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Full text of "Handbuch der vergleichenden Anatomie. Leitfaden bei academischen Vorlesungen und für Studirende"

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HAIVDBUCH  /^>/._.<5 


der 


vergleichenden  Anatomie. 


lieitfaden 

bei  academischen  Vorlesungen  und  für  Studirende 


von 


Eduard  Oiscar  üclunidt, 

Doctor  der    Philosophie ,  der   Medicin    und  Chirurgie ,   k.   k.  o.    ö. 

Professor  der  Zoologie  und  vergleichenden  Anatomie   an 

der  Universität  zu  Gratz. 


Alle  Gestalten  sind  ähnlich,  und  keine  gleichet 

der  andern ; 
Und    so    deutet    der   Chor    auf  ein    geheimes 

Gesetz. 

Goethe. 


J 
Vierte  vielfach  umgearbeitete  Auflage.  i 


J  en  a, 

Druck  und  Verlag  von  Friedrich  Mauke. 
1859. 


Vorwort. 


Die  diesem  Handbuclie  gewordene  Anerkennung  bei  Docenten 
und  Studenten  hat  es  möglich  gemacht,  es  bisher  immer  jung  zu  er- 
halten. Da  aber  seine  Brauchbarkeit  in  der  Uebersichtlichkeit  und 
Kürze  beruht,  so  ist  jede  neue  Auflage  mit  vergrösserten  Schwierig- 
keiten verbunden.  Es  sind  nur  vier  Jahre  zwischen  dieser  und  der 
dritten  verflossen,  und  doch  habe  ich  wieder  ganze  Kapitel  umgear- 
beitet und  an  drei  -  bis  vierhundert  Stellen  Abänderungen  treffen 
und  Verbesserungen  anbringen  müssen.  Trotzdem  hat  die  Bogenzahl 
genau  dieselbe  bleiben  können. 

Von  dem  mir  vorschwebenden  Ziele  bin  ich  noch  weit  entfernt. 
Ich  würde  Besseres  leisten,  die  Arbeit  mehr  abrunden  können,  wenn 
mir  immer  die  besten  und  neuesten  Hülfsmittel  ohne  Weiteres  zu 
Gebote  ständen.  So  aber  befinde  ich  mich  in  der  Lage  Eines ,  der 
auf  äussersten  A^orposten  nur  mit  grosser  Mühe  und  auf  Umwegen 
sich  von  den  Dingen  im  Hauptquartier  unterrichten  kann. 

Unter  den  mit  der  vergleichenden  Anatomie  im  engsten  Zusam- 
menhange stehenden  Disciplinen  hat  in  den  letzten  Jahren  keine  so 
bedeutende  Forlschritte  gemacht,  als  die  Histiologie  der  Thiere.  Ich 
brauche  nur  an  Leydig's  vortreffliches  Werk  zu  erinnern,  an 
seine  neuesten  Ergänzungen  aus  der  Insektenanatomie,  an  Max 
Schultze's  Arbeiten.  Mein  Handbuch  kann  sich  natürlich  nicht 
indifferent  dagegen  verhalten,  doch  würde  es  seinem  Charakter  ganz 
ungetreu  werden  und  seinen  Zweck,  den  es  als  einführender  Leitfa- 
den verfolgt,  aus  den  Augen  verlieren,  wollte  es  die  Resultate  der 
vergleichenden  Histiologie  mehr  als  andeuten. 

Die  Stellung  unserer  Wissenschaft  im  Allgemeinen  hat  sich 
jüngst  nicht  wesentlich  geändert.  Eine  gewisse  Richtung  der  Phy- 
siologie, welche  Grosses  leistet,  blickt  auf  die  vergleichende  Anato- 
mie etwas  verächtlich  herab  und  giebl  vor,    sie  Avenig  oder  nicht  zu 


IV  Vorwort. 

brauchen.  Wer  sich  etwas  mit  der  Geschichte  der  "Wissenschaften 
beschäftigt  hat,  was  wir  gethan,  den  wird  eine  solche  Erscheinung 
weder  verwundern  noch  ängstigen.    Wo  neue  Bahnen  eingeschlagen  i 

werden,    vergisst  man  für   einige   Zeit  leicht,    was  die  alten  werth  ; 

sind;  und  vor  Allem,  muss  man  sich  sagen,  ist  die  vergleichende 
Anatomie    nicht    um     der    Physiologie,    sondern    um    ihrer    selbst  j 

willen  da.  \ 

In  Wissenschaft  und  Leben  gilt  derselbe  goldene  Spruch: 
Irrthum  verlässt  uns  nie,  doch  zieht  ein  höher  Bedürfniss 
Immer  den  strebenden  Geist  leise  zur  Wahrheit  hinan. 
Gratz  im  Mai  1859.  ; 

Oscar  Schmidt.  ] 


Einleitung. 


Kurze  Uebersiclit  über  den  Entwickluns^s^an^  der 


O^O' 


vergleichenden  Anatomie. 


Ö 


Die  Grundzüge  einer  wissenschaftlichen  Zoologie,  ja- 
sirt  auf  die  physiologische  Vergleichung  und  die  verglei- 
chende Anatomie,  wurden  zum  ersten  Male  von  Aristo- 
teles (383  —  322  V.  Chr.)  entworfen.  Er  zerlegte  sich 
das  Thierreich  in  natürliche  Gruppen  (yiv7]  ^eyiaza),  näm- 
lich: Schalthiere  (oatQciKoöeQ^a) ,  Insecten  (gVrofta),  Kru- 
stenthiere  (fiaAaxoöT^axa) ,  Weichthiere  (fiaAaxta  =1:  Ce- 
phalopoden),  Fische  (Jx^veg),  Wale  i'urjTr}'),  Vögel  (^oqvi- 
•Ö-fg),  eierlegende  Vierfüsser  (rci  cpohöcotd^  t«  TSTQcxTCoöa 
aai  (ooTOTia)  und  lebendig  gebärende  Vierfüsser  {jSTQUTcoöa 
^wordxa).  Zwischen  ihnen  stehen  gewisse  Uebergangs- 
formen,  als  Affe,  Fledermaus,  Seehund,  Strauss,  Kroko- 
dil, Schlangen,  Nautilus,  Einsiedlerkrebs  und  einige  zu 
den  Pflanzen  führende  Thiere.  Diese  yivr]  ^syiGTu,  auch 
yEvri,  zerfällt  er  in  Untergruppen,  yevri  und  ftöiy,  immer 
mit  dem  ausgesprochenen  Bestreben,  in  den  angezogenen 
Merkmalen  die  Wesenheit  (pvoici)  seiner  Gattungen  und 
Arten  ausgedrückt  zu  haben.  Specifisch  vergleichend  ana- 
tomisch ist  seine  Vergleichung  nach  der  Analogie  (to  ava- 
A-oyov),  und   zwar   handhabt  er  diese  Methode   besonders 

1 


OlVl 


2  Einleitung. 

in  der  Schrift  „über  die  Theile  der  Thiere".  Das  Gesetz 
vom  Gleichgewicht  der  Organe,  worauf  sich  Geoffroy 
St.  Hilaire  so  viel  zu  gute  gethan  hat  (siehe  unten), 
ist  von  Aristoteles  schon  mit  klaren  Worten  ausgespro- 
chen worden  *).  Dabei  hatte  er  von  Einzelheiten  über- 
raschend richtige  Kenntniss ,  so  über  die  Anatomie  und 
Geschlechtsverhältnisse  der  Cephalopoden,  über  Entwick- 
lung der  Vögel  und  Fische.  Allein  bei  seinen  grundfal- 
schen Ansichten  z.  B.  über  die  Function  des  Herzens, 
worin  das  Blut  gekocht  werden  soll,  und  über  das  Hirn 
und  die  Athmungsorgane,  worin  er  das  heisse  Blut  ab- 
gekühlt werden  lässt,  darf  man  natürlich  eine  einiger- 
massen  der  Wirklichkeit  entsprechende  Physiologie  und 
vergleichende  Anatomie  nicht  erwarten. 

Wie  dem  aber  auch  sei,  als  Erfinder  einer  genialen 
Methode  auf  naturwissenschaftlichem  Gebiete  war  Ari- 
stoteles der  Zeit  vorausgeeilt.  Und  wenn  auch  im  16. 
und  17.  Jahrhundert  das  aristotelische,  freilich  bis  auf 
unsere  Tage  vielfach  missverstandene  System  für  die 
Zoologie  ein  höchst  fruchtbarer  Durchgangspunkt  wurde, 
so  arbeitete  sich  doch  die  vergleichende  Anatomie,  wel- 
che bis  gegen  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  geschlum- 
mert hatte,  unabhängig  von  jenen  Leistungen  des  Ari- 
stoteles empor. 

Zwar  von  Hippokrates  bis  Galen,  von  diesem  an 
das  ganze  Mittelalter  hindurch  hatten  die  Aerzte  zu  ihren 
anatomischen  Studien  sich  hauptsächlich  der  Thiere  be- 
dienen müssen;  und  so  kann  man  sagen,  dass  die  alten 
Anatomen  nothgedrungen  auf  die  Zootomie  und  mit  ihr 
auf  die    vergleichende    Anatomie   kamen.      Es   ist    daher 


*)  üavzaxov  yäg  djioöiöcoaL  (j)  q^vacg)  Xaßovaa  t&sQco&ev  :n:QÖs 
äXXo  uBQLOv.    De  part.  animal.  U.  14. 


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Einleitung.  3 

eigentlich  unmöglich,  die  Anfänge  dieser  Wissenschaft  an 
eine  Jahreszahl  oder  einen  Namen  anzuknüpfen.  Will 
man  diess  dennoch  thun,  so  ist  als  das  erste,  eine  Grund- 
lage bildende  Werk  die  Zootomie  (Zootomia  Democritaea. 
1645)  des  Neapolitaners  Marco  Aurelio  Severino 
(1580  — 1656)  zu  nennen,  in  welcher  das  Verhältniss  der 
Zootomie  zur  Anatomie  des  Menschen  normirt,  die  Be- 
rechtigung und  die  Vortheile  der  ersteren  besprochen,  ihr 
die  Rechte  ausdrücklich  zuerkannt  werden ,  welche  die 
grossen  Anatomen  aus  dem  16.  und  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  ihr  stillschweigend  schon  eingeräumt 
hatten. 

Ungleich  wichtiger  ist  aber  der  geistreiche  englische 
Anatom  Thomas  Willis  (1622—1675),  der  im  wahren 
Wissensdrange,  unbefriedigt  von  dem  bisherigen  Treiben 
in  der  Anatomie  und  Physiologie,  die  Hoffnung  auf  die 
Lösung  der  höchsten  Probleme  jener  Disciplinen  in  die 
vergleichende  Anatomie  setzte,  auch  zum  ersten  Male  den 
Namen  Anatomia  coniparata,  den  Franz  Baco  früher 
in  anderem  Sinne  gebraucht,  in  der  noch  heute  gebräuch- 
lichen Bezeichnung  anwendete.  Seine  vergleichenden  Zer- 
gliederungen erstreckten  sich  auf  fast  alle  Hauptabthei- 
lungen des  Thierreichs. 

Bald  nach  ihm  war  das  Princip  der  vergleichenden 
Anatomie  als  einer  der  Medicin  unentbehrlichen  Hülfs- 
wissenschaft  allgemein  anerkannt,  wovon  unter  andern 
das  System  der  Anatomie  (A  Systeme  of  anatomy.  1685^ 
von  Samuel  Collins  Zeugniss  giebt.  Ihm  erscheint 
der  Mensch  als  eine  Epitome  der  Schöpfung,  und  wie- 
derum in  den  Insecten  und  anderen  niederen  Thieren  sieht 
er  eine  Epitome  des  menschlichen  Baues.  Die  Thiere 
hält  er  für  mehr  oder  weniger  vollkommen,  als  sie  dem 

1  * 


4  Einleitung. 

Menschen  sich  mehr  oder  weniger  nähern,  und  der  mensch- 
liche Bau  ist  ihm  ein  Maassstab  jeder  Bestimmung  des 
Werthes  und  Ranges  der  Thiere. 

Haben  wir  eben  angedeutet,  wie  die  vergleichende 
Anatomie  aus  altern  Elementen  der  wissenschaftlichen 
Medicin  sich  herausbildete,  so  sind  daneben  einige  an- 
dere Momente  und  Richtungen  nicht  zu  vergessen,  die 
zu  jenen  Zeiten  auf  die  Naturwissenschaft  überhaupt  und 
im  Besonderen  auch  auf  die  vergleichende  Anatomie  ein- 
wirkten. Durch  die  philosophischen  Lehren  von  Baco 
und  Descartes  waren  die  Geister  zur  Selbständigkeit 
und  zum  kritischen  Forschen  angeregt,  und  man  wagte 
es  jetzt  erst,  sich  gegen  den  Wust  hergebrachter  Gelehr- 
samkeit aufzulehnen  und  sich  die  Natur  gewisser  Maassen 
zu  reconstuiren.  Dazu  war  nichts  günstiger,  als  die  Er- 
findung der  Microscope.  Eine  bisher  fast  völlig  im  Dun- 
keln gelegene  Seite  der  Zoologie,  die  niedere  Thierwelt, 
w  urde  nunmehr  erst  erschlossen ,  und  dessw  egen  gehören 
die  Namen  eines  Malpighi  (1628 —  1694),  S  wammer- 
dam  (1637—1680)  und  Leeu  wen  h  o  eck  (1632—1723) 
auch  für  die  vergleichende  Anatomie  mit  zu  den  Epoche 
machenden.  Von  ihrer  Richtung  influirt  und  unmittelbar 
von  Malpighi  entlehnend  hat  Willis  die  niedere  Thier- 
welt in  das  Bereich  der  Vergleichung  gezogen.  Malpighi 
ist  berühmt  als  Insectenanatom  und  Histiolog,  Swammer- 
dam  steht  eigentlich  noch  heute  als  Insectenanatom  un- 
erreicht da,  und  LeeuAvenhoeck  ist  mit  dem  ersteren 
der  Gründer  der  Histiologie ,  so  wie  er  durch  die  Ent- 
deckung der  Zoospermien  zu  einem  höchst  lebendigen 
Forschen  in  der  Entwicklungsgeschichte  Anlass  gab. 

Die  Jahrzehnte,  welche  auf  die  genannten  Männer 
folgten ,  hatten   mit  der  Verarbeitung  des  von  ihnen  Ge- 


Einleitung.  5 

leisteten  zu  thun ,  so  dass  die  vergleicliendc  Anatomie  von 
da  an  bis  fast  gegen  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  keine 
eigentlichen  Fortschritte  machte.  Ihre  Wiederbelebung 
beginnt  mit  der  Begründung  der  wissenschaftlichen  Ex- 
perimentalphysiologie  durch  den  grossen  Ha  11  er  (1708 — 
1777);  durch  ihn  wurde  von  Neuem  die  vergleichende 
Anatomie  als  Hülfswissenschaft  der  Physiologie  sanctionirt, 
während  auf  der  anderen  Seite  unabhängig  von  diesem 
Nebenzwecke  diese  Wissenschaft  durch  Buffon's  (1707 — 
1788)  laut  ausgesprochene  Idee  von  der  Einheit  im  thie- 
rischen  Bau  in  eine  neue  Phase  einlenkte. 

Ein  sehr  fruchtbares  leitendes  Princip  war  mit  dem 
Gedanken,  dass  aller  thierischen  Organisation  ein  gemein- 
samer Bauplan  zu  Grunde  läge,  direct  gegeben,  wiewohl 
die  in  dieser  Richtung  damals  arbeitenden  vergleichenden 
Anatomen  gleich  anfangs  es  darin  versahen,  dass  sie  in 
dieser  gesuchten  Einheit  zwischen  der  Uebereinstimmung 
der  Gestaltungen  und  den  gemeinsamen  physiologischen 
Charakteren  der  Organismen  nicht  scharf  unterschieden. 

Vor  Allem  war  die  Feststellung  des  Thatsächlichen 
Bedürfniss,  und  im  Gebiete  der  Wirbelthiere  thaten  sich 
ausser  Daubenton  (1716  — 1799),  dem  Freunde  und 
Mitarbeiter  B  uff  on's,  besonders  Camper  (1722 — 1799) 
und  AI.  Monro  (1732 — 1817)  hervor,  jener  durch  ver- 
schiedene ,  besonders  die  Säugethiere  betreiTende  Unter- 
suchungen ,  dieser  durch  eine  vortreffliche  vergleichende 
Anatomie  der  Fische.  In  die  achtziger  Jahre  fällt  auch 
die  Glanzperiode  Blumenbach's,  welcher  der  Erste  war, 
der  besondere  academische  Vorlesungen  über  vergleichende 
Anatomie  hielt,  während  sie  bis  dahin  nur  gelegentlich 
im  Cursus  über  die  menschliche  Anatomie  abgehandelt 
worden  war. 


6  Einleitung. 

Den  Versuch,  das  ganze  Lehrgebäude  der  vergleichen- 
den Anatomie  zu  errichten,  machte  der  pariser  Anatom 
Vicq-d'Azyr  (1748  — 1794),  indem  die  Vergleichung 
der  Thiere  unter  einander  sowohl  als  die  bisher  ganz  ver- 
nachlässigte Vergleichung  der  Organe  eines  und  desselben 
Thieres  mit  einander,  auf  die  zur  selben  Zeit  auch  Goethe 
drang,  in  ihm  den  von  Buffon  adoptirten  Gedanken  an 
den  gemeinsamen  Plan  der  thierischen  Organisation,  das 
thierische  ürmodel,  befestigten.  Zur  consequenten  Durch- 
führung des  Werkes  fehlte  es  jedoch  ihm  und  seiner  Zeit 
überhaupt  namentlich  an  der  Kenntniss  der  wirbellosen 
Thiere,  und  überdiess  wurde  es,  kaum  begonnen  und  dis- 
ponirt,  durch  Vicq-d'Azyr' s  zu  zeitigen  Tod  unter- 
brochen. 

An  ihn  reiht  sich  in  dem  Bestreben,  die  Resultate 
der  vergleichenden  Anatomie  gleich  zu  einer  allgemeinen 
Physiologie  auszudehnen  und  die  Gesetze  der  Organisa- 
tionen danach  festzustellen,  der  geniale  Kielmeyer  an 
(1765  — 1844),  Professor  an  der  Carlsschule  in  Stuttgart. 

Bis  dahin  w  ar  die  Idee  von  einem  Urplane  des  thie- 
rischen Baues  immer  nur  eine  Behauptung  gewesen.  Der 
Erste,  welcher  einen  in's  Einzelnste  gehenden  Beweis  da- 
von unternahm  und  hartnäckig  verfolgte,  war  Etienne 
Geoffroy  Saint  Hilaire  (1772  —  1844),  ein  Schüler 
Hauy's  und  Daubenton's,  seit  1793  Professor  am  pari- 
ser Pflanzengarten  und  einer  der  wissenschaftlichen  Theil- 
nehmer  am  ägyptisclien  Feldzuge,  1798  — 1801.  Sein 
Hauptwerk  ist  die  sogenannte  „Anatomische  Philosophie" 
(Philosophie  anatomirjue.  2  voL  Paris  1818.  1822^,  worin 
nach  den  Grundsätzen  einer,  wie  er  und  seine  Anhänger 
behaupten,  neuen  und  eigenthümlichen  Philosophie  zu- 
nächst  die  vollständige  Unabänderlichkeit  des  Grundpia- 


Einleitung.  7 

nes  der  Wirbelthiere  dargelegt  werden  sollte.  Die  lei- 
tenden Principien  sind  1)  das,  dass  bei  den  verschiedenen 
Thieren  die  Organe  und  Theile  der  Organe  immer  die- 
selbe Lage  zu  einander  behaupten  (principe  des  con- 
nexions),  und  2)  dass  jede  Vergrösserung  und  Ausdehnung 
eines  Organes  immer  nur  auf  Kosten  eines  anderen  ge- 
schehe (principe  du  balancement  des  organes).  Damit 
verbindet  Geoffroy  Saint  Hilaire  eine  dritte  Vor- 
aussetzung, dass  nämlich  in  jeder  Familie,  wenigstens 
der  grösseren  Abtheilungen  des  Thierreiches,  alle  die 
Materialien  oder  Theile  des  Organismus  sich  wiederfin- 
den, wie  sie  in  jeder  anderen  Familie  auch  vereinigt 
sind  (theorie  des  ajialognes),  womit  dieser  sogenannten 
französischen  Naturphilosophie  aber  die  Spitze  abgebro- 
chen wird,  da  das  als  ein  Fundamentalprincip  aufgestellt 
wird,  auf  dessen  Beweis  Alles  ankommt. 

Einer  der  anregendsten  Gedanken,  den  Geoffroy 
Saint  Hilaire,  auch  Kielmeyer,  ausgesprochen,  ist 
der,  dass  die  niederen  Thiere  fötale  Zustände  der  höheren 
repräsentirten,  oder,  mit  anderen  Worten,  dass  die  höhe- 
ren Thiere  in  ihrer  Entwicklung  den  unter  ihnen  stehen- 
den Thiergruppen  glichen. 

Ungleich  consequenter  und  umfassender  als  die  aus 
einigen  Hypothesen  bestehende  anatomische  Philosophie 
der  Franzosen  ist  die  deutsche  durch  Schelling  ange- 
regte, in  Lorenz  Oken  (1774  —  1851)  culminirende  Na- 
turphilosophie, welche  ebenfalls  unmittelbar  in  die  ver- 
gleichende Anatomie,  als  der  Wissenschaft  von  den  Ge- 
setzen der  thierischen  Organisation,  eingreift.  Die  frucht- 
barste Periode  Oken's  fällt  in  die  Zeit  seines  jenaischen 
Aufenthaltes,  wohin  er  1807  von  Göttingen  berufen  wurde. 
Gerade  wegen  der  Ausdehnung  und  des  stetigen  Zusam- 


g  Einleitung. 

menhangs  des  Oken'schen  Systems  müssen  wir  es  uns 
hier  versagen,  auch  nur  die  Umrisse  davon  mitzutheilen. 
Was  die  Thierwelt  angeht,  so  ist  ihm  der  Mensch,  in 
welchem  der  Begriif  des  Organismus  am  vollendetsten  zur 
Erscheinung  kommt,  das  höchste  Thier,  der  Inbegriff  aller 
Thiere,  welche  losgelöste,  selbständig  gewordene  Organe 
des  höchsten  Thieres  sind.  Die  Thiere,  sagt  er,  werden 
edler,  je  mehr  Organe  sich  vom  Hauptthier  zusammen 
lostrennen  und  sich  vereinigen.  Die  Thiere  vervollkomm- 
nen sich  nach  und  nach,  indem  sie  Organ  an  Organ 
setzen,  ganz  so,  wie  sich  der  einzelne  Thierleib  vervoll- 
kommnet. 

Wenn  auch  das  Oken'sche  System  als  Ganzes  sich 
nicht  hat  behaupten  können,  so  hat  es  doch  den  Werth, 
selbst  seine  Gegner  in  fruchtbarster  Weise  angeregt  zu 
haben.  Es  kann  Niemand  läugnen,  dass  die  Entwicklungs- 
geschichte durch  ihn  bedeutend  gefördert  ist,  und  noch 
augenscheinlicher  hat  er  durch  seine  in  der  Consequenz 
des  Systeraes  liegende  Wirbeltheorie  gewirkt,  ein  Feld, 
auf  welchem  er  sich  mit  Goethe  begegnete. 

Trotz  aller  der  genannten  Vorgänger  und  seiner  Mitar- 
beiter darf  George  Cuvier  (1767—1832)  als  der  Schöpfer 
der  neueren  wissenschaftlichen  Thierkunde  und  verglei- 
chenden Anatomie  angesehen  werden.  In  Mömpelgardt  ge- 
boren war  Cuvier  auch  der  Erziehung  nach  ein  Deutscher, 
da  er  1784  bis  1788  seine  Ausbildung  auf  der  Carlsacade- 
mie  in  Stuttgart  empfieng.  Später,  bis  1795,  hielt  er  sich 
als  Hauslehrer  in  der  Normandie  auf,  hatte  häufig  Ge- 
legenheit, längere  Zeit  am  Meere  zu  verweilen,  und  lag 
hier  seinen  Lieblingsstudien,  den  zootomischen,  ob,  wurde 
auch  während  dieser  Zeit  durch  seinen  Freund  Pf  äff  mit 
Kielmever's  Heften  bekannt  gemacht,  die  ohne  Zweifel 


Einleitung.  9 

ihm  wichtige  Fingerzeige  für  seine  Untersuchungen  und 
Ansichten  an  die  Hand  gegeben. 

Nachdem  der  Abbe  Te ssier  auf  ihn,  als  auf  einen 
schon  damals  höchst  bedeutenden  Menschen  aufmerksam 
gemacht,  zog  man  ihn,  den  Hofmeister,  nach  Paris,  wo 
nach  wenigen  Monaten  sein  Ruf  dem  der  berühmtesten 
Naturforscher  glich.  Er  wurde  1799  Daubenton's  Nach- 
folger als  Professor  der  Naturgeschichte  am  College  de 
Franke  und  1802  Professor  am  Pflanzengarten. 

Cuvier  hatte  sich  die  Aufgabe  gestellt,  die  systema- 
tische Zoologie  mit  der  vergleichenden  Anatomie  zu  ver- 
schmelzen,  die  eine  durch  die  andere  zu  erläutern  und  auf 
diesem  Wege  zum  Besitz  des  sogenannten  natürlichen  Sy- 
stems als  des  wahren  Ausdruckes  der  Natur  zu  gelangen. 
Er  sah,  dass  er  nicht  Zoolog  sein  konnte  und  die  Verwandt- 
schaften und  Unterschiede  der  Thiere  genügend  hervor- 
heben ,  wenn  er  nicht  die  anatomischen  Einzelheiten  er- 
forschte; nur  nach  gewonnener  Einsicht  in  das  ganze 
Thier  durch  die  Verbindung  der  inneren  und  äusseren 
Merkmale  hofi*te  er  ein  richtiges  systematisches  Gebäude 
aufzuführen  ,  und  so  theilte  er  das  Thierreich  nicht  nach 
einem  einseitigen  Gesichtspuncte  ein,  \a  ie  mehr  oder  min- 
der alle  seine  Vorgänger  und  Zeitgenossen,  sondern  nach 
der   Gesammtorganisation. 

Damit  sprach  er  es  aus,  dass  man  nur  so  weit  Zoolog 
sein  könne,  als  man  vergleichender  Anatom  ist,  und  als 
solcher  trachtete  er,  das  Lebendige  und  wahrhaft  Geistige 
an  dem  Thiersystem ,  die  gemeinsamen  Momente  der  Orga- 
nismen, die  gemeinsamen  Gesetze  der  Organisation  her- 
vorzuheben. 

Denn  die  vergleichende  Anatomie  ist,  mit  Cuvier 
zu  reden ,  die  Erforschung    der    Gesetze    der    thierischen 


10  Einleitung. 

Organisation  und  der  Veränderungen ,  uelche  diese  Orga- 
nisation in  den  verschiedenen  Arten  erfährt  ( —  Vetude  de 
Vanatomie  corvparee,  c'est  ä  dire  des  lois  de  V Organisa- 
tion des  animaux  et  des  wodifications  que  cette  Organi- 
sation eprouve  dans  les  diverses  eapeces).  Cuvier  war 
also  nichts  weniger  als  das,  was  man  einen  crassen  Em- 
piriker nennt,  und  wozu  man  ihn  und  die  Anhänger  sei- 
ner Methode  hätte  stempeln  mögen.  Er  suchte,  trotz 
einem  Philosophen,  in  der  Mannigfaltigkeit  der  Formen 
das  Princip  der  Einheit,  die  Ideen  zu  finden,  welche  die 
Natur  in  der  Bildung  der  Organe  und  Organsysterae  zur 
Erscheinung  brachte  und  in's  Unendliche  modificirte  und 
variirte. 

Und  mit  ihm  sucht  unsere  Wissenschaft  die  Gesetze 
der  Organisation  dadurch  zu  begreifen,  dass  sie  die  Ver- 
änderungen dieser  Organisation  neben  und  nach  einander 
vergleicht,  das  Wesentliche  von  dem  Unwesentlichen  schei- 
det, das  Typische  hervorhebt. 

Die  Angelpuncte  des  Cuvier'schen  Thiersystems  und 
seiner  vergleichenden  Anatomie,  um  welche  sich  auch  dio 
neuere  Entwicklung  seit  Cuvier  gedreht  hat,  sind  seine 
vier  thierischen  Typen  oder  Grundformen,  wovon  im  fol- 
genden Absclinitt  dieser  Einleitung  das  Nähere.  Unter 
den  leitenden  Maximen,  deren  er  sich,  in  Ermangelung 
der  mit  absoluter  Sicherheit  vorwärts  schreitenden  mathe- 
matischen Methode,  bediente,  ist  vor  allen  das  Princip  des 
Endz\\eckes  zu  nennen  (principe  des  canses  finales),  wo- 
nach er  aus  einem  oder  einigen  gegebenen  Organen  sich 
die  übrigen  und  den  gesammten  Organismus,  als  in  noth- 
wendiger  Harmonie  damit  stehend,  combinirte ,  ein  Prin- 
cip, das  seine  grössten  Triumphe  in  der  auch  von  Cuvier 
geschaffenen  vergleichenden  Paläontologie  feierte. 


Einleitung.'  11 

Ein  Zeitgenosse  und  würdiger  Nebenbuhler  Cuvier's 
diesseits  des  Rheins  war  Johann  Friedrich  Meckel 
(1781 — 1833),  dessen  System  der  vergleichenden  Anato- 
mie jedoch  leider  unvollendet  geblieben. 

Der  Geschichte  der  vergleichenden  Anatomie  gehört 
nun  leider  auch  schon  der  grösste  Physiolog  und  ver- 
gleichende Anatom  unseres  Jahrhunderts  an,  Johannes 
Müller  (geb.  14.  Juli  1801,  gest.  28.  April  1858).  In 
ihm,  wie  in  keinem  Anderen,  sind  die  neueren  und  neue- 
sten Phasen  und  die  glänzenden  Fortschritte  der  verglei- 
chenden Anatomie  bis  zur  Gegenwart  verkörpert.  Seine 
Leistungen  zeigen  die  schnelle  Klärung  naturphilosophi- 
scher Anschauung  und  Behandlung  zur  besonnensten  For- 
schung und  exactesten  Methode  in  der  Verfolgung  gros- 
ser zeitgemässer  Aufgaben.  Den  Neubau  der  Physiologie 
aufführend  machte  er  die  von  Ha  11  er  und  Anderen  an- 
gestrebte Durchdringung  derselben  mit  der  vergleichen- 
den Anatomie  zur  Wahrheit.  Diese  Richtung  musste  ihm 
die  Entwicklungsgeschichte  näher  legen ,  als  es  einem 
seiner  Vorgänger  geschehen  war:  und  Entwicklungsge- 
schichte ist  das  Losungswort  der  neueren  vergleichenden 
Forschung  gewesen.  Mit  ihrer  Leuchte  bewältigte  er  die 
schwierigsten  Partieen  der  niederen  Thierwelt,  und  eben 
w-ar  er  daran,  in  ihre  Systematik  reformatorisch  einzu- 
greifen. So  ganz  hatte  der  Zoolog  in  ihm  den  Physio- 
logen verdrängt,  dass  er  uns  ein  wundersames  Bild  der 
geschichtlichen  Entwicklung  unserer  Wissenschaft  giebt, 
die  von  ihrer  anfänglichen  gänzlichen  Dienstbarkeit  und 
Abhängigkeit  von  der  menschlichen  Anatomie  und  Phy- 
siologie zu  jener  Selbständigkeit  herangewachsen  ist,  die 
überhaupt  eine  Disciplin  den  benachbarten  gegenüber  er- 
reichen soll. 


\'l  Einleitung. 

J.  B.  Meyer,  Anstolelcs  Thierkunde.     Berlin,  1855. 
0.  Schmidt,  Die  Entwicklung  der  vergleichenden  Anatomie.    Jena, 
1855. 


Die  Grundformen  der  Thiere. 

Während  die  Pflanze  sich  selbst  gleichsam  zur  Schau 
trägt  oder  durch  eine  ofl'ene  Verhüllung  ihrer  Organe  den 
Blick  anlockt,  dass  er  mit  Befriedigung  und  Wohlgefallen 
auf  dem  harmonischen  Wechsel  schöner  Linien  und  Flä- 
chen ruht,  verschliesst  das  Thier  die  Werkzeuge,  an 
welche  die  verschiedenen  Aeusserungen  des  Lebens  ge- 
bunden sind,  nach  Innen.  Die  Gestalt  ist,  wie  es  scheint, 
das  Untergeordnete,  nur  im  Dienste  der  inneren  Vorgänge, 
nicht  das  alleinige  Resultat  derselben.  Und  wenn  wir  im 
Allgemeinen  die  ganze  Mannigfaltigkeit  der  Pflanzenfor- 
men als  plastisch  schön  betrachten  können,  so  müssen  wir 
wohl  von  den  Thiergestalten  sagen,  sie  seien  zweckmässig. 
Daher  kann  auch  eine  nicht  streng  wissenschaftliche  Be- 
schäftigung mit  den  äusseren  Erscheinungen  der  Pflanzen- 
welt fesseln,  weil  das  ästhetische  Gefühl  dabei  in  hohem 
Maasse  seine  Rechnung  findet,  kaum  aber  vermögen  die 
blossen  Thierformen  länger  unser  tieferes  Interesse  in 
Anspruch  zu  nehmen,  wenn  sie  nicht  in  ihrer  unzertrenn- 
lichen Beziehung  zum  Innern  Organismus  aufgefasst  wer- 
den. Geschieht  aber  diess,  und  gewährt  uns  eine  solche 
x\nschauung  zugleich  eine  Einsicht  in  die  natürliche  Glie- 
derung der  empfindenden  Wesen,  aus  denen  durch  das 
Ebenmaass  leiblicher  Bildung  und  den  ihr  eingepflanz- 
ten Funken  der  Gottheit  der  Mensch  hervorragt,  so  wird 
damit  wohl  ein  höheres  Bedürfniss  genährt  und  be- 
friedigt. 


Einleitung.  13 

Die  Thierwelt  ist  um  so  viel  reicher  an  Formen  als 
die  Pflanzenwelt,  als  sie  reicher  an  Artenzahl  ist.  Jedes 
an  das  lebendige  Durcheinander  nicht  gewöhnte  Augo 
findet  sich  in  einer  massig  grossen  Anzahl  verschiedener 
Thiergestalten  nicht  zurecht;  und  wenn  es,  um  dem  Un- 
behagen der  Unordnung  zu  entgehen,  einen  Versuch  der 
Zusammenstellung  des  möglichst  Gleichartigen  macht,  so 
wird  dieser  Versuch  ein  höchst  misslungener  sein,  um 
so  mehr,  je  äusserlicher  und  unwesentlicher  die  Merk- 
male waren ,  nach  denen  die  Zusammenstellung  zu  einem 
System  unternommen  w  urde.  Die  Geschichte  der  Zoolo- 
gie ist  überreich  an  solchen  misslungenen  Systemen  ;  es 
zeigt  sich  in  ihr  der  Prozess,  den  der  Einzelne  durcljzu- 
machen  hat,  vom  ersten  rohen  sinnlichen  Erfassen  eines 
Gegenstandes  bis  zum  geistigen  Durchdringen. 

Eine  Phase  der  wissenschaftlichen  Zoologie,  welche 
zuerst  in  Buffon  ihren  beredten  Ausdruck  fand,  ist  das 
Bestreben  gewesen,  die  gesammten  Thiere  als  subordi- 
nirte  Glieder  einer  ununterbrochenen  Stufenfolge  aufzu- 
fassen. Von  der  unvollkommensten  Monade  bis  zum  voll- 
endetsten Säugethiere  solle  eine  stetige  Reihe  gebildet 
sein,  in  der  je  zwei  noch  so  verschiedene  Formen  durch 
die  zwischen  ihnen  liegenden  Glieder  direct  mit  einander 
verbunden  würden,  und  die  ihren  höchsten  Abschluss  im 
Menschen  habe.  Der  Mensch  und  alle  Thiere,  sagte  Buf- 
fon, würden  unter  diesem  Gesicbtspuncte  als  Glieder 
einer  und  derselben  Familie  erscheinen. 

Man  kann  selbst  ohne  tieferes  Eingehen  diese  Theo- 
rie ad  absurdum  führen  und  es  mag  uns  unbegreiflich 
erscheinen ,  wie  sie  so  lange  und  ernstlich  hat  verthei- 
digt  Averden  können.  Der  Grund  lag,  wie  wir  oben  an- 
gedeutet,  in   der   Vermengung    der   physiologischen   und 


14  Einleitung. 

der  morphologischen  Einheit.  Machen  wir  den  Versuch, 
das  Thierreich  in  eine  ununterbrochene  Reihe  zu  bringen. 
Es  ist  Jedem  geläufig,  die  Säugethiere,  Vögel,  Amphi- 
bien und  Fische  so  hinter  einander  zu  nennen,  und  man 
kann  auch  nicht  im  Zweifel  sein,  dass  sie,  wenn  man  den 
Menschen  als  Maassstab  für  sie  nimmt,  so  im  Range  fol- 
gen. Ein  Fisch  muss  natürlich  der  letzte  sein,  und  auch 
da  ist  kein  Zoolog  unschlüssig,  dem  Awphioocus  lanceo- 
latus  diese  Stelle  anzuweisen  *).  Dieses  einen  bis  zwei 
Zoll  lange,  in  den  europäischen  Meeren  lebende  Thier- 
chen  wurde  von  seinem  Entdecker  für  eine  Schnecke  ge- 
halten,  und  schon  daraus  ist  zu  entnehmen,  dass  nicht 
viel  Fischähnliches  und  noch  weniger  Menschenähnliches 
an  ihm  ist.  Es  hat  kein  eigentliches  Hirn,  kein  Herz,  in 
der  Jugend  sogar  keine  Gefässe.  Wird  es  aber  schon 
schwer,  den  Amphloxus  an  die  übrigen  Fische  anzurei- 
hen ,  so  ist  es  ganz  unmöglich ,  von  ihm  ungezwungen 
die  Reihe  weiter  abwärts  steigen  zu  lassen.  Sollen  etwa 
an  den  jämmerlichen  augenlosen  Fisch  sich  die  glänzen- 
den, gegliederten,  beweglichen  Insecten  anschliessen  mit 
ihren  wunderbaren,  musivisch  zusammengesetzten  Augen, 
oder  die  gewaltigen  Tintenschnecken,  mit  Sehwerkzeugen 
begabt,  die  an  Künstlichkeit  des  Baues  und  demnach 
wahrscheinlich  an  Güte  der  Leistung  den  unserigen  kaum 
nachstehen. 

Beispiele  dieser  Art  für  die  Nothwendigkeit  der  Un- 
terbrechung der  continuirlichen  Reihenfolge  im  Thierreich 
lassen  sich  leicht  häufen;  man  gelangt  mit  der  Zurück- 
führung  auf  eine  Stufe,  einen  Urplan  nimmermehr  zu 
einem  befriedigenden  Ausgange  aus  dem  Formenlabyrinth. 


*)  Agassiz    hat  jüngst  die  Vermuthung  ausgesprochen,    Am- 
phioxus  sei  die  Larve  eines  Cyclostomcn. 


Einleitung.  15 

Cuvier  und  C.  E.  von  Bär  haben  gelehrt,  wie 
das  anzufangen  sei. 

Warum  kommen  Avir  vom  Menschen  auf  den,  wie  es 
scheint,  auch  nicht  den  Schatten  des  niensciiliclien  Baues 
an  sich  tragenden  Ainphloxusl  Weil  dieser  doch,  gleich 
dem  Menschen,  ein  Rückenmark  besitzt,  umgeben  von 
einer  häutigen  Scheide,  welche,  aus  der  Entwicklungsge- 
schichte nachweisbar,  der  Wirbelsäule  des  Menschen  und 
der  verwandten  Thiere  entspricht.  Lnd  weil  für  den 
Kreis  aller  dieser  Thiere  das  Rückenmark  mit  der  AVir- 
belsäule  das  unveräusserliche  Merkmal  ist,  der  Tragebal- 
ken des  ganzen  Gebäudes,  das  gesetzgebende  Moment  für 
ihren  Bau,  so  nennen  wir  diese  Thiere 

W  i  r  b  e  1 1  h  i  e  r  e 
und  sprechen  damit  aus,  dass  alle  übrigen,  die  Nichtwir- 
belthiere  oder  wirbellosen  Thiere,  zwar  gewisse  physio- 
logische Charaktere  mit  jenen  gemein  haben,  dass  sie 
aber  zunächst  doch  einen  Gegensatz  zu  den  Wirbelthie- 
ren  bilden,  weil  ihnen  das  dort  die  Form  und  die  Struc- 
tur  Bestimmende  fehlt,  die  Art  ihrer  Gestaltung  mithin 
von  anderen  Momenten  abhängig  ist. 

Mit  der  Eintheilung  in  Wirbelthiere  (animalla 
tertebvata)  und  Wirbellose  (animalla  avertebrata)  ist 
schon  viel  gewonnen;  sie  ist  jedoch  nur  auf  der  einen 
Seite  eine  natürliche,  auf  das  Wesen  der  Organisation 
begründete.  Auf  der  andern  Seite  ist  wegen  des  bloss 
negativen  Kennzeichens  keine  Bürgschaft  der  Ueberein- 
stimmung,  es  ist  auch  von  vorn  hinein  unwahrscheinlich, 
dass  sich  nach  alleiniger  Elimination  der  Wirbelthiere 
die  übrigen  als  Variationen  nur  eines  Grundthemas  her- 
ausstellen sollten. 

Als  Repräsentanten  zweier  anderer  Grundformen  oder 


16  Einleitung. 

Typen  mögen  uns  nun  eine  Muschel  und  ein  Käfer  die- 
nen. Was  an  ihnen  beiden  als  individuell  charakteri- 
stisch sich  hervorhebt,  gilt  mit  einigen  Modificationen 
von  den  ganzen  Kreisen. 

An  der  Muschel  sind  einzelne  Körperabschnitte  und 
Abgliederungen  nicht  zu  unterscheiden;  das  Thier  ist  so 
in  sich  concentrirt,  scheint  so  ganz  nur  zum  Vegetiren 
bestimmt,  dass  der  von  manchen  Zoologen  der  Abthei- 
lung gegebene  Name  der  „Bauchthiere"  seine  gewisse 
Berechtigung  hat.  Die  beiden  Schalenhälften  lassen  sich 
unschwer  vom  Körper  trennen,  und  dann  sieht  man,  dass 
derselbe  von  ein  Paar  grossen  Hautfalten,  dem  Mantel, 
umgeben  wird.  Diese  Neigung  zu  mantelartigen  Falten- 
bildungen der  Hautbedeckungen  ist  für  alle  den  Muscheln 
verwandte  Thiere  charakteristisch.  In  ihrem  Nerven- 
system bildet  zwar  ein  den  Schlund  umgebender  Ring 
den  Hauptbestandtheil,  aber  die  dem  folgenden  Typus 
charakteristische  Bauchganglienkette  fehlt.  Die  Muschel 
und  ähnliche  Thiere  gehören  zum  Typus  der 
W  e  i  c  h  t  h  i  e  r  e. 

Der  Käfer  dagegen  zerfällt  nicht  nur  in  drei  be- 
stimmt geschiedene  Körperabschnitte,  bei  näherer  Besich- 
tigung nimmt  man  wahr,  dass  wenigstens  Brust  und  Hin- 
terleib wiederum  aus  einzelnen  Ringen  oder  Gliedern  zu- 
sammengesetzt sind,  welche  durch  die  erstarrte,  zum  Sce- 
let  gewordene  Körperbedeckung  gebildet  werden.  Aber 
nicht  nur  der  Rumpf,  auch  die  Gliedmassen  und  andere 
Anhängsel  nehmen  an  dieser  Gliederung  Theil;  die  Beine, 
die  Fühlhörner,  die  Fresswerkzeuge  bestehen  aus  gelen- 
kig an  einander  gefügten  Ringen  oder  Cylindern.  Die 
äussere  («liederung  entspricht  aber  der  Form  des  Ner- 
vensystems.    Der  Käfer  besitzt  nämlich  längs  der  Unter- 


Einleitung.  17 

Seite  die  sogenannte  Bauchganglienkette,  eine  Wiederho- 
lung gleichartiger  Elemente;  ein  vorderer,  durch  zwei 
Paar  Nervenknoten  und  ihre  Verbindungsstränge  gebilde- 
ter Ring  umfasst  den  Schlund.  Wir  haben  im  Käfer  den 
Repräsentanten  einer  dritten  Grundform,  derjenigen  der 
Gliederthiere. 
Zu  den  Gliederthieren  rechnete  Cuvier  ausser  den 
Insecten ,  Spinnen  und  Krebsen  auch  den  grössten  Theil 
der  Würmer,  von  welchen  letzteren  er  dagegen  in  nicht 
zu  rechtfertigender  Weise  die  Eingeweidewürmer  ab- 
zweigte ,  um  sie  mit  seinem  Typus  der  Strahlthiere  zu 
vereinigen.  Es  sind  physiologische  und  morphologische 
Gründe  genug  vorhanden,  um  die  gesammten 

Würmer 
als  einen  eignen  Typus  den  übrigen  anzureihen.  Ihr  Kör- 
per zerfällt  zwar  oft  noch  in  Segmente  und  Ringe,  diese 
verhalten  sich  aber  fast  indifferent  gegen  einander,  bei- 
nahe gleichwerthig  vom  Kopf  bis  zum  Hinterende,  und  in 
ihnen  wiederholen  sich  daher  oft  die  inneren  Organe  in 
einer  Weise ,  wie  es  bei  den  eigentlichen  Gliederthieren 
nie  statt  findet.  Nie  besitzen  die  Würmer  gegliederte 
Anhänge  als  Bewegungsorgane,  letztere  bestehen  bei  ih- 
nen vielmehr  hauptsächlich  in  einer  allgemeinen  subcu- 
tanen Musculatur,  während  unter  andern  die  bei  ihnen 
sehr  zurücktretende  Bedeutung  des  Chitins  *)  und  da- 
gegen das  mannichfache  Vorkommen  von  inneren  und 
äusseren  Flimmerorganen  wichtige  physiologische  Abzei- 
chen von  den  Gliederthieren  geben.  Mehrere  Klassen 
der  Würmer  besitzen  gar  nicht  das  vorzüglichste  Merk- 
mal der  Gliederthiere,  die  Gliederung. 


')  In  Aelzkali  unlösliche,  stickstoffhaltige  Substanz,  C] 

2 


18  Einleitung. 

Wenden  wir  uns  nun  zur  Feststellung  einer  fünften 
Grundform. 

Bei  den  vorhergehenden  Typen,  selbst  bei  den  mei- 
sten Weichthieren,  wird  der  Körper  durch  eine  Längsaxe 
in  zwei  symmetrische  Hälften  zerlegt;  die  in  der  Axe  lie- 
genden Organe  pflegen  in  der  Einzahl,  unpaarig,  Torzu- 
hommen,  die  übrigen  paarig.  Bei  den  Weichthieren  ist 
zwar  diese  Symmetrie  nach  der  langen  Axe  des  Körpers, 
nach  rechts  und  links,  sehr  oft  gestört,  doch  lassen  sich 
auch  die  scheinbar  unsymmetrischsten  Gestalten  auf  das 
Princip  seitlicher  Symmetrie  zurückführen,  und  eine  grosse 
Reihe  von  Schnecken  ohne  Gehäus  und  zweischaligen  Mu- 
scheln giebt  den  unzweideutigsten  Beleg  dafür. 

In  den  Strahlthieren  lernen  wir  nun   einen  durchaus 
anderen    Baustyl    kennen.     Wer  sich  nur  einige  Tage  an 
der  Meeresküste  aufgehalten,  hat  gewiss  die  so  häufig  von 
den  Wellen  an's  Land  geworfenen  Seesterne  gesehen,  die 
schon  der  Name  als  Strahlthiere  bezeichnet.    Haben  auch 
einige  scharfsinnige  Naturforscher  auf  eine  gewisse  seit- 
liche Symmetrie ,  ein  Rechts  und  Links  der  Asteriden  hin- 
gewiesen, so  veranschaulichen  doch  gerade  sie  sehr  voll- 
kommen die  wesentlichen  Sonderheiten  des  fünften  Thier- 
tj^pus.    Der  Körper  ist  nicht  durch  eine  Längsaxe  determi- 
nirt,  und  danach  sein  Vorder-  und  Hintertheil  bestimmt, 
sondern  geordnet  um  einen  Mittelpunct  oder  um  eine  Ober- 
und  Unter-,  Rücken-  und  Bauchfläche  verbindende  Axe, 
von  wo  die  Organe  in   mehreren  oder  vielen  Richtungen 
ausstrahlen.     In  diesem  Centrum    pflegt    die  3Iundöfl'nung 
zu  liegen,  umgeben  von  einem  Kreise  von  Fühlfäden  und 
Tentakeln.     Auch    die   Magenhöhle   ist   in  der  Regel  eine 
mittlere,  mit  oder  ohne  strahlenförmige  Aussackungen  und 
Anhänge,  immer  in  Uebereinstimmung  mit  der  Grundzahl 
des    Strahlensystems. 


Einleitung.  19 

Bei  den  flachen  Formen  der  Seesterne  ist  es  von  selbst 
einleuchtend,  dass  die  Unterscheidungen  von  vorn  und  hin- 
ten ganz  zurücktreten ,  Avährend  das  Oben  und  Unten ,  die 
Bauch  -  und  Rückenseite  sich  besonders  bemerklich  ma- 
chen, und  sich  mit  Leichtigkeit  in  dieser  Richtung  eine 
Axe  denken  lässt. 

Wir  nennen  die  Seesterne  nebst  den  sich  ihnen  an- 
schliessenden  Formen 

S  t  r  a  h  1 1  h  i  e  r  e. 
Zwar  hat  Joh.  Müller  gewichtige  Bedenken  vorge- 
bracht gegen  die  Zulässigkeit  einer  Grundform  Radiata, 
allein  bis  jetzt  scheint  uns  doch  das  gänzliche  Aufgeben 
des  Typus  der  Strahlthiere  noch  nicht  gerathen.  Die 
Schwierigkeit  liegt  in  der  Unterbringung  der  Infusorien 
und  der  den  Infusorien  verwandten  Thiere.  Sollten  sich 
die  erst  in  den  letzten  Jahren  ihrer  Structur  nach  etwas 
bekannt  gewordenen  Thalassicolen ,  Polycystinen  und 
Acanthometren  noch  als  ächte  Infusorien  legitimiren, 
was  bis  jetzt  weder  bei  ihnen  noch  bei  den  Polythala- 
mien  der  Fall  ist,  so  lässt  sich  allerdings  der  AusAveg, 
den  die  Systematik  alsdann  einzuschlagen,  noch  nicht  ab- 
sehen. 

Jetzt,  nach  dem  Hinweis  auf  die  Schwierigkeiten, 
Avird  es  wenigstens  erlaubt  sein,  die  Abtheilung  Strahl- 
thiere provisorisch  als  Regulativ  beizubehalten. 


Gliederung  und  Unterordnung  der  Typen  *). 

Die  Typen  werden,  wie  gezeigt,  durch  das  Vorwal- 
ten  gewisser   Organe    und   die  Art  der  allgemeinen  An- 

*)  Ueber  dieses  Thema  ist  die  classische  Abhandlung  von  Carl 

2* 


20  Einleitung. 

Ordnung  der  Körpertheilo  bestimmt;  sie  lassen  sich  darin 
den  architectonischen  Baustylen  vergleichen,  die  in  ih- 
ren verschiedenartigen  Ausführungen  an  feste  Prineipien 
und  Regeln  gebunden  sind. 

Jeder  der  thierischen  Baustyle  ist  zu  sehr  verschie- 
denen Zwecken  verwendbar;  die  einen  Gliederthiere  sind 
für  das  Wasserleben  gebaut,  die  andern  für  das  Luft- 
leben ;  im  Fisch  ist  der  Wirbelthierorganismus  zum 
Scln\immen  modificirt,  im  Vogel  zum  Fliegen;  im  Am- 
phioxiis  ist  die  Idee  des  AVirbelthierstyles  ganz  ärmlich 
zur  Erscheinung  gebracht,  im  Menschen  in  ihrer  höch- 
sten Entwicklung,  mit  Schmuck  und  Beiwerk.  Und  solche 
einfache  Betrachtungen  lehren,  dass  innerhalb  der  Grän- 
zen  jeder  thierischen  Grundform  ein  Fortschritt  vom  Nie- 
deren zum  Höheren  statt  findet,  so  dass  also  bei  der 
Bestimmung  des  einzelnen  Thieres  zwei  Hauptfactoren  zu 
berücksichtigen  sind ,  der  Typus  und  die  Stufe  innerhalb 
des  Typus.  Jeder  Typus  zeigt  sogar  mehrere  Reihen  der 
Entwicklung,  Klassen,  deren  Glieder  niedriger  und  höher 
stehen,  und  welche  mit  ihren  Spitzen  und  Ausläufern  je 
nach  Anlage  und  Mitteln  eine  grössere  Ausbildung  er- 
reichen. 

Hat  man  sich  mit  der  Vorstellung  der  verschiedenen 
Grundformen  und  der  schon  durch  sie  bedingten  Mannich- 
faltigkeit  der  thierischen  Erscheinung  befreundet,  so 
knüpft  sich  hieran  leicht  die  Einsicht  in  die  Mittel  zu 
weiterem  Formenreichthum  innerhalb  bestimmter  Kreise. 
Die  französischen  Naturforscher  vergleichen  den  thieri- 
schen Organismus  gern  mit  einer  Maschine,   von  welcher 


Ernst  von  Bär  zu  vergleichen,   welche  die  letzte  Abtheilung    der 
„Beiträge  zur  Kenntniss  der  niederen  Thiere"  bildet,  Nov.  Act.  Acad. 


Caes.  Leop.  Bd.  XIII.  2. 


Einleitung.  21 

gewisse  Leistungen ,  aber  im  eigenen  Dienste  und  zum 
eigenen  Besten  verlangt  werden.  In  der  grösseren  oder 
geringeren  Vollkommenheit  und  Energie,  in  der  diese 
Leistungen  vollzogen  werden,  liegt  eine  Hauptursache 
der  Mannichfaltigkeit.  Die  Industrie  erhölit  die  Leistungs- 
fähigkeit einer  Maschine  auf  zwei  Arten:  entweder  er- 
höht sie  das  Maass  der  Stärke  einer  gegebenen  Maschine, 
oder  sie  vervielfältigt  die  arbeitenden  Theile.  Den  er- 
sten Fall  haben  wir  in  Katze  und  Löwe,  nach  Zahl  und 
Verhältniss  der  Theile  völlig  gleich,  aber  nach  der  Stärke 
der  Körpermaschine  sehr  verschieden  leistungsfähig.  Für 
den  zweiten  Fall  bieten  die  Strahlthiere  und  die  Glie- 
derthiere  zahlreiche  Beispiele. 

AVenn  ferner  die  Maschinen  -  und  Fabriksarbeit  desto 
vollkommener  ist,  je  grösser  die  Theilung  der  Arbeit,  so 
wird  auch  im  thicrischen  Organismus  eine  weitere  un- 
endliche Mannichfaltigkeit  und  Abstufung  erzielt  durch 
Theilung  und  Vertheilung  der  Verrichtungen.  Die  Natur 
besinnt  sich  aber  lange,  ehe  sie  ein  neues  Organ  für 
eine  neue  Thätigkeit  schafft ;  sie  ist  so  lange  als  möglich 
sparsam  in  der  Entfaltung  der  Mittel  und  verwendet  ein 
und  dasselbe  Organ,  indem  sie  es  oft  bis  zur  Unkennt- 
lichkeit umgestaltet,  zu  selir  verschiedenen  Thätigkeiten. 
Hinwiederum  werden  Organe,  die  in  dem  einen  Organis- 
mus wohl  entwickelt  und  in  voller  Function  sind,  in  dem 
andern  rudimentär  und  scheinbar  zwecklos  beibehalten, 
weil  sie  in  den  allgemeinen  Plan  gehören.  Diese  Umge- 
staltungen und  Verhüllungen  von  der  Anlage  nach  glei- 
chen, der  Ausführung  und  Leistung  nach  verschiedenen 
Theilen  aufzudecken,  ist  eben  die  reizvolle  Aufgabe  der 
vergleichenden  Anatomie. 

In  einer  der  Klassen  jedes  Typus  werden    wir   eine 


22  Einleitung. 

höchste  Ausbildung  antreffen,  wie  schon  wiederholt  an- 
gedeutet. Den  Werth  und  den  Rang  eines  Typus  wird 
man  nun  nicht  nach  seinen  niedrigen  Erscheinungen 
schätzen,  sondern,  wie  jede  Kraft  und  Macht,  nach  den 
Hauptleistungen,  weil  natürlich  erst  in  den  höchsten  Pro- 
ductionen  der  innere  Werth  und  die  Bildungsfähigkeit 
an's  Licht  treten.  Hinsichtlich  der  Rangfolge  der  Typen 
kann  nur  ein  Punkt  fraglich  sein,  ob  die  Gliederthiere 
und  im  Anschluss  an  sie  die  Würmer  über  die  Weich- 
thiere  zu  stellen  seien,  oder  umgekehrt.  Ein  schlagen- 
der, allgemein  überzeugender  Beweis  für  das  Eine  oder 
Andre  wird  kaum  zu  geben  sein.  Die  seelischen  Fähig- 
keiten der  Gliederthiere  entwickeln  sich  offenbar  höher, 
als  bei  den  Weichthieren ;  körperlich  aber  scheinen  uns 
die  Cephalopoden  in  ihren  gigantischen  Formen  den  Vor- 
rang vor  dem  Insect  zu  behaupten. 


D i ö    T lii e r k  1  a s s e IL 

Zur  Orientirung  über  den  Gang  und  die  Reihenfolge, 
welche  in  den  einzelnen  Kapiteln  im  Allgemeinen  einge- 
halten werden ,  ist  eine  Aufzählung  und  kurze  Diagnose 
der  Thierklassen  nothwendig.  Die  Systematik  nimmt  hier 
das  Resultat  voraus,  auf  welches  die  vergleichende  Ana- 
tomie führen  soll,  indem  sie  lehrt,  wie  nach  den  Bedin- 
gungen der  Lebensweise,  des  Aufenthaltes  u.  s.  f.  die 
Typen  modificirt  werden  und  die  idealen  Baupläne  in  den 
einzelnen  Klassen  ihre  besondere  Verkörperung  finden. 

Da  wir  keine  zootomische  Schilderung  der  Klassen 
hinter  einander  beabsichtigen,  sondern  die  Organe  und 
Organsysteme  vergleiclien,  so  werden  wir  uns  öftere  Ab- 


Einleitung.  23 

weichungen   von   der    streng   systematischen   Reihenfolge 
erlauben  dürfen. 

I.    Hadiata. 

1.  Cölenteraten.  Coelenterata. 

Aeussere  und  innere  Organe  in  der  Vierzahl  vor- 
handen oder  in  einem  Multiplum  von  Vier  wiederholt. 
Sie  besitzen  einen  mit  centraler  Mundöffnung  versehenen 
Verdauungsapparat,  welcher  direct  mit  einem  eigenthüm- 
lichen  Höhlenapparate  des  Körpers  in  Verbindung  steht. 
Sie  zerfallen  in  folgende  Unterklassen: 

Polypen.  Polypi.  Festsitzende,  selten  freibe- 
wegliche Cölenteraten.  Der  Mund  führt  in  einen  be- 
sonderen, in  die  Leibeshöhle  hineinragenden  und  sich  in 
sie  öffnenden  Magensack  und  ist  umgeben  von  hohlen 
Fühlern,  welche  mit  der  durch  radiäre  Scheide\^  ände  in 
einzelne  Taschen  getheilten  Leibeshöhle  communiciren. 

S  c h  w i  m  m  p  0  1  y  p  e n.  Sip  honophora.  Organisch 
verbundene  Colonieen  oder  Stöcke,  bestehend  aus  einem 
gemeinschaftlichen,  blasen-,  röhren-  oder  scheibenför- 
migen Theile  und  daran  sitzenden  individuenähnlichen 
Organen  (oder  organähnlichen  Individuen),  welche  als 
Saugröhren,  Taster,  Schwimmglocken,  Geschlechtscapseln 
u.  s.  f.  beschrieben  werden.  Erst  ein  Complex  solcher 
Organe  ist  äquivalent  einem  Individuum.  Polymorphis- 
mus nach  R.  L  e  u  c  k  a  r  t. 

Scheibenquallen.  Discophora.  Körper  glo- 
eken-  oder  scheibenförmig.  Von  der  Verdauungshöhle 
gehen  unverästelte  oder  verästelte  gefässartige  Röhren 
nach  der  Peripherie  zu  einem  Ringgefässe.  An  die  äch- 
ten Scheibenquallen  schliessen  sich  die  sogenannten  Hy- 


24  Einleitung. 

drifovmia  an ,   auch   diejenigen   ohne  freie  und  medusen- 
ähnliche Geschlechtsgeneration.     Hydra. 

Rippenquallen.  Ctenophora.  Kugeliger  oder 
ovaler,  contractiler  Körper.  In  der  Richtung  der  Längs- 
axe  eine  verdauende  Höhle,  die  von  ihrem  Grunde  in  ein 
radiär  verlaufendes  Canalsystem  sich  fortsetzt.  Flimmer- 
organe auf  rippenartigen ,  zwischen  den  beiden  Körper- 
polen verlaufenden  Vorsprüngen.     Zwitter. 

2.     Stachelhäuter.     Echino  il ermata. 

Die  Organsysteme  sind  gewöhnlich  in  der  Fünfzahl 
um  einen  Mittelpunkt  oder  die  mittlere,  Bauch-  und 
Rückenpol  verbindende  Axe  geordnet.  Ihre  sehr  kalk- 
haltige äussere  Bedeckung  erstarrt  oft  zu  einem  beweg- 
lichen oder  theilweise  unbeweglichen  Scelete.  Ihre  Be- 
wegungsorgane sind  eigenthümliche,  durch  ein  Wasser- 
gefässsystem  schwellbare  Saugfüsschen ,  meist  in  regel- 
mässigen Reihen,  amhidacra. 

II.    Termes. 

3.    Infusorien.     Infusovia. 

Die  Infusorien  lassen  sich  keinem  der  Typen  mit 
völliger  Bestimmtheit  unterordnen.  In  einigen  nicht  un- 
wichtigen Verhältnissen  scheint  sich  uns  eine  nähere 
Verwandtschaft  zu  den  Turbellarien  auszusprechen.  Alle 
ächten  Infusorien  besitzen  eigenthümliche  contractile  Bla- 
sen und  eine  drüsenartige  Kernmasse ,  die  bei  der  Fort- 
pflanzung durch  innere  Kernbildung,  vielleicht  sogar  als 
wahre  Geschlechtsdrüse  betheiligt  ist.  Körpergestalt  ver- 
schiedenartig. 


Einleitung.  25 

4.     Weich-  oder  Platt  würm  er.     Plalyelmia. 

Körperbedeckungen  und  Parencliym  weich  und  leicht 
verletzlich.  Keine  bestimmte  Leibeshöhle;  keine  Bauch- 
ganglienkette ,  sondern  nur  ein  Doppelganglion  in  der 
Nackengegend,  höchstens  ein  Nervenring,  und  zwei  Sei- 
tenstränge. Ein  Gefässsystem  mit  äusseren  Mündungen. 
Unterklassen  sind: 

Strudelwürmer.  Turbellaria.  Nur  einzelne 
unter  ihnen  leben  als  Binnenwürmer  oder  Schmarotzer. 
Ihre  Körperbedeckungen  tragen  einen  Flimmerbesatz. 

Saug  würm  er.  Tv  emato  da.  Silimarotzer  mit 
Darmkanal. 

Bandwürmer.  Cestoidea.  Schmarotzer  ohne 
Darmkanal. 

5.     Rundwürmer.     Nemate  Im  i  a. 

Diese  Klasse  enthält  blos  Eingeweidewürmer  von 
cylindrischer  oder  fadenförmiger  Gestalt  mit  praller,  ela- 
stischer Hautbedeckung,  mit  einer  deutlichen,  weiten  Lei- 
beshöhle (mit  Ausnahme  der  Gordien) ,  schwach  ent- 
wickelter oder  kaum  angedeuteter  Bauchganglienkette  und 
getrennten  Geschlechtern.  Acanthocephala.  Nematoidea. 
Im  Anschluss  Sagitta. 

Während  die  Platyelmia  eine  deutlich  ausgespro- 
chene nähere  Verwandtschaft  mit  den  Hirudineen  zeigen, 
ist  auf  der  andern  Seite  eine  Hinneigung  der  JSemntelmin 
zu  den  Borstenwürmern  unverkennbar.  Diese  mannich- 
fachen  durch  einander  greifenden  Beziehungen  und  der 
Umstand  ,  dass  auch  die  Gruppe  der  Gephyrea  (Sipuncu- 
Ins  etc.)  in  das  System  eingereiht  sein  wollen,  erklären 
es,  dass  hier  mehr  als  in  andern  Partieen  die  Ansichten 
der  Systematiker  aus  einander  gehen. 


E  R  A  R 


26  Einleitung;. 

6.     R  i  n  g  e  1  w  ü  r  m  e  r.     An  nu  lata. 

Sie  nähern  sich  den  Arthrozoen  durch  Anwesenheit 
einer  Bauchganglienkette  und  durch  das  Zerfallen  des 
Leibes  in  eine  Reibe  von  Segmenten. 

III.    Artlirozoa. 

7.     Rädert  hiere.     Rotatoria. 

Die  Räderthiere  bilden  eine  in  sich  sehr  abgeschlos- 
sene Gruppe  mit  Charakteren,  die  ihre  Unterbringung  so- 
wohl bei  den  Würmern  als  bei  den  Gliederthieren  ge- 
statten. Es  sind  Thiere  mit  gegliedertem  Körper  und 
einem  Wimperapparat  am  Kopfende.  Ihr  Nervensystem 
besteht  wenigstens  in  einem  Gehirnganglion  und  von  da 
ausstrahlenden  Fäden ;  überdiess  scheinen  an  verschiede- 
nen Organen  andre  kleinere  Ganglien  vorzukommen.  Ver- 
dauungsorgane und  Respirationssystem  sehr  entwickelt. 
Kein  Herz  und  keine  Blutgefässe.    Geschlechter  getrennt*). 

8.     Krebse.     Critstacea. 

Die  Krebse  sind  diejenigen  Gliederthiere,  bei  denen 
die  Fähigkeit,  gegliederte,  den  Füssen  aequivalente  An- 
hänge zu  tragen ,  auch  auf  die  Segmente  der  hinteren 
Körperabschnitte,  des  abdowen  und  jyostab dornen^  ausge- 
dehnt ist,  wenn  gleich  diese  Anhänge  oft  in  den  abwei- 
chendsten Umgestaltungen  erscheinen.  Die  Athmungsor- 
gane  sind  Kiemen  in  verschiedenartigster  Entwicklung 
und  Lage.  Die  Klasse  zeigt  durch  sehr  wechselnde  Aus- 
bildung der  Segmente  und  Verschmelzung  zu  Körperab- 
schnitten eine  sehr  reiche  innere  Gliederung  und  erinnert 


*)  Leydig,  Ueber  den  Bau  und  die  syslemalische  Stellung  der 
Räderthiere.    Zeitschrift  f.  wissensch.  Zoolog.  1854. 


Einleitung.  27 

durch  einzelne  Formen  der  Schmarotzerlirebse  an  die 
Würmer,  durch  eine  andre  Abtheilung,  die  Rankenfüsser, 
an  die  gehäustragenden  Weichthiere. 

9.     Tausendfüsser.     M  yriopoda. 
Sind   ihrer    äusseren   Erscheinung   nach   den  Ringel- 
Avürmern  ähnlich,  also  vielgliedrig ;  alle  Segmente  tragen 
Füsse    oder    gegliederte    Anhänge.     Die    Athmungswerk- 
zeuge  Tracheen. 

10.     Spinnen.     Arachnidea. 

Kopf  und  Brust  articuliren  nicht  mit  einander,  son- 
dern sind  zu  einem  Cephalothorax  verschmolzen,  an  wel- 
chem sich  vier  Paar  Füsse  finden.  Athmen  durch  Tra- 
cheen. 

11.     Kerfe.     Insecta. 

Ihr  Körper  zerfällt  immer  in  drei  von  einander  ge- 
schiedene Segmentreihen:  Kopf,  Brust  und  Hinterleib. 
Die  drei  Brustringe  tragen  je  ein  Paar  Füsse.  Athmen 
durch  Tracheen. 

IV.    Mollusca. 

12.     Kopflose  AVei  cht  hier  e.     Acephala. 

Ein  von  dem  übrigen  Körper  abgesetzter  Kopftheil 
ist  nicht  vorhanden.  Der  Mantel  zeigt  sich  in  seiner 
höchsten  Entwicklung  als  eine  den  Körper  vollständig 
umgebende  Hülle.  Die  Uebersicht  erfordert  die  Aufstel- 
lung mehrerer  Unterklassen,  nämlich: 

Moosthiere.  Bryozoa.  Sie  bilden  zusammen- 
gesetzte Stöcke ,  gleich  den  ächten  Polypen ,  mit  denen 
viele  Zoologen  sie  vereinigen.    In  der  Form  ihres  Darm- 


28  Einleitung. 

kanals,  der  in  einem  weiten,  mantelähnlichen  Hautsacke 
aufgehängt  ist,  schliessen  sie  sich  eng  an  die  folgende 
Unterklasse  an,  in  welcher  gleichfalls  die  Coloniebildung 
etwas  Gewöhnliches  ist. 

Mantelthiere.  Tunicata.  Sie  besitzen  einen 
sehr  eigenthümlichen  dicken,  mit  zwei  Oeffnungen  verse- 
henen Mantel,  der  sackförmig  oder  cylindri&ch  ist,  nie 
blättrig,  und  Pflanzenzellmembranstoff  (cellulose)  enthält. 

Armfüsser.  Brachiopoda.  Neben  der  Mund- 
öffnung zwei  spiralförmig  eingerollte  Organe,  die  wohl 
als  Taster  und  Greifwerkzeuge  dienen.  Die  beiden  Man- 
telblätter versehen  die  Stelle  der  Kiemen.  Eine  zwei- 
schalige,  regelmässige  oder  unregelmässige  Muschel. 

Muscheln.  Lamellihranchiata.  Unter  den 
Mantelblättern  befinden  sich  die  blattförmigen  Kiemen. 
Zweischalige  Muschel. 

13.  Kopftragende  Weichthiere.  Cephalophora. 
An  ihnen  lässt  sich  fast  immer  ein  die  Sinneswerk- 
zeuge tragender  Kopf  unterscheiden,  an  dem  sich  auch 
die  MundöfTnung  befindet.  Die  Unterabtheilungen  dieser 
Klasse  gehen  nicht  so  aus  einander,  wie  die  der  vorigen, 
daher  sie  im  System  passender  als  Ordnungen  figuriren. 
Pteropoda.     Gasteropoda.     Hetero2)oda. 

14.     Kopffüsser.     Cej)  halopoda. 

Sie  zeichnen  sich  unter  den  Weichthieren  durch  ihre 
morphologische  Abgeschlossenheit  aus.  Charakteristisch 
für  sie  ist  der  vom  Rumpfe  deutlich  abgesetzte  Kopf, 
mit  langen  Armen  umstellt,  welche  als  Greif-,  Bewe- 
gungs  -  und  Tastwerkzeuge  dienen. 


Einleitung.  29 

V.    Vertebrata. 

15.     Fische.      Pisces. 

Die  Fische  sind  diejenigen  Wirbelthiere ,  deren  Or- 
ganisation in  jeder  Beziehung  dem  AVasserlehen  ange- 
passt  ist.  Ihre  Gliedmaassen  sind  in  Flossen  urag-evvan- 
delt.  Das  Blut  legt  keinen  doppelten  Kreislauf  zurück, 
wendet  sich  vom  Athemorgan  nicht  erst  wieder  nach  dem 
Herzen ,  sondern  wird  von  dort  aus  gleich  in  die  Peri- 
pherie geleitet.  Das  Herz  besteht  nur  aus  Vorkammer 
und  Kammer.     Die  Athmungsorgane  sind  Kiemen  *). 

16.  Nackte  Amphibien.  Amphibia. 
Körperbedeckungen  weich;  Hornbildungen  sehr  ver- 
einzelt. Das  Herz  besteht  aus  zwei  Vorkammern  und 
einer  Kammer.  Das  Gehörorgan  ist  ohne  Schnecke.  Ihre 
Entwicklung  ist  einfacher,  fischähnlich,  indem  z.  B.  die 
Allantois  eine  sehr  untergeordnete  Rollo  spielt. 

17.     Beschuppte    Amphibien.     Reptilia. 

Die  Körperbedeckungen  verhornen,  verknöchern  so- 
gar zum  Theil.  Das  Herz  besteht  aus  zwei  Vorkammern 
und  zuei  unvollständig  geschiedenen  Kammern.  Das  Ge- 
hörorgan ist  mit  einer  Schnecke  versehen,  wie  bei  den 
Vögeln,  mit  denen  auch  ihre  Entwicklung  eine  weit  grös- 
sere Uebereinstimmung  zeigt,  als  mit  den  nackten  Am- 
phibien. 


*)  Von  einzelnen  merkwürdigen  Ausnahmen,  in  denen  die  Am- 
phibienorganisation  herübertrilt,  wird  natürlich  an  ihrem  Orte  die 
Hede  sein. 


30  Einleitung. 

18.     Vögel.     Aves. 

Noch  bestimmter  als  im  Bau  des  Fisches  tritt  im 
Vogel  die  Anpassung  der  Organisation  an  einen  gewis- 
sen Zweck  hervor.  Dass  der  Vogel  das  vorzugsweise 
für  den  Flug  bestimmte  Wirbelthier  ist,  lässt  sich  an 
seinem  Aeusseren  und  Inneren  bis  in's  Einzelnste  nach- 
weisen. Die  Vögel  besitzen  ein  Herz  mit  vier  vollstän- 
dig gegen  einander  verscliliessbaren  oder  verschlossenen 
Abtheilungen.    Flügel.    Federbedeckung.    Eierlegen. 

19.     Säugethiere.     31  a  mm  a  Ha. 

Herz  wie  bei  den  Vögeln.  Entwicklung  der  Eier 
im  Uterus.     Milchdrüsen. 

Einige  allgemeine  literarische  Hülfsmittel: 

J.  F.  Meckel,  System  der  vergleichenden  Anatomie.  Halle,  1821 — 
1833. 

Cuvier,  Le^ons  d^anafomie  comparee.    See.  ed.   Pan«  1835 — 1843. 

V.  S  i  e  b  0 1  d  und  S  t  a  n  n  i  u  s ,  Lehrbuch  der  vergleichenden  Anato- 
mie. Berlin,  1845.  1848.  II.  Theil.  1.  u.  2.  Heft.  2.  Aufl. 
1854.  1856. 

Bergmann  und  Leuckart,  Anatomisch -physiologische  Ucbersicht 
des  Thierreichs.  Vergleichende  Anatomie  und  Physiologie. 
Stuttgart,  1851. 

V.  Carus,  System  der  thierischen  Morphologie.    Leipzig,  1853. 


Wagner,  Icones  zootomicae.     Handatlas  zur  vergleichenden  Anato- 
mie.   Leipzig,  1841. 

Carus,    Otto,    d'Alton,    Erläuterungstafeln    zur   vergleichenden 
Anatomie.    Leipzig,  1826  — 1853. 

0.  Schmidt,  Handallas  der  vergleichenden  Anatomie.     2.  Abdruck. 

Jena,  1854. 
V.  Carus,   Icones   zootomicae.    1.  Abiheilung.    Wirbellose   Thiere. 

Leipzig,  1857.  


Einleitung.  31 

Ännales  des  seien ces  naturelles.    Paris. 

Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie,    herausgegeben   von 
J.  31  ü II er.     Berlin. 

Archiv   für   Naturgeschichte,    gegründet    von    Wiegmann. 
Berlin. 

Zeitschrift  für  wissenschaftliche  Zoologie,   herausgege- 
ben von  Kölliker  und  v.  Siebold.     Leipzig. 


As s mann,  Quellenkunde  der  vergleichenden  Anatomie. 


Leydig,   Lehrbuch   der  Histologie   des   Menschen   und  der  Thiere. 
Frankfurt  a.  M.,  1857. 


Schlossberger,    Die  Chemie  der  Gewebe  des   gesammten  Thier- 
reiches.     Leipzig  und  Heidelberg,  1856. 


Erster  Abschnitt. 
Die  Organe  der  Emiifliiduiig^. 


Erstes  Kapitel. 
Das  IV^ervensyisteiti. 

1.     Das  Nervensystem  der  Strahlthiere. 

Die  wenigen ,  über  das  Nervensystem  der  Polypen 
gemachten  Beobachtungen  sind  unsicher.  Bei  den  glocken- 
förmigen Individuen  der  Hydroiden  will  man  um  den 
Magen  herum  einige  Ganglien  bemerkt  haben,  und  bei  den 
Medusen  sind  im  Scheibenrande  Nervenknoten  wahrzu- 
nehmen. 

Vollständiger  ist  das  Nervensystem  der  Rippen- 
quallen beschrieben.  Sie  besitzen  eine  Art  von  Ner- 
venring mit  ein  Paar  gelblichen  Nervenknötchen,  welcher 
den  Trichtercanal  umfasst  und  an  die  Schwimmplättchen- 
reihen  Nerven  absendet.  Nach  Gegenbaur  sollen  diese 
Fäden  an  jedem  Plättchen  eine  Anschwellung  bilden. 

Am  klarsten  in  diesem  Typus  und  am  weitesten  zu 
verfolgen  tritt  aber  das  Nervensystem  bei  den  Echino- 
d  e  r  m  e  n  hervor.  Der  Centraltheil  stellt  gleichfalls  einen 
Schlundnerveniiiig  dar,  der  aber  häufig,  der  Körperform 
und  dem  Strahlensystem  entsprechend,   die  Gestalt  eines 


I.  Absclm.    1.  Kap.    Das  Nervensystem.  33 

Fünfecks  angenommen  hat.  Fünf  von  den  Ecken  dieses 
Pentagons  entspringende  Hauptnerven  verbreiten  sich,  von 
den  Hauptgefässen  begleitet,  an  die  Ambulacralfelder,  sich 
bis  in  die  Spitzen  der  Ambulacralbläschen  verzweigend. 
So  ist  es  auch  bei  den  Holothurien,  deren  Tentakeln 
ebenfalls  Nerven  von  dem  Schlundringe  empfangen. 

2.     Das    Nervensystem    der    Würmer    und 
Arthropoden. 

Die  Bemerkung,  die  a\  ir  eben  gemacht,  dass  das  Ner- 
vensystem sich  nach  dem  allgemeinen  Plane  der  Abtheilung 
richtet,  oder  die  äussere  Thierform  Ausdruck  der  inneren 
Nervenanordnung  ist,  wiederholt  sich  auch  bei  den  Wür- 
mern und  Arthropoden,  wo  wir  Schritt  vor  Schritt  an  dem 
Nervensystem  die  Modificationcn  der  Typen  verfolgen  kön- 
nen. Cuvier  erblickte  in  Würmern  und  Arthropoden 
nur  einen  Typus;  auch  ihr  Nervensystem  zeigt  viel  Ueber- 
einstimmendes ,  so  dass  es  uns  am  zweckmässigsten  er- 
scheint, die  Entwicklung  jenes  Systems  von  seinen  ein- 
facheren, so  zu  sagen  reducirten  Formen  bei  den  Strudel- 
würmern und  Schmarotzerkrebsen  bis  zu  den  das  Glieder- 
thier  in  seiner  Reinheit  darstellenden  Gestaltungen  bei  In- 
secten  und  Fühlerwürmern  der  Art  zu  durchmustern, 
dass  wir  dabei  die  strenge  zoologische  Folge  ausser  Acht 
lassen. 

Als  das  Vorbild  des  Nervensystems  eines  Gliederthie- 
res  ist  eine  Ganglienkette  anzusehen,  bestehend  nach  An- 
zahl der  Körpersegmente  aus  paarigen  Nervenanschwellun- 
gen oder  Ganglien,  die  sowohl  durch  Quercommissuren 
als  Längsstränge  verbunden  sind.  Diese  Nervenkette  liegt 
unterhalb  des  Darmkanals,  also  an  der  Bauchseite,  mit 
Ausnahme  des  ersten  Ganglienpaares,  welches  über  dem 


34  I-  Abschn.   Die  Organe  der  Empfindung. 

Schlünde  liegt,  diesen  also  mit  seinen  Commissuren  und 
dem  zweiten  Paare  umfasst.  Man  nennt  dieses  erste  Paar 
das  Gehirn.  Von  ihm  entspringt  oft  ein  gesondertes 
System  von  Ganglien  und  Nerven,  welches  den  Darmkanal 
versorgt  und  deshalb  mit  dem  sympathischen  Nerven 
der  Wirbelthiere  zu  vergleichen  ist.  Wir  betrachten  daher 
nach  einander  a)  das  Gehirn,  b)  die  Bauchganglienkette 
oder  den  Bauchstrang,  c)  den  sympathischen  Nerven 
der  Würmer  und  Arthropoden. 

a)  Das   Gehirn. 

Selbst  in  denjenigen  der  von  uns  aufgezählten  Thier- 
klassen,  bei  denen  der  übrige  Stammtheil  des  Nervensy- 
stems wenig  oder  nicht  entwickelt  ist,  findet  sich  doch  in 
der  Schlund-  oder  Nackengegend  das  sogenannte  Gehirn. 
Bei  den  Turbellarien  sind  die  beiden  Gehirnganglien 
bald  getrennt  bald  mehr  oder  minder  verschmolzen ,  und 
diese  in  derselben  Ordnung  zu  beobachtende  Verschmel- 
zung lehrt  uns,  auch  da,  wo  solche  Uebergänge  fehlen, 
die  ursprüngliche  Duplicität  vorauszusetzen.  Ein  solches 
unpaares  Ganglion  ist  bei  einigen  Schmarotzer  kreb- 
sen ( Chondro canihus)  wahrgenommen,  wie  auch  bei  den 
Lophyropoden  eine  unpaare,  vor  dem  Schlünde  ge- 
legene und  mit  seitlichen  Commisuren  und  Lappen  ihn 
umfassende  Gehirnmasse  zu  bemerken  (am  leichtesten  bei 
Daphnia  *)).     Damit  lässt  sich  recht  gut  das  grosse,  oft 


*)  Dass  eine  wohl  entwickelte  Bauchganglienkette  nebst  Schlund- 
ring jedoch  schon  bei  diesen  sogenannten  niederen  Krebsen  vorkommt, 
hat  Zenker  gezeigt,  von  Cythere  lutea  (Anatom,  system.  Studien 
über  die  Krebsthiere.  Berlin,  1854.  Taf.  IV.  Fig.  11.  Auch  im  Archiv 
f.  Naturgesch.  XX.). 


1.  Kap.    Das  Nervensystem.  35 

aus  mehreren  lileinen  Kugeln  zusammengesetzte  Nacken- 
ganglion der  Räderthiere  vergleichen.  Geschieden, 
aber  durch  eine  verhältnissmässig  breite  Commissur  ver- 
bunden sind  die  beiden  Gehirnganglien  verschiedener 
Rhabdocölen.  Die  Nemertinen  weichen  von  den 
übrigen  Strudelwürmern  ab,  indem  ihre  beiden  ansehn- 
lichen Hirnganglien  durch  zwei,  über  und  unter  dem 
merkwürdigen  Rüssel  weggehende  Commissuren  verbun- 
den sind.  Noch  weiter  getrennt  sind  sie  bei  einigen 
Helminthen  (namentlich  Trematoden).  Uebrigens  hat, 
Avas  wir  auch  für  den  Bauchstrang  zu  bemerken  haben, 
der  höhere  oder  geringere  Grad  der  Verschmelzung  auf 
die  systematische  Stellung  keinen  Einfluss.  Denn  in  den 
höheren  Ordnungen  zeigen  sich  dieselben  Verschmelzun- 
gen, ohne  dass  sich  ein  bestimmtes  Gesetz  darin  aus- 
spräche, nur  dass  sich  in  der  Periode  des  embryonalen 
Lebens  meist  eine  vollständige  Scheidung  nachweisen 
lässt,  so  z.  B.  bei  dem  Flusskrebse,  bei  dem  im  erwach- 
senen Zustande  das  Gehirn  als  eine  einzige  Masse  er- 
scheint. In  diesem  Sinne  spricht  man  auch  bei  den  Spin- 
nen und  vielen  Insecten,  wo  die  Duplicität  des  Gehirn- 
knotens oft  nur  durch  eine  leise  Furche  angedeutet  ist, 
von  einem  Gehirnknoten.  Bei  den  Ringel würmern 
zeigt  das  Gehirn  eine  Neigung  zu  seitlichen,  lappenarti- 
gen Ausbreitungen  mit  sehr  bestimmt  geformten,  man- 
nichfach  ausgeschnittenen  Conturen ,  Avovon  man  sich, 
wenn  Meerwürmer  fehlen,  an  unserer  Nais  diaphana 
(Chaetogaster  diaphamis)  überzeugen  kann.  Die  haupt- 
sächlichsten von  den  Gehirnganglien  entspringenden  Ner- 
ven sind  diejenigen  für  die  dem  Kopf  angehörenden  Sin- 
nesorgane. 

3  * 


36  I-  Absclin.    Die  Organe  der  Empfindung. 

b)  Bauchnervenstrang. 
Wenn  die  Entwicklung  der  Bauchganglienkette,  wie 
wir  schon  angedeutet,  Hand  in  Hand  mit  der  äusserlich 
ausgeprägten  Gliederung  geht,  so  werden  wir  sie  bei 
denjenigen  Würmern  am  unvollständigsten  zu  erwarten 
haben,  die  in  keiner  Lebensperiode  gegliedert  sind.  So 
beschränkt  sich  denn  in  der  That  bei  den  Platyelmia 
der  Bauchtheil  des  Nervensystems  auf  zwei  von  den  Ge- 
hirnganglien entspringende  Fäden ,  die ,  ohne  unterwegs 
wieder  Anschwellungen  zu  bilden,  ohne  gegenseitig  zu 
anastomosiren ,  seitlich  nach  hinten  verlaufen.  Bei  den 
Sipunculoid  en  ist  sogar  nur  ein,  wie  es  scheint,  auch 
ursprünglich  einfacher  Strang  vorhanden ,  der  von  einem 
Schlundringe  kommt  und,  ohne  Anschwellungen  zu  bil- 
den, Seitenzweige  abgiebt.  Die  vielen  Ganglien  und  Ner- 
venfäden, die  bei  den  Rädert hieren  gefunden  sind, 
scheinen  sich  nicht  auf  den  Typus  der  Nervenkette  zurück- 
führen zu  lassen,  indem  sie  sehr  zerstreut,  obgleich  sym- 
metrisch liegen,  nach  den  paarigen  oder  unpaarigen  Or- 
ganen, welche  sie  versorgen*).  So  unendlich  verschieden 
nun  im  Uebrigen  die  äussere  Gliederung  ausgesprochen 
ist,  so  vielfach  variirt  auch  die  Bauchkette,  theils  indem 
die  zu  einem  Paare  gehörigen  Knoten  in  einen  zusam- 
menrücken, theils  indem  die  Ganglienpaare  sich  einander 
nähern  und  verschmelzen   oder   ganz   verschwinden;   und 


*)  Ich  darf  nicht  unerwähnt  lassen,  dass  Leydig  diese  Organe 
der  Räderthiere,  die  ich  für  Nerven  und  Ganglien  erklären  zu  müs- 
sen glaubte,  für  ein  Bindgewebe  hält,  das  zur  Fixirung  der  Einge- 
weide dienen  soll.  Ich  darf  jedoch  auch  mit  Bestimmtheit  behaup- 
ten, dass  bei  den  von  mir  untersuchten  Gattungen,  Hydatina,  Bra- 
chionus  u.  a.  die  fraglichen  Ganglien  nie  als  helle  Blasen  (nach 
Leydig's  Angabe),  sondern  als  solide  Massen  erschienen  sind. 


1.  Kap.    Das  Nervensystem.  37 

dieselben  Verschmelzungen,  welche  durch  die  Ordnungen 
gehen,  finden  sich  in  dem  Individuum  in  der  Reihe  seiner 
Metamorphosen  wieder.  Behalten  wir  den  letzteren  Fall 
zunächst  im  Auge,  weil  er  uns  den  Maassstab  an  die 
ähnlichen  Verhältnisse  legen  lehrt;  und  zwar  wird  es 
ganz  gleichgültig  sein ,  aus  welcher  Thierklasse  wir  das 
Beispiel  wählen.  An  der  Schmetterlingsraupe  zählt  man 
zwölf  Ringe,  und  ihnen  entsprechen,  ausser  dem  Gehirn 
und  dem  kleinen  Ganglion  infraoesophageuw,  elf  Bauch- 
knoten. Im  ausgebildeten  Schmetterlinge,  wo  die  Brust- 
ringe zum  Thorax  mit  einander  verbunden  sind,  sind  auch 
die  Brustganglien  in  gleichem  Grade,  zu  zweien,  ver- 
wachsen, und  im  Hinterleibe,  dessen  Bewegungsthätigkeit 
zurückgetreten,  sind  gleichfalls  mehrere  Ganglien  zurück- 
getreten oder  verschwunden.  Gleicherweise  sind  in  frü- 
heren Embryonalperioden  bei  den  meisten  der  Glieder- 
würmer und  Arthropoden  d!e  Bauchstränge  noch 
völlig  getrennt  wahrzunehmen,  die  später,  so  wie  die 
Ganglien,  sich  vereinigen.  Insofern  man  nun  den  Schmet- 
terling für  höher  entwickelt  hält  als  seine  Raupe,  den 
zur  Fortpflanzung  fähigen  Wurm  für  vollendeter  als  sei- 
nen Embryo,  scheint  der  Schluss  gerechtfertigt,  dass,  je 
concentrirter  die  Bauchganglienkette,  desto  höher  auch 
der  systematische  Rang  des  Thieres  sei.  So  viel  diese 
Ansicht  für  sich  hat,  erleidet  die  Regel  doch  grosse  Be- 
schränkungen ;  der  Blutegel  hat,  in  regelmässigen  Abstän- 
den von  einander ,  viel  weniger  Ganglien  als  Körperseg- 
mente ,  dagegen  liegen  beim  Regenwurm  in  den  zahlrei- 
chen Ringen  die  Ganglien  so  nahe  bei  einander,  dass  die 
Längscommissuren  fast  verschwinden  und  ein  scheinbar 
einfacher  dicker  Nervenstrang  hergestellt  wird.  Oder, 
wenn   dies  Beispiel  nicht  genügt,  nehme  man  zwei  Gat- 


38  1-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

tungen  derselben  Familie:  bei  Clepshie  kommt  auf  drei 
Ringe,  bei  Nephelis  auf  fünf  Ringe  ein  Bauchganglion. 
Welche  auffallende  Verschiedenheiten  sonst  zusammen- 
gehörige Gruppen  darbieten,  kann  man  ferner  bei  den 
Decapoden  sehen.  Unser  gemeiner  Flusskrebs,  Asia- 
cus  fluviatills,  hat,  ausser  dem  Gehirn,  sechs  Thoracal- 
und  sechs  Abdominal -Ganglien;  bei  der  Krabbe,  Cancer 
maenas^  ist,  dem  Gehirn  durch  längere  Comraissuren  ver- 
bunden, nur  ein  einziges  grosses,  jene  zwöM  Knoten  er- 
setzendes Brustganglion  vorhanden. 

Es  führt  diese  Form  unmittelbar  zu  der  der  Arach- 
niden,  namentlich  der  Araneen,  wo  mit  der  grösseren 
Einheit  des  Cephalothorax  und  dem  ungegliederten  Abdo- 
men die  ganze  Bauchganglienkette  auch  durch  ein  einziges 
grosses  Bauchganglion  vertreten  ist.  Es  kommen  mehrere 
Ganglien  hinzu,  sobald  die  Körpergliederung  äusserlich 
weiter  bemerkbar  ist;  und  so  weist  der  Scorpion,  an  des- 
sen gegliederten  Hinterleib  sich  ein  gegliederter  Schwanz 
anschliesst,  ausser  dem  grossen,  aus  der  Verschmelzung 
mehrerer  entstandenen  Brustganglion,  noch  eine  Reihe 
nachfolgender  Ganglien  auf. 

Was  endlich  die  Insecten  betrifft,  so  können  wir 
uns  mit  der  Bemerkung  begnügen,  dass  hier  am  constan- 
testen  ein  durch  Form  und  Grösse  wenig  ausgezeichne- 
tes, durch  die  den  Schlund  umfassenden  Commissuren  mit 
dem  obern  Gehirnganglion  verbundenes  unteres  Schlund- 
ganglion vorkommt,  dann  drei  Thoraxganglien  und  eine 
Reihe  von  Abdominalganglien.  Es  liegt  ausser  unserm 
Zwecke,  die  mannichfachen  Modificationen  dieser  Anord- 
nung durchzugehen,  und  muss  diess  einer  specielleren  Zoo- 
tomie  und  Zoologie  überlassen  bleiben.  Wir  hatten  nur  den 
allgemeinen  Plan  in  seinen  Ilauptzügen  vor  Augen  zu  legen. 


1.  Kap.    Das  Neryensystem.  39 

Die  Nerven  für  die  verschiedenen  Organe  entsprin- 
gen im  Allgemeinen  aus  den  ihnen  zunächst  liegenden 
Ganglien;  so  aus  dem  unteren  Schlundganglion  die  Ner- 
ven der  Mundwerkzeuge  und  Palpen,  die  Fuss-  und  Flü- 
gelnerven aus  den  Thoracalganglien,  Avährend  natürlich 
bei  den  Krabben  und  Spinnen  das  einzige  grosse  Brust- 
ganglion sämmtliche,  vom  Gehirn  nicht  versehene  Par- 
tieen  mit  Nerven  versorgt. 

c)  Eingeweidenervensystem. 

Dass  eine  in  früheren  Jahren  geltend  gemachte,  in 
unrichtigen  naturphilosophischen  Voraussetzungen  wur- 
zelnde Hypothese,  das  gesamm(e  Nervensystem  der  wir- 
bellosen Thiere  und  besonders  der  AVürmer  und  Arthro- 
poden entspräche  dem  System  der  Eingeweidenerven  der 
Wirbelthiere,  falsch  sei,  beweist  das  Vorkommen  eines 
besonderen  Eingeweidenervensystems  bei  jenen.  Schon 
bei  dem  Blutegel  sind  drei  kleine,  in  der  Nähe  des 
Gehirns  liegende,  mit  demselben  und  unter  einander 
durch  zarte  Fäden  verbundene  Ganglien  als  dem  vege- 
tativen System  angehörig  zu  deuten,  indem  von  ihnen 
aus  ein  unpaarer  Nerv  den  Darmkanal  begleitet.  Aehn- 
lich  verhält  es  sich  bei  einigen  Ordnungen  der  Crusta- 
ceen  (Decapoden,  Squillinen  u.  a.) ,  den  Araneen  und 
den  meisten  Insecten.  Theils  ist  ein  unpaariger  (va- 
fjus)  ^  vom  Gehirn  entspringender  Nerv  vorhanden  (De- 
capoden), oder  ein  Nervenpaar,  das  aus  zwei  seitlichen 
Ganglien  entspringt  (sywpathiciis ,  z.  B.  bei  den  Onisci- 
den),  oder  endlich  finden  sich  beide,  der  in  diesem  Falle 
aus  einem  kleinen  ganglion  frontale  kommende  soge- 
nannte vagus  und  der  sympathicus ,    so  bei  den  Insecten. 


40  !•  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

3.     Das  Nervensystem  der  Weichthiere. 

a)  Ner  V  encentra.  Schlundring.  Körp  er  nerven. 
Um  die  Anordnung  des  Nervensystems  der  Acepha- 
len  zu  verstehen,  muss  man  dasselbe  erst  bei  den  Ce- 
phalophoren ,  namentlich  den  Gasteropoden  kennen 
gelernt  haben.  Bei  diesen  besteht  die  Centralmasse  des 
Nervensystems  aus  mehreren  Paaren  von  Ganglien,  wel- 
che, unter  einander  durch  einfache  oder  doppelte  Com- 
missuren  verbunden,  einen  Schlundring  oder  Nervenhals- 
hand  bilden.  Auch  hier  wird  die  obere,  auf  dem  Schlünde 
liegende  Partie  das  Gehirn  genannt,  und  dieses  sowohl 
als  die  unteren  Ganglienmassen  zeigen  in  den  verschie- 
denen Unterabtheilungen  sehr  verschiedene  Grade  der 
Verschmelzung;  daher  z.B.  unsere  Helix  und  Limaoc  nur 
ein  Gehirnganglion  und  ein  unteres  Schlundganglion  zu 
haben  scheinen.  Als  Norm  möchte  jedoch  anzusehen  sein, 
dass  das  Gehirn  aus  zwei  Ganglien,  die  untere  Portion 
aber  aus  zwei  Paar  Ganglien  bestellt,  einem  vorderen, 
das  vorzugsweise  die  Sohle,  und  einem  hinteren,  das  die 
Kiemen  und  Eingeweide  mit  Nerven  versorgt.  Dass  aber 
auch  hierin  noch  differente  Bestandtheile  enthalten  sind, 
beweist  das  häußge  Vorkommen  accessorischer  Knöt- 
chen. 

Bei  manchen  Nacktkiemern  sind  die  drei  Paare  Gang- 
lien so  an  einander  nach  oben  gerückt,  dass  sie  schein- 
bar eine  einzige  Masse  hilden.  Ihre  Trennung  ist  jedoch 
durch  Furchen  und  Einschnitte  angedeutet,  und  nach  den 
einzelnen ,  daraus  entspringenden  Nerven  lassen  sich  diese 
Abtheilungen  leicht  als  die  Gehirn-,  Fuss-  und  Kiemen- 
ganglienmasse  deuten. 

Die  Nerven  für  die  Lippen,  Tentakeln,  Augen,  bis- 


1.  Kap.     Das  Nervensystem.  41 

weilen  auch  Gehörorgane  und  Geschlcchtswerlizeuge  (penis 
bei  Helix)  entspringen  aus  dem  Gehirn. 

Halten  wir  uns  nun  daran ,  dass  eigentlich  sowohl 
die  Fussganglien ,  d.  h.  das  vordere  Paar  der  untern 
Schlundportion,  als  die  Kicmenganglien,  das  hintere  Paar, 
durch  besondere  Commissuren  mit  dem  Gehirn  verbunden 
sind,  so  ergiebt  sich,  Avie  das  Nervensystem  der  Ace- 
phalen,  namentlich  der  Lamellibranchiaten,  auf 
jene  Form  sich  zurüclvführen  lässt. 

Die  Lamellibranchiaten  haben  drei  Paar  Gang- 
lien :  das  eine  liegt  auf  dem  Schlünde  und  unter  dem 
vorderen  Schliessmuskel ,  es  entspricht  dem  Gehirn  der 
Gasteropoden  j  das  andere  im  Fusse,  und  seine  Verbin- 
dungsstränge mit  dem  Gehirn  schliessen  den  Schlundring; 
das  dritte  Paar  liegt  noch  weiter  von  dem  Gehirn  ent- 
fernt, am  hinteren  Schliessmuskel.  Es  versieht  vorzugs- 
weise die  Kiemen  und  entspricht  dem  hinteren  der  un- 
teren Schlundganglienpaare  der  Gasteropoden,  seine  zum 
Gehirn  führenden  Commissuren  den  Commissuren  jenes. 
Von  diesem  Typus  entfernen  sich  freilich  die  mit  den 
Lamellibranchiaten  verbundenen  Ordnungen ,  am  meisten 
die  Tunicaten,  indem  man  bei  den  x\  seidien  nur  ein 
einziges,  in  dem  Winkel  zwischen  Kiemen-  und  Afler- 
öffnung  gelegenes  Ganglion,  bei  den  Salpen  aber  eine 
am  Rücken  befindliche,  aus  mehreren  Ganglien  bestehende 
Nervenmasse  entdeckt  hat.  Die  Form  des  bei  einigen 
Bryozoen  (Alcyonella,  Tendra)  beobachteten  Schlund- 
nervenringes  erinnert  an  die  Ascidien. 

Die  im  Kopfe  der  Cephalopoden  befindliche  Cen- 
tralmasse des  Nervensystems  mit  dem  Gehirn  der  Wir- 
belthiere  zu  vergleichen ,  hat  man  sich  um  so  mehr  be- 
rechtigt geglaubt,  als  sie  von  einer,  einer  Schädelkapsel 


42  !•  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

ähnlichen  Knorpelhöhle  umgeben  ist.  Nichtsdestoweniger 
haben  wir  auch  hier,  dem  Typus  der  Mollusken  gemäss, 
einen  vom  Schlund  durchsetzten  Ring,  nur  mit  grösserer 
Consolidirung  und  Anhäufung  der  Ganglienmasse.  Die 
obere  Partie,  und  diese  allein  darf  man,  Avenn  man  die 
Analogie  mit  den  Gasteropoden  festhalten  will,  Gehirn 
nennen,  ist  an  Umfang  die  kleinere  und  scheint  vorzugs- 
weise nur  einige  Nerven  an  die  Mundtheile  zu  schicken. 
Die  untere  Abtheilung  giebt  nach  vorn  die  ansehnlichen 
Armnerven  ab;  seitlich  entspringen  mit  kurzen  Stielen 
die  grossen  Augenganglien,  nach  hinten  die  Gehörnerven, 
ein  Paar  feinere  Trichternerven  und  ein  Paar  starke  Ner- 
ven für  den  Mantel,  an  dessen  innerer  Rückenfläche  sie 
zu  zwei  grossen  Ganglien  (gangUa  stellata)  anschwellen, 
von  denen  sich  strahlenförmig  viele  Mantelnerven  aus- 
breiten. Dies  ist  die  Anordnung  bei  den  Zweikiemern, 
wovon  die  Nautilinen  beträchtlich  abweichen.  Die 
obere  Schlundganglienmasse  ist  bei  ihnen  mehr  entwickelt, 
aus  ihr  entspringen  die  Sehnerven.  Die  untere  Portion 
besteht  deutlich  aus  zwei  Paar  Ganglien,  aus  deren  vor- 
derem die  Tentakel-  und  Trichternerven,  aus  deren  hin- 
terem die  den  Mantelnerven  der  übrigen  Cephalopoden 
analogen  Nerven  für  Schlund-  und  Schalenmuskeln  ent- 
springen. 

b)  Eingeweidenervensystem. 

Ein  sympathisches  System  ist  in  allen  drei  Klassen 
der  Mollusken  gleichfalls  nachgewiesen,  am  bestimmtesten 
ausgeprägt  bei  den  Cephalophoren  und  Cephalo- 
poden. Bei  jenen  liegen  zwei  kleine,  mit  dem  Gehirn 
in  Verbindung  stehende  Knötchen  an  den  hinteren  und 
unteren  Scitentheilen  des  Pharynx  (hinter  dem  Schlund- 


1.  Kap.     Das  Nervensystem.  43 

ringe  also  bei  denjenigen  Schnecken,  deren  Sclilundring 
den  vorderen  Theil  des  Schlundkopfes  umfasst,  z.  B.  bei 
Heliüc).  Diese  Knötchen  versorgen  den  vorderen  Theil 
des  Darrakanals,  oder  machen  mit  ihren  Nerven  allein 
das  sympathische  System  aus,  wo  nicht  noch  ein  unpaa- 
riges, seltner  paariges  Ganglion  im  Hinterleibe  liegt,  von 
welchem  dann  die  Nerven  für  den  hinteren  Eingeweide- 
theil,  Geschlechts-  und  Respirationsorgane,  so  weit  diese 
nicht  schon  direct  vom  Schlundringe  versorgt  sind,  aus- 
gehen. Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  bei  den  Cepha- 
lopoden.  Zu  dem  unter  dem  Schlundkopf,  welches  den 
beiden  Pharyngealganglien  der  Gasteropoden  gleich  zu 
achten,  tritt  bei  den  Loliginen  ein  zweites,  auf  dem 
Schlundkopfe  liegendes  Ganglion.  Diese  sind  für  den 
Pharynx  und  den  darauf  folgenden  Theil  des  Darmkanals 
bestimmt.  Ein  auf  dem  3Iagen  liegendes  Ganglion,  das 
durch  einen  in  seinem  mittleren  Verlaufe  gespaltenen 
Nerven  mit  dem  unteren  Schlundganglion  in  Verbindung 
steht,  entspricht  dem  Magentheile  der  Gasteropoden. 

Bei  den  L  a  mellibranchiaten,  bei  denen  allein 
unter  den  Acephalen  Eingeweidenerven  haben  verfolgt 
werden  können,  scheinen  dieselben  im  Allgemeinen  ohne 
eigenthümliche  Centra  zu  bestehen,  indem  sie  ihren  Ur- 
sprung aus  den  Commissuren  der  oben  betrachteten  Kör- 
perganglienpaare nehmen. 


Ueber   das  Nervensystem    der   Ctenophoren  sehe  man  Gegenbau r, 

Studien    über    Organisation   u.    Systematik    d.    Clen.     Wig- 

m  a  n  n's  Archiv  XXII. 
Krohn,  Ueber  die  Anordnung  des  Nervensystems  der  Echiniden  und 

Holothurien  im  Allgemeinen.     Müller's  Archiv  1841. 
Derselbe,   Ueber  das   Nervensystem   des    Sipunculus.     Müller's 

Archiv  1839. 


44  I-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

Quatrefages,  Siir  le  Systeme  nerveux  des  anneUdes.  Annales 
des  Sciences  nat.   1844.  1850. 

Sehr  schöne  Untersuchungen  über  das  Nervensystem  der  Nemertinen 
von  demselben  in  Annal.  des  scienc.  nat.  1846.  (Memoire 
suT  les  Nemertiens.) 

lieber  das  Nervensystem  der  Rhabdocölen  sind  die  ausführlichsten  Mil- 
ilieilungen  gegeben  von  31.  Schnitze  in  seinen  Beiträgen  zur 
Naturgeschichte  der  Turbellarien.     Greifswald,  1851. 

Audouin  et  31ilne  Edwards,  Recherches  anatomiqnes  sur  le 
Systeme  nerveux  des  Crusiaces.  Ann.  des  sc.  nat.  1828.  (Isis 
1834.) 

Blanchard,  Sur  le  Systeme  nerveux  des  insectes.  Ann.  des  sc. 
nat.  1846. 

Nordmann,  lieber  das  Nervensystem  von  Flumatella  und  Tendra 
in  den  Observations  sur  la  Faune  pontique  (in  Demidoff's 
Reise)  S.  670  und  709. 

Blanchard,  Recherches  sur  le  Systeme  nerv,  de  Mollusques  gaste- 
ropodes.     Vinstitut.  584.     1845. 

Hinsichtlich  des  Nervensystems  der  Gattung  Doris,  als  eines  Ilaupt- 
repräsentanten  der  Nacktkiemer,  kann  man  die  excelhnte  Ar- 
beit von  Hancock  und  Emblclon  vergleichen:  On  the  ana~ 
iomy  of  Doris.    Philosophical  transactions.  1852.  II. 

lieber  das  Nervensystem  der  Ccphalopoden  vergleiche  man  Brandl's 
genaue  Untersuchungen  an  Sepia  officinalis  in  der  Medizini- 
schen Zoologie  von  Brandt  und  Ratze  bürg.    Berlin,  1829. 

Joh.  3Iüller,  Ueber  ein  eigenthümliches,  dem  Nervus  sympaihicus 

analoges  Nervensystem  der  Eingeweide  bei  den  Insecten.    Nov. 

act.  nat.  cur.  Vol.  XIV.  1828.     Darüber  auch  Brandt  in  der 

Isis,  1831. 
Brandt,  Ueber  den  3Iundmagen-  oder  Eingeweidenerven  der  Ever- 

tcbralen.    Mem.  de  Fetershourg.    6.  ser.  sc.  nat.  I.  1835. 


Kap.  1.    Das  Nervensystem.  45 


4.     Das  Nervensystem  der  Wirbelt  liiere. 

a)  Das  Gehirn. 

Die  Geliirnformation  der  niederen  Wirbelthierklas- 
sen,  namentlich  der  Fische,  lässt  sich  in  fruchtbarer  Weise 
auf  fötale  Zustände  des  Säugethier-  und  Vogelgehirns 
zurückführen,  daher  wir,  ehe  wir  das  Fischgehirn  be- 
schreiben und  deuten,  eine  für  die  Kcnntniss  der  Ent- 
wicklung des  Gehirns  sehr  ^^ichtige  Stelle  aus  von  Bär's 
Werk  überEntAvicklungsgeschichte  der  Tliiere, 
Theil  II.  S.  106  f.  Avörtlich  anführen: 

„Die  erste  Eigenthümlichkeit,  die  in  dem  vorderen 
Ende  der  Medullarröhre  sich  offenbart,  ist  ihre  grössere 
Weite,  die  nächste  ist  die  Neigung,  in  einzelne  Abschnitte 
sich  zu  sondern,  Avelche  jeder  für  sich  eine  Erweiterung 
erfahren,  und  zwischen  denen  daher  Verengerungen  blei- 
ben. Solche  Erweiterungen  haben  die  Beobachter  Hirn- 
bläschen (Vesiculae  cerebrales)  genannt.  Diese  Bläs- 
chen werden  nicht  von  der  Nervenröhre  allein  gebildet, 
sondern  auch  von  der  umgebenden  Rückenröhre,  die  eben 
dadurch  im  vorderen  Ende  des  Thieres  zur  Schädelhöhle 
wird.  Nachdem  zuerst  ein  vorderes  rundliches  Bläschen 
von  dem  viel  längeren  und  hinteren  Raum  sich  abgegränzt 
hatte,  theilt  sich  fast  gleich  darauf  auch  dieser,  und  man 
hat  nun  drei  Bläschen,  ein  vorderes,  ein  mittleres  und  ein 
hinteres ,  welches  sich  gegen  das  Rückenmark  allmählig 
zuspitzt.  Die  vordere  Blase  Avird  das  grosse  Hirn,  die 
hintere  das  kleine  Hirn  mit  dem  verlängerten  Marke,  und 
die  mittlere  die  sogenannte  Vierhügelmasse  mit  einem  ent- 
sprechenden Theile  der  Hirnschenkel.  Das  vordere  Bläs- 
chen theilt  sich  aber  bald  in  zwei  Abtheilungen,  indem  die 


46  !•    Abschn.        Die  Organe  der  Empfindung. 

vorderste  oder  obere  (wegen  anfangender  Krümmung  des 
Embryo  freilich  nach  unten  gerichtete)  Wand  sich  rasch 
hervorstülpt.  Sie  stülpt  sich  aber  doppelt  oder  zu  bei- 
den Seiten  neben  der  Mitte  hervor,  so  dass  diese  im  Ver- 
hältniss  zu  den  Seitentheilen  eingesenkt  bleibt.  Die  hin- 
tere Region  des  ersten  Hauptbläschens  bleibt  unpaarig  und 
grenzt  auch  etwas  von  der  vorderen  gedoppelten  ab. 
Auch  sondert  sich  die  hintere  Hauptblase  in  zwei,  eine 
vordere  kürzere  und  eine  hintere  längere.  So  sind  also 
fünf  Bläschen  aus  den  ursprünglichen  drei  entstanden. 
Das  vorderste  ist  durch  die  mittlere  Einsenkung  gespal- 
ten. Seine  Höhlung  enthält  die  beiden  später  sogenann- 
ten Seitenventrikel  und  seine  Wandung  die  Hemisphären. 
Das  zweite  Bläschen  umfasst  den  Raum,  den  man  später 
die  dritte  Hirnhöhle  nennt.  Es  hat  jetzt  noch  eine  eben 
so  vollkommene  Decke,  als  die  anderen  Abtheilungen. 
Das  dritte  Bläschen  umfasst  die  Vierhügel,  und  seine 
Höhlung  ist  die  zukünftige  Wasserleitung,  die  bald  die 
Weite  eines  sehr  ansehnlichen  Hirnventrikels  hat.  Das 
vierte  Bläschen  wird  das  kleine  Hirn,  und  das  fünfte  das 
verlängerte  Mark.  Aus  diesen  fünf  morphologischen  Ele- 
menten wird  das  Hirn  gebildet,  denn  die  vorübergehende 
Dreizahl  der  primären  Hirnbläschen  scheint  nur  anzudeu- 
ten ,  dass  gewisse  Abgränzungen  ein  wenig  später  kennt- 
lich werden.  —  Ich  nenne  die  fünf  hier  aufgezählten 
Bläschen  nach  der  Reihe  von  dem  ersten  zum  letzten  : 
das  Vorderhirn,  Zwischenhirn,  Mittelhirn, 
Hinterhirn  und  Nachhirn." 

Gehirn  der  Fische. 

Unter  den  verschiedenen   Fischgehirnen   wählen  wir 
zuerst  das  der  Petromyzonten   heraus,  weil  es  sich 


I.  Kap.    Das  Nervensystem.  47 

am  unmittelbarsten  an  jene  fötale  Form  anschliesst  und 
durch  sie  erklärt  wird.  Von  vorn  nach  hinten  gehend 
bemerken  wir  an  demselben  zuerst  zwei  durch  eine  Längs- 
spalte getrennte  Lappen ,  aus  denen  die  Geruchsnerven 
entspringen,  eine  Ausstülpung  oder  einen  Anhang  des 
folgenden  Paares  von  Hügeln  ,  der  lobt  hemhphaerici  (Vor- 
derhirn V.  Bär's);  daran  schliesst  sich  eine  unpaarige, 
die  dritte  Hirnhöhle,  ventrlculus  tertius ,  enthaltende  Ab- 
theilung, der  lobus  ventricuU  tertii  (Zwischenhirn),  an 
diese  das  paarige  corpus  quailrirjeviinum  (Mittelhirn).  Am 
wenigsten  entwickelt  bei  Petromyzon  ist  das  kleine  Ge- 
hirn ,  cerebelluni  (Hinterhirn) ,  eine  schmale  Commissur 
über  dem  vorderen  Ende  des  sinus  rhomboidalis  (vierte 
Hirnhöhle).  An  der  Unterseite  erscheint  als  ein  Fortsatz 
des  lobus  ventricuU  tertii  die  hypophysis^  während  eine 
unpaarige  Anschwellung  unter  dem  Vierhügel  die  soge- 
nannten lobi  inferiores  anderer  Fische  ersetzt. 

Vergleichen  wir  nun  hiermit  das  Gehirn ,  wie  es  die 
meisten  Knochenfische  haben,  so  finden  wir  zunächst 
der  medalla  oblongata  das  cercbellum.  Die  darauf  fol- 
gende paarige  Anschwellung,  diegrösste,  führt  gewöhn- 
lich den  Namen  der  lobi  optici^  deren  Deutung  sehr  ver- 
schiedenartig ausgefallen  ist.  Nach  Haller  und  Cuvier 
entsprechen  diese  Hügel,  von  w^elchen  die  Sehnerven 
entspringen,  den  Hemisphären  der  Säugethiere,  während 
das  davor  gelegene  Hügelpaar  lobi  olfactorii  genannt  wer- 
den. Corpora  (juadrigemina  aber  werden  von  jenen  Ana- 
tomen die  4  am  Grunde  der  lobi  optici  befindlichen  An- 
schwellungen genannt.  Gegen  diese  Deutung  sprechen 
mehrere  Gründe.  Auch  die  Ansicht  (Arsaky,  Carus, 
Tiedemann),  nach  welcher  die  sogenannten  lobi  optici 
der   Fische    den   corpora    qtiadrigemina   der   Säugethiere 


48  ^'  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

entsprechen _,  ist  unzulässig,  da  der  dritte  Ventrikel  auf 
dem  Boden  dieser  Hügel  liegt.  Dies  bestimmte  von  Bär, 
die  loöi  optici  für  sich  dem  lobiis  ventrlcuU  tertii  (Zwi- 
schenhirn) gleichzustellen,  und  auch  er  suchte  die  Cor- 
pora quadrigemina  in  der  vom  hinteren  Theile  der  lobt 
optici  bedeckten  Brücke  des  aquaeductus  Syhii. 

Am  nächsten  scheint  Joh.  Müller  der  Wahrheit 
zu  kommen,  indem  er  auf  die  corpora  quadrigemina  C  u- 
vier's  u.  s.  \v.  wegen  ihrer  Unbeständigkeit  keinen  Werth 
legt.  Er  zieht  in  den  lobt  optici  den  lobiis  vcntricidi  ter- 
tii und  zugleich  die  Vierhügel,  einmal  dazu  berechtigt 
durch  die  Vergleichung  des  Gehirns  von  Petromyion  und 
Ammocoeies  mit  dem  Gehirn  des  Säugethier-  und  Vogel- 
fötus ,  ferner  w  egen  der  Lage  der  nervi  troc/ileares,  wel- 
che zwischen  lobi  optici  und  cerebeHum  entspringen,  der 
hijpophysis  mit  dem  ivfundibidum  unten  an  den  lobi  optici 
und  der  Zirbel,  welche,  avo  sie  vorkommt,  in  der  Mittel- 
linie vor  den  lobi  optici  liegt. 

Die  dritte  Abtheilung  nach  vorn  bilden  die  Hemi- 
sphären, an  welche  sich  die  grösseren  oder  kleineren  lobi 
olfüctorii  anreihen. 

Bei  den  Plagiostomen  sind  die  Hemisphären  die 
grösste  Gehirnabtheilung;  auf  ihnen  sitzen  die  lobi  olfac- 
torii  nicht  unmittelbar,  sondern  jederseits  mit  einem  Stiele 
auf.  Eine  andere  Eigenthümlichkeit  zeigt  das  Gehirn  des 
Thunfisches,  dessen  cerebellum  in  zwei  kleinere  seit- 
liche Abtheilungen  und  einen  grossen  vorderen  Lappen 
zerfällt,  welcher  weit  über  das  corpus  quadrigemimim 
(lobi  optici)  überhängt. 

Die  medulla  oblongata  (Nachhirn)  schliesst  von  unten 
und  von  den  Seiten  den  aus  der  Erweiterung  des  Medul- 
larganges  entstehenden   sinus    rhomboidalis    ein  und  wird 


1.  Kap.    Das  Nervensystem.  49 

im  Allgemeinen  vom  Rückenmark  nach  dem  Gehirn  zu 
dicker  und  breiter.  Sie  bildet  oft  seitliche  Anschwellun- 
gen, so  bei  den  Stören  ansehnliche  lobi  nervi  trigemini^ 
beim  Zitterrochen  grosse,  die  vierte  Hirnhöhle  überra- 
gende lobi  electriciy  an  der  Ursprungsstelle  des  vagus; 
diese  Anschwellungen ,  namentlich  die  des  fünften  Paares, 
pflegen  lobi  posteriores  genannt  zu  werden. 

Gehirn   der   Amphibien. 

Das  Gehirn  der  Amphibien  hat  im  Wesentlichen  das- 
selbe Ansehen,  wie  das  der  Fische;  es  besteht  noch  aus 
einer  Reihe  hinter  einander  liegender  paariger  und  un- 
paariger Anschwellungen ;  doch  überwiegen  an  Masse 
immer  die  Hemisphären.  Sehr  wenig  entwickelt  ist  das 
kleine  Gehirn  bei  den  nackten  Amphibien  und 
Ophidiern,  wo  es  nur  in  einer  schmalen,  die  Seiten- 
wände der  vierten  Hirnhöhle  verbindenden  und  diese  nur 
wenig  bedeckenden  Commissur  besteht.  Ansehnlicher  wird 
es  bei  den  Schildkröten,  und  bei  den  Kr  oko  dilen 
zeigt  es  schon  einige  Furchen.  Die  auf  das  kleine  Gehirn 
folgende  paarige  Abtheilung  (verschmolzen  bei  einigen 
F  i  s  c  h  1  u  r  c  h  e  n)  ist  das  corpus  quadrigeminum.  Die  zwi- 
schen dieses  und  die  kleine  Zirbel  bei  den  Fröschen  sich 
einschiebende  Anschwellung  entspricht  dem  lobus  ventriculi 
tertii  der  Fische.  Nur  bei  den  beschuppten  Amphibien  wird 
ein  Theil  der  hinteren  Gehirnmassen  von  den  Hemisphären 
bedeckt,  deren  vordere  Fortsetzung  die  lobi  olfactorii  sind. 

Gehirn    der  Vögel. 

Die  schon  beim  Krokodil  angedeutete  Entwicklung 
des  kleinen  Gehirns  ist  bei  den  Vögeln  sehr  vorwärts  ge- 
schritten.   Es  zerfällt  in  eine  mittlere,  grössere,  mit  zahl- 

4 


50  !•  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

reichen  Querfurchen  versehene,  und  zwei  kleinere  Seiten- 
abtheilungen.  Die  beiden  Seitentheile  des  corpus  quadri- 
geminum  erscheinen,  \on  oben  betrachtet,  als  zwei  be- 
trächtliche Anschwellungen,  seitlich  zwischen  kleinem  und 
grossem  Gehirn,  von  welchem  sie  aus  einander  gedrängt 
worden  sind.  In  der  Mittellinie  zwischen  cerebeltum  und 
Hemisphären  liegt  die  Zirbel.  Der  lobus  ventriculi  tertii 
wird  ganz  von  den  Hemisphären  bedeckt. 

Gehirn  der  Säuget hiere. 

Das  Gehirn  der  Säugethiere  nähert  sich  sehr  dem 
des  Menschen,  daher  wir  uns  darauf  beschränken,  einige 
der  wesentlichsten  Abweichungen  anzuführen.  Die  Hemi- 
sphären zeigen  eine  grosse  Ungleichheit  in  Bezug  auf  die 
Windungen.  Bei  den  Nager  n  und  Insekten  fr  essern 
sind  deren  keine  oder  Avenige ,  mehr  bei  den  eigentlichen 
Carnivoren  (bei  den  Hunden  in  grösserer  Anzahl  als 
bei  den  Katzen),  noch  mehr  bei  den  Ein-  und  Zweihufern. 
Auch  die  Lappen  bilden  sich  nach  und  nach  aus,  über- 
ragen aber  erst  bei  einigen  (alten)  i\flen  das  kleine  Ge- 
hirn. Auffallend  viele  Windungen  hat  das  grosse  Gehirn 
des  Elephanten  und  vor  allen  das  des  Delphins. 
Die  meisten  Säugethiere  haben  an  der  Stelle ,  wo  die  Ge- 
ruchsnerven des  Menschen  entspringen,  Anschwellungen, 
die  sogenannten  Riechkolben ,  den  lobt  olfactorii  der  Fi- 
sche und  Amphibien  entsprechend. 

b)  Der  Rückenmark.     Sein    V  e r li ä  It  n i s  s  zum  Gehirn. 

Das  Rückenmark  der  Wirbelthiere  zeigt  im  Allge- 
meinen denselben  Bau;  auch  noch  bei  den  meisten  Fischen 
besteht  es  aus  vier  Strängen.  Wichtig  ist  die  relative 
Ausbildung  von  Rückenmark  und  Gehirn,  indem  letzteres, 


1  Kap.      Das  Nervensystem.  51 

je  mehr  es  sicA  in  seinem  Baue  dem  menschlichen  Gehirn 
nähert,  ein  desto  grösseres  Uebergewicht  über  das  Rük- 
kenmark  g^ewinnt.  Nur  das  Gewicht,  nicht  die  verhält- 
nissmässige  Länge  ist  hier  massgebend ,  da  bei  kurzen 
Thier<^n  durch  die  Breite  und  Dicke  compensirt  zu  wer- 
den pflegt,  was  verwandte  Thiere  scheinbar  an  Länge  des 
Kückenmarks  vor  jenen  voraus  haben.  So  ist  es  beim 
Frosch  sehr  kurz  und  breit,  bei  den  Salamandern  auf- 
fallend lang,  aber  dünn.  Das  kürzeste  Rückenmark  haben 
einige  Fische,  z.  B.  Lophins^  vor  allen  Orthagoriscus, 
dessen  Rückenmark  kaum  länger  als  das  Gehirn  ist. 

c)     Das    peripherische   Nervensystem. 

Die  von  den  Centralorganen  ausgehenden  Nerven  zei- 
gen,  wie  sich  erwarten  lässt,  nicht  so  wichtige  Abwei- 
chungen, als  jene  selbst.  Von  den  Gehirnnerven  können 
mehre  ganz  verschwinden;  so  der  nervus  facialis,  der 
von  den  Säugethieren  abwärts  abnimmt,  in  demselben 
Grade,  als  die  Gesichtsmuskeln  verschwinden.  Dieser  den 
Gesichtsausdruck  des  Menschen  bedingende  Nerv  verliert 
daher  sehr  bald  diese  seine  Bedeutung;  bei  den  Vögeln 
und  beschuppten  Amphibien  versorgt  er  nur  noch 
die  Muskeln  des  Zungenbeins  oder  oberflächliche  Nacken- 
und  Halsmuskeln.  Bei  den  nackten  und  besonders  den 
ungeschwänzten  nackten  Amphibien  ist  ein  ge- 
sondert entspringender  facialis  nicht  vorhanden.  Der  ihm 
entsprechende  Ast  geht  aus  dem  Ganglion  des  trigemlmis 
hervor.  Bei  den  Fischen  bilden  trigemlnns  und  facialis 
einen  Nervencomplex  mit  verschiedenen,  theils  gemeinsa- 
men ,  theils  eigenthümlichen  Wurzelsträngen.  Der  nervus 
facialis  der  Fische  (ramiis  opercularls  trigeminl  Atici.) 
verbreitet  sich  hauptsächlich  in  den  Muskeln  des  Kiemen- 

4  * 


52  I-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfiidung. 

deckeis  und  stimmt  seiner  Function  nach  insofern  mit  dem 
facialis  der  höheren  Wirbelthiere  überein,  als  auch  bei 
diesen  Muskeln,  welche  die  Zugänge  zum  Respirations- 
apparate, Mund  und  Nase,  öffnen  und  schliessen ,  von 
ihm  abhängig  sind.  Ganz  selbständig  ist  der  facialis  der 
Cy  clos  tomen. 

So  wie  der  trigewiniis  ist  auch  der  vagus  in  allen 
Klassen  der  Wirbelthiere  sehr  beständig.  Aus  einer  Wur- 
zelpartie des  vagus  entspringt  der  nervus  lateralis  der 
Fische,  der  in  der  Regel  einige  Verbindungsstränge  vom 
eigentlichen  vagus  erhält,  bei  den  Cyprinen  aber  —  mit 
Ausnahme  von  Tinea  —  einen  Zweig  des  raimis  recurrens 
trigemini  aufnimmt.  Die  Hauptportion  des  Seitennerven- 
systems verläuft  als  ein  einfacher  oder  doppelter  tntncus 
lateralis  längs  des  Seitenkanals;  der  Nerv  kommt  jedoch 
auch  vielen  Fischen  zu,  welche  weder  Seitenkanal  noch 
Seitenlinie  besitzen'^).  Sein  Vorhandensein  scheint  eng 
mit  der  Entwicklung  des  Bauchtheiles  des  Seitenmuskels 
zusammenzuhängen,  wie  unter  anderen  auch  die  Myxi- 
noiden  zeigen ,  bei  denen  Bauchtheil  des  Seitenmuskels 
sowohl  als  Seitennerv  nicht  vorhanden  sind.  Dem  Sei- 
tennervensystem des  vagus  entsprechen  diejenigen  dem 
trigeminus  cum  faciali  angehörigen  Nervenäste,  welche 
sich  am  Kopfe  der  Fische  an  dem  Schleimröhrenapparate 


*)  ,,Der  eigentliche  Seitennerv  ist  in  der  Regel  von  beträchtli- 
cher Stärke;  nur  bei  solchen  Fischen,  denen  ein  Seitenkanal  man- 
gelt, denen  zugleich  harte  Hautbedeckungen  zukommen  und  bei  denen 
die  Ventralmasse  des  Seilenmuskels  am  Rumpfe  abortiv  wird,  oder 
wegfällt,  zeigt  er  sich  auf  einen  sehr  geringen  Umfang  reducirt, 
oder  ganz  abortiv.  —  Sehr  schwach  ist  er  bei  Diodon  und  auf  das 
Aeusserste  reducirt  bei  Ostracion.  Bei  diesen  letztgenannten  Gat- 
tungen treffen  alle  eben  genannten  Bedingungen  seiner  Reduction 
zusammen'^     Stannius,  D.  periph.  Nervcns.  d.  Fische.  S.  99. 


1.  Kap.      Das  Nervensysten>.  53 

( ossa  snprascnpularin^  supratemporalia  ^  mfraorbiialla  ) 
verbreiten. 

Ausser  bei  den  Fischen  kommt  der  n.  lateralis  auch 
bei  den  Larven  der  Frösche  vor;  Pipa,  die  Protei- 
den, Derotretcn  und  Cöcilien  haben  ihn  zeitle- 
bens. Bei  den  höheren  Thieren  ist  (nach  Müller)  der 
ratmis  auricularis  nervi  vafji  als  Analogon  des  n.  lateralis 
anzusehen. 

Die  Sinnesnerven  richten  sich  im  Allgemeinen  nach 
der  Entwicklung  der  Sinnesorgane;  so  \\  erden  bei  den 
blinden  Thieren  auch  die  Augennerven  mehr  und  mehr 
abortiv.  Bei  Amphioxus  ( Branchiostoma)  kann  man  ,  so 
Avenig  wie  Gehirn  und  Rückenmark,  auch  Gehirn-  und 
Spinalnerven  nicht  unterscheiden. 

Die  Spinalnerven  bieten  in  den  vier  Klassen  keine 
auffallenden  Verschiedenheiten  dar. 

Auch  der  sympathische  Nerv  zeigt  wenig  Abwei- 
chendes. Er  fehlt  nur  den  Cyclo  st  ome  n  ,  wo  er  durch 
den  vayus  vertreten  wird.  Sonst  ist  seine  Lage  immer 
vor  den  Wirbeln,  wo  er  Verbindungsstränge  von  den 
Spinalnerven  erhält.  Der  Kopftheil  der  Fische  liegt 
an  der  Schädelbasis,  und  hier  verbindet  ersieh  nament- 
lich mit  dem  n.  trigemimis  und  vagns.  Bei  den  Schlan- 
gen sind  die  Ganglien  sehr  klein;  leicht  dagegen  lassen 
sie  sich  bei  den  Fröschen  in  der  Nähe  der  weissen, 
mit  Kalkkrystallen  gefüllten  Säckchen  auffinden.  Die 
Verbindungen  mit  den  Hirnnerven  sind  hier  schon  zahl- 
reicher geworden  als  bei  den  Fischen;  noch  mehr  ist  dies 
der  Fall  in  der  Klasse  der  Vögel.  Die  Abweichungen 
des  n.  sympathicus  der  Säugethiere  von  dem  des  Men- 
schen sind  kaum  nennenswerth. 


LiBRAR 


54  !•  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

Joh.  Müller,    Vergleichende    Keuralgie    der   Myxinoiden.     Berlin, 

1840.    Abhandl.  der  Berl.  Ac.  a.  d.  J.  1838.    (Theil  der  vergl. 

Anatomie  der  Myxinoiden.) 
Stannius,  Das  peripherische   Nervensystem   der  Fische.    Rostock, 

1849. 
Das  Gehirn  unserer   Süsswasserfische   ist  sehr  sorgfältig  beschrieben 

in  der  Dissertation  von  Klaatsch,  De  cerehris  piscmm  etc. 

Halle,  1850. 
Fischer,  Amphibiorum  nudorum  neurologio.     Berlin,  1843. 
Derselbe,  Die  Gehirnnerven  der  Saurier.    Hamburg,  1852. 
L  0  n  g  e  t,  Jnatomie  et  Physiologie  du  Systeme   nervenx.  2.  vol  deux. 

ed.   Paris   1845.     (Sehr   reich   an  vergleichend  anatomischen 

Daten.) 
Tiedemann,   Anatomie   und    Bildungsgeschichte    des    Gehirns   im 

Fötus   des    Menschen    nebst  einer  vergleichenden    Darstellung 

des  Hirnbaues  in  den  Thieren.     Nürnberg,  1816. 
Huschke,  Schädel,  Hirn  und  Seele  u.  s.  w.   Jena,  1854. 


Zweites  Kapitel. 
Ole  elektrijschen  Organe. 


Mehrere  Fische  (Torpedo,  Nmcine,  MalapteruruSy 
Gymnotus,  Gymnarchus  nil oticus ,  ßlomiyrus  oocyrhynchus 
und  iJorsaHs)  vermögen  \villkürlich  elektrische  Schläge  zu 
ertheilen ,  und  sie  entwickeln  diese  Elektricität  in  beson- 
deren nervenreiclien  jOrganen  über  deren  eigenthümlichen 
Bau  erst  die  letzt  verflossenen  Jahre  Aufschluss  gegeben 
haben. 

Am  besten  ist  die  Structur  des  Organes  vom  afrika- 
nischen Zitterwels  (3JaIapteruriis)  heksLnwt.  Es  bildet 
die  mittlere  Lage  der  dicken  Hautschwarte,  welche  den 
mittleren  Körpertheil  lose  umhüllt.  Im  Kopf-  und 
Schwanztheile  wird  die  Masse  des  elektrischen  Organes 
durch  eine  andre,  zwischen  der  Haut  und  der  inneren 
Sehnenhaut  gelegene  Zwischenmasse  ersetzt.  Das  Organ 
wird  durch  eine  in  der  Mittellinie  des  Rückens ,  und  durch 
eine  zweite  in  der  Mittellinie  des  Bauches  verlaufende 
dünne  Scheide\A  and  in  zwei  symmetrische  Hälften  getheilt. 
Sein  Inneres  besteht  zunächst  aus  einem  Gerüst  von 
blättrigem  Gefüge ,  w  elches  eine  Anzahl  linsenförmiger 
Abtheilungen  oder  Fächer  bildet,  quer  gestellt  auf  die 
Axe  des  Fisches.     Der  elektrische  Nerv  jeder  Seite 


56  2.  Kap.     Die  elektrischen  Organe. 

entspringt,  vollkommen  wie  eine  motorische  Wurzel, 
zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Rüdienmarksnerven 
und  ist  eine  einzige  Primitivfaser  in  einer  dicken  binde- 
gewebigen Hülle.  Im  elektrischen  Organ  verästelt  sich 
die  Faser  und  giebt  an  jedes  Fach  ein  Endzweigelchen 
ab.  Dieses  tritt  von  hinten  in  das  Fach  und  breitet  sich 
zu  der,  an  der  Hinterwand  des  Faches  anliegenden,  vorn 
freien,  nur  von  Flüssigkeit  umspülten  elektrischen 
Platte,  Nervenendplatte,  aus. 

Ganz  ähnliche  Verhältnisse  finden  sich  bei  den  übri- 
gen oben  genannten  elektrischen  Fischen ,  so  verschieden 
auch  die  Lage  der  Organe  sein  mag.  Denn  beim  Zit- 
teraal liegen  die  Apparate  sehr  ausgedehnt  und  ober- 
flächlich im  Schwänze  und  werden  von  den  Spinalnerven 
versorgt,  ganz  ähnlich  bei  den  Morniyri;  bei  den  Rochen 
aber  in  der  Kopfscheibe.  Die  feinere  anatomische  Unter- 
suchung weist  ebenfalls  ein  Gerüst  oder  Fachvverk  nach, 
dessen  einzelne  Kästchen  beim  Rochen  horizontal  liegen, 
bei  den  andern  senkrecht  auf  die  Körperaxe  gestellt  sind. 
In  ihnen  sind  die  Endzweiglichen  der  elektrischen  Nerven 
flächenhaft  ausgebreitet. 

Auch  bei  dem  gemeinen  Stachelrochen,  Raja 
chivata,  findet  sich  ein  den  oben  beschriebenen  Organen 
analoges  Gebilde  im  Schwänze  jederseits  neben  der  Wir- 
belsäule. In  jedem  Fache  desselben  liegt  ausser  anderen 
unwesentlicheren  Theilen  ein  scheibenförmiger  schwammi- 
ger Körper  und  der  allmälige  Uebergang  der  Nerven  in 
die  Substanz  dieser  Körper  ist  höchst  wahrscheinlich. 

Ob  endlich  die  Leuchtorgane  der  Lampyris- 
arten  einen  näheren  Vergleich  mit  den  elektrischen  Or- 
ganen zulassen ,  muss  die  Zukunft  lehren.  Dieselben  sind 
wohl  abgegränzt  und  bestehen  aus  einer  Hülle,  einem  Pa- 


I.  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung.  57 

renchym  von  Zellen,  Tracheen  und  Nerven,  deren  Endi- 
gung und  Verhältniss  zu  einer  gewissen  Gattung  von  blas- 
sen Zellen  aufzufinden ,  noch  nicht  gelungen  ist.  Das 
Leuchten  ist  von  der  Willkür  der  Thiere  abhängig. 


Matteucci,  Traue  des  yhenomenes  eleciru-'physiologiques ;  suivi  de 
recJierches  anaiomiques  sur  le  Systeme  nerveux  et  sur  Vor- 
gane  electriqtie  de  la  torpille  par  Savi.     Paris  1844. 

Bilharz,  das  electrische  Organ  des   Zitterwelses.    Leipzig  1857. 

M.  Schnitze,  Zur  Kenntniss  der  elektrischen  Organe  der  Fische. 
1.  Ablh.  Halle  1858.  Besonders  abgedruckt  aus  dem  4.  Bde. 
der  Abhandl.  der  Naturforschenden  Gesellschaft  in  Halle. 

3L  Schnitze,  Zur  Kenntniss  des  den  elektrischen  Organen  ver- 
wandten Schwanzorganes  \ on  Raja  clavata.  3Iüller's  Arch. 
1858. 

Kölliker,  lieber  die  Leuchtorgane  von  Lampyris.  Verhandl.  d. 
Würzb.  phys.-  med.  Ges.  Bd.  YIIL  1857. 


Drittes  Kapitel. 
Die  l§inneisor§^aiie. 


Man  pflegt  die  Sinne  in  niedere  und  höhere  einzu- 
theilen  und  rechnet  zu  jenen  das  Getast  und  den  Ge- 
schmack, zu  diesen  den  Geruch,  das  Gesicht  und 
das  Gehör,  wobei  jedoch  zu  erinnern,  dass,  wenn  man 
darnach  den  niederen  oder  höheren  Rang  des  Sinnes  be- 
stimmen will,  ob  er  unmittelbar  oder  mittelbar  die  Ein- 
drücke der  Aussenwelt  erfasst ,  der  Geruchssinn  gewisser 
Massen  die  Mitte  hält  zwischen  beiden  Kategorieen. 

Was  die  Verbreitung  der  einzelnen  Sinne  und  der 
Organe,  an  welche  sie  gebunden  sind,  im  Thierreiche  an- 
betriirt,  so  lassen  sich  nur  ganz  im  Allgemeinen  einige 
Gesetze  dieses  Vorkommens  aussprechen.  Unzertrennlich 
von  dem  BegrifT  des  Thieres  und  unmittelbar  an  das  Be- 
stehen des  Nervens}  stems  geknüpft  ist  das  Gefühl ,  das 
in  der  ganzen  Oberfläche  des  Thieres  seinen  Sitz  hat,  in 
vielen  Fällen  vorzugsweise  an  besondere,  specifisch  für 
dasselbe  bestimmte  Tastorgane  gewiesen  ist. 

Auch  der  Geschmackssinn  scheint  fast  ohne  Ausnahme 
postulirt  werden  zu  können  und  fehlt  vielleicht  nur  den- 
jenigen Thieren,  z.  B.  vielen  Eingeweidewürmern,  bei 
denen  die   Ernährungsfunction    überhaupt   eine    total  ab- 


3.  Kap.      Die  Sinnesorgane.  59 

weichende  ist.  Wir  haben  uns  indcss  nur  im  Vorbeige- 
hen mit  der  Untersuchung  solcher  Möglichkeiten  zu  be- 
schäftigen und  hier,  wie  überall,  vorzugsweise  an  die 
anatomisch  zu  erläuternden  Organe  zu  halten. 

An  uns  selbst  können  wir  oft  die  Erfahrung  machen, 
wie  unwesentlich  für  das  Gesammtleben  der  Geruchssinn 
ist,  daher  wir  auch  bei  einer  grossen  Menge  der  Ever- 
tebraten ,  namentlich  solchen ,  die  sich  nicht  weit  nach 
ihrer  Nahrung  zu  bewegen  haben,  vergeblich  nach  Ge- 
ruchsorganen suchen. 

Von  den  beiden  noch  übrigen  Sinnen  ist  das  Gehör 
der  physiologisch  und  psychologisch  wichtigere,  und  so 
haben  wir  auch  sein  Zurücktreten  bei  den  der  menschli- 
chen Bildung  entfernter  stehenden  Thiergruppen  a  priori 
früher  zu  erwarten ,  als  das  Verschwinden  des  Gesichts- 
sinnes. Dass  man  übrigens  Avohl  zu  unterscheiden  habe 
zwischen  der  Ausbildung  des  Sinnes  und  der  Ausbildung 
des  Sinnesorganes,  dass  mit  andern  Worten  scheinbar 
unvollkommen  gebaute  Organe  eben  so  viel  und  mehr 
leisten  können  als  zusammengesetztere,  davon  geben  unter 
andern  die  Singvögel  ein  überzeugendes  Beispiel,  deren 
Gehör  ein  wahrhaft  musicalisches  zu  nennen  ist,  und 
worin  sie  hoch  über  allen  Säugethieren  stehen ,  während 
ihr  Gehörorgan  einfachere  anatomische  Verhältnisse  zeigt. 

1.  Tastorgane. 
Das  Getast  der  Polypen  ist  namentlich  in  den  Ten- 
takeln enthalten ,  wodurch  diese  besonders  zu  Hiilfser- 
nährungswerkzeugen  geeignet  sind.  Aehnlich  verhält  es 
sich  mit  den  Quallen  und  Echinodermen;  nament- 
lich erstere  sind  mit  zahlreichen  Fang-  und  Tastfäden 
versehen,    und  bei  den  Echinodermen    sind  die  mit  Ner- 


60  1-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

venzweigen  ausgerüsteten  Saugfüsschen  und  Mundtenta- 
keln Sitz  eines  feineren  Gefühls.  Besondere  selbständige 
Taster  haben  die  Röhrenquallen. 

Die  eigenthümlichen  Tastorgane  der  Würmer 
sind  ziemlich  sparsam. 

Bei  den  Infusorien  kann  man  die  mannichfachen 
grösseren  und  kleineren  Wimpern ,  Haken ,  Borsten  und 
Griffel ,  v/elche  die  Bewegung  vermitteln ,  zugleich  Tast- 
organe nennen.  Ihre  ganze  Hautoberfläche ,  so  weit  sie 
nicht  gepanzert,  ist  gegen  äussere  Einflüsse  sehr  empfäng- 
lich. Den  Zweck  eines  Tastorgans  erfüllt  wohl  auch  der 
aus  einer  Verlängerung  der  sogenannten  Oberlippe  ent- 
standene Rüssel  verschiedener  Na  i  den  (Sti/larla,  PH- 
stina).  Am  meisten  ausgeprägt  sind  aber  die  Tastorgane 
in  derjenigen  Abtheilung  der  Würmer,  welche  man  von 
dieser  Eigenschaft  vorzugsweise  Fühlerwürmer  (An- 
tennata)  genannt  hat;  ihr  Kopf  trägt  mehrere  (zwei  bis 
fünf)  gegliederte  Fühler.  Es  steht  damit  in  Einklang, 
dass  sie  die  beweglichsten,  freisten  unter  den  Würmern 
sind. 

Obschon  der  ganze,  der  Willkür  des  Thieres  unter- 
worfene Wimperapparat  der  Rotiferen  äusserst  em- 
pfindlich ist,  findet  sich  bei  einigen  dieser  Formen,  na- 
mentlich den  P  h  il  odinäen,  ein  besonderes  Tastwerk- 
zeug in  Gestalt  eines  längeren,  zwischen  den  beiden  seit- 
lichen Wimperkreisen  hervorragenden  Rüssels,  der,  an 
seiner  Spitze  mit  feinen  Flimmerhärchen  besetzt,  lediglich 
zum  Tasten  und  Sondiren  dient. 

Bei  den  Arthropoden  sind  die  Tastorgane  allge- 
mein verbreitet.  Sie  sind  bei  Spinnen  und  Insecten 
als  Palpen  mit  den  Mundwerkzeugen  verbunden.  Ein  sehr 
feines  Gefühl  müssen  die  Spinnen  auch  in  den  Fussenden 


3.  Kap.    Die  Sinnesorgane.  61 

haben,  da  diese  bei  der  Verfertigung  des  Gewebes  haupt- 
sächlich thätig  sind.  Unstreitig  tasten  die  Insekten  auch 
mit  den  sehr  verschieden  gestalteten  Antennen,  die  man 
ja  geradezu  Fühler  zu  nennen  pflegt.  Ob  denselben  viel- 
leicht noch  eine  andere  ^A  ichtige  Function  als  Geruchs- 
organ zukommt,  ist  sehr  ungewiss.  Die  Crustaceen 
sind  fast  durchweg  mit  oft  sehr  langen  Antennen  als  Ge- 
fühlsorganen versehen,  durch  welche  sich  die  aus  dem 
Gehirn  tretenden  Nerven  erstrecken. 

Ganz  specifische  Tastorgane  sind  die  kleinen  An- 
tennen vieler  L  op  hvr  op  öden,  an  denen  schon  bei 
massiger  Vergrösserung  der  unmittelbare  Zusammenhang 
der  Nervenfasern  mit  eigcnthümlichen  geknöpften  borsten- 
ähnlichen Gebilden  zu  sehn.  Bei  anderen  Arthrozoen  sind 
die  mit  einer  Anschwellung  endenden  Hautnerven  mit  ein- 
fachen oder  gefiederten  Haaren  und  Borsten  zu  Tastwerk- 
zeugen verbunden. 

Durch  das  Hautskelet  der  Arthropoden  sind  deren 
weiche  Körpertheile  unmittelbarer  geschützt  als  viele  der 
mit  Schalen  und  Gehäusen  versehenen  Mollusken,  bei 
denen  ^^ir  somit  in  grösserer  Ausdehnung  an  den  zeit- 
weise unbedeckten  Körpertheilen  Tentakeln  angebracht 
finden.  Diese  dienen  aber  mehr  dazu,  das  Thier  vor  Ge- 
fahr zu  warnen  und  zum  Zurückziehen  zu  veranlassen, 
als  dass  sie  zum  \^irklirhen  Betasten  benutzt  werden, 
sind  also  mehr  passive  als  active  Gefühlsorgane.  In  die- 
ser Hinsicht  sind  die  Kiemen-  und  Afteröfl*nung  der  Asci- 
dien  mit  gefühlsreichen,  durch  höhere  Färbung  ausge- 
zeichneten Wärzchen  umstellt.  Der  schon  an  sich  em- 
pfindliche Mantel  der  Lammellibranchiaten  zeigt 
zahlreiche  Tentakelanhänge ,  namentlich  an  seinem  hinte- 
ren Theile,  um  den  Athemsipho  und  die  Afterröhre  herum, 


62  !•    Absclin.        Die  Organe  der  Empfindung. 

weniger  am  Kopftheile,  mit  dem  die  Muscheln  sehr  ge- 
wöhnlich im  Schlamm  vergraben  sind.  Zwei  Paar  in  der 
Nähe  des  Mundes  befindliche  dreieckige  Hautlappen  die- 
nen gewiss  als  Fresstentakeln  und  ersetzen  die  oft  be- 
trächtlich entwickelten  Lippen  der  Cephalop hören. 
Bei  diesen  trägt  der  Kopf  ein  oder  zwei  Paar  Fühler, 
entweder  mit  einer  inneren  Höhle  (HellXy  Limax)^  so 
dass  sie  wie  ein  Handschuhfinger  durch  einen  besonderen 
Muskel  eingestülpt  werden  können,  oder  sie  sind  solid 
(Paludlna)  und  können  sich  nur  contrahiren.  In  beiden 
Fällen  treten  starke  Nerven  vom  Gehirn  bis  in  die  Spitze 
der  Fühler.  Gewöhnlich  stehen  die  Fühler  auch  in  einer 
näheren  Beziehung  zu  den  Augen,  indem  diese  auf  oder 
unmittelbar  neben  ihnen  angebracht  sind.  Die  Cephalo- 
poden  tasten  vermittelst  ihrer  Arme,  namentlich  die 
Nautilaceen,  bei  denen  die  zahlreichen  contractilen 
Arme  nicht  zugleich  Bewegungswerkzeuge  sind. 

Bei  den  Wirbelthieren  treten  im  Allgemeinen  die 
für  das  Leben  der  meisten  übrigen  Thiere  so  wichtigen 
Tast-  und  Gefühlsorgane  in  dem  Maasse  zurück,  als  der 
übrige  Sinnesapparat  gleichförmig  ausgebildet  ist.  Die 
Tastorgane  der  Fische  beschränken  sich  auf  die  wei- 
chen, fleischigen  Lippen ;  oft  sind  auch  die  Kiefern  mit 
Fühlfäden,  Barteln,  versehen.  Auch  die  vordere  Mund- 
gegend der  Amphibien  wird  zum  Tasten  benutzt;  das 
Züngeln  der  Schlangen  ist  Tastbewegung.  Der  Schnabel 
vieler  Wasser  vögel  ist  dadurch  zum  Tasten  geeignet, 
dass  er  vorn  mit  einer  sehr  nervenreichen  Haut  beklei- 
det ist. 

Bei  den  Säugethieren  ist  die  gewöhnlich  nackte 
Nasen-  und  Schnauzengegend  vorzugsweise  empfindlich, 
worin  diese  sehr  oft  durch  Bartborsten  und  Schnurrhaare 


3.  Kap.    Die  Sinnesorgane.  63 

unterstützt  wird.  Wie  wichtig  diese  Borsten  als  Tastor- 
gane sein  müssen,  kann  man  von  den  Robben  entnehmen, 
deren  Bartborstenscheiden  mit  ansehnlichen  Nervenzwei- 
gen vom  dritten  Aste  des  trlgemimis  versorgt  werden. 
Einen  äusserst  feinen,  über  die  ganze  gefäss-  und  ner- 
venreiche Flughaut  verbreiteten  Tastsinn  besitzen  die  Fle- 
dermäuse. Die  Fingerspitzen  der  Affenhände  sind  zum 
Tasten  noch  sehr  ungeschickt,  indem  bei  ihnen  der  Haut- 
nerven viel  weniger  sind  als  beim  Menschen,  dessen  Hand 
dadurch  eine  so  hohe  Bedeutung  erhält,  dass  sie  ein  gleich 
vollkommenes  Tast-  und  Greiforgan  ist. 

2.     Geschmacksorgane. 

Durch  Fütterungsversuche  an  Infusorien  kann  man 
sich  die  Ueberzeugung  verschaffen,  dass  schon  diese 
Thiere  unter  den  durch  den  Wimperstrudel  in  die  Nähe 
des  Mundes  gebrachten  Nahrungstheilehen  nur  die  ihnen 
zusagenden  auswählen,  offenbar  vermöge  ihres  Ge- 
schmackssinnes. Indessen  finden  wir  eigenthümliche  Ge- 
schraacksorgane  Aveder  bei  ihnen  noch  in  der  ganzen  Ab- 
theilung der  Ra  diäten,  und  auch  die  Zunge  einiger 
Würmer  (Nais  proboscidea) ,  der  Gliederthiere  und 
Mollusken  ist  im  ganzen  weniger  Sitz  des  Geschmacks 
als  Hülfsorgan  beim  Fressen,  daher  wir  passender  unten, 
bei  Beschreibung  des  Verdauungsapparates,  von  ihr  han- 
deln. Sicher  ist  wohl  die  fleischige  im  Unterkiefer  der 
Cephalopoden  verborgene  Zunge  Geschmacksorgan; 
es  finden  sich  auf  ihr  zahlreiche  Geschmackspapillen. 

Selbst  bei  den  Wir  b  elt hier en  steht  die  Zunge 
auf  einem  sehr  verschiedenen  Grade  der  Ausbildung;  so 
ist  die  der  wenig  wählerischen  Fische  auf  das  Zungen- 
bein reducirt,   und   alleiniger   Sitz  des  Geschmackssinnes 


64  I-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

ist  die  Gaumenfläche*).  Die  Zunge  der  Amphibien 
variirt  ungemein.  Die  Pipae  haben  gar  keine;  bei  den 
meisten  Fröschen  ist  sie  nach  hinten  frei.  Der  Zunge  der 
Ophidier  als  Tastorgan  ist  schon  oben  Erwähnung  gethan; 
sie  ist  schmal,  lang,  endigt  vorn  in  zwei  lange  Spitzen 
und  liegt  in  einer  Scheide.  Auch  viele  Saurier  haben  eine 
gespaltene  in  einer  Scheide  ruhende  Zunge,  z.  B.  die 
Fisülingues.  Bei  den  Krokodilen  ist  die  Zunge  der  gan- 
zen Länge  nach  angewachsen.  Sehr  merkwürdig  ist  die 
Zunge  des  Chamäleon;  sie  kann  sehr  weit  aus  dem  Munde 
gestossen  werden,  um  mit  dem  vorderen  kolbigen  und 
klebrigen  Theile  Insekten  zu  fangen.  Die  Erklärung,  dass 
die  Ausstossung  durch  die  Zungenbeinmuskeln  geschähe, 
ist  nicht  genügend ,  vielmehr  scheint  es  eine  Art  von 
Ausspucken  zu  sein.  Dafür  spricht  auch,  dass  das  Cha- 
mäleon beim  Zurückziehen  der  Zunge  öfter  ungeschickt 
ist.  Die  Zunge  der  meisten  Vögel,  mit  einem  hornar- 
tigen  Ueberzuge  versehen,  zugespitzt  und  mit  Haken  be- 
setzt, ist  mehr  Greif-  als  Geschmacksorgan.  Nur  bei  ei- 
nigen, namentlich  den  Papageien,  ist  sie  fleischig  und 
trägt  zahlreiche  Geschmackspapillen.  Auch  die  Säuge- 
thiere  zeigen  mannichfache  Zungenbildungen,  deren 
nähere  Beschreibung  jedoch  zu  weit  führen  würde.  All- 
gemein ist  hier  die  Zunge  Geschmacksorgan,  auch  w^o  sie 
zum  Theil  mit  Horngebilden  bedeckt  ist,  wie  z.  B.  bei 
Echidna,  Hystrix. 

3.     Geruchsorgane. 
Was   man   von   den  Geruchsorganen   der   Würmer 


*)  Schon  Aristoteles  (H.  A.  IV.  pag.  116,  Ed.  Schneid.)  bezeich- 
net den  fleischigen  Gaumen  der  Fische,  besonders  der  Karpfen,  als 
Geschmacksorgan. 


3.   Kap.     Die  Sinnesorgane.  65 

gesprochen  hat,  beruht  nur  auf  Vermuthungen.  Erst  bei 
den  Arthropoden  können  wir  solche  mit  einiger  Sicher- 
heit nachweisen. 

Von  der  Unterseite  des  Basalgliedes  der  äusseren 
Fühler  vieler  Decapoden  erhebt  sich  ein  kegelförmiger 
hohler  Vorsprung,  der  vorn  durch  eine  dünne  Membran 
geschlossen  ist.  Der  Kegel  enthält  einen  zarthäutigen 
Schlauch,  der  sich  nach  innen  zu  einer  Blase  erweitert 
und  mit  einer  klaren  Flüssigkeit  erfüllt  ist.  Auf  diesen 
weichen  Theilen  verbreitet  sich  ein  Nerv.  Man  hat  diess 
ganze  Orgau  bisher  immer  für  ein  Gehörwerkzeug  gehal- 
ten ,  allein  diese  Deutung  ist  nicht  mehr  wohl  haltbar, 
seitdem  man  einen  anderen  Apparat  in  den  inneren  An- 
tennen (vergl.  unten  Gehörwerkzeuge)  unzweifelhafter  für 
die  Gehörorgane  erkannt  hat.  In  den  vorliegenden  hat 
man  vielleicht  die  Geruchswerkzeuge.  Bei  den  Insec- 
ten  hat  man  den  Sitz  des  Geruchsinnes  bald  in  den  Pal- 
pen, bald  in  den  Antennen  gesucht.  Die  anatomischen 
Verhältnisse  scheinen  noch  am  meisten  für  die  Antennen 
als  Geruchsorgane  zu  sprechen.  An  diesen  finden  sich 
eine  grosse  Menge  von  Grübchen ,  welche  unten  durch 
eine  zarte  Membran  geschlossen  erscheinen.  Aus  näheren, 
namentlich  am  Fühlerfächer  der  Lamellicornien  angestell- 
ten Untersuchungen  erhellt  jedoch ,  dass  die  das  Grüb- 
chen unten  schliessende  Haut  gar  nicht  so  dünn ,  und  dass 
sich  gewöhnlich  in  den  Vertiefungen  durchsichtige  pilz- 
förmige V^ärzchen  erheben.  Dieselben  für  Geruchspa- 
pillen  zu  halten,  ist  gewagt,  da  die  Verzweigung  des 
Fühlernerven  nicht  gefunden,  und,  was  das  W^ichtigere, 
der  stufenweise  Uebergang  der  Wärzchen  in  wirkliche 
Haare  beobachtet  ist.  So  z.  B.  sind  die  Fächerglieder  des 
Aphodius  äusserlich  mit  Haare  tragenden  Poren  verseben, 

5 


66  !•  Abschn.  Die  Organe  der  Empfindung. 

während  die  inneren  Flächen  nach  der  Tiefe  zu  mehr  und 
mehr  warzenartige  Erhebungen  zeigen. 

Ob  die  ganze  Schleimhautoberfläche  der  Acepha- 
1  e  n  und  besonders  der  Cephalopboren,  oder  der  Ein- 
gang in  die  Respirationshöhle  oder  die  Lippengegend  oder 
die  Tentakeln  dieser  Mollusken  riechen  können ,  müssen 
wir  dahin  gestellt  sein  lassen.  Die  Bedingungen,  welche 
an  ein  Geruchsorgan  gestellt  werden,  scheinen  dort  aller- 
dings erfüllt  zu  sein.  Mit  Bestimmtheit  sind  die  Geruchs- 
organe der  Cephalopoden  erkannt.  Es  finden  sich  in 
der  Nähe  der  Augen  bei  einigen  zwei  kleine  Grübchen 
(Loligo,  Sepiola) ,  aus  deren  Grunde  sich  bei  einigen 
anderen  (Octopus,  Eledone,  auch  Nautilus)  ein  papillen- 
artiger  Körper  erhebt,  der  bei  noch  anderen  Gattungen 
(Argonauta,  Tremoctopus)  nur  von  einem  sehr  geringen 
Hautwulst  umgeben  ist.  Der  Riechnerv  entspringt  aus 
dem  gangllon  opticuniy  tritt  mit  in  die  Augenhöhle  und 
durchbohrt  die  Augenkapsel. 

Erst  bei  den  Wirbelthieren  werden  die  allge- 
mein verbreiteten  Geruchsorgane  Nase  genannt. 

Selbst  Branchiostoma  besitzt  eine  solche ,  eine  un- 
symmetrisch liegende  kegelförmige  Vertiefung,  welche 
unmittelbar  auf  dem  vorderen,  das  Gehirn  vorstellenden 
Theile  des  Rückenmarkes  aufsitzt.  Auch  die  Myxinoi- 
den  mit  den  Petr omyzonten  haben  eine  sie,  nament- 
lich erstere  von  allen  übrigen  Fischen  unterscheidende 
Nasenbildung.  Die  Nase  ist  einfach ,  eine  lange  Röhre, 
welche  bei  den  Myxinoiden  durch  Knorpelringe  ge- 
stützt ist  und  den  Gaumen  durchbohrt.  (Nur  die  Dipnoi 
verhalten  sich  noch  so.)  Diese  Eigenthümlichkeit  und  der 
Spritzsack  der  Petromyzonten  scheint  durch  die  ver- 
änderte Art  der  Athmung  bedingt  zu  sein ,  indem  die  Cy- 


3.  Kap.    Die  Sinnesorgane.  67 

clostomen  durch  die  Kiemenlöcher  ein-  und  ausathmen 
und  daher  den  bei  den  übrigen  Fischen  durch  den  Mund 
gehenden  und  den  äusseren  Nasenöffnungen  neues  Wasser 
zuführenden  Atherastrom  auf  eine  andere  Weise  ersetzen 
müssen.  Bei  den  Myxinoiden  geschieht  dies  durch  eine 
hinter  der  Gaumenöffnung  gelegene  bewegliche  Klappe,  bei 
den  Petromyzonten  durch  die  erwähnte  contractile 
Ausbuchtung  des  Nasenrohres,  den  Spritzsack.  Um  an 
der  Wassererneuerung  des  Athemstromes  Theil  nehmen 
zu  können,  sind  die  Nasenöffnungen  der  Plagiostomen 
an  der  Bauchseite  angebracht  in  der  Nähe  des  Mundes, 
wie  sie  auch  bei  den  Stören  und  Knochenjäschen ,  bei  letz- 
teren meist  je  doppelt,  seitlich  an  der  Schnauze  liegen. 
Die  mit  Flimmerepithelium  versehene  Riechhaut  vermehrt 
ihre  Oberfläche  durch  Falten  und  Blätter,  gestützt  durch 
Knorpelstäbchen  und  entweder  von  einer  mittleren  Axe 
radienförmig  oder  kammförmig  nach  zwei  Seiten  ausge- 
hend. Die  Nasenkanäle  der  Lepidoslren  liegen  in  den 
Lippen,  die  vordere  Oeffnung  vorn  an  der  Schnauze^  die 
hintere  im  Mundwinkel;  im  Uebrigen  ist  die  Nase  ganz 
fischartig.  Sehr  auffallende  Modificationen  zeigen  einige 
Arten  Tetrodon;  sie  haben  statt  der  inneren  Nasenhöhlen 
tentakelartige  Nasenpapillen  mit  starken  Geruchsnerven. 
In  der  Klasse  der  Amphibien  wiederholt  sich  der 
Typus  der  Fischnase  noch  einmal  bei  den  Proteiden, 
namentlich  Proteus.  Mit  der  nun  eintretenden  Luftatbmung 
ist  immer  die  Oeffnung  der  Nase  in  die  Mundhöhle  ver- 
bunden; die  Nasengänge  öffnen  sich  bei  den  B at rä- 
ch iern  sehr  weit  nach  vorn,  beiden  Kr okodilen  sehr 
weit  hinten  im  Rachen.  Während  im  Allgemeinen  bei 
den  Amphibien  durch  Erweiterung  der  Nasenhöhlen  für 
die  Vergrösserung  der  Oberfläche  gesorgt  wird,   beginnt 

5  * 


68  I-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

bei  ihnen  auch  die  Bildung  der  Muscheln,  welche  je- 
doch erst  in  den  folgenden  Klassen  ihre  Bedeutung  hin- 
sichtlich der  Flächenvermehrung  erhalten. 

Die  äusseren  Nasenöffnungen  der  Vögel  variiren 
sehr  an  Form  uud  Lage;  häufig,  namentlich  bei  den 
Was  ser  vö  geln,  auch  bei  Cathartes,  felilt  die  Scheide- 
wand zwischen  denselben  (iiares  perviae).  Die  inneren 
Oeffnungen  (choanae)  sind  in  der  Regel  zwei  schmale, 
oft  in  eine  zusammenfliessende  Spalten.  Die  Muscheln 
sind  gewöhnlich  IJmbiegungen  der  knorpeligen  Wände  der 
Nasenhöhlen,  drei  an  der  Zahl,  von  denen  jedoch  nur 
eine  in  den  verschiedenen  Ordnungen  vorzugsweise  ent- 
wickelt zu  sein  pflegt.  Alle  Vögel,  mit  Ausnahme  der 
Tauben,  besitzen  eine,  wahrscheinlich  die  Nasenhöhle 
feucht  erhaltende  Nasendrüse,  die  gewöhnlich  auf  den 
Stirnbeinen  liegt. 

Die  wesentlichsten  Veränderungen,  welchen  die  Nase 
der  Säugethiere  unterworfen,  bestehen  in  der  Form  und 
Ausdehnung  der  unteren  Muscheln.  Bei  den  Pflan- 
zenfressern, besonders  den  Einhufern  und  Wieder- 
käuern, ist  die  Muschel  anfangs  ein  einfaches  Blatt,  wel- 
ches sich  bald  in  zwei  sich  einrollende  Lamellen,  eine 
obere  und  eine  untere ,  spaltet.  Bei  den  durch  ihren  Ge- 
ruch ausgezeichneten  Fleischfressern  sind  die  Mu- 
scheln ,  indem  sie  sich  dichotomisch  spalten  und  einrollen 
baumartig  verzweigt  und  stellen  sehr  complicirte  Laby- 
rinthe dar,  am  stärksten  bei  den  Seehunden ,  bei  welchen 
man  danach  den  feinsten  Geruch  voraussetzen  dürfte, 
wenn  nicht  das  oben  angegebene  Beispiel  vom  Gehöror- 
gan der  Vögel  zeigte,  dass  keineswegs  immer  Sinn  und 
Sinnesorgan  gleichen  Schritt  in  ihrer  Ausbildung  halten. 
Mit  der  Stärke  des  Geruchssinnes  hängt  auch  die  Ausdeh- 


3.  Kap.     Die  Sinnesorgane.  ^9 

nuiig  der  Knochenhöhlcn  (shms  frontales^  maxillares, 
sphenoldaJes)  zusammen  ,  mit  denen  sehr  häußg  die  Nasen- 
höhlen communiciren.  Beträchtlich  sind  namentlich  heim 
Elephanten  die  Stirnbein-  und  Keilbeinhöhlen. 

Sehr  bedeutend  ist  die  Umwandlung,  welche  das  Ge- 
ruchsorgan der  ächten  Cetaceen  erleidet,  bei  denen 
zum  Theil  die  Gcruchsfunction  durchaus  zurücktritt,  in- 
dem den  Delphinen  die  Riechnerven  gänzlich  zu  man- 
geln scheinen. 

4.     G  e  s  i  c  h  t  s  0  r  g  a  n  e. 

Damit  ein  Thier  sehe,  rauss  es  Nerven  besitzen,  mit 
der  specifischen  Energie,  von  Lichterscheinungen  erregt 
zu  werden;  es  müssen  ferner  mit  dem  Ende  oder  der 
eigenthümlich  modificirten  Endausbreitung  dieser  Nerven 
(retlna)  lichtbrechende  und  lichtsammelnde  Apparate  ver- 
bunden sein ,  welche  die  Lichtstrahlen  in  zweclimässiger 
Weise  auf  die  Nerven  leiten. 

Das  Princip  der  sogenannten  einfachen  Augen 
beruht  darin,  dass  durch  den  lichtbrechenden  Apparat 
wie  durch  die  Linse  einer  camera  obscura  ein  continuir- 
lich  zusammenhängendes ,  aber  umgekehrtes  Bild  auf  die 
flächenhafte  Ausbreitung  des  Sehnerven  geworfen  wird. 
AVären  die  lichtbrechendeii  Apparate  starr,  so  würden 
die  mit  solchen  Augen  versehenen  Thiere  nur  von  Gegen- 
ständen aus  einer  bestimmten  Entfernung  deutliche  Bilder 
bekommen.  Dem  ist  bei  den  höheren  Thieren  durch  die 
Accommodationsfähigkeit  der  brechenden  Medien  und  ihrer 
Einfassungen  vorgebeugt,  während  zugleich  durch  die  be- 
sondere Krümmung  der  Medien  und  durch  die  Combina- 
tion  verschiedener  hinter  einander  liegender  Medien  den 
Uebelständen  abgeholfen  wird,   welche  bei  opiischen  In- 


70  I-  Abschn.   Die  Organe  der  Empfindung. 

Strumenten  so  schwierig  zu  überwinden  sind ,  der  sphäri- 
schen Aberration  und  der  Farbenzerstreuung. 

So  sind  im  allgemeinen  die  Augen  der  Wirbelthiere 
gebaut,  welche,  wie  man  mit  Recht  behaupten  kann,  am 
vollkommensten  sehen. 

Auch  bei  den  Wirbellosen  sind  die  nach  dem  Plane 
der  einfachen  Augen  gebauten  Sehwerkzeuge  sehr  ver- 
breitet; sie  erreichen  jedoch  nur  annähernd  bei  den  Ce- 
phalopoden  die  Complication  und  Vollkommenheit  des 
Wirbelthierauges.  Bei  den  übrigen  wird  das  Auge  durch 
Vereinfachung  des  lichtbrechenden  und  bilderzeugenden 
Apparates  unvollkommener,  auch  findet  sich  die  eigen- 
thümliche  Structur  der  als  Netzhaut  bekannten  Ausbrei- 
tung des  Sehnerven  nicht  wieder.  Es  werden  also  die 
Sehwerkzeuge  so  mangelhaft,  dass  wirkliche  Bilder  gar 
nicht  mehr  zur  Perception  gelangen  und  dass  viele  Thiere, 
bei  welchen  sich  noch  ein  Rest  von  Augen  findet,  es  mit 
ihnen  höchstens  zur  Unterscheidung  von  Licht  und  Dun- 
kel bringen. 

Nach  einem  ganz  anderen  Princip,  meinte  man  bis 
vor  Kurzem,  seien  die  sogenannten  zusammengesetz- 
ten Augen  der  Arthrozoen  gebaut.  Nur  unter  dieser 
Voraussetzung  hat  man  eigentlich  das  Recht,  im  Gegen- 
satz dazu  von  den  einfachen  Augen  zu  sprechen.  Wir 
können  jedoch  den  Namen  „zusammengesetzte  Augen"  bei- 
behalten, da  sie  jedenfalls  durch  eigenthümliche  Form- 
und  Structurverhältnisse  sich  auszeichnen,  auch  wenn  es 
sich  ergeben  sollte,  dass  sie  im  Wesentlichen  sich  auf 
das  einfache  Auge  zurückführen  lassen. 

Die  einfachen  Augen. 
1.  Bei  den  Strahlthieren.     Man  hat  bei  ihnen  Augen 


3.  Kap.    Die  Sinnesorgane.  71 

mit  lichtbrechenden  Medien,  wodurch  Bilder  der  Objecte 
erzeugt  werden  könnten ,  nicht  gefunden.  Diese  werden, 
wie  auch  bei  vielen  Würmern,  ersetzt  durch  Anhäufun- 
gen von  Pigment,  die  man  um  so  eher  für  ein  Surrogat 
wirklicher  Augen  halten  muss,  als  sie  sehr  constant  bei 
den  betreffenden  Thieren  vorkommen  und  häufig  mit  Ner- 
ven in  Verbindung  stehen.  Das  wichtigste  Argument  für 
die  Natur  und  Bedeutung  der  Pigmentflecke  können  wir 
von  den  Würmern  und  Räderthieren  entlehnen,  deren 
einige  Formen  die  Pigmentflecke  an  demselben  Orte,  in 
demselben  Zusammenhange  mit  dem  Nervensystem  haben, 
wo  bei  verwandten  Gattungen  unzweifelhafte  Augen  mit 
lichtbrechenden  Medien  sich  finden.  Jedenfalls  ist  die 
Intensität  des  an  diese  Augenflecke  gebundenen  Gesichts- 
sinnes eine  höchst  geringe.  Bei  vielen  Schirmquallen, 
am  vollkommensten  bei  den  Medusengattungen  Ncmsithoe 
und  Caryhdaea  üuden  sich  im  Scheibenrando  eigenthümliche 
pigmentreiche  und  mit  Kalkkrystallen  versehene  Körper 
(Randkörper) ,  die  wohl  als  Gesichtsorgane  zu  deuten  sind. 
Die  Rippenquallen  haben  ein  einziges  solches  Organ 
nicht  weit  vom  Hinterleibsganglion.  Unter  den  Echino- 
dermen  besitzen  Pigmentflecke  die  Asteriden  und 
Echinoiden,  erstere  an  dem  Ende  der  Unterseite  der 
Strahlen ,  letztere  auf  dem  Rücken  auf  den  mit  den  Ge- 
nitalplatten abwechselnden  Ocellarplatten. 

2.  Bei  den  Würmern.  Blosse  Pigment-Augen- 
flecke, wie  wir  sie  eben  beschrieben,  kommen  in  allen 
Klassen  der  W^ürmer  vor,  wenn  auch  bei  den  Einge- 
weidewürmern nur  bei  den  Larven  einiger  Arten  von 
Distomum  und  Monostomum,  unter  den  Infusorien  bei 
den  Gattungen  Amblyophis,  Microglena,  Euglena  u.  a. 
Die  Pi^mentflecke  der  Strudelwürmer  nehmen  häufiis: 


72  !•  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

eine  bestimmtere  Gestalt  an,  weniger  bei  den  Rhabdocö- 
len  aus  der  Gattung  31esostomum ,  als  bei  den  Nemertinen, 
bei  denen  sich  für  jeden  Pigmentfleck  ein  besonderer,  von 
dem  Nackenganglion  entspringender  Nerv  verfolgen  lässt. 
Von  den  Anneliden,  welche  Pigmentflecke  besitzen, 
erwähnen  wir  die  Naiden,  die  merkwürdige,  auch  am 
Schwanzende  beäugte  Amphicora ,  ferner  Filograna  und 
einige  Rückenkiemer  (ISephthys).  Bei  den  meisten 
dieser  Würmer  ist  freilich  ein  Zusammenhang  mit  dem 
Nervensystem  nicht  zu  sehen. 

Wir  begegnen  aber  nun  auch  bei  den  Würmern  Au- 
gen, die  als  wirkliche  optische  Werkzeuge  zu  gebrauchen 
sind,  d.  h.  lichtbrechende  Medien  besitzen  und, 
wenn  auch  in  überaus  einfacher  Weise ,  doch  schon  nach 
demselben  Princip  gebaut  sind ,  welches  das  Säugethier- 
auge  befolgt.  Bei  den  Rhabdocölen,  z.B.  den  mei- 
sten Vorticinen,  liegt  in  der  halbmondförmig  gekrümm- 
ten Pigmentmasse  eine  Linse  eingebettet,  die  man  deut- 
licher bei  den  Dendrocölen  wahrnimmt. 

Unter  den  Ringel  würmern  sind  es  namentlich  die 
beweglicheren,  welche  Augen  haben,  bestehend  aus  einer 
von  Pigment  eingefassten  Linse,  über  der  sich,  wie  bei 
den  Strudelwürmern,  die  Oberhaut  als  Hornhaut  wölbt. 
Das  Pigment  bildet  häufig  eine  Art  von  Pupille.  Hier- 
her gehören  die  Blutegel,  und  viele  Rückenkiemer 
(z.  B.  Amphinume,  Nereis,  Eunice).  Die  höchste  Aus- 
bildung des  Annelidenauges  kommt  bei  Alciope  (Torrea 
Qutfg,)  vor*). 

*)  Quatrefagcs  beobachteie  die  durch  dasselbe  entworfenen 
Bilder  unter  dem  Microscop  und  sagt,  sie  seien  ganz  vollendet  ge- 
wesen. „Ich  unterschied  alle  Biegungen  des  benachbarten  Ufers,  bis 
auf  die  Umrisse  der  leichtesten  Wölkchen.  Keins  dieser  Bilder  zeigte 
eine  Spur  von  farbigen  Streifen".     Ann.  des  sc.  naf.  III  Ser.  13. 


3.  Kap.     Die  Sinnesorgane.  73 

3.  Bei  den  Arthrozoen.  a.  Einfache  Augen  mit 
Linse,  ohne  Glaskörper.  Derartig  construirte  Au- 
gen ,  wie  wir  sie  eben  bei  den  Würmern  kennen  lernten, 
finden  ^^  ir  bei  C  r  u  s  t  a  c  e  e  n  und  Insekten.  Sie  beste- 
hen aus  einer  von  der  Körperbedeckung,  wie  immer  in 
dieser  Abtheilung,  gebildeten  Cornea,  einem  dahinter 
liegenden  durchsichtigen,  linsenartigen  Körper,  der  die 
Linse  einfassenden  Pigmentschicht  und  dem  durch 
das  Pigment  an  die  Linse  tretenden  S  ehn  er  ven.  Unter 
den  Crustaceen  haben  sie  unter  anderen  die  Jungen  meh- 
rerer Parasiten  und  Lophyropoden;  einige  dieser 
Formen  (z.  B.  die  Cyclopidae)  behalten  sie  zeitlebens. 
An  diese  niederen  Krebse  schliessen  sich  auch  die  Rä- 
derthiere  an.  Der  unpaare  Augenfleck,  den  viele 
Gattungen ,  u.  a.  Notommata,  Eiichlanis^  Dhwcharis,  Bra- 
chionus,  haben,  umschliesst  nur  höchst  selten  (Eiichlanis 
uniseta  Leyd.)  einen  lichtbrechenden  Körper.  Weit  häu- 
figer scheinen  die  mit  zwei  Augenflecken  versehenen 
Räderthiere,  z.  B.  PteroiHna^  Stepha7ioceros,  Roiifer,  darin 
eine  Linse  zu  besitzen.  Die  Larven  der  Insekten  mit 
vollkommener  YerAvandlung  tragen  gewöhnlich  nur  diese 
Augen,  während  viele  ausgebildete  Insekten,  sehr  viele 
Orthoptern,  Diptern,  alle  Hymenoptern  sie  ne- 
ben den  zusammengesetzten  Augen  behalten. 

b.  Einfache  Augen  mit  Linse  und  Glaskör- 
per. Nur  wenig  modificirt  sind  die  Augen  derjenigen 
Gliederthiere  ,  bei  denen  zu  dem  beschriebenen  Apparat 
noch  eine  lichtbrechende  Materie,  ein  Glaskörper  tritt, 
zwischen  Linse  und  der  becherförmig  sich  ausbreitenden 
Nervenhaut.  Die  Pigmentschicht  pflegt  zwischen  Linse 
und  Glaskörper  sich  einzuschlagen  und  so  eine  Art  von 
Iris  und    Pupille    zu    bilden.      Diese    Augen  sind  sehr 


74  I-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

verbreitet  bei  den  Arachniden,  auch  bei  der  Larve  von 
Dyticus  marginalis  sind  sie  nachgewiesen,  und  leicht 
dürfte  der  Glaskörper  sich  noch  allgemeiner  finden.  Die 
unter  a  und  b  beschriebenen  Augen  werden  stemmata  oder 
ocelli  genannt. 

c.  Aggregirte  einfache  Augen  (ocelli  gvegati, 
stemmata  gregata).  Durch  Vermehrung  und  Annäherung 
der  einfachen  Augen ,  ohne  dass  die  einzelnen  Corneen 
oder  die  inneren  Theile  der  einzelnen  Augen  sich  berüh- 
ren, entstehen  aggregirte  Augen,  wie  sie  die  Oni sei- 
den, Polypoden  und  die  Männchen  der  Strepsipte- 
ren  haben;  dort  sind  es  20  bis  40,  bei  letzteren  gegen 
70  Ocellen,  deren  jede  einen  Faden  des  sich  zertheilen- 
den  Sehnerven  empfängt.  Gewöhnlich  entfernt  man ,  wenn 
man  die  Hornhautschicht  abzieht ,  zugleich  die  enger  mit 
dieser  als  mit  den  Glaskörpern  verbundenen  Linsen. 

4.  Bei  den  Mollusken.  In  der  Abtheilung  der  Weich- 
thiere  sind  die  Augen  sehr  verbreitet ,  wir  finden  nur 
ausnahmsweise  jene  an  Stelle  der  Augen  auftretenden  Pig- 
mentanhäufungen ,  die  man  vielleicht  häufiger  bei  den 
Acephalen  erwarten  könnte,  sondern  die  Augen  zeigen 
gleich  bei  dieser  Klasse  eine  complicirtere  Structur,  als 
wir  in  den  einfachen  Augen  der  i\rthropoden  bemerkten, 
während  sie  bei  den  Cephalopoden  unmittelbar  zu  dem 
zusammengesetzten  Bau  des  Auges  der  Wirbelthiere  und 
des  Menschen  führen.  Nur  die  Augen  einiger  Ptero- 
poden,  Cito  und  Sa gitta  (wenn  letzteres  Thier  nicht  zu 
den  Würmern  zu  zählen),  sind  unvollkommen.  Die  um  die 
After-  und  AthemölTnung  vieler  As ci  dien  (Clavellina, 
Cynihitty  Phalluüa)  herumliegenden  Augen,  eingebettet  in 
gelbe  Pigmenthaufen ,  haben  ungefähr  dieselben  Bestand- 


3.  Kap.    Die  Sinnesorgane.  75 

theile,  wie  die  sogleich  zu  beschreibenden  der  Lame lli- 
bra  nchiaten. 

Bei  diesen  wird  der  Augapfel  eingeschlossen  von 
einer  festen,  ührösen  sclerotica ,  welche  auch  an  den  Sei- 
ten durchsichtig  ist,  namentlich  aber  vorn,  wo  eine  zarte 
conjwictiva  über  sie  hinweggeht,  eine  cornea  bildet.  An 
ihrer  inneren  Fläche  liegt  eine  aus  zwei  verschiedenfarbi- 
gen Pigmentschichten  bestehende  chorioichoy  welche  vorn 
eine,  meist  bläuliche  iris  bildet  und  häufig  der  Pupille 
gegenüber  ein  aus  spindelförmigen,  quergefurchten  Kör- 
perchen zusammengesetztes  tapetum  enthält.  Dieses  bringt 
z.  B.  bei  Pecten,  Spondylus  einen  wundervollen  Glanz 
hervor.  Die  Iris  ist  contractil.  Die  ziemlich  platte 
Linse  lässt  zwischen  sich  und  der  stärker  gewölbten 
Cornea  einen  Raum,  Avelcher  durch  die  Iris  in  eine  vor- 
dere und  eine  hintere  Augenkammer  getheilt  wird.  Die 
Hinterfläche  der  Linse  wird  aufgenommen  vom  Glaskör- 
per, welchen  die  retina  umfasst.  Die  Augen,  deren  Zahl 
sehr  variirt  nach  den  Individuen  und  selbst  nach  den 
Mantelhälften  der  einzelnen  Individuen,  liegen  auf  den 
Mantelrändern  und  den  von  diesen  abgehenden  Tentakeln 
und  Fortsätzen  ,  namentlich  am  Hintertheile.  Der  Verlauf 
der  Augennerven,  ob  diese,  wie  man  vermuthen  sollte, 
von  dem  über  dem  Schlunde  liegenden  Ganglienpaare  ent- 
springen ,  ist  ungewiss. 

Fast  ganz  so,  wie  die  Augen  der  Lamellibranchiaten, 
sind  diejenigen  der  Cephalophoren  beschaffen,  nur 
dass  man  nicht  die  doppelte  Schichte  der  Chorioidea  ge- 
funden, auch  kein  Tapetum,  und  dass  die  Iris  nicht  con- 
tractil zu  sein  scheint.  Die  Cephalophoren  haben  nie 
mehr  als  zwei  Augen ;  diese  liegen  bei  Helix  und  Limax 
auf  der   Spitze    der   hinteren    Fühler,    bei  Palndlna  und 


76  I-  Absclm.     Die  Organe  der  Empfindung. 

Limnaeus  auf  einem  Absätze  an  den  Tentakeln.  Der  feine 
Sehnerv  scheint  immer  von  dem  Fühlernerven  gesondert 
aus  den  oberen  Schlundganglien  zu  entspringen. 

Die  hauptsächlichsten  Eigenthümlichkeiten  der  zwei 
unverhältnissraässig  grossen  Augen  der  Cephalopoden, 
in  deren  Beschreibung  und  Deutung  man  jedoch  noch  sehr 
uneins  ist,  möchten  etwa  folgende  sein:  Bei  den  Loli- 
ginen  und  Octopoden  liegt  der  Augapfel,  vorn  und 
an  den  Seiten  frei,  in  einer  Augenkapsel,  gebildet  durch 
die  knorpelige  Augenmuschel  und  eine  sich  an  den  Knor- 
pel anschliessende  fibröse  Haut ,  welche  vorn  mit  der 
Hautbedeckung  sich  verbindet,  dünn  und  durchsichtig  wird 
und  somit  als  cornea  fungirt.  Indem  nun  der  Augapfel 
nicht  unmittelbar  an  die  Augenkapsel  sich  anlegt,  ent- 
steht eine  vorn  und  seitlicli  den  Augapfel  umgebende 
Höhle,  geschlossen  durch  eine  seröse  Haut,  die  von  ei- 
nigen Zootomen  mit  der  coniunciiva  verglichen  Avorden. 
Diese  seröse,  auf  dem  Augapfel  silberglänzende  Haut  bil- 
det die  Iris,  und  aus  der  Pupille  ragt  die  Linse  frei  in 
die  Augenkapselhöhle,  welche  merkwürdiger  Weise  mit 
der  Aussenweit  durch  eine  enge  Oeffnung  communicirt. 
Kann  aber  schon  hier  das  Meerwasser  mit  der  Höhlen- 
flüssigkeit sich  vermischen,  so  wird  bei  LoUgopsis  und 
OnychotheiUis  die  Linse  geradezu  vom  Meerwasser  be- 
spült, da  bei  diesen  Gattungen  die  Augenkapsel  vorn  gar 
nicht  geschlossen  ist.  Im  Uebrigen  lassen  sich  am  Aug- 
apfel ungefähr  dieselben  Haupttheile  benennen,  Avie  am 
Wirbelthierauge. 

5.  Bei  den  Wirbelthieren.  Die  Beispiele  von  Blind- 
heit oder  sehr  unvollkommener  Ausbildung  der  Gesichts- 
organe sind  unter  den  Wirbelthieren  Ausnahmen.  Dahin 
gehören  unter  den   Fischen  die  L  eptocar  dior ,    indem 


3.  Kap.     Die  Sinnesorgane.  77 

bei  Brancinostoma  nur  zwei  Pigmentflecke  sich  finden, 
feiner  die  3Iyxinoiden,  deren  rudimentäre  Augen  von 
der  Haut  (Bde/fostoiua)  oder  auch  von  Muskeln  (iVyxhie) 
bedeckt  werden,  eine  Eigenschaft,  die  selbst  ein  Säuge- 
thier,  Spalax  iyphlus ,  mit  den  Fischen  theilt.  Von  den 
Amphibien  sind  die  unterirdisch  lebenden  Proteiden 
hierher  zu  rechnen. 

iSonst  zeigt  das  Auge  der  Wirbelthierc  verhältniss- 
mässig  geringe  Varietäten.  In  allen  Klassen  finden  sich 
die  vier  geraden  und  zwei  schiefen  Muskeln 
zu  denen  bei  den  Amphibien  und  vielen  Säugethieren  der 
Zurückzieher  des  Augapfels,  nmscuhis  retractor  oculi^ 
kommt,  der  bei  den  Wiederkäuern  in  vier  einzelne  Mus- 
keln  zerfällt. 

Die  Aug  enli  d  b  il  d  un  g  kommt  bei  den  Fischen 
nur  unvollkommen  zu  Stande,  indem  gewöhnlich  die  äus- 
sere,  durchsichtiger  gewordene  Haut  einfach  das  Auge 
überzieht.  So  ist  es  auch  bei  vielen  Amphibien,  z.  B. 
den  Cöcilien,  Ophidiern  und  Geckos.  Bei  C/ia- 
waeleon  sind  die  Augenlider  zu  einer  kreisrunden  mit 
einem  Querspalt  versehenen  Blendung  verwachsen.  Aber 
schon  bei  den  Fischen,  in  einer  Abtheilung  der  Haie 
(Nictitantes)^  sehr  vielen  Amphibien  (am  vollständigsten 
bei  den  Krokodilen)  und  ganz  allgemein  bei  den  Vögeln 
findet  sich  ein  drittes  Augenlid,  die  Nickhaut,  jiiem- 
brana  nictitans ^  welche  von  dem  vorderen  (inneren)  xAu- 
genw  inkel  aus  durch  einen  eigenthümlichen  Muskelapparat 
über  das  Auge  gezogen  werden  kann.  Sie  schwächt,  da 
sie  ziemlich  dünn  ist,  die  Lichtempfindung  nicht  ganz  ab. 
Mit  ihr  ist  immer  die  Hardersche  Drüse  verbunden. 
Bei  den  Säugethieren    ist  die   Nickhaut   auf  die  ijüca  se- 


78  I-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

mihmaris   reducirt,  die   bei   einigen,   z.  B.  den   Pferden, 
einen  Knorpel  enthält. 

Der  Thränenapparat  fehlt  den  Fischen,  ist 
aher  schon  bei  den  meisten  Amphibien  vorhanden.  Die 
Thränen  der  Schlangen  bleiben  unter  der  von  dem 
äusseren  Hautüberzuge  gebildeten  und  das  Auge  wie  ein 
ührglas  bedeckenden  Kapsel  und  werden  von  hier  aus  in 
den  Thränenkanal  geleitet. 

Das  Auge  der  Fische  ist  an  der  Hinterwand  der 
orblta  befestigt.  Die  sclerotica  der  meisten  Kno  chen- 
fische  nimmt  zwei,  häufig  verknöchernde  Knorpelstrei- 
fen auf,  welche  beim  Stör  zu  einem  Knorpelcylinder 
werden.  Die  cornea  ist  sehr  flach ;  ihre  grössere  Con- 
vexität  Avürde,  bei  der  brechenden  Kraft  des  Wassers, 
dem  deutlichen  Sehen  hinderlich  sein.  Die  äussere  in  die 
Iris  übergehende  Lamelle  der  chorioidea  zeichnet  sich 
durch  ihren  Silberglanz  aus,  auf  der  inneren  Fläche  der 
chorioidea  findet  sich  oft  (z.  B.  bei  den  Plagiostomen) 
ein  silberg-länzendes  tapetum.  Das  corpus  ciliare  haben 
nur  die  Plagiostomen,  und  die  Thunfische.  Durch 
den  Spalt  der  retina  der  Knochenfische  tritt  in  den  Glas- 
körper bis  zur  Linse  der  processus  falciformis,  dessen 
vordere  Anschwellung  die  campamda  Halleri  ist.  Feinere 
histologische  Untersuchungen  haben  gezeigt,  dass  diess 
Organ  nicht  sein  Analogen  im  Kamm  der  Vögel  hat.  Der 
/jrocessMS  besteht  aus  Arterie,  Vene  und  Nerv,  umschlos- 
sen von  einer  bindegewebigen  Scheide,  die  aus  der  Bin- 
degewebs-Membran  der  Chorioidea  stammt.  Die  cam- 
jjamda  ist  musculös. 

Das  Auge  der  Amphibien  nähert  sich  dem  der 
Vögel;  die  Linse  ist  platter  als  bei  den  Fischen,  das 
corpus    ciliare    vorhanden.      Der   bei    vielen    Sauriern 


3.  Kap.    Die  Sinnesorgane.  79 

(Angids,  Lacerta)  vorkommende  Kamm  (pecten,  marstt- 
pium),  als  dessen  Analogon  wohl  auch  der  in  der  Mitte 
der  Retina  befindliche  schwarze  Fleck  bei  den  Kroko- 
dilen anzusehen,  ist  dieselbe  Bildung,  welche  bei  den 
Vögeln  vorkommt. 

Bei  den  Vögeln  wird  die  cornea  von  einem  Kno- 
chenringe umgeben ,  bestehend  aus  einer  unbestimmten 
(12 — 30)  Anzahl  von  Platten.  Ganz  allgemein  ist  nun 
der  Kamm,  ein  dunkler,  fächerförmiger  Körper,  der 
viel  Pigment  und  Gefässe  enthält.  Er  erstreckt  sich  häu- 
fig bis  an  die  Linsenkapsel,  und  gehört  nach  Ursprung 
und  Bau  der  Aderhaut  an.  Genauer  gesagt,  stimmt  er 
mit  den  processus  ciliares  der  chovioidea  überein. 

Die  Modificationen ,  welche  das  Auge  der  Säuge- 
thiere  im  Vergleich  mit  dem  menschlichen  darbietet, 
sind  unbedeutend.  Eine  ganz  enorme  Anschwellung  der 
sclerotica  findet  sich  bei  den  Wallfischen.  Von  der 
iivea  ragen  beiden  Pferden,  vielen  AViederkäuern, 
auch  beim  Monodon  die  sogenannten  Trauben  bis  in  die 
Pupille  herab ,  eine  auch  bei  einigen  Fischen  (Rhiiwbatns) 
vorkommende  Bildung.  Wichtig  sind  die  auf  das  tapetum 
sich  beziehenden  Veränderungen,  eine  eigenthümliche 
Membran  im  Auge  vieler  Säugethiere,  welche  die  Fähig- 
keit hat,  das  Licht  zurückzuwerfen,  und  so  das  schein- 
bare Selbstleuchten  der  Augen  hervorbringt.  Bei  den 
eigentlichen  Pflanzen  fr  essern,  den  Pferden,  Wieder- 
käuern, den  Cetaceen  und  einigen  f leischfressen- 
denBeutelthieren  ist  das  tapetum  faserig ,  besteht 
aus  gewöhnlichem  Bindegewebe  und  zeigt  getrocknet  nicht 
mehr  die  Interferenzerscheinungen,  Dagegen  ist  das  ta- 
petum der  Carnivoren  und  Robben  zellig. 

Wir    sind  nun  genöthigt,    um  über  die   sogenannten 


80  I.  Abschn.     Die  Organe  der  Empfindung. 

zusammengesetzten  Augen  der  Arthrozoen  sprechen  zu 
können,  Einiges  aus  den  neueren  vergleichend  histologi- 
schen Untersuchungen  über  den  Bau  der  Netzhaut  des 
Wirbelthierauges   beizubringen  *). 

Nach  H.  Müller  hat  man  in  der  Retina  der  Wirbel- 
thiere  nicht  Aveniger  als  acht  Schichten  zu  unterscheiden, 
zu  innerst  eine  Begränzungshaut,  zu  äusserst  die  Schichte 
der  Stäbchen  und  Zapfen,  dazwischen  mehrere  Schichten 
von  Körnern,  eine  Nervenzellenschichte  und  die  unter  der 
Begränzungshaut  liegende  Schicht  der  Sehnervenfasern. 
Die  Elemente  der  Stäbchenschicht  sind  mit  den  Körnern 
und  durch  diese  mit  den  Ganglienzellen  und  Nervenfasern 
in  continuirlichem  Zusammenhange  ,  und  dadurch  und  durch 
andre  Gründe  wird  es  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich, 
dass  die  Stäbchen  und  Zapfen  die  wahren  Nervenenden 
sind  und  als  solche  die  Function  der  Lichtempfindung 
haben,  während  die  anderen  Elemente  der  Retina  als 
blosse  Leiter  der  in  der  Stäbchenschicht  hervorgebrach- 
ten Eindrücke  dienen.  Für  diese  Auffassung  spricht  auch 
das  Verhalten  der  Retina  der  Cephalopoden ,  bei  denen 
die  innerste  Schicht  der  Retina  durch  Cylinder  gebildet 
wird ,  die  den  Stäbchen  der  Wirbelthiere  ähnlich  sind. 
Dann  kommt  eine  dichte  Pigmentlage,  durchbohrt  von  den 
fadenförmigen  Fortsätzen  jener  Cylinder.  Der  bei  den 
Wirbeltliieren  allerdings  auffallende  Umstand,  dass  die 
Stäbchenschicht  nach  aussen  liegt ,  wird  aufgewogen  durch 
die  fast  vollkommene  Durchsichtigkeit  der  vorliegenden 
Schichten. 


*)  Dass  wir  uns  in  diesem  elementaren  Werke  einfach  an  H. 
^iüller  und  Leydig  halten  und  eine  Discussion  über  die  dorpater 
Gegenansichten  vermeiden,  wird  man  erklärlich  finden.  Der  Vortrag 
kann  und  soll  ergänzen. 


3.  Kap.     Die  Sinnesorgane.  81 

Die  zusammengesetzten  Augen. 

Viele  Crustaceen  und  fast  alle  Insecten  im 
Imagozustande  besitzen  die  sogenannten  zusammengesetz- 
ten Augen,  deren  Hornhaut  in  der  Regel  in  zierliche, 
scharf  conturirte  Felder  getheilt  ist,  facettirt.  Hinter 
jeder  Hornhautfacette  liegt  eine  Reihe  durchsichtiger  Kör- 
per, die  bis  zur  gangliösen  Ausbreitung  oder  Anschwel- 
lung des  Sehnerven  sich  erstrecken  und  durch  Pigment 
von  ihren  Nachbarn  getrennt  sind.  Die  Entscheidung  über 
die  wahre  Natur  dieser  Augen  hängt  davon  ab,  ob  jene 
durchsichtigen  Körper  blosse  lichtbrechende  und  leitende 
Äledien,  oder  ob  sie  unmittelbare  Ausläufer  des  opticus 
sind.  Lange  Zeit  hat  die  erste  Ansicht  allgemeine  Gel- 
tung gehabt,  nachdem  Job.  Müller*)  eine  höchst  an- 
sprechende Theorie  über  das  Sehen  mit  derartigen  Au- 
gen aufgestellt.  Das  Bild  sollte  dadurch  zu  Stande  kom- 
men, dass  durch  jede  Facette  mit  den  dahinter  liegenden 
Theilen  immer  nur  ein  Punkt  des  Gegenstandes  abgebil- 
det, das  ganze  Bild  also  musivisch  zusammengesetzt 
würde.  Je  mehr  Facetten,  desto  mehr  Punkte  des  Gegen- 
standes könnten  zugleich  zur  Perceplion  gebracht  werden, 
desto  deutlicher  also  das  Sehen.  Man  unterschied  also 
hinter  jeder  Facette  eine  Linse,  welche  mit  ihrem  hinte- 
ren, stumpfen  Ende  von  einem  becherförmigen  Glaskör- 
per aufgenommen  würde,  welcher  letztere  wieder  in  eine 
becherförmige  Ausbreitung  des  vom  Sehganglion  kommen- 
den Nervenfaden  passte.  Zwischen  Hornhaut  und  Lines 
bildet  häufig  das  Pigment  eine  Art  Iris. 

Feinere  anatomische  Untersuchungen  und  physicalisch- 


*)  In  dem   klassischen  Werke:     Zur  vergleichenden  Physiologie 
des  Gesichtssinnes.     Leipzig  1826. 

6 


82  !•  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

theoretische  Bedenken  lassen  jedoch  diese  Auffassung  sehr 
zweifelhaft  erscheinen.  Leydig  hat  es  wahrscheinlich 
gemacht,  dass  die  hinter  jeder  Facette  liegenden  Bildun- 
gen (besehrieben  als  Linse  oder  Krystallkegel ,  Kapsel 
desselben,  Glaskörper),  an  welche  sich  der  Nervenfaden 
ansetzen  sollte,  nur  die  unmittelbaren,  besonders  modi- 
ficirten  Fortsetzungen  des  Nervenfaden  seien.  Die  Ge- 
sammtheit  dieser  Nervenfaden  mit  den  Fortsetzungen  soll 
der  Stäbchenschicht  {stvatum  bacVlorum)  im  Wirbelthier- 
auge,  das  Sehganglion  des  Insectenauges  dagegen  denje- 
nigen Schichten  der  Netzhaut  entsprechen,  welche  aus 
Zellen ,  Körnern  und  Nervenfasern  sich  zusammensetzen. 
Es  würde  demnach  das  facettirte  Insectenauge  so  gut  wie 
das  einfache  Auge  eine  organische  Einheit  vorstellen. 

5.     Gehörorgane. 

Vergleicht  man  die  Ausbreitung  der  Gehörwerkzeuge 
mit  der  der  Gesichtswerkzeuge,  so  prävaliren  letztere 
bei  den  wirbellosen  Thieren.  Das  Gehörorgan  kann  an 
und  für  sich  einfacher  gedacht  werden ;  beim  Auge  ist 
wenigstens  immer  ein  durchsichtiges ,  vor  dem  Nerven 
liegendes  Medium  nöthig ,  die  Schallwellen  hingegen  wer- 
den durch  die  verschiedenartigsten  Körper  hindurch  ge- 
leitet. Und  so  ist  ein  specifisch  für  Schallwahrnehmungen 
empfänglicher  Nerv  denkbar,  ohne  allen  acustischen  Ne- 
benapparat ,  möglicher  Weise  ein  Grund ,  dass  wir  bei 
so  vielen  Thieren  (z.  B.  Spinnen  und  Insecten)  vergeblich 
nach  Gehörorganen  gesucht. 

Die  Physik  lehrt,  dass,  je  verschiedenartiger  an  Dich- 
tigkeit zwei  Körper  sind,  desto  schwieriger  die  Fortlei- 
tung der  Schallwellen  aus  dem  einen  in  den  andern  er- 
folgt,  und  dass  die   Wellen  um   so   schwächer  werden. 


3.  Kap.      Die  Sinnesorgane.  83 

Die  Leitung  erfolgt  also  schwerer  aus  der  Luft  in  die 
Thierkörper,  als  aus  dem  Wasser.  Die  Wasserthiere 
werden  also  im  Allgemeinen  einen  einfacheren  acustischen 
Apparat  nöthig  haben,  als  die  Luftthiere, 

Der  wesentlichste  Theil  am  menschlichen  Ohre  ist 
das  häutige  Labyrinth.  Die  einfachen  Gehörorgane  der 
meisten  niedern  Thiere  sind  als  Analogen  desselben  auf- 
zufassen. 

Gehörorgane  der  Würmer. 

Die  glashellen ,  einen  krystallähnlichen  Körper  ein- 
schliessenden  Bläschen,  die  sich,  gewöhnlich  von  Pigment 
umgeben,  in  der  Nackengegend  mancher  Strudelwür- 
mer finden  (Convolata,  Moiwcells,  Proporus)  ^  sind,  alles 
in  allem  erwogen ,  doch  wohl  als  Gehörorgane  zu  be- 
trachten ,  in  denen  der  innere  bew  egungslose  Körper  dem 
oder  den  Otolithen  der  Mollusken  und  andrer  Thiere 
entspricht. 

Bei  einigen ,  namentlich  zwei  mit  Amjjhicora  ver- 
wandten Borstenwürmern  sind  Gehörbläschen  mit  Otoli- 
then gefunden,  wie  wir  sie  unten  bei  den  Mollusken 
kennen  lernen.  Bei  Amphicora  Sabella  habe  ich  nichts 
dem  Aehnliches  bemerkt.  Aremcola  besitzt  auf  jeder 
Seite  des  Oesophagus  ein  Bläschen  mit  Otolithen. 

Gehörorgane  der  Arthropoden. 
Unter  den  Crustaceen  hat  man  bisher  nur  bei  den 
Decapoden  Organe  gefunden,  w^elche  sich  als  Gehör- 
werkzeuge deuten  lassen.  Es  sind  das  dieselben ,  welche, 
an  und  in  der  Basis  der  inneren  Antennen  gelegen,  bis- 
her für  die  Geruchsorgane  gehalten  Avurden.  Die  Deutung 
ist  nach  einigen  neueren  Befunden  nöthig  geworden,  da 

6* 


84  !•  Absclin.    Die  Organe  der  Empfindnng. 

Leucifer  und  einige  andere  ein  vollständig  geschlossenes 
Bläschen  mit  einem  Otolithen ,  also  das  vollständige  Ana- 
logen des  Gehörorgans  anderer  viirbelloser  Thiere  an  je- 
ner Stelle  besitzen.  Bei  Astacus^  Homarus^  Palinurus, 
Palaemon,  Pagurus  u.  a.  liegt  das  Gehörbläschen  in  der 
unteren  Hälfte  des  Basalstückes  der  inneren  Antennen. 
Statt  eines  Otolithen  enthält  es  einen  Haufen  unregelmäs- 
siger, steiniger  Concremente;  auch  das  Bläschen  ist  un- 
regelmässiger und  communicirt  in  der  Regel  durch  einen 
von  Borsten  umgebenen  Spalt  mit  der  Aussenwelt. 

Obgleich  die  Spinnen  zuhören  scheinen,  sind  den- 
noch weder  bei  ihnen,  noch  bei  den  allermeisten  Insek- 
ten Gehörorgane  nachgewiesen.  Nur  bei  den  Ortho- 
ptern  scheint  das  Vorhandensein  derselben  ausser  Zwei- 
fel. Bei  den  Acridiern  (Gomphoceriis  u.  a.)  bemerkt 
man  oben  und  an  den  Seiten  des  ersten  Hinterleibsringes 
einen  eiförmigen  Ausschnitt,  umgeben  von  einer  hornigen 
Einfassung ,  in  Avelcher  eine  trockne ,  dünne  Membran  als 
Trommelfell  ausgespannt  ist.  An  der  Innenseite  dieser 
Membran  sind  einige  Hornstückchen  befestigt,  in  deren 
eigenthümliche  Vertiefungen  sich  die  letzten  Enden  des 
vom  dritten  Brustganglion  entspringenden  Hörnerven  als 
stabförmige  Elementartheile  einsenken.  Der  Apparat  wird 
von  hinten  eingeschlossen  durch  die  Ausbreitung  einer 
Tracheenblase,  welche  von  dem  im  Hornringe  befindli- 
chen Stigma  entspringt,  und  wodurch  also  ausgezeichnet 
für  die  Resonanz  gesorgt  ist.  Auffallender  noch  ist  die 
Lage  der  Gehörorgane  bei  den  L  ocustide  n  und  Ach  e- 
tiden  in  den  Tibien  des  ersten  Fusspaares ,  z.  B.  bei 
Locusta  viridissima.  Den  Eingang  bilden  bei  ihr  auf  bei- 
den Seiten  der  Tibien  zwei  längliche,  ritzförmige  Oefl- 
nungen;   hinter  jeder  ist  ein  Trommelfell,  und  zwischen 


3.  Kap.    Die  Sinnesorgane.  85 

beiden  Trommelfellen  erweitert  sich  der  Tracheenstamm 
der  Beine  zu  einer  Art  von  Blase.  Da ,  wo  diese  Er- 
Aveiterung  beginnt,  macht  der  aus  dem  ersten  Brustgang- 
lion entspringende  Gehörnerv  eine  Anschwellung,  aus 
welcher  ein  bandförmiger  Fortsatz  an  der  Tracheenblase 
herabläuft.  Die  am  Hinterrande  des  Prothorax  bemerkli- 
chen grossen  Stigmen  sind  die  Mündungen  jener  Haupt- 
tracheenstämme, neben  welchen  sich  die  eigentlichen 
Stigmen  des  Prothorax  befinden. 

Gehörorgane  der  3Iollusken. 

Bei  den  Mollusken  sind  die  Gehörorgane  sehr  ver- 
breitet, aber  in  einer  sehr  einfachen  Form.  Unter  den 
Acephalen  finden  sie  sich  fast  allgemein  bei  denLa- 
mellibranchiaten.  Es  sind  zwei  von  einer  durch- 
sichtigen Haut  gebildete  Bläschen ,  welche  eine  Flüssigkeit 
mit  einem  Otolithen  enthalten  und  unmittelbar  auf  dem 
Fussganglienpaare  aufsitzen  (z.  B.  bei  Cyclas)  oder  durch 
kurze  Gehörnerven  damit  verbunden  sind  (z.  B.  bei  Ano- 
donta,  Unio).  Die  Angabe  über  ähnliche  Gehörbläschen 
der  Tunicaten  bedürfen  einer  näheren  Bestätigung. 

Die  Gehörkapseln  der  Cephalophoren  enthalten 
in  der  Regel  eine  grössere ,  unbestimmte  Anzahl  von  Oto- 
lithen. Einen  haben  die  Heteropoden  und  mehrere 
Nacktkieme r.  Die  zitternde,  schwankende  Bewegung, 
welche  man  an  den  Gehörkrystallen  wahrnimmt,  so  lange 
die  Kapsel  nicht  zerdrückt  ist,  rührt  von  sehr,  feinen 
Wimpern  her,  mit  denen  die  Innenseite  der  Kapsel  be- 
kleidet ist.  Gew  öhnlich  liegen  die  Gehörkapseln  auf  dem 
unteren  Schlundganglienpaare ,  eine  Lage ,  welche  der  bei 
den  Lamellibranchiaten  bemerkten  entspricht;  und  nur  in 
den  Fällen,   bei  vielen  Nacktkiem  ern,   wo  die  unte- 


86  I.    Absclm.        Die  Organe  der  Empfindung. 

ren  Schlundganglien  in  die  Höhe  gerückt  und  mit  den 
oberen  Partieen  verschmolzen  sind ,  haben  auch  die  Kap- 
seln an  dieser  Translocation  Theil  genommen,  unmittel- 
bar dem  Gehirn  aufsitzend  (AeoUs,  Doris  u.  a.).  Auch 
bei  einigen  He terop öden  empfangen  die  Gehörbläschen 
ihre  Nerven  von  der  Gehirnmasse. 

Die  Gehörbläschen  der  Cephalopoden  befinden 
sich  in  zwei  Höhlungen  des  unteren  Theiles  des  Kopf- 
knorpels und  enthalten  nur  einen,  sehr  verschieden  ge- 
stalteten Otolithen.  Der  Hörnerv  verbreitet  sich  auf  dem 
birnförmigen  Bläschen,  das  man  dem  häutigen  Labyrinth 
der  Wirbelthiere  gleichstellen  kann ,  wie  die  Knorpelhöhle 
dem  knöchernen. 

Gehörorgane  der  Wirbelthiere. 

Wir  haben  das  Gehörsäckchen  der  Krebse  und  Ce- 
phalopoden mit  dem  häutigen  Labyrinth  der  Wirbelthiere 
verglichen  5  näher  bezeichnet  w^ürde  es  nur  dem  vestibii- 
lum  membranaceum  entsprechen,  indem  jede  Andeutung 
von  halbzirkelförmigen  Kanälen  fehlt.  Diese  sind  das 
alleinige  Eigenthum  der  Wirbelthiere. 

Das  Gehörorgan  von  Branchiostoma  ist  unbekannt. 
Bei  allen  übrigen  Fischen  beschränkt  es  sich  auf  die 
canales  semicirculares  mit  dem  vestibuhim^  jedoch  finden 
bedeutende  Unterschiede  statt.  Das,  wie  bei  den  Pe- 
tromyzonten,  in  einer  eigenen  Gehörkapsel  liegende 
häutige  Labyrinth  der  Myxinoiden  ist  ein  einziger  in 
sich  zurücklaufender  Kanal  mit  einer  dem  vestibuhim 
gleichwerthigen  Anschwellung.  Bei  Petromyzon  und  Am- 
mocoetes  besteht  das  häutige  Labyrinth  aus  dem  durch 
eine  Furche  in  zwei  symmetrische  Hälften  zerlegten  ve- 
stibuhim   mit    einem    zwischen    den  Ampullen  gelegenen 


3.  Kap.     Die  Sinnesorgane.  87 

sackförmigen  An  hange  und  zwei  halbzirkel  för- 
migen Kanälen,  die  mit  dem  vestiöulum  verwachsen 
sind,  an  der  inneren  Wand  der  Knorpelkapsel  sich  knie- 
förmig  verbinden  und  an  dieser  Stelle ,  so  wie  durch  ihre 
fast  dreitheiligen  Ampullen  mit  dem  Vorhofe  communici- 
ren.  Alle  übrigen  Fische  besitzen ,  wie  die  Amphibien, 
Vögel  und    Säugethiere ,    drei  halbzirkelförmige  Kanäle. 

Bei  den  Plagiostomen  ist  das  häutige  Labyrinth, 
canales  semicivmdares  nebst  vestlbulum  und  dem  sackför- 
migen Anhange  desselben  ganz  in  den  knorpeligen  Schädel 
versenkt.  Durch  eine  kanalartige  Verlängerung  der  knor- 
peligen Bedeckungen  (Haie)  des  Vorhofes,  oder  auch 
zugleich  des  vestlbulum  membranaccnm  selbst  setzt  sich 
das  Labyrinth  mit  der  Aussenwelt  in  Verbindung ;  die 
beiden  Kanäle  münden  durch  einige  sehr  kleine  Oeifnun- 
gen  in  eine  auf  dem  Hintertheil  des  Schädels  befindliche 
und  von  der  äusseren  Haut  überzogene  Grube.  Bei  den 
Knochenfischen,  denen  sich  Chimären  und  Störe 
anschliessen ,  liegt  das  häutige  Labyrinth  theils  in  der 
Schädelhöhle,  theils  in  den  Schädelwandungen.  SoAvohl 
im  vestlbulum  j  als  in  den  beiden  Abtheilungen  des  mit 
dem  vestlbulum  verbundenen  Säckchens,  Saccus  vestibuU, 
befinden  sich  Otolithen,  die  wieder  von  einer  feinen  Mem- 
bran umgeben  und  durch  dieselbe  an  die  Labyrinthwände 
befestigt  sind. 

Sehr  merkwürdig  ist  die  Verbindung,  welche  bei 
verschiedenen  Fischen  zwischen  der  Schwimmblase  und 
dem  Gehörorgane  besteht.  So  findet  sich  bei  den  Silu- 
roiden  mit  Schwimmblase,  den  Cyprinoiden  und 
Characinen  unter  den  vorderen  Wirbeln  eine  Reihe 
von  drei  Knöchelchen,  deren  vorderstes  an  hintere  Ver- 
längerungen und  Ausbuchtungen  des  häutigen  Labyrinthes 


88  !•  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

stösst,  während  das  hintere  bis  zur  Schwimmblase  reicht. 
Bei  Clupea,  Engraulis  und  Notopterus  verlängert  sich  die 
Schwimmblase  in  einen ,  nicht  mit  dem  Schlundgange  zu 
verwechselnden  Kanal,  der  sich  wieder  theilt.  Jeder 
dieser  Aeste  geht  in  zwei  blasenartige  Erweiterungen 
über,  deren  eine  mit  dem  Labyrinth  zusammenstösst. 
Aehnlich  verhält  es  sich  bei  mehreren  P  er  coiden,  z.B. 
Holocentrum,  Myripristis^  wo  eine  Verlängerung  der 
Schwimmblase  bis  in  die  Nähe  des  Labyrinthes  geht, 
von  dieser  aber  durch  eine  Schädelmembran  getrennt 
bleibt.  Ueber  die  Bedeutung  dieser  Verbindungen  las- 
sen sich  nur  Vermuthungen  aufstellen;  vielleicht  dient 
die  Schwimmblase   hier  als  Resonator. 

Das  Gehörorgan  der  Amphibien  bietet  grosse  Ver- 
schiedenheiten dar,  namentlich  gehen,  wie  in  vielen  an- 
deren anatomischen  Verhältnissen,  so  auch  hier  die  nack- 
ten und  die  beschuppten  Amphibien  aus  einander, 
indem  erstere  den  Fischen ,  letztere  den  Vögeln  sich  an- 
schliessen.  Demnach  fehlt  den  nackten  Amphibien 
durchweg  die  Schnecke  ;  die  meisten  derselben ,  nämlich 
Cöcilien,  Derotreten,  Salamandrinen  und  von 
den  Fröschen  die  Bombinatoren  (Unke)  sind  auch  ohne 
Trommelhöhle.  Die  Verbindung  des  Vorhofs,  die  fenestra 
ovalis  wird  gewöhnlich  nur  durch  ein  knorpeliges  Deckel- 
chen geschlossen ,  und  dieses  noch  von  Muskeln  und  Haut 
überzogen.  Die  Bombinatoren  ausgenommen  findet  sich 
bei  den  ungeschwänzten  Batrachiern  eine  Pau- 
kenhöhle mit  drei ,  die  fenestra  ovalis  mit  dem  hinter  dem 
OS  quadraUim  auf  einem  Knorpelringe  ausgespannten, 
meist  ganz  frei  liegenden  Trommelfelle  verbindenden  Ge- 
hörknöchelchen. Von  diesen  sind  jedoch  das  innere,  der 
Deckel  der  fenestra  ovalis ,  und  das  äussere  mehr  knorpe- 


3.  Kap.     Die  Sinnesorgane.  89 

lig;  sie  entsprechen  dem  Hammer,  Ambos  und  Steigbügel. 
Der  dritte ,  am  meisten  ausgebildete ,  wird  der  Hauptkno- 
chen auch  bei  den  beschuppten  Amphibien  und 
Vögeln  und  heisst  dann  das  Säulchen,  columella. 
Die  tiibae  Eiistachil  münden  in  der  Regel  (Rana^  Hyla^ 
Bufo)  gesondert  in  den  Rachen;  nur  in  der  Familie  der 
zungenlosen  Pipae  findet  sich  eine  gemeinsame  Oeffnung 
der  ausnahmsweise  langen  Tuben  mitten  im  Rachen.  Bei 
diesen  ist  das  Trommelfell  selbst  in  einen  knorpeligen 
Deckel  verwandelt. 

Von  den  beschuppten  Amphibien  fehlt  den  Schlan- 
gen die  Trommelböhle;  die  lange  columella  der  Gross- 
raäuler  steckt  in  den  Muskeln ,  bei  den  Engmäulern 
ist  die  columella  klein  oder  verschwindet  ganz.  Alle  b  e- 
schuppten  Amphibien  besitzen  eine  durch  eine  fe- 
nestra  rotunda  mit  der  Trommelhöhle  in  Verbindung  ste- 
hende Schnecke,  obschon  diese  bei  den  Cheloniern 
noch  sehr  einfach  ist,  sackförmig,  ohne  Abtheilungen. 
Am  meisten  ausgebildet  und  von  der  der  Vögel  kaum 
zu  unterscheiden  ist  die  Schnecke  der  Krokodile,  avo 
sie  von  länglicher  Gestalt  ist,  etwas  gekrümmt  und  am 
Ende  erweitert.  Sie  enthält  einen  Knorpelring,  zwischen 
w^elchem  eine  zarte ,  der  lamina  spiralis  zu  vergleichende 
und  die  Verzweigungen  des  n.  cochlearis  enthaltende 
Membran  ausgespannt  ist ,  bedeckt  von  einer  zweiten  fal- 
tigen und  gefässreichen  Haut.  Dadurch  wird  die  Schnecke 
in  zwei  der  scala  iympani  und  s.  vestibuli  entsprechende 
Abtheilungen  getheilt.  Indem  die  Schenkel  des  Knorpel- 
ringes in  dem  freien  Ende  der  Schnecke  sich  umbiegen 
und  in  eine  feste  Membran  übergehen,  bilden  sie  die 
sogenannte  Flasche,  lageiia,  worin  ebenfalls  die  Vögel 
vollkommen  mit  den  Krokodilen  übereinstimmen. 


90  '•  Absclin.    Die  Organe  der  Empfindung. 

Das  Ohr  der  Säugethiereistin  allen  inneren  Thei- 
len  dem  des  Menschen  höchst  ähnlich;  nur  die  Schnecke 
von  Echidna  und  Ornithorhynchus  erinnert  noch  einmal 
an  die  der  Vögel. 


Anhang. 


Die  sogenannten  Schleimcanäle  der  Fische. 

Nach  der  früheren  Ansicht  von  Sa  vi  und  Jacobson 
und  den  neueren  Untersuchungen  vorzüglich  von  L  e  y  d  i  g 
und  H.  Müller  sind  in  den  sogenannten  Schleimcanälen 
der  Fische  eigenthümliche ,  vor  der  Hand  nicht  näher  zu 
bestimmende  Sinnesorgane  enthalten.  Drüsen,  welche 
den  Schleim  absondern  könnten,  finden  sich  gar  nicht 
darin ,  vielmehr  bildet  nach  L.  die  weich  bleibende  Ober- 
haut selbst  den  Schleim.  Man  kann  die  Organe  mit  den 
Ausbreitungen  der  Gehörnerven  auf  den  Ampullen  der 
halbzirkelförmigen  Kanäle  vergleichen.  Analoge  Organe 
an  der  unteren  und  vorderen  Seite  des  Zitterrochens  sind 
ganz  geschlossen ,  so  dass  hier  die  Deutung  auf  ein 
schleimergiessendes  Organ  ganz  wegfällt.  Die  Nerven 
stammen  grösstentheils  vom  trigeminus^  weniger  vom  vagus 
und  von  Spinalnerven, 


Die   Litteratur   über  die   Sinnesorgane   ist  sehr  zer- 
streut.    Wir  beschränken  uns ,  nur  einige  der  wichtigeren 


3.   Kap.    Die  Sinnesorgane.  91 

Arbeiten  über  die  Geruchs-,  Gesichts-  und  Gehörorgane 
anzuführen : 

Quatrefages,  Memoire  stir  les  organes  des  sens  des  Annelides. 
Ann.  d.  sc.  nat.  1850.     T.  13. 

H.  Erichs on,  De  vsu  et  fahrica  antennarum  in  insectis.  Ber- 
lin, 1847. 

H.  Burmeister,  Beobachtungen  über  den  feineren  Bau  des  Füh- 
lerfächers der  Lamellicornien,  als  eines  niuthmassliclien  Ge- 
ruchswerkzeuges; in  der  Zeitung  für  Zoologie  von  D'Alton 
und  Burmeister.    Bd.  I.  Nr.  7.    1848. 

A.  Kölliker,  Geruchsorgane  der  Cephalopoden.  Fror.  Not.  1843. 
Bd.  26. 

Gegenbaur,  Ueber  die  Randkorper  der  Medusen.  Müll.  Arch. 
1856. 

Joh.  Müller,  Zur  vergleichenden  Physiologie  des  Gesichtssinnes. 
Leipzig,  1826. 

Fr.  Will,  Beiträge  zur  Anatomie  der  zusammengesetzten  Augen  mit 
faceltirter  Hornhaut.     Erlangen  und  Leipzig,  1840. 

Fr.  Will,  Ueber  die  Augen  der  Bivalven  und  Ascidien.  Fror. 
Not.  1844.    Bd.  29.    S.  81. 

A.  Krohn,  Beitrag  zur  näheren  Kenntniss  des  Auges  der  Cephalo- 
poden. N.  Acta  N.  Cur.  Vol.  XVII.  P.  1.  1835.  S.  337. 
Darüber  auch  Vol.  XIX.  1842.  P.  2.     S.  41. 

Aem.  Huschke,  Commentatio  de  pectinis  in  oculo  avium  potestate 
anaiomica  et  physiologica.    Jenae,  1827. 

W.  Soemm  erring,  De  ocnlornm  hominis  animalinmque  seciione 
horizontali.     Goetting. ,  1818. 

H.  3Iüller,  Anat.-phys.  Untersuchungen  über  die  Retina  bei  Men- 
schen und  Wirbelthieren.     Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  VIIL  1856. 

Leuckart,  Ueber  die  Gehorwerkzeuge  der  Krebse.  Wiegm.  Arch. 
f.  Nat.  XIX.  1. 

Th.  V.  Siebold,  Ueber  das  Stimm-  und  Gehörorgan  der  Orthopte- 
ren.   Wiegm.  Arch.  Bd.  10.  1844.     S.  52. 

Derselbe,  Ueber  das  Gehörorgan  der  Mollusken.  Wiegm.  Arch. 
Bd.  7.    1841. 


92  I-  Abschn.    Die  Organe  der  Empfindung. 

Joh.  Müller,  lieber  den  eigenthümlichen  Bau  des  Gehörorgans  bei 

den    Cyclostomen.     Abb.   der   Berl.  Acad.   a.   d.    Jahre   1836. 

Berlin,  1838.     (Fortsetzung  der  vergl.  Anat.  der  3Iyxinoiden.) 
H.  Windischmann,    De  peniiiore  miris  in   ampJiibiis   structura. 

Lips.  1831. 
G.  Brechet,  Recherches  anatomiques  et  physiologiques  sur  l'organe 

de  Vaudiüon  chez  les  oiseaux.     Paris,  1836. 
Hyrtl,  Vergleichende   anatomische  Untersuchungen  über  das  innere 

Gehörorgan  des  Menschen  und  der  Säugethiere.     Prag,  1845. 


Zweiler  Abschnitt. 
Die  Organe  der  BewegTiiig, 


Erstes  Kapitel. 

Die  äuisisereii  Bedeckungen  und  da^ 
Haut^kelet. 

1.     Die   äusseren   Bedeckungen   und    das  Haut- 
skelet  der  Strahlt  liiere. 

Die  Bedeckungen  der  Polypen  zeigen  grosse  Man- 
nich faltigkeit,  jenachdem  die  Hautschichten ,  deren  man 
in  der  Regel  zwei  zählt,  weich  bleiben  (Actinia,  Echvard- 
sia)y  oder  verhornen  und  durch  Aufnahme  anorganischer 
Bestandtheile  erhärten.  Der  auf  diese  AVeise  entstehende 
Polypenstock  (Polyparium)  ist  nicht  als  Excret  an- 
zusehen, etwa  wie  das  Schneckengehäuse  von  den  Man- 
teldrüsen ausgeschieden  wird,  sondern  entsteht  durch  eine 
Verhornung  oder  Verkalkung  der  Körperhüllen  selbst, 
indem  entweder  der  Kalk  in  mehr  oder  minder  regelmäs- 
sigen krystallinischen  Formen  zwischen  den  Hautschichten 
sich  ablagert,  in  welchem  Falle  das  Polyparium  gewöhn- 
lich   eine    lederartige    oder    korkige   Beschaffenheit    hat 


94  H«  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

(^ Alcyonium ,  Lobularia^  Veretillum ,  Pennatida) ,  oder  in- 
dem sich  kleine  Kalkmoleküle,  und  dann  gewöhnlicli  in 
grösseren  Massen,  inniger  mit  der  organischen  Grundlage 
vermengen.  So  ist  es  bei  den  sogenannten  Stamm-  oder 
Kerngerüsten,  welche  von  mehreren  der  genannten  Gat- 
tungen (  Veretillum ,  Pemmtala)  und  anderen  (den  C  o  - 
rallinen)  nach  innen  abgesondert  werden.  Oder  endlich 
ist  der  Kalk  chemisch  an  die  Integumente  gebunden ,  wie 
bei  den  Funginen,  Madreporinen  u.  a. ,  bei  wel- 
chen Familien  man  mit  Unrecht  von  einem  Kerngerüste 
spricht,  indem  bei  einer  Fungia  nur  der  untere  Theil  der 
Körperwandungen  und  der  Septa  der  Leibeshöhle  verkalkt, 
während  bei  den  Madreporinen  die  Verkalkung  der  Kör- 
perwandungen ausgedehnter  ist. 

Unter  den  Acalephen  sind  hinsichtlich  ihrer  Haut- 
bedeckung die  Hydroiden  am  besten  giökannt.  Auch 
bei  ihnen  unterscheidet  man  eine  obere  feinere  und  eine 
untere  dickere  Schicht,  welche  letztere  sich  bei  mehre- 
ren der  polypenartigen  Larvenformen  (Tnbularia,  Cam- 
panulavia  u.  a.^  zu  hornigen ,  vielleicht  immer  chitinhal- 
tigen  Röhren  und  Zellen  verdickt,  auch  zum  Aufbau  des 
hornigen,  kohlensauren  Kalk  enthaltenden  Stockes  ver- 
wendet wird.  Bei  den  übrigen  Quallen  lässt  sich  nur 
eine  einzige  sehr  zarte,  structurlose  Hautschicht  nach- 
weisen. Die  unter  ihr  liegenden  Pigmente  sind  in  Zellen 
eingeschlossen. 

In  der  Hautbedeckung  der  Cölenteraten  finden  sich 
sehr  allgemein  die  sogenannten  Nessel-,  Gift-  und 
Angelorgane.  Sie  bestehen  gewöhnlich  aus  einem 
elliptischen ,  mit  einer  klaren  Feuchtigkeit  erfüllten  Bläs- 
chen, aus  welchem  ein  im  Zustande  der  Ruhe  spiralig 
eingerollter  Faden    emittirt    werden    kann.     Bei    unsrer 


1.  Kap.    Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelet.        95 

Hydra  ist  das  Bläschen  flaschenförmig  und  trägt  an  sei- 
nem oberen  Ende  drei  nach  unten  gerichtete  Haken ,  wel- 
che eingestülpt  werden  können.  Verschieden  von  diesen 
Bildungen  sind  die  Haft  Organe,  derbhäutige,  eine  starre 
Borste  tragende  Kapseln ,  die  namentlich  an  den  Fangar- 
men vorkommen. 

Sehr  complicirt  sind  die  Fangapparate  der  Siphono- 
phoren ,  die  gewöhnlich  an  der  Wurzel  der  Magenanhänge 
(Polypenindividuen)  stehen.  An  einem  solchen  Fangfa- 
den sind  in  regelmässigen  Abständen  Nesselknöpfe  be- 
festigt, welche  auf  einem  Stiel  sitzen  und  in  einen  End- 
faden übergehen.  Ausserdem  besitzen  sie  einfachere 
Fangfäden  neben  den  Tastern. 

Echinodermen.  Bei  den  Crinoiden  ist  die 
Bauchseite  weich,  die  Rückenseite  verkalkt,  und  das  aus 
Scheiben  oder  kurzen ,  durch  eine  sehnige ,  elastische  In- 
terarticularsubstanz  verbundenen  Cylindern  zusammenge- 
setzte Skelet  setzt  sich  in  die  Arme,  Pinnulae  und  Cir- 
rhen  fort.  Auch  der  Stiel  von  Pentacrinus  und  den  jungen 
Comatuln  ist  gleicherweise  gegliedert.  Bei  denEchi- 
noiden  haben  sich  die  einzelnen,  ein  netzförmiges  Ge- 
füge zeigenden  Kalkplatten  zu  einer  unbeweglichen  Schale 
zusammengelegt.  Die  Platten  sind  in  regelmässigen  Rei- 
hen geordnet  und  bilden,  abwechselnd  mit  den  Interam- 
bulacralfeldern ,  die  Ambulacralfelder ,  indem  sie,  zur 
Verbindung  der  äusseren  Füsschen  mit  den  inneren  Am- 
bulacralbläschen ,  durchlöchert  sind.  Von  der  Mundöff- 
nung der  eigentlichen  E c h i n e n  und  der  Clypeastriden 
ragen  Kalkfortsätze  in  den  Körper  hinein,  welche  Muskeln 
und  Bändern  der  Kauwerkzeuge  zum  Ansatz  dienen. 

Bei  den  Echinoiden  und  Ophiuren  liegt  den 
Schildern    und  Platten,    wenn   auch   in   geringer  Menge, 


96  II-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

eine  organische  Materie  zu  Grunde,  die  man,  nach  Ent- 
fernung des  Kalkes  durch  Säuren,  als  ein  zartes  Gitter- 
werk darstellen  kann.  In  der ,  hauptsächlich  aus  einer 
beträchtlichen,  elastischen  Faserschicht,  unter  einer  dün- 
nen Zellenlage,  bestehenden  Hautbedeckung  der  Aste- 
rien  finden  sich  bedeutende  Kalkmengen  abgelagert  in 
Form  unregelmässiger  Balken  und  Netze.  Hiermit  werden 
wir  zu  den  Holothur]ien  geführt ,  in  deren  lederarti- 
ger Cutis  der  Kalk  zwar  in  geringeren  Mengen,  aber 
unter  den  mannichfaltigsten  und  sonderbarsten  Formen 
vorkommt,  theils  als  irreguläre,  durchbohrte  Scheiben, 
als  Stäbchen  und  Körner,  theils  als  regelmässige,  oft  an 
die  Schneekrystalle  erinnernde  ebene  oder  pyramidale 
Kalkgestelle  und  Säulenplatten.  Höchst  eigenthümlich 
sind  in  der  Familie  der  Synaptinen  die  sogenannten 
Anker.  Ein  solcher  besteht  aus  einem  zweispitzigen  Bo- 
gen ,  der  vermittelst  eines  Stieles  an  eine  mehr  oder 
minder  regelmässig  durchlöcherte  Kalkplatte  angefügt  ist. 
Die  Anker  ragen  aus  der  Haut  hervor  und  dienen  wahr- 
scheinlich als  Haftorgane. 

Von  den  vielfachen,  dem  Hautskelet  angehörigen  An- 
hängen der  Echinoiden  und  Asteriden  thun  wir,  als  der 
merkwürdigsten,  nur  der  Pe  dicellar  ien  Erwähnung. 
Es  sind  über  den  ganzen  Körper  verbreitete  Greifappa- 
rate, bestehend  aus  einem  Stiele  mit  oben  eingelenkten 
zangenartigen  Armen.  Indem  die  Pedicellarien  die  er- 
griffene Nahrung  einander  zureichen ,  gelangt  diese  von 
den  entferntesten  Körpertheilen  nach  dem  Munde. 

Ein  ähnlicher  Effect,  wie  durch  die  Pedicellarien, 
scheint  bei  manchen  Echinen  (Eck.  saxatilis  und  pulchel- 
Ins)  und  den  Spatangodien  durch  Wimperung  erzielt  zu 
werden.     Bei  den  Echinen  kennt  man  die  Wimperung  an 


1.  Kap.     Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelet.       97 

dem  Hautüberzug  der  Stacheln,  bei  den  Spatangoiden 
aber  bilden  die  Wimpern  lange  Säume,  die  sogenannten 
semitae. 

Für  alle  Echinodermen  gilt,  dass  ihre  Skelettheile 
von  weicher  Haut  überzogen  sein  können.  Und  dadurch 
werden  wir  veranlasst,  nach  der  Bedeutung  der  wirbel- 
artigen Platten  zu  fragen ,  welche  in  den  Armen  der  Aste- 
roiden liegen  und  gewöhnlich  für  eine  Art  von  innerem 
Skelet  gehalten  worden  sind.  Es  lässt  sich  jedoch  aus 
der  Lage  der  Ampullen ,  durch  welche  die  Füsschen  der 
Asterien  und  Echiniden  gefüllt  werden ,  annehmen ,  dass 
jene  Knochenstücke  in  den  Armen  der  Asterien  den  Am- 
bulacralplatten  der  Echiniden  entsprechen.  Man  kann, 
mit  Joh.  Müller,  die  Erklärung  geben,  dass  diese  Ske- 
letplatten  bei  den  Asterien  Fortsätze  entwickelt  haben, 
welche  unter  dem  Nervenstrang  und  Wassergefäss  zu- 
sammenstossen ,  während  bei  den  Echinoiden  beide  Or- 
gane durch  eine  entgegengesetzte  Entwicklung  der  Plat- 
ten eine  entgegengesetzte  Lage  im  Verhältniss  zu  diesen 
Skelettheilen  haben. 

Am  vorderen  Ende  der  Ambulacra  von  Cidaris  kom- 
men beide  Bildungsweisen  zusammen  vor,  indem  die  Am- 
bulacralplatten  an  der  inneren  Seite  der  Porenreihen 
Fortsätze  senkrecht  nach  innen  schicken,  welche  die 
Stämme  der  Ambulacralgebilde ,  Nerv  und  Wassergefäss, 
zwischen  sich  nehmen.  Nur  scheinbar  ist  die  Analogie 
mit  den  sogenannten  Auriceln,  welche  bei  Cidaris  von 
den  Interambulacralplatten  ausgehen. 

Während  bei  den  Asterien  die  beiden  Stücken  der 
wirbelähnlichen  Platten  gegen  einander  bewegt  werden 
können,  sind  sie  bei  den  Ophiuren  fest  verwachsen. 
Sie  füllen  hier  die  Arme  fast  ganz  aus ,  haben  aber  doch 

7 


98  !'•  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

dieselbe  ventrale  Lage,  wie  bei  den  Asterien.  Vom 
Bauche  her  werden  sie  noch  durch  ein  knöchernes  Schild 
gedeckt.  Die  horizontale  Adduction  und  Abduction  der 
Arme  ist  den  Ophiuren  eigenthümlich. 

2.     Die  äusseren   Bedeckungen  und   das  Haut- 
skelet  der  Würmer. 

Infusorien.  So  sehr  man  noch  vor  w^enigen  Jah- 
ren von  verschiedenen  Seiten  geneigt  Avar  die  Infusorien 
ohne  Ausnahme  mit  der  Zelle  zu  parallelisiren,  so  wenig 
möchte  man  nach  den  neuesten  Erfahrungen  geneigt  sein, 
diese  weniger  bewiesenen  als  hypothetischen  Behauptungen 
aufrecht  zu  erhalten.  Von  den  Enterodelen  wenig- 
stens kann  als  einzelligen  Thieren  nicht  mehr  die  Rede 
sein,  ihre  Hautmembran  also  auch  nicht  mit  der  Zell- 
membran verglichen  werden ,  was  w  ir  auch  nie  gethan 
haben.  Bei  einigen  von  ihnen  (Loxodes  bursaria  und 
Paramaecium  aurelia)  hat  sich  zwar  durch  Alkohol  eine 
zarte,  homogene,  den  Körper  gleichmässig  umgebende 
Membran  darstellen  lassen,  allein  dieses,  cuticula  zu 
nennende  Gebilde  ist  für  die  Zellennatur  der  Infusorien 
durchaus  nicht  entscheidend ,  da  auch  bei  vielen  anderen 
wirbellosen  Thieren  (man  vergl.  die  Zusammenstellung  in 
Frey's  unten  cit.  Arbeit)  sich  eine  ganz  ähnliche  Mem- 
bran von  den  übrigen  Körperhüllen  abheben  lässt.  Dazu 
kommt,  dass  bei  mehreren  Arten  (Bursaria  leitcas  und 
vernalis,  Paramaecium  aurelia,  caudatum,  Nassida  elegans, 
Ophryoglena  u.  a.)  dieselben  Hautgebilde  beobachtet 
sind,  welche  unter  dem  Namen  der  stab förmigen 
Körperchen  bei  den  Turbellarien  allgemein  bekannt  ge- 
worden sind.  Wenn  wir  von  den  Turbellarien  auf  die 
Infusorien  schliessen   dürfen,    so   werden  sich  auch  bei 


1.  Kap.    Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelet.         99 

letzteren  die  stabförmigen  Körperchen  in  eigenthümlichen 
Zellen  entwickeln.  So  wenig  man  die  mit  den  stabför- 
migen Körperchen  durchwirkte  Hautbedeckung  der  Tur- 
bellarien  der  Zellmembran  gleichstellen  kann,  ebensowe- 
nig ist  diess  bei  den  Infusorien  statthaft. 

Die  verschiedenen  wimperartigen  Anhänge  hat  die 
Zoologie  zu  beschreiben. 

Die  oberste  Hautschicht  der  Strudelwürmer  ist 
ein  Flimmerepithelium  ]  zwischen  den  feinen  Flimmern 
finden  sich  bei  einigen  Dendrocölen  und  Rhabdocölen 
( Eolidiceros  t  Macrostomum,  Dinophilus  u.  a.)  borstenar- 
tige Haare.  Derartige  Nesselorgane,  wie  sie  bei  den 
Polypen  und  Quallen  so  allgemein  vorkommen,  scheinen 
ziemlich  verbreitet  zu  sein.  Sie  sind  am  leichtesten  bei 
Microstomiim  lineare  zu  beobachten,  wo  sie  sich  in  Nichts 
von  denen  der  Hydra  unterscheiden.  Auch  die  sehr  all- 
gemein vorkommenden  stabförmigen  Körperchen 
sind  wohl  am  richtigsten  als  Nessel-  oder  Giftorgane  zu 
betrachten.  Bei  den  Infusorien  hat  sich  diese  Bedeutung 
wenigstens  durch  die  Emission  eines  Nesselfadens  aus 
dem  Stäbchen  als  unzweifelhaft  erwiesen. 

Die  aus  einer  oder  zwei,  als  epidermis  und  corium 
zu  benennenden  Schichten  bestehenden  Hautbedeckungen 
der  Helminthen  erstarren  nie  zu  einem  Hautskelet. 
Jedoch  finden  sich  bei  den  Cestoden,  sowohl  ihren 
Ammen -Formen,  den  sogenannten  Blasenwürmern  als 
bei  den^  geschlechtsreifen  im  Körperparenchym  scheiben- 
förmige ,  elliptische  oder  auch  ganz  unregelmässige  Kalk- 
körperchen  ,  welche  sich  mit  den  Kalkgebilden  der  Alcyo- 
nien  vergleichen  lassen  und  demnach  als  eine  Analogie 
eines  Hautskeletes  anzusehen  sein  dürften. 


100  ^I-  Absclin.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Unter  den  Ringel würmern  zeichnet  sich  die  Ord- 
nung der  Borsten  Würmer  durch  ihre  vielgestaltigen 
weichen  und  harten  Hautanhänge  aus ,  welche  als  Fühl- 
und  Gliedfäden,  Haare,  Borsten,  Haken  und  Schuppen 
für  die  zoologische  Systematik  wichtig  werden.  Zur  Bil- 
dung eines  eigentlichen  dem  Körper  verwachsenen  Haut- 
skelets  kommt  es  nicht;  eine  ganze  Abtheilung,  die 
Röhrenwürmer,  ersetzen  jedoch  dasselbe  durch  den 
Bau  von  kalkigen,  lederartigen  oder  aus  Sand  u.  dergl. 
zusammengeleimten  Röhren^  mit  denen  sie  aber  nie  or- 
ganisch verbunden  bleiben. 

In  der  Hautbedeckung  vieler  Würmer,  namentlich 
Ringel  Würmer  ist  das  Chitin  nachgewiesen,  welches 
man  früher  für  das  alleinige  Eigenthum  der  Arthropo- 
den hielt. 

^.     Das  Hautskelet  der  Arthrozoen. 

Schema  des  Hautskeletes  der  Arthrozoen. 
Die  chitinisirten ,  mitunter  durch  Aufnahme  von  phos- 
phorsaurem und  kohlensaurem  Kalk  verdickten  Hautbe- 
deckungen der  Arthrozoen  werden  durch  einzelne  Ringe 
oder  Segmente  und  deren  Anhänge  gebildet,  welche  voll- 
ständig aus  folgenden  Theilen  bestehen : 

1)  die  Rückenplatte  (nohim,  tergitm,  tergite*)^ 

2)  die  Baucbplatte  (sternum,  sternlte)^ 

3 — 4)  die   Rücken-Seitenplatten   (epimera ,  epi- 
merites)y 


*)  Milne-E  dvvards  hat  für  die  Skelettheile  der  Arthrozoen 
eine  neue,  allerdings  consequente,  aber  für  die  deutsche  Ausdrucks- 
weise zu  unbequeme  Nomenclalur  geschaffen,  aus  der  wir  nur  Bei- 
spiels halber  einige  Benennungen  aufgeführt  haben. 


1.  Kap.    Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelet.       101 

5 — 6)  die  Bauch -Seitenplatten  {(epistema,   epl- 

sternites), 
7 — 8)  die  Rückenanhänge  (tergorhabtides)^ 
9 — 10)  die  Bauchanhänge  (sternorhabdites). 
Der    Entwicklung    der    Segmente   ist   aber    der    grösste 
Spielraum  gegeben ,    indem  sowohl  die    Anhänge  sich  in 
verschiedenartigster   Weise   und  zu  sehr  mannichfaltigen 
Zwecken  entfalten   oder  ganz   fehlen ,   als  auch  die  Seg- 
mentplatten selbst  einzeln  oder  paarweise  atrophiren  oder 
auffallend  gestaltet  werden  können. 

Gegensätzlich  zu  den  Ringelwürmern  gruppiren  sich 
die  Segmente  der  Arthrozoen  zu  besonderen ,  in  der  Regel 
deutlich  geschiedenen  und  durch  die  Art  der  Anhänge 
characterisirten  Körperabschnitten.     Diese   sind: 

der  Vorder  köpf,  gebildet, durch  die  Segmente  der 
vorderen  Antennen  und  der  zusammengesetzten  Augen, 
welche  letztere  in  die  Reihe  der  Anhänge  oder  Glied- 
massen eintreten.  Das  beweisen  unter  andern  die  geglie- 
derten Augenstiele  der  Decapoden.  Die  Gränze  zwischen 
Vorder-  und  Hinterkopf  ist  die  Mundöffnung  und  die  Ober- 
lippe, welche,  wie  die  Entwicklungsgeschichte  lehrt,  kein 
Anhang  ist. 

derHinterkopf,  dessen  Zusammensetzung  aus  ein- 
zelnen Segmenten  fast  nur  durch  die  Anhänge,  nämlich  die 
hinteren  Antennen,  die  Oberkiefer  und  zwei  Paar  Unter- 
kiefer*) verrathen  wird; 

die  Brust,  wird  ausnahmslos  durch  drei  Segmente 
gebildet ; 

der  Leib  (abdomen)  mit  sehr  wechselnder  Zahl  der 
Segmente  ; 

*)  Zaddach  zieht  die  beiden  Maxillenpaare  zu  den  Brustglied- 
massen, es  ist  mir  jedoch  unklar  geblieben,  warum. 


102  II-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

der  Hinterleib  (postabdomen) ,  der  ausgebildet 
ist  nur  bei  einigen  Ordnungen  der  Arachniden  und  dem 
grösstenTheile  der  Crustaceen. 

Die  morphologische  Identität  aller  der  Anhänge, 
welche  die  beschreibende  Zoologie  als  Antennen ,  Augen, 
Fresswerkzeuge ,  Beine,  Afterfüsse,  Haftorgane,  Hülfs- 
begattungswerkzeuge ,  Afterspitzen  etc.  aufführt,  wird 
theils  durch  die  Entwicklungsgeschichte ,  theils  durch  die 
Vergleichung  der  fertigen  Organe  bewiesen.  So  geben 
z.  B.  die  Larven  der  Cyclopiden  einen  sehr  interessanten 
Beweis  für  die  morphologische  Gleichheit  der  Antennen, 
Kiefern  und  Füsse.  Sie  besitzen  drei  Paar  Bewegungs- 
organe. Das  erste  wird  zu  den  grossen  Ruderantennen, 
das  zweite  zum  zweiten  kleineren  Antennenpaar ,  aus  dem 
dritten  Gliedmassenpaare  entwickeln  sich  aber  zusammen 
die  Mandibeln,  Maxillen  und  ein  Paar  Maxillarfüsse*). 

Die  Flügel  derlnsecten  scheinen  eine  Bildung 
sui  generis  zu  sein,  da  man  sie,  nach  Zaddach,  weder 
Rückengliedmassen  nennen ,  noch  die  Kiemen  den  Crusta- 
ceen vergleichen  kann,  welche  letztere  als  Anhänge  der 
Füsse  entstehen. 

Das  Hautskelet  der  Insecten. 
Körperabschnitte.  Der  Brusttheil  ist  immer  be- 
stimmt gegen  Kopf  und  Leib  abgesetzt.  Das  Verhältniss 
von  Vorderkopf  und  Hinterkopf  ist  schwierig  zu  bestim- 
men. Darf  man  die  Mundöffnung  als  Gränze  setzen,  so 
würden  die  Vorderkopfsegmente  allen  Larven  der  Insecten 
mit  vollkommner  Verwandlung  fehlen,  daher  sie  keine 
vorderen   Antennen  und    zusammengesetzte  Augen  haben» 


*)  Claus,  Zur  Anatomie   und  Entwickhingsgeschichte  der  Co- 
pepoden.    Wie  gm.  Arch.  1858. 


1.  Kap.    Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelel.       103 

Ihr  Antennensegment  liegt  hinter  dem  Munde,  diese  An- 
tennen entsprechen  also  den  hinteren  Antennen  der  Cru- 
staeeen.  Während  der  Verwandlung  tritt  der  Vorderkopf- 
Theil  auf  und  neue  Antennen,  Avelche  den  vorderen 
Antennen  der  Crustaceen  entsprechen. 

Ein  Postabdomen  fehlt  den  Insecten  durchweg.  Das 
Abdomen  wechselt  zwischen  acht  und  elf  Segmenten,  von 
denen  in  der  Regel  die  letzten  sehr  auffallende  Verände- 
rungen erleiden.  Nur  in  dieser  Region  der  After-  und 
Genitalöffnung  finden  sich  Bildungen,  die  als  die  oben 
im  Schema  aufgeführten  Rückenanhänge  und  Bauchanhänge 
gedeutet  werden  können. 

Das  vergleichend- anatomische  und  morphologische 
Interesse  concentrirt  sich  daher  auf  die  Kopfanhänge, 
namentlich  also  die  Mundtheile ,  und  auf  das  Leibesende 
mit  den  Hülfsbegattungsworkzeugen. 

Die  Mundtheile.  Die  0  berl  i  p  p  e  ("/afirMwj,  ob- 
wohl ein  wesentlicher  Theil ,  ist  keinem  Gliedmassenpaare 
analog,  der  selten  vorkommende  Epipharynx  an  der 
Basis  der  Oberlippe  und  der  mitunter  an  der  Basis  der 
Unterlippe  sitzende  Ilypopharynx  scheinen  nichts  An- 
deres als  Ausstülpungen  der  Mundwandungen  zu  sein.  So 
bleiben  drei  Gliedmassenpaare,  die  sehr  einfachen  Ober- 
kiefer (mandibulae),  die  Unterkiefer  (maxillae)  und 
die  Unterlippe  (labium) ,  welche  ein  in  den  Mittelthei- 
len  verwachsenes  zweites  Unterkieferpaar  ist.  Unter  die- 
sem Gesichtspunkte  sind  an  Maxillen  und  Unterlippe 
folgende  Theile  mehr  oder  weniger  kenntlich  vorhanden, 
mitunter  theilweise  verschmolzen  oder  ganz  ausfallend: 
als  Angel  und  Stiel  die  Glieder  cardo  und  stipes  (sub- 
mentum  und  mentum).  Am  oberen  Ende  ir'ii^t  nach  aussen 
eine  Tasterschuppe  den  Taster  (palpus) ,  ein  ande- 


104  JI-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

res  nach  innen  liegendes  Stück  die  innere  Lade  (lobus 
internus)  und  die  äussere  Lade  (lobus  externus). 

Bei  den  Insecten,  welche  nagen  und  kauen,  sind  diese 
Theile  bis  auf  die  Unterlippe  ohne  Schwierigkeit  zu  er- 
kennen;  so  bei  den  Käfern,  Grad  flüglern  und 
Netzflüglern.  Wie  aber  ihre  Unterlippe  zu  deuten, 
wird  sich  von  selbst  aus  der  nun  folgenden  Untersuchung 
der  Mundtheile  der  saugenden  Insecten  ergeben. 

Dijiteva. 

Die  Scheide  des  Diptern-Rüssels  ist  die  Unterlippe; 
ihre  Basis  (submentum)  macht  ein  Knie  mit  dem  Stiel 
(mentum),  an  dem  die  Endlippen  sitzen,  die  mit  einander 
verwachsenen  Laden.  Die  Lippentaster  fehlen.  In  der 
Scheide  liegen  zwei  bis  sechs  Borsten,  sechs,  wenn  die 
Oberlippe  auch  borstenförmig  wird,  dazu  die  Mandibeln, 
Maxillen  und  Hypopharynx.  So  bei  den  Culiciden  und 
Tabaniden.  Die  Maxillentaster  vorhanden.  An  den  den 
Unterkiefern  entsprechenden  Borsten  sind  oft  die  beiden 
Basaltheile  zu  unterscheiden;  die  Laden  verschmelzen. 

Bei  den  von  den  eigentlichen  Diptern  abweichenden 
Pupiparen  ist  auch  der  Saugrüssel  ein  anderer.  Die 
Maxillen  bilden  eine  Scheide,  worin  als  borstenförmige 
Theile  des  eigentlichen  Saugapparates  Oberlippe,  Unter- 
lippe und  Hypopharynx  liegen  ( Hippobosca,  Ornithomy- 
zia).  Den  beiden  die  Scheide  bildenden  Klappen  ähnlich 
sind  die  3Iaxillen  der  Apheniptera  (Pulex),  an  denen 
sich  auch  lange  Taster  vorfinden ,  die  dort  fehlen. 

Hemiptera. 
Ihr  Saugorgan    (Schnabel)  ist  sehr   übereinstimmend 
in  allen  Familien.     Die  Unterlippe  formt  eine  gegliederte 


1.  Kap.     Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelet.       105 

Scheide,  deren  Basis  oben  durch  die  verlängerte  Ober- 
lippe gedeckt  wird,  und  Avelche  vier  Borsten,  iMandibeln 
und  Maxillen  einschliesst.  Die  Taster  fehlen  ganz,  auch 
Theile,  welche  eine  strenge  Vergleichung  mit  Epipharynx 
und  Hypopbarynx  aushielten. 

Lepidoptera. 
Die  Maxillen  bilden  den  Saugrüssel,  alle  übrigen 
Mundtheile  behalten  die  bei  den  nagenden  Insecten  ge- 
wöhnliche Form,  sind  aber  mehr  oder  weniger  rudimen- 
tär, mit  Ausnahme  der  stark  entwickelten  Labialtaster. 
Da  die  Maxillen  kleine  Taster  tragen,  so  ist  durch  diese 
Gränze  angezeigt,  dass  der  fadenförmige  Theil  einer  lang 
ausgezogenen  Lade,  die  Basis  den  mit  einander  verschmol- 
zenen Grundstücken  entspricht. 

Hymenoptera. 

Oberlippe  und  Oberkiefer  verhalten  sich  wie  bei  den 
kauenden  Insecten;  Unterkiefer  und  Unterlippe  sind  mehr 
oder  weniger  verlängert  und  zum  Saugen  geschickt.  Diess 
am  meisten  bei  den  Bienen.  Die  langen  sägeförmigen 
oder  schwertförmigen  Endstücke  der  Maxillen  vertreten 
beide  Laden.  Was  die  beschreibende  Zoologie  Zunge 
nennt  (llgula),  entspricht  den  vereinigten  inneren  Laden 
der  Unterlippe ,  an  deren  Basis  nach  innen  die  immer 
eingliedrigen  äusseren  Laden  (paraglossae)  und  nach  aussen 
die  mehrgliedrigen  Labialtaster  liegen. 

Sehr  instructiv  ist  die  Unterlippe  der  Wespen, 
deren  Mundtheile  sich  denen  der  kauenden  Insecten  sehr 
nähern.  Sie  ist  vierlappig;  die  beiden  äusseren  Lappen 
sind  die  paraglossae  der  Bienen ,  die  beiden  inneren  die 
Zunge. 


106  H.  Absclm.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Das  Bisherige  wird  zur  Orientirung  für  den  Anfänger 
hinreichen.  Am  abweichendsten  sind  die  Mundwerkzeuge 
der  Pediculinen.  Ein  fleischiger  aus-  und  einstülp- 
barer Kegel  ist  nichts  als  eine  eigenthümliche  Entwick- 
lung des  Mundrandes.  Das  aus  der  Scheide  tretende 
Rohr  dürfte  am  ehesten  den  Mandibeln  und  Maxillen  ent- 
sprechen. 

Das  Abdominalskelet  der  weiblichen  In- 
secten*).  Die  Zahl  der  Segmente  schwankt  zwischen 
acht  und  elf.  Acht  besitzen  die  Lepidoptera,  scheinbar 
auch  die  Hymenoptera ,  bei  denen  sich  jedoch  ein,  eigent- 
lich dem  Abdomen  zugehöriges  Segment  mit  dem  Thorax 
verbunden.  Neun  Segmente  haben  die  Coleoptera,  auch 
Pulex;  zehn  einige  Hemiptera;  elf  ein  Theil  der  Hemi- 
ptera  und  Dlptera,  die  Physanura ,  viele  JSeiiroptera ,  die 
Orthoptera. 

In  der  Regel  fehlen  die  Bauchstücke  der  vorderen 
Segmente  wegen  stärkerer  Entwicklung  der  unteren  Brust- 
theile;  bei  manchen  Schwimm-  und  Laufkäfern  drei. 

Mit  Ausnahme  der  Hymejiopiera  und  Hemiptera  ho- 
moptera,  denen  das  achte  Bauchstück  fehlt  und  deren 
Scheidenöifnung  hinter  dem  siebenten  Bauchstück  liegt, 
ist  die  Lage  der  S  ch  eiden  öf  fn  ung  an  der  Bauch- 
seite hinter  dem  achten  Segmente  fixirt.  Die  Anal  Öff- 
nung befindet  sich  bei  den  Lepidoptera  unmittelbar  ober- 
halb der  Scheidenöff*nung,  da  jede  Andeutung  weiterer 
hinterer   Segmentstücke  fehlt.     Bei  den  anderen  Ordnun- 

*)  Kur  von  Lacase-Duthier  ist  eine  auf  alle  Ordnungen  aus- 
gedehnte Vergleichung  dieser  Theile  versucht  worden,  so  dass  wir 
natürlich  seine  Resultate  annehmen.  Schon  vor  ihm,  was  dem 
französischen  Naturforscher  unbekannt,  hat  R.  Leuckart  eine  Ge- 
neralisirung  und  Erweiterung  der  Stein'schen  Beobachtungen  ver- 
sucht. 


1.  Kap.    Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelet.        107 

gen  wird  durch  das  Dazwischentreten  des  neunten,  zehn- 
ten und  auch  elften  Segmentes  die  Analöffnung  mehr  oder 
weniger  von  der  Scheidenöffnung  getrennt.  Alle  dazwi- 
schen liegenden,  oft  völlig  umgestalteten  Chitinstücke  lassen 
sich  auf  die  im  Schema  benannten  Segmentthcile  zurück- 
führen,  und  namentlich  lässt  sich  nachweisen,  dass  die 
äusseren  Hülfs-Genitalorgane  (Legestachel,  Legesäbel, 
Legebohrer,  Legeröhre)  nach  einem  Plane  und  ausnahms- 
los aus  den  Theilen  des  neunten  Abdominalsegmentes  ge- 
bildet sind.  Wir  können  hier  nur  einige  Beispiele  aus- 
wählen. So  ist  am  Legesäbel  von  Dectlcus  vernicivorus 
die  Analplatte  :=:  Rückenstück, 

Epimeren  =  unbenannte  kleine  Verbindungsstücke, 

Rückenanhänge  zz:  äussere    styletförmige  Stücke. 

Bruststück  z=  eigentliche  Legescheide, 

Episternen 


=:  Scheidenklappen. 
Bauchanhänge    \ 

Bei  Agrion  virgo  sind  alle  Theile  des  neunten  Segmentes 
vorhanden,  die  Bauchanhänge  haben  die  Form  einer 
Legesäge  angenommen.  Bei  den  Coleoptera  entspricht  die 
Analplatte  dem  Rückenstück,  die  Seitenstücke  den  Epi- 
meren ,  die  sogenannten  Vaginalpalpen  den  Episternen, 
eine  accessorische  Platte  dem  Bruststück.  Bei  den  Co- 
leoptera und  Dlptera  sind  die  letzten  Segmente  wieder  in 
den  Leib  eingezogen  und  Cloakenrohr  oder  auch  Scheide 
genannt  worden.  Endlich  sei  erwähnt,  dass  bei  den 
Lepidoptera  das  siebente  Segment  eine  auffallende  Form 
angenommen  hat,  im  Zusammenhange  mit  der  Eigenthüm- 
lichkeit,  dass  hier  hinter  der  Scheidenöffnung  eine  in  die 
Begattungstasche  führende,  das  männliche  Begattungsor- 
gan aufnehmende  Oeffnung  liegt. 


108  II-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Eine  zusammenhängende  Darstellung  der  ähnlichen 
Verhältnisse  bei  den  männlichen  Insecten  ist  zur  Zeit  noch 
ein  Desiderat. 

Rücksichtlich  der  specielleren  Morphologie  des  Haut- 
sceletes  der  Crustaceen  und  Arachniden  wollen 
wir  uns  auf  einige  Bemerkungen  beschränken,  das  Wech- 
selverhältniss  der  Kiefern  und  der  Beine  angehend.  Lehr- 
reich ist  besonders  bei  den  höheren  Crustaceen  die  Um- 
gestaltung der  Thoracalbeine  in  Hülfskiefer.  Bei  den  D  e- 
capoden  und  Stomatopoden  finden  sich  drei  Paar 
Beikiefer;  bei  den  Amphipoden  und  Isopoden  nur 
ein  Paar. 

Für  die  Arachniden  ist  trotz  vielen  Hin-  und 
Herredens  die  Morphologie  der  Kopftheile  noch  sehr  un- 
genügend. Der  Wahrheit  am  nächsten  scheint  die  Ansicht 
zu  sein,  dass  mit  den  vorderen  Antennen,  Oberlippe  und 
den  zusammengesetzten  Augen  ihnen  überhaupt  ein  dem 
Vorderkopfe  entsprechender  Abschnitt  fehle.  Ihre  soge- 
nannten Kieferfühler  bekommen  ihre  Nerven  von  den  obe- 
ren Schlundganglien,  sind  also  wohl  die  hinteren  Antennen 
der  übrigen  Arthrozoen.  Eigentliche  Mandibeln  fehlen. 
Die  ersten  Maxillen  sind  sehr  verschiedenartig  als  Mund- 
theile  verwerthet,  das  zweite  Maxillenpaar  aber  (Unter- 
lippe der  Insecten)  ist  zu  einem  Fusspaar  geworden,  da- 
her die  für  die  Arachniden  characteristischen  vier  Paar 
Beine. 

4.  Die  äusseren  Bedeckungen  und  das  Haut- 
skelet  der  Mollusken. 

Einen  Gegensatz  zu  den  Arthropoden  bilden  hinsicht- 
lich der  äusseren  Körperbedeckungen  die  Weichthiere, 
bei  denen  nie  die  Haut  selbst  und  der  durch  Faltung  der 


1.  Kap.     Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelel.        109 

Haut  gebildete  Mantel  erstarrt,  sondern  der  Körper  ver- 
möge der  dem  Corium  innig  verwebten  Muskelschiclit  der 
mannichfaltigsten  Contractionen  und  Formveränderungen 
fähig  ist,  und  die  harte,  skeletartige  Schale,  falls  eine 
solche  abgesondert  wird,  immer  nur  partiel  dem  Körper 
anhängt. 

Chemisch  und  morphologisch  eigenthümlich  verhält 
sich  der  Mantel  der  Tunicaten.  Es  findet  sich  in  ihm 
Cellulose*),  jedoch  nicht,  wie  bei  den  Pflanzen,  als 
Zellmembranstoff,  sondern  als  Interzellularstoff,  auch  in 
Form  von  Kernen  und  Fasern.  Unter  diesem  äusseren 
zellstoffhaltigen  Mantel  von  lederartiger  oder  hyaliner 
Beschaffenheit  ist  ein  zweiter  zarterer  Hautsack,  und  nur 
dieser  scheint  das  Homologon  des  Mantels  der  anderen 
Weichthiere  zu  sein. 

Auf  der  Körperoberfläche  der  Acephalen  undCe- 
phalophoren  findet  sich  in  grosser  Ausdehnung  ein 
Flimmerepithelium ,  was,  namentlich  bei  ersteren,  indem 
es  regelmässige,  der  Athmung  dienende  Wasserströme 
hervorbringt,  die  Fortpflanzungsstoffe  leitet  u.  s.  w.,  von 
grosser  Wichtigkeit  ist. 

Im  Corium  der  Cephalopoden ,  auch  einiger  Pteropo- 
den,  finden  sich  die  unter  dem  Namen  der  Chromat o- 
p hören  bekannten,  mit  Pigment  erfüllten  Zellen  einge- 
bettet, durch  deren  durch  Muskeln  bewirkte  Contraction 
das  unter  dem  Einflüsse  des  Nervensystems  stehende 
Farbenspiel  jener  Thiere  hervorgebracht  wird.  Daneben 
betheiligen  sich  Interferenzfarben,   hervorgebracht  durch 


*)  In  Aezkali  unlöslich;    in  Schwefelsäure   loslich;    wird  durch 
Jod  und  Schwefelsäure  bfau  gefärbt. 


110  n.  Absclin.    Die  Organe  der  Bewegung. 

zahllose  kleine  Flitterchen,  die  in  der  Cutis  unter  den 
Pigmentzellen  liegen  *). 

Sowohl  in  den  Muschelschalen  der  Brachiopoden 
und  Lamellibranchiaten,  als  in  den  Gehäusen  der 
Cephalophoren  und  Cephalopoden  bemerkt  man 
eine  organische  Grundsubstanz,  welche  sich,  nach  Ent- 
fernung des  eingelagerten  kohlensauren  Kalkes,  seltner 
in  Gestalt  prismatischer  Zellen,  wie  in  der  oberen  Schicht 
der  Muscheln ,  gewöhnlich  aber  in  Form  zarter ,  gefalte- 
ter Lamellen  zeigt.  Gewinnt  diese  organische  Masse  das 
Uebergewicht,  so  werden  die  Schalen  biegsam,  wie  z.  B. 
hei  Orbicula  (einer  Brachiopode),  Hyalea^  Cleodora  (Fte- 
ropoden) ,  Argonauta. 

Von  dem  einkammerigen  Gehäuse  des  Papier-Nau- 
tilus unterscheidet  sich  das  der  Nautilinen,  ausser 
durch  das  Zurücktreten  der  organischen  Grundsubstanz, 
auch  dadurch  wesentlich,  dass  es  durch  Querscheidewände 
in  eine  Menge  von  Kammern  getheilt  ist.     Die  Querschei- 


*)  Auch  beim  Chamaeleo  sind  die  Farben  theils  Interferenzfar- 
ben, theils  rühren  sie  von  Pigmenten  her.  Hier  werden  aber  die 
Interferenzfarben  durch  Epidermiszellen  erzeugt,  die  als  solche  über 
den  Pigmenten  liegen.  Unter  den  Fröschen  ist  der  Farbenwechsel 
besonders  bei  Hyla  arborea  und  Ra7ia  esculenta  auffallend.  Hier 
findet  sich  an  den  grün  erscheinenden  Hautstellen  unter  einem 
Pflasterepithel  eine  Schicht  gelber  (Fett-)  Zellen  und  darunter  eine 
Schicht  dunklerer,  gesternter  Pignientzellen,  von  deren  Contractio- 
nen  die  Farbenveränderungen  herrühren.  In  den  meisten  Hautstellen 
beobachtet  man  statt  der  gelben  Zellen  Interferenzzellen,  die  auch 
sonst  zerstreut  zwischen  den  gelben  Zellen  vorkommen  und  der  Haut 
einen,  jedoch  erst  bei  Vergrosserungen  deutlich  werdenden  Metall- 
schimmer verleihen.  (Brücke,  Unters,  über  d.  Farbenwechsel  d. 
afr.  Chamäleons.  Denkschr.  d.  Kais.  Acad.  der  Wiss.  Mathem.-physic. 
Classe.  Wien  1852.  Harless,  Ueber  die  Chromatophoren  des 
Frosches.  Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  V.  1854.  Witt  ich,  Die  grüne 
Farbe  der  Haut  unserer  Frösche.    Müll.  Arch.  1854.) 


1.  Kap.    Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Haulskclet.       Hl 

dewände  werden  bei  Nautilus  von  einer  unterbrochenen, 
bei  Splruia  von  einer  ununterbrochen  fortlaufenden  Röbre 
durchsetzt,  welche  den  Sipho^  eine  Fortsetzung  des  Man- 
tels aufnimmt. 

Häufig  findet  sich  bei  den  Mollusken,  wenn  eine  äus- 
serliche  Schale  fehlt,  eine  solche  in  und  unter  der  wei- 
chen Hautbedeckung.  Von  den  Cephalophoren  gehören 
hierher  u.  a.  Bullaen^  Liniax;  unter  den  Cephalopoden 
besitzen  die  L  ölig  inen  eine  innere  Rückenschale,  wel- 
che von  Sepia  als  05  sepiae  am  bekanntesten  ist,  indem 
sie  sich  von  den  ganz  hornigen  länglichen  Platten  der 
übrigen  Loliginen  durch  ihren  starken  Kalkbeleg  über  der 
Hornschicht  auszeichnet. 

Endlich  verdient  noch  bemerkt  zu  werden ,  dass  viele 
Schnecken,  namentlich  Nacktkiemer,  die  im  ausgewachse- 
nen Zustande  keine  Spur  von  Schale  haben,  ein  gewöhn- 
lich pantofl'elförmiges  Gehäuse  während  ihres  Embryonal- 
und  Larvenlebens  besitzen. 


5.     Die  äusseren   Bedeckungen    und   das  Haut- 
skelet  der  Wirbelthiere. 

Man  kann  im  Allgemeinen  in  der  Hautbedeckung  der 
Wirbelthiere  drei  Schichten,  Epidermis,  Pigment- 
schicht und  Cutis  unterscheiden. 

Die  meisten  Fische  tragen  Schuppen.  Der  Körper 
der  Schuppe  liegt  in  einem  durch  Aussackung  der  Cutis 
entstandenen  Hautbeutel  und  scheint  in  keinem  Falle  als 
Horngebilde  betrachtet  werden  zu  dürfen.  Dass  die  Schup- 
pen Knochengebilde  sind,  beweisen  u.  A.  sehr  gut  die 
dicken  Schuppen  von  Sudis,  in  denen  sich  eine  dünne 
Schicht  Knochenkörperchen  findet,  wie  auch  die  Hautschil- 


112  11-  Abschn.     Die  Organe  der  Bewegung 

der    der    Störe,    Ostracion  u.  a.    knöchern    sind  und    ur- 
sprünglich immer  organisirt  sein  mögen. 

Diese  bei  den  Fischen  schwierigere  Unterscheidung 
der  durch  Apposition  wachsenden ,  todten  Hörn-  und  der 
organisirten,  mit  Blutgefässen  durchzogenen  Knochenbil- 
dungen tritt  bei  den  Amphibien  klarer  hervor.  Be- 
kanntlich zeichnen  sich  die  beschuppten  Amphibien 
durch  die  Entwickelung  des  Hautskelets  aus.  Gewöhnlich 
ist  der  Kern  der  Schuppen  oder  Schilder  knöchern ;  er 
entsteht  in  und  auf  Kosten  der  cutis  und  ist  überzogen 
von  einer  an  der  zu  Tage  liegenden  Fläche  der  Schup- 
pen und  auf  dem  Rücken  der  Schilder  verhornten  Epider- 
mialschichte  (Schildpadd  der  Chelonier).  Am  bedeutend- 
sten sind  die  Knofhenschilder  bei  den  Krokodilen  und 
Schildkröten,  obgleich  sie  bei  letzteren  (nach  Rathke's 
Untersuchungen)  nicht  in  der  Ausdehnung  zur  Bildung  des 
Rückenbildes  beitragen,  als  man  bisher  angenommen. 
Demnach  würden  diese  sogenannten  Ergänzungsplat- 
ten in  der  Regel  aus  einer  vor  dem  Dornfortsatze  des 
zweiten  Rückenwirbels  liegenden  Nackenplatte,  einer  un- 
paarigen,  das  Rückenschild  hinten  scbliesseiiden  und  23 
Marginalplatten  bestehen,  wozu  noch  einige  hinter 
dem  Dornfortsatze  des  achten  Rückenwirbels  gelegene 
kommen;  wogegen  die  Dornfortsätze  des  zweiten  bis  ach- 
ten Rückenwirbels  und  die  Rippen  nicht  mit  Hautknochen 
in  Verbindung  treten  sollen.  Nach  demselben  Naturfor- 
scher gehört  das  Bauchschild  der  Chelonier,  das  man 
bisher  als  Brustbein  deutete,  dem  Hautskelet  an.  Das 
Bauchschild  besteht  gewöhnlich  aus  neun  Stückchen  (4 
paarigen  und  1  unpaaren),  deren  Verwachsung  bei  den 
Landschildkröten  sehr  frühzeitig  eintritt.  Die  Entstehung 
der   Knochenplatten   ist  ganz   dieselbe,    wie  die  der  Er- 


1.  Kap.    Die  äusseren  Bedeckungen  u.  d.  Hautskelet.       Il3 

gänzungsplatten  des  Rückenschildes  und  der  Hautknochen 
anderer  Wirbelthiere.  Die  Schuppen  der  Schlangen  haben 
keine  Knochenkerne.  Es  würde  zu  weit  führen,  hier  die 
mannichfaltigen,  aber  verwandten  Feder-,  Hörn-,  Nagel-, 
Stachel-  und  Haarbildungen  bei  Vögeln  und  Säuge- 
thieren  durchzugehen.  In  einzelnen  Fällen  verhornt 
die  Epidermis  so  stark,  dass  der  ganze  Körper  mit  sich 
dachziegelförmig  deckenden  Schuppen  umgeben  ist,  wie 
bei  Manis.  Ganz  anders  verhält  sich  dagegen  das  Haut- 
skelet der  Cmgulatn ,  deren  Panzer  aus  wirklichen  Kno- 
chenschildern besteht,  über  welchen  noch  eine  mehr  oder 
weniger  hornige ,  Haare  tragende  Epidermis  liegt. 

Sehr  verschieden  sind  die  Hörner  des  Hornviehes 
von  dem  Geweih  der  Hirsche.  Jene  entstehen,  ähnlich 
wie  die  Nägel,  Krallen  und  Hufe,  aus  einer  Matrix,  und 
bedecken  als  Scheiden  die  hohlen  Stirnbein-Zapfen.  Die 
Zapfen  des  Geweihes  sind  solid;  auf  ihnen  erhebt  sich 
das  knöcherne,  alljährlich  abzuwerfende  und  wieder  zu 
ersetzende  Geweih,  welches  während  des  Wachsthums 
eine  Hautbekleidung  hat.  Diese  wird  nach  Ausbildung 
des  Geweihs  abgestreift.  Der  periodische  Wechsel  des 
Geweihs  steht  in  engem  Zusammenhange  mit  der  Ge- 
schlechtsfunction ;  castrirte  Hirsche  werfen  das  Geweih 
nicht  mehr  ab. 


H.  Frey,  lieber  die  Bedeckungen  der  wirbellosen  Thiere.  Göttin- 
gen, 1838.  Abgedruckt  aus  den  Göttinger  Studien.  1847. 
(Infusorien,  Radiaten ,  Würmer.) 

Joh.  Müller,  Anatomische  Studien  über  die  Echinodermen.  Arch 
f.  Anat.  u.  Phys.     J850. 

Derselbe,  lieber  den  Bau  der  Echinodermen.  Berlin,  1854.  Abdr. 
a.  d.  Abh.  d.   K.   Acad.   d.   Wissenschaften   zu   Berlin,    1853. 

8 


^14  ^^'  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

(Diese  Arbeiten  enthalten  u.  a.  die  vergleichende  Skeletlehre 

der  Echinodermen.) 

lieber  das  Hautskelet  der  Arthropoden  handeln: 
Erichs  on,  Entomographieen.     Berlin  1840. 

Stein,  Die  weiblichen  Geschlechtsorgane  der  Käfer.  Berlin  1847. 
Leuckart,  Morphologie  der  wirbellosen  Thiere.  Braunschweig  1848. 
Zenker,    Anatomische    Studien  über   die   Krebsthiere.    Kritik  der 

Erichsonschen   Gliedmassentheorie.  (Nicht   glücklich.)     Berlin 

1854.    Wie  gm.  Arch.  XX. 
Zaddach,  Untersuchungen  über  die  Entwickelung  und  den  Bau  der 

Gliederthiere.  I.     Berlin  1854. 
Milne-Edvvards,  Sqtielette   tegumentaire  des  Crustaces   decapo- 

des^     Annales  d.  sc.  nat.    1851. 
Lacase-Duthier,   Armure  genitale  femelle  des  insectes.    Annales 

des  sc.  nat.  1849 — 1853.    (Eine  Reihe  von  Abhandlungen.) 


Zweites  Kapitel. 
Dais  innere  l§kelet. 


1.     Das   innere    Skelet   der  Brachiopoden   und 
Cephalopoden. 

Von  der  Schlossgegend  der  nicht  durchbohrten  Schale 
der  Ter  abrät  ein  erhebt  sich  ein  geweihförmiges  oder 
aus  mehreren  sich  vereinigenden  Bogen  bestehendes  Ge- 
rüst in  das  Innere,    welches  zur  Stütze  der  Arme  dient. 

Mit  mehr  Recht  spricht  man  von  einem  inneren  Ske- 
let der  Cephalopoden,  bei  denen  mehrere  Knorpel 
als  Hüllen  und  Stützen  der  Weichtheile  auftreten.  Am 
beträchtlichsten  ist  der  Kopfknorpel,  der  bei  den 
Zweikiemern  in  einen  mittleren ,  vom  Schlund  durchbohr- 
ten, oben  das  Gehirn,  unten  die  Gehörwerkzeuge  enthal- 
tenden Theil  und  zwei  muschelförmige  Seitentheile  zer- 
fällt, welche  seitlich  und  von  hinten  die  Augenkapsel 
schliessen  helfen.  Weniger  vollständig  ist  der  Kopfknor- 
pel des  Nautilus.  Andere  skeletartige  Stücke  sind  nach 
den  Theilen ,  an  und  in  welchen  sie  sich  befinden ,  als 
Rückenknorpel  (Loligo  \}r\A  Sepia ^ ,  Schlossknor- 
pel (am  Trichter  der  Loliginen  und  Argonauta),  Flos- 
senknorpel (in  den  Seitenflossen  der  Loliginen)  und 
Armknorpel  (Sepia)  beschrieben. 

8* 


116  II.  Abschn.     Die  Organe  der  Bewegung. 

Nach  dem  ,  was  in  der  Einleitung  über  die  typischen 
Verschiedenheiten  im  Bau  der  Thiere  bemerkt  ist,  bedarf 
es  wohl  kaum  der  Erwähnung,  dass  es  nur  ein  müssiges 
Phantasiespiel  ist,  wenn  man  die  Rückenknorpel  der  Ce- 
phalopoden  eine  rudimentäre  Wirbelsäule  nennt,  eben  so, 
wenn  man  die  inneren  Plattenreihen  der  Asteriden  (Seite 
97)  auf  das  Princip  des  Wirbels  zurückführen  wall. 

2.  Das  innere  Skelet  der  Wirbelthiere. 
Aus  dem  Bisherigen,  sowohl  aus  den  Erörterungen 
über  die  Grundformen  der  Thiere,  als  aus  den  verglei- 
chenden Betrachtungen  des  Nervensystems  und  der  Sinnes- 
organe,  haben  wir  den  im  Allgemeinen  gültigen,  in  den 
besonderen  Fällen  mit  grosser  Vorsicht  anzuwendenden 
Schluss  ziehen  können ,  dass  das  Gesetz ,  w  elches  sich  in 
der  Entwicklung  des  Individuum  aus  dem  scheinbar  Ho- 
mogenen kundgiebt,  auch  innerhalb  der  grösseren  Ab- 
theilungen des  Thierreichs  herrscht,  dass  auch  innerhalb 
der  Typen  ein  Fortschritt  von  dem  Einfacheren  zum  Voll- 
kommneren  sich  offenbart.  Zur  Anerkennung  eben  dieses 
Gesetzes  drängt  uns  auch  in  überzeugender  Weise  die 
vergleichende  Osteologie.  Indem  wir  also  im  Voraus 
graduelle  Verschiedenheiten  des  inneren  Knochengerüstes 
der  Wirbelthiere  zu  erwarten  haben,  werden  wir  zwar 
hei  jedem  Wirbelthiere  gewisse  unveräusserliche  Theile 
des  Skelets  suchen  müssen,  keineswegs  aber  an  jedem 
Wirbelthiere  dieselben  Knochen  finden.  Es  giebt,  Avie 
keine  Urpflanze  und  kein  Urthier ,  auch  kein  die  gesammte 
Osteologie  m  ntice  enthaltendes  Urskelet. 

Die  Wirbelsäule. 
Wahrscheinlich  besitzen  alle  Wirbelthiere  ohne  Aus- 


2.     Kap.  Das  innere  Skclet.  117 

nähme  ursprünglich  die  Rücke nsaitc,  chorda  dorsalis, 
welche  erst  von  den  später  sich  bildenden  Wirbeln  ver- 
drängt wird.  Diese  in  der  Regel  vorübergehende  Form 
der  Wirbelsäule,  die  chorda  dorsalis  mit  ihren  zwei 
häutigen,  fibrösen  Scbeiden,  deren  obere  ein  zweites 
Rohr  für  das  Rückenmark  bildet ,  verharrt  bei  einigen 
Fischen  zeitlebens  und  scheint  auch  bei  dem  ältesten 
reptilienartigen  Thiere  aus  der  Steinkohlenformation, 
Archegosaurus^  persistent  gewesen  zu  sein.  Sie  vertrat 
bei  ihm  die  Stelle  der  Wirbelkörper ,  während  die  obe- 
ren aind  unteren  Bogen  verknöcherten*).  Die  Saite  zeigt 
bei  Bianchiostoma  eine  faserige  Structur ,  sonst  besteht 
der  gallertige  Inhalt  ganz  aus  Zellen. 

Knorpeüge  Elemente,  die  bei  Branclüosloma  sowohl, 
als  bei  den  Myxinoiden  und  Annnocoeles  mangeln, 
treten  zuerst  bei  Petromyzon  als  paarige  Bogenschenkel 
auf  dem  Rückenmarksrohre  auf,  während  zwei  parallele 
fast  knorpelige  Leisten  an  der  Unterseite  der  Chorda, 
welche  im  Schwänze  einen ,  auch  bei  den  übrigen  Cyclo- 
stomen  sich  findenden  Kanal  für  die  arteria  und  ve7ia 
cmidalis  bilden,  den  Basilarknorpeln  äquivalent  sind, 
welche  die  Störe,  Polyodon  und  C  h  i  m  ären  permanent 
haben.  In  dem  vorderen  Ende  der  Wirbelsäule  rücken 
bei  diesen  Fischen  die  peripherischen  Bogenstücke,  zu 
denen  verschiedene  Deckknorpel  und  Scbaltstücke  kommen, 
so  nahe  zusammen,  dass  sie  die  Chorda  rings  einschlies- 
sen.  Die  ersten  Ossificationen  enthält  die  Scheide  der 
Chorda  von  Chlmaera  als  feine  Streifen,  deren  je  fünf 
bis  sechs  auf  die    vier    corticalen,    einen    Wirbel  ausma- 


*)  H.  von  Meyer,  Reptilien  aus  der  Steinkohlenformation  in 
Deutschland.  1858.  Vielfach  abweichend  Burnieister  in  seiner 
Arbeit  über  die  Labyrinlhodönten;  1850. 


118  II.    Absclin.    Die  Organe  der  Bewegung. 

machenden   Knorpelelemente   kommen.     Es  schliesst  sich 
hieran  die  Wirheisäule  der  Lepidosiren. 

Bei  allen  hisher  genannten  Fischen  kann  man  von 
wirklichen  Wirhein  noch  nicht  sprechen.  Diese  ent- 
wickeln sich  hei  den  Plagiostomen  und  Knochen- 
fischen, mit  Ausnahme  einiger  Haie  (Hexanchus  und 
Heptanchits)^  deren  durch  Septa  quergetheilte  chorda 
dorsalis  sammt  ihrer  fibrös-knorpeligen  Scheide  und  den 
auf  sie  aufgesetzten  paarigen  Bogenstücken  zeitlebens 
bleibt.  Bei  den  Embryonen  also  der  übrigen  Plagiosto- 
men und  der  Knochenfische  ist  Anfangs  eine  Chorda,  wel- 
che vier  Reihen  Bogenstücke  trägt.  Indem  diese  wach- 
sen und  verwachsen,  engen  sie  die  Chorda  perlschnur- 
förmig  ein  oder  verdrängen  sie  aus  der  Mitte  der  Wir- 
belkörper gänzlich,  so  dass  in  diesem  Falle  die  in  den 
conischen  oder  becherförmigen  Vertiefungen  der  Wirbel- 
enden befindliche  Gallertmasse  das  alleinige  Ueberbleibsel 
der  chorda  dorsalis  ist,  welche  niemals  zur  Bildung  des 
Wirbelkörpers  verwandt  wird.  Wohl  aber  nimmt  hieran, 
wie  schon  das  Beispiel  von  Chimaera  lehrte,  die  äussere 
Schichte  der  Scheide  der  Chorda  Theil.  Dieses  centrale 
Element  des  Wirbelkörpers  ossificirt  immer,  während  die 
Rindenstücke  bei  den  Plaglostomen  oft  knorpelig  bleiben. 
Bei  den  Haien,  seltener  bei  den  Rochen,  übertrifl't 
die  Zahl  der  Bogenstücke  die  der  Körper  um  das  Dop- 
pelte; an  einer  Stelle  der  Wirbelsäule  des  Hammer- 
fisches sind  sogar  dreimal  so  viele  Bogenstücke  als 
Wirbel.  Diese  überzähligen  Bogenstücke  sind  Schalt- 
stücke (cartllagines  intercrurales)  ^  wie  wir  sie  schon  oben 
von  den  Stören  und  Chimären  erwähnten ,  und  die  man 
auch  Petroimjzon  zuschreiben  muss,  wo  zwischen  je  zwei 
Austrittsstellen  der  Spinalnerven  zwei  Bogenstücke  liegen. 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  119 

Die  Wirbel  der  Fische  entstelicD  also  aus  fünf  Stü- 
cken. Nachdem  die  oberen  JBogenschenkel  zur  Bildung 
des  Rückenraarkkanales  sich  zusammengethan,  verschmel- 
zen sie  zu  den  oberen  Dornfortsätzen,  die  in  einigen 
Fällen  (Acipenser)  als  gesonderte  Stücke  erscheinen. 
Die  unteren  Bogenstückc  bilden  Querfortsätze, 
an  welchen  die  Rippen  befestigt  sind.  Nach  dem  Schwänze 
zu  rücken  diese  Querfortsätze  mehr  und  mehr  nach  un- 
ten, biegen  sich  zu  dem  die  arteria  und  vena  caudalis 
aufnehmenden  Kanal  zusammen  und  verschmelzen  zu  den 
unteren  Dornfortsätzen.  Diese  rippentragenden 
Querfortsätze  der  Fische  sind  daher  durchaus  von  den 
rippentragenden  Querfortsätzen  der  übrigen  Wirbelthiere 
verschieden,  wo  sie  von  der  Basis  der  oberen  Bogen- 
schenkel  entspringen.  Jene  eigentlichen  Querfortsätze 
der  übrigen  Wirbelthiere  verschmelzen  nie  in  der 
Schwanzgegend  zu  unteren  Dornfortsätzen ,  sondern  diese 
werden  durch  besondere  untere  Querfortsätze  gebildet, 
die  eben  dadurch  für  das  Fischskelet  charakteristisch 
werden ,  dass  sie  allein  zu  Trägern  der  Rippen  verwandt 
sind,  so  dass,  wo  ausnahmsweise  bei  Fischen  (^PolyjHe- 
rusy  mehrere  Pleuronectes  u.  a.)  über  den  unteren  noch 
obere  Querfortsätze  vorkommen,  dennoch  die  Insertion 
der  Rippen  die  bei  den  Fischen  gewöhnliche  ist. 

Ganz  abweichend  ist  die  Verbindung  der  Wirbel  des 
LepUJosteus  durch  Gelenkkopf  und  Gelenkhöhle. 

Von  den  nackten  Amphibien  haben  mehrere 
Familien,  nämlich  Cöcilien,  Proteiden  und  Dero- 
treten  fischartige  Wirbel,  welche  wahrscheinlich  die- 
selbe Entstehungsweise  wie  dort  haben.  Bei  den  Sala- 
mandrinen  und  Batrachiern  sind  die  Wirbel  nicht 
mehr  fischartig  und    durch    Gelenke  verbunden.     Bei  den 


120  W-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

meisten  Fröschen  und  Salamandra  ossificirt  die  Scheide 
der  Chorda  in  Ringen,  welche  die  oberen  AVirbelbogen 
tragen.  Eine  merkwürdige  Ausnahme  machen  Cultripes, 
Pelobates  und  Pseiidis ,  wo  die  Scheide  der  Chorda  gar 
nicht  in  den  Wirbel  eingeht  und  die  Bildung  des  Wirbel- 
körpers allein  durch  die  oberen  Bogenstücke  geschieht, 
so  dass  die  Chorda  unter  die  Wirbelkörper  zu  liegen 
kommt.  Das  Kreuzbein  der  ungeschwänzten  Batrachier 
besteht  aus  einem  Wirbel  mit  sehr  breiten  processus 
transversi;  ebenso  ist  das  lange  dünne  Schwanzbein 
ein  einziger  Wirbel. 

Die  Wirbel  der  beschuppten  Amphibien  ent- 
stehen im  Allgemeinen  auf  dieselbe  Weise  wie  die  der 
Vögel  und  Säugethiere,  indem  zwei  peripherische 
Elemente  die  Chorda  umwachsen  und,  indem  sie  sich 
vergrössern  und  gewöhnlich  von  unten  aus  ossificiren, 
diese  verdrängen.  Die  Verbindung  der  Wirbelkörper 
geschieht  bei  den  Schlangen ,  Eidechsen ,  Krokodilen  und 
am  Halse  und  Schwänze  der  Schildkröten  durch  Gelenke, 
auch  sind  in  der  Regel  die  Bogenschenkel  zwischen  je 
zwei  Wirbeln  durch  vier  Gelenkfortsätze  verbunden ,  so 
dass  der  obere  Bogen  jedes  Wirbels  zwei  vordere  und 
zwei  hintere  Gelenkfortsätze  hat.  Eine  auffallende  Ver- 
änderung erleiden  die  Dornfortsätze  des  zweiten  bis 
achten  Rückenwirbels  der  Schildkröten ,  indem  sie  die 
Form  sich  eng  an  einander  schliessender  Platten  an- 
nehmen. 

Den  Schildkröten  nähern  sich  die  Vögel  in  Hinsicht 
der  Beweglichkeit  der  Enden  der  Wirbelsäule  im  Gegen- 
satz zur  Festigkeit  des  mittleren  Theiles  derselben. 
ISicht  nur  die  Kr  e  uz  b  ein  w  ir  b  e  1,  auch  die  Rücken-» 
Wirbel  verwachsen  oft  ganz  mit  einander. 


2.  Kap.     Das  innere  Skelet.  121 

Unter  den  Säugethieren  findet  die  Verbindung  der 
Wirbelkörper  durch  Gelenkflächen  bei  den  Ein-  und 
Zweihufern  statt,  sonst  geschieht  sie  durch  Knorpel- 
bandscbeiben.  Sehr  constant  ist  die  Zahl  der  Halswir- 
bel; ßradypus  torrjuatus  hat  acht,  Bvadypus  tridactylus 
neun ,  DJanalns  auslralis  gewöhnlich  sechs ,  alle  übrigen 
Säugethiere,  selbst  die  Giraffe,  sieben  Halswirbel. 

Zweckmässiger  und  naturgemässer ,  als  nach  den 
Rippen ,  bestimmt  man  die  Gränze  zwischen  Rücken-  und 
Lendenwirbeln  nach  dem  sogenannten  diaphragmati- 
schen Wirbel.  (Siehe  Giebel  in  der  Zeitschr.  f.  d. 
ges.  Naturwissenschaften.     April  1853.) 

Alias  und  Epistr  opheus.  Bei  Amphibien,  Vö- 
geln und  Säugethieren  heissen  die  beiden  vordersten,  ge- 
wöhnlich durch  ihre  Form  ausgezeichneten  Halswirbel 
Atlas  und  Epistropheus.  Ersterer  hat  bei  Vögeln  und 
beschuppten  Amphibien  einen,  bei  nackten  Am- 
phibien und  Säugethieren  zwei  Gelenkgruben  zur 
Aufnahme  des  oder  der  condyll  occipitales.  Mit  dem 
Körper  des  epistropheus  ist  in  der  Regel  der  processus 
odontoldeus  (passender  os  odontoideuni  genannt)  verbun- 
den, der  bei  den  Vögeln  den  atlas  oberhalb  der  Gelenk- 
grube durchbohrt.  Dieser  Knochen  findet  sich  als  ge- 
sondertes Stück  bei  den  ächten  Cetaceen,  deren  Hals- 
wirbel (nur  die  beiden  ersten  bei  mehreren  Delphinen, 
mehrere  bei  andern^  verschmelzen.  Wie  die  Entwick- 
lungsgeschichte der  Schlangen  und  Schildkröten  gelehrt 
hat,  scheint  das  os  odontoideuni  der  eigentliche  Körper 
des  atlas  zu  sein ,  während  dasjenige  Stück  des  atlasy 
welches  man  als  den  Körper  dieses  W^irbels  zu  bezeich- 
nen pflegt,  eine  Modification  zweier  Bogenschenkel  und 
eines  dritten  Skeletstückes  (Schlusstück  des  atlas)  ist. 


122  II.  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

D  ie  Ripp  en. 

Die  Wirbel  aller  Regionen  der  Wirbelsäule  sind 
fähig ,  Rippen  zu  tragen.  Nicht  nur  bei  den  Fischen  und 
Schlangen  finden  sich  Rippen  an  den  vorderen  Wirbeln; 
auch  in  anderen  Fällen  sind  die  Halswirbel  mit  Rippen 
versehen,  oder  lassen  sich  wenigstens  deren  Rudimente 
nachweisen.  Diese  Verkümmerung  zeigt  sich  am  instruc- 
tivsten  bei  den  Vögeln.  Der  letzte  Halswirbel  derselben 
trägt  eine  falsche  Rippe,  die  an  den  folgenden  Halswir- 
beln rudimentär  wird  und  als  kleines  Knochenstück  sich 
mit  dem  Wirbelkörper  und  dem  gleichfalls  abortiven 
Querfortsatz©  verbindet.  Zwischen  diesen  Theilen  bleibt 
ein  Loch  ,  entsprechend  den  an  den  Rückenwirbeln  durch 
capitulmn  und  tubercidiim  der  Rippen,  Wirbelkörper  und 
Querfortsatz  umgebenen  Räumen.  Andere  Beispiele  von 
Rippenrudimenten  an  den  Halswirbeln  bieten  die  Kroko- 
dile, Monotremen  und  Faulthiere  dar;  selbst  an  ver- 
schiedenen Halswirbeln  des  Menschen,  am  häufigsten  am 
siebenten ,  findet  sich  am  Querfortsatze  ein  Knochenkern, 
welcher  als  Rippenrudiment  anzusehen. 

Rippenrudimente  an  den  Lendenwirbeln  finden  sich 
gleichfalls  bei  den  Krokodilen,  auch  bei  mehreren  Säuge- 
thieren ,  als  Ursus ,  Lemur  ßJongoz,  dem  Schweinefötus. 
Am  Kreuzbein  kommen  sie  beim  jungen  Krokodil,  den 
Schildkröten  und,  ausser  bei  anderen  Säugethieren,  sehr 
deutlich  beim  jungen  Gürtelthier  vor,  bei  welchem  letz- 
teren auch  an  den  vorderen  Schwanzwirbeln  dergleichen 
Rippenrudimente  zu  bemerken  sind. 

Unter  den  Fischen,  deren  Rippen,  wie  oben  ge- 
sagt, an  den  den  Wirbelkörpern  angehörigen  Querfort- 
sätzen befestigt  sind,  haben  nur  einige,  namenllich  Clupea^ 
vollständige    oder    wahre   Rippen,    indem   bei  ihnen  das 


2.   Kap.    Das  innere  Skelet.  123 

den  Fischen  fehlende  Brustbein  durch  eine  Reihe  Vför- 
miger,  sich  mit  den  Rückenrippen  verbindender  Knochen 
ersetzt  wird.  Die  in  den  Seiten-  und  Rückenmuskeln 
liegenden  und  hinsichtlich  ihrer  Befestigung  an  den  Wir- 
beln mehrfach  variirenden  Fleischgräten  haben  ihrer 
Natur  nach  nichts  mit  den  Rippen  gemein  und  können 
nicht  als  sogenannte  obere  Rippen  betrachtet  werden, 
obgleich  sie  mitunter,  so  bei  Tynmis  und  Polypterus, 
stärker  als  die  Rippen  selbst  entwickelt  sind. 

Die  nackten  Amphibien  besitzen  nur  rudimen- 
täre Rippen;  bei  den  Fröschen  fehlen  sie  sogar  ganz, 
wogegen  bei  diesen  Thieren  die  Querfortsätze  sehr  stark 
sind.  Bei  den  nackten  geschwänzten  Amphibien 
gehen  die  Rippen  nie  eine  Verbindung  mit  dem  Brustbein 
eiUj  wie  auch  die  Schlangen  und  einige  schlangen- 
ähnliche Blindschleichen  nur  falsche  Rippen  ha- 
ben. Bei  den  Schildkröten  verbreitern  sich  die  acht 
mittleren  Rippen  jeder  Seite,  bis  sie  mit  einander  ver- 
Avachsen,  und  tragen  so  wesentlich  zur  Bildung  des 
Rückenschildes  bei.  Die  Entwicklungsgeschichte  hat  ge- 
zeigt, dass  von  den  beiden  Schenkeln,  durch  welche  die 
Rippen  sich  mit  den  Wirbeln  verbinden ,  der  untere ,  den 
man  für  gleichbedeutend  mit  dem  Hals  und  Kopf  der 
Säugethier-  und  Vogelrippen  hielt,  dies  nicht  ist,  aber 
auch  dem  tuberculiim  jener  nicht  völlig  äquivalent;  er 
entspricht  nur  einem  Theile  des  Rippenkörpers.  Die 
oberen,  mit  den  Dornfortsätzen  der  W^irbel  sich  verbin- 
denden Rippenschenkel  sind  den  Schildkröten  ganz  eigen- 
thümlich.  Auch  die  Rippen  der  Schildkröten  gelangen 
nicht  zum  Bauchschilde ,  was ,  nachdem  wir  das  Bauch- 
schild als  zum  Hautskelet  gehörig  kennen  gelernt,  um  so 
Aveniger  auffallend  ist. 


124  II'  Abschü.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Bei  den  Kr  okodilen  sind  acht  Rippen  durch  Knor- 
pel, die  aus  zwei  Segmenten  bestehen  (Mittelrippe, 
Sternalrippe)  mit  dem  Brustbein  verbunden.  Merkwürdig 
ist  das  Vorkommen  von  Bauchrippen  bis  zum  Becken, 
denen  nur  unvollständige  oder  rudimentäre  Rückenrippen 
entsprechen.  Man  hat  diese  Bauchrippen  als  sternum  ab- 
dominale^ Bauchbein,  zusammengefasst. 

Eine  eigenthümliche  Verlängerung  mehrerer  Rippen 
findet  sich  bei  Draco^  wo  sie  zur  Stütze  der  Flughaut 
dienen. 

Die  schon  bei  den  Krokodilen  vorkommenden  Pro- 
cessus uncinati^  vermittelst  welcher  die  Rippen  sich  dach- 
ziegelartig decken,  und  welche  daher  zur  Festigkeit  des 
Rumpfgerüstes  beitragen,  sind  bei  den  Vögeln  beson- 
ders entwickelt.  Bei  den  Vögeln  vorzugsweise  spricht 
man  von  Sternalrippen,  ossa  sternocostalia ,  durch 
welche  die  wahren  Rippen  mit  dem  Brustbeine  zusam- 
menhängen. Die  Verbindung  der  Rippen  mit  den  Wirbel- 
körpern durch  Hals  und  cnpituhini ,  mit  dem  Querfortsatz 
durch  das  tuber cufum  ist  bei  Vögeln  wie  bei  Säugethie- 
ren  die  gewöhnliche,  unter  letzteren  zeigen  namentlich 
die  M  0  n  0  t  r  e  m  e  n  und  C  e  t  a  c  e  e  n  in  Betreu*  der  Ver- 
bindung mit  den  Wirbeln  Abweichungen,  indem  bei  erste- 
ren  das  unvollständige  tubercuium  den  Ouerfortsatz  nicht 
erreicht ,  bei  den  Cetaceen  aber  die  hinteren  ,  seltner  alle 
Rippen  (Balaena  loiujimana)  nur  an  den  Querfortsätzen 
hängen. 

Das    Brustbein. 
Das  Brustbein  ist  ein    an    Form  und  Zahl  der  Kno- 
chenstücke,   aus    welchen    es    zusammengesetzt  ist,    sehr 
variirender  Skelettheil. 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  125 

Wie  die  Fische  haben  auch  die  Schlangen  und 
Schildkröten  kein  Brustbein.  Sehr  einfach  ist  es  bei 
den  nackten  Amphibien.  Von  den  Ringelechsen 
besitzt  es  der  mit  Vorderbeinen  versehene  Chirotes  cana' 
liculatus. 

Die  schlangen  form  igen  Schuppenechsen  ha- 
ben alle  sowohl  Schultergerüst  als  Brustbein ;  am  we- 
nigsten sind  diese  Theile  bei  Acojitias  entwickelt,  dann 
kommen  Angids,  Ophiosmiriis  und  Pseiidojms.  Das  Brust- 
bein derselben  besteht  aus  2  Stücken,  von  denen  das 
kleinere  neben  dem  grösseren  liegt,  durch  fibröses  Ge- 
webe fest  mit  demselben  verbunden. 

Auch  bei  den  meisten  übrigen  Sauriern  besteht 
das  Brustbein  aus  zwei  Theilen,  der  untere  ist  aber  mehr 
oder  weniger  vorn  über  den  hinteren,  grösseren  vorge- 
schoben, und  der  hintere  ist  aus  einem  plattenförmigen 
Hauptstücke  und  einem  paarigen ,  seltener  unpaarigen  An- 
hange zusammengesetzt  (Ausnahme  Chamae'eo). 

Die  Entwicklungsgeschichte  dieser  Stücke  lehrt ,  dass 
nicht ,  wie  man  früher  annahm ,  das  vordere ,  sondern 
die  grosse  schildförmige  Platte  dem  mamibrlnm  sterni  der 
Säuger  entspricht. 

(Rathke,  lieber  den  Bau  und  die  Entwicklung  des  Brustbeins   der 
Saurier.     Königsberg:,  1853.) 

Bei  den  meisten  Vögeln  ist  das  Brustbein  von  gros- 
sem Umfange  und  durch  einen  weit  hervorspringenden 
Kiel  ausgezeichnet.  Mit  der  Entwicklung  des  Brustbeins, 
wie  mit  der  Länge  der  Flügelknochen  pflegt  die  Flug- 
fähigkeit in  geradem  Verhältnisse  zu  stehen.  So  fehlt 
der  Kiel  den  straussartigen  Vögeln,  während  er  bei  den 


126  n.  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Kolibri ,  den  Raubvögeln  u.  a.  sehr  stark  ist.  An  dem 
hinteren  Rande  des  Brustbeins  finden  sich  sehr  gewöhn- 
lich ein  oder  zwei  Ausschnitte ,  seltener  Fontanellen. 

Den  meisten  Variationen  ist  das  Brustbein  der  S äu- 
get hier  e  unterworfen,  ohne  dass  diese  Veränderungen 
ein  besonderes  morphologisches  Interesse  hätten.  Es 
wird  gewöhnlich  aus  mehreren  hinter  einander  liegenden 
Stücken  gebildet,  deren  vorderstes  das  manubrium,  das 
hinterste  der  processus  ensifornns  ist.  Die  Segmente  des 
Brustbeinkörpers  entsprechen  in  der  Regel  den  interstiüa 
intercostalla. 

Schulter-  und  Beckengürtel.     Die  Extremitäten. 

Der  im  Allgemeinen  höchst  abweichend  gebaute 
Schultergürtel  der  Fische  lässt  sich  dennoch  auf  den 
Typus  dieser  Skeletpartie  bei  den  höheren  Wirbelthieren 
zurückführen.  Der  Hauptknochen  darin  {/mmems  Ciw.) 
ist  die  clavicula;  die  clamculae  beider  Seiten  verschmel- 
zen entweder  (bei  den  Rochen,  mit  Ausnahme  von  Tor 
peclo,  und  den  meisten  Haien)  oder  sie  bleiben  getrennt 
(bei  den  Knochenfischen,  Ganoiden,  Chimären,  Torpedo, 
Sphyrna,  Galeus,  Scyllhim,  Heptanchus,  Acanthias).  Von 
da,  wo  das  Schlüsselbein  sich  an  die  Schulterknochen 
anschliesst,  geht  bei  den  Ganoiden  und  den  meisten  Kno- 
chenfischen ein  aus  einem  oder  zwei  Stücken  bestehender 
Fortsatz  aus,  der,  bei  der  Deutung  des  grossen  Knochens 
als  clavicula,  es  coracoideum  oder  hinteres  Schlüsselbein 
zu  nennen  ist. 

Das  Schlüsselbein  ist  durch  einen,  gewöhnlich  aber 
zwei  Knochen  mit  dem  Schädel  verbunden ,  der  obere  ist 
das  OS  siiprascaptdare ,  der  grossen  cartilago  suprascapu- 
laris  der  Amphibien  entsprechend,    der  untere,    kleinere 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  127 

ist  die  scapula.  Die  meisten  Squaloiden ,  die  Lophobran- 
chier,  Mastacemblus  und  Dactylopterus  besitzen  diese 
Schulterknochen  nicht.  Dagegen  erreicht  bei  den  Rochen 
der  in  mehrere  Segmente  zerfallende  Claviculargürtel 
den  am  vorderen  Ende  des  Kopfes  liegenden  Schädel- 
f  lossenknorp  el. 

An  das  Schlüsselbein  schliesst  sich  die  Hand  bei  den 
Knorpelfischen  unmittelbar  an ,  bei  den  Siluroiden  und 
Stören  finden  sich  einige  Fortsätze  der  clavicula^  welche 
als  Rudimente  der  Armknochen  anzusehen,  hei  den 
meisten  Knochenfischen  uud  Ganoiden  aber  sind  Armkno- 
chen vorhanden.  Nie  tritt  jedoch  der  humerus  zwischen 
Schlüsselbein  und  Vorderarm,  hingegen  sitzen  die  bei- 
den Vorderarmknochen,  der  untere  und  vordere, 
radius  (ulna ,  C  u  v.j ,  und  die  meist  kleinere  Elle  ,  ulna 
(radius,  Cuv.),  unmittelbar  auf  der  clavicida  auf. 

Der  meist  einfache  carpiis  der  Knochenfische  (os 
carpij  Cuv.)  ist  ein  doppelter,  lamellöser  Kegel,  bei 
Lophius  besteht  er  aus  zwei  langen  Knochen ,  ebenso  bei 
Polypterus,  wo  aber  zwischen  die  beiden  noch  ein  dritter 
kleinerer  eingeschoben  ist.  Der  corpus  der  Knorpelfische 
und  Amia  hat  mehrere  den  Phalangen  ähnliche  Fortsätze. 
Aus  der  Vergleichung  der  Hand  von  Polypterus  bichir, 
der  sie  am  ausgebildetsten  besitzt,  ergiebt  sich,  dass 
alle  Knorpel-  und  Knochenfische  keinen  metacarpus  haben 
als  selbständiges  Glied  (wie  auch  die  Delphine  und  Ich- 
thyosaurus nicht). 

Rei  dieser  sonstigen  Uebereinstimmung  hat  man  wohl 
die  häufig  sehr  vermehrten  Flossenstrahlen  der 
Rrust-  und  Rauchflossen  mit  den  Finger-  und  Zehenglie- 
dern zu  vergleichen,  wobei  eine  allen  Fischen  gemein- 
same   Eigenthümlichkeit   zu  sein  scheint,    dass  sich   die 


128  II.  Abschn.     Die  Organe  der  Bewegung. 

Enden  der  Extremitäten  in  feine  Hornstrahlen  auflösen. 
Bedenken  gegen  diese  Deutung  könnten  die  Strahlen  der 
unpaaren  Rücken-,  After-  und  Schwanzflossen  erregen. 
Bei  den  meisten  Fischen  sitzen  die  Strahlen  der  Rücken- 
und  Afterflossen  auf  besonderen  Flossenträgern, 
welche  wiederum  an  die  processus  spinosi  superiores  und 
inferiores  befestigt  sind.  Die  Strahlen  der  Schwanzflosse 
sind  mit  dem  letzten  Wirbel  verbunden. 

Das  Scbultergerüst  der  ungeschwänzten  Batra- 
chier  und  Eidechsen  besteht  aus  vier  Stücken,  der 
cartilago  supruscapularis ,  scapula,  os  coracoideiim  und 
der  clavicula.  Sehr  vereinfacht  ist  dies  Gestell  bei  den 
geschwänzten  Batrachiern,  wo  jede  Seite  ein, 
durch  mehrere  Fortsätze  seine  Zusammensetzung  aus 
scapula^  clavicula  und  os  coracoideum  verrathendes  Gan- 
zes ausmacht.  Die  Verkümmerung  geht  bei  den  schlan- 
genähnlichen Eidechsen  noch  weiter;  doch  finden 
sich  selbst  bei  den  Ringelechsen  Andeutungen  des 
Schultergerüstes  als  zwei  kleine  Knochen  zwischen  dem 
Zungenbein  und  den  vordersten  Rippen,  ganz  von  Mus- 
keln umgeben;  auch  bei  denen,  welche  kein  Brustbein 
haben  ( Amphisbaena ^  Lepidosternon).  Die  Schlangen 
selbst  haben  keine  Spur  von  Schultergerüst  und  vorderen 
Extremitäten .  Den  Chamäleonten  und  Krokodilen 
fehlt  die  clavicula,  und  bei  den  Cheloniern  ist  die 
clavicida  ein  Fortsatz  der  scapula^  das  os  coracoideum, 
ein  meist  breiterer ,  einwärts  und  hinterwärts  gerichteter 
Knochen.  Die  Bildung  der  vorderen  Extremitäten  schliesst 
sich  an  die  der  Säugethiere  an. 

Das  Schultergerüst  der  Vögel  besteht  jederzeit  aus 
drei  Knochen ,  einer  meist  langen ,  schwertförmigen  sca- 
pula,   dem    starken    os    coracoideum    und   der    clavicula. 


2.  Kap.     Das  innere  Skelet.  129 

Gewöhnlich  verschmelzen  beide  claviculae  und  bilden  zu- 
sammen die  sogenannte  fiircula^  die  Gabel.  Mehrere 
Papageien  verlieren  die  furcula  ganz.  —  Die  Flügel- 
knochen der  Vögel  sind  folgende :  auf  den  humerus  folgen 
die  beiden  Vorderarmknochen,  der  vordere  schwächere 
vadius  und  dahinter  die  starke  ulna.  Die  zwei  Hand- 
wurzelknochen sind  klein ;  am  beträchtlichsten  an  der 
Hand  sind  die  beiden  Mittelhandknochen,  die  an  ihren 
Enden  verwachsen  sind.  Der  an  der  Radialseite  liegende 
ist  stärker  und  trägt  oben  (d.  h.  nach  der  Handwurzel 
zu)  auf  einem  Vorsprunge  den ,  meist  einen  einzigen  Pha- 
langen enthaltenden  Daumen  ,  unten  den  meist  zweigliedri- 
gen Mittelfinger,  neben  welchem  der  immer  eingliedrige 
dritte  Finger  liegt. 

Das  Schultergerüst  der  Säugethiere  besteht  in 
seiner  Vollständigkeit  aus  drei  Stücken:  os  coracoideum^ 
clavicula  und  scapula.  Das  os  coracoideum  verschmilzt 
jedoch  selbst  in  dem  einen  Falle,  bei  den  Monotre- 
men,  wo  es  vom  Schulterblatte  zum  Brustbein  reicht, 
später  mit  der  scapula;  bei  allen  übrigen  Säugethieren 
erscheint  es  nur  als  pvocessus  coracoideust  ohne  das 
Brustbein  zu  erreichen.  Für  die  clavicida  ist  als  Regel 
anzunehmen,  dass  sie  bei  denjenigen  Säugethieren  vor- 
kommt, welche  die  vorderen  Extremitäten  nicht  aus- 
schliesslich zum  Gehen  gebrauchen,  sondern  auch  zum 
Klettern  und  Graben ,  zum  Ergreifen  der  Nahrung  u.  dergl. 
Daher  besitzen  sie  z.  B.  viele  Nager  und  Insektivoren, 
die  Aflfen  vollständig.  Andere  Nager  (Lepus  u.  a.)  haben 
sie  unvollkommen.  Bei  den  reissenden  Thieren  wird  sie 
noch  mehr  rudimentär  {Felis)  oder  verschwindet  ganz. 

Die  ausserordentliche    Mannichfaltigkeit ,  welche  die 

9 


130  W-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Knochen  der  vorderen  Extremitäten  zeigen,  weniger  der 
Oberarm  und  die,  bei  den  Pachydermen  und  Hufthieren 
verschmelzenden  Vorderarraknochen ,  auch  die  ossa  carpi, 
als  die  ossa  metacarpi  und  die  phalanges ,  ist  bedingt 
durch  die  Lebensweise  der  verschiedenen  Abtheilungen. 
Die  Zahl  der  Mittelhand knochen,  gewöhnlich  fünf, 
ist  bei  den  Edentaten  und  Pachydermen  reducirt,  am 
meisten  aber  bei  den  Zwei-  und  Einhufern.  Hier  ist  nur 
ein  Mittelhandknochen  vollkommen  ausgebildet,  der  bei 
den  Pferden  einen  aus  drei  Phalangen  (Fesselbein,  Kro- 
nenbein, Hufbein)  bestehenden  Finger  trägt. 

Zum  Beckengürtel  gehören  jederseits  drei  Kno- 
chen ,  die  aber  ganz  oder  zum  Theil  verschwinden  können 
und  mehr  oder  minder  mit  einander  verwachsen;  es  sind 
das  Hüftbein  (os  ilenm) ,  Sitzbein  {os  ischii)  und 
Schaambein  (os  pubis). 

Der  paarige  Knochen  der  Knochenfische,  wie 
die  Beckenknorpel  der  Plagiostomen  scheinen  den 
ossa  jmbis  zu  entsprechen.  Die  Flossenknorpel  sind 
bei  den  Plagiostomen  an  zwei  von  den  Schenkeln  des 
Beckenbogens  nach  hinten  gerichteten  Knorpeln  befestigt, 
an  welche  sich  auch  die  zangenförmigen  Hülfsbegattungs- 
organe  der  Plagiostomen  und  Chimären  schliessen.  Der 
erwähnte  paarige  Knochen  der  Knochenfische  trägt  un- 
mittelbar die  Flossenstrahlen,  nur  bei  Polypterus 
finden  sich  ossa  metatarsi. 

Die  Amphibien  zeigen  die  grössten  Verschieden- 
heiten. Den  Schlangen  fehlen  zum  grossen  Theile 
Becken  und  hintere  Extremitäten  gänzlich,  ebenso  den 
Cöcilien  und  der  Gattung  Sireiu  Einige  Schlangen 
(Boa)  haben  jedoch  Spuren  von  Beckenknochen  und  Ex- 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  131 

tremitäten,  und  an  diese  reihen  sich  hinsichtlich  des 
Beckenrudimentes  die  schlangenähnlichen  Eidech- 
sen an,  während  die  übrigen  Eidechsen,  denen  sich 
die  Schildkröten  anschliessen,  ein  vollständiges  Be- 
cken besitzen.  Die  Krokodile  sind  durch  eine  sehr  ab- 
weichende Lage  der  Schaambeine  ausgezeichnet.  Unter 
den  Batrachiern  haben  die  ungeschwänzten  eine 
sehr  auffallende  Form  des  Beckens.  Die  Hüftbeine  sind 
sehr  lang  und  bilden  mit  ihrem  hinteren,  verbreiterten 
Theile  eine  Scheibe,  indem  dieser  sich  mit  dem  Sitzbein 
und  Schaambein  verbindet,  und  indem  die  letzteren  Kno- 
chen beider  Seiten  verschmelzen. 

Bei  denjenigen  Amphibien,  welche  nicht  rudimentäre 
Extremitäten  haben ,  sind  die  einzelnen  Knochen  derselben 
unschwer  auf  die  entsprechenden  Abtheilungen  der  Säu- 
gethiere  zurückzuführen.  Besonders  entwickelt  sind  bei 
den  Fröschen  das  Sprungbein  und  Fersenbein. 

Eine  Eigenthümlichkeit  des  Beckens  der  Vögel  ist, 
dass  es,  mit  Ausnahme  des  afrikanischen  Strausses,  un- 
ten offen  bleibt.  Die  Hüftbeine  verbinden  sich  sehr 
eng  mit  den  letzten  Rückenwirbeln  und  dem  Kreuzbein; 
Sitzbein  und  Schaambein  sind  nicht  beträchtlich, 
namentlich  letzteres  nur  ein  schmaler,  länglicher  Knochen, 
der,  nachdem  er  mit  dem  Unterrande  des  Sitzbeins  pa- 
rallel gelaufen  und  sich  mit  diesem  vereinigt  hat ,  es  nach 
hinten  überragt. 

Die  Fuss Wurzel kn och en  fehlen  den  Vögeln,  da- 
gegen ist  ein  Mittelfussknochen  (Lauf,  tarsus)  sehr 
entwickelt,  an  welchem  nach  innen  und  unten  häufig, 
wenn  eine  vierte  Zehe  vorhanden ,  ein  dieselbe  tragender 
kleinerer    Mittelfussknochen    befestigt    ist.     Die  Knie- 

9  * 


132  n.  Äbschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Scheibe,  die  auch  schon  hei  einigen  Amphibien  vor- 
kommt, findet  sich  bei  den  Vögeln  fast  allgemein.  Ihr 
entspricht  nicht  selten  an  den  vorderen  Extremitäten  die 
patelia  brachialis. 

Die  Säugethiere  haben  ein  vollständiges  Becken, 
mit  Ausnahme  der  Cetaceen,  wo  es  bis  auf  einen  oder 
zwei  kleine,  mit  dem  Kreuzbein  nicht  verbundene,  son- 
dern ganz  im  Fleische  liegende  Knochen  verkümmert. 
Die  Verbindung  mit  dem  Kreuzbein  geschieht  in  der  Re- 
gel nur  durch  das  Hüftbein.  Ausnahmsweise,  z.  B.  beim 
Vampir,  dem  Faulthier ,  ist  das  Becken  vorn  nicht  ge- 
schlossen. In  Bezug  auf  die  Weite  bilden  die  Faulthiere 
nach  der  einen ,  der  Maulwurf,  mit  sehr  engem  Becken, 
nach  der  anderen  Seite  das  Extrem*).  Ganz  eigenthüm- 
lich  sind  die,  beiden  Geschlechtern  gemeinsamen  soge- 
nannten Beutelknocheu  der  Monotremen  und  Beutel- 
thiere,  welche  auf  dem  vorderen  Schaambeinrande  sitzen. 

Die  hinteren  Gliedmassen  der  Säugethiere  sind 
im  Allgemeinen ,  was  die  Entwicklung  und  verhältniss- 
mässige  Länge  der  einzelnen  Partieen  anbetrifi't,  den  vor- 
deren sehr  ähnlich.  Bei  den  Springern  (Känguruh,  Di- 
pus^  Pedetes)  sind  die  Mittelfussknochen  in  ähnlicher 
Weise  verlängert  und  verschmolzen,  Avie  bei  den  Wie- 
derkäuern und  Pferden. 

Der  Kopf. 
Die  allgemeinsten  Veränderungen,  welche  die  Kopf- 


*)  Das  wunderlichste  Becken  ist  im  Besitz  des  Chlamydophorus 
iruncaius.  Siehe  Hyrtl's  Monographie.  Denkschr.  der  K.  Acad. 
Mat.  nat.  Klasse  IX.  1855. 


2.  Kap.     Das  innere  Skelet.  133 

knochen  bei  den  Wirbelthieren  erleiden ,  dürften  ungefähr 
folgende  sein: 

Der  Zusammenhang  des  Schädels  mit  der  Wirbel- 
säule ist  ein  sehr  verschiedener.  Bei  den  Fischen, 
deren  Schädelkapsel  eine  unmittelbare  Fortsetzung  des 
Rückenmarkrohres  ist,  findet  natürlich  keine  weitere  Ar- 
ticulation  statt.  Ganz  wirbelartig  ist  die  Verbindung  bei 
den  Knochenfischen,  wo  der  Körper  des  Hinterhaupt- 
beins eine  conische  Vertiefung  besitzt ,  wie  die  vordere 
des  ersten  Wirbels. 

Alle  übrigen  Wirbelthiere  zerfallen  in  solche  mit 
einem  einfachen  und  in  solche  mit  einem  doppelten  Ge- 
lenkkopf (condylus  occipitalis).  Zwei  Gelenkköpfe 
haben  die  Säugethiere  und  nackten  Amphibien, 
einen  Gelenkkopf  haben  die  Vögel  und  be- 
schuppten Amphibien.  Das  Hinterhauptbein 
zerfällt  sehr  allgemein  in  vier  Theile:  das  05  occipitale 
basilarBy  die  ossa  occipitalia  lateralia  und  das  o.  o.  supe- 
rius.  Ist  ein  einfacher  Gelenkkopf  vorhanden ,  so  nehmen 
an  seiner  Bildung  die  Seitentheile  und  das  Grundstück 
Theil,  wodurch  er  oft,  z.  B.  bei  den  Cheloniern,  drei- 
lappig wird.  Nur  ausnahmsweise ,  beim  Chamäleon ,  wird 
er  allein  von  den  Seitentheilen  gebildet,  die  bei  den 
Batrachiern,  denen  die  beiden  unpaarigen  Occipitalstücke 
gewöhnlich  ganz  fehlen,  jedes  in  einem  Gelenkkopf  endi- 
gen. Bei  den  Knochenfischen ,  dem  Chamäleon  und  den 
Cheloniern  findet  sich  über  jedem  occip.  laterale  noch 
ein  occipitale  externum. 

An  das  occipitale  basilare  schliesst  sich  nach  vorn 
immer  das  Keilbein,  05  sphenoideum,  mit  seinen  sehi 
variirenden  Flügelfortsätzen  an,  das  bei  den  Vögeln  und 


134  n.  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Amphibien  ungetheilt  ist,  dann  aber  in  der  Regel  statt 
des  vorderen  Stückes  einen  Stiel  besitzt.  Das  vordere 
Keilbein  der  Fische  (hier  sphenoid.  superius  genannt)  er- 
streckt sich  mit  seinem  Stiel  über  das  hintere ,  und  dieses 
wird  so  von  den  stark  entwickelten  ossa  petrosa  über- 
lagert, dass  es  von  der  eigentlichen  Begränzung  der 
Schädelhöhle  ganz  ausgeschlossen  ist. 

Bei  den  Säugethieren  gehören  allgemein  dem  hinte- 
ren Keilbeinkörper  die  alae  magnae  s.  temporales  an,  dem 
vorderen  Keilbeinkörper  die  alae  parvae  s.  orbitales.  Bei 
den  Monotremen  aber  findet  sich  hinter  der  eigentlichen 
ala  magna  noch  ein  zweiter  ähnlicher  Knochen ,  der  des- 
halb (von  Köstlin)  als  hinterer  Schläfenflügel 
gedeutet  worden  ist.  Darauf  gestützt  kann  man  aller- 
dings (mit  Köstlin)  auch  den  übrigen  Klassen  einen 
hinteren  Schläfenflügel  zuschreiben,  wodurch  man  aber 
genöthigt  ist,  anzunehmen,  dass  in  diesen  Fällen  mit 
Ausnahme  einiger  Fische,  das  Felsenbein  fehlt.  Von  den 
zwei  vor  den  ossa  occipitalia  lateralia  an  der  Seite  der 
Schädelaxe  liegenden  Knochenpaaren  der  Vögel  wird 
nämlich  das  hintere  gewöhnlich  (bei  Cuvier,  Meckel, 
Wagner,  Hallmann,  Stannius  u.  A.)  als  Felsen- 
bein betrachtet;  von  Köstlin  aber  ist  das  Felsenbein 
der  Vögel,  namentlich  aus  dem  Grunde,  weil  nicht  in 
ihm  allein  die  Theile  des  inneren  Ohres  liegen,  und  weil 
auch  die  Analogie  mit  den  Monotremen  dafür  zu  spre- 
chen scheint,  als  hinterer  Schläfenflügel  gedeutet.  Die 
alae  orbitales  fehlen  den  Vögeln  gewöhnlich  ganz  oder 
sind  nur  knorpelig,  selten  ossificirt;  nie  hängen  sie  mit 
dem  vorderen  Theile  des  Keilbeins ,  dem  sogenannten 
Keilbeinschnabcl  zusammen.     Bei  den  Amphibien  tritt 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  135 

dasselbe  Verhältniss  ein.  Spricht  man  den  Vögeln  das 
Felsenbein  ab,  so  muss  man  auch  bei  den  Amphibien  den 
nach  Cuvier's  Vorgange  sehr  allgemein  Felsenbein  be- 
nannten Knochen  als  hinteren  Schläfenflügel  bezeichnen, 
so  also  z.  B.  bei  den  Batrachiern  den  starken  vorstehen- 
den Knochen ,  welcher  das  Suspensorium  des  Unterkiefers 
trägt.  Wirkliche  knöcherne  alae  magiiae  (vordere  Schlä- 
fenflügel Köstlin;  alae  parvae  Meckel,  welcher  die 
peirosa  als  alae  magnae  nimmt)  besitzen  nur  die  Kroko- 
dile ;  rudimentär  sind  sie  bei  den  Schildkröten  vorhanden, 
oder  es  finden  sich  statt  ihrer  theilweise  ossificirte  Mem- 
branen, wie  bei  den  Sauriern,  oder  sie  sind  knorpelig, 
wie  bei  den  Fröschen.  Die  Schlangen  haben  keine  Spur 
davon.  Ganz  allgemein  fehlen  den  nackten  und  beschupp- 
ten Amphibien  die  Orbitalflügel.  Ueber  die  Fische  wird 
die  unten  folgende  Tabelle   Ausweis  geben. 

Die  Schliessung  der  Schädelhöhle  von  oben  geschieht 
von  hinten  nach  vorn  durch  das  obere  Hinterhauptbein, 
die  Scheitelbeine  und  Stirnbeine. 

Nur  selten  werden  die  Scheitelbeine^  055«  parle- 
talia,  dadurch,  dass  sich  Stirnbein  und  Hinterhaupt- 
schuppe berühren,  von  einander  gedrängt,  wie  bei  den 
Cetaceen.  Das  Scheitelbein  kann  auch  unpaarig  werden, 
wie  bei  den  Schlangen  und  Krokodilen.  Zu  den  Scheitel- 
beinen gehört  das  Zwischen  Scheitelbein,  os  inter- 
parietale,  was  sich  als  Schaltknochen  namentlich  bei 
TS^agern  und  Wiederkäuern  zwischen  die  Hinterhaupt- 
schuppe und  die  Scheitelbeine  einschiebt. 

Einer  der  veränderlichsten  Knochen  in  Bezug  auf  die 
Zahl  der  Stücke,  aus  denen  er  besteht,  ist  das  Stirn- 
bein, OS  frontale.     Schon    bei   den  Säugethieren  besteht 


136  II-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

es  aus  zwei  Hälften ,  die  nur  in  wenigen  Fällen ,  am  voll- 
kommensten bei  den  Affen,  wie  bei  dem  Menschen,  zu 
einer  Knochenplatte  verschmelzen.  Audi  das  Stirnbein 
der  Vögel  ist  paarig.  Bei  den  Amphibien  aber  und  Kno- 
chenfischen sondert  es  sich  in  vier ,  fünf  oder  sechs  ein- 
zelne Knochen. 

Die  Batrachier  besitzen  nämlich  mit  wenigen  Aus- 
nahmen (Proteiden)  ausser  den  bei  den  ungeschwänzten 
Batrachiern  mit  den  Scheitelbeinen  verwachsenen  Haupt- 
stirnbeinen, ossa  frontalia  principalia ,  noch  zwei 
ossa  frontalia  anteriora^  wozu  bei  den  Eidechsen  und 
Krokodilen,  die  nur  ein  frontale  principale  haben,  und 
bei  den  Schlangen,  Cheloniern  und  Fischen  zwei  frontalia 
posteriora  kommen.  Die  ossa  frontalia  anteriora  werden 
gewöhnlich  durch  die  ossa  nasalia  getrennt,  sie  stossen 
jedoch  bei  den  Cheloniern,  denen  die  Nasenbeine  nach 
der  gewöhnlichen  Ansicht  fehlen ,  in  der  Mitte  zusammen. 

Zur  Bildung  des  Augenhöhlenrandes  tragen  häufig 
accessorische  ossa  snpratemporalia  und  infraorbitalia  bei. 
Am  häufigsten  und  beständigsten  sind  die  ossa  infraorbi- 
talia bei  den  Fischen,  wo  sie  eine  vom  frontale  anterius 
unter  dem  Auge  bis  zum  froritale  posterius  verlaufende 
Reihe  bilden ,  und ,  wie  die  sogenannten  ossa  nasalia  und 
die  an  die  infraorbitalia  nach  hinten  sich  anschliessenden 
snpratemporalia,  von  den  sogenannten  Schleimcanälen 
mit  den  eigenthümlichen  Nervengebilden  (vergl.  S.  90) 
durchbohrt  werden. 

Das  Thränenbein,  os  lacrymale ,  ist  bei  den  mei- 
sten Säugethieren  vorhanden  und  fehlt  nur  bei  den 
Robben  und  dem  Wallross ;  bei  Manis  ist  es  sehr  innig 
mit  dem  Oberkiefer,  bei  den  Delphinen  mit  dem  Jochbein 


2.  Kap.     Das  innere  Skelct.  137 

verwachsen.  Das  Thränenbein  der  Vögel  (vorderes 
Stirnbein  Köstl.)  ist  in  der  Regel  ein  beträchtlicher, 
die  Augenhöhle  von  vorn  und  oben  begränzender  Kno- 
chen, der  hier  die  bei  den  Säugethieren  constante  Ver- 
bindung mit  dem  Oberkiefer  und  meist  auch  mit  dem 
Jochbein  aufgegeben  hat.  Unter  den  Amphibien  findet 
sich  das  Thränenbein  nur  bei  den  Sauriern  und  Kroko- 
dilen, bei  letzteren  besonders  entwickelt,  mit  einer  an- 
sehnlichen Gesichtsfläche.  Die  Fische  haben  keinen  Kno- 
chen, der  als  Thränenbein   angesprochen   werden  könnte. 

Eine  dem  Geruchsorgan  angehörige  Gruppe  bilden 
das  Siebbein,  die  Nasenbeine  und  das  Pflug- 
scharbein. 

Das  Siebbein,  os  eihmoideum^  der  S  äugeth  iere 
bildet  durch  die  gewöhnlich  mehr  als  beim  Menschen 
entwickelte  Siebplatte  den  vorderen  Schluss  der  Schädel- 
höhle. Mit  Ausnahme  der  Affen  und  einiger  Gürtelthiere 
(Cachicames  Cuv.)  fehlt  die  Orbitalplatte  des  Siebbeins, 
das  sogenannte  os  planum  oder  die  lamina  papyracea. 
Das  Siebbein  der  Vögel  besteht  aus  einer  grossen  un- 
paarigen Knochenplatte,  welche  namentlich  zur  Bildung 
der  Augenhöhlenscheidewand  beiträgt  und  häufig  an  der 
Schädeldecke  zum  Vorschein  kommt.  Unbedeutender  sind 
die  von  dem  vorderen  Rande  der  Mittelplatte  ausgehen- 
den Seitentheile  des  Riechbeins.  Den  beschuppten 
Amphibien  fehlt  das  Siebbein,  bei  den  nackten  Am- 
phibien betrachtet  man  geAvöhnlich  das  os  en  ceintuve, 
Cuv.,  einen  kurzen,  hohlen,  den  vorderen  Theil  der 
Hirnkapsel  bildenden  Cylinder,  als  Siebbein.  Von  oben 
wird  das  os  en  ceinUire  mehr  oder  weniger  von  den 
Scheitel-Stirnbeinen  verdeckt;  das  Siebbein  der  Fische 


138  II'  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

ist  ein  unpaariger  auf  dem  vorderen  Ende  des  Keilbeins 
und  dem  vorderen  Ende  des  Vomers  sich  befestigender 
Knochen,  der  nicht  mehr,  wie  bei  den  Vögeln,  die  Or- 
bitalscheidewand, sondern  die  ScheideAvand  der  Nasen- 
höhle bildet. 

Die  Nasenbe  ine  ,  ossa  nasalia,  der  S  äu  gethier  e 
bieten  viele  Veränderungen  dar.  Sie  nehmen  bei  den 
Aifen  an  Länge  zu  und  sind  lang  bei  den  meisten  Ord- 
nungen. Sehr  klein  und  verkümmert  sind  sie  bei  den 
Cetaceen ,  mit  denen  die  Fleischfresser  durch  die  schwim- 
menden Fleischfresser  verbunden  werden.  Sie  bedecken 
die  Nasenhöhle  von  oben  oder  von  vorn.  Auch  bei  den 
Vögeln  wird  die  Nasenhöhle  hauptsächlich  von  den 
Nasenbeinen  bedeckt;  ein  wesentlicher  Unterschied  liegt 
aber  in  der  theilvveisen ,  selten  völligen  Trennung  der 
Nasenbeine  durch  den  mittleren,  aufsteigenden  Ast  des 
Zwischenkiefers.  Die  meisten  nackten  und  beschuppten 
Amphibien  besitzen  zwei  Nasenbeine. 

Das  Pflugscharbein,  vomer^  der  Säuget  hier  e 
ist  einfach;  es  erreicht  bei  den  ächten  Cetaceen  eine 
ausnehmende  Grösse.  Auch  bei  den  Vögeln  ist  dieser 
Knochen  einfach,  doch  tritt  hier  an  seinen  breiteren  En- 
den eine  Spaltung  ein,  die  bei  Rhea  Novae  Hollandiae 
fast  vollständig  ist.  Bei  den  meisten  Amphibien  zer- 
fallt der  Vomer  wirklich  in  zwei  seitliche  Hälften  5  nur 
bei  den  Cheioniern  ist  er  unpaar;  den  Krokodilen  fehlt 
er  ganz.  Der  Vomer  der  Fische  ist  eine  horizontale 
Platte  und  dient  hier,  wie  auch  bei  den  nackten  Amphi- 
bien, nicht  mehr  als  senkrechte  Scheidewand,  obschon  er 
der  innigen  Verbindung  mit  dem  Keilbein,  Oberkiefer  und 
Gaumenbogen  getreu  geblieben  ist. 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  139 

Um  die  Veränderungen,  welche  die  Knochen  der 
Schläfengruppe  sammt  dem  Jochbein,  os  jugale, 
erleiden,  und  namentlich  ihre  Beziehungen  zu  den  Kiefern 
zu  verfolgen ,  erscheint  es  auch  am  zvveclimässigsten, 
vom  Menschen  und  von  den  Säugethieren  auszugehen. 
Von  den  zum  Schläfenbein  gehörigen  Knochen ,  der 
Schuppe,  dem  os  tywpanlciim  ^  petrosum  und  mastoi- 
deum,  ist  der  letztere  bei  den  Säugethieren  nicht 
constant,  wenig  entwickelt  und  mit  dem  Felsenbeine  ver- 
schmolzen. Er  kann  ganz  fehlen,  wie  bei  den  ächten 
Cetaceen  und  den  Monotremen.  Es  sind  mit  ihm  nicht 
die  starken  processiis  paramastoiclei  oder  jugulares  (z.  B, 
beim  Schwein)  zu  verwechseln ,  welche  dem  Hinterhaupts- 
beine angehören.  Durch  eine  Auftreibung  des  Trommel- 
knochens, an  der  mitunter  auch  das  Felsenbein  Theil 
nimmt,  entsteht  die  vorzüglich  bei  Nagern  und  reissen- 
den Thieren  sehr  beträchtliche  Knochenblase,  die  bulla 
ossea. 

Bei  den  Vögeln  kann  man  von  diesen  Knochen  am 
leichtesten  die  Schuppe  und  das,  mit  den  benachbarten 
Knochen  das  Labyrinth  enthaltende  Felsenbein  (hinte- 
rer Schläfenfiügel  Köstl.)  unterscheiden.  Nun  ist  aber 
der  Unterkiefer  nicht  mehr,  wie  beim  Menschen  und  den 
Säugethieren  an  der  Schläfenschuppe  selbst  eingelenkt, 
sondern  diese  Verbindung  ist  durch  einen  zwischen 
Schuppe  und  Unterkiefer  getretenen  Knochen,  das  Qua- 
dratbein, OS  quadratum ,  vermittelt.  Dieses  entspricht, 
gemäss  seiner  Entstehung  aus  dem  ersten  Visceralstreifen, 
dem  Arabos.  (Columella  der  Vögel-Steigbügel ,  aus  dem 
zweiten  Visceralstreifen.)  Auch  das  Verhältniss  der 
Schuppe  zum  Oberkiefer  ist  ein    anderes  geworden.     Bei 


140  '!•  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

den  Säugethieren  nämlich  ist  die  Verbindung  des 
Oberkiefers  mit  dem  Jochfortsatz  der  Schläfenschuppe 
durch  das  Jochbein  sehr  constant,  und  nur  einige 
Edentaten ,  deren  Jochbein  nicht  bis  zum  Schläfenbeine 
reicht,  und  einige  Andere  (Centetes,  ßlanis,  Sorex)^  die 
gar  kein  Jochbein  haben,  machen  eine  Ausnahme.  Die 
Verbindung  des  Jochbeins  mit  dem  Jochfortsatze  des 
Stirnbeins,  wie  sie,  ausser  beim  Menschen,  auch  beiden 
Affen,  den  Ein-  und  Zweihufern  u.  a.  vorkommt,  ist  we- 
nig wichtig.  Bei  den  Vögeln  ist  nun  zwischen  das  lange 
dünne  Jochbein  und  das  Quadratbein  ein  neuer,  dem 
Jochfortsatze  der  Schuppe  der  Säugethiere  zu  verglei- 
chender Knochen  eingeschoben ,  das  Quadratjoch- 
bein, OS  qiiadrato-jiigale.  Durch  das  Quadratbein  und 
das  ihm  eingelenkte  Quadratjochbein  ist  auch  der  ganze 
Oberkieferapparat  beweglich  geworden  und  kann  sich 
heben  und  senken. 

Das  Quadratjochbein  wird  in  den  folgenden 
Klassen  dadurch  von  besonderer  Wichtigkeit,  dass  es  all- 
mälig  dazu  übergeht,  den  Unterkiefer  zu  tragen. 

Die  Verbindung  der  beiden  Theile  des  Jochbogens 
(os  jugale  und  quadrato-jugnle)  unter  einander ,  des  Joch- 
beins mit  dem  Oberkiefer  und  des  Quadratjochbeins  mit 
dem  Quadratbein  wird  noch  einmal  bei  den  Krokodilen 
und  Cheloniern  eine  sehr  feste.  Bei  den  Krokodi- 
len legt  sich  das  Quadratjochbein  an  die  ganze  äussere 
vordere  Kante  des  Quadratbeins,  und  dieselbe  Lage  hat 
es  bei  den  Seeschildkröten;  dagegen  ist  es  bei  den 
Landschildkröten  an  den  oberen,  vorderen  'Theil 
des  Quadratbeins  gerückt. 

Bei  den  Eidechsen  tritt    eine    Verkümmerung  des 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  141 

Joclibogens  ein.  Nur  einzelne,  wie  Stellio,  haben  Joch- 
bein und  Quadratjochbein  vollständig,  dann  löst  sich  das 
Jochbein  vom  Quadratjochbein  los,  bei  Monitor ^  und  der 
Uebergang  zu  den  Schlangen  ist  vollendet  durch  Gecko, 
wo  beide,  den  Schlangen  gänzlich  mangelnde  Knochen 
sehr  rudimentär  sind  oder  auch  fehlen. 

Die  bei  Krokodilen  und  Cheloniern  hinter  und 
über  dem  Quadratbein  gelegene,  mit  den  benachbarten 
Knochen  Test  verbundene  Schläfenschuppe  nimmt 
bei  den  Schlangen  eine  längliche  Gestalt  an  und  ist 
beweglich  am  Scheitelbein  und  seitlichen  Hinterhauptsbein 
befestigt.  Sie  verschwindet  bei  den  Engmäulern  und 
ist  auch  bei  den  meisten  Sauriern  rudimentär.  Auch 
den  nackten  Amphibien  fehlt  die  squama^  und  das 
Quadratbein  ist  an  dem  seitlich  hervortretenden  os  petro- 
surn  aufgehängt.  Das  Jochbein  haben  die  nackten  Am- 
phibien nicht,  und  die  Verbindung  des  Oberkiefers  mit 
dem  Quadratbein  Avird  jetzt  hergestellt  durch  einen  vom 
unteren  Ende  des  Quadratbeins  ausgehenden  Knochen; 
dieser  ist  das  Quadrat  Jochbein,  welches  zugleich  die 
Gelenkfläche  für  den  Unterkiefer  darbietet.  Somit  sind 
wir  bei  den  Fischen  angelangt. 

Bei  den  meisten  Knochenfischen  wird  derjenige 
Knochen,  der,  wie  bei  den  Schildkröten  und  Krokodilen, 
mit  seinem  vorderen  Ende  an  das  hintere  Ende  des  fron- 
tale posterius  j  dessen  innerer  Rand  an  das  parietale  stösst, 
und  den  man  wohl  am  passendsten  als  Schläfen- 
schuppe (mastoidien^  Cus\)  betrachtet,  mit  dem  Unter- 
kiefer durch  eine  Reihe  von  Knochen  verbunden,  deren 
Zahl  im  Maximum  fünf  beträgt.  Von  Cuvier  sind  diese 
Knochen  so  benannt :  der  obere ,  an  das  mastoideum  stos- 


142  II-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

sende  heisst  temporale^  der  mit  der  Gelenkfläche  für  den 
Unterkiefer  versehene  ^2/^7«/^ ,  zwischen  beiden  liegen  nach 
vorn  das  flache  iympanlcwn ,  nach  hinten  das  kleinere 
stabförmige  symplecüciim;  endlich  gehört  das  längliche 
praeoperculum  dazu.  Wie  das  sywplecticum  scheint  auch 
das  tympunicum  ein  blosses  Schaltstück  zu  sein ;  beide 
Stücke  kommen  bei  den  Welsen  gar  nicht  vor,  und  auch 
bei  anderen  Knochenfischen ,  z.  B.  den  Muränoiden  (Mu- 
raenophis  Jielena)  ist  eine  bedeutende  Reduction  eingetre- 
ten. Hält  man  das  mastoideiim  C  u  v.  für  die  Schläfen- 
schuppe ,  so  ist  der  mit  ihr  verbundene  Knochen  (tem- 
poral C u V.)  das  Quadratbein,  der  mit  dem  Unterkie- 
fer articulirende  aber  das  Quadratjochbein.  Setzen 
wir  ferner  das  Quadratbein  der  Vögel,  Amphibien  und 
Fische  nicht  gleich  dem  tympanicum  der  Säugethiere, 
sondern  betrachten  es  nur  als  abgelöstes  Gelenkstück  des 
Schläfenbeins,  so  scheint  das  tympanicum  wieder  in  dem 
praeoperculum  der  Fische  aufzutreten. 

Bei  den  Stören  und  Spatularien  unterscheidet 
man  noch  drei  Stücke  im  Suspensorium  des  Unterkiefers; 
bei  den  Plagiostomen  ist  nur  ein  einziges  Knorpel- 
stück vorhanden,  und  dieser  Stiel  ist  bei  den  Chimären 
ein  blosser  Fortsatz  der  Schädelkapsel. 

Zu  den  oberen  Kieferknochen  rechnen  wir  den 
Zwischenkiefer  (os  inlermaxillare^ ^  Oberkiefer 
(os  supramaxillare) ,  das  Gaumenbein  (palatinum)  und 
Flügclbein  (p terygoideum) . 

Der  auch  beim  Menschen  vorhandene ,  aber  frühzeitig 
mit  dem  Oberkiefer  verschmelzende  Zwischenkiefer 
bildet  gewöhnlich  das  vordere  und  obere  Schnauzenende; 
er  ist  paarig  bei  den  Säugethieren ,   Krokodilen,   Che- 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  143 

loniern  (mit  Ausnahme  von  Chelys),  nackten  Amphibien 
und  Fischen,  einfach  bei  den  Vögeln,  wo  er  den  gröss- 
ten  Theil  des  Schnabels  bildet,  bei  den  Ophidiern  und 
Sauriern  (mit  Ausnahme  der  Scincoiden).  Bei  den  Säu- 
gethieren  trägt  der  Zwischenldefer  immer  die  Schnei- 
dezähne und  ist  daher  mit  diesen  z.  B.  beim  Dugong,  dem 
Elephanten  sehr  entwickelt,  jedoch  oft  auch  da,  wo  die 
Schneidezähne  fehlen,  bei  den  Wiederkäuern,  ganz  an- 
sehnlich. Seine  Verbindung  mit  dem  Oberkiefer  ist  bei 
den  Fischen  eine  sehr  lose,  und  nur  bei  den  Pecto- 
gnathen  sind  beide  Knochen  verwachsen. 

Mit  Ausnahme  der  Vögel  und  der  meisten  Fische, 
deren  Zwischenkiefer  an  Ausdehnung  den  Oberkiefer 
übertrifft,  ist  dieser  in  der  Regel  der  Hauptknochen  der 
Oberkiefergruppe.  Er  besteht  aus  zwei  Seitenschenkeln. 
Er  tritt  namentlich  bei  den  Schlangen  bedeutend  gegen 
den  Zwischenkiefer  hervor,  kann  aber  auch  ganz  ver- 
schwinden, wie  wir  an  vielen  Welsen  und  Aalen  sehen. 

Von  der  innerhalb  der  Oberkieferregion  wiederum 
näher  zusammengehörigen  Gruppe  der  Gaumen-  und  Flü- 
gelbeine (Gaumen bogen)  ist  das  Gaumenbein  das 
vordere,  das  Flügelbein  das  hintere  Glied. 

Bei  den  meisten  Säugethieren  wird  das  Gau- 
menbein weit  mehr  äusserlich  sichtbar,  als  beim  Men- 
schen; in  dem  Maasse,  als  das  Flügelbein  sich  von  dem 
Oberkiefer  entfernt,  und  je  grösser  diese  Entfernung  ist, 
desto  niedriger  pflegen  beide  Knochen  zu  werden.  In 
Bezug  auf  die  Höhe  der  Knochen  schliessen  sich  daher  an 
den  Menschen  der  Elephant ,  das  Känguruh ,  die  pflanzen- 
fressenden Cetaceen  an.  Bei  den  Menschen  ist  das  Flü- 
gelbein (als  ala  pterygoidea  interna)  sehr  eng  mit  dem 


144  II.  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Flügelfortsatz  des  Keilbeins  verbunden  und  hat  überhaupt 
eine  sehr  geringe  Ausdehnung.  Ein  ähnliches  Verhalten 
zwischen  beiden  Theilen  findet  bei  den  Affen  und  Halb- 
affen statt.  Auch  bei  den  Pachydermen  tritt  das  Flügel- 
bein gegen  den  Flügelfortsatz  zurück;  bei  den  Wieder- 
käuern, zu  welchen  das  Pferd  führt,  halten  sich  Flügel- 
bein und  Flügelfortsatz  schon  die  Wage,  und  in  der 
Ordnung  der  Nager  (z.  B.  bei  Castor ,  Hystrix)  nimmt 
der  Flügelfortsatz  im  Gegensatz  zum  Flügelbein  mehr 
und  mehr  ab,  bis  er  bei  den  Beutlern  ganz  rudimentär 
wird  oder  verschwindet.  So  ist  es  auch  bei  den  meisten 
Fleischfressern.  Die  Edentaten  und  Monotremen  haben 
keine  Spur  von  Flügelfortsätzen. 

Bei  den  Vögeln  ist  die  Verbindung  des  Gaumen- 
und  Flügelbeins  mit  der  Schädelaxe  eine  viel  losere 
geworden,  als  bei  den  Säugethieren ;  beide  liegen  nur 
mit  einem  Ende,  das  Gaumenbein  mit  dem  hinteren,  das 
Flügelbein  mit  dem  vorderen ,  an  dem  Keilbein  an.  Nach 
vorn  stellt  das  Gaumenbein,  wie  bei  den  Säugethieren, 
die  Verbindung  mit  dem  Oberkiefer  her,  das  Flügelbein 
aber,  stielförmig,  cylindrisch  oder  zusammengedrückt, 
geht  nach  hinten  und  aussen  zum  Quadratbein,  mit  dem 
es  articulirt. 

Unter  den  x\mphibien  werden  wir  hinsichtlich  der 
Verbindung  der  Gaumen-  und  Flügelbeine  mit  der 
Schädelaxe  durch  die  Krokodile  und  Schildkröten  wieder 
an  die  Säugethiere  erinnert,  wogegen  bei  den  Sauriern, 
Schlangen  und  nackten  Amphibien  die  Befestigung  an 
Keilbein  und  Pflugscharbein  sehr  gering  wird  oder  weg- 
fällt ,  und  daher  die  Hauptbestimmung  des  Gaumenbogens 
die  Verbindung  des    Oberkiefers   mit  dem    Suspensorium 


2.    Kap.  Das  innere  Skelet.  145 

des  Unterkiefers  ist,  >venngleich  da,  wo  das  Gaumenbein 
verloren  geht  (bei  den  meisten  geschwänzten  Batrachiern) 
der  Gaumenbogen  den  Oberkiefer  gar  nicht  erreicht.  Bei 
den  Sauriern,  Schlangen  und  Krokodilen  tritt,  mit  weni- 
gen Ausnahmen,  ausser  dass  das  Gaumenbein  zum  Ober- 
kiefer geht,  noch  ein  Zwischenglied  zwischen  Oberkiefer 
und  Flügelbein  auf,  das  os  transversum  s.  pterygoideum 
externum]  bei  einigen  Schildkröten  (Testudo,  Trionyx) 
berührt  das  Flügelbein  selbst  das  hintere  Ende  des  Ober- 
kiefers. Ein  anderer  hierher  gehöriger,  den  meisten 
Sauriern  zukommender  Knochen  ist  die  columellay  welche 
das  Flügelbein  mit  dem  Scheitelbein  verbindet. 

Bei  den  ächten  Schlangen ,  denen  Jochbein  und  Qua- 
dratjochbein fehlen,  ist  der  Gaumenbogen  die  einzige 
sehr  bewegliche  und  verschiebbare  Brücke  zwischen  Ober- 
kiefer und  dem  Suspensorium  des  Unterkiefers  geworden. 

Der  Gaumenapparat  der  Fische  besteht  sehr  all- 
gemein aus  drei  Stücken;  das  oberste  und  vorderste  mit 
dem  ethmoideiim  ^  gewöhnlich  auch  mit  dem  Oberkiefer 
und  dem  vorderen  Stirnbein  verbunkene  ist  das  Gaumen- 
bein. Das  Flügelbein  ist  in  zwei  Theile  zerfallen, 
in  einen  vorderen  (transversum,  Cuv.)  und  einen  inneren 
(transversum,  Köstl.).  Das  vordere  verbindet  sich  mit 
dem  quadrato  -  jugale ,  das  innere  mit  dem  tympanicum, 
Cuv.,  welches  letztere  selbst  als  ein  Demembrement  des 
Flügelbeins,  als  pterygoideum  posterius  betrachtet  wer- 
den kann. 

Der  Unterkiefer  zeigt  die  grössten  Verschieden- 
heiten hinsichtlich  der  Anzahl  der  Stücke,  aus  denen 
seine  beiden  Seitenhälften  zusammengesetzt  sind,  abge- 
sehen   von    den    Veränderungen    der    Form,    welche   er 


10 


146  II-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

innerhalb  der  Klassen  annimmt.  Bei  den  Säugethie- 
ren  sind  die  Hälften  einfach,  verschmelzen  jedoch,  wie 
heim  Menschen,  bei  den  Affen,  Fledermäusen,  Pferden 
und  Pachydermen  zu  einem  Stücke,  während  sie  bei  den 
übrigen  durch  Faserknorpel  fest  verbunden  sind. 

Bei  den  Vögeln  besteht  der  Unterkiefer  aus  11 
Stücken,  einem  unpaaren  (os  dentale)  und  5  paarigen, 
die  den  gleich  zu  nennenden  Theilen  bei  den  Amphibien 
entsprechen,  jedoch  sehr  früh  unter  einander  und  mit 
dem  Zahnstück  verwachsen. 

Die  bei  den  meisten  beschuppten  Amphibien  den 
Unterkiefer  zusammensetzenden  Stücke  sind  1)  das  Zahn- 
stück, 05  dentale,  trägt  Zähne,  mit  Ausnahme  der  Che- 
lonier,  bei  denen  es  auch  (Chclys  ausgenommen)  unpaar 
ist;  2)  das  Gelenk  stück,  os  articidare,  bildet  allein 
oder  mit  den  zwei  folgenden  die  Gelenkfläche  für  das 
Quadratbein;  3)  das  hintere  Ausfüllungsstück, 
OS  angulare,  bildet  den  unteren  Wirbel;  4)  das  äussere 
Ausfüllungsstück,  os  supraangnlare,  liegt  über  dem 
angulare^  aussen  auf  dem  hinteren  Theile  des  Unterkie- 
fers; 5)  das  innere  Ausfüllungsstück,  os  opercu- 
luve,  trägt  zur  Bildung  der  inneren  Wand  des  Unterkie- 
fers bei;  6)  das  Kronenstück,  os  cotnplementare j  ist 
unbedeutend  bei  den  Krokodilen,  ansehnlicher  bei  den 
Sauriern  und  Ciieloniern.  Von  diesen  Knochen  fehlen  den 
Schlangen,  namentlich  den  giftigen,  mehrere;  bei  den 
Euryslomi  sind  die  Kieferäste  nur  durch  Band  mit  einan- 
der vereinigt.  Beiden  nacktenAmphibien  tritt  eine 
noch  grössere  Reduction  der  Knochenstücke  ein,  die  zum 
Theil,  wie  das  articidare,  knorpelig  bleiben. 

Bei  den  Knochenfischen  finden  sich  nur  selten 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  147 

(Lepidosteiis ,  Osteoglossum)  die  aufgezählten  sechs  Stücke, 
meist  sind  nur  drei,  nämlich  das  os  dentale,  articulare 
und  angidare,  weniger  häufig  auch  das  opercidare  vor- 
handen. 


10* 


148 


n.  Absclm.    Die  Organe  der  Bewegung. 


Cuvier. 
occipitale  externum 

ala  magna 
ala  parva 


Verschiedene  Benennungen 

Meckel.  Wagner. 

seitliches  oberes   Hin-  seitliches  oberes  Hin- 
terhauptsbein terhauptsbein 
Felsenbein                      Felsenbein 
grosser  (hinterer)  Keil-  grosser  Flügel 
beinflügel 


sphenoideum  anterius    vorderer  Keilbeinflügel  kleiner  Flügel 


petrosum*) 
frontale  posterius 
mastoideum 

temporale 
tympanicum 

symplecticum 

iugale 
pterygoideum 

transversum 


Schlafbeinschuppe  Schlafbeinschuppe 

Zitzenstück  des  Schlaf-  Zitzenbein 
beins 

oberes  Gelenkbein 
scheibenförmiges 

Quadratbein,    Gelenk-      ^*"^^ 
theil  des  Schlafbeins  g^ffelförmiges  Stück 


unterer  Flügel 


unteres  Gelenkbein 


untere  Flügel 


palatinum 
frontale  anterius 


Gaumenbein  Gaumenbein 

seitliches  Riechbein       seitliches  Riechbein 


*)  Dieser  Knochen  ist  am  meisten  entwickelt  bei  den  Gadoiden. 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet. 


14ft 


von  Knochen  des  Fiscbkopfes. 

Hallmann.  Kostlin. 

OS    occipitale    extern,  occipitale  externum 

mastoideum 
petrosuin  hinterer  Schläfenflügel 

ala  magna  vorderer  Schläfenflü- 

gel 
ala  parva*}  und  sphe-  Orbitalflügel *)undDe- 
noideum  superius  **)      membrement  d.  Keil- 
beins 


Müller. 


OS  innominatum 
frontale  posterius 
squama  tomporalis 

quadratum  seu  tym- 
panicum 

pterygoideura  poste- 
rius 

symplecticum 

quadrato-iugale,  qua- 
drato-maxillare 

pterygoideum  inter- 
num 

pterygoideum  exter- 
num s.  anterius 

palatinum 

frontale  anterius 


Zitzenbein 
frontale  posticum 
Schläfenschuppe 


Gelenktheil  des  Schlä- 
fenbeins, Quadrat- 
beingruppe 

transversum 

Flügelbein 

Gaumenbein 
front,  anticum 


mastoideum 
0.  temporale 

Schaltstück 

Schaltstück 
quadrato-iugale 

pterygoideum  inter- 
num 

pterygoideum  exter- 
num 

palatinum 


*)  Bei  den  Welsen,  Aalen,  Mormyrus  ^  ErythrinuSf  Polypterus, 
den  Cyprinoiden,  Clupea^  L.;  Salmo,  Cuv. 

**)  Bei  den  Acanthopterygiern  (mit  Ausnahme  der  Gobioiden  u. 
a.),  Hechten  (mit  Ausnahme  von  Mormynis)  ^  Clupea^  L.  SalmOf 
Cuv.  u.  a. 


150  II'  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Das  Zungenbein  und  der  Kiemenapparat. 

Das  Zungenbein,  os  hyoideum^  der  Säugethiere 
bestellt  aus  dem  Körper  und  zwei  Paar  Hörnern. 
Ersterer  ist  sehr  verschieden  gestaltet.  Eine  der  abwei- 
chendsten Formen  hat  Mycetes,  wo  er  zur  Aufnahme  ei- 
nes vom  Kehlkopf  ausgehenden  Sackes  ausgehöhlt  ist. 
Die  vorderen ,  den  Körper  an  die  pars  petrosa  des  Schlä- 
fenbeins heftenden  Hörner  haben  zwei  bis  drei  Segmente, 
deren  letztes  als  processus  hyoideus  mitunter  (Mensch, 
Orang)  mit  dem  Schädel  verwächst.  Die  hinteren,  auch 
zuweilen  (bei  Nagern,  Cetaceen,  Edentaten)  fehlenden 
Hörner  sind  gewöhnlich  einfach  und  stehen  mit  den  obe- 
ren Hörnern  des  Schildknorpels  in  Verbindung. 

Das  Zungenbein  der  Vögel  ist  nach  einem  sich 
ziemlich  gleichbleibenden  Typus  gebaut.  An  den  einfa- 
chen länglichen  Zungenbeinkörper  schliessen  sich  vorn 
gew^öhnlich  die  paarigen,  mehr  oder  minder  mit  einander 
verschmolzenen  ossa  entoglossa  an  (^als  deren  Ueberbleib- 
sel  bei  den  Säugethieren  die  sogenannte  lytta  anzusehen). 
Nach  hinten  verlängert  sich  der  Körper  in  den  Stiel.  Die 
beiden  aus  zwei  bis  drei  Segmenten  bestehenden  Hörner 
werden  bei  einigen  Vögeln  auffallend  lang,  indem  sie  sich 
über  den  Schädel  herum  bis  zu  den  Nasenbeinen  und 
Oberkiefer  biegen  (Specht,  Wendehals,  Kolibri). 

Die  beschuppten  Amphibien  bieten  hinsichtlich 
der  Form  und  Ausdehnung  des  Zungenbeinkörpers  und 
der  Anzahl  der  Hörner  sehr  viele  Verschiedenheiten  dar. 
Bei  den  Schlangen,  deren  Zunge  in  einer  Scheide  liegt, 
finden  sich  nur  Spuren  des  Zungenbeins  als  zwei  zur 
Seite  der  Scheide  liegende  und  sich  vorn  vereinigende 
Knorpelstreifen.  Die  Saurier  und  Schildkröten  haben 
meist  mehrere,  die  Krokodile  nur  ein  Paar  Hörner. 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  151 

Die  nackten  Amphibien  schliessen  sich  eines 
Theils,  wenn  sie  Luft  athmen,  in  der  Zusammensetzung 
des  Zungenbeins  an  die  bisher  betrachteten  Formen  an, 
andern  Theils ,  als  Wasser  athmende  Larven  und  Perenni- 
branchiaten,  wo  mit  dem  Zungenbein  der  Kiemenbogen- 
apparat  verbunden  ist,  zeigen  sie  grosse  Aehnlichkeit  mit 
den  Fischen. 

Der  Axentheil  des  Zungenbeins  der  Perennibranchia- 
ten,  mit  Anschluss  der  Larven  der  später  Luft  athmen- 
den  Batrachier,  besteht  gewöhnlich  aus  mehreren  hinter 
einander  gelegenen  Stücken ,  deren  eines  (die  copula, 
Zungenbeinkörper)  die  mit  dem  os  petrosiim  verbundenen 
Zungenbeinbogen  vereinigt.  Auf  zwei  jederseits  von  der 
hinteren  Verlängerung  der  copula  abgehenden,  den  Zun- 
genbeinbogen parallelen  Knochen  sitzen  die  drei  oder 
vier  Kiemenbogen  (arcus  bvanchiahs). 

Das  Zungenbein  und  der  Kiemenbogenapparat  der 
höheren  Knorpelfische  und  der  Knochenfische 
zeigt  im  Allgemeinen  folgende  Zusammensetzung:  Das 
vorderste  Stück  der  Axe  ist  das  die  Zunge  stützende  os 
linguale  (Knochenfische),  auf  welches  die  copula  folgt; 
diese  verbindet  die  beiden  gewöhnlich  aus  mehreren  Seg- 
menten bestehenden  Zungenbeinbogen.  Die  Zungen- 
beinbogen tragen  mehrere  Strahlen,  racUl  branc/uostegi, 
zwischen  denen  eine  zur  Schliessung  der  Kiemenhöhle 
beitragende  Haut,  membrana  branchiostega ,  ausgespannt 
ist.  Von  der  Vereinigungsstelle  der  Bogen  erstreckt  sich 
bei  den  meisten  Knochenfischen  nach  hinten  und  unten  der 
ansehnliche  Zungenbeinkiel.  In  einer  Reihe  mit  os 
linguale  und  copula  folgen  nach  hinten  mehrere  unpaare 
Stücke,  die  Träger  der  vier  eigentlichen  Kiemenbo- 
gen   und    des   fünften,     welcher   fast    nie    (Lepidosiren) 


152  II.  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Kiemenblättchen  trägt,  sondern,  gewöhnlich  mit  Zähnen 
bewaffnet,  untererSchlundknochen  (os phuryngeum 
inferius)  genannt  wird.  Die  Seitenschenkel  jedes  Kiemen- 
bogens  bestehen  aus  zwei  bis  vier  Stücken,  von  denen 
die  oberen ,  die  sich  häufig  durch  ihre  starke  Bewaffnung 
auszeichnen,  obere  Schlundknochen  (ossa  pharyngea 
superiora)  genannt  werden.  Aus  einer  eigenthümlichen 
Entwicklung  des  dritten  Gliedes  vom  ersten  Kiemenbogen 
gehen  (nach  Peters  Entdeckung)  die  als  accessorische 
Athemorgane  dienenden  Labyrinthe  der  Familie  Labyrin- 
thici  hervor,  während  ausserdem  noch  die  oberen  Schlund- 
knochen vorhanden  sind. 

Zum  Kiemenapparat  gehört  auch  der  Kiemen- 
deckel, der  bei  Sturionen  und  Knochenfischen 
aus  drei  Stücken  besteht,  dem  operciilum^  suboperculum 
und  interoperculum.  Das  operculum ,  der  grösste  Kno- 
chen, ist  durch  eine  Gelenkpfanne  mit  dem  Gelenkkopf 
der  Schläfenbeinschuppe  verbunden ;  nach  hinten  und  un- 
ten vom  operculum  liegt  das  suboperculum ,  und  zwischen 
diesem  und  dem  (zum  Suspensorium  des  Unterkiefers  ge- 
hörigen) praeoperculum  das  interoperculum. 

Bei  den  Plagiostomen  und  Cyclostomen  sind 
die  Kiemen  nicht  mit  ihrem  Aussenrande  frei,  das  Wasser 
läuft  nicht  durch  eine  grosse  Kiemenspalte  ab,  sondern 
es  tritt  durch  eigne  unbedeckte  Kiemenlöcher  aus.  Bei 
den  Plagiostomen  werden  nur  die  Ränder  der  Kiemenlö- 
cher durch  Knorpelstreifen  gestützt,  welche  jedoch  weder 
unter  einander,  noch  mit  der  Wirbelsäule  in  Verbindung 
stehen.  Bei  Ammocoetes  und  Petromyzon  ist  dagegen  ein 
sehr  zusammengesetztes  knorpeliges  Gerüst  (Kiemenkorb, 
Brustkorb)  vorhanden ,  das  am  Schädel  und  an  der  Wir- 
belsäule befestigt  ist. 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  153 

Die  Vergleichung   des   Schädels   mit  der 
Wirbelsäule. 

Zuerst  hat  J.  P.  Frank*)  den  Schädel  mit  der 
Wirbelsäule  verglichen.  Er  sagt :  In  ea  semper  opinione 
\ersatus  sum,  quamcunque  spinalis  columnae  vertebram  pro 
parvo  eodemque  transverso  cranio  esse  considerandam.  Und 
ferner  spricht  er  von  der  extrema  et  ex  omnibus  maxime 
conspicua  mobilissimaque  vertebra^  quam  calvariam  appella- 
mus. 

Eine  eigentliche  Schädel- Wirbel-Theorie  ist  aber  erst 
1807  von  Oken  aufgestellt,  nachdem  Goethe  schon  seit 
vielen  Jahren  ganz  ähnliche  Ideen  bei  sich  hatte  reifen 
lassen.  Oken  ist  im  Vergleichen  des  Kopfskeletes  mit 
dem  Rumpfskelet  durchaus  masslos.  Einer  der  eigen- 
thümlichsten  Ausbildner  der  Naturphilosophie,  Gustav 
Carus,  hat  auch  mit  Vorliebe  diese  Verhältnisse  dar- 
gestellt, lieber  die  Summe  seiner  Ansichten  kann  man 
sich  u.  a.  in  einem  seiner  jüngsten  Werke,  ,5Symbolik  der 
menschlichen  Gestalt"  unterrichten.  Carus  hat,  ziemlich 
oberflächlich ,  die  Entwicklungsgeschichte  verwerthet ,  um 
seine  drei  Schädelwirbel  mit  dem  grossen  Hirn,  der  Re- 
gion der  Vierhügel  und  dem  kleinen  Hirn  zu  parallelisiren. 

So  lange  man  sich  nur  auf  die  gröbere  Anatomie  der 
fertigen  Gewebe  verliess ,  war  die  Deutung  allerdings  ge- 
wissen Schwankungen  und  Willkürlichkeiten  ausgesetzt, 
aber  doch  nicht  besonders  schwierig  und  verwickelt. 
Erst  den  Bemühungen  der  microscopischen  Histiologen  ist 
es  gelungen,  die  ganze  Lehre  in  eine  solche  Verwirrung 
zu  bringen,  dass  man  sich  kaum  darin  orientiren  kann. 


*)  Delecius  opusculonim  academicorum.    1792. 


154  '!•  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Um  den  Schädel  mit  den  Hüllen  des  Rückenmarkes 
zu  vergleichen ,  ist  die  Untersuchung  von  zwei  Ausgangs- 
punkten zu  führen.  Die  embryonalen  Zustände  sollen  die 
definitiven  erläutern,  und  ein  ähnliches  Verhalten  zeigt 
die  Wirbelsäule  bei  den  Knorpelfischen  verglichen  mit 
denjenigen  der  höheren  Wirbelthiere. 

In  letzterer  Beziehung  hat  man  sich  zunächst  an  fol- 
gende Thatsachen  zu  halten.  Bei  den  Cyclostomen 
wird  der  hinterste  Theil  der  basis  craiui  durch  einen  aus 
der  äusseren  Scheide  der  chorda  dorsalis  entstehenden 
Knorpelknochen  gebildet,  in  welchen  sich  die  Spitze  der 
chorda  dorsalis  hinein  erstreckt,  und  der  seitlich  ein  Paar 
blasige  Auftreibungen ,  die  Gehörkapseln  trägt.  Zwei 
vordere  divergirende  Fortsätze  hängen  mit  den  Gesichts- 
knorpeln*) zusammen.  Ueber  diesem  os  basilare,  mit 
ihm  fest  verwachsen  und  zwischen  den  Gehörblasen  und 
den  Fortsätzen  liegt  die  knorpelhäutige  (Ammocoetes^ 
Myxlne)  oder  mehr  (Petromyzoii)  oder  minder  (Bdello- 
stoma)  verknorpelte  Gehirnkapsel,  eine  unmittelbare  Fort- 
setzung des  Rückenmarksrohres,  an  welche  sich  nach 
vorn  die  Nasenkapsel  anschliesst.  Die  knorpelige  Hirn- 
kapsel der  Störe  wird  von  oben  durch  Hautknochen  ver- 
deckt. Die  Schädelbasis  selbst  ist  nicht  verknöchert, 
unter  ihr  aber  befindet  sich  eine  längere ,  bis  unter  die 
Schnauze  sich  fortsetzende  Knochenplatte.  Die  chorda 
reicht  noch  bis   in   die    Schädelbasis   (auch  bei  Lepidosi- 


*)  Wir  haben  oben  des  Kopfes  der  Knorpelfische  nur  vorüber- 
gehend Erwähnung  gethan.  Ueber  das  Gaumengerüst  und  die  ]Va- 
senknorpel  der  Cyclostomen,  die  verschiedenen  Mundknorpel  und 
Schnauzenknochen  lese  man  die  Originalarbeiten,  namentlich  von 
J.  Müller  nach.  Es  sind  zum  grossen  Theil  isolirt  dastehende  Bil- 
dungen, die  nicht  in  dem  allgemeinen  Plane  des  Skeletes  liegen. 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  155 

ren);  die  Verbindung  des  Schädels  mit  der  Wirbelsäule 
ist  also  dieselbe  wie  bei  den  Cyclostomen.  Bei  den 
Chimären  und  Plagiostomen  fehlt  zwar  die  Spitze 
der  chorcla  dovsalis  im  Basilartheile  des  Schädels,  doch 
stellt  dieser  noch  eine  geschlossene,  d.  h.  nicht  in  ein- 
zelne Stücke  zerfallene  Knorpelkapsel  dar,  in  und  an 
welcher  sich  keinerlei  Ossificationen  zeigen. 

Ueberall,  wo  die  Gehirnhüllen  als  unmittelbare  Fort- 
setzung der  Rückenmarkshüllen  auftreten ,  versteht  sich 
die  Identität  dieser  Bildungen  von  selbst.  Und  diese 
Identität  ist  vorhanden  auch  bei  den  Embryonen  sämmt- 
licher  Wirbelthiere.  Wo  früher  die  continuirliche  Knor- 
pelkapsel, Primordialschädelj  findet  sich  später 
der  knöcherne  Schädel ,  wo  das  knorpelige  Rückenmarks- 
rohr, die  einzelnen  Wirbel. 

Von  letzteren  nahmen  die  Histiologen  eine  lange 
Zeit  an,  dass  sie  in  allen  ihren  Theilen  aus  unmittelbarer 
Umwandlung  der  Knorpelsubstanz  in  Knochensubstanz  her- 
vorgingen ,  und  die  Frage  nach  der  Homologie  der  Schä- 
delknochen mit  Wirbeltheilen  stellte  sich  so :  Entstehen 
sämmtliche  Schädelknochen  nach  Art  der  Wirbel  aus  dem 
Primordialschädel,  aus  der  knorpeligen  Grundlage,  oder 
entstehen  einige  auf  andre  Weise ,  lassen  sich  also  nicht 
mit  Wirbeltheilen  vergleichen? 

Einige  Histiologen,  namentlich  Reichert,  glaubten 
annehmen  zu  müssen,  es  entständen  die  Schädelknochen 
sammt  der  dura  mater  der  höheren  Wirbeltliiere  aus  ei- 
ner und  derselben  skeletbildenden  Schicht,  indem  Kölli- 
ker's  Blastem  der  secundären  Knochen  von  einer  häutig 
knorpeligen  oder  häutig  faserknorpeligen  Beschaffenheit 
sei  und  continuirlich  in  den  hyalinartigen  Knorpel,  das 
Bildungsmaterial   der  primären  Knochen,  übergehe.     Das 


156  n.  Abscbn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Resultat  der  Untersuchungen  Reichert's  üher  die  Schä- 
delkapsel der  nackten  Amphibien  und  Fische  ist  aber  das, 
dass  „ihre  knorpeligen  und  knöchernen  Theile  bis  auf 
wenige  noch  zweifelhafte  Fälle,  ebenso,  wie  bei  den 
höheren  Wirbelthieren  der  inneren  skeletbildenden  Schiebt 
des  Wirbelsystems  angehören,  dass  aber  bei  ihnen  ein- 
zelne Knochen  (frontalia  j^rincipalia,  parietalia,  sphenoi- 
deum  basilare)  unter  Umständen  nur  aus  einer  th  eil  weisen 
Verknöcherung  der  Rindenschicht  des  hyalinartig  knorpe- 
ligen Schädelkapselabschnittes  mit  theilweiser  oder  gänz- 
licher Erhaltung  des  übrigen  Knorpels  hervorgehen^'. 

Den  Hauptvertreter  einer  zweiten  Ansicht  haben  wir 
schon  genannt.  Nur  ein  Theil  der  Schädelknochen  sei 
knorpelig  präformirt  (primär)  und  bilde  sich  auf  Kosten 
des  Primordialschädels,  während  eine  zweite  Kategorie 
von  Knochen  nie  knorpelig  präformirt  sei,  sondern  einer 
membranösen  Grundlage,  einem  wahren,  zellenführenden 
Bindegewebe  seine  Entstehung  verdanke.  Indem  diese 
Knochen  auf  den  Wänden  des  Primordialschädels  liegen, 
welche  häufig  bei  Knochenfischen  (Salmonen ,  Echocinen) 
und  Batrachiern  unter  ihnen  zurückbleiben,  heissen  sie 
Deckknochen  (auch  sekundäre).  Beiderlei  Arten  von 
Knochen  sind  integrirende  Theile  des  Schädels.  Aber 
unter  der  Voraussetzung,  dass  sämmtliche  Wirbeltheile 
knorpelig  präformirt  seien ,  war  auch  nur  die  Zurückfüh- 
rung  der  knorpelig  präformirten  Schädelknochen  auf  die 
Wirbel  zulässig. 

Da  kam  Stannius  mit  der  Entdeckung,  die  Dorn- 
fortsätze einiger  Fischwirbel  (Eso.x  lucius,  Salmo  salar) 
hätten  eine  ganz  ähnliche  Entstehung  wie  die  sogenann- 
ten Deckknochen,  d.  h.  seien  nie  knorpeliig  präformirt. 
Also  an  der  Wirbelsäule  selbst  fand  sich  der  vermeint- 


2.   Kap.    Das  innere  Skelel.  157 

liehe  Gegensatz  in  der  Entstehungsweise.  Man  hatte  die 
Wahl,  wenn  man  auf  die  Entstehungsweise  grosses  Ge- 
wicht legen  wollte,  die  Knochen  danach  zu  sortiren  und 
nur  innerhalb  dieser  Gränzen  zu  vergleichen ,  oder  auch 
von  der  Art  der  Entwicklung  ganz  abzusehen,  d.  h.  zu 
der  Oken-Goethe'schen  Anschauung  zurückzukehren. 

In  neuester  Zeit  endlich  hat  H.  Müller  alle  bis- 
herigen histiologischen  Angaben  umgeworfen.  Nach  ihm 
entsteht  in  allen  Fällen  die  ächte ,  aus  lamellöser  Grund- 
substanz mit  strahligen  Höhlen  und  Zellen  bestehende 
Knochenmasse  beim  Menschen  und  Säugethier,  wahrschein- 
lich auch  bei  den  übrigen  Wirbelthieren  auf  ein  und  die- 
selbe Weise.  Bei  der  Bildung  der  sogenannten  primor- 
dialen Knochen  setzt  sich  Knochensubstanz  an  die  Stelle 
der,  in  der  Regel  verkalkten  und  wieder  sich  rück- 
bildenden und  seh  windenden  Knorpelsubstanz.  Und 
somit  erscheint  alle  ächte  Knochensubstanz  als  das,  was 
man  bisher  als  Bindegewebsknochen  zu  bezeichnen  pflegt. 
Sie  entsteht  nicht  auf  zweierlei  Art,  theils  aus  Knorpel, 
theils  aus  einer  dem  Bindegewebe  ähnlichen  Masse ,  son- 
dern nur  aus  letzterer. 

Der  histiologische  Unterschied  zwischen  den  präfor- 
mirten  und  nicht  präformirten  Knochen  fällt  (in  anderem 
Sinne  also ,  als  wie  nach  Reichert)  so  gut  wie  ganz 
weg.  Wohl  aber  hat  das  Knorpelskelet  eine  provisori- 
sche Bedeutung,  und  die  schon  von  Bergmann  aufge- 
stellte Eintheilung  in  ein  primäres,  secundäres  und  ter- 
tiäres Skelet  (Chorda,  Knorpel,  Knochen)  ist  noch  inner- 
licher gerechtfertigt. 

Da  oft  nicht  knorpelig  präformirte  Knochen  vor  den 
präformirten   auftreten,    ist    der  Ausdruck    primär   und 


158 


II.    Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 


secundär  unpassend;  rationeller  ist  „präformirt"  und 
„nicht  präformirt". 

Wie  weit  schliesslich  die  Histiologie  üher  die  Be- 
deutung der  einzelnen  Schädelknochen  als  Wirbel ,  na- 
mentlich bei  den  niederen  Klassen,  aburtheilen  wird, 
lässt  sich  noch  nicht  ermessen. 

Musste  es  schon  sehr  bedenlilich  erscheinen,  Kno- 
chen, wie  z.  B.  die  squama  ossis  occipitis  derjenigen  Säu- 
ger, wo  sie  als  präformirt  erscheint,  für  verschieden  zu 
erklären  von  der  squama  derjenigen,  bei  denen  sie  ganz 
oder  zum  Theil  als  Belegknochen  auftritt,  oder  die  spä- 
ter ganz  verwachsenen  Theile  des  Schläfenbeins  nach 
ihrer  differenten  Entstehung  zu  classificiren ,  und  musste 
man  schon  danach  geneigt  sein*),  anzunehmen,  die  Ge- 
nesis könne  nicht  über  die  Identität  der  Schädelknochen 
entscheiden ,  so  scheinen  uns  auch  die  neueren  histiologi- 
schen  Daten  hierauf  hinzudrängen. 

Die  drei  Wirbel,  die  sich  unzweifelhaft  entweder 
ganz  oder  theilweise  bestimmen  lassen,  sind: 

I.  IL  III. 


Körper: 


OS  occipitale 
basilare 


corpus  OSSIS 

sphenoidei 

posterior. 


corpus  ossis 

sphenoidei 

anter. 


Bogen:  partes  condyl.       alae  magnae         alae  parvae 

sive  laterales 
ossis  occipt. 


Darnfstz:     squama  occipit.    parietalia 


frontalia 


Als  Körper   eines   vierten   Schädelwirbels  kann  man 
das  als  vorderes  Schlussstück  der  Schädelhöhle  fungirende 


*)  Bur  meist  er  i.  d.  Zeitung  für  Zoologie  1849.  S.  185. 


2.  Kap.    Das  innere  Skelet.  159 

ethmoideiim  betrachten,  wogegen  die  Hinzufügung  der 
nasalia ,  des  vomer  und  der  intermaxillaria  in  diesen  Kreis 
willkürlicli  ist,  indem  diese  Knochen  zu  keiner  Zeit 
directe  Beziehung  zur  Rückenseite  oder  der  über  dieselbe 
sich  hinaus  erstreckenden  Scliädelhöhle  haben. 

Das  Felsenbein,  die  Schuppe  mit  dem  Zitzentheil 
des  Schläfenbeins  entstehen  als  Schaltknochen  zwischen 
jenen  Wirbeln. 

Die  Bildung  der  übrigen  Kopfknochen  geht  von  den 
sogenannten  Kiemen-  oder  Visceralbogen  des  Fötus  aus. 
Am  Rumpfe  entsprechen  den  Visceralbogen  die  späteren 
Rippen ;  und  es  sind  demnach  Zungenbein ,  Gehörknöchel- 
chen ,  Meckelscher  Knorpel  und  mit  einigen  Modificationen 
auch  Gaumen-  und  Flügelbein,  Unterkiefer,  Oberkiefer 
und  Jochbein  die  Rippen  des  Kopfes. 

Es  ergiebt  sich  hieraus  von  selbst,  dass  die  Ver- 
gleichung  einiger  Knopfknochen,  namentlich  der  Kiefern 
mit  den  Extremitäten  ganz  unstatthaft  ist. 


H.  Rathke,  Untersuchungen  über  die  Entvvickelung  der  Schild- 
kröten.   Braunschweig,  1848. 

E.  Hallmann,  Die  vergleichende  Osteologie  des  Schläfenheins. 
Hannover,  1837. 

0.  Köstlin,  Der  Bau  des  knöchernen  Kopfes  in  den  vier  Classen 
der  Wirbelthiere.     Stuttgart,  1844. 

Bergmann,  Ueber  die  Skeletsysteme  der  Wirbelthiere.     1846. 

A.  Kölliker,  Berichte  von  der  zootomischen  Anstalt  zu  "Würz- 
burg.  2.  Bericht  für  das  Schuljahr  1847  —  1848.  Leipzig, 
1849.  6.  Abhdig.  Allgemeine  Betrachlungen  über  die  Ent- 
stehung des  knöchernen  Schädels  der  "Wirbelthiere. 


160  W«  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

K.  B.  Reiehert,    Zur   Controverse   über    den    Primordialschädel. 
Müll.  Arch.  1849. 

A.  KöUiker,  Die  Theorie  des  Primordialschädels  festgehalten  von 
—  Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie  1850.    II.  Bd. 

H.    Müller  über  Knochenbildung,    in   der   Zeitschrift  für  wissen- 
schaftliche Zoologie  1858.  IX. 


Drittes  Kapitel. 

Die  aetiven  Bewe^ungsorg^ane. 

I. 

Das  muskelsystem. 

Die  in  den  vorigen  Abschnitten  behandelten  harten 
Theile  des  äusseren  und  inneren  Skeletes ,  die  man  auch 
Stützorgane  oder  passive  Bewegungsorgane  genannt  hat, 
dienen  namentlich  denjenigen  weichen  Körpertheilen  als 
Stützen  und  Haltepunkte,  die,  auf  äussere  Reize  oder 
auf  Einfluss  des  Nervensystems  sich  zusammenziehend, 
die  Bewegungen  des  Thieres  ausführen.  Es  sind  diess 
die  Muskeln,  die  man,  mit  denselben  histologischen  Ei- 
genschaften begabt,  wie  die  Wirbelthiere  sie  zeigen,  bis 
zu  den  Infusionsthieren  hat  verfolgen  können. 

1.     Das  Muskelsystem  der  Strahlthier e. 

Die  Polypen  zeigen  deutlich  entwickelte  Muskeln. 
Es  sind  vorzüglich  die  Actinien,  unter  deren  Haut  in 
den  seitlichen  Körperwandungen  und  im  Fusse  eine  be- 
trächtliche Muskelschicht  liegt,  wie  sie  auch  bei  anderen 
Anthozoen ,  z.  B.  in  den  Leibeswandungen  der  Edwardsia^ 
in  den  Armen  der  Eleutheria  bemerkt  sind.  In  keinem 
Falle  scheinen  sie  quergestreift  zu  sein. 

Auch  die  Quallen  haben  deutliche  3Iuskelfasern 
welche  ring-  und  radienförmig  die  gallertige,  contractile 

11 


162  !*•  Abschn.    Die  Organe  der  Beweg^ing. 

Körpersubstanz  durchziehen.  Bei  einzelnen  Schirmqual- 
len, z.  B.  Pelagia  noctiluca,  ist  die  Querstreifung  der 
Bluskelfasern  beobachtet. 

Das  Muskelsystem  der  Echinodermen  ist  sehr 
entwickelt.  Die  Muskeln  liegen  eines  Theils  an  und  zwi- 
schen den  einzelnen  Abschnitten  des  Hautskeletes,  um 
die  Ortsbewegung  zu  vermitteln,  und  können  da,  wo  das 
Hantskelet  zurücktritt,  bei  den  Holothurien,  einen 
äusserst  festen,  aus  Längs-  und  Querfasern  bestehenden 
Hautmuskelschlauch  bilden,  theils  dienen  sie  zur  Bewe- 
gung der  Kauorgane,  Tentakeln  u.  s.  w.  Die  Muskel- 
fasern der  Echinodermen  scheinen  immer  glatt  zu  sein. 

2.     Das  Muskelsystem  der  Würmer. 

In  allen  Abtheilungen  der  Würmer  sind  Muskeln 
entdeckt.  Bei  den  Strudelwürmern  lassen  sich  Mus- 
kelfasern am  leichtesten  in  dem  sehr  entwickelten,  oft 
weit  hervorstreckbaren  Schlünde  nachweisen,  aber  auch 
ausserdem  finden  sich  im  Körper  entschieden  ausgeprägte 
Muskeln,  so  diejenigen,  welche  bei  der  mikroscopischen 
Rhabdocöle  Prostoma  lineare  zur  Bewegung  des  Stachels 
dienen.     Sie  sind  glatt. 

Das  Muskelsystem  der  Helminthen  zeigt  sich  na- 
mentlich in  der,  die  oft  so  ausserordentlichen  Contrac- 
tionen  des  Körpers  hervorbringenden  Hautmuskelschicht. 
Hier  sind  die  immer  glatten  Muskelfasern  theils  unregel- 
mässig in  einander  gewebt,  wie  bei  den  Trematoden, 
theils  bilden  sie  regelmässige  Längs-  und  Querschichten, 
so  bei  den  Acanthocephalen,  Nematoiden  und 
Gordiacccn.  Bei  den  Nematoden  pflegt  sich  die  nach 
innen  liegende  Längenmuskelschicht  in  vier  Streifen  zu 
sondern. 


3.  Kap.     Das  Muskelsyslem.  163 

Bei  den  Ringel würmern  werden  die  Wurmbe- 
wegungen durch  den  entwickelten  Hautrauskelschlauch 
ausgeführt.  In  diesem  findet  sich  eine  äussere  Ringfaser- 
und eine  innere  Längsfaserschicbt,  zwischen  beiden  mit- 
unter, wie  bei  den  Blutegeln,  eine  Lage  sich  unregel- 
mässig kreuzender  Fasern.  Besondere  Muskelbündel  die- 
nen zur  Bewegung  der  Fussstummel  und  Borsten  bei  den 
Borstenwürmern,  andere  zum  Aus-  und  Einstülpen  des 
Schlundes  (z.  B.  bei  Arenicola,  Nereis)  oder  zum  Auf- 
richten, Entfalten  und  Einziehen  der  Tentakeln. 

3.  Das  Muskelsystem  der  Arthropoden. 
Bei  den  Räderthieren  scheiden  sich  die  einzel- 
nen zahlreichen  Muskeln  sehr  scharf  von  den  übrigen  Or- 
ganen, indem  sie,  meist  nur  mit  ihren  Enden  befestigt, 
frei  den  Körper  durchsetzen,  so  namentlich  die  grossen 
Längsmuskeln,  welche  sich  von  hinten  convergirend 
nach  vorn  erstrecken  und  vorzugsweise  das  von  Zeit  zu 
Zeit  eintretende  Zusammenschnellen  des  Thieres  bewir- 
ken; andere  Muskeln  lassen  sich  als  Kaumuskeln, 
Sphincteren  der  Kloake,  Constrictoren  der  con- 
tractilen  Blase  bestimmen.  In  der  Familie  der  Rotiferen 
findet  sich  eine  starke  Hautmus kelschi  cht,  und  ge- 
rade diese  Thiere  bewegen  sich  häufig  wurmartig  durch 
abwechselnde  Contractionen  und  Expansionen.  Die  Quer- 
streifung ist  zwar  erst  bei  w^enigen  Arten,  bei  diesen 
aber  mit  aller  Bestimmtheit  beobachtet,  so  z.  B.  bei 
Euchlanis  triquetra  und  Pterodina  patina. 

Das  Muskelsystem  der  übrigen  Arthropoden  ist  in 
geradem  Verhältniss  mit  der  Körpergliederung  entwickelt; 
wir  finden  die  Muskeln  am  zahlreichsten  und  stärksten, 
wo    die    Segmentirung  am    weitesten   geht,    verkümmert 

11^ 


164  II-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

aber ,  wo  die  Gliederung  zurücktritt.  Die  Anordnung  der 
verschiedenen  Muskelgruppen,  die  Art  der  Befestigung, 
das  Verhältniss  der  Strecker  und  Beuger  sind  in  allen 
drei  Klassen  im  Allgemeinen  dieselben.  Am  genauesten 
ist  das  3Iuskelsystem  der  Insekten  untersucht;  man  thut 
daher  am  besten,  von  ihm  auszugehen,  um  die  Ueberein- 
stimmungen  und  Abweichungen,  welche  Crustaceen  und 
Arachniden  zeigen ,  daran  zu  reihen. 

Von  dem  Muskelsystem  selbst  der  entwickeltsten 
Gliederwürmer  weicht  schon  das  der  Larven,  Avelche 
ihnen  an  Form  und  Art  der  Bewegung  ähneln,  durch  die 
bestimmte  Sonderung  einzelner  Körpermuskelschichten  be- 
deutend ab.  Man  unterscheidet  bei  ihnen ,  in  der  ganzen 
Länge  des  Körpers  fast  gleichmässig  ausgebildet,  eine 
Rückenschicht,  eine  Bauchschicht  und  zwei  Sei- 
tenschichten, deren  jede  wieder  aus  mehreren  La- 
gen der  Länge  nach  und  schief  oder  quer  verlaufender 
Fasern  besteht.  Die  Seitenschichten  sind  geringer  als 
die  Rücken-  und  Bauchschicht.  Diese  wird  durch  den 
Nervenstrang,  jene  durch  das  Rückengefäss  in  eine  rechte 
und  linke  Hälfte  zerlegt.  Bei  den  volkommenen  In- 
sekten, wo  das  Abdomen  an  Beweglichkeit  sehr  ver- 
loren, haben  auch  die  hinteren  Partieen  der  einzelnen 
Muskelgruppen  eine  Rückbildung  erlitten,  wogegen  sich 
die  im  Thorax  befindlichen  Fuss-  und  Flügelmuskeln 
ausserordentlich  entwickelt  haben.  Jeder  Flügel  hat 
mehrere,  gewöhnlich  zwei  Herabzieher  und  Heber,  die, 
wie  viele  der  anderen  Muskeln,  in  sehnenartige,  chitin- 
haltige  Fortsätze  des  Hautskeletes  übergehen.  Die  Mus- 
kulatur der  Beine  ist  in  der  Regel  so  beschaffen,  dass 
die  Muskeln  (gewöhnlich  ein  Strecker  und  ein  Beuger) 
des  einen  Gliedes  in  dem  nächst  vorhergehenden  befestigt 


3.  Kap.    Das  Muskelsystem.  165 

sind,  während  sie  sich  mit  dem  Gliede,  welches  sie  be- 
wegen ,  durch  kurze  sehnenartige  Fortsätze  verbinden. 
Die  Fussmuskeln  der  einzelnen  Ordnungen  zeigen  grössere 
Uebereinstimmung  als  die  Flügelmuskeln.  Letztere  sind 
besonders  bei  den  Lepidoptern,  Diptern,  Hymenoptern 
und  den  fliegenden  Käfern  stark  entwickelt. 

Die  Krustenthiere  schliessen  sich  zunächst  den 
Insektenlarven  an,  namentlich  durch  bedeutende  Entfal- 
tung der  Abdominalmuskeln, 

Die  Arachniden  dagegen  gleichen  mehr  den  voll- 
kommenen Insekten  durch  die  starke  Muskulatur  des  Tho- 
rax, während  am  Hinterleibe  sich  nur  unter  der  Haut- 
bedeckung ein  sehr  dünnes  Muskelnetz  befindet,  ausser- 
dem aber  von  der  Rücken-  und  Bauchseite  einzelne  Mus- 
kelstränge zwischen  die  Eingeweide  gehen.  Eine  Anzahl 
dieser  Stränge  heftet  sich  häufig  an  ein  sehniges,  auf 
beiden  Seiten  der  Mittellinie  liegendes  Band. 

Die  willkürlichen  Muskeln  der  Arthropoden  zeigen 
allgemein  Querstreifung,  die  sich  nicht  selten  bei  den 
Insekten  auch  an  den  Muskelfasern  des  Darmkanals  findet. 

4.     Das  Muskelsystem  der  Weich thiere. 

Sehr  deutlich  sind  diejenigen  Muskeln  der  Bryo- 
zoen,  welche  sich  frei  durch  die  Leibeshöhle  erstrecken, 
namentlich  als  Retractoren  der  vorderen  ausstülpbaren 
Körpertheile. 

In  der  Entwicklung  des  Muskelsystems  stehen  die 
Tunicaten  gegen  die  übrigen  Acephalen  zurück,  indem 
bei  ihnen  nur  die  unter  der  allgemeinen  Hautbedeckung 
gelegene,  aus  Längs-  und  Querfasern  bestehende  Haut- 
muskelschicht besonders  hervortritt.  Diese  erscheint  bei 
den  Salpen  und  einigen   Species  der   Ascidien  in   einzel- 


166  II-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

nen  von  einander  getrennten  Muskel  streifen  und  Ringen, 
bildet  aber  bei  den  meisten  Ascidien  einen  vollständigen 
Schlauch.  An  der  After-  und  Athemöffnung  befinden  sich 
starke  Sphincteren.  Bei  den  Bivalven  lassen  sich  meh- 
rere ansehnliche  Muskelmassen  unterscheiden,  abgesehen 
von  den  vielen  Muskelbündeln ,  welche  ausserdem  im 
ganzen  Körper  zerstreut  sind.  Hierher  gehören  die 
Schliessmuskeln,  der  Mantel  und  der  Fuss.  Die 
Schliessmuskeln  bestehen  aus  einer  grossen  Anzahl  paral- 
leler Fasern ,  welche  von  einer  Schale  zur  andern  gehen 
und  dem  die  Schale  öffnenden  elastischen  Bande  entge- 
genwirken ,  jedoch  viel  stärker.  Bei  der  einen  Abthei- 
lung der  Lamellibranchiaten  ( Monomya)  findet  sich  nur 
ein  Schliessrauskel,  ungefähr  in  der  oberen  Mitte  der 
Schalen ,  bei  einer  anderen  (Dimya)  zwei.  Die  Branchio- 
poden  haben  deren  mehrere  Paare;  bei  ihnen  gehen  die 
einzelnen  Muskeln  theils  von  einer  Schale  zur  andern 
(adductores  longi,  breves  und  cardinales)  ^  theils  heften 
sie  sich  nur  mit  einem  Ende  an  die  Schale  und  begeben 
sich  mit  dem  andern  in  den  fleischigen  oder  sehnigen  Stiel 
(retractores  inferiores  und  superiores).  Ausserdem  be- 
sitzen sie  Armmuskeln  und  Mantelmuskeln,  letztere  nur 
schwach  entwickelt,  so  dass  sie  keine  Eindrücke  auf  den 
Schalen  erzeugen. 

Der  aus  zwei ,  meist  nur  am  Rücken  oder  auch  gar 
nicht  (Pecten^  Spondylus)  vereinigten  Seitenhälften  be- 
stehende Mantel  der  Bivalven  ist  das  dem  inneren 
Mantel  der  Tunicaten  homologe  Organ.  Er  ist  sehr 
reich  an  Muskelfasern ,  namentlich  an  den  freien  Rändern 
und  da ,  wo  diese  sich  zu  oft  langen  Athem-  und  After- 
röhren vereinigt  haben. 

Sehr  muskulös  ist  der  sogenannte  Fuss  der  Lamelli- 


3.  Kap.     Das  Muskels} steni.  167 

brancliiaten.  Er  liegt  an  der  Bauchseite  und  ist  durch 
mehrere  Sehnenstränge  mit  der  inneren  Fläche  des  Scha- 
lenrücliens  verbunden.  Er  verkümmert  bei  denjenigen 
Formen,  welche  sich  vermittelst  des  Bartes  (byssus)  an- 
heften. Die  eiuzelnen  Fasern  dieses  Byssus  scheinen  aus 
einer  eigenthümlichen  Umwandlung  von  Muskelfasern  her- 
lorzugehen. 

Bei  den  Cephalophor en  ist  eine  oft  sehr  starke, 
aus  Längs-,  Quer-  und  schrägen  Fasern  bestehende  Mus- 
kelschicht mit  der  Hautbedeckung  verbunden ,  die  nament- 
lich an  der  Bauchfläche  an  Dicke  und  Ausdehnung  ge- 
winnt und  Fuss  genannt  wird.  So  bei  den  Gastero- 
poden.  Metamorphosirt  erscheint  dieser  Fuss  als  seit- 
lich comprimirter  Kiel  Heteropoden,  wiewohl  auch 
dieser  an  seinem  hinteren  Ende  wieder  zu  einem  Saug- 
napf verflacht  ist.  Die  höchste  Entwicklung  zeigt  Ata- 
lanta-^  hier  zerfällt  das  Organ  in  einen  vorderen  Theil, 
die  Flosse  mit  dem  Saugnapf,  und  einen  hinteren ,  eine 
blattförmige  Ausbreitung,  welche  den  Fuss  trägt. 

Die  Flossen  der  Pteropoden  scheinen,  nach  Ge- 
genbaur,  unabhängig  vom  Fusse  zu  entstehen,  zum 
Theil  auf  Kosten  der  empryonalen  WimpersegeL  Das 
wahre  Homologon  des  Gasteropodenfusses  ist  dagegen  ein 
oft  unbedeutender  Anhang   zwischen  den  beiden  Flossen. 

Bei  den  Gehäuseschnecken  ist  der  Körper  durch  ei- 
nen starken,  in  mehreren  Abtheilungen  vom  Fuss  ausge- 
henden Muskel  an  der  Spindel  befestigt. 

Unter  allen  Mollusken  zeichnen  sich  die  C  e  p  h  a  1  o- 
poden  durch  grössere  Sonderung  der  einzelnen  Muskeln 
aus,  indem  die  Fasern  sich  nicht  so  vielfältig  kreuzen, 
wie  zumeist  bei   den    beiden    anderen  Klassen,    sondern 


IßS  H«  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

sich  parallel  an  einander  legend  mehr  einzelne ,  fleischige 
Muskeln  bilden. 

5.  Das  Muskelsystem  der  Wirbelthiere. 
Die  Muskulatur  der  Wirbelthiere  ist  im  Ganzen  ein 
getreuer  Abdruck  des  Knochensystems;  man  findet  ge- 
wöhnlich, wo  bei  zwei  verschiedenen  Thieren  dieselben 
Knochen  vorhanden  sind,  auch  die  entsprechenden,  sich 
an  diese  Knochen  ansetzenden  Muskeln,  wo  eine  Reduc- 
tion  der  Knochen  eingetreten ,  auch  eine  Reduction  der 
Muskeln.  Das  Letztere  sehen  wir  namentlich  an  den  Ex- 
tremitäten. Wir  wollen  wiederum,  wie  wir  es  bei  der 
Betrachtung  des  Skeletes  gethan,  nicht  das  ganze  Mus- 
kelsystem nach  den  Klassen  durchgehen ,  sondern  einige 
der  hauptsächlichsten  Modificationen  und  Abweichungen 
sich  von  selbst  sondernder  Muskelgruppen  durch  die  ein- 
zelnen Klassen  hindurch  verfolgen. 

Hautmuskeln. 

Bei  den  Wirbelthieren  findet  sich  das  System  der 
Hautmuskeln  nirgends  in  der  Art  ausgeprägt,  wie  es  für 
sehr  viele  Würmer  und  die  Mollusken  charakteristisch 
ist,  dass  nämlich  mit  der  Hautbedeckung  selbst,  mit  der 
cutis  ansehnliche  Muskelstraten  innig  verwebt  sind.  Viel- 
mehr liegen  hier  die  Hautmuskeln  immer  unter  der  Haut, 
mit  der  sie  sich  nur  stellenweise  verbinden;  sie  sind  dünn 
und  gehen  oft,  namentlich  bei  den  Säugethieren,  in  grosse 
Aponeurosen  über. 

Bei  den  ungeschwänzten  Batrachiern  sind 
als  Hautmuskeln  einige  Anspanner  der  Rückenhaut  zu 
nennen  (puhioclorso-ciitane  und  zwei  coccy-dorso-cutanes 
Dtij.).    Die   meisten   Hautmuskeln    unter   den  Amphibien 


3.  Kap.     Das  Muskelsystem.  169 

haben  die  Ophidier,  wo  sie  sich  theils  von  den  Rippen 
nach  den  Schuppen  begeben,  theils  die  Bauchschuppen 
und  Seitenschuppen  unter  einander  verbinden ,  theils  auch 
von  dem  vorderen  zum  hinteren  Rande  einzelner  Schup- 
pen gehen  und  zur  Krümmung  derselben  dienen. 

Bei  den  Vögeln  finden  sich  ausgedehnte,  dünne 
Hautmuskeln ,  welche  die  Haut  contrahiren  und  die  Fe- 
dern sträuben.  Namentlich  bei  den  Wasservögeln  treten 
an  die  Conturfedern  je  vier  bis  fünf  kleine  Muskeln ,  um 
dieselben  allseitig  zu  bewegen.  Auch  die  Muskeln  der 
Flughaut  (m.  m.  patagii)  ^  langer  und  kurzer  Spanner 
der  vorderen  Flughaut  und  der  Spanner  der  hinteren 
Flughaut,  sowie  der  Aufrichter  der  Steuerfedern  am 
Schwänze  (m.  levator  rectricum)  gehören  hierher. 

Das  Hautmuskelsystem  der  Säugethiere  ist  meist 
sehr  entwickelt;  die  Hautmuskeln  dienen  gewöhnlich  zum 
Runzeln  und  Schütteln.  Sehr  ausgedehnt  sind  sie  beim 
Stachelschwein ,  noch  mehr  beim  Igel.  Letzterer  besitzt 
einen  fast  vollständigen  Hautmuskel-Schlauch;  auf  dem 
Rücken  und  Bauche  ist  dieser  dünner,  an  den  hinteren 
Extremitäten  geht  er  in  Aponeurose  über,  während  an- 
dere Portionen  sich  an  die  vorderen  Extremitäten ,  den 
Schwanz  und  Kopf  begeben.  Das  Zusammenkugeln  ge- 
schieht hauptsächlich  durch  eine  Lage  concentrischer 
Muskelbündel,  die  von  Kopf  und  Nacken  über  die  Seiten 
zur  Kreuzgegend  verlaufen  und  wodurch  der  Rückentheil 
des  Muskels  wie  eine  Kappe  über  den  Körper  gezogen 
wird. 

Seiten  rumpfmuskeln. 
Die  Seiten  der  Fische  sind  von  zwei  grossen  Mus- 
kelmassen  bedeckt,   die  sich  hinten  an  den  Strahlen  der 


170  II-  Abschn.     Die  Organe  der  Bewegung. 

Schwanzflosse ,  vorn  am  Schultergürtel  und  Kopf  befesti- 
gen, und  die  namentlich  am  Schwänze  durch  ein  fibröses 
Blatt  in  zwei  durchaus  symmetrische  Hälften ,  einen 
Bauch-  und  einen  Rückentheil  zerlegt  werden.  In  glei- 
cher Anzahl  mit  den  Wirbelkörpern  erstrecken  sich  durch 
die  Seitenmuskeln  Ligamente,  welche  im  oberen  Theile 
des  Bauchstückes  und  im  unteren  des  Rückenstückes  am 
Schwänze  in  einander  steckende  hohle  Kegel  oder  Halb- 
kegel bilden,  deren  Spitze  nach  vorn,  deren  Basis  nach 
hinten  gerichtet  ist;  in  dem  oberen  Theile  des  Rücken- 
stückes aber  und  dem  unteren  des  Bauchstückes  stellen 
diese  ligamenta  intermuscularia  Abschnitte  von  Kegeln 
oder  Kegelmänteln  dar ,  deren  Basis  nach  vorn  und  deren 
Spitze  nach  hinten  gerichtet  ist.  In  den  Rumpfmuskeln, 
den  unmittelbaren  Fortsetzungen  der  Schwanzmuskeln, 
bilden  die  Ligamente  auf  Querdurchschnitten  nicht  mehr 
concentrische  Ringe ,  d.  h.  sie  gehören  nicht  mehr  ganzen 
Kegeln  an.  Wegen  der  verschiedenen  Richtungen  dieser 
Kegel  erscheinen  die  ligamenta  intermuscularia  äusserlich 
als  bogen-  und  zickzackförmige  inscrijitiones  tendineae. 
Trotz  des  schiefen  Verlaufs  der  Ligamente  ist  doch  die 
Richtung  der  Muskelfasern  zwischen  ihnen  parallel  mit 
der  x\xe  des  Fisches. 

Auch  viele  nackte  Amphibien,  nämlich  die  Cöci- 
lien,  Perennibranchiaten,  Derotreten  und  die 
Salamanderlarven  verhalten  sich  hinsichtlich  der 
Seitenmuskeln  wie  die  Fische,  wogegen  bei  den  luft- 
athmenden  W  irbelthieren  der  untere  oder  Bauch- 
theil  der  wuscull  laterales  verloren  geht,  wenigstens  am 
Rumpfe.  Am  Schwänze  zeigen  sich  die  Seitenmuskeln 
häufig  noch  im  ganzen  umfange ,  so  bei  vielen  b  e  - 
schuppten  Amphibien,  auch  Sau gethieren.     Der 


3.  Kap.    Das  Muskelsystem.  171 

übrig  gebliebene  Rückentheil  am  Rumpfe  ist  in  mehrere 
Muskeln  zerfallen,  und  als  Aequivalent  jener  Lage  der 
Fische  sind  also  bei  den  höheren  Thieren  die  m.  m,  spi- 
nalisy  semispi7ialts ,  multifidus,  longissitmts  dorsi  und  sa- 
crolumballs  anzusehen ,  die  sich  wiederum  alle  oder  zum 
Theil  in  den  Schwanz-  und  Halsmuskeln  wiederholen. 
Die  Rückenmuskeln  der  beschuppten  Amphibien 
haben  sich  noch  nicht  so  vollständig  getrennt;  man  kann 
eine  innere,  den  m.  m.  spinalis,  semispinalis  und  midiiß- 
dus  und  eine  äussere ,  den  m.  rn.  sacrolumballs  und  Ion- 
gissimus  dorsi  entsprechende  Portion  unterscheiden. 

Rippenheber.      Interprocessual-  und  Intercostal- 
m  US  kein. 

Bei  den  Fischen  lassen  sich  diese  Muskeln  als 
eigene  Systeme  nicht  unterscheiden;  bei  den  übrigen 
Wirbelthieren  richten  sie  sich  nach  dem  Vorhandensein 
der  Rippen  und  der  Beweglichkeit  der  Wirbelsäule  und 
der  Rippen.  So  fehlt  den  Cheloniern  das  System  der 
levatores  costarum  und  der  m.  m.  intercostales  ^  welche  da- 
gegen bei  den  Schlangen  ausserordentlich  entwickelt  und 
vervielfältigt  sind.  Als  Analogon  der  Rippenheber  finden 
sich  am  Halse  der  Vögel  kleinere  von  den  Querfortsätzen 
zu  den  Rippenrudimenten  (s.  oben  S.  122)  gehende  Mus- 
keln. Bei  der  Festigkeit  des  Rumpftheiles  der  Vögel  sind 
auch  die  entsprechenden  Interprocessualmuskeln  nicht  sehr 
entwickelt. 

Zu  den  Intercostalmuskeln  ist  der  m.  rechts  abdomi- 
nis  zu  rechnen,  zwischen  dessen  Bäuchen  da,  wo  sonst 
in  der  Regel  die  mscriptiones  tendineae  sich  finden ,  beim 
Krokodil  die  Bauchrippen  liegen.  Die  Ausbreitung  die- 
ses, den  Fischen  und  Cheloniern  fehlenden  Muskels 


172  II.  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

kann  eine  sehr  bedeutende  sein ;  er  kann  sich  da ,  wo 
das  Brustbein  fehlt,  z.  B.  bei  den  Myxinoiden,  die 
keinen  Bauchtheil  des  Seitenmuskels  haben  und  ausnahms- 
weise unter  den  Fischen  den  rectus  besitzen ,  vom  After 
bis  zum  Zungenbein  erstrecken  und  fungirt  somit  unmit- 
telbar als  sternohyoideus, 

Bauchmuskeln. 

Auch  die  Ausdehnung  der  übrigen  eigentlichen  Bauch- 
muskeln ,  nämlich  der  in.  m.  obliqid  extevnus  und  internus^ 
transversits  und  pyramidalis  ist  zum  Theil  eine  viel  grös- 
sere, als  die  menschliche  Anatomie  lehrt,  indem  bei  den 
Sauriern  sowohl  die  schiefen  Bauchmuskeln  als  der 
quere  theilweise  die  Brusthöhle  überziehen.  Den  Fi- 
schen fehlen  diese  Muskeln  gänzlich,  mit  Ausnahme  der 
Myxinoiden,  die  ausser  dem  geraden  auch  einen 
schiefen  Bauchmuskel  besitzen.  Der  transversits  fehlt 
den  Ophidiern,  der  pyramidalis  fast  allen  Amphibien. 

Die  Vögel  stimmen  ziemlich  mit  den  Säugern 
überein  j  bei  beiden  ist  in  der  Regel  der  pyramidalis  nicht 
vorhanden.  Die  Beutler  haben  ihn  jedoch  ausserordent- 
lich entwickelt. 

Das  Zwergfell  ist,  ausser  bei  den  Säugethieren, 
die  es  vollständig  besitzen,  nur  rudimentär  vorhanden 
oder  gar  nicht.  Rudimentär  haben  es  die  Chelonier. 
Das  rudimentäre  Zwergfell  der  Vögel,  der  sogenannte 
Lungenmuskel,  ist  bei  den  eigenthümlichen  Athemvorrich- 
tungen  von  grosser  Wichtigkeit;  es  dient  theils  dazn, 
während  des  Flügelschlags  die  unter  der  Lunge  gelege- 
nen Luftsäcke  von  der  Lunge  abzuhalten,  theils,  die 
Oeffnungen  der  Luftsäcke  in  die  Lunge  mehr  oder  weni- 
ger zu  verschliessen.     Zu  einer   die  Brust-  oder  Bauch- 


3.  Kap.    Das  Muskelsystem.  173 

höhle  trennenden  Querscheidewand  wird  das  Zwergfell 
erst  bei  den  Säugethieren.  Merkwürdig  sind  die  im 
Zwergfelle  einiger  Säugetbiere,  namentlich  des  Kameeis 
vorkommenden  Verknöcherungen. 

Die  Muskeln  der  unpaaren  Flossen. 
An  den  unpaaren  Flossen  der  Fische  hat  man  zweier- 
lei Muskeln  zu  unterscheiden ,  ein  oder  mehrere  dicht 
neben  der  Mittellinie  verlaufende  kleinere  Paare,  welche 
sich  an  die  Flossenträger  setzen  und  zum  Heben  und 
Senken  der  Flossen  dienen ,  und  dann  eigne  Muskeln  für 
die  Flossenstrablen,  welche  als  Seitwärts-,  Vorwärts- 
und  Rückwärtszieher  wirken.  Die  Afterflosse  wird  vor- 
züglich von  Seitwärtsziehern  bewegt. 

Schulter-,   Becken-  und  Extremitätenmuskeln. 

Noch  weniger  als  die  Knochen  lassen  sich  die  Mus- 
keln der  paarigen  Gliedmassen  der  Fische  auf  die  Mus- 
keln derselben  Gegenden  bei  den  übrigen  Klassen  zu- 
rückführen. Sie  beschränken  sich  auf  einige  Heber  und 
Niederzieher,  Rückwärtszieher  und  Strecker;  kleinere, 
zwischen  den  Flossenstrahlen  befindliche  Muskeln  nähern 
diese  einander. 

Im  Uebrigen  aber  kehrt  sowohl  bei  den  Amphi- 
bien, abgesehen  von  denjenigen  mit  kleinen  oder  ver- 
kümmerten Extremitäten,  als  bei  den  Vögeln  die  An- 
ordnung der  Muskulatur  wieder,  die  wir  beim  Säuge- 
tbiere und  beim  Menschen  finden.  Was  nun  ä)  die 
Muskeln  der  Schultern  und  der  vor  deren  Glied- 
massen  anbetriff't,    so  lässt   sich   Folgendes  bemerken: 

Die  Schultermuskeln  sind  bei  den  nacktenAmphi- 
bien,    namentlich  den  geschwänzten,    sehr    einfach 


174  11-  Absclm.    Die  Organe  der  Bewegung. 

und  bestehen  in  einem  oder  mehreren  Vorwärtsziehern 
oder  Hebern  und  Rückwärtsziehern ,  als  deren  Antago- 
nisten. Am  einfachsten  verhält  sich  Proteus,  der  nur 
einen  Vorwärtszieher  (zugleich  Heber)  und  einen  Rück- 
\värtszieher  besitzt.  Bei  den  ungeschwänzten  Ba- 
trachiern  kommen  gewöhnlich  drei  Vorwärtszieher  und 
zwei  Rückwärtszieher  vor.  Jene  entsprechen  den  m.  m. 
cucullaris,  rhomboidem  und  levator  scapulae;  diese  den 
ni,  m.  serratus  anticus  und  pectoralls  minor  s.  serratus 
anticus  minor.  Bei  den  meisten  Amphibien  hat  der  omo- 
hyoideus  seine  Rolle  getauscht;  er  ist  nicht,  wie  bei  den 
höheren  Klassen,  Rückwärtszieher  des  Zungenbeins,  son- 
dern Vorwärtszieher  der  Schulter. 

In  Bezug  auf  Anordnung  und  Zahl  der  Muskeln  des 
Oberarms,  Vorderarms  und  der  Hand  zeigen  die  Amphi- 
bien vielfache  Verschiedenheiten.  Am  einfachsten  verhält 
es  sich  wiederum  mit  den  geschwänzten  Batrachiern.  Am 
Oberarm  vollständiger  Gliedmassen  kann  man  (nach 
Meckel)  unterscheiden  einen  Vorwärtszieher  (delloideus). 
Auswärtszieher  (scajmlaris) ,  zwei  Rückwärtszieher  (pe- 
ctoralis  maior  und  latissimus  dorsi)  und  einen  Einvvärts- 
zieher  (coracobrachialis).  Der  Vorderarm  hat  gewöhn- 
lich mehrere  Strecker  und  Beuger,  und  ebenso  finden 
sich  an  der  Hand  Strecker  und  Beuger,  Anzieher  und 
Abzieher. 

In  der  Muskulatur  der  Schulter  gleichen  die  Vögel 
sehr  den  Sauriern.  Einzelne  Muskeln  werden  für  den 
Flug  von  besonderer  Wichtigkeit,  so  der  latissimus  dorsi, 
der  den  Rumpf  von  hinten  nach  vorn  hebt  und  den  Vogel 
während  des  Flugs  in  die  horizontale  Lage  versetzt. 
Den  Oberarm  bewegen  acht  Muskeln ,  unter  denen  der 
pectoralis   maior   bei   guten    Fliegern   oder  auch  bei  den 


3.  Kap.    Das  Muskelsysleni.  175 

Vögeln,  welche  kurze  Flügel  haben,  sich  durch  seine 
Stärke  auszeichnet;  den  Vorderarm  neun.  Ausserdem 
wirken  auf  Mittelhand  und  Finger  nicht  weniger  als  sechs- 
zehn Muskeln. 

Bei  den  Säuget hieren  kommen  von  Schultermus- 
keln gewöhnlich  vor  der  ciicidlaris^  ievator  scapulae,  der 
oder  die  rhomboidei^  serratiis  nnticns  waiov  und  minor, 
subclavius.  Auch  die  Muskulatur  des  Oberarms  ist  noch 
ziemlich  übereinstimmend,  am  Unterarm  aber  und  der 
Hand  treten  namentlich  bei  den  Hufthieren  grosse  Ver- 
einfachungen ein. 

Wenden  wir  uns  nun  b)  zu  den  Muskeln  des  Be- 
ckens und  der  hinteren  Extremitäten,  so  hat 
man  bei  den  Amphibien  auch  diese  ohne  Schwierigkeit 
nach  den  entsprechenden  der  höheren  Klassen  benennen 
können.  Den  Vögeln  fehlen  von  den  Beugern  des 
Oberschenkels  der  psoas  und  illacus  internus.  Die  Mus- 
keln des  Unterschenkels  sind ,  mit  denen  der  Saurier  ver- 
glichen, weniger  zahlreich^  indem  sich  mehrere  dort  ge- 
trennte Muskeln  vereinigt  haben.  Die  Muskeln  des  meta- 
tarsus  und  der  Zehen  haben  sehr  lange  Sehnen  bei  kur- 
zen ,  sich  hoch  ansetzenden  Bäuchen.  Diese  Sehnen  so- 
wohl ,  als  die  der  Flügel  haben  die  Neigung  zum  Ver- 
knöchern. 

Die  Muskeln  am  Becken  und  den  hinteren  Extremi- 
täten der  Säugethiere  zeigen,  wenn  auch  nach  einem 
Typus  geordnet,  doch  mannichfache  Abweichungen.  Diese 
beziehen  sich,  wie  bei  den  Vordergliedmassen,  nament- 
lich auf  die  unteren  Partien. 

Gesichtsmuskeln. 
Eigentliche    Gesichtsmuskeln   fehlen   den   Fischen. 


176  II«  Absclin.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Bei  den  Amphibien  finden  sich  mehrere  Expansoren 
und  Constrictofen  der  Nasenlöcher.  Auch  die  Vögel 
haben  keine  den  Gesichts-  und  Lippenmuskeln  des  Men- 
schen analogen  Muskeln ,  und  es  schliesst  sich  ihnen  der 
Ornithorhynchus  an.  Bei  den  meisten  übrigen  Säuge- 
thieren  sehen  wir  mehrere  Gesichtsmuskeln,  namentlich 
die  zur  Bewegung  der  Lippen  bestimmten.  Der  buccina- 
tor  ist  bei  den  mit  Backentaschen  versehenen  Thieren 
sehr  gross.  Indess  erreicht  kein  Säugethier  den  Menschen 
an  Sonderung  der  Gesichtsmuskeln ,  deren  mimische  Wir- 
kung bei  jenen  auch  durch  den  über  sie  ausgebreiteten 
Hautmuskel  geschwächt  wird. 

Kaumuskeln. 
Die    Kaumuskeln    zeigen   sehr    allgemein    denselben 
Plan,    der   aber  durch    die  Freibeweglichkeit  der  Unter- 
kieferhälften und  des  Oberkiefers,  sowie  durch  die  Aus- 
dehnung und  Beweglickeit  des  Gaumenapparates  und  des 
Unterkiefersuspensorium    modificirt    wird.      So    liegt   auf 
den  letzteren  Knochen  bei  den   Knochenfischen  eine 
Muskelraasse,  welche  sich  mit  einer  Sehne  an  den  Ober- 
kiefer, mit  der  anderen  am  Kronenstück  des  Unterkiefers 
ansetzt.     Bei   den   Amphibien   lassen   sich   zwei  Kau- 
muskeln,   ein  äusserer  (massetev  und   temporalis)  und  ein 
innerer    (pterygoidei)    unterscheiden.     Als    Herabzieher 
wirkt   ein   verschieden    entspringender   digastricus.      Bei 
den  Schlangen   sind  die   Muskeln   sehr  vermehrt.     Sie 
besitzen,  wie  die  Fische,  ein  die  Unterkiefer hälften  ein- 
ander   näherndes    Muskelpaar   und  mehrere    andere   zur 
Bewegung  d^  Quadratbeins  und   der  Gaumengruppe  be- 
stimmte.    Auch  bei  den  Vögeln  finden  sich,  ausser  den 
den  TW.  m.  masseterf   temporalis ,  pterygoidei^    digastricus 


3.  Kap.     Das  iMuskelsystem.  177 

analogen  Muskeln,  ein  Heber  und  Vorwärtszieher  und  ein 
Rückwärtszieher  des  Flügelbeins  und  Quadratbeins.  Die 
Kaumuskeln  der  Säugethiere  gleichen  denen  des  Men- 
schen s§hr,  nur  sind  sie  gewöhnlich  bedeutender  ent- 
wickelt. 

Muskeln  des    Kieinenapparates   und  des    Zungenbeins. 

Bei  dem  ganz  abweichenden  Bau  dieser  Theile  bei 
den  Cyclostomen  ist  auch  ihre  Muskulatur  eine  völlig 
von  dem  Plane  der  übrigen  Wirbelthiere  abweichende. 
Wir  erwähnten,  dass  die  Cyclostomen  nicht  durch  den 
Mund  einathmen,  sondern  durch  die  Kiemenlöcher  ein- 
und  ausathmen.  Desshalb  sind  bei  ihnen  die  Constric- 
toren  der  Kiemenhöhle  ungemein  entwickelt.  In- 
dem bei  den  Knochenfischen  das  eigentliche  Zungen- 
bein von  untergeordneter  Bedeutung  ist  gegen  die  Kie- 
menbogen,  sind  es  auch  vorzüglich  letztere,  welche  durch 
eine  nicht  geringe  Anzahl  theils  von  der  Schädelbasis, 
theils.  vom  Zungenbeine,  theils  vom  Schultergürtel  ent- 
springender Muskeln  nach  oben,  vorn,  hinten  und  abwärts 
bewegt  werden.  Zum  Kiemenapparat  gehören  auch  die 
zwischen  den  radii  branchiostegi  befindlichen  Muskeln  und 
Heber  und  Senker  des  operculum. 

In  den  drei  höheren  Klassen  zeigen  die  Zungenbein- 
muskeln eine  grosse  Uebereinstimmung,  fast  mit  alleini- 
ger Ausnahme  der  Schlangen  wegen  des  rudimentären 
Zungenbeins  und  des  Mangels  von  Schultergerüst  und 
Brustbein.  Die  verbreitetsten  sind  bei  den  Amphibien: 
die  m.  m.  sternokyoideus  ^  oinohyoideus ,  wyloglossus  ^  ge* 
nioglossus  —  und  die  m.  m.  hyoglossiis  und  genioglossus 
als  Zungenmuskeln.  Bei  den  Vögeln:  die  m.  m,  mylo- 
hyoideus ,    stylohyoideus ,     geniohyoideus ,     sternohyoideus, 

12 


178  H-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Diese  zeigen    sich   auch  bei   den  Säugethieren   sehr  be- 
ständig. 


Lyonnet,    Traue  anatomique  de  la  chenille,   qui  ronge  le  bois  de 

saule.     1762.     (Berühmte  Darstellung  der  Myologie  von  Cos- 

sus  ligniperda.) 
J.  Müller,  Vergleichende  Anatomie  der  Myxinoiden.    Erster  Theil, 

Myologie  S.  179—248.    1835. 
Ant.  Dujes,   Recherches  sur   VOsteologie  et  la  Myologie   des  Ba- 

traciens  ä  leurs  differrens  ages.     1835. 
E.  d'Alton,  Beschreibung  des  Muskelsystems  eines  Tython  bhitta- 

ius.    Müller's  Arch.  1834. 
J.  Prechtl,  Untersuchungen  über  den  Flug  der  Vögel.    1846. 


IL 


Die  coiitractile   Substanz,   besonders   der  In- 
fusorien. 

Man  kann  sich  der  Anerkennung  der  vielfältig  be- 
obachteten Thatsache  nicht  entziehen,  dass  in  der  niede- 
ren Thierwelt,  besonders  in  der  Abtheilung  der  Infuso- 
rien, wohl  auch  der  Polypen  und  Quallenpolypen,  ferner 
der  Turbellarien ,  an  Stelle  oder  neben  den  wahren  Mus- 
keln ein  specifisch  anderes  Bewegungselement  auftritt, 
auf  welches  zuerst  Dujardin  in  seiner  Histoire  naturelle 
des  Infusoires  aufmerksam  gemacht  hat,  und  das  man 
entweder  nach  seinem  Vorgange  Sarcode,  oder  nach 
Ecker  (ungeformte)  contra  etile  Substanz  nennt. 

Wir  finden  die  Eigenschaften  dieser  contractilen 
Substanz  am   schärfsten   ausgeprägt  bei   derjenigen   Ab- 


3.  Kap.     Die  coniractile  Substanz.  179 

theilung  der  Infusorien,  die  Ehrenberg  als  Pseudopo- 
dla  bezeichnet ,  also  den  Amöbäen  mit  den ,  wie  sich  nun 
unzweifelhaft  ergeben,  zu  ihnen  gehörigen  Polythala- 
m i e n  oder  Foraminiferen.  Die  Substanz  besteht  aus 
einer  homogenen,  durchsichtigen  Grundmasse  mit  einge- 
betteten moleculären  Körnchen  und  bläschenähnlichen 
Aushöhlungen;  sie  ist  allseitig  expansibel  und  contractil, 
d.  h.  kann  nacli  beliebigen  Richtungen  hin  Fortsätze,  mit- 
unter zu  äusserster  Feinheit  ausgezogen ,  von  sich  stre- 
cken, und  diese  Fortsätze  können  sogar  mit  einander 
verschmelzen  und  ein  Netzwerk  bilden,  das  später  w^ie- 
der,  unter  Trennung  der  Maschen,  in  den  übrigen  Kör- 
per hineingezogen  wird.  Bei  diesen  unzweifelhaften 
Thatsachen  muss  man  sich  wohl  auch  zu  der  Anerken- 
nung der,  physiologisch  freilich  völlig  räthselhaften  an- 
deren Thatsache  bequemen,  dass  bei  den  so  beschaffenen 
Organismen  die  Sensibilität  durch  eben  dieselbe  contrac- 
tile  Substanz  vermittelt  wird ,  da  die  Leitung  durch  Ner- 
venelemente mit  der  ersten  Thatsache  unvereinbar  ist. 

Wie  weit  die  contractile  Substanz  diese  Eigenschaf- 
ten bei  der  anderen  grossen  Abtheilung  der  Infusorien, 
den  Enterotelen  beibehalte,  und  welche  Modificationen 
sie  hier  erleide ,  ist  noch  nicht  Gegenstand  speciellerer 
Forschung  gewesen.  Meine  eignen  Beobachtungen  lehrten 
mich,  dass  bei  einer  grossen  Reihe  derselben  die  con- 
tractile Substanz  in  der  Form  langer  schmaler  Streifen 
oder,  wenn  man  will,  Fasern  auftritt,  welche  parallel 
mit  einander  oft  in  der  ganzen  Länge  des  Thieres  ver- 
laufen. Sie  sind  getrennt  durch  kleine  Thäler  und  Fur- 
chen, wie  man  am  besten  an  den  Körperrändern  und  bei 
gewissen  Biegungen  der  Thiere  bemerkt ,  avo  die  Fasern 
eben  so  viele  Erhabenheiten  bilden.     Diese  Streifen  sind 

12* 


IgO  11.  Abschn.     Die  Organe  der  Bewegung. 

so  bestimmt  abgegränzt,  dass  von  einem  Ineinanderflies- 
sen  nicht  die  Rede  ist;  sie  bestehen  aus  der  homogenen, 
hellen  Grundsubstanz ,  in  welche  viele  winzig  kleine  Körn- 
chen eingebettet  sind,  und  bei  manchen  Infusorien  sind 
die  Pigmente  fast  ausschliesslich  in  diesen  Streifen  ent- 
halten, so  dass  die  Zwischenfurcben  weiss  erscheinen 
(z.  B.  bei  Stentov  coevuleus).  Als  der  Beobachtung  leicht 
zugängliche  Formen,  bei  denen  die  contractile  Substanz 
in  der  beschriebenen  Weise  sich  differenzirt  hat,  führen 
wir  die  Stentoren  an.  Sie  haben  zwei  Streifensysteme; 
das  eine ,  aus  schmaleren  Elementen  bestehende  bildet 
die  kappen-  oder  deckelähnliche  Vorderwand  des  Thie- 
res;  die  anderen  Streifen  verlaufen  von  dem  Rande  des 
grossen  vorderen  Wimperkreises  nach  dem  Hinterende, 
nicht  alle  aber  reichen  bis  hierher,  sondern  hören  auf, 
wie  es  die  Verschmälerung  des  Körpers  erfordert.  An- 
dere zahlreiche  Beispiele  liefern  die  Trachelinen  und 
Ophryocercinen,  von  den  Enchelien  Lacvymaria 
Proteus;  und  darunter  sind  namentlich  die  interessant,  bei 
denen  die  Streifen  spiralig  um  den  Körper  gehen,  wo- 
durch sie ,  besonders  deutlich  im  Zustande  der  Contrac- 
tion ,  w  ie  mit  einem  zarten  Netze  überzogen  erscheinen. 
Es  ist  nichts  leichter,  als  sich  zu  überzeugen,  dass  die 
Körpercontractionen  nur  in  der  Richtung  dieser,  in  der 
Rindenschicht  (Lach mann)  liegenden  Fasern  oder  Strei- 
fen erfolgen ,  dass  diese  Fasern  eben  selbst  die  contrac- 
tilen  Elemente  sind ,  und  dass  eben  desshalb  die  frei- 
willigen Expansionen  und  Contractionen  sich  hauptsächlich 
auf  die  Körperbedeckungen  beschränken ,  während  die 
innere  Substanz  passiv  diesen  Bewegungen  folgt.  Bei 
den  Oxy  t  rieh  inen  und  Eup  loten,  auch  den  K  o  1  p  o- 
deen,  deren  Körper  wenig  seine  Gestalt  verändert,  tritt 


3.  Kap.    Die  contraclile  Substanz.  181 

in  eben  dem  Masse  die  Faserung  der  Sarkode  zurück, 
und  es  bleibt  umfassenderen  Untersuchungen  vorbehal- 
ten, zu  zeigen,  ob  die  freiwillige  Contractilität  der  En- 
terodelen nicht  überhaupt  an  diese  Streifenbildung  gebun- 
den ist. 

Jeder  Streif  ist  analog  einer  Muskelfaser;  die  Breite 
wechselt  sehr;  bei  einer  Tracheline  habe  ich  0,001 — 
0,0016  Lin.  gemessen;  beträchtlicher  ist  sie  bei  den  Sten- 
toren.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  Schnell- 
muskel der  Vorticellen  ein  solches  selbständiges  Sarkode- 
Element  ist.  Von  histiologischer  Seite  ist  sogar  nicht 
viel  dagegen  einzuwenden,  ihn  geradezu  Muskel  zu  nennen. 

Die  histiologischen  Untersuchungen  sind  noch  nicht 
so  weit  gediehen ,  dass  über  die  Verbreitung  der  contrac- 
tilen  Substanz  in  der  übrigen  niederen  Thierwelt  hier 
speciellere  Angaben  gemacht  \a  erden  könnten. 

Der  Angabe  Ecker's,  dass  der  Körper  der  Hydra 
ganz  aus  ungeformter  contractiler  Substanz  bestehe,  ist 
Leydig  (Müll.  Arch.  1854.  5.  270.  ff.)  ganz  entschieden 
entgegengetreten,  welcher  darin  vielmehr  mit  einander 
verschmolzene  Zellen  mit  contractilem  Inhalte  erblickt, 
Muskelzellen  in  Blasenform.  Auch  bezüglich  der  Räder- 
thiere ,  deren  contractile  Elemente  Sarcode  sein  sollen, 
bleibt  es  bei  den  ersten  Angaben  Ehrenberg's,  dass 
diese  Thiere  wirkliche  Muskeln  besitzen. 


III. 

Die  Fliinmerorg^aiie. 

Obgleich  der  Flimmerorgane  gelegentlich   schon  Er- 
wähnung gethan  und  auch  in  der  Folge  auf  sie  aufmerk- 


182  H-  Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

sam  zu  machen  ist,  wollen  wir  doch  an  dieser  Stelle 
einiges  Allgemeine  über  ihr  Vorkommen  und  ihre  Bedeu- 
tung mittheilen. 

Die  gewöhnlichste  Form  der  Flimmerorgane  ist  die 
feiner  Härchen ,  welche  da ,  wo  sie  dicht  gedrängt  eine 
Fläche  bekleiden ,  in  der  Gesammtheit  ihrer  schwingenden 
Bewegungen  keine  bestimmte  Regelmässigkeit  und  Ab- 
hängigkeit der  Aufeinanderfolge  erkennen  zu  lassen  pfle- 
gen; da  aber,  wo  sie  in  einfachen  Reihen,  Kreisen  und 
Curven  gestellt  sind,  nicht  selten  auch  in  ordentlicher 
Reihenfolge  wirken. 

Auf  eine  zweite  Form  ist  man  erst  in  neuerer  Zeit 
recht  aufmerksam  geworden*),  die  der  undulirenden 
Membranen.  Hierher  sind  unter  andern  die  Flimmerläpp- 
chen in  den  Wassergefässen  der  Turbellarien  und  vieler 
Trematoden  zu  rechnen.  Das  auffallendste  Beispiel  aber 
einer  undulirenden  Membran  geben  die  Samenfädnn  ver- 
schiedener nackter  Amphibien  (Triton,  Salamander,  Unke), 
welche  fast  ihrer  ganzen  Länge  nach  mit  einem  zarten 
wellenförmig  schwingenden  Hautsaume  besetzt  sind.  Die 
Bewegungen  dieses  Hautsaumes  sind  unabhängig  von  de- 
nen des  Samenfadens;    Flimmerorgan  am   Flimmerorgan. 

Die  Flimmerorgane  sind  als  Bewegungswerkzeuge 
im  weitesten  Sinne  anzusehen;  sie  sind  ungemein  ver- 
breitet und  für  fast  alle  Functionen  des  thierischen  Le- 
bens, wie  es  scheint,  von  der  grössten  Wichtigkeit.     Es 


*)  Vergl.  J.  N.  Czermak,  lieber  die  Samenfäden  der  Sala- 
mander und  Trilonen  i.  d.  Uebersicht  der  Arbeiten  der  schlesischen 
Gesellschaft  für  vaterländische  Cultur  im  Jahre  1848.  Breslau,  und 
in  Zeitschrift  f.  wissensch.  Zool.    II.  Bd.    4.  Hft.    1850. 

Und  Prof.  v.  Sicbold,  Ueber  undulirende  Membranen  —  eben- 
daselbst. 


3.  Kap.    Die  Fliiumerorgane.  183 

ist  schwer,  eine  Gränze  zu  ziehen  zwischen  den  der 
Willkür  entzogenen  und  in  keiner  Abhängigkeit  vom  Ner- 
vensystem stehenden  Flimraerorganen  und  den  von  dem 
Thiere  beliebig  in  Thätigkeit  oder  Ruhe  zu  setzenden. 
Die  letzteren  pflegen  äusserlich  zu  sein  und  zeichnen  sich 
dann  gewöhnlich  von  anderen  äusseren ,  der  Willkür  ent- 
zogenen Flimmerorganen  durch  ihre  Grösse  aus,  wie  Avir 
bei  Infusionsthieren ,  bei  den  Räderorganen  der  Räder- 
thiere,  den  einfachen,  die  Tentakeln  vieler  Polypen  um- 
gebenden Wimpersäumen  und  an  den  häufig  auffallend 
langen  Wimpern  sehen ,  mit  denen  namentlich  die  Em- 
bryonen von  Weichthieren  versehen  sind.  Die  willkür- 
lichen Wimpern  dienen  in  diesen  Fällen  theils  zur  Loco- 
motion,  theils  zur  Herbeiführung  von  Nahrung;  ein  se- 
cundärer  Zweck  scheint  die  Wasserventilation  behufs  der 
Athmung  zu  sein.  Aber  auch  die  unwillkürlich  tbätigen 
Flimmern  können  zu  Locoraotionsorganen  verwendet  sein, 
wovon  die  Infusionsthiere  und  die  ganze  Klasse  der  Stru- 
delwürmer Beispiele  geben. 

Auch  ausser  dem  Nutzen ,  den  sie  durch  Herbei- 
schaffung der  Nahrung  leisten,  stehen  sie  mit  dem  Er- 
nährungssystem im  engsten  Zusammenhange.  Ist  ihr 
Zweck  auch  weniger  erklärlich,  wenn  wir  auf  der 
Schleimhaut  der  Mundhöhle ,  des  Schlundes  und  der  Spei- 
seröhre der  Reptilien  Flimmerbewegung  finden ,  so  leuch- 
tet derselbe  doch  sogleich  ein,  wenn  bei  Branchiostoma 
lubricum  und  einer  grossen  Anzahl  wirbelloser  Thiere, 
namentlich  Würmern  der  Darmkanal  ganz  oder  strecken- 
weise mit  Flimmerepithelium  ausgekleidet  ist;  es  ersetzt 
einmal  die  Mund-  und  Schlundbew^egungen ,  indem  es  die 
Nahrung  in  den  Magen  oder  die  dem  Magen  entsprechende 
Stelle  bringt,  dann  die  peristaltischen  zur  Bereitung  des 


184  H-    Abschn.    Die  Organe  der  Bewegung. 

Chymus  und  Weiterbeförderung  des  Darminhaltes  nöthi- 
gen  Bewegungen.  Ob  Flimmerorgane  an  der  inneren 
Wand  eigentlicher  Blutgefässe  vorkommen,  ist  insofern 
zweifelhaft,  als  in  den  Fällen,  wo  man  diess  angenom- 
men (namentlich  bei  Helminthen) ,  über  die  Natur  dieser 
Gefässe  selbst  noch  nicht  mit  aller  Sicherheit  entschieden 
ist.  Dagegen  sind  sie  eine  fast  unveräusserliche  Beigabe 
der  Respirationsorgane,  sowohl  der  Kiemen  (sie  sind 
nicht  vorhanden  auf  den  Fischkiemen  und  denen  der  Ce- 
phalopoden),  als  der  Lungen  und  der  inneren,  bei  den 
wirbellosen  Thieren  sehr  verbreiteten  Wassergefässe, 
denen  eigne  Muskelstraten  abgehen,  und  in  denen  sie  für 
fortwährenden  Wasserwechsel  sorgen. 

Auch  der  Zweck  des  Vorkommens  der  Flimmern  in 
den  Fortpflanzungsorganen  liegt  meist  vor  Augen,  indem 
sie  die  Generationsstoffe  leiten  und  einander  zuführen. 

Dass  der  Mangel  von  Flimmerorganen  für  die  Cru- 
staceen ,  Arachniden  und  Insekten  charakteristisch  zu  sein 
scheint,  ist  in  der  Einleitung  angeführt. 


Dritter  Abschnitt. 
Die  Organe  der  Elmlilirniig. 


Diejenigen  Organe,  welche  die  Nahrungsmittel  auf- 
nehmen und  dieselben  bis  nach  der  Ausscheidung  der  zur 
Ernährung  tauglichen  Stoffe  beherbergen,  begreifen  wir 
unter  dem  Namen  des  Verdauungsapparates.  Wir 
verstehen  also  darunter  nur  den  eigentlichen  tiibus  alhnen- 
tarius  von  der  Mundöffnung  bis  zur  Afteröffnung  (wenn 
solche  vorhanden)  mit  den  zur  Ergreifung  und  Zerklei- 
nerung der  Speisen  dienenden  Hülfsorganen,  namentlich 
auch  den  Zähnen  und  zahnartigen  Gebilden.  In  einem 
zweiten  Kapitel  haben  wir  diejenigen  Hülfsorgane  zu  be- 
trachten, welche,  häufig  nur  in  Form  dünnerer  oder 
stärkerer ,  eng  mit  den  Darmwandungen  verbundener  Zel- 
lenschichten,  gewöhnlich  aber  als  eigenthümliche,  für 
sich  bestehende  Drüsen  diejenigen  Säfte  absondern,  die 
die  Verdauung  einleiten  und  ,  ausser  den  zum  Verdauungs- 
process  nöthigen ,  von  den  inneren  Darrawänden  secernir- 
ten  Säften  (Magen-,  Darmsaft) ,  befördern ,  Speichel- 
drüsen, Leber,  Pankreas,  Milz  (?).  Wir  müssen 
drittens  die  Wege  vergleichen,  auf  denen  der  zur  Er- 
nährung  der   verschiedenen   Körpertheile    dienende   Saft, 


186  in.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

welcher  die  durch  die  Verdauung  den  Speisen  entzogenen 
Nahrungstheilchen  enthält ,  im  Körper  umhergeführt  wird, 
das  Gefässsystem.  Ein  viertes  Kapitel  wird  uns  die- 
jenigen Apparate  vorführen ,  durch  welche  der  Nahrungs- 
saft oder  das  Blut  in  Berührung  mit  dem  Sauerstoff  der 
atmosphärischen  Luft  gebracht  wird,  um  gewisse  zum 
Leben  nothwendige  chemische  Veränderungen  zu  erleiden, 
das  sind  die  Respirationsorgane.  Sehr  viele  Thiere 
sind  ferner  mit  eigenen  Organen  versehen  zur  Entfernung 
überflüssiger,  fremder  oder  schädlicher  Stoffe  aus  dem 
Blute,  mit  Harnorganen,  die  uns  im  fünften  Kapitel 
beschäftigen.  Endlich  handeln  wir  in  diesem  Abschnitte 
eine  Reihe  von  absondernden  Organen  ab,  die  sich  zwar 
nicht  unmittelbar  auf  die  Ernährung  beziehen,  meist  aber 
für  die  Oekonomie  des  Individuum  von  Wichtigkeit  sind 
und  nichts  mit  der  Fortpflanzung  zu  schaffen  haben.  Wir 
begreifen  sie  unter  dem  Namen  der  besonderen  Ab- 
sonderungsorgane (Giftdrüsen,  Spinngefässe ,  Tin- 
tenbeutel der  Cephalopoden  u.  a.). 


Erstes  Kapitel. 
Der  Verdauuiigapparat. 


1.     Der   Verdauungsapparat  der  Strahlthiere. 

Bei  den  Polypen  findet  sich  nur  eine,  gleich  hinter 
der  Mundöifnung  (nur  Edwardsia  hat  einen  oesop/iagus) 
beginnende  und  sich  meist  weit  in  den  Körper  erstrek- 
kende  Magenhöhle,  aus  welcher  die  unverdaulichen 
Speisetheile  wieder  durch  den  Mund  entfernt  werden. 
Die  Wände  dieses  Magens  sind  nur  am  oberen  Ende  mit 
den  Körperwandungen  verwachsen,  und  so  entstellt  um 
den  Magen  herum  und  hinter  demselben  eine  zweite  Höhle, 
gewöhnlich  Leibeshöhle  genannt,  in  welche  sich  der 
Magen  zum  Einlass  von  Wasser  und  zum  Hinauslassen 
desselben  und  der  Geschlechtsproducte  u.  s.  w.  öffnet. 

Auch  die  meisten  Quallen  haben  einen  centralen 
Magen,  häufig,  namentlich  bei  den  Medusiden,  mit  strah- 
lenförmigen Aussackungen  oder  kanalartigen  Fortsätzen. 
Mitunter  ( Rhizostomidae )  finden  sich  statt  einer  Mund- 
öflnung  viele  feine  Kanäle  in  den  Fangarmen,  welche 
einzeln  nach  aussen  münden  und  die  flüssige  Nahrung  in 
die  mittlere  Höhlung  führen.  Die  sogenannten  Saugröh- 
ren, welche  die  S ip ho nop hören  oft  in  grosser  Menge 
an  dem  sogenannten  Reproductionkanale  besitzen,  sind 
einzelne  Individuen ,  indem  diese  Siphonophoren  nicht  als 


188  in.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Einzelthiere ,   sondern   wie  die   Polypenstöcke  als  Thier- 
eolonieen  betrachtet  werden  müssen.    Vgl.  S.  23. 

Der  Darmkanal  der  Echinodermen  zeigt  eine  sehr 
verschiedenartige  Anordnung.  Die  Mund  Öffnung  ist 
fast  immer  central,  die  After  Öffnung  bald  dem  Munde 
entgegengesetzt  (Echinoiden,  Asteroiden,  Holothurien), 
bald  am  Rande  der  Schale  oder  in  dessen  Nähe  an  der 
Unterseite  (Spatangen ,  Clypeastriden) ,  bald  ganz  in  der 
Nähe  des  Mundes  (Crinoiden).  Manchen  Asteroiden  fehlt 
die  Afteröifnung.  Mit  Tentakeln,  als  Hülfsorganen ,  wie 
sie  die  Polypen  und  Quallen  haben,  sind  namentlich  die 
Holothurien  versehen. 

Bei  den  Asteroiden  ist  die  Mundöffnung  von  zahnar- 
tigen, papillenförmigen  Fortsätzen  des  Hautskeletes  um- 
geben. Einen  sehr  complicirten  Zahn-  und  Kauappa- 
rat haben  die  Echinoiden  und  Clypeastriden.  Bei  den 
Echinoiden  findet  sich  dieser,  die  sogenannte  Laterne  des 
Aristoteles,  als  ein  aus  fünf  dreiseitigen  Pyramiden  be- 
stehendes Kalkgerüst,  deren  jede  einen  Schmelzzahn  ent- 
hält. Die  Spitzen  der  Zähne  bilden  die  Spitze  des  aus 
jenen  fünf  Pyramiden  zusammengesetzten  Kegels  und  ra- 
gen aus  der  Mundöffnung  hervor.  Andere  kleine  Kalk- 
stäbe befinden  sich  in  der  dem  Rücken  zugekehrten  Basis 
des  Gerüstes.  Die  zur  Befestigung  und  Bewegung  dieses 
Kauapparates  bestimmten  Muskeln,  welche  sich  theils  an 
der  Spitze ,  theils  an  der  Basis  des  Kegels  inseriren  und 
als  Antagonisten  wirken,  sind  sehr  zahlreich.? 

Als  das  Analogon  der  fünf  sogenannten  radialia  oder 
falces  und  der  zehn  interradialia  an  der  Laterne  ist  der 
Knochenring  am  Schlünde  der  Holothurien  anzusehen. 
Die  übrigen  Theile  der  Laterne  sind  den  Echinen  eigen- 
thümlich. 


1.  Kap.     Der  Verdauungsapparat.  189 

Die  Ausdehnung  des  durch  eine  Art  zarten  Gekrö- 
ses an  den  Körperwänden  befestigten  Darmkanales  ist 
sehr  wechselnd.  Am  einfachsten  verhalten  sich  die 
Asteroiden  und  Ophiuriden,  bei  denen  man  in  der 
Hauptsache  nur  eine ,  bei  den  mit  After  versehenen  See- 
sternen eingeschnürte  Yerdauungshöhle  bemerkt.  Aus 
der  oberen  Abtheilung  führt  ein  kurzer  Mastdarm  zum 
After.  Bei  den  übrigen  Echinodermen  findet  sich  hinter 
dem  Oesophagus  ein  mehr  oder  weniger  gewundener,  in 
ziemlich  gleicher  Weise  verlaufender  Darm. 

2.     Der  Verdauungsapparat  der  Würmer. 

Infusorien.  Bei  den  Polythalamien  und  den 
ihnen  verwandten  Rhizopoden,  deren  Sarcodesub- 
stanz, wie  es  scheint,  die  zur  Nahrung  geeigneten  Ge- 
genstände umfliesst  und,  unter  Ausstossung  der  unver- 
daulichen Tbeile  sich  aneignet,  kann  natürlich  von  einem 
Verdauungsapparate  nicht  die  Rede  sein. 

Für  diejenigen  Infusorien,  denen  Ehr enberg  einen 
Darm  nebst  vielen  Mägen  zuschrieb  (Enterodela),  gilt  aber 
Folgendes.  Bei  den  meisten,  namentlich  den  Vorticelli- 
nen ,  Paramäcien  u.  a. ,  überzeugt  man  sich  durch  Fütte- 
rungsversuche leicht,  dass  eine  oft  weit  in  den  Leib 
hineinragende  Speiseröhre  vorhanden  ist,  von  deren 
Grunde  die  sich  ansammelnden,  gewöhnlich  mit  einer 
Wasserschichte  umgebenen  Speiseballen  mit  einem  Ruck 
tiefer  in  den  Körper  hineingleiten.  Vielfache  Beobach- 
tungen machen  es  so  ziemlich  gewiss ,  dass  ein  bestimm- 
ter, wenn  auch  mit  undeutlichen  Wandungen  versehener 
Darm  oder  Magen  vorhanden,  der  allerdings  bei  vielen 
Species  ausserordentlich  dehnbar  ist.  Einer  der  neuesten 
Beobachter,  Lachmann,   ist  zu  der  am    frühesten  von 


190  in.  Absclm.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Meyen  ausgesprochenen  Ueberzeugung  gelangt,  dass  die 
Infusorien  eine  grosse  verdauende  Höhle  besitzen,  umge- 
ben von  einer  festeren  Parenchym-  (Rinden-)Schicht,  in 
welcher  letzteren  die  contractilen  Blasen  und  der  Nucleus 
liegen. 

Der  Verdauungskanal  der  eigentlichen  Würmer  ist 
so  grossen  Verschiedenheiten  unterworfen,  wie  wir  sie 
kaum  in  ähnlicher  Weise  in  anderen  Abtlieilungen  des 
Thierreichs  wieder  finden.  Die  Veränderungen  beziehen 
sich  nicht  nur  auf  die  einzelnen  Klassen  des  Wurmtypus, 
sie  erstrecken  sich  als  ganz  wesentlich  bis  in  die  Fami- 
lien hinein.  Der  Mund  ist  bald  mit  Kauwerkzeugen  ver- 
sehen, bald  nicht;  ein  After  ist  meist  vorhanden,  fehlt 
aber  auch  oft;  der  Darmkanal  verläuft  bald  geradlinig, 
ohne  magenartige  Ausbuchtungen  und  Blindsäcke,  bald 
ist  er  mehr  oder  minder  gabiig  und  baumartig  verzweigt, 
mit  Magen- Abtheilungen  und  zahlreichen  Blindsäcken; 
kurz ,  alle  Modificationen ,  denen  wir  sonst  begegnen,  fin- 
den sich  in  der  einen    Abtheilung  der   Würmer  realisirt. 

Strudelwürmer.  Bei  den  Strudelwürmern  zeigen 
zwei  Ordnungen  so  bestimmt  von  einander  abweichende 
Formen  des  Verdauungskanales,  dass  man  sie  danach  hat 
benennen  können,  die  Rhabdocölen  und  Dendrocö- 
len.  In  beiden  findet  sich  gewöhnlich  ein  seiner  Lage 
nach  ungemein  variirender,  muskulöser  Schlundkopf, 
der  bei  den  Dendrocölen  sehr  exsertil  ist  und  in  einen 
dendritisch  verzweigten  Darmkanal  ohne  After  führt,  bei 
den  Rhabdocölen  durch  eine  gewöhnlich  kurze  Speise- 
röhre in  eine  oft  sehr  kurze,  immer  unverzweigte,  blind- 
sacklose  Magenhöhle.  Diese  ist  nur  in  der  Gruppe  der 
Microstomeae  zu  einem  längeren  Darme  mit  Afteröffnung 
ausgezogen,    während    man    an     dem    Verdauungskanal 


1.  Kap.    Der  Verdauungsapparat.  191 

der  ganz  abweichenden  Gattung  Dinophilas  m.  einen 
Schlundkopf  mit  einem  zungen  ähnlich  en  Or- 
gane, Vormagen,  Magen,  eine  grosse  Ausbuch- 
tung hinter  dem  Magen  und  einen  kurzen  geraden,  durch 
einen  Sphinkter  verschliessbaren  Mastdarm,  der  sich 
auf  dem  Hintertheile  des  Rückens  öffnet,  unterscheiden 
kann.  Saugnäpfe,  gleich  denen  der  schmarotzenden  Pla- 
tyelmia,  kommen  nicht  vor.  Früher  wurde  es  fälschlich 
angenommen.  Nur  die  Prostomeen  besitzen  am  Vorder- 
ende einen  kurzen,  exsertüen  Fangrüssel,  als  Analogon 
des  Rüssels  der  Nemertinen,  während  ihr  eigentlicher 
Schlundkopf,  früher  für  einen  Saugnapf  gehalten,  am 
Bauche  liegt.  Der  Darmkanal  der  dritten  Ordnung,  der 
Nemertinen,  ist  gleichfalls  ohne  Verzweigungen.  Er 
verläuft,  dem  Körperparenchym  innig  verbunden,  in  ge- 
rader Richtung,  die  Mundöffnung  ist  gewöhnlich  etwas 
hinter  dem  Vorderende,  die  Afteröffnung  am  Hiuterende. 
Ueber  oder  neben  dem  Darmkanal  liegt  in  einer  eigenen 
Höhle  ein  langer  Rüssel,  dessen  vorderer  Theil  wie  ein 
Handschuhfinger  ein-  und  hervorgestülpt  werden  kann, 
bis  ein  kalkiges,  zum  Verwunden  der  Beute  dienendes 
Stilet  zum  Vorschein  kommt.  Der  auf  das  Stilet  folgende 
darmähnliche  Theil  des  Rüssels  flottirt  entweder  mit  dem 
hinteren  Ende  frei  in  der  geräumigen  Rüsselhöhle  oder 
ist  an  der  Wand  derselben  befestigt. 

Eingeweidewürmer.  Bei  vielen  Eingeweide- 
würmern, den  Cestoden  und  Acanthocephalen 
findet  sich  kein  durch  äussere  Oeffnungen  zur  un- 
mittelbaren Aufnahme  von  Nahrungsmitteln  geeigneter 
Verdauungsapparat ;  vielmehr  scheinen  diese  Schmarotzer 
die  von  ihren  Wohnthieren  schon  vorbereiteten ,  bildungs- 


192  HI.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

fähigen  Nabrungsflüssigkeiten  durch  ihre  ganze  Körper- 
oberfläche aufzusaugen. 

Die  Trematoden  schliessen  sich  in  vieler  Hinsicht 
an  die  Turbellarien  an.  Auch  bei  ihnen  ist  in  der  Regel 
keine  Afterölfnung  vorhanden.  Bei  den  meisten  liegt  die 
Mund  Öffnung  im  Grunde  eines  Saugnapfes;  sie 
führt  gewöhnlich  in  eine  kurze ,  zum  Theil  von  einem 
rausculösen  Schlundkopfe  umgebene  Schlundröhre, 
von  welcher  gabelförmig  zwei  blinde  Därme  ausge- 
hen ,  die  sich  zuweilen  (bei  mehreren  Arten  von  Mono- 
stomum,  bei  Tristomum  coccineum)  hinten  wieder  verei- 
nigen. Noch  einfacher  verhalten  sich  einige  Trematoden 
(Aspidogaster)  mit  einem  einzigen  Blinddarm,  während 
andre  (Polyslonnim  integerrimum)  durch  die  von  den  beiden 
Hauptstämmen  des  Darmkanals  ausgehenden  verzweigten 
Blindsäcke  sich  den  Dendrocölen  nähern.  Am  weitesten 
ist  diese  Verzvv  eigung  bei  Distomum  hepaticum  gegangen. 

Bei  den  Nematoden  verläuft  der  Verdauungskanal 
von  der  terminalen  Mundöff'nung  in  gerader  Richtung 
nach  der  in  der  Nähe  der  Schwanzspitze  sich  befinden- 
den Afteröffnung.  Zahnartige ,  hornige  Gebilde  sind  nicht 
häufig,  sehr  gewöhnlich  aber  liegt  hinter  der  Mundöff- 
nung ein  aus  drei  longitudinalen  Muskelstreifen  zusam- 
mengesetzter starker  Schlund,  mit  einer  kolbigen  An- 
schwellung, dem  Schlundkopfe.  Die  hinter  dem 
Schlünde  liegende  Abtheilung  des  Darmkanales  ist  von 
ziemlich  gleichem  Kaliber ,  mit  sehr  starken  Wänden  ver- 
sehen, und  endigt  mit  einem  kurzen ,  durch  einen  Sphink- 
ter geschlossenen  Mastdarm.  Der  Darmkanal  wird  durch 
die  ihn  dicht  umwickelnden  Samengefässe ,  Eier-  und 
Dotterstöcke  in  seiner  Lage  erhalten. 

Die   Gordiaceen    besitzen    statt   des    mangelnden 


1.  Kap.     Der  Verdauungsapparat.  193 

Darmkanales  einen  zelligen  Körper,  der  bei  Gordlus  alle 
andern  Eingeweide  umschliesst,  bei  Mevmis  noch  ein 
freies  Lumen  enthält,  bei  Gorclms  nicht,  bei  letzterem 
mit  Mund  und  kurzem  Schlund  zusammenhängt,  während 
bei  Mevmis  ein  Leitungsapparat  zwischen  Mund  und  Zel- 
lenkörper sich  einschiebt  (Meissner). 

Ringel  Würmer.  Mund  und  After  der  Ringelwür- 
mer liegen  an  den  beiden  entsprechenden  Körperenden 
oder  in  der  Nähe  derselben.  Nur  die  Afteröffnung  von 
Sipiinculus  ist  dem  Yorderende  nahe  gerückt,  indem  der 
Darmkanal  aus  dem  Hinterleibe  sich  wieder  nach  vorn 
wendet.  Im  üebrigen  sind  die  Verschiedenheiten  so  zahl- 
reich, dass  sich  etwas  Allgemeines  nicht  sagen  lässt. 
Die  so  abweichende  Lebensweise  der  Thiere  von  den  in 
der  Erde  und  in  Röhren  verborgenen  Abranchiaten  und 
Capitibranchiaten  bis  zu  den  frei  beweglichen  räuberi- 
schen Fühlerwürmern  erfordert  bald  nur  die  Hülfe  flei- 
schiger Lippen  und  wimpernder,  die  Mundöffnung  umge- 
bender Kiemen,  bald  starke,  den  Kiefern  der  Arthropoden 
gleichende  Angriffswaffen  und  Kauwerkzeuge;  und  eben 
so  wenig  lässt  sich  eine  Norm  für  den  bald  gleichmässig 
verlaufenden,  bald  mit  zahlreichen  Blindsäcken  versehe- 
nen Darmkanal  angeben. 

Wenn  auch,  wie  eben  gesagt,  die  Kiefern  vieler 
Ringelwürmer  den  gleichnamigen  Mundtheilen  der  kauen- 
den Arthropoden  gleichen  und  wie  diese  zangenähnlich 
und  von  den  Seiten  gegen  einander  bewegt  werden ,  sind 
sie  doch  morphologisch  völlig  verschieden.  Die  Mund- 
theile  der  Arthropoden  entwickeln  sich  als  äussere  Kör- 
peranhänge,  als  Kopfgliedmassen;  als  solche  sind  aber 
die  harten  Mundtheile  der  Würmer  nie  zu  betrachten,  sie 
sind  Gebilde  der  inneren  schleimhautähnlichen  Schicht  des 

13 


194  III-  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

vorderen  Theiles  des  Darmkanals.  Sie  liegen  deshalb 
auch  im  Zustande  der  Ruhe  meist  von  der  MundöfFnung 
zurückgezogen  und  werden  erst  beim  Fressen  mit  dem 
Schlünde  hervorgestülpt. 

Die  Mundöffnung  der  Hirudineen  befindet  sich, 
^\\e  bei  den  Trematoden,  im  Grunde  eines  Saugnapfes. 
Die  meisten  Arten  sind  mit  hornigen  Kiefern  ausgestattet, 
die  he'i  Sa7igidsuga  und  Haenwpis,  drei  an  der  Zahl,  auf 
eben  so  vielen  muskulösen  Kieferwülsten  befestigt  sind, 
die  Gestalt  einer  bogigen  Schrotsäge  haben  und  die  be- 
kannte dreistrahlige  Wunde  zurücklassen.  Der  Darmka- 
nal ist  nur  selten  (Nephelis)  einfach  schlauchartig,  ge- 
wöhnlich zeigt  er  mehrere  paarige  Ausbuchtungen,  kür- 
zere oder  längere,  einfache  oder  verästelte  Blindsäcke, 
jedoch,  mit  Ausnahme  von  Clepsine,  nur  bis  zu  einer 
gewissen  Stelle ,  wo  sich  durch  eine  Art  von  Klappe  die 
vordere,  eigentlich  verdauende  Darmabtheilung  von  dem 
ausführenden  Mastdarm  scheidet.  Dieser  öffnet  sich  ober- 
halb des  hinteren  Saugnapfes. 

Die  Regen  Würmer  und  Naiden  sind  mit  lippen- 
artigen, durch  die  Verlängerung  des  oder  der  ersten 
Körpersegmente  entstandenen  Wülsten  versehen;  auch 
kommt  bei  den  Naiden  (Nais  proboscidea)  ein  merkwür- 
diges, Zungen  förmiges  Ilülfsorgan  vor,  bestehend  aus 
zwei  dicht  neben  einander  liegenden  fleischigen  Streifen, 
das  im  Zustande  der  Ruhe  ziemlich  weit  von  der  Mund- 
öffnung zurückgezogen  ist.  Will  das  Thier  Nahrung  auf- 
nehmen, so  erweitert  sich  die  Mundspalte  zu  einem 
Kreise,  stülpt  sich  aus  und  die  Zunge  schöpft  ein,  wo- 
bei ihr  aber  der  ganze  Lippenkreis  des  Mundes ,  indem 
er  sich  wieder  zuthut,  behülflich  ist.  Bei  der  räuberi- 
schen Gattung  Chaetogaster  ist  der  Mund  und  Schlundkopf 


1.  Kap.     Der  Verdauungsapparat.  195 

mit  zahlreichen  Muskelpapillen  besetzt.  Nicht  alle  Gat- 
tungen der  genannten  Familien  besitzen  hinter  dem  ge- 
wöhnlich engen  Schlünde  einen  muskulösen  Magen,  wie 
er  z.  B.  bei  Lumbricus  und  mehreren  Naiden  vorhanden. 
Bei  den  meisten  hat  der  Darmkanal  mehrere  Einschnü- 
rungen. Vom  Darmkanal  der  Nais  elinguis  ist  der  des 
merkwürdigen  Schwanzkiemers  Amphicora  Sabella  kaum 
zu  unterscheiden. 

Von  den  übrigen  Kiemen würmern  haben  die 
Kopfkiemer  einen  einfachen  Schlund  ohne  Bewaffnung, 
die  Rückenkiemer  dagegen  besitzen  gewöhnlich  eine  aus- 
stülpbare Schlundröhre,  welche  häufig  (NerelSf  Polynoe, 
Aphrodite^  Eunice  u.  a.)  mit  hakig  gekrümmten  und  ge- 
zähnelten  Kiefern  versehen  ist.  Der  Darmkanal  hat  we- 
niger häufig  einen  geraden  Verlauf  (z.  B.  Arenicola), 
gewöhnlich  ist  er  durch  Biegungen  oder  Spiralwindun- 
gen bedeutend  verlängert.  Durch  Einschnürungen  lassen 
sich  namentlich  bei  den  Capitibranchiaten  bestimmte  Ab- 
theilungen als  Magen,  Dünndarm,  Dickdarm  unterschei- 
den ,  weniger  bei  den  Dorsibranchiaten.  Ueber  die  blind- 
sackartigen (drüsigen)  Anhänge  im  folgenden  Kapitel. 

Der  bei  den  Glattwürmern  sehr  eng  mit  den  Körper- 
wandungen verbundene  Darmkanal  flottirt  bei  den  Bor- 
sten.värmern  entweder  frei  in  der  geräumigen  Leibeshöhle 
(Capitibranchiaten)  oder  wird  durch  zwerchfellartige,  ihn 
einschnürende  Querscheidewände  in  bestimmter  Lage  zu 
den  Körperwandungen  erhalten. 

3.  Der  Verdauungsapparat  der  Arthropoden. 

Räderthiere.  Abgesehen  von  den  wenigen,  bis 
jetzt  beobachteten  männlichen  Räderthieren ,  welche  keine 
Spur    eines    Nahrungskanals    haben,    und    von    wenigen 

13* 


f96  III-  Abschn.     Die  Organe  der  Ernährung. 

Formen,  denen  Darm  und  After  fehlen  (JSotommata 
anglica,  Notommata  myrmeleo ,  Not.  Sieboldii.  Nach 
Dalrymple  undLeydig),  ist  der  Bau  der  Verdauungs- 
organe in  dieser  Klasse  sehr  gleichbleibend.  Die  von 
einem  oder  mehreren  Wimperkreisen  oder  Wimperhaufen 
umgebene,  oft  eingekerbte  Mundöffnung  führt  in  eine  oft 
sehr  geräumige  Mundhöhle,  an  deren  Ende  ein  sehr  mus- 
kulöser Schlundkopf  mit  zwei  ein-  oder  mehrzahni- 
gen,  nach  Gattung  und  Species  charakteristischen  Kie- 
fern sich  befindet.  Der  nur  selten  längere  (Diglena, 
Synchaeta  u.  a.) ,  gewöhnlich  kürzere  Schlund  geht  in 
einen  in  der  Regel  schlauchförmigen  Magen  über  oder 
auch  wohl  direct  in  den  Darm,  welcher  gemeinschaft- 
lich mit  der  contractilen  Blase  in  eine  Kloake  am  Rük- 
ken  ausmündet,  kurz  vor  dem  Schwänze. 

Die  Mundtheile  der  eigentlichen  Arthropoden  sind 
oben  in  der  vergleichenden  Hautskelet-Lehre  abgehan- 
delt, üeber  ihren  Darmkanal  ist  Folgendes  das  All- 
gemeinere. 

Der  D arm k anal. 
Crustaceen.  Der  Darmkanal  fast  aller  Crustacecn 
verläuft  ziemlich  geradlinig,  oder  macht  nur  geringe 
Biegungen  und  ist  auch  gewöhnlich  ohne  blindsackartige 
Anhänge.  Die  Aftermündung,  die  sich  gewöhnlich  am 
Schwanzende  befindet,  ist  ausnahmsweise  bei  den  Cirri- 
pedien,  wegen  des  abweichenden  Schalenbaues,  am  Ende 
einer  langen,  aus  der  Schale  hervorgestreckten  Röhre. 
Unter  den  verschiedenen,  die  Darmwandungen  ausmachen- 
den Schichten  zeichnet  sich  die  innere  mehr  wie  bei  den 
Arachniden    und    Insekten    durch    ihren    Chitingehalt  aus. 


1.  Kap.     Der  Verdauungsapparat.  197 

namentlich  an  den  Enden.  Sie  nimmt  an  dem  Häutungs- 
processe  Theil. 

Am  einfachsten,  röhrenförmig,  ist  der  Darmkanal 
bei  mehreren  Ordnungen  der  Entomostraceen,  den  Para- 
siten, Phyllopoden,  auch  einigen  Lophyropo- 
den  (Cyclops) ,  AAährend  er  bei  anderen  Lophyropoden 
(Daphnia)  von  der  mitunter  gespaltenen  Speiseröhre  nach 
vorn  und  oben  steigt  und  sich  dann  nach  hinten  umbiegt. 
Bei  den  meisten  übrigen  Crustaceen  folgt  auf  einen  enge- 
ren geraden  Oesophagus  ein  Magen,  dessen  Epithelium 
sich  gewöhnlich  durch  Haar-  und  Borstenbildung,  sowie 
durch  die  Bildung  von  knorpeligen  und  hornigen  Leisten 
und  Zähnen  auszeichnet.  Am  meisten  ist  diess  bei  den 
Decapoden  der  Fall,  deren  hinter  der  Stirn  liegender 
Magen  in  einen  vorderen  blasenförmigen  und  einen  hin- 
teren ,  in  den  Pylorus  übergehenden ,  pyramidenförmigen 
Theil  zerfällt.  In  diesem  hinteren  Theile  befindet  sich  ein 
sehr  eigenthümliches  Gerüst,  an  dem  sich  mehrere  Plat- 
ten und  Balken,  ein  mittlerer,  unpaariger,  zweizinkiger 
Zahn,  der  in  das  Innere  der  Magenhöhle  von  oben  hin- 
einragt, und  zwei  seitliche  Zahnleisten  unterscheiden  las- 
sen. Obgleich  das  Gerüst  durch  einige  von  Aussen  sich 
an  dasselhe  setzende  Muskeln  bewegt  werden  kann, 
scheint  es  doch  nicht  zum  eigentlichen  Kauen  benutzt 
werden  zu  können.  Zur  Zeit  des  Schalenwechsels  (Juli, 
August)  wechselt  auch  das  Gerüst.  Während  von  der 
äusseren  Schleimhaut  des  Magens  über  dem  alten  Gerüst 
das  neue  ausgeschieden  wird,  wird  jenes  theilweise  auf- 
gelöst und  fällt  zusammen. 

Spinnen.  Der  Darmkanal  der  Taranteln  und 
Scorpione  ist  eine  einfache,  ungefähr  gleich  weite 
Röhre  und  unterscheidet  sich  dadurch   von  dem  Darmka- 


198  m«  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

nal  der  übrigen  Arachniden,  bei  denen  er  bald  (Tardi- 
graden)  weit  und  unregelmässig  eingeschnürt  ist,  bald 
regelmässige ,  magenartige  Erweiterungen  und  kurze  und 
lange  Blindsäcke  zeigt  und  gewöhnlich  in  einen  kurzen 
verengerten  Mastdarm  übergeht.  Durch  ungewöhnlich 
lange  Blindsäcke  sind  die  Pycnogoniden  und  Galeodes 
ausgezeichnet,  wo  sie  sich  bis  in  die  Kieferhöhlen,  Taster 
und  Beine  erstrecken.  Der  im  Cephalothorax  der  Ara- 
neen  befindliche  Magen  ist  ringförmig,  und  durch  seine 
OelTnung  tritt  vom  Rücken  ein  mit  dem ,  diesen  Spinnen 
eigenthümlichen  Saugapparate  sich  verbindender  Muskel. 
Insekten.  Am  Verdauungskanal  der  Insekten,  des- 
sen Wände  im  Allgemeinen  aus  drei  Schichten,  einer 
äusseren  Peritoneal-,  einer  mittleren  Muskel-  und  einer 
inneren,  homogenen  Epithelialschicht  bestehen,  lassen 
sich  meist  verschiedene  Abtheilungen  unterscheiden ,  die 
verschiedenen  Functionen '  vorstehen  und  nach  der  Art 
der  Nahrungsmittel  sich  mehr  oder  minder  entfaltet  haben^ 
Gewöhnlich  ist  der  Darmkanal  der  pflanzenfressenden  In- 
sekten zusammengesetzter  als  der  von  animalischen,  einer 
geringeren  Assimilation  bedürftigen  Stoffen  lebenden. 
Der  längere  oder  kürzere  Schlund,  der  mit  der  Ge- 
frässigkeit  in  gleichem  Verhältnisse  zu  stehen  pflegt,  führt 
in  der  Regel  in  einen  Kropf  (inghivies) ,  hinter  welchem 
sich  häufig,  namentlich  bei  den  Coleoptern  und  Neuro- 
ptern  ein  an  der  Innenfläche  mit  borsten-  und  leistenarti- 
gen Erhabenheiten  besetzter  Kaumagen  (proventriculus) 
befindet.  Bei  den  saugenden  Insekten  sehen  wir  statt  der 
genannten  Erweiterungen  mit  dem  Oesophagus  einen  bla- 
senförmigen,  gestielten,  dünnwandigen  Saugmagen  zu- 
sammenhängen. Die  folgende  Abtheilung,  der  eigentliche 
Magen,  Chylusmagen  (vejitriculns) ,   ist  die  wichtig- 


1.  Kap.    Der  Verdauungsapparat.  199 

ste ,  indem  hier  vorzugsweise  die  Verdauung  vor  sich 
geht.  Dieser  Chylus  bereitende  Abschnitt  entspricht  also 
nicht  nur  dem  Magen,  sondern  zugleich  auch  dem  Dünn- 
darm der  höheren  Wirbelthiere ,  und  diejenige  Abthei- 
lung des  Darmkanals  der  Insekten,  welche  Dünndarm  ge- 
nannt wird,  hat  mit  der  Verdauung  wenig  oder  nichts 
zu  thun.  Sie  beginnt  am  Pylorus  des  ventriculus ,  wo  die 
sogenannten  Malphighischen  Gefässe  münden.  In  dem 
weiteren  Verlaufe  unterscheidet  man  einen  Dickdarm 
und  den  gewöhnlich  kurzen  Mastdarm. 

Am  wenigsten  entwickelt  ist  dieser  Verdauungska- 
nal bei  den  Imagines  derjenigen  Insekten,  welche  we- 
nige oder  keine  Nahrung  zu  sich  nehmen,  z.  B.  den 
Ephemeriden. 

Bei  den  Larven  der  Insekten  mit  unvollkommener 
Verwandlung  und  der  Coleoptern  weicht  der  Darmkanal 
weniger  von  dem  des  vollkommenen  Insektes  ab  als  bei 
den  Larven  der  übrigen  Insekten  mit  vollkommener  Ver- 
wandlung. Bei  letzteren  ist  an  dem  geraden  Darmkanale 
namentlich  der  Chylusmagen  ausgedehnt. 

4.     Der  Verdauungsapparat  der  Mollusken. 

Moosthiere.  Gerade  durch  die  Beschaffenheit  ihres 
Darmkanals  schliessen  sich  die  Bryozoen  näher  an  die 
Tunicaten  an ,  während  sie  sich  darin  von  den  Polypen 
sehr  weit  entfernen.  Man  unterscheidet  an  ihrem  tractiis 
alimentarius  einen  muskulösen  Schlundkopf,  Speise- 
röhre, Kropf  oder  Vormagen,  Magen,  Dünn- 
und  Dickdarm.  Der  Darmkanal  hängt  in  die  Leibes- 
höhle hinein  und  macht  in  der  Magengegend  eine  Biegung 
nach  oben  unter  spitzem  Winkel ,    so  dass ,   w  ie  bei  dea 


200  III-  Abschn.    Die  Organe  der  Ernälirung. 

Ascidien,  die  Afteröifnung  sich  in  der  Nähe  der  vorderen 
OeiFnung  befindet. 

Acephalen.  Die  Mundöifnung  der  Acephalen  liegt 
gewöhnlich  sehr  verborgen ,  und  die  fein  zertheilten 
Nahrungsstoffe  werden  ihr  durch  Flimmerbewegung  zu- 
geführt. Die  Mundhöhle  ist  nie  mit  Kauwerkzeugen  ver- 
sehen ,  und  der  mit  oder  ohne  eine  wenig  ausgezeichnete 
Magenerweiterung  verlaufende  Darm  mündet  in  der  Re- 
gel in  die  Leibes-  oder  Mantelhöhle,  von  wo  die  Excre- 
mente  wiederum  durch  Flimmerung  nach  aussen  geschafft 
werden. 

Der  in  einen  Knäuel  gewundene  Verdauungskanal  der 
S  a  1  p  e  n  bildet  den  durch  seine  Färbung  hervorstechen- 
den sogenannten  nucleus.  Ein  Paar  Falten  in  der  Bauch- 
wand der  Kiemenhöhle  bilden  eine  Rinne  bis  zu  der 
von  Lippen  umgebenen  Mundöffnung,  welche  unmittelbar 
in  den  Darrakanal  führt.  Dieser  ist  ohne  Magen  und  öff- 
net sich  nicht  weit  vom  Munde  wieder  in  die  Kiemen- 
höhle. Auch  bei  den  meisten  Ascidien  findet  sich  in 
der  grossen  Respirationshöhle,  in  deren  Grunde  die  Mund- 
öffnung liegt,  eine  ähnliche  Rinne.  Auf  einen  kurzen, 
weiten  Schlund  folgt  ein ,  starke  Längsfalten  zeigender 
Magen.  Der  Darm  ragt  hinter  dem  Magen  etwas  in  die 
Leibeshöhle  hinab,  biegt  dann  wieder  nach  oben,  und  die, 
wie  die  Athemöffnung,  mit  Tentakeln  umgebene  Afteröff- 
nung liegt  in  der  Nähe  von  jener. 

Die  nach  unten  gekehrte  Mundöffnung  der  Brachio- 
poden  befindet  sich  zwischen  den  Armen  und  besitzt 
eine  dickere  Ober-  oder  Vorderlippe  und  eine  dünnere, 
aber  breitere  Unterlippe.  Der  Schlund  ist  kurz.  Nur  bei 
Terebvatula  ist  hinter  einem  längeren  Oesophagus  ein 
Magen  j    den  man  sonst  an  dem  gewöhnlich    kürzeren ,  in 


1.  Kap.     Der  Verdauungsapparat.  201 

die  Mantelhöhlc  mündenden  und  von  einem  sehr  zarten 
venösen  Sinus  umgebenen  Darmlianale  nicht  unterschei- 
den kann.     Mitunter  fehlt  die  Aftermündung. 

Der  sehr  entwickelte  Verdauungskanal  der  Lamelli- 
hranchiaten  bildet  mit  den  übrigen  Eingevveiden  des 
Abdomens  ein  schwer  zu  trennendes  Convolut.  Die 
Mundöffnung  liegt  tief  in  der  Mantelhöhle,  umgeben  von 
zwei  Paar  lappenartigen  Tentakeln.  Eine  Speiseröhre 
ist  entweder  gar  nicht  vorhanden  oder  nur  sehr  kurz, 
der  Magen  ziemlich  gross.  Der  aus  diesem  hervorge- 
hende Darm  macht  gewöhnlich  einige  Windungen  und 
erscheint  als  Mastdarm  an  der  Rückenseite  des  Abdo- 
mens in  der  Schlossgegend ,  wo  er  das  Herz  durchbohrt. 
Nach  einem  kurzen  Verlauf  mündet  dieser  mit  einem  mit 
zahlreichen  Gefühlspapillen  besetzten  Anus.  Bei  nicht 
wenigen  Blattkieraern  (CarcUum  ^  Venus  ^  Solen  u.  a.) 
entspringt  hinter  dem  Magen  ein  Blinddarm,  welcher  ei- 
nen durchsichtigen,  an  beiden  Enden  zugespitzten  Cylin- 
der  enthält,  den  sogenannten  Kr  y  stalls  ti  el.  Der- 
selbe liegt  bei  den  Najaden,  denen  der  Blindsack  fehlt, 
in  dem  Anfangsstück  des  Darmes,  gewöhnlich  mit  dem 
oberen  Ende  bis  in  den  Magen  ragend.  An  feinen  Quer- 
schnitten sieht  man  eine  äusserst  zarte  concentrischo 
Schichtung,  wie  Jahresringe.  Durchsetzt  ist  der  Stiel 
von  einem ,  oft  bis  zum  Verschwinden  feinen ,  an  den 
Enden  jedoch  weiteren  Kanäle  mit  Darmcontentis ,  Ba- 
cillarien,  Räderthieren  u.  s.  f.,  die  auch  zwischen  den 
Schichten  anzutreffen.  Das  ganze ,  bisher  räthselhafte 
Product  scheint  uns  demnach  nichts  Anderes  zu  sein ,  als 
ein  zur  Umhüllung  des  Gefressenen  dienendes  Darmsecret, 
wodurch  die  Contenten  aufgelöst  werden. 

Cephalophoren.     Die  Mundöffnung  der  Cephalo- 


202  III'  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

phoren  ist  von  wulstigen,  fleischigen  Lippen  umgeben, 
welche  häufig,  namentlich  bei  den  Kammkiemern,  in  ei- 
nen langen,  ein-  und  ausstülpbaren  Rüssel  verwandelt 
sind.  Die  Mundhöhle,  deren  dicke  Wandungen  einen 
sehr  muskulösen  Schlundkopf  bilden,  trägt  inwendig 
sehr  allgemein  harte  Kauwerkzeuge,  die  Kiefern  und 
die  Zunge.  Sind  die  Kiefern  paarig,  so  liegen  sie  als 
zwei  mit  einer  Schneide  versehene  Platten  rechts  und 
links  hinter  dem  Eingang  der  Mundhöhle,  ist  ein  unpaa- 
riger Kiefer  vorhanden  (sehr  entwickelt  bei  den  Hellces 
und  Limaces),  so  liegt  er  als  halbmondförmige  gezähnelte 
Platte  über  dem  Eingange  der  Mundhöhle.  Am  Boden 
der  Mundhöhle  liegt  ein  längerer  oder  kürzerer  Fleisch- 
wulst, die  Zunge,  welche  sich  durch  ihre  höchst  zier- 
liche und  regelmässige  Bewafi'nung ,  bestehend  in  Zähnen, 
Haken  und  Platten,  auszeichnet.  Der  Mittelstreif  (rhachis) 
der  Zunge  ist  in  der  Regel  mit  einer  Reihe  mehrzacki- 
ger Zähne ,  die  Seiten  (pleurae)  mit  einem ,  mehreren 
oder  vielen  Reihen  Haken  besetzt,  und  diese  sind  häufig 
noch  von  mehreren  Plattenreihen  umgeben,  Alles  in  so 
Constanten  Formen ,  dass  man  die  Zunge  in  neuerer  Zeit 
als  eins  der  sichersten  Artmerkmale  erkannt  und  sie  auch 
zu  weiteren  systematischen  Eintheilungen  benutzt  hat. 
Man  braucht  zu  diesem  Zweck  meist  nur  eine  einzige 
Querreihe  zu  kennen.  Als  besonders  lang  verdient  die 
Zunge  von  Patella  genannt  zu  werden.  Die  Zunge  wirkt 
ungefähr  wie  eine  Feile  oder  ein  Reibeisen ,  wobei  zu- 
gleich die  vielen  rückwärts  gerichteten  Spitzen  die  Spei- 
sen einführen. 

An  dem  hinter  dem  Schlundkopf  beginnenden  Darm- 
kanal kann  man  sehr  allgemein  drei  Abtheilungen  unter- 
scheiden,   Speiseröhre,    Magen    und    Darm.     Die 


1.  Kap.    Der  Verdauungsapparat.  203 

längere  oder  kürzere  Speiseröhre  geht  nicht  selten 
vor  dem  Magen  in  einen  Kropf  über  (z.  B.  bei  Lym- 
naens,  Planorbis).  In  dem  verschieden  geformten  Magen, 
der  aus  drei  Abtheilungen  bestehen  kann,  bildet  oft  der 
innere  Epithelialüberzug  knorpelige  Platten  (z.  B.  im 
zweiten  Magen  von  Aphjsia)  oder  hornige  Haken  (z.  B. 
im  dritten  Magen  von  Aplysia).  Der  Darm,  der  mit 
Speiseröhre  und  Magen  gewöhnlich  mehrere  Male  länger 
ist  als  der  Körper,  macht  mehrere  Windungen  und  mün- 
det bei  den  meisten  Cephalophoren  vorn  an  der  rechten 
Seite,  neben  der  Athemöffnung ,  seltner  am  Hinterende. 
Sehr  abweichend  verhalten  sich  die  Apneiisia  Köll., 
indem  bei  ihnen  hinter  der  Magenanschwellung  sich  viele 
Blindsäcke  befinden,  welche  bei  denjenigen  Arten,  die 
äussere  Anhänge  haben ,  in  diese  sich  hineinbegeben. 

Cephalopoden.  Auch  bei  ihnen  liegt  hinter  der 
von  mehreren  kreisförmigen  Lippen  umgebenen  Mund- 
öffnung ein  sehr  muskulöser,  bewaffneter  Schlund- 
kopf; die  Kauwerkzeuge  bestehen  gleichfalls  aus  Kie- 
fern und  Zunge.  Erstere  bewegen  sich  vertical  und 
sind  sehr  passend  ihrer  Form  nach  mit  einem  Papagei- 
schnabel verglichen  worden.  Die  Zunge  zeigt  auf  dem 
hinteren  Theile  der  Oberfläche  den  nämlichen  Zahn- 
und  Hakenbesatz  wie  bei  den  Cephalophoren,  vorn  ist 
sie  mit  Geschmackspapillen  besetzt.  Der  enge  Oeso- 
phagus bildet  bei  einigen  Familien,  namentlich  bei  den 
Nautilinen,  einen  Kropf  und  geht  dann  in  den  Magen 
über.  Dieser  ist  einfach  und  erscheint  als  sackförmige 
Ausbuchtung,  indem  Cardia  und  Pylorus  nahe  bei  einan- 
der liegen.  Hinter  dem  Pylorus  findet  sich  ein  häufig 
spiraliger  Blinddarm;   der  kurze    Darm  steigt  aus  der 


204  in.  Absclm.    Die  Organe  d-er  Ernahrung^, 

Bauchhöhle  wieder   in    die  Höhe    und    öffnet  sich   in  deit 
Trichter. 

5.  Der  Verdauungsapparat  der  Wirbelthiere. 
Das    Gebiss. 

Bei  Weitem  nicht  alle  Wirbelthiere  haben  Knochen- 
zähne zum  Ergreifen,  Festhalten  und  Zerkleinern  der 
Nahrung.  Viele  (unter  den  Fischen  z.  B.  Acipenser,  die 
Lophobranchii ,  unter  den  Amphibien  Pipa)  haben  keine 
harten  Mundtheile;  bei  anderen  werden  die  eigentlichen 
Zähne  durch  Hornzähne  und  andere  hornige  Gebilde 
vertreten.  Dergleichen  Hornzähne  finden  sich  in  gerin- 
ger Anzahl  bei  den  Cyclostomen,  und  auch  ein  Säuge- 
thier,  Ornithorhynchus ,  besitzt  nur  sie.  Die  Chelonier 
verhalten  sich  wie  die  Vögel:  ihre  Kiefern  sind  mit 
Hörn  scheiden  überzogen,  welche  nach  Verhältniss 
der  Nahrung  und  Lebensweise  mit  schärferen  oder  stum- 
pferen Kanten  oder  mit  zahnartigen  Fortsätzen  oder 
Kerben  versehen  sein  können.  Bei  den  Bartenwallen, 
deren  Fötus  jedoch  immer  wirkliche  Knochenzähne  ha- 
ben, sind  die  zahlreichen,  im  Oberkiefer  befindlichen, 
parallelen  Hornplatten  unter  dem  Namen  der  Barten 
bekannt. 

Die  aus  festerer  Knochensubstanz  bestehenden ,  mit- 
unter von  einer  besonderen  Schmelzschicht  überzogenen 
Zähne  der  Fische  zeigen  eine  ungemeine  Mannichfal- 
tigkeit  der  Form  und  Grösse,  die  jedoch  mehr  von  zoo- 
logischem Interesse  ist.  Ebenso  verliält  es  sich  mit  der 
Befestigung ,  indem  die  Zähne  bald  nur  an  der  Oberfläche 
der  Schleimhaut  sitzen ,  bald  mit  Knochen  unbeweglich, 
seltner  beweglich  verbunden  sind. 

Die  Zähne  der  Amphibien  zeigen  allgemeiner  als 


1.  Kap.     Der  Yerdnuungsapparal.  205 

die  der  Fiscbe  einen  Schmelziiberzug ,  wiederholen  aber 
jene  fast  in  der  Mannichfaltigkeit  der  Form.  Es  finden 
sich  namentlich  zwei  Befestigungsweisen:  entweder  sind 
die  Zähne  nur  mit  ihrer  äusseren  Wurzelfläche  an  den 
inneren  Alveolarrand  gewachsen  (ih  aihiati)  oder  sie 
sind  eingewachsen  (d.  innoti).  Die  zwei  im  Oberkiefer 
der  ächten  Giftschlangen  befindlichen  langen  und  spitzen 
Gift  zahne  sind  von  einem  Kanäle  durchbohrt,  der  sich 
von  der  Wurzel  bis  etwas  vor  die  Spitze  erstreckt.  Der 
Kanal  ist  ursprünglich  als  Furche  da ,  deren  Ränder  sich 
später  schliessen.  Die  Suspecti  haben  nur  Furchenzähne. 
In  die  Kategorie  der  Zahnbildungen  gehört  auch  die  ei- 
genthümliche  Bewaff'nung  des  Zwischenkiefers  bei  den 
reifen  Schlangen-  und  Eidechsenembryonen,  welche  mit 
ihrer  Basis  an  den  ünterrand  des  Zwischenkiefers  befestigt 
ist  und,  sich  nach  unten  und  vorn  biegend,  aus  dem 
Munde  hervorragt.  Dieser  Zahn  dient  wahrscheinlich  zum 
Zerbrechen  der  Eischale. 

Die  Zähne  der  Säugethiere  zerfallen  ihrer  Form 
und  Stellung  nach  in  Schneide-,  Eck-  und  Back- 
zähne; wichtiger  sind  die  von  der  Art  der  Zusammen- 
setzung der  verschiedenen  in  sie  eingehenden  Substanzen 
hergenommenen  Benennungen.  So  heissen  die  Zähne 
einfach  (d  siniplices),  wenn  die  Zahnhöhle  einfach  von 
dem  Zahn-  oder  Elfenbein  umschlossen,  und  die  Krone 
auch  nur  von  einer  ununterbrochenen  Schmelzschicht  be- 
deckt ist.  Schmelz  faltig  werden  die  Zähne  (d.  com- 
pllcati)^  wenn  der  Schmelz  mehr  oder  weniger  in  die 
Zahnsubstanz  eindringende  Falten  bildet,  und  zusam- 
mengesetzt (d.  compositi) ,  wenn  mehrere  aus  Zahn- 
substanz und  Schmelzüberzug  bestehende  und  einfachen 
Zähnen    vergleichbare  Stücke    durch   eine  weichere  Kitt- 


206  ^^^'  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Substanz,  das  Cement,  mit  einander  verbunden  sind. 
Manche  Zähne  wachsen,  indem  sie  von  oben  abgerieben 
und  abgenutzt  werden,  zeitlebens  von  unten  nach;  dahin 
gehören  die  Hauer  der  Schweine,  Stosszähne  der  Ele- 
phanten,  die  Schneidezähne  der  Nager. 

Die  Zahl  der  Knochen,  welche  Zähne  tragen,  ist  bei  den  Säu- 
gethieren  am  meisten  beschränkt,  am  ausgedehntesten  bei  den  Fi- 
schen. Zur  bequemeren  Uebersicht  mag  folgende  allgemeine  Zuaam- 
menstellung  dienen: 

Zvvischenkief  er.  Säugelhiere.  Krokodile.  Saurier.  Fische. 
(Esox,     Salmo.     Labrus  u.  a.) 

Oberkiefer.  Säugethiere.  J.mphibien.  Fische  (viele  Salmones^ 
Siidis  u.  a.). 

Unterkiefer.  Säugethiere.  Amphibien  (mit  Ausnahme  der  mei- 
sten ungeschwänzten  Batrachier).  Fische  (viele  Salmones, 
Silurini  und  Fletironectidae.    Esox  u.  a.). 

Gaumenknochen.  Ophidier.  Saurier.  Batrachier.  Fische  (meh- 
rere Salmones,  Erythrimis ,  Sudis,  Esox,  Bogrus  u.  a.)- 

Pflugscharbein.  Batrachier.  Fische  {Salmo,  Heier ohranchus, 
Rhomhis  u.  a.). 

Keilbein körper.  Salamandra  gluiinosa.  Fische  ("Äfdis,  No- 
iopterns  ,  Osteoglossum). 

Zungenbein.    Fische  (Esox,  Salmo  u.  a.). 

Kiemenbogen.     Fische  (^Eäoo/)- 

Obere  und  untere  Schlundknochen.     Viele  Fische. 


Hierüber  zu  vergleichen: 
Giebel,  Odontographie.    Leipzig,  1854. 


Der  Darmkanal. 
Den    einfachsten    Darmkanal  hat    Branchiostoma    lu- 
brictim;  der  vordere  etwas  erweiterte  Theil,  in  den  sich 


1.  Kap.    Der  Verdauungsapparat.  207 

die  Kiemenhöhle  öffnet,  und  von  dem  ein  nach  vorn  sich 
wendender  Blindsack  abgeht,  kann  als  Magen  betrachtet 
werden ,  und  dieser  geht  in  einen  schwach  gekrümmten 
kurzen  Darm  über.  Branchlostoma  ist  das  einzige  Wir- 
belthier,  dessen  Darmkanal  in  seinem  ganzen  Verlauf  mit 
Flimmercpithelium  versehen.  Bei  den  übrigen  Fischen 
findet  sich  fast  immer  ein  Magen,  zu  welchem  sich  die 
Speiseröhre  allmählig  erweitert.  Mit  der  Speiseröhre 
steht  häufig  (Physostomi)  die  Schwimmblase  durch  einen 
Luftgang  in  Verbindung.  Ein  anderer,  von  der  Speise- 
röhre ausgehender  Sack  dient  mehreren  der  Gyninodontes 
zum  Aufblähen  des  Körpers.  Am  Magen  lassen  sich  meist 
zwei  Abtheilungen  unterscheiden ,  eine  vordere  j^f^'"'^  f^(^^' 
cliaca  und  eine,  häufig  dünndarmähnliche  pars  pylorica^ 
welche  mit  jener  einen  oft  spitzen  Winkel  bildet,  und 
hinter  deren  Uebergangsstelle  in  die  dem  Dünndarm  und 
Dickdarm  entsprechende  Abtheilung  (Mitteldarm)  die 
Mündung  der  appenclices  pyloricae  sich  befindet.  Der 
Mitteldarm  geht  in  einen  kurzen,  in  der  Regel  geraden 
Mastdarm  über. 

Von  den  Veränderungen,  welche  die  Häute  des  Darm- 
kanals erleiden,  sind  die  der  Schleimhaut  am  beträcht- 
lichsten und  wichtigsten.  Sie  beziehen  sich  namentlich 
auf  die  Flächenvergrösserung,  theils  durch  Längsfalten, 
theils  durch  Querfalten  und  Zotten,  theils  auch  durch  die 
Bildung  der  sogenannten  Spiralklappe,  welche  sich 
im  Mitteldarme  der  Cyclostomen ,  Plagiostomen ,  Störe 
und  einiger  anderen  Fische  findet.  Die  gewöhnlichste 
Form  derselben  ist  die  einer  Wendeltreppe,  seltener  ist 
sie  in  gerader  Linie  befestigt  und  eingerollt.  Die  Af- 
teröffnung der  Fische  liegt  vor  der  Harn-  und 
Geschlechtsöffnung. 


208  m«  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Amphibien.  Trotz  der  so  vielfachen  sonstigen 
Körperverschiedenheiten  zeigt  der  Darmkanal  der  Amphi- 
bien im  Allgemeinen  eine  übereinstimmende  Anordnung, 
welche  sich  an  die  Fische  anschliesst.  Die  gewöhnlich 
weite  Speiseröhre,  die,  wie  der  Magen,  aber  in  ge- 
ringerer Menge,  Längsfalten  der  Schleimhaut  besitzt, 
trägt  bei  den  Seeschildkröten  lange  zahnartige  Epithelial- 
papillen. Bei  den  Ophidiern  findet  ein  unmerklicher 
Uebergang  in  den  Magen  statt,  und  auch  bei  den  übri- 
gen Amphibien  übertrifft  dieser  in  der  Regel  nur  wenig 
die  Speiseröhre  an  Ausdehnung.  Häufig  ist  der  Pförtner- 
theil  durch  eine  Klappe  oder  Schleimhautfalte  vom  Darme 
geschieden.  An  diesem  nimmt  man  zwei  Abtheilungen 
wahr,  den  Mitteldarm  und  After  da  rm.  Die  Flä- 
chenvergrösserung  des  Mitteldarmes  wird  durch  Falten 
und  Zotten  hervorgebracht  durch  deren  stärkere  Ent- 
wicklung er  sich  vor  dem  Afterdarme  auszeichnet ,  von 
dem  er  auch  oft  durch  einen  Wulst  oder  eine  Klappe  ge- 
schieden ist.  Nicht  selten  findet  sich  am  Anfange  des 
Afterdarmes   ein  kurzer  Blindsack. 

Vögel.  Der  Darmkanal  der  Vögel  zeigt  mannich- 
fache  Verschiedenheiten.  In  vielen  Fällen  findet  sich  eine 
sackförmige ,  selten  (Tauben)  doppelte  Erweiterung  der 
Speiseröhre,  der  Kropf,  in  welchem  die  Speisen  ehe 
sie  in  den  Magen  kommen,  erweicht  werden.  Er  fehlt 
z.  B.  den  meisten  Passerinen  und  Schwimmvögeln.  Der 
Magen  ist  bei  allen  (ausser  bei  Enphone,  aus  der  Familie 
der  Tanagridae)  doppelt,  ein  V o r -  oder  Drüsenmagen 
und  ein  Muskelmagen.  Das  Grössenverhältniss  dieser 
beiden  Abtheilungen  ist  kein  bestimmtes;  bei  Procellaria 
übertrifft  der  Drüsenmagen  den  Muskelmagen  am  meisten. 
Die  Lage  und  Anordnung  der  Drüsen  ist  gleichfalls  sehr 


1.  Kap.    Der  Verdauungsapparat.  209 

wechselnd.  Der  Muskelmagen,  dessen  Cardia  und  Pylo- 
rus  immer  sehr  nahe  bei  einander  liegen,  ist  besonders 
bei  den  Körnerfressern  durch  die  Stärke  seiner  beiden 
scheibenförmigen  Muskelvvände  ausgezeichnet,  bei  sehr 
geringer  Weite.  Bei  den  fleischfressenden  Vögeln  ist  er 
dünnhäutig.  Eine  Ausbuchtung  vor  der  portio  pylorica^ 
die  sich  in  einigen  Fällen,  am  deutlichsten  bei  Jre/ea  fin- 
det, kann  als  dritter  Magen  angesehen  werden.  Der 
Darm  zerfällt  immer  in  Dünndarm  und  Dickdarm. 
Der  Dünndarm  bildet  mit  einem  aufsteigenden  und  einem 
absteigenden  Aste  eine  Schlinge,  in  welcher  das  Pancreas 
liegt;  bei  Proceliaria  glacialis  sind  ausnahmsweise  acht 
solcher  Schlingen  vorhanden.  Die  Anfangsstelle  des  viel 
kürzeren  und  nur  wenig  weiteren  Dickdarmes  wird  ge- 
wöhnlich durch  die  Insertion  zweier  Blinddärme,  seltner 
eines  bezeichnet.  Die  Blinddärme  fehlen  den  meisten  Pi 
cariae  u.  a.  Bei  vielen  Vögeln  bleibt  an  der  früheren 
Einmündungssteile  des  Dotterganges  in  den  Dünndarm  ein 
kleines  Divertikel.  Der  Dickdarm  ist  gewöhnlich  kurz 
und  mündet  in  die  Kloake. 

Säugethiere.  Die  grossen  Variationen,  welche 
der  Verdauungskanal  der  Säugethiere  darbietet,  richten 
sich  meist  nach  der  verschiedenen  Nahrung  und  sind  da- 
her weniger  wesentlich  für  die  Speiseröhre,  als  nament- 
lich für  den  Magen  und  für  den  Darm.  Diese  Theile 
haben  im  Allgemeinen  eine  viel  beträchtlichere  Zusam- 
mensetzung, der  Darm  eine  auffallend  grössere  Länge  bei 
den  Frugivoren,  als  bei  den  Carnivoren.  So  haben  die 
Fleischfresser  (mit  Ausnahme  der  Delphine)  viele  Nager, 
Edentaten,  Beutelthiere  u.  a.  einen  einfachen  Magen.  An 
der  Cardia  des  einfachen  Magens  der  Pferde  findet  sich 
eine,   den  Zurücktritt  der   Speisen  verhindernde  Klappe. 

14 


210  IH«  Absclm.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Ein  Beispiel  eines  durch  eine  Einschnürung  in  eine  drü- 
sige pars  cardiaca  und  eine  mehr  muskulöse  pars  pylorica 
getheilten  Magens  zeigt  ßüyoxus ,  und  weitere  Abweichun- 
gen werden  durch  das  Auftreten  von  blinddarmartigen 
oder  taschenartigen  Ausstülpungen  zwischen  Cardial-  und 
Pylorusabtheilung  hervorgebracht  (z.  B.  bei  Manatiis,  Di- 
cotyles  torquatus  u.  a.).  Noch  mehr  Magenabtheilungen 
haben  die  ächten  Cetaceen,  Abtheilungen,  die  sich  je- 
doch ziemlich  gleich  verhalten  und  sich  dadurch  wesent- 
lich von  den  mehreren  Magen  der  Wiederkäuer  unter- 
scheiden. Die  meisten  Wiederkäuer  haben  vier  Magen, 
CameluSf  Auchenia   und  Moschus  drei. 

Die  Nahrung  gelangt  zuerst  in  den  weiten  Pansen 
(rumen)  und  aus  ihm  in  den,  seiner  Funktion  nach  nicht 
wesentlich  vom  ersten  Magen  verschiedenen  Netzma- 
gen (recticulum ,  olluld).  Indem  nun  die  Speiseröhre  als 
Schlundrinne  (die  sich  übrigens  auch  bei  mehreren 
Nagern,  Lemmus,  Hypudaeus  arvalis  und  amphibius,  fin- 
det) sich  über  die  Insertionsstelle  des  Pansen  hinaus  er- 
streckt, legt  sich  der  Rand  dieser  Rinne  beim  Hinab- 
schlucken des  w  iedergekäuten  Bissens  dergestalt  vor  den 
Eingang  in  den  Pansen,  dass  der  Bissen  an  ihm  und  sei- 
nem Anhange,  dem  Netzmagen  vorübergleitend  in  den 
dritten  Magen,  das  Buch,  Psalter  (omasus)  geführt 
wird.  Der  vierte,  mit  dem  Buche  in  Verbindung  ste- 
hende ist  der  Lab-  oder  Käsemagen  (abomasiis).  Im 
ersten  Magen  bildet  die  Schleimhaut  kleine  Zotten  und 
Papillen,  im  zweiten  netzförmige,  wiederum  Papillen 
tragende  Hervorragungen ,  im  dritten  Erhebungen  in  Blät- 
terform; unregelmässige  Falten  macht  die  Schleimhaut 
des  abomasus.  Bei  dem  ganz  jungen  Kalbe  ist  nur  der 
vierte  Magen  ausgebildet;  die  drei  übrigen  entwickeln  sich 


1.  Kap.    Der  Verdauungsapparat.  211 

in  dem  Masse,  als  das  Thier  neben  der  Milch  noch  vege- 
tabilische Nahrung  geniesst.  Auch  die  oben  erwähnten 
Nager  mit  Schlundrinne,  das  Känguruh  und  die  Faulthiere, 
käuen  wieder. 

Der  übrige  Darmkanal  zerfällt  in  Dünndarm  und 
Dickdarm.  Der  Anfang  des  letzteren  wird  häufig 
durch  einen ,  bei  vielen  Nagern  bedeutend  langen  Blind- 
darm bezeichnet.  After  und  Geschlechtsmündung  sind  ge- 
trennt.    Nur  die  Monotremen  besitzen  eine  wahre  Kloake 


14* 


Zweites  Kapitel. 

Die  abjsondernden  IVebenorg^ane  des 
iSpeisekanals. 


Da  immer  die  einzelnen  durch  die  tunica  proprio  zu 
den  folliculi^  aclni  und  iubuli  der  Drüsen  verbundenen 
Epithelialzellen  als  die  eigentlichen  selbständigen  Werk- 
stätten der  Secretion  anzusehen  sind,  wie  die  Pflanzen- 
zelle für  sich  aufnimmt,  assimilirt  und  secernirt,  kann  es 
nicht  Wunder  nehmen,  wenn  wir  bei  vielen  wirbellosen 
Thieren  die  secernirenden  Zellen  noch  nicht  in  Drüsen- 
systeme mit  besonderen  Ausführungskanälen  vereinigt, 
sondern,  unregelmässig  zerstreut  oder  zu  bestimmten 
Schichten  geordnet,  unmittelbar  an  und  in  den  Wänden 
derjenigen  Organe  finden,  in  welche  das  Secret,  sei  es 
durch  DiJÖfusion ,  sei  es  durch  Dehiscenz  gelangen  soll. 
Die  vergleichende  Anatomie  kann  diesen  Satz  auch  um- 
kehren :  weil  bei  vielen  wirbellosen  Thieren  sich  statt 
der  eigentlichen  Drüsen  nur  einzelne  absondernde  Zellen 
finden,  schliessen  wir,  dass  auch  in  den  Drüsen  die  Epi- 
thelialzellen das  Wesentliche  sind.  Diese  Bemerkungen 
gelten  namentlich  von  den  Leberorganen. 

I.    Die   l§»peicheldrüseii. 

1.     Die  Speicheldrüsen  der  Würmer. 
Schon  bei  Strudelwürmern  (Vortex^  Dinophiliis)  finden 


2.  Kap.    Die  absondernden  Nebenoigane  des  Speisekanals.     21^ 

sich  deutliche  Speicheldrüsen  als  Zellen  mit  langen 
Ausführungsgängen,  die  in  den  Schlundkopf  oder  den 
Schlund  einmünden.  Ob  die  blindschlauchartigen  Organe, 
die  neben  dem  Schlünde  mancher  Eingeweidewürmer, 
namentlich  der  Nematoden  verlaufen  und  in  den  Mund 
einmünden,  Speichelorganen  analog  sind,  mag  dahin  ge- 
stellt bleiben. 

Unter  den  Ringel würmern  sind  die  Speichelor- 
gane ziemlich  verbreitet;  diess  sind  theils  weniger  di- 
stincte  zellige  Drüsenmassen,  welche  den  Schlund  und  den 
Anfang  des  Darmkanals  umgeben  und  eine  weissliche  oder 
gelbliche  Flüssigkeit  absondern  (Lumbricus,  Naiden,  Am- 
phicora  u.  a.),  theils  sind  es  zwei  bestimmt  hervortre- 
tende Drüsen  mit  besonderen  Ausführungsgängen  in  den 
Anfang  des  Darmkanals  (z.  B.  bei  Nereis^  Arenicola). 

2.     Die  Speicheldrüsen  der  Arthropoden. 

Sehr  regelmässig  trifft  man  am  Anfange  des  Darms 
der  Räderthiere  zwei  oder  mehrere,  aus  einer  dicken 
Zellenschicht  bestehende  drüsige  Organe  von  verschiede- 
ner Gestalt  (kugelförmig,  nierenförmig,  länglich  u.  s.  f.), 
■welche  wahrscheinlich  zu  einer  Speichelabsonderung  die- 
nen, und  die  man  auch  mit  dem  pancreas  der  Wirbel- 
thiere  verglichen  hat. 

Den  Crustaeeen  fehlen  die  Speichelorgane  fast 
allgemein;  nur  bei  den  Cirripedien  findet  sich  ein 
Paar  in  den  Magen  mündender  Drüsen,  und  mit  noch 
mehr  Gewissheit  sind  zwei  oder  mehrere  sich  in  die 
Mundhöhle  öffnende  Drüsen  der  Myriopoden  für  Spei- 
chelorgane zu  halten. 

Sehr  verbreitet  sind  die  Speicheldrüsen  aber  bei  den 
Spinnen  und   Insekten.     Bei   den  Spinnen   (selbst  bei 


214  HI«  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

den  Tardigraden)  ist  gewöhnlich  ein  Paar  vorhanden, 
dessen  Ausführungsgänge  in  die  Mundhöhle  oder  auch  (bei 
den  Skorpionen)  in  den  Schlund  gehen.  Die  Insekten 
haben  häufig  zwei  oder  auch  drei  Paare,  die  längere 
oder  kürzere  Gefässe  darstellen  oder  auch  durch  ihre 
Trauben-  und  Büschelform  an  die  conglomerirten  Drüsen 
der  höheren  Thiere  erinnern.  An  dem  eigentlich  aus- 
scheidenden Theile  erkennt  man  gewöhnlich  eine  tunica 
intima,  eine  Zellenschicht  und  eine  diese  umfassende 
tunica  propria,  während  diese  Häute  in  den  Ausführungs- 
gängen eine  festere,  hornartige  Beschaffenheit  angenom- 
men haben ,  und  die  tunica  intima  oft  Spiralbildungen  zeigt 
nach  Art  der  Tracheen.  Seltner,  wie  diess  am  oberen, 
unter  der  Stirn  liegenden  Paare  von  Formica  rufa  der 
Fall  ist,  besteht  die  Drüse  aus  einzelnen  grossen  Zellen, 
deren  jede  ihr  Secret  durch  einen  feinen ,  von  der  die 
Zelle  einschliessenden  tunica  proj?ria  gebildeten  Kanal 
nach  einem  kurzen  gemeinschaftlichen  Ausführungsgang 
leiten  lässt.  Die  unter  der  Zunge  mündenden  unteren 
Speicheldrüsen  desselben  Insekts  bestehen  aus  büschel- 
förmig vereinigten  Follikeln ,  und  noch  viele  andere  Hy- 
menoptern,  unter  ihnen  z.  B.  Apis,  zeigen  ähnlich  zu- 
sammengesetzte trauben-  oder  büschelförmige  Drüsen. 
Eine  andere,  namentlich  unter  den  Wanzen  sehr  verbrei- 
tete Form  ist  die  Lappenform.  Die  hintere  Drüse  besteht 
aus  einem ,  häufig  noch  gefingerten  Hauptlappen ,  mit  wel- 
chem oft  ein  kleinerer  verbunden  ist.  Diese  Drüse  hat 
zwei  Ausführungsgänge  von  gew  öhnlich  ungleicher  Länge. 
Sehr  häufig  stellen  diese  Drüsen  aber  nur  fadenförmige 
Schläuche  dar,  die  namentlich  bei  den  Larven  zu  den 
Seiten  des  Darmkanals  sich  weit  in  die  Leibeshöhle  hinein 
erstrecken.     Sie   finden    sich   in   einigen   Ordnungen,  bei 


2.  Kap.    Die  absondernden  Nebenorgane  des  Speisekanals.      215 

den  Aptern ,  Diptern ,  Lepidoptern  und  vielen  Käfern  fast 
ausschliesslich. 

3.     Die  Speicheldrüsen  der   Mollusken. 

Unter  den  Mollusken  haben  die  Cephalophoren  und 
Cephalopoden  allgemein  sehr  entwickelte  Speichelorgane. 
Bei  den  Cephalophoren  ist  gewöhnlich  nur  ein  Paar 
vorhanden,  zwei  auf  dem  Magen  und  dem  Oesophagus 
aufliegende  lappige  Drüsen  von  gelblicher  oder  weissli- 
cher  Farbe,  deren  Ausführungsgänge  neben  dem  Schlünde 
verlaufen  und,  ohne  sich  zu  vereinigen ,  neben  der  Zunge 
in  die  Mundhöhle  einmünden. 

Bei  den  Cephalopoden  findet  sich  in  der  Regel 
ein  oberes  und  ein  unteres  Paar  Speicheldrüsen.  Das 
obere  liegt  unmittelbar  am  hinteren  Theile  des  Schlund- 
kopfes und  hat  daher  sehr  kurze  Ausführungsgänge.  Das 
hintere  liegt  hinter  dem  Kopfknorpel ,  zeigt  eine  bald 
gelappte  (holigo) ,  bald  glatte  Oberfläche  (Octopits  u.  a.), 
und  der  aus  der  Vereinigung  der  beiden  Ausführungs- 
gänge entstandene  Kanal  geht  mit  dem  Schlünde  durch 
die  OelFnung  des  Kopfknorpels,  um  den  Grund  des 
Schlundkopfes  zu  durchbohren. 

4.     Die  Speicheldrüsen  der   Wirbelt hiere. 

Den  Fischen,  den  nackten  und  vielen  beschuppten 
Amphibien  (Krokodilen,  vielen  Cheloniern  und  Sauriern) 
fehlen  die  Speicheldrüsen.  Sehr  allgemein  kommen  sie 
den  Ophidiern  zu,  wo  sich  eine,  bei  den  ächten  Gift- 
schlangen rudimentäre  oder  verschwindende  Oberkie- 
ferdrüse an  der  Aussenseite  des  Unterkiefers  findet. 
Bei  ihnen,  vielen  Sauriern  und  den  Landschildkröten 
wird  auch  eine  glandula  subungualis  durch  viele  einfache 


316  I^I'  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Drüsenschläuche  mit  besonderen  Ausführungsgängen  ge- 
bildet. 

Bei  den  Vögeln  kommen  in  der  Regel  vier  Paar 
Speicheldrüsen  vor.  Die  eine  (Zungendrüse  Meck. , 
folliculi  linguales  Aut.)  wird  durch  eine  Reihe  ein- 
facher Blindsäcke  gebildet,  welche  sich  einzeln  längs  der 
Seitenflächen  der  Zunge  öff'nen.  Ein  zweites  Paar  (vor- 
dere Hälfte  der  Unterkieferdrüse  Meck.,  glandulae 
submaxillares  Aut.)  befindet  sich  vorn  zwischen  den 
beiden  Unterkieferästen ,  zwischen  der  äusseren  Haut  und 
der  Mundhaut.  Sie  ist  eine  zusammengesetzte  Drüse  mit 
mehreren  Ausführungsgängen,  die  sich  vor  der  Zunge 
öffnen.  Hinter  ihnen  sind  auch  gewöhnlich  die  einfachen 
Mündungen  des  dritten  Paares  (hintere  Hälfte  der  Unter- 
kieferdrüse Meck.,  glandulae  sublinguales  Aut.), 
das  gewöhnlich  kleiner  ist  und  weiter  nach  hinten,  an 
den  Zungenbeinhörnern  liegt.  Sehr  allgemein  ist  ferner 
die  Ohrspeicheldrüse  da  (Mundwinkeldrüse  Meck.,  pa- 
r oti de s  Au.t)j  am  Mundwinkel  oder  hinter  dem  Joch- 
bogen, gewöhnlich  mit  einem  Ausführungsgange.  Ausser- 
dem sind  wohl  häufig  vorkommende  einfache  Drüsenfol- 
likel  an  der  Zungenwurzel  hierher  zu  rechnen,  während 
zahlreiche  Drüsenhöhlen  neben  der  Mündung  der  Eusta- 
chischen Röhre  hinter  den  Choanen  den  Schleim  abson- 
dernden Tonsillen  der  Säugethiere  entsprechen.  Diese 
sind  besonders  bei  den  Raubvögeln  ausgebildet. 

Bei  den  Säugethieren  finden  sich  gewöhnlich  die 
bei  dem  Menschen  vorkommenden  Speicheldrüsen,  näm- 
lich die  gl,  parotis  und  submaxillaris  jederseits  mit  einem, 
und  die  subungualis  mit  zahlreichen  Ausführungsgängen. 
Nur    den    ächten    Cetaceen    fehlen   sie  ganz.     Auch  die 


2.  Kap.    Die  absondernden  Nebenorgane  des  Speisekauais.     217 

Schleimdrüsen  an  den  Lippen,   Backen  und  Gaumen, 
sowie  die  Tonsillen  sind  sehr  allgemein  verbreitet. 


II.    Die  lieber. 

1.     Die  Leber  der  Strahlthiere. 

Bei  vielen  Polypen  lässt  sich  in  den  Wandungen 
des  Verdauungskanals  eine  eigenthüraliche  Schicht  sich 
durch  ihre  braune,  gelbe  oder  grüne  Färbung  auszeich- 
nender Leberzellen  nachweisen.  Eine  Leberdrüsen- 
schicht findet  sich  auch  an  dem  mittleren,  oft  beson- 
ders ausgebuchteten  Theile  der  Polypenindividuen  der 
Schw  immp  olypen.  Eine  eigne  Leber  hat  Velella 
oberhalb  der  Anheftungsstelle  der  Polypenindividuen. 

Trotz  der  erstaunenswerthen  Verdauungskraft  der 
übrigen  Acalephen  hat  man  bei  ihnen  doch  keinerlei 
Leberorgane  bemerkt;  und  auch  bei  den  meisten  Echi- 
nodermen  sind  bisher  weder  Leberzellenschichten  noch 
gesonderte  Lebern  entdeckt.  Nur  an  den  Darmwandun- 
gen von  Echinus  findet  sich  die  Schicht  in  ähnlicher 
Weise,  wie  bei  den  Polypen,  und  bei  den  Asteroiden 
sind  wohl  ohne  Zweifel  die  von  dem  Magensacke  in  die 
Arme  sich  erstreckenden  Blindsäcke  als  Leber  zu  betrach- 
ten. Die  traubenförmigen ,  eine  gelbliche  Flüssigkeit 
absondernden  Follikel  vereinigen  sich  in  jedem  Arme 
zu  zwei  Kanälen ,  und  diese  Kanäle  münden  entweder 
einzeln,  oder  die  je  zwei  desselben  Armes  zusammen  in 
den  Magensack.  Ganz  ähnliche  Interradialblind- 
därme  finden  sich  ausserdem  bei  den  mit  einem  After 
versehenen  Seesternen,  die  man  auch  als  Gallenorgane 
zu  deuten  versucht  wäre,  wenn  nicht  ihre  Einmündungs- 


218  in.    Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

stelle  hinter  dem  chylopoetischen  Theile  des  Därmkanals 
dagegen  spräche. 

2.     Die  Leber  der  Würmer. 

Bei  den  Würmern  findet  sich  keine,  als  gesondertes 
Organ  bestehende  Leber.  Eine  Schicht  eng  mit  den  Darm- 
Avandungen  verbundener  Zellen  scheint  bei  den  Nema- 
toden sich  wie  die  Leberzellenschicht  der  Radiaten  zu 
verhalten.  Bei  den  Ringel würmern  aber  hat  sich 
das  den  Darmkanal  und  häufig  auch  das  Rückengefäss 
umfassende  Lebergewebe  oft  schon  zu  Follikeln  und  Drü- 
sensäckchen  mit  eigenen  Ausführungsgängen  formirt;  auch 
hier  erkennt  man  es  an  der  gelblichen ,  braunen  oder 
braungrünen  Farbe.  Vielleicht  haben  auch  die  zahlrei- 
chen ,  vom  Darmkanal  der  Aphrodlleae  abgehenden ,  zum 
Theil  verzweigten  Blinddärme  die  Bedeutung  von  leber- 
artigen Absonderungsorganen. 

3.     Die  Leber  der   Arthropoden. 

Bei  den  meisten  Arthropoden,  welche  keine  von  dem 
Darmkanal  gesonderten  Gallenorgane  besitzen,  müssen 
wir  vermuthen,  dass  die  Epithelialzellenschicht  des  chy- 
lopoetischen Theiles  des  Darmkanals  einen  gallenartigen 
Saft  secernirt,  und  diess  um  so  mehr,  wo  sich,  wie  bei 
den  meisten  niederen  Crustaceen,  schon  kleinere 
Drüsenfollikel  oder,  bei  den  C  irrip  e  d  ien  ,  hei  Dap/niia, 
vielen  Insekten,  längere  blindsackartige  Ausstülpungen 
formirt  haben.  Aber  erst  avo  diese  Blindsäcke  sich  mehr 
isoliren,  werden  sie  zu  einer  wirklichen  Drüse,  wie  sie 
sich  unter  den  Crustaceen  weniger  vollständig  bei  den 
Isopoden,  Laemodipoden,  Amphipoden  u.  a., 
sehr  vollständig  aber  bei  den  meisten  De capo  den  ent- 


2.  Kap.    Die  absondernden  Nebenorgane  des  Speisekanals.     219 

wickelt  hat.  Als  Beispiel  mag  Astaciis  fluviatills  dienen. 
Hier  besteht  das  paarige  Organ  jederseits  aus  drei  Lap- 
pen, und  jede  Hälfte  mündet  mit  einem  Ausführungsgang 
hinter  dem  Pförtner  des  Kaumagens  in  den  Darmlianal. 
Die  Lappen  werden  wieder  durch  längliche ,  fingerförmig 
verbundene  Follikel  gebildet;  die  näheren  Bestandtheile 
der  Follikel  sind  eine  timlca  j)ropria,  die  an  ihr  befe- 
stigte secernirende  Zellenschicht  und  eine  den  Follikel 
locker  von  innen  auskleidende  tiinica  intima,  durch  wel- 
che die  Galle  durch  Diffusion  dringt. 

Bei  den  Araneen  und  Scorpioniden  scheint  die 
von  vielen  Naturforschern  „Fettkörper'^  genannte  bräun- 
liche Masse,  welche  durch  mehrere  Ausführungskanäle 
mit  dem  Darm  in  Verbindung  steht,  die  Leber  zu  sein. 
Von  diesem  Fettkörper  ist  das  bei  den  Insektenlarven 
sich  ansammelnde  corpus  adiposum  ganz  verschieden, 
welches,  aus  wirklichen  Fettzellen  gebildet,  zum  Ver- 
brauch während  des  ruhenden  Puppenlebens  verwendet 
wird. 

4.     Die  Leber  der  Mollusken. 

Ausser  bei  den  meisten  Bryozoen  und  Tunica- 
ten  und  mehreren  Pteropoden  (Cllo,  Pneumodermon), 
deren  Magen-  und  Darmwände  mit  einzelnen  Leberfolli- 
keln  oder  Leberzellen  belegt  sind,  und  bei  vielen  Ap neu- 
sten (Aeolis,  Eolidina  u.  a.),  deren  viele,  sich  häufig 
in  die  Rückenanhängsel  erstreckende  Blindsäcke  die  Leber- 
zellen in  sich  aufgenommen ,  findet  sich  bei  den  Mollus- 
ken ganz  allgemein  eine  gesonderte  Leber.  Sie  wird  ge- 
bildet durch  längere  oder  kürzere  Follikel,  Avelche  wie- 
derum aus  einer  tunica  jjroprla  und  der  secernirenden 
(bei  Cyc^as  Cornea  vvimpernden)  Epithelialschicht  bestehen 


220  HI«  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

und  sich  zu  gemeinschaftlichen  wimpernden  Gallengängen 
vereinigen.  Diese  treten  zu  mehreren  Hauptausführungs- 
gängen zusammen,  welche  das  Secret  in  den  Magen  oder 
den  Darm  ergiessen.  Die  aus  zahlreichen  verzweigten 
Blindsäcken  bestehende  Leber  der  Brachiopoden  ist 
ungefähr  drei  Mal  so  gross  als  der  3Iagen  oder  die  dem 
Magen  entsprechende  Darraabtheilung  und  hat  gewöhnlich 
2  Ausführungsgänge.  Bei  den  Lamellibranchiaten 
umgiebt  die  Leber  die  Magenregion.  Nach  oben  und  hin- 
ten erstreckt  sie  sich  bis  an  das  Knie,  welches  der  Mast- 
darm bildet,  nach  unten  und  hinten  ragen  einige  Partieen 
weit  in  das  Abdomen  hinein.  Die  weiten  Gallengänge 
öffnen  sich  in  den  Magen.  Bei  den  Cephalophoren 
umwickelt  die  in  mehrere  Lappen  zerfallende  Leber  die 
Darmwindungen  sehr  eng,  so  dass  diese,  namentlich  bei 
den  Acephalen ,  oft  nur  schwer  von  ihr  zu  trennen  sind. 
Die  Leber  der  Cephalopoden  besteht  meist  aus  meh- 
reren ,  von  einem  festen ,  glatten  Bauchfellüberzuge  um- 
gebenen Abtheilungen,  deren  Ausführungsgänge  sich  zu 
einem  gemeinschaftlichen ,  die  Galle  in  den  Blindsack  lei- 
tenden duct?is  choledochus  verbinden.  Eine  mit  den  Gal- 
lengängen zusammenhängende  Drüsenmasse  bei  den  mei- 
sten Cephalopoden  scheint  dem  pancreas  der  Wirbelthiere 
zu  entsprechen. 

5.     Die  Leber  der  Wirbelthiere. 

Mit  Ausnahme  von  Branchiostoma ,  wo  die  Lebersub- 
stanz ,  wie  bei  vielen  wirbellosen  Thieren ,  mit  den  Darm- 
wandungen vereinigt  ist,  oder  dessen  Leber  vielleicht 
nur  in  dem  vom  Anfange  des  Darmkanals  abgehenden 
Blindsacke  besteht,  fehlt  bei  keinem  Wirbelthier  die 
Leberdrüse,    und  in   den   meisten    Fällen   ist   auch  eine 


2.  Kap.     Die  absondernden  Nebenorgane  des  Speisekanals.     221 

Gallenblase   vorhanden,   beide  in  der  verschiedenar- 
tigsten Form  und  Ausdehnung. 

Die  sich  durch  ihren  grossen  Fettgehalt  auszeich- 
nende Leber  der  Fische  ist  weich  und  liegt  in  dem 
vorderen  Theile  der  Bauchhöhle,  von  wo  sie  sich  nicht 
selten  sehr  weit  nach  hinten  erstreckt.  In  ihrer  Gestalt 
ausserordentlich  wechselnd  besteht  sie  im  Allgemeinen 
entweder  aus  einem  Stück  (z.  B.  Esox ,  Salmo  trutta  und 
fario)  oder  sie  ist  zweilappig  (z.  B.  Cobitis  fossilis^  Perca 
fiuviaülis)  oder  dreilappig  ( Geister osteus  acAileatus^  am 
deutlichsten  bei  den  Cyprinen).  Die  Gallengänge  bilden 
in  der  Regel  nicht  einen  einfachen  ductus  hepaticus,  son- 
dern münden  besonders  in  den  ductus  cysticus  oder  in  die 
Gallenblase.  Der  ductus  choledochus  ergiesst  die  Galle 
gewöhnlich  nicht  weit  hinter  dem  Pförtner  in  den  Darm. 
Eine  besonders  grosse  Gallenblase  besitzt  Orthagoriscus 
mola;  sie  fehlt  bei  Petromyzon,  Ammocoetes ,  Scomber 
leuciscus  und  Labrus  turdus. 

Die  Leber  der  Amphibien  richtet  sich  im  Allge- 
meinen in  ihrer  Form  nach  der  Form  des  Thieres,  daher 
sie  bei  den  Schlangen  langgestreckt,  bei  den  Fröschen 
breiter  ist.  Leber  ihr  Bestehen  aus  einem  oder  ihr  Zer- 
fallen in  mehrere  Lappen  lässt  sich  etwas  Bestimmtes 
nicht  angeben,  und  auch  das  Verhältniss  der  verschiede- 
nen Ausführungsgänge  der  Leber  und  der  nur  selten  feh- 
lenden Gallenblase  ist  wechselnd.  Bemerkenswerth  ist 
die  abweichende  Lage  der  Gallenblase  bei  den  grossmäu- 
ligen  Schlangen ;  hier  befindet  sie  sich  ziemlich  weit  ent- 
fernt von  der  Leber  neben  dem  Anfang  des  Darmes ,  wo, 
hinter  dem  Pylorus,  die  Mündung  des  ductus  choledochus 
oder  die  Mündungen  des  Blasendarmganges  und  des  für 
sich  bestehenden  ductus  hepaticus  sind. 


222  III-  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Die  mit  ihrer  convexen  Seite  nach  der  Bauchwand, 
mit  der  concaven  nach  den  Eingeweiden  gerichtete  Leher 
der  Vögel  zerfällt  sehr  allgemein  in  zwei  Hauptlappen. 
Die  Gallenblase  ist  meist  vorhanden  (fehlt  z.  B.  den  Tau- 
ben und  Papageien).  Nur  selten  (Buceros)  findet  sich 
ein  gemeinschaftlicher  thictiis  choledochus ',  in  der  Regel 
münden  ductus  hepaticus  und  Ausführungsgang  der  Gal- 
lenblase ,  in  welche  die  Galle  durch  einen  oder  zwei 
ductus  hepatico-cystici  gelangt,  gesondert  hinter  der 
Schlinge  in  den  Darm. 

Auch  bei  den  Säuget hieren  bietet  die  äussere 
Form  und  x4usdehnung  der  Leber  wenig  Constantes.  Man 
kann  zwar  in  der  Regel  zwei  Hauptlappen  unterscheiden, 
doch  mehrt  sich  deren  Zahl  bis  auf  sechs  und  acht,  na- 
mentlich bei  den  Nagern  ,  Affen  und  Fleischfressern.  Die 
Gallenblase  fehlt  u.  a.  den  ächten  Cetaceen,  mehreren 
Wiederkäuern  (Hirsch,  Kameel  u.  a.),  dem  Pferde,  den 
Pachydermen  (mit  Ausnahme  des  Schweins).  Gewöhnlich 
findet  sich  ein  ductus  hepaticus,  der  unter  spitzem  Winkel 
einen  ductus  cystlcus  absendet  und  hinter  diesem  als  duc- 
tus choledochus  weiter  geht. 

Ell.  Slie  Milz. 
Die  Funktion  der  Milz  scheint,  wie  die  der  Lymph- 
drüsen und  der  Thymus,  die  zu  sein,  die  Lymphkügel- 
chen  oder  farblosen  Blutkügelchen  zu  bilden.  Hierüber 
hat  die  feinere  Histiologie  zu  sprechen.  Wir  haben 
natürlich  nur  von  den  gröberen  Formverhältnissen  an- 
zugeben, dass  sie  ausschliessliches  Eigenthum  der 
Wirbelthiere  ist.  Sie  fehlt  nur  bei  Branchiostoma 
und  zeigt  übrigens  mannichfache ,  jedoch  weniger  we- 
sentliche Verschiedenheiten  an  Form,  Umfang  und  Lage. 


2.  Kap.    Die  absondernden  Nebenorgane  des  Speisekanals.     223 

IV.    Die    appendices    pyloricae    der  Fisclie 
und  die  Bauchspeiclieldrüse  der  "IVirbeltliiere. 

Die  appendices  pyloricae  sind  blinddarmförmige  Aus- 
stülpungen des  Darmes  kurz  hinter  dem  Pförtner,  welche 
in  verschiedener  Anzahl  sich  bei  vielen  Fischen  finden 
und  theils  einzeln,  theils,  wenn  sie  in  grosser  Menge 
(z.  B.  bei  den  Gadoiden,  Scomberoiden)  vorhanden  sind, 
zu  Büscheln  oder  auch  drüsenartigen  Massen  (Acipencer) 
vereinigt  mit  gemeinschaftlichen  Ausführungsgängen  in 
den  Darm  münden.  Sie  haben  dieselben  Häute  wie  der 
Darm  und  wurden  gewöhnlich  für  das  Analogen  der 
Bauchspeicheldrüse  gehalten,  bis  neuerlich  durch  Stan- 
nius  das  Vorhandensein  des  pancreas,  theils  simultan 
mit  den  appendices  pyloricae^  theils  ohne  die  letzteren 
ausser  Zweifel  gesetzt  ist.  Die  Fische,  bei  denen  diese 
Drüse  bis  jetzt  gefunden,  sind:  Salmo  salar,  Clnpea 
liarengiis^  Gadus  callarias ,  Cottus  scorpiiis ,  Perca  flui\, 
Pleuronectes  platessa^  Pleur.  maximuSy  Belone  longirostris 
und  Cyprinus  brama;  endlich  auch  beim  Stör,  der  zugleich 
auch  appendices  besitzt.  Bei  den  Aalen,  Chimären  und 
Plagiostomen  betrachtet  man  eine,  an  Struktur  dem  Pan- 
kreas der  höheren  Wirbelthiere  gleiche ,  in  den  Klappen- 
darm mündende  Drüse  als  Bauchspeicheldrüse. 

Das  einfache,  seltner  gelappte  Pankreas  der  Am- 
phibien liegt  hinter  dem  Magen  und  mündet  mit  einem 
oder  auch  zwei  Ausführungsgängen  neben  dem  ductiis 
choledochus  j  bisweilen  mit  ihm  vereinigt  in  den  Darm. 

Bei  den  Vögeln  liegt  das  röthlich-weisse ,  meist 
zweilappige  Pankreas  in  der  Duodenalschlinge;  seine  (ge- 
wöhnlich zwei)  Ausführungsgänge  endigen  neben  den 
Gallengängen.  Zwei  Hauptlappen  zählt  man  in  der  Re- 
gel auch  beiden  Säuge  thi  er  en.     Der  oder  die  beiden 


234  ni.  Absclin.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Ausführungsgänge  verhalten  sich  verschieden.  Ist  nur 
einer  vorhanden,  so  verbindet  er  sich  entweder  mit  dem 
ductus  choledochus  oder  mündet  für  sich  in  den  Darm; 
sind  zwei  Ausführungsgänge  da ,  so  führen  entweder  beide 
in  den  Darm ,  oder  einer  in  den  Darm ,  der  andere  in  den 
ductus   choledochus. 


Statt  auf  einzelne  Schriften   und  Monographieen  ist  hinsichtlich 
der  im  2.  Kap.  abgehandelten  Drüsen  hier  wiederholt  auf 

Leydig,   Lehrbuch    der  Histologie   des  Menschen   und  der  Thiere. 

Frankfurt  1857. 
hinzuweisen. 


Drittes  Kapitel. 


1.     Die    Circulations-  und   Athmungsverhält- 
nisse  der  Cölente raten. 

Man  hat  zwar  bei  einzelnen  Polypen ,  namentlich 
mehreren  Arten  von  Alcyonium,  ein  wirkliches  Blutge- 
fässsystem  beschrieben,  acht  Längsgefässe ,  welche  am 
vorderen  Körperende  auf  die  Magenwände  übergehen, 
nachdem  sie  zuvor  Aeste  zu  capillaren  Verzweigungen 
abgegeben,  und  welche  sich  hinten  in  den  Polypenstock 
verzweigen  5  allein  hiervon  abgesehen,  scheinen  in  keiner 
der  Klassen  der  Cölenteraten  besondere  Blutgefässe  zu 
existiren.  Auch  wird  die  richtige  physiologische  Wür- 
digung der  auf  die  Blut-  oder  Chylus-Circulation  sich 
beziehenden  Verhältnisse  noch  dadurch  erschwert,  dass 
dieselbe  Flüssigkeit,  welche  offenbar,  die  Rippenquallen 
etwa  ausgenommen ,  als  Chylus  zu  deuten ,  immer  zu- 
gleich der  Art  mit  Wasser  vom  Magen  aus  verdünnt 
wird ,  dass  man ,  nach  der  Analogie  mit  anderen  Thieren 
nicht  Chylus,  sondern  zur  Athmung  zu  verwendendes 
Wasser  vor  sich  zu  haben  glaubt. 

Man  wird  das  Richtige  treffen,  wenn  man  von  sol- 
cher Analogie  absieht;  in  den  Räumen,  wohin  das  Blut 
gelangt,   wie    es    von    den    Magenwänden    ausgeschieden 

15 


226  II*'  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

wird ,  geht  zugleich  die  Respiration  vor  sich ,  wozu  der 
Sauerstoff  jenes  theils  willkürlich  theils  unwillkürlich  mit 
aufgenommenen  Wassers  verwendet  wird.  Es  sind  also 
wieder  besondere  Circulations  -  noch  Athmungs  -  Organe 
da,  beide  Functionen  gehen  unscheidbar  in  einander  über. 
Dabei  sind  aber   folgende  Modalitäten  zu  bemerken, 

Polypen.  Die  in  die  Leibeshöhle  durch  die  Ma- 
genwände ausschwitzende  Chylusflüssigkeit  wird  durch 
das  Wasser  willkürlich  mehr  oder  weniger  verdünnt, 
welches  durch  die  Oeffnung  im  Magengrunde  Einlass  fin- 
det. Die  Flüssigkeit  wird  durch  Flimmerorgane  in  Be- 
wegung gesetzt  und  längs  der  Körperwände  bis  in  die 
Spitzen  der  hohlen  Fühler  umgetrieben.  Bei  den  Poly- 
pencolonieen,  wo  die  einzelnen  Polypenleiber  mit  dem 
Stocke  communiciren ,  setzen  sich  diese  Strömungen 
von  einem  Individuum  zum  anderen  durch  den  ganzen 
Stock  fort. 

Schwimmpolypen  oder  Röhrenquallen. 
„Das  Verdaute  geht  wahrscheinlich  zugleich  mit  gewissen 
Mengen  von  Seewasser  aus  den  Polypen  (Fressindividuen 
Leuckart,  Saugröhren  der  früheren  Autoren)  durch 
ihre  bohlen  Stiele  in  den  ebenfalls  hohlen  Polypenstamm 
{Reproductionskanal)  über.  In  diesem  bewegt  sich  der 
Nahrungssaft  mit  Ausnahme  der  Diphyiden ,  wo  in  grösse- 
rer oder  geringerer  Ausdehnung  ein  Fliramerepithelium 
sich  findet,  nie  durch  Flimmerbewegung,  sondern  durch 
die  Contractionen  der  sehr  muskulösen  Wände  des  Stam- 
mes unregelmässig  hin  und  her,  und  gelangt  aus  demsel- 
ben" *)  auch  in  die  Höhlungen  der  übrigen  Organe ,  deren 
einige  (Schwimmglocken,   medusenförmige  Geschlechtsor- 


')  Kölliker,   Die   Schwimmpolypen.    Leipzig,  1853.  S.  67. 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  227 

gane)  auch  mit  Gefässen  zur  Aufnahme  jenes  Saftes  ver- 
sehen sind. 

Nur  bei  den  Velelliden  gelangt  der  Nahrungssaft  in 
ein  netzförmiges,  zusammenhängendes  Kanalsystem,  wel- 
ches sich  durch  den  ganzen  (der  Kolonie  gemeinsamen) 
Körper  verzweigt.  Die  Bedeutung  desselben  ist  aber 
keine  andere,  als  die  des  Reproductionskanales  mit  den 
davon  ausgehenden  Höhlungen. 

Scheibenquallen  und  Rippenquallen.  Bei 
beiden  finden  wir  ein  vom  Magen  ausgehendes  System 
blindsackartiger  Anhänge  oder  radiärer  Kanäle,  in  Ver- 
bindung mit  Ringgefässen ,  und  diess  Kanalsystem  ist 
bald  für  einen  blossen  Wasserathmungsapparat  (Scheiben- 
quallen), bald  für  ein  wahres  Blutgefässsystem  (Rippen- 
quallen) gehalten  worden. 

Bei  den  Scheibenquallen  tritt  das  mit  Chylus 
vermischte  Wasser  unmittelbar  aus  dem  Magen  oder  dessen 
Blindsäcken  in  die  radiären  Kanäle ,  und  diese  verlaufen, 
einfach  oder  sich  theilend ,  nach  dem  Scheibenrande  und 
münden  dort  in  ein  Ringgefäss  ein.  Während  bei  den 
Schwimmpolypen  und  den  Polypen  der  unbrauchbar  ge- 
wordene Theil  der  Flüssigkeit  durch  den  Mund  wieder 
ausgeschieden  wird,  ist  zu  diesem  Zwecke  das  Ringge- 
fäss der  Scheibenquallen  mit  mehreren  Oeffnungen  (After) 
versehen.  Die  Zahl  der  Radialgefässe  ist  sehr  variabel. 
Medusa  aurita  z.  B.  hat  8  einfache  und  eben  so  viele 
mit  gabelförmigen  Seitenzweigen;  bei  Aequorea  zählt 
man  74. 

Bei  den  Rippenquallen  ist  hinter  dem  Magen 
eine  der  Leibeshöhle  der  Polypen  entsprechende  trichter- 
förmige Höhle,  von  welcher  mehrere  Kanäle  für  die 
Arme,  Magenwände  und  Rippen  entspringen.     Die  Rippen- 

15* 


228  m«  Absclin.    Die  Organe  der  Ernährung-. 

kanäle  münden  in  ein  den  Mund  umgebendes  Ringgefäss. 
In  diesem  sind  keine  Oeffnungen ,  wohl  aber  führen  zwei 
aus  dem  Trichter  nach  dem  Hinterende  verlaufende  Röh- 
ren nach  aussen. 

2.     DasGefässsystem   derEchinodermen. 

Höchst  wahrscheinlich  besitzen  alle  Echinodcrmen  ein 
in  sich  geschlossenes  Blutcirculationssystem ,  obgleich 
man,  trotz  zahlreicher  Untersuchungen,  über  das  Verhal- 
ten der  Gefässe  zu  einander  und  zu  den  Respirationsge- 
fassen  keineswegs  in  Einklang  ist.  Es  rührt  diess  (nach 
V.  Siebold's  Bemerkung;  vergl.  dessen  lehrreiche  Aus- 
einandersetzung im  Lehrb.  d.  vergl.  Anat.)  von  dem  Um- 
stände her,  dass  man  das  System  der  Blutgefässe  viel- 
fältig mit  den  respiratorischen  Wassergefässen  verwech- 
selt hat. 

Am  unvollständigsten  ist  bis  jetzt  das  Gefässsystem 
der  Crinoiden  erkannt,  wo  mehrere  in  die  Arme, 
Girren  u.  s.  f.  sich  verzweigende  Kanäle  aus  einem 
schlauchförmigen ,  im  Grunde  des  Kelches  liegenden  Her- 
zen entspringen.  Ein  solches  längliches^  schlauchartiges 
Herz  besitzen  auch  die  Asteroiden  und  Echinoi- 
den;  bei  jenen  erstreckt  es  sich  von  der  Madreporen- 
platte  neben  dem  sogenannten  Steinkanale  oder  dem  Kalk- 
strange zum  Munde  und  steht  hier  mit  zwei  den  3Iund 
umgebenden  Ringgefässen,  am  Rücken  nur  mit  einem  Ring- 
gefässe  in  Verbindung.  Bei  den  E  c  h  in  oiden  liegt  das, 
unregelmässige  blasige  Auftreibungen  zeigende  und  in  un- 
regelmässige Kammern  getheilte  Herz  am  Oesophagus  und 
communicirt  nach  unten  mit  zwei  den  Schlund,  nach  oben 
mit  zwei  den  After  umgebenden  Gefässringen.  Aus  allen 
diesen  Gefässringen  laufen  andere  Gefässe  theils  zwischen 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  229 

die  Eingeweide ,  theils  in  die  Arme  und  an  die  Ambul- 
cralbläschen-Reihen ,  ohne  dass  man  mit  Bestimmtheit  sich 
über  den  venösen  und  arteriellen  Theil  des  Systems  ent- 
scheiden könnte. 

Viel  klarer  ist  das  Gefässsystem  der  Holothurien. 
Das  durch  eine,  von  einem  den  Schlund  umgebenden  Ge- 
fässringe  entspringende  Aorta  und  deren  Verzweigungen 
den  Eingeweiden  zugeführte  Blut  sammelt  sich  in  einigen 
Kiemenarterien  und  kehrt  durch  Kiemenvenen  zum  Ge- 
fässring  zurück. 

3.     Das    Gefässsystem  der  Würmer. 

Infusorien.  Die  mehr  oder  minder  regelmässig 
pulsirenden  Räume  oder  contractilen  Blasen  mit  ihren 
Ausläufern,  welche  sich  bei  den  unzweifelhaft  erkannten 
Infusionsthieren  gefunden ,  werden  zwar  von  manchen 
Zoologen  für  ein  Gefässsystem  gehalten ,  w  ir  werden  je- 
doch unten  unsre  Gründe  gegen  diese  Ansicht  entwickeln. 
Die  Infusorien  haben  kein  Blutgefässsystem ;  sie  gehören 
zu  den  Thieren ,  bei  denen  der  Nahrungssaft  den  Körper 
unmittelbar  durchtränkt. 

Strudelwürmer.  Die  Strudelwürmer  zeigen  ein 
sehr  verschiedenartiges  Verhalten.  Die  Rhabdocölen 
ermangeln  der  Blutgefässe;  was  man  früher  dafür  gehal- 
ten, sind  Wassergefässe.  Ihre  Ernäbrungsflüssigkeit  ist 
frei  in  den  Körperlacunen  enthalten  und  Avird  nur  durch 
die  allgemeinen  Körpercontractionen  in  Bewegung  gesetzt; 
auch  bei  den  Dendrocölen,  bei  denen  man  theils  ein- 
zelne grosse  Seitengeiässstämme,  theils  weit  verzweigte 
Gefässnetze  beobachtet  hat,  sind  vielleicht  dergleichen 
Wassergefässe  mit  Blutgefässen  verwechselt  worden. 

Kein    Zweifel    kann    bei    den    Nemertinen    sein, 


230  ni.  Absclm.    Die  Organe  der  Ernährung. 

welche  drei  Hauptlängsgefässe  besitzen,  einen  Rücken- 
stamm und  zwei  Seitenstämme.  Diese  vereinigen 
sich  am  Hinterende,  und  in  der  Nähe  des  Gehirns  gabelt 
sich  der  Rückenstamm  und  geht  mit  den  beiden ,  um  die 
Ganglien  sich  schlängelnden  Aesten  in  die  Seitenstämme 
über,  welche  im  Vorderende  eine  Schlinge  bilden.  Das 
in  diesen  Gefässen  enthaltene  Blut  ist  gewöhnlich  unge- 
färbt, mitunter  auch  röthlich  oder  bläulich ,  und  scheint 
keine  Blutkörperchen  zu  enthalten. 

Die  Blutströmung  ist  keine  regelmässige ,  sondern 
eine  oscillirende,  ähnlich  wie  bei  den  Blutegeln. 

Helminthen.  Nur  beiden  Rundwürmern  (Ne- 
matodes und  Gordiacei)  gelangt  die  Ernährungsflüssigkeit 
aus  dem  Darmkanal  unmittelbar  in  die  Leibeshöhle,  ohne 
dass  man  ein  Gefässsystem  bemerkt  hätte.  Dieses  haben 
zwar  die  Acanthocephalen,  zwei  Hauptlängsgefässe, 
die  seitlich  viele  sich  verzweigende  und  anastomisirende 
Aeste  abgeben,  es  fehlen  aber  hier  die  eigenen  Gefäss- 
wandungen.  Mit  ihm  steht  das  Gefässsystem  der  soge- 
nannten Lemniscen,  jener  beiden  bandförmigen,  am  Grunde 
des  Rüssels  entspringenden  Organe  von  unbekannter  Be- 
stimmung, in  Verbindung.  Durch  die  Körperbewegungen, 
das  Ein-  und  Ausstülpen  des  Rüssels,  wird  eine  Fluctua- 
tion  des  Blutes  zwischen  dem  Leibesgefässsystem  und 
dem  System  der  Leraniscen  bewirkt.  Die  übrigen  Einge- 
weidewürmer (Cestodes,  Trematodes)  zeigen  einen  sehr 
entwickelten,  eigenwandigen  Circulationsapparat,  der  bei 
den  Cestoden  aus  zwei  Paar  Längsge  fassen  be- 
steht, welche  durch  mehrere  Quergefässe  verbunden 
sind  und  im  Kopfe  einen ,  die  Rüsselscheide  einschliessen- 
den  Ring  bilden.  Von  diesen  Stämmen  gehen  zahlreiche 
Zweige    aus ,   die  sich  in    feine ,    zuletzt    verschwindende 


3.  Kap.     Das  Gefässsyslem.  1^31 

Capillaren  aullöscn.  Souohl  in  den  Haupt-  wie  in  den 
Nebengefässen  finden  sich  zahlreiche  Flimmeriäppchen. 
Wenigstens  in  den  Larvenzuständen  (als  Cestodensäcke) 
besitzen  die  Cestoden  allgemein  am  Hinterende  eine  con- 
tractile  Blase  mit  Oeffnung,  in  welche  die  Längsstämme 
einmünden.  Bei  den  Licjulae  bleibt  diese  Schwanzöffnung 
zeitlebens ,  bei  den  übrigen  geht  der  pulsirende  Schlauch 
mit  der  ersten  Gliedablösung  oder  noch  früher  verloren. 

Weniger  häufig  finden  sich  bei  den  Trematode n 
zwei  solche  Hauptlängskanäle;  öfter  bildet  bei  ihnen  das 
Gefässsystem  ein  sehr  ausgedehntes ,  vielfach  anastomosi- 
rendes  Netz.  Dieses  System  steht  in  direkter  Verbin- 
dung mit  dem  sogenannten  Excretionsorgane,  das  am 
Hinterende  sich  öffnet.     Vergl.  unten  HI.  Kap.  6. 

Ringel  Würmer.  Die  Ringelwürmer  zeichnen  sich 
durch  ein  sehr  bestimmt  ausgeprägtes,  in  sich  abgeschlos- 
senes*) Gefässsystem  aus,  dessen  centrale  Theile  in 
mehreren  Längsstämmen  bestehen  ,  die  gewöhnlich  in  den 
Körperenden  unmittelbar  in  einander  übergehen,  häufig 
durch  grössere  Quergefässe  verbunden  sind ,  und  von 
denen  zahlreiche,  sich  verzweigende  und  anastoraosirende 
Gefässe  als  peripherische  Theile  entspringen.  Immer 
haben  diese  Gefässe  eigne  Wandungen ,  und  entweder 
pulsiren  alle  Hauptstämme  und  die  Quergefässe  des  Sy- 
stems oder  einzelne  herzartige ,  mitunter  erweiterte  Ab- 
theilungen desselben.  Das  Blut  ist  meist  gefärbt  (roth, 
grün ,  blau ,  violett  u.  a.) ,  wiewohl  nicht  durch  die  Blut- 


*)  Nach  Leydig  und  Quatrefages  erleidet  jedoch  auch  diese 
Regel  mehrfache  Ausnahmen.  Ersterer  hat  bei  einigen  Egehi,  letz- 
terer bei  verschiedenen  Borstenwürmern  lacunaren  Blutlauf  wahrge- 
nommen. Berichte  von  der  zoot.  Anstalt  in  Würzburg.  2ter  Bericht. 
1849.  —  Annales  d.  sc.  nat.  1850.     T.  14. 


232  HI-  Absclm.     Die  Organe  der  Ernährimg. 

körperchen,  welche  sehr  klein,  unregelmässig  und  unge- 
färbt sind  und  wohl  nicht  den  Blutkörperchen  der  Wir- 
belthiere  gleichgestellt  werden  können.  Uehrigens  kann 
dasselbe  Individuum,  jenachdem  man  das  Blut  in  dünne- 
ren oder  stärkeren  Schichten  sieht,  ganz  verschiedene 
Blutfärbungen  zeigen ,  was  auch  von  den  Nemertinen  gilt. 

Die  Hirudineen  haben  ein  Rücken-  und  ein 
Bauchgefäss  und  zwei  Seitenge  fasse;  nur  bei 
Nephells  fehlen  die  beiden  ersteren.  Gerade  diese  Gat- 
tung ist  wegen  ihrer  Durchsichtigkeit  geeignet,  an  ihr 
sich  den  eigenthümlichen  Blutlauf  der  Egel,  der  eine 
Fluctuation  ist,  zur  Anschauung  zu  bringen.  Das 
Hauptmoment  in  diesem  Blutlaufe  ist  nämlich  das  Ueber- 
strömen  aus  dem  einen  Seitenstaram  durch  die  zahlreichen 
Quergefässe  in  den  andern;  diess  geschieht  jedoch  nicht 
hinten  und  vorn  zu  ganz  gleicher  Zeit,  sondern  das  Ge- 
fäss  contrahirt  sich  vorn  etwas  später  als  hinten,  so  dass 
auch  eine  Art  von  Circulation  hergestellt  wird,  die  aber 
von  Zeit  zu  Zeit  umsetzt,  indem  das  Gefäss,  dessen  Con- 
tractionen  von  hinten  nach  vorn  begonnen  haben ,  nun 
sich  von  vorn  nach  hinten  zusammenzieht,  und  umge- 
kehrt. 

Bei  den  Borsten würmern  finden  sich  die  grossen 
Seitenstämme  nicht,  aber  ein  oder  mehrere  Bauch-  und 
Rückenstämme.  Das  Blut  wird  in  der  Regel  im 
Rückengefäss  von  hinten  nach  vorn  getrieben  und  tritt 
im  Kopfende  durch  grössere  Gefässschlingen ,  aber  auch 
durch  die  übrigen  Queranastomosen  in  das  Bauchgefäss 
über  und  kann  nur  uneigentlich  als  arteriell  und  venös 
geschieden  werden;  nicht  selten  muss  sogar  das  Blut 
durch  dieselben  Gefässe  von  den  Kiemen  zurückkehren, 
durch  welche  es  dahin  gelangt  ist  (z.  B.  bei  Amphicora), 


3.  Kap.     Das  Gefässsystcm.  233 

und  hier  ist  also  eine  solche  Scheidung  willkürlich  oder 
auch  unmöglich. 

Bei  den  Lumbricinen  und  Naiden,  denen  sich 
Amphicora  anreiht,  ist  das  einfache  Rückengefäss  eng 
mit  den  Darmwandungen  verwachsen,  gabelt  sich  im  Vor- 
derende und  geht,  so  den  Schlund  umfassend,  in  das 
Bauchgefäss  über,  mit  welchem  es  jedoch  auch  in  den 
übrigen  einzelnen  Körpersegmenten,  namentlich  im  Vor- 
derende, durch  Quergefässe  verbunden  ist. 

Von  den  genannten  Borstenwürmern  unterscheiden 
sich  die  übrigen,  Capitibranchiaten  und  Dorsi- 
branchiaten  durch  eine  Vermehrung  der  Hauptgefäss- 
stämme,  auch  treten  durch  das  Vorhandensein  von  äusse- 
ren Kiemen,  wie  schon  bei  Amphicora^  neue  Verände- 
rungen ein,  Am  gewöhnlichsten  ist  die  Verdoppelung 
sowohl  des  Rücken-  als  des  Bauchgefässes,  in 
welchem  Falle  gewöhnlich  ein  Rückengefäss  und  ein 
Bauchgefäss  mit  dem  Darme ,  die  beiden  übrigen  Stämme 
mit  den  Körperwandungen  enger  verbunden  sind.  Nicht 
selten  sind  auch  diese  Hauptgefässe  streckenweise  oder 
ganz  in  zwei  bis  drei  Stämme  gespalten.  Da  die  Blut- 
bewegung längs  des  Rückens  von  hinten  nach  vorn  ge- 
schieht, so  kann  man  bei  den  Capitibranchiaten  das 
Rücken-Darmgefäss,  welches  gewöhnlich  das  Blut  zu  den 
Kiemen  führt,  als  Körpervene  oder  Kiemenarterie,  das 
Hauptbauchgefäss  aber,  welches  das  Blut  aus  den  Kiemen 
aufnimmt,  als  Körperarterie  bezeichnen,  obwohl  auch 
hier  von  einer  strengen  Trennung  in  arterielles  und  ve- 
nöses Blut  der  vielen  Queranastomosen  wegen  nicht  die 
Rede  sein  kann  ,  und  noch  unausführbarer  ist  diese  Schei- 
dung bei  den  Dorsibranchiaten ,  deren  Kiemen  aus  den 
Quergefässen  das  Blut  empfangen. 


234  in.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Neben  dem  in  den  eben  beschriebenen  Gefässen  ein- 
geschlossenen Blute  verdient  aber  auch  die  in  der  Lei- 
beshöhle enthaltene  Flüssigkeit  eine  besondere  Berück- 
sichtigung. Sie  ist  es,  in  welcher  häufig  die  frei  in  der 
Leibeshöhle  enthaltenen  Generationsprodukte  schwimmen, 
und  unter  deren  Einfluss  sie  offenbar  sich  vermehren  und 
wachsen  ;  sie  w  ird  durch  die  allgemeinen  Körperbewegun- 
gen fortwährend  auf  und  ab  und  durch  die  Oeffnungen  in 
den  diaphragmaartigen  Einschnürungen  getrieben  und  be- 
spült somit  die  meisten  Organe  unmittelbar.  Oft  bemerkt 
man  in  ihr  (man  beobachte  eine  Naide)  brombeerförmige 
oder  einfach  kugelige ,  dann  aber  äusserst  kleine  Kör- 
perchen ,  die  um  so  zahlreicher  vorhanden  zu  sein  schei- 
nen, je  grösser  die  Lebensthätigkeit  des  Thieres  ist.  Aus 
allen  diesen  Umständen  geht  die  Wichtigkeit  dieser  Flüs- 
sigkeit hervor,  wiewohl  ihr  Verhältniss  zum  Gefässblute 
noch  nicht  hinlänglich  aufgeklärt  ist.  Am  richtigsten 
wird  sie  vielleicht  als  Chylus  betrachtet,  da  die  von  den 
Hauptstämmen  auf  die  Darmwandungen  gehenden  Capil- 
laren  mehr  die  Rolle  von  ernährenden  als  von  aufsaugen- 
den Gefässen  zu  spielen  scheinen. 

4.  Das  Gefässsystem  der  Arthropoden, 
Räderthiere.  Sie  scheinen  keine  Blutgefässe  zu 
besitzen.  Als  das  Blut  oder  wenigstens  als  das  Ana- 
logen davon  wird  man  im  Gegentheil  die  frei  in  der  Lei- 
beshöhle enthaltene,  die  Eingeweide  umspülende  Flüssig- 
keit anzusehen  haben,  die  in  der  Regel  wasserklar  ist, 
seltner  eine  gelbliche  Färbung  zeigt,  und  in  welcher  auch 
nur  ausnahmsweise  den  Blut-  oder  Chyluskörperchen 
vergleichbare  Elemente  gefunden  sind.  Diese  Flüssigkeit 
ist  wohl   sehr  wasserhaltig,    wenn   auch   die    Aufnahme 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  235 

von  Wasser  nicht  durch  die  sogenannten  Respirations- 
öffnungen und  den  Nackensipho  geschehen  kann ,  da  (nach 
Leydig)  an  den  genannten  Stellen  gar  keine  Oeffnungen 
vorhanden. 

Die  übrigen  Arthropoden. 

Das  Rückengefäss  oder  das  Herz. 

Die  meisten  Arthropoden  sind  mit  einem,  den  Blut- 
lauf regelnden  Centralorgane  versehen,  das  man  bei  den 
Myriopoden,  Spinnen  und  Insekten  wegen  seiner  Schlauch- 
form das  Rückengefäss,  bei  den  Crustaceen  aber,  wo 
es  gewöhnlich  kürzer  ist,  Herz  zu  nennen  pflegt. 

Das  Rückengefäss  der  Spinnen  und  Insek- 
ten liegt  in  der  Mittellinie  des  Abdomens  und  wird 
durch  eben  so  viele  Paare  dreieckiger  Muskeln ,  als  Kam- 
mern vorhanden  sind,  an  die  Rückenwände  befestigt. 
Solcher  Kammern  finden  sich  bei  den  Insekten  in  der 
Regel  acht,  und  sie  entstehen  durch  Einschnürungen;  jede 
Kammer  hat  jederseits  nach  vorn  eine  Spaltöffnung,  wel- 
che durch  klappenartige,  nach  innen  gehende  Hervor- 
ragungen geschlossen  werden  können.  Die  letzte  Kammer 
geht  in  einen,  sich  bis  zum  Kopfganglion  erstreckendea 
und  vorn  sich  mitunter  spaltenden  Arterienstiel  über. 
Diesem  Rückengefässe  gleicht  auch  das  der  Myriopo- 
den, nur  ist  es  länger  und  in  mehr  Kammern  getheilt, 
wie  überhaupt  sich  im  Allgemeinen  die  Ausdehnung  des 
Rückengefässes  nach  der  Körperlänge  richtet. 

Es  schliesst  sich  hieran  die  längliche  Form,  welche 
das  Herz  mehreren  Ordnungen  der  Krebse  angenommen, 
namentlich  der  Phyllopoden  und  Stomatopoden. 
Bei  den  Parasiten  und  Lophyropoden  ist  das  Herz 


236  III.  Abschn.     Die  Organe  der  Ernährung. 

ein  einfacher,  rundlicher  oder  ovaler  Behälter,  der  be- 
hufs der  Aufnahme  des  Blutes  mit  zwei  seitlichen  Spalt- 
öffnungen verseilen  ist,  und  aus  dem  das  Blut  durch  eine 
vordere  und  hintere  Oeffnung  tritt,  wenn  nicht  an  diesen 
Stellen  Arterien  entspringen.  Bei  den  übrigen  Ordnun- 
gen der  Crustaceen  verhält  sich  das  Herz  ähnlich,  hat 
aber  mehr  venöse  Spalten  und  giebt  gewöhnlich  mehr 
Arterienstämme  ab ,  als  dort  Arterienöffnungen  oder  wirk- 
liche Arterien  sich  finden.  Seine  Form  ist  namentlich 
bei  den  Decapoden  auffallend,  platt  und  polygonal.  Es 
liegt  immer  in  der  Mittellinie  des  Yorderrückens. 

Kreislauf. 

Nur  von  den  Scorpioniden  ist  ein  vollständig 
geschlossenes  Gefässsystem  beschrieben  worden;  ihre  Ar- 
terien sollen  sich  verzweigen  und  unmittelbar  in  ein  Ve- 
nensystem übergehen ,  welches  zu  den  Athemorganen 
führt,  von  wo  aus  das  Blut  wiederum  durch  eigene  Ge- 
fässe  zum  Herzen  zurückgelangt. 

Im  Uebrigen  aber  scheint  den  Arthropoden  durchweg 
ein  geschlossenes  Gefässsystem  zu  fehlen,  indem  sich  ent- 
weder ausser  dem  Herzen  (Rückengefässe)  gar  keine  Ge- 
f  ässe  beobachten  lassen  ,  oder  das  Gefässsystem  höchstens 
in  mehreren  Arterien  besteht,  die  entweder  plötzlich 
aufhören  oder  allmählich  sich  verzweigend  verschwinden, 
worauf  die  Blutflüssigkeit  in  bestimmten  Strömen  durch 
den  ganzen  übrigen  Körper  läuft.  Zuerst  häufig  sehr 
fein ,  vereinigen  sich  diese  Ströme  zu  stärkeren  venösen 
Stämmen  und  stellen  so  einen  vollkommenen  Kreislauf 
her,  wobei  die  Richtung  und  Vertheilung  der  Ström.e 
theils  durch  den  ursprünglichen  Herzstoss  und  die  ver- 
schiedenen im  Wege  liegenden  Organe,  theils  auch  durch 


3.  Kap.    Das  Gefässsyslcni.  237 

eigens  zu  diesem  Zwecke   ausgespannte  Membranen  oder 
Leisten  moderirt  wird. 

Bei  den  Crustaccen  sind  die  arteriellen  Ge- 
fasse,  wie  es  scheint,  am  weitesten  verbreitet,  wie- 
wohl man  bei  mehreren  Ordnungen,  den  Parasiten  und 
Phyllopoden  keine  Spur  von  ihnen  bemerkt.  Bei  den 
Lophyropoden  fehlen  sie  wenigstens  in  der  Familie 
der  Cladoceva  {Daphnia  u.  a.)  nicht ,  aus  deren  Herzen 
nach  vorn  ein  sich  mehrfach  theilender  truncus  arteriosusj 
sowie  seitlich  und  nach  hinten  andere  Arterien  entsprin- 
gen ,  die  sich  durch  ihre  Länge  und  weit  gehende  Ver- 
ästelung vor  den  ausnehmend  kurzen  Arterienstämraen  der 
Isopoden,  Amphipoden,  auch  der  Pöcilopoden 
und  L  ämo  dip  0  de  n  auszeichnen.  Vollständiger  ist  das 
Arteriensystem  bei  den  Stomatopoden  und  noch  mehr 
bei  den  Decapoden.  Aus  dem  polygonalen  zipfeligen 
Herzen  des  Astacus  fluviatills  entspringen  aus  einem  vor- 
deren Aortenstamme  drei  Arterien,  eine  mittlere  für  die 
Augen  und  zwei  seitliche  für  die  Antennen  und  den  Ce- 
phalothorax.  Zwei  ihnen  zur  Seite  liegende  Arterien  ver- 
sorgen die  Leber,  und  eine  nach  hinten  abgehende  grosse 
Schwanzarterie  spaltet  sich  bald  nach  ihrem  Austritt  und 
versorgt  durch  ihren  Bauchtheil  die  Mundtheile  und  Füsse, 
durch  den  Rückentheil  die  am  Rücken  des  Abdomen  ge- 
legenen Organe.  Die  Angabe,  dass  den  Decapoden  auch 
ein  Venensystem  zukäme,  scheint  auf  Täuschungen  zu  be- 
ruhen, wie  denselben  auch  eigene,  das  Blut  aus  den 
Kiemen  zum  Herzen  bringende  Gefässe  fehlen.  Das  Blut 
gelangt  bei  ihnen,  nachdem  es  in  grossen  lacunalen,  ve- 
nösen Strömen  die  Kiemen  erreicht,  aus  diesen  in  einen 
w^eiten,  von  nicht  contractilen  Wänden  umgebenen  Sinus, 


238  III-  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

aus  welchem  es  während  der  Diastole  des  Herzens  durch 
die  Herzspalten  aufgenommen  wird. 

Unter  den  Arachniden  bieten  wiederum  die  schon 
öfters  wegen  ihrer  abnormen  Eigenthümlichkeiten  berühr- 
ten Tardigraden  und  Acarinen,  nicht  aber  die  Py- 
cnogoniden,  Ausnahraszustände  dar,  indem  ihnen  jede 
Spur  eines  Gefässsystems,  auch  das  Herz  mangelt,  und 
ihre  Ernährungsflüssigkeit  ganz  in  der  Leibeshöhle  ent- 
halten ist ,  wo  sie ,  ohne  eine  bestimmt  gerichtete  Strö- 
mung, lediglich  durch  die  Körperbewegungen  umherge- 
trieben wird.  Die  Phalangien  haben  nur  das  Rücken- 
gefäss  ohne  Arterien,  die  Araneen  aber  verhalten  sich 
wie  die  höheren  Ordnungen  der  Crustaceen,  indem  das  in 
mehreren  Arterien  das  Rückengefäss  verlassende  Blut 
seinen  weiteren  arteriellen  und  venösen  Lauf  in  wandungs- 
losen Körperlacunen  vollendet  und  sich  gleichfalls  in 
einem,  das  Rückengefäss  umgebenden  Sinus  ansammelt. 

Bei  den  Insekten  wird  das  Blut  durch  die  allmäh- 
liche Zusammenziehung  des  Rückengefasses ,  die  in  der 
Weise  von  hinten  nach  vorn  geschieht ,  dass  die  hinterste 
Kammer  sich  schon  wieder  ausdehnt,  ehe  die  vorherge- 
hende Contraction  bis  zur  ersten  Kammer  gelangt  ist, 
durch  den  Aortentheil  getrieben  und  kehrt  in  vier  Haupt- 
strömen, von  denen  einer  unter  dem  Rückengefässe ,  ei- 
ner über  der  Ganglienketto  und  zwei  neben  den  grossen 
Tracheenstämraen  fliessen,  zum  Rückengefässe  zurück. 
Kleinere  Nebenstämme  vertheilen  sich  in  die  Fühler, 
Füsse  ,  Flügel  u.  s.  w .  Da  die  Bewegung  der  Flüssigkeit 
in  diesen  Anhängen  nicht  wohl  allein  von  dem  Drucke 
der  Hauptströme  abhängen  kann,  scheinen  hier  und  da 
eigenthümliche  Vorrichtungen  zur  Fortbewegung  ange- 
bracht zu  sein,  so  in  den  Tibien  der  Beine  ein  pulsiren- 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  239 

des,  knotenförmiges,  als  Pumpsterapel  wirkendes  Organ, 
Avie  aucli  in  anderen  Theilen  herzartige  Organe  (bis  jetzt 
freilich  nur  im  Schwänze  der  Larve  von  Ephemera  diptera 
beobachtet). 

Die  Veränderungen  dieser  Verhältnisse  in  den  ein- 
zelnen Ordnungen  sind  sehr  unwesentlich  und  beziehen 
sich  meist  nur  auf  die  Form  und  Textur  des  Rückenge- 
fässes. 

Das  Blut  der  Arthropoden  ist  meist  farblos;  ist  es 
gefärbt  (röthlich ,  gelblich  u.  a.) ,  w  ie  bei  mehreren  Cru- 
staceen  und  Insekten,  so  ist  die  Färbung  immer  an  die 
Blutflüssigkeit  gebunden  und  rührt  nicht  von  den  stets 
farblosen ,  einfach  rundlichen  oder  eine  granulirte  Ober- 
fläche zeigenden  Blutkörperchen  her. 

5.     Das  Gefässsystem  der  Weichthiere. 

Abgesehen  von  den  abweichend  organisirten  Bryo- 
zoen  und  Tunikaten  zeigt  das  Gefässsystem  der  Mollusken 
einen  sich  gleichbleibenden  Charakter,  der  sich  sowohl 
in  den  Acephalen  als  in  den  Cephalopoden  ausspricht, 
und  durch  welchen  wir  an  das  Gefässsystem  der  Arthro- 
poden erinnert  werden.  Es  finden  sich  nämlich  darin 
gewöhnlich  bedeutende  Ausw^eitungen  und  Sinusse,  wel- 
che verschiedene  Eingeweide  in  sich  aufnehmen,  und  wo- 
durch es  den  Anschein  gewinnt,  als  ob  nach  der  Periphe- 
rie bin  das  Gefässsystem  in  ein  wandungsloses  Lacunen- 
system  sich  auflöse.  Man  hat  diess  sogar,  nach  den 
Untersuchungen  von  Mi  Ine  Edw^ards,  bis  in  die  neue- 
sten Zeiten  fast  allgemein  angenommen,  indem  man  meinte, 
die  verschiedenen  Abtheilungen  der  Leibeshöhle  dienten 
als  grosse  venöse,  seltner,  z.  B.  bei  Patella,  auch  als 
arterielle  Behälter.     Allein  nachdem  Keb er  und  nament- 


240  III.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

lieh  Langer  in  Bezug  auf  die  Na  jaden ,  Owen  in  Bezug 
auf  die  Brachiopoden  dem  direct  widersprochen  und  bei 
den  genannten  Gruppen  überall ,  auch  in  den  grossen  Er- 
weiterungen und  den  Capillaren,  eigne  Wandungen  der 
Blutbahn  nachgewiesen ,  muss  in  jedem  speciellen  Falle 
erst  die  genauere  Untersuchung  entscheiden.  Weder  die 
Wandungslosigkeit  eines  Theiles  der  Blutbahn ,  noch  die 
Geschlossenheit  sind  typische  Charaktere. 

Sehen  wir  auch  von  den  eigenthümlich  sich  verhal- 
tenden Brachiopoden  ab,  so  besitzen  die  Mollusken  ein 
von  einem  Herzbeutel  umgebenes  Aortenherz, 
wohin  das  Blut  aus  den  Respirationsorganen  gelangt,  um 
durch  eine  oder  mehrere  Aorten  in  den  Körper  getrieben 
zu  werden.  Die  Blutbahn  ist  also  gerade  die  umge- 
kehrte, wie  bei  den  Fischen,  welche  ein  Kiemenherz  be- 
sitzen ,  und  deren  Kiemenvenen  zur  Aorta  und  zu  anderen 
Körperarterien  werden. 

Die  Gränzen ,  in  welchen  sich  der  allgemeine  Plan 
der  Weichthiere  bewegt,  sind  jedoch,  wie  schon  aus  dem 
Gesagten  erhellt,  zu  weit,  als  dass  wir  nicht  auch  hier 
die  einzelnen  Abtheilungen  einer  besonderen  Betrachtung 
unterwerfen  müssten.   — 

Das  Blut  ist  gewöhnlich  farblos.  Röthliche,  grün- 
liche, violette,  geAAÖhnlich  an  die  Blutflüssigkeit  gebun- 
dene Färbungen  kommen  bei  Cephalophoren  und  Cepha- 
lopoden  vor.  Die  in  der  Regel  ungefärbten  Blutkörper- 
chen sind  bei  den  Acephalen  meist  unregelmässig,  bei 
den  übrigen  rundliche  Zellen  und  scheinen  immer  einen 
Kern  oder  mehrere  Körner  zu  enthalten.  — 

Bryozoen.  Sie  besitzen  weder  Herz  noch  Ge- 
fässe.  Die  in  der  Leibeshöhle  enthaltene  Flüssigkeit 
scheint    nicht,    wie    man    früher    annahm,    durch    Oeff- 


3.  Kap.    Das  Gefässsyslem.  241 

nungen  mit  Wasser  verdünnt  werden  zu  liönnen  und  wird 
durch  Wimperung  in  regelmässiger  Circulation  entlang 
den  Wandungen  der  Leibeshöhle  erhalten. 

Tunicaten.  Die  hier  vorkommenden  Erscheinun- 
gen der  Blutbewegung  erinnern  auffallend  an  die  bei  den 
Egeln  sich  darbietenden.  Das  Gefässsystem  selbst,  nur 
als  Centralorgan  vorhanden ,  bietet  ebenfalls  Anknü- 
pfungspunkte an  die  Arthropoden.  Immer  ist  ein  Herz 
vorhanden,  bei  den  Salpen  ein  schlauchartiger  Kanal 
in  der  Nähe  des  Nucleus,  welcher  die  beiden,  am  ande- 
ren Ende  durch  ein  Paar  Gefässschleifen  in  einander 
übergehenden  Hauptgefässe,  das  Rücken-  und  das  Bauch- 
gefäss,  verbindet;  bei  den  A  sei  dien  ein  noch  längerer 
Schlauch  in  der  hinteren  Körperabtheilung,  mit  einer 
hinteren  und  einer  vorderen  Gefässfortsetzung;  auch  be- 
wegt sich  das  Blut,  nachdem  die  erwähnten  Gefässe  auf- 
hören, im  grössten  Theile  des  Körpers  in  wandungslosen 
Kanälen  und  Lacunen,  jedoch  ist  der  Blutlauf  keine  an- 
haltende Circulation  in  derselben  Richtung,  sondern  ein 
Fluctuiren ,  indem  die  Contractionen  des  Herzens  von  Zeit 
zu  Zeit  umsetzen,  so  dass  die  Hauptgefässe  abwechselnd 
als  Hohlvene  und  als  Körperarterie  fungiren. 

Brachiopoden.  Sie  haben  in  der  Nähe  des  Ma- 
gens zwei  Herzen,  bestehend  aus  Vorkammer  und  Kam- 
mer. Die  Kammern  treiben  das  Blut  in  mehrere  Mantel- 
und  Visceralarterien.  Nachdem  die  Mantelarterien  sich 
verzweigt ,  bilden  sich  in  den  Mantelhälften  grössere  ve- 
nöse Sinusse ,  von  wo  aus  das  Blut  in  Vereinigung  mit 
dem  in  ähnlichen,  die  Eingeweide  begleitenden  Erweite- 
rungen enthaltenen  Blute  zu  den  Vorkammern  zurück- 
kehrt. Es  geht  daraus  hervor,  dass  das  Blut,  im  Ver- 
gleich zu  den  höheren  Mollusken ,  nie  rein  arteriell  in  das 

16 


242  III'  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Herz  gelangt,  sofern  nämlich  die  Mantellappen  das  allei- 
nige Atiiemorgan  sind.  Das  zu  den  Eingeweiden  geführte 
Blut  kommt  venös,  das  aus  dem  Mantel  arteriell  in  die 
Vorkammern;  rein  arterielles  Blut  findet  sich  also,  ähn- 
lich wie  hei  den  Amphibien ,  nur  auf  dem  Wege  zwischen 
Athemorgan  und  Herz*). 

Lamellibranchiaten.  Zur  Orientirung  über  die 
Kreislauforgane  dieser  Klasse  sind  wir  durch  die  muster- 
haften Untersuchungen  Längeres  auf  Anodonta  cygnea 
hingewiesen. 

Das  arteriell  gewordene  Blut  wird  durch  die  beiden 
Vorkammern  der  vom  Mastdarm  durchborten  Kam- 
mer zugeführt,  von  wo  es  durch  die  Verzweigungen  einer 
vorderen  und  einer  hinteren  Aorta  in  den  Leib  gelangt. 
Auch  das  Venenblut  des  mittleren  Manteltheiles  und  einer 
andern  kleinen  Vene  geht  gleich  in  die  Vorkammern. 
Der  arterielle  und  venöse  Kreislaufsschenkel  sind  daher 
nicht  gänzlich  geschieden. 

Das  meiste  venöse  Blut  sammelt  sich  in  dem  zwi- 
schen den  Bojanus'schen  Körpern  gelegenen  venösen 
Sinus  und  tritt  durch  das  bipolare  Wundernetz 
(über  die  Wundernetze  im  Allgemeinen  weiter  unten) 
der  Bojanus'schen  Körper  in  die  Kiemen. 

Auch  in  den  peripherischen  Verzweigungen  ist  das 
Gcfässsystem  der  Teichmuschel  mit  vollkommenen  Wan- 


*)  So,  scheint  mir,  sind  nach  Owcn's  neuesten  Untersuchungen 
diese  bisher  ziemlich  unklar  und  widersprechend  ausgedrückten  Ver- 
hältnisse aufzufassen.  Vgl.  British  fossil  Brachiopoda.  By  Thomas 
Davidson.  I.  1.  On  Ihe  anatomy  of  Terahraiula,  by  Prof.  Owen. 
London.  Palaeoniographical  Society  1851  — 1854.  Im  Auszuge  mit 
einigen  Zusätzen  von  mir  in  Zeitschr.  f.  d.  ges.  Naturwissenschaf- 
ten.   Halle,  Mai  1854. 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  243 

düngen  versehen.  Diese  Verzweigungen  sind  theils  dendri- 
tisch ,  theils  netzförmig.  Eine  besondere  Art  dieser 
Netze,  namentlich  im  Fusse  und  Mantel  sind  Schwell- 
netze. Durch  ihre  Erfüllung  mit  Blut  ist  das  bekannte 
Schwellvermögen  dieser  Thiere  zu  erklären.  Durch  Ver- 
engerung der  in  den  venösen  Sinus  führenden  Fussvene, 
vielleicht  auch  durch  eine  Klappenvorrichtung  wird  das 
Blut  im  Schwellgewebe  des  Fusses  angestaut. 

Obwohl  nun  ein  besonderes  Wassergefässsystem  bei 
der  Teichmuschel  sich  nicht  findet,  wird  dennoch  auf 
directem,  aber  ziemlich  umständlichem  Wege  eine  Was- 
seraufnahme in  das  Blutgefässsystem  bewerk- 
stelligt. Eine  Oeffnung  im  inneren  Kiemengange  führt  zu 
dem  sogenannten  Lungenfache  (Bojanus),  welches  weiter 
nichts  ist,  als  eine  Fortsetzung  des  braunen,  Bojanus'- 
schen  Körpers  und  mit  diesem  communicirt.  Der  Boja- 
nus'sche  Körper  steht  wieder  in  Verbindung  mit  dem  wei- 
ten Pericardium.  In  demselben  Theile  des  Pericar- 
diums ,  wo  die  Communicationsöffnung  zur  Höhle  des  Bo- 
janus'schen  Körpers  ist,  vorn  unter  der  Aorta  und  dem 
Mastdarme,  befinden  sich  noch  mehrere  Oefiiiungen,  die 
von  hier  aus  in  das  sogenannte  rothbraune  Organ, 
ein  parenchymatöses  Gewebe  des  Mantels  führen;  von 
hier  endlich  gelangt  das  Wasser  in  die  Vorkammern. 

Die  allgemeine  Anordnung  des  Kreislaufes  scheint 
bei  allen  Lamellibranchiaten  dieselbe  zu  sein,  üeberall 
dürfte  durch  das,  auch  als  Niere  fungirende  Organ  der 
direkte  Uebertritt  von  Wasser  in  das  Blutsystem  vermit- 
telt werden. 

Ob  bei  anderen  Gattungen  noch  ein  anderes  Wasser- 
gefässsystem besteht,  müssen  erneute  Untersuchungen 
entscheiden. 

16* 


244  Hl«  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Cephalop  hören.  Nur  bei  wenigen  Nacktkiemern 
(Flabellina,  Rhodope  u,  a.)  fehlt  das  Gefässsystem  viel- 
leicht ganz ,  die  in  der  Leibeshöhle  enthaltene  Blutflüssig- 
keit vollendet  daher  keinen  regelmässigen  Lauf.  Ein  re- 
gelmässiges Circuliren  findet  aber  sogleich  statt,  wenn 
bei  anderen  Nacktkiemern  (z.  B.  Tergipes^  Aeolisy  Eoli- 
(lina)  ein  Herz  mit  rudimentärer  Aorta  und  zwei  in  die 
Vorkammer  einmündenden  Venenstämmen  erscheint,  so 
dass  die  Aehnlichkeit  dieses  Blutlaufes  mit  dem  der  In- 
sekten eine  sehr  grosse  ist. 

Bei  der  grössten  Anzahl  der  Cephalophoron  aber 
tritt  aus  der  Kammer  des  in  seiner  Lage  nach  den  Re- 
spirationsorganen sich  richtenden  und  mitunter  (z.  B.  bei 
Patella,  Haliotis)  vom  Darm  durchbohrten  Herzens  eine 
Aorta,  die  sich  bald  weiter  spaltet  und  so  zum  Stamme 
eines  Arteriensystems  wird,  das  häufig  noch  bis  in  die 
capillaren  Verzweigungen  hinein  ohne  Zweifel  mit  eignen 
Wandungen  versehen  ist.  Die  Venen  werden  anscheinend 
durch  blosse  Körperlacunen  vertreten;  das  Venenblut 
sammelt  sich  häufig  in  der  Leibeshöhle  an,  wo  es  na- 
mentlich den  vorderen  Theil  des  Darmkanals  und  die 
Kopfganglien  rings  umspült,  und  geht  dann  durch  andere 
Kanäle  in  die  Kiemen.  In  die  Kiemen-  oder  Lungenve- 
nen der  Gasteropoden  scheinen  auch  häufig  kleinere  Venen 
zu  münden,  so  dass  nicht  lauter  rein  arterielles  Blut  in 
das  Herz  gelangt. 

Für  die  Pteropoden  und  Heteropoden  hat 
Gegenbaur  nachgewiesen,  dass  das  Capillar-  und  Ve- 
nensystem durch  wandungslose  Räume  repräsentirt  ist. 
Sehr  wichtig  ist  auch  die  Entdeckung  (Gegenbaur, 
Leuckart)  dass,  wie  bei  den  Lamellibranchiaten  durch 


3.  Kap.    Das  Gefässsyslem.  245 

die  Niere  direlit  Wasser  in  den  Pericardialsinus  und  von 
da  ins  Herz  übergeführt  wird. 

Cephalopoden.  Bei  den  Vierkiemern  tritt  das 
Blut  durch  vier,  bei  den  Zweikiemern  durch  zwei  stär- 
kere Gef ässe ,  die  bei  mehreren  Gattungen  an  einer  Stelle 
erweitert  sind  und  pulsiren  und  also  wahren  Vorhöfen 
gleichen ,  in  das  Aortenherz,  das  gegen  sie  bei  der  Systole 
durch  Klappen  geschlossen  wird.  Eine  aorta  anterior  ist 
der  Stamm  mehrerer  grösserer  Arterien,  welche  den 
oberen  Theil  des  Darmkanals,  Geschlechtstheile ,  Leber, 
Mantel,  Kopf  und  Arme  versorgen;  aus  einer  aorta  po- 
sterior entspringen  die  für  die  Ernährung  des  hinteren 
Theiles  des  Darmkanals ,  des  Tintenbeutels,  der  Kiemen 
und  des  Bauchtheils  des  Mantels  bestimmten  Arterien. 

Das  durch  den  Körper  durch  eigenwandige  Arterien 
verbreitete  Blut  gelangt  zu  den  Kiemen  theils  durch  ei- 
genwandige Venen,  theils  durch  anscheinend  wandungs- 
lose, häufig  sehr  geräumige  Körperlacunen,  wobei  sich 
mehrere  Verschiedenheiten  zeigen. 

Bei  den  Octopoden  gehen  die  Armvenen,  zwei 
aus  jedem  Arme,  in  einen  grossen  Gefässring  im  Kopf, 
aus  welchem  sich  eine  starke  Kopfvene  neben  dem 
Darmkanal  herabbegiebt,  die  unterwegs  andere  Venen 
aufnimmt  und  endlich ,  vereint  mit  dem  grossen  visceralen 
Venenbehälter,  ihr  Blut  in  die  Hohlvenen  ergiesst.  Aus 
den  Eingeweiden  sammelt  sich  das  Blut  in  zwei  Abdo- 
minalvenen, welche  die  Genitalvenen  aufnehmen 
und  sich  in  eine  grosse  Visceralhöhle  öffnen,  von  der 
freilich  noch  nicht  mit  völliger  Gewissheit  angegeben  wer- 
den kann,  ob  sie  blos  als  eine  schlauchartige  Erweiterung 
jener  Venen  oder  als  blosse  mit  einem  Peritonealüber- 
zuge    versehene    Leibeshöhle    zu    betrachten.     Das   Blut 


^46  III'    Abschn.     Die  Organe  der  Ernährung. 

badet  in  ihr  direct  den  Schlundkopf ,  Schlund,  Speichel- 
drüsen, Magen,  Ganglienring,  die  Hauptnervenstränge  und 
die  aorta  anterior  s.  ascedens.  Durch  zwei  aus  dieser 
Lacune  entspringende  Hohlvenen  wird  das  Blut  in  die 
sogenannten  (nicht  pulsirenden)  Kiemenherzen  und  in  die 
Kiemen  geleitet.  Die  Mantelvenen  münden  direct  in  die 
Kiemenherzen. 

Etwas  anders  sind  diese  Verhältnisse  bei  den  Loli- 
ginen.  Bei  ihnen  umgiebt  ein  venöser  Sinus,  der  das 
Blut  aus  den  (nur  eine  Vene  habenden)  Armen  und  der 
Mundgegend  empfängt,  den  Schlundkopf  und  setzt  sich 
nach  hinten  mit  dem  Oesophagus  in  die  Höhlung  des 
Kopfknorpels  fort ,  in  der  das  Gehirn  liegt.  Dieser  Sinus 
dehnt  sich  aber  nicht  weiter  aus,  wie  es  bei  den  Octo- 
poden  der  Fall  ist,  sondern  alles  Blut  des  Abdomens 
läuft  in  eigenen  Venen.  Eine  starke  veiia  cephalica  steigt 
mit  dem  Darmkanal  herab  und  theilt  sich  in  zwei  Hohl- 
venen. In  die  linke  Hohlvene  mündet  die  grosse  vena 
hepatica  posterior,  in  die  rechte  ein  vom  Rectum  und 
dem  Tintenbeutel  kommender  Venenstamm  und  eine  Ge- 
nitalvene. Gleicher  Weise  öffnen  sich  die  Venen  der 
Flossen  und  die  Mantelvenen  in  die  ven^e  cavae. 

6.  Das  Gefässsystem  der  Wirb  elthier  e. 
Auch  hier  steht  Branchiostoma  isolirt  unter  allen 
Wirbelthieren ,  indem  bei  diesem  Fische  das  Gefässsystem 
wegen  Abwesenheit  des  Herzens,  bei  Contractilität  aller 
grösseren  Gefässstämme  eine  merkwürdige  Uebereinstim- 
mung  mit  dem  Circulationsapparate  der  Anneliden  zeigt. 
Ein  grösserer,  unter  der  Kiemenhöhle  gelegener  Stamm 
ersetzt  das  Kiemenherz  der  übrigen  Fische;  er  empfängt 
das  Blut  aus  dem  Hohlvenenstamme   und  treibt  es  durch 


3.  Kap.    Das  Gefässsyslein.  247 

zahlreiche  kleine  Bulbillen  in  die  Kiemenarterien,  deren 
man  25  bis  50  zählt.  Aus  den  Kiemen  sammelt  sich  das 
Blut  in  eine  Körperaorta ,  über  dem  Kiementhorax ,  zu 
welchem  auch  vorn  zwei  lierzartige  Aortenbogen  aus  der 
das  Kiemenherz  repräsentirenden  Röhre  führen.  Ausser 
diesen  erwähnten  Gefässen  gehört  zu  den  grösseren  con- 
tractilen  Stämmen  ein  an  der  Bauchseite  des  Intestinum 
gelegenes  Pfortaderlierz.     Ein  Herzbeutel  ist  nicht  da. 

D  e  r  H  e  r  z  b  e  u  t  e  1.    D  a  s  H  e  r  z.    D  i  e   i  n   d  a  s    H  e  r  z  ni  ü  n  d  e  ii- 
den  und  aus  dem    Herzen  kommenden  Stämme. 

Das  Herz  der  Wirbelthiere  ist  mit  einem  Herzbeu- 
tel versehen,  dem  der  Herzbeutel  der  Mollusken  analog 
ist,  mit  dem  man  aber  nicht  den  venösen  Sinus  der  Cru- 
staceen  verwechseln  darf.  In  ihm  liegt  das  Herz  gewöhn- 
lich in  der  Art,  dass  der  sich  (wie  eine  Zipfelmütze)  ein- 
stülpende Herzbeutel  auch  einen  unmittelbaren  üeberzug 
bildet.  Bei  den  Cyclostomen  (mit  Ausnahme  von  Pe- 
tromyzon)^  den  Stören,  Chimären  und  Plagiostomen  com- 
municirt  die  Herzbeutelhöhle  durch  eine  Klappe  oder 
Röhre  mit  der  Bauchhöhle. 

Fische.  Das  an  der  Kehle,  zwischen  den  Seiten- 
theilen  des  Schultergürtels  und  unter  dem  Kiemengerüst 
gelegene  Herz  der  Fische  ist  Kiemenherz;  es  em- 
pfängt das  venöse  Blut  des  Körpers  und  treibt  es  in  die 
Kiemen,  von  wo  es  nicht  zum  Herzen  zurückkehrt,  son- 
dern in  die  Körperarterien  übergeht.  Es  besteht  aus 
einer  Vorkammer  und  einer  Kammer;  nur  bei  Lepi- 
dosiren  finden  sich  zwei  Vorkammern ,  eine  linke  für  das 
Lungenvenenblut,  eine  rechte  für  das  Körpervenenblut. 
Der  auf  die  Kammer  folgende  Arterienstiel  (trimcus 
s.  bulbm  arteriosiis)  bietet   wichtige  fundamentale  Unter- 


248  m»  Absclin.    Die  Organe  der  Ernährung. 

schiede  dar.  Bei  den  Cyclostomen  und  den  eigentlichen 
Knochenfischen  sind  an  der  Uebergangsstelle  zwei  Klap- 
pen, welche  den  Rücktritt  des  Blutes,  in  die  Kammer 
hindern.  Von  den  Cyclostomen  unterscheiden  sich  aber 
die  Knochenfische,  dass  bei  diesen  die  contractile  Ge- 
fässschicht,  welche  durch  die  Kiemenvenen  und  Körper- 
arterien geht,  eine  beträchtliche  Anschwellung  bildet. 
Bei  den  übrigen  Knorpelfischen  aber  und  den  Ganoiden 
sind  im  biilbus  arteviosus  selbst  drei  bis  sechs  Klappen- 
reihen angebracht,  und  der  bulbus  hat  einen  eigenthümli- 
chen ,  sehr  plötzlich  aufhörenden  Muskelbeleg  von  der- 
selben Beschaffenheit  wie  die  Muskelsubstanz  des  Herzens, 
woraus  sich  ergiebt,  dass  man  den  bulbus  arteviosus  der 
genannten  Fische  nicht  als  gleichbedeutend  mit  dem 
bulbus  arteviosus  der  Cyclostomen  und  der  eigentlichen 
Knochenfische ,  sondern  als  eine  wirkliche  Herzabtheilung 
betrachten  muss. 

Der  aus  dem  tvuncus  avteviosus  hervorgehende  Kie- 
menarterienstamm  gicbt  rechts  und  links  die  Kiemenarte- 
rien ab.  Die  Kiemenvenen  treten  zur  Bildung  der  aovta 
descendens  zusammen ,  nachdem  sie  bei  den  meisten  Fi- 
schen schon  die  Caroditen  und  andere  für  das  Herz,  das 
Zungenbein,  den  Kiemenapparat  u.  s.  w.  bestimmte  Ar- 
terien abgegeben.  Indem  bei  den  Knochenfischen  die  aus 
der  Vereinigung  der  Kiemenvenen  entstandenen  Bogen 
sich  auch  vorn  unter  der  basis  cvanii  vereinigen ,  entsteht 
der  sogenannte  civculus  cephalicus  s.  avteviosus.  Indem 
sich  bei  Amphipnous  die  Venen  der  Athemsäcke,  so  wie 
die  Venen  des  2.  und  3.  Kiemenbogens  nicht  in  die  Aorta, 
sondern  in  die  venae  iugid.  ergiessen ,  erhält  das  Herz 
dieses  Fisches,  sowie  der  Dipnoi  und  der  Amphibien 
nicht  blos  venöses,    sondern  auch   arterielles  Blutj   auch 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  249 

werden  bei  diesem  Fische  alle  Weichtheile  des  Kopfes 
aus  dem  Kiemenarterienstamme  mit  Blut  versorgt.  Letz- 
teres geschieht  auch  bei  der  dem  Amphipnons  nahe  ste- 
henden Gattung  ßlonopterus ,  obgleich  ihm  die  Athemsäcke 
fehlen.  Hier  respiriren  vielleicht  die  Capillaren  der 
Mund-  und  Schlundschleimhaut  (Hyrtl). 

Nackte  Amphibien.  Die  mit  Kiemen  athmenden 
Batrachierlarven  und  Perennibranchiaten  schliessen  sich 
mit  ihrem  Kreislauf  eng  an  die  Fische  an ,  indem  sich 
Klappenreiben  im  bulbiis  avteriosus  finden,  und  die  venae 
branchiales  nicht ,  wie  die  Lungenvenen ,  zum  Herzen  zu- 
rückkehren, sondern  nach  Abgabe  der  Arterien  für  die 
vorderen  Körpertheile  sich  zu  einer  aorta  descendens 
vereinigen. 

Das  Herz  der  nackten  Amphibien  hat  zwei,  nur  bei 
Proteus  nicht  vollständig  getrennte  Vorkammern  und  eine 
einfache  Kammer.  Die  linke  Vorkammer  empfängt  das 
Lungenvenenblut ,  die  rechte  das  Körpervenenblut,  und 
beide  Blutarten  werden  aus  der  Kammer  von  einem  trun- 
ctis  avteriosus  aufgenommen,  aus  welchem  ausser  den 
Lungenarterien  und  mit  Abgabe  der  Carotiden  und  eini- 
ger anderen  für  den  Kopf  bestimmten  Arterien  ein  oder 
mehrere  Paare  Aortenbogen  entspringen;  diese  vereinigen 
sich  zur  aorta  descendens. 

Indem  bei  der  Systole  zuerst  die  grössere  Menge  des 
venösen  Blutes  in  den  rechts  entspringenden  Bulbus  art. 
und  von  da  durch  die  Lage  der  unvollkommenen  Schei- 
dewand dieses  bulbus  und  einer  an  der  Abgangsstelle  des 
Aortabogens  liegenden  Klappe  (Brücke)  in  die  Lungen- 
arterien gedrängt  wird ,  worauf  bei  zunehmender  Span- 
nung  die   Wege   in   die   eigentlichen    arteriellen   Gefässe 


250  III«  Absclin.    Die  Organe  der  Ernährung. 

dem  arteriellen  Blute  sich  öffnen,    findet  keine  beträcht- 
liche Mischung  der  beiden  Blutarten  statt. 

Beschuppte  Amphibien.  Bei  den  beschuppten 
Amphibien  sind  zwei  Vorkammern  und  Kammern  vorhan- 
den, letztere  communiciren  jedoch  in  den  meisten  Fällen 
mit  einander,  und  nur  bei  den  Krokodilen  findet  sich  ein 
vollständig  geschlossenes  septum  ventricnlorum.  Das  Lun- 
genvenenblut  tritt  in  die  linke  Vorkammer  und  aus  die- 
ser in  die  linke  Kammer,  welche  es  gewöhnlich  in  die 
rechte  Kammer  treibt.  In  diese  strömt  auch  das  venöse 
Blut  aus  der  rechten  Vorkammer  und  sowohl  die  Aorten- 
bogen als  die  Lungenarterien  entspringen  aus  ihr.  Durch 
Klappenvorrichtungen  ist  es  jedoch  möglich  gemacht,  das 
Blut  zum  Theil  abzusperren  und,  jenachdem  das  Thier 
athmet  oder  nicht  athmet,  und  die  Kammer  mehr  mit  ar- 
teriellem oder  mit  venösem  Blute  gefüllt  ist,  das  Blut 
zum  Eintritt  in  die  Körper-  oder  Lungenarterie  zu  ver- 
mögen. Die  Arterienbogen  entspringen  bald  getrennt  aus 
der  Herzkammer,  wie  bei  einem  Theile  der  Schildkröten, 
wo  der  rechte  bald  nach  seinem  Ursprünge  einen  Stamm 
für  die  vorderen  Körpertheile ,  die  linke  aber  mehr  an 
der  Stelle,  wo  sie  sich  mit  der  rechten  zur  Aorta  ver- 
einigt, die  coeliaca  abgiebt,  und  bei  den  Ophidiern,  wo 
auch  vor  der  Vereinigung  zur  Aorta  mehrere  Arterien- 
stämme abgehen.  Bei  einem  anderen  Theile  der  Schild- 
kröten und  den  Sauriern  ist  ein  truncus  arteriosus  vor- 
handen, aus  welchem  bei  den  Sauriern  jederseits  zwei 
Aortenbogen  entspringen,  die  sich,  nach  Bildung  einer 
rechten  und  einer  linken  Aortenwurzel ,  zur  aorta  desceri' 
dens  vereinigen.  Trotz  der  geschlossenen  Herzscheide- 
wände gelangt  auch  bei  den  Krokodilen  kein  rein  arte- 
rielles   Blut   in  den   Körper,    indem   die  aus   der  linken, 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  251 

also  rein  arterielles  Blut  enthaltenden  Kammer  kommende 
aorta  dextra  an  ihrem  Ursprünge  mit  der  venöses  Blut 
führenden  und  der  rechten  Kammer  angehörigen,  aber 
schwächeren  aorta  sinutra  communicirt.  Die  Krokodile 
haben  sich  jedoch  dem  Typus  der  Vögel  und  Säugethiere 
am  meisten  genähert. 

Vögel  und  Säugethiere.  Erst  bei  ihnen  ist 
eine  vollkommene  Scheidung  des  arteriellen  und  venösen 
Systems  eingetreten,  und  nie,  wenigstens  nicht  bei  aus- 
gewachsenen Thieren,  communiciren  die  Herzabtheilungen, 
zwei  Kammern  und  zwei  Vorkammern  mit  einander.  Bei 
den  Vögeln  nimmt  der  den  linken  an  Ausdehnung  über- 
treffende rechte  Vorhof  die  drei  Hohlvenen  auf;  aus  der 
rechten  Kammer,  welche  gegen  den  Vorhof  durch  eine 
lange,  dicke,  muskulöse  Klappe  geschlossen  wird,  geht 
die  Lungenarterie  ab,  geschieden  durch  drei  vahulae  se- 
milunares.  Die  beiden  Lungenvenen  ergiessen  ihr  Blut 
in  die  linke  Vorkammer.  Der  Eingang  aus  dieser  in  die 
linke  Kammer  ist  mit  einer  dünnhäutigen  zweizipfeligen 
Klappe  versehen,  und  die  durch  ihre  ausserordentlich 
dicken  Wandungen  sich  auszeichnende  linke  Kammer  hat 
am  Eingange  in  die  Aorta  auch  drei  halbmondförmige 
Klappen.  Das  Herz  der  Säugethiere  stimmt  noch 
mehr  im  Wesentlichen  mit  dem  menschlichen  überein, 
Bemerkenswerth  ist  die  sinusartige  Erweiterung  der  ar- 
teria  pulmonalis  vieler  Taucher  (Delphin,  Seehund  u.  a.), 
Sie  dient  zur  Ansammlung  des  venösen  Blutes^  während 
das  Thier  unter  Wasser  ist  und  nicht  athmen  kann. 

Accessorische  Herzen  kommen  sowohl  an  dem 
Arterien- ,  als  an  dem  Venensystem  vor.  Hierher  gehört 
die  muskulöse  Anschwellung  an  der  arteria  axillaris  der 
Chimären  und  Torpedo.     Ein  Venenherz  sehen  wir  an  der 


252  ni.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Vena  caudalis  von    AnguWa   und  Muraenophis^  ein  Pfort- 
aderherz bei  den  Myxinoiden. 

Allgemeine  Uebersicht  über  das  Arteriensystem. 
Die  Natur  hat  uns  in  der  Umwandlung  der  Kiemen- 
athmung  in  die  Lungenathmung  bei  den  nackten  Amphi- 
bien und  in  der  Entwicklung  des  Gefässsystems  der  hö- 
heren Thiere  die  Mittel  in  die  Hand  gegeben,  das  Äor- 
tensystem  der  Fische  mit  den  Lungengefässen  und  den 
Aorten  der  Luftathmer  zu  vergleichen.  Indem  die  Kie- 
men mit  den  auf  und  an  ihnen  verlaufenden  Gefässen  eine 
Rückbildung  erleiden  und  verschwinden ,  zu  gleicher  Zeit 
aber  die  vorher  sehr  unbedeutenden  Communicationszweige 
zwischen  Kiemenarterien  und  Kiemenvenen  stärker  ge- 
worden sind,  entstehen  mehrere  Paare  von  Gefässbogen. 
Das  vordere ,  ohne  sich  zu  vereinigen ,  giebt  die  Arterien 
für  Hals  oder  Kopf  ab;  das  oder  die  hinteren  Paare  tre- 
ten zur  Bildung  der  aorta  descendens  zusammen.  Aus 
einem  dieser  Bogenpaare  sind  auch  die  Lungenarterien 
entsprungen,  deren  Wachsthum  mit  der  Ausbildung  der 
Lungen  vorwärts  schreitet,  und  deren  Entstehung  später 
jederseits  durch  einen  ductus  arteriostis  Botalli,  d.  h.  ei- 
nen Verbindungszweig  zwischen  Lungenarterie  und  Aorta 
angezeigt  wird.  Auch  bei  den  Embryonen  der  höheren 
Thiere  finden  sich  Anfangs  mehrere  Aortenbogen,  aus 
welchen  sowohl  die  Lungenarterien  als  die  Gefässe  der 
vorderen  Körpertheile  gehen.  Erst  später  treten  die 
Lungenarterien  bis  zum  Herzen  zurück  und  communiciren 
dann  nicht  mehr  mit  der  Aorta.  Die  Vögel,  Säugethiere 
und  der  Mensch  behalten  nur  einen  Aortenbogen  übrig. 
So  sind  also  alle  diejenigen  Gefässe,  welche  von  den 
Kiemenvenen  vor  ihrer  Vereinigung  zur  Aorla  abgegeben 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  253 

werden,  denjenigen  Arterien  der  höheren  Thiere  analog, 
welche  im  Fötalzustande  derselben  aus  den  Aortenbogen 
kamen  oder  aus  dem  bleibenden  Aortenbogen  entspringen. 
Wiewohl  die  Aorta  die  vornehmste ,  die  Wirbelsäule 
begleitende  Arterie  ist,  giebt  es  doch  noch  andere,  längs 
der  Wirbelsäule  verlaufende  Arterien ,  welche  besondere 
Systeme  bilden,  die  theils  zusammen  vorkommen,  theils 
sich  ersetzen,  und  durch  deren  allgemeine  Betrachtung 
erst  die  Anordnung  des  Arteriensystems  beim  Menschen 
sich  begreifen  lässt*). 

1.  System  der  arter ia  subvertebralis  impar.  So  wird 
die  Arterie  bezeichnet,  welche  bei  allen  Wlrbelthieren 
gewöhnlich  aorta  descendens  genannt  wird ,  bei  den  Myxi- 
noiden  aber  auch,  aus  den  Kiemenvenen  entstehend,  als 
aorta  ascendens  unmittelbar  nach  vorn  sich  fortsetzt. 

Hierher  gehören  also:  aorta  descednens, 

arteria  sacralis  media  s.  caudalisj 
arteria  vertebralis  impar  (Schlangen, 

Myxinoidenj , 
arteria  vertebralis  media  capitis  (My- 

xinoiden). 

Aus  diesem  System  werden  vorzugsweise  die  Einge- 
weide versorgt. 

2.  System  der  arteriae  subvertebrales  laterales^  zwei 
Stämme,  welche  durch  ihre  Lage  zur  Seite  der  subver- 
tebralis impar  und ,  Avie  diese ,  unter  der  Wirbelsäule, 
unter  und  vor  den  Rippenköpfchen ,  bestimmt  werden. 


*)  Wir  halten  uns   hierbei  an    die   Darstellung  von  J.  Müller 
in  der  unten  citirten  Schrift. 


254  'II-  Absclm.    Die  Organe  der  Ernährung. 

arteria   cervicalis  profunda  \ 
inier  CO  stalis  prima  |  Mensch 

iliolumbalis  \  und  Säu- 

sacra  lateralis  |  gethiere, 

caroiides  J 

subvertebrale  Stämme  der  Kopfarterien 
der  Fische  (cirailus  cephalicus). 

3.  System  der  arteriae  vertebrales  laterales  5.  trans- 
versales, Sie  liegen  über  den  Rippenköpfchen  oder  im 
Kanal  der  Querfortsätze. 

arteria  vertehralis   (Mensch,    Säugeth., 

Vögel ,  Krokodile). 
art  intercostalis  communis  anterior  und 
posterior  (Vögel,  Schildkröten). 
Die   intercostalis  prima   des  Menschen   ist  also  nicht 
der  art.  intercostalis  comm.  anterior  der  Vögel  und  Schild- 
kröten analog.     Beide   ersetzen   sich  in  der  Abgabe  von 
Intercostalästen. 

4.  System  der  arteriae  spinales  anteriores  und  po- 
steriores am  Rückenmark.  Diese  Arterien  können  aus  je- 
dem der  drei  erstgenannten  Systeme  entspringen ;  sie  be- 
geben sich  durch  die  Intervertebrallöcher.  So  allgemein 
aufgefasst,  muss  man  die  carotis  cerebralis  mit  ihren  Ver- 
zweigungen hierher  rechnen,  analog  den  arteriae  spinales 
der  Wirbelsäule. 

5.  System  der  arteriae  epigastricae. 

Unpaarige  epigastrica  descendens  aus 
den  Kiemenvenen  einiger  Fische  (Lu- 
cioperca,  Aspro). 

Paarige  epigastrica  asceudens  und  de- 
scendens aus  der  subclavia  von  Esox. 

mammaria  interna  siv.  epigastrica  an- 
terior und 

epigastrica  inferior  der  übrigen  Wir- 
belthiere. 


3.  Kap.    Das  Gefasssystem.  255 

6.     System  der  arteriae  intercostales. 

iniercostales   ventrales ,    aus   den    epi- 

gastricaej 
iniercostales    dorsales,     verschiedenen 

Ursprungs. 

Allgemeine  Uebersicht  über  das  Venensyslem  *). 
In  allen  Wirbelthieren  findet  sich  ursprünglich  die- 
selbe oder  eine  nur  wenige  Abweichungen  zeigende  An- 
lage des  Venensystems,  die  indessen  nur  bei  den  Fischen 
persistent  bleibt,  bei  den  übrigen  aber  sehr  bedeutende 
Veränderungen  erleidet.  Die  Embryonen  der  Wirbelthiere 
haben  zwei  Paar  Venenstämme,  von  denen  man  das  vor- 
dere die  Jugularvenen  oder  vorderen  Kardinal- 
venen, das  hintere  die  hinteren  Kardinalvenen 
oder  auch  blos  Kardinal venen  nennt.  Indem  beide 
Stämme  jeder  Seite  sich  vereinigen,  bilden  sie  zwei  quere 
Stämme,  die  ductus  Cavieri,  welche,  zu  einem  gemein- 
samen Gange  vereinigt,  sich  in  die  ursprünglich  einfache 
Vorkammer  des  Herzens  ergiessen.  Bei  den  Fischen 
bleibt  der  linke  Stamm  der  hinteren  Kardinalvenen  gegen 
den  rechten  zurück  und  dieser  letztere  allein  hängt  spä- 
ter mit  der  oder  den  beiden  Schwanzvenen  {vena  caudal, 
profunda)  zusammen.  Eine  Asymmetrie  wird  bei  den 
Fischen  herbeigeführt,  indem  die  hinteren  Kardinalvenen, 
zu  einem  gemeinschaftlichen  Körpervenenstamm  vereinigt, 
mit  der  vena  iugidavis  sinistra  einen  sinus  venosus  bilden, 
in  welchen  sich  die  vena  iugidaris  dextra  einsenkt. 

Bei  den  Schlangen  bleiben  von  den  Kardinalvenen, 
nachdem  sie  sich  von  den  ductus  Cuvieri  losgelöst,  nur 
die  sogenannten  venae  renales  advehentes  als  Fortsätze  der 


*)  Nach  J.  Müller  und  H.  Rathke  in  den  unten  cit.  Schriften. 


256  III.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

venu  caudalis  übrig,  mit  denen  bei  den  Fröschen,  Ei- 
dechsen und  Krokodilen  sich  die  Venen  der  Hinter- 
beine verbinden.  Bei  den  Vögeln  gehen  die  Reste  der 
hinteren  Kardinalvenen  als  venae  renales  advehentes  in 
die  venae  iliacae.  Bei  den  Säugethieren  gehen,  nach- 
dem die  hinteren  Hälften  der  hinteren  Kardinalvenen  ver- 
schwunden, die  Schwanzvenen  in  die  unterdessen  ent- 
standenen vetiae  hypogastricae  über«  Die  vorderen  Hälften 
der  Kardinalvenen  verschwinden  nicht  gänzlich  und  wer- 
den zum  oberen  Ende  der  vena  azygos  und  hemiazygos, 
die  bei  mehreren  Säugethieren  (Schwein,  Wiederkäuer 
u.  a.)  getrennt  bleiben. 

Bei  den  Schlangen,  Vögeln  und  Säugethie- 
ren verkürzt  sich  der  gemeinsame  Kanal  der  Cuvier'- 
schen  Gänge  und  wird  in  die  sich  erweiternde,  ur- 
sprünglich einfache  Vorkammer  mit  aufgenommen,  so  dass 
dann  jeder  Gang  für  sich ,  nach  Entstehung  der  Scheide- 
wand ,  in  das  rechte  atrium  mündet.  Sie  erscheinen  dem- 
nach bei  den  Amphibien,  Vögeln  und  einigen  Säugethieren 
(Fledermaus,  Ratte,  Kaninchen  u.  a.)  als  die  zwei  obe- 
ren Hohlvenen.  Bei  anderen  Säugethieren  bildet  sich 
zwischen  den  venae  iugulares  eine  Anostomose ,  der  Theil 
der  linken  lugularvene  zwischen  der  Anastomose  und  dem 
ductus  Cuvieri  ihrer  Seite  wird  resorbirt,  daher  nur  der 
rechte  ductus  Cuv.  als  vordere  Hohlvene  auftritt, 
der  linke  aber  als  das  vordere  Ende  der  vena  hemiazygos 
übrig  bleibt.  Bei  den  Thieren  mit  vorderen  Extremitäten 
ergiessen  sich  die  venae  subclaviae  in  die  lugularvenen. 

Die  beiden  Venenstämme  vor  dem  Herzen  bei  den 
Embryonen  vielleicht  aller  Wirbelthiere  sind  die  lugu- 
larvenen, welche  die  Venen  aus  dem  Schädel,  dem  Ge- 
sicht und  der  Zunge  aufnehmen.    Die  meisten  Wirbelthiere, 


3.  Kap.     Das  Gefässsystem.  257 

nämlich  die  Fische,  Frösche,  Schlangen,  Vögel  und  ein 
Theil  der  Säugethiere  (viele  Nager,  Pferd,  Wiederkäuer) 
behalten  jederseits  nur  eine,  der  vena  iugularis  externa 
des  Menschen  entsprechende  Drosselvene;  bei  den  Ei- 
dechsen und  Krokodilen  aber  und  anderen  Säugethieren 
bildet  sich  eine  zweite  Drosselvene  (v.  uiyularis  interna) 
aus  der  ersten  hervor.  Indem  bei  den  Vögeln  die  beiden 
lugularvenen  mit  einander  anastomosiren,  erlangt  ge- 
wöhnlich die  rechte  eine  grössere  V^eite  als  die  linke, 
und  letztere  kann  sogar  (bei  den  Spechten)  ganz  ver- 
schwinden. 

Mit  Ausnahme  der  Fische ,  wo  das  System  der  lugu- 
lar-  und  Kardinalvenen  bleibt,  treten  bei  den  V^irbel- 
thieren  Vertebralvenen  auf,  welche  die  Venen  der  Wir- 
belsäule und  Rippen  aufnehmen ,  die  früher  mit  den  lugu- 
lar-  und  Kardinalvenen  zusammenhingen.  Man  bezeichnet 
sie  als  venae  vertebrales  anteriores  und  ^posteriores ,  die 
sich  jedoch  sehr  verschieden  hinsichtlich  ihrer  Lage  zu 
den  Wirbeln  verhalten,  indem  sie  bald  unter  den  Quer- 
fortsätzen, bald  über  den  Rippenköpfchen  sich  befinden, 
und  die  man,  analog  den  Arterien,  auch  in  mehrere  Sy- 
steme bringen  kann.     So  erhält  man  folgende: 

1.  System  der  paarigen  Subvertebralvenen.  Will 
man  consequent  die  Venen  nach  ihrem  Verhältniss  zur 
Wirbelsäule  gruppiren,  so  darf  man  das  System  der  hin- 
teren Kardinalvenen  der  Fische  nicht  als  dem  System  der 
vena  azygos  und  hemiazygos  der  höheren  Wirbelthiere, 
denen  die  venae  vertebrales  inferiores  der  Batrachier  und 
Ophidier  entsprechen,  fremd  betrachten,  sondern  die  hin- 
teren Kardinalvenen  der  Embryonen  und  dieselben  per- 
sistenten Adern  der  Fische  werden  nur  durch  die  vena 
azygos  und   hemiazygos    wiederholt.     Am  Halse  der  Säu- 

17 


258  in.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

gethiere  sind  die  Analoga  dieser  (von  Müller  wegen 
ihrer  ursprünglichen  Symmetrie  cojijugatae  genannten 
Venen  die  venae  pvofundae  cervicis. 

2.  System  der  venae  vertebrales  laterales  s.  transver- 
sales; liegen  wie  die  gleichbenannten  Arterien  über  den 
Rippenköpfchen  oder  im  Kanal  der  Querfortsätze.  Es 
sind  die  venae  vertebrales  am  Halse  der  Schildkröten,  Vö- 
gel und  Säugethiere  (venae  vertebrales  profnndaej,  die 
venae  vertebrales  posteriores  der  Chelonier ,  Krokodile  und 
Vögel,  welche  hier  für  das  System  der  azygos  auftreten. 

3.  System  der  vena  subvertebralis  media.  Diess  ist 
das  System  der  hinteren  Hohlvene,  welche  sich  bei  den 
Amphibien,  Vögeln  und  Säugethieren  findet,  und  dem 
das  Pfortadersystem  untergeordnet  ist.  Bei  den  Fischen 
wird  das  System  der  unteren  Hohlvenen  allein  durch  das 
Pfortadersystem  repräsentirt. 

Die  Wundernetze. 
Ausser  der  feinen  Zertheilung  der  Gefässe  in  den 
Kapillarnetzen,  zum  Zweck  der  Ernährung,  und  in  den 
Blutdrüsen  ohne  Ausführungsgänge  finden  wir  auch  sehr 
häufig  noch  eine  andere  Art  von  Gefässzertheilung,  die 
schon  längst  unter  dem  Namen  der  Wundernetze  (rete 
mirabile)  bekannt  ist.  Die  Wundernetze  kommen  sowohl 
an  den  Arterien  als  an  den  Venen  vor  und  in  verschie- 
dener Anordnung.  Entweder  geht  das  Gefäss  nur  einmal 
in  die  anastomisirenden  oder  nicht  anastomisirenden  Ka- 
näle des  Wundernetzes  über,  und  diese  zertheilen  sich 
zuletzt  in  die  Kapillaren  (diffuse  oder  unipolare 
Wundernetze,  rete  mirab.  unipolare),  so  dass  das  Wun- 
dernetz nur  einen  Wirbel  hat;  oder  die  Röhren  des 
Wundernetzes  sammeln  sich  wieder  zu  einem  oder  meh- 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  259 

reren  Stämmen,  und  diese  erst  nach  weiterem  Verlauf 
gehen  in  das  Kapillarnetz  über  (bipolare  oder  am- 
phicentrische  Wundernetze).  In  beiden  Fällen  kann 
die  Bildung  des  Wundernetzes  sich  einfach  auf  die  Ar- 
terien oder  Venen  (ret.  mirab.  simplex) ,  oder  auf  Arte- 
rien und  Venen  zugleich  (r.  m.  geminum)  erstrecken,  wo 
dann  die  Zweige  der  arteriösen  und  venösen  Theile  des 
Wundernetzes  zwischen  und  neben  einander  zu  liegen 
pflegen,  so  dass  sie  sich  berühren,  ohne  mit  einander 
zu  communiciren.  Wir  wollen  die  vorzüglichsten  Wun- 
dernetze aufi'ühren. 

1.  Das  Wundernetz  der  Pseudobranchie. 
Die  sogenannten  Nebenkiemen  oder  Pseudobranchien  sind 
gefäss-  und  blutreiche,  den  meisten  Fischen  zukommende 
Organe,  welche  zum  Theil  ein  kiemenartiges  Aussehen 
haben ,  zum  Theil  drüsenartig  sind  und  bei  den  Knochen- 
fischen im  vorderen  und  oberen  Theile  der  Kiemenhöble 
liegen,  bei  den  Plagiostomen  aber  am  vorderen  Rande 
des  Spritzloches  angewachsen  sind.  Die  kiemenartigen 
Pseudobranchien  liegen  frei,  die  drüsigen  sind  von  Haut 
und  Muskeln  bedeckt  und  oft  sehr  versteckt.  Die  feine- 
ren Elemente  beider  Arten  sind  gleich;  es  sind  Feder- 
chen, gebildet  aus  knorpeligen  Stielen,  welche  zwei 
Reihen  von  Blättchen  tragen.  Die  Pseudobranchie  erhält 
arterielles  Blut  von  der  arteria  hyoideo-opercularis  (aus 
der  ersten  Kiemenvene)  oder  vom  circuhis  cephalicus. 
Die  Arterie  vertheilt  sich  in  den  Federchen  in  abwei- 
chender Weise,  als  die  Gefässvertheilung  auf  den  Kie- 
menblättchen  ist,  indem  nicht  ein  feines  Gefässnetz  ge- 
bildet wird,  sondern  der  Arterienzweig  eines  jeden  Blätt- 
chens nur  in  wenigen  Bogen  zur  Vene  gelangt.     Die  Vene 


17 


260  IH«  A.bsclm.    Die  Organe  der  Ernährung. 

der  Pseudobranchie  ist  die  arteria  ophthalmica  magim  für 
die  Chorioidaldrüse  und  die  Chorioidea. 

Die  Pseudobranchie  bietet  also  ein  Beispiel  eines  rete 
mirabile  bipolare  simplex  dar. 

3.  Die  Chorioidaldrüse  der  Fische  und 
die  Wundernetze  der  chorioidea  der  übrigen 
Wirbelthiere.  Die  Chorioidaldrüse  der  Fische  ist 
eins  der  ausgebildetstenj  Wundernetze,  ein  bipolares  Zvvil- 
lingswundernetz.  Sie  steht  in  genauer  Beziehung  zur 
Pseudobranchie,  indem  sie  bei  den  allermeisten  Knochen- 
fischen, welche  letztere  besitzen,  gleichfalls  beobachtet 
ist,  bei  anderen  aber,  die  die  Pseudobranchie  nicht  haben 
(z.  B.  Welse,  Aale),  auch  fehlt.  Nur  die  |Störe  und  Pla- 
giostomen  haben  die  Pseudobranchie  ohne  die  Chorioidal- 
drüse. Die  Vena  ophthalmica  magna  bildet,  ehe  sie  sich 
auf  der  chorioidea  verzweigt ,  ein  amphicentrisches  Wun- 
dernetz, und  zwischen  diesen  Röhren  liegt  das  gleichfalls 
amphicentrische  Wundernetz,  in  welches  die  Chorioidal- 
venen  vor  ihrem üebergange  in  die  vena  ophthalmica  magna 
sich  verzweigen. 

Auch  die  übrigen  Wirbelthiere  haben  Wundernetze 
der  chorioidea  y  aber  diffuse.  Bei  ihnen  ist  die  Chorioi- 
daldrüse das  äussere  Blatt  der  chorioidea,  in  welchem 
die  gröbere  Verzweigung  der  arteriae  ciliares  posteriores 
breves  vor  sich  geht,  und  hieraus  erst  entspringt  das  ei- 
gentliche tiefere  Kapillarnetz  der  Aderhaut.  Mit  den 
Venen  verhält  es  sich  ebenso. 

3.  Die  Wundernetze  der  Karotiden.  Die 
aus  der  ersten  Kiemenvene  entspringenden  Karotiden  der 
Plagiostomen  bilden  in  der  Gegend  der  Augenhöhlen  ein 
amphicentrisches  Wundernetz.  Diess  ist  auch  bei  den 
Vögeln  an  dem  für  die  Augen  bestimmten  Aste  der  caro- 


3.  Kap.     Das  Gefässsyslem.  261 

tis  interna  häufig.  Bei  den  Säugethieren  ist  es  namentlich 
die  carotis  cerebralis  (Wiederkäuer ,  Pachydermen),  wel- 
che im  Inneren  des  Schädels  in  ein  bipolares  Wundernetz 
übergeht.  Ein  sehr  schönes  Wundernetz  wird  bei  der 
Katze  durch  die  inneren  Gesichtsarterien  gebildet  hinten 
in  der  Augenhöhle. 

Die  art.  sphenopalatina^  eine  unmittelbare  Fortsetzung 
der  carotis,  bildet  bei  denselben  pflanzenfressenden  Säu- 
gethieren, welche  das  carotische  Wundernetz  besitzen 
(Antilope,  Capra ,  Geis,  Cerviis,  Bos,  Scrofa  und  wahr- 
scheinlich noch  anderen)  ein  ausgezeichnetes  Nasal  wun- 
dernetz. Dasselbe  überzieht  sämmtliche  Wandungen 
der  Nasenhöhle  mit  Ausnahme  der  Siebbeinzellen ,  d.  h. 
die  der  Berührung  mit  der  eingeathmeten  Luft  ausgesetzte 
Fläche  der  Nasenhöhle,  mit  Ausnahme  der  eigentlichen 
Riechsphäre,  und  unterscheidet  sich  dadurch  von  allen 
übrigen  bisher  bekannt  gewordenen  Wundernetzen,  dass 
die  Kapillargefässe  unmittelbar  von  seinen  Stämmen  ab- 
gehen, während  sie  sonst  durch  allmähliche  Verjüngung 
der  Arterienzweige  entstehen. 

4.  Die  Wundernetze  der  Schwimmblase. 
Das  Gefässsystem  der  Schwimmblase  der  Fische  zeigt 
alle  mögliche  Formen  der  Wundernetze.  Ein  diffuses, 
über  die  ganze  Schwimmblase  ausgebreitetes,  besitzen  die 
Cyprinen;  auch  die  Hechte  haben  diffuse  Wundernetze  in 
Form  von  Wedeln ,  zwischen  denen  das  eigentliche  Ka- 
pillarnetz, aber  in  geringer  Ausdehnung,  sich  befindet. 
Gewöhnlich  aber  sind  diese  Wundernetze  noch  mehr  con- 
centrirt,  indem  es  zur  Bildung  der  sogenannten  rothen 
Körper  oder  Blutgefässkörper  kommt.  Diese  finden  sich 
als  bipolare  Wundernetze  u.  a.  bei  Gadus,  Perca,  Lu- 
cioperca,  am  vollständigsten  bei  den  Aalen. 


262  IH-  Abschn.    DiefOrgane  der  Ernährung. 

5.  Die  Wund  er  netze  am  chylopoetische 
System.  Diese  Wundernetze  geboren  zu  den  vereinzel- 
ten Erscheinungen.  Sie  kommen  namentlich  bei  einigen 
Haien,  den  Thunfischen  und  dem  Schweine  vor. 

Bei  Lamna  comubica  muss  alles  für  Darm,  Magen, 
Leber,  Milz,  Pancreas  bestimmte  Blut  vor  der  Verthei- 
lung  auf  die  Eingeweide  durch  zwei ,  im  obersten  Theile 
der  Bauchhöhle  vor  und  seitlich  vom  Schlünde  liegende 
Wundernetz,  durch  welche  auch  die  Venen  zurückkehren. 
Ein  unipolares  Wundernetz  findet  sich  am  Klappendarm 
von  Squalus  vulpes.  Noch  complicirter ,  als  bei  Lamna 
comubica  ist  die  Bildung  der  retia  mirabilia  bei  den 
Thunfischen ,  indem  bei  ihnen  nicht  nur  der  grösste  Theil 
der  Eingeweidearterien  vor  ihrer  Vertheilung,  sondern 
auch  die  Gefässe  des  Pfortadersystems,  ehe  sie  in  die 
Leber  treten,  durch  die  amphicentrischen  Wundernetze 
gehen.  Die  kleineren  derselben  sind  spindelförmig,  die 
grösseren  gleichen  Kegeln ,  die  mit  ihrer  Basis  der  Leber 
angew^achsen  sind. 

Beim  Schweine  bilden  die  Gekrösarterien  ein  diffuses 
Wundernetz. 

6.  Intercostal wundernetze  werden  bei  den 
ächten  Cetaceen  durch  die  arteriae    intercostales  gebildet. 

7.  Die  Wundernetze  an  den  Extremitäten 
und  im  Schwänze  finden  sich  bei  vielen  Säugethieren; 
so  an  der  arteria  brachialis  der  Cetaceen,  an  der  art. 
brachialis  und  cruralis  mehrerer  Edentaten  (Faulthier, 
Gürtelthier) ,  Tarsier  u.  a.  Bei  den  Raubvögeln,  beson- 
ders Sarcoramphus  gryphus  werden  die  artt.  radialis  und 
cubitalis^  auch  die  brachialis  profunda  und  die  axillaris 
von  einem  dichten  venösen  Netze  umsponnen  und  wie 
von  pinftr    Scheide  umgeben.     An  den  Beinen  von  Carbo 


3.  Kap.    Das  Gefässsystem.  263 

corrn.,  und  Cygnus  olor  umspinnen  venöse  Plexus  einen 
Theil  der  arter.  tibialis.  Am  Schwänze  sind  sie  bei  Myr- 
mecophaga  und  Braclypus  beobachtet.  Auch  die  Venen 
können  daran  Theil  nehmen.  Diese  Netze  gehören  zu  den 
unvollkommensten ,  da  sie  sich  häufig  nur  auf  das  Zer- 
spalten eines  Theils  des  Gefässes  in  eine  nicht  gar  grosse 
Anzahl  Nebenzweige  beschränken,  durch  welche  der 
Hauptstamm  hindurchtritt. 

Den  Nutzen  der  Wundernetze  hat  man  haupt- 
sächlich in  einer  mechanischen,  localen  Verlangsamung 
gesucht,  eine  Erklärung,  die  freilich  für  die  venösen 
Netze  ganz  unbefriedigend  ist.  Allerdings  wird  in  der 
Regel  wegen  der  vermehrten  Reibung  der  Blutlauf  ver- 
langsamt werden.  Damit  aber  wird  ein  reichlicherer 
Stoffwechsel  möglich ,  und  nun  sind  die  venösen  Netze  an 
ihrem  Platze.  Eine  solche  Auffassung  scheinen  z.  B.  die 
Gekröswundernetze  des  Schweines  zu  verlangen.  Anders 
die  Wundernetze  der  Extremitäten  von  Bradypus,  Hier 
scheinen  sie  ein  Mittel  zu  sein,  bei  den  lang  anhalten- 
den Muskelcontractionen  dem  Zusammendrücken  der  Adern 
vorzubeugen  und  den  Blutlauf  ungehemmt  von  Statten 
gehen  zu  lassen.  Aehnliches  wird  für  die  rein  venösen 
Wundernetze  am  Flügel  der  hoch  und  anhaltend  fliegen- 
den Vögel  gelten,  und  auch  an  den  Beinen  der  Vögel 
scheinen  sie  den  Druck  des  tibialis  anterior  und  seiner 
Flechse  paralysiren  zu  sollen. 

Das  Ly  mph  g  ef  äss  sy  s  tem. 

Das  den  Wirbelthieren  (mit  Ausnahme  von  Branchio- 

stoma)  allgemein  zukommende  Lymphgefässsystem  entsteht 

in   Form   eines    Netzwerkes,    das   dem   Kapillarnetz   der 

Blutgefässe  ähnlich  ist,    aber   stärkere   Kanäle  hat.     Die 


264  III.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Lymphgefässchen  finden  sich  in  fast  allen  Organen ,  nur 
in  den  Knochen  und  im  Auge  sind  sie  bis  jetzt  nicht  be- 
obachtet. Die  aus  den  Netzen  hervortretenden  Zweige 
sammeln  sich  zu  grösseren,  in  die  Venenstämme  einmün- 
denden Stämmen. 

Bei  den  Fischen  liegen  ein  oder  mehrere  solcher 
Stämme  unter  der  Wirbelsäule,  andere  unterhalb  der 
Seitenlinie,  zwischen  den  Hälften  des  Seitenmuskels. 
Letztere  münden  sowohl  durch  einen  gemeinschaftlichen 
Sinus  in  die  vena  caudalis,  als,  wie  die  oberen,  in  die 
vorderen  grossen  Venenstämme. 

Bei  den  Amphibien  ist  das  Lymphgefässsystem 
ausserordentlich  entwickelt  und  bildet  häufiger  als  bei  den 
übrigen  Wirbelthieren  grössere  Cysternen ,  oder  die  Blut- 
gefässstämme  werden  von  den  Lymphgefässen  ganz  um- 
hüllt. Sie  sammeln  sich  zu  einem  oder  zwei,  in  die 
vorderen  Venenstämme  einmündenden  cluctus  thoracici. 
Eine  eigenthümliche  Erscheinung  sind  auch  die  Lymph- 
herzen. Es  finden  sich  deren  bei  den  Fröschen  vier, 
bei  den  übrigen  Amphibien  zwei.  Die  vorderen  Lymph- 
herzen des  Frosches  liegen  auf  den  Querfortsätzen  des 
dritten  Wirbels,  unter  dem  hinteren  Ende  der  Schulter- 
blätter. Die  hinteren  aller  Reptilien  liegen  oberflächlich 
oder  auch  verborgen  unter  den  Rückenmuskeln  (z.  B.  bei 
Pseudopus  Pallasii)  in  der  regio  ischiadica.  Ihre  ryth- 
mischen  Contractionen  sind  namentlich  beim  Frosch  leicht 
wahrzunehmen. 

Bei  den  Vögeln  spaltet  sich  ein  grosser,  vor  der 
Aorta  verlaufender  Stamm  in  zwei  ductus  thoracici,  wel- 
che in  die  obere  Hohlvene  gehen.  Ein  anderer,  die 
Kaudallymphgefässe  vereinigender  Stamm  tritt  in  die  seit- 
liche Kaudalvene.     Auch  mehrere  Vögel  (z.  B.  die  Stru- 


3.  Kap.    Das  Gefasssystem.  265 

thionen)  besitzen  ein  contractiles  Lymphherz  an  dem  oben 
erwähnten  Kaudalstarame,  an  dessen  Stelle  bei  den  mei- 
sten nur  eine  häutige  Erweiterung  sich  findet. 

Die  Säugethiere  zeichnen  sich  vor  den  übrigen 
Wirbelthieren  dadurch  aus,  dass  ihr  Lyraphgefässsystem 
sehr  reich  ist  an  sogenannten  lymphatischen  Drü- 
sen (ganglla  lymphalica)^  deren  Yorlioramen  an  der  Hais- 
und Brustgegend  der  Vögel  nicht  sicher  ist.  Diese 
Lymphdrüsen  haben  die  grösste  Aehnlichkeit  mit  den 
amphicentrischen  Wundernetzen  der  Arterien  und  Venen 
und  liegen  meist  ebenso  zerstreut,  aber  doch  an  bestimm- 
ten Orten  vorzugsweise  angehäuft,  wie  beim  Menschen, 
also  namentlich  am  Halse,  in  der  Achsel,  Lendengegend, 
im  Mesenterium.  Besonders  bei  vielen  Raubthieren,  den 
Delphinen  und  Robben  entsteht  durch  die  Vereinigung 
fast  aller  Mesenterialdrüsen  das  von  seinem  Entdecker 
sogenannte  ;9awcrea5  Asellii^  aus  w^elchem  bei  den  Robben 
nur  ein  einziger  Gang,  der  cluctus  Rosenthallanns  führt. 
Aus  einer  unter  dem  Zwerchfell  befindlichen  Lymphcy- 
sterne  gehen  ein  oder  zwei  ductiis  thoracici.  Sind  es 
zwei,  so  vereinigen  sie  sich  bald,  und  dieser  Stamm  tritt 
in  die  linke  Schlüsselbeinvene,  während  kleinere  Zweige 
in  die  rechte  vena  subclavia  und  iugularis  münden. 


Fr.  Will,  Blutgefässsystem  von  Älcyonhim  palmaium.     Fror.  Not. 

B.  28.  1843. 
Mi  Ine -Edwards,    Recherches  pour   servir  ä  Vhistoire  de  la  cir- 

culation  du   sang  chez  les    Annelides.  Ann.  d.  sc.  nat.  2  ser. 

X.  1838. 
Audouin  et  Millne  Edwards,    Recherches  anatomiqiies  et  phy- 

siologiques   sur   la  circulation    daiis    les    Crnstaces.     Ann.  d. 

sc.  n.  XI.  1827. 
Das  Blutgefässsystem   der  Daphnien  ist   sehr  ausführlich  beschrieben 


266  III.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

in  der  Monographie  von  E.  Schodler,  lieber  Acanthocer- 
cus  rigidus,    "W  i  e  g  m  a  n  n's  Archiv  1847. 

G.  Newport,  Oii  the  structur,  relations  and  development  of  the 
nervous  and  circulatory  Systems,  and  on  the  existence  of  a 
compleie  circulation  of  the  blood  in  vessels ,  in  Myriapoda 
and  Macrourou  Arachnida.  Philosophical  transad.  1843. 
S.  auch  Fror.  Not.  B.  28.  1843. 

Verloren,  Memoire  en  reponse  ä  la  question  suivante:  eclaircir 
par  des  observations  nouvelles  le  phenomene  de  la  circula- 
tion dans  les  insectes  etc.  (in  den  Memoires  couronnes  etc. 
par  VAcademie  royale  de  Belgique  T.  19.  1847).  Dasselbe  in 
„Holländische  Beiträge  zu  den  anatomischen  und  physiologi- 
schen Wissenschaften."  Bd.  I.  H.  2. 

M.  Edwards,  Observations  sur  la  circulation.  Ann.  d.  sc.  nat. 
3.  ser.  III.  1845.  p.  257. 

M.  Edwards  et  Valenciennes,  Nouvelles  observations  sur  la 
Constitution  de  VAppareil  circulatoire  chez  les  Molbisces.  l. 
cit.  p.  307.  Fortsetzung  in  t.  III.  p.  341.  ferner  in  t.  VIII. 
1847.  p.  37. 

Langer,  Das  Gefässsystein  der  Teichmuschel.  Denkschr.  d.  Wien. 
Acad.  1854  und  1856. 

J.  Müller,  Vergleichende  Anatomie  der  3Iyxinoiden.  Dritte  Fort- 
setzung,    lieber  das  Gefässsystem.     1841. 

H.  Rathke,  lieber  den  Bau  und  die  Entwicklung  des  Venensystems 
der  W^irbelthiere.  In:  Dritter  Bericht  über  das  naturwissen- 
schaftliche Seminar  zu  Königsberg.     1838. 

J.  Hyrtl,  Beiträge  zur  vergleichenden  Angiologie.  Wien,  1849 
(auch  in  d.  I.  Bande  der  Denkschriften  [der  math.-nat.  Klasse 
d.  k.  Akademie  der  Wissenschaften).  Die  ausgezeichneten 
Fortsetzungen  in  den  folgenden  Bänden. 

Schröder  v.  d.  Kolk  et  Vrolik,  Recherches  sur  les  plexus 
vasculaires  chez  dijferents  animaux.  Ann.  d.  sc.  nat.  1856. 
(Aus  dem  Holländischen.) 

Panizza,  Sopra  il  sisfema   linfatico  dei  retilli  etc.    Pavia y  1833. 

J.  Müller,  lieber  die  Existenz  von  vier  getrennten,  regelmässig 
pulsirenden  Herzen,  welche  mit  dem  lymphatischen  System  in 
Verbindung  stehen,  bei  einigen  Amphibien.  Müll.  Arch. 
1834. 


Viertes   Kapitel. 
Die  Reispirationsor^ane. 


Durch  die  Respirationsorgane  wird  die  atmosphäri- 
sche Luft  mit  der  Ern'ährungsflüssigkeit  oder  dem  Blute 
so  weit  in  Berührung  gebracht,  dass  durch  die  trennen- 
den Membranen  hindurch  ein  Austausch  von  Stoffen,  die 
Oxydation  und  Decarbonisation  des  Blutes  geschehen 
kann.  Mag  nun  aber  die  Luft  unmittelbar  geathmet  wer- 
den, oder  die  dem  Wasser  beigemengte  Luft  zur  Respi- 
ration dienen ,  immer  ist  es  in  den  Respirationsorganen 
auf  eine  Vermehrung  der  Oberfläche  abgesehen ,  die  frei- 
lich auf  eine  ausserordentlich  verschiedene  Weise  erzielt 
werden  kann. 

Die  Wasserathmung  kann  auf  doppelte  Art  ge- 
schehen, durch  Kiemen  und  durch  die  sogenannten  Was* 
sergefässe.  Die  Kiemen  sind  gewöhnlich  äussere  An- 
hänge von  mannichfacher  Form,  in  welchen  das  Blut  die 
atmosphärische  Luft  aufsucht,  während  durch  die  Was- 
sergefässe  das  AVasser  in  grösserer  oder  geringerer  Aus- 
dehnung durch  den  Körper  verbreitet  wird  und  so  mit 
dem  Blute  in  Berührung  tritt,  ohne  dass  dieses  von  sei- 
ner allgemeinen  Körperbahn  abgelenkt  zu  werden  braucht. 
Daher  haben  diese  Wassergefässe  eine  grosse  Aehnlich- 


268  III.  Absclin.    Die  Organe  der  Ernährung. 

keit  mit  den  Athmungs Werkzeugen  der  Insekten,  den 
Tracheen,  durch  welche  die  Luft  in  alle  Körpertheile 
geleitet  wird.  Kann  man  auf  diese  Weise  Tracheen  und 
Wassergefässe  parallelisireUj  so  ist  dies  im  Allgemeinen 
auch  mit  den  Kiemen  und  Lungen  zulässig,  indem  man 
die  nächst  den  Tracheen  für  die  Luftathmung  be- 
stimmten Lungen  nicht  unpassend  mit  eingestülpten  Kie- 
men verglichen  hat,  zu  welchen  das  Blut  in  der  Regel 
auch  in  einer  besonderen  Bahn  tritt.  Dabei  treffen  wir 
zahlreiche  Modificationen ;  so  wird,  um  nur  das  abwei- 
chendste Beispiel  anzuführen,  die  Kieme  der  Holothurien 
völlig  lungenhaft,  indem  sie  ganz  in  das  Innere  des  Kör- 
pers eingestülpt  ist.  In  vielen  Fällen  unterscheidet  sich 
die  Oberfläche  der  Körperanhängsel ,  welche  man  Kiemen 
nennt,  wenig  oder  nicht  von  der  allgemeinen  Hautober- 
fläche, so  dass  alsdann  die  Kiemen  sich  nur  durch  ihren 
grösseren  Blut-  und  Gefässreichthum  auszeichnen.  Und 
so  kann ,  wo  eine  besondere  Kiemenentwicklung  nicht  statt 
findet,  die  Hautbedeckung  selbst,  namentlich  wenn  sie 
eine  zartere  schleimhautartige  Beschaffenheit  angenommen, 
als  Athemorgan  fungiren.  Sie  scheint  jedoch  nur  selten 
das  alleinige  Athemorgan  zu  sein. 

1.     Die  Respirations Organe  der  Echinodermen*). 

Bei  den  Echinodermen  ist  auf  sehr  mannichfache 
Weise  für  die  Athmung  gesorgt,  indem  das  Wasser  theils 
in  die  Leibeshöhle  aufgenommen  wird ,  theils  durch  eigen- 
thümliche  Kanalsysteme  durch  den  Körper  verbreitet, 
theils  auch  durch  besondere  innere,    vielleicht  auch  äus- 


*)  lieber  die   Respirationsverhältnisse  der  Polypen   und  Quallen 
vergleiche  man  oben  Seite  225  ff. 


4.  Kap.    Die  Respirationsorgane.  269 

sere  Kiemen  mit  den  Blutgefässen  in  Berührung  ge- 
bracht wird. 

Das  in  der  Leibeshöhle  der  Echinodermen  enthaltene 
Wasser,  dessen  Aufnahme  theils  auf  endosmotischem 
Wege  geschieht,  wie  bei  den  Asterien  durch  eine  Menge 
contractiler  (geschlossener)  Röhrchen  auf  dem  Rücken, 
theils  direct  durch  besondere  Oeffnungen,  so  bei  den 
Ophiuren  durch  die  Interradialspalten ,  scheint  von  gros- 
ser Wichtigkeit  zu  sein.  Es  bespült  die  Eingeweide  und 
deren  Blutgefässe  unmittelbar  und  wird  durch  Flimmer- 
epithelium  in  bestimmter  Strömung  erhalten. 

Eine  zweite  Athemvorrichtung  ist  in  dem  Wasser- 
gefäss System  gegeben,  dessen  radiäre  Kanäle  sich 
nach  den  Arabulacris  begeben ,  um  die  Ampullen  der  die 
Bewegung  vermittelnden  Ambulacralbläschen  zu  füllen. 
Auf  den  Wänden  dieser  Ampullen  verbreiten  sich  Blut- 
gefässe in  sehr  feinen  Zertheilungen,  und  es  dienen  diese 
Organe  also  zugleich  zur  Athmung.  Die  Radialkanäle 
entspringen  aus  einem  Ringkanal,  der  unweit  des  Mund- 
poles  in  der  Nähe  des  Nervenringes  und  des  Blutgefass- 
ringes  sich  hefindet.  Die  wichtigsten  Anhänge  dieses 
Ringkanales  sind  diejenigen,  durch  welche  das  Wasser  in 
ihn  gelangt;  es  sind  ein,  mehrere  oder  viele  Kanäle, 
deren  Enden  entweder  frei  in  der  Leibeshöhle  flottiren 
oder  von  den  Körperwandungen  ausgehen.  Letzteres  ist 
am  deutlichsten,  wo  eine  oder  mehrere  sogenannte  Ma- 
dreporenplatten  vorhanden,  ein  poröses  Kalkgebilde, 
durch  welches  das  Wasser  von  aussen  unmittelbar  in 
den  zuführenden  Kanal  aufgenommen  wird.  Bei  den 
Asterien  wird  die  Madreporenplatte  durch  den  labyrinthi- 
schen Steinkanal  fortgesetzt.  Als  Analogon  findet 
sich  unter  den  Echinen  bei  Cidaris  ein  in  seinen  Wänden 


370  ni.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

dicht  mit  Kalkplättchen  ausgestatteter,  bei  Echinus  ganz 
weicher  Kanal ,  der  von  der  Madreporenplatte  zum  Mund- 
Wassergefässring  herabsteigt.  Auch  die  Ophiuren  be- 
sitzen diesen  Kanal ,  der  hier  aber  von  einem  Mundwin- 
kel ausgeht;  eine  Madreporenplatte  bemerkt  man  jedoch 
nur  bei  den  Euryalae,  Hierdurch  wird  der  Uebergang 
zu  den  Holothurien  gebildet,  bei  denen  das  Ende  des 
hier  nur  uneigentlicb  so  zu  nennenden  Steinkanals  frei  in 
der  Bauchhöhle  endigt.  Dieses  Ende  ist  bei  den  Molpa- 
dien,  Chirodoten  und  Synapten  mit  einer  madreporen- 
plattenartigen  Krone  versehen.  Bei  den  Crinoideen  scheint 
ein  Analogon  der  Madreporenplatte  in  den  sparsam  porö- 
sen Platten  der  Bauchseite  der  Scheibe  gegeben  zu  sein. 
Als  zweite  Gattung  von  Anhängen  des  Ringkanales 
sind  die  beutel-  oder  schlauchförmigen  sogenannten  Po- 
lischen Blasen  zu  erAvähnen. 

Die  fünf  Paar  tentakelartigen,  contractilen  und  hohlen 
Blättchen  in  der  Nähe  des  Mundes  der  Echinoiden  würde 
man  mit  grösserer  Gewissheit  als  äussere  Kiemen 
anzusehen  haben,  wenn  man  den  Eintritt  der  Blutgefässe 
in  sie  bemerkt  hätte,  was  bis  jetzt  nicht  geschehen. 

Die  Holothurien  haben  innere  Kiemen.  Der 
Stamm  derselben  entspringt  aus  der  Cloake  des  Darmka- 
nals, durch  welche  das  Wasser  aus-  und  eingepumpt 
wird ,  theilt  sich  aber  bald  in  zwei ,  fast  durch  die  ganze 
Leibeshöhle  ragende  Aeste.  Diese  sind  mit  vielen  ver- 
zweigten Blindsäckchen  besetzt,  und  der  eine  von  ihnen 
ist  eng  mit  dem  Darmkanale ,  der  andere  mit  den  Leibes- 
wandungen verbunden. 

2.     Die  Respirationsorgane  der  Würmer. 
Infusorien.     Man  hat  bis  in  die  neuere  Zeit  ganz 


4.  Kap.    Die  Respirationsorgane.  271 

allgemein  aogenommen ,  dass  die  Infusorien  der  besonde- 
ren Athraungswerkzeuge  entbehrten ,  und  dass  ihre  Re- 
spiration lediglich  durch  die  Haut  vermittelt  werde.  Diese 
ist  auch,  zumal  wenn  sie  wimpert,  ganz  zu  diesem  Zweck 
geeignet,  allein  diese  Hautrespiration  scheint  doch  bei 
den  meisten  Infusorien  nicht  auszureichen.  Als  Respira- 
tionsorgane müssen  wir  die  c  ontra  et  i  len  Blasen  an- 
sehen, welche  bei  den  meisten  Arten  verschieden  an 
Zahl  und  Form  beobachtet  worden  sind.  Nach  meiner 
Entdeckung  an  Bursaria  ieucas^  deren  contractiles  Organ 
zahlreiche,  über  den  ganzen  Körper  sich  erstreckende 
Ausstrahlungen  im  Zustande  der  Expansion  besitzt,  findet 
sich  an  der  contractilen  Blase  einer  constanten  Mündung 
nach  Aussen,  und  man  kann  beobachten,  dass  der 
wasserklare  Inhalt  der  Blase  durch  jene  Mündung  ent- 
leert wird ,  und  dass  die  Blase  sich  wieder  von  Neuem 
füllt,  mit  einem  Worte,  dass  sie  ein  Respirationsorgan 
ist,  gleichwertbig  mit  dem  von  mir  bei  den  Turbellarien 
nachgewiesenen  Wassergefässsystem.  Auch  bei  Para- 
maecium  mirelia  habe  ich  die  Oeffnungen  der  beiden  con- 
tractilen sternförmigen  Organe  beobachtet*). 


*)  Die  Richtigkeit  meiner  Beobachtung  einer  Oeffnung  ist  von 
Lieberkühn,  Lach  mann  und  Claparede  (in  Müll.  Arch.  1856 
und  57  und  in  den  ausgezeichneten  Etudes  sur  les  Infusoires  etc. 
Geneve  1858,  die  mir  leider  erst  jetzt,  wo  meine  neue  Auflage 
im  Druck  ist,  zugegangen  sind)  entschieden  in  Abrede  gestellt. 
Die  contractile  Blase  sammt  ihren  Ausstrahlungen  soll  ein  wirkliches 
Gefässsystem  sein.  Nachdem  aber  meine  Entdeckung  u.  a.  durch 
Rood  (Sillm.  Journal  1853.  XV.  ip.  10  an  Paramaecium  aurelia 
bestätigt  ist,  und  Stein,  wie  er  mir  schreibt  und  wie  er  in  einem 
demnächst  erscheinenden  Werke  über  die  Organisation  der  Infusorien 
näher  auseinandersetzen  wird,  die  Oeffnung  an  Bursaria  leucas 
überaus  bestimmt  und  oft  gesehen,  kann  über  das  Vorhanden- 
sein derselben   wohl  kaum  noch  gestritten  werden.    Rood  sowohl 


272  HI-  Absclm.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Strudelwürmer.  Gewiss  findet  bei  allen  Stru- 
delwürmern eine  Hautrespiration  statt.  Besondere  Re- 
spirationsorgane sind  in  allen  Ordnungen,  besonders  aber 
bei  den  Rhabdocölen  in  Form  eines  Wassergefäss- 
systems  erkannt.  Dieses  besteht  in  der  Regel  aus  zwei 
Hauptkanälen ,  die  entweder  gesondert  nach  aussen  mün- 
den (Prostomiim,  Derostomumy  Typhloplana  sulphurea)^ 
oder  vermittelst  starker  Querkanäle  durch  eine  gemein- 
schaftliche Oeffnung  das  Wasser  aufnehmen  (z.  B.  Meso- 
stomum).  Die  feineren  Verzweigungen  dieser  AVasserka- 
näle  sind  namentlich  in  Derostomum  un'qmnctatum  ver- 
folgt. Das  Wasser  wird  in  ihnen  durch  hie  und  da  an- 
gebrachte Flimmerläppchen  in  Bewegung  gesetzt,  doch 
scheint  diess  allein  nicht  auszureichen,  die  Stagnation  zu 
verhüten,  und  um  das  Wasser  gänzlich  zu  erneuen,  zie- 
hen sich  die  Rhabdocölen  oft  plötzlich  zusammen ,  wie 
die  Räderthiere ,  wodurch  die  Flüssigkeit  auf  einmal  aus 
den  Gefässen  gepresst  wird.  Bei  der  Ausdehnung  wird 
dann  frisches  Wasser  eingesogen.  Auch  ist  öfters  an  den 
Stigmen  das  äussere  Flimmerepithelium  besonders  ausge- 
bildet und  thätig,  so  dass  an  diesen  Mündungen  die  den 
ganzen  Körper  umspülende  Wasserströmung  verstärkt  ist. 
Bei  vielen  Mesostomeen  beginnt  das  Wassersystem  mit 
einem  becherförmigen,  contractilen  Schlauche,  wodurch 
das  Ganze  dem  Gefässsystem  der  Cestoden,  und  Trema- 
toden  sehr  ähnlich  wird. 

Den  Körper  der  Dendrocölen  durchzieht  gleich- 
falls ein  mit  Wimperläppchen  in  den  feineren  Verzwei- 
gungen versehenes  Wassergef ässsystem ,  und  ein  solches 
ist   vielleicht  auch    bei   allen  Nemertinen   vorhanden, 

wie  Stein  sind  übrigens  der  Ansicht,  durch  die  Blase  werde  durch 
den  Mund  aufgenommenes  "Wasser  entleert. 


4.  Kap.     Die  Respirationsorgane.  273 

WO  es  bis  jetzt  bei  zwei  Arten,  Prorhynachus  stagnalis^ 
aas  dem  süssen  Wasser,  und  Tesimsiemma  obscurum  ge- 
funden. 

Helminthen.  Bei  den  meisten  Helminthen  ist  keine 
Spur  besonderer  Athemorgane  vorhanden.  Nur  bei  vie- 
len Trematoden  (Diplozoon^  Aspidogaster  u.  a.)  dürfte 
das  verzweigte  Gefässsystem,  in  welchem  in  unregel- 
mässigen Abständen  Flimmerorgane  angebracht  sind,  Was- 
ser führen,  obsciion  dieses,  bei  dem  Mangel  äusserer  OefT- 
nungen,  durch  Endosmose  eingenommen  werden  müsst«. 
Dem  steht  jedoch  nichts  im  Wege,  und  es  würde  dieses 
Wassergefässsystem  sich  ganz  wie  das  stigmenlose  Tra- 
cheensystem vieler  Insektenlarven  verhalten*). 

Ringel  Würmer.  Bei  den  H  ir  udineen  und  Lum- 
bricinen  sind  die  Athemorgane  Wasserge fasse  zu 
beiden  Seiten  des  Darmkanals ,  welche  am  Bauche  nach 
aussen  münden  und  Schleifen  mit  oder  ohne  Erw^eiterung 
oder  vielfach  gewundene,  unregelmässige  Knäuel  dar- 
stellen. In  den  meisten  Fällen  sind  im  Innern  dieser  Ka- 
näle Flimmerorgane  beobachtet.  Bei  der  auf  dem  Krebse 
schmarotzenden  Branchlobdella  finden  sich  vier  schleifen- 
förmige  Organe.  Ihr  Ausführungsgang  geht  in  eine  gelb- 
gefärbte Erweiterung,    auf  welche    mehrere  sich  an  ein- 


*)  Nach  Külliker  (Bericht  von  der  zootomischen  Anstalt  in 
Würzburg)  findet  sich  jedoch  bei  Tristomum  papillosum  Dies. 
neben  dem  geschlossenen  Gefässsystem,  was  derselbe  für  das  eigent- 
liche Blutgefässsystem  hält,  ein  anderes  durch  den  ganzen  Korper 
verzweigtes  Wassergefässsystem,  dessen  zwei  Seitenstämme  an  der 
Bauchseite  nach  aussen  münden.  Uebrigens  könnte  von  einem 
wahren  Wassergefässsystem  und  überhaupt  Athmungsorgan  doch  nur 
bei  denjenigen  Helminthen  die  Rede  sein,  die  wirklich  mit  dem 
Wasser  in  Berührung  kommen,  nicht  bei  den  im  Inneren  der  Organe 
lebenden. 

18 


274  III'    Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

ander  legende  Kanalwindangen  folgen.  Bei  den  übrigen 
Gattungen  dieser  Familie  ist  die  Anzahl  dieser  Kanäle 
grösser  (17  Paare  bei  Sanyulsuga  und  JSephelis).  Die 
gewöhnliche  Angabe ,  dass  bei  ihnen  die  Flimraerläppchen 
fehlen  sollen,  beruht  wohl  auf  mangelhafter  Beobachtung. 
In  den  mit  den  Kiemengefässknäueln  von  Nephelis  vulga- 
ris zusammenhängenden  Blasen ,  welche  Blut  enthalten, 
befinden  sich  die  Blutkörperchen  in  einer  fortwährenden 
tanzenden  Bewegung,  hervorgebracht  durch  ein  eigen- 
thümliches,  mit  Flimmern  besetztes,  rosettenförmiges  Or- 
gan. Die  auch  bei  den  Lumbricinen  in  grösserer  An- 
zahl vorhandenen  Kanäle  bilden  hier  in  der  Regel  viel- 
fach verschlungene  Knäuel,  in  welchen  man  daher  die 
Flimmerbewegung  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  be- 
merkt. Man  überzeugt  sich  am  leichtesten  bei  den  Naiden, 
dass  das  freie  Ende  der  Kanäle  in  die  Leibeshöhle  sich 
öffnet.  Das  Verhältniss  dieser  Gefässe  zu  den  Blutge- 
fässen und  zu  der  in  der  Leibeshöhle  dieser  Würmer 
enthaltenen  Ernahrungsilüssigkeit  (vergl.  oben  S.  234)  ist 
aber  durchaus  noch  nicht  genügend  aufgeklärt. 

Die  äusseren  Kiemen  der  übrigen  Ringelwürraer 
sind  an  den  verschiedensten  Körperabschnitten  und  in 
mannichfacher  Gestalt  angebracht.  Es  sind  Fäden  und 
einfache  oder  verästelte  Läppchen  und  Bäumchen ,  die 
häufig  contractu  und  entweder  ganz  mit  Flimmerepithe- 
lium  überzogen  oder  nur  mit  einigen  Cilienreihen  verse- 
hen sind. 

Die  Kiemen  mancher  Capitibranchiaten  liegen 
am  Kopfende  in  der  Ebene  der  Körperaxe  und  bestehen 
aus  einem  oder  zwei  gefiederten  Stämmen  (Sabella^  Ser- 
pula),  während  andere  Kopfkiemer  die  gefiederten  oder 
baumförmigen  Kiemen  im  Nacken  haben  (Amphitrite,  Te- 


4.  Kap.     Die  Rcspiralionsorgane.  275 

rebella).  Die  vielgestaltigen  Kiemen  der  Dorsibran- 
chiaten  stehen  paarweise  auf  den  meisten,  namentlich 
auf  den  mittleren  Körperabschnitten.  Sie  sind  bei  den 
Ariel  den  und  Nereiden  zu  einfachen  Blättchen  ver- 
kümmert und  scheinen  den  Aphroditen  ganz  zu  feh- 
len. Bei  diesen  wird  aber  wahrscheinlich  die  Kiemenre- 
spiration durch  Aufnahme  von  Wasser  in  die  Leibeshöhle 
ersetzt.  Darauf  deutet  das  den  gesammten  Bauchraura 
überziehende  Flimmerepithelium  hin,  auch  sind  unter  dem 
Rückenfilze  zahlreiche  offene  Röhrchen  beobachtet,  wel- 
che das  Wasser  ein-  und  auslassen. 

3.     Die  Respirationsorgane   der  Arthropo  den. 

Räderthiere.  Fast  ausnahmslos  finden  sich  Inder 
Leibeshöhle  der  Räderthiere  ein  Paar  längs  der  beiden 
Seiten  verlaufende  Kanäle  mit  zelliger  Wandung,  deren 
Ausläufer  die  sogenannten  Zitterorgane  sind.  Letztere 
sind  entweder  cylindrisch  oder  münden  trompetenförmig. 
Immer  nämlich  scheinen  sie  nach  der  Leibeshöhle  offen 
zu  sein,  und  inwendig  haben  sie  mehrere  Flimmerläpp- 
chen. Ihre  Zahl  übersteigt  selten  zehn ;  nur  in  einigen 
Species  von  Notomata  (myrmeleo ,  syrinx  u.  a.)  ist  sie 
sehr  vermehrt,  und  dann  sitzen  die  Zitterorgane  auf  ei- 
nem besonderen  Aste  der  Respirationskanäle.  Das  so 
beschaffene  Röhrensjstem  jeder  Seite  mündet  in  eine  con- 
tractile ,  mit  der  Cloake  in  Verbindung  stehende  Blase. 
Den  Vergleich  mit  einem  wirklichen  Athemorgan  hält  die- 
ser Apparat  nicht  aus ,  vielmehr  dürfte  er  dazu  dienen, 
das  durch  noch  nicht  entdeckte  Oeffnungen  oder  durch 
Endosmose  in  die  Leibeshöhle  gedrungene  und  mit  der 
Blutflüssigkeit  zum  Zweck  respiratorischen  Austausches 
vermischte  Wasser  wieder    aus  dem  Körper  zu  schaffen, 

18  * 


276  HI-  Abschn.     Die  Organe  der  Ernährung. 

jedoch  will  Colin  ein  regelmässiges  Aus-  und  Einpum- 
pen von  Wasser  vermittelst  der  contractilen  Blase  beob- 
achtet haben. 

Unerklärlich  ist  übrigens,  wenn  keine  besondern  Oeff- 
nungen  vorhanden  sind  ,  die  Möglichkeit  des  plötzlichen 
totalen  Zusammenschnellens  vieler  Räderthiere.  Alle 
diese  Verhältnisse  haben  in  der  Abtheilung  der  Glieder- 
thiere  kaum  ein  Analogon  ,  wohl  aber  bei  den  Würmern 
(Respirationskanäle  der  Lumbricinen  und  Hirundineen). 

Crustaceen.  Die  Crustaceen  athmen,  mit  Aus- 
nahme nur  ganz  einzelner  Isopoden  vermittelst  Kie- 
men, deren  Bildung  aber  so  mannichfaltig  ist,  wie 
wir  sie  kaum  in  einer  anderen  Klasse  wiederfinden.  Häu- 
fig werden  diese  Kiemen  nur  durch  eine  Verdünnung 
der  Körperbedeckung  hervorgebracht,  ohne  dass  diese 
zu  besonderen  Anhängen  sich  gestaltete ;  gewöhnlich 
aber  sind  die  Kiemen  selbständige  Organe,  in  wel- 
che das  Blut  durch  besondere  Nebenbahnen  geleitet  wird, 
und  an  denen,  wenn  sie  sich  nicht  selbst  bewegen,  der 
Wasserwechsel  bei  AbN^esenheit  der  Flimmerorgane  durch 
besondere  Strudelwerkzeuge  bewirkt  wird.  Sehr  häufig 
sind  sie  an  den  Füssen  befestigt.  Wenn  die  Körperbe- 
deckung selbst  in  grösserer  oder  geringerer  Ausdehnung 
zur  Kieme  wird ,  indem  sie  eine  dünnere  Beschaffenheit 
annimmt  oder  Blätter  und  Falten  bildet,  begeben  sich  in 
diese  Stellen  kleine ,  ganz  wandungslose ,  verzweigte 
und  nur  durch  sparsames  Parenchym  getrennte  Blutström- 
chen.  Diess  ist  z.  B.  der  Fall  bei  den  meisten  Lophy- 
ropoden;  auch  gehört  in  diese  Kategorie  der  Kiemen 
das  häutige  Kopfschild  der  Caligiden,  die  Schwanz- 
blätter und  Seitentheile  des  Rückenschildes  von  Argidus, 
das  Rückenschild  von  Apus.     Bei  mehreren  Lophyropoden 


4.  Kap.    Die  Respirationsorgane.  277 

(z.  B.  Daphnia,  Acanthocerctis)  nehmen  die  Endglieder 
mehrerer  Fusspaare  eine  blattförmige  Gestalt  an  und  wer- 
den zu  wahren  Kiemen ,  indem  sie  besondere  Blutström- 
chen  empfangen  und  durch  fortwährende  pendelnde  Be- 
wegung das  Wasser  erneuern.  Eine  andere  Form  der 
Athemorgane  finden  wir  in  kleinen  ei-,  birn-  oder  lan- 
zettförmigen Anhängen,  wie  sie  die  Lepaden,  Phyl- 
1 0  p  0  d  e  n  ,  mehrere  Lophyropoden  (Acanthocerciis)^ 
die  Lämodipoden,  Araphipoden  und  mehrere  Sto- 
matopoden  an  den  Füssen  oder  Afterfüssen ,  die  Lä- 
modipoden auch  frei  am  Leibe  haben.  Die  Zahl  dieser 
Kiemenblätter  nimmt  zu  bei  den  Isopoden,  noch  mehr 
an  den  Afterfüssen  der  Pöcilopoden.  Sehr  entwik- 
kelte  Kiemen  haben  mehrere  Stomatopoden,  so  nament- 
lich die  Squillen,  deren  aus  kammförmig  geordneten 
Fäden  bestehende  Kiemenbüschel  von  den  fünf  Afterfuss- 
paaren  (Schwimmfüssen)  getragen  werden.  Die  an  oder 
neben  der  Basis  der  Füsse  des  Cephalothorax  und  an  den 
hinteren  Beikiefern  angebrachten  Kiemen  der  Decapo- 
den  liegen  in  zwei,  durch  die  Seitentheile  des  Schildes 
gebildeten  Kiemenhöhlen,  in  welche  das  Wasser  durch 
eine  untere  Spalte  gelangt,  während  es  seitlich  von  den 
Mundtheilen  durch  fortwährende  Bewegung  der  Geissein 
und  anderer  Anhänge  der  Beikiefern  wieder  ausgetrieben 
wird.  Die  einzelnen  Kiemen  sind  sehr  verschieden  ge- 
staltet; häufig  ist  die  Pyramidenform,  indem  von  einem 
mittleren,  einen  arteriellen  und  einen  venösen  Kanal  ent- 
haltenden Schafte  nach  mehreren  Seiten  Blättchen  abste- 
hen, die  nach  der  Spitze  zu  allmählich  kleiner  werden. 
Alle  diese  Kiemen  sind  für  die  Wasserathmung  be- 
stimmt; selbst  die  Landisopoden  scheinen  zwischen  ihre 
Kiemenplatten  Feuchtigkeit  aufzunehmen,  wobei  die  aus- 


278  in.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

sere  Lamelle  eines  jeden  Kiemeni)aares  der  inneren  als 
Deckel  dient.  Mehrere  Onisciden  jedoch  (z.  B.  Porcellio) 
haben  in  den  beiden  ersten  Paaren  der  Decklamellen  eine 
Höhle  mit  einem  sehr  feinen  Luftgefässnetze ,  und  bloss 
auf  Luftathmung  scheint  Tylos  angewiesen  zu  sein ,  in 
dessen  unter  den  Deckplatten  verborgenen  Lamellen  sich 
Luftsäcke  finden. 

Das  Tracheensystem  der  Myriopoden  kommt 
in  allen  wesentlichen  Stücken  mit  dem  der  Insekten 
überein. 

Arachniden  und  Insekten.  Bei  den  Tardigra- 
den,  Pycnogoniden  und  mehreren  Acarinen  hat 
man  besondere  Athmungsorgane  nicht  gefunden. 

Die  Athmungsorgane  sämmtlicher  übrigen  Arachniden 
und  Insekten  lassen  sich  auf  einen  Typus  zurückführen, 
den  der  Tracheen. 

Wir  sehen  das  Tracheensystem  am  reinsten  ausge- 
bildet bei  den  Insekten.  Die  Tracheen  sind  cylindri- 
sche  Röhren ,  durch  welche  die  Luft  in  alle  Theile  des 
Körpers  geleitet  wird;  sie  bestehen  aus  einer  äusseren, 
meist  farblosen  (Peritoneal-)  Haut  und  einer  inneren  ho- 
mogenen Chitinhaut.  Reifenförmige  oder  spiralige  Ver- 
dickungen der  letzteren  geben  den  Tracheen  das  Ansehen, 
als  ob  sie  durch  einen  selbständigen  Spiralfaden  ausge- 
spannt erhalten  würden. 

Man  kann  die  Tracheen  der  Insekten  in  Lungen- 
und  Kiementracheen  eintheilen.  Die  letztere  Artist 
die  bei  einer  Anzahl  der  im  Wasser  lebenden  Larven 
gewöhnliche;  sie  unterscheidet  sich  von  der  anderen  durch 
den  Mangel  von  Luftlöchern,  indem  die  Luft  aus  dem 
Wasser  durch  feine,  auf  der  Körperoberfläche  (C/iirono- 
7«ws,  Tanypiis)    oder  auf  besonderen  kiemenartigen  An- 


4.  Kap.    Die  Respirationsorgane.  279 

hängen  ausgebreitete  Tracheenzweige  oder  auch  durch 
isolirte  Tracheenbiischel  absorbirt  wird.  Diese  wird  erst 
von  hier  aus  in  die  grossen  Luftröhrenstärame  zur  wei- 
teren Verbreitung  übergeführt.  Die  Aehnlichkeit  mit  den 
Kiemen  ist  also  nur  eine  sehr  entfernte,  da  nie  eine  ei- 
gentliche Wasserathmung  bei  den  Insektenlarven  statt 
findet.  Denn  selbst  bei  den  Larven  und  Puppen  von 
Aeschna  und  Libellula,  welche  regelmässig  Wasser  in  den 
Mastdarm  ein-  und  auspumpen ,  wird  die  Luft  durch  die 
in  den  Darmhautfalten  befindlichen  zahlreichen  Luftröh- 
renverzweigungen unmittelbar  aufgenommen. 

Viel  verbreiteter  ist  jedoch  diejenige  Form  des  Tra- 
cheensystems, wo  die  Tracheenstämme  mit  Athemlöchern 
(^Stigmata,  spiracula)  beginnen,  deren  Rand  gewöhnlich 
mit  Haaren  dicht  besetzt  ist,  und  die  häufig  durch  Mus- 
keln willkürlich  geöffnet  und  geschlossen  werden  können. 
Die  Stigmata  sind  zwischen  je  zwei  Leibessegmenten,  nie 
aber  zwischen  Kopf  und  Prothorax  und  zwischen  den 
beiden  letzten  Hinterleibssegmenten,  üebrigens  ist  ihre 
Zahl  und  Stellung  ausserordentlich  verschieden.  Die  ge- 
wöhnliche Anordnung  des  Tracheensystems  ist  die,  dass 
zwei  Tracheenstämme  in  der  Nähe  der  Stigmen  oder  Tra- 
cheenkiemen liegen ,  von  welchen  aus  sich  die  Aeste  in 
den  Körper  erstrecken.  Seltener  entspringen  die  Kör- 
peräste unmittelbar  aus  den  Stigmen,  wobei  aber  doch 
auch  kleinere  Verbindungsröhren  zwischen  je  zwei  Athem- 
öffnungen  nicht  fehlen. 

Die  blasenförmigen  Erweiterungen  der  Tracheen,  mit 
denen  z.  B.  manche  gut  und  lange  fliegende  Abend-  und 
Nachtschmetterlinge,  die  Lamellicornien  u.  a.  versehen 
sind,  scheinen  denselben  Zweck  zu  haben,  wie  die  Luft- 
säcke der  Vögel.     Wegen  des  Mangels    der    Spiralfäden 


280  ^11-  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

gewöhnlich  collabirend ,  werden  sie  vor  dem  Auffliegen 
unter  eigenthümlichen ,  namentlich  bei  den  Lamellicornien 
(Maikäfer)  auffallenden  Bewegungen  voll  Luft  gepumpt 
und  vergrössern  das  Körpervolumen,  ohne  eine  merkliche 
Gewichtszunahme  zu  verursachen. 

Vergleichen  wir  hiermit  die  Respirationsorgane  der 
Arachniden,  so  stimmen  viele  Milben,  diePhalan- 
gien  und  Pseudoscorpien  insofern  mit  den  Insekten 
überein ,  als  auch  sie  durch  ein  System  von  Kanälen  ath- 
men,  welche  von  einem  bis  drei  Paar  Stigmen,  meist 
über  oder  zwischen  den  Beinen  oder  an  den  ersten  Hin- 
terleibssegmenten gelegen,  ausgehen.  Jedoch  nur  bei 
wenigen  Milben  ist  dies  Tracheensystem  verästelt ,  gleich 
dem  der  Insekten,  bei  den  übrigen  verzweigen  sich  die 
Kanäle  nicht,  und  ein  solches  unverzweigtes  Tracheen- 
system kommt  auch  vielen,  vielleicht  allen  Araneen  zu, 
ausser  den  sogenannten  Lungen.  So  gehen  z.  B.  bei  Sal- 
ticus  zwei  Tracheenbüschel  von  zwei  am  Hinterleibe  ge- 
legenen Stigmen  aus,  während  bei  Segestria j  Dysdera 
und  Argyronecta  die  beiden  Stigmen  nahe  bei  den  soge- 
nannten Lungensäcken  liegen.  Bei  den  übrigen  Spinnen, 
wo  das  Tracheensystem  mehr  rudimentär  wird ,  besteht 
es  aus  einem  kurzen ,  vor  den  Spinnwarzen  sich  öff*nen- 
den  Stamme  mit  vier,  durch  ihre  platte  Form  sich  aus- 
zeichnenden einfachen  Aesten.  Sehr  häufig  fehlt  den 
Tracheen  der  genannten  Arachniden  der  Spiralfaden ;  auch 
ist  eine  häufige  Folge  der  Abwesenheit  des  Spiralfadens, 
dass  die  Tracheen  nicht  cylindrisch,  sondern  platt  und 
bandförmig  werden. 

Als  eine  Modification  eines  Büschels  platter,  unver- 
ästelter  Tracheen  kann  man  nun  die  sogenannten  Lungen 
der  Scorpioniden,    Phryniden  und  Araneen  be- 


4.  Kap.    Die  Respiralionsorgane.  281 

trachten ,  die  nur  eine  oberflächliche  Aehnlichlteit  mit  den 
gleichnamigen  Organen  der  Wirbelthiere  haben.  Die 
Höhlungen  (S  bei  den  Scorpioniden ,  4  bei  den  Phryniden 
und  Mygaliden ,  2  bei  den  übrigen  Araneen) ,  welche 
paarweise  in  den  Hinterleibssegraenten  liegen ,  und  deren 
jede  mit  einer  Spaltöffnung  (=  Stigma)  mündet,  entspre- 
chen den  längeren  oder  kürzeren  Stämmen,  von  denen 
die  platten ,  bandförmigen ,  unverästelten  Tracheen  ent- 
springen. Letzteren  aber  sind  die  blätterförmigen  und 
ihrer  Form  wegen  fächerartig  geordneten  Hautduplicatu- 
ren,  aus  Chitin  bestehend,  homolog,  welche  auf  der  con- 
vexen  Fläche  der  Höhlen  stehen ,  so  dass  von  den  Höhlen 
aus  die  Luft  in  sehr  dünnen  Schichten  zwischen  die  La- 
mellen der  einzelnen  Blätter  eindringt.  Die  Blätter  haben 
einen  gemeinsamen ,  der  Peritonealmembran  der  Tracheen 
entsprechenden  Ueberzug,  von  wo  aus  verschiedene  Mus- 
keln, welche  das  Zusammenfallen  des  Apparates  verhin- 
dern, nach  den  Leibeswandungen  gehen.  Durch  verschie- 
dene ,  in  dem  gemeinsamen  üeberzuge  sich  vorfindende 
Oeffnungen  ergiesst  sich  das  Blut  von  der  Leibeshöhle  her 
zwischen  die  Abtheilungen  des  Fächers  und  umspült  die 
Blätter  unmittelbar. 

Wir  haben  die  Aehnlichkeit  dieser  Athmungsvorrich- 
tung  mit  den  Lungen  eine  oberflächliche  genannt;  gleich- 
wohl ist  sie  da  und  beruht  hauptsächlich  auf  der  Loca- 
lisirung  des  Apparates ,  während  im  Allgemeinen  das  Tra- 
cheensystem diffus  ist,  d.  h.  von  den  Stigmen  aus  sich 
auch  in  die  entferntesten  Körpertheile  verbreitet. 

4.     Die  Respirations  Werkzeuge  der  Mollusken. 

Acephalen.  Die  Salpen  haben  eine  einfache, 
in  der  Kiemenhöhle  schräg  ausgespannte  Kie  m  e,  die  am 


282  III.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Vorderende  das  Blut  aus  den  Körpergefässen  empfängt 
und  es  an  das  Herz  abgiebt.  Der  Wasserwechsel  wird 
theils  durch  die  Cilien,  welche  die  Kieme  äusserlich  be- 
setzen ,  namentlich  aber  durch  die  Contractionen  der 
Schwimm-  oder  Kiemenhöhle  hervorgebracht. 

Bei  den  Ascidien  erscheint  die  Kieme  in  Form 
eines  grossen ,  mit  einer  einfachen  Oeffnung  oder  kurzen 
Röhre  versehenen  Athemsackes  ,  durch  welchen  auch  die 
Nahrung  gehen  muss.  Die  Haut  dieser  Respirationshöhle 
zeigt  sehr  regelmässige  Längs-  und  Querleisten ,  wodurch 
sie  in  lauter  viereckige  Falten  getheilt  wird ,  zwischen 
denen  die  Blutkanäle  sich  befinden.  Zwei  grössere  sinus- 
artige Kanäle  in  den  Kurvaturen  des  Athemsackes  sind 
die  Stämme  von  Querkanälen,  auf  denen  Längskanäle 
senkrecht  stehen. 

Bei  den  Brachiopoden  versehen  die  beiden  Man- 
telhälften den  Dienst  der  Kiemen. 

Die  Lamellibranchiaten  haben  zwei  Paar  K  i  e- 
men.  Das  äussere  Blatt  berührt  die  Innenfläche  des 
Mantels ,  das  innere  liegt  auf  dem  Abdomen  und  dem 
Fusse  auf.  Sie  empfangen  das  Wasser,  jenachdem  der 
Mantel  weniger  oder  mehr  verwachsen  ist,  durch  die 
grosse  Mantelspalte ,  oder  es  sind  im  Mantel  besondere 
Schlitze  oder  Röhren  angebracht ,  durch  deren  eine  das 
Wasser  eingenommen  wird,  während  es  durch  die  andere 
(obere)  mit  den  Fäces  ausfliesst.  Im  Innern  der  Mantel- 
höhle und  längs  der  Kiemen  bewirkt  das  Flimmerepithe- 
lium  regelmässige  Strömungen.  Auf  den  Kiemenblättern 
bemerkt  man  ein  ähnliches  Gitterwerk,  wie  bei  den  As- 
cidien ,  dem  die  Gefässvertheilung  entspricht.  In  die 
durch  die  Querscheidewände  zwischen  den  beiden  La- 
mellen der  Kiemenblälter  entstandenen  Fächer  führen  an 


4.  Kap.    Die  Respirationsorgane.  283 

der  Basis  der  Kiemen  gelegene  Mündungen.  Die  Fächer 
dienen  zur  Aufnahme  der  Eier ,  und  auch  der  Samen  ge- 
langt in  sie. 

3Iehrere  Muscheln  (Area,  Mytilns^  Pecten^  Spondy- 
lus)  zeigen  eine  sehr  abweichende  Kiemenbildung,  indem 
ihre  scheinbaren  Kiemenblätter  eine  Menge  neben  einan- 
der liegender  Fiiden  sind,  deren  jeder  auch  aus  zwei 
Lamellen  besteht. 

Cephalop hören.  Die  Unterordnung  der  Pulmo- 
naten  athmet  Luft,  welche  in  eine  gewöhnlich  am  Vor- 
derrücken befindliche  Lungen  höhle  durch  ein,  beiden 
rechts  gewundenen  Schnecken  rechts ,  bei  den  links  ge- 
wundenen links  liegendes  und  verschliessbares  Athem- 
loch  aufgenommen  wird.  Bei  den  AVasser- Lungen- 
schnecken ist  die  Höhle  mit  Flimmerepithelium  ausgeklei- 
det. Das  auf  der  Fläche  der  Lungenhöhle  leisten-  und 
gitterartig  hervortretende  Gefässnetz  scheint  immer  aus 
wandungslosen  Kanälen  zu  bestehen. 

Die  übrigen  Cephalophoren,  mit  Ausnahme 
der  Apneusten,  einiger  Pteropoden  und  Hetero- 
poden,  bei  denen  man  besondere  Athemorgane  nicht 
entdeckt  hat,  athmen  durch  Kiemen  der  verschiedensten 
Form  und  in  der  verschiedensten  Lage,  welche  nament- 
lich bei  den  Gasteropoden  die  zoologische  Systematik  zur 
Eintheilung  benutzt  hat.  Wir  müssen  der  Zoologie  die 
nähere  Beschreibung  dieser  Kiemen  überlassen. 

Sehr  merkwürdig  verhalten  sich  einige  amphibisch 
lebende  Gasteropoden ,  die  durch  das  gleichzeitige  Vor- 
handensein von  Kiemen  und  Lungen  zur  Wasser-  und  zur 
Luftathmung  geschickt  sind.  Onchidium  besitzt,  ausser 
der  ganz  auf  das  Hinterleibsende  gerückten  Lungenhöhle, 
eine  Anzahl  contractiler    Bäumchen,    die    wahrscheinlich 


284  Itl«  Absclin.    Die  Organe  der  Ernährung. 

als  Kiemen  wirken,  Amjmllaria  über  der  Kiemenliöhle 
eine  sich  in  dieselbe  öffnende  Lungenhöhle.  Wir  werden 
hierdurch  an  die  doppelte  Athemorgane  besitzenden  Fische 
erinnert. 

Cephalopoden.  Die  Nautilinen  haben  vier, 
die  übrigen  Cephalopoden  zwei  pyramidenförmige 
Kiemen,  die,  mit  der  freien  Spitze  nach  oben  gerichtet, 
in  der  Mantelhöhle  liegen  und  an  den  Mantel  befestigt 
sind.  Die  Kiemenarterie  befindet  sich  an  der  dem  Mantel 
verbundenen,  die  Vene  an  der  gegenüberliegenden  freien 
Kante,  und  die  Gefässe  zwischen  beiden  Stämmen  ver- 
breiten sich  entweder  auf  zahlreichen  dreieckigen  Blätt- 
chen (bei  den  Naut.  und  Lolig.),  oder  die  Gefässe 
bilden  Bogen,  auf  deren  convexem  Rande  eine  Menge 
Hautfalten  stehen.  Beim  Mangel  von  Flimmerorganen 
geht  die  Wassererneuerung  nur  durch  die  regelmässigen 
Athembewegungen  vor  sich.  Das  bei  geöffnetem  Mantel 
zu  beiden  Seiten  des  Trichters  eintretende  Wasser  wird, 
indem  sich  der  Mantelrand  an  den  Körper  anlegt ,  durch 
den  Trichter  ausgespritzt. 

Ausser  durch  die  beschriebenen  Organe  scheint  der 
Athmungsprocess  bei  den  Mollusken  nicht  selten  durch 
ein,  für  siech  bestehendes  System  von  Wasser  führenden 
Kanälen  gefördert  zu  werden,  dessen  Existenz  sich  bei  den 
Lamellibranchiaten  durch  das  Ausspritzen  von  Wasser- 
strahlen aus  bestimmten  Oeffnungen  zu  erkennen  giebt, 
wenn  man  das  Thier  plötzlich  aus  dem  Wasser  nimmt, 
lieber  das  nähere  Verhalten  dieses  wohl  wandungslosen 
Wassergefässsystems  fehlen  genauere  Untersuchun- 
gen, welche  die  vielen  hier  obwaltenden  Widersprüche 
zu  lösen  geeignet  wären. 


4.  Kap.    Die  Respirationsorgane.  285 

5.     Die  Respirationsorgane  der  Wirbelthiere. 

Fische.  Ueber  die  knöchernen  Theile  des  Kiemen- 
apparates  der  Fische  vergl.  oben  S.   151  f. 

Bei  Branchlostoma  gelangt  das  Wasser  durch  den 
Mund  sogleich  in  einen  Kiemenschlauch ,  der  nach  hinten 
in  die  Speiseröhre  übergeht.  In  den  Seiten  des  mit 
Flimmerepithelium  ausgekleideten  Schlauches  finden  sich 
zahlreiche,  mit  dem  Wachsthum  des  Thicres  bis  auf  hun- 
dert sicli  vermehrende  Spalten,  zwischen  denen  Knorpel- 
stäbchen liegen,  und  durch  welche  das  Wasser  in  die 
Bauchhölile  tritt.  Aus  dieser  läuft  es  durch  eine  Oeff- 
nung  ab,  durch  welche  auch  Eier  und  Samen  gehen. 

Bei  den  Cyclostomen  tritt  das  Wasser  nicht  durch 
den  Mund,  sondern  durch  besondere  Gänge  mit  äusseren 
Oeffnungen  in  die  platten  Kiemensäcke.  Solcher  Kiemen- 
säcke sind  jederseits  sechs  bis  sieben,  und  die  ihnen  das 
Wasser  zuführenden  ductus  branchiales  externl  gehen  ent- 
weder (Petrom})zon ,  Ammocoetes ,  Bdellostowa)  von  eben 
so  vielen  getrennten  Athemlöchern  aus,  oder  entspingen 
von  einer  gemeinsamen  Oeffnung  (DJyxine).  In  derselben 
Richtung ,  wie  die  äusseren  Gänge  in  die  Kieraensäcke 
eingetreten,  verlassen  diese  die  inneren  Kiemengänge. 
Sie  münden  bei  Petromyzon  in  einen  besonderen,  vor  der 
Speiseröhre  liegenden  bronchiis »  welcher  hinten  blind 
endigt.  Bei  den  übrigen  Cyclostomen  aber  führen  sie  als 
ductus  branchiales  oesophagei  in  die  Speiseröhre,  aus 
welcher  endlich  das  Wasser  durch  einen  besonderen,  un- 
paarigen, links  gelegenen  Kanal,  den  ductus  oesophageo- 
cutaneus  entleert  wird.  Die  Mündung  dieses  Kanals  fällt 
bei  Myxine  mit  dem  gemeinsamen,  bei  Bdellostoma  u.  a. 
mit  dem  letzten  Stigma  zusammen. 


286  I^I-  Absclin.     Die  Organe  der  Ernährung. 

Auch  die  Plagiostomeii  haben  keine  gemeinschaft- 
liche Kiemenhöhle ,  sondern  von  einander  getrennte  Kie- 
mensäcke, gewöhnlich  fünf.  Sechs  hat  Hexanchus,  sieben 
Heptanchus.  Jeder  hat  eine  innere  und  eine  äussere 
Oeffnung.  Die  Kannriern  entstehen  durch  häutige,  von 
den  Kiemenbogen  bis  zur  äusseren  Haut  reichende  Dia- 
phragmen, durch  welche  auch  die  beiden  Kiemenblätt- 
chenreihen  auf  den  Kiemenbogen  getrennt  werden.  Die 
vorderste ,  an  dem  Zungenbeine  befestigte  Kieme  besteht 
jedoch  nur  aus  einer  einfachen  Blättchenreihe,  und  so 
sind  im  Ganzen  bei  den  Plagiostomen  nur  vier  und  eine 
halbe  Kieme  da. 

Bei  den  Ganoiden  und  Knochenfischen  liegen 
die  Kiemen  in  einer  gemeinsamen  Höhle,  in  welche  das 
Wasser  durch  die  zwischen  den  Kiemenbogen  befindli- 
chen Lücken  eintritt ,  während  es  durch  die  grössere  oder 
kleinere  Spalte  z\^ischen  Kiemendeckel  und  Brustflossen 
ausläuft.  In  dQY  Regel  trägt  jeder  der  vier  Kiemenbogen 
auf  dem  convexen ,  der  Kiemenhöhle  zugev»  endeten  Rande 
zwei  Reihen  von  Kiemenblättchen^  die  gewöhnlich  nur 
an  der  Basis  mit  einander  verwachsen  sind  und  durch 
zwei  sich  kreuzende  Muskeln  gegen  einander  bewegt 
werden  können.  Sie  werden  durch  ein  knorpeliges  oder 
knöchernes  Stäbchen  aufrecht  erhalten  und  haben  eine 
grosse  Menge  die  Oberfläclie  sehr  vermehrender  Querfal- 
ten, auf  denen  sich  das  respiratorische  Gefässnetz  aus- 
breitet. Lebrigens  aber  erhält  jedes  Kiemenblättchen 
auch  ein  ernährendes  Gefäss. 

Einige  der  merkwürdigsten  Abweichungen  in  der 
Zahl  der  Kiemen  sind  folgende :  Am  häufigsten  trägt  der 
vierte  Kiemenbogen  nur  eine  Halbkieme ,  bei  den  Labroi- 
ilei  cycloidei  und  ctenoldeiy  bei  vielen  Kataphracten,  Cy- 


4.  Kap.     Die  Respirationsorgane.  287 

cloptems^  Zeus  u.  a.  Dann  kann  eine  ganze  Kieme,  vorn 
oder  hinten,  ausfallen,  wie  bei  Lophius,  Tetrodon,  Dio- 
dort,  Tvibranchus.  Maltlie  hat  nur  zwei  und  eine  halbe, 
Awphipnoiis  nur  zwei  Kiemen,  davon  die  eine  unvoll- 
ständig. 

Eine  respiratorische  Kiemendeckelkieme  be- 
sitzen viele  Ganoiden  (Störe  und  Lepidosteus). 

Aeussere  Kiemenfäden  finden  sich  bei  den  Em- 
bryonen der  Plagiostomen  und  bei  Lepidosiren  amiectem. 

Einzelne  Fische ,  namentlich  solche ,  die  im  Stande 
sind,  längere  Zeit  an  der  Luft  zu  leben,  haben  acces- 
sorische  Athem Organe.     Nämlich: 

a.  Resp  ira  torische  Nebenkiemen  besitzt  eine 
Familie  der  Knochenfische  ( Labyrinthici ,  wohin  Anabas, 
Osphronemus  u.  a.),  bei  denen  die  vorderen  oberen 
Schlundknochen  siebbeinartige  Labyrinthe  bilden,  ausge- 
kleidet mit  Schleimhaut,  deren  Arterien  und  Venen  sich 
wie  die  Kiemengefässe  verhalten.  Baumförmige  Neben- 
kiemen hat  Heferobranchus  am  oberen  Stücke  des  zweiten 
und  vierten  Kiemenbogens.  In  sie  gehen  Zweige  der 
Kiemenarterien ,  und  ihre  Venen  ergiessen  sich  in  die 
Kiemenvenen. 

b.  Lungenartige  Athemorgane  haben  Amphi- 
pnous   Müll,  und    Hetevopneustes    Müll.    (Saccobranchiis 

Val.)  als  gef ässreiche ,  mit  der  Kiemenhöhle  zusammen- 
hängende Säcke.  Von  diesem  Organ  des  Amphipnous  ver- 
muthet  jedoch  Hyrtl,  dass  es  zur  Wasserathmung  diene. 
Wirkliche,  der  Amphibienlunge  ähnliche  Lungen  hat 
Lepidosiren ;  sie  münden  mit  einer  glottis  ventralis  in  den 
Schlund  ein. 


288  ni-  Abschn.     Die  Organe  der  Ernährung. 

Die  Kiemen. 

Amphibien.  Alle  Batracliierlarven  athmen  durch 
äussere  Kiemen,  die  meist  büschel-  oder  quastförmig  sind. 
Sie  verschwinden  bei  den  Fröschen  und  Salamandrinen 
gänzlich,  nachdem  bei  den  Froschlarven  innere  Kiemen 
erschienen  sind.  Bei  den  Derotreten  bleibt  eine  Kiemen- 
spalte; die  Perennibranchiaten  behalten  aber  die  Kiemen- 
büschel fortwährend  neben  den  Lungen. 

Die  Lungen  und  ihre  Eingänge. 

Bei  allen  durch  Lungen  athmenden  Wirbelthieren  ist 
mit  dem  Athemapparat  zugleich  das  Stimmorgan  verbunden. 

Eine  Scheidung  in  Kehlkopf  und  Luftröhre  kann  man 
an  der  Eingangsröhre  in  die  Lungen  der  nackten  Am- 
phibien noch  nicht  wahrnehmen.  Der  Eingang  ist  nur 
eine  häutige,  bei  den  geschwänzten  Batrachiern  mit  nur 
wenigen,  bei  den  ungeschwänzten  mit  mehr  Knorpeln  und 
rudimentären  Tracheal-  und  Bronchialringen  versehene 
Höhle,   die  sogenannte  Stimm  lade. 

Die  Sonderung  zwischen  Kehlkopf  und  Luft- 
röhre tritt  bei  den  beschuppten  Amphibien  stärker  her- 
vor, indem  man  denjenigen  Theil  des  Eingangskanals  in 
die  Lungen  als  Kehlkopf  bezeichnet,  dessen  Knorpel  ein 
durch  senkrechte  Leisten  zusammenhängendes  Gerüst  bil- 
den. Diese  einzelnen  Theile  kann  man  nach  den  entspre- 
chenden Kehlkopfknorpeln  der  höheren  Thiere  benennen. 

Stimmbänder  fehlen  den  geschwänzten  Batra- 
chiern, den  Ophidiern,  Cheloniern  und  vielen  Sauriern. 
Am  entwickeltsten  haben  sie  die  Chamäleonten  und  Geckos. 
Mit  der  Luftröhre  lassen  sich  auch  die  Bronchien  bei 
den  beschuppten  Amphibien  bestimmter  unterscheiden, 
und  nur  bei  mehreren  Schlangen  (z.  B.  Coluber,   Vipera) 


4.  Kap.     Die  Respirationsorganc.  289 

findet,  wegen  der  zelligen  Beschaffenheit  dieser  Theile, 
ein  unmerklicher  Lebergang  derselben  in  die  Lunge  statt. 
Die  Knorpelringe  an  Luftröhre  und  Brochien  sind  bald 
unvollständig,  bald  geschossen. 

Mit  Ausnahme  der  eben  erwähnten  Schlangen  und 
der  Proteiden,  deren  häutige  Bronchien  auch  allmählich 
in  die  Lungensäcke  übergehen,  sind  die  Lungen  der 
Amphibien  deutlich  von  ihren  Eingangskanälen  getrennt. 
Ihre  Form  richtet  sich  im  Allgemeinen  nach  der  Form 
der  Thiere;  sie  werden  vom  Bauchfelle  überzogen.  In 
den  meisten  Fällen  sind  zwei  Lungen  von  gleicher  Grösse 
da;  bei  den  Cöcilien,  vielen  Sauriern  und  Ophidiern  tritt 
die  eine  gegen  die  andere  zurück,  und  viele  Schlangen 
(darunter  z.  B.  Viper a ,  Typhlops)  besitzen  nur  eine  sehr 
lange  Lunge.  Die  Lungen  sind  oft  (bei  vielen  nackten 
Amphibien ,  Schlangen  und  Sauriern)  blosse  häutige  Säcke, 
in  denen  in  anderen  Fällen,  zur  Vergrösserung  der  Fläche, 
Leisten  und  Maschen  gebildet  werden.  Am  complicirte- 
sten  ist  diese  Maschenbildung  bei  mehreren  Sauriern 
(z.  B.  den  Varanen) ,  den  Krokodilen  und  Schildkröten, 
wo  mit  mehreren  Bronchialöffnungen  gesonderte,  maschige 
und  zellige  Säcke  zusammenhängen,  oder  auch,  bei  den 
Seeschildkröten,  eine  Verzweigung  der  Bronchien  in  ähn- 
licher Weise   wie    bei  Vögeln  und   Säugethieren  eintritt. 

Vögel.  Eine  hinter  der  Zunge  liegende,  gewöhn- 
lich mit  hornartigen  Papillen  besetzte  Längsspalte  führt 
in  den  oberen  Kehlkopf.  Seine  festen  Theile  be- 
stehen aus  mehreren,  bei  den  alten  Vögeln  ossificirten 
Knorpeln ,  welche  den  Kehlkopfknorpeln  der  Säugethiere 
zum  Theil  entsprechen.  Eine  vordere  grössere  Platte 
hängt  bei  jungen  Vögeln  mit  zwei ,  die  hintere  Wand  des 
Kehlkopfes  bildenden  Stücken   zusammen ,    die  sich  nach 

19 


290  m«  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Beginn  der  Ossification  loslösen.  Alle  drei  entsprechen 
dem  S  chil  dlin 0  r  ])  el  (cartil.  thyreoiilea).  Ein  zwischen 
die  beiden  hinteren  Ränder  der  Seitentheile  tretendes 
Ausfiillungsstück  ist  das  Analogon  des  Ringknorpels 
{cart.  cricoidea);  darauf  sitzen  zwei  längliche  Giess- 
kannen-Knorpel  oder  Knochen  (c.  arytaenoideae). 

Die  Luftröhre  hat  gewöhnlich  vollständige ,  häufig 
verknöcherte  Ringe.  Sie  zeigt  bei  einigen  Vögeln,  z.  B. 
bei  Mergus,  mittlere  Erweiterungen,  bei  anderen  macht 
sie  beträchtliche  Biegungen  und  Windungen,  entweder 
unter  der  Haut  (z.  B.  Tetrao  urogallus)  oder  im  Brustbein 
(Grus  cinerea)^  seltener  in  der  Gabel  ( Numida  cristata) 
oder  auch  in  der  Brusthöhle  (Platalea  leucorodia).  Ca- 
suarius  iiovae  HoUandiae  besitzt  am  mittleren  Theile  der 
Luftröhre  einen  grossen  häutigen  Sack,  welcher  mit  ihr 
durch  eine,  mehrere  Ringe  trennende  Längsspalte  com- 
municirt. 

Von  den  beiden  Muskelpaaren  der  Luftröhre ,  welche 
als  Niederzieher  wirken ,  entspringt  das  eine ,  w  eniger 
beständige  von  der  Gabel  oder  dem  unteren  Kehlkopfe 
und  begleitet  die  ganze  Luftröhre  (m.  ypsilolruchealis). 
Das  andere  ist  kürzer,  entspringt  vom  Brustbein  und 
geht,  wie  das  vorige,  an  die  Seiten  der  Luftröhre  (m. 
sternotrachealh). 

Das  eigentliche ,  nur  wenigen  Vögeln  (z.  B.  Struthio- 
nen  und  Störchen)  fehlende  Stimmorgan  ist  der  soge- 
nannte untere  Kehlkopf,  der  nur  selten  {Steatornis, 
Crotophaga)  paarig  in  den  beiden  Bronchien,  oder  allein 
in  dem  unteren  Theile  der  Luftröhre  [Thamnophilus  u.  a.), 
gewöhnlich  an  der  Uebergangsstelle  der  Luftröhre  in  die 
Bronchien  sich  vorfindet  (larynx  broncho-irachealis). 

Durch  eine  festere  Verbindung  oder  auch  Verschmel- 


4.  Kap.     Die  Respirationsorgane.  291 

zung  der  letzten  Luftröhrenringe  wird  das  Ende  der 
Luftröhre  zu  der  fast  vierseitigen  Trommel,  mit  der 
bei  den  Männchen  vieler  Taucher  und  Enten  unsymmetri- 
sche Knochenblasen,  sogenannte  Pauken  und  Laby- 
rinthe zusammenhängen.  Von  der  Theilungsstelle  der 
Trommel  in  die  beiden  Bronchialäste  erhebt  sich  in  der 
Regel  eine  die  Trommel  in  zwei  Seitenhälften  theilende 
Knochenplatte,  der  Bügel  oder  Steg.  Er  fehlt  den 
Papageien.  Bei  ihnen  wird  durch  eigenthümliche ,  an 
den  unteren  Seitenrändern  der  Trommel  und  an  den  Bron- 
chien befestigte  Knochenbogen  und  eine  zwischen  ihnen 
ausgespannte  Membran  (membrana  tympaniformis  externa) 
eine  einfache  Stimmritze  gebildet.  Zwei  Muskel- 
paare heben  die  Bronchien  und  verengern  die  Stimmritze, 
ein  Paar  erweitert  sie. 

Zwischen  den  Rändern  des  nach  unten  gerichteten 
Ausschnittes  des  Bügels  ist  der  obere  Theil  der  Innen- 
wand jedes  Bronchus  ausgespannt,  die  innere  Pau- 
ke n  h  a  u  t.  Ihr  gegenüber  liegt  eine  äussere  Pauken- 
haut. Theils  bildet  diese,  theils,  wenn  sie  fehlt,  die 
Verbindungshaut  zweier  ßronchialringe  die  äussere  Lippe 
der  Stimmritze,  bei  verkürzter  Luftröhre.  Das  innere, 
weniger  entwickelte  labium  glottidis  ist  eine  von  der 
membrana  tympaniformis  interna  oder  dem  Bügel  abge- 
hende Falte  von  elastischem  Gewebe.  Eine  manchen  Sing- 
vögeln eigenthümliche  Membran  erhebt  sich  auf  dem  Bü- 
gel als  membrana  semibmaris. 

Der  die  genannten  Theile  bewegende,  erweiternde 
und  verengernde  Muskelapparat  zeigt  die  grösste  Mannich- 
faltigkeit.  Bei  vielen  Vögeln  (Hühnern ,  Enten,  Gänsen) 
finden  sich  nur  die  mm.  ypsilotracheales  und  sternotra' 
cheales.     Bei  anderen  (Raubvögeln,  vielen  Scansores,  Co- 

19* 


292  'II-  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

racias,  Capriiimlgus  ^  Cypselus  u.  a.)  kommt  ein  Muskel- 
paar hinzu,  die  m.  broncho-tvacheales.  Sehr  viele  Sing- 
vögel haben  5  Paar  eigenthümlicher  Kehlkopfmuskeln, 
doch  ist  auf  die  gleichmäsige  Anzahl  dieser  Muskeln  keine 
systematische  Eintheilung  zu  gründen ,  indem  namentlich 
die  amerikanischen  Passerinen  einen  weit  einfacheren 
Muskelapparat  als  unsre  einheimischen  besitzen. 

Die  paarigen  Lungen  sind  nur  an  ihrer  Bauchfläche 
von  einer  Pleura  überzogen,  mit  der  Rückenfläche  liegen 
sie  auf  beiden  Seiten  der  Wirbelsäule  den  Rippen  an;  sie 
sind  durch  Zellgewebe  an  Wirbel  und  Rippen  befestigt, 
welche  bleibende  Eindrücke  in  ihnen  hervorbringen. 
Durch  die  Art  der  Bronchialverzweigung  ist  die  Vogel- 
lunge wesentlich  von  der  der  Säugethiere  verschieden. 
Die  Bronchien  treten  oft  mit  blasenförmigen  Erweiterun- 
gen in  die  Lungen  hinein;  eine  Anzahl  grösserer  Oeff- 
nungen  führt  in  grössere  häutige  Kanäle ,  die  sich  an  der 
Oberfläche  der  Lunge  weiter  verzweigen.  Alle  diese 
Verzweigungen  stehen  durch  tiefere ,  kleine  Röhren ,  wel- 
che die  Lunge  nach  vielen  Richtungen  durchsetzen,  mit 
einander  in  Verbindung.  Alle  diese  Röhren  sind  inwendig 
mit  den  Lungenzellen  besetzt;  diese  sind  also  parietal, 
wie  auch  bei  den  Amphibien. 

Sehr  allgemein  können  von  der  Lunge  aus  grosse 
häutige  Säcke,  die  zum  Theil  Eingeweide  einschliessen, 
mit  Luft  angefüllt  werden.  Die  Anordnung  dieser  Luft- 
zellen oder  Luft  Säcke  ist  wenig  veränderlich.  Aus 
ihnen  gelangt  die  Luft  in  die  pneumatischen  Knochen, 
aus  denen  das  bei  den  jungen  Vögeln  vorhandene  Mark 
allmählich  verschwunden  ist.  Pneumatisch  sind  nament- 
lich die  Schädelknochcn  und  das    Oberarmbein,    weniger 


4.  Kap.    Die  Respirationsorgane.  293 

häufig  das  Oberschenkelbein,  nie  das  Jochbein.  Bei  Z^m- 
ceros  sind  fast  alle  Knochen  luftführend. 

Säugethiere.  Stimm-  und  Athemorgane  der  Säu- 
gethiere  verhalten  sich  im  Wesentlichen  wie  beim  Men- 
schen. Von  den  Kehlkopfknorpeln  sind  die  beim 
Menschen  seltenen  cartilagines  Wrisbergianae  ziemlich  häu- 
fig. Dem  Menschen  fehlende  Knorpel  sind  die  auf  dem 
hinteren  Rande  der  Giesskannenknorpel  einiger  Säuge- 
thiere vorhandenen  cartilagines  sesamoideae  und  die  un- 
paare  cartilago  interarticularis  zwischen  den  Giesskannen- 
knorpeln,  über  dem  Ringknorpel. 

Nur  die  ächten  Cetaceen  besitzen  keine  Stimmbän- 
der; die  oberen  fehlen  u.  a.  vielen  Wiederkäuern  (Hirsch, 
Rind,  Schaf,  Ziege),  wogegen  bei  diesen  die  unteren  in 
elastische  Platten  verwandelt  sind.  Viele  Säugethiere 
sind  durch  accessorische ,  die  Stimme  verstärkende  Säcke 
am  Kehlkopf  ausgezeichnet,  die  theils  zwischen  Schild- 
und  Ringknorpel,  theils  zwischen  Schildknorpel  und  Kehl- 
deckel vom  Kehlkopf  austreten.  Letzteres  ist  z.  B.  der 
Fall  mit  den  drei ,  durch  eine  Erw  eiterung  der  Morgagni- 
schen  Ventrikel  entstehenden  Luftsäcken  des  Brüllaffen 
(Mgcetes),  deren  mittlerer  sich  in  eine  Aushöhlung  des 
Zungenbeinkörpers  begiebt. 

Die  Länge  der  Luftröhre,  wie  die  Zahl  der  in 
ihr  enthaltenen ,  gewöhnlich  nicht  geschlossenen  Knorpel, 
richtet  sich  im  Allgemeinen  nach  dem  Verhältniss  des 
Halses.  Nur  Bradypus  tridactylm  hat  eine  gewundene 
Luftröhre.  Die  Knorpel  ossificiren  in  der  Regel  nicht. 
Die  gewöhnliche  Asymmetrie  der  beiden  Bronchien ,  indem 
die  rechte  kürzer,  aber  w^eiter  als  die  linke  ist,  hängt 
von  der  Asymmetrie  der  Lungen  ab.  Wie  beim  Menschen 
ist    die   rechte   gewöhnlich    die   grössere.     Die   Zahl   dej 


^ 


294  III.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

Lungenlappen  ist  gewöhnlicli  grösser  als  beim  Menschen. 
Die  Bronchien  vertheilen  sich  bauraförraig;  die  feinsten 
Verzweigungen  endigen,  wie  beim  Menschen,  mit  Bläschen. 


Suckow,  Respiration  der  Insekten,   insbesondere    über  die  Darni- 

respiration  der  Aeshna  grandis.  Heusing.  Zeitschrift.  Bd.  2. 

S.  24. 
E.  A.  Platner,    Mittheilungen   über   die   Respirationsorgane  u.  d. 

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dans  les  animaiix  vertebres.     Strasbourg,  1838. 
Natalis    Guillot,    Sur    rappareil    de   la    respiration    dans  les 

oiseaux.  Ann.  d,  sc,  nat.  3  ser.  t.  V.  1846.  p.  25. 


Fünftes  Kapitel. 
Die  Harnori^ane« 


1.  Die  Harn  Organe  der  Spinnen  und  Insekten. 

Sehr  allgemein  münden  bei  den  Insekten  eine  An- 
zahl dünner,  fadenförmiger  Schläuche  liinter  dem  Chy- 
lusmagen  in  den  Darmkanal,  die  Malpighischen  Ge- 
fasse,  Avelche  lange  Zeit  nur  für  Gallenorgane  gehalten 
worden  sind ,  bis  die  chemische  Analyse  die  Function  der 
Mehrzahl  als  Harn  absondernder  Organe  unzweifelhaft 
gemacht.  Diejenigen  dieser  Gefässe  aber,  welche  sich 
durch  gelbliche  Färbung  auszeichnen ,  scheinen  wirklich 
gallabsondernde  Organe  zu  sein  (Leydig).  Ihre  feinere 
Structur  ist  eine  ähnliche,  wie  die  der  Speicheldrüsen, 
nur  scheint  ihnen  die  tmiica  mtlma  zu  fehlen.  Sie  mün- 
den theils  einzeln ,  theils  vereinigen  sie  sich  zu  kurzen 
Ausführungsgängen.  Durch  die  grosse  Menge  der  Mal- 
pighischen Gefässe  zeichnen  sich  die  Hymenoptern  und 
Orthoptern  aus ,  während  bei  den  übrigen  Ordnungen  vier 
bis  acht  vorhanden  zu  sein  pflegen.  Der  häufig  gefärbte 
Harn  geht  durch  den  hinter  dem  Chylusmagen  befindli- 
chen Theil  des  Darrakanals  mit  den  Fäces  ab.  Eine  be- 
sonders ansehnliche  Ansammlung  von  Harn  findet  während 
des  Puppenzustandes  der  holometabolischen  Insekten  statt; 
er  wird  bald  nach  dem  Auskriechen  entleert. 


296  IJI-  Absclin.     Die  Organe  der  Ernährung. 

Bei  den  Arachniden,  mit  Ausnahme  der  Pycnogo- 
niden  und  Tardigraden,  verhalten  sich  die  Harnorgane 
ganz  ähnlich  wie  die  Malpighischen  Gefässe,  Gewöhnlich 
sind  sie  verästelt  und  münden  mit  zwei  Stämmen  (Harn- 
leitern) in  den  hinteren  Theil  des  Darmkanals. 

2.     Die  Harnorgane  der  Mollusken. 

Die  Niere  der  Bivalven  ist  schon  lange  als  die 
sogenannte  Bojanus'sche  Drüse  bekannt,  obgleich  sie 
die  verschiedensten  Deutungen  hat  erfahren  müssen 
(Schleimdrüse  nach  Cuvier,  Lunge  nach  Bojanus 
u.  a.).  Sie  ist  paarig  und  liegt  am  Rücken  unter  dem 
Herzen  und  nach  dem  hinteren  Schliessmuskel  zu.  Hire 
Farbe  ist  bräunlich  oder  schwarzgrün.  Das  Excret  wird 
in  die  Mantelhöhle  ergossen,  und  häufig  fallen  Harn-  und 
Geschlechtsmündungen  zusammen  (z.  B.  bei  Teilina,  Car- 
dmm ,  Pinna)  oder  liegen  nahe  bei  einander.  Inwendig 
sind  die  Nierensäcke  durch  viele  Falten  in  vollständige 
oder  unvollständige  Fächer  getheilt,  deren  Oberfläche 
wimpert,  und  auf  deren  Wandungen  sich  ein  Blutgefäss- 
netz  ausbreitet.  Das  Blut  kommt  aus  den  venösen  Be- 
hältern ,  in  welchen  es  sich  vor  dem  Eintritt  in  die  Kie- 
men ansammelt.  Nicht  selten  strotzt  das  Nierenparen- 
chym von  unregelmässigen ,  körnigen  Harnconcrementen, 
die  übrigens  nie  fehlen  und  sich  in  den  Epithelialzellen 
neben  den  Zellkernen  bilden  *). 

Von  den  Cephalop  hören  sind  es  namentlich  die 
Kamm  kiemer  und  Lungenschnecken,  bei  denen 
man   mit    Sicherheit   Ilarnorgane   nachgewiesen    hat.     Bei 


*)    Hierzu   ist    der    Absclinilt    über    das    Gefässsystem    zu   ver- 
gleichen. 


5.  Kap.     Die  Harnorgaiie.  297 

jenen  ist  die  den  sogenannten  Purpursaft  absondernde 
Drüse  die  Niere;  sie  ergiesst  ihr  Excret  entweder  un- 
mittelbar, oder  durch  einen  Ausführungsgang  in  die  Kie- 
raenhöhle.  Sehr  leicht  kann  man  sich  bei  den  Lungen- 
schnecken die  Niere  zur  Anschauung  bringen,  vorzüglich 
bei  den  Gehäusschnecken  (Hellx)^  wo  sie,  von  dreiecki- 
ger Gestalt  und  gelblicher  Farbe,  rechts  vom  Herzen  im 
Grunde  des  Lungensackes  liegt.  Ihr  Ausführungsgang 
verläuft  neben  dem  Mastdarm.  Im  Inneren  der  Niere 
werden  durch  Falten,  von  den  äusseren  Wandungen  ent- 
springend, theils  unvollkommene,  theils  vollständig  ge- 
trennte Fächer  gebildet,  aus  denen  kleine  Oeffnungen  in 
den  gemeinschaftlichen ,  zur  Urethra  führenden  Gang 
münden.  Bei  den  Limacinen  liegt  die  wulstförmige  Niere 
um  den  Herzbeutel. 

Nachdem  in  den  sogenannten  schwammigen  Kör- 
pern, den  drüsigen,  büschelförmigen  Anhängen  der  gros- 
sen Yenenstärame  der  Cephalopo den  Harnsäure  nach- 
gewiesen, sind  diese  Organe  mit  Sicherheit  als  die  Nieren 
dieser  Thiere  zu  betrachten.  Sie  sind  mit  einer  umge- 
stülpten Drüse  verglichen  worden ,  indem  die  secernirende 
Fläche  die  Gefässverzweigungen  von  aussen  umgiebt. 
Auch  die  sogenannten  Kiemenherzen  der  Loliginen 
und  Octopoden  sind  nichts  weniger  als  Herzen,  sondern 
müssen  den  Harnorganen  zugezählt  werden.  Sie  sind 
nicht  von  muskulöser  Beschaffenheit,  sondern  in  ihren 
maschigen  Wandungen  finden  sich  ganz  ähnliche  Concre- 
mente,  wie  bei  den  Helicinen. 

3.     Die  Harnorgane  der   Wirbelthiere. 
Fische.     Die  Nieren  scheinen  keinem  Fische  zu  feh- 
len ,    da    sie    selbst   bei    Branchiostoma    durch    mehrere 


298  III-  Abschn.     Die  Organe  der  Ernährung. 

kleine,  in  der  Nähe  des  poriis  abdominalis  befindliche 
Drüschen  vertreten  sind.  Die  Nieren  der  Myxinoiden 
sind  isolirte,  von  Kapseln  umschlossene  Gefasskörperchen. 
Ein  enger,  kurzer,  von  der  Kapsel  ausgehender  Kanal 
geht  in  eine  sackförmige,  in  den  langen  Harnleiter  mün- 
dende Erweiterung  über.  Bei  den  übrigen  Fischen  bilden 
die  Nieren  zusammenhängende  Massen,  an  ihrer  unteren 
Fläche  überzogen  vom  Bauchfell.  Sie  sind  namentlich 
bei  den  Knochenfischen  sehr  ausgedehnt,  wo  sie  sich 
vom  Schädel  aus  unter  der  Wirbelsäule  und  in  der  Mit- 
tellinie häufig  verschmelzend  durch  die  ganze  Rumpfhöhle 
erstrecken.  Die  Samenleiter  der  männlichen  Plagiostomen 
gehen  in  die  Harnleiter  über.  Auch  bei  den  Stören  ver- 
binden sich  die  Ausführungsgänge  der  Geschlechtsdrüsen 
mit  den  Harnleitern.  Ueberhaupt  findet  sich  bei  allen 
Ganoiden  ein  eng  verbundener  IJrogenitalapparat  mit 
einer  Urogenitalöifnung.  Bei  Spatularia  z.  B.  münden 
die  Fortsetzungen  der  weiblichen  Trichter,  sowie  die 
Samenleiter  in  die  zweihörnige  Harnblase. 

Bei  den  Knochenfischen  sind  die  beiden  Systeme 
getrennt.  Ihre  Ureteren  beginnen  häufig  schon  am 
vorderen  Nierenende  und  münden  in  der  Regel  mit  ge- 
trennten Oeffnungen  in  die  Harnblase  ein.  Die  einfache 
Oefinung  der  Harnwerkzeuge  liegt  hinter  der  Geschlechts- 
öffnung, beide  hinter  der  Afteröffnung,  in  der  Regel  beide 
auf  der  abgerundeten  Spitze  einer  Papille.  Ausnahmen 
kommen  vor,  z.  B.  haben  die  Lophobranchien  eine  Am- 
phibiencloake. 

Nebennieren  liegen  bei  den  Myxinoiden  als  eigen- 
thümliche  traubige  Drüsen  vor  dem  oberen  blinden  Ende 
jedes  Harnleiters.  Den  Petromyzonten  scheinen  sie  zu 
fehlen ,  bei  den  übrigen  Knorpel-  und  bei  den  Knochen- 


5.  Kap.     Die  Harnorgane.  299 

fischen  finden  sie  sich  als  längliche  oder  rundliche  Kör- 
perchen entweder  mit  der  Substanz  der  Nieren  verbunden 
oder  hinter  denselben. 

Amphibien.  Die  beträchtlichen,  sehr  verschieden 
geformten  Nieren  der  Amphibien  liegen  meist  im  hinte- 
ren Theile  der  Rumpfhöhle.  Weiter  nach  vor  gerückt 
sind  sie  bei  den  Fröschen  und  Schlangen.  Gewöhnlich 
ganz  von  einander  getrennt,  verschmelzen  die  hinteren 
Enden  der  Nieren  mitunter  (z.  B.  bei  Proteus).  Die  lan- 
gen unverzweigten  Harnkanälchen  münden  gewöhn- 
lich einzeln  in  die  Harnleiter ;  nur  bei  den  Ophidiern 
vereinigen  sie  sich  büschelförmig  zu  stärkeren  Stämmchen. 
Die  Harnkanälchen  der  nackten  Amphibien  sind  inwen- 
dig auf  gewissen  Strecken  mit  Fliramerepithelium  ausge- 
kleidet. 

Die  nie  fehlenden  Malpighischen  Körperchen 
sind  bei  den  nackten  x\mphibien  sehr  gross. 

Der  Lage  der  Nieren  gemäss  sind  die  Harnleiter 
kurz,  am  längsten  bei  den  Ophidiern.  Sie  münden  theils 
für  sich,  theils  vereinigt  mit  den  Ausführungsgängen  der 
Geschlechtstheile  in  die  Cloake.  Die  nackten  Amphibien, 
Saurier  und  Chelonier  besitzen  an  der  vorderen  Wand 
der  Cloake  eine  Harnblase,  welche  mit  den  Harnlei- 
tern nicht  in  direkter  Verbindung  steht. 

Nebennieren  sind  bei  den  meisten  Amphibien,  nur 
bei  einigen  Batrachiern  nicht,  gefunden  worden.  Sie  lie- 
gen theils  über  den  Nieren ,  theils  an  den  Nierenvenen 
und  sind  gewöhnlich  gelb  gefärbt. 

Vögel.  Die  braunen  Nieren  der  Vögel  erstrecken 
sich  von  den  Lungen  bis  in  das  Becken  und  haben  an 
ihrer  oberen  Fläche ,  wie  die  Lungen ,  Eindrücke  von  den 
letzten   Rippen    und  den    Querfortsätzen  der   Kreuzbeins. 


300  in.  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

In  der  Regel  sind  sie  vollständig  getrennt  und  zerfallen 
in  drei  Hauptlappen.  Die  Oberfläche  erscheint  wie  das 
Gehirn  gewunden.  Die  Harnkanälchen  bekommen 
von  kurzen,  blind  endenden  Anhängen  ein  gefiedertes 
Aussehen  und  bilden  Büschel  und  Pyramiden,  in  welche 
die  Aeste  des  Harnleiters  sich  begeben.  Die  die  Nieren 
fast  in  der  ganzen  Länge  begleitenden  Harnleiter 
münden  von  oben  und  hinten  in  die  Cloake.  Die  Harn- 
blase fehlt. 

Die  kleinen  bräunlichen  Nebennieren  lehlen  nie; 
sie  liegen  vorn  und  am  Innenrande  jeder  Niere  und  stehen 
mit  den  Nebenhoden  oder  dem  linken  Eierstocke  in  Ver- 
bindung. 

Säugethiere.  Die  Niere  der  Säugethiere  stimmt 
in  allen  Avesentlichen  Stücken,  namentlich  was  den  inne- 
ren feineren  Bau  anbetrifl't,  mit  der  menschlichen  überein. 
Erst  bei  ihnen  unterscheidet  man  die  Cortical-  und  die 
Medullarsubstanz.  Die  Zahl  der  Läppchen  (renicull)  ver- 
mehrt sich  namentlich  bei  den  Seehunden  und  den  ächten 
Cetaceen  ausserordentlich  (beim  Delphin  über  200).  Die 
Harnblase  ist  immer  vorhanden. 

Auch  den  Säugethieren  fehlen  nie  die  Nebennieren. 


H.  Meckel,  Mikrographie  einiger  Drüsenapparate  u.  s.  w.  Müll. 
Arch.  1846.  (Feinere  Structur  der  3Ialpigliisclien  Gefässe 
und  der  Niere  der  Lamellibranchien  und  Schnecken.) 

E.  Karl  es  s,  lieber  die  Nieren  der  Sepia  oder  die  sogenannten 
Venenanhänge.     Wie  gm.  Arch  1847. 

J.  Hyrtl,  Beiträge  zur  Morphologie  der  Urogenitalorgane  der  Fische. 
Wien,  1849.  (Auch  in  Denkschriften  d.  math. -nat.  Klasse 
der  k.  Academie  der  Wissenschaften.  1.  Band.) 

Derselbe,  Das  uropoetische  System  der  Knochenfische.  Denkschr. 
d.  k.  Academie  d.  Wissenschftn.  II.  Bnd. 


5.  Kap.    Die  Harnorgane.  301 

Derselbe,  lieber  den  Zusammenhang  der  Geschlechts-  und  Harn- 
werkzeuge.    Ebendaselbst  Bd.  VUI.  1854. 

Bidder,  Vergl.  anatomische  und  histologische  Untersuchungen  über 
die  männlichen  Gesclilechls-  und  Harnwerkzeuge  der  nackten 
Amphibien.     Dorpat,  1846. 


Sechstes  Kapitel. 
Oie  bei§»onedreii  Absionderun^sfor^ane. 

1.    Die  litift  absondernden  Org^ane 
(j§ctiwinini1)lase). 


Mehrere  Röhr  en  qu  allen  (z.  B.  PhysaHa)  besitzen 
Luftbehälter,  welche  entweder  durch  ihre  Wände  die 
Luft  nach  innen  ausscheiden  oder  auch,  wie  die  genannte 
Gattung,  mit  einer  Oeffnung  versehen  sind.  Die  Blasen 
dienen  wohl  nicht  als  Respirationswerkzeuge,  sondern 
nur  dazu,     den  Körper  in    bestimmter  Lage  zu  erhalten. 

Auch  die  Kammern  in  den  Schalen  der  Na uti li- 
tt en  enthalten  Luft  und  lassen  sich  desshalb,  wie  die 
Luftbehälter  der  Röhrenquallen,  mit  der  Schwimmblase 
der  Fische  vergleichen,  indem  sie  vielleicht  das  Auf-  und 
Niedertauchen  vermitteln. 

Die  Schwimmblase  der  Fische  ist  ein  ausser- 
ordentlich variirendes  Organ,  welches  die  meisten  Kno- 
chenfische, die  Störe  und  Spatularien  haben.  Sie  fehlt 
u.  a.  der  Familie  der  Schollen,  häufig  auch  einzelnen 
Gattungen,  während  sie  den  übrigen  Gattungen  derselben 
Familie  zukommt.  Sie  wird  von  zwei  Häuten  gebildet, 
einer  inneren  Schleimhaut  und  einer  über  dieser  liegen- 
den fibrösen  Haut.  Ihre  Form  hat  nichts  Konstantes. 
Api  gewöhnlichsten  nur   aus  einer  Abtheilung  bestehend, 


6.  Kap.    Die  besonderen  Absonderungsorgane.  303 

zerfällt  sie  demnächst  am  häufigsten  durch  eine  Einschnü- 
rung in  zwei,  in  der  Regel  mit  einander  coramunicirende 
Kammern.     Ueber  ihre    Verbindung   mit  dem  Gehörorgan 
s.  S.  87.     Obwohl  sie  gewöhnlich  ohne  Ausführungsgang 
ist,    besitzt   sie  doch  bei  einer   bedeutenden   Anzahl  von 
Fischen  (bei  der  Ordnung   der    Physostomi  Müll.,    auch 
den  Stören)    einen  in   die  Speiseröhre    führenden  Luft- 
gang.    Die  Mündung  des  Luftganges  ist  zwar  meist  an 
der  Oberseite  der  Speiseröhre,   sie  kann  aber  auch  seit- 
lich (Erytliviims)   oder  sogar    ventral  sein  (Polypterus). 
Man  hat   gewöhnlich  die    Schwimmblase  für  ein  Re- 
spirationsorgan gehalten,  allein  gerade  das  charakteristi- 
sche Merkmal  der  Lunge,  welche  venöses  Blut  empfängt 
und  arterielles   abgiebt,    fehlt    der   Schwimmblase.     Ihre 
Arterien  kommen  von  den  Arterien  des  Körpers,  und  ihre 
Venen  gehen  in  die  Körpervenen  zurück,   selbst  bei  den 
zelligen  Schwimmblasen  von  Erythrimis  und  von  mehreren 
Siluroiden,   deren  Structur  noch  am  meisten  mit  derjeni- 
gen der  Lungen  scheinbar  übereinkommt.     Die  Schwimm- 
blase scheint  vornehmlich    ein    Hülfs-Bewegungsorgan  zu 
sein,    namentlich   aber  auf   das   Steigen  und    Sinken  der 
Fische  im  Wasser  einen  entschiedenen  Einfluss  auszuüben. 
Diess  tritt    besonders  bei  den    Fischen    deutlich   hervor, 
die  mit  einem  besonderen   Apparat  zur  Verengerung  und 
Erweiterung  der  Schwimmblase   versehen  sind.     So  wird 
z.  B.  bei  mehreren  Welsen  (Auchenipterus  ^  Doras,  Mala- 
ptenirits  u.  a.)  die  vordere  Abtheilung  der  Schwimmblase 
durch   einen,    wie  eine   Sprungfeder  wirkenden   Knochen 
eingedrückt,   der  am  ersten  Wirbel  befestigt  ist.     Wird 
die    Feder    durch    einen    Muskel    gehoben,    so  wird  die 
Schwimmblase  vorn  ausgedehnt,  und  zugleich  folgt  daraus 
die  Hebung   des    vorderen  Körperendes.     Dasselbe  wird 


304  IW«  Abschn.    Die  Organe  der  Ernährung. 

bei  den  Ophidiern  durch  eine,    wie  ein  Stöpsel  wirkende 
Vorrichtung  erreicht. 


J.  Müller,  Beobachtungen  über  die  Schwimmblase  der  Fisciie. 
In:  Untersuchungen  über  die  Eingeweide  der  Fische.  Schluss  der 
vergl.  Anat.  der  Myxinoiden.    Berlin,  1845. 


II.  Bie  excernirende  Drüse  der  Treinatoden. 

Am  Schwänzende  der  meisten  Trematoden  mündet 
ein  schlauchförmiges  contractiles  Organ,  welches  eine 
helle,  viele  Körner  und  Bläschen  enthaltende  Flüssigkeit 
nach  aussen  entleert.  Die  von  ihm  ausgehenden  Kanäle 
verzweigen  sich  mitunter  durch  den  ganzen  Körper  und 
stehen  mit  dem  oben  erwähnten  Gefässsystem  in  Verbin- 
dung. Es  liegt  nahe,  mit  diesem  Kanalsystem  das  Was- 
sergefässsystem  der  Rhabdocölen ,  die  den  Trematoden 
so  verwandt  sind ,  zu  vergleichen.  Allein  das  Excretions- 
organ  der  Trematoden  scheint  seinen  Inhalt  nur  durch 
Aufsaugung  aus  dem  Körperparenchym  zu  gewinnen  und 
könnte  nur  insofern  beim  Respirationsprocess  betheiligt 
sein,  als  es  das  durch  Endosmose  in  den  Körper  (und 
in  das  Gefässsystem?)  aufgenommene  AVasser  vielleicht 
wieder  aus  dem  Körper  schafft.  Dabei  kann  es  zugleich 
als  Harnorgan  dienen*). 


III.  Die  Kitt -Drüsen  der  Ring^elwürmer. 

Die  Absonderung  der  Kalkröhren,  in  welchen  die 


*)  Man  vergleiche    aber  hierzu,    was   früher  über  die    Respira- 
tionsorgane der  Helminthen  gesagt  ist. 


6.  Kap.     Die  besoiulereii  Abson(leniiigsorg:aiic.  305 

Serpulinen  sich  verbergen,  geht  wahrscheinlich  von 
dem  auf  dem  ersten  Körpersegment  befindlichen  Hautan- 
hange aus,  dem  sogenannten  Kragen,  der  sich  also  wie 
der  Mantelrand  der  GehäusmoUusken  verhalten  würde. 

Bei  anderen  Kapitibranchiaten  und  bei  Amphicora^ 
welche  aus  kleinen  Steinen ,  Pflanzentheilen  und  anderem 
Materiale  ihre  Röhre  zusammensetzen,  finden  sich  innere, 
mit  besonderen  Ausführungsgängen  versehene  Drüsen, 
welche  den  zum  Zusammenfügen  jener  Stoffe  dienenden 
Leim  oder  Kitt  absondern.  Bei  Awphicora  liegen  sie  in 
der  Nähe  des  Afters,  nierenförmig,  zu  beiden  Seiten  des 
Darmkanals.  Die  aus  ihrem  hinteren  Ende  abgehenden 
Ausführungsgänge  vereinigen  sich  und  münden^  wie  es 
scheint,  gemeinschaftlich  in  den  Mastdarm.  Bei  Aniplii- 
tvite  münden  die  vier  Kitt  absondernden  Drüsen  gemein- 
schaftlich am  ersten  Körpersegment.  Aehnliche  Drüsen 
sind  im  Vorderende  von  Sabclla  und  Terebella  beob- 
achtet. 

IV.  Bei-  Tiiiteiibeutel  der  Ceplialopoden. 

Ungefähr  in  der  Mittellinie  des  Bauches ,  auf  der 
Leber,  besitzen  die  Cephalopoden  ein  meist  birnförmiges 
Organ,  in  dessen  dicken,  zelligen  Wandungen  die  Ab- 
sonderung des  bekannten  schwarzen  Pigmentes  vor  sich 
geht.  Der  Ausführungsgang  der  Tintendrüse  mündet  neben 
dem  After  oder  noch  in  den  Mastdarm ,  und  das  Pigment 
wird  mit  dem  in  die  Mantelhöhle  aufgenommenen  Wasser 
durch  den  Trichter  ausgespritzt. 

T.  Die  i§pinnwerkzeug^e  der  Araneen  und 
Iniseeteiilarven. 

Der  Stoff,  aus  welchem  die  Spinnen  ihr  Gewebe  ver- 
fertigen,   wird  durch    eine    Menge  von    Drüsen  secernirt 

20 


306  m«  Absclm.    Die  Organe  der  Ernährung. 

die  zwischen  den  Eingeweiden  des  Hinterleibes  liegen 
und  auf  vier  (bei  IMygale)  oder  sechs  (bei  den  übrigen 
Araneen)  Spinnwarzen  münden.  Die  feinere  Structur  die- 
ser Drüsen  ist  sehr  einfach  und  gleichförmig,  indem  über- 
all eine  secernirende  Zellenschicht  zwischen  einer  tunicn 
propria  und  einer  tunica  inüma  liegt.  Ihre  Zahl  ist  häu- 
fig ganz  enorm;  so  zählt  man  bei  Epelra  über  tausend. 
Man  kann  ungefähr  fünf  verschiedene  Arten  unterschei- 
den ,  die  sich  alle  hei  Epeira  in  folgender  Weise  finden: 
1)  Glandulae  acinifoniies,  die  beerenförmigen  Drüschen, 
werden  aus  kleinen  birnförmigen  Acini  gebildet  und  ver- 
einigen sich,  je  über  hundert,  zu  sechs  kleinen  Läppchen 
für  die  sechs  Spinnwarzen,  indem  ihre  Ausführungsgänge 
schraubenförmig  um  einander  gewunden  sind.  3)  GL  am- 
piillaceae,  die  bauchigen  Drüsen,  für  jede  Spinnwarze  eine, 
nehmen  von  ihrem  blinden  Ende  allmählig  an  Dicke  zu, 
verengern  sich  dann  plötzlich  und  gehen  in  einen  langen, 
eine  Schlinge  bildenden  Ausführungsgang  über.  3)  Gl. 
lubuliformes ,  die  cylindrischen  Drüsen,  je  zwei  für  die 
beiden  oberen  Spinnwarzen,  je  eine  für  die  mittleren. 
Sind  den  vorigen  ähnlich.  4)  Gl.  aggregatae ,  die  baum.- 
förmigen  Drüsen ,  werden  aus  weiten,  mit  vielen  Taschen 
besetzten  Kanälen  gebildet.  Auch  der  mittlere  Theil  ihrer 
Ausführungsgänge  ist  mit  Blindsäckchen  besetzt.  Je  ein 
Paar  mündet  in  die  oberen  Spinnwarzen.  5)  Gl.  hibero 
sae ,  die  knolligen  Drüsen.  Sie  sind  dichotomisch ,  aber 
nicht  weit  verästelt,  und  ihre  Aeste  bilden  varicöse  An- 
schwellungen. Von  diesen  Drüsen  sind  nur  zwei  für  die 
mittleren  Warzen  vorhanden. 

Die  Sp  in n Warzen  haben  die  Form  schief  oder  ge- 
rade abgestumpfter  Kegel  und  bestehen  aus  zwei  oder 
drei  Gliedern.     Die  Ausführungsgänge  der  Drüsen  ragen 


6.  Kap.     Die  besonderer.  Absonderungsorgaiic.  307 

als  die  sogenannten  Spulen  oder  Spinnröhren  über 
die  Gipfel  der  Warzen  hinaus ,  und  der  Spinnenfaden  be- 
steht also  aus  so  viel  einzelnen  Strängen ,  als  Drüsen  und 
Spulen  vorhanden  sind. 

Die  Larven  vieler  h  o  lometabolischen  Insek- 
ten, welche  entweder  schon  vor  dem  Puppenzustande  in 
einem  gemeinschaftlichen  Gewebe  leben ,  wie  manche 
Raupen,  oder  sich  für  ilir  Puppenleben  einspinnen,  sind 
mit  Spinndrüsen  (sericteria)  versehen,  deren  Structur 
mit  derjenigen  der  Speicheldrüsen  übereinstimmt,  und  die 
als  fadenförmige,  während  der  Spinnzeit  anschwellende 
Schläuche  zu  beiden  Seiten  des  Darmkanals  liegen.  Ihre 
Ausfüiirungsgänge  münden  an  der  Unterlippe.  Bei  der 
Larve  von  Myrmeleon  versieht  der  Mastdarm  die  Stelle 
der  Spinndrüse. 


Vergl.    H.    aieckel,    3Iikrographie   u.    s.    w.    MüUer's   Av 
chiv  1846. 


VI.  ®ie  CJiftdriiseii. 

Mit  einem  sehr  eigenthümlichen  Gift-  und  Wehrappa- 
rat ist  die  mikroskopische  Rhahdocöle  Prostomum  lineaer 
versehen.  Er  besteht  aus  einem  in  einer  Scheide  sich 
bewegenden  hohlen  Stachel  und  einer  an  dessen  oberem 
Ende  befindlichen  Giftblase.  Der  Stachel  tritt  aus  dem 
Ende  des  Hinterleibes  hervor ,  in  welchen  das  Organ  in 
seiner  gewöhnlichen  Lage  ganz  zurückgezogen  ist. 

Vergl.  0.  Schmidt,  Die  rhabdoc.  Strudelwürmer.    Jena,  1848 
S.  25.   und  Dessen  Krakauer  Turbell.  Denkschr.  d.  k.  Acad.  18.58. 

Sehr  vielen  Arachniden  sind  fadenförmige  oder 
schlauchförmige  Giftdrüsen  eigenthüralich,  deren  Ausfüh- 
rungsgang in   die    hohlen    Klauenfühler    einmündet.     Bei 

20  * 


308  ill-     Abschn.     Die  Organe  der  Ernährung. 

den  Scorpionen  liegen  die  Drüsen  im  letzten  Schwanz- 
segment. 

Unter  den  Insekten  besitzen  namentlich  die  Weib- 
chen der  Hymenoptern  einen  Giftapparat  am  Hinter- 
leibsende. Die  Drüse  ist  paarig,  zwei  einfache  (Vespu, 
Apis)  oder  verästelte  (Pompilus)  Schläuche,  deren  Secret 
sich  in  einer  Blase  ansammelt.  Aus  dieser  wird  es  ge- 
wöhnlich durch  den  hohlen  Stachel  entleert.  Die  Amei- 
sen,  denen  der  Stachel  am  Hinterleibe  fehlt,  machen  die 
Wunde ,  in  welche  sie  das  Gift  spritzen ,  mit  den  Kiefern. 
Die  feinere  Struktur  dieser  Giftorgane  der  Spinnen  und 
Insekten  erinnert  an  die  Speichelgefässe  derselben  Thiere. 

Der  in  den  Haaren  der  Processionsraupe  befind- 
liche Stoff  ist,  wie  bei  den  Ameisen,  Bienen,  Wespen, 
Spinnen  u.  a.  Ameisensäure.  Mit  jedem  Haare  steht  eine 
unmittelbar  unter  der  Haut  liegende,  flaschenförmige 
Drüse  in  Verbindung,  zusammengesetzt  aus  langen,  blind- 
darmigen ,  am  Ende  etwas  angeschwollenen  Kanälen  und 
umhüllt  von  einer  einfachen  durchsichtigen  Membran. 
Aehnliche  Drüsen  finden  sich  auch  an  den  Haaren  von 
Bombyx  Salicis. 

Fr.  Will,  Miincli.  Gel.  Anz.  1849.  No.  185. 

Die  Giftdrüse  der  Schlangen,  der  parotis  ent- 
sprechend, liegt  hinter  und  unter  dem  Auge.  Ihr  Drüsen- 
gewebe ist  von  einer  fibrösen ,  häufig  doppelten  Scheide 
umgeben.  Der  Ausführungsgang,  den  die  Scheide,  w^enn 
sie  doppelt  ist,  begleitet,  mündet  in  den  Giftzahn  (s.  oben 
S.  205). 

J.  Bächtold   (yraes.  Rapp),    Untersiiolunigen  über  die  Gift- 
werkzeuge der  Schlangen.     Tüb.,  1843. 


Vierter  Abschnitt. 
Da^  Fortiiflaiizuii^sisy^teiii. 


Allg^eineine  Krläuteruiigeii. 

Die  ganze  neuere  Geschichte  der  vergleichenden  Ana- 
tomie hat  gezeigt,  dass  das  Verständniss  der  fertigen 
Thierformen  und  die  Vergleichung  der  verschiedenen  Typen 
nur  durch  ein  specielleres  Eingehen  in  die  Entwicklungs- 
vorgänge ermöglicht  ist. 

Indem  somit  die  vergleichende  Anatomie  auf  das  In- 
nigste mit  der  vergleichenden  Entwicklungsgeschichte  ver- 
knüpft ist,  haben  wir  in  diesem  Schlussabschnitt  uns  nicht 
nur  mit  den  Formen  aller  der  Haupt-  und  accessorischen 
Organe  zu  beschäftigen,  welche  das  Bildungsmaterial  der 
neuen  Individuen  mit  allem  Zubehör  liefern  und  den  Em- 
bryo bis  zur  Geburt  beherbergen,  wir  haben  auch  die 
Arten  der  Entwicklung  selbst  zu  mustern. 

Am  allgemeinsten  ist  in  der  Thierwelt  die  ge- 
schlechtlicji  e  F  or|tpflanzung  verbreitet,  deren 
Eigenthümlichkeit  darin  besteht,  dass  durch  das  Zu- 
sammenwirken und  die  Vereinigung  zweier  verschiedener 
Fortpflanzungsstoffe  der  Embryo  entstehen  kann.  Das  Ei 
(oviilnm)  als  der  eine  Stoff,  bedarf  in  der  Regel  der  Be- 
fruchtung   durch    den    anderen,    den    Samen    (seme??. 


310  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

sperma) ,  und  die  beiden  bei  dieser  Fortpflanzungsweise 
durchaus  nothwendigen  Organe ,  die  nur  in  seltenen  Fällen 
in  merkwürdiger  Weise  combinirt  sind,  sind  der  Eier- 
stock und  der  Ho  de.  Alle  übrigen  Organe  des  Ge- 
schlechtsapparates 5  welche  die  Geschlechtsprodukte  auf- 
bewahren, ausführen,  die  Begattung  vermitteln  u.  s.  w., 
sind  gegen  jene  beiden  unwesentlich,  und  es  giebt  daher 
nicht  wenige  Thiere ,  welche  ausser  jenen  beiden  Drüsen 
keine  Fortpflanzungsorgane  besitzen.  Die  anatomischen 
Verhältnisse  der  Geschlechtswerkzeuge  sind  unabhängig 
von  den  Erscheinungen,  welche  die  spätere  Entwicklung 
des  Eies  und  des  aus  dem  Ei  gekommenen  Jungen  dar- 
bietet, daher  wir  auch  innerlich  berechtigt  sind,  die  Form 
der  Geschlechtsorgane  und  die  Arten  der  Entwicklung  in 
verschiedenen  Kapiteln  zu  betrachten.  Ebenso  unabhän- 
gig von  der  Entwicklung  des  Embryo  ist  es ,  ob  die  Ge- 
schlechter getrennt  sind,  oder  ob  beiderlei  Geschlechts- 
organe in  demselben  Individuum,  einem  Hermaphro- 
diten vereinigt  sind, 

Das  vollständige  Ei  besteht  aus  dem  von  der  Dot- 
terhaut (membrana  vitelllna)  umschlossenen  Dotter 
(vitellus) ,  in  welchem  sich  ein  helles  Bläschen ,  das 
Keimbläschen  (vesicula  germinativa)  mit  einem  dunk- 
leren Fleck,  Keimfleck  (maciila  germinativa)  befindet. 
Accessorische  Bestandtheile  mancher  Eier  sind  u.  a.  das 
Ei  weiss  (albumen)  und  die  Schale  (testa). 

Als  der  primitive,  nicht  selten  räumlich  vom  Dotter 
getrennt  entstehende  Theil  des  Eies  ist  das  Keimbläschen 
anzusehen ,  um  welches  sich  die  übrigen  Theile  gruppiren. 

Die  Hauptbestandtheile  des  Samens  sind  die  in  einer 
zähen  Flüssigkeit  (lirjtior  seminis)  enthaltenen  Samen- 
kör p  e  r  c  h  e  n  (spermatozoa ,     zoospermia) .     Die  am  hau- 


IV.  Absclin.    Das  Fortpflanzungssysteni.  311 

figsten  vorkommende  Gestalt  derselben  ist  die  einer  Steck- 
nadel, d.  h.  sie  bestehen  aus  einem  Köpfchen  und  einem 
fadenförmigen  Schwanzanhange,  welcher,  so  lange  der 
Samen  befruchtungsfähig,  sich  undulirend  oder  pendelnd 
bewegt.  Die  Samenkörperchen  sind  selbständige  Form- 
elemente, eine  besondere  Art  von  Flimmerorganen.  Die 
Entwicklung  geschieht  gewöhnlich  entweder  so,  dass  in 
kleinen  isolirten  Bläschen  sich  je  ein  Samenfaden  bildet, 
der  durch  Dehiscenz  frei  wird  (z.  B.  bei  den  Saugethie- 
ren),  oder  in  der  ursprünglichen  (Mutter-)  Zelle  entste- 
hen mehr  oder  minder  zahlreiche  Tochterzellen,  eigent- 
liche Keimzellen,  in  denen  sich  dann  die  Samenfäden  aus- 
scheiden (Mollusken  ,  Ringelwürmer  u.  a.).  Die  bei  einer 
Begattung  auf  das  Weibchen  zu  übertragende  Samenpor- 
tion ist  häufig  von  einer  besonderen  Hülle  umgeben,  und 
heisst  ein  solches  Paket  Sperraatophore. 

Die  Befruchtung  des  Eies  geschieht  nach  den 
neusten  an  Säugethieren ,  Amphibien,  Insekten  und  Wür- 
mern gemachten  wichtigen  Entdeckungen  damit,  dass  die 
Zoospermien  theils  durch  die  Dotterhaut  hindurch  allsei- 
tig, theils  durch  eine  oder  mehrere  besondere  OefTnungen 
(nncropyle)  in  den  Dotter  eindringen,  sich  hier  auflösen 
und  ihre  Substanz  mit  der  des  Dotters  vermischen  *). 
Unabhängig   von  der    Befruchtung   ist    das    Verschwinden 


*)  Eine  scheinbar  eigenthümliche  Art  der  Vermischung  des 
Samens  mit  den  Eielementen  findet  da  statt,  wo  Dotter-  und  Keim- 
stücke  getrennt  sind,  nämlich  bei  dem  grössten  Theile  der  Phüyel- 
mia.  Hier  berühren  sich  Samen  und  der  sogenannte  Keim,  ehe  der 
Dotterstocksdotter  sich  an  den  Keim  legt.  Da  jedoch,  wie  zuerst 
Aubert  darauf  hingewiesen  hat,  diese  Keime  schon  in  dem  Keimstock 
ebenfalls  mit  einem  besonderen,  wenn  auch  nicht  sehr  voluminösen 
Dotter  versehen  werden,  den  ich  Befruchtungsdotter  nennen  möchte, 
läuft  auch  diese  Weise  der  Befruchtung  auf  die   gewöhnliche  hinaus. 


312  IV.  Abschn.     Das  Fovlpflaazungssyslem. 

des  Keimbläschens ,  es  fällt  aber  sehr  häufig  damit  zu- 
sammen. Nach  der  Befruchtung  tritt  die  F  ur  chun  g  des 
Dotters  ein ,  eine  Erzeugung  der  zum  Aufbau  des  Embryo 
nöthigen  Zellen.  Die  Furchung  ist  entweder  eine  totale, 
wenn  sie  sich  über  die  gesammte  Dottermasse  erstreckt, 
oder  eine  partielle,  wenn  nur  derjenige  Theil  des 
Dotters  zerklüftet  wird ,  aus  dem  die  erste  Anlage  des 
Embryo  gewonnen  wird ,  während  der  übrige  Theil  des 
Dotters  den  sogenannten  Nahrungsdotter  bildet. 

Eier  ohne  Befruchtung.  Nicht  unter  allen  Um- 
ständen bedarf  das  Ei,  um  sich  zu  entwickeln,  der  Be- 
fruchtung. Beispiele  hierfür  liefern  namentlich  die  Hy- 
menoptern,  u.  a.  die  Bienen,  deren  Männchen  aus  unbe- 
fruchteten Eiern  hervorgehen. 

Wesentlich  verschieden  von  der  bisher  im  Allgemei- 
nen geschilderten  Art  ist  die  ungeschlechtliche 
Fortpfanz  ung.  Es  bedarf  dabei  selbst  in  dem,  der 
geschlechtlichen  Fortpflanzung  ähnlichen  Falle ,  wo  in  ei- 
genthümlichen  inneren  Räumen  oder  Organen  besondere 
Keime  entstehen,  nicht  einer  Befruchtung  derselben, 
sondern  diese  entwickeln  sich  ohne  Weiteres  zu  neuen 
Individuen.  Noch  viel  abweichender  ist  aber  die  unge- 
schlechtliche Fortpflanzung  durch  Th eilung  und  Knos- 
p  u  n  g. 

Physiologisch  streng  lässt  sich  zwischen  beiden  ver- 
schieden benannten  Vorgängen  keine  Gränze  ziehen,  in- 
dem wohl  nie  das  Thier  in  der  Weise  in  zwei  Hälften 
oder  in  mehrere  gleiche  Theile  zerfallt,  dass  nicht  noch 
während  des  Zusammenhanges  jeder  sich  zum  selbstän- 
digen Individuum  loslösende  Theil  gleichsam  als  eine 
Knospe  der  anderen  Hälfte  oder  der  übrigen  Theile  zu 
betrachten  wäre,     lud  im  anderen  Falle,    wo  wir  Knos- 


IV.  Absclni.     Das  Fovtpflaiizungssyslem.  313 

penbildung  zu  haben  glauben ,  geht  nicht  selten  ein  wirk- 
licher Theil  des  Mutterthieres  ohne  besondere  histiologi- 
sche  Veränderung  in  die  Knospe  über. 

Alle  Thiere  haben  natürlich  im  Ei  oder  überhaupt 
während  der  Entwicklung  eine  Reihe,  nach  den  Typen 
und  Klassen  sehr  verschieden  sich  gestaltender  Umwand- 
lungen durchzumachen;  viele  werden  jedoch  so  geboren, 
dass  sie  im  Allgemeinen  dem  Mutterthiere  oder  einem  der 
Eltern  vollständig  ähneln.  Bei  sehr  vielen  ist  aber  das 
Neugeborene  so  auffallend  abweichend  durch  Gestalt, 
durch  den  Besitz  besonderer  zu  besonderer  Lebensweise 
nothwendiger  Organe,  durch  den  Mangel  anderer,  welche 
für  die  spätere  Lebensperiode  erforderlich  sind,  dass  man 
in  diesem  Falle  vorzugsweise  von  einer  Met  amorph  ose 
spricht.  Wir  beschränken  diesen  Begriff  immer  nur  auf 
die  Veränderungen  der  Gestalt  und  des  physiologischen 
Verhaltens,  welche  ein  und  dasselbe  Individuum  betreffen, 
und  die  Benennung  Larve  darf  streng  und  in  der  ur- 
sprünglichen Bedeutung  genommen  nur  auf  ein  Individuum 
angewendet  werden  während  der  Periode,  in  welcher  es 
sich  zu  seiner  definitiven  Gestalt  entwickelt.  Die  Me- 
tamorphose ist  also  der  Entwicklungscyclus  eines  Indi- 
viduum. 

Viel  weitgreifender  ist  die  eigenthümliche  Art  der 
Fortpflanzung,  welche  Generationswechsel  heisst, 
und  wodurch  der  Begriff  der  Species ,  wie  man  ihn  ge- 
wöhnlich zu  haben  pflegt,  und  wonach  alle  diejenigen 
Individuen  zu  einer  Species  gehören,  welche  zu  einer 
gewissen  Lebensperiode  nahebei  dieselbe  Grösse  und  Ge- 
stalt erlangen  und  sich  fruchtbar  fortpflanzen ,  wesentlich 
modificirt  wird.  Der  Artbegriff  wird  nämlich  bei  den 
dem     Generationswechsel    unterworfenen     Thieren    nicht 


314  IV.  Absclin.    Das  Foitpflauzuiigssystem. 

durch  die  Merkmale  einer  Generation  von  Thieren  voll- 
ständig, sondern  es  gehören  mehrere  in  cyclischer  Ent- 
wicklung auf  einander  folgende  Generationen  dazu,  die 
im  Allgemeinen  in  dem  Verliältniss  zu  einander  stehen, 
dass  die  eine,  als  Hauptrepräsentant  der  Art,  Geschlechts- 
organe entwickelt  und  durch  Samen  und  Eier  sich  fort- 
pflanzt, während  die  aus  den  Eiern  hervorgegangene 
Generation  durch  eigenthümliche  Keimbereitung,  durch 
Theilung  oder  Knospenhildung  proliferirt  und  erst  in  ihren 
Nachkommen  oder  in  den  Producten  dieser  Nachkommen 
der  ersten ,  Samen  und  Eier  zeugenden  Generation  wieder 
ähnlich  wird.  Die  keimbereitenden  Zvvischengenerationen 
sind  Ammen  genannt  worden.  Der  Generationswechsel 
ist  mithin  eine  Metamorphose  von  Generationen,  inner- 
halb welcher  die  Metamorphose  von  Individuen  vielfältig 
vorkommt. 


Erstes  Kapitel. 
Die  Oeischlechtisor^ane. 


1.     Die    Geschlechtsorgane    der    Strahlt  liiere. 

Polypen.  Wahrscheinlich  liönnen  alle  Polypen  sich, 
periodisch  wenigstens,  durch  Eier  fortpflanzen.  Die  Ge- 
schlechter sind  vielleicht  immer  getrennt  (Actinia,  Vere- 
tilliim  cynomorium ,  Alcyonium) ,  so  dass  bei  dem  voll- 
ständigen 3Iangel  von  Begattungsorganen  alle  Befruchtung 
durch  das  Wasser  vermittelt  uird. 

Hoden  und  Eierstöcke  gleichen  gekrösartig  an 
den  Wandungen  der  Leibeshöhle  befestigten  Bändern, 
und  ihre  Producte  gelangen  unmittelbar  in  die  Leibes- 
höhle, von  wo  sie  durch  Magen  und  Mund  entleert 
werden. 

ScliAvimmpolypen.  Die  Colonieen  der  Sipho- 
nophoren  sind  meist  hermaphroditisch;  man  kennt  je- 
doch auch  eingeschlechtige ,  wie  Diphyes  quadrivahis 
Geg enbaur.  Die  Geschlechtsorgane  (nach  Leuckart 
Geschlechtsindividuen)  zeigen  in  ihrer  höchsten  Entwick- 
lung grosse  Aehnlichkeit  mit  Scheibenquallen,  eine  Aehn- 
lichkeit,  die  um  so  grösser  wird,  wenn  diese  individuen- 
gleichen Organe  sich  von  dem  Stamme  loslösen  und  selb- 
ständig eine  Zeit  lang  umherschwimmen.  Das  typische 
männliche    Organ   besteht    aus    einer   unten    offenen, 


316  IV".  Absclm.    Das  Foiipflanzungssyslem. 

meist  glockenförmigen  Kapsel  mit  vier  radiären  Gefässen, 
einem  Ringkanal  und  einem  contractilen  Saum ,  ferner  aus 
einem  darin  befindlichen  Schlauche,  dem  Samensacke,  mit 
einem  inneren,  Nahrungssaft  enthaltenden  Räume. 

Dem  ganz  ähnlich  gebaut  ist  das  weibliche  Or- 
gan, es  fehlt  aber  gewöhnlich  der  zuletzt  erwähnte 
Nahrungssaftbehälter.  Der  dem  Samensack  entsprechende 
Eiersack  enthält  1  bis  20  und  mehr  Eier. 

Diese  Theile  finden  sich  bald  einzeln ,  bald  in  grös- 
serer Anzahl  und  dann  meist  traubenförmig  vereinigt. 

Scheibenquallen.  Die  Anordnung  der  an  Form 
und  Farbe  sich  täuschend  ähnlich  sehenden,  aber  auf  ver- 
schiedene Individuen  vertheilten  Geschlechtsorgane  der 
Scheibenquallen  ist  sehr  variirend.  Bei  mehreren 
Gattungen  (z.  B.  Oceania)  durchkreuzen  sich  die  Hoden 
oder  Ovarien,  indem  sie  radienförmig  vom  Scheibenrande 
nach  dem  Magen  verlaufen,  ohne  deutliche  Mündungen. 
Bei  anderen  ( Rhizostomum ,  Medusa,  Pelagia  u.a.)  finden 
sich  an  der  Unterfläche  der  Scheibe,  um  die  Basis  der 
grossen  Arme  herum ,  vier  Höhlen ,  in  deren  Grunde  die 
bandförmigen,  auf  verschiedene  Weise  gruppirten  Ge- 
schlechtsdrüsen befestigt  sind.  An  den  Armen  einiger 
weiblichen  Scheibenquallen  (Medusa)  entwickeln  sich  ei- 
genthümliche  Bruttaschen,  in  welchen  längere  Zeit  die 
Jungen  beherbergt  werden. 

Eigene  Begattungsorgane  fehlen  den  Quallen ,  daher 
bei  den  getrennten  Geschlechtern  die  Uebertragung  des 
Samens  durch  das  Meerwasser  geschieht. 

Sehr  eigenthümlich  verhält  sich  die,  wegen  der  übri- 
gen Hydrinen  den  Quallen  zugezählte  Gattung  Hydra, 
an  der  sich  periodisch  ausser e  Geschlechtsorgane 
entwickeln.     Die    Hoden    wachsen    unter  der  Basis  der 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  317 

Arme  als  konische,  an  der  Spitze  durchbohrte  Papillen 
hervor  und  enthalten  eine  sehr  gewöhnliche  Spermato- 
zoenform,  bestehend  aus  einem  Köpfchen  mit  dem  haar- 
förmigen  Anhange.  An  demselben  Individuum ,  unterhalb 
der  Hoden,  treten  verhältnissmässig  grosse  Eier  hervor, 
die  sich  nach  und  nach  abschnüren  und  mit  einer  harten, 
bei  Hydra  vulgaris  mit  vielen  zackigen  Fortsätzen  ver- 
sehenen Hülle  umgeben. 

Die  Rippenquallen  sind  Zwitter;  ihre  schlauch- 
förmigen Hoden  und  Ovarien,  die  sich,  wie  bei  den  Schei- 
benquallen, nur  periodisch  entwickeln  und  sich  äusserlich 
so  gleichen,  dass  sie  häufig  nur  durch  eine  nähere  Ana- 
lyse ihres  Inhaltes  sich  unterscheiden  lassen,  liegen  neben 
den  Rippen,  auf  einer  Seite  ein  Ovarium,  auf  der  anderen 
ein  Hode.  Ob  der  von  ihnen  bis  zum  Munde  gehende 
Ausführungsgang  nach  aussen  mündet,  ist  ungewiss. 

Echinodermen.  Fast  alle  Echinodermen  sind  ge- 
trennten Geschlechtes,  indem  vielleicht  nur  die  Gattung 
Syjiapta  hermaphroditisch  ist.  Auch  hier  sind  Weibchen 
und  Männchen  ausser  der  Brunstzeit  kaum  zu  unterschei- 
den. Die  Ovarien  und  Hoden  sind  einfache  oder  ver- 
ästelte Schläuche,  die  häufig  keine  Ausführungsgänge  be- 
sitzen und  daher  ihre  Producte  durch  Dehiscenz  in  die 
Leibeshöhle  entleeren.  Bei  den  Crinoiden  liegen  die 
Geschlechtsschläuche  an  den  phmu'ae»  Die  fünf  Hoden 
oder  Ovarien  der  Echinoiden  befinden  sich  zwischen 
den  Ambulakralbläschenreihen.  Die  einzelnen  Blindsäck- 
chen  jedes  Organs  münden  in  einen  besonderen  Ausfüh- 
rungsgang, \velcher  am  Rücken  die  Genital  platten 
durchbohrt.  Bei  den  Ophiuren  liegen  die  gelappten 
Geschlechtstheile,  je  zwei,  also  zehn  im  Ganzen,  in  den 
Interradialräumen    um    den   Magen    herum;    sie    sind  mit 


318  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

einem  nach  dem  Munde  gehenden  Stiele  versehen,  der 
jedoch  nicht  der  Ausfiihrungsgang  zu  sein  scheint.  Wahr- 
scheinlich fallen  Samen  und  Eier  in  die  Leibeshöhle  und 
werden  durch  die  Spalten  des  Hautskeletes  entleert.  Die 
varicösen  Geschlechtsdrüsen  der  Asterien  liegen  in  den 
Armwinkeln  und  sind  bei  den  afterlosen  und  auch  meh- 
reren mit  einem  After  versehenen  Seesternen  ohne  Oeff- 
nungen  und  Ausführungsgänge.  Bei  anderen  Seesternen 
mit  After  (Asteracanthion  rubens,  Solaster  papposus)  fin- 
den sich  auf  dem  Rücken  in  jedem  Interradialraume  zwei 
nackte ,  siebartig  durchlöcherte  Stellen  (laminae  cribrosae), 
wo  die  Ausführungsgänge  münden. 

Der  Eierstock  oder  Hode  der  Holothurien  be- 
steht aus  einem  Büschel  verästelter  Blindsäcke  (Ovarium 
roth,  Hode  weisslich) ,  welche  frei  in  der  Leibeshöhle 
liegen  und  vorn  in  einem  einzigen  Ausführungsgange  zu- 
sammenkommen ,  der  zwischen  den  Tentakeln  an  der 
Rückenseite  mündet. 

2.     Die  Geschlechtsorgane  der   Würmer. 

Infusorien.  Es  scheint  sicher  zu  sein,  dass  auch 
bei  den  Infusorien  eine  geschlechtliche  Fortpflanzung  statt 
findet,  und  dass  das  Organ,  welches  Ehren  her  g  als 
den  Hoden  bezeichnete ,  wirklich  eine  Geschlechtsdrüse 
ist.  Neuerlich  hat  man  dasselbe  nucleus  genannt,  einen 
kleineren ,  meist  wandständigen  Theil  micleoliis.  Nach 
Balbiani  (Comptes  rendus.  Mars.  Aout  1858)  wäre  der 
nucleus  Eierstock,  der  nucleolus  Hode*). 


*)  Von  Samenkörperchen  in  einem  der  beiden  Theile  sprechen 
J.  Müller,  C 1  a  p  a  r  e  d  e  ,  L  a  c  h  m  a  n  n  ,  L  i  e  b  e  r  k  ü  h  n.  Nähere 
Aufschlüsse  sind  in  dem  im  Erscheinen  begriffenen  Werke  von  Stein 
zu  erwarten  „Der  Organismus  der  Infusionsthiere  etc."  Leipzig  1859. 


1.  Kap.     Die  Geschlechtsorgane.  319 

P 1  a  t  y  e  1  m  i  a.  Zu  den  hermaphroditischen 
Platyelmieii  gehören  sämmtliche  Dendrocölen,  fast 
alle  Rhabdocölen,  alle  Cestoden  und  Tremato- 
de n.  Diese  zeigen  in  den  Grundzügen  ihres  Geschlechts- 
organismus eine  grosse  Uebereinstimmung.  Die  weibliche 
Geschlechtsdrüse  zerfällt  in  zwei  räumlich  getrennte  und 
an  Umfang  sehr  verschiedene  Partien.  Die  kleinere  ist 
der  sogenannte  Keimstock,  in  welchem  die  Keimbläs- 
chen und  ein  eigenthümlicher  feinkörniger  Dotter  gebildet 
werden,  den  man  den  Befruchtungsdotter  nennen  kann. 
Mit  ihm  nämlich  kommen  die  Sperraatozoen  in  Berührung 
vor  dem  Hinzutritt  des  in  den  ausgedehnten  Dotter- 
stöcken bereiteten  grobkörnigen  Dotters.  Von  sehr 
verschiedener  Ausdehnung  ist  das  Organ,  in  welchem  diese 
verschiedenen  Eielemente  mit  den  Spermatozoen  sich  be- 
gegnen und  zum  vollständigen  Ei  werden,  jenachdem  die 
Eier  einzeln  ausgestossen  werden  (Prostominn^  viele 
Vortex  u.  a. ,  Planarien)  oder  in  grösserer  Zahl  sich  an- 
häufen (Cestoden  und  Trematoden);  es  ist  der  Uterus. 
Die  den  Dendrocölen  fehlenden  weiblichen  Samen- 
taschen kommen  sehr  allgemein  bei  den  Cestoden, 
ganz  besonders  aber  bei  den  Trematoden  und  Rhab- 
docölen vor.  Während  die  meisten  von  ihnen  nur  ein 
einfaches  sackförmiges  Behältniss  zur  Aufnahme  und  Be- 
herbergung des  Samens  bis  zur  Befruchtung  besitzen,  ist 
bei  den  typischen  Arten  von  3Jesostomum ,  wie  bei  vielen 
Insecten ,  eine  öursa  copulatrix  und ,  in  unmittelbarer  Ver- 
bindung mit  dem  Keimstock,  ein  receptacubim  seminis 
vorhanden. 

Die  aus  dem ,  in  der  Regel  paarigen  Hoden  führen- 
den vasa  deferentia  bilden  bei  den  Dendrocölen  vor  dem 
Penis  starke  Anschwellungen,  welche  als  vesicidae  se»ii- 


320  IV.  Absclm.    Das  Fortpflanzungssystem. 

nales  fungiren ;  bei  den  übrigen  Platyelmien  münden  sie 
in  eine  besondere,  mit  dem  Begattungsglied  in  Verbin- 
dung stehende  Samenblase.  Jenes,  das  Begattungs- 
organ, ist  bei  den  Rhabdocölen  oft  durch  feste,  hornar- 
tige  Gebilde  der  verschiedensten  Form  ausgezeichnet. 

Bei  den  Turbellarien  dieser  Abtheilung  ist  noch  eine 
accessorische  Drüse  auf  der  Seite  des  männlichen 
Apparates  zu  nennen,  deren  körniges  Sekret  in  der  Sa- 
menblase oder  in  einer  mit  dem  Penis  in  V^erbindung 
stehenden  Höhlung  angehäuft  wird. 

Die  männliche  und  die  weibliche  Geschlechts- 
öffnung pflegen  bei  Cestoden  und  Trematoden  gemein- 
schaftlich in  einer  massigen  Vertiefung  zu  liegen.  Bei 
den  Dendrocölen  und  Rhabdocölen  aber  führt  der  porus 
genitalis  in  eine  weite  Vorhöhle,  in  welche  die  ver- 
schiedenen Organe  und  deren  Ausführungsgänge  einmün- 
den, wenn  nicht,  wie  bei  vielen  marinen  Planarien,  die 
Geschlechtsöffnungen  ganz  von  einander  getrennt  sind. 

Die  Nemertinen,  die  Familie  der  Microstomeae 
und  die  Gattung  Dinophilus  sind  getrennten  Geschlechtes. 
Bei  den  Nemertinen  liegen  in  unbestimmter  Anzahl  zu 
beiden  Seiten  des  Darm-  und  des  Rüsselkanals  Drüsen, 
welche  Samen  oder  Eier  absondern  und  diese  durch  eigne 
OefFnungen ,  ohne  dass  Begattungsorgane  vorbanden  wä- 
ren, entleeren.  Bei  den  Microstomeen  ist  ein  ein- 
facher Eierstock  oder  Hode  vorhanden.  Die  männlichen 
Geschlechtstheile  von  Dinophilus  vorticoides  sind  paarig. 
Auf  jeder  Seite  ist  ein  schlauchförmiger  Hode,  welcher 
mit  einer  Samenblase  in  Verbindung  stehlt;  die  kur- 
zen Ausfübrungsgänge  der  Samenblasen  stossen  unterhalb 
des  Mastdarms  zusammen  und  sind,  wie  dieser,  von  einem 
starken  Sphincter  geschlossen.     Die  gemeinsame  Intestino- 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  321 

Genitalöffnang  liegt  über  dem  Schwänze.  Beim  Weib- 
chen lassen  sich  Dotter-  und  Keimstöcke  als  gesonderte 
Organe  nicht  unterscheiden ,  wie  man  bei  der  sonstigen 
Verwandtschaft  dieser  Gattung  mit  den  hermaphroditischen 
Rhabdocölen  erwarten  könnte.  Die  Eier  entwickeln  sich 
in  vier  elliptischen  Behältern,  welche,  sobald  sie  mit 
Eiern  angefüllt  sind,  ganz  ausgestossen  werden.  Ein 
grosses  dünnwandiges  receptaculum  seminis  steht  mit  der 
Analöifnung  in  Verbindung. 

Nematelmia.  Bei  den  Acanthoce  p  halen,  Ne- 
matoden und  Gordiaceen  sind  die  männlichen  und 
weiblichen  Generationsorgane  auf  verschiedene  Individuen 
vertheilt;  jede  Ordnung  verhält  sich  aber  wiederum  ei- 
genthümlich.  Im  Inneren  des  sogenannten  llgamentum 
Suspensorium  der  ^  Acanthocep halen  bilden  sich  fein- 
körnige Körper ,  welche  in  die  Leibeshöhle  gelangen  und 
lose  Ovarien  oder  eibildende  Scheiben  sind.  Diese 
erzeugen  Eier,  die  bei  eintretender  Reife  aus  der  Scheibe 
fallen,  durch  Schluckbewegungen  wieder  in  das  llgam. 
Suspensorium  aufgenommen  und  in  den  Uterus  zur  Wei- 
terbeförderung geleitet  werden. 

In  den  c^  Acanthocephalen  sind  gewöhnlich  zwei  hin- 
ter einander  liegende  rundliche  Hoden  am  llgam.  suspens. 
befestigt,  deren  vasa  deferentia  nachdem  Hinterende  zum 
Penis  gehen.  Dieser,  gewöhnlich  eingezogen,  endigt, 
wenn  er  hervorgestulpt  wird ,  mit  einer  Art  von  Glocke, 
welche  beim  Coitus  die  weibliche  Geschlechtsmündung 
umfasst.  Kleine  birnförmige  Drüschen  in  der  Nähe  der 
Hoden  und  der  Samenleiter  scheinen  die  klebrige  Masse 
abzusondern ,  welche  häufig  an  der  weiblichen  Ge- 
schlechtsmündung haftet.  Die  weiblichen  Organe  der 
Nematoden    stellen    einen    einfachen    oder    gabeligen 

21 


322  ^^-  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

Blindsack,  die  männlichen  immer  eine  einfache  lange  Röhre 
dar.  Dort  lassen  sich  die  verschiedenen  weiteren  und 
engeren  Abtheilungen  als  0  vari um,  Eileiter,  Uterus 
und  Scheide,  weit  nach  vorn  mit  einem  Querspalt  mün- 
dend, hier  als  Ho  de,  vas  deferens,  vesicida  seminalis 
und  ductus  eiaculatorius  unterscheiden.  Mit  dem  diict. 
eiactd.  steht  die  Penisscheide  in  Verbindung.  Der 
aus  harter  Substanz  bestehende  einfache  oder  doppelte 
Penis  ist  von  sehr  verschiedener  Form.  Als  Hülfsbe- 
gattungsorgane  dienen  den  Männchen  mancherlei 
äussere  Anhänge,  auch  scheint  häufig,  wie  bei  den  Acan- 
thocephalen,  ein  Kitt  zur  innigeren  Vereinigung  der  Be- 
gattungsorgane secernirt  zu  werden. 

x\uch  bei  den  Gordiaceen  sind  die  Fortpflanzungs- 
werkzeuge  schlauchförmig  und  lassen  eine  ähnliche  Ein- 
theilung  zu. 

R  i  n  g  e  1  w  ü  r  m  e  r.  Die  Egel,  Regenwürmer 
und  Naiden  sind  Zwitter  mit  gegenseitiger  Befruchtung. 
Die  Geschlechtsöifnungen  liegen  am  Bauche  im  Vorder- 
theile,  die  weiblichen  hinter  den  männlichen;  die  Begat- 
tunggeschieht, indem  sich  die  entgegengesetzten  Körper- 
enden der  beiden  Individuen  an  einander  legen.  Von  den 
Hirudineen  mag  Hirudo  medicinalh  als  Vorbild  dienen; 
ihm  schliessen  sich  die  übrigen  mit  einigen ,  namentlich 
auf  die  Zahl  der  Hoden  bezüglichen  Abweichungen  an. 
Zwei  rundliche  Eierstöcke  haben  jeder  einen  kurzen 
Eileiter,  die  sich  zu  einem  längeren,  gemeinscliaftli- 
chen  Ausführungsgange  vereinigen.  Dieser  führt  in  einen 
birnförmigen,  mit  einer  kurzen  Scheide  endigenden 
Uterus  über.  Neun  Paar  Hoden  liegen  in  zwei  Reihen 
zu  den  Seiten  der  Ganglienkette;  ihre  kurzen  Ausfüh- 
rungsgänge münden  in  die  beiden  langen  vasa  deferentia^ 


1.  Kap.     Die  Geschlechtsorgane.  323 

die,  vorn  sieh  mehrfach  windend,  die  beiden  sogenannten 
Samenblasen  bilden.  Die  ductus  eiaculatorii  dersel- 
ben gehen  in  den,  den  herausstülpbaren  Penis  enthal- 
tenden Bulbus. 

Die  Kapseln  (Cocons),  womit  viele  Egel  ihre 
Eier  umgeben,  werden  von  eigenthümlichen,  während  der 
Brunstzeit  und  vor  dem  Legen  sich  entwickelnden  Haut- 
drüsen als  eine  schleimige ,  bald  erhärtende  Masse  se- 
cernirt. 

Unter  den  Oligochäten  kennt  man  am  besten  die  Ge- 
schlechtswerkzeuge der  Lumbricinen.  Die  männlichen 
Organe  bestehen  in  vier  Hoden,  zwei  grossen  dünnhäu- 
tigen Samenblasen  und  zwei,  mit  je  zwei  trichterför- 
migen Organen  beginnenden  Samenl eitern.  Die  beiden 
Eierstöcke  sind  klein;  etwas  hinter  ihnen  liegen  zwei 
mit  Tuben  beginnende  Eileiter.  Die  Geschlechts- 
öffnungen sind  paarig;  ihre  Lage  wechselt  nach  den 
Species.  Aehnlich  complicirt  verhalten  sich  die  Naiden. 
Als  äusseres  Begattungsorgan  dient  den  Regenwürmern 
der  sogenannte  Sattel.  Er  entwickelt  sich  besonders 
zur  Brunstzeit,  und  die  Thiere  umfassen  sich  mit  seinen 
an  der  Bauchseite  befindlichen  Rändern.  Er  entsteht 
ebenso  wie  der  Gürtel  anderer  Lumbricinen  und  Naiden 
durch  eine  Anhäufung  weisslicher  Drüsenbälge. 

Viel  einfacher,  als  die  genannten  Anneliden,  verhal- 
ten sich  die  Kiemen würm er.  Sie  sind  getrennten  Ge- 
schlechtes; ihr  ganzer  Generationsapparat  besteht  nur  in 
einem  Paar  Drüsen-Körpern  oder  Schläuchen,  welche 
ausser  der  Brunst  häufig  gar  nicht  zu  bemerken  sind, 
während  derselben  aber  oft  ganz  enorm  anschwellen  und 
mit  Samen  oder  Eiern  gefüllt  sind.  Sie  besitzen  keine 
Ausführungsgänge,  sondern  entleeren  ihren  Inhalt,  wahr- 

21* 


324  IV.  Abschn.     Das  Fortpflanzungssyslein. 

scheinlich  indem  sie  bersten,  in  die  Leibeshöhle.  Von 
hier  aus  gelangen  Samen  und  Eier  vielleicht  durch  be- 
sondere Oeffnungen  zwischen  den  Fussstummeln  ins  Was- 
ser j  bei  anderen  Kiemenvvürmern  wird  die  Leibeshöhle 
vielleicht  durch  Ablösung  der  hinteren  Körpersegmente 
geöffnet. 

3.     Die   Geschlechtsorgane  der    Arthropoden. 

Räderthiere.  Sie  sind  wohl  alle  getrennten  Ge- 
schlechtes. Der  weibliche  Apparat  besteht  in  einem 
einfachen  oder  doppelten  schlauchförmigen  Ovarium, 
dessen  Ausführungsgang  in  die  Cloake  übergeht,  und  in 
welchem  nicht  selten  die  Dotterbildung  und  die  Bildung 
der  Keimbläschen  verschiedenen  Stellen  übertragen  ist. 
Die  Männchen,  welche  man  in  den  letzten  Jahren  von 
ziemlich  vielen  Arten  hat  kennen  lernen,  sind  ausgezeich- 
net durch  den  Mangel  des  Verdauungsapparates.  Der 
Hode  ist  einfach,  blasenförmig  und  mündet  in  die,  aus- 
serdem nur  noch  die  contractile  Blase  aufnehmende 
Cloake  ein*). 

Crustaceen.  Nur  bei  den  Cirripedien  scheinen 
beiderlei  Geschlechtsorgane  in  demselben  Individuum  ver- 
einigt zu  sein,  wiewohl  auch  gegen  ihren  Hermaphrodi- 
tismus Zweifel  erhoben  sind.  Das  Ovarium  der  Lepa- 
den  liegt  im  Stiel ,  bei  den  Balanen  zerfällt  es  in  mehrere, 
zwischen  den    Mantelblättern    befindliche    Partieen.     Bei 


*)  Das  (^  von  Hydatina  senta  ist  in  der  Enteroplea  hydatina 
Eliibg.  erkannt.  Ausser  den  oben  erwälinleu  und  anderen,  die 
Form  und  die  Haulbedeckungcn  betreffenden  Abweichungen  macht 
die  Zwergform  mancher  Arten  das  Erkennen  schwer.  So  z.  B.  ist 
das  (^  von  Brachionus  arceolaris  bis  dreimal  kleiner  als  das  ^  und 
liat  keine  starre  Scliale. 


1.  Kap.     Die  Geschlechtsorgane.  325 

beiden  verweilen  die  Eier  bis  zum  Auskriechen  der  Jun- 
gen in  der  Mantelhöhle.  Die  Hoden  bestehen  aus  zwei 
Haufen  traubenförmig  vereinigter  Follikel,  zu  den  Seiten 
des  Darrakanals.  Ihre  weiten  vasa  deferentia  vereinigen 
sich  am  Grunde  des  bekannten  schwanzförmigen  Anhan- 
ges, durch  welchen  sich  der  ihictus  elaculatorms  er- 
streckt. 

Bei  allen  übrigen  Crustaceen  sind  die  weiblichen  und 
die  männlichen  Organe  auf  verschiedene  Individuen  ver- 
theilt,  sind  aber  desshalb  häufig  verkannt  worden,  weil 
beiderlei  Geschlechts  Werkzeuge  oft  täuschend  in  den  äus- 
seren Formen  sich  einander  wiederholen.  Zu  anderen 
irrigen  Meinungen  hat  der  Umstand  Veranlassung  gegeben, 
dass  bei  gewissen  Ordnungen,  z.  B.  den  Lophyropoden, 
höchst  selten ,  bei  manchen  Arten  noch  gar  nicht  die 
Männchen  gefunden  sind,  und  dass  bei  anderen  Ordnun- 
gen, namentlich  den  Parasiten,  häufig  die  Männchen  so 
ausserordentlich  klein  im  Vergleich  zu  den  Weibchen  sind, 
dass  sie  leicht  ganz  übersehen  werden,  oder,  bei  ihrem 
schmarotzenden  Aufenthalt  am  Weibchen,  selbst  wieder 
für  eigene  Schmarotzergattungen  der  Weibchen  gehalten 
worden  sind. 

Unerachtet  der  vielen  Abweichungen  in  den  verschie- 
denen Ordnungen  und  weiteren  Unterabtheilungen ,  lässt 
sich  doch  ein  gemeinsamer  Typus  der  Geschlechtsorgane, 
sowohl  der  weiblichen  als  der  männlichen ,  nicht  verken- 
nen ,  daher  auch  die  genauere  Beschreibung  aller  dieser 
Variationen  mehr  ein  specielleres  zootomisches  Interesse 
hat,  als  wir  hier  verfolgen. 

Weibliche  Geschlechtsorgane. 
Die  gewöhnlich    doppelten    Ovarien    liegen  neben 


326  IV.  Absclm.     Das  Fortpflanzungssystem. 

dem  Darme ;  sie  sind  theils  (Parasiten ,  Lophyropoden, 
Lämodipoden,  Isopoden,  Amphipoden  u.  a.)  einfache 
Schläuche,  theils  (z.  B.  bei  Apus)  vielfach  verästelt.  Das 
Ovarium  von  Astacus  flumatilis  ist  dreilappig,  indem  die 
beiden  seitlichen  Lappen  den  beiden  Ovarien  der  übrigen 
Crustaceen  entsprechen ;  es  liegt  unter  dem  Herzen.  Zu 
jedem  Eierstock  gehört  ein  besonderer  Eileiter,  und 
beide  Eileiter  münden  nach  einem  längeren  oder  kürzeren 
Verlaufe  gesondert,  gewöhnlich  an  der  Basis  eines  Fuss- 
paares  nach  aussen ,  z.  B.  bei  den  Anomuren  und  Macru- 
ren  am  dritten  Fusspaare,  bei  den  Brachyuren  auch  an 
demselben  Körpersegment,  aber  zu  den  Seiten  der  Mittel- 
linie. Die  meisten  weiblichen  Crustaceen  tragen  die  be- 
fruchteten Eier  noch  eine  Zeit  lang ,  meist  bis  zum  Aus- 
kriechen der  Embryonen  ,  mit  sich  umher.  Sie  sind  dess- 
halb  oft  mit  besonderen  Hülfsorganen  ausgestattet.  Dahin 
gehören  u.  a.  die  in  der  Nähe  der  Geschlechtsöflnungen 
mündenden  Drüsenschläuche,  die  einen  Kitt  zur  Befesti- 
gung der  Eier  absondern  (Parasiten,  Lophyropoden).  Sehr 
häufig  sind  auch ,  wo  diese  Kittorgane  fehlen ,  am  Bauche 
besondere  Bruttaschen  (marsiipium)  zur  Aufnahme  der 
Eier  angebracht  (Lämodipoden,  Asseln,  Amphipoden 
u.  a.).  Bei  den  Decapoden  werden  die  Eier  durch  die 
mehr  als  bei  den  Männchen  entwickelten  Afterfüsse  ge- 
halten. 

Die  beiden  Hauptabtheilungen  der  Myriopoden 
sind  auch  durch  ihre  Geschlechtswerkzeuge  getrennt. 
Der  Eierstock  der  Chilognathen  ist  doppelt,  beide 
Eierstöcke  entweder  von  einem  gemeinschaftlichen  Sacke 
umhüllt  (Polyxeims^  Glomeris  ^  Julus^  Polydesmus)  oder 
jeder  von  einem  eignen  Sacke  umgeben  (Craspedosoma). 
Die    GeschlechtsöfFnungen    dieser    Gattungen    (^)   liegen 


1.  Kap.     Die  Geschlechlsjrgane.  327 

paarig  unmittelbar  hinter  dem  2.  Fusspaar.  Der  Eier- 
stock der  Chilopoden  ( Lithobms ,  Scolopendra  etc.) 
ist  einfach  und  liegt  oberhalb  des  Verdauungscanais. 
Allgemein  finden  sich  receptaculum  seminis  und  zwei  bis 
vier  accessorische  Drüsen. 

öl  ä  n  n li  che  Geschlechtsorgane. 

Nur  selten,  Avie  bei  den  Cyclopidae,  ist  der  Hode 
einfach;  in  der  Regel  ist  er  doppelt,  und  es  findet  sich 
demnach  meist  auch  jederseits  ein  Ausführungsgang,  mit 
dem  äussere  Ruthen  in  Verbindung  stehen.  Die  Mündun- 
gen der  vasa  deferentia ,  deren  letzten ,  erweiterten  Theil 
man  bei  den  höheren  Ordnungen  als  ductus  eiacidatoniis 
bezeichnet,  liegen  sehr  verschieden,  so  z.  B.  bei  den 
meisten  Decapoden  am  Hüftgliede  des  letzten  Fusspaares. 

Sehr  viele  männliche  Crustaceen  sind  mit  äusseren 
Copulationsorganen  ausgestattet,  mit  welchen  sie  bei  der 
Begattung  die  Weibchen  festhalten.  Gewöhnlich  sind  diess 
Krallen  oder  Haken  an  einem  oder  an  mehreren  Fusspaa- 
ren,  oder  auch  an  einem  Beine.  In  secundäre  Rutben  ist 
das  erste  Paar  Afterfüsse  vieler  Decapoden  umgewandelt. 
Bei  den  Cyclopiden  und  manchen  Decapoden  bilden  sich 
S  p  e  rm  a  toph  0  r  en.  In  dem  unteren  Theile  der  Aus- 
führungsgänge sondert  sicli  der  Samen  in  einzelne  cylin- 
drische  oder  birnförmige  Partieen,  welche  sich  mit  einer 
homogenen  Membran  umgeben.  Von  den  Männchen  der 
Cyclopidae  werden  diese  Schläuche  aussen  an  die  Vulva 
des  Weibchens  geklebt. 

Auffallende  Eigenthümlichkeiten  bieten  die  Geschlechts- 
verhältnisse der  Ostracoden  dar.  Sie  besitzen  eine 
wunderbar  geformte  Schleimdrüse  (ghnuhda  mucosa), 
deren  Secret  zur  Reifung  der  Zoosperraien  von  Wichtig- 


3*28  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

keit  zu  sein  scheint;  ihr  Begattungsapparat  ist  compli- 
cirter,  als  es  sich  sonst  bei  den  Crustaceen  findet;  am 
merkwürdigsten  sind  aber  die  Zoospermien ,  welche  ein- 
zeln einen  Ueberzug  von  jenem  Schleime  bekommen,  den 
sie  später,  gleichsam  sich  häutend,  abwerfen.  Ferner 
haben  diese  Samenkörperchen  eine  undulirende  Spiral- 
platte, rechts  oder  links  gewunden,  je  nach  der  Körper- 
hälfte, in  der  sie  entstehen,  und  endlich  erreichen  sie  die 
absolut  grösste  Länge,  die  bis  jetzt  in  der  Thierwelt  be- 
obachtet ist,  indem  sie  bei  Cypris  ovum  y^"'—\"'  lang 
sind,  über  dreimal  länger  als  das  Thier  selbst. 

Die  männlichen  Geschlechtstheile  der  Myriopoden 
sind  fast  in  jeder  ünterabtheilung  dieser  Ordnung  nach 
einem  besonderen  Typus  gebaut.  Während  bei  einigen 
(z.  B.  LUliob'ms)  nur  ein  Hodenschlauch,  geAvöhnlich  mit 
einem  Paar  Nebenhoden,  sich  sondert,  haben  andere  Gat- 
tungen (z.  B.  Glomerh)  zwei  Hoden,  und  bei  Jiilus  sind 
eine  Blenge  einzelner  Hodenblasen  in  zwei  Reihen  vor- 
handen, die  auf  zwei,  durch  Queranastomosen  verbunde- 
nen vasa  defcrentla  aufsitzen.  Die  Geschlechtsöffnnngen 
sind  denen  der  Weibchen  entsprechend.  Die  Bedeutung 
mehrerer  Drüsen ,  deren  Ausführungsgänge  nach  den  Ge- 
schlechtsmündungen führen  und  welche  auch  die  Weib- 
chen besitzen  ,  kennt  man  nicht. 

Mehrere  C  h  i  1  o  g  n  a  t  h  e  n,  z.  B.  Polydesmus  und  Julus 
besitzen  einen  eigenthümlichen  Begattungsapparat,  der  bei 
Polydesmus  complcmatus  an  die  höheren  Cruster  erinnert, 
indem  ein  Fusspaar  dazu  verwendet  ist.  Die  Begattung 
ist  eine  ähnliche,  wie  bei  den  Arachniden  und  Libelluli- 
den.  Dagegen  hat  kein  Chilopode  ein  Begattungsor- 
gan, wohl  aber  wird  der  Same  in  feste  Spermatophoren 
verpackt,  welche  sich   bei   Geophilus  convolvens,  nachdem 


4.  Kap.     Die  Geschlechtsorgane.  329 

sie    abgelegt  sind,    das    Weibchen  selbständig    aneignen 
muss. 

Arachniden.  Mit  Ausnahme  der  Tardigraden, 
deren  herniaphroditische  Geschlechtstheile  aus  einem  gros- 
sen schlauchförmigen  Ovarium ,  über  dem  hinteren  Theile 
des  Darmkanals  gelegen,  und  aus  zwei  länglichen,  mit 
dem  Ovarium  in  die  Cloake  mündenden  Hoden  nebst  ei- 
nem Samenbläschen  bestehen ,  sind  die  Arachniden  ge- 
trennten Geschlechtes. 

Weibliche  Geschlechtsorgane- 
Die  Ovarien  sind  in  der  Regel  doppelt  vorhanden, 
verschmelzen  aber  zuweilen  so  in  der  Mitte  (bei  den 
Phalangien),  dass  sie  einen  einzigen  Bogen  bilden, 
und  bei  den  Scorpioniden  bestehen  sie  aus  drei  engen, 
parallelen  Schläuchen,  welche  durch  vier  Paar  Querka- 
näle verbunden  sind.  Die  beiden  Eileiter  gehen  bei 
den  Phalangien  in  eine  Art  von  Uterus  über,  aus  wel- 
chem sich  ein  zweiter  langer  und  gewundener  Oviduct 
fortsetzt;  in  der  Regel  aber  führen  die  kurzen  Oviducte 
gleich  in  die  Scheide  (z.  B.  bei  den  Araneen)  oder  in 
eine  Legeröhre  (bei  mehreren  Milben)  über.  Auch  die 
Phalangien  besitzen  eine  gegliederte  Legeröhre.  In  die 
Scheide  münden  sehr  häufig  auch  die  Ausfiihrungsgängo 
zweier  Schläuche,  die  bei  den  Araneen  wenigstens  als 
receptücula  seminis  functioniren ,  bei  anderen  Arachniden 
aber  vielleicht  als  Kittorgane  zu  deuten  sind.  Die  äus- 
sere Geschlechtsmündung  befindet  sich  theils  am  Hinter- 
leibe, z.  B.  bei  den  Araneen  und  vielen  Acarinen ,  theils 
an  der  Brust,  wie  bei  anderen  Acarinen  (Acarus,  Ixodes). 
Völlig  abweichend  verhalten  sich  die  Pycnogoni- 
den,  deren  acht  schlauchförmige  Eierstöcke  in  den  Bei- 


330  IV.  Absclm.     Das  Fortpflanzungssyslem. 

nen  liegen.     Andere  Theile  des  Geschlechtsapparates  sind 
bei  ihnen  nicht  gefunden. 

31  ä  n  n  11  c  h  e  Geschlechtsorgane. 

Die  Hoden  variiren  sehr  an  Zahl  und  Form,  wie- 
wohl die  Duplicität  vorherrscht,  so  z.  B.  bei  den  Ara- 
neen,  deren  Hoden  zwei  sehr  lange  und  gewundene 
Schläuche  sind.  Ihre  Ausführungsgänge  münden  zwischen 
den  Lungensäcken  an  der  Basis  des  Hinterleibes.  Nur 
wenige  Arachniden,  z.  B.  die  Phalangien,  besitzen  einen 
Penis;  sehr  häufig  aber  dienen  die  sehr  entwickelten 
Kieferfühler  und  eigenthümlich  gestalteten  Palpen  als  Be- 
gattungsorgane. So  bringen  die  männlichen  Araneen  ver- 
mittelst ihrer  löffelartigen  Palpen  die  Samenflüssigkeit 
auf  die  Vulva  der  Weibchen. 

Insekten.  Bei  allen  Insekten  sind  die  Geschlechts- 
werkzeuge auf  verschiedene  Individuen  vertheilt,  indem 
die  sogenannten  Geschlechtslosen  in  den  Kolonieen  der 
Bienen,  Termiten  und  Ameisen  unentwickelte  Weibchen 
sind,  diejenigen  Aphiden  aber,  welche  ohne  Befruchtung 
eine  Brut  hervorbringen ,  in  die  Kategorie  der  sogenann- 
ten Ammen  (s.  unt.  über  den  Generationswechsel)  gehö- 
ren. Die  Geschlechtsorgane  entwickeln  sich  vorzüglich 
während  des  Puppenzustandes,  ihre  Keime  sind  jedoch 
schon  bei  den  Larven  sehr  früh  zu  entdecken ,  und  man 
kann  z.  B.  schon  an  den  jungen  Raupen  die  Geschlechter 
unterscheiden.  In  den  besonderen  Formen,  namentlich 
der  Ovarien  und  Hoden,  unendlich  mannichfaltig ,  zeigen 
die  Generationsorgane  der  Insekten  doch  im  Allgemeinen 
eine  Uebereinstimmung,  die  zum  Theil  noch  mehr  hervor- 
tritt, als  bei  den  Crustaceen  und  Arachniden. 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  331 

>V  eibliche  Geschlechtsorgane. 

Die  beiden  Ovarien  nehmen,  wenn  sie  ausgebildet 
sind,  häufig  den  grössten  Theil  des  Hinterleibes  ein;  sie 
bestehen  aus  einzelnen  Röhren  oder  Schläuchen ,  in  denen 
immer  nur  eine  Reihe  Eier  liegt,  die  weniger  entwickel- 
ten nach  dem  blinden  Ende  zu,  so  dass  sie  ein  perlschnur- 
förmiges  Ansehen  liabcn.  Nur  bei  einigen  Ordnungen  ist 
die  Zahl  der  Röhren  eine  geringe,  wie  bei  den  Aptern 
und  den  meisten  Hemiptern;  auch  die  Lepidoptern  haben 
nur  vier  sehr  lange  Schläuche.  Gewöhnlich  aber  sind  sie 
in  grösserer  Menge  vorhanden  und  auf  die  verschieden- 
artigste ^Veise  gruppirt.  Das  offene  Ende  der  Eiröhren 
führt  in  die  beiden  gewöhnlich  kurzen  Tuben  oder  Ei- 
leiter, und  diese  vereinigen  sich  zu  einem  gemein- 
schaftlichen Ausführungsgange,  dessen  Ende 
die  eigentliche  Scheide  ist.  Mit  diesem  Ausführungs- 
gange stehen  aber  auch  mehrere  schlauchförmige  und 
drüsenartige  Organe  in  Verbindung,  durch  deren  nähere 
Kenntniss  erst  manches  sonst  Räthselhafte  in  der  Fort- 
pflanzungsgeschichte der  Insekten  aufgeklärt  wird.  Am 
weitesten  nach  hinten  mündet  die  Samentasche  (recepta- 
culum  seminis),  die  vielleicht  nur  den  Aptern  fehlt,  bei 
den  meisten  Insekten  aber  einfach  oder  doppelt  oder  auch 
(bei  vielen  Diptern)  dreifach  sich  findet.  Ihr  oberer 
Theil  ist  der  Samenbehälter  (capsula  seminaUs) ,  dessen 
innere  Wandung  meist  eine  hornige  Beschaffenheit  und 
eine  braune  Färbung  hat.  Durch  einen  ductus  semhialis 
steht  die  Samenkapsel  mit  der  Scheide  in  Verbindung. 
Nicht  selten  mündet  in  den  Gang  der  Samentasche  eine 
paarige  oder  unpaarige  Drüse  (glandula  appeudicularis) 
von  noch  ungewisser  Bestimmung. 

Ein  zweites  ,  vor  der  Samentasche  (von  der  äusseren 


332  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

GesclilechtsöffnuDg  an  gerechnet)  in  die  Scheide  münden- 
des Anhängsel  ist  die  gewöhnlich  birntörmige  Begat- 
tungstasche (bursa  copulatrix).  Sie  kommt  jedoch 
weniger  häufig  vor ,  indem  sie  mehreren  Ordnungen ,  den 
Diptern,  Aptern,  Hymenoptern,  vielleicht  auch  den  Neur- 
optern  fehlt.  Von  den  Orthoptern  besitzen  sie  die  Libel- 
luliden.  Sie  dient  bei  der  Begattung  zur  Aufnahme  des 
männlichen  Gliedes  und  häufig  auch  des  Samens,  der  nicht 
selten  von  besonderen  häutigen  Kapseln  (Samenschläu- 
chen ,  Sperraatophoren)  umgeben  ist.  Nie  scheint  jedoch 
der  Same  längere  Zeit  in  der  bursa  copulatrix  zu  ver- 
weilen; der  eigentliche  Aufbewahrungsort  desselben  ist 
das  receptaculum  semlnis ,  wohin  die  Zoospermien  wahr- 
scheinlich durch  eigene  Bewegung  gelangen.  Hier  aber, 
in  der  Samentasche,  behält  der  Same  lange  seine  be- 
fruchtende Kraft,  und  die  Befruchtung  geschieht,  ganz 
unabhängig  vom  Begattungsacte  ,  w  ährend  die  Eier  an  der 
Mündung  des  receptaculum  semhiis  vorbeigehen. 

Endlich  ergiessen  bei  vielen  Insekten  noch  besondere 
Kitt-  oder  Schleimdrüsen  (glandulae  sebaceae)  ihr 
Secret  in  die  Scheide,  nahe  bei  deren  Oeffnung ,  und  diese 
Absonderung  dient  dazu,  die  gelegten  Eier  unter  einander 
zu  verbinden  und  hie  und  da  zu  befestigen. 

lieber  die  äusseren  Geschlechtstheile  ist  oben  Seite 
106  ff.  gehandelt. 

31  ä  n  n  1  i  c  h  e  Geschlechtsorgane. 
Die  paarigen  Hoden  zeigen  fast  noch  mannichfalti- 
gere  Formen  als  die  Ovarien,  indem  sie  zwar  auch  bei 
einigen  Ordnungen,  wie  den  Diptern  und  Lepidoptern, 
aus  zwei  einfachen,  birnförmigen  (Dipt.)  oder  länglichen 
Schläuchen  bestehen ,  in  den  meisten  Fällen  aber  aus  einer 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  333 

grösseren  Anzahl  in  verschiedenster  Weise  gruppirter 
Blindröhren  zusammengesetzt  sind  und  nicht  selten  in 
ihrer  Anordnung  die  Eierstöcke  täuschend  nachahmen. 
Häufig  sind  die  Hoden  durch  eine  eigenthümliche  Pigment- 
schicht gefärbt,  auch  von  einer  besonderen  Haut  ein- 
gehüllt. 

Die  Hodenröhrchen  münden  durch  kurze  Ausführungs- 
gänge in  die  beiden  vasa  deferentia,  die  nicht  selten 
(z.  B.  bei  Neba,  Carabus,  Cerambyx)  ausserordentlich 
lang  und  dann  knäuel-  oder  spiralförmig  gewunden  sind. 
Als  Samenblasen  bezeichnet  man  die  an  dem  unteren 
Ende  der  Samenleiter  befindlichen  Erweiterungen.  Beide 
Samenleiter  vereinigen  sich  zu  einem  gemeinschaftlichen 
ductus  eiacidatoriiis  ^  und  kurz  hinter  der  Vereinigungs- 
stelle münden  in  diesen  gewöhnlich  mehrere  schleimab- 
sondernde Drüsen.  Dieser  Schleim  dient  hauptsächlich 
zur  Umhüllung  des  Samens,  mit  dem  er  in  die  Begat- 
tungstasche ergossen  wird ,  bildet  auch ,  indem  er  eine 
membranöse  Beschaffenheit  annimmt ,  die  oben  erwähnten 
Spermatophoren. 

Die  männlichen  Begattungsorgane  zeigen  bei 
den  einzelnen  Insektenarten  eine  so  bestimmte  Form  der 
verschiedenen  sie  bildenden  Leisten ,  Platten  und  Zangen, 
dass  sie  ganz  genau  an  und  in  die  weiblichen  Geschlechts- 
organe passen  und  schon  desshalb  eine  Vermischung  der 
Arten  nicht  zulassen.  Fast  überall  ist  ein  Penis  vorhan- 
den ,  in  welchen  der  ductus  eiacidatorias  übergeht.  Er 
wird  entweder  von  mehreren  Schienen  oder  Klappen 
scheidenartig  umgeben  ,  w  ie  bei  vielen  Diptern ,  den  Lepi- 
doptern,  Hymenoptern ,  Orthoptern,  Neuroptern,  oder  ist 
von  einer  hornigen  Kapsel  umschlossen ,  wie  bei  den  He- 
miptern  und  Coleoptern ,  bei  welchen  letzteren  die  Ruthe 


334  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanziingssystem. 

noch  von  besonderen  kleinen  Leisten  und  Gräten  unter- 
stützt wird.  Gewöhnlich  liegen  die  Copulationsorgane 
ausser  der  Begattungszeit  im  Hinterleibsende  verborgen. 
Eine  der  merkwürdigsten  Abweichungen  findet  sich 
bei  den  Libellen.  Ihr  ductus  eiaculatorhis  mündet  am 
Hinterende,  von  zwei  kleinen  Klappen  bedeckt,  der  Penis 
aber  liegt  weit  davon  entfernt,  vorn  an  der  Bauchseite 
des  Abdomen,  und  bei  ihm  eine  Samenblase,  in  welche 
das  Männchen  vor  der  Begattung  die  Samenflüssigkeit  er- 
giesst.  Ein  hinter  dem  Penis  befindlicher  Zangenapparat 
dient  zum  Festhalten  des  Weibchens  während  der  Be- 
gattung. 

4.     Die  Geschlechtsorgane  der  Mollusken. 

Bryozoen.  Die  Süsswasserbryozoen  sind  Herma- 
phroditen, die  Ovarien  an  der  Innenfläche  der  vorderen 
Körperwand  befestigt,  die  Hoden  am  Magengrunde  oder 
inneren  Leibesfläche.  Eingeschlechtig  sind  die  Meer- 
Bryozoen,  die  Individuen  beider  Geschlechter  jedoch 
immer,  wie  es  scheint,  in  einem  Stocke  beisammen.  Eier- 
stock oder  Hode  ragen  vom  Magen  aus  frei  in  die  Leibes- 
höhle ,  aus  welcher  die  Eier  durch  eine  neben  dem  After 
befindliche  OelFnung  entleert  werden,  während  der  Same 
durch  besondere  Communicationsröhren  von  einem  Indivi- 
duum auf  das  andere  übergeht. 

Acephalen.  Auch  ihre  Generationsorgane  sind 
sehr  einfach,  da  sie  nur  aus  den  Geschlechtsdrüsen  und 
deren  Ausführungsgängen  bestehen. 

Bei  den  Tunicaten  herrscht  die  Zwitterbildung  vor. 
Und  zwar  sind  bei  den  Salpen  die  Individuen  der  Sal- 
penketten  die  Geschlechtsthiere  (davon  im  folgenden  Ka- 
pitel).    Bei  den  Ascidien   liegt  ein  länglicher,    gelbli- 


1.  Kap.     Die  Geschlechtsorgane.  335 

eher  Eierstock  in  der  Leibeshöhle,  dessen  Ausfiihrungs- 
gang  neben  dem  Mastdarm  in  die  Höhe  steigt  und  sich 
in  die  Cloake  öflnet.  Eine  zweite  weissliche  Drüsenmasse, 
neben  und  unterhalb  des  Ovarium  gelegen,  ist  der  Ho  de. 
Das  ras  deferens  verläuft  neben  dem  Eileiter.  Nur  die 
Gattung  Cynthia  weicht  hiervon  ab,  indem  ihre  Ge- 
schlechtsdrüsen (vielleicht  nur  Eierstöcke)  mit  besonderen 
Ausführungsgängen  zwischen  Kiemen-  und  Muskelschlauch 
sich  befinden. 

Die  Brachiopoden  sind  getrennten  Geschlechtes. 
Hoden  und  Ovarien  sind  einander  sehr  ähnlich.  Sie  er- 
strecken sich,  schlauch-  oder  geweihförmig,  von  der 
Leber  aus  auf  den  Mantel. 

Nur  wenige  Lamellibranchiaten,  Ctjclas,  Cla- 
vagella  und  vielleicht  auch  Pecten  sind  hermaphrodi- 
tisch. Hoden  und  Eierstöcke  liegen  jederseits  zwischen 
den  Eingeweiden.  Bei  den  übrigen  Lamellibran- 
chiaten aber,  also  der  grossen  Mehrzahl ,  sind  die  Ge- 
schlechter getrennt,  obwohl  ausser  der  Brunstzeit 
nur  selten  zu  unterscheiden.  Auch  hier  liegen  die  beiden 
Hoden  oder  Ovarien  im  Abdomen,  unter  der  Leber  und 
um  die  Darmwindungen  herum.  Ihre  Ausführungsgänge 
münden  entweder  neben  den  Mündungen  der  Nieren  in 
die  Mantelhöhle  oder  sogar  in  die  Nierenhöhlen  selbst, 
und  durch  das  Fiimmerepithelium  der  Mantelhöhle  werden 
die  Eier  zwischen  die  Lamellen  der  äusseren  Kiemen- 
blätter geführt,  und  die  Kiemenfächer  versehen  somit  die 
Stelle  eines  Uterus.  Auch  der  Samen  gelangt  (wie  schon 
oben  bemerkt)  dorthin.  Die  weiblichen  Individuen  von 
Anodonta  sind  durch  die  bedeutende  Ausbuchtung  der 
Schalen  kenntlich  ,  in  welchen  die  bei  der  Entwicklung 
der  Brut  sehr  anschwellenden  Kiemenblätter  Platz  finden. 


336  IV.  Abschn.     Das  Fortpflanzungssystem. 

C  e  p  h a  1 0  p  h  0 r  e  n.  Sie  sind  theils  Hermaphroditen, 
theils  getrennten  Geschlechts;  in  beiden  Abtheilungen 
kann  man  an  den  weiblichen  Zeugungsorganen  ziemlich 
allgemein  einen  Eierstock,  Eiweissdrüse,  Eilei- 
ter, Uterus,  Scheide  und  receptaculum  seminis  unter- 
scheiden ,  an  den  männlichen  den  Hoden,  vas  deferens^ 
ductus  eiacidatorius y  penis,  wozu  namentlich  bei  den 
Zwittern  noch  mehrere  in  den  gemeinschaftlichen  Ge- 
schlechtsausführungsgang mündende  Drüsen  kommen. 

Geschlechtsorgane   der   lierm  aphroditischen   Cepha- 
lop  hören. 

Zu  den  hermaphroditischen  Schnecken  gehören  die 
Pteropoda ,  Apneusta,  Gymnobranchia^  Hypobraiichia^ 
Pomatobranchia  und  Pidmonata.  Alle  zeichnen  sich  durch 
die  sogenannte  Zwitterdrüse  aus. 

Abgesehen  von  den  Fällen  {Janus^  Calliopaea, 
Actaeon),  wo  HodenfoUikel  und  EierstocksfoUikel  voll- 
ständig aus  einander  gelegt  sind ,  beide  aber  einen  ge- 
meinschaftlichen Ausführungsgang  haben,  scheinen  zwei 
Hauptformen  der  eigentlichen  Zwitterdrüsenbildung  ange- 
nommen werden  zu  müssen.  In  dem  einen  Falle,  bei 
den  Pteropoden  und  Nacktkiemern  (nachweislich  Cymbidioy 
Tritoma) ,  besteht  die  Drüse  aus  besonderen  Samenschläu- 
chen und  Eifollikeln,  welche  letztere  blosse  Ausbuchtun- 
gen der  ersteren  sind.  Bei  Cymbidla  fällt  die  männliche 
Reife  und  Brunst  des  Individuum  vor  die  weibliche,  und 
solche  zeitliche  Verschiedenheit  der  Brunst  ist  wahr- 
scheinlich bei  vielen  Zwitterschnecken  vorhanden  und  be- 
dingt die  gegenseitige  Befruchtung.  In  dem  anderen  Falle, 
der  bei  den  Lungenschnecken  Regel  zu  sein  scheint,  fin- 
den  sich    wahre   Zwitterfollikcln ,    in    deren    Wandungen 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  337 

die  Eier  sich  bilden,  während  die  Samenelemente  in  der 
Höhlung  der  Schläuche  entstehen  oder  auch  beide,  so- 
wohl die  Eikeirae  als  die  Samenbildungszellen  gehen 
durch  Abschnürung  aus  dem  einfachen  Epithel  hervor. 

Bei  den  Pulraonaten  existirt  auch  (Semper)  für 
Samen  und  Eier  nur  ein  einziger  gemeinsamer  Ausfüh- 
rungsgang, und  diess  dürfte  das  allgemeine  Verhalten 
sein.  Von  da  an,  wo  der  anfänglich  gemeinsame  Gang 
sich  spaltet,  weichen  die  Familien  und  Gattungen  viel- 
fältig von  einander  ab.  Häufig  geht  das  vas  deferens  von 
der  tuba  ab,  ehe  diese  in  den  Uterus  übergeht,  und  ver- 
läuft ganz  isolirt  mit  mehreren  Windungen  und  Biegun- 
gen zum  Penis.  Oder  das  vas  deferens  verlässt  die  tuba 
an  der  üebergangsstelle  in  den  Uterus,  läuft  aber  als 
eine  Rinne  oder  Halb  k  anal  an  dem  Uterus  hinab ,  ent- 
weder bis  zur  gemeinschaftlichen  Geschlechtsöffnung  (z.B. 
bei  Aplysia)  oder  nur  bis  zu  einer  gewissen  Stelle  des 
Uterus ,  von  wo  es  selbständig  nach  dem  Penis  überführt 
(Pulmonaten). 

Da,  wo  der  Eiergang  sich  in  den  Uterus  inserirt, 
mündet  auch  sehr  häufig  eine  ansehnliche  weissliche,  oft 
zungenförmige  Drüse  (Hode  Cuv. ,  Eierstock  Trevir., 
Paasch),  die  vermuthlich  dazu  dient,  die  Eier  nach  der 
Begattung  weiter  auszubilden  und  ihnen  das  Eiweiss  zu 
liefern.     Sie  kann  also  Eiweissdrüse  genannt  w^erden. 

Der  Uterus  ist  bei  den  Pulmonaten  ein  langer,  ge- 
drehter und  mit  vielen  Querfalten  versehener  Schlauch, 
bei  anderen  ist  er  nur  kurz.  Er  geht  in  die  Scheide 
über. 

In  diese  münden  noch  mehrere  Schläuche  und  Drü- 
sen, von  denen  man  namentlich  die  Befruchtungs- 
tasche   (receptacidum    seminis)   erkannt   hat.     Diess  ist 

22 


338  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

eine  birnförmige  Blase  mit  einem  längeren  oder  kürzeren 
hohlen  Stiele ,  das  Analogen  des  gleichbenannten  Organs 
bei  Arthropoden  und  Strudelwürmern.  Bei  den  Helicinen 
ist  unterhalb  der  Mündung  des  receptaculum  seminis  ein 
cylindrischer  Sack  gelegen,  der  Pfeilsack,  in  dessen 
Höhle  sich  der  sogenannte  Liebespfeil  bildet,  welcher 
wahrscheinlich  als  Reizorgan  dient.  Die  Function  der 
beiden  Büschel  von  Blindsäcken  oder  der  wenigen  Blind- 
säcke, welche  sich  am  Grunde  des  Pfeilsackes  inseriren, 
ist  undeutlich. 

Den  männlichen  Geschlechtsapparat  angehend,  haben 
wir  noch  zu  bemerken,  dass  nicht  selten  durch  eine  Er- 
weiterung des  vas  deferens  eine  vesicula  seminalis  gebil- 
det wird ,  gewöhnlich  ehe  das  vas  deferens  auf  den  Uterus 
übergeht  (Helix  pomatta).  Als  prostata  betrachtet  man 
eine  Drüsenmasse ,  welche  bei  mehreren  Schnecken  (Pleu- 
robranchaea ,  T/ietis ,  Lymnaeus  stagnalis  u.  a.)  das  vas 
deferens y  bald  nachdem  es  den  Eileiter  verlassen,  um- 
giebt. 

Als  männliches  Begattungsorgan  ist  gewöhnlich  eine 
hervorstülpbare  Ruthe  vorhanden,  Avelche  entweder 
(Apneusta^  Gymnobranchia)  in  einem  besonderen  praepu- 
tium  steckt,  oder  frei  in  der  Leibeshöhle  liegt  und  häufig 
(bei  vielen  Helixarten  u.  a.)  nach  hinten  in  einen  geissei- 
förmigen Anhang,  flagellum,  übergeht,  der  hohl  und  um- 
stülpbar ist. 

Die  äusseren  Oeffnungen  der  Geschlechtsor- 
gane liegen  meist  auf  der  rechten  Seite,  seltener  (Lym- 
naeus, Planorbls,  P/iysa)  auf  der  linken  Seite  des  Halses. 
Theils  ist  eine  gemeinschaftliche  Geschlechtscloake  vor- 
handen (Helix,  Limax  u.  a.),  theils  liegt  die  Oeffnung 
des  Penis  vor  der  Scheidenmündung  (Lymnaeus,   Planorbis 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  339 

ü.  a.) ,  theils  auch  ist  zwar  eine  gemeinschaftliche  Ge* 
schlechtscloake  da ,  der  Penis  aber  liegt  weit  davon  ent- 
fernt, meist  neben  dem  Schlundkopf  unter  dem  rechten 
Fühler,  und  der  Same  wird  durch  eine  äussere  Rinne  von 
der  Gesehlechtsmündung  bis  zur  Ruthenöffnung  geleitet. 

Geschlechtsorgane   der  nicht  hermaphroditischen 
C  e  p  h  a  1 0  p  h  0  r  e  n. 

Zu  dieser  Abtheilung  gehören  ausser  den  Heteropoda 
die  Cirrobranchia  j  Tfibulibrcmchla ,  Cyclobranchia^  Aspi- 
dobranchia  und  die  Ctenobranc/iia  (mit  Ausnahme  von 
Lütorina),  endlich  die  Familie  der  Operculata. 

Im  Allgemeinen  finden  sich  bei  jedem  Individuum  ent- 
weder die  männlichen  oder  die  weiblichen  Geschlechts- 
werkzeuge  in  der  Art,  wie  wir  sie  verbunden  bei  den 
Hermaphroditen  sehen.  Ho  de  und  Eierstock  liegt 
gleichfalls  in  der  Lebersubstanz  eingebettet  und  ein  ein- 
facher, nur  ausnahmsweise  bei  Chiton  doppelter  Aus- 
führungsgang begiebt  sich  als  vas  deferens  oder  tuba  Fal' 
lopii  nach  vorn,  meist  auf  der  rechten  Seite.  Nimmt  der 
Eileiter  (bei  den  Gasteropoden)  eine  drüsige  Beschafi'en- 
heit  an,  so  nennt  man  ihn  Uterus.  Die  mancherlei  drü- 
sigen Anhänge  sowie  das  receptaculum  seminis  sind  bei 
Weitem  nicht  so  verbreitet ,  als  bei  der  vorigen  Abthei- 
lung. Von  den  einheimischen  Schnecken  besitzt  jedoch 
Paludhia  vivipara  die  zungenförmige  Drüse  und  ein  kurzes 
receptaculum  seminis. 

Die  meisten  dieser  Cephalophoren  (Cienobranchia, 
Operculata ^  mehrere  Heteropoda)  sind  mit  einem  Penis 
versehen,  in  welchen  das  vas  deferens  einmündet. 

Cephalopoden.  Alle  Cephalopoden  sind  ge- 
trennten  Geschlechts.     Der   einfache    Eierstock 

22  * 


340  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

liegt  im  Grunde  des  Mantels,  lose  von  einer  derben 
Eierstocks  kapsei  umgeben.  Die  Eier,  die  während 
ihrer  Bildung  am  Ovarium  von  einem ,  dem  Eierstock  an- 
gehörigen  üeberzuge,  der  Eierkap  s  el ,  umhüllt  sind, 
fallen,  nachdem  diese  Hülle  geplatzt,  in  die  Eierstocks- 
kapsel und  werden  durch  einen  oder  zwei,  am  Grunde 
des  Trichters  neben  dem  Mastdarm  mündende  Eileiter 
entleert.  Drüsige  Anschwellungen ,  welche  bei  den  Lo- 
liginen  an  den  Oviducten  in  der  Nähe  der  Mündung,  bei 
den  Octopoden  in  der  Mitte  der  Oviducte  sich  finden,  son- 
dern wahrscheinlich  die  mannichfaltigen  Hüllen  des  Lai- 
ches ab.  Auch  die  sogenannten  Nidamental-Drüsen  der 
Loliginen ,  auf  dem  Tintenbeutel  liegend ,  haben  vielleicht 
eine  ähnliche  Bedeutung. 

Die  männlichen  Geschlechts  Werkzeuge  sind 
bei  denjenigen  Cephalopodenarten,  avo  die  Männchen  den 
Weibchen  an  Grösse  und  Gestalt  gleich  kommen,  so  an- 
geordnet. Der  einfache,  wie  der  Eierstock  gelegene 
Ho  de  ist  von  einer  Hodenkapsel  umgeben.  Das  von 
der  Kapsel  ausgehende  vas  deferens  nimmt  nach  einem 
vielfach  gewundenen  Verlaufe  in  seinen  Wandungen  eine 
drüsige  Beschaffenheit  an  und  an  dem  oberen  Ende  die 
Mündung  eines  oder  zweier  drüsigen  Schläuche  auf.  Et- 
was weiter  nach  oben  geht  es  in  das  vordere  Ende  eines 
weiten  Sackes,  der  biirsa  Needhamii  über,  und  die  Fort- 
setzung derselben ,  der  diictus  eiacidatoriiis ,  endigt  links 
vom  Mastdarm  mit  einem  kurzen  penis.  Höchst  eigen- 
thümlich  verhalten  sich  nun  die  Samenschläuche  oder 
Spermatop  hören,  in  denen  der  Samen  entleert  wird. 
Ihre  Bildung  beginnt  in  dem  oberen  drüsigen  Theile  des 
vas  deferens ,  und  wahrscheinlich  liefert  der  dort  einmün- 
dende  Blindsack    den   Stoff    dazu.     Fertig   liegen   sie  in 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  341 

grösserer  Menge  in  der  bursa  Needhamii.  Sie  bestehen 
aus  einer  derbhäutigen  cylindrischen  Hülle,  die  am  unte- 
ren Ende  kolbenförmig  angeschwollen  ist,  und  zwei  in 
dieser  enthaltenen  verschiedenartigen  Theilen.  Im  Vor- 
derende des  Samenschlauches  liegt  eine,  von  einer  beson- 
deren häutigen  Hülle  eingeschlossene  Portion  Samen,  im 
Hinterende  ein  mit  diesem  Samensacke  verbundener  Aus- 
schnellungsapparat,  hauptsächlich  ein  spiralig  gewundenes 
Band.  Sobald  durch  die  Begattung  ein  Samenschlauch  in 
die  Blantelhöhle  des  Weibchens  gelangt  ist,  saugt  er 
Wasser  auf  bis  zum  Platzen ,  worauf  der  Spiralfaden  aus- 
schnellt und  die  Samenportion  nach  sich  zieht.  Die  Be- 
fruchtung geht  in  der  Eierstockskapsel  vor  sich ,  wohin 
der  Same  wahrscheinlich  durch  die  Eileiter  gelangt. 

Die  (3  der  meisten  Cephalopoden  besitzen  einen  soge- 
nannten hectocotylisirten  Arm*),  am  merkwürdigsten 
ausgebildet  bei  Argonauta,  Octopus  granulosus  Lmk. 
(O.  Carenae  Ver.)  und  Trernoctopus  violaceus.  Hier  ent- 
wickelt sich  dieser,  zur  Aufbewahrung  des  Samens  und 
Vermittlung  der  Begattung  bestimmte  Arm  (Hectocotylus) 
in  einem  Säckchen ,    welches  später  platzt  und ,  mit  dem 


*)  Der  isolirt  gefundene  Arm  ist  anfänglich  als  Eingeweidewurm 
beschrieben  worden.  Durch  Steenstrup's  Untersuchungen  (Kon. 
danske  Vid.  Selsk.  Skriften  3.  Hacke.  4  Bd.  Wiegm.  Arch.  1856) 
hat  sich  herausgestellt,  dass  Regel  ist,  was  anfangs  paradoxe  Aus- 
nahme zu  sein  schien.  Die  Gattungen  sind  in  folgender  Weise  hecto- 
cotylisirt: 

Ärgonauta  —  3.  linker  Arm;  Tremodopus  y  Octopus  und  Hele- 
done  —  3.  rechter  Arm;  Rossia  —  1.  linker  Arm  mit  dem  rechten 
nur  in  der  Mitte;  Sepiola  —  1.  linker  Arm  in  ganzer  Länge;  Sepia 
—  4.  linker  Arm  am  Grunde;  Sepiotheuiis  und  LoUgo  —  4.  linker 
Arm  an  der  Spitze ;  Loliolus  —  4.  linker  Arm  in  ganzer  Länge. 

Ohne  hectocotylisirten  Arm  sind  Ommatostrephes^  Onychotheuiis 
und  Loligopsis. 


342  ^^-  Abschn.    Das  Fortpflauzungssyslem. 

Rücken  des  Hectocotylus  verbunden ,  sich  umstülpt ,  und 
bei  dem  Hectocotylus  von  Argonauta  und  Octopus  als 
pigmentirte  Rückenkapsel  bleibt.  Der  Arm  besteht  aus 
einem  dickeren  napftragenden  Theile  und  einem  dünneren, 
geisseiförmigen,  welcher  die  unmittelbare  Fortsetzung  der 
Axe  des  ersteren  ist  und  als  Penis  fungirt.  Der  dickere 
Theil  stimmt  seiner  Structur  nach  mit  einem  gewöhnli- 
chen Arme  überein ,  namentlich  in  Betreff  der  Nerven  und 
Gefässe.  Ausserdem  aber  findet  sich  darin  eine,  die 
Spermatophoren  aufnehmende  Samenkapsel,  deren  Höh- 
lung sich  fast  bis  an  das  Ende  des  Penis  fortsetzt  und 
hier  ausmündet,  während  die  Spermatophoren  durch  eine 
in  der  Rückenkapsel  befindliche  Oeffnung  hineingelangen. 
Im  Hinterleibe  der  Männchen  nämlich  liegen  die  eigent- 
lichen Geschlechtsorgane ,  die  in  nichts  Wesentlichem  von 
denen  anderer  Cephalopoden  abweichen ,  und  in  deren 
einem  Theile  auch  die  Spermatophoren  sich  bilden.  Auf 
welche  Weise  die  Spermatophore,  welche  bei  Oct.  carena 
ausserordentlich  lang  ist  (3"),  durch  jene  äussere  Oeff- 
nung in  den  Samenschlauch  des  Hectocotylus  gelangt,  ist 
nicht  vollständig  ermittelt.  Wahrscheinlich  unter  einer 
Umarmung  reisst  der  Hectocotylusarm  los,  und  vermag 
nun  in  wunderbarer,  an  Individualität  streifender  Selb- 
ständigkeit den  Penis  in  die  weibliche  Geschlechtsöffnung 
einzusenken,  mehrere  Tage  hindurch  seine  Lebensfähig- 
keit bewahrend. 

Wie  gesagt,  haben  die  meisten  anderen  Gattungen 
ebenfalls  einen  Hectocotylusarm ,  jedoch  weniger  auffal- 
lend aasgebildet. 

5.     Die  Geschlechtsorgane   der   Wirbelthiere. 
Die    vergleichende    Anatomie   und    Entwicklungsge- 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  343 

Drüsen  mit  ihren  Ausführungsgängen  in  der  engsten  Be- 
schichte beweisen,  dass  nach  der  ursprünglichen  Anlage 
der  meisten  zum  Genital-  und  dem  eng  damit  verbunden 
Harn-Apparat  die  Wirbelthiere  Hermaphroditen  sind, 
und  dass  nur  durch  die  verschiedene  Ausbildung  und 
Rückbildung  der  verschiedenen  Organe  die  Trennung  der 
Geschlechter  hervorgebracht  wird.  Bei  einzelnen  Amphi- 
bien (Bufo  variabilis  (3)  ist  bis  in  das  dritte  Jahr  hinein 
neben  dem  Hoden  ein  ansehnlicher  rudimentärer  Eierstock 
vorhanden.  Aechter,  bleibender  Hermaphroditismus  fin- 
det sich  mitunter  bei  Cyprinus  carpio,  indem  auf  der  einen 
Seite  ein  vollständig  ausgebildeter  Hode ,  auf  der  andern 
das  Ovarium  ist.  Regelmässig  aber  ist  diese  Zwitterbil- 
dung bei  mehreren  Arten  von  Sevranus. 

Beiderlei  Drüsen  sind  in  der  Regel  symmetrisch.  Am 
häufigsten  wird  das  Ovarium  unpaar,  wie  bei  mehreren 
Fischen  (Petromyzon,  Scylliiim ,  Miistelus  u.  a.  Haien, 
Perca  flumatilis^  Blennius  vivipanis  u.  a.)  und  bei  allen 
Vögeln,  wo  der  rechte  Eierstock  atrophisch  wird.  Wie 
bei  ihnen ,  ist  wahrscheinlich  auch  bei  allen  jenen  Fischen 
das  Ovarium  ursprünglich  paarig.  Von  den  Säugethieren 
nähern  sich  die  Monotremata  durch  die  Verkümmerung 
des  rechten  Ovarium  den  Vögeln. 

Viel  seltener  sind  die  Hoden  unpaar,  wie  z.  B.  bei 
den  Myxinoiden. 


Die  Ausführungsgänge. 

Bei  mehreren  Fischen  fehlt  jede  Spur  eines  Aus- 
führungsganges sowohl  an  den  Ovarien  als  an  den  Hoden 
(Cyclostomi,  Muraenoidei).  Eier  oder  Samen  werden 
durch  Dehiscenz  frei ,  fallen  in  die  Bauchhöhle  und  wer- 


344  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

den  durch  einen  hinter  dem  After  gelegenen  porus  geni- 
talis ausgeführt.  Bei  den  meisten  Knochenfischen 
sind  Ausführungsgänge  als  unmittelbare  Fortsetzungen 
der  Geschlechtsdrüsen  vorhanden,  die  bald  nach  kürze- 
rem, bald  nach  längerem  Verlaufe  sich  vereinigen.  Bei 
einigen  Ganoiden  (Acipenser ,  Polypterus)  münden  so- 
wohl die  Samenleiter  als  die  Eileiter  mit  einem  ostium 
abdominale  frei  in  die  Leibeshöhle.  Die  Plagiostomen 
schliessen  sich  an  die  Amphibien  und  Vögel  an.  Die  Ei- 
leiter vereinigen  sich  oben  zu  einem  einzigen  ostium  ab- 
dominale und  bilden  in  ihrem  unteren  Ende  ansehnliche 
Erweiterungen,  uteri*). 

Auch  bei  den  übrigen  V^irbelthieren,  wie  bei 
den  zuletzt  genannten  Abtheilungen  der  Fische,  stehen  die 
Ausführungsgänge  nicht  in  unmittelbarem  Zusammenhange 
mit  den  Drüsen,  indem  die  Oviducte  sich  zur  Zeit,  wo 
die  Loslösung  der  Eier  geschieht,  mit  einer  oberen,  ge- 
wöhnlich trichterförmigen  und  gefranzten  Oeffnung  an  die 
Eierstöcke  legen,  der  Samen  aber  durch  besondere  feine 
Gefässe,  die  vasa  efferentia^  in  die  Samenleiter,  vasa 
deferentia,  gelangt.  Die  vasa  deferentia  und  die  Oviducte 
sind  zwei  verschiedene  morphologische  Elemente,  indem 
sie  eine  ganz  abweichende  Entstehungsweise  haben. 
Zum  männlichen  Geschlechtsapparate  stehen  nämlich  die 
Wolff'schen  Körper,  jene  für  das  Fötalleben  so  wich- 
tigen, beiden  Amphibien,  Vögeln  und  Säugethieren,  auch 
bei  den  Selachiern  und  einzelnen  Knochenfischen  bekannten 


*)  Ueber  verschiedene  Ausnahmezustände  und  Abweichungen  vgl. 
man  J.  Hyrtl,  Beiträge  zur  Morphologie  der  Urogenitalorgane 
der  Fische.  (Aus  d.  1.  Bande  der  Denkschriften  d.  m.  naturw.  Klasse 
d.  k.  Academie  d.  Wissensch.  besonders  abgedruckt.)  Wien,  1849. 


1.  Kap.    Die  Geschlechtsorgane.  345 

Ziehung.  Die  Wolff'schen  Körper  sind  bei  den  Batra- 
chiern  als  Nieren  persistent;  auch  bei  den  Knochenfischen 
finden  sie  sich  (erkannt  von  Reichert  bei  Cyprinus  do- 
bulajj  gehen  jedoch  verloren,  um  den  bleibenden  Nieren 
Platz  zu  machen.  So  ist  es  auch  bei  den  übrigen  Wir- 
belthieren,  wo  ihre  queren  Drüsencanäle  bei  den  Männ- 
chen umgewandelt  werden  in  die  vasa  efferentla,  und  ihr 
Ueberbleibsel  bei  den  Weibchen  das  sogenannte  Rosen- 
müll e  r'sche  Organ  (Nebeneierstock  nach  K o b e  1 1) 
ist.  Der  obere  Theil  der  Ausführungsgänge  der  WolfT- 
schen  Körper  wird  bei  den  männlichen  Thieren  zum 
Nebenhoden,  der  untere  zu  den  vasa  deferentia ,  wäh- 
rend er  bei  den  Weibchen  gewöhnlich  mit  der  transito- 
rischen  Drüse  völlig  verloren  geht,  und  nur  bei  den 
Weibchen  der  Wiederkäuer,  Einhufer  und  Schweine  als 
Rest  jener  Ausführungsgänge  die  Gartner'schen  Ka- 
näle übrig  bleiben.  Die  Eileiter  entstehen  nicht  aus 
einer  Metamorphose  der  gedachten  Ausführungsgänge, 
sondern  entwickeln  sich  eigenthümlich.  Sie  sind  schon 
bei  vielen  Sauriern  und  Ophidiern  vor  ihrer  Mündung  in 
die  hintere  Wand  der  Cloake  etwas  erweitert.  In  der 
Rückenwand  der  Cloake  der  ^  ürodelen  hat  von  Siebold 
zwei  Gruppen  von  Blindsäcken  entdeckt,  welche  als  re* 
ceptacida  seminis  fungiren.  Die  bei  allen  Vögeln  sich 
findende  kurze  und  musculöse  Abtheilung  des  linken  Ei- 
leiters, in  welchem  die  Kalkschale  sich  bildet,  kann  man 
als  Ei  halt  er  (^^/^erws)  bezeichnen;  indessen  zeichnet  sich 
erst  die  Klasse  der  Säugethiere  dadurch  aus,  dass  bei 
ihnen  ein  eigener  canalis  genitalis  als  oberes  Ende  des 
gemeinschaftlichen  canalis  s.  sinus  urogenitalis  sich  ab- 
zweigt. Die  obere  Partie  des  canalis  genitalis  ist  der 
die  Tuben  aufnehmende  Fruchthalter,  die  untere  die 


346  IV-  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

Scheide,    während  der  Scheidenvorhof  der  weiblichen 
Säugethiere  der  canalls  urogenitalis  ist. 

Die  vasa  deferentia  münden  bei  den  Säugethieren  in 
die  den  Penis  durchbohrende  Urethra.  Zwischen  diesen 
Mündungen  öffnet  sich  beim  Menschen  und  bei  vielen  Säu- 
gethieren ein  kleiner  Schlauch  (utriculus  prostaiicus) ,  der 
nach  Weber  das  Analogen  des  Uterus,  nach  H.  Meckel 
das  der  Scheide,  nach  R.  Leuckart  aber  als  morpho- 
logisches Aequivalent  entweder  des  Uterus  und  der 
Scheide  zusammen  oder  des  einen  oder  des  andern  Or- 
gans allein  zu  deuten  ist. 

Die  Begattungsorgane. 

Bei  den  meisten  Fischen  findet  keine  wirkliche 
Begattung  statt.  Nur  die  männlichen  Chimären  uud  Pla- 
giostomen  besitzen  ein  Paar  an  den  Trägern  der  Flossen- 
strahlen der  hinteren  Flossen  befestigte  Haft  Organe, 
welche  bei  der  Begattung  zum  Festhalten  dienen. 

Die  männlichen  beschuppten  Amphibien  be- 
sitzen eine  Ruthe^  die  bei  den  Ophidiern  und  Sauriern 
doppelt,  bei  den  Krokodilen  und  Cheloniern  einfach  ist. 
Dem  entsprechend  ist  die  Clitoris  der  Weibchen.  Der 
Penis  der  Schildkröten  und  Krokodile  liegt  an  der  vor- 
deren Wand  der  Cloake  und  ist  mit  einer  zum  Abfluss 
des  Samens  dienenden  Rinne  versehen.  Ganz  ähnlich  ver- 
hält sich  auch  die  Ruthe  derjenigen  Vögel,  welche  eine 
solche  besitzen  (Struthionen ,  Enten ,  Gänse ,  Penelope, 
Crax  u.  a.).     Eben  diese  Vögel  haben  auch  eine  clitoris. 

Die  zahlreichen  Lage-  und  Formverscbiedenheiten 
der  betreffenden  Theile  der  Säugethiere  aufzuführen,  ist 
hier  nicht  der  Ort. 


1.  Kap.     Die  Geschlechtsorgane.  847 

üeber  die  Geschleclitsoigane  der  Coelenieraia  vergleiclie  man: 
H 0  1 1  a  r  d ,  Monographie  du  genre  Aciinia.  Aiin.  d.  sc.  nat.  3.  ser.  XV. 
K  Olli  k  er,  Die  Schwimm  polypen  von  Messina.    Leipzig  1853. 
Leuckart,   Zool.  Untersuchungen.  I.  Die  Siphonophoren.   Giessen 

1853. 
Gegenbaur,  Beiträge  zur  näheren  Kenntniss  der  Schwimmpolypen. 

Leipzig  1853.  (Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  V.). 
C.  Vogt,   Siir  les  Siphonophores  de  la  mer  de  iV/ce.  Geneve  1854. 
Will,  Horae  tergesiinae.    Leipzig  1844. 
Gegenbaur,  Studien  über  die  Ctenophoren.     Arch.  f.  Naturgescht. 

xxn. 

lieber  die  Geschlechtsorgane  der  Asteriden  vergl.  Müller  und 
Trosc.hel,  System  der  Asteriden.     Braunschweig  1842. 

Ueber  die  Geschlechtswerkzeuge  der  Turbellarien  Yergl.  0.  Schmidt, 
Die  rhabdocölen  Strudelwürmer  aus  den  Umgebungen  von 
Krakau.  Denkschriften  der  Wiener  Academie  XV.  1858,  und 
0,  S  chmidt,  Die  dendrocölen  Strudelwürmer  aus  den  Um- 
gebungen von  Gratz.  Zeitschr.  f.  w.  Zool.  1859. 

üeber  die  Geschlechtswerkzeuge  der  marinen  Planarien:  Quatre- 
fages,  Siir  les  Planaires.  Ann.  d.  sc.  nat.  1845. 

Ueber  die  Geschlechlswerkzeuge  der  Trematoden  ausser  den  älteren 
bahnbrechenden  Beobachtungen  v.  Siebold's  in  Wiegmann's 
Archiv  1838  u.  a.  die  Arbeiten  und  Abbildungen  von  Wage- 
ner, Ueber  Distomeen,  Müll.  Arch.  1852.  Aubert,  Ueber 
Aspidogasier ,  Zeitschr.  f.  w.  Zool.  VI;  Wedl,  Anatomische 
Beobachtungen  über  Trematoden  i.  d.  Sitzungsberichten  der 
Wien.  Acad.  XXVL  1858.  van  Beneden,  Memoire  siir  les 
vers  intestinaux.  Paris  1858. 

Ueber  Geschlechtswerkzeuge  der  Cestoden:  Van  Beneden,  Les 
vers  Cestoides  oii  Acoiyles.  Bruxelles  1850.  und  Leuckart, 
Die  Blasenbandwürmer.  Giessen  1856. 

Fr.  Müller,  Ueber  die  Geschlechtstheile  von  Cleps ine  un6.  Nephelis. 
Müll.  Arch.  1846. 

Hering,  Zur  Anatomie  und  Physiologie  der  Generationsorgane  des 
Regenwurms.     Zeitschr.  f.  w.  Zool.  Vlll. 

Ueber  die  merkwürdigen  Geschlechtseigenthümlichkeiten  der  Ostra- 
coden  ist  nachzusehen  die  ausgezeichnete  Arbeit  von  Zenker, 
Anatomisch -syst.  Studien  über  die  Krebsthiere.  Berlin,  1854. 
(A.  d.  Archiv  f.  Naturgesch.  XX.  Jahrg.) 


348  IV.  Absclin.    Das  Fortpflanzungssystem. 

Favre,    Recherches  sur  Vanatomie  des   organes  reproducteurs  etc. 

des  Myriapodes.    Ann.  d.  sc.  nat.  1855. 
Fr.  Stein,   lieber  die  Geschlechtswerkz.  und  den  Bau  des  Hinler- 

leibesskelets  bei  den  weiblichen  Käfern.    Berlin,  1847. 

Ueber  die  Geschlechtswerkz.  der  Ascidien  vergl.  Mi  Ine-Ed  war  ds, 
Observaüons  sur  les  Ascidies  composees.    Paris,  1841, 

Ueber  die  Geschlechtsverhältn.  der  Muscheln:  Lacaze-Duthiers, 
Ann.  d,  sc.  nat.  1854.  JJ.  und  Humbert,  ibid.   1853.  XX, 

Ueber  die  Geschlechtsorgane  der  Cephalophoren:  Gegenbaur, 
Pteropoden  und  Heteropoden.  Leipzig  1855.  Leuckart, 
Zoolog.  Untersuchungen.  II.  Hft.  Semper,  Zeitschr.  f.  wiss. 
Zool.  1856.  VIII. 

W.  Peters,  Ueber  den  Bau  der  Needhamschen  Körper.  Müll. 
Arch.  1840.  S.  98. 

Müller,  Ueber  das  3Iännchen  von  Argonaitia  Argo  und  die  Hecto- 
cotylen.  Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  1852.  Zusätze  dazu  ebds. 
1853. 

Verany  u.  Vogt,  Memoire  sur  les  Hectocotyles  et  les  mäles 
de  quelques  Cephalopodes.    Ann.  d.  sc.  nat.  XVII.  1852. 

R.  Leuckart,  Hectocotyliferen  in  zool.  Untersuch.  III.  1854. 

Ueber  die  Geschlechtsorgane  der  Chim.  und  Plagiost.  vergl.  J.  Mül- 
ler, Untersuchungen  über  die  Eingeweide  der  Fische.  Ber- 
lin, 1845. 

J.  Müller,  Bildungsgeschichte  der  Genitalien.    Düsseid.,  1830. 

R.  Leuckart,  Zur  Morphologie  und  Anatomie  der  Geschlechtsor- 
gane.    Göttingen,  1847. 

H.  Meckel,  Zur  Morphologie  der  Harn-  und  Geschlechtswerkzeuge 
der  Wirbelthiere.    Halle,  1848. 

Wittich,    Ueber    die   Generationsorgane  der    nackten   Amphibien. 

Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  IV. 
Lereboullet,    Recherches   sur    Vanatomie   des   organes  genitaux 

des  animaux  vertebres,  Nov.  Act.  Ac.  Leop.  1851. 


Zweites   Kapitel. 
Die  typiisctien  fintii^ickluugisiforiueii. 


1.     Die  Entwicklung  der  Strahlthiere. 

Polypen.  Die  am  meisten  in  die  Augen  fallende 
Vermehrung  der  Polypen  geschieht  durch  Theilungund 
Knospung.  Die  verhältnissmässig  seltnere  Theilung  ist 
immer  nach  der  Länge  und  bedingt,  jenachdem  sie  voll- 
ständig (Cüryophyllaea)  oder  unvollständig  (Maeandrina)^ 
ein  sehr  verschiedenartiges  Aussehen  der  Gattungen. 
Ungleich  häufiger  ist  die  Knospenbildung.  Bei 
Actinia^  welche  nur  selten  Knospen  hervorbringt,  lösen 
sich  dieselben  los ;  in  den  meisten  Fällen  aber  geschieht 
die  Ablösung  nicht,  und  so  werden,  je  nach  der  Stellung 
der  Knospen  und  dem  Orte,  an  welchem  die  Colonie  sich 
angesiedelt  bat,  jene  mannichfaltigen  Modificationen  der 
Stöcke  hervorgebracht. 

Die  geschlechtliche  Fortpflanzung  der  Po- 
lypen ist  mit  einer  Metamorphose  verbunden,  da  die  Em- 
bryonen als  flimmerhaarige,  infusorienartige  Wesen  ge- 
boren werden,  die  sich  natürlich  erst  nach  einer  Zeit 
freien  Schwärmens  festsetzen. 

Siphonophoren.  Die  verschiedenartigen  Anhänge 
des  Reproductionscanals  der  Schwimmpolypen  bilden  sich 
auf  dem  Wege  der  Knospung,    nachdem  durch  eine  Em- 


350  ^V.  Absclm.    Das  Foiipflanzungssystem. 

bryoentvvicklung  vermittelst  eines  befruchteten  Eies  die 
Grundlage  des  ganzen  Stockes  gelegt  ist.  Von  dieser 
Eientvvicklung  hat  man  aber  bis  jetzt  nur  geringe  Spu- 
ren verfolgen  können ,  und  zwar  an  einer  Diphyide  (Di- 
jihyes  Sieboldii^  G eg enbaur).  Das  Ei  geht  nach  tota- 
ler Furchung  in  einen  länglichen  Embryo  über;  an  ihm 
entwickelt  sich  eine  Knospe,  die  zum  hinteren  Schwimm- 
stücke sich  ausbildet,  während  die  Substanz  des  Embryo 
schwindet  und  sein  Rest  als  der  sogenannte  Saftbehälter 
des  vorderen  Schvvimmstückes  übrig  bleibt. 

Gegen  baur,    Beiträge   zur    näheren   Kenntniss  der  Schwimnipoly- 
pen.     Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  V.  1853. 


S  che iben  quäl len.  Es  giebt  eine,  wenn  auch, 
wie  es  scheint,  geringere  Anzahl  von  Scheibenquallen, 
deren  aus  den  Eiern  hervorgehende  wimpernde  Embryo- 
nen sich  durch  directe  Metamorphose  wieder  zu  Quallen 
gestalten.  Aeginopsis  mediterranea ,  Müll.  Trachynema 
ciliatuniy  Ggbr.  Dieser  schllesst  sich  (nach  Crohn, 
Müll.  Arch.  1855)  an  Pelagia  noctiliico^  deren  flim- 
mernde Junge  schon  mit  Mund  und  Magen  aus  dem  Ei 
schlüpfen,  in  einer  lang  gestreckten  Form,  aus  der  sie, 
in  die  Breite  wachsend ,  in  die    Scheibenform  übergehen. 

Bei  Weitem  die  Mehrzahl  dieser  Quallen  ist  aber 
dem  Generationswechsel  unterworfen  und  tritt  da- 
mit in  ein  intimes  Verhältniss  zu  den  sogenannten  Qual- 
lenpolypen oder  Hydriformia. 

Aus  den  befruchteten  Eiern  der  Scheibenquallen  ent- 
stehen infusorienartige  Junge,  welche  vermittelst  eines 
Flimmerüberzuges  frei  im  AVasser  umher  schwimmen, 
nach  einiger  Zeit  sich  festsetzen  und  ein  polypenartiges 
Aussehen  bekommen. 


2.  Kap.    Die  typischen  Entwi«klungsforinen.  851 

Die  Polypengeneration  der  Medusa  auriia  gleicht  fast 
vollkommen  den  Hydern  des  süssen  Wassers  und  ist  als 
Hydra  tuba  beschrieben ;  sie  vermehrt  sich  in  Polypenart 
durch  Ausläufer  (stoJones)  und  durch  seitliche  Knospen- 
bildung, ganz  in  der  Weise  der  Hydra  viridis  und  fusca. 
Endlich  sprossen  aus  dem  Vorderende  dieser  Individuen 
Medusen  hervor,  und  man  findet  häufig  eine  Reibe  solcher 
Medusengemmen  über  einander ,  wie  eine  Reihe  Tassen, 
von  denen  natürlich  die  oberste  die  älteste  ist.  Sie  wer- 
den vom  Polypen  aus  ernährt,  indem  Ernährungskanäle 
durch  sämmtliche  Individuen  sich  hindurchziehen.  Diese 
Gemmen  lösen  sich  los,  wenn  sie  einen  gewissen  Grad 
der  Ausbildung  erreicht  haben ,  und  der  Cyclus  schliesst 
und  beginnt  mit  ihnen  von  Neuem. 

Es  reihen  sich  an  diese  Medusa  noch  an  Cyanea 
capil/ata^  Cassiopeia  borbonia^  Chrysaora  und  Cephea, 
und  bei  mehreren  ihrer  polypenförmigen  Larven  sind 
Längsgefässe,  sowie  eine  eigene  Leibeshöhle  beobachtet, 
wodurch  sie  sich  durchaus  von  der  Hydra  des  süssen 
Wassers  unterscheiden. 

Wie  die  Ammen  der  genannten  Medusen  verhalten 
sich  nun  viele  polypenartige  Wesen,  welche  ursprünglich 
als  Polypen  beschrieben  sind;  sie  zeugen  an  verschiede- 
nen Stellen  ihres  Stockes  frei  werdende  Quallensprossen. 
Da  man  an  einigen  dieser  letzteren  die  Bildung  von  Ge- 
schlechtsorganen beobachtet  hat,  theils  während  die  Me- 
dusen noch  als  Gemmen  mit  dem  Polypenstock  verbun- 
den sind  (z.  B.  bei  den  SprössHngen  von  Campamdaria 
dickotoma  ^  Stauridium ,  Podocoryne  carnea),  theils  auch 
nach  der  Loslösung  (bei  der  Meduse  einer  Campamdaria 
u.  a.},  so  wird  man  alle  diese  Gemmen  als  die  höhere 
Generation  anzusehen  haben,  zumal  der  Uebergang  ihrer 


352  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

Embryonen  (bei  der  Bleduse  von  Stauridium  [Clado- 
mena] ,  einer  Lizzia  und  Oceania)  in  einen  Polypen  und 
Polypenstock  direct  beobachtet  ist. 

An  diese  Formen  schliessen  sich  diejenigen  Hydri- 
formia  an ,  welche  zwar  noch  medusenförmige  Spröss- 
linge  zeugen,  solche  aber,  welche  sich  nicht  loslösen, 
sondern  eben  nur  als  medusenförmige  Generationsorgane 
des  Polypen  erscheinen,  bis  endlich  an  Stelle  der  Medu- 
sen blosse  Eier  oder  Samen  hervorbringende  Kapseln 
sich  bilden.  Auch  diese  Fälle  ordnen  sich  dem  allge- 
meinen Gesichtspunkt  des  Generationswechsels  unter,  so- 
bald man  consequent  die  Samen-  oder  Ei-Hüllen  als  die, 
wenn  auch  nicht  zur  vollständigen  Entwicklung  gelangende 
Quallengeneration  ansieht.  Es  wäre  in  diesem  Falle  die 
mit  Geschlechtsorganen  versehene  (eigentlich  Geschlechts- 
organ seiende)  Generation  nur  der  Idee  nach  die  voU- 
kommnere. 

Von  diesem  Standpunkt  aus  kann  man  auch  die  Hy- 
dra beurtheilen. 

Zur  Uebersicht  lassen  wir  die  von  Gegen baur  ge- 
machte tabellarische  Zusammenstellung  folgen : 


2.  Kap.    Die  typischen  Entwicklungsformen. 


353 


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354 


IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 


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2.  Kap.     Die  typischen  Entwicklungsformen.  355 

Wir  haben  endlich  zu  erwähnen,  dass  namentlich  in 
der  Familie  der  Oceaniden  die  Medusengeneration  durch 
Knospung  3Iedusen  zeugt,  die  an  sehr  verschiedenen  Or- 
ten ,  am  und  im  Magen ,  an  den  Ovarien ,  an  der  Tenta- 
kelbasis und  anderswo  entstehen. 


Gegenbaur,  Zur  Lehre  vom  Generationswechsel  und  der  Fort- 
pflanzung bei  Medusen  und  Polypen,  in  „Verhandl.  der  phys.- 
med.  Gesellschaft  zu  Würzburg,  1854." 


Rippenquallen,  Aus  vereinzelten  Beobachtungen 
(J.  Müller,  Kölliker,  Gegenbaur)  scheint  hervor- 
zugehen, dass  nicht  wenige  Rippenquallen  ohne  Metamor- 
phose oder  Generationswechsel  sich  entwickeln.  Bei 
jungen  Cydippen  aber  fand  Gegenbaur  am  Munde  zwei 
kolbenförmige,  aus-  und  einstülpbare  Lappen,  in  deren 
späterem  Verschwinden  eine,  wenn  auch  nicht  bedeutende 
Metamorphose  besteht. 


Gegenbaur,   Studien  über  Organisation  und    Systematik  der  Cle- 
nophoren.  Arch.  für  Naturgeschte.  XXII. 


£  c  h  i  n  0  d  e  r  m  e  n.  Die  Entwicklung  der  Echinoder- 
men,  die  man,  besonders  durch  die  Untersuchungen  von 
J.  Müller,  aus  allen  Hauptabtheilungen  dieser  Klasse 
kennt,  bieten  das  interessante  Beispiel  dar,  dass  die  Lar- 
ven nach  einem  ganz  anderen  Typus  gebaut  sind ,  als 
die  ausgebildeten  Thiere.  Alle  bis  jetzt  bekannten  Ent- 
w^icklungsformen  der  Echinodermen  sind  nämlich  bilate- 
ral, symmetrisch  nach  rechts  und  links,  eine  Symmetrie, 
welche  mit  der  Entwicklung  bei  den  meisten  Formen 
fast  spurlos  verschwindet  und  mehr  oder  minder  gewalt- 
sam,   d.  h.  in   stätigem  oder    unmittelbarem  Uebergange 

23* 


356  IV.  Absclin.    Das  Fortpflanzungssystem. 

mit  dem   radiären    Typus    vertauscht  wird.     Die   Formen 
der  Entwicklung   sind  in  folgender   Weise  zu  übersehen : 

1)  Embryonen  der  lebendig  gebärenden  Echinoder- 
men  mit  frühster  Entwicklung  zur  radialen  Form.  Das 
Ei  von  Ophiolepis  squamata  geht  zv.  ar  unmittelbar  in  die 
Opliiurenscheibe  über,  in  dem  Embryo  finden  sich  aber 
bilaterale  Kalkablagerungen ,  die  später  resorbirt  werden 
und  diese  sonst  so  abweichende  Art  der  Entwicklung 
mit  der  der  übrigen  Echinodermen  verbinden. 

2)  Wimpernde  Larven  ohne  Wimpersäume ,  mit  Kol- 
ben zum  Anheften  an  festen  Körpern.  Diese  Entwick- 
lung ist  am  frühsten  und  genausten  bekannt  von  Ec/ti- 
naster  Sarsii  und  Asteracanthion  ßJuellerl,  deren  Larven 
in  der  von  der  Mutter  gebildeten  Bruthöhle  haften.  Der 
länglich-scheibenförmige  Embryo  erhält  auf  dem  Schei- 
benrande einen  aus  vier  Kolben  bestehenden  Haftapparat; 
diese  Fortsätze  sowohl,  als  ihre  gemeinschaftliche  Basis 
sind  hohl.  Ausserdem  aber  befindet  sich  in  der  Scheibe 
eine  andere  Höhlung,  welche  direct  zum  Magen  der  Aste- 
rie  wird  und  später  eine  Oeffnung,  den  Asterienmund, 
bekömmt.  Ob  zwischen  den  4  Kolben  sich  eine  beson- 
dere Oeffnung  als  Larvenmund  befindet,  ist  ungewiss. 
Während  der  allmähligen  Umwandlung  der  Scheibe  in 
ein  Fünfeck  und  einen  Stern ,  indem  gleichzeitig  die  Am- 
bulaceen  sich  bilden,  wird  der  Haftapparat  nach  und  nach 
resorbirt.  Die  Larven  können  wegen  ihrer  Wimperbe- 
deckung auch  frei  schwimmen,  den  Haftapparat  voran. 

3)  Pluteusförmige*)  schwärmende  Larven  mit  Wim- 
perschnuren. In  diese  Kategorie  gehören  die  meisten  der 
bis  jetzt  gefundenen  Larven.     Der  Embryo  wird  zu  einer 

*)  J.  Müller   nannte   die   erste   derartige,  von  ilim  gefundene 
Larve,  ohne  ihr  Endziel  zu  kennen,  Fhttens. 


2.  Kap.     Die  typischen  Enlwicklungsformen.  357 

vollständig  bilateralen  Larve,  deren  Weichtheile  häufig 
von  einem ,  einer  Staffelei  oder  einem  Uhrgehäuse  ver- 
gleichbaren Kalkstabgerüst  gestützt  werden ,  und  deren 
Bewegungsorgane  statt  des  allgemeinen  Wimperüberzugs 
in  blossen  Wimperschnüren  bestehen.  Sie  haben  einen 
vollständigen  Verdauungskanal  mit  Mund ,  Schlund ,  Ma- 
gen, Darm  und  After.  Der  Mund  liegt  immer  an  der 
Ventralseite.  Die  Metamorphose,  in  welcher  die  Larve 
in  das  Echinoderm  übergeht,  streift  bei  einzelnen  Formen 
an  den  Generationswechsel,  indem  in  der  Larve  das  Echi- 
noderm  als  Knospe  angelegt  wird,  mit  sich  kreuzenden 
Achsen  des  bitateralen  und  radialen  Typus.  Nie  wird 
Mund  und  Schlund  der  Larve  für  das  Echinoderm  benutzt. 
Die  Larvenreste  sind  bei  der  BIphmaria  genannten  Larve 
einer  x\sterie  so,  dass  sich  dieselben  möglicher  Weise 
mit  einem  neuen  Verdauungsapparat  versehen  und  einen 
neuen  Seestern  zeugen  können,  womit  der  Generations- 
wechsel vollständig  wäre.  Weniger  beträchtlich  sind  die 
Larvenreste  der  Ophiuren  und  Echiniden ,  welche  entwe- 
der abfallen  oder  nacli  und  nach  resorbirt  werden.  In 
diese  Abtheilung  gehören  OpJuotrlx  fragllis  3J.  T.,  Ec/ii- 
nus  llvidus  Lam.  und  Echinus  pulchellus  Ag. 

4)  Wurmförmige  Echinodermenlarven  mit  Wimper- 
kränzen. Hierher  gehören  vor  allen  die  Larven  von  Ho- 
lothurien ,  die  sogenannten  Aurikularien.  Sie  stim- 
men in  ihrem  ersten  Larvenstadium  in  allen  Hauptzügen 
mit  der  vorigen  Abtheilung  überein.  Die  Pluteusforra 
geht  aber  durch  Auftreibung  der  ventralen  Körperseite 
und  durch  das  Entstehen  von  Wimperkränzen ,  zu  denen 
theilweise  auch  die  erst  vorhandene  Wimperschnur  ver- 
wendet wird,  in  ein  Stadium  über,  worin  sie  den  mit 
Wimperkreisen  versehenen  Annelidenlarven  gleicht.     Ob- 


358  IV'  Abschn.    Das  Fortpflanzungssyslera. 

gleich  die  Metamorphose  in  diesem  Falle  eine  fast  con- 
tinuirliche  ist,  wird  dennoch  wiederum  Mund  und  Schlund 
der  Larve  nicht  benutzt. 

In  allen  unter  3  und  4  genannten  Fällen  ist  die  An- 
lage des  Wassergefässsystems  die  frühste  auf  das  defini- 
tive Echinoderm  deutende  Erscheinung.  Der  dazu  füh- 
rende Porus  befindet  sich  an  der  Rückenseite  der  Larve. 
Alle  diese  Larven,  so  scheinbar  verschieden  gestaltet  sie 
auch  sein  mögen,  lassen  sich  auch  aus  einer  gemeinsa- 
men, von  J.  Müller  scheraatisch  construirten  Grundge- 
stalt herleiten,  welcher  das  jüngste  Larvenstadium  der 
Holothurien  am  nächsten  kommt.  Es  bedarf  nur  einer 
geringen  Modification,  um  die  sonst  so  sehr  abweichen- 
den Formen  der  Bipinnarien  darauf  zu  beziehen. 

Wurmförmig  sind  auch  die  Larven  der  Comatula, 
eine  Asterienlarve  und  die  Tornaria  genannte  Larve;  die 
Beobachtungen  darüber  sind  jedoch  noch  nicht  so  weit, 
dass  sie  eine  umfassende  Vergleichung  mit  den  Holothu- 
rienlarven  zuliessen. 

Die  Entwicklungsgeschichte  der  Echinodermen  ist  ganz  besonders 
durch  J.  Müller  aufgeklärt  in  einer  Reüie  von  Abhandlun- 
gen, Abh.  d.  k.  Acad.  der  Wiss.  zu  Berlin  1848—1853. 


2.     Die  Entwicklung   der  Würmer. 

Infusorien,  Bei  ihnen  finden  drei  Arten  der 
Fortpflanzung  statt. 

Ganz  allgemein  scheint  die  Th eilung  zu  sein,  von 
welcher  die  äussere  Knospenbildung,  wie  auch  bei  an- 
deren Thierklassen  ,  physiologisch  sich  nicht  trennen  lässt. 
Die  auf  diese  Weise  entstandenen  neuen  Thiere  zeigen 
keine    oder    geringe    Verschiedenheit    vom    Mutterthiere. 


2.  Kap.     Die  typischen  Entwicklungsformen.  359 

Bei  manchen  Vorticellen  geht  der  Tlieilung  die  Einziehung 
und  Resorption  einiger  Organe,  nämlich  des  Peristoms, 
des  Wimperorgans  und  sogar  der  Speiseröhre  voraus, 
der  Nucleus  theilt  sich  mit,  die  übrigen  Organe  aber  bil- 
den sich  in  den  Theilungsindividuen  neu. 

Die  zweite  Art  der  Fortpflanzung  geschieht  durch 
innere  Enibryonenbildung  oder  innere  Keimspröss- 
linge,  beobachtet  bis  jetzt  bei  den  Acineten ,  Colpodeen, 
Trachelinen,  Oxytrichinen,  Bursarien,  Vorticellinen,  Opa- 
linen. Hierbei  ist  immer  der  Nucleus  betheiligt,  indem 
er  sich  theilt.  In  vielen  Fällen  scheint  eine  cyciischc 
Entwicklung  der  Art  statt  zu  finden ,  dass  der  Erzeugung 
innerer  Embryonen  die  Erzeugung  von  Generationen  durch 
Theilung  oder  Sprossenbildung  vorangeht.  Häufig  auch 
wird  der  Process  durch  eine  Encystirung  eingeleitet,  in- 
dem die  sich  contrahirenden  Thiere  ihre  Flimmern  ver- 
lieren und  sich  durch  Ausschwitzung  mit  einer  ziemlich 
festen  durchsichtigen  Hülle  umgeben*). 

Dass  mit  der  erwähnten  cyclischen  Entwicklung  auch 
ein  Formen-Generationswechsel  statt  findet,  ist  vielfach 
beobachtet.  Der  innere  Schwärmsprössling  von  CMlodon 
cucuHulus  ist  von  Stein  ah  die  als  Cyclidium  glaucoma 
beschriebene  Infusorienform  erkannt**). 


*)  Nicht  selten  incystiren  sich  die  Infusorien  auch,  um  ein  zeit- 
weiliges Austrocknen  der  Gewässer  zu  überdauern. 

**)  Ich  scheue  mich  vor  weiteren  Anführungen,  da  zwei  wichtige, 
diesen  Gegenstand  behandelnde  Arbeiten,  erst  als  künftig  erschei- 
nend angekündigt  sind.  Eine  ganz  ausführliche  Darstellung  ist  im 
dritten  Theile  der  Ehides  siir  les  infusoires  et  les  rhhopodes  par 
E.  Claparede  et  J.  Lachmann  zu  erwarten  und  nicht  minder 
gespannt  darf  man  auf  das  schon  oben  citirte  Werk  von  Stein  sein. 
Die  vielfach  angegriffenen  Behauptungen  des  Letzteren,  wonach  die 
Vorticellen  in  Acineten  übergiengen,  diese  aber  innere  Schwärm- 
pprösslinge  zeugten,  welche  sich  schliesslich  in  Vorticellen  metamor- 


360  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssyslem. 

Was  die  Fortpflanzungs-  und  Entwick- 
lungs-Verhältnisse  der  eigentlichen  Würmer 
im  Allgemeinen  anbetrifft,  so  haben  wir  zunächst  die 
in  mehreren  Klassen  vorkommende  Theilung  und  Knos- 
pung zu  betrachten.  Indem  wir  also  hier  der  sogenann- 
ten Quertheilung  begegnen,  so  Aveichen  doch  die 
hierher  gehörigen  Gattungen  in  der  Art  dieser  Fortpflan- 
zung ganz  wesentlich  von  einander  ab ,  indem  bei  Syllis, 
Filograna  und  wahrscheinlich  auch  Myrianida  Edw.  diese 
falschlich  mit  dem  Namen  Quertheilung  bezeichnete  Zeu- 
gung auf  blosser  Knospenbildung  beruht.  Bei  Filograna 
wächst  das  neue  Thier  als  wahre  Knospe  oder  Sprosse 
am  Hintertheile  des  Mutterthieres  und  hat  mit  diesem  den 
Darmkanal  gemein,  wie  die  noch  nicht  getrennten,  alten 
und  jungen  Hydren.  Bei  Syllis  und  Myrianida  werden 
die  Verhältnisse  scheinbar  complicirter ,  indem,  noch  ehe 
die  Terrainalknospe  sich  losgelöst,  zwischen  ihr  und  dem 
Mutterthiere  schon  wieder  eine  und  mehrere  neue  sich 
entwickeln,  so  dass  nicht  selten  an  dem  Mutterthiere 
sechs  und  mehr  Tochterindividuen  an  einander  hängen, 
von  denen  das  hinterste  das  am  Aveitesten  entwickelte  und . 
der  Loslösung  am  nächsten  stehende  ist*). 


phosirten,  werden  noch  jetzt,  wenn  auch  mit  Modificalionen,  aufrecht 
erhalten.  Stein,  Die  Infusionsthiere  auf  ihre  Entwicklungsge- 
schichte untersucht.    Leipzig  1854. 

*)  Bei  Filograna  Schleideni  habe  ich  Folgendes  beobachtet 
(E.  0.  Schmidt,  Neue  Beiträge  u.  s.  w.  S.  37):  Im  früiiesten 
Stadium,  welches  ich  gefunden,  bestand  die  ganze  Knospe  aus  fünf 
schwach  angedeuteten  Ringeln.  Am  letzten  waren  die  künftig  scharf 
hervortretenden  Schwanzspitzen  nur  als  ein  leichter  Einschnitt  zu 
bemerken.  Der  vordere,  grossere  Ringel  bildete  eine  wulstformige 
Erhabenheit,  stärker  als  das  eigentliche  Hinterleibsende  des  Mutter- 
thieres.   Von  den  Kiemen,  welche  aus  dem  Wulste  hervortreten,  war 


2.  Kap.    Die  typischen  Entwicklungsformen.  361 

Bei  den  Microstomeae  dagegen,  einer  Familie  der 
rhabdocölen  Turbellarien ,  und  den  Naiden  findet  eine, 
natürlich  mit  Neubildung  verbundene  wirliliche  Querthei- 
lung  statt,  insofern  ganze  Abschnitte  des  Mutterthieres 
zum  Aufbau  der  Tochtertliiere  verwandelt  werden.  Ist 
es  bei  den  Turbellarien  wegen  der  mangelnden  Körper- 
gliederung schwieriger,  sich  von  dem  Gesagten  zu  über- 
zeugen, so  findet  der  Vorgang  bei  Nais  proboscidea  nach 
den  Beobachtungen  von  M.  Schnitze  in  folgender  Weise 
statt:  Bei  den  aus  30  bis  40  Gliedern  bestehenden  In- 
dividuen tritt  in  den  an  einander  stossenden  Enden  zweier 
mittlerer  Glieder  eine  Neubildung  ein,  der  Art,  dass  der 
Gränzstrich  der  beiden  Glieder  mitten  durch  die  Neubil- 
dung geht.  Der  dem  hinteren  Theile  angehörige  Theil 
der  Neubildung  wird  zum  Kopf  des  Hinterthieres ,  in 
welches  also  ohne  Weiteres  ungefähr  die  Hälfte  der 
Glieder  des  Mutterthieres  übergeht.  Aus  dem  vorderen 
Theile  der  Neubildung  entwickeln  sich  eine  Anzahl  Körper- 
und  Schwanzglieder  des  Vorderthieres.  Noch  ehe 
das  Hinterthier  sich  losgelöst,  fängt  das  Vorderthier  der 
Art  an  zu  produciren,  dass  aus  seinem  letzten  Gliede 
ein  Mitte  Ithier  sich  bildet  und  diese  Zeugung  aus  dem 
„Aftergelenke"  (0.  Fr.  Müller)  dauert  unter  successi- 
ver  Ablösung  der  hinteren  Tochterthiere  fort  bis  zur 
Verkürzung  des  Vorderthieres  auf  12  bis  14  Glieder. 
Dann  pausirt  diese  Tochterbildung,  das  Vorderthier 
wächst  zu  etwa  40  Gliedern  an,  und  der  eben  beschrie- 


noch  keine  Spur.  Auf  der  folgenden  Stufe  zählte  ich,  ausser  dem 
Kiemenwulste,  sechs  mehr  ausgeprägte  Ringel.  An  dem  Kiemen- 
wulste treten  einzelne  Erhabenheiten,  als  Anfänge  der  Kiemen,  her- 
vor. In  dieser  Weise  schreitet  die  Entwicklung  allmählich  vorwärts. 
Die  Kiemen  sind  zuerst  acht  cylindrische  Papillen  u.  s.  w. 


362  IV-  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

bene  Cyclus  beginnt  von  Neuem.  Wie  lange?  ist  nicht 
beobachtet,  auch  nicht,  was  aus  dem  zuerst  abgelösten 
Hinterthiere  wird,  während  die  als  Mitteltliiere  entstan- 
denen Individuen  ihrerseits  den  Cyclus  von  Quertheilun- 
gen  durchmachen. 

Alle  diese  Würmer  pflanzen  sich  auch  geschlechtlich 
fort,  und  soweit  man  bis  jetzt  bei  Filograna ,  Myrianida 
und  Syllis  diese  verschiedenen  Fortpflanzungsweisen  be- 
obachtet hat,  findet  ein  Wechselverhältniss  zwischen 
ihnen  statt,  d.  h.  die  Thiere  scheinen  nie  zu  gleicher  Zeit 
Knospen  zu  bilden  und  Samen  und  Eier  zu  produciren. 
Bei  den  genannten  Würmern  kann  es  sogar ,  so  lange 
nicht  das  Gegentheil  beobachtet  ist,  zweifelhaft  erschei- 
nen, ob  überhaupt  dasselbe  Individuum  periodisch  durch 
Theilung  proliferiren  und  dann  Samen  und  Eier  erzeugen 
könne,  oder  ob  es  nicht  vielmehr  nur  zu  dem  einen  oder 
dem  anderen  geschickt  ist,  und  die  Generationen  wirk- 
lich wechseln.  Nach  den  Beobachtungen  von  Quatre- 
fages*)  würde  sogar  bei  Syllis  monilaris  und  siciliensis 
die  für  den  eigentlichen  Generationswechsel  so  charakte- 
ristische äussere  Unähnlichkeit  der  Ammen  (Vorderindi- 
viduum) und  Aufgeammten  (die  als  Knospen  entstehenden, 
Geschlechtswerkzeuge  bekommenden  Individuen)  vorhan- 
den sein,  während  bei  den  übrigen  nur  die  potentielle 
Verschiedenheit  bleibt. 

Bei  den  Microstomeen  und  Na i den  findet  ent- 
schieden kein  Generationswechsel  statt,  indem  nicht  nur 
dieselben  Individuen,  welche  sich  durch  Theilung  fortge- 


*)  Ann.  d.  sc.  nat.  1854.  IV.  Ser.  IL  Generation  alternanie 
des  Syllis.  (Sonderbarer  Weise  hat  der  französische  Forscher  die 
Steenstrupsche  Bezeichnung  „Amme"  auf  die  Gcschlechtsindividuen 
angewendet.) 


2.  Kap.    Die  tyischen  Entwicklungsformen  363 

pflanzt  haben,  häufig  später  zur  geschlechtlichen  Fort- 
pflanzung befähigt  werden ,  sondern  sogar  die  Entwick- 
lung der  Geschlechtswerkzeuge,  Samen  und  Eier  nicht 
selten  in  die  Theilungsperiode  selbst  fällt.  In  der  Regel 
jedoch  ist  die  Fortpflanzung  durch  Theilung  für  die  eine, 
die  Geschlechtswicklung  für  die  andere  Jahreszeit  be- 
stimmt. 

Als  ein  gemeinsames  Moment  der  geschlechtli- 
chen Fortpflanzung  der  Würmer  ist  anzusehen, 
dass  nach  totaler  Furchung  der  Eiinhalt  gleichzeitig  all- 
seitig mit  einer  Keiraschicht  sich  umgiebt  und  also  un- 
mittelbar zum  Embryo  wird ,  womit  die  Würmer  mit  den 
Strahlthieren  übereinstimmen.  In  einigen  Fällen  (z.  B. 
von  mir  an  Amphlcora  sabella  beobachtet)  wird  die  Dot- 
terhaut selbst  zur  Bildung  der  Hautschicht  des  Embryo 
verwendet.  Im  Uebrigen  aber  lässt  sich  über  den  Gang 
der  Entwicklung  der  Würmer  im  Allgemeinen  nichts  sa- 
gen, da  die  Jungen  bald  ohne  Metamorphose  das  Ei  ver- 
lassen, bald  sehr  interessante  Verwandlungen  durchzu- 
machen haben,  die  oft  mit  Generationswechsel  verbunden 
sind.  In  der  Aufeinanderfolge  der  Anlage  der  Organe 
während  der  Entwicklung  findet  ebensowenig  eine  Ueber- 
einstimmung  statt ,  als  die  einzelnen  Abtheilungen  der 
Würmer  hinsichtlich  ihrer  Anatomie  sich  gleichen. 

Strudelwürmer.  In  den  allermeisten  Fällen  ver- 
lassen die  Embryonen  der  Turbellarien  dem  Mutterthiere 
so  weit  ähnlich  das  Ei ,  dass  ihnen  kein  eigenthümliches, 
mit  einer  Verwandlung  endigendes  Larvenleben  bevorsteht. 
Sie  sind  vielmehr  unmittelbar  nach  der  Geburt  als  Stru- 
delwürmer oft  bis  auf  Gattung  und  Species  zu  erkennen, 
was  seinen  Grund  darin  haben  mag,  dass  ihnen  der  für 
die  Larveu    der    meisten    niedrigen    Thiere   so    wichtige 


364  IV.  Absclin.    Das  Fortpflanzungssysleni. 

Fliramerbesatz,  sei  er  ein  totaler  oder  in  Zonen  und  Kreise 
vertheilt,  zeitlebens  bleibt. 

Dass  jedoch  in  dieser  Klasse  die  Metamorphosen 
nicht  fehlen,  zeigen  die  Beobachtungen  von  J.  Müller 
an  zwei  Planarien  des  Mittelraeeres,  darunter  ein  Sty- 
lochus.  Die  Larve  bildet  ein  plattes  Oval  und  trägt  auf 
dem  stumpfern  Vorderende  anfangs  3,  später  12  Augen. 
Die  Larve  wimpert  am  ganzen  Körper,  besitzt  aber  aus- 
serdem ein  ansgezeichnetes  Räder-  oder  Wimperorgan, 
8  Zipfel  oder  Fortsätze,  über  welche  sich  continuirlich 
eine  Linie  grösserer  Cilien  fortzieht.  Die  Verwandlung 
besteht  in  dem  allmähligen  Schwinden  der  Fortsätze  und 
dem  Eingehen  des  Räderorgans;  sie  ist  vollendet,  wenn 
das  anfangs  Vio'"  lange  Thierchen  V2'"  erreicht  hat. 

Bei  den  Nemertinen  kommt  eine  Art  von  Meta- 
morphose vor,  indem  noch  innerhalb  des  Eies  der  kug- 
lige,  rotirende  Embryo  sich  der  Art  häutet,  dass  aus  ihm 
ein,  nunmehr  den  Nemertinentypus  vollständig  an  sich 
tragendes  Wesen  hervorgeht. 


0.  Schmidt,   Die  rhabdocölen  Strudelwürmer  des  süssen  Wassers. 

Jena,  1848. 
M.    Schultze,    Beiträge    zur    Naturgeschichte    der    Turbellarien. 

Greifswald,  1851. 
J.  Müller,    lieber  eine  eigenthümliche    Wurmlarve  aus  der  Klasse 

der  Turbellarien  und  aus   der  Familie  der  Planarien.     Müll. 

Archiv  1850   und  ebend.  1854. 
Girardj    Researsches  upoii    Nemerleans  and    Planariaus.     Fhilad. 

1854.     (Entwicklung  von  Planocera  elliptica.) 

M.  Schultze,   Zoolog.   Skizzen.    Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  IV.  1852. 
(Nemertinen.) 


Saug  Würmer.     Eine  Anzahl  entwickelt  sich  ohne 
Metamorphose,  so  dass  meist  schon  im  Ei  die  Gattung 


2.  Kap.    Die  typischen  Entwicklungsformen.  355 

des  Embryo  zu  erkennen  ist:  Aspidogaster^  Udonella, 
GyrodactyU  mit  vier  Augenpunkten. 

Häufiger,  wie  es  scheint,  ist  der  Generations- 
wechsel, bis  jetzt  vorzugsweise  an  Arten  von  Disto- 
jimm,  Monostomnm  und  verwandten  verfolgt.  Bei  diesen 
ist  der  Embryo  entweder  bewimpert  oder  unbewimpert, 
im  ersten  Falle  einfach  und  fast  ohne  Organe,  im  letzten 
mit  Gelassen  und  meist  mit  Verdauungsapparat  versehen. 
Die  unbewimperten  Embryonen  (D'istoma  diipUcatum  — 
wahrscheinlich  zu  Distoma  tereticolle  gehörig.  Gastero- 
stomnm  fiwbrlatinn  —  Bncephahis.  Distoma  holostomiim  — 
Leucochloridlum)  gehen  direct,  wenn  auch  mitunter  durch 
Verzweigung  (Bucephalas)  in  die  Ammen  über,  die  be- 
wimperten Embryonen  aber*)  werden  zu  Uram- 
men  oder  Ammen,  indem   ihr   Wimperldeid  fällt. 

Die  Urammen  erzeugen  durch  Keimzellen  ihnen  glei- 
chende Ammen  ,  diese  ebenfalls  durch  blosse  Keimzellen 
Cercarien.  Sind  Urammen  und  Ammen  blos  schlauchför- 
mig, wie  ohne  thierische  Organisation,  so  heissen  sie 
Sporocysten  (lebende  Keimschläuche).  Haben  sie  einen 
deutlichen  Verdauungs-  und  Gefässapparat,  nennt  man  sie 
Re  di  en. 

Sie  also  erzeugen  die  Generation  der  Cercarien, 
deren  Organisation  schon  lebhaft  an  die  Trematode  erin- 
nert, welche  daraus  hervor  gehen  soll,  die  aber  durch 
ihr  freies  Uraherschwärmen  mit  Hülfe  eines  sehr  beweg- 
lichen Ruderschwanzes  sich  auszeichnet.  Bei  Distomum 
cygnoides  wirft  die  Cercarie  im  Wasser  den  Schweif  ab 
und  wandert  höchst    wahrscheinlich    direct  in  die  Harn- 


*)  Distoma  liians  ^  nodulosum^  globiporum ,  cygnoides,  longi- 
colkf  foliurriy  pinnarnm;  Monostoma  mutabile  ^  capitellaium ;  Am- 
phistoma  siiclavatum. 


366  IV,  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystein. 

blase  der  Frösche  durch  den  Mastdarm.  In  der  Regel 
aber  gehen  die  Cercarien  auf  Mollusken  nach  Abwerfung 
des  Schwanzes  eine  Art  von  Verpuppung  ein  und  werden 
gescblechtsreif ,  wenn  sie  in  den  Darmkanal  ihres  eigent- 
lichen Wohnthieres  versetzt  worden  sind. 


Steenstrup,  lieber  den  Generationswechsel.     Kopenhagen  1842. 

de  la  Valette,  Symholae  ad  Trematodiim  evolutionis  historiam. 
Berol.  1855. 

Wagen  er,  Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Eingeweide- 
würmer.   Naturkundige  Verhandelingen  Bd.  13.  1857. 


Bandwürmer.  Der  schon  im  Bandwurmgliede  sich 
entwickelnde  Embryo  ist  eine  sehr  contractile  Kugel  mit 
drei  Paar,  nach  den  Species  verschiedenen  Häkchen. 
Zwei  Paar  besitzt  2'etrarhynchus  riificollis. 

Der  an  den  Ort  seiner  Bestimmung  angelangte  Em- 
bryo erhält  wachsend  eine  structurlose  Haut.  Auf  ihr 
bilden  sich  durch  feine,  schief  sich  durchkreuzende  Fur- 
chen zuweilen  Härchen  oder  Stacheln,  Dann  treten  die 
Gefässe  mit  Flimmerläppchen  und  pulsirenden  Endschläu- 
chen, nach  ihnen  die  Kalkkörperchen  auf. 

Bis  zu  diesem  Stadium  gleich ,  treten  von  nun  an  die 
Gattungen  aus  einander. 

a.  Bei  L'igula  und  Caryophyllaens  bleibt  die  Schwanz- 
öffnung für  immer  und  die  Larve  (Cestodensack  oder 
Cestodenblase  nach  Wagen  er)  geht  keine  oder  nur 
unwesentliche  Modificationen  des  Kopfes  ein. 

b.  Bei  Triaenophorus  entwickeln  sich  am  Vorderende 
direct  die  Haken  und  flachen  Gruben.  Ob  die  Schwanz- 
blase obliterirt  oder  das  Ende  abgeworfen  wird ,  ist  un- 
entschieden. 

c.  Bei  den  Taeniae  inermes,  deren  Cestodensack  klein 


2.  Kap.    Die  typischen  Entwicklungsformen.  367 

«- 

bleibt,  versieht  sich  das  eingezogene  Kopfende  einfach 
mit  Rüssel  und  Näpfchen.  Darauf  Gliederbildung,  wo- 
von das  letzte  den  pulsirenden  vSchlauch  trägt.  Diess 
wird  zuerst  abgestossen.  Bei  den  Cestodengattungen  mit 
grosser  Schwanzblase  wird  diess  letzte  Glied  meist  vor 
der  Gliedbildung  abgeworfen. 

Nach  Leuckart  würden  sich  die  Taeniae  inermes 
überhaupt  im  Wesentlichen   wie  die  armatae  verhalten. 

d.  Bei  den  Tetvabothriis  verwandelt  sich  der  Vor- 
dertheil  der  Cestodenblase  in  den  Kopf^  das  Schwanz- 
ende mit  dem  pulsirenden  Schlauche  wird  abgeworfen. 

e.  Taeniae  armatae.  Das  Kopfende  der  Cestodenblase 
zieht  sich  ein ;  um  den  so  entstandenen  Kopfsack  häuft 
sich  eine  braune  Masse.  Diese  wandelt  sich  in  Zellen 
um,  aus  denen  der  Tänienkopf  sich  aufbaut. 

f.  Ganz  ähnlich  verhalten  sich  die  Tetrarhynchi. 
Bei  einigen  von  ihnen  w  ird  der  Kopf  in  der  Blase  frei 
und  an  ihm  entwickelt  sich  ein  contractiler  Sinus ,  in  den 
die  vier  Seitengefässe  einmünden.  An  diese  schliesst  sich 
Dibothrium  an. 

In  den  Fällen  unter  a  und  b  findet  nur  eine  Meta- 
morphose, kein  Generationsw^echsel  statt.  In  allen  übri- 
gen Fällen,  sowohl  da,  wo  der  unmittelbar  aus  dem  Em- 
bryo hervorgegangene  und  der  durch  Form-  oder  Knos- 
penbildung entstandene  Kopf,  als  auch  namentlich  wo 
die  zahlreichen ,  an  der  Cestodenblase  gesprossten  Köpf- 
chen Glieder  zeugen ,  hat  man  Generationswechsel  vor 
sich.  Die  Glieder  sind  die  Geschlechtstbiere ,  die  Köpfe 
die  Ammen  dazu. 


Literatur  oben. 


368  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

Acanthocephalen.  Man  kennt  ihre  Entwicklung 
noch  nicht  vollständig,  doch  scheinen  bei  den  beobachteten 
Formen,  darunter  Eclünorhynchus  gigas,  nur  unwesentliche 
Umwandlungen  vorzukommen  (^V  agener).  Die  Em- 
bryonen sind  ganz  mit  Stacheln  besetzt;  neben  dem  auf 
dem  Scheitelpol  befindlichen  Loche  liegen  zw^ei  grosse, 
später  verschwindende  Kopfhaken. 

Unter  den  übrigen  Rundwürmern  zeichnet  sich 
Gordius  durch  eine  Metamorphose  aus.  Seine  ausgebil- 
deten Embryone  sind  kurze,  plumpe  Würmchen  mit  einem 
einstülpbaren  doppelten  Hakenkranze  und  einem  Stilet 
am  Kopfende.  Mit  Hülfe  dieser  AVafFen  dringen  sie  aus 
dem  Wasser  in  verschiedene  Insektenlarven.  Ihre  wei- 
tere Verwandlung  ist  unbekannt. 

Die  andern  Nematoden  müssen  zwar  häufig  Wande- 
rungen der  verschiedensten  Art,  aus  einem  Wirthe  in 
den  andern,  einem  Organ  in  das  andre  durchmachen, 
während  dem  sie  oft  längere  Zeit  incystirt  liegen,  Me- 
tamorphose und  Generationswechsel  sind  ihnen  aber  fremd. 

Gliederwürmer.  Weder  die  Hirudineen,  noch 
die  Na  i  den,  noch  die  Lumbricinen  bestehen  eine 
Metamorphose.  Die  Larve  von  Slpunctdus  bewegt  sich 
vermittelst  eines  Kranzes  von  Flimmern,  ist  jedoch  sehr 
bald  durch  ihre  Längsmuskeln  und  den  Darmkanal  als 
Sipiinculus  kenniUch.  Eine  tiefergehende,  in  den  Grund- 
zügen sehr  übereinstimmende  Metamorphose  findet 
sehr  allgemein  bei  den  Polychäten  Grub,  statt. 
Der  Embryo  verlässt  als  rundlicher,  ganz  oder  zum  Theil 
mit  Flimmerhaaren  bedeckter  Körper  das  Ei  und  schwimmt 
infusorienartig  umher.  Nachher  streckt  er  sich,  während 
von  dem  Flimmerüberzuge  nur  einzelne  Ciliengürtel  übrig 
bleiben.     Jetzt   treten    auch   die  ersten  Andeutungen  der 


4,  Kap.     Die  lypischen  Enlvvicklungsformen.  369 

Körpergliederung  hervor  mit  den  Anfängen  der  Fuss- 
stummeln  und  Borsten,  und  so,  jenachdem  die  Segmen- 
tation  vorwärts  schreitet,  bilden  sich  die  Charaktere  der 
Gattung  und  Species  mehr  aus. 


Grube,  Untersuchungen  über  die  Entwicklung  der  Klepsinen.  1844. 

M.  Müller,  lieber  eine  den  Sipunculoiden  verwandte  Wurmlarve. 
Müll.  Arch.  1850. 

Krohn,  Bemerkungen  über  die  Sexualverhällnisse  der  Sipuncu- 
loiden.   Ebendas.  1851. 

d^Udekem^  Developpement  du  lombric  terrestre.  Mem.  coiironn. 
de  VAcad.  roy.  de  Belgiqiie.  T.  XXVII. 

Milne-  Edw  ar  ds  f  Observalions  sur  le  developpement  des  anne- 
lides.     Ann.  d.  sc.  nat.  III.  1855. 

Quatre]fages,  Memoire  sur  Vembryogenie  des  anne'lides.  Ibid. 
X.  1848. 

M.  Müller,  lieber  die  Entwicklung  und  Metamorphose  der  Poly- 
noen.    Müll,  ilrch.  1851. 


3)  Die  Entwicklung  der   Gliederthiere. 

Die  geschlechtliche  Fortpflanzung  finden  wir  unter 
den  Arthropoden  in  einem  einzigen  Falle  in  cyclischer 
Abwechslung  mit  der  ungeschlechtlichen,  nämlich  im  Ge- 
nerationswechsel der  Aphiden. 

Es  ist  eine  längst  bekannte  Thatsache ,  dass  aus  den 
im  Herbste  gelegten  und  vom  männlichen  Samen  befruch- 
teten Eiern  der  Blattläuse  im  Frühjahr  nur  sogenannte 
Weibchen  ausschlüpfen,  die  sich  den  ganzen  Sommer  hin- 
durch in  mehreren  Generationen  ohne  das  Zuthun  von 
Männchen  fortpflanzen.  Diese  sogenannten  Weibchen  ste- 
hen zu  der  aus  ihnen  hervorgehenden  Brut  in  demselben 
Verhältnisse  wie  die  Keimschläuche  zu  den  Cercarien: 
sie  sind  Ammen,  durch  welche  die  Species  sich  zur  Ge- 
schlechtsindividualität hindurcharbeitet,  welche  aber  eine 

24 


370  ^^-  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

weit  grössere  Selbständigkeit  als  die  Keimscblauche  der 
Oistomen  erlangt  haben.  Die  Brut  der  Aphidenammen 
erzeugt  sich  in  inneren  Keimröbren ,  welche  der  Anlage 
nach  den  Eierstöcken  der  wahren  Weibchen  gleichen,  an 
deren  Ausfübrungsgange  aber  das  receptaculum  seminis 
und  die  Kittdrüsen  fehlen.  Der  Keim  der  Blattläuse  wird 
ebenso,  wie  der  Embryo  im  befruchteten  Ei,  aus  Zellen 
aufgebaut,  welche  in  der  hintersten  Kammer  der  Keim- 
röhren ohne  eigne  einscbliessende  Membran  sich  finden, 
gewöhnlich  aber  scbon  in  der  zweiten  Kammer  mit  einer 
eigenthüralicben  Hülle  sich  umgeben;  diese  ovalen  Körper 
wandeln  sich  dann  während  des  weiteren  Herabsteigens 
in  den  Keimröhren  zur  Brut  um.  Die  ersten  am  Keime 
hervortretenden  Organe  sind  die  Füsse,  dann  die  Fress- 
werkzeuge. Nun  zeigen  sich  vom  Bauchtheile  aus  die 
Körpersegmente,  während  der  übrige  Inhalt  zu  den  Fort- 
pflanzungs-  und  Verdauungsorganen  verwendet  wird.  Die 
letzte  Generation  sind  die  geschlechtlich  getrennten  Blatt- 
läuse. 

In  der  Entwicklung  aus  dem  Ei  haben  die  Ar- 
thropoden gemeinschaftliche  Grundzüge,  durch  welche  sie 
streng  von  den  anderen  typischen  Abtheilungen  des  Thier- 
reichs ,  namentlich  den  Mollusken  und  Wirbelthieren ,  ge- 
schieden werden. 

Nachdem  eine  zellige,  den  Dotter  allseitig  umgebene 
Keimhaut  sich  gebildet,  entsteht  durch  eine  Zusam- 
menziehung derselben  der  Keirastreifen  oder  der 
Primitivtheil*),  der  sich  in  die  Bauchseite  des  Em- 


*)  Eine  Ausnahme  machen,  ausser  den  R  ä  derthi  er  e  n  ,  die 
Cyclopiden,  deren  Keimhaut  gleichmässig  über  den  ganzen  Dot- 
ter gelagert  bleibt.  Der  Embryo  wird  daher  nicht  von  einem  Primi- 
livslrelfen  aus  gebildet.  Claus,  Entwicklungsgeschichte  der  Cope- 
poden.     Wiegni.  Arch.  1858. 


2.  Kap.    Die  typischen  Enlwicklungsfoimen.  371 

bryo  umbildet.  Der  Keimstreifeii  theilt  sich  in  ein  äus- 
seres und  ein  inneres  Blatt.  Diese  Trennung  ist 
beobachtet  bei  den  Insekten  und  höheren  Crustaceen ;  un- 
gewiss bleibt,  wie  weit  sie  sich  überhaupt  über  die  Ar- 
thropoden erstreckt.  Aus  dem  äusseren  entsteht  die 
äussere,  später  erhärtende  Hülle  des  Embryos,  zunächst 
Seiten-  und  Rückenwand ;  aus  dem  inneren  sämmtliche 
Gliedmassen,  Nervensystem,  auch  die  musculöse  Bauch- 
wand; auch  entstehen  sehr  früh  durch  Zusammenziehung 
des  inneren  Blattes  von  der  Mitte  nach  den  Seiten  zu 
die  beiden  Keimwülste,  als  Grundlage  der  Segmenti- 
rung  und  Gliedmassenbildung  und  als  die  der  Segmenti- 
rung  vorausgehende  Anlage  des  bilateralen  Typus,  Diese 
Segmentbildung  (Ursegraent  nach  Zaddach)  in  den 
Keimwülsten  ist  allen  Arthropoden  geraein,  bald  jedoch 
entstehen  diese  Segmente  vor  den  Gliedmassen  (Insekten), 
bald  umgekehrt  (Kruster). 

Die  weitere  Differenzirung  des  Arthropodenkörpers 
hängt  von  der  grösseren  oder  geringeren  Entwicklungs- 
fähigkeit der  Ursegmente  ab  und  ihrer  Fortsätze ,  womit 
dann  das  Hautblatt  in  enge  Verbindung  tritt,  wenn  nicht, 
wie  es  bei  den  niederen  Krustaceen  der  Fall  zu  sein 
scheint,  jene  Sonderung  des  Primitivtheils  in  den  beiden 
Schichten  weniger  prononcirt  ist. 

Nach  Rathke's  Untersuchungen  ist  die  Reihenfolge 
in  der  Bildung  der  Organe  bei  Astamts  fliiviatilis  fol- 
gende: Andeutung  des  Abdomen;  Oberlippe;  Anlage  der 
Keimschicht,  welche,  den  Dotter  umwachsend,  zum  Darra- 
kanal  wird;  beide  Antennen;  Oberkiefer;  Augen;  After- 
öffnung; 1.  und  2.  Unterkiefer;  1.  Beikiefer;  2.  und  3. 
Beikiefer;  Hinterleibsanhänge;  Herz  und  grosse  Gefässe; 
Seitentheile  des  Cephalothorax;    Nervensystem;    Kiemen  j 

•2.1  * 


372  IV.  Abschn.     Das  Forfpflanzungssyslem. 

Leber.  Der  Darmkanal  entsteht  in  zwei  Abtheilungen, 
die  vordere  bis  zum  Pylorus,  die  hintere  ist  das  Darm- 
rohr. Beide  wachsen  sich  entgegen.  Die  Geschlechts- 
organe werden   erst  nach  der  Geburt  angelegt. 

Zaddach's  Beobachtungen  am  Phryganiden-Ei  leh- 
ren folgende  theils  gleichzeitig ,  theils  nach  einander  auf- 
tretende Bildungen  nach  Anlage  der  Keimwülste:  Kopf- 
platten; Oberkiefersegment;  Oberkiefer;  2  Paar  Unter- 
kiefer; Brustgliedmassen;  Antennen  der  Larve;  Oberlippe; 
Hinterleibsspitze;  After;  Verwachsung  der  Schädelplatten 
zum  Schädelgewölbe;  Umdrehung  des  Embryos  durch  Zu- 
sammenziehung der  Keimwülste ;  Speiseröhre  und  Rectum; 
Auge  und  Nervensystem;  Malpighi'sche  Gefässe;  Spinn- 
und  Speichelgefässe;  Rückengefäss. 

Die  Entwicklungsgeschichte  zeigt  alsdann,  dass  am 
Körper  der  Arthropoden  5  Abschnitte  zu  zählen  sind : 
Vorderkopf,  Hinterkopf,  Brust,  Abdomenund 
Postabdomen,  welche  nach  den  verschiedenen  Klassen 
und  Ordnungen  verschieden  ausgebildet  sind.  Siehe  S.  100  ff. 
Nicht  nur  die  meisten  Insekten ,  auch  viele  Crusta- 
ceen  sind  einer  Metamorphose  unterworfen.  So  ver- 
lassen die  Ranken füsser,  Parasiten,  die  meisten 
Lophyropoden  und  die  Phyllopoden  das  Ei  in 
einer  von  dem  ausgewachsenen  Zustande  sehr  verschiede- 
nen Gestalt,  in  der  sie  aber  grosse  Aehnlichkeit  unter 
einander  haben.  Der  Körper  der  Jungen  ist  ei-  oder 
birnförmig,  trägt  an  dem  stumpferen  Vorderende  ein 
einziges  Auge  und  ist  mit  zwei  bis  drei  Paar  Ruder- 
füssen  mit  langen  Borsten  versehen.  Diese  Larven  be- 
stehen eine  mehrmalige  Häutung,  mit  denen  die  Metamor- 
phose   weiter   schreitet    und    vollendet    wird.     Auch   die 


2.  Kap.     Die  typischen  Entwicklungsfonnen.  373 

Decapoden,   namentlich  die  Kurzschwänze,    erlei- 
den eine  grössere  oder  geringere  Verwandlung. 


Rathke,  Untersuchungen  über  die  Bildung  und  Entwicklung  des 
Flusskrebses.  1829. 

Ders. ,  Abhandlungen  zur  Bildungs-  und  Entwicklungsgeschichte, 
1833.  III.  (Asellus ,  Onisnis  ^  Daphnia^  Lynceus.) 

Rathke,  Beiträge  zur  vergl.  Anatomie  und  Physiologie.  1842. 
(Larven  der  Decapoden.) 

Heber  die  Larvenzustände  der  niederen  Cruslaceen  vergl.  Burmei- 
ster, Beiträge  zur  Naturgeschichte  der  Rankenfüsser. 

Ferner  Nordmann,  3Iicrographische  Beiträge  u.  s.  w.  2.  1832. 

Herold,  Entwicklungsgeschichte  der  Schmetterlinge.     1815. 

Zaddach,  Untersuchungen  über  die  Entwicklung  und  den  Bau  der 
Gliederlhierc.  I.    Die  Entwicklung  des  Phryganideneies.  1854. 


4.  Die  Entwicklung  der  Weichthiere. 
Bryozoen.  Man  kann  die  infusorienartigen  Em- 
bryonen von  Alcyonella  stagnorum  für  eine  Ammen- 
form  erklären  und  die  Entwicklung  dieses  Thieres  dem 
Generationswechsel  unterordnen,  indem  man  die  That- 
sachen  nur  einfach  nach  dem  Princip  des  Generations- 
wechsels zu  deuten  braucht.  Es  wird  nämlich  auch  bei 
Alcyonella  und  Verwandten  erst  die  zweite  Generation 
der  eilegenden  Form  ähnlich ,  indem  der  infusorienartige 
Embryo,  noch  während  er  im  Ei  eingeschlossen  ist,  in 
seinem  Inneren  zwei  Keime  entwickelt,  also  für  diese 
ein  wahrer  Keimschlauch ,  eine  wahre  Amme  im  Sinne  des 
Generationswechsels  ist.  Die  Amme  setzt  sich  sehr  bald 
nach  dem  Ausschlüpfen  fest  und  verliert  ihre  Selbstän- 
digkeit, aber  nicht  ihre  Nützlichkeit  für  das  nunmehr 
hervortretende  junge  Alcyonellenpaar ,  indem  diesem  die 
geborstene  chitinisirte  Hülle  der  Amme  als  eine  Art  Ge- 
häuse dient. 


374  IV.  Abschn.     Das  Fortpflanzungssyslem. 

Selbst  bei  denjenigen  Brj  ozoen ,  wo  aus  dem  infu- 
sorienartigen Embryo  zunächst  ein  einziger  Polyp  her- 
vorgeht, stehen  die  beiden  auf  einander  folgenden  Zu- 
stände im  Verhältniss  des  Keimschlauches  zum  Keim  oder 
der  Amme  zum  Aufgeamraten. 

Salpen.  Die  in  der  Nähe  des  Darrakanals  liegen- 
den ,  schlauchförmigen  Hoden  sind  bei  den  neugeborenen 
Salpen  noch  gar  nicht  sichtbar ;  es  können  sich  daher 
nur  Salpen  verschiedener  Ketten  befruchten.  Dagegen 
entstehen  die  Eier  schon  sehr  früh.  Wenige  Salpen  (S. 
zonaria  und  microstoma)  haben  3  bis  5  Eier,  die  meisten 
nur  eins,  das  in  einer  besonderen  Eikapsel  (Eierstock) 
liegt.  Der  Stiel  dieser  Kapsel  verkürzt  sich  nach  der 
Befruchtung,  und  dadurch  wird  mit  dem  Ei  eine  zapfen- 
oder  beerenförmige  Auftreibung  des  inneren  Mantels  in 
der  Athemhöhle  gebildet.  Durch  Abschnürung  des  einen 
Theils  der  Dotters  entsteht  eine  Art  von  placenta  oder 
Fruchtkuchen,  dessen  Höhlung  dem  mütterlichen  Blut- 
strom eine  grössere  Contactfläche  behufs  der  Ernährung 
des  Embryo  darbieten  soll.  Zur  Anlage  des  Embryo 
wird  also  nur  ein  Theil  des  (total  gefurchten)  Dotters 
verwendet.  Der  Embryo  bildet  sich  auf  dem  Dotter  als 
eine  Aufvvulstung,  welche  sich  zunächst  mit  einer  Höh- 
lung ,  der  Athemhöhlung  versieht.  Bald  zeigt  es  sich 
auch  durch  Entstehung  des  nucleus ,  dass  der  Embryo 
mit  der  Bauchfläche  dem  Fruchtkuchen  anhaftet.  Weiter 
treten  auf  Herz  und  Nervenknoten;  ferner  die  Kieme. 
Wir  verfolgen  die  weitere  Entwicklung  nicht  und  er- 
wähnen nur  noch  ein  eigenthüraliches,  aus  grossen  Zel- 
len bestehendes  Embryonalorgan,  den  sogenannten  Oel- 
kuchen,  ausgezeichnet  durch  seinen  Blutreichthum. 

Der  reife  Embryo  reisst  sich  von  seiner  Anheftungs- 


7.  Kap.     Die  tjpischen    EnlMricklungsformen.  375 

stelle    los    und    wird    aus    der    mütterlichen   Athemhöhl» 
durch  die  Cloakenöffnung  entleert. 

Diese  solitären  Salpen  sind  Ammen,  von  den  Am- 
men der  meisten  Thiere  durch  ihre  hohe  Entwicklung 
abweichend.  Sie  gleichen  der  Geschlechtsgeneration  äus- 
serlich  bis  auf  geringe  Abweichungen,  wegen  welcher 
sie  von  den  meisten  früheren  Forschern  als  besondere 
Arten  verzeichnet  worden  sind.  Ihr  Fortpflanzungsorgan 
ist  ein  Keim-  oder  Kn  ospens  tock,  ein  hohles  haken- 
förmiges Gebilde,  umgeben  von  einer  Scheide  des  äusse- 
ren Cellulosenmantels.  Aus  diesem  Keimstock  sprossen 
als  zweite  Generation  die  Salpenketten  hervor  und  zwar 
in  einzelnen  in  dem  Fortschritt  der  Entwicklung  überein- 
stimmenden Sätzen.  Nach  den  Beobachtungen  von  E sch- 
riebt und  Leuckart  entsteht  jede  Salpe  an  der  Keim- 
röhre durch  die  Verschmelzung  zweier,  anfänglich  ganz 
getrennter  Stücke  oder  Knospen.  Nachdem  aber  die  Sal- 
penkörper  angelegt,  stimmt  die  weitere  Entwicklung  im 
Wesentlichen  mit  der  oben  angegebenen  der  solitären 
Salpen  überein. 


Vogt,    Salpen.     Bau    und    Entwicklungrsgeschichte.     In:   Bilder  aus 

dem  Thierleben.     Frankf. ,  a.  31.   1852. 
Leuckart,  Zool.  Untersuchungen.  II.     Giessen,  1854. 


A  seidien.  Sowohl  bei  den  einfachen,  als  bei  den 
zusammengesetzten  Ascidien  ist  die  geschlechtliche 
Fortpflanzung  mit  einer  Met  am  orp  hos  e  oder  auch  mit 
Generationsw^echsel  verbunden.  Die  Larve  der 
einfachen  Ascidien  ist  geschwänzt,  setzt  sich  dann  mit 
ihrem  Vorderende  fest,  indem  das  bisherige  Bewegungs- 
organ verloren  geht.  M.  Edwards  will  beobachtet  ha- 
ben ,    dass  mit  dem  Kerne  der  Larve  innerhalb  der  nun- 


376  IV.  Absclm.    Das  Fortpflanzungssystem. 

mehr  fixirten  Hülle  eine  Drehung  stattfände,  wodurch 
der  ursprünglich  vordere  Pol  wiederum  nach  vorn  ge- 
kehrt würde. 

Auch  unter  den  zusammengesetzten  Ascidien  gieht 
es  Gattungen  mit  einfachen  Larven.  Der  Kern  der  ge- 
schwänzten Larve  von  Botryllus  theilt  sich  dagegen  in 
acht  Individuen ,  regelmässig  gruppirt  um  eine  Höhlung, 
die  später  zur  gemeinschaftlichen  Cloake  wird.  Nach 
Grundlegung  des  Stammes  geschieht  das  Anwachsen  der 
polypenartigen  Stöcke  der  Ascidiae  cowpositae  durch 
Knospung.  Die  Knospen  wachsen  aus  dem  Abdominal- 
theile  der  inneren  Hülle.  Die  regelmässige  Gruppirung 
zu  Systemen  scheint  dadurch  verursacht  zu  werden,  dass 
auf  einem  gemeinsamen ,  stolonenartigen  Absenker  des 
Mutterthieres  mehrere  junge  Individuen  (ein  System)  ver- 
einigt bleiben. 

Acephalen.  Einige  unzusammenhängende  Beob- 
achtungen über  die  Entwicklung  der  Brachiopoden, 
die  wir  bisherhaben,  sind  nicht  geeignet,  uns  eine  Vor- 
stellung über  diese  Verhältnisse  zu  geben. 

Dagegen  sind  nicht  wenige  Repräsentanten  der  La- 
mellibranchiaten  auf  ihre  Entwicklung  untersucht. 
Es  geht  aus  diesen  Untersuchungen  hervor,  dass  ein,  die 
Entwicklung  der  ganzen  Abtheilung  beherrschender  Plan, 
wie  er  z.  B.  innerhalb  der  Insektenwelt  so  prägnant  auf- 
tritt, nicht  existirt.  Noch  viel  weniger  aber  ergeben  sich 
wesentliche  gemeinschaftliche  Gesichtspunkte ,  unter  wel- 
chen sich ,  selbst  mit  Ausschluss  der  Molluscoiden ,  die 
Acephalen,  Cephalophoren  und  Cephalopoden  zusammen- 
fassen Hessen. 

Der  Anlage  von  Körpertheilen  scheint  bei  allen  La- 
mellibranchiaten  nach  totaler  Furchung  die  Bildung  einer 


2.  Kap.     Die  typischen  Entwicklungsformen.  377 

allseitigen  Keimschicht  voranzugehen.  Von  hier  aus  sind 
wenigstens  drei  Arten  der  weiteren  Entwicklung  anzu- 
nehmen. Die  eine,  einfachste,  welche  fast  ganz  ohne 
Anlage  besonderer  Embryonalorgane ,  mithin  ohne  Meta- 
morphose verläuft,  findet  sich  bei  Cyclas  calyculata. 
Sehen  wir  von  einer  wimpernden ,  centralen  Höhlung  des 
Embryo  ab,  deren  Bedeutung  für  das  Eileben  unbekannt, 
so  treten  zuerst  ein  Paar  flimmernde  Wülste  als  die  spä- 
teren Mantelhälften  auf;  zwischen  ihnen  bildet  sich  der 
Fuss,  und  in  weiterer  Folge  zeigen  sich,  anfangs  als 
winzige  Concretionen,  die  Schalenhälften,  Leber,  Kiemen, 
Fussganglien  mit  Gehörbläschen.  Diess  ist  zugleich  der 
Moment,  wo  das  bisher  zellige  Gewebe  eine  faserige 
Beschaffenheit  annimmt.  Schon  jetzt  ist  die  Muschel  un- 
verkennbar und  noch  entschiedener  ist  die  Lamellibran- 
chiate  ausgeprägt,  nachdem  auch  Herz  und  Afterdarm 
aufgetreten.  Auf  dieser  Stufe  wird  Cyclas  calyculata 
geboren. 

Bei  Cyclas  Cornea  dagegen  bildet  sich  zuerst  eine 
zum  Magen  werdende  centrale  Höhlung,  dann  die  Mund- 
vertiefung, der  Fuss,  eine  zweite  hintere  Einstülpung, 
welche  als  Darm  der  vorderen  entgegenkommt.  Nun 
erst  tritt  der  Mantel  mit  den  Schalen  auf  und  ein  Byssus- 
organ. 

Kein  Anknüpfungspunkt  zwischen  diesen  und  den 
Najaden.  Nach  frühster  Anlage  der  beiden  Schalen- 
hälften und  eines  verhältnissraässig  mächtigen  Schliess- 
muskels  theilt  sich  bei  Vnio  pictorum  die  Dottermasse  in 
zwei,  am  Schalenrücken  in  einander  übergehende  Hälften. 
Die  früher  oft  behauptete  und  als  wunderbar  ausge- 
gebene Trennung  des  Embryo  in  zwei  scheinbar  ganz 
selbständige    Hälften   tritt  keineswegs  in  so   auffallender 


378  IV.  Abschn.    Das  Fortpflanzungssystem. 

Weise  ein.  Die  Schalen  bekommen  nun  an  der  Bauch- 
seite je  einen  beweglichen ,  dreiseitigen  und  mit  Höcker- 
chen oder  Zähnchen  versehenen  Aufsatz,  und  weitere 
Embryonalorgane  sind  eigenthümliciie  glashelle  Stacheln, 
welche  mit  einem  flaschenförmigen ,  zellenartigen  Ende 
dem  Dotter  eingepflanzt  sind.  Dem  späteren  Leben  ganz 
fremd  ist  auch  ein,  einen  langen  zusammengeknäulten 
Faden  spinnendes  Byssusorgan.  Es  geht  aus  dem  Gesag- 
ten hervor,  dass  bisher  von  den  bleibenden  Organen  der 
IJnio,  welcher  sich  Änodonta  cygnea  ziemlich  eng  an- 
schliesst,  fast  nichts  angelegt  ist.  Die  weitere  Entwick- 
lung dieser  Metamorphose  ist  aber  nicht  bekannt. 

Die  dritte  Entvvicklungsform ,  gleichfalls  mit  einer 
bedeutenden  Metamorphose  verknüpft,  zeigt  sich  an  einer 
Anzahl  von  Seemuscheln  aus  den  Gattungen  Modiolaria, 
Montacuta,  Mactra,  Mytilus^  denen  sich,  namentlich  we- 
gen der  Bildung  des  sogenannten  Segels,  auch  Teredo 
anschliesst.  Die  frühsten  Zustände  kennt  man  am  besten 
von  Modiolaria  marmorata.  Indem  die  Dottermasse  sich 
allseitig  zum  Embryo  umwandelt,  bedeckt  sich  derselbe 
ganz  mit  einem  Flimmerüberzug.  Zwei  kleine  Hervorra- 
gungen breiten  sich,  allmälig  zusammenwachsend,  schirm- 
artig aus;  dieser  Schirm  erhält,  während  die  allgemeine 
Flimmerung  verschwindet,  einen  Besatz  ausgezeichnet  lan- 
ger Cilien  und  wird  zum  sogenannten  Segel  (velum)y 
welches  auch  in  der  Entwicklung  der  Cephalophoren  eine 
grosse  Bedeutung  hat.  Es  ist  noch  während  der  ersten 
Zeit  nach  der  Geburt  das  Bewegungsorgan ,  wird  später 
rückgebildet  und  bleibt  persistent  als  die  Lippentaster. 
Gleich  nach  Anlage  des  Segels  tritt  aus  der  Mitte  dessel- 
ben eine  längere  Cilie ,  das  sogenannte  flagellum.  Ihm 
entgegengesetzt  bildet   sich  die  Muschel.     Nun  erst  zeigt 


2.  Kap.     Die  typischen  Enlwicklungsfoimen  379 

sich  der  Mantel;  die  Muschel  wächst,  so  dass  sich  das 
Velura  ganz  unter  sie  einziehen  kann.  Es  folgen  Blagen, 
Leberlappen,  Darm,  Speiseröhre,  Mund,  After.  Von 
Fuss  und  Herz  ist  in  dieser  ganzen  Zeit  noch  nichts  be- 
merkbar. Auch  die  Kiemen  gehören  in  eine  spätere  Pe- 
riode ,  wie  aus  den  an  Martra  und  Mytilus  edul'is  ange- 
stellten ergänzenden  Beobachtungen  sich  ergiebt. 


0.  Schmidt,  Ueber  die  Entwickhing  von  Cyclas  calyculata  Drap. 
Müll.  Arch.  1854. 

Leydig,  Ueber  Cyclas  cornea.    Müll.  Arch.  185.5. 

0.  Schmidt,  Zur  Entwicklungsgeschichte  der  Najaden.  Sitzgsber. 
d.  Wien.  Acad.  1856.  XIX. 

Loven,  Kongl.  Vetensk.  Acad.  Handl.  för  är  1848.  Auch  be- 
sonder. Abdr.  Auch  Wie  gm.  Arch.  1849.  XV.  I.  (Modiol.y 
Mactra  etc.) 

Quatrefagesy  Embryogenie  des  Tareis.  Ann.  d.  sc.  nat.  1849. 
T.  11. 


Cephalophoren.  Auch  die  Gasteropoden  ge- 
hen nach  Abschluss  der  Furchung  in  sehr  verschiedener 
Weise  aus  einander. 

Eine  grosse  Anzahl  von  Gasteropoden  haben  mit  den 
pelagischen,  schwärmenden  Larven  der  Lamellibranchia- 
ten  das  Segel  gemein,  in  der  Reihenfolge  der  Anlage 
der  Organe  ist  aber  innerhalb  dieses  Haufens  wiederum 
gar  keine  Uebereinstiramung.  Da  das  Segel  rückgebildet 
wird,  so  bestehen  die  damit  versehenen  Gasteropoden 
eine  mehr  oder  minder  bedeutende  Metamorphose. 
Diese  wird  am  auffallendsten  bei  den  Gasteropoda  gym- 
nobranchiata  durch  das  Vorhandensein  einer  transitori- 
schen  Schale  mit  Deckel. 

Gleich  zu  Anfang  der  Entwicklung  der  Nackt- 
schnecken  kerbt  sich  der  eine  Eipol  ein,    und  es  ent- 


380  IV.  Abochn.     Das  Fortpflanzungssystem. 

steht  das  vehun  als  zwei  mit  langen  Flimmercilien  ge- 
säumte Lappen,  die  Bewegungsorgane  des  Embryo  im 
Ei  und  nach  dem  Auskriechen.  Unterhalb  dieser  Lappen 
ist  der  Fuss  hervorgekommen ,  während  sich  das  Hinter- 
theil  der  jungen  Schnecke  mit  einer  sehr  dünnen  und 
zierlichen,  kahn-  oder  pantoffelförmigen  Schale  umgeben 
hat.  Der  Embryo  kann  sich  ganz  in  diese  zurückziehen, 
sie  auch ,  wie  so  viele  Gasteropoden ,  mit  einem  auf  der 
Rückenfläche  des  Fusses  angehefteten  Deckelchen  ver- 
schliessen.  Die  Reihenfolge,  in  der  die  inneren  Organe 
auftreten ,  ist  für  die  verschiedenen  Gattungen  nicht  die- 
selbe; und  noch  grössere  Variationen  dieser  Aufeinander- 
folge stellen  sich  heraus,  wenn  man  die  übrigen  Gaste- 
ropoden, namentlich  Kammkiemer  und  Pulmonaten,  mit 
zur  Vergleichung  zieht. 

Nachdem  die  Gymnobranchiate  in  der  Gestalt  einer 
Gehäusschnecke,  aber  noch  mit  dem  velum  versehen,  das 
Ei  verlassen  und  eine,  für  die  einzelnen  Gattungen  sehr 
ungleiche  Zeit  (einige  Tage  bei  Tergipes  lacimilatus^  meh- 
rere Wochen  bei  Actaeon)  mit  Hülfe  der  Cilien  umherge- 
rudert, beginnt  die  Rückbildung  des  velum,  die  Wimper- 
lappen schrumpfen  zusammen ,  mit  ihnen  verschwinden 
die  Wimpern ,  und  der  Fuss  wird  das  Bewegungsorgan. 
Dann  wird  Schale  und  Deckel  abgeworfen ;  der  Fuss 
muss  sich  nach  hinten  verlängern  und  mit  dem  zur  Zeit 
des  Gehäuses  bruchsackartigen  Eingeweidesack  verwach- 
sen. Obwohl  die  Nacktschnecke  jetzt  unverkennbar,  fehlt 
doch  noch  viel  zur  Vollendung;  so  wachsen  z.  B.  bei 
Tergipes  die  vielen  hohlen ,  mit  dem  Darm  zusammen- 
hängenden Zotten ,  erst  ganz  allmählich. 

Von    den  übrigen    Schnecken    zeigen    besonders    die 


2.  Kap.     Die  typischen  Entwicklungsformen.  381 

Kammkiemer*)  das  Segel,  sowohl  die  des  Meeres  als 
die  Süsswassergattung  Paludina.  Bei  letzterer  erreicht 
es  jedoch  nicht  die  lappenartige  Ausdehnung,  wie  bei  den 
anderen. 

Die  Entwicklung  der  Gehäuspulmonaten  verläuft 
ohne  Metamorphose  (auch  Ancylus  lacustris  zeigt  keine 
Spur  von  Verwandlung) ;  ist  nun  auch  in  der  Entwicklung 
der  Lima  einen  keine  eigentliche  Verwandlung,  so  ver- 
dienen sie  doch  eine  besondere  Beachtung  theils  wegen 
eines  eigenthiimlichen  Embryonalorgans,  theils  weil  sie 
die  einzigen  Cephalophoren  sind,  deren  Entwicklung  An- 
knüpfungspunkte mit  derjenigen  der  Cephalopoden  dar- 
bietet. 

Nachdem  der  Embryo ,  ohne  dass  sich  eine  bestimmt 
von  der  übrigen  Dottermasse  sich  abhebende  Keimschicht 
gebildet,  eine  Zeit  lang  mit  Hülfe  von  Cilien  im  Ei  rotirt 
hat,  entsteht  durch  Theilung  der  grossen  Dotterzellen 
eine  Platte,  welche  später  zum  Schild  wird.  Darauf 
tritt  eine  zweite  Platte  auf,  der  Fuss.  Mit  ihr  zugleich 
erscheint  eine  contractile  Schwanzblase,  ein  proviso- 
risches herzartiges  Organ,    welche  Anfangs  allein,    dann 


*)  Bei  Purpura  layiUus  und  Buccinum  nndatum  haben  Koren 
und  Danielssen  die  höchst  merkwürdige  Beobachtung  gemacht, 
dass  zur  Bildung  eines  Embryo  immer  40  bis  60,  ja  bis  130  Eier 
zusammentreten.  Wiederholte  Untersuchungen  dieser  ausgezeichneten 
Forscher  haben  diese,  von  verschiedenen  Seiten  angezweifelten  Be- 
obachtungen lediglich  bestätigt.  Durch  dieses  ursprüngliche  Zusam- 
mentreten eines  massigeren  Baumaterials  wird  dasselbe  erreicht, 
was  bei  Neritina  fluviatilis  auf  anderem  Wege  geschieht.  Hier  näm- 
lich entwickelt  sich  von  den  45  bis  60  in  einer  Kapsel  befindlichen 
Eiern  nur  ein  einziges  zum  Embryo.  Die  übrigen  machen  die  Fur- 
chung  durch ,  werden  aber  in  ihrer  weiteren  Entwicklung  gehemmt 
und  von  jenem  Embryo  als  Nahrung  aufgeschluckt.  Auch  Neritina 
fluviaiiiis  hat  das  Segel. 


383  1^-  Abschn.     Das  Fortpflanzungssystem. 

aber  mit  den  gleichfalls  contractilen  Wandungen  des 
Dottersackes  den  Säftelauf  des  Embryo  regulirt. 
Nachdem  nämlich  im  Schild  ein  dunkler  Fleck  als  erstes 
Schalenrudiment  bemerklich  geworden ,  der  Schild  auch 
sich  vollständig  von  der  Dottermasse  abgehoben,  gleich- 
zeitig aber  über  und  aus  der  Bauchplatte  sich  mehrere 
Hügel  als  Anlage  der  Tentakeln  und  Seitenwände  der 
Mundhöhle  sich  erhoben ,  ist  zwischen  diesen  Theilen  ein 
Dottersack  hervorgetreten,  der  mithin  aus  der  Nacken- 
gegend hervorhängt.  Auf  ihm  liegt  auch  ein  paariges 
drüsiges  Organ,  welches  als  Urniere,  eine  Art  von 
Wolff'schem  Körper,  zu  functioniren  scheint.  Während 
der  weiteren  Entwicklung,  indem  nach  einander  Zunge, 
untere  Schlundganglien,  die  Augenlinsen,  Niere,  Herz, 
zuletzt  der  Darmcanal  auftreten,  wird  der  Inhalt  des 
Dottersackes  verbraucht;  die  weit  hinten  im  Körper  lie- 
genden Dotterblindsäcke  werden  unmittelbar  zur  Leber, 
der  Nacken  hat  sich  mit  dem  Schwinden  und  Zurückzie- 
hen des  Dottersackes  geschlossen,  und  die  Schwanz- 
blase verkümmert. 

Die  Pteropoden  entwickeln  sich  nach  zwei  Typen. 
Der  eine,  mit  den  Hyaleaceen  und  Cymbulien  schliesst 
sich  eng  an  die  mit  dem  Velum  versehenen  Gasteropoden 
an.  Der  Embryo  erhält  einen  in  das  Velum  übergehen- 
den Wimperkreis.  Ein  unterhalb  der  Vereinigungsstelle 
beider  Lappen  befindlicher  kurzer  Zapfen  ist  der  Fuss. 
Die  späteren  Flossen  scheinen  nicht  als  Homologen  des 
Gasteropodenfusses  aufgefasst  werden  zu  dürfen,  sondern 
ihre  Entstehung  zum  Theil  wenigstens  den  Segellappen 
zu  verdanken. 

Der  andre  Typus  kommt  den  Clioideen  ( Pneumoder- 
mon)  zu,  deren  wurmförmige  Larven  drei  Wimperkränze 


2.  Kap.     Die  typischen  Entwicklungsfonnen.  383 

besitzen.  An  die  Stelle  des  ersten  treten  die  Flossen, 
ohne  dass  der  Kranz  direct  in  sie  übergeht.  Aus  dem 
zweiten  gebt  tbeilweise  die  „Seitenkieme"  (Gegnbr.) 
bervor. 

Die  Heteropoden  scbliessen  sieb  in  ihrer  Ent- 
wicklung, namentlicb  in  den  ersten  Stadien,  ganz  eng  an 
die  marinen,  segeltragenden  Gasteropoden  an. 


Vogtf  Recherches  sur    Vemhryogenie   des    mollusces    gasteropodes. 

Ann.  d.  sc.  nat,  1846.  VI. 
Nord  mann,  lieber  die  Entwicklung  des  Tergipes  Edwardsii.  Ann. 

d.  sc.  nat.  1846.   F. 
M.  SchuUze,     lieber  die    Entwicklung  des    Tergipes    lacinulaius. 

Wie  gm.  Arch.  1849. 
Leydig,  Heber  Fahidina  vivipara.  Zeitschr.  f.  wiss.  Zool.  II.  1850. 
Koren  u.  Danielssen,  Bidrag  til  Pectinibranchiernes  Utviklings- 

historie.  1851  und  erweitert  in  Fauna    lit.  Norvegiae.  Bergen 

1856. 
Cl  aparede,  Anatomie  und  Entwicklungsgescli.  von  Neritina  fluvia- 

tilis.  Müll.  Arch.  1857. 
0.  Schmidt,  lieber  die    Entwicklung  von  Limax   agrestis.     Müll. 

Arch.  1851. 
Gegenbau r,   Untersuchungen   über    Pteropoden  und  Heteropoden. 

Leipzig  1855. 


Cepbalopoden.  Noch  ehe  die  Furchung  eintritt, 
während  die  Eier  im  Eierstock  von  ihren  Kapseln  um- 
geben sind,  beobachtet  man  merkwürdige,  nach  den  ver- 
schiedenen Familien  abweichende  Faltungen  der 
Dotterhaut.  Die  Furchung  ist  eine  partielle,  be- 
schränkt auf  den  spitzen  Eipol,  gewöhnlicli  etwas  zur  Seite. 
Die  Anlage  des  Embryos  beginnt  nicht  mit  einer 
allseitigen  Keimschicht.  Es  bildet  sich  zuerst,  flach  auf 
dem  Dotter  aufliegend,  der  hintere  Theil  des  Körpers, 
nämlich  der  Mantel,  und  an  diesem  Embryonaltheil  ent- 


384  IV.  Abschn.    Das  Fortpflauzungssystem. 

stehen  nach  allen  Seiten  hin  die  anderen  Organe,  aus 
den  inneren  Schichten  vorzugsweise  die  vegetativen,  aus 
den  äusseren  die  animalen ,  ohne  dass  sich  die  einen  und 
die  anderen  durch  besondere  Lage  und  Reihenfolge 
trennten.  So  erblickt  man  gleich  nach  dem  Mantel  die 
Augen,  sowie  die  weit  von  einander  entfernten  Hälften 
des  Trichters.  Es  erscheinen  ferner  die  Knorpel 
des  Mantelschlosses,  die  Kiemen,  die  ersten 
Armpaare,  Alles  flach  auf  dem  Dotter  um  den  Mantel, 
als  Centrum,  ausgebreitet. 

Indem  aber  in  der  Folge  ein  Kopftheil  des  Embryos 
und  ein  über  demselben  sich  erhebender  Rumpf-  oder 
Manteltheil  sich  strenger  scheiden ,  schnürt  sich  der  Em- 
bryo durch  näheres  Aneinandertreten  seiner  bisher  peri- 
pherischen Theile  mehr  und  mehr  vom  Dotter  ab,  so  je- 
doch, das  er  zugleich  eine  Dotterpartie  in  einem,  von 
der  innersten  Lage  des  centralen  Keimes  gebildeten  inne- 
ren Dottersacke  in  sich  aufnimmt.  Der  äussere  Dotter- 
sack, gebildet  dadurch,  dass  der  peripherische  Theil  des 
Keimes  den  Dotter  umwächst,  und  bedeutend  grösser  als 
der  Embryo,  hängt  am  Kopfe  desselben.  Er  schwindet, 
indem  sein  Inhalt  nach  und  nach  in  den  inneren  Dotter- 
sack übergeht  und  von  da  aus  verbraucht  wird. 

Der  Anknüpfungspunkte  mit  der  Entwicklung  der 
übrigen  Mollusken  sind  höchst  wenige;  ja  es  sind  nur  die 
Limacinen,  die  sich  in  einigen  nicht  unwichtigen  Momen- 
ten an  die  Cephalopoden  anschliessen.  Auch  sie  legen 
einen  Primitivtheil  an ,  besitzen  einen  äusseren  und  einen 
mit  diesem  zusammenhängenden  inneren  Dottersack,  end- 
lich entsteht  bei  beiden  der  Darmcanal  ohne  unmittelbare 
Benutzung  des  inneren  Dottersackes. 

Kolliker,   Entwicklungsgeschichte  der  Cephalopoden.     1844. 


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