparat  entspringt  aus  der  Mitte  des  N.  tibialis  ein  Hautast,  der 
am  unteren  Ende  der  Tibia  aus  der  Fascie  hervortritt  und  vom  hinteren  Rande 
des  Knochens  aus  sich  über  der  medialen  Fläche  desselben  verzweigt. 

Einmal  trennte  sich  ein  Muskelast  des  Abductor  hallucis  schon  unter  der 
Mitte  des  Unterschenkels  vom  Stamm  des  N.  tibialis ,  verlief  medianwärts  neben 
demselben  zur  Pusssohle  und  spaltete  sich  in  derselben  in  zwei  Aeste ,  von  denen 
der  Eine  zum  N.  plantaris  int.  zurückkehrte.  Von  diesem  Nerven  erhielt  der 
Muskel  am  vorderen  Rande  des  Würfelbeins  einen  zweiten  Ast. 

An  dem  bei  Bock  (a.  a.  O.  Taf.  VI,  Fig.  4)  abgebildeten  Fusse  stehen  die 
beiden  plantaren  Randnerven  der  gi'ossen  Zehe  in  der  Fusssohle  durch  eine  schlei- 
fenförmige  Anastomose  in  Verbindung.  Die  Anastomose  zwischen  den  beiden 
Nn.  plantares  Avird  an  dem  von  Hirschfeld  und  Leveille  (pl.  LXIV,  Fig.  2)  ab- 
gebildeten Präparat  durch  einen  Ast  bewerkstelligt,  der  sich  im  hinteren  Theil 
der  Sohle  vom  N.  plantaris  lateralis  ablöst,  zwischen  den  beiden  Flexoren  vor- 
wärts geht  und ,  nachdem  er  zwischen  den  mittleren  Sehnen  des  M.  flexor  dig. 
br.  auf  dessen  untere  Fläche  gelangt,  in  zwei  Aeste  zerfällt,  die  sich  an  die  ein- 
ander benachbarten  Nn.  dig.  comm.  der  Nn.  plantares  laterahs  und  medialis 
anschliessen. 

Stellen  wir  übersicMlicli  die  Beziehung  der  Nerven  der  unteren  Extre- 
mität zu  den  Muskeln  zusammen,  so  ergiebt  sicli  Folgendes:  Die  Muskeln 
der  Vorderfläclie  des  Beckens  und  des  Obersclienkels  erhalten ,  mit  Aus- 
nahme des  M.  tensor  fasciae ,  den  der  N.  gluteus  sup.  versorgt,  ihre  motori- 
schen Aeste  vom  N.  cruralis.  Von  den  äusseren  oder  hinteren  Hüftmuskeln 
beziehen  ihre  motorischen  Aeste:  der  M.  gluteus  maximus  vom  N.  gluteus 
inf.,  die  Mm.  gluteus  medius  und  minimus  vom  N.  gluteus  sup.,  der  M.  pyri- 
formis  von  einem  directen  Ast  des  Plexus  ischiad. ,  zuweilen  auch  vom  N. 
gluteus  sup. ,  der  M.  obturator  int.  direct  vom  Plexus  ischiadicus  oder  vom 
N.  gluteus  inf.  oder  vom  N.  pudendo  -  haemorrhoid.  oder  vom  Stamme  des 
N.  ischiadicus,  der  M.  obturator  ext.  vom  N.  obturatorius.  Den  M.  quadrat. 
femoris  und  die  Muskeln  der  Beugeseite  des  Oberschenkels  versieht  der  N. 
ischiadicus.  Die  Zweige  zur  Musculatur  der  Adductoren  des  Oberschenkels 
mit  Einschluss  des  M.  gracilis  stammen  aus  dem  N.  obturatorius;  doch  wird 
der  M.  pectineus  avich,  und  zuweilen  ausschliesslich  vom  N.  cruralis,  der 
M.  adductor  magnus  auch  vom  N.  ischiadicus  innervirt. 

Der  N.  peroneus  versorgt  am  Unterschenkel  die  Muskeln  der  Vorder- 
und  Peronealseite,  am  Fuss  die  kurzen  Streckmuskeln,  einen  oder  einige  Mm. 
interrossei  dorsales,  vom  ersten  an;  den  Muskeln  der  Rückseite  des  Unter- 
schenkels und  der  Fusssohle  nebst  dien  übrigen  Mm.  interossei  liefert  der  N. 
tibialis  ihre  motorischen  Aeste.  Ein  Bild  der  Vertheilung  der  Hautnerven 
geben  die  Figuren  296  und  297. 


VI.    N.  und  Plexus  coccygeus. 

Coccyg.  Der  N.  coccygeus  verlässt ,   in    zwei   zarte   Aeste  gespalten ,    zwischen 

dem  ersten  und  zweiten  Steisswirbel  die  Wirbelhöhle.  Der  schwächere  hin- 
tere Ast  tritt  zwischen  dem  unteren  Rande  des  Steissbeinhorns  und  dem 
Lig.  sacrococcygeum  post.  supei'ficiale  (Bänderlehre  Fig.  33) ,  der  vordere 
Ast  unter  dem  Flügel  des  ersten  Steisswirbels  hervor. 


N.  sympathicus.  545 

"Was  man  Plexus  coccygeiis  nennt,  ist  der  vordere  Ast  des  N.  coccygeus  Piex.  cocc. 
in  Verbindung  mit  dem  unteren  Zweig  des  vorderen  Astes  des  fünften  Sa- 
cralnerven,  mit  dem  er  sicli  unmittelbar  nach,  dem  Austritt  vereinigt.  Aus 
dem  Winkel,  in  welchem  sie  zusammentreffen,  geht  in  der  Flucht  des  ab- 
steigenden Astes  des  Sacralnerven  ein  verhältnissmässig  starker  Nerve  her- 
vor ,  über  die  Insertion  des  M.  coccygeus  herab  und  um  den  unteren  Rand 
dieses  Muskels,  durch  die  Lücke  zwischen  ihm  und  dem  M.  ischiococcygeus 
nach  aussen  auf  die  Rückseite  des  Steissbeins;  er  nimmt  hier  den  hinteren 
Ast  des  N.  coccygeus  ganz  oder  theilweise  auf  und  zerfällt  strahlig  in  eine 
Anzahl  Fäden'),  welche  in  der  die  Spitze  des  Steissbeins  bedeckenden  Haut 
endigen. 

Feinere  Fädchen  entspringen  noch  im  Becken  zum  Theil  aus  diesem 
Nerven,  zum  Theil  mit  ihm  aus  demselben  Winkel  und  durchbohren,  median- 
abwärts  gerichtet,  die  Insertionssehne  des  M.  coccygeus,  wahrscheinlich  um 
ebenfalls  zur  Haut  zu  gelangen. 


C.     N.  sympathicus 2). 

Ich  habe  an  dem  sympathischen  Nervensystem  Grenzstrang ,  Wurzeln  c.  Sympath 
und  peripherische  Aeste  unterschieden  (S.  8.  332).  Der  Grenzstrang  ist 
ein  symmetrischer  verticaler  Nervenstrang,  der,  von  gangliösen  Anschwellungen 
unterbrochen,  jederseits  vor  den  Querfortsätzen  oder  auf  der  Vorderfläche  der 
Wirbelkörper  herabsteigt.  Die  Zahl  seiner  Ganglien,  wie  der  Wurzeln,  ent- 
spricht im  Allgemeinen  der  Zahl  der  Spinalnerven,  indem  der  Regel  nach 
von  dem  vorderen  Aste  dieser  Nerven  ein  Fädchen  sich  dem  Sympathicus 
zuwendet  und  jedesmal  die  Stelle,  an  welcher  dasselbe  den  Grenzstrang 
erreicht  und  sich  mit  ihm  verbindet,  von  einem  Ganglion  umgeben  ist.  Es 
kommen  beständige  und  unbeständige  Ausnahmen  vor ,  die  im  Grunde  nur 
scheinbar  sind  und  darauf  beruhen,  dass  benachbarte  Ganglien  zusammen- 
rücken und  in  Eins  verschmelzen.  Die  auf  zwei  oder  drei  reducirten  Gang- 
lien des  Grenzstrangs  am  Halse  bieten  ein  constantes  Beispiel  solcher  Ver- 
schmelzung dar;  gegen  das  combinirte  Ganglion  convergiren  die  Wurzeln  von 
mehreren  Spinalnerven  oder  legen  sich  an  den  Grenzstrang  zwischen  zwei  Gang- 
lien an.  Durch  eine  zuweilen  mit  einem  unpaaren,  medianen  Ganglion,  Ggl.  coc- 
cygeum,  versehene  Schlinge  zwischen  den  beiderseitigen  untersten  Knoten  des 
Grenzstrangs  wird  in  der  Regel  die  Ganglienkette  amunteren  Ende  des  Rumpfs 
geschlossen;  sie  stellt  demnach  eine  langgestreckte,  oben  offene  Ellipse  dar, 
die  sich  als  eine  Art  Centralorgan  des  sympathischen  Nervensystems  be- 
trachten lässt.  Die  zugehörigen  peripherischen ,  vorzugsweise  den  Einge- 
weiden bestimmten  Nerven  nehmen  grösstentheils  aus  den  Ganglien,  doch 
auch   zwischen   denselben    ihren   Ursprung,   sie   gelangen   für    sich  an   den 


1)  Nn.  anococcygei  Krause.  ^)  N.  sympath.  magnus.  N.  intercostalis  Willis  s.  inter- 
costalis  magnus.  N.  tnsplanchnicus  C haussier.  N.  gangliosus.  Sympathisches  oder  or- 
ganisches oder  vegetatives  oder  Eingeweidenervensystem.  Eumpfnervensystem  Burdach. 
Gangliensystem. 

Henle,   Anatomie.    Bd.  III.  Abthl.  2,  35 


546  N.  sympathicus. 

Ort  ihrer  Endigung  oder  schliessen    sich   an  cerebrospinale    Aeste    oder    Ge- 
flechte an. 

Die  aufgestellte  Eintheilung  genügt ,  um  in  der  anatomischen  Beschrei- 
bung des  Hals-  und  Rumpftheils  des  Sympathicus  jedem  Zweig  seine  Stelle 
anzuweisen;  sie  genügt  aber  schon  nicht  mehr  für  die  Verbindungen  des 
Ganglion  cervicale  supr.  mit  den  Hirnnerven ,  da  der  Verlauf  dieser  Verbin- 
dungsäste allein  zur  Entscheidung,  ob  sie  den  Wurzeln  oder  den  peripherischen 
Aesten  des  Rumpfnervensystems  analog  seien,  nicht  ausreicht.  Vollends  unzu- 
länglich erweist  sich  jene  Eintheilung  für  die  physiologische  Anwendung,  da 
es  der  Physiologie  nicht  auf  die  Richtung  der  Aeste,  sondern  der  Primitiv- 
fasern ankommt,  lieber  diese  haben  sich  im  Laufe  der  Zeiten  die  Ansich- 
ten mannichfach  umgestaltet :  es  haben  dabei  öfters  die  herrschenden  physio- 
logischen Theorien  das  Urtheil  des  Anatomen  bestimmt,  als  sich  dem  ana- 
tomischen Befund  angeschlossen,  und  dies  Verhältniss  besteht  aiich  noch 
heute,  wo  in  der  Physiologie  das  Experiment  die  Stelle  der  Theorie,  in  der 
Anatomie  das  Mikroskop  die  Stelle  des  Messers  eingenommen  hat. 

Die  ältesten  Beschreibungen  sonderten  den  Sympathicus  nicht  von  den 
übrigen  Hirnnerven ;  sie  leiteten  ihn  vom  N.  vagus  oder  vom  Abducens  und 
Trigeminus  (Vidianus)  ab  und  benutzten  seine  Verbindungen  mit  den  Rumpf- 
nerven zur  Erklärung  gewisser  Nerven  Sympathien.  Hall  er  war  der  Erste, 
der  den  Rr.  communicantes  der  Spinalnerven  gleiche  Bedeutung  mit  den 
zwischen  den  genannten  Hirnnerven  und  dem  obersten  Cervicalganglion  ver- 
laufenden Zweigen  zuschrieb  und  sie  demnach  sämmtlich  unter  dem  Begriff 
der  Wurzeln  des  Sympathicus  vereinigte^).  Indessen  war  Petit  (1727) 
dieser  Anschauung  vom  Ursprung  des  Sympathicus  gerade  mit  Bezug  auf 
die  Hirnnerven  entgegengetreten;  der  Einfluss,  den  seinen  Versuchen  zufolge 
der  Grenzstrang  des  Sympathicus  am  Halse  auf  die  Bewegungen  der  Iris 
übt,  zeugte  ihm  für  den  peripherischen,  d.  h.  gegen  die  Hirnnerven  aufwärts 
gerichteten  Verlauf  der  Fasern  der  sogenannten  Hirnnervenwurzeln.  Wins- 
low  verstärkte  das  Gewicht  dieses  physiologischen  Beweises  durch  anatomi- 
sche Gründe ,  das  in  der  Richtung  vom  Ggl.  cervicale  supr.  gegen  die 
Hirnnerven  abnehmende  Kaliber  der  Verbindungsäste  und  ihre  mit  dem 
spitzen  Winkel  abwärts  gerichtete  Anlagerung  an  die  Hirnnerven.  Die 
Beziehung  der  Rr.  communicantes  zu  den  durch  sie  verbundenen  Nerven- 
stämmen Hess  er  zweifelhaft,  aber  er  verglich  die  Ganglien  überhaupt  mit 
Gehirnen  im  Kleinen  und  nannte  sie  die  zerstreuten  Ursprungsstätten  des 
Sympathicus  2).  So  war  der  Boden  vorbereitet,  auf  welchem  B  ich  at 's  Lehre 
vom  Gegensatz  des  animalischen  und  organischen  oder  vegetativen  Nerven- 
systems zur  Herrschaft  gelangte.  E]s  war  zunächst  die  Regelung  der  auto- 
matischen und  instinctiven  Bewegungen,  sodann  die  Ueberwachung  der  Er- 
nährungs-  und  Secretionsvorgänge ,  für  die  das  organische  Nervensystem  in 
Anspruch   genommen  wurde.      Bichat   betrachtete  jedes  Ganglion   als   ein 


^)  „Ex  omniLus  omnino  spinalibus  nervis  natus."  Elementa  phj'siol.  IV,  254.  ^)  On 
les  peut  regardei"  comme  autant  d'origines  ou  de  germes  disperses  de  cette  grande  paire 
de  nerfs  sympathiques  et  par  consequent  comme  autant  de  petits  cerveaux  (Exposition  ana- 
tom.  de  la  structure  du  corps  humain.     T.   III,   §.  364). 


N.  sympathicus.  547 

selbständiges  Gebilde,  die  Summe  der  Ganglien  als  Analogon  des  Central- 
orgaus  des  animalischen  Lebens ,  die  Fasern  des  Grenzstrangs  ebensowohl 
wie  die  übrigen  Verbindungsfäden  der  Ganglien  unter  sich  und  mit  Cerebro- 
spinalnerven  als  wechselseitige  Anastomosen.  ReiP)  und  Meckel  erhoben 
den  Plexus  coeliacus,-  den  die  naturphilosophischen  Schriftsteller  mit  dem 
Namen  eines  Bauchgehirns  zu  belegen  liebten,  zum  Centralorgan  des  orga- 
nischen Nervensystems;  den  Grenzstrang  nennt  Reil  einen  Halbleiter,  der 
das  vegetative  System  gegen  das  animalische  umzäune  nnä  isolire ,  der 
aber  in  Krankheiten  zum  Conductor  werde. 

Nach  der  Scheidung  der  Centralorgane  der  beiderlei  Systeme,  des  ani- 
malischen und  vegetativen ,  vollzog  sich  die  Scheidung  ihrer  jperipherischen 
Nerven.  Joh.  Müller^)  führte  sie  auf  Grund  der  makroskopischen  Charak- 
tere durch.  Gestützt  auf  eigene  Beobachtungen  und  axif  die  Beobachtungen 
von  Retzius,  van  Deen  u.  A.  lehrte  er,  dass,  wie  die  Einmischung  der 
weissen  Nerven  in  gangliöse  feststand,  so  auch  die  grauen  Nervenstränge 
des  Sympathicus  von  den  Ganglien  aus  auf  Cerebrospinalnerven  übergehen 
und  alhnälig  mit  denselben  verschmelzen.  Er  folgerte ,  dass  alle  Nerven 
gemischt  seien  aus  animalischen  (empfindenden  oder  bewegenden)  und 
organischen  Fasern  und  dass  das  Gangliensystem  die  Quelle  der  organi- 
schen Fasern  sei,  welche  auch  in  den  zunächst  aus  ihm  entspringenden 
Nerven  das  Uebergewicht  haben  in  dem  Maasse ,  als  die  Gangliennerven 
mehr  den  Secretionsorganen  angehören. 

Der  letzte  Schritt  auf  diesem  Wege  erfolgte  durch  Remak's  Ent- 
deckung des  histologischen  Elementes  der  organischen  Nerven.  Es  durfte 
nun  nicht  mehr  von  der  Verschmelzung  weisser  und  grauer  Nerven  die 
Rede  sein;  die  Nervenfasern,  die  weissen  und  grauen  oder  gelatinösen, 
mussten  von  dem  Orte  ihrer  Vermischung  an  nach  ihren  verschiedenen 
Richtungen  verfolgt ,  die  vereinzelte  Faser  der  Einen  Art  musste  aus  den 
Bündeln  der  anderen  sortirt  werden.  Wenn  Remak's  Angabe,  dass  die 
gelatinösen  Nerven  aus  den  Nervenzellen  der  sympathischen  Ganglien  ent- 
sjDrängen  •^) ,  sich  bestätigte ,  so  war  der  Gegensatz  des  Animalischen  und 
Organischen,  den  die  Theorie  gefordert  hatte^  anatomisch  so  weit  begründet, 
dass  der  weiteren  Forschung  nur  das  Detail  des  Faserverlaufs  vorbehalten 
blieb. 

Aber  Remak's  Angabe  bestätigte  sich  nicht,  wenn  sie  auch  nicht  ent- 
schieden widerlegt  ist.  Anfang  und  Ende  der  gelatinösen  Fasern  sind  zur 
Zeit  noch  in  Dunkel  gehüllt.  Nicht  einmal  dem  Verdacht ,  Bindegewebe 
zu  sein,  sind  sie  ganz  entronnen,  während  andererseits  manche  Thatsacheu 
zusammentrafen,  um  sie  den  unzweifelhaften  animalischen  Fasern  zu  nä- 
hern, vor  Allem  ihre  Aehnlichkeit  mit  den  Fasern  des  N.  olfactorius,  mit 
den  embryonalen  Formen  und  mit  dem  Axencylinder  der  Cerebrospinal- 
fasern,  sodann  die  in  der  Scheide  der  letzteren  mittelst  gewisser  Präpara- 
tionsmethoden nachweisbaren  Kerne.  Man  kennt  sensible  Fasern  (der  Cor- 
nea, der  Cutis,  vieler  Schleimhäute),  die  vor  ihrer  peripherischen  Endigung 
die  Markscheide  verlieren   und   Verästelungen  und   Geflechte  mit  kernhalti- 


1)  Archiv  VII,   189.  ^)  Physiol.  3.  Aufl.  I,   676.       ^)    Monatsbericht  der  berl.  Aka- 

demie V.   12.  Mai   1853. 

35* 


548  N.  symi^athicus. 

gen  Anschwellungen  bilden,  und  man  findet  dagegen  dunkelrandige  Fasern 
an  Blutgefässen  und  in  Drüsen,  Organen,  von  welchen  man  am  ehesten 
erwarten  sollte,  dass  sie  von  sympathischen  Nerven  allein  versorgt  würden. 

Indess  führte  auch  die  Reflexion,  die  den  Gegensatz  zwischen  beiden 
Nervensystemen  aufgerichtet  hatte,  dazu,  ihn  wieder  zu  verwischen  und  es 
ereignete  sich  das  Gewöhnliche ,  dass ,  nachdem  zuerst  die  absolute  Abhän- 
gigkeit, dann  die  volle  Selbständigkeit  des  Gangliensystems  behauptet  wor- 
den war,  die  Ansichten  sich  zuletzt  auf  ein  Mittleres,  eine  theilweise  oder 
relative  Selbständigkeit  vereinigten. 

Der  Begriff  trophischer,  der  Ernährung  „vorstehender"  Nerven,  in  wel- 
chen zuletzt  das  Bichat'sche  Nervensystem  des  organischen  Lebens  aufge- 
gangen war,  hatte  etwas  Mystisches  und  Unbestimmtes.  Mit  den  geläuter- 
ten Vorstellungen ,  welche  man  von  der  Entwicklung  der  Organismen  aus 
der  Eizelle,  von  der  Bildung  und  Regeneration  der  gefäss-  und  nervenlosen 
Gewebe  gewonnen  hatte,  wollte  es  sich  nicht  vertragen.  Einem  Gewebe 
den  anderen  gegenüber  die  Rolle  einer  Art  Vorsehung  zuzutheilen.  Jeden- 
falls Hess  sich  ein  grosser  Theil  der  Erscheinungen,  derentwegen  die  tro- 
phischen  Nerven  herbeigezogen  waren,  namentlich  der  Collapsus  und  die 
Congestion  auf  psychische  und  andere  Nervenreize ,  recht  wohl  als  Folgen 
veränderter  Weite  der  Gefässe  begreifen.  So  wurde  gleichzeitig  von  zwei 
Seiten,  von  Stilling^)  und  mir 2),  der  Versuch  unternommen,  die  Wir- 
kungen, die  dem  sogenannten  organischen  Nervensystem  zugeschrieben  wor- 
den waren,  auf  Erregungszustände  der  motorischen  Nerven  der  Gefässwände 
zurückzuführen;  Stilling  verlangte  geradezu,  dass  der  bedeutungslose 
Name  Sympathicus  aufgegeben  und  durch  den  Namen  Vasomotorius  ersetzt 
werde. 

Wie  aber  die  organischen  Nervenfasern  in  die  Reihe  der  gewöhnlichen 
Bewegungsnerven  zurücktraten,  wurde  ihr  Ursprung  aus  Gehirn  und  Rücken- 
mark wahrscheinlicher.  Und'  da  die  Beobachtungen  sich  häuften, 
welche  einen  Einfluss  der  Reizung  von  Rückenmarksnerven  auf  Blutgefässe 
und,  wenn  auch  nicht  unbestritten,  von  Hirntheilen  und  Hirnnerven  auf  die 
Bewegungen  selbst  der  entlegensten  Eingeweide  constatirten ,  so  schwand 
allmälig  der  Glaube  an  die  besondere  Mission  des  sympathischen  Nerven- 
systems, und  es  begann  eine  Reihe  fruchtbarer  Untersuchungen,  die  sich  die 
Aufgabe  stellten,  die  Eingeweide-  und  Gefässnerven  durch  die  Ganglien  zu 
ihren  centralen  Ursprüngen  zu  verfolgen  und  den  Beitrag  oder  die  Bezie- 
hung der  Ganglien  zu  den  sie  durchsetzenden  Nerven  zu  ermitteln. 

Job.  Müller,  der  am  entschiedensten  den  Ursprung  ernährender  P^a- 
sern  aus  den  Ganglien  des  Grenzstrangs  vertrat,  war  es  auch,  der  die  aus 
dem  Rückenmark  entspringenden  Fasern  der  Rr.  communicantes  am  zuver- 
sichtlichsten den  übrigen  motorischen  und  sensiblen  Cerebrospinalfasern 
coordinirte  und  die  präciseste  Darstellung  ihres  Verlaufes  gab.  Was  in  dieser 
Beziehung  den  Gangliennerven  auszeichnet,  ist  nach  Müller^)  nur  die  Art, 
wie  er  seine  Wurzelfäden  sammelt  und  wieder  zu  peripherischer  Verbreitung 
abgiebt.     Die  von  den  Wurzeln  kommenden  Fäden  laufen  eine  Strecke  im 


J)  Unters,  über  die  Spinal-Irritation.     Lpz.   1840,  S.   163.        ^)  Pathol.  Unters.     Berlin 
1840,   S.   105.        3)  Physiol,   3.  Aufl.  I,   674. 


N.  sympathicus. 


549 


Fiff.  2c 


Grenzstrang  fort  und  gehen  dann  erst  von  ihm  ab,  einen  scheinbar  zusam- 
menhängenden Strang  vom  Ggl.  cervicale  siipr.  bis  zum  Gg\.  coccygeum 
bildend,  welchen  Müller  dem  M.  iliocostalis  vergleicht,  der  an  der  media- 
len Seite  Ursprünge  sammelt,  in  sich  einwebt  und  weiter  oben  lateralwärts 
als  Insertionszacken  wieder  abgiebt.  Er  stützt  sich  bei  dieser  Beschreibung 
auf  Thatsachen  der  vergleichenden  Anatomie^),  namentlich  auf  den  N.  sym- 
pathicus  der  Schlangen,  deren  Grenzstrang  dadurch  unvollkommen  ist,  dass 
stellenweise  die  Verbindungen  zwischen  den  Wurzelfäden  fehlen  oder  sehr 
dünn  sind.  Ziemlich  gleichzeitig  hatte  Valentin^)  durch  physiologische 
Versuche  von  allerdings  zweifelhaftem  Werth  ermittelt,  dass  in  den  Hirn- 
und  Rückenmarksnerven,  vom  Oculomotorius  an,  bewegende  Fasern  successiv 
tiefer  gelegener  Eingeweide  enthalten  seien,  und  unter  dem  Namen  „Lex 
progressus"  das  Gesetz  des  Faserverlaufs  aufgestellt,  welchem  gemäss  Bün- 
del höherer  Nerven  sich  Strecken  weit  an  tiefer  entspringende  anschliessen, 
im  sympathischen  System  zwei,  drei  und  mehr  Ganglien  durchziehen,  bevor 
sie  ihren  Weg  in  peripherischer  Richtung  fortsetzen.  Mich  führten  Er- 
wägungen über  die  Sympathien  zwischen  inneren  und  äusseren  Körperthei- 

len'^)  zu  einem  ähnlichen  Resultat  in 
BetrefF  der  sensiblen  Nerven.  Wo  solche 
Sympathien  sich  durch  Schmerzen  äus- 
sern, wie  durch  Kopfschmerz  beim  Ma- 
gencatarrh ,  durch  Schmerzen  im  Nacken 
bei  Herzleiden ,  durch  Schmerzen  der 
Schultergegend  bei  Leberleiden  u.  s.  f., 
da  liegt  die  sympathisch  afficirte  äussere 
Region  höher  als  das  Eingeweide.  Und 
wenn  ich  das  Richtige  getroffen  habe,  als 
ich  die  Sympathien  von  einander  abge- 
legener Körpertheile  aus  einer  gegen- 
seitigen Annäherung  der  Wurzeln  ihrer 
Nerven  im  Centralorgan  erklärte,  so 
durfte  ich  schliessen,  dass  die  Nerven 
der  Eingeweide  auf  ihrem  Wege  zum 
Rückenmark  sich  an  Stämme  anlegen, 
deren  directer  Verbreitungsbezirk  am 
Stamme  höher  oben  liegt.  Ein  nach  die- 
sen Vorstellungen  construirtes  Schema 
des  Faserverlaufs  im  Grenzstrange  zeigt 
Fig.  298.  Sie  bietet  aber  zugleich  in 
dem  punktirten  Aste,  der  von  dem  mit 
5  bezeichneten  Stamme  ausgeht,  das 
Bild  einer  Ausnahme  dar,  von  der  man 
sagen  darf,  dass  sie  die  Regel  erläutere. 
Es  sind  die  Fasern  des  Centrum  cilio- 
spinale  (S.  81)  und  der  Gefässnerven   der  Ohrgegend,   die   sich   mittelst  des 


1)  Vergleichende  Neurologie  der  Myxinoiden.     Berl.   1840,    S.   56. 
nervorum  p.   66.         ^)  Rationelle  Pathologie    I,  223. 


De  functionibu.s 


550  N.  sympathicus. 

physiologischen  Experiments  von  den  Wurzeln  der  unteren  Cervical  -  und 
oberen  Dorsalnerven  in  den  Grenzstrang  des  Sympathicus  am  Halse  und 
in  diesem  aufwärts  verfolgen  lassen. 

Dass  Fasern  im  Grenzstrang  des  Halses  aufwärts  gehen,  ist  auch  durch 
die  Waller 'sehe  Methode  erwiesen,  indem  Knoch^),  wenn  er  bei  Hunden 
und  Kaninchen  den  Nervenstamm  von  dem  Einen  oder  anderen  Ganglion 
abtrennte,  die  Nerven  atrophisch  werden  sah ,  die  den  Zusammenhang  mit 
dem  nächst  unteren  Ganglion  eingebüsst  hatten. 

Ist  Gehirn  und  Kückenmark  als  Hauptquelle  der  Nerven  anerkannt, 
die  man  nach  ihrem  weiteren  Verlauf,  ihren  Zielpunkten  oder  ihrer  Function 
zum  Sympathicus  rechnet ,  so  bleibt  die  Bedeutung  der  Ganglien  zu  erfor- 
schen, mit  welchen  dieser  Nerve,  vom  Grenzstrang  an,  so  reichlich  versehen 
ist.  So  lange  man  an  dem  Gegensatz  des  organischen  und  animalischen 
Nervensystems  festhielt,  hatte  das  organische  ein  Privilegium  auf  Ganglien; 
ein  Ganglion  war  damit  erklärt,  dass  es  am  Zusammenfluss  eines  animali- 
schen mit  einem  organischen  Nerven  lag,  und  die  Spinalganglien  dienten 
zum  Beweis ,  dass  sich  sympathische  Fasern  im  R.  communicans  zu  den  hin- 
teren Wurzeln  erstreckten.  Verständlicher  fasst  man  jetzt,  wie  ich  es  schon 
oben  bezeichnete ,  die  Ganglien  als  eine  Art  von  Filialanstalten  des  Haupt- 
centralorgans  auf.  Als  solche  dürften  sie  deren  Kräfte  theilen  und,  wenn 
sie  nicht  selbst  Nerven  den  Ursprung  geben,  doch  das  Centralorgan  in  der 
Ernährung  der  Nervenfasern  unterstützen,  oder  innerhalb  ihres  beschränkten 
Gebietes  die  Sympathien  der  Nervenfasern  vermitteln,  oder  endlich,  gleich 
den  Centren  des  Ceutralorgans ,  eine  Anzahl  Nerven  zu  gemeinsamer  und 
geordneter  Thätigkeit  verbinden. 

Ob  aus  Ganglien  Nervenfasern  entspringen,  ist  eine  Frage,  die  man  zu- 
nächst anatomisch  zu  beantworten  suchen  musste.  Es  giebt  dafür  dreierlei 
Anhaltspunkte :  die  Gestalt  der  Nervenzellen ,  die  vergleichende  Zählung 
der  ein  -  und  austretenden  Fasern  und  die  Vergleichung  ihrer  Formen. 
Was  die  Gestalt  der  Nervenzellen  ergiebt,  habe  ich  oben  S.  21  u.  ff.  zu- 
sammengestellt. Zu  einer  Vermehrung  der  Fasern  in  den  Ganglien  könn- 
ten nur  unipolare  Zellen  oder  Zellen  mit  mehreren  Fortsätzen  beitragen, 
wenn  die  letzteren  sämmtlich  oder  in  ihrer  Mehrheit  peripherisch  gerich- 
tet wären.  Aber  unipolare  Zellen  sind  mit  einiger  Sicherheit  nur  in  den 
Spinalganglien  nachgewiesen  und  die  Richtung  der  Fortsätze  der  multipo- 
laren Zellen  der  sympathischen  Ganglien  ist  unbekannt.  Die  Zählung  der 
Fasern  hat  aber  allerdings  häufig  ein  üebergewicht  auf  Seiten  der  peripheri- 
schen Aeste  ergeben  (s.  S.  22),  ein  Üebergewicht,  welches  nach  Kölliker, 
Volkmann 2)  und  Bidder-^)  auf  dem  Hinzutreten  der  feineren,  dem  Sym- 
pathicus eigenen  Fasern  beruht. 

Zugegeben,  dass  hiermit  der  Zuwachs  an  Fasern  in  den  Ganglien  ana- 
tomisch festgestellt  sei ,  so  sind  über  die  physiologische  Bedeutung  dieses 
Zuwachses  drei  Vermuthungen  möglich ,  zwischen  welchen  die  Wahl  nur 
durch  das  physiologische  Experiment  entschieden  werden   kann.     Entweder 


^)  De  n.  sympathici  vi  ad  corporis  temperiem  etc.     Dorpat  1855,  p.   58.  ^)  Bei 

Bidder,    zur    Lehre  von    dem  Verhältniss    der    Ganglienkörper    zu  den   Nervenfasern.     Lpz. 
1847,   S.   66.     3)  Archiv  für  Anatomie   1866,  S.  352. 


N.  sympathicus.  551 

sind  die  neuen  Fasern  selbständige,  die  ihren  centralen  Herd  im  Ganglion 
haben,  oder  es  sind  den  terminalen  Theilungen  der  sensibeln  und  motori- 
schen Nervenfasern  analoge  Theilungsäste  der  eintretenden  Fasern ,  wodurch 
nur  das  Verbreitungsgebiet  der  letzteren  vergrössert  wird,  oder  endlich  es 
sind,  in  Beziehung  zu  den  Ganglien,  centripetale  und  centrifugale,  zwischen 
denen  in  dem  Ganglion  eigene,  von  Gehirn  und  Rückenmark  unabhängige 
Communicationen  Statt  finden. 

Die  erste  Vermuthung  ist  dadurch ,  dass  Ursprünge  der  Eingeweide- 
und  Gefässnerven  im  Rücken-  und  verlängerten  Mark  nachgewiesen  sind 
(S.  80.  303)  nicht  völlig  widerlegt.  Denn  es  bliebe  denkbar,  dass  das  Gang- 
liensystem einen  Theil  der  Gefässnerven  lieferte  und  dies  ist  auch  das  Re- 
sultat der  Versuche  von  Pincus^).  Auf  die  Zerstörung  des  Ggl.  coeliacum 
folgten  viel  bedeutendere  Nutritionsstörungeu  der  Darmschleimhaut,  als  auf 
die  Trennung  der  aus  dem  Grenzstrang  stammenden  Gefässnerven  des  Darms, 
welche  übrigens  Pincus  nicht  vom  Rückenmark,  sondern  von  Spinal-  und 
Grenzganglien  ableitet.  Bei  der  zweiten  Vermuthung,  dass  die  Nerven- 
fasern in  den  Ganglien  durch  Theilung  sich  vermehren,  ergäbe  sich  zwischen 
diesen  Theilungen  und  den  terminalen  Theilungen  cerebrospinaler  Nerven 
der  Unterschied,  dass  die  ersteren  durch  Vermittelung  von  Nervenzellen  er- 
folgten^). Die  dritte  Vermuthung  fühi't  uns  zu  den  Betrachtungen  über  die 
Kräfte  der  grauen  Substanz  zurück. 

Der  Gedanke,  dass  die  Ganglien  dazu  vorhanden  seien,  um  Sympa- 
thien ,  namentlich  Reflexbewegungen  zu  vermitteln ,  liegt  nahe  und  ist  in 
verschiedenen  Modificationen  immer  wieder  aufgetaucht.  Arnold  wurde 
durch  die  Voraussetzung,  dass  jedes  Sinnesorgan  eines  Ganglion  bedürfe, 
lim  durch  Anregung  von  Muskelthätigkeit  oder  Secretionen  die  Schärfe  der 
Eindrücke  zu  massigen,  zur  Entdeckung  des  Ggl.  oticuin  geführt.  Versuche, 
die  den  Beweis  liefern  sollten ,  dass  schon  im  Ggl.  linguale  Reflexe  von  den 
Fasern  des  N.  lingualis  auf  die  secretorischen  Nerven  der  Sublingualdrüse 
Statt  finden,  haben  Bernard^),  Bidder*),  Kühne  5)  und  Eckhard«^) 
angestellt,  mit  verschiedenem  Erfolg ,  den  Schifft)  daraus  erklärt,  dass  nur 
bei  grossen,  nicht  aber  bei  kleinen,  iiiid  mittleren  Hunden  mit  den  Aesten 
des  N.  lingualis  ein  rückläufiger,  centrifugaler  Drüsennerve  zur  Gland.  sub- 
maxillaris  geht,  der  bei  Reizung  des  Lingualis  mit  getroffen  wird ;  ich  habe 
oben  (S.  333)  der  Hypothese  von  den  excitomotorischen  Faseni  gedacht, 
mit  welchem  Namen  man  centripetale  Fasern  belegt  hat,  die,  ohne  Empfin- 
, düngen  zu  erregen,  Reflexbewegungen  auslösen,  und  ich  habe  die  Berech- 
tigung dieser  Hypothese  für  die  Organe  anerkannt ,  die  auf  Reize  reagiren, 
welche  niemals  zum  Bewusstsein  gelangen.  Ein  Organ  dieser  Art  ist  der 
Verdauungstractus,  dessen  Inhalt,  wo  er  die  Schleimhaut  berührt,  durch  ent- 
sprechende Muskelcontractionen  weiter  gefördert  wird,  ohne  dass  unsere 
Seele  weder  von  der  Berührung,  noch  von  der  Contraction,  Kunde  erhält. 
Dass  die  in  die  Darmnerven  eingestreuten  Ganglien  die  Herde  dieses  unbe- 


1)    Meissner's  Jalivesbericht    1856,    S.   357.  ^)  Bidder,    Archiv  für  Anat.  1866. 

S.   353.     S)Meis^sn  er 's  Jahresbericht    1862,    S.   419.     4)  ßbendas.  1866,  S.  381.     5)  Lehrb. 
der  physiol.    Chemie    Lpz.   1866,   S.     3.  «)   Meissner's    Jahresbericht   1867,  S.  421. 

^)  Ebendas.   1867,  S.  421   und  1868,  S.   337. 


552  N.  sympathicus. 

wussten  Reflexes  seien,  habe  ich  vor  langer  Zeit  i)  aus  einer  Reihe  an  Säuge- 
thieren  angestellter  Versuche  erschlossen.  Ich  fand,  class,  wenn  man  dea 
Darm  eines  eben  getödteten  Thieres  dicht  am  Mesenterium  abschneidet  und 
reizt,  eine  ringförmige  Contraction  entsteht,  die  auf  eine  kurze  Strecke 
peristaltisch  fortschreitet;  wurde  der  Darm  mit  dem  Mesenterium  ausge- 
schnitten, so  dass  die  Ganglien  der  Darmnerven  oder  wenigstens  ein  Theil. 
derselben  mit  dem  Darm  in  Verbindung  blieben,  so  konnte  man  von  einer 
gereizten  Stelle  aus  die  peristaltische  Bewegung  schon  viel  weiter  sich  er- 
strecken sehen;  so  lange  der  Darm  noch  mit  dem  Rückenmark  in  Verbin- 
dung steht,  geräth  er  dixrch  Reizu.ng  Einer  Stelle  in  seiner  ganzen  Länge 
in  Bewegung.  Meine  Angaben  wurden  von  Budge"^)  und  Kölliker'')  be- 
stätigt, von  anderen  Experimentatoren  theilweise  in  Zweifel  gezogen.  So 
beobachteten  Volkmann^)  und  Longet5),der  Erste  bei  Fröschen,  der 
Letztere  bei  Säugethieren,  und  zwar  ebenfalls  bei  unversehrtem  Rückenmark, 
fortschreitende  Darmbewegungen,  behaupten  aber,  dass  nach  Zerstörxmg 
des  Rückenmarks  jede  Reizung  nur  einen  localen  Effect  habe.  Pickford") 
konnte  an  Fröschen  bei  unversehrtem  Rückenmark  nur  örtliche  Zusammen- 
ziehungen erzielen  und  findet,  dass  die  Gegenwart  des  verlängerten  Marks 
nothwendig  sei,  wenn  Reizungen  des  Darms  zu  ausgebreiteten  Bewegungen 
desselben  Anlass  geben  sollen.  Die  neuesten  Mittheilungen  Engelmann' s') 
über  die  Structur  des  Ureters  stellen  aber  den  Antheil  der  Ganglien,  ja 
der  Nerven  überhaupt  an  den  peristaltischen  Bewegungen  in  Frage,  wenn 
es  richtig  ist,  dass  diese  Bewegungen  an  Stücken  des  ausgeschnittenen  Ure- 
ters zu  Stande  kommen,  die  nirgends  Ganglien  und  eine  im  Verhältniss  zu 
den  Muskelfaserzellen  nur  geringe  Anzahl  von  Nervenendigungen  ent- 
halten. 

Auch  über  den  Einfluss,  den  die  Ganglien  auf  die  Ernährung  der 
Nervenfasern  üben,  ist  nur  Fragmentarisches  und  Widersprechendes  zu  be- 
richten. Neben  Waller  (S.  22.  338)  hat  allein  Schifft)  dem  Gegenstande 
Beachtung  geschenkt  und  das  Resultat  in  Betreff  der  Spinalganglien  dahin  zu- 
sammengefasst,  dass  jede  Nervenfaser  in  der  Nähe  ihres  Ursprungs  einen  Cen- 
tralpunkt  der  Ernährung  habe,  der  bei  den  sensibeln  Fasern  zwar  im  Niveau 
der  Ganglien,  aber  nicht  in  den  Ganglienzellen  selbst  liege.  Den  Ganglien 
der  Zunge ,  der  Lunge  ,  dem  Ggl.  cervicale  supr.  spricht  S  c  h  i  f  f  die  Fähig- 
keit ab,  die  dieselben  durchsetzenden  oder  von  ihnen  ausgehenden  Nerven- 
fasern zu  erhalten. 

Ganglien   oder   Gangliengruppen  den  im  Gehirn  und  Rückenmark  ent- 
•  haltenen  sogenannten   Bewegungscentren  an  die  Seite  zu  stellen,  dazu  sieht 
man  sich  durch  das  Verhalten  des  Herzens  aufgefordert.     Da  dasselbe,   aus- 
geschnitten, seine  Contractionen  rhythmisch  und  in  regelmässiger  Folge  eine 
Zeit  lang  fortsetzt  und,  wenn  sie  erloschen   sind,   aiif  Reizung  wieder    auf- 


1)  Pathol.  Unters.  (1840),  S.  92.  Allg.  Anat.  S.  724.  ^)  Unters,  über  das  Nerven- 
system. Hft.  II,  Frkf.  1842,  S.  178.  ^)  Die  Selbständigkeit  und  Abhängigkeit  des  sympath. 
Nervensystems.  S.  34.  *)  Müll.  Arch.  1838,  S.  29.  &)  Anatomie  et  physiologie  du  syst. 
nerveux,  II,  577.  ")  Archiv  für  physiolog.  Heilk.  1843,  S.  422.  '')Bouvin,  over  den  botiw 
en  de  beweging  der  ureteres.  Utrecht  1869.  ^)  Archiv  für  physiolog.  Heilk.  1852,  S.  148; 
1853,  S.   384.  Archiv  für  wissenschaftl.   Heilk.  I,   609. 


Grenzstrang.  553 

nimmt,   so  kann   man  das  Organ,  welches  die  motorischen  Nerven  des  Her- 
zens zu  geordneter  Thätigkeit  combinirt,  nur  in  diesem  selbst  suchen. 


Die  peripherischen  Aeste  des  Sympathicus  zeigen  manche  Eigenthüm- 
lichkeiten.  Zwar  sendet  der  Grenzstraug  einzelne  Nerven  aus ,  die ,  wie 
z.  B.  die  Nn.  splanchnici ,  den  Cerebrospinalnerven  an  Weisse  kaum  nach- 
stehen und  fast  nur  dunkelrandige  Fasern  enthalten;  im  Allgemeinen  aber 
ist  in  den  sympathischen  Zweigen  die  Zahl  der  gelatinösen  Fasern  eine  bei 
weitem  überwiegende  und  verräth  sich  dies  Uebergewicht  durch  das  gallert- 
artige Ansehen  der  Nerven,  die  deshalb  den  Namen  der  „grauen"  erhalten 
haben. 

Die  Neigung,  mit  den  Blutgefässen  zu  verlaufen,  theilen  die  sympa- 
thischen Nerven  mit  den  cerebrospinalen ;  aber  während  die  letzteren  als 
einfache  oder  höchstens  spitzwinklig  getheilte  Stämme  und  Stäramchen 
neben  den  Arterien  hergehen ,  umspinnen  die  sympathischen  Nerven  die 
Ai-terien  bis  in  ihre  feineren  Verzweigungen  mit  engen  oder  weiten  Netzen, 
aus  welchen  auch  die  Fäden  zur  Gefässwand,  Fäden  von  0,2"'^^  Durchm.  und 
darunter,  entspringen. 

An  bestimmten  Stellen  sind  die  sympathischen  Geflechte  mit  Ganglien 
versehen  imd  diese  können  so  mächtig  werden  ,  dass  das  Geflecht  das  An- 
sehen einer  von  rundlichen  Oeffnungen  oder  Spalten  durchbrochenen  gang- 
liösen  Platte  erhält  (Ggl.  coeliacum).  Kleinere,  durch  eine  geringere  Zahl 
von  Nerven  Zeilen  bedingte  Anschwellungen  kommen  zerstreut  und  unbe- 
ständig an  den  die  Gefässe  umgebenden  sympathischen  Zweigen  vor.  Sie 
werden  wieder  relativ  zahlreicher  an  den  letzten  Verästelungen  der  sym- 
pathischen Nerven  in  der  Substanz  des  Herzens,  der  Speicheldrüsen,  in  den 
"Wänden  des  Magens  und  Darms  u.  A. 

a.    Grenzstrang  ^). 
Der   Grenzstransj   des  Sympathicus   besteht   aus   der  Kette  der   Grenz-  a.  Grenz- 

.  .  .  .  Strang. 

ganglien  und  den  dieselben  verbindenden,  einfachen  oder  getheilten  Nerven- 
strängen. 

Die  letzteren  haben '  eine  weisse  oder  weissliche  Farbe ,  die  von  der 
Farbe  der  Cerebrospinalnerven  kaum  verschieden  ist,  und  enthaltenin  weit  über- 
wiegender Zahl  dunkelrandige  Fasern,  stärkere  von  0,0056  bis  0,013  und  fei- 
nere von  0,0026  bis  0,0033°^"^  Durchmesser,  die  theils  in  gesonderten  Bün- 
deln, theils  gemengt  verlaufen  (Kölliker). 

Vor  dem  Querfortsatz  des  zweiten  oder  dritten  Halswirbels  hinter  der 
Carotis  int.  beginnt  der  Grenzstrang  mit  dem  G-gl.  cervicale  supr.'^),  einer 
platten,  spindelförmigen  Anschwellung,  welche  in  der  Regel  etwa  20  Mm, 
lang  und  6  bis  8  Mm.  breit  ist,  aber  mancherlei  Varietäten,  bald  breitere, 
bald  schlankere  Formen,  zuweilen  auch  Einbiegungen  der  Ränder  zeigt, 
die  als  Spuren  einer  Zusammensetzung  aus  mehreren  Knoten  gedeutet  wer- 


■'■)  Hauptstrang.     Knotenstrang.       ^)    Ggl.  fusiforme  s.  olware.      Ggl.  cervicale  magnum. 


554 


Fig.  299. 


^8.=^b3 


Grrenzstrang. 

den.  Die  obere  Spitze,  deren  Abstand 
vom  Eingang  des  carotischen  Canals 
2  bis  3  Cm.  misst,  sendet  Fäden  auf- 
wärts zii  den  letzten  Hirnnerven  und 
setzt  sich  längs  der  Carotis  interna  auf- 
wärts fort  als  einfacher  Stamm,  welcher 
weiterhin  in  das  die  Arterie  umspinnende 
Geflecht  zerfällt.  Der  hintere  Rand 
nimmt  Er.  communicantes  der  3  oder 
4  oberen  Cervicalnerven  auf,  der  vor- 
dere Rand  giebt  einer  Anzahl  feiner 
Aeste  den  Ursprung,  die  mit  Aesten  von 
Hirnnerven  zusammentreten.  Aus  der 
unteren  Spitze  geht  in  der  Gegend  des 
vierten  bis  sechsten  Halswirbels  der 
Strang  hervor,  der  gerade  absteigend, 
die  Verbindung  des  oberen  Cervicalgang- 
lion  mit  dem  unteren  hei-stellt.  Er  ist 
von  veränderlicher  Stärke  und  Farbe, 
dünner,  wenn  er  sich  in  seiner  Farbe 
mehr  den  Cerebrospinalnerven  nähert, 
öfters  von  Anfang  an  oder  erst  im  weite- 
ren Verlauf  in  zwei  Fäden  getheilt,  die 
in  Form  einer  Schlinge^)  die  A.  subcla- 
via oder  auch  die  A.  vertebralis  umgrei- 
fen (Fig.  299).  Der  einfache  Strang  oder, 
wenn  deren  zwei  sind,  der  stärkere  läuft 
hinter  der  A.  subclavia,  meistens  auch 
hinter  der  A.  thyreoidea  inf.  herab. 

Das     G(;l.    ccrvicale    inferms'^)    ist 

Zu  Fig.  299. 

Grenzstrang  cles  N.  sympathicus.   1  A.  vertebralis. 

2  A.  subclavia  dextra,  mich  links  srezogen. 


^)  Alisa  Vieussenü.  ^)  Ggl.  tJwt'acicum  pri- 
mum  Neubauer.u.  A.  Gyl.  vertehrale  Arnold. 
Es  besteht  eine  Verwirrung  in  den  Benennungen 
dieses  Ganglion  und  der  beiden  nächst  gelegenen, 
des  Ggl.  dors.  primura  und  des  unbeständigen 
Ggl.  cervicale  medium ,  die  nur  dadurch  zu  be- 
seitigen ist,  dass  man  sich  eines  sicheren  Crite- 
riums  für  die  Bestimmung  dieser  Ganglien  be- 
dient. Als  ein  solches  kann  weder  die  Grösse, 
noch  die  Lage  gelten,  da  beides  individuellen 
Schwankungen  untei'worien  ist.  Einen  festeren 
Anhaltspunkt  gewährt  die  Verbindung  mit  den 
Cerebrospinalnerven  und  so  nenne  ich  erstes 
Ganglion  dorsale  dasjenige,  welches  seinen  R. 
communicans  vom  ersten  Dorsalnerven  empfängt ; 
das  aufwärts  zunächst  gelegene  und  meist  dicht 
anstossende    erweist    sich    demnach    als    unterstes 


Grenzstrang,  555 

platt ,  kreisrund ,  sternförmig  wegen  der  nach  verschiedenen  Seiten  von  ihm 
ausstrahlenden  Nerven;  es  übertrifft  in  der  Regel  an  Umfang  das  zunächst 
sich  anschliessende  erste  Dorsalganglion,  doch  kehrt  sich  zuweilen  das  Ver- 
hältniss  um.  Seine  Lage  hat  das  Ggl.  cervic.  inf.  aiif  dem  Gelenk  des 
Köpfchens  der  ersten  Rippe  mit  dem  Körper  des  ersten  Brustwirbels.  Das 
erste  Dorsalganglion  liegt  etwas  weiter  seitwärts  auf  dem  oberen  Rande 
des  Köpfchens  der  zweiten  Rippe. 

Sehr  häufig  unte^-^Mcht  den  Grenzstrang  am^j^alse  eine  gangliöse  An- 
schwellung, welche  zwischen  dem  oberen  und  „unteren  Cervicalganglion  in 
der  Mitte  oder  dem  unteren  näher  liegt,  das  G-gl.  catmcale  mecUm'^j^).  Es  ist 
kleiner ,  als  die  beiden  beständigen  Ganglien,  spindel-  oder  linsen-~öder  ku- 
gelförmig, zuweilen  in  zwei  oder  drei  Knötchen  zerfallen;  Wenn  der  Grenz- 
strang sich  tiefer  am  Halse  spaltet,  nimmt  es  mitunter  die  Iheilungsstelle 
ein;  in  anderen  Fällen  gehört  es  dem  vorderen  der  beiden  Stränge  an  und 
dann  kann  es  bis  in  gleiche  Höhe  mit  dem  unteren  Cervicalganglion  hinab- 
rücken 2). 

Der  Theil  des  Grenzstrangs,  der  das  untere  Cei'vicalganglion  mit  dem 
obersten  Ggl.  dorsale  verbindet,  ist  platt  und  kurz,  oft  so  kurz,  dass  beide 
Ganglien  in  Eine  Masse  verschmelzen,  die  durch  eine  mehr  oder  minder 
deutliche  Einschnürung  ihre  Bedeutung  verräth.  Lage  imd  Gestalt  des  er- 
sten Dorsalganglion  ■^)  im  Verhältniss  zum  unteren  Cervicalganglion  wurden 
bereits  angegeben;  den  folgenden  Dorsalganglien '^)  gegenüber  zeichnet  es 
sich  durch  seine  Grösse  aiis,  die  das  zweite  mitunter  nahezu  erreicht,  indess  die 
übrigen  Dorsalganglien  nur  schwache,  platt  dreiseitige  oder  spindelförmige 
Anschwellungen  an  den  Eintrittsstellen  der  Rr.  communicantes  darstellen. 
Oefters  nehmen  die  Ganglien  nach  unten  wieder  an  Grösse  zu ,  doch  giebt 
es  auch  Fälle,  wo  die  untersten  Dorsalganglien  ganz  zu  fehlen  scheinen  und 
der  Grenzstrang  mit  seinen  Wurzeln  imd  peripherischen  Aesten ,  die  nicht 
immer  der  Eintrittsstelle  der  Wurzeln  gegenüber  abgehen,  einem  weitläu- 
figen Plexus  gleicht.  Das  zweite  Dorsalganglion  liegt  dicht  unter  dem 
ersten  und  ist  öfters  mit  ihm  verschmolzen ;  die  folgenden  liegen  in  Abstän- 
den, welche  der  Höhe  der  Wirbel  entsprechen ,  sämmtlich  auf  den  Köpfchen 
der  Rippen ,  mit  Avisnahme  der  beiden  untersten ,  die  bereits  an  die  Seiten- 
fläche der  Wirbelkörper  herantreten  (Fig  299).  Sie  machen  den  Uebergang  zu 
den  Lumbarganglien ,  die  auf  der  Vorderfläche  der  Bauchwirbelkörper,  ander 
medialen  Seite  der  L^rsprungszacken  des  M.  psoas  ihre  Lage  haben.  Der 
Faden,  der  das  unterste  in  der  Brusthöhle  gelegene  Ganglion  des  Grenz- 
strangs mit    dem  obersten    Ganglion    der  Bauchhöhle  verbindet,    durchsetzt 


Cervicalganglion  und  die  zwischen  diesem  und  dem  obersten  Cervicalganglion  befindlichen 
müssen  den  Namen  der  mittleren  führen.  Freilich  lässt  uns  auch  dies  Merkmal  im  Stich, 
wenn ,  wie  ich  dies  öfters  an  den  untersten  Lumbal-  und  den  Sacralnerven  beobachtete, 
Ein  Nervenstamm  Verbindungszweige  auf-  und  abwärts,  an  zwei  Ganglien  ,  sendet.  Einem 
jeden  Ganglion  seine  Stelle  anzuweisen,  ist  deshalb  nicht  immer  thunlich;  es  ist  aber 
auch  w,egen  der  sonstigen  zahlreichen  Varietäten  im  sympathischen  Gebiete  nicht  uner- 
lässlich.  1)  Ggl.  thyreoideum.  ^)  Diese  Varietät,  bei  welcher  das  mittlere  Cervicalgang- 
lion als  unteres  angesprochen  -wurde,  hat  hauptsächlich  Änlass  gegeben,  das  untere  Cervi- 
cal-  mit  dem  ersten  Dorsalganglion  zu  verwechseln.  ^)  Ggl.  stellatum.  *)  Gglia  hordei- 
formia. 


556  Grenzstrang. 

den  Vertebraltheil  des  Zwerchfells  zwischen  der  medialen  und  lateralen  oder 
am  Seitenrande  der  lateralen  Zacke  (Mskl.  S.  80).  Oefter  als  dies  amBrust- 
theil  des  Sympathicus  der  Fall  ist,  sind  die  Lumbarganglien,  statt  durch 
den  einfachen  Grenzstrang,  dui-ch  zwei  und  mehr  feine  Fäden  verbunden. 
Sie  zeigen  übrigens  dieselben  Formverschiedenheiten,  wie  die  Dorsalganglien ; 
auch  unter  den  Lumbarganglien  pflegt  das  erste  das  stärkste  zu  sein. 

Auf  der  inneren  Fläche  des  Kreuzbeins  läuft  der  Grenzstrang  längs 
dem  medialen  Rande  der  Forr.'sacralia  antt.  herab;  die  Ganglien  erscheinen 
als  unbedeutende  spindelförmige  Anschwellungen  des  Grenzstrangs;  ilfre 
Zahl  bleibt  am  häufigsten  hinter  der  Zahl  der  cerebrospinalen  Nerven- 
stämme zurück,  nicht  selten  beschränkt  sie  sich  auf  drei. 

Von  dem  untersten  Ganglienpaar  geht  jederseits  ein  feiner  Faden 
median  -  abwärts ;  die  entsprechenden  Fäden  beider  Seiten  begegnen  einan- 
der zuweilen  auf  dem  ersten  Steisswirbel  unter  spitzem  Winkel  in  einem 
Knötchen,  Ganglion  coccygeum^),  welches  meistens  feiner,  nur  selten  stärker 
ist,  als  die  übrigen  Sacralganglien.  Man  beschreibt  diese  Bildung  als  die 
regelmässige,  obschon  sie  die  seltenere  ist.  Gewöhnlich  erfolgt  der  Abschluss 
des  Grenzstrangs  duixh  eine  abwärts  convexe ,  das  letzte  Ganglienpaar  ver- 
bindende Schlinge^),  doch  kann  auch  diese  fehlen  und  der  Grenzstrang 
jeder  Seite  selbständig  mit  divergirenden  peripherischen  Aesten  enden,  die 
sich  bis  an  die  Spitze  des  Steissbeins  erstrecken. 

Ich  habe  schon  vorübergehend  der  maunichfaltigen  Varietäten  des  Grenzstrangs 
tind  seiner  Ganglien  gedaclit.  Die  a]s  Verschmelzung  der  Ganghen  gedeutete  Ver- 
minderung ilirer  Zahl,  die  am  Halstheil  typiscli  ist,  kommt  sehr  oft  auch  an  den 
übrigen  Eegionen  vor.  Cruveilhier  bescln-eibt  einen  Fall,  wo  das  letzte  Dorsal- 
mit  dem  ersten  Lumbarganglion  zusammengeflossen  Avar  und  dies  combinirte  Gang- 
lion durch  einen  feinen  Faden  von  der  Länge  ZAveier  Wirbelkörper  mit  einer  star- 
ken gangliösen  Anschwellung  zusammenhing,  welche  die  vier  übrigen  Lumbargang- 
lien repräsentirte.  Nicht  minder  häufig  sind ,  namentlich  am  Halstheil ,  accesso- 
rische  Ganglien  (Gglia  intermedia  s.  intercalaria),  die  mau  couseqiienter  Weise 
als  zerfallene  auffassen  müsste  (Neubauer,  De  nervo  intei-costali.  Opp.  p.  182. 
Valentin,  Nervenl.  S.  650).  Hierher  gehören  auch  die  Fälle,  wo  die  Ganglien- 
substanz sich  auf  grössere  Strecken  vertheilt,  Ganglien  auf  Kosten  ihres  Umfangs 
sich  verlängern,  wie  dies  ebenfalls  in  auffallendster  Weise  am  Plalstheil  vorkommt. 
Das  Ggl.  cervicale  supr.  kann  eine  Länge  von  5  Cm.  erreichen  und  sich  bis  zum 
sechsten  HalsAvirbel  ausdehnen.  Eeal  (Archiv  für  Anat.  1871,  S.  180)  beschreibt 
ein  3  Cm.  langes  Ggl.  cervicale  inf. ,  welches  mit  dem  letzten  Cervical-  und  dem 
ersten  Dorsalnerven  zusammenhing. 

Der  Verbindungsfaden  zAvischen  zwei  Ganglien  kann  fehlen  und  so  der  Grenz- 
strang eine  Unterbrechung  erleiden.  Am  häufigsten  geschieht  dies  am  unteren 
Ende  des  Dorsaltheils  (Bichat,  Eech.  physiol.  sur  la  vie  et  la  mort.  p.  82.  Cru- 
veilhier IV,  761).  Haller  (Elem.  phys.  IV,  261)  sah  einmal  den  Grenzstrang  an 
der  sechsten  Rippe  enden  und  mit  dem  siebenten  Dorsalganglion  neu  entstehen; 
Eeal  (a.  a.  0.)  beobachtete  eine  doj^pelte  Unterbi'echung :  auf  dem  Köpfchen  der 
7.  Eippe  lag  ein  grosses,  spindelförmiges  Ganglion  ,  das  die  Er.  communicantes 
des  5.  und  6.  Intercostaluerven  aufnahm.  Unter  ihm  war  der  Grenzstrang  unter- 
bi'ochen,  begann  aber  wieder  mit  zwei  Wurzeln,  die  aus  dem  7.  Intercostaluerven 
stammten.  Auf  der  8.  Eippe  kein  Ganglion,  auf  der  9.  und  10.  je  ein  kleines  und 
danach  wieder  eine  Unterbrechung  des  Grenzstrangs ,  der  sich  dann  abermals  mit 
zwei  Wurzeln  aus  dem  10.  Intercostaluerven  fortsetzte.     Mit  Eecht  bemerkt  indess 


^)    Gyl.  impar  s.    Walieri.  ^)  Ansa  sacralis.     Arcus  nervosws  sacral 


mun. 


lir.  communicaiites.  557 

Cruveilhier,  dass  die    Unterbrechung   mehr   schehibar   als    wirklich   sei,    da  sie 
diirch  Anastomosen  der  peripherischen  Aeste  ausgeglichen  werde. 


b.    Rr.  communicaiites^). 

Wie  die  Ganglien,  so  zeigen  auch  die  Rr.  communicaiites  das  regel-  b.  Er.  com- 
mässigste  Verhalten  am  Brusttheil  des  Grenzstrangs  (Fig284).  Sie  verlassen 
den  N.  intercostalis  gegenüber  dem  Abgang  des  R.  dorsalis  oder  unmittelbar 
lateralwärts  neben  demselben ,  wenden  sich  unter  spitzem  Winkel  mediaii- 
ab-  und  vorwärts  und  senken  sich  in  den  lateralen  Rand  des  nächst  unteren 
Ganglion,  nur  sehr  selten  in  den  Grenzstrang  ober- oder  unterhalb  des  Gang- 
lion ein.  Sie  sind  einfach,  oder  in  zwei,  selten  drei  Fäden  getheilt,  die  ent- 
weder der  ganzen  Länge  nach  parallel  neben  einander  liegen  oder,  in  Ab- 
ständen am  Cerebrospinalnervenstamm  entspringend,  gegen  das  sympathische 
Ganglion  convergiren. 

Am  Halse  haben  nur  die  von  den  beiden  oberen  und  den  beiden  unte- 
ren Cervicalnerven  ausgehenden  Rr.  communicantes  einen  einigermaassen  be- 
ständigen Verlauf.  Jene  verbinden  sich  mit  dem  Ggl.  cervicale  supr. ,  diese 
mit  dem  Ggl.  cervicale  iiif.  Der  R.  communicans  des  ersten  Cervicalnerven 
entspringt  gewöhnlich  von  der  Schlinge,  die  dieser  Nerve  dem  N.  hypoglos- 
sus  zusendet ,  er  tritt  unter  dem  vorderen  Rande  des  M.  rectus  cap.  lateralis, 
der  zweite  R.  communicans  unter  dem  vorderen  Rande  des  M.  intertransver- 
sarius  ant.  hervor,  um  sich  quer  über  den  M.  longus  capitis  zum  Ganglion 
zu  begeben.  Lie  Rr.  communicaiites  des  siebenten  und  achten  Cervicalner- 
ven erreichen,  wie  die  der  Dorsalnerven,  in  einem  kurzen,  schräg  median- 
abwärts  gerichteten  Verlauf  ihr  Ganglion.  Die  Rr.  communicantes  des  drit- 
ten bis  sechsten  Cervicalnerven  entspringen  bald  direct  aus  den  vorderen 
Aesten,  bald  aus  den  Schleifen  zwischen  denselben  (Fig.  268**);  es  sind  ver- 
hältnissmässig  lange  dünne  Fäden,  welche  bald  auf,  bald  unter  den  media- 
len tiefen  vorderen  Halsmuskeln  zum  Grenzstrang  gelangen.  Der  dritte 
gesellt  sich  zuweilen  noch  zum  Ggl  cervicale  supr.;  wohl  ebenso  oft  setzt  er 
sich,  wie  der  vierte,  mit  dem  Ggl  cerv^icale  med. ,  wenn  ein  solches  vorhan- 
den ist,  in  Verbindung  oder  er  legt  sich,  wie  die  Rr.  communicantes  der 
übrigen  mittleren  Halsnerven,  einfach  spitzwinklig  an  den  Grenzstrang  zwi- 
schen dem  oberen  und  unteren  Cervicalganglion  an. 

Die  Rr.  communicantes  der  Lendengegend  haben  einen  langen  Weg 
von  den  Forr.  intervertebralia  bis  zur  Vorderfläche  der  Bauch wirbel,  auf 
welcher  der  Grenzstrang  ruht;  sie  legen  denselben  in  ziemlich  genau  trans- 
versaler, zuweilen  in  aufsteigender  Richtung  zurück,  unter  oder  zwischen 
den  Bündeln  des  M.  psoas,  und  kommen  unter  den  Sehnenbogen  zum  Vor- 
schein, von  welchen  die  medialen  Fasern  des  genannten  Muskels  entspringen. 
Kurz  und  platt  sind  die  Rr.  communicantes  der  Sacralnerven;  sie  gelangen 
über  die  A.  sacralis  lateralis  hinweg  sogleich  zu  den,  an  der  medialen  Seite 
dieses  Gefässes  gelegenen  Ganglien.  Dass  am  Lumbar  -  und  Sacraltheil 
häufig  die  Rr.  communicantes  von  zwei  Nervenstämmen  in  Einem  Ganglion 


•*■)  Rr.  externi  Cruv. 


558  Rr.  communicantes. 

zusammentrefFen ,   auch  wolil  von   Einem  Nervenstamm   Rr.   communicantes 
mit  zwei  Ganglien  in  Verbindung  treten,  habe  ich  bereits  erwähnt. 

In  Bezug  auf  die  Zusammensetzung  und  auf  die,  von  der  Zusammen- 
setzung abhängige  Farbe  zeigen  die  Rr.  communicantes  mancherlei  Verschie- 
denheiten, die  auf  dem  Bedarf  der  vom  Grenzstrang  aus  versorgten  Einge- 
weide an  dunkelrandigen  Fasern  beruhen.  Rüdinger  schätzt  im  Allgemei- 
nen das  Verhältniss  der  breiten  Fasern  zU  den  schmalen  wie  1  :  10  bis  15. 
"Wir  haben  die  Rr.  communicantes  als  "Wurzeln  des  Sympathicus  be- 
schrieben und  diese  Auffassung  physiologisch  damit  begründet,  dass  jeden- 
falls die  Hauptmasse  der  Fasern  in  der  Richtung  vom  Centralorgan  zum 
Grenzstrang  ziehe.  Fasern,  welche  eine  Ausnahme  machen,  lehrt  uns  schon 
die  genauere  Betrachtung  der  sogenannten  Abgangsstelle  des  R.  communicans 
vom  vorderen  Aste  des  Spinalnerven  (vom  N.intercostalis  und  den  analogen 
Aesten)  kennen.  Denn  an  dieser  Stelle  vereinigen  sich  beständig  zum  R. 
communicans  mit  den  Bündeln ,  welche  vom  Centralorgan  herkommen ,  an- 
dere, feinere,  die  aus  dem  peripherischen  Theil  des  Intercostalnerven  um- 
beugen ;  oft  macht  sich  die  Zusammensetzung  des  R.  communicans  aus  zwei 
von  entgegengesetzten  Seiten  zusammenstossenden  Bündeln  schon  ohne  wei- 
tere Präparation  und  ohne  Hülfe  des  Mikroskops  bemerklich  (Fig.  300). 
Fio-   300  Man  kann  aber  Fasern  des  R.  communicans, 

welche   von    ihrem ,   dem    Intercostalnerven 
^y  ^^       zugewandten  Ende    aus   die  Richtung   nach 
'j  der    Peripherie    einschlagen,    nicht    anders 

deuten,  denn  als  vom  Ganglion  ausgehende; 
mit  anderen  Worten,   sie   sind   den  offenbar 
peripherischen  Aesten  des  Grenzstrangs  zu- 
4  zuzählen,   von  denen  sie    darin    verschieden 

sind,  dass  sie  die  Bahn  des  R.  communicans 
benutzen,  um  sich  den  Intercostalnerven  an- 
zuschliessen.  Im  Uebrigen ,  was  die  Frage 
R.  communicans,  aus  Bündeln  zu-  betrifft,  ob  sie  im  Ganglion  oder  im  Cen- 
sammengesetzt,  die  im  N.  interco-  tralorgan  ihren  Ursprung  haben,  stehen  sie 
stalis  (ic)  theils  central,  theils  pe-      ,  ..     ^.   ^  .    ,       .     ,  .      ^ 

ripherisch  verlaufen.    *  Grenzgang-     ^^^     gewohnlichen     peripherischen     Aesten 
lion.  gleich,    und   wenn   es   sonderbar  erscheinen 

möchte,  dass  eine  Nervenfaser,  statt  einfach 
in  dem  Intercostalnerven  weiter  zu  gehen ,  den  Umweg  zu  dem  Ganglion 
und  zurück  mache,  so  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  möglicherweise  die  hin-  und 
rückläufigen  Nerven  Eines  R.  communicans  aus  verschiedenen  Rückenmarks- 
nerven wurzeln  stammen.  Die  Fasern,  welche  vom  Grenzstrang  in  der  Bahn 
der  Rr.  communicantes  zu  den  Spinalnerven  gehen,  um  sich  mit  diesen  pe- 
ripherisch zu  verbreiten,  können  kaum  andere,  als  Gefässnerven  sein.  Von 
den  Gefässnerven  aber,  die  sich  den  Wurzeln  des  Plexus  brachialis  aus  dem 
Grenzstrang  beigesellen,  haben  die  Versuche  von  Schifft)  und  Cyon^) 
übereinstimmend  ergeben,  dass  sie  aus  tieferen  Dorsalnerven  in  den  Grenz- 
strang gelangen,  ein  weiteres  Beispiel  der  oben  erwähnten,  im  Grenzstrang 
Strecken  weit  aufwärts  verlaufenden  Fasern. 


1)  Meissner's  Jahresbericht   1862,    S.  412.     ^j  Ebendas.   1868,   S.  440. 


ßr.  commiinicantes.  559 

Verfolgen  wir  die  im  Intercostalnerven  centralwärts  gericlateten  Fasern 
des  R.  communicans  weiter  gegen  ihren  Ursprung,  so  ist  zunächst,  und  zwar 
ebenfalls  schon  makroskopisch,  zu  constatiren,  dass  sie  sich  an  beide  Wurzeln  der 
Spinalnerven  vertheilen^).  Ob  die  in  die  hintere  Wiirzel  eintretenden  Fasern 
im  Spinalganglion  verbleiben,  also  aus  demselben  entspringen,  oder  durch 
das  Spinalganglion  bis  zum  Rückenmark  sich  fortsetzen,  ist  anatomisch  nicht 
zu  entscheiden;  die  Sensibilität  des  R.  communicans,  des  Grenzstrangs  und 
seiner  Ganglien  ^)  so  wie  der  vom  Sympathicus  versorgten  Eingeweide  bürgt 
aber  dafür,  dass  jedenfalls  ein  Theil  der  in  der  hinteren  Nervenwurzel  ent- 
haltenen sympathischen  Fasern  aus  dem  Rückenmark ,  ja  aus  dem  Gehirn 
ihren  Ursprung  nimmt. 

Von  physiologischer  Seite  wurde  die  Lösung  der  Frage  versucht,  ob  die 
Gefässnerven  den  Weg  vom  Rückenmark  zum  Grenzstrang  in  den  vorderen 
oder  hinteren  Wurzeln  zurücklegen.  Die  Experimente  von  Pflüger  3)  (beim 
Frosch)  und  von  Schiff*)  entscheiden  für  die  vorderen,  die  Experimente 
von  Brown-Sequard^)  für  die  hinteren  Wurzeln. 

Luschka  (Die  Nerven  d.  meusclil.  Wirbelcauals.  Tübingen  1850,  S.  11)  und 
Eemak  (Deutsche  Klinik  1864,  Nr.  16)  betrachten  die  Duplicität  des  E.  communi- 
cans als  Regel  und  schreiben  beiden  Strängen  Verschiedenheiten  des  Baues  und 
der  Fiinction  zu.  Nach  Luschka  verläuft  von  den  beiden  Aesten ,  die  die  Ver- 
bindung vermitteln ,  der  Eine  meist  stärkere  zwischen  dem  Ganglion  des  Sympa- 
thicus und  dem  vorderen  Aste  des  Spinalnerven ;  er  ist  weiss ,  enthält  hauptsäch- 
lich animalische  vom  Rückenmark  stammende  Fasern,  die  im  sympathischen  Gang- 
lion sich  in  auf-  und  abwärtssteigende  theilen  und  den  animalischen  Charakter  bei- 
behalten; ausserdem  sympathische  Fasern,  welche  im  Spinalnerven  peripherisch 
weiter  gehen.  Der  zweite,  bald  getheilte  Verbindungszweig  ist  grauröthlicli ;  das 
eine  Aestchen  verbindet  sich  mit  dem  Stamm  des  Spinalnerven  kurz  vor  dessen 
Theilung  in  den  hinteren  und  vorderen  Ast;  das  andere  tritt  näher  dem  Spinal- 
ganglion in  mehrere  Bündelchen  getheilt  ein ,  die  sich  theils  gegen  das  Rücken- 
mark, theils  gegen  die  Peripherie  wenden.  Von  diesem  Verbindungsaste  leitet 
Luschka  die  sogleich  zu  erwähnenden  sympathischen  Geflechte  der  Wirbelhöhle 
ab.  Remak  unterscheidet  einen  unteren  und  einen  oberen  R.  communicans.  Der 
untere,  R.  sympathicus  s.  revehens,  enthält  sehr  feine  Nervenfasern  und  sehr  viele 
gangliöse  Fasern;  er  schliesst  sich  einem  Spinalnervenstamme  zu  peripherischer 
Verbreitung  an,  nachdem  er  an  der  Eintrittsstelle,  zuweilen  dicht  neben  dem  Spi- 
nalganglion, noch  ein  aus  multipolaren  Zellen  bestehendes  Ganglion  gebildet  hat. 
Der  obere  Ramus  communicans,  spinalis  s.  adveJiens,  ist  weiss;  Remak  konnte 
Fasern  dieses  Astes  nvir  in  die  vorderen  Wtirzeln  eintreten  sehen;  die  übrigen 
Fasern,  meistens  die  Minderzahl,  sah  er  sich  in  dem  Spinalganglion  verlieren. 
Kölliker  (Mikr.  Anat.  I,  526)  nennt  die  Rr.  communicantes  weiss,  giebt  aber  zu, 
dass  neben  denselben  am  imteren  Cervical-,  den  beiden  oberen  Dorsal-  und  den 
Lumbal ganglien,  selten  an  anderen  Theüen  des  Grenzstrangs  weissgraue  oder  selbst 
graue  Verbindungsfäden  vorkommen,  die  fast  nur  feinste  und  gelatinöse  Fasern 
enthalten. 

Die  Rr.  communicantes  geben,  noch  ehe  sie  den  Grenzstrang  erreichen, 
zahlreiche,  meist  sehr  feine  collaterale,  aus  dunkelrandigen  und  gelatinösen 


^)  Wutzer,  de  c.  h.  gangUorum  fabrica  atque  usu.  Berol.  1817,  p.  96.  Müll. 
Arch.  1834,  S.  305.  J.  Müller  in  Meckel's  Archiv  1832,  S.  85.  Eetzius  ebendas. 
S.  260.     C.  Mayer,  N.  Acta  acad.  Nat.    curios.    T.   XVI,    P.    II,  p.   753.  ^)  Colin    in 

Meissner's  Jahresbericht  1861,  S.   397.  ^)  Meissner's  Jahresbericht  1856,   S.  346. 

*)  Ebendas.   1862,   S.  411.  ^)  Ebendas.   1856.    S.   347. 


560  Rr.  communicaiites. 

Fasern  gemisclite  Aeste  ab,  die  in  dem  Fett  der  Forr.  intervertebralia  ge- 
fleclitartig  auastomosiren,  auch  mit  kleinen,  unbeständigen  Ganglien  an  den 
Knotenpunkten  versehen  sind  (Fig.  301  *).  An  jedem  For.  intervertebrale 
kehrt  ein  Fädchen  in  die  Wirbelhöhle  zurück  und  verbindet  sich  mit  einem 
aus  dem  Intercostalnerven  dicht  unterhalb  der  Vereinigung  beider  Wurzeln, 
jedoch  vorzugsweise  aus  der  hinteren  Wurzel  entspringenden  Aestchen  zu 
dem  N.  sinuvertebralis  Luschka  i),  der  sich  an  die  Häute  und  Venenplexus 
der  Wirbelhöhle  und  an  die  Knochensubstanz  der  Wirbel  vertheilt.  Die 
Nn.  sinuvertebrales  Einer  Körperhälfte  anastomosiren  unter  sich  durch  ver- 
ticale  Fäden ;  durch  transversale  Aeste  setzen  sich  die  gleichnamigen  Ner- 
ven beider  Körperhälften  mit  einander  in  Verbindung  (Rüdinger  2). 

Fig.  301. 


Aeste    und    Geflechte  des  R.  communicans  eines  Dorsalnerven.     1   hintere ,    2  vor- 
dere Wurzel,     ic  R.  intercostalis.     d  R.  dorsalis.    3  Grenzstrang.    *Accessor.  Gang- 
lion.    **  Grenzganglion.     ***  Spinalganglion. 


Andere  collaterale  Aeste  des  R.  communicans  dringen  von  der  Vorder- 
fläche der  Wirbelkörper  aus  in  den  Knochen  ein  und  umspinnen  die 
Stämme  der  Aa.  intercostales ,  lumbales  u.  s.  w. 

Vom  Eintritt  in  das  Grenzganglion  oder  den  Grenzstrang  an  sendet 
der  R.  communicans  Fasern  auf-  und  abwärts ,  die  sich  selten  über  das 
nächste  Ganglion  hinaus  verfolgen  lassen;  mit  dem  grössten  Theil  seiner 
Fasern  verliert  er  sich  zwischen  den  Nei"venzellen  des  Ganglion ;  an  bestimm- 
ten Stellen  des  Grenzstrangs  geht  eine  Anzahl  Bündel  über  das  Ganglion  hinaus 


^)  A.  a.  0.      ^)  lieber  die  Verbreitung  des  Sympathicus  in  der  animalen  Röhre.     Mün- 
chen  1863. 


Peripherische  Aeste.     Kopftheil.  561 

in  die  peripherischen  Aeste  des  Sympathicns  über,  auf  die  ich  bei  Beschrei- 
bung dieser  Aeste  zurückkomme. 


c.    Peripherische    Aeste. 

1.    Kopftheil. 

Aus  dem  Ganglion  cervicale  supr.  entspringen,  zuweilen  von  je  Einem  c.  Peripher. 
Stamm,  zwei  dem  Kopf  bestimmte  Nervengruppen,  welche  sich  mit  Stämmen  i.  Kopftheil. 
der  Hirnnerven  theils  unmittelbar,  theils  durch  Vermittlung  von  Aesten 
dieser  Nerven  in  Verbindung  setzen.  Die  Eine  Gruppe  geht  aus  der  oberen 
Spitze  des  Ganglion  hervor  und  zieht  mit  der  A.  carotis  int.  aufwärts;  die 
andere  nimmt  ihren  Ursprung  am  vorderen  Rande  des  Ganglion  und  be- 
gleitet die  Aeste  der  A.  carotis  ext.  Zum  Kopftheil  des  Sympathie us  sind 
eigentlich  auch  die  Nerven  zu  rechnen,  die  mit  den  Aesten  der  A.  vertebralis 
in  die  Schädelhöhle  eintreten  ;  doch  beschränke  ich  mich  auf  die  Erwäh- 
nung derselben,  da  sie  fast  mikroskopisch  sind  und  sich  genau  an  den 
Verlauf  der  Arterien  halten. 

a.    Obere  Aeste  des  Ggl.  cervic.  sup. 

Ich  habe  oben  (S.  332)  befürwortet,  warum  ich  alle,  zwischen  dem  Ggl.  a.  Obere 
cervicale  supr.  und  Hirnnei-ven  verlaufenden  Nerven  den  peripherischen  Aesten 
des  Sympathicus  anreihe,  obgleich  es  möglich,  ja  bei  einigen  derselben  nach 
Analogie  mit  den  Rr.  communicantes  der  Spinalnerven,  sehr  wahrscheinlich 
ist,  dass  sie  die  Bedeutung  von  Wurzeln  des  Sympathicus  haben,  d.  h.  dass 
sie  dem  letzteren  Hirnnervenfasern  zu  peripherischer  Verbreitung  zuführen. 
Nur  bei  einer  geringen  Zahl  der  im  Folgenden  zu  beschreibenden  Zweige 
giebt  die  Art  der  Verästelung  oder  das  physiologische  Experiment  über  die 
Richtung  des  Faserverlaufs  bestimmteren  Aufschluss. 

Wurzeln,  im  Sinne  der  Rr.  communicantes,  gleichen  insbesondere  die 
Verbindungsäste  des  Ggl.  cervicale  supr.  mit  den  Nn.  hypoglossus,  vagus 
und  glossopharyngeus.  Es  sind  Fäden ,  welche  sich  vom  hinteren  Rande 
des  Ganglion  oder  vom  N.  caroticus  int.,  zu  dem  das  Ganglion  sich  aufwärts 
allmälig  verjüngt,  unter  sehr  spitzem  Winkel  rück- aufwärts  abzweigen,  ge- 
wöhnlich zwei,  ein  weisser  Verbindungszweig  mit  dem  N.  hypoglossus  ,  von 
dem  häufig  auch  der  R.  communicans  mit  dem  ersten  Cervicalnerven  abgegeben 
wird,  und  ein  mehr  grauer  Ast,  N.jugularis  Arn.,  der  sich  aufwärts  gabelförmig 
in  zwei  Zweige,  Einen  zum  Ggl.  jugulare  des  N.  vagus  und  Einen  zum  Ggl. 
petrosum  des  N.  glossopharyngeus,  theilt  (Fig.  302). 

Eine  Verbindung  des  Ggl.  cervic.  supr.  mit  dem  N.  accessorius  erwähnen  beim 
Menschen  Bourgery  (Comptes  rendus  1845,  7.  Avril)  und  beim  Pferde  Pieschel 
(De  parte  cephal.  nervi  sympath.  in  equo  prodromus.  Lips.  1844,  p.  13).  Einer  pro- 
blematischen Anastomose  mit  dem  N.  facialis  durch  die  motorischen  Aeste  der  Mm. 
biventer  und  stylohyoid.  habe  ich  oben  S.  412  gedacht. 

Henle,  Anatomie.     Bd.  III.   Ahthl,  2.  Qß 


5ß2 


Obere  Aeste  des  Ggl.  cerv.  supr. 


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Obere  Aeste  des  Ggl.  cerv.  supr.  563 

Der  N.  Caroticus  int. '),  der,  wie  erwähnt,  aus  der  oberen  Zuspitzung  des 
Ggl.  cervic.  supr.  hervorgeht  und,  nach  seiner  Form  und  Stärke,  sich  wie 
ein'e  Fortsetzung  des  Grenzstrangs  ausnimmt,  unterscheidet  sich  doch  von 
dem  letzteren  durch  die  mehr  gelatinöse  Beschaffenheit.  Er  tritt  hinter  der 
A.  carotis  int.  in  den  carotischen  Canal  ein  und  theilt  sich  in  demselben, 
wenn  nicht  schon  vorher,  spitzwinklig  in  zwei  Aeste,  einen  lateralen  und 
medialen  2),  die  einander  Anastomosen  zusenden  und  so  die  Arterie  mit 
einem  weitläufigen  Geflecht,  Plexus  caroticus  int.'^,  umgeben.  Der  laterale 
Ast,  in  der  Regel  der  stärkere,  hält  sich  an  der  hinteren,  weiterhin  oberen 
Fläche  der  Arterie  (Fig.  303) ;  von  ihm  vorzugsweise  entspringen  die  Aeste,  durch 
welche  das  Ggl.  cervicale  supr.  mit  dem  Plexus  tympanicus  communicirt,  die 
Nn.  Carotico -tympanicus  und.  petros.  pro/,  fninor  (S.  421)  und  der  Verbin- 
dungsast mit  dem  GgL  nasale,  N.  petrosus  l^rof.  Iflajor  (S.  374)'').  Doch 
sah  ich  den  letzteren  auch  aus  zwei  spitzwinklig  convergirenden  ,  gleich 
■starken  Fäden  von  beiden  Aesten  des  N.  caroticus  int.  sich  zusammensetzen. 
Immer  tritt  er  aus  der  inneren  Mündung  des  carotischen  Canals  in  horizon- 
taler Richtung  hervor,   und,    nachdem   er   sich   an  den  N.  petros.   superfic. 

Fig.  303. 


Carotischer  Canal,  Pauken-  und  Augenhöhle,  von  aussen  geöffnet.  Plexus  caroticus.  1  Voi'- 
hofstenster.      2  Schneckenfenster.     3  Wespenbeinhöhle.      /Ss    M.  sphenostaphylin.      Gn  Ggl. 

nasale,     p  N.   palatini. 

major  angeschlossen  hat,  durch  die  fibröse  Masse,  die  das  For,  lacerum  erfüllt, 
gerade  vorwärts  in  den  Can.  vidianus.  Von  dem  N- petros  superf.  maj.  sticht 
er  durch  seine  graue  Farbe,  die  ihn  als  sympathischen  Nerven  charakterisirt, 
deutlich  ab. 

Wegen  des  zweifelhaften  Verbindungsastes  des  N.  petrosus  prof.  maj.  mit  dem 
Ggl.  oticum,   N.  sphenoidalis  int.  C.Krause,  verweise  ich  auf  S.  385. 


^)    N.    carot.    adscendens.    N.    caroticus    s.  N.   cerehi'alis    Arn.      ^)  Rr.  posterior    und 
supei'ior  Langenb.     ^)   Plexus  caroticus  aut.     ^)  N.  caroticus  vldiani  Longet. 

36* 


^64  Anastomotisclie  Zweige. 

Nach  Abgabe  des  N.  petros.  prof.  maj.  zieht  der  Rest  des  lateralen 
Astes  längs  der  Carotis  aufwärts  und  schliesst  sich,  einfach  oder  in  zwei 
Fäden  getheilt,  unter  spitzem  Winkel  an  den  N.  abducens  an,  da  wo  dieser 
an  der  lateralen  Wand  der  Arterie  vorübergeht.  Indessen  hat  sich  der 
mediale  Ast  des  N.  caroticus  int.  während  seines  Verlaufs  durch  den  caro- 
tischen  Canal  allmälig  an  die  untere  Fläche  der  Arterie  begeben  und  hat, 
wie  erwähnt,  an  beiden  Seiten  der  Arterie  dem  lateralen  Ast  Anastomosen 
zug'esandt,  durch  die  er  sich,  wie  auch  durch  directe  Zweige,  mit  dem  N. 
abducens  in  Verbindung  setzt.  Vom  Ausgang  des  genannten  Canals  an 
werden  die  Anastomosen  zwischen  den  beiden  Aesten  des  N.  caroticus  int. 
zahlreicher  und  im  Sinus  cavernosus  erzeugen  sie  an  der  lateralen  Seite  der 
aufwärts  convexen  Krümmung  der  Carotis  ein  sehr  engmaschiges  Geflecht, 
Plexus  Cavernosus  Arnold^),  dessen  feine  Bälkchen  nur  mit  Hülfe  des 
Mikroskops  von  dem  Netzwerk  des  Sinus  cavernosus  und  von  den  diesen 
Sinus  durchziehenden  Gefässästchen  sicher  unterschieden  werden  können 
(Fig.  304). 

ZAvei  "bis  drei  sehr  feine,  im  frischen  Zustande  gra.  weisse  Fädcheu,  Rr.hasi- 
lares,  entspringen  nach  Valentin  (Nvl.  S.  636)  aus  em  medialen  Aste  des  N. 
carot.  int.  vor  dessen  Eintritt  in  den  carotischen  Ce  nal  ut  d  vex-laufen  theils  gerade, 
theils  anfangs  in  schwachen ,  mit  ihrer  Coucavität  lach  v -rn  gerichteten  Bogen  in 
der  Fasermasse,  die  die  Basis  des  Hinterhauptbei  as  und  len  Körper  des  Wespen - 
heins  an  ihrer  unteren  Fläche  bekleidet.  Valentin  hält  es  für  wahrscheinlich, 
dass  die  entsprechenden  Hauptzweigehen  beider  S  iiten  mit  einander  anastoniosiren. 
Nach  C.Krause  tritt,  und  zwar  in  der  Begel,  an  die  SteiL  des  Plexus  cavernosus 
ein  plattes,  eckiges  oder,  sternförmiges  Ganglioi  ,  Ggl.  cai  oticum  s.  cavernosum. 
Ganglien  im  unteren  oder  oberen  Theil  des  PI  xus  carotic  as ,  Gglia  carott.  inf. 
und  sup.,  werden  von  mehreren  Anatoiuen,  vor  Petit  (Me;  i.  de  l'acad.  des  scien- 
ces  1727,  p.  3),  Schmiedel  (Epist.  anat. ,  qua  de  eontrover  a  n.  intercostalis  ori- 
gine  quaedam  disseruntur.  Erlang.  1747),  Lau  aonier  (Reils  Archiv  I,  64),  Lob- 
stein(a.  a.  0.  ]d.  2)  und  Hirzel  (Tied'emanr  und  Treviranus,  Ztschr.  I,  211) 
beschrieben.  Ich  habe  so  wenig,  wie  Valei  tin  und  Arnold,  Nervenzellen  au 
den  allerdings  mitunter  etwas  angeschwoUe  en  Knotenpun  kten  der  carotischen 
Nervennetze  gefunden. 

Die  durchgängig  feinen  und  deshalb  mehr  oder  minder  bestrittenen, 
vielleicht  auch  nicht  ganz  beständigen  Zweige,  die  der  Plexus  cavernosus 
aussendet,  führen  theils  den  vorderen,  namentlich  den  durch  den  Sinus  ca- 
vernosus verlaufenden  Hirnnerven  sympathische  Fasern  zu,  theils  gelangen 
sie  selbständig  oder  mit  Aesten  der  Carotis  zu  peripherischer  Verbreitung, 


a.     Anastomotisclie  Zweige. 

a.  Anastom.  1-    Mit  dem  N.   facialis,  ein  Faden,  der,   nach  Arnold's  Beschreibung, 

Zweige.  rückwärts  läuft,  sich  an  den  N.  petros.  superfic.  maj.  anlegt  und  durch  dessen 
Vermittlung  das  Ggl.  geniculatum  erreicht.  Arnold  fand  ihn  einige  Mal 
beim  Menschen,  constant  beim  Kalb;   Pieschel  sah  ihn  beim  Pferd. 


^)    Plexus     nervosa  -  artei'iosus    Waltpr.     Plexus    clrcularis    flexurae     tertiae     caroüdis 
cerebral! s  Val. 


Anastomotische  Zweige. 


565 


Beim  Kalb  will  Arnold  den  Verbiudungszweig  über  das  G-gl.  geniculatum 
hinaus  zum  N.  acusticus  verfolgt  haben,  an  dem  sich  ein  kleines  Ganglion  finde. 
Grelegenheit  zum  Austausch  der  Fasern  zwischen  dem  Stamme  des  Facialis  und 
dem  Sympathicus  findet  sich  ausserdem  im  Plexus  tjaupan.  durch  den  E.  commun. 
c.  plex.  tymp.  des  Facialis  (S.  404.  421)  ujid  vielleicht  durch  den  N.  petros.  super- 
fic.  tertius  (s.  unten). 

2.  Mit  dem  N.  abducens,  einige  Fädclien ,  die  an  den  Nervenstamm 
jenseits  seiner  Kreuzung  mit  der  Carotis  herantreten. 

3.  Mit  dem  N.  trigeminus,  zuweilen  ein  Stämmclien,  welches,  indem  es 
über  den  N.  abducens  hinweggeht,  mit  demselben  sich  verbindet  und  dann 
in  rückwärts  zum  Ggl.  semilunare  und  vorwärts  zum  R.  ophthalmicus  lau- 
fende Fäden  theilt.  Oefters  eine  Anzahl  vom  UrsjDrung  an  gesonderter 
Fädchen  von  gleichem  Verlauf  (Fig.  304). 

Fig.  304.  .      , 

n 


Schädelbasis,  lateralwärts  neben  dem  carotischen  Canal  sagittal  durchschnitten. 
Mediale  Schnittfläche.  Der  carotische  Canal  aufgebrochen ,  um  die  Plexus  carot. 
und  cavernos.  zu  zeigen.  Stamm  des  N.  trigeminus  seitwärts  umgeschlagen.  Die 
hintere  Spitze  des  Temporalflügels  bis  zum  For.  ovale  entfernt.  1  Proc.  clinoid. 
post.,  abgebrochen.  2  Proc.  clinoid.  ant.,  desgl.  3  Hypophyse.  4  Carot.  int.^ 
5,V.  jugul.  Gcs  Ggl.  cervic.  supr.  j  N.  jugularis.  ci  N.  carot  int,  ppvij 
N.  petr.  proi\  maj.  11  rechter,  II' linker  N.  opticus. |*  Plexus  ganghof.  vagi,  ein  Aest- 
chen  vom  Ggl.  cervic.  supr.  aufnehmend. 


566 


Periptierische  Zweige. 


Schmiedel  beschrieb  ein  Fädchen  vom  Plexus  cavernosus  zum  dritten, 
Laumonier  ein  solclies  zum  zweiten  Aste  des  N.  trigeminus.  Einen  Verbin- 
dungszweig zwischen  diesem  Nerven  und  dem  Plexus  cavernosus  zeigt  L  an  gen  b  eck 's 
Abbildung  (Icon.  Fase.  III,  Tab.  XVIII,  Fig.  1  E);  es  ist  wohl  derselbe,  von  wel- 
chem Cr  uv  ei  lliier  (p.  637)  sagt,  dass  er,  vom  N.  supramaxillaris  ausgehend  ,  über 
den  Nn.  ophthalm.  und  oculomotoriiis  zum  Plexus  carot.  gelange.  Keiner  der  übrigen 
neueren  Anatomen  hat  diese  Anastomosen  beim  Menschen  wieder  gefunden.  Beim. 
Kalbe  hat  sie  Arnold,  beim  Pferde  Pieschel  bestätigt. 


4.  Fäden  vom  Plexus  cavernosus  zum  N.  trochlearis  werden  von  Pauli  i) 
und  Bidder^)  erwähnt  und  von  Bidder  und  Fäsebeck^)  abgebildet. 
Luschka*)  konnte  sieb  von  ihrer  Existenz  nicht  überzeugen,  ohne  sie 
jedoch  bestimmt  verneinen  zu  wollen. 

5.  Ein  anastomotischer  Zweig  zum  N.  oculomotorius  ist  nach  Cloquet 
und  Longet  constant,  nach  Arnold,  C.  Krause  und  Luschka  öfters, 
nach  HirzeP)  nur  selten  vorhanden.  Langenbeck  giebt  eine  Abbildung 
desselben  "). 


b.     Peripherische  Zweige. 


b.  Peririicr.  Unter   diesen   ist,    als   der  ansehnlichste    und   beständigste,   zuerst  zu 

nennen  die  sympathische  Wurzel  des  Ggl.  ciliare''),  die  an  der  letzten,  vor- 

Fig.  305. 


Inhalt  der  linken   Orbita,  von    der  lateralen    Seite.  Sympath.  Wurzel  des  Ggl.  ciliare.      1   A. 

carotis  int.     2  A.  ophthalm.     Rs,  Rl  Mm.  rectus  sup.   und  lateralis,  der  letztere  vom  Bulbus 

abgeschnitten,     so  N.   supraorbit.     nc  N.  nasociliaris. 


^)  Mühry  ad  parasitorum  malignorum  oeuli  historiam  symbolae.  Gott.  1833,  p.  22. 
2)  Neurolog.  Beobacht.  Dorpat  1836,  S.  18.  Taf.  I,  6.  3)  A.  a.  0.  Taf.  II,  4.  ■*)  Die 
Nerven  in  der  harten  Hirnhaut.     Tübingen  1850,    S.  24.  ^)  Tiedemann    und  Treviranus, 

Ztschr.  I,   225.  ^)  Fase.   III,    Tab.  XVIII,  Fig.   1.   k.  l.  '^)  Ram.   communicans  c.  gglio 

ophthalmlco.   Radix  mollis  (jglii.   ophthalm.   .i.   ciliaris. 


Peripherische  Zweige.  567 

wärts  convexen  Krümmung  der  Carotis  int.  sich  aus  dem,  die  Arterie  um- 
gebenden Nervengeflechte  löst,  an  der  medialen  Seite  des  N.  ophthalmicus 
durch  die  Fissura  orbitalis  sup.  in  die  Orbita  eintritt  und,  wie  oben  (S.  358) 
erwähnt,  zwischen  der  langen  und  kurzen  Wurzel  oder  imAnschluss  an  die 
erstere  das  Ggl.  ciliare  erreicht  (Fig.  305).  Sie  wird  als  die  Bahn  betrachtet,  auf 
welcher  die  Bewegungsnerven  des  Dilatator  pupillae,  deren  Ursprung  aus  dem 
Ggl.  cervicale  sujyr.  durch  Petit's  bekannte  Versuche  bezeugt  wird,  zum 
Ggl.  ciliare  gelangen.  Mit  zweifelhaftem  Rechte.  Denn  abgesehen  von 
denjenigen,  welche  mit  G  r  ü  n  h  a'g  e  n  dem  Dilatator  und  somit  auch  dessen  motori- 
schen Nerven  die  Anerkennung  versagen,  so  fragt  es  sich,  ob  die  pupillenerwei- 
ternden Nerven  nicht  schon  vom  Plexus  cavernosus  her  dem  Ggl.  semilunare 
lind  dem  ersten  Aste  des  Trigeminus  beigemischt  werden.  In  der  That 
gehen  sie,  den  Versiichen  Balogh's  0  undOehl's^)  zufolge,  durch  das  Ggl. 
semilunare;  von  diesem  Ganglion  an  verlaufen  sie  nach  Balogh  im  ersten 
Aste  des  Trigeminus,  nach  Oehl  dagegen  in  der  Umgebung  dieses  Nerven. 
Dass  übrigens  die  Zerstörung  des  Ggl.  cervicale  supr.  die  Fähigkeit  der 
Pupille,  sich  zu  erweitern ,  nicht  aufhebt,  dass  also  erweiternde  Fasern  noch 
aiis  einer  anderen  Quelle  stammen  müssen,  darin  stimmen  die  beiden  ge- 
nannten Beobachter  überein;  sie  stehen  aber  wieder  einander  entgegen,  wenn 
Balogh  die  Erweiterung  der  Pupille  durch  Reizung  des  Stammes  des  N. 
trigeminus  (vor  dessen  Eintritt  in  das  Ganglion)  zu  Stande  gebracht  haben 
will,  Oehl  aber  in  das  Ganglion  selbst  den  Ursprung  pupillenerweiternder 
Fasern  verlegt.  Schiff'^)  hält  es  nach  Versuchen  an  Katzen  für  wahr- 
scheinlich ,  dass  dem  Ggl.  semilunare  pupillenerweiternde  Fasern  aus 
dem  Theil  des  Sympathicus  zugeführt  würden ,  der  die  Paukenhöhle  durch- 
setzt. 

Beim  Kaninchen  verfolgte  Budge  die  Nervenfasern  des  Dilatator  expe- 
rimentell vom  Ggl.  cervic.  siipr.  abwärts  in  den  Grenzstrang  und  in  die 
Wurzeln  der  beiden  untersten  Cervical-  und  der  beiden  obersten  Dorsal- 
nerven; ihr  centraler  Ursprung  wurde  S.  81  besprochen. 

Die    Rad.    sympatb.    des  Ggl.    ciliare  ist  zuweilen    dopj^elt.      In    dem    Fig.  305 
abgebildeten  Falle  nimmt  sie  ein  Fädeben  aus  dem  N.  oculomotorius  auf. 

2.  Medianwärts  durch  die  mediale  Wand  des  Sinus  cavernosus  zur 
Hypophyse  verlaufende  Fädchen  beschrieben  Fontana*),  Ribes^),  Bock*^) 
u.  A.  und  Bourgery  erklärte  gar  die  Hypophyse  (Ganglion  pituitaire) 
wegen  ihrer  reichlichen  Verbindungen  mit  den  cavernösen  Geflechten  beider 
Seiten  für  das  Organ,  das  die  Beziehungen  zwischen  Sympathicus  und  Ge- 
hirn vermittele.  Ohne  Zweifel  beruhen  diese  und  manche  ältere  Angaben 
auf  Verwechslung  fibröser  Bälkchen  mit  Nervenfasern,  doch  zeigte  mir  das 
Mikroskop   in  dem   netzförmigen,   zwischen   Carotis  und   Hypophyse    ausge- 


1)  Meissner 's  Jahresbericht    1861,  S.  454,      2)  Ebendas.   1862,  S.   507.      3)  Ebendas. 
1867,   S.    594.  *)  Ludwig,    Script,    neurol.    min.  III,   85.         ^)  Mem.  de  la    soc.  d'emu- 

lation    VII,    97.      ^)  Beschreibung  des  fünften  Hirnnervenpaars  S.   66. 


568  Vordere  Aeste  des  Ggl.  cerv.  supr. 

spannten  Gewebe  feineNervenfaserbündelclien,  dieselben,  von  denen  Luschka^) 
sagt,  dass  sie,  zwei  bis  drei  jederseits,  in  den  vorderen  Lappen  der  Hypo- 
physe sich  einsenken  (Fig.  304). 

3.  Vom  Plexus  cavernosus  gehen  die  äusserst  feinen  (0,05  bis  0,2  Mm. 
starken)  Br.  vasciüares  aus,  welche  die  Zweige  der  Carotis  int.,  die  Aa.  cere- 
bri  ant.  und  media  begleiten  und  umstricken   (Bourgery,  Arnold). 

ß.  Unter  dem  Nameu  eines  Plex.  ophthalmicus  beschreibt  C.  Kraxxse  ein 
von  den  Gefässnei-ven  der  A.  ophthalmica  mit  Fäden  vom  Ggi.  ciliare  und  dessen 
"Wurzeln  und  Aesten  in  der  Orbita  erzeugtes  Geflecht,  aus  welchem  Zweige  zu 
den  Gefässen  der  Orbita,  namentlich  zur  A.  centralis  retinae  und  vielleicht  zur 
Eetina  selbst  entspringen  sollen.  Was  mir  die  Untersuchung  dieser  Zweige  ergab, 
habe  ich  S.  359  ausgesprochen. 

Zu  den   ZAveifelhaften  Aestchen  der  Plexus  carot.  imd   cavernosus  gehören  ferner : 

ß.  Die  Rr.  communicantes  cum  ganglio  nasali ,  ein  bis  drei  Fädchen, 
welche  nach  Arnold  durch  den  hinteren  Theil  der  Fissura  orbitalis  sup.  au  der 
medialen  Seite  des  N.  abducens  verlaiifen  und  dann  in  die  Fossa  sphenomaxill. 
abwärts  zum  Ggl.  nasale  treten. 


ß.     Vordere  Aeste  des  Ggl.  cervic.  supr. 


ß.  Vordere  P^s   sind   die    Gefässnerven  der    Carotis  ext.  und  ihrer  Aeste  2),   welche 

^"^^^^^  nach  den  Arterien,   mit   denen  sie  verlaufen,  als  Plexus  carot.  ext.,  thyreoid. 

stip.  (der  aber  schon  mehr  dem  Halstheil  zugehört),  Ungualis,  maxiUaris  ext., 
pharyngeus  adscend.^  occipitalis  und  auricularis  post.,  maxiUaris  int.  und 
temporalis  bezeichnet  werden.  Sie  entspringen  in  zwei  starken  oder  meh- 
reren feineren  grauen  Aesten  in  Gemeinschaft  mit  den  Fäden,  durch  die 
der  Sympathicus  an  der  Bildung  des  Plexus  pharyngeus  und  des  N.  laryn- 
gevts  Theil  nimmt,  und  gehen  eine  Strecke  abwärts,  ehe  sie  sich  geflechtartig 
an  die  zum  Kopf  aufsteigenden  Arterienstämme  anlegen  (Fig.  302).  Von  die- 
sen aus  führen  sie  einigen  der  von  Hirnnerven  gebildeten  Ganglien  sympathi- 
sche Zweige  zu,  so.  dem  Ggl.  linguale  durch  Vermittlung  der  A.  submentalis 
(S.  392),  vielleicht  auch  dem  Ggl.  oticum  durch  Vermittlung  der  A.  meningea 
media  (S.  383).  Dass  im  Verlaufe  der  Gefässnei'ven  mikroskopische  unbe- 
ständige Ganglien  vorkommen,  wurde  schon  im  Allgemeinen  erwähnt.  Da- 
neben ist  aber  ein  grösseres,  spindelförmiges,  über  2  Mm.  langes  Ganglion 
hervorzuheben,  das  Ggl.  temporale  (Fig.  306) -3),  welches  regelmässig  auf  der 
äusseren  Fläche  der  Carotis  ext.  an  der  Abgangsstelle  der  A.  auricularis 
post.  gelegen  ist ,  Fäden  vom  N.  facialis  aufnimmt ,  zuweilen  auch  in  einen 
gangliösen  Plexus  zerfällt.  Vielleicht  steht  dies  Ganglion  in  ähnlicher  Be- 
ziehung zur  Parotis,  wie  das  Ggl.  linguale  zur  Submaxillardrüse. 


1)  Der  Hh-naiihang  und  die  Steissdrüse.  Berl. 1866,  S.  49.  ^)  Nn.molles.  ^)  Gangliolum, 
temporale  molle  Andersch  bei  Ludwig,  Script,  neurol.  min.  11,172.  Neubauer  (Opp.  p. 
115.  Tab.  IV,  Fig.  1.  148)  undScarpa  (Tab.  neurol.  Ticini  1794,  Tab.  III,  59)  beschreiben 
und  zeichnen  dasselbe  Ganglion,  ohne  ihm  Namen  zu  geben.  Arnold  erklärte  es  mit  Un- 
recht für  eine  durch  den  Zusammentritt  mehrerer  Nerven  bewirkte  nervenzellenlose  Ver- 
dickung. 


Vordere  Aeste  des  Ggl.  cerv.  supr. 


569 


Valentin  (S.  143)  beschreibt  ein    Ggl.   pharyngeum   molle  von    über    2  Mm. 
Länge,  welches  auf  der  A.  pharj'ngea  adsceudens ,  16   bis  18  Mm.    über   deren  Ur- 
sprung   liegen    soll    und    ein    etwa    1,2    Mm.    vor  dem    Ggl.  pharj'ugeum    gelegenes 
Ggl.    linguale    molle,    dessen    stärkere  Z^veige  in  die  Nervenuetze   der  A.  lingualis 
■p,.  ,    q^p  ausstrahlen.  Ein  anastomotischer 

'^'         '  Zweig  zwischen  den   Gefässner- 

ven  der  A.  meningea  media 
und  dem  Stamm  des  N.  facialis 
ist  der  N.  petrosus  superficialis 
tertius  s.  infimus,  der  nach 
Bidder's  Beschreibung  (Neu- 
rolog.  Beob.  S.  51)  von  dem, 
jene  Arterie  umspinnenden  Ge- 
flechte abgeht ,  sobald  dieselbe 
aus  dem  For.  spinosum  in  die 
Schädelhöhle  getreten  ist ,  zwi- 
schen den  Lamellen  der  fibrösen 
Hirnhaut  rückwärts  läuft  und 
-ffes  durch  eine  eigene  Spalte  in  der 
vorderen  inneren  Fläche  der 
Schläfenpja-amide  vor  und  unter 
dem  Hiatus  can.  facialis  zum  N. 
facialis  gelangt.  Er  verbindet  sich 
direct  mit  dem  Ggl.  geniculatum 
oder  erreicht,  der  häufigere  Fall, 
den  Nervenstamm  unterhalb  die- 
ses Ganglion.  Valentin  (S. 444) 
betrachtet  den  N.  petrosus  su- 
perficialis tertius,  dem  er  noch 
die  Synonyme  externus  s.  vas- 
cularis  zufügt,  als  einen  Zweig 
des  N.  facialis,  der  in''  das  Nerven- 
geflecht der  A.  meningea  media 
eintrete.  J.Müller  (Archiv  1837, 
S.  XXVI)  hält  ihn  für  unbe- 
ständig, Arnold  (S.  868)  hat 
Vordere  Aeste  des  Ggl.  cervic.  supr.  [Gcs)  von  der  ihn  nicht  gesehen  und  Beck 
äusseren  Seite.  1  Proc.  mastoid.  2  Carotis.  3  Proc.  (Ueber  einzelne Theile  des  sieben- 
styloid.  4  Unterkieferast.  5  Lig.  stylomyloid.  6  Masscter.  ten  und  achten  Hirnnervenpaars 
7  Gland.  carotica.  Cc  Carot.  comm.  Ci,  Ce  Carotis  g.  43)  erklärt  ihn  für  ein  Ge- 
int, und  ext.  tsu  A.  thja-eoidea  sup.  l  A.  linguahs.  fässzweigcheu. 
me  A.  maxillaris  ext.     t^Js  A.  tempor.  superf.      ap   A. 

auric.  post.  Den  Ursprung  aller  der 

aufgezählten  Gefässnerven  zu- 
nächst aus  dem  Ggl.  cervic.  supr.  bezeugen  physiologisclie  Erfahrungen  an 
Kaninchen  und  Hunden.  Die  Erweiterung  der  Gefässe  nach  Durchschneidung 
des  N.  sympathicus  am  Halse  ist  nachgewiesen  für  das  äussere  Ohr  durch 
den  bekannten  Bernar d'schen  Fundamentalversuch,  für  die  GefässS  der 
Paukenhöhle  durch  Pr  US sak^),  für  die  Gefässe  der  Iris,  Choroidea  und  Retina 
durch  Wegner 2),  für  die  Gefässhaut  des  Gehirns  durch  NothnageP). 
Contraction  der  Hirngefässe  auf  Reizung  des  Halssympathicus  beobachteten 
Don  der  s  und  Gallen  fels*)  und  Nothnagel,  Contraction  der  Irisgefässe 
auf  Reizung  des   Kopfendes   des   Sympathicus  Wegner.     Der  Letztere  sah 


1)  Meissner'»  Jahresbericht  1868,   S.   440.      2)  Ebendas.   1866,   S.  442.  Vergl.   dage- 
gen Schiff  1868,   S.  481.     ^)  Ebendas.   1867,  S.   566.     *)  Ebendas.   1856,   S.   348. 


2.  Hals-  u. 
obur.   J  Jrust- 
tlieil. 


570  Hals-  und  oberer  Brusttheil. 

die  Irisgefässe  aiicli  auf  Durchschneidung  des  Trigeminus  sich  erweitern 
und  scUiesst,  dass  die  im  Sympathicus  verlaufenden  vasomotorisclien  Nerven 
in  der  Schädel  höhle  sich  an  den  Trigeminus  und  zwar  an  dessen  medialen 
Rand  anlegen.  Aus  Nothnagel's  Versuchen  aber  ergiebt  sich,  dass  die 
vasomotorischen  Nerven  der  Gefässhaut  nicht  ausschliesslich  aus  dem  Sym- 
pathicus,  sondern  auch  aus  den  Hirnnerven  stammen,  die  mit  dem  Plexus 
carot.  Verbindungen  eingehen.  Bei  Hunden  vermochte  Prevost^)  einen 
Congestivzustand  der  Nasenschleimhaut,  wie  er  ihn  auf  elektrische  Reizung 
des  Ggl.  nasale  eintreten  sah,  durch  Reizung  des  oberen  Endes  des  durchschnit- 
tenen Halssympathicus  nicht  zu  erzielen.  Dass  die  Gefässe  ihre  motorischen  Ner- 
ven nicht  lediglich  aus  den  Geflechten  beziehen,  die  vom  Ggl.  cervicale  supr.  an  mit 
ihnen  verlaufen,  geht  aus  den  Beobachtungen  Schiffs  an  den  Gefässen  der 
Zunge  ^)undMore  au' s  am  Ohr  des  Kaninchen^)  hervor.  Nach  Schiff  zieht  auch 
die  Durchschneidung  desN.  lingualis,  sowie  des  N.  hypoglossxis  Röthung  der  ent- 
sprechenden Zungenhälfte  nach  sich.  Moreau  konnte,  wenn  die  Durchschnei- 
dung des  Sympathicus  am  Halse  oder  der  Gefässnerven  an  der  A.  temporalis  nur 
geringen  Erfolg  hatte,  mittelst  Trennung  desN.  auricularis  eine  bedeutende  Injec- 
tion  der  Ohrgefässe  hervorrufen.  Auf  die  Operation  am  Sympathicus  reagir- 
ten  die  Gefässe  in  der  Umgebung  des  Gehörgangs,  auf  die  Operation  am 
N.  auricularis  die  Gefässe  der  Spitze  des  Ohrs. 

Ich  habe  oben  (S.  353)  die  Versuche  aufgeführt,  welche  beweisen,  dass 
der  N.  trigeminus  seinen  Einfluss  auf  die  Ernährung  des  Auges  den  sympa- 
thischen Fasern  verdankt,  die  sich  dem  Ganglion  und  dem  ersten  Aste  beige- 
sellen. Auch  diese  Fasern  lassen  sich  zum  Grenzstrang  verfolgen,  da  die 
Durchschneidung  des  Sympathicus  am  Halse  dieselben  Veränderimgen  am 
Auge  hervorbringt,  wie  die  Durchschneidung  des  Trigeminus '^). 

Das  Verhältuiss  des  Sympathicus  zu  den  Drüsennerven  am  Kopfe  be- 
darf noch  näherer  Aufklärung.  Von  der  Submaxillardrüse  ist  bekannt,  dass 
sie  auf  Reizung  des  Sympathicus  secernirt ,  aber  ein  Secret  liefert,  welches 
sich  von  dem  durch  Reizung  des  N.  facialis  hervorgerufenen  einigermaassen 
unterscheidet.  Was  die  Thränendrüse  betrifft,  so  gewannenHerzenstein^) 
und  Wolferz*')  von  der  Reizung  des  Sympathicus  schwankende  Resultate; 
doch  entschied  bei  Wolf  er  z  die  grosse  Mehrzahl  der  Versuche  für  die  secre- 
^torische  Wirkung  des  Sympathicus  und  damit  stimmt  auch  De mt schenke'') 
über  ein. 

2.     Hals-  und  oberer  Brusttheil. 

Ich  habe  schon  gelegentlich  darauf  hingewiesen,  dass  der  Halstheil  des 
Sympathicus    vom   Kopftheil    nicht    scharf   zu   sondern  ist,    weil  Aeste,    die 


1)  Meissner's  Jahresbericht  1868,  S.  327.  2)  Archiv  für  phj^siol.  Heilk.  XII,  378. 
3)  Arch.  de  physiol.  1872,  p.  667.  ^)  Valentin,  Funct.  nerv.  p.  109.  Reid,  Physiol., 
anatom.  and  path.  researches.  Edinb.  1848,  p.  296.  Volkmann  in  R.  Wagner's  Hand- 
wörterb.  II,  621.  v.  Walther  berichtet  (in  Graefe  und  W.  Journal  XXIX,  1840,  S.  549) 
einen  Fall,  in  welchem  Augenentzündung  eintrat  nach  zufälliger  Durchschneidung  des 
Sympathicus  am  Halse  bei  Exstirpation  eines  Aneurysma  der  Carotis.  ^)  Meissner 's 
Jahresbericht  1867,  S.  429.  ^)  Experimentelle  Unters,  über  die  Innervationswege  der 
Thränendrüse.  Dorpat  1871,  S.  40.     ^)  Archiv  für  die  ges.  Physiologie  VI,  191. 


Hals-  und  oberer  Brusttheil.  571 

wegen  ihrer  Endigung  den  Halsnerven  zuzuzählen  sind ,  aus  dem  ersten 
Cervicalganglion  in  Gemeinschaft  mit  Aesten  zu  Kopfarterien  entspringen. 
So  müssen  wir  auch  unter  gemeinschaftlicher  Rubrik  die  peripherischen 
Aeste  des  Sympathicus  zusammenfassen,  die,  am  Halse  entspringend,  theils 
in  den  am  Halse  gelegenen  Gefässen  und  Eingeweiden  sich  verästeln,  theils 
zu  den  Organen  der  Brusthöhle  und  namentlieh  zum  Herzen   hinabsteigen. 

Von  einem  kurzen  und  feinen  Aste,  der  das  Ggl.  cervic.  supr.  mit  dem 
Plexus  ganglioformis  des  N.  vagus  verbindet  (Fig.  304  *),  ist  nicht  zu  entschei- 
den, ob  seine  Fasern  vom  Sympathiciis  zum  Vagus  oder  in  umgekehrter 
Richtung  verlaufen  und  wo  sie  ihr  peripherisches  Ende  finden. 

Dem  Halstheil  allein  gehören  an: 

1.  Aeste  des  Sympathicus  zum  Plexus  pharyngeus,  die  sich  von  den 
Gefässnerven  der  Carotis  ext.  ablösen  oder  selbständig  oberhalb  dieser  Ge- 
fässnerven  aus  dem  obersten  Cervicalganglion  kommen  (Fig.  302). 

2.  Fäden  von  gleichem  Ursprung,  die  in  den  N.  laryngeus  sup.  ein- 
gehen (Fig.  302). 

3.  Ein  beständiger  Ast  des  Plexus  carot.  ext.  geht  gerade  abwärts  zu  der 
im  Theilungswinkel  der  A.  carotis  comm.  gelegenen  Gland.  carotica  (Fig.  306). 

Nacli  Svitzer  (Einige  Unters,  über  das  Ggl.  iutercaroticum.  Kopeuli.  1863) 
bezieht  diese  Drüse  zuweilen  einen  Ast  vom  N.  liypoglossns ;  in  einigen  Fällen 
wurde  sie  ausschliesslich  vom  N.  glossopharyngeus  oder  vom  N.  laryng.  sup.  ver- 
sorgt. 

4.  Die  Gland.  thyreoidea  erhält  von  den  Gefässnerven  der  A.  thyreoi- 
dea  sup.  einige  feine  Zweige  (Fig.  302) ;  andere  gelangen  zu  dieser  Drüse 
aus  dem  Geflecht,  Plexus  thyreoid.  inf.,  welches,  vom  Ggl.  cervicale  med.  und 
inf.  aus,  die  A.  thyreoidea  inf.  begleitet  und  ein  grösseres  oder  einige  klei- 
nere Knötchen,  Ganglia  thyreoidea^  eingestreut  enthält  (Andersch^). 

5.  Vom  untersten  Cervical-  und  obersten  Dorsalganglion  steigen  mit 
der  A.  vertebralis  Zweige-)  durch  die  Forr.  transversalia  der  Halswirbel 
empor,  welche  am  Ursprünge  leicht  aufzufinden  sind,  sich  aber  bald  in  einen 
Plexus  mikroskopischer,  die  Arterie  und  deren  Aeste  umspinnender  Fäden, 
Plexus  vertehralis'^),  auflösen.  Sie  verbinden  sich  mit  den  Cervicalnerven- 
stämmen  durch  Fäden  von  geringer,  gegen  die  oberen  Nerven  abnehmender 
Stärke. 

Dieser  allgemein  adoptirteii  Darstellung  entgegen  beschreibt  Cr  uv  eil  hier 
den  die  A.  vertebralis  begleiteiideD  Nerven  unter  dem  Namen  N.  vertebralis 
als  einen  aus  dem  dritten  bis  fünften  Cervicalnerven  entspringenden,  combinirten 
R.  commiinicans,  der  dem  unteren  Cervicalganglion  Fasern  aus  den  genannten 
Cerebrospinaluerven  zuführe.  Cruveilhier  stützt  sich  dabei  auf  eine  von  Jar- 
javaj'  beobachtete  Varietät,  wo  die  A.  vertebralis  erst  zwischen  dem  dritten  und 
vierten  Halswirbel  in  den  Canal  der  Foramina  transversai'ia  eintrat,  das  untere 
Cervicalganglion  nur  einen  Zweig  vom  achten  Cervicalnerven  ei'hielt,  die  Rr- 
communicantes  des  vierten  bis  siebenten  Cervicalnerven  sich  mit  einem  mittleren 
Cex'vicalganglion  verbanden  und  der  N.  vertebralis  fehlte. 


1)  A.   a.   0.   Taf.  V,   2.      ^)    Courant  posterietir  ou  vertehral  Bourgery.    Truncim   cervi- 
calis  prof.  7iervi  sympathici.      ^)   Plexus  vertebro-basilaris. 


572  Hals-  und  oberer  Brusttheil. 

Zum  Brusttheil  würden,  weun  ihre  Existenz  gesichert  wäre,  die  Fäden 
zu  rechnen  sein,  die  aus  dem  oberen  und  mittleren  Cervicalganglion  sich 
dem  N.  phrenicus  beigesellen  (S.  472). 

Der  Brust  gehört  ferner  an  das  ansehnliche  mediane  Geflecht  der  Herz- 
nerven, Plexus  cardkicus,  zu  welchem  der  R.  ext.  desN.  laryng.  sup.  (S.437), 
der  Stamm  des  N.  vagus  selbst  (S.  440),  der  N.  laryngeus  inf.  oder  der 
Plexiis  pulmonalis  (S.  443),  nach  Einigen  auch  der  R.  cervicalis  descendens 
(S.  469),  sodann  die  Cervicalganglien  und  das  erste  Dorsalganglion  beider 
Seiten  beitragen.  Der  Antheil  der  Cervicalganglien  ist  sehr  veränderlich, 
was  doch  wohl  nur  auf  dem  bedeutungslosen  Umstände  beruht,  ob  die  Herz- 
nervenfasern früher  oder  später  in  einer  grösseren  oder  geringeren  Zahl 
von  Strängen  den  Grenzstrang  verlassen. 

Sympathische  Herznerven  werden  allgemein  drei  aufgezählt:  Ein  N. 
cardiacus  sup.  ^),  der  mit  einer  Wxirzel  oder  mehreren  aus  dem  Ggl.  cervi- 
cale  supr.  oder  dicht  unter  demselben  aus  dem  Grenzstrang  entspringt ;  ein 
N.  cardiacus  medius^),  der  seinen  Ursprung  aus  dem  Ggl.  cervicale  med. 
nimmt,  und  ein  N.  cardiacus  inf.  ■^)  aus  dem  unteren  Cervical-  und  dem  obe- 
ren Dorsal ganglion.  Der  eine  oder  andere  dieser  Nerven  kann  fehlen  oder 
ungewöhnlich  fein  werden  oder  so  früh  sich  mit  dem  nächsten  Nerven  sei- 
ner Seite  vereinigen ,  dass  er  sich  wie  eine  Wurzel  zu  ihm  verhält. 
Zahl  und  Stärke  der  Nerven  beider  Seiten  können  sich  sehr  ungleich  ver- 
halten und  das  Uebergewicht  kann  ebensowohl  auf  der  rechten,  wie  auf  der 
linken  Seite  sein.  Wie  An  der  seh  habe  ich  den  N.  card.  superior  nur  auf 
der  linken  Seite  gesehen;  der  N.  cardiacus  inf.  käme  nach  Meckel  nur  auf 
der  rechten  Seite  vor.  Nn.  cardiaci  med.  und  inf.  können  sich  zu  Einem 
starken  Stamme  "*)  vereinigen.  In  den  N.  cardiacus  sup.  geht  gewöhnlich 
schon  in  der  Mitte  des  Halses  der  R.  card.  des  N.  laryng.  sup. 
über.  Dem  N.  card.  inf.  gesellen  sich  Zweige  des  N.  laryngeus  inf.  bei. 
Die  sympathischen  Fäden  zur  Gland.  thyreoidea,  zum  Oesophagus,  zum  Kehl- 
kopf, zur  Carotis  communis  werden  mitunter  von  den  Nn.  cardiaci  über- 
nommen. 

Rüdiuger  (üeber  die  Rückenmarksnerven  der  Baucbeingeweide.  München 
1866,  S.  15)  glaubt  bemerkt  zu  haben,  dass  vom  zweiten  Dorsalgauglion  Bündel 
aufwärts  und  über  das  erste  binwegiaufen,  um  iu  die  Rr.  cardiaci  überzugeben. 

Gegen  den  Eintritt  in  die  Brusthöhle  convergiren  die  Nn.  cardiaci  bei- 
der Seiten ;  mittelst  zahlreicher  Anastomosen  bilden  sie  einen  weitmaschigen 
Plexus,  an  welchem  eine  oberflächliche^)  und  eine  tiefere  Schichte'^)  unter- 
schieden werden  kann.  Die  oberflächliche  Schichte,  an  der  vorzugsweise 
die  oberen  Herznerven   sich  betheiligen ,    dehnt   sich   mehr    nach  der  linken 


^)  N.  Card.  s.  cordis  supremus.  N.  c.  superficialis  Scarpa.  2)  N.  card.  mngnus  s. 
prof.  Scarpa.  jV.  cardiacus  ext.  und  int.  And  er  seh.  ^)  N.  card.  tertius  s.  parvus.  N. 
c.  minor  Scarpa.  Arnold  und  Valentin  unterscheiden  einen  besonderen  N.  card.  qnart. 
s.  iinus  aus  dem  Ggl.  dorsale  primum.  *)  N.  cardiacus  crassus.  ^)  Plexus  cardiacus  super- 
ficialis. Plexus  aorticus  ant.  And  er  seh.  ^)  PI.  c.  profundus  s.  magnus.  Cruveilhier 
scheidet  das  Geflecht  in  einen  oberflächlichen,  mittleren  und  tiefen  Plan,  Valentin  in 
einen  Plex.  cardiac.  sup.  und  inf. 


Hals-  und  oberer  Brusttheil. 

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574  Hals  -  und  oberer  Brusttheil. 

Seite  aus;  sie  bedeckt  den  concaven  Rand  des  Aortenbogens  und  die  Bifur- 
cation  der  A.  pulmonalis  und  scbliesst  an  dieser  Stelle,  oder  auch  weiter 
oben,  da  wo  der  N.  cardiacus  sup.  die  A.  thyreoidea  kreuzt,  ein  Ganglion  i) 
ein,  welches  in  zwei  2)  zerfallen,  aber  auch  gänzlich  fehlen  kann.  Die  tiefe 
Schiebte  des  Plex.  cardiacus  liegt  weiter  rechts,  zwischen  der  Aorta  und 
dem  unteren  Ende  der  Trachea;  von  ihr  aus  gehen  feine  Aeste  direct  in  die 
Wand  der  Atrien  (Fig.  307).  Beide  Schichten  des  Geflechtes  senden  feine 
Zweige  aus,  die  an  den  grossen  Gefässstänimen  peripherisch  weiter  gehen, 
und  stärkere,  die  unter  dem  visceralen,  an  die  Gefässstämme  sich  anlegenden 
Blatte  des  Pericardium  zur  Querfurche  des  Herzens  gelangen  und  von  da 
ein  Plexus  Coronarhis  dext.  und  Sinisier  Scarpa^),  theils  mit  den  Aa.  coro- 
nariae,  dieselben  umspinnend,  verlaufen,  theils  selbständig  von  Strecke  zu 
.Strecke  zur  Herzspitze  herabziehen. 

Die  Verzweigungen  der  Nerven  in  den  Furchen  und  in  der  Substanz  des 
Herzens  sind  reichlich  mit  Ganglien  versehen.  Nach  S  c  h k  1  a  r  e  w  s  k  i  4),  der  sie  an 
den  Herzen  kleiner  Säugethiere  und  Vögel  mittelst  Maceration  in  Holzessig 
sichtbar  machte,  bilden  grössere  Ganglien,  durch  Nervenfaserstränge  zu 
Ketten  verbunden,  zunächst  zwei  geschlossene  Ringe,  deren  einer  fast  recht- 
winklig zur  I^erzbasis  streichend  dem  äussersten  Umfange  des  Septum  atrio- 
rum  entspricht,  während  der  andere,  nahezu  rechtwinklig  zu  jenem,  in  der 
Atrioventriculargrenze  verläxift  und  dabei  vorn  und  hinten  in  der  Ebene 
der  verticalen  Scheidewand  den  ersten  Ring  anastomosirend  durchkreuzt. 
Die  Ganglien  liegen  meist  ziemlich  oberflächlich  unter  dem  Pericardium. 
Von  den  gangliösen  Ringen  gehen  in  die  Musculatur  der  Atrien  und  Ven- 
trikel beiderseits  geflechtartig  sich  verbindende  dünnere  Zweige  ab ,  welche 
kleinere  Ganglien  und  einzelne  eingelagerte  Nervenzellen  enthalten.  Die 
ansehnlichsten  Zweige  dieser  Art  steigen  vorn  und  hinten  an  der  Wand 
der  Ventrikel  herab;  ob  sie  sich  an  der  Spitze  der  Ventrikel  wiederum  zum 
Ringe  verbinden,  blieb  xinentschieden.  Bei  Vögeln  befindet  sich  das  grösste 
Herzganglion  hinten  am  Zusammenfluss  der  beiden  Ganglienringe;  an  dem 
Säugethierherzen  liegen  die  beiden  ansehnlichsten  Ganglien  weiter  oben 
nahe  der  Einmündung  der  V.  cava  sup.  Die  grösseren  Ganglien  sind  bei 
den  Vögeln,  minder  deutlich  bei  den  Säugethieren ,  durch  Scheidewände 
von  Nervenfasern  und  Bindegewebe  abgetheilt.  Ueberall  scheinen  die  ein- 
zelnen Zellen  eine  besondere  bindegewebige  Hülle  zu  besitzen.  Ihre  Grösse 
variirt  zwischen  0,013  und  0,024  Mm.,  ihre  Gestalt  ist  meist  retorten-  oder 
kolbenförmig,  häufig  mit  deutlichem  Faserursprung,  zuweilen  auch  spindel- 
förmig. Die  Nervenfasern  der  Ganglienstränge  gehören  grösstentheils  zu 
den  blassen. 

Die  Versuche ,  am  Froschherzen  das  Verhältniss  der  Nervenfasern  zu 
den  Nervenzellen  zu  ermitteln,  haben  noch  nicht  zu  übereinstimmenden  Er- 
gebnissen geführt.  Der  Behauptung  Kölliker's^),  dass  die  Ganglien  nur 
unipolai'e  Zellen  enthalten  und  die  Vagusfasern,  ohne  Verbindungen  mit 
den   Nervenzellen   einzugehen,    zu     den  Muskeln    verlaufen,    widersprechen 


^)     G(jl.   cardiacum.        ^)    Grjl.    Card.  sup.   und  inf.   ,s.   magnum    s.    Wrishergi.         ^)  Plex. 
caron.  unt.   und  poü.      ^)  Gütt.  Naclii-,    1872,  No.   21.      '^j   Gewebel.  S.   581. 


Hals-  und  oberer  Brusttheil.  575 

Beale^)  und  Bidder  2);  jener  erklärt  die  Nervenzellen  des  Froschherzens 
einfach  für  bipolare,  dieser  glaiibt  an  den  beiden  mit  der  Nervenzelle  zu- 
sammenhängenden Fasern  den  Gegensatz  wieder  zu  erkennen ,  der  in  den 
sympathischen  Nervenzellen  des  Frosches  zwischen  der  markhaltigen  und 
blassen  (spiraligen)  Faser  besteht  (S.  23). 

Der  Erste,  der  Ganglien  an  den  Nerven  in  der  Substanz  des  Herzens  eines 
Säiigethiers  (des  Kalbes)  beschrieb,  Avar  Eemak  (Müll.  Arcli.  1844,  S.  463).  Die 
von  dem  abgebildeten  Ganglion ,  aus  der  rechten  Auricula ,  abgehenden  Nerven 
waren  zusammengenommen  viel  stärker ,  als  die  aus  dem  Hauptnervenstamm  in 
das  Ganglion  eintretende  Fasermasse,  was  Eemak  aitf  Rechnung  der  im  Gang- 
lion sich  vermehrenden  gelatinösen  Easern  schreibt.  In  Lee's  Abbildung  der 
Herzuerveu  (Philos.  transact.  1849,  P.  I,  p.  43)  ist  offenbar  der  Reichthum  sowohl 
au  Nerven  als  an  Ganglien  übertrieben.  Gloetta  (Würzb.  Verh.  III,  64),  der  die 
Lee' sehen  Ganglien  mikroskopisch  untersuchte,  fand  keine  Nervenzellen  in  den- 
selben und  erklärt  sie  für  abgeplattete  Anschwellungen,  die  die  oberflächlichen 
Nerven  an  den  Stellen  erleideji,  wo  sie  quer  über  Gefässe  hinweggehen. 

Var.  Murray  (LudAvig  script.  neurol.  minores  II,  246)  sah  den  N.  cardiac. 
sup.  dem  sechsten  Halswirbel  gegenüber  vollständig  in  die  Scheide  des  N.  vagus 
eintreten,  so  dass  beide  nur  mit  Hülfe  des  Scalpells  getrennt  werden  konnten. 
Etwa  10  Mm.  weiter  abwärts  ging  der  N.  cardiacus  wieder  aus  dem  N.  vagus  wie 
ein  Ast  desselben  hervor. 

Unter  den  Nerven,  die  im  Plexus  cardiacus  dem  Herzen  zugeführt  wer- 
den, finden  sich  zweierlei  Arten:  1.  centrifugale ,  hemmende  und  erregende, 
und  2.  centripetale  oder  excitomotorische.  Die  hemmenden  sind  am  Halse  im 
Stamme  des  Vagus  enthalten,  wie  durch  zahlreiche  Erfahrungen  an  Thieren 
und  eine  von  mir  am  Menschen  (Hingerichteten)  angestellte  Beobachttmgä)  ermit- 
telt ist.  Aus  dem  Gehirn  treten  sie,  nach  den  übereinstimmenden  Versuchen 
von  Waller*),  Schifft)  und  Heidenhain^),  in  den  Wurzeln  des  N.  acces- 
sorius  hervor.  Die  Vaguszweige  zum  Plex.  cardiacus  sind  zahlreicher  auf 
der  rechten  Seite,  als  auf  der  linken  (S.  440),  und  damit  stimmt,  dass  beim 
Kaninchen,  beim  Hund  und  bei  der  Taube  die  Reizung-  des  rechten  Ner- 
venstammes das  Herz  vollständiger  und  für  längere  Zeit  zur  Ruhe  bringt, 
als  die  des  linken  (Masoin)^). 

Erregende,  d.  h.  die  Frequenz  des  Herzschlags  erhöhende  Fasern  schei- 
nen im  Rückenmark  zu  entspringen  und  iir^  der  Bahn  des  Sympathicus  zu 
ihrem  Bestimmungsorte  zu  gelangen.  Doch  giebt  die  Reizung  des  Sympa- 
thicus am  Halse  nur  zweifelhafte  Resultate.  Ich  selbst  sah  beim  Enthaup- 
teten, als  die  freiwilligen  Bewegungen  des  Atrium ,  etwa  25  Minuten  nach 
dem  Tode,  erloschen  schienen,  auf  Application  der  Drähte  des  Rotations- 
apparats an  den  peripherischen  Stumpf  des  durchschnittenen  Sympathicus 
der  linken  Seite,  fast  augenblicklich  die  rhythmischen  Zusammenziehungen 
wieder  beginnen,  wagte  aber  nicht.  Gewicht  auf  diese  Beobachtung  zu  legen, 
weil  das  Atrium  später  noch  mehrmals  nach  längeren  Pausen  spontan  wie- 
der zu  schlagen  begann.  Am  Kaninchen  operirten  v.  Bezold  und  M.  und 
E.  Cyon  mit  widersprechenden  Erfolgen:  Der  Erstere  fand  im  Grenzstrang 


1)  Philosoph.  Transact.   1836,  P.  II,  p.   561.  ^j^rchiv  für  Anat.   1868,   S.   7. 

3)  Ztschr.  für  rat.  Med.  N.  F.  II,  300.  ^)  Meissner 's  Jahresbericht  1856,    S.  434, 

5)  Ebendas.  1858,   S.  561.  6)  Ebendas.   1865,   S,   464.        7)  Bulletin  de  l'acad.  roy.  de 

Belgique.     3.  ser.   T.  VI,  Nr.  4. 


576  Hals-  und  oberer  Brusttheil. 

des  Sympathicus  am  Halse  Fasern,  die  das  Herz  schneller  schlagen  machten; 
die  Letzteren  betrachten  die  gesteigerte  Herzaction,  die  der  Reizung  des 
Grenzstrangs  folgt,  als  eine  reflectirte,  durch  den  N.  depressor  (S.  439)  ver- 
mittelte. Dass  vom  untersten  Cervicalganglion  {Ggl.  stellatuni)  oder  vom 
obersten  Dorsalganglion  aus  der  Herzschlag  bei  Hunden  und  Kaninchen 
beschleunigt  und,  wenn  er  aufgehört  hat,  wieder  in  Gang  gebracht  werde, 
darin  stimmen  alle  Beobachter,  Bernard  i),  v.  Bezold,  die  Gebr.  Cyon 
und  Schmiedeberg 2),  überein.  Dagegen  bestehen  wieder  Meinungsver- 
schiedenheiten in  Betreff  der  Bahnen,  auf  welchen  die  Fasern  vom  Rücken- 
mark zu  jenen  Ganglien  sich  begeben.  Ein  Versuch,  den  zuerst  Budge 
am  Frosche  ausführte,  Donders^)  an  diesem  Thiere  und  v.  Bezold'')  mit 
einiger  Modification  und  fast  gleichem  Erfolg  beim  Kaninchen  wiederholte, 
ergab,  dass  Reizung  des  Rückenmarks ,  so  wie  des  Grenzstrangs  in  seiner 
ganzen  Länge ,  von  der  Lendengegend  an  bis  zum  obersten  Dorsal  -  oder 
untersten  Cervicalganglion ,  den  Herzschlag  beschleunigt  und  verstärkt. 
V.  Bezold  deutet  diesen  Versuch  dahin,  dass  der  Grenzstrang  in  seiner 
ganzen  xiusdehnung  aus  dem  Brust-  und  Lendenmark  herzerregende  Fasern 
beziehe ,  die  aufwärts  laufend  schliesslich  als  Nn.  cardiaci  inff.  aus  dem 
Grenzganglion  hervorkommen.  •  Aber  schon  Meissner  erinnert  an  den 
Einfluss,  den  die  Reizung  zahlreicher  vasomotorischer  Nerven  auf  den  Herz- 
schlag haben  müsse,  und  Ludwig  und  Thiry^)  leiten  den  Erfolg  der 
V.  Bezold' sehen  Versuche  ganz  allein  von  der  indirecten  Einwirkung  der 
in  weitem  Bereich  contrahirten  Gefässe  auf  das  Herz  ab.  Bei  den  nach- 
folgenden Bemühungen  von  Bezold 's  und  seiner  Schüler*'),  den  Antheil 
der  excitirenden  Herz  -  und  der  Gefässnerven  an  der  Beschleunigung  des 
Herzschlags  zu  sondern ,  ist  von  den  im  Rückenmark  und  im  Sympathicus 
aufsteigenden  Fasern  nicht  mehr  die  Rede;  es  handelt  sich  nur  noch  um 
die  Nerven,  die  die  beschleunigenden  Fasern  aus  dem  Halsmark  zum  letz- 
ten Cervical  -  imd  ersten  Dorsalganglion  überführen.  Ich  erwähne  nur,  dass 
nach  Bever  und  v.  Bezold  diese  Nerven,  die  Wurzeln  des  Ggl.  stellatum, 
theils  von  Schlingen  des  Plexus  brachialis,  theils  von  dem  die  A.  vertebralis 
umspinnenden  Geflechte  sich  abzweigen.  Es  gelang  nicht,  sie  beim  Kanin- 
chen bis  zu  Stämmen  der  Cervicalnerven  zurückzuverfolgen ;  in  den  Rücken- 
markswurzeln des  ersten  Dorsalganglion  konnte  Schmiedeberg  (beim 
Hunde)  Beschleunigungsfasern  nicht  nachweisen.  Demselben  Beobachter 
zufolge  führte  von  den  peripherischen  Herznerven  der  aus  dem  untersten 
Cervicalganglion  entspringende  N.  cardiacus  sup.  Schmiedeberg  bald  Be- 
schleunigungs-,  bald  Hemmungsnerven,  ebenso  der  aus  dem  N.  laryngeus 
inf.  entspringende  N.  cardiacus.  Im  Stamme  des  Vagus  und  in  einem  tiefer 
aus  dem  Grenzstrang  entspringenden  N.  cardiacus  inf.  lagen  hemmende 
und  beschleunigende  Fasern  neben  einander. 

Die  excitomotorischen  Fasern  des  Plexus  cardiacus  müssen,  wenn  sie 
nicht  als  N.  depressor  gesondert  vorkommen ,  im  Stamme  des  Vagus  ent- 
halten sein. 


1)  Meissner'»  Jahresbericht  1856,  S.  434.  ^)  Ebendas.  1871,  S.  311.  3)  Ebendas. 
1856,  S.  434.  4)  Ebendas.  1862,  S.  479.  '")  Ebendas.  1863,  S.  392.  ^)  Ebendas.  1866, 
S.  422.   1867,  S.   548. 


Unterer  Brust-  und  Bauclitheil.        '•       '  577 

Der  Umstand,  dass  das  ausgeschnittene  Herz  seine  rhythmischen  Bewe- 
'  gungen  fortsetzt,  musste  dazu  führen,  das  Centralorgan  der  Bewegungen 
in  dem  Herzen  selbst  zu  suchen;  die  Entdeckung  der  Ganglien  in  der  Sub- 
stanz des  Herzens  befestigte  diese  Anschauung.  Den  Sitz  des  Centralorgans, 
zunächst  für  den  Frosch,  genauer  zu  ermitteln,  kam  der  Anatomie  die  Phy- 
siologie zu  Hülfe.  Volkmann ^)  hatte  beobachtet,  dass  die  Atrien  des 
Froschherzens,  wenn  sie  durch  einen  raschen  Schnitt  von  dem  Ventrikel  ge- 
trennt werden,  zu  schlagen  fortfahren,  während  der  Ventrikel,  wenngleich 
noch  reizbar,  die  spontanen  Bewegungen  aufgiebt.  Hiermit  stimmt  das 
Resultat  des  Stannius'schen  Versuchs  2)  überein,  dass  Umschnürung 
der  Atrien  an  irgend  einer  Stelle  die  Contractionen  der  dem  Ventrikel 
näher  liegenden,  also  abgeschnürten  Theile  des  Atrium  so  wie  des  gan- 
zen Ventrikels  aufhebt,  indess  die  über  der  Ligatur  gelegene  Partie  des 
Atrium  zu  schlagen  fortfährt.  Stannius  aber  fand  ferner,  dass  nach  Anle- 
gung einer  Ligatur  an  der  Grenze  von  Atrium  und  Ventrikel  der  Herz- 
schlag in  den  beiden  von  einander  abgeschnürten  Abtheilungen  des  Her- 
zens, nur  mit  in  beiden  Abtheilungen  verschiedenem  Rhythmus,  fortdauert. 
Weist  der  erste  Versuch  auf  Ein  Centralorgan  an  der  oberen  Grenze  des  Atrium 
hin,  so  fordert  der  zweite  die  Annahme  je  eines  eigenen  Centralorgans  für 
Atrium  und  Ventrikel.  Durch  anatomische  Thatsachen  und  physiologische 
Erwägungen  kam  Bidder')  zu  dem  Schlüsse,  dass  das  Centrum  der  rhyth- 
mischen Herzactionen  nicht  eine  in  einen  einzigen  Ort  zusammengehäufte 
Ganglienmasse  sein  könne,  sondern  in  verschiedene  Herde  getheilt  sein 
müsse,  die  in  der  Regel  zu  einer  gemeinsamen  Wirkung  combinirt  werden, 
aber  auch  getrennt  von  einander  ihre  Hei'rschaft  über  gewisse  Bezirke  der 
Herzmusculatur  ausüben. 

An  diesem  allgemeinen  Resultat  lassen  wir  uns  vorläufig  genügen. 
Die  Modificationen,  welche  Stannius  selbst  u.  A.  4)  den  Herzversuchen  ga- 
ben, haben  einstweilen  nur  zu  unentschiedenen  Streitfragen  Anlass  gege- 
ben :  ob  der  Erfolg  der  Ligatur  von  Unterbrechung  der  Leitung  oder  von 
Reizung  abzuleiten  sei ;  ob  die  einzelnen  Ganglien  auf  einzelne  Bezirke 
wii-ken  oder  ob  die  excitirende  und  hemmende,  die  automatische  und  reflec- 
tirende  Wirkung  auf  verschiedene  Ganglien  vertheilt  sei  u.  s.  w. 

3.    Unterer  Brust-  und  Bauchtheil. 

Längs  der   Aorta   descendens  und  eine   Strecke   über   dieselbe   hinaus,  3.  Unterer 
bis  zum  Promontorium,  vereinigt  sich  der  grösste  Theil  der  peripherischen  B.iuchth. 
Aeste  des  Grenzstrangs  beider  Seiten  in  einem  medianen  Geflecht,  an   wel- 
chem   drei   durch    ihre    Stärke    contrastirgnde    Abtheilungen    unterschieden 
werden.     Die  oberste   Abtheilung,   Plexus  aorticus  thoracicus,  umgiebt  mit 
sehr    zarten    Fäden    die    gleichnamige   Arterie ;     die    mittlere     Abtheilung, 


1)  Müll.  Arch.   1844,   S.  426.  2)  Ebendas.    1852,    S.   85.  ^)  Ebendas.   S.   167. 

4)  Eckhard.  Heidenhain  und  v.  Bezold  in  Meissner's  Jahresbericht  1 858,  S.  553  ff. 
Eckhard,  Nawrocki  und  Goltz,  ebendas.  1860,  S.  519  tF.  Cobelli  und  Zennaro, 
ebendas.  1862,  S.  469.  Czermak,  ebendas.  1864,  S.  470.  Bidder,  ebendas.  1866, 
S    421. 

Henle,    Anatomie.   Bd.   III.     Abth.  II.  gy 


578  Plexus  aorticus  thoracicus. 

Plexus  coeliacus,  eine  mächtige,  durch  netzförmige  Nervenstränge  verbun- 
dene Ganglienmasse,  ruht  auf  der  Aorta  abdomin.,  die  Wurzel  der  A.  coe- 
liaca  umgebend  und  auf  die  obere  Wand  der  Wurzel  der  A.  mesenterica 
sup.  sich  erstreckend;  die  unterste  Abtheilung,  Plexus  aorticus  ahdominaUs, 
aus  starken,  aber  weitläufig  anastomosirenden  Aesten  zusammengesetzt, 
reicht,  wie  erwähnt,  bis  zum  Promontorium  herab. 

Von  diesen  medianen  Geflechten ,  hauptsächlich  vom  Plexus  coeliacus, 
gehen  theils  unpaare ,  theils  paarige  Geflechte  grauer  Nerven  aus ,  die  die 
aus  der  Aorta  entspringenden  Aeste  umspinnen  und  zu  den  Eingeweiden 
begleiten.  Auf  dem  Wege  dahin  werden  sie  hier  und  da  noch  durch  directe 
Aeste  aus  dem  Grenzstrang  verstärkt.     Ihre   Namen   entlehnen   sie  von  den 

Arterien,  mit  denen  sie  verlaufen. 

« 

a.    Plexus   aorticus  thoracicus. 

a.  PI.  aort.  Fortsetzung  des  Plexus  cardiacus,  welcher  einige  Fädchen  aus  den  obe- 

ren Dorsalganglien  direct,  aus  den  mittleren  durch  den  N.  splanchnicus  zu- 
geführt werden.  Das  Geflecht  liefert  die  spärlichen  Nerven  der  Aorta  und 
ohne  Zweifel  auch  des  Duct.  thoracicus.  Ob  es  mit  dem  Plexus  oesopha- 
geiis  zusammenhängt,  ist  ungewiss. 

Zum  Plexus  aorticus  thoracicus  möchte  ich,  als  eine  durch  iing-ewölinliche 
Stärke  auffallende  Varietät,  das  symi^athische  Geflecht  der  Brusthöhle  stellen,  wel- 
ches Ludwig  (Progr.  de  plexibus  nervorum  ahdom.  Lips.  1772,  p.  11)  undWris- 
berg  (Commentat.  p.  261),  der  letztere  unter  dem  Namen  eines  N.  splanchnicus, 
sup.  beschreiben.  Nach  Wrisberg  entsteht  dieser  Nerve  mit  3  bis  4  Fäden  aus 
,  dem  Plexus  cardiacus,   erhält  Zuwachs    aus   dem   N.  laryngeus   inf.,    dem    Stamme 

des  Vagus,  dem  unteren  Cervicalgangiion  und  der  oberen  Hälfte  des  Grenzstrangs 
in  der  Brusthöhle.  In  Einem  Falle  vereinigten  sich  die  Nerven  beider  Seiten  zu 
Einem  Stamm,  der  mit  dem  Stamm  des  rechten  Vagus  verschmolz ;  in  den  übri- 
gen Fällen  gingen  sie  mit  der  Aorta  oder  mit  den  Nn.  splanchnici  maj.  in  die 
Bauchhöhle  und  in  den  Plex.  coeliaciis  über.  Wrisberg  sah  den  Nerven  in  acht 
Leichen  und  meint,  ihn  in  manchen  anderen  übersehen  zu  haben ,  vermisste  ihn 
aber  auch  oft  genug,  um  Bedenken  zu  tragen,  ihn  den  normalen  Bildungen  an- 
zureihen. 

Rüdin  ger  (Atlas  des  peripher.  Nervensystems,  Fig.  XLII)  bildet  Aeste  aus 
den  oberen  Dorsalgau glien  zu  der  Aorta,  der  V.  azygos,  dem  Duct.  thoracicus  und 
Oesophagus  ab  und  bezeichnet  mit  41  eine  Verbindung  jener  Aeste  mit  dem  Plexus 
pulmonalis,  von  der  er  sagt,  dass  er  sie  öfters  beobachtet  habe. 

b.     Plexus   coeliacus  Pco. 

b.  PI.  coei.  Die  Dorsalganglien,  vom  siebenten,  zuweilen  schon  vom  sechsten  an  bis 

zum  elften,  senden  je  einen  Ast,  der  dem  R.  communicans  an  Stäi"ke  ziem- 
lich gleichkommt,  oder  mehrere  feinere  oder  eine  geringere  Zahl  combi- 
nirter  Aeste  median-abwärts  aus ;  aus  dem  spitzwinkligen  Ziisammenfluss 
dieser  Aeste  entstehen  die  Nn.  splanchnici^),  die,  gedeckt  von  der  Pleura, 
auf  den  Wirbelkörpern  herablaufen ,  durch  die  Zacken  der  Vertebralportion 
des  Zwerchfells  in  die  Bauchhöhle  gelangen  und  im  Plexus  coeliacus  enden 
(Fig.  308). 


^)  Eingeweidenerven. 


Plexus  coeliacus.  579 

In  der  Regel  sind  es  zunächst  zwei  Stämme  jederseits ,  in  welche  die 
aus  den  genannten  Ganglien  stammenden  Aeste  sich  sammeln ,  ein  oberer 
und  stärkerer,  N.  splanchnicus  major,  und  ein  unterer,  schwächerer,  N.  splanch- 
nicus  minor-,  zu  dem  letzteren  tragen  allein  das  zehnte  und  elfte  Dorsal- 
ganglion bei.  Nn.  splanchnici  major  und  minor  verbinden  sich  zuweilen 
durch  anastomotische  Aeste;  sie  vereinigen  sich  zu  Einem  Stamme  noch  in 
der  Brusthöhle  oder  nach  dem  Durchtritte  durch  das  Zwerchfell  oder  sie 
senken  sich  gesondert  in  den  Plexus  coeliacus  ein.  Der  N.  splanchnicus  mi- 
nor giebt  in  der  Brust-  oder  Bauchhöhle  einen  Ast,  N.  renalis  postA), 
direct  zum  Plexus  renalis,  der  auch  selbständig  aus  dem  Grenzstrang  her- 
vorgehen kann  2). 

Zu  den  jedenfalls  seltenen  Varietäten  gehört  das  Gaugliou,  Ggl.  splanchnieum 
Arnold,  welches  Lobstein  (De  nervi  sympatlietici  fabrica  p.  20)  einmal  am  un- 
teren Ende,  einmal  an  den  Wurzeln  des  N.  splanchnicus  maj.  fand;  es  war  im 
ersten  Falle  halbmondförmig-,  4  Mm.  lang  und  sandte  6  bis  8  Fädan  aiis,  die  sich 
sämmtlicb  in  der  Musculatur  des  Zwerchfells  verloren;  im  zweiten  Falle  war  es 
grösser  und  gab  drei  Aeste  ab,  zwei  zum  Plexus  coeliacus ,  Einen  zum  PL  mesen- 
ter.  sup.  Nach  Arnold  und  Rüdiuger  (a.  a.  0.  S.  19)  zerfällt  es  zuweilen  in 
mehrere  Knötchen.  Eüdinger  sah  die  Ganglia  splanchnica  beider  Seiten  durch 
feine,  hinter  der  Aorta  vorüberziehende  Fäden  zusammenhängen. 

Am  Stamme  des  N.  splanchnicus  minor  kommt  zuweilen,  vor  dessen  Ueber- 
gaug  in  den  Plexus  coeliacus,  ein  Knötchen.  Ggl.  sjplanchnico  -  suprarenale  s. 
splanchnici  minoris  Valentin,  vor,  stärker  auf  der  rechten  Seite,  als  auf  der 
linken. 

Die  Nn.  splanchnici  sind  von  weisser  Farbe;  dies  erklärt  sich  daraus, 
dass  sie  zum  grossen  Theil  aus  Fasern  bestehen,  welche,  ohne  Gemeinschaft 
mit  den  Ganglien  des  Grenzstrangs,  vom  Rückenmark  und  den  Rr.  commu- 
nicantes  in  die  Wurzeln  der  Nn.  splanchnici  übergehen.  Am  fünften  bis 
neunten  Dorsalganglion  tritt  ein  Theil  der  aus  dem  R.  communicans  her- 
vorgehenden Wurzeln  direct  in  den  N.  splanchnicus,  während  ein  anderer 
Theil  im  Grenzstrang  zum  nächst  unteren  Ganglion  gelangt  und  sich  hier 
mit  der  diesem  Ganglion  angehörigen  spinalen  Splanchnicus- Wurzel  ver- 
einigt (Fig.  308).  Die  eigentlich  sympathischen  Elemente,  die  sich  aus  den 
Ganglien  jenen  directen  Rückenmarksnerven  zugesellen ,  machen  etwa  den 
fünften  Theil  der  Nn.  splanchnici  aus  (Rüdinger). 

Wahrscheinlich  entsprechen  die  an  den  Ganglien  vorüberziehenden  Fa- 
sern den  sensibeln  Elementen  des  N.  splanchnicus,  deren  Existenz  durch 
directe  Reizung  (bei  Katzen  und  Kaninchen)  so  wie  durch  den  Verlust  der 
Empfindlichkeit  des  Darms  nach  Durchschneidung  der  Nn.  splanchnici  er- 
wiesen ist  (0.  Nasse)^). 

Das  vom  N.  splanchnicus  beherrschte  Gebiet  erstreckt  sich  über  Dünn- 
darm,  Colon  dextr.  imd  transversum,  indess  die  sensibeln,  wie  die  motori- 
schen Fasern  des   Colon   sinistr.   und   des   Rectum   im   Plex.   mesenter.   inf. 


^)  N.  renalis  post.  sup.  ^)  Dies  ist  der  N.  splanchnicus  minor  W r  i  sh  e  r g,  N.  splanch- 
nicus imus  s.  inferior  s.  tertius  mehrerer  Autoren,  bei  denen  dann  der  nach  Walter  (Tabb. 
nerv,  thoracis  et  abdom.  Berol.  1783)  sogenannte  N.  splanchnicus  minor  den  Namen  spl. 
med'ius  führt.     ^)  Meissner's  Jahresbericht  1865,   S.  485. 

37* 


580 


Plexus  coeliacus. 
Fig.  3081). 


Brust-    und  Bauchtheil  des    rechten   Grenzstrangs    vom  Neugebornen.      G  d^  Drit- 
tes   Dorsalganglion    mit    der    ersten    im    Grenzstrang  verlaufenden   Wurzel  des    N. 
splanchnicus    [spl).      *  Lumbaltheil    des    Grenzstrangs.       1   Aorta.     2    Zwerchfell. 
Pco  Plex.  coeliacus.      Paa  PI.  aorticus  abdominalis. 


1)  Nach    Rüdinger,     Ueber    die   Rückenmarksnerven    der  Baucheingeweide.     München 
1866,  Fig.   2. 


Plexus  coeliacus.  581 

enthalten  sind.  Neben  den  sensibeln  Fasern  führt  der  N.  splanchnicus  die 
vasomotorischen  der  sämmtlichen  Gefässe  des  Unterleibs  und  darauf  beruht 
der  grosse  Einfluss  jenes  Nerven  auf  die  Blutvertheihing  im  Körj)er,  auf 
welchen  die  Gebr.  Cyon  i)  und  v.  Bezold^)  die  Aufmerksamkeit  gelenkt 
haben. 

Was  die  eigentlich  motorischen  Darmnerven  betrifft,  so  harrt  die 
Frage,  wie  sich  Hemmungsnerven  (Pflüg er)  und  excitirende  im  Splanchni- 
cus zu  einander  verhalten,  noch  ihrer  Lösung  ^). 

Die  Nn.  splanchnici  sind  die  wichtigsten  Wurzeln  des  Plexus  coelia- 
cus^); neben  ihnen  betheiligen  sich  an  der  Bildung  dieses  Plexus  die  Aus- 
läufer des  Plex.  aort.  thorac.  (S.  578),  die  Endäste  der  Nn.  vagi,  besonders 
des  rechten  (S.  446)  und  Zweige  aus  dem  letzten  Dorsal-  und  obersten 
Lumbarganglion.  Die  Fäden  aus  dem  Plex.  aort.  thorac.  ziehen  aus  dem 
Hiat.  aorticus,  die  Vagusäste  aus  dem  Hiat.  oesophageus  herab  (Fig.  310);  die 
Nn.  splanchnici  maj.  und  min.  liegen,  wenn  sie  gesondert  das  Zwerchfell  errei- 
chen, in  p]iner  Spalte  der  medialen  Zacke  der  Vertebralportion,  gewöhnlich 
vor  der  Vena  azygos  rechter-,  der  V.  hemiazygos  linkerseits,  oder  sie  gehen 
durch  zwei  dicht  neben  einander  gelegene  Spalten  und  dann  auf  der  Vor- 
derfläche  der  Vertebralzacke  abwärts  gegen  den  Hiatus  aorticus ;  die  aus  den 
Ganglien  des  Grenzstrangs  hinzutretenden  Fäden  haben  einen  ziemlich 
genau  transversalen  Verlauf. 

Nach  Haber shon  (Guy's  hosp.  reports.  3.  ser.  II,  196)  tragen  zur  Bildung 
des  Plex.  coeliacus  aucli  die  Nu.  phrenici  bei.  Von  jedem  soll  ein  Zweig  abwärts 
gehen,  dem  ein  ZAveig  vom  Grgl.  coeliacum  entgegenkomme  und  zu  dieser  Anasto- 
mose sollen,  in  der  Gegend  der  Basis  des  Pericardium,  ZAveige  der  Nn.  vagi  hin- 
zutreten. Linkerseits  werde  zwischen  den  drei  Nerven  ein  zartes  Geflecht  erzexigtj 
auf  der  rechten  Seite  sende  der  N.  vagus,  ehe  er  den  Plexus  coeliacus  erreicht, 
einen  directen  Ast  hinter  der  Leber  an  der  V.  cava  vorüber  zu  einem  Zweige  des 
N.  phreuicus. 

Die  Lage  des  Plexus  coeliacus  habe  ich  bereits  angegeben ;  seine  Form 
ist  äusserst  mannichfaltig,  aus  flachen  oder  gewölbten,  einfachen  oder  durch- 
brochenen Ganglien  und  platten  Nervensträngen  mit  Vorwiegen  bald  des 
Einen,  bald  des  anderen  Bestandtheils  zusammengesetzt.  Doch  giebt  es 
Exemplare,  welche  das  wechselvolle  Bild  auf  eine  einfache  einigermaassen 
symmetrische  Grundlage  zurückzuführen  gestatten.  Der  N.  splanchnicus  maj. 
endet  jederseits  in  einen  grossen,  quer  halbmondförmigen  oder  vierseitigen 
Knoten,  Ganglion  Sl)lanc}micum  '->),  von  denen  das  linke  näher  der  Mittel- 
linie theilweise  auf  der  Aorta,  das  rechte  mehr  zur  Seite  gerückt  auf  der 
Spalte  zwischen  der  medialen  und  lateralen  Zacke  des  Vertebraltheils  des 
Zwerchfells  ruht  (Fig.  309).  Ein  zweites,  kleineres,  paariges  Ganglion,  GgJ. 
7'enali  -  aorticum  Val.,  in  welches  der  N.  splanchnicus  minor  überzugehen 
pflegt,  liegt  weiter  abwärts  auf  der  Wurzel  der  A.  renalis.  Hierzu  kommen 
zwei    unpaare,    wenn    auch    nicht   durchaus   mediane   Ganglien,   ein  oberes. 


1)  Meissner's  Jahresbericht   1866,   S.  424.     2)  Ebendas.  und  1867,  S.   558.      3)  Vgl. 

Meissner's  Jahresberichte   1856,   S.   475.      1857,   S.  496.     1858,   S.   583.     1859,  S.  461. 

1865,    S.  484.      1869,    S.   301.     v.  Braam    Houckgeest,      Archiv    für  Physiol.  VI,  292. 

*)   Plex.  epigastricus    s.  solaris.      Ggl.    coeliacum    s.  solare    s.   semilunare    s.   centrale.  Son- 
nengeflecht.    5)    Ggl.  semilunare  s.  coeliacum  s.   abdominale  f..  solare. 


582 


Plexus  coeliacus. 


Plexus  coeliacus.  583 

Ggl.phrenicum  ^),  in  der  Nähe  des  oberen  Endes  der  rechten  Nebenniere  an  der 
unteren  Fläche  des  Zwerchfells  gelegen,  und  ein  unteres,  Ggl.  tflesentericum 
Sup.,  an  der  rechten  Seite  der  Wurzel  der  A.  mesenterica ,  beide  von  der 
Grösse  des  Ggl.  renali-aorticum  und  von  drei  -  oder  vierseitiger  Gestalt. 
Die  zahlreichsten  und  stärksten  Stränge  bewerkstelligen  die  gegenseitige 
Verbindung  der  Ganglia  splanchnica;  durch  je  einen  oder  einige  graue  Ner- 
ven stehen  die  Ganglia  renali  -  aortica  mit  den  Ganglia  splanchnica  und  mit  dem 
Ggl.  mesentericum,  die  Ganglia  splanchnica  und  die  Nerven,  die  deren  Ana- 
stomose vermitteln ,  mit  dem  Ggl.  phrenicum  in  Zusammenhang ,  und 
schliessen  so  einen  Ring ,  aus  welchem  die  Geflechte  hervorgehen ,  die  die 
Aeste  der  Aorta  und  diese  selbst  abwärts  begleiten.  Insbesondere  sendet 
das  Ggl.  phrenicum  feine  Aeste  aufwärts  zur  Nebenniere,  es  sendet  feine 
Aeste  in  die  Substanz  des  Zwerchfells,  nach  Habershon^)  auch  zum  hin- 
teren Lappen  der  Leber. 

Durch  Zerfallen  der  beschriebenen  Knoten,  durch  Vervielfältigung  der- 
selben und  Einstreuung  secundärer  Ganglien  wird  die  ursprüngliche  Form 
des  Plexus  verwischt.  Die  beiden  Ganglia  splanchnica  können  zu  Einer 
breiten,  durchbrochenen,  die  Aorta  deckenden,  zwischen  beiden  Nebennieren 
allsgespannten,  gangliösen  Platte  verschmelzen.  Auch  die  Mächtigkeit  des 
Plexus  ist  verschieden,  da  die  Ganglien,  wenn  sie  sich  vervielfältigen,  bald  in 
Einer  Ebene  neben  einandei",  bald  in  Schichten  hinter  einander  liegen.  Die 
Nerven,  die  in  die  Ganglien  ein-  oder  aus  ihnen  austreten,  verbinden  sich 
entweder  mit  dem  Rand  oder  mit  der  Oberfläche  derselben  oder  mit  Spitzen, 
in  welche  die  Ganglien  sich  ausziehen. 

Die  vom  Plexus  coeliacus  ausgehenden ,  am  Ursprung  alle  unter  ein- 
ander zusammenhängenden  Geflechte  sind,  je  nach  den  Arterien,  mit  denen 
sie  verlaufen ,  theils  unpaar ,  theils  paarig.     Zu  den  unpaaren  gehören : 

1.  Plexus  coronarius  ventricuJi'^),  ein  feines,  den  Arterienbogen  der 
oberen  Magencurvatur  umspinnendes  Geflecht,  welches  zwischen  den  beiden 
gastrischen  Plexus  des  N.  vagus,  dem  vorderen  und  hinteren,  verläuft  und 
mit  beiden  anastomosirt  (S.  445). 

2.  Plexus  hepaticus,  setzt  sich  aus  Aesten  des  rechten  N.  vagus  und 
des  Plexus  coeliacus  zusammen,  umgiebt  mit  starken,  platten  Strängen  in 
Form  eines  engmaschigen  entsprechend  der  Axe  der  Canäle  gestreckten 
Netzes  die  A.  hepatica^)  xind  den  Ductus   choledochus^)   und  sendet  der  V. 

Zu  Fig.   309. 

Bauchwirbelsäule  mit  den  Ursprüngen  des  Zwerchfells,  mit  der  Aorta  abdom.  und  dem 
Plexus  coeliacus  und  aortieus  abdom.  1  Nebenniei'e,  2  Stumpf  der  A.  hepat.,  3  der 
A.  mesent.  sup.  4,  4'  Linke  und  rechte  A.  renalis.  5  A.  mesent.  inf.,  am  Ur- 
sprung abgeschnitten.  6  Synchondrose  zwischen  dem  fünften  Bauch-  und  ersten  Kreuz- 
wirbel. 7,  8,  V.  und  A.  anonyma  iliaca.  spl  N.  splanchn.  maj.  spl'  N.  splanchn. 
minor.  Gsp  Ggl.  splanchn.  Gr  Ggl.  renali-aort.  G2)h  Ggl.  phrenicum.  Gms, 
Gml  Ggl.  mesenter.  sup.  und  inf.  *  Grenzstrang  des  Sympathicus.  c  R.  communi- 
cans.     **  Verbindungsast  des  Grenzstrangs  zum  Plexus  aort.   abdom. 


1)    Ggl.  diaphragmaticum  Val.      ^)  A.  a.   0.        ^)   PL  coron.    ventr.    sup.    aut.     Plexus 
stomachicus   Lob  st  ein.  *)  Plexus  nrt.  hepatlcne.      Plexus  hepat.  nervoso-nrteriosi  Val. 

•-)  Plexus   duct.  cJioledochi,  kepniici  und  cysücL 


584 


Plexus  coeliacus. 


Fio-.  310. 


Paa 


Hintere  Eutapfwand  mit  dem  Plexus  coeliacus  und  den  von  demselben  ausgehenden  Ge- 
flechten. Der  Vertebraltheil  des  Zwerchfells  ist  aufwärts  geschlagen,  die  Leber  (l)  zur 
Seite  gelegt,  der  Magen  (2)  dicht  unter  der  Cardia  abgeschnitten  und  mit  dem  oberen 
queren  Theil  des  Duodenum  entfernt.  Pankreas  und  Milz  sind  mit  den  entsprechenden 
Gefässstämmen  ebenfalls  beseitigt.  3  Duodenum.  4  Linke  Nebenniere.  5  Hilus  der  lin- 
ken Niere  mit  dem  peripherischen  Stück  der  V.  renalis  und  der  vom  Plexus  renalis  um- 
sponnenen A.  renalis.  6  Hiatus  oesophageus.  7  Hiatus  aorticus  des  Zwerchfells.  8  Ductus 
choledochus.  9  V.  Cava  inf.  10  V.  renalis,  aus  welcher,  links  von  der  Einmündung  der 
V.  suprarenalis,  ein  Stück  ausgeschnitten  ist,  um  den  Plexus  renalis  zu  zeigen.  11  V. 
portarum.  ]  2  V.  mesenterica  sup.,  mit  welcher  sich  der  Stumpf  der  V.  lienalis  zur  V. 
portarum  vereinigt.  X  Stamm  des'  rechten  N.  vagus.  spl  N.  splanchnicus.  cos  A.  coro- 
naria  sin.,  h  A.  hepatica,  mes  A.  mesenterica  sup.,  sämmtlich  mit  den  gleichnamigen  sym- 
pathischen  Geflechten,      li  Stumpf  der  A.   lienalis.      Paa   Plexus   aort.   abdominalis. 


Plexus  coeliacus.  585 

portarum  lange,  feine  Aeste  zu  ^).  Versorgt  die  Gallenblase  mit  feinen  Zwei- 
gen und  verästelt  sich  mit  der  Arterie  und  dem  Ausfuhr ungsgang  im  In- 
nern der  Leber  (Fig.  310). 

Vom  Plexus  hepaticus  zweigen  sieb  die  feinen  Netze  ab,  die  mit  der 
A.  coronaria  ventriculi  dextra  zum  Plex.  coronarius  ventriculi ,  mit  den 
Aesten  der  A.  gastroduodenalis  zum  Pancreas  und  zur  unteren  Curvatur 
des  Magens  '^)  gelangen. 

Valentin  (Nervenl.  S.  690)  beschreibt  an  der  Galleublase  ein  oberflächliches, 
subperitoneales  und  ein  tiefes ,  die  Häute  durchdringendes  Geflecht :  von  dem  er- 
steren  sollen  zu  beiden  Seiten  der  Gallenblase  Zweige  (GaUeublasen- Leberzweige) 
ins  Innere  der  Leber  eindringen.  Demselben  Autor  zufolge  begeben  sich  vom 
Plexus  hepat.,  sowie  von  den  Plexus  pbrenicus  und  suprarenalis  Aeste  zur  V.  cava 
inf.     Arnold  bezweifelt  die  Richtigkeit  dieser  Angaben. 

Beim  Fötus  und  Neugeboruen  treten  aus  dem  Geflechte  der  V.  portarum 
Zweige  zur  V.  umbilicalis  und  zum  Duct.  venosus  (Arnold). 

3.  Plexus  lienalis  •^).  Ein  im  Vergleich  zum  Plex.  hepat.  feines  und 
weitläufiges  Netz  begleitet  die  A.  lienalis  zur  Milz  und  deren  Aeste  zum 
Pancreas  und  Magen.  Auch  im  Parenchym  der  Milz  folgen  die  Nerven, 
die  sich,  besonders  bei  Wiederkäuern,  durch  die  überwiegend  grosse  Zahl 
gelatinöser  Fasern  auszeichnen,  den  Gefässen  und  sind  noch  an  den  büschel- 
förmigen Arterien  mikroskopisch  nachweisbar.  In  dem  Balkengewebe  und 
auf  den  Follikeln  suchte  sie  Gray"*)  vergeblich. 

4.  Plexus  mesentericus  sup.  Geht  aus  den  untersten  Ganglien  des  Plexus 
coeliacus,  mit  einer  grossen  Anzahl  feiner,  weisser  Aeste  hervor  (Fig.  310),  die 
sich  divergirend  zwischen  den  Lamellen  des  Mesenterium  verzweigen,  theils 
längs  den  Arterien,  theils  zwischen  denselben  verlaufen,  einander  hier  und 
da  Anastomosen  zusenden  und  schliesslich  in  ziemlich  regelmässigen  Ab- 
ständen, öfters  unter  sehr  spitzen  "Winkeln  gabiig  getheilt,  am  Mesenterial- 
rande  des  Darms  sich  in  dessen  Wand  einsenken  (Fig.  31 1)  ^).  Die  Abstände 
betragen  durchschnittlich  etwas  über  1  Cubikmeter,  der  mittlere  Durchmesser 
der  gestreckt  an  den  Darm  herantretenden  Nervenzweige  beträgt  0,3  Mm., 
wovon  etwa  0,2  bis  0,25  Mm.  auf  das,  in  dem  bindegewebigen  Neurilem 
wellenförmig  verlaufende  Bündelchen  fein*;r  Nervenfasern  kommen.  Man 
kann  aus  diesen  Daten  ungefähr  auf  die  Ausdehnung  des  von  Einer  Nerven- 
faser beherrschten  Gebietes  schliessen. 

In  der  Darmwand  kommen  durch  Verästelung  der  Nerven,  durch  Ana- 
stomosen der  Aeste   und  Einlagerung   von   Nervenzellen   in   dieselben   zwei 


^)  Auch  die  Ausbreitung  dieser  Nerven  in  der  Pfortaderwand  wird  als  ein  besonderes 
Geflecht,  Plexus  venae  port.,  PL  hepat.  venoso-nervosi  Val.,  beschrieben.  Nach  Walter 
zerfällt  der  Plexus  hepat.  in  einen  vorderen  und  hinteren  Theil,  jener  aus  dem  Vagus- 
zweig und  dem  linken  Ggl.  splanchnicum ,  dieser  aus  dem  rechten  Ggl.  splanchnicum 
entspringend,  jener  dem  Duct.  choledoch.  und  der  A.  hepatica,  dieser  der  V.  port.  be- 
stimmt. Andere  unterscheiden  eine  rechte  und  linke  Abtheilung  des  Plexus  hepat.  Bei 
den  Meisten  entspricht  die  rechte  Abtheilung,  bei  Sömmerring  die  linke  Abtheilung  dem 
Plex.  hepat.  ant.  Walt  er 's  und  vice  versa.  ^)  Plexus  coronarius  ventriculi  inf.  Die  in 
das  Netz  übertretenden  Nerven  erwähnt  Wrisberg  als  Plexus  epiploici  s.  omentnles. 
^)  Plexus  splenicus.  ^)  On  the  structure  and  use  of  the  spieen.  Lond.  1854,  p.  268. 
^)  Nach  den  Aesten  der  A.  mesenterica,  in  deren  Begleitung  die  Nerven  verlaufen,  werden 
Rr.  pancreatico-duodenales,  intestinales  und  colici  unterschieden. 


586 


Plexus  coeliacus. 


reiche  Greflechte  von  eigentMmlicliem  Bau  zu  Stande,  das  Eine  zwischen 
der  Längs-  und  Ringfaserschichte  der  Muskelhaut,  das  andere  in  der  Ner- 
vea  an  der  äusseren  Fläche  der  Muscularis  mucosae.  Das  äussere  dieser 
Geüechte,  Plexus  myentericus  extJ),  steht,  nach  Au  erb  ach 's,  des  Entdeckers 

Fig.  311. 


Ein  Stück  Dünndarm  mit  der  Verästeluno;   der    Ä.  und  des  Plexus  mesenter. 


Beschreibung,  am  Pylorus  mit  den  Vagusästen,  am  ganzen  übrigen  Darm  mit 
den  Stämmchen  der  Mesenterialuerven  in  Verbindung  durch  ein  ganglienloses, 
subseröses  Uebergangsgeflecht,  welches  längs  der  Anheftung  des  Mesente- 
rium auf  beiden  Seiten  derselben  je  einen  schmalen  Streifen  der  Darmwand 
einnimmt.  Die  Fasern ,  welche  die  Mesenterialnerven  zuführen,  reichen 
aber  nicht  aus,  um  die  Faserzahl  in  den  nächst  liegenden  Stämmchen  des 
Plexus  myentericus  zu  decken;  es  müssen  also  die  Fasern  des  letzteren 
zum  grossen  Theil  in  ihm  selbst  entstehen,  wahrscheinlich  aus  den  theils 
unipolaren,  theils  multipolaren  Zellen,  die  in  Knotenpunkten  des  Geflechtes 
liegen.     Was  diesem  seine  eigenthümliche  Form  verleibt,   ist   die  Einlage- 

Zu  Fig.   312. 

Plexus  myenter.  ext.  aus  dem  Duodenum  des  Erwachsenen,  nach  einer  Zeichnung  von 
Auerbach.     Die  dunkel  punktirten    Partien    entsprechen    Anhäufungen    von    Nervenzellen. 


^)  Plexus  myentericus  Auerbach.  (Ueber  einen  Plexus  myentericus,  einen  bisher 
unbekannten  ganglio-nervösen  Apparat  im  Darmcanal  der  Wirbelthiere.  Breslau  1862. 
Archiv  für  pathol.  Anat.  und  Physiol,  XXX,  457.)  Einer  brieflichen  Mittheilung  des  Verf: 
verdanke   ich   einige  besonders  den  menschlichen  Plexus  myenter.  betreffende    Bemerkungen. 


Plexus  coeliacus. 
Fig.  312. 


587 


588  Plexus  coeliacus. 

rung  desselben  in  die  sehr  dünne  Zwischenschichte ,  die  die  Längs-  und 
Ringfaserschiclite  des  Darmes  scheidet.  Darum  sind  die  Nervenstämmchen 
platte  Bänder,  die  Ganglien  ebenfalls  membranös,  bandförmig,  zackig  oder 
sternförmig.  Daneben  zeichnen  sich  die  Ganglien  aus  durch  scharfbegrenzte, 
runde  oder  elliptische  Lücken,  die  den  grösseren  Knoten  mitunter  ein  siebför- 
mig  durchbrochenes  Ansehen  geben  (Fig.  312*).  Beim  erwachsenen  Menschen 
sind  die  Hauptmaschen  des  Geflechtes  von  ziemlich  gleicher  Grösse,  vier  -  oder 
sechseckig,  die  Knotenpunkte  in  parallelen  Querreihen  angeordnet.  Die 
longitudinalen  Bälkchen  sind  beinahe  rein  faserig,  während  die  Nervenzel- 
len theils  in  den  Knoten,  theils  in  den  queren  Bälkchen  liegen;  durch  die 
Anhäufung  der  Zellen  in  den  letzteren  verschmelzen  öfters  zwei  Knoten  zu 
längeren,  bandförmigen  Querganglien  oder  setzen  sich  durch  stellenweise  spin- 
delförmig angeschwollene  Stränge  mit  einander  in  Verbindung.  Kommen 
in  den  longitudinalen  Bälkchen  Nervenzellen  vor,  so  ziehen  sie  sich  immer 
nur  an  Einem  Seitenrande  als  scharf  abgegrenzte  Masse  hin.  Die  von  den 
Zellen  entspringenden  Fasern  treten  sofort  oder  nachdem  sie  eine  kurze 
Strecke  innerhalb  des  queren  Bälkchens  verlaufen  sind,  in  ein  longitudina- 
les  ein.  Beim  Menschen  und  vielen  Thieren  sind  die  Fasern  eines  Bälkchens, 
2  bis  8  von  0,0006  bis  0,0013  Mm.  Durchmesser,  in  einer  zarten,  kern- 
haltigen Scheide  eingeschlossen  und  meist  von  je  zwei  Capillargefässen  be- 
gleitet. Die  grössten  Ganglien  haben  0,4,  die  Nervenzellen  im  längeren 
Durchmesser  0,04  bis  0,06  Mm. 

Von  der  Hauptschichte  des  Geflechtes  (den  Maschen  erster  Ordnung 
nach  Auerbach)  entwickelt  sich  an  deren  innerer  Seite  eine  zweite,  rein 
faserige,  nervenzellenfreie  Schichte.  Sie  entspringt  von  der  Hauptschichte 
mit  feinen,  queren  Zweigen,  welche  oft  über  mehrere  Längsstämmchen  hiu- 
wegstreichen  und  unter  einander  durch  kurze  Anastomosen  verbunden  sind. 
Theile  dieses  secundären  Netzes  zeigt  Fig.  312  an  mehreren  Stellen.  Die 
Endzweige,  die  sich  in  den  Muskeln  verästeln ,  entspringen  theils  aus  der 
Hauptschichte,  theils  aus  der  secundären. 

Die  siebförmig  durchbrochenen  Ganglien  sind  bei  Neugebornen  häufiger,  als 
bei  Erwachsenen.  Mit  dem  Wachsthum  werden  allmälig  die  Löcher  verhältniss- 
mässig  grosse*-  imd  eckiger,  so  dass  das  Sieb  in  ein  Netzwerk  übergeht.  Auch 
sind  bei  Kindern  die  Maschen  minder  regelmässig ,  die  Ganglien  mehr  sternförmig, 
die  Maschenräume  rundlich  oder  dreieckig. 

Die  dem  Plex.  myenter.  ext.  verschiedener  Säugethiere  eigenthümlichen  Formen 
beschreibt  L.  Ger  lach,  Berichte  d.  königl.  sächs.  GeseUsch.  d.  Wissensch.  vom 
21.  Febr.  1873. 

Das  innere  Geflecht  der  Darmwand,  Plexus  myentericus  int.  m.  i),  durch- 
zieht die  Nervea,  scheint  aber,  gleich  dem  äusseren ,  vorzugsweise  dazu  be- 
stimmt, einer  Muskelschichte,  hier  der  Muskelschichte  der  Schleimhaut, 
Nervenfasern  zuzuführen,  da  es  an  der  äusseren  Oberfläche  dieser  Schichte 
die  engsten  und  feinsten  Netze  bildet.  Nach  aussen  hängt  es  mit  Zweigen 
des  Plexus  myentericus  ext.  zusammen.  Das  innere  Geflecht  (Fig.  813)  ist 
minder  reich  und  minder  regelmässig,  als  das  äussere,  die  Ganglien  sind  kuglig 


1)  Meissner'.sches    Geflecht.      Vgl.  Meissner,  Ztschr.  für    rat.    Med.    N.  F.  VIII,   364. 


Plexus  coeliacus. 


589 


oder  spindelförmig,  von  sehr  verschiedener  Grösse,  zum  Theil  nur  aus  eini- 
gen wenigen  Zellen  zusammengesetzt,  in  den  Knotenpunkten  des  Geflechtes 


Fig'.  31c 


Plexus  myenter.   int.   aus  dem  Dünndarm   des  Erwachsenen. 


oder  als  seitliche  Anschwellungen  an  den  Nervenstämmchen  gelegen.  Die 
Stämmchen  haben  die  gewöhnliche  cylindrische  Gestalt  und  ebenfalls 
wechselnde  Dimensionen,  die  mittlere  0,018  Mm.  im  Durchmesser.  Wie 
die  Stämmohen  des  äusseren  Geflechtes  sind  sie  von  kernhaltigen  Scheiden 
umgeben.  Von  ihnen  gehen  feinere  Fäden  und  vereinzelte  Primitivfasern 
aus,  die  sich  auf  weite  Strecken  verfolgen  lassen.  Der  Plexus  myentericus 
int.  ist  am  reichsten  am  Dünndarm,  beträchtlich  auch  am  Dickdarm ;  an  den 
Magenwänden    wird   er   spärlich. 


590  Plexus  aort.  abdominalis. 

Paarige,  aus  dem  Plexus  coeliacus  hervorgehende  Geflechte  sind  die 
folgenden : 

1.  Plexus  phrenicus^).  Theils  direct  aus  dem  N.  splanchnicus ,  theils 
aus  dem  Plexus  coeliacus  hervorgehende  feine  Aeste,  welche  die  A.  phrenica 
inf.  begleiten  und  mit  den  Endästen  des  N.  phrenicus  anastomosiren. 
Der  rechte  PI.  phrenicus  ist  stärker,  als  der  linke. 

2.  PJexus  siiprarenalis.  Zahlreiche  weisse,  stärkere  und  feinere,  meist 
parallele  Fäden  aus  dem  N.  splanchnicus,  dem  Plexus  coeliacus  (Fig.  310),  auch 
aus  dem  obersten  Lumbarganglion  und  unmittelbar  oder  mittelbar  aus  den 
Nn.  vagus  und  phrenicus;  treten  vorzugsweise  am  medialen  Rande  und  an  der 
hinteren  Oberfläche  in  die  Drüse  ein  und  durchziehen  die  Rindensubstanz, 
um  sich  an  der  Grenze  derselben  in  Netze  aufzulösen  und  mit  Nervenzellen 
in  Verbindung  zu  treten  (vergl.  Eingewdl.).  Kuglige  und  spindelförmige 
Ganglien  kommen  an  den  Aesten  des  Plexus  suprarenalis ,  sowohl  in  deren 
Verlauf,  wie  an  Theilungsstellen  vor  (von  0,1  Mm.  Durchmesser  an  einem 
Nerven  von  0,045  Mm.;  von  0,27  Mm.  Durchmesser  an  einem  0,1  Mm. 
starken  Nerven). 

3.  Plexus  renalis,  ein  weitmaschiges,  von  einigen  grösseren  und  klei- 
neren Ganglien  unterbrochenes  Geflecht  um  die  A.  renalis,  zu  welchem  mit 
den  Aesten  aus  dem  Plexus  coeliacus  der  N.  renalis  post.  aus  dem  N.  splanch- 
nicus minor  (S.  579)  und  Zweige  aus  dem  Grenzstrange  sich  vereinigen 
(Fig.  3 1 0).    Ein  Zweig  dieses  Plexus  läuft  auf  dem  Ureter  abwärts  (L  o  b  s  t  e  i  n). 

4.  Plexus  spermaticus  2).  Besteht  aiis  einigen  feinen  Fäden ,  die  sich 
von  den  Plexus  renalis  und  mesentericus  abzweigen ,  um  der  A.  spermat, 
int.  zu  folgen.  Unterwegs  Zweige  aus  dem  Plexus  aorticus ,  dann  aus  dem 
Plexus  hypogastr.  aufnehmend  (s.  unten),  erstreckt  sich  das  Geflecht  beim 
Manne  zum  Testikel;  beim  Weibe  giebt  es  dem  Ovarium  Aeste  und  endet 
am  Grunde  des  Uterus  in  den  Plexus  uterinus. 

Valentin  (S.  712)  führt  die  Ursprünge  der  Aeste  des  Plexus   spermaticus  auf 
eins  der  Ganglien  des  Plexus  renalis,  das  er   Ggl.  spermatico  -  renale  nennt,    zu- 
.  rück.     Wegen  der  Anastomosen  des  unteren   Endes   des   Plexus  spermat.  mit  dem 
N.  spermat  ext.  s.  oben  S.  517. 


c.    Plexus  aorticus   abdominalis   JE*(l(l^). 
PI.  aort.  Besteht  aus  einer  Anzahl  longitudinaler,  weitläufig  unter  einander  ana- 


abd. 


stomosirender  Nerven,  welche  vom  unteren  Rande  des  Plexus  coeliacus  an 
bis  zum  Abgange  der  Aa.  anonymae  iliacae  die  Aorta  umgeben  und  weiter- 
hin ein  medianes,  plattes  Geflecht  an  der  Vorderfläche  der  Bauchwirbel  auf 
der  linken   V.  anonyma  iliaca   bilden  (Fig.  309.  310.  314).     Die  stärkeren 


^)  Plexus  diapJirafj7naMcus.  ^)  Plex.  spermat.  int.  s.  su}}.  PI.  testicidaris  {ovaricus) 
Cruv.  ^)  Plexus  intermesaralcus  s.  intermesentericus  lumbo-aoriicus  Cruv.,  aorticus  sup. 
Snow  Beck  und  Plexus  hypogastr.  sup.  s.  impar.  s.  medius,  Plex.  iliohypogastr.,  uterinus 
comm.  Tiedemann,  aorticus  inf.  Snow  Beck,  uterinus  magnus  Frankenhäuser.  Va- 
lentin fügt  zwischen  Plexus  intermesentericus  und  PL  hypogastr.  impar.  noch  einen  Plexus 
divisionis  aortae   aljdominalis   sup.  und  inf.   ein. 


Beckentheil.  591 

Aeste  dieses  Plexus  liegen  an  der  Seite  der  Aorta  und  nehmen  Fäden  aus 
dem  Grenzstrang  auf,  die  nach  Rüdinger,  ebenso  wie  die  Wurzeln  des 
N.  splanchnicus ,  zum  Theil  direct  aus  den  Spinalnerven  stammen  und  an 
den  Knoten  des  Grenzstrangs  vorübergehen.  An  ihrer  Verbindungsstelle  mit 
den  Strängen  des  Plexus  aorticus  erzeugen  sie  platte  dreiseitige  Ganglien  i). 
Aus  dem  Plexus  aorticus  abdominalis  entspringt  das  Geflecht,  Plexus 
mesentericus  inf.,  welches  die  A.  mesenterica  inf.  begleitet  und  am  Colon 
sin.  und  Rectum  in  derselben  Weise  sich  ausbreitet,  wie  der  Plexus  mesen- 
ter.  sup.  am  oberen  Theil  des  Darms.  Die  Nerven  gehen  zum  Theil  von 
einem  Ganglion  aus,  das  an  der  Wurzel  der  A.  mesenterica  inf.  liegt  und 
Ggl.  niesenter.  hif.  genannt  wird  (Fig.  309).  Mit  dem  Ganglion  und  dem 
Plexus  mesent.  inf.  verbinden  sich  verhältnissmässig  starke  Aeste  aus  dem 
zweiten  Lumbar ganglion  (*  *). 

Die  älteren  Anatomen  haben  im  Allgemeinen  den  Ganglieureichthuni  der  sym- 
pathischen Geflechte  der  Bauchhöhle  überscliätzt.  Bei  Walter,  Krause  und 
Arnold  ist  von  Ganglien  an  den  Aesten  des  Plexus  corronarius ,  hepaticus,  me- 
sentericus, lienalis  die  Eede.  Gegen  die  Ganglien  des  Plexus  hepat^  und  mesente- 
ricus hat  bereits  Val  entin  sich  erklärt;  Gray  viudKölliker  bezeugen  die  Gang- 
lienlosigkeit  des  Plexus  lienalis.  Manz  (Freiburger  Berichte  1860,  S.  163)  fand 
zwar  bei  Vögeln  Ganglien  am  Duct.  pancreat. ,  cysticus  und  choledochus,  Avie  auch 
am  Ureter  undVas  deferens;  an  den  entsprechenden  Ausführungsgängen  der  Säuge- 
thiere  aber  sucdite  er  sie  umsonst. 

4.    Beckentheil. 

In  der  Gegend  des  Promontorium  theilt  sich  der  Plexus  aorticus  abdominalis  4.  Becken 
in  ein  paariges  Geflecht,  den  Plexus  Jlypogastriciis  (Fig.  314)  2).  Dasselbe 
zieht,  anfänglich  dicht  unter  dem  Peritoneum,  zu  beiden  Seiten  des  Rectum 
herab,  nimmt  ansehnliche  Aeste  zuweilen  vom  zweiten,  regelmässig  vom 
dritten  und  vierten  Sacralnerven  (S.  527),  feinere  von  den  Sacralganglien 
des  Grenzstrangs  auf  und  liefert  die  Nerven  zu  den  Beckeneingeweiden  und 
den  cavernösen  Körpern  der  Genitalien.  Dies  sind  paarige,  jedoch  in  der 
Mittellinie  anastomosirende  Züge,  die  am  Boden  des  Beckens  jederseits  ein 
zusammenhängendes ,  die  Venenplexus  durchziehendes  Netzwerk  ^)  bilden. 
Nach  den  Organen,  zu  welchen  sie  theilweise  in  Begleitung  der  Gefässe  ver- 
laufen, werden,  einigermaassen  künstlich,  unterschieden : 

1.  Plexus  haemorrhoidalis  ^).  Feine  Fäden,  welche  theils  direct,  theils 
als  Aeste  der  zu  den  Genitalien  und  zur  Blase  ziehenden  Nerven  aus  dem 
oberen  Theile  des  Plexus  hypogastr.  hervorgehen  und  am  Rectum  auf-  und 
abwärts  verlaufen.  Die  aufwärts  gehenden  anastomosiren  mit  den  unter- 
sten Nerven  des   PI.  mesenter.  inf. 

Valentin  spricht  von  Ganglia  haemorrlioicl .  minora  in  diesem  Plexus,  von 
denen  er  selbst  bezweifelt,  ob  sie  acht  gaugliöser  Natur  und  nicht  vielmehr  nur 
Verdickungen  des  umhüllenden  festen  fibrösen  Gewebes  seien. 


theil. 


^)  Gglia  spermatica  s.  genitalia  Frankenhäuser.  2)  Plex.  hypogastr.  inf.  .s.  latera- 
lis. Plexus  uterinus  sup.  Tiedera.  Lamina  gangliosa  hypogastrica  Val.  ^)  Plexus  ute- 
rinus  inf.  s.  gangliosus  Tiedem.  Plexus  pelvicus  Snow  Beck.  *)  Plexus  haemorrh.  me- 
dius.      PI.  h.   sup.  und  inferior  Val. 


592 


Beckentheil. 


2.    Plexus  deferentialis^)  und  utero-vaginaJis^). 

Bei  dem  Manne  sind  es  zarte  Geflechte,  welche  die  Samenblasen  um- 
spinnen und  sich  von  ihnen  aus  abwärts  auf  die  Prostata,  aufwärts  auf  das 
Vas  deferens  fortsetzen.     Unter  den  letzteren  Nerven  ist  einer,  der  das  Vas 

Fig.  314*). 


Becken  einer  Neuentbundenen,  von  der  Seite  geöflfnet.  Plexus  uterovaginalis.  1  Schambein- 
synchondrose.  2  Harnblase  mit  dem  kurz  abgeschnittenen  Ureter.  3  Uterus  ,  der  Grund 
vom  Peritoneum  bekleidet.  4  Rectum.  5  Aorta.  6  rechte,  7  linke  A.  anonyma  iliaca. 
8  M.  psoas  maj.  9  Sehne  des  M.  psoas  minor.  Paa  Unteres  Ende  des  Plexus  aorticus 
abdom.     Ph  Plexus  hypogastr.     *  Grenzstrang. 


•*■)  PL  deferenüalis,  seminalix  und  prostat,  aut.  PI.  spermat.  inf-,  pl.  vasis  deferentls, 
vesiculae  seminalis  und  -prostat.  Val.  ^)  Plexus  uterin.  post.  s.  lateralis  sup.  und  ant.  s. 
lateralis  inf.     Den  Plexus  vaginalis  zieht  C.  Krause  mit  dem   PI.  vesicalis  inf.  zusammen. 

*)  Nach   Tiedemann,  tabb.   nerv,  uteri.     Heidelb.   1822.  Tab.   II. 


Beckentheil.  593 

deferens  bis  zum  Testikel  begleitet  und  mit  den  Nerven  des  Plex.  spermat. 
anastomosirt  (Scblemm)  ^). 

Im  Plexus  prostat.,  zur  Seite  der  Drüse,  kommen  einige  Ganglien  von 
2  bis  7  Mm.  Länge  vor,  Ganglia  prostatica  Job.  Müller  2),  in  denen  zum 
Theil  Aaste  der  Nn.  sacrales  mit  Aesten  des  sympatbischen  Geflechtes  sieb 
vereinigen ,  um  von  da  in  den  Plexus  cavernosus  penis  weiter  zu  geben. 
An  einem  der  zur  Prostata  verlaufenden  Nerven  beobachtete  Reinert") 
kurz  vor  dem  Eintritt  in  die  Drüse  ein  spindelförmiges  Ganglion  von  etwa 
20  Zellen;  die  Drüse  selbst  enthält  keine  Ganglien.  In  der  Nähe  der  Am- 
pulle des  Vas  deferens  sab  Klei  n  ^)  Ganglien  von  0,35  Mm.  mittlerem  Dnrcbm. 

Physiologische  Experimente  zur  Ermittelung  des  Laufes  der  Nerven  der 
inneren  männlichen  Genitalien  wurden  von  Budge^)  und  Loeb'')  mit  über- 
einstimmendem Resultat  an  Kaninchen  angestellt.  Bewegungen  der  Vasa 
deferentia  und  der  Samenblasen  erfolgten  auf  Reizung  des  Grenzstrangs 
des  Sympathicus  von  dem  auf  dem  fünften  Bauchwirbel  gelegenen  Ganglion 
an  nach  abwärts ;  Reizung  höherer  Regionen  blieb  wirkungslos ;  dass  die 
Quelle  der  Nerven  sich  im  Centralorgan  befindet,  erhellt  aus  den  Angaben 
über  das  Centrum  genito-spinale  (S.  81). 

Das  die  Genitalien  innervir ende  Geflecht  des  weiblichen  Körpers,  der 
Plexus  utero-vaginalis{Fig.3l4:),  ist  mächtiger  und  ganglienreicher,  als  das  ana- 
loge männliche  und  nimmt  während  der  Schwangerschaft  noch  an  Ausdehnung 
und  Stärke  zu.  Es  geht  aiigenfälligere  Anastomosen  mit  dem  Plexus  sper- 
mat. innerhalb  des  Lig.  latum  ein  und  empfängt  einen  Theil  seiner  Wur- 
zeln schon  aus  dem  Anfange  des  Plexus  hypogastricus.  Die  Ganglien,  grös- 
sere und  kleinere,  liegen  am  Cervicaltheil  des  Uterus  und  an  der  oberen 
Hälfte  der  Vagina,  zahlreicher  an  den  seitlichen  Flächen,  als  an  der  vorde- 
ren und  hinteren ;  in  der  Substanz  des  Uterus  kommen  Ganglien  nicht  vor. 
Die  Nerven  sind  dichter  in  der  Cervicalportion  des  Uterus  und  lassen  sich 
weiter  in  die  Tiefe  verfolgen,  als  im  Körper  (Kilian).  Von  den  cerebro- 
spinalen  Nervenfasern,  welche  dem  Plexus  aus  den  Sacralnerven  zugeführt 
werden,  erhält  die  Vagina  einen  grösseren  Antheil,  als  der  Uterus  und  die 
vordere  "Wand  der  Vagina,  vielleicht  wegen  ihrer  Verbindung  mit  der  Blase, 
eine  grössere  Zahl,  als  die  hintere  (Valentin.    Voigt)''). 

Nachdem  die  Ganglien  des  Plexus  utero -vaginalis  zuerst  von  Tiedemann 
■beschriebe!],  dann  auf  Grund  mikroskopischer  Forschung  von  Eemak  (Berl.  ency- 
clop.  Wörterb.  XXV,  149)  und  Kilian  (Ztschr.  für  rat.  Med.  X,  81)  geläugnet  wor- 
den waren,  haben  die  Forschungen  der  letzten  Jahre  ihre  Existenz  über  jeden 
Zweifel  erhoben.  Bezüglich  ihrer  Anordnung  aber  stehen  noch  zwei  Ansichten 
einander  gegenüber.  Die  Meisten  schildern  sie,  Avie  Tiedemann,  als  Knötchen 
von  ziemlich  gleichmässiger  und  geringer  Grösse,  so  SnowBeck  (Philos.  transact. 
1846,  II,  213),  Boulard  (Gaz.  mM.  1851,  Nr.  33),  Körner  (Studien  des  physiol. 
Instituts  zu  Breslau.  Hft  3,  S.  1),  Koch  (Ueber  das  Vorkommen  von  Ganglien- 
zellen an  den  Nerven  des  Uterus.  Gott.  1865)  und  Polle  (Die  Nerveuverbreitung 
in  den  weiblichen  Genitalien.  Ebendas.).  Dagegen  heben  Lee  in  einer  Eeihe  von 
Abhandlungen  und  Abbildungen  (The  anatomj^  of  the  nerves  of  the  uterus.  Lond.1841. 


1)  Joli.  Müller,  über  die  organischen  Nerven  der    erectilen    männlichen    Geschlechts- 
organe.    Berl.   1836,  S.  35.        ^)    Gglia  pudenda     Ders.  (a.  a.   0.,   S.   36).        ^)  Ztschr.  für 
ration.  Med.   3.  K.   XXXIV,   144.      *)  Stricker's  Handb.  I,   637.      5)  Meissner's  Jahres- 
bericht 1858,   S.   585.     6)  Ebend.   1865,   S.  488.     '^)  Beitr.  zur  Dermato-Neurologie  S.  31. 
He  nie,    Anatomie.    Bd.  III.     Abthl.  2.  38 


594  eckentheil. 

Memoirs  of  the  Ganglia  and  nerves  of  the  uterus.  Loud.  1849)  und  Franken- 
häuser  (Die  Nerven  der  Gebärmutter.  Jena  1867}  Ein  Ganglion,  Cervical- 
ganglion  F ranken häuser,  hervor,  welches  sich  vor  den  übrigen  Ganglien  des 
Beckengefleclites  durch  seine  Grösse  auszeichnet.  Es  ist ,  nach  des  letztgenannten 
Autors  Schilderung,  eine  aus  Nervenzellen  und  Nervenfasern-  zusammengesetzte 
unregelmässig  dreiseitige  Masse ,  welche  den  hinteren  Theil  des  Fornix  vaginae, 
die  Plica  recto-uteriua  und  den  vorderen  mit  dieser  Falte  in  Verbindung  stehen- 
den Theil  des  Eectum  einnimmt,  im  nicht  schwangeren  Zustande  2  Cm.  hoch  und 
1,3  Cm.  breit,  im  schwangeren  5,4  Cm.  hoch  auf  3,4  bis  4  Cm.  Breite.  In  das- 
selbe treten  an  der  oberen  Hälfte  der  hinteren  Seite  die  Endausbreituugen  des 
Plexus  hypogastricus,  ferner  theils  am  hinteren  Rande ,  theils  an  der  Seitenfläche 
Aeste  vom  zweiten  bis  vierten  Sacralnerveu  ein ,  auch  erhält  es  feine  ZAveige  von 
den  an  ihm  zur  Vagina,  Blase  und  Eectum  vorüberziehenden  Nerven.  Von  ihm 
entspringt  der  grösste  Theil  der  Uterinnerven;  ein  kleinerer  Theil,  Avelcher  sich 
vorzüglich  am  Seitenrand  und  der  hinteren  Wand  des  Uterus  verbreitet,  wird  vom 
Plexus  hypogastricus  vor  dessen  Vei'bindung  mit  dem  Ganglion  abgegeben.  Dem 
oberen  Winkel  des  Ganglion  zunächst  entspringt  ein  platter  Nervenzug ,  welcher 
an  der  medialen  Seite  der  V.  uterina  und  des  Ureter  sich  theils  mit  dem  Plexus 
hypogastr.  vereinigt ,  theils  in  die  hintere  Fläche  des  Uteriuhalses  tritt ;  von  der 
lateralen  Fläche  sendet  das  Ganglion  einen  Zweig,  welcher  über  V.  uterina  und 
Ureter  hinweg  ebenfalls  zum  Plexus  hypogastr.  geht,  weiter  unten  von  derselben 
Fläche  einen  Zweig  zu  einem  an  der  lateralen  Fläche  des  Ureters  zunächst  der  Einmün- 
dung gelegenen  Ganglion.  Einer  der  stärksten  Aeste  geht  in  der  gleichen  Höhe  von  der 
vorderen  Seite  ab  und  in  den  Cervicaltheil  des  Uterus.  Unmittelbar  darunter  ent- 
stellt von  der  lateralen  Fläche  des  Ganglion  eine  dicke,  cylindrische  Nervenmasse ; 
sie  theilt  sich  in  Zweige  für  das  äussere  Vesicalganglion,  für  die  Musculatur  des 
Scheitels  der  Blase  und  für  die  die  Vagina  bedeckenden  Geflechte.  Es  folgen  zwei 
kurze  Nervenstämmchen,  welche  zwischen  den  Venenplexus  des  Fornix  vaginae 
vorwärts  dringen  und  in  der  Muskelhaut  der  Vagina  und  in  der  Vaginalportion 
enden.  Vom  vorderen  Rande  und  der  unteren  Spitze  des  Ganglion  ausgehende, 
mächtige  Nervenbündel  erzeugen  an  der  Seiten  -  und  Vorderfläche  der  Vagina  ehi 
ganglienhaltiges  Geflecht ;  eiu  aus  der  unteren  Spitze  hervortretender  Nerve  schickt 
Aeste  zwischen  Blase  und  Rectum  und  auf  die  Aussenfläche  des  letzteren.  Von  der 
unteren  Seite  des  Dreiecks  stammen  Aeste,  welche  sich  geflechtartig,  mit  gangliösen 
Anschwellungen,  an  der  Seite  des  Rectum  und  zwischen  Rectum  und  Vagina  ver- 
breiten. Endlich  zweigen  sich  von  der  inneren,  der  Fascie  anliegenden  Fläche 
des  Ganglion  beträchtliche  Nerven  ab,  welche  unmittelbar  in  den  Fornix  vaginae 
und  in  den  Cervicaltheil  des  Uterus  eintreten.  Von  Ganglien  in  der  Wand  des 
Uterus  ist  nur  vorübergehend  in  einer  Abhandlung  Remak's  (Müll.  Arch.  1858, 
S.  189)  die  Rede.     Die  neueren  Beobachter  erhielten  nur  negative  Resultate. 

Ich  darf  schliesslich  den  Widerspruch  nicht  verschweigen,  den  Snow-Beck 
und  Jober t  de  La m balle  (Mem.  de  l'acad.  des  sciences  [Savants  etrangers], 
VIII,  386)  der  Behauptung  entgegenstellen,  dass  die  Nerven  des  Plexus  uterinus 
während  der  Schwangerschaft  an  Masse  zunehmen.  Nicht  nur  beim  menschlichen 
Weibe,  sondern  auch  bei  vielen  Säugethieren  will  Job  er t  sich  vom  Gegentheil 
überzeugt  haben. 

Siichen  wir  bei  der  Physiologie  Aufschluss  über  die  Babnen,  auf  wel- 
chen die  Impulse  von  den  Centralorganen  zum  Uterus  gelangen  ,  so  begeg- 
nen wir  drei  verschiedenen  Resultaten  der  Versuche.  Nach  Körner  i) 
pflanzt  sich  die  Reizung  vom  Rückenmark  auf  den  Uterus  sowohl  durch 
die  sympathischen,  als  durch  die  von  den  Sacralnerveu  sich  abzweigenden 
Fasern  fort.  Durch  die  Sacralnerveu  allein,  nicht  durch  die  sympathischen 
Geflechte  wird  zufolge  den  Experimenten  Spiegelbe rg's 2)  und K e h r e r ' s  ^'') 


1)  Meissner 's  Jahresbericht  1864,  S.   500.      2)  Ebendas.   1857,  S.   500.     3)  Ebendas. 
1864,  S.   501. 


Beckentheil.  595 

die  Erregung  geleitet.  Obernier^)  iind  Frankenhäuser  2)  endlich  fan- 
den ausschliesslich  in  den  sympathischen  Nerven ,  dem  Plexus  aorticus  ab- 
dominalis und  dem  Lumbaltheil  des  Grenzstrangs,  die  den  Uterus  bewegen- 
den Fasern.  Frankenhäuser  bezeichnet  das  Ggl.  mesenter.  inf.  als  eigent- 
liches Bewegungscentrum  des  Uterus  und  erklärt  die  in  Sacralnerven  ent- 
haltenen Fasern  sogar  für  Hemmimgsnerven  desselben. 

3.  Plexus  vesicalis.  Ein  weitläufiges  Geflecht  feiner  Nerven,  zum 
grössten  Theil  Ausstrahlungen  des  Plexus  utero-vaginalis'^). 

Ueber  die  vom  Rückenmark  zur  Blase  gehenden  Nervenfasern  ermit- 
telten Gianuzzi*)  und  Budge^),  dass  sie  bei  Hunden  im  dritten  und 
vierten,  nach  Gianuzzi  auch  im  zweiten  Sacralnerven  enthalten  sind. 
Auf  Reizung  der  zum  Plexus  hypogastr.  verlaufenden  Aeste  des  Grenzstrangs 
traten  in  Gianuzzi' s  Versuchen  zwar  auch  Contractionen  der  Blase  ein, 
aber  langsamer  und  es  bedurfte  stärkerer  Reizung. 

4.  Plexus  cavernosus  penis  (clitoricUs).  Der  Plexus  cavernosus  penis 
ist,  wie  erwähnt,  die  Fortsetzung  des  Plexus  deferentialis  und  insbesondere 
des  prostatischen  Theils  desselben  und  seiner  Ganglien.  Unter  dem  Arcus 
ossium  pubis,  zur  Seite  der  Uretra  aus  dem  Becken  hervortretend,  liegen 
die  Nerven  im  Diaphragma  urogenitale,  zum  Theil  in  der  Substanz  des  M. 
transversus  perinei  prof.  und  nehmen  hier  einige  feine  Zweige  des  N.  pu- 
dendus, die  die  A.  cavernosa  begleiten,  auf.  Aus  der  Verbindung  dieser 
Zweige  mit  den  auf  die  Wurzel  des  Penis  tretenden  Zweigen  des  Plexus  caver- 
nosus penis  geht  ein  N.  cavernosus  maj.  und  eine  Anzahl  Nn.  cavernosi  mi- 
nores J.  Müller^)  hervor.  Die  Nn.  cavernosi  minores  durchbohren  am 
hinteren  Theil  des  Penis  die  "Wurzel  des  Corp.  cavernosum  penis ;  der  N. 
cavernosus  maj.  setzt  sich,  nachdem  er  ebenfalls  eine  Anzahl  Aeste  in  den 
hinteren  Theil  des  C.  cavernosum  penis  und  in  das  C.  cavernosum  uretrae 
abgegeben  hat,  in  mehrere  Aeste  getheilt,  über  den  Rücken  des  Penis  fort; 
seine  Aeste  anastomosiren  mit  Aesten  des  N.  dorsalis  penis  und  senken 
sich  successiv  weiter  vorn,  theils  unter  der  V.  dorsalis  in  das  C.  cavernos. 
penis,  theils  die  Seitenfläche  des  Penis  umkreisend  längs  der  Furche  zwi- 
schen C.  cavernos.  penis  und  uretrae  in  das  letztere  ein. 

Sowohl  am  hinteren,  als  am  mittleren  Theile  des  Penis  verbinden  sich 
Nn.  cavernosi  beider  Seiten;  auf  dem  mittleren  Theil  ist  diese  Verbindung 
sehr  ansehnlich  durch  Zweige,  welche  noch  unter  der  V.  dorsalis  von  einer 
Seite  zur  anderen  hinüberziehen. 

In  dem  cavernösen  Gewebe  selbst  sind  die  feinen,  weitläufig  anastomo- 
sirenden,  wellenförmig  verlaufenden  Nervenstämmchen  leicht  aufzufinden '')• 
Sie  bestehen  fast  nur  aus  gelatinösen  Fasern. 

Auch  im  weiblichen  Körper  unterscheidet  Valentin  unter  den  aus 
dem  Plexus  vaginalis  zu  den  äusseren  Genitalien  verlaufenden,  sympathi- 
schen Aesten  einen  N.  cavernosus  clitoricUs  maj.  und  kleinere  cavernöse 
Aeste  der  Clitoris. 


^)  Meissner's  Jahresbericht  1865,  S.  490.  ^)  Ebendas.  ^]  Man  theilt  sie  in  Nn. 
vesicales  supp.  und  inff.  oder  in  aufsteigende  und  horizontale  (Cruv.).  *)  Meissner's 
Jahresbericht  1863,  S.  404.  ^)  Ebendas.  1864,  S.  499.  ^)  A.  a.  0.,  S.  38.  '')  Abge- 
bildet von  Joh.  Müller  in  dessen  Archiv   1835,  Taf.  III,  Fig.  6. 


596  Beckentheil. 

Zu  den  peripherischen  Aesten  des  Sympathicus  geboren  aucli  die  zahl- 
reichen Fäden ,  durch  welche  die  beiden  sacralen  Theile  des  Grenzstrangs 
aixf  der  vorderen  Fläche  der  Kreuzwärbel  mit  einander  in  Verbindung  ste- 
hen. Von  ihnen  gehen  feine  Zweige  in  die  Wirbelkörper,  auch  zum  unte- 
ren Ende  des  Rectum  (Cruveilhier);  aus  der  Endschlinge  der  Grenz- 
stränge entspringen  Fäden,  welche  die  Sehnenhaut  zwischen  den  beidersei- 
tigen Mm.  ischiococcygei  durchsetzen ,  um  in  der  Steissdrüse  zu  endigen 
(Luschka)^). 


1)  Der  Hirnanhang  und  die  Steissdrüse.    S.   74. 


INHALT. 


Seite 

VI.  Nervenlehre 1 

A.  Centraloi'gan ,  Centrum  cei-ebro-spinale 34- 

1.  Eückenmark,   Medulla    spinalis 36 

2.  Gehirn,   Cerebrum 85 

3.  Hüllen  des  Centralorgans 306 

B.  Peripliei-isches  Nervensystem,  Nerven  im  engeren  Sinne 326 

A.  Grehirnnerven 340 

I.  N.  olfactorius — 

II.  N.  opticus 345 

III.  N.  oculomotorius 348^ 

IV.  N.  troclilearis 351 

V.  N.  trigeminus — 

A.  Des  N.  trigeminus  erster  Ast,  N.  ophthalmicus 353 

1.  N.  recurrens  (ophthalmici) 354 

2.  N.  supraorbitalis 355 

a.  N.  supratroclileariB      — 

b.  N.  frontalis — 

c.  N.  supraorbitalis  s.  s '  356 

3.  N.  nasociliaris 358 

a.  Die  lange  "Wurzel  des  Ggl.  ciliare  und  das  Ganglion  .  — 

b.  Nn.  ciliares   longi 361 

c.  N,  ethmoidalis      — 

d.  N.  infratrochlearis 363 

4.  N.  lacrymalis 364 

B.  Des   N.  trigeminus   zweiter  Ast,  N.  supramaxillaris  ....  365 

1.  N.  recui'rens  supramaxillaris 367 

2.  N.  infraorbitalis — 

f  CoUaterale  Aeste — 

a.  N.  orbitalis — 

b.  Nn.  alveolares  supp. • 370 

tt  Endäste 372 

a.  Nn.  palpebrales  inff — 

b.  Nn.  nasales   subcutanei — 

c.  Nn.  labiales  supp — 


Inhalt, 

Seite 

3.  N.  sphenopalatinus.     Ggl.   nasale 373 

a.  N.  vidianus — 

b.  Nn.  nasales   supp 375 

N.  nasopalatiniis 376 

c.  Nn.  palatini 377 

C.  Des  N.  trigeminus  dritter  Ast ,  N.  inframaxillaris 378 

1.  N.  recurrens  inframaxillaris 381 

2.  Die  kurzen  Wui'zeln  des  Ggl.    oticum   und    das    Ganglion  382 

3.  N.  massetericus 385 

4.  N.  temporalis  prof.    post 386 

5.  N.  temporalis    prof.    ant — 

6.  N.  pterygoid.  ext — 

7.  N.  buccinatorius — 

8.  N.  pterygoid.  int 387 

9.  N.  lingualis 388 

a.  Nn.  mandibulares 390 

b.  N.  subungualis — 

c.  Die  "Wurzeln   des  Ggl.  linguale   und   das    Ganglion  .    .  391 

d.  N.  communicans  c.  n.  hypoglosso 393 

10.  N.  alveolaris  inf.      — 

a.  N.  mylohyoideus 394 

b.  N.  mentalis 396 

11.  N.  auriculo-temporalis    . — 

a.  Br.  articulares — 

b.  Nn.  meatus  audit.  ext 397 

c.  N.  communicans   facialis 398 

d.  Nn.  parotidei — 

VI.  N.  abducens — 

VII.  N.  facialis 400 

t  CoUaterale  Aeste 402 

1.  Rr.  communicantes  c.  n.  acustico — 

2.  N.  petrosus  superfic.  major — 

3.  R.  communicans    c.  plexu   tympanico 404 

4.  N.  stapedius — 

5.  Chorda  tympani — 

6.  N.  communicans  c.  ramo  auriculari  n.  vagi 411 

7.  N.  auricularis  post — 

8.  N.  styloideus — 

a.  N.  stylohyoideus — 

b.  N.  biventricus — 

c.  N.  communicans  c.  nervo  glossopharyngeo — 

ff  Terminale  Aeste 412 

VIII.  N.  acusticus 414 

IX.  N.  glossopharyugeus 417 

1.  Communicationsäste  des  Ggl.  petrosum 420 

a.  N.  tympanicus.     Plexus  tympanicus — 

b.  R.  communicans   N.  facialis  et  glossophar 424 

c.  Rr.  communicantes  c.  n.  vago 426 

2.  R.  pharyngevis — 

3.  R.  lingualis — 

f  Collaterale  Aeste — 

a.  Nn.  pharyngei  linguales — 

b.  N.  stylopliaryngeus — 

c.  Nn.  tonsillares 427 

tt  Terminale  Aeste — 

X.  N.  vagus 428 

1.  Aeste  des  Ggl.  jugulare •  432 


Inhalt.  XI 

Seite 

a.  N.  meningeus ; 432 

b.  R.  auricularis 433 

c.  E,.  communicans  c.    n.  glossopliaryngeo 435 

2.  Verbindungsäste  des  Plexus  ganglioformis — 

3.  R.  pliaryngeus.     Plexus  pharyngeus   ....        — 

4.  N.  laryugeus   sup 437 

5.  ßr.  cardiaci 440 

6.  N.  laryngeus  Inf.       — 

7.  Plexus  pulmonalis  ant 443 

8.  Plexus  pulmonalis   post — 

9.  Plexus    oesophageus 445 

10.  Plexus  gastrici — 

XI.  N.  accessorius 447 

XII.  N.  liypoglossus 449 

B.  Spinalnerven 453 

I.  Nn.  cervic.  I  bis  IV".     Plexus  cervic ....  459 

N.  occipit.  major 461 

a.  Kurze  Muskeluerven      463 

b.  Oberfläcliliche  Nerven — 

1.  N.  occipit.  minor — 

2.  N.  auric.  magnus     .    .    .    .  - — 

3.  N.  subcutaneus  colli  inf. 465 

4.  Nn.  supraclaviculares      466 

c.  Tiefe  Nerven — 

1.  N.  cervicalis  descendens — 

2.  Aeste  zu  den  Mm.  sternocleidomast.  und  trapez 469 

3.  N.  phrenicus      ■ — 

II.  Nn.  cervicales   V  bis  VIII.     N.  dors.  I.     Plex.   brachialis    .    .    .  473 

a.  Kurze   Nerven 476 

1.  N.  dorsalis   scapulae — 

2.  N.  suprascapularis 477 

3.  N.  axillaris — 

4.  Nn.  subscapulares 479 

5.  N.  tliorac.  post 480 

6.  Nn.  tlioracici  antt.   .    .        — 

7.  N.  subclavius .  481 

b.  Lange  Nerven     .    - •    .  — 

ct.  Hautnerven ._ — 

1.  N.  cutaneus  medialis — 

2.  N.  cutaneus   medius — 

3.  N.  cutaneus  lateralis 483 

ß.  Tiefe  Nerven 486 

1.  N.  niedianus — 

2.  N.  ulnaris 490 

3.  N.  radialis =- 494 

ringernerven 499 

IIL  Nn.  dorsales  I  bis  XII 505 

IV.  Nn.  lumbales  I  bis  IV.     Plexus  cruralis 511 

a.  Kurze   Nerven 514 

1.  N.  ilio-hypogastricus — 

2.  N.  ilio-inguinalis — 

3.  N.  kimbo-inguinalis 515 

4.  N.  spermaticus   ext 517 

b.  Lange   Nerven — 

1.  N.  cutaneus  femoris  lateralis — 

2.  N.  cruralis 519 

3.  N.  obturatorius 522 


xn  Inhalt. 

Seite 

V.  N.  lunibalis  V.  Nn.  sacrales  I  bis  V.     Plexus  sacralis  ....  524 

a.  Kurze   Nerven • 527 

1.  N.  giuteus  sup — 

2.  N.  giuteus  inf — 

3.  N.  pudeuclo  -  liaemorrhoidalis 529 

b.  Lange   Nerven 531 

1.  N.  cutaneus  post — 

2.  N.  ischiadicus 532 

VI.  N.  und  Plexus  coccygeus 544 

C.  Sympathicus      545 

a.  Grrenzstrang 553 

b.  Er.  comniunicantes 557 

c.  Peripherisclie  Aeste 561 

1.  Kopftheil — 

«.  Obere  Aeste  des  G-gi.  cervicale — 

a.  Auastomot.  Zweige 565 

b.  Peripherische  Zweige 566 

ß.  Vordere  Aeste  des  Ggl.  cervicale 568 

2.  Hals-  und  oberer  Brusttheil 570 

3.  Unterer  Brust-  und  Bauchtheü • 577 

a.  Plexus  aorticus  thoracicus 578 

b.  Plexus  coeliacus 579 

c.  Plexus  aorticus  abdominalis 590 

4.  Beckentheil 591 


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